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Zwischenwelten

Ereri
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen beim zweiten Kapitel von Zwischenwelten!
Der Titel „Regen“ passt momentan leider auch gut zu unserem Wetter und im Moment schüttet es regelrecht. Der Wettergott scheint August mit April verwechselt zu haben(-。-;

Im letzten Kapitel wurde Levi auf Erwins Geheiß hin zum Ausbilder von einem Haufen Polizisten aus verschiedenen Zweigen verdonnert. Dabei muss er sich nicht nur mit selbstverliebten Arschlöchern und leicht verschreckten Bälgern rumärgern, sondern auch mit seinen ehemaligen Kameraden. Wirklich problematisch ist jedoch die Einstellung der Polizeikollegen Levi gegenüber, die mit seinem Training nicht einverstanden sind.
Auf der anderen Seite sehen sich Eren und die anderen Rekruten mit einem nach ihren Maßstäben unkonventionellen Ausbilder konfrontiert, der jede Übung mitmacht und sie mit erbarmungslosen Argusaugen bewertet.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche jedem Leser frohe Weihnachten und einen guten Rutsch!
Viel Spaß bei diesem langen Kapitel:-)

Im letzten Kapitel handelte Levi aus Überzeugung und wurde unfreiwillig zum Mentor, als er mit Eren nach dessen Krankheit trainierte. Der fängt langsam an wieder Vertrauen zu Autoritätspersonen zu fassen. Fraglich ist demgemäß, wie sich die Informationen über Levi auswirken, die Armin in Erfahrung gebracht hat. Wer ist Levi wirklich? Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi!

Im letzten Kapitel haben wir einen Einblick in Levis und Hanjis Verhältnis bekommen. Außerdem beginnt sich Eren auch immer mehr in Levis Kreis der wenigen Menschen zu drängen, bei denen er eine emotionale Verbindung zulässt.

Ich wünsche euch viel Spaß beim fünften Kapitel! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine lieben Leser!

Dieses Kapitel hat 20.868 Wörter, es ist mithin 5000 Wörter länger als das bisher längste Kapitel. Vielleicht ist es ein kleiner Trost, denn das 7. Kapitel kommt erst zu Weihnachten.
Ich schreibe momentan am 8. Kapitel und genau wie beim 7. geht es zäh voran. Ich möchte mich deswegen entschuldigen.
Aber ich möchte mich im Voraus auch für die wundervollen Kommentare und die Favoriteneinträge bedanken! Ohne diesen Zuspruch würde diese Geschichte noch langsamer vorankommen. Jeder Kommentar ist wie Wasser auf meinen Mühlen! Es macht mich sehr glücklich, wenn ich eure Meinungen zu dieser Geschichte lesen darf und hoffe, dass ihr die langen Wartezeiten auch weiterhin mit mir überbrückt.
Und nun genug des Vorworts.

Im letzten Kapitel schlossen Eren und Co. die Ausbildung ab. Nur eine der vielen Hürden, die sie zu bewältigen haben werden.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zum 7. Kapitel!

Die Zeit ist für mich schneller vergangen, als ich erwartet hätte. Obwohl ich dieses Kapitel am 22.05.15 abgeschlossen und überprüft hatte, musste ich es jetzt noch einmal durchlesen und ein paar Ausdrücke ändern.

Es tut mir leid, dass das Hauptquartier unserer Polizisten in Paris ist und diese Geschichte eine traurige Aktualität erreicht hat. Aus den im letzten Kapitel genannten Gründen werde ich an dem Standort allerdings nichts mehr ändern.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Äußerungen oder Handlungen der in der Geschichte vorkommenden Personen nicht meine eigene politische, religiöse oder moralische Einstellung widerspiegeln. Es sollte sich von selbst verstehen, dass Erzähler und Autor personenverschieden sind.

Ansonsten wünsche ich viel Spaß bei diesem Kapitel! Komplett anzeigen

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Rauschen

Er saß schon seit geraumer Zeit im Zug. Dumpf pochte die Klimaanlage in seinen Ohren, ein stetiges Summen, das man irgendwann ausblendete. Das Quietschen der Schienen und Rütteln war schwerer komplett zu ignorieren, aber nach zwei Stunden schaffte das Gehirn auch das. Es war sehr friedlich. Keiner im halbvollen Abteil sprach. Alle hörten Musik, lasen, dösten oder beschäftigten sich mit Laptops oder Tablets. Er selbst tat nichts davon. Er starrte unentwegt aus dem Fenster in die Dunkelheit. Seinem im Glas spiegelnden Gesichtsausdruck nach zu urteilen, mochte er über etwas anspruchsvolles grübeln oder sich über etwas ärgern. Seine mandelförmigen Augen starrten ausdruckslos vor sich hin und seine schmalen, geschwungenen Lippen vermittelten einen eher verkniffenen Eindruck. Der Wahrheit entsprach keine dieser Alternativen. Er dachte über nichts nach und empfand nichts außer Müdigkeit.

Nachgedacht und geärgert hatte er sich, bevor er in das Flugzeug gestiegen war, das ihn in dieses Land gebracht hatte und als sein Anschlussflug wegen einem Streik gestrichen wurde, wodurch er zum Zugfahren gezwungen wurde.
 

Der Grund seines Ärgers ließ sich in einem Wort beschreiben: Erwin.

Erwin oder genauer gesagt Erwin Smith hatte ihn dazu „überredet“ eine Stelle in seiner Einheit anzunehmen. Es war eine neugegründete Spezialeinheit der Polizei, die ganz am Anfang stand und dazu auserkoren sein sollte die Grenzen Europas zu sichern und terroristische Akte innerhalb des Landes abzuwenden.
 

Die Vereinigten Staaten von Europa standen wirtschaftlich mittlerweile an erster Stelle und hatten viele Feinde und Neider. Die Armutszuwanderung war ein großes Problem und in den Anrainerstaaten organisierten sich immer radikalere Gruppierungen mit politisch fragwürdigen Gesinnungen. Es gab bereits fünf kleinere Selbstmordattentate an historisch oder kulturell bedeutenden Plätzen in verschiedenen Bundesstaaten Europas. Die gewöhnlichen Sicherheitskräfte waren überfordert.
 

Eine neue Spezialeinheit würde demnach tatsächlich Sinn machen. Und er sollte bei der Ausbildung der ersten Rekruten das Kommando übernehmen. Sicherlich kein schlechter Job.
 

Der Zug ruckelte als ein anderer Hochgeschwindigkeitszug wütend an ihm vorbeifauchte. Ein Gong ertönte und die automatisierte Frauenstimme kündigte den nächsten Stopp in fünf Minuten an.

Kaum einer hörte die Durchsage, ihre Ohren waren mit Musik verstopft.
 

Lustlos stand er auf und streckte seine steifen Beine und Arme. Wie er es hasste so lange zu sitzen und er hatte noch eine Stunde vor sich. Er musste nun lediglich umsteigen. Er hoffte für Erwin, dass er dafür gesorgt hatte, dass ihn jemand vom Zielbahnhof abholte. Er hatte keine Lust um zwei Uhr morgens noch ein Taxi zu suchen. Er wollte verflucht nochmal in sein Bett getragen werden.
 

Er nahm sein Gepäck aus dem oberen Staufach und ärgerte sich über die Höhe. Die Schlaufe seiner Tasche war zusammengesackt und er musste einmal leicht springen, um sie fassen zu können.

Diese Welt war für Riesen gemacht.

Und die Gänge für gepäcklose Skelette, denn er blieb bei seinem Weg zum Ausgang ungezählte Male an den Armlehnen anderer Sitze hängen. Es war ihm egal, dass er dabei Leute streifte. Er konnte nichts für diese Misskonstruktion.
 

Die kalte Januarluft war erfrischend und weckte ihn ein wenig auf.
 

Eines musste man den Deutschen lassen, die Beschilderung war übersichtlich und er fand sich sofort gut zurecht und seinen nächsten Zug. Unerklärlicherweise war dieser jedoch geradezu überfüllt, sodass er keinen Sitzplatz mehr fand. Der Tag war wirklich fantastisch. Erwin würde ihn zum Essen einladen müssen. Mindestens. Dieser Bastard. Wegen ihm musste er jetzt eine Stunde lang stehen.
 

Erwin war älter als er und damals schon Offizier gewesen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Ihm hatte er seine militärische Laufbahn zu verdanken gehabt und nun versuchte dieser sture Hund wieder ihn zu fördern. Das verärgerte ihn genauso wie es ihm schmeichelte. Erwin war im Grunde der einzige seiner Kameraden, der ungebrochen an ihn glaubte und sich nicht durch unschöne Worte und miesem Verhalten verprellen ließ.

Er war der Einzige, der ihn verstand.
 

Mit einer Viertel Stunde Verspätung trat er schließlich auf den Bahnsteig des Münchner Hauptbahnhofs. Bis auf seine Mitfahrer war es recht leer und ihm fielen sofort die zahlreichen Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren auf.

Er blinzelte zweimal als zu seiner linken ein stattlicher Mann mit kurzen blonden Haaren und stahlblauen Augen auf ihn zuschritt.
 

„Levi!“, grüßte er ihn mit einem eloquenten Lächeln und blieb vor ihm stehen, um ihm die große Hand zu reichen.

Er ignorierte die Hand und blickte dem Mann direkt in die ehrlichen Augen.

„Ich bin gerade eine Stunde lang gestanden. Wo ist dein Fahrzeug?“
 

Der Mann lachte und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.

„Komm, hier entlang. Ich fahr dich zu deiner Unterkunft.“
 

Sie verließen den Hauptbahnhof und bogen in eine Seitenstraße, wo sie vor einem honiggelben Sportwagen stehenblieben.
 

„Was ist das?“, fragte Levi spitz und betrachtete das Auto als sei es ein Ungeziefer.
 

„Das ist mein Maserati.“
 

Levi blinzelte abermals, machte auf dem Absatz kehrt und ging davon. Natürlich hielten ihn kräftige Finger um seinem Handgelenk auf.
 

„Ach komm schon. So schlimm ist die Farbe auch nicht.“
 

Levi drehte sich um, wobei er sich ohne weiteres aus dem Griff befreite.

„Meine Augen schmerzen und mir steigt die Übelkeit auf, dabei ist es hier dunkel.“
 

„Das Leder innen ist schwarz. Da wird es dir besser gehen“, erwiderte der Mann keck und entriegelte das Fahrzeug, um die Türe zur Rückbank zu öffnen, damit Levi sein Gepäck ablegen konnte.
 

Honiggelb. Levi stieß verächtlich die Luft aus. Das war Erwin.
 

Sie stiegen ein und schnallten sich an.
 

„Von innen ist es erträglich.“
 

„Warte nur bis du den Motor hörst“, grinste Erwin und ließ das Fahrzeug an. Der Motor schnurrte tief, obwohl das Getriebe der Fahrzeuge heutzutage fast lautlos arbeitete.
 

„Das Auto ist gut. Daran zweifle ich nicht, nur an deinem Verstand“, erklärte Levi trocken.
 

„Wenigstens wird mir niemand den Wagen stehlen.“ Erwin zuckte mit den Schultern und parkte aus.
 

Levis Augen blitzten auf und ein selten amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen.
 

Er lehnte sich zurück in den bequemen Ledersitz und beobachtete mit gesenkten Lidern den Straßenverkehr. Erwin fuhr schnell und sanft. Levi entspannte sich allmählich.
 

„Die Eierheizung hätte ich im letzten Zug gebraucht. Der war abgefuckt, kalt und überfüllt.“
 

„Das war ein unglücklicher Zufall, dass ausgerechnet heute der Warnstreik in Frankfurt stattfinden musste. Eigentlich waren die Tarifverhandlungen schon abgeschlossen. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich nach einer anderen Flugverbindung gesucht.“
 

„Hm.“
 

Sie schwiegen die restliche Fahrt über. Es war angenehm.
 

Um drei Uhr morgens standen sie vor dem streng bewachten Wohnkomplex, in dem alle Mitglieder und Rekruten ihrer Spezialeinheit untergebracht waren. Man kam nur per Augenscan durch und vier schwer bewaffnete Polizisten kontrollierten ihre Fingerabdrücke und Ausweise. Das Fahrzeug wurde in einer separierten Parkgarage abgestellt. Sie mussten zu Fuß das Gelände betreten.
 

Erwin führte ihn einige Minuten durch die begrünte Anlage zu einem der je vierstöckigen Gebäude im Blockhausstil.
 

„Du wohnst im Dachgeschoss. Im dritten Stock wohne ich und zwei weitere Kameraden im Ersten und Zweiten. Im Erdgeschoss befindet sich eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsraum mit TV- und Musikanlage. Im Keller findest du einen Fitnessraum mit Sauna.“
 

„Edel geht die Welt zugrunde.“
 

„Keine Sorge, das Essen entschädigt dafür.“
 

„Fantastisch.“ Levi rollte mit den Augen.
 

Erwin stieg mit ihm die Treppen empor und sperrte die Wohnungstür auf, ehe er Levi den glänzenden Schlüssel übergab. Er ließ Levi zuerst eintreten und betätigte den Lichtschalter.
 

Gleißendes Licht durchflutete das Appartement. Levi schnalzte mit der Zunge. Die Einrichtung war hochwertig und schlicht. Er ging ein paar Schritte hinein und strich mit den Fingern über die Küchentheke. Es war sauber.
 

Levi nickte.
 

„In Ordnung. Es müsste alles da sein. Falls du etwas brauchst, mach eine Liste. Um 7:00 Uhr ist Frühstück. Ich hole dich fünf vor ab.“
 

Das waren nicht mal vier verfickte Stunden. Levi nickte und ging tiefer in die Wohnung hinein. Er hörte die Wohnungstür klicken und die automatische Verriegelung.
 

Levi suchte das Schlafzimmer und zog sich aus. Er machte sich nicht mehr die Mühe auszupacken, sondern legte seine Kleidung zusammen und deponierte sein Gepäck neben der Tür. Eine weitere Türe führte direkt ins weiß geflieste Badezimmer, wo er sich eine ausgiebige Dusche gönnte und die Zähne putzte. Dann legte er sich nackt ins Bett und seufzte zufrieden, als er die Nase in die frische Bettwäsche presste und sich fest in die weiche Decke wickelte. Er war so erschöpft, dass er sofort einschlief.
 

***
 

Erwin war noch nicht den letzten Absatz ganz emporgestiegen, als Levi die Wohnungstür öffnete und ihm entgegenkam.
 

„Guten Morgen! War das Bett zu deiner Zufriedenheit?“
 

Levis Gruß und Antwort beschränkte sich auf ein Zucken der rechten Augenbraue.

Er war müde und dieser Tag nervte ihn seit er wusste, dass er hier anfangen würde.
 

Erwin störte sich nicht daran und schwieg. Er führte ihn aus dem Gebäude. Vor ihm lag ein graugepflasterter Gehweg und andere teuer aussehende Wohnkomplexe. Linker Hand waren die Unterkünfte der Rekruten. Ein großes, klobiges Gebäude. Rechts waren die Gebäude und das Gelände, wo die Rekruten ausgebildet werden würden. Eine hohe und streng gesicherte Mauer schirmte den gesamten Komplex von der Außenwelt ab. Er war sehr groß, modern und völlig überzogen.
 

Sie gingen in die Mensa und benutzten augenscheinlich eine Hintertüre. Es war relativ kühl in dem Gebäude, mehr nahm er im ersten Moment nicht wahr, denn die Zeit blieb stehen.
 

Zwei Arme legten sich fest um seinen Hals, als sich der schlanke Körper an ihn drückte. Ein hysterisch-glückliches Lachen schmerzte direkt neben seinem Ohr und ihr Duft stieg ihm in die Nase. Sie umarmte ihn nur kurz. Zu kurz, um zu reagieren.
 

„Hanji.“ Die Erkenntnis traf ihn eiskalt und unvorbereitet.

Sie grinste ihn bloß treudoof und euphorisch an. Sie hatte mit keiner anderen Reaktion gerechnet.
 

Levi starrte sie weiterhin an. Er hätte niemals gedacht, dass sie sich wiedersehen würden. Aber gut, gestand er sich ein, er hätte auch niemals damit gerechnet nach allen vergangenen Geschehnissen von Erwin ein solches Angebot zu bekommen, geschweige denn, dass er selbst dieses auch annehmen würde.
 

„Hanji wird den theoretischen Teil der Ausbildung leiten und die Rekruten auf ihre psychischen Fähigkeiten hin aussortieren“, erklärte Erwin mit einem amüsierten Schmunzeln.
 

„Ich dachte, die Rekruten seien einem adäquaten Auswahlverfahren unterzogen worden?“ So funktionierte Levis Gehirn, wenn er emotional überfordert wurde.
 

„Ich habe jeden Einzelnen persönlich ausgesucht.“
 

Levi verdrehte die Augen und auch Hanji lachte, während sie ihm den Arm um die Schultern legte und ihn einen schmalen Gang entlang bugsierte, der zu den separierten Tischen der Ausbilder führte.
 

„Du kannst dir vorstellen wie breit das Spektrum ist. Erwin hat schon dafür gesorgt, dass uns nicht langweilig wird. Du reibst sie im Feld auf und ich seziere sie. Wer übrig bleibt, geht mit uns die bösen Buben kastrieren.“
 

„Wenn die Rekruten so verwöhnte Pisser sind, wie dieser Komplex vermuten lässt, können wir uns gleich selbst ans Messer liefern.“
 

„Ich bin davon überzeugt, dass sie dir gefallen werden, Levi.“ Erwin sah ihn entschlossen an. Levi kannte diesen überzeugten Ausdruck in den blauen Augen. Er ließ ihm keinen Raum für Diskussionen.
 

Ihr Tisch war auf einem Podest im letzten Viertel der Mensa und einige Ausbilder saßen bereits, aßen und plauderten. Sie machten Anstalten sich zu erheben, als sie Erwin sahen, doch er hob die Hand, um ihnen zu bedeuten sitzen zu bleiben.
 

„Ich möchte euch General-Leutnant Levi Rivaille vorstellen. Er wird die praktische Ausbildung der Rekruten leiten und überwachen“, stellte Erwin ihn vor und wies ihm dann den Platz zu seiner Rechten zu.

Hanji setzte sich zu Erwins Linken und vor ihn. Sie grinste ihn unablässig an und freute sich über ihn. Die Kollegen beobachteten ihn teils abschätzend, teils überrascht, tuschelten. Er wusste nicht was schlimmer war.
 

Obwohl es eine Mensa war, war der Tisch üppig gedeckt. Er nahm an, dass es sich um eine Ausnahme handelte und machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Er griff nach einer Semmel und aß sie mit Tomaten, Mozzarella und Essig. Zumindest das schmeckte. Beim Schinken wollte er es nicht unbedingt riskieren, obwohl Hanji sich damit vollstopfte. Aber sie hatte auch einen Magen wie ein Schwein.
 

„Guten Morgen, sorry, dass ich spät bin. Ich hab verschlafen.“
 

Levi lief ein Schauer über den Rücken und er blickte in die verschmitzt blitzenden Augen von Mike Zacharias. Er war ebenfalls ein Kamerad von früher gewesen. Allerdings hatten sie nie eng zusammengearbeitet. Er kannte ihn vor allem als Erwins Freund.
 

„Hey, Mann! Lange nicht gesehen. Drei Jahre sind es nun, oder?“ Mike reichte ihm freundlich die Hand, als er sich neben ihn setzte.
 

„Vier“, Levi wandte sich Erwin zu, „Noch jemand?“
 

Erwin schmunzelte.

„Nein, das sind alle, die du kennst. Deswegen habe ich sie im selben Haus einquartiert. Ich wollte keine Unstimmigkeiten.“
 

„Unstimmigkeiten?“, hakte Levi pikiert nach, es klang drohend.
 

Hanji lachte.

„Na ja, alle anderen würden dich wahrscheinlich aufknöpfen, wenn sie merken, was für ein Sauberkeitsfanatiker du bist.“
 

„Ich glaube eher die Zahl der anderen würde sich rapide reduzieren“, kommentierte Mike und gab damit Anstoß zu einer scherzhaften Diskussion mit Hanji über Levis Macken, der die anderen Kollegen befremdet lauschten.
 

Erwin frühstückte schweigend mit amüsiert zuckenden Mundwinkeln. Levi seufzte genervt und ignorierte die Idioten. Er würde seinen Job machen, nichts weiter. Es war ihm egal, was andere von ihm hielten.
 

Der Geräuschpegel in der Mensa stieg mit der Anzahl der Rekruten, die sich niederließen und Levi beschloss in Zukunft der Erste zu sein. Er zog die Ruhe vor.
 

***
 

Es waren 65 Rekruten. 47 Männer. 18 Frauen. Mit Glück würden 15 übrig bleiben. Zumindest war das das Ziel, doch Levi glaubte nicht, dass es so viele schaffen konnten.

Sie standen zum Appell am Platz in Reih und Glied. Sie waren jung, Anfang bis Mitte Zwanzig, und blickten lächerlich ernst und selbstbewusst drein als wären sie schon wichtig. Sie waren es nicht.

Kaum ein Mensch wurde wichtig.

Ihre militärischen Uniformen waren schlicht und sauber. Sie trugen sie zum ersten Mal. Es waren keine Soldaten, nur ähnlich ausgebildete und qualifizierte Polizisten. Das würde sich nun ändern und während ein alter Ausbilder die Namen durchging, stieg Levi die Treppen der Trainingshalle hinab, von dessen Fluchttreppe aus er die Rekruten eine Weile ungesehen beobachtet hatte.
 

Als der alte Ausbilder ihn entdeckte salutierte er überschwänglich. Was für ein Trottel.

„General-Leutnant Rivaille!“

Die Rekruten salutierten korrekt, aber man sah ihnen an, dass sie es nicht gewohnt waren und ihn lieber anglotzen wollten, statt geradeaus zu sehen.

„Weitermachen“, sagte Levi desinteressiert und ignorierte das beleidigte Zusammenziehen der Augenbrauen des Alten, der für seinen Salut wohl am Bauch gekrault werden wollte.

Er schritt die Reihen entlang und musterte jeden einzelnen Rekruten.

Er sah Irritation, Überraschung oder stille Entschlossenheit in ihren Augen.
 

„Warum bist du hier?“, fragte er einen blonden Jungen, der etwas verschreckt wirkte.

„Ich bin hier, um dem Staat zu dienen, Sir“, antwortete der Junge laut und als ob er sich selbst davon überzeugen wollte. Levi starrte ihm direkt in die verunsicherten blauen Augen. Er kam ganz nah an ihn heran und sprach vollkommen ruhig.

„Und wer ist der Staat, du kleiner Wurm? Glaubst du, du erlangst Ruhm, Reichtum und Weiber, wenn du deinen Arsch eine Weile im Namen des Staates hinhältst?“

Dem armen Kind entgleisten sämtliche Gesichtszüge, aber er brachte immerhin eine Antwort zustande.

„N-Nein, Sir. Ich will mein Leben den Menschen widmen, um ihnen eine sichere Zukunft zu ermöglichen.“

„Dann hättest du in die Politik gehen sollen“, erwiderte Levi trocken und ließ von ihm ab. Erwin hatte sich bestimmt etwas bei der Auswahl dieses Bürschchens gedacht.
 

Ein lautes Magenknurren ließ ihn erneut inne halten. Er sah in das verkniffene Gesicht einer braunhaarigen Frau mit Pferdeschwanz. Wieder knurrte ihr Magen laut, was sie noch verkniffener gucken ließ.

Levis Augenbraue zuckte.

„Hast du nichts gefrühstückt?“ Er hörte belustigtes Schnauben von den anderen Rekruten.

„Nein, Sir. Also doch, Sir. Aber...“

„Aber?“

„Aber es war nicht genug, Sir.“ Diesmal lachten einige leise, was durch ein nochmaliges Magenknurren zusätzlich angeheizt wurde.

„Warum war es nicht genug?“

„Ich habe verschlafen und dann nur noch Zeit für eine Salamisemmel gehabt... Sir!“

Ihre Mimik und Sprache amüsierten Levi. Er wollte sie nicht quälen, dafür würden schon ihre Kameraden sorgen.

„Wenn du so verfressen bist, solltest du dich daran gewöhnen Staub zu fressen. Bis heute Abend gibt es für dich nichts anderes mehr.“

Auch ihre Gesichtszüge entgleisten und Tränen benetzten ihre Augen. Was für ein Exemplar.
 

Er suchte sich als nächstes einen schlanken, großen Jungen aus. Er wirkte wie ein Schnösel.

„Hast du dich verirrt, Prinzchen?“

„Nein, Sir. Ich bin hier genau richtig", antwortete er selbstbewusst.

„Wie ist dein Name?“

„Jean Kirschstein, Sir.“

„Ein Jude, was? Ich finde Prinzchen passt besser zu dir. Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“

„Verteidigungsminister.“

Unheil spiegelte sich in Levis Augen.

„Und da dachtest du, dass sich dieser Job hier gut im Lebenslauf macht.“ Levi wartete gar nicht erst auf eine Antwort und ging weiter. Diesem Schnösel würde nach den ersten Ausbildungstagen der Arsch auf Grundeis gehen, wenn das sein einziges Ziel war.
 

Levi machte noch einem Jungen mit kurz geschorenen Haaren namens Connie Springer das Leben schwer, weil der Idiot seine Uniform falsch zugeknöpft hatte, beschränkte sich ansonsten auf musternde Blicke. Menschen gut einzuschätzen fiel ihm leicht. Er konnte sich bereits die Rangordnung der Rekruten untereinander herleiten und war gespannt darauf, wer die erste Woche überstehen würde. Danach konnte man sagen, wer Potenzial hatte. Der Rest würde das Handtuch werfen oder rausgeschmissen werden.
 

***
 

Montag bis Samstag

06:00 Uhr: Aufstehen

07:00 Uhr: Frühstück

08:00 Uhr: Appell

08:10 Uhr: Krafttraining

10:00 Uhr: Ausdauertraining

12:00 Uhr: Mittagessen

14:00 Uhr: Theorie

19:00 Uhr: Abendessen

22:30 Uhr: Nachtruhe

Sonntag frei
 

Levi überflog den Ausbildungsplan der Rekruten am Abend. Er hatte den ersten Tag damit verbracht die Kollegen und Rekruten zu beobachten. Selbst in den Theoriestunden von Hanji und Mike war er gewesen. Er wollte sich einen allgemeinen Überblick verschaffen.

Was er hier sah war der letzte Witz. Was sollte er den Kindern in bloß vier Stunden täglich beibringen? Das reichte gerade, um ihre Konstitution zu halten, aber nicht, um sie ernsthaft fit für ihre Einsätze zu machen.

Natürlich wusste er, dass sich die Ausbildung über 18 Monate à 6 Einheiten erstreckte und der Ausbildungsplan alle drei Monate modifiziert wurde, um die Rekruten intensiv und umfangreich zu schulen, dennoch glaubte Levi nicht daran so zum Erfolg zu gelangen.

Daher klopfte er um zehn Uhr abends noch an Erwins Wohnungstür, die ihm bereitwillig geöffnet wurde.
 

Erwin stand im grauen Pyjama vor ihm und ging einen Schritt zur Seite, um ihn hineinzulassen. Er schien milde überrascht.

„Ich dachte, du schläfst bereits.“
 

„Wie soll ich mit dem Fraß im Magen schlafen, den ihr hier verfüttert.“
 

„Ich habe dir ja angekündigt, dass das Essen schlecht sein würde.“
 

„Ihr spart am falschen Ende.“

Levi folgte Erwin ins Wohnzimmer. Sie setzten sich auf eine schwarze Ledercouch, wo er Erwin wortlos den ausgedruckten Ausbildungsplan übergab. Er hatte daneben seine Vorstellung eines Trainingsplans geschrieben.
 

Montag bis Freitag

05:00 Uhr: Aufstehen

05:15 Uhr: Ausdauertraining

06:30 Uhr: Pause

07:00 Uhr: Frühstück

07:30 Uhr: Appell

07:35 Uhr: Theorie

09:00 Uhr: Ausdauertraining

11:45 Uhr: Pause

12:00 Uhr: Mittagessen

13:00 Uhr: Theorie

15:00 Uhr: Parcours

17:00 Uhr: Gymnastik

18:00 Uhr: Theorie

19:00 Uhr: Abendessen

21:00 Uhr: Nachtruhe

Samstag

06:00 Uhr: Aufstehen

07:00 Uhr: Frühstück

08:00 Uhr: Appell

08:10 Uhr: Theorie

12:00 Uhr: Mittagessen

13:30 Uhr: Feldtraining

18:30 Uhr: Pause

19:00 Uhr: Abendessen

22:00 Uhr: Nachtruhe

Sonntag

Eine Stunde Schwimmen zwischen 08:00 Uhr und 12:00 Uhr
 

Erwin studierte seinen Plan genau und bedachte ihn anschließend mit gerunzelter Stirn.

„Parcours und Feldtraining kämen ab der zweiten Einheit dran und es erinnert mich eher an einen militärischen Ausbildungsplan. Levi, es sind keine Soldaten.“
 

„Deswegen sind es auch keine Menschen dritter Klasse. Du hast mich geholt, um sie auszubilden. Das ist der Plan, nach dem ich sie ausbilden werde. Entweder du segnest das ab oder ich gehe wieder.“
 

Erwin blickte ihm direkt in die Augen. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte mit ihm darüber zu diskutieren.

„Du bringst mich in Teufels Küche.“
 

„Dann erkläre den Arschlöchern, die du lecken musst, dass die Terroristen, mit denen wir es zu tun haben werden, weitaus gefährlicher sind als feindliche Soldaten. Sie sind fanatisch, hervorragend organisiert und völlig von ihrer Mission überzeugt. Und nein, es sind und werden keine Soldaten. Diese Gören müssen besser ausgebildet werden als Soldaten.“
 

Erwin seufzte. Es hatte einen nachgebenden, zuerkennenden Klang.

„So einen Trainingsplan kann man bei 200 Rekruten erstellen - ich gehe davon aus, dass die nächsten Einheiten auch dieses Niveau abverlangen - und nicht bei 65. Levi, es müssen mindestens 15 die Ausbildung meistern.“
 

„Wenn du nicht nur Schrott ausgesucht hast, werde ich mich darum bemühen die Rekruten so gut zu fördern wie ich kann.“
 

„Ich werde den Plan den anderen Ausbildern zukommen lassen.“
 

„Ich möchte ab Mittwoch mit diesem Plan arbeiten. Ich werde mich persönlich um sie kümmern.“
 

„Das wirst du müssen, denn die anderen Ausbilder werden streiken.“
 

„Ich bin hier, um zu arbeiten“, erwiderte Levi trocken. Und wenn das hieß, er müsse alle praktischen Aufgaben alleine mit den Rekruten durchnehmen, dann war das auch kein Problem für ihn. Er hielt sowieso nicht viel von den voreingenommenen Polizisten, die meinten, sie müssten einen Klassenkampf gegen Erwin, Mike, Hanji und ihn führen, weil sie Militärs waren.
 

„In Ordnung. Ich nehme an, du wirst morgen nur Beobachter spielen“, lächelte Erwin milde.
 

Levi nickte und stand auf. Er wollte Erwin nicht weiter stören.
 

„Wenn du möchtest, kannst du noch ein wenig bleiben. Wir hatten noch keine Gelegenheit zu reden“, schlug Erwin mit sanfter Stimme vor, was Levi innerlich zusammenzucken ließ.
 

„Das tun wir gerade“, blockte er schroff ab.
 

„Levi“, seufzte Erwin. Eigentlich waren sie Freunde.
 

„Wir werden uns noch eine Weile sehen, nicht?“, lenkte er mit desinteressierter Stimme doch noch ein.
 

„Sicher“, lächelte Erwin befriedet und legte seine Hand auf sein Schulterblatt, als er ihn zur Wohnungstür begleitete.
 

Sie wünschten sich eine gute Nacht und Levi verdrängte gekonnt das hohle Gefühl in seiner Brust, als er alleine in dem hübschen Appartement stand, in dem er wohnen durfte. Es war ihm alles etwas zuviel. Erwin und Hanji wiederzusehen. Ihr Interesse an ihm. Die Freude über ihn. Er verdiente das alles gar nicht. Nicht nachdem, was er vor fast vier Jahren getan hatte.
 

*~*
 

Am Abend zuvor war ihnen erklärt worden, dass sie am nächsten Tag um Viertel nach fünf auf dem Sportplatz zu stehen hätten und ein neuer Ausbildungsplan war ihnen ausgeteilt worden. Ihnen wurde nicht offiziell gesagt, weshalb nach den ersten zwei Tagen der Ausbildung ein neuer Plan aufgestellt wurde, der alles auf den Kopf stellte, aber beim Abendessen hatten einige von ihnen ein paar Ausbilder lästern hören. Der Name Levi Rivaille war gefallen und sie schienen nicht einverstanden mit seiner Anwesenheit und Einmischung zu sein.
 

Die Begeisterung der Rekruten hielt sich entsprechend in Grenzen, nachdem einige von dem General-Leutnant vorgeführt worden waren und der neue Plan verglichen mit ihren Gewohnheiten die pure Hölle war.
 

„Eren! Komm! Wenn wir zu spät kommen...“ Die Stimme seines besten Freundes holte ihn aus seinem tranceartigen Zustand und er knöpfte schnell seine Jacke zu.
 

„Bin schon da“, erwiderte er mit einem müden Lächeln.

Er folgte Armin aus ihrem gemeinsamen Zimmer und traf dabei auf andere Rekruten, die schlaftrunken oder bemüht neutral den Gang und die Treppe runtergingen.
 

Ihr Wohngebäude war in mehrere Wohneinheiten aufgeteilt, wo je Zwei in einem Zimmer wohnten und sich mit sechs weiteren Leuten Küche und Bad teilten. Armin und er lebten noch mit Connie Springer, Thomas Wagner, Sasha Braus, Annie Leonhardt, Marco Bott und Jean Kirschstein zusammen, wobei letzterer Eren überhaupt nicht sympathisch war.
 

„Ich hab gehört, dass dieser Rivaille vor vier Jahren das Handtuch beim Militär geworfen hat und dann untergetaucht ist“, flüsterte Marco Jean zu, der schnaubte.
 

„Dieser antisemitische Dreckskerl-“
 

„Jean!“, unterbrach Marco ihn etwas entsetzt, „Du kannst doch nicht so reden! Außerdem glaube ich nicht, dass es für ihn eine Rolle spielt, welcher Religion du angehörst.“
 

„Ja“, mischte Connie sich in das Gespräch der Beiden ein, „Du hast halt einen jüdischen Namen.“
 

„Und was ist an meinem Namen jüdischer als an deinem?“, wollte Jean gereizt wissen.
 

„Ich bin evangelisch“, grinste Connie aufgeweckt.
 

„Was hat das denn mit dem Ursprung deines Namens zu tun?“ Genervt schnaubte Jean und sah auf den viel kleineren Connie hinab.
 

Der wollte gerade etwas erwidern, als er auf der Treppe angerempelt wurde und eine Stufe herunterrutschte, nur mit Glück nicht fiel.

„Hey! Kannst du denn nicht aufpassen?“, rief er wütend dem Rempler hinterher.
 

Dieser drehte sich schwungvoll um, woraufhin er und die anderen beiden Jungs zusammenzuckten. Ein blasses, völlig zerknautschtes Gesicht mit leidender Miene sah ihnen entgegen.

„Wat? Hadtdu wat gesagt?“, nuschelte es und sie erkannten Sasha, die vom General-Leutnant am ersten Tag wegen ihres Magenknurrens angesprochen worden war.
 

„Vergiss es“, erklärte Connie wild gestikulierend und ließ sie weiterziehen, wobei sie ständig etwas von „Frühstück“ und „unmenschlich“ vor sich hin murmelte.
 

„Oh Mann, die sah aus wie aus einem Horrorfilm“, schauderte Connie, was die anderen zum Lachen brachte.
 

Eren ignorierte ihr Gerede als sie in die eisige Morgenluft traten. Es lag kein Schnee, aber der Boden war gefroren und etwas glatt. Die Lampen am Wegrand tauchten die Umgebung in ein kaltes, unwirkliches Licht. Der Sportplatz lag hinter ihrem Wohnkomplex und war ebenfalls in grelles Licht getaucht.
 

Sie wurden bereits erwartet.
 

Es war nicht schwer die Silhouette zuzuordnen und unwillkürlich begannen alle einen Takt schneller zu gehen und sich brav in Reih und Glied aufzustellen.

General-Leutnant Rivaille persönlich und allein stand vor ihnen. Anders als sie trug er keine Uniform, sondern gemütlich aussehende, graue Trainingskleidung, einen Schal, Handschuhe und eine Mütze. Das änderte jedoch nichts an seinem Ehrfurcht gebietenden Auftreten.
 

Rivaille ging ein paar Schritte auf sie zu. Er war recht klein für einen Mann, aber jede seiner Bewegungen war kraftvoll und geschmeidig. Sie erinnerten Eren an eine Raubkatze. Er strahlte etwas selbstbewusstes, respekteinflößendes aus. Das konnte man nicht ignorieren, egal wie wenig ihn alle mochten, nachdem er einige am ersten Tag blöd angeredet hatte - darunter auch Armin, Erens besten Freund, der als erstes gescholten worden war und es seiner Ansicht nach überhaupt nicht verdiente.
 

„Guten Morgen Ladies and Gentlemen. Wir beginnen gleich mit ein paar Dehnübungen und dann werden wir bis 06:30 Uhr joggen“, begrüßte Rivaille sie. Obwohl seine Stimme ein sehr angenehmer Bariton war, brachte er es fertig kalt und desinteressiert zu klingen. Es machte ihn nicht sympathischer, aber einschüchternder.
 

Eren wunderte sich über die Wortwahl des General-Leutnants und sah an den zusammengezogenen Augenbrauen seines Nebenmanns, dass der ebenso irritiert war.
 

Wir?
 

Und tatsächlich fing Rivaille damit an sich zu dehnen. Sie rückten alle ein paar Schritte auseinander und machten ihm die Übungen nach. Da Eren ziemlich in der Mitte in der ersten Reihe stand, hatte er perfekte Sicht und schaute nicht schlecht, als Rivaille während den Dehnübungen einen Quer- und Seitspagat machte. Letzteres konnte Eren und wohl die meisten seiner Kameraden auch, beim Querspagat setzte es jedoch aus. Zwischen ihm und dem Boden lagen sicherlich noch gut 15 Zentimeter. Ähnlich schwierig wurde es bei der Brücke. Rivaille ließ sich problemlos im Stand nach hinten sinken und stemmte die Hände am Boden ab, sodass sich sein Rücken mustergültig durchbog. Eren gelang das nur aus der Hocke und selbst da zog es unangenehm in seinen Armen. Er schien nicht der Einzige zu sein, der mit der Gelenkigkeit ihres General-Leutnants leicht überfordert war, denn es rumpelte einige Male in ihren Reihen, als Kameraden zu Boden fielen oder sich nicht mehr halten konnten, was für Unruhe sorgte. Einige lachten leise spöttelnd vor sich hin oder lästerten von wegen, ob sie in einem Yoga-Kurs seien.
 

Die unnachgiebige Stimme Rivailles ließ sie alle wieder verstummen: „Mir nach!“
 

Er lief los und sie alle in Zweierreihen hinter ihm her. Sie joggten in einem ziemlich hohen Tempo gleichmäßig Runde um Runde auf der Rennbahn des Sportplatzes und obwohl Eren sehr gut trainiert war, machte ihm sein leerer Magen und die schneidende Kälte nach einiger Zeit schwer zu schaffen. Der Schweiß kühlte seinen Körper, sodass er bald fror wie Espenlaub und sich Handschuhe und Mütze herbeisehnte. Jetzt verstand er die Kleidung des General-Leutnants und ärgerte sich darüber, dass ihnen zuvor nicht Bescheid gesagt worden war.
 

Die Runden schienen sich ewig hinzuziehen und ihr Atem wurde immer lauter und gehetzter, aber bis auf ein paar Fehltritte gelang es ihnen das gleichmäßige Tempo zu halten. Umso erleichterter waren sie, als Rivaille langsamer wurde und auslief. Sie folgten ihm zurück zu der Stelle, wo sie sich aufgestellt hatten und reihten sich wieder auf. Zitternd, hungrig und müde atmeten sie tief ein und aus, während sich ihre Blicke auf den General-Leutnant richteten, der sie mit dieser desinteressierten, unleserlichen Miene betrachtete, die man ihm am liebsten aus dem Gesicht wischen mochte.
 

„Wie Sie bemerkt haben werden, meine Damen und Herren“, begann Rivaille spöttisch, „können Sie nun Ihre Uniformen in die Wäsche treten. Ich mache Sie darauf aufmerksam“, erläuterte er und ging dabei vor ihnen auf und ab und blickte jedem von ihnen direkt ins Gesicht, „dass ich die Viertelstunde zwischen Aufstehen und Training angesetzt habe, damit Sie Ihre Ärsche aus dem Bett schieben und hier herkommen und nicht, um sich vorher hübsch zu machen. Es ist mir scheißegal, ob Sie gekämmt, gewaschen oder geschminkt sind.“ Das Wort „geschminkt“ klang besonders verächtlich.

„Zum Aufhübschen, meine Damen und Herren, haben Sie die halbe Stunde vor dem Frühstück Zeit und ich möchte vorsorgehalber betonen, dass jeder, der morgen früh nicht adäquat gekleidet ist, mit mir am Samstag und Sonntag von 05:00 Uhr bis 07:00 Uhr eine Extrarunde drehen wird.“
 

Ein Schnauben ging durch die Reihen.

Zu Erens Schrecken traute sich tatsächlich einer direkt hinter ihm den Mund aufzumachen.
 

„Entschuldigen Sie, Sir! Aber man hatte uns nicht über die Kleiderordnung informiert, Sir!“
 

Eren erschauderte, als sich Rivailles Augen direkt neben hinter ihn richteten und ein unheilvolles Blitzen durch sie hindurchzuckte. Obwohl es nicht ihm galt, verkrampften sich all seine Muskeln, als Rivaille auf ihn zuschritt. Er bemühte sich weiter geradeaus zu blicken, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch als Rivaille fast neben ihm war, zuckten seine Augen kurz zu ihm. Wieder war er überrascht davon, dass er fast einen halben Kopf kleiner war und dennoch so eine wahnsinnige Ausstrahlung besaß. Zu gern hätte er sich umgedreht, um zu sehen, wie der vorlaute Kamerad reagierte.

Er hörte wie Rivaille stehenblieb und spürte förmlich die Spannung in der Luft. Er sah zu seinem Nebenmann, der ebenfalls zur Seite schielte, es jedoch ebenso nicht wagte den Kopf zu drehen.
 

„Wie ist dein Name?“, erkundigte sich Rivaille scheinbar im normalen Plauderton.
 

„Markus Nehring, Sir!“
 

„Gut, Markus. Wir sehen uns am Wochenende um 05:00 Uhr“, erklärte Rivaille sachlich.
 

„Mit Verlaub, Sir, wären Sie so freundlich mir zu erläutern, weshalb Sie mir diese Maßnahme zuerkennen?“
 

Ein ungläubiges Schnaufen ging durch die Reihen, doch Rivaille schwieg einige Sekunden, die ihnen wie Minuten vorkamen. Eren begann sichtbar zu schlottern vor Kälte und hoffte, dass dieser Disput ein Ende nehmen möge. Irgendjemand nieste.
 

„Nein, bin ich nicht. Da es dir scheinbar an dem nötigen Hirn fehlt, wäre es ohnehin verschwendete Zeit.“
 

Eren hörte Schritte und erschauderte, als er die ausstrahlende Wärme von Rivailles Körper spürte, als er an ihm vorbeiging. Er biss die Zähne zusammen, damit sie nicht zu klappern anfingen.
 

„Sir!“, ertönte nochmals die Stimme dieses Markus, was nicht nur bei ihm ein genervtes Schnauben auslöste, „Wir sind hier nicht beim Militär. Sie müssen Ihre Maßnahmen begründen!“
 

Rivaille drehte sich gemächlich um. Seine Augen waren ausdruckslos und seine ganze Haltung entspannt. Keine Verärgerung. Keine Ungeduld. Nur stille Überlegenheit.

„Keine Sorge. So egoistische Gören wie du werden auch nicht in die ESE kommen“, erwiderte Rivaille unbeeindruckt und drehte sich erneut um.
 

„War das etwa eine Drohung?“
 

„Jetzt halt schon mal deine Fresse!“, keifte es ungehalten aus den hinteren Reihen, was mit zustimmendem Nicken und Schnauben bekräftigt wurde.
 

Rivaille drehte sich noch einmal schwungvoll, diesmal um die eigene Achse, um ihnen nur einen kurzen Blick zuzuwerfen.

Er entließ sie legere, ohne sie anzusehen beim Davongehen und mit denkbar unpassenden Worten.

„Geht euch waschen oder braucht jemand auch zum Scheißen eine Anleitung?“
 

Doch Eren war das ziemlich egal. Er rannte sofort so schnell ihn seine steifen Glieder trugen zum Wohnkomplex zurück, dicht gefolgt von den anderen verfrorenen Kameraden.

Es war kurz vor sieben.
 

***
 

Sie schafften es kaum etwas herunterzuwürgen bis sie um halb acht zum Appell auf dem Platz erscheinen mussten, wo ihre Anwesenheit kontrolliert wurde und wo sie anschließend von Generaloberstabsärztin Hanji Zoë für die Theoriestunde abgeholt wurden.
 

Zoë war eine sehr laute, temperamentvolle Frau, die eindeutig ein paar Räder locker hatte, aber es war amüsant mit ihr und sie schien Freude daran zu haben ihnen etwas beizubringen.
 

In diesem Abschnitt der Ausbildung wurden ihnen Grundlagen gelehrt, sodass sie alle in einem großen Saal saßen, vornehmlich zuhörten und notierten. Auf dem Lehrplan standen Weltgeschichte, Weltpolitik, Grundzüge medizinischer Hilfeleistung und Psychologie, wobei sie nur am Samstag Psychologie haben sollten. Außer Zoë unterrichtete sie auch General-Leutnant Mike Zacharias, welcher die Ausbildung in Politik übernahm. Das meiste wussten sie bereits aus der Schule und der Polizeiausbildung, sodass die Theoriestunden relativ entspannt waren.
 

Um 09:00 Uhr ging es jedoch schon wieder weiter und sie beeilten sich schnell zum Umziehen, um zum Ausdauertraining zu kommen.
 

„Was sollen wir jetzt eigentlich anziehen?“, fragte Armin leicht panisch vorm Kleiderschrank stehend, „Felduniform oder legere Trainingsklamotten?“
 

Eren schmiss seine Hose aufs Bett und stellte sich dann ebenfalls vorn Kleiderschrank.

„Ich ziehe mir Trainingsklamotten an. Ich bin immer noch völlig durchgefroren von heute früh und es ist windig.“
 

Zweifelnd beobachtete Armin, wie er sich die gemütlichen und vor allem warmen Klamotten aus dem Schrank zog und seufzte.

„Wenn wir angeschrieen werden, bin ich wenigstens nicht alleine.“
 

Nicht nur Eren und Armin waren verunsichert gewesen, sodass sie als bunter Haufen zum Sportplatz marschierten - die einen mit, die anderen ohne Uniform. Zu ihrem völligen Entsetzen wurden sie dort bereits erwartet und zwar von keinem geringeren als dem General-Leutnant Rivaille, wieder ohne weiteren Ausbilder.

Wo waren die anderen von den letzten zwei Tagen plötzlich hinverschwunden?
 

Zu Erens und Armins Erleichterung stand Rivaille auch wieder in normalen Trainingsklamotten da, sodass sie wohl richtig entschieden hatten und im Stillen mit jenen litten, die ihre Ersatzuniform nun trugen.
 

Sie stellten sich wieder auf und diesmal konnte man im Tageslicht das ganze nichtvorhandene Spektrum der Mimik des General-Leutnants sehen. Er schien nicht einmal von ihrem uneinheitlichen Auftreten Notiz zu nehmen.
 

„Im Großen und Ganzen machen wir dasselbe wie in der Früh, nur mit mehr Variationen in den Tempi. Macht mir alles nach und lauft hintereinander“, verlautbarte Rivaille und begann sich zu strecken.
 

Sie liefen zweiundeinhalb Stunden. Mal langsam, mal schnell, mal rückwärts. Es war der pure Horror, vor allem für diejenigen, die nicht warm angezogen waren. Eren fror diesmal nicht, kochte stattdessen und sehnte sich nach der zweiten Dusche an diesem Tag. Rivaille entließ sie pünktlich, auf beiden Seiten ohne Zwischenfälle.
 

Fürs Mittagessen hatten sie fast eine Stunde Zeit, danach folgten zwei Stunden Theorie. Sie spürten deutlich, was sie heute schon getan hatten und bangten ein wenig auf den Parcours.
 

Hierfür standen sie - diesmal alle in legeren Trainingsklamotten - wieder vor Rivaille auf dem Sportplatz. Zwei Drittel des Platzes war mit einem Hindernisparcours ausgestattet worden. Tunnel, Stacheldraht, Böcke, Reifen, Schwebebalken, Holzstämme, Kletter- und Holzwände würden ihnen die folgenden zwei Stunden zur Verfügung stehen.
 

Rivaille machte ihnen vor, was sie zu tun haben würden und absolvierte dabei alle Übungen zügig und mit einer beispiellosen Eleganz. Es sah so einfach aus. Wie gesagt. Sah.

Durch den Tunnel kriechen und unter Stacheldraht durchzurobben, bereitete Eren keine Schwierigkeiten. Auch über Böcke springen, durch Reifen laufen und über den Schwebebalken gehen konnte er gut. Den Handstandüberschlag über die Holzstämme schaffte er auch noch gerade so, aber bei der Kletterwand verließen ihn dann allmählich die Kräfte. Sie war fünf Meter hoch und man musste sich drei Meter hangeln, bevor man auf der anderen Seite wieder runterklettern durfte. Bei der 2,50m hohen, 90° steilen Holzwand brauchte er zwei Versuche, bevor er sich mit seinen 1,70m mühevoll drüber hieven konnte. Und das war erst der erste Durchgang. Bei 65 erschöpften Leuten dauerte es zwar, aber er kam im Laufe der zwei Stunden trotzdem ganze fünfmal dran.
 

Diesmal beschränkte sich Rivaille aufs Beobachten. Nur einmal befahl er, dass sie einfach weitermachen sollten, wenn einer an der Holzwand stand und nicht drüber kam und nicht auf denjenigen warten mussten. Im Endeffekt schafften sie alle die Hindernisse und keiner gab auf, egal wie zittrig sich ihre Glieder anfühlten, als sie dem General-Leutnant in die große Turnhalle folgten, um dort Gymnastik zu machen - was auch immer man sich darunter vorstellen mochte.
 

Die Turnhalle war groß und ungewöhnlich warm. Entweder die Heizung war defekt oder irgendein Schussel hatte sie falsch eingestellt, jedenfalls fragte sich Eren, wie sie sich hier eine Stunde lang bewegen sollten, ohne wegen Dehydration umzufallen.
 

„Jeder sucht sich einen Partner und dann setzt ihr euch voreinander auf den Boden“, befahl Rivaille und wartete geduldig bis jeder einen hatte.
 

Allerdings waren sie 65 Rekruten, sodass einer übrig blieb. Wie sich zu Erens Verwunderung herausstellte stand prompt dieser Markus Nehring verlassen da, wie Armin ihm erklärte. Er sah den jungen Mann zum ersten Mal, da der schließlich hinter ihm gestanden hatte. Unwillkürlich hatte Eren etwas Mitleid mit ihm, weil er nach seiner Aktion in der Früh jetzt bereits die Quittung dafür bekam.
 

Er wandte sich an Armin, der ebenfalls unentschlossen schien: „Wir können die Übungen bestimmt auch zu Dritt machen.“
 

Armin nickte, woraufhin Eren den Kerl zu sich winkte: „Komm her!“
 

Nehring wirkte sehr stolz, wrang sich dennoch ein kurzes Nicken ab, das wohl Dankbarkeit suggerieren sollte. Eren seufzte. Der Kerl war ihm nun endgültig unsympathisch.
 

Sie merkten erst, dass sie beobachtet wurden, als Rivaille intervenierte.

„Das sind Zweierübungen. Du! Komm zu mir.“
 

Sie zuckten alle drei zusammen und blickten zum General-Leutnant. Zu Erens Entsetzen blickte dieser ihm direkt in die Augen. Sie waren hart und grau. Wie matte Dolche stachen sie in die seinen.

Er brauchte ein paar Sekunden, bevor er sich stockend in Bewegung setzte.
 

„General-Leutnant, Sir!“ Eren salutierte vor ihm, wie man es ihm vor Beginn der Ausbildung eingeschärft hatte. Es fühlte sich ein wenig seltsam an, weil er runtersehen musste.
 

Rivaille betrachtete ihn weiterhin mit seinen stahlgrauen Augen. Er wirkte emotionslos und einschüchternd.

„Wie heißt du?“, fragte Rivaille ruhig, doch der Ausdruck seiner Augen änderte sich nicht.
 

„Eren Jäger, Sir!“
 

„Schrei nicht so, ich bin nicht taub“, schnaubte Rivaille, „Setz' dich hin.“
 

Sie setzten sich auf den Boden und Eren kopierte Rivailles Haltung.

„Beine spreizen, Fußsohlen an die des Partners legen und an den Händen fassen. Wir dehnen uns erst einmal“, erklärte der General-Leutnant den anderen.
 

Es war immer befremdend, wenn man einem Vorgesetzten nah kam, aber Eren versuchte es zu ignorieren. Nicht die einfachste Sache auf der Welt, wenn man vor jemandem saß, der eine dunkle Wolke auszudünsten schien.
 

Nachdem er den anderen erklärt hatte, was sie tun sollten, sah Rivaille wieder ihn an und streckte seine Hände aus, damit Eren sie ergriff. Sie mussten sich vorbeugen und umfassten ihre Handgelenke. Eren erschauderte leicht, als er die warme Haut seines Ausbilders unter seinen kalten Fingern spürte, und ärgerte sich im selben Moment über die dumme Reaktion. Er sollte sich nicht so grundlos einschüchtern lassen. Bisher hatte Rivaille ihm nichts getan, nur Armin einmal dumm angeredet.
 

Rivaille zog ihn zu sich nach vorne. Dabei sollte er sich entspannen und gestreckt werden, aber Eren konnte sich nicht richtig entspannen. Ihm tat alles weh und sein Gegenüber machte ihn etwas nervös.
 

Als Eren sich nach hinten beugen wollte, um den General-Leutnant zu dehnen, stemmte der sich gegen die Bewegung.

„Du bist hart wie ein Brett“, erklärte Rivaille und zog ihn wieder zu sich herüber, „Lass locker.“
 

Langsam verstärkte er den Zug an seinem rechten Arm, dann an seinem Linken. Die Übung sollte seine Muskeln lockern und ihn weich machen. Eren entschloss sich einfach die Augen zu schließen und atmete tief durch. Der Sinn der Sache änderte sich nicht mit der Person, mit der er die Übung machte, also müsste er Rivaille einfach machen lassen. Allmählich entspannte er sich und der Schmerz begann gleichmäßig zu pochen.
 

Gerade als er Rivaille zu sich ziehen wollte, ließ der seine Handgelenke los und wandte sich wieder den anderen Rekruten zu.

„Jetzt legt sich einer mit ausgezogener Jacke auf den Bauch und lässt sich massieren“, verkündete er und bedeutete Eren mit einer geringschätzigen Handbewegung sich hinzulegen.
 

Der gehorchte widerwillig und erstaunt.

Welcher Ausbilder tat sowas schon? Normalerweise redeten die nur und korrigierten Fehler.
 

Auf jeden Fall machte die hohe Temperatur in der Halle nun Sinn. Er zog sich die Jacke aus und bettete seinen Kopf darauf als er sich flach und mit verschränkten Armen auf den Boden legte.

Rivaille kniete sich neben ihn und erklärte, was sie tun mussten und worauf sie zu achten hatten. Er brauchte es nicht näher auszuführen, sie hatten sowas während ihrer Ausbildung schließlich auch schon gemacht.
 

Eren zuckte leicht zusammen, als er die warmen Finger in seinem Genick spürte, die kraftvoll und langsam begannen ihn zu massieren. Er musste ein wohliges Aufseufzen herunterschlucken, ob der guten Behandlung. Egal wie seltsam es war von seinem Ausbilder massiert zu werden wie von einem Gleichrangigen, Rivaille wusste verdammt nochmal wo er hinlangen musste, um seine schmerzenden Muskeln zu entspannen. Die geschickten Finger wanderten von seinem Genick seine Wirbelsäule hinab und nahmen sich viel Zeit. Das T-Shirt störte ein wenig, aber es tat trotzdem unheimlich gut und Eren vergas bald, dass er hier vor einem hochrangigen Offizier lag.
 

Umso mehr erschrak er, als er die Hände plötzlich an seinen Oberschenkeln spürte und zuckte zusammen. Peinlich berührt sah er nach hinten und und begegnete den grauen Augen Rivailles, die ihn unbeeindruckt ansahen.
 

„Keine Angst, Jäger. Ich vergewaltige dich schon nicht“, meinte Rivaille trocken, was Eren die Schamröte ins Gesicht steigen ließ und sich wieder abwandte.
 

Dieser Kerl war echt kein normaler Ausbilder. Wie konnte der sowas mit so einem nüchternen Gesichtsausdruck sagen? Eren ärgerte sich über seine plötzliche Obrigkeitsscheue.
 

Wenn er seine Gedanken zur Seite schob, konnte er die Massage sogar richtig genießen und er verstand, wie sinnvoll dieser Tagespunkt war.

Rivaille massierte seine Beinmuskulatur an Ober- und Unterschenkeln und Eren merkte erst dadurch, dass er überall angespannt gewesen war.
 

„Dreht euch auf den Rücken“, befahl er laut, woraufhin auch Eren sich umdrehte und sich geflissentlich einen Punkt an der Decke suchte, um nicht in dieses ausdruckslose Gesicht sehen zu müssen. Er würde sich ja doch nur wieder schämen.
 

Dummerweise kniete sich Rivaille direkt neben seine Brust und begann seine Schulter- und Armmuskulatur zu massieren, sodass Eren doch die Augen schließen musste. Er wollte nicht faul wirken, aber wie der letzte Depp wollte er auch nicht erröten.

Selbst die Hände wurden ihm massiert und irgendwann befand er sich in einem Stadium, in dem er sofort hätte entspannt einschlafen können.
 

Dann war es plötzlich vorbei und die warmen Finger verließen seinen Körper und er hörte das Rascheln von Kleidung, als Rivaille aufstand.

„Jetzt tauscht die Rollen.“
 

Eren stand auf und bemerkte dabei erstaunt, wie weich und ruhig er sich fühlte. Ganz im Gegensatz zum Anfang, an dem ihm alles wehgetan und sich steif angefühlt hatte.

Etwas verzögert wurde ihm bewusst, dass sie jetzt tauschen sollten und sah daher mit großen Augen zum General-Leutnant, nicht ganz komfortabel mit der Situation.

Rivaille bemerkte seinen Blick und erwiderte ihn erst kühl, dann schien er zu verstehen, was in Erens Kopf vorging und zuckte mit der Augenbraue.
 

„Setz' dich wieder hin, sonst tust du dir noch weh, Balg.“ Mit diesen Worten ließ Rivaille ihn stehen und ging durch die Reihen, um die anderen zu korrigieren.
 

Etwas vor den Kopf gestoßen, setzte sich Eren tatsächlich wieder hin und starrte die restlichen zwanzig Minuten vor sich hin, bevor sie sich für die Theoriestunde umziehen gehen durften.
 

Das Abendessen verlief sehr still. Alle waren fertig und teilweise sogar zu müde zum Essen. Spätestens um 20:00 Uhr fielen sie beinahe bewusstlos ins Bett und schliefen bis 05:00 Uhr morgens durch.
 

*~*
 

„Nicht einmal der erste Tag ist ganz vorbei und ich durfte mir bereits eine Beschwerde anhören“, begrüßte ihn Erwin nach dem Abendessen, das Levi hatte ausfallen lassen, nachdem er gesehen hatte was es gab.

Lieber verhungerte er als schlabbrige Brote mit altem Schinken und geschmackloses Gemüse zu essen. Stattdessen hatte er es vorgezogen in die Sauna zu gehen und sich etwas zu entspannen. Er stieg gerade aus dem eisigen Tauchbecken, als Erwin plötzlich vor ihm stand. Der betrachtete ihn mit ernster Miene, doch seine blauen Augen verrieten sein Amüsement.
 

„Und hier hatte ich gehofft, die erste Bitte um Entlassung unterschreiben zu dürfen“, erwiderte Levi trocken und rubbelte sich mit einem großen Handtuch trocken.
 

„Nicht der Rekrut hat sich bei mir beschwert, sondern Roland Becker, ein ehemaliger SEK'ler. Der Junge wurde unter anderem von ihm ausgebildet.“
 

„Dann hätte er dem feigen Affenpinscher Benimm und Schneit beibringen sollen.“ Levi konnte nicht fassen, dass sich das Bübchen bei seinem Mentor ausgeheult hatte, statt gleich zu Erwin zu gehen, wenn ihm was nicht passte.
 

„Nicht jeder ist so forsch wie du und richtet sich gleich an den Höchstrangigen“, tadelte Erwin ihn schmunzelnd.
 

Levi schnaubte. Er wusste, dass er eine freche Schnauze hatte und ziemlich dreist sein konnte, aber er hatte auch Selbstbeherrschung. Wenn es etwas wirklich wichtiges war, dann sagte er seine Meinung und hielt ansonsten die Klappe.

„Das kleine Arschloch wird nicht lange durchhalten.“ Und mit ihm auch einige andere nicht.
 

„Du scheinst genau zu wissen, um wen es geht. Gab es noch mehr, die du herausgepickt hast?“ Nun wurde Erwins Ausdruck wirklich ernst.
 

„Dieser Markus Nehring ist ein besserwisserisches, egoistisches Arschloch. Wie du auf den gekommen bist, ist mir ein Rätsel. Aber da gibt es noch einige“, sinnierte Levi und wickelte das Handtuch um seine Hüfte, schlüpfte in Badeschuhe und machte sich auf den Weg zum Treppenhaus, „Ich habe mich sehr zurückgehalten, obwohl er förmlich darum gebettelt hat einen saftigen Arschtritt zu kassieren. Er hat auch die Chance sich zu bessern, aber eine kleine Strafe musste ich ihm auferlegen.“
 

Erwin folgte ihm die Stufen nach oben und beide ignorierten Hanjis begeisterten Ausruf, als sie Levi halbnackt an ihrer Wohnungstür vorbeigehen sah.

„Habt ihr zwei Hübschen noch was vor?“, zog sie sie trotzdem weiter auf und trällerte, „Vergesst nicht, wir wollten unten noch ein wenig reden, also macht nicht zu lange~!“
 

„Gut, nichts anderes wollte ich hören. Ist dir sonst noch jemand aufgefallen?“ Erwin sah ihn erwartungsvoll an, als sie auf dem Absatz von Erwins Stockwerk standen.
 

Levi verkniff sich ein genervtes Augenrollen.

„Nein. Diese Bälger sind hilflos und unprofessionell. Das einzig Gute ist ihre Sturheit. Damit kann ich eventuell arbeiten.“
 

Erwin nickte und ließ ihn dann zu seiner Wohnung rauf gehen, erinnerte ihn jedoch noch an Hanjis Worte: „Komm dann bitte noch zur Besprechung in den Gemeinschaftsraum.“
 

Levi winkte ab. Was auch immer.

Er trat in sein Appartement, hängte sein Handtuch im Bad an der Wandheizung auf und schlenderte dann ins Schlafzimmer, wo er sich einen bequemen Rollkragenpulli und Jeans anzog. Er hatte keine Lust mit Hanji alleine im Gemeinschaftsraum zu sein und schlug daher noch ein paar Minuten mit Lesen tot, bevor er sich wieder auf den Weg nach unten machte.
 

Lautes Gelächter klang durch die Tür des Gemeinschaftsraums, das musste ja eine lustige „Besprechung“ sein. Und tatsächlich hockten seine drei Kameraden mit Wein und Whiskey in der Couchecke, hörten leise Rockmusik und grinsten über alte Witze.
 

„Sind wir im Feldlager gelandet“, mischte sich Levi ein und zog so die Aufmerksamkeit auf sich.
 

„Leviiii!“, rief Hanji euphorisch und streckte die Arme dabei ruckartig hoch, sodass sie ihr Whiskeyglas halb verschüttete. Sie bemerkte es jedoch nicht und die anderen achteten nicht darauf.
 

„Wein, Whiskey oder Bier?“, fragte Mike und deutete auf den vollen Couchtisch.
 

„Bier“, entschied sich Levi schnell. Er hatte seit Ewigkeiten keins mehr getrunken und er wollte nichts hartes auf quasi nüchternen Magen.

Mike füllte ihm ein Bierglas ein, das Levi dankend annahm und sich vor Hanji in einen Sessel setzte.
 

„Wir haben gerade über Dita Ness und sein imposantes Ross geredet“, erzählte Erwin ihm schmunzelnd.
 

Levi erinnerte sich: „War das nicht in Chagang-do?“
 

„Chagang-do! Ja, natürlich!“, rief Hanji und klatschte in die Hände, „Ich wusste doch, dass es was mit Chag war!“
 

„Soweit ich mich erinnere haben ein paar Burschen seinen Araberhengst gestohlen und ihn gegen ein Minipony ausgetauscht“, holte er sich die Ereignisse zurück ins Gedächtnis.
 

„Ja“, lachte Mike, „Ich werde nie sein Gesicht vergessen, als er seinen Gaul abgeholt hat und vor dem Pony stand.“ Er schüttelte sich vor Gelächter und trank bebend einen großen Schluck Whiskey.
 

„Aber er hat das Pony mitgenommen“, grinste Erwin.
 

„Hieß es nicht Bert?“, gluckste Hanji, „Oder war es Bud?“
 

„Ich glaube, es war Bert.“

Levi würde nicht vergessen, wie Dita Ness das kleine Pferd an der Leine geführt hatte und es mit klackenden Schritten und wehender Mähne hinter ihm her getrabt war, während sie alle auf ihren Pferden gesessen waren.

Das waren die lustigen Momente ihres Einsatzes in der Provinz Chagang-do in Nordkorea gewesen. Zu der Zeit war der Bürgerkrieg beinahe überstanden und sie hatten nur noch zur Gewährleistung der Sicherheit im Land zu patrouillieren.

Sie hatten zu der Zeit nicht ahnen können, dass der eigentliche Krieg erst noch bevorstand.
 

„Bert war toll“, seufzte Hanji verträumt.
 

„Das waren lange Fußmärsche, so ohne Gaul.“ Mike füllte Hanjis Glas unaufgefordert nach.
 

„Wo ist er eigentlich abgeblieben?“, wollte Levi nach kurzem belustigten Schweigen von Erwin wissen.
 

„Bert?“ Hanji sah ihn mit großen Augen an.
 

Levi schenkte ihr einen zweifelnden Blick und wandte sich zu Erwin, als er ihm antwortete.

„Immer noch in China. Er überwacht die Friedenskorps.“
 

„Hör mal, Levi!“, schnipste Hanji vor ihm, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, „Wo hat dich Erwin eigentlich aufgetrieben?“
 

„Peru.“
 

„Ist ein schönes Land, oder?“, bohrte Hanji weiter nach, auf einmal ruhig und ernst.
 

„Leute, ich wollte in erster Linie mit euch über euren ersten Eindruck von den Rekruten und Ausbildern reden“, lenkte Erwin von Levi ab, wofür er dankbar war.
 

Mike runzelte die Stirn.

„Der neue Trainingsplan haut rein. Die Rekruten konnten heute ja kaum mehr 'nen Löffel halten.“
 

„In der letzten Theoriestunde sind sie auch nur noch drin gehangen“, beschwerte sich Hanji, „Was hast du mit ihnen gemacht?“
 

„Ich bin mit ihnen gelaufen und am Nachmittag mussten sie einen Parcours absolvieren.“
 

„Eigentlich müssten sie fit sein. Das sind gestandene Polizisten, viele aus der SEK und ein paar von der GSG9“, wunderte sich Mike.
 

„Sie sind auch fit, aber bequem. Ich denke sie haben sich nach einer Woche an den Trainingsplan gewöhnt“, meinte Levi und trank ein paar Schluck Bier. Es schmeckte wirklich gut und beruhigte seine Nerven.
 

„Ganz allgemein gesprochen“, ergriff Erwin das Wort, „Es müssen mindestens 15 Rekruten die Ausbildung abschließen und davon sollten wenigstens drei Frauen dabei sein.“
 

„'Ne Quote. Ist das dein ernst?“, hakte Mike nach.
 

„Nach der Ausbildung haben wir noch ein halbes Jahr Zeit, bevor die richtige Arbeit beginnt. Was in dieser Zeit geschieht, interessiert niemanden.“
 

„Ach so und da sollen die unfähigen Frauen dann rausgehauen werden?“ Hanji zog missbilligend die Augenbrauen zusammen.
 

„Mir ist egal welches Geschlecht die Rekruten haben oder wie viele übrig bleiben sollen. Ich werde niemanden durchkommen lassen, für den ich keine sinnvolle Verwendung sehe“, stellte Levi klar, „Und wenn du dir bei deiner Auswahl etwas gedacht hast, Erwin, werden schon genügend übrig bleiben.“
 

Erwin blickte ihm lange und ernst in die Augen. Letztlich lenkte Hanji ihn von Levi ab.
 

„Ich muss Levi zustimmen. Er ist ein hervorragender Ausbilder und nach dem ersten Monat wird vielleicht nur noch die Hälfte da sein, aber mit der werden wir arbeiten können.“
 

„Seh ich auch so“, pflichtete Mike seiner Kameradin bei, „Ich habe den Eindruck, dass sich zu viele Traumtänzer eingeschlichen haben, die nicht hart genug für den Job sind.“
 

Levi war froh, dass seine Kameraden seine Ansicht teilten. Aus irgendeinem Grund schien Erwin an seinen Methoden zu zweifeln, was ihn ziemlich ärgerte. Schließlich wusste er, wie Levi ausbildete und hatte ihn extra hier hergeholt, warum also dieses unbegründete Misstrauen?
 

„Wir haben noch sechs Ausbilder, die wir ins Training involvieren müssen.“
 

„Dann sag ihnen, dass sie den Klassenkampf beenden sollen und stell' sie als Aufsicht neben Levi“, schlug Mike vor, bevor Levi den Mund aufmachen konnte.
 

„Das tue ich“, erwiderte Erwin etwas unzufrieden mit dem Ton.
 

Levi überkam plötzlich eine heiße Wut und ihm wurde das Gespräch zuviel.

„Entschuldigt mich“, meinte er knapp, stand auf und ging zielstrebig zur Tür.
 

„Levi? Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Hanji besorgt.
 

„Levi!“, rief ihm Erwin hinterher, doch er reagierte nicht und verließ den Raum.
 

Er hatte keinen Bock auf diese Kindereien. Wenn diese Wichser von Altpolizisten meinten hier einen auf gekränktes Fräulein tun zu müssen, bitte, aber ohne ihn. Jetzt war er hier und verdammt nochmal, er würde diesen Job machen und diese Gören zu einer polizeilichen Anti-Terroreinheit erziehen. Er würde niemandem dabei in den Arsch kriechen und wenn Erwin es wagen sollte von ihm derartiges zu verlangen, würde er ihn einfach stehen lassen. Er hatte nicht 13 Jahre als Soldat und dabei drei Jahre im 4. Weltkrieg gedient, um jetzt an seinem Führungsstil bemängelt zu werden.

Es war Erwins Aufgabe das Projekt zum Erfolg zu führen und das hieß nun einmal Prioritäten zu setzen.
 

Als Levi in der Nacht im Bett lag, kam ihm der kalte Graus bei dem Gedanken mit den anderen Ausbildern interagieren zu müssen. Er hatte ihre abschätzigen Blicke gesehen, das tratschsüchtige Flüstern gehört.
 

Sie widerten ihn an.
 

+++

Regen

Nach der ersten Woche gingen zwei Leute. Markus Nehring - welch Überraschung - und eine Frau, die sich am Mittwoch die Grippe beim ersten Training mit Rivaille eingefangen hatte. Sie war nicht die Einzige, die seitdem kränkelte. Darum schmissen zwei weitere Kameraden die ESE-Ausbildung in der zweiten Woche und nach einem Monat waren sie noch 49 - 38 Männer und elf Frauen.
 

Der Trainingsplan war hart und Rivaille kümmerte sich nach wie vor persönlich um sie, aber er schikanierte niemanden und im Grunde hatten sie sich nach einer guten Woche an das frühe Aufstehen und die Anstrengungen gewöhnt. Umso weniger verstand Eren, dass bereits so viele freiwillig gegangen waren.
 

„Freiwillig?“, hakte Reiner, ein großer blonder Mann aus Nordeuropa, ungläubig nach, als Eren seine Frage in die Runde warf, „Die sind doch nicht freiwillig gegangen.“
 

Sie saßen am Samstag zusammen in der Mensa und genossen ihren Feierabend in großer Runde mit ein paar raren Bier. Alkohol durften sie nur heute und nur ein Mass Bier pro Person trinken. Internet und Telefone waren wie alle technischen Gerätschaften gänzlich verboten und nur einmal in der Woche war es erlaubt ein Spezialtelefon zu benutzen, um Verwandte oder Freunde anzurufen.
 

„Hätten wir das nicht mitbekommen, wenn sie rausgeschmissen worden wären?“, mischte sich Connie ins Gespräch ein, „Ich mein, keiner wurde je zurechtgewiesen.“
 

„Das wird auch gar nicht mehr notwendig gewesen sein. Einige meinten, sie könnten im Bett liegen bleiben, ohne dass ihre Abwesenheit in der Früh bemerkt wird“, erklärte Reiner, „Aber auch ohne Appell ist Rivaille nicht zu dumm zum Zählen und anscheinend hat er ein gutes Personengedächtnis.“
 

„Sie sind also wegen Ungehorsam geflogen“, fasste Eren zusammen, „So viele?“
 

„Also ich weiß von insgesamt sieben Leuten, die gegangen sind, weil sie genug hatten“, meinte Berthold, ebenfalls Nordeuropäer und Reiners Zimmergenosse und Kumpel.
 

„Ich verstehe nicht, dass hier überhaupt jemand mitmacht, der nicht ernsthaft gewillt ist etwas zu leisten. Wir sind hier nicht aus Spaß.“ Verärgert zog Eren die Augenbrauen zusammen.
 

Sie hatten eine wichtige Aufgabe vor sich. Die Europäische Sondereinheit, kurz ESE, würde gegen terroristische beziehungsweise kriminelle Vereinigungen vorgehen und Attentate bereits im Keim ersticken. Dafür mussten sie mindestens auf GSG9-Level ausgebildet werden, eigentlich besser. Da war kein Raum für Waschlappen.
 

„Na ja, viele wollen ihrer Karriere nachhelfen oder wurden von ihren Vorgesetzten geschickt“, erklärte Jean nach einem Schluck Bier.
 

„Du meinst so wie du?“, ging Eren sofort darauf ein. Dieser Kerl reizte ihn mit seiner bloßen Anwesenheit und es war fast wie ein Zwang sich mit ihm anzulegen.
 

„Im Gegensatz zu dir will ich nicht als Fischfutter enden, sondern etwas mit meinem Leben anfangen“, konterte Jean säuerlich.
 

„Was hast du gesagt?“
 

Eren und Jean standen prompt beide wie auf ein stilles Kommando auf und starrten sich wütend an. Sie hatten bereits Übung und schon ein paar Mal kam es zu Raufereien, die von ihren Kameraden aufgelöst werden mussten. Wohl auch darum blieben die anderen sitzen und tranken augenverdrehend ihr Bier weiter.
 

Nur Reiner schien genug von der Situation genervt, um etwas zu sagen.

„Leute, ihr seid kindisch. Außerdem will hier keiner als Fischfutter enden.“
 

„Tch, sag' das dem lebensmüden Trottel hier, der sogar durch die Psycho-Tests bei der SEK gefallen ist.“ Jean verschränkte geringschätzig die Arme vor der Brust und ein siegessicherer Glanz spiegelte sich in seinen Augen wider.
 

Eren war einen Moment lang fassungslos und sein Magen knotete sich schmerzhaft zusammen, sackte ihm geradezu wie auf Höhenflug ab. Mit geweiteten Augen sah er in Jeans arrogantes Pferdegesicht, aus dem er am liebsten das gehässige Grinsen wischen würde. Er dachte nicht nach, als er Jean plötzlich am Kragen festhielt, doch die freie, zum Schlag erhobene Faust bohrte sich nicht in das hässliche Kiefer.
 

Nun hatten seine Kameraden reagiert und hielten seinen rechten Arm zurück.

„Eren!“, flüsterte Armin neben ihm beschwörend, während Reiner seinen Arm eisern zurückhielt und Berthold bereit neben ihm stand, „Das hat doch keinen Sinn und wir sind in der Mensa. Jeden Augenblick könnte ein Ausbilder reinkommen und wenn der das sieht...“
 

„Tse. Ich sag ja, Psycho“, grinste Jean triumphierend, sodass Erens festgehaltene Faust zuckte.

Aber Armin hatte recht. Wenn sie jemand in dieser Situation sah, konnte er nur verlieren. Darauf hatte es dieses Mistschwein wohl abgesehen, denn sonst verteidigte er sich und stand nicht nur abwartend rum.
 

Wutschnaubend schubste er Jean von sich weg und riss sich aus Reiners Griff, der ihn beinahe wieder packen wollte, aber Eren machte auf dem Absatz kehrt.
 

„Auch keine Eier in der Hose, was?“, rief Jean ihm schadenfroh hinterher, was ihm eine leise Mahnung von Marco einbrachte.
 

Es fiel Eren unglaublich schwer nicht zurück zu gehen und dem Mistkerl die Fresse zu polieren, aber er wrang sich dennoch durch. Nicht zuletzt wegen der Schritte, die ihm kurz darauf nach Hause folgten.
 

Armin war ein treuer und langjähriger Freund. Sie waren sich nah wie Brüder und egal was Eren tat, er wurde nie von ihm im Stich gelassen oder verurteilt. So jemanden fand man vielleicht ein-, zweimal im Leben. Er war eine Kostbarkeit und im Stillen dankte er jeden Tag dafür, dass sie sich vor diesen vielen Jahren kennengelernt hatten.
 

„Woher weiß das Arschloch davon?!“, fluchte er laut, als er in ihrem Zimmer war und kickte gegen die Wand. Der Schmerz klärte seine Gedanken ein wenig.
 

„Jean ist bei der SEK und hat sich wahrscheinlich nach dir erkundigt. Die Möglichkeiten an Informationen zu kommen sind immerhin begrenzt.“ Armin schloss die Tür und beobachtete ihn beim Auf- und Abgehen.
 

„Es ist mir ein Rätsel wie so einer zur Polizei kommt! Hätte er doch Politik und Recht studiert oder so einen Scheiß.“ Frustriert strich sich Eren durch seine braunen Haare.
 

„Marco hat mal angedeutet, dass er zwei Adoptivbrüder hat und nicht alle Kinder direkt studieren konnten.“
 

Eren sah Armin an. Es war beiden klar, dass er keine Antworten wollte, sondern nur Schimpfen und Toben - dieser Jean ging ihm einfach unter die Haut - aber Armin würde das nicht zulassen.
 

Seufzend ließ sich Eren aufs Bett fallen.

„Ich muss diese Ausbildung unbedingt erfolgreich abschließen“, flüsterte er niedergeschlagen ins Kissen, weit fort mit den Gedanken.
 

„Das wirst du. Lass dich einfach nicht von den anderen ablenken und konzentriere dich auf das Wesentliche“, bestärkte Armin ihn mit sanfter Stimme. Es lag eine besondere innere Stärke in seinen Worten, die Eren Selbstvertrauen und Sicherheit gaben. Sein einziger Halt.
 

***
 

Nach den ersten drei Monaten änderte sich der Ausbildungsplan. Mehr Krafttraining, mehr Parcours und mehr Feldtraining. Sie waren noch 36. 30 Männer und sechs Frauen.
 

Es war Samstagnachmittag und sie liefen seit gut fünf Stunden im Eiltempo durch das Unterholz des Waldes, in dem sie ihr Feldtraining absolvierten. Es regnete in Strömen, sodass sie trotz der schützenden Baumkronen bis auf die Unterwäsche durchnässt waren.
 

Eren hatte sich die ganze Woche über nicht sonderlich fit gefühlt, doch nun wurde es kritisch. Alle Gelenke schmerzten, ihm war schlecht vor Anstrengung und er japste nach Luft, sodass ihm Sasha hin und wieder einen besorgten Blick zuwarf.
 

Normalerweise lief Eren immer vorne, doch mittlerweile war er in die letzte Reihe neben Armin zurückgefallen.
 

Sein bester Freund war kein herausragender Sportler und musste sich stets durch alle Aufgaben quälen. Armins Stärken waren seine Intelligenz, strategisches Geschick und technischen Fähigkeiten. Dass ihm das Defizit im sportlichen Bereich noch nicht zum Verhängnis geworden war, verdankte er seinem unermesslichem Ehrgeiz mit ihm mitzuhalten.
 

„Eren“, keuchte Armin nach einer Weile, „Ist alles in Ordnung?“
 

Eren schnaufte freudlos und schüttelte bloß den Kopf aus Angst, sich am eigenen Atem zu verschlucken. Es ging ihm mittlerweile richtig schlecht.
 

„Wenn es zu schlimm wird, musst du abbrechen!“, beschwor Armin ihn besorgt, was er nachdrücklich mit einem Kopfschütteln abtat und ihm einen erschrocken-scharfen Blick zuwarf.

Diese Blöße würde er sich nicht vor Rivaille und den anderen geben.
 

Er würde durchhalten. Koste es, was es wolle!
 

*~*
 

Erwin rieb sich müde über die Augen, während er an dem Abschlussbericht bezüglich der 1. Einheit der ESE-Ausbildung saß. Es war kein sehr erfreulicher Bericht.
 

Von den sechs polizeilichen Ausbildern hatten drei noch im ersten Monat aus Protest gegen Levis Person und Methoden den Dienst in dieser Einrichtung quittiert.

Zwar musste er Mike und Hanji in dem Punkt zustimmen, dass es um den Verlust nicht schade war, doch politisch betrachtet vermittelte es ein äußerst ungünstiges Bild.
 

Die restlichen drei Ausbilder ließen sich immerhin von Levi dirigieren, nachdem dieser glücklicherweise ein wenig eingelenkt und ihnen seine Vorstellungen einer erfolgreichen Ausbildung erklärt hatte. Es funktionierte seitdem einigermaßen.
 

Erwin hatte genau gewusst, dass Levi polarisieren würde. Das hatte er immer getan. Doch nie hatte er es bereuen müssen, dass er Levi vor fast 18 Jahren von der Straße weg rekrutiert hatte. Er war der beste Soldat, dem Erwin je begegnet ist und er hatte unzählige Leben durch seine Fähigkeiten bewahren können. Das war jeglichen Ärger wegen Levis Verhalten immer wert gewesen.
 

Auch diesmal würde es sich lohnen, redete er sich ein. Levi war immer noch gut und gerecht in seiner unorthodoxen Art und Weise. Das hatte sich trotz aller vergangenen Geschehnisse nicht geändert. Erwin würde am Ende der Ausbildung fähige Leute für die ESE bekommen und danach würde die Zeit zeigen, wie sinnvoll und notwendig dieses politische Projekt wirklich sein würde.
 

Es braute sich ein dunkler Sturm über Europa zusammen.
 

*~*
 

„General-Leutnant!“
 

Innerlich murrend blickte Levi über die Schulter, nur um festzustellen, dass die Rekruten ihm nur noch zögerlich oder gar nicht mehr folgten. Sie blickten sich irritiert um, was Levi selbst anhalten ließ.
 

„General-Leutnant! Bitte kommen Sie!“, rief einer erneut nach ihm, was Levi alarmiert zurück joggen ließ.
 

Als er am hinteren Ende der Einheit ankam, erkannte er Arlert, der einen benebelten Jäger mühevoll stützte.
 

„Was ist los, Jäger?“, erkundigte er sich kalt. Er ließ seine Augen auf dem blassen Gesicht Jägers ruhen. Der Junge war definitiv krank.
 

„Entschuldigen Sie, Sir. Mir war nur kurz komisch, jetzt geht's wieder“, brachte Jäger bemüht mit fester Stimme heraus und versuchte wieder auf den eigenen Beinen zu stehen, doch Arlert hielt ihn fest.
 

„Hör auf Eren, du musst dich ausruhen!“, flehte Arlert, doch Jäger riss sich trotzdem los.
 

„Entschuldigen Sie die Umstände, Sir“, sagte Jäger mit atemloser Stimme und blickte ihm direkt in die Augen. Die sonst feurigen Augen waren dumpf und fiebrig.
 

Levi sah es, bevor es passierte. Jäger knickte beim ersten demonstrativen Schritt ein und fiel haltlos nach vorne, als sein Kreislauf endgültig zusammensackte.
 

„Eren!“, rief Alert und versuchte ihn erneut aufzufangen, doch Levi war schneller.
 

Er packte Jäger unter den Achseln und drehte ihn auf den Rücken, ehe er auf den Boden aufschlug und legte ihn dort ab.
 

Mittlerweile hatte sich eine Traube um sie gebildet und viele blickten besorgt auf ihren Kameraden hinab. Und hier hätte Levi mehr Teilnahmslosigkeit erwartet.
 

Levi kniete sich neben seinen halbbewusstlosen Mann und legte die Hand prüfend auf seine Stirn.

Jäger glühte und nach einem Handgriff an den rasenden Puls, war für Levi klar, dass dieser sture Idiot keinen Meter mehr gehen durfte.
 

Levi wusste, dass Jäger zu Übertreibungen neigte und schalt sich dafür nicht früher bemerkt zu haben, dass sein Schutzbefohlener ins Krankenbett gehörte.
 

Ohne ein einziges Wort zu verlieren oder auch nur den Mund zu verziehen, griff er nach Jägers Armen und zog ihn sich auf den Rücken.
 

„General-Leutnant!“, riefen einige überrascht.
 

„Ich kann Eren tragen, Sir“, bot sich Braun sofort an und unter anderen Umständen hätte Levi dem großen Nordeuropäer liebend gerne diesen Mehlsack auf den Rücken geladen, aber er fühlte sich diesmal zu verantwortlich, zudem waren alle Rekruten bereits am Ende ihrer Kräfte.
 

Daher warf Levi nur einen kühlen Blick auf Braun, während er Jägers Beine mit einem elastischen Band um seine Hüfte fixierte und stakste zurück an die Spitze der Einheit.

„Es sind nur noch ein paar Kilometer“, verlautbarte er grimmig und lief los.
 

***
 

„Du hast ihn echt neun Kilometer getragen“, staunte Hanji und pfiff anerkennend, als er seine Last auf einem Krankenbett ablud. Alert und die anderen hatte er in ihre Unterkunft gescheucht.
 

„Ich bin anderes gewohnt“, entgegnete Levi gleichgültig und warf sich eine ungebrauchte Bettdecke aus dem Nebenbett um. Er war völlig durchnässt und verschwitzt. Es war widerlich.
 

Hanji machte sich sofort über Jäger her, der sich im fiebrigen Delirium zu befinden schien.

Es war jedes Mal interessant zu sehen, wie sich Hanjis Ausdruck veränderte, wenn sie an einem Patienten arbeitete. Ernst, aufmerksam und professionell untersuchte sie den jungen Mann.
 

„Es ist ein Wunder, dass er überhaupt solange laufen konnte, er hat eine Lungenentzündung.“
 

„Es ist meine Schuld. Ich hätte bemerken müssen, dass er krank ist.“
 

„Ahhh“, machte Hanji und begann Jäger auszuziehen, „Das ist doch Eren Jäger, nicht? Der ist gut darin seine Schwächen zu vertuschen. Sogar so gut, dass er es selber nicht mehr merkt.“
 

Levi setzte sich auf das gegenüberliegende Bett und beobachtete Hanji bei ihrem Tun.

„Er ist einer der besten Rekruten.“
 

„Hast du seine Akte gelesen?“
 

„Nur den Lebenslauf. Ich wollte mir einen eigenen Eindruck verschaffen.“ Nachdenklich stützte Levi seine Ellenbogen auf den Knien ab und stützte sein Kinn auf seine gefalteten Hände.
 

„Hnnn“, summte Hanji und zog Jäger das letzte Kleidungsstück vom Leib, ehe sie ihn abtrocknete, in ein Nachthemd wickelte und zudeckte, „Wenn dein positives Urteil nicht gewesen wäre, hätte ich ihn rausgeschmissen.“
 

Diese Aussage überraschte Levi.

„Aus welchem Grund?“
 

„Aus demselben Grund, warum ihn die SEK abgelehnt hat: Er ist zu versessen darauf den Job zu kriegen. Sein Motiv ist die Vergeltung an der terroristischen Vereinigung Kcrizott. Sie haben seine Eltern bei einem Bombenattentat in Ägypten getötet und seine Adoptivschwester ins Koma geschossen“, erklärte Hanji bedauernd, während sie einen Zugang legte, um ihm Infusionen verabreichen zu können.
 

Levi hob eine Augenbraue an, ob der neuen Informationen und musterte den jungen Mann. Er empfand Sympathie.

„Was schert mich sein Antrieb, wenn die Ergebnisse stimmen.“
 

„Er ist ein Sicherheitsrisiko“, brachte es Hanji mit tonloser Stimme auf den Punkt.
 

„Dann ist es ja gut, dass ich für ihn verantwortlich bin. Ich werde ihm schon beibringen, wie er sich zu verhalten hat.“
 

„Ist er deine Mühe wirklich wert?“, bohrte Hanji selten ernst nach.
 

„Ich glaube schon. Sicher, sein Temperament braucht einen Dämpfer, aber er ist klug und willensstark“, Levi überschlug seine Beine und stütze seine Hände hinter sich auf der Matratze ab, „Wie gesagt, von dem Schrott vor meinen Füßen, ist er noch einer der brauchbarsten.“
 

Das wrang Hanji ein Lächeln ab.

„Na, dann bin ich mal gespannt, was du aus ihm machst.“
 

***
 

Es dauerte zwei Stunden bis Eren aus seinem fiebrigen Schlaf erwachte. Blinzelnd schlug er seine grünen Augen auf, die von Fieber und Traum glasig schimmerten.
 

„Wieder bei Sinnen?“, holte Levi ihn in die Realität, die ganz langsam in Erens Wahrnehmung sickerte.
 

Träge wandte er seinen Kopf in die Richtung der Stimme. Es dauerte kurz, bis sein Gehirn das Bild vor sich verarbeitet hatte.

„General...Leutnant?“, krächzte Eren erbärmlich und Levi erkannte ein unterschwelliges Aufblitzen in den sonst wachen Augen.
 

„Du liegst im Krankenflügel. Erkläre mir, warum du das Training nicht rechtzeitig abgebrochen hast“, befahl Levi und schlug das Buch in seiner Hand zu.

Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Stuhl neben dem Krankenbett.
 

„Ich“, krächzte Eren, „Ich dachte, ich könnte es ignorieren.“
 

„Hast du nicht bemerkt, dass du zu krank bist, um das gesamte Training erfolgreich zu absolvieren?“, hakte Levi scharf nach.
 

„Am Anfang... nicht... Dann war es zu spät“, brachte Eren hervor, ehe seine Stimme dringlich wurde, „Ich muss... diese Ausbildung bestehen.“
 

Levi verschränkte innerlich seufzend die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.

„Hör mir zu, Jäger. Du bist nur noch hier, weil ich das so will. Hanji und Mike hätten dich bereits herausgeschmissen.“
 

Entsetzen spiegelte sich in Erens Zügen wider, doch Levi überging dies.
 

„Sie sind der Meinung, dass du das falsche Motiv hast und kein verlässlicher Polizist bist. Bis heute hätte ich dies verneint.“
 

Erens Gesicht wurde noch eine Nuance blasser, obwohl er bereits kalkweiß war. Seine großen, grünen Augen waren weit aufgerissen, angstvoll und doch blitzte etwas unbeugsames in ihnen. Diese Augen waren ihm bereits am ersten Tag aufgefallen.
 

Levi erklärte darum ausführlich seinen Standpunkt.

„In einer Einheit muss jeder wissen, was der andere kann und was nicht. Das kann für jeden Einzelnen überlebenswichtig sein. Dazu gehört natürlich, dass jeder sich selbst einschätzen kann und weiß, wie lang er seinen status quo beibehalten kann. Das hast du heute nicht getan. Keiner konnte mit deinem Versagen rechnen - das hat man deutlich an ihren Reaktionen gesehen. Fatal ist, wenn selbst du das nicht kannst. Du musst dich realistisch einschätzen, ansonsten bist du ein untragbares Sicherheitsrisiko.“
 

Eren starrte ihn überrascht an, riss sich jedoch kurz darauf zusammen.

„Ich bin auch dieser Meinung, Sir. Aber ich dachte, ... ich fliege..., wenn ich krank werde... So wie die anderen.“
 

Levi wechselte seine übereinander geschlagenen Beine und zuckte mit der rechten Augenbraue.

„Kein Einziger flog wegen Krankheit.“
 

„A-aber...“, stockte Eren verwirrt und starrte Levi ungläubig direkt in die Augen.
 

„Sie sind alle freiwillig gegangen oder wegen psychischen Macken von Hanji und Mike entlassen worden“, betonte Levi genervt, „Aber das waren auch nur vier, soweit ich weiß.“
 

Eren sah nun sprachlos an die Decke. Man konnte deutlich die Rädchen in seinem Kopf drehen sehen.
 

Levi fand es recht interessant, dass die Bälger davon ausgingen, er wäre für den Rekrutenschwund verantwortlich. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, aber es war einleuchtend, dass sie demjenigen, der sie am meisten triezte, auch ein solches Verhalten zutrauten.

Hanji und Mike wirkten vergleichsweise wie Unschuldslämmer, die nie rigorose Entscheidungen fällen würden.
 

Wenn die wüssten.
 

„Wegen mir ist noch keiner geflogen. Aber du wirst es, wenn du nicht unter Beweis stellst, dass du für die ESE geeignet bist“, führte Levi nach einer Weile aus, was ihm Erens ungeteilte Aufmerksamkeit einbrachte.
 

„Du wirst mindestens drei Wochen nicht am aktiven Training teilnehmen können, daher wirst du stattdessen die Theorie lernen und vorarbeiten, damit du das Training nachholen kannst, sobald du völlig genesen bist.“ Mit diesen Worten stand Levi auf und ging.
 

Er hörte noch ein krächzendes, aber entschlossenes „Jawohl, Sir“ und hoffte, dass er sich mit dem Jungen nicht vergaloppierte.
 

*~*
 

Eren hatte sich überproportional schnell erholt und stand nach drei Wochen wieder trainingsbereit auf den Beinen. Natürlich konnte er nach den Wochen im Bett nicht sofort ins reguläre Training einsteigen und bekam von Rivaille einen Sondertrainingsplan, um sich aufzubauen.
 

Für ihn gab es keine Theoriestunden mehr, nur viele kurze Pausen. Einer der Ausbilder überwachte sein Training und bewertete seine Fortschritte, während die anderen mit Rivaille weitertrainierten.

Nach drei Wochen war er laut dem Ausbilder wieder fit, sodass er sich eines Sonntagabends nach dem „freiwilligen“ Schwimmtraining den kritischen Augen des General-Leutnants ausgesetzt sah.
 

Die Schwimmhalle stand ihnen ganztägig zur Verfügung, aber alle gingen gleich nach dem Aufstehen schwimmen, um sich den Rest des Tages freinehmen zu können. Sie wurden nur sporadisch von verschiedenen Ausbildern überprüft und nie von Rivaille.
 

Umso erschrockener war Eren, als er eine Zusatzrunde am Abend schwamm - in dem Vorhaben seine Ruhe zu haben - und dann auftauchte und direkt in die ausdruckslosen, sturmgrauen Augen eines nur in Badehosen dastehenden Rivailles zu blicken.
 

Er ging fast unter, als er seine Hände vom Beckenrand löste, um zu salutieren, sodass sein Gruß in einem uneleganten Gurgeln unterging.
 

Hastig krallte er sich wieder an den Beckenrand, sein Kopf heiß und schnappte nach Luft.
 

„Wie alt bist du, Jäger? Zwölf?“, verlangte Rivaille kühl von ihm zu wissen, doch als Eren ihn wieder anblickte, hatte er das Gefühl, dass es nicht böse gemeint war.
 

„25, Sir.“
 

„Warum kackst du dich dann jedes Mal an, wenn du mich siehst?“ Es war sicherlich eine rhetorische Frage, aber Eren antwortete dennoch.
 

„Ich wollte nur respektvoll sein“, gab Eren kleinlaut zurück, was Rivailles Augenbraue zum Zucken brachte.
 

„Du drehst Extrarunden? Unterfordert dich mein Aufbauplan?“
 

Warum hatte Eren das Gefühl, dass es sich um eine Fangfrage handelte?

„Heinrich Mayer sagte am Freitag, dass ich wieder auf dem vorherigen Trainingsstand bin...“
 

Ohne zu antworten sprang Rivaille ins Schwimmbecken. Man konnte sagen, was man wollte. Seine Körpergröße war Rivailles einziger Makel.
 

„Gut, Jäger. Da Hanji sagte, dass du den Stoff für die nächsten drei Wochen Theorie bereits gelernt hast, wirst du bis dahin von mir höchst persönlich trainiert.“
 

Das war der Beginn der Hölle.
 

***
 

Eren nahm am Training der anderen wieder Teil und während die in der Theorie saßen, musste er mit Rivaille weitermachen. Zwar begann er das Training langsam zu steigern, das merkte Eren, das änderte jedoch nichts daran, dass es körperlich die härteste Zeit seines Lebens wurde.
 

Und trotzdem stand er jeden Morgen aus dem Bett auf. Egal wie sehr jede Faser seines Körpers schmerzte. Egal wie schräg er, ob seines Humpelns angesehen wurde und gleich was Armin sagte.

Er würde nicht hinter Levi Rivaille zurückstehen, der gottverdammt nochmal alle Übungen mit ihm zusammen ausführte und scheinbar unberührt davon war. Er war zu stur dazu.
 

Tatsächlich schaffte er es auch alle Erwartungen zu erfüllen. Bis heute. Es war ein heißer Frühsommertag und sie waren bereits viele Kilometer durch den Übungswald gerannt, als Eren spürte, dass er langsam ernsthaft schwächelte und spätestens zu Hause zusammenbrechen würde.
 

Er war sich nicht sicher, ob er es darauf ankommen lassen sollte, erinnerte sich jedoch zu gut an Rivailles Worte. Er hoffte, dass er die richtige Entscheidung traf.
 

„General-Leutnant“, rief Eren atemlos zu dem vor ihm laufenden Mann.
 

Obwohl er keine Reaktion zeigte, wusste er, dass Levi ihm zuhörte.
 

„Können wir eine Pause machen?“, presste Eren zwischen den Zähnen hervor. Es kränkte seinen Stolz, aber es war vernünftig, redete er sich ein.
 

Schwungvoll drehte sich Rivaille um und lief rückwärts weiter. Eine unterschwellige Überraschung blitzte in den kritischen Augen, was Eren peinlich berührt über sich ergehen ließ.
 

„Komm mit“, befahl Rivaille und bog einen unbekannten, schmalen Pfad ab und führte Eren wohl zur Schlachtbank.
 

Doch sie betraten alsbald eine kleine Lichtung mit einem idyllischen Bächlein. Rivaille wurde langsamer und stoppte schließlich vor dem Bachlauf.

„Hier können wir pausieren.“
 

„Wow“, staunte Eren über den schönen Platz und setzte sich erleichtert ins Gras, nachdem Rivaille es ihm vorgemacht hatte.
 

Er atmete tief durch und versuchte sich zu erholen. Sich mit Willenskraft zu entspannen funktionierte jedoch nur bedingt, sodass er sich mit einem resignierten Seufzen nach hinten fallen ließ und seine Arme hinterm Kopf verschränkte. Es tat so gut im Gras zu liegen, dass er automatisch die Augen schloss, die Sonne und den Duft der Wiesenblumen genoss. Das Plätschern des Baches hatte eine hypnotisierende Wirkung auf ihn und ließ ihn sich vollends entspannen.
 

Eren wusste nicht, wie lange sie schweigend auf der Lichtung zugebracht hatten, als Rivaille die Ruhe schließlich brach.

„Ich habe schon darauf gewartet, dass du versagst.“
 

Das holte Eren ruckartig aus seinen Tagträumen. Entsetzt riss er die Augen auf und blickte direkt in Sturmgraue, die auf ihn herabblickten. Doch trotz Panik erkannte Eren ein amüsiertes Funkeln in Rivailles Augen, was ihn sich unwillkürlich beruhigen ließ.
 

Irgendwie hatte Eren das Gefühl, dass es nicht negativ gemeint war.
 

Rivaille erkannte seinen Stimmungswechsel scheinbar, denn er wandte ihm den Kopf ganz zu.
 

„Sie haben mich echt fertig gemacht, General-Leutnant“, grinste Eren plötzlich. Irgendetwas in ihm erheiterte sich über diese Situation.
 

„Hör' mit dem ewigen General-Leutnant auf. Sir oder Levi reicht“, meinte Rivaille entnervt.
 

„Ich darf Sie duzen?“, entfuhr es Eren ungläubig.
 

„Das habe ich nicht gesagt, Balg, nur, dass Levi reicht. Davon bricht mir kein Zacken aus der Krone“, erwiderte Rivaille, weiterhin mit dem Blick auf ihn gerichtet.
 

„Vielen Dank, Sir!“, rief Eren geradezu enthusiastisch, was Levi die Augen rollen ließ.
 

„Du bist so ein Kind“, stellte Levi fest und wandte sich ab.
 

„Ich bin bloß temperamentvoll und ehrlich“, verteidigte Eren sein Verhalten.
 

„Ich dachte schon mehrmals, ich müsste dir Pisser eine Windel holen.“
 

„Das liegt nur an Ihrem Auftreten“, sprudelte es aus Eren, was er eine Sekunde später bereute und sich erschrocken die Hand auf den vorlauten Mund schlug.
 

„Du machst es gerade wieder“, stellte Levi fest und betrachtete ihn nun mit verhältnismäßig deutlichem Amüsement.
 

„Entschuldigen Sie“, sagte Eren, ehe er ehrlich erklärte, „Ich bin schon oft wegen meiner großen Klappe in die Bredouille geraten...“
 

„Du musst nur wissen, bei wem du es dir leisten kannst und bei wem sich der Ärger nicht lohnt.“
 

Eren blickte stirnrunzelnd in den Himmel.

„Ich habe schon während meiner Polizeiausbildung versucht unter vier Augen mit den Ausbildern zu reden, die meiner Meinung nach etwas nicht gerecht beurteilt haben. Meistens gegenüber Dritten. Die haben mich jedoch immer nur verwarnt und sind in ihrer Vollkommenheit aufgegangen. Nachdem sie dann anfingen mich zu schikanieren, habe ich es mir die meiste Zeit dann verkniffen, aber völlig konnte ich die Schnauze nie halten. Ich bin einfach unverbesserlich.“

Den letzten Satz sprach Eren mit verbittertem Unterton aus. Zu oft war er sich durch seine Art selbst im Weg gestanden.
 

„Ganz so unverbesserlich nicht, sonst würden wir nicht hier sitzen.“
 

Als Eren ihn wortlos fragend anstarrte, führte er ungeduldig weiter aus.

„Du hast deine Grenzen erkannt und deinen Stolz heruntergeschluckt. Also ist bei dir noch nicht Hopfen und Malz verloren.“
 

Diese Worte brachten Eren zum Strahlen. Das war das größte Lob, das er sich hätte vorstellen können. Froh kicherte er und fuhr sich über die Stirn.
 

Levi schnaubte.

„Du bist nicht nur ein Balg, sondern auch ein Mädchen.“
 

Statt Eren zu empören, begann er darüber zu lachen. Er fühlte sich gerade einfach gut.
 

„Sagen Sie“, begann Eren, „War Ihr militärisches Training körperlich anspruchsvoller als unseres?“
 

„Nein, wir wurden nur mehr schikaniert.“
 

„Ach so? Ich finde es nämlich erstaunlich, dass Sie das alles mit uns mitmachen und völlig unbeeindruckt davon bleiben können“, erläuterte Eren.
 

„Warum? Weil ich klein und alt bin?“, hakte Levi lauernd nach, was Eren einen Schauer über den Rücken jagte.
 

Er konnte sich nur reinreiten.

„Nein, einfach nur so. Kein anderer Ausbilder hat das je mit uns gemacht...“
 

„Aber klein und alt bin ich?“
 

Eren wurde panisch.

„Ich weiß nicht wie alt Sie sind, aber Sie sehen nicht so alt aus wie Sie wahrscheinlich sind“, und nach kurzer Pause, „I-Ich meine,... also, das war...“
 

„Ach, sei schon still, Rotznase!“, unterbrach ihn Levi harsch, was Eren völlig die Contenance verlieren ließ und er sich beide Arme vors brennende Gesicht schlug.
 

Ein leises Glucksen, ließ ihn aus seinen gedanklichen Verwünschungen schrecken und er schielte zwischen seinen Armen zu Levi empor, der ihn schmunzelnd betrachtete.
 

„Sie...“, begann Eren fassungslos und setzte sich wieder auf, „Sie haben mich verarscht!“
 

In sitzender Position war Eren wieder ein wenig größer, sodass Levi nun zu ihm hochblicken musste. Weiterhin spiegelte sich klares Amüsement in den sonst bewegungslosen Augen.

Erens Herz machte einen Satz, als er das sah.
 

„Mach dir nicht gleich in die Hose, Jäger. Wenn ich angepisst bin, wirst du das schon merken.“
 

„Wenn mich das beruhigen sollte, dann war das gerade nicht sehr effektiv“, entgegnete Eren trocken und schneller als er denken konnte. Mal wieder...
 

Mit einem belustigten Schnauben stand Levi auf, was Eren ihm umgehend gleichtat.

„Es heißt, wer's nicht im Kopf hat, hat's in den Beinen. Mal sehen, was du zu bieten hast.“
 

Sie sprinteten die restlichen elf Kilometer Heim.
 

*~*
 

„Hey, Levi“, rief Hanji die Treppe hoch, was ihr einen äußerst grimmigen Gesichtsausdruck einbrachte, „Was hat dich denn überfahren? Du siehst ja völlig fertig aus!“
 

„Wer sieht fertig aus?“, wollte Mike wissen, der wegen dem Geschrei den Hals aus dem Gemeinschaftsraum reckte.
 

„Levi!“, gestikulierte Hanji nach oben, musste jedoch feststellen, dass das Objekt ihrer Unterhaltung weitergegangen war, und erklärte Mike darum, „Er sieht ganz blass und müde aus. Ich mein, schlimmer als sonst.“
 

„Fick dich!“, fauchte Levi nach unten, was Hanji umso mehr wie ein Honigkuchenpferd grinsen ließ.
 

Mike blickte demgegenüber eher irritiert drein und kratzte sich am Kopf.

„Kann es sein, dass er endlich mal ausgelastet wurde?“
 

„Anscheinend“, schmunzelte Hanji und sagte dann extra laut in der Hoffnung, dass Levi es noch hörte, „Es sieht so aus, als hätte sich unser Giftzwerg von seinem Jäger-Liebling abschießen lassen!“
 

Das Türknallen war Hanji Genugtuung genug, Mike jedoch starrte sie an, als sei sie einer psychiatrischen Klinik entlaufen.

„Was zur Hölle?!“
 

Hanji winkte lachend ab.
 

Der Tumult lockte auch Erwin aus seiner Wohnung und ließ ihn zwischen den Geländern hinabsehen.

„Ich hab euch bis ins Wohnzimmer gehört. Was ist los?“
 

Mike deutete nachdrücklich auf Hanji, die Erwin anlächelte.
 

„Nix, Levi ist nur nach Hause gekommen", erklärte sie belustigt.
 

„Und warum war das so interessant, dass ich dafür aus meinem Roman gerissen wurde?“
 

„Weil Levi völlig erschöpft angekommen ist und ich ihn seit dem Krieg nicht mehr körperlich fertig gesehen habe“, erläuterte Hanji bereitwillig.
 

„Und warum ist das ein Grund zur Freude?“, zweifelnd warf Erwin Mike einen Blick zu, der daraufhin achselzuckend den Kopf schüttelte.
 

„Nur so, weil ich glaube, dass er endlich gefordert ist“, zwinkerte Hanji und drehte sich schwungvoll um und scheuchte Mike von der Tür weg, um in den Gemeinschaftsraum gehen zu können.
 

Erwin gab Mike ein Zeichen, dass er verhindern möge, dass Hanji - noch mehr - Alkohol trank und wandte sich mit einem Lächeln auf den Lippen ab.
 

Hanji war es jedoch egal, ob sie für bescheuert gehalten wurde. Sie freute sich ungemein, dass in Levi endlich wieder etwas Leben kam und er eine Herausforderung für sich gefunden hatte.
 

Es wurde Zeit.
 

*~*
 

Bis Eren wieder mit den anderen an den Theoriestunden teilnehmen musste - das war der reinste Urlaub - hatte er mit Levi noch intensiver trainiert als je zuvor. Falls man das noch als Training hatte bezeichnen können, denn ohne Absicht hatte sich zwischen ihnen ein Wettkampf entwickelt, der zu Erens Freude selbst Levi schlauchte. Zwar mussten sie dementsprechend öfter außerplanmäßige Pausen einlegen, doch wie sehr sich Eren verbessert hatte, merkte er vor allem, als er wieder nur noch mit den anderen trainierte.
 

Ihm fehlten die quasi privaten Trainingseinheiten.
 

Vielleicht war das auch der Grund, warum er diesen Sonntag abends schwimmen ging und hoffte, dass er Levi dabei antraf.
 

Etwas mürrisch stellte er fest, dass die Halle dunkel und leer war. Nichtsdestotrotz zog er sich um und stieg ins Wasser. Es fühlte sich kalt auf seiner vom Tag erhitzten Haut an. Er beschloss es langsam angehen zu lassen und die Ruhe zu genießen. Seine Freunde hatten auf dem Grasstreifen vor ihrer Unterkunft grillen dürfen, was natürlich in einem heillosen Durcheinander und einigem Gekeife geendet hatte. Eren gab ja zu, dass er einer der Hauptakteure dabei gewesen war, aber Jean hatte ihn auch provozieren müssen.
 

Die Pferdefresse hatte sein saftiges Steak absichtlich in den Dreck fallen lassen und das war erst der Anfang.
 

Tief seufzend drehte sich Eren auf den Rücken und ließ sich auf der Wasseroberfläche treiben.
 

Es war bereits August und die Pferdefresse war immer noch nicht geflogen. Dazu war der Drecksack auch zu gut. Er stach zwar nicht sonderlich hervor, aber er bewältigte alle Aufgaben einwandfrei. Wenn sie sich nicht ständig in die Haare kriegen würden, wäre es echt nett mit allen.
 

Aber egal wie sehr sich Eren anstrengte, nach seinem Aufbau- und Sondertraining hatte Jean ihn erst recht verspottet. Er suchte regelrecht nach Streit und Eren verstand einfach nicht warum. Er würde ihm lieber aus dem Weg gehen.
 

„Du sollst schwimmen, nicht pennen wie ein fauler Saftsack.“
 

Eren schreckte arg zusammen, sodass er aufrecht im tiefen Wasser trieb und sich gehetzt umsah.
 

Levi stand in Schwimmershorts am Beckenrand, eine Hand in die Hüfte gestemmt und betrachtete ihn ausdruckslos. Eren hatte ihn überhaupt nicht kommen hören.
 

„Ich war in Gedanken“, erklärte Eren mit einem Lächeln. Er hatte gelernt sich nicht mehr ständig bei ihm zu entschuldigen, nachdem Levi ihn des öfteren darauf hingewiesen hatte.
 

„Du kannst im Bett denken. Ich will schwimmen, also mach“, befahl Levi.
 

Eren ließ sich nicht irritieren und grinste schelmisch.

„Was halten Sie davon, wenn wir um die Wette schwimmen?“
 

Etwas in Levis Augen blitze und er begann ins Wasser zu steigen.

„Erst nachdem ich mich eingeschwommen habe.“
 

Ein triumphierendes Lächeln zierte Erens Lippen und er fing ebenfalls an sich aufzuwärmen.
 

***
 

Wenn sie anfangs noch zivilisiert alle Schwimmarten auf Zeit und Runden geschwommen waren, so waren sie zum Ende hin nur noch gekrault bis sie nicht mehr konnten.
 

Atemlos und vor Erschöpfung zittrig stützte sich Eren mit den Armen am Beckenrand ab. Das Blut rauschte in seinen Ohren und es war ihm etwas übel. Er wollte gar nicht wissen, wie viel Chlorwasser er verschluckt hatte. Aber er fühlte sich gut. Sogar mehr als gut. Er fühlte sich fantastisch!
 

Levi neben ihm ächzte ebenfalls nach Luft. Nun, so viel wie ein Levi Rivaille ächzen konnte jedenfalls... Er atmete tief und schnell ein und aus.

Eren war beim Tauchen und Brustschwimmen schneller gewesen, doch nun beim Kraulen hatte er mit einer halben Runde Abstand verloren. Dennoch war er stolz auf sich und freute sich darüber, dass er Levis Leistungen näher kam.
 

Es machte Spaß sich mit ihm zu messen.
 

„Danke“, sagte Eren drum und lächelte Levi erschöpft, aber strahlend an.
 

Dieser begegnete seinem Blick skeptisch.

„Wofür? Das war reiner Selbstzweck.“
 

„Es hat mir trotzdem große Freude bereitet“, erwiderte Eren mit ungebrochenem Lächeln. So schnell ließ er sich nicht ins Boxhorn jagen.
 

„Hm“, murrte Levi und hievte sich aus dem Schwimmbecken.
 

„Nächsten Sonntag um dieselbe Zeit?“, fragte Eren bemüht sachlich, doch der hoffnungsvolle Unterton hatte sich trotzdem eingeschlichen.
 

Levi sah über seine Schulter. Seine sturmgrauen Augen schienen ihn zu durchlöchern.

„Vielleicht.“
 

Das reichte Eren. Zufrieden nickte er und grinste vor sich hin, ehe auch er sich aufraffte und zur Umkleide ging. Levi war bereits fort.
 

***
 

„Eren! Ich habe mit Ben telefoniert - du weißt schon, der aus der IT-Abteilung. Er hat seit unserem letzten Telefonat vor gut einem Monat Informationen über General-Leutnant Rivaille beschafft“, sprudelte es aus Armin heraus, als er ihr gemeinsames Zimmer betrat.
 

„Häh? Was für Infos?“ Eren war nach dem anstrengenden Schwimmtraining zu müde, um alles sofort zu verstehen. Sein Gehirn befand sich schon im Halbschlaf.
 

„Warum er beim Militär aufgehört hat zum Beispiel“, erklärte Armin, was Erens Neugierde erweckte.
 

„Und?“ Er setzte sich gegenüber Armin auf sein Bett und sah den Blonden erwartungsvoll an.
 

Der wurde plötzlich ernst und faltete die Hände.

„Es ist eine ziemlich schlimme Geschichte und ich hab auch wenig Details...“
 

„Armin“, drängte Eren ihn genervt. Jetzt hatte er ihm schon den Mund wässrig gemacht.
 

Armin seufzte und sah ihn an.

„Von Anfang an: Rivaille wurde in Bangkok geboren und dort mit 17 eingezogen. Er kam damals sofort mit Smith, Zoë und Zacharias in eine Kompanie. Sie waren in der Artillerie, genauer gesagt bei den Jägern. Rivaille ist überdurchschnittlich schnell in den Rängen aufgestiegen. Noch vor dem 4. Weltkrieg war er General-Leutnant und das mit gerade mal 26 Jahren.“
 

„Das ist seltsam“, unterbrach Eren seinen Freund, „Er hätte nach dem Krieg im Rang zum General aufsteigen müssen und überhaupt, wie ist es möglich als Ausländer ins Europäische Heer aufgenommen zu werden?“
 

„Seine Eltern waren Franzosen“, meinte Armin mit einem Schulterzucken, „Und na ja, warum er nicht geehrt wurde...“
 

Eren wartete diesmal geduldig bis Armin weitersprach.

„Seine Jägertruppe wurde in viele vier bis fünf Soldaten starke Einheiten aufgeteilt, um die Dörfer vor Beijing von feindlichen Truppen zu befreien. Dabei kam seine Einheit komplett um, nur er überlebte. Er kam nach Ende des Krieges vor Gericht und wurde unter Berücksichtigung seiner ansonsten herausragenden Leistungen nur freigestellt...“
 

„War es denn seine Schuld, dass seine Einheit umkam?“, wollte Eren betreten wissen.
 

„Ich weiß leider nicht mehr, aber Ben meinte, dass er sich soweit es ging unauffällig umgehört hat und er nie wirklich positive Reaktionen Rivaille bezüglich bekommen hat. Er meinte, es wirke, als habe man ihn aufgrund vergangener Taten nicht unehrenhaft entlassen wollen.“
 

Nachdenklich sah Eren auf seine Hände. Wenn Levi wirklich wegen Mauschelei nicht entlassen wurde, war das natürlich eine große Schweinerei - nicht nur aufgrund Gesetzwidrigkeit.
 

Aber Armins Informationen waren mau und ein Gerichtsverfahren komplex.

General Smith hatte einen ausgezeichneten Ruf. Genauso Generaloberstabsärztin Zoë und Generalstabsarzt Zacharias. Warum sollten sie jemanden in ihre Mitte holen, der für den Tod von Kameraden verantwortlich ist und ungestraft davonkam?
 

Es sei denn, sie sind dazu gezwungen worden, schoss es Eren durch den Kopf. Dieser Gedanke war nicht unmöglich, doch er gefiel ihm ganz und gar nicht.
 

Levi war sicherlich ein unkonventioneller Ausbilder. Ungewöhnlich klein für einen Soldaten oder auch Polizisten. Seine Art war zwar harsch wie seine Worte, wodurch er bis jetzt sicherlich jedem bereits mehrmals auf den Schwanz getreten war, nichtsdestotrotz machte er seinen Job verdammt gut. Eren hatte, während seinen Sondertrainingsstunden mit ihm, angefangen Levi zu bewundern und er konnte sich nicht vorstellen, dass er sich einem gesetzmäßigem Urteil entziehen würde.
 

„Auf jeden Fall“, riss Armin Eren aus seinen Gedanken, „denke ich, dass wir nicht vorschnell über Rivaille urteilen dürfen. Diese allseitige Antipathie könnte auch wegen seinem Verhalten herrühren. Er scheint ja bei niemandem ein Blatt vor den Mund zu nehmen.“
 

Eren verzog die Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln. Er nahm sich vor, eines Tages die Wahrheit herauszufinden.
 

*~*
 

An einem ganz anderen Ort, weit fernab von jeglicher Kontrolle, traf ein Mann auf eine Gruppe anderer Männer.
 

+++

Horizont

Vom 21. Dezember bis 08. Januar hatten sie frei. Es waren die ersten Ferien, dementsprechend enthusiastisch waren alle gewesen nach all der Zeit den Ausbildungskomplex verlassen zu dürfen und endlich ihre Lieben wieder zu sehen.
 

Eren war Vollwaise, doch seit er Armin vor über 13 Jahren kennengelernt hatte, kümmerte sich dessen Familie ebenfalls um sein Wohlergehen. Er war ihnen sehr dankbar dafür und es erfüllte ihn mit Wärme und Zuneigung, dass sie sich so um ihn sorgten, doch seit Mikasa nicht mehr mit ihm bei den Arlerts sein konnte, fühlte er sich nicht mehr wohl.
 

Er fühlte sich schuldig deswegen, denn nie hatten sie etwas getan, dass dieses Unwohlsein rechtfertigen würde, im Gegenteil. Nichtsdestotrotz empfand er sich als Parasit, der diese heile Familie störte. Deswegen ließ er sich von Armin nur dazu überreden Heiligabend mit ihnen zu bleiben. Die restliche Zeit wollte er in München verbringen und dort in Ruhe etwas trainieren und so gut es ging entspannen.
 

Mithin fuhren Armin und er am 21. nach Berlin, um Mikasa im Krankenhaus zu besuchen. Ihr Zustand war unverändert. Seit fünf Jahren lag sie im Wachkoma, nachdem ihr bei einem GSG9-Einsatz in den Kopf geschossen worden war. Dass sie aufwachte war möglich, denn medizinisch betrachtet, war ihr Gehirn soweit funktionsfähig. Allerdings konnte man bis heute nicht allzu viel tun, um jemandem aus dem Koma zu holen. Das musste noch auf natürlichem Wege geschehen.
 

Die ersten drei Jahre hatte Eren jede freie Minute an Mikasas Bett verbracht und mit ihr geredet. Im vierten Jahr hatte er es nicht mehr ertragen sie jeden Tag in diesem Bett scheinbar schlafend zu sehen. Sein Versagen bei der SEK und sein Unvermögen ihr zu helfen, hatten ihn in ein tiefes Loch gestürzt. Er besuchte sie also nur noch am Wochenende bis er für die ESE-Ausbildung zugelassen worden war und er nur noch mit den Ärzten telefonieren konnte.
 

Am Morgen des 23. fuhren sie nach Hamburg zu Armins Familie und Eren musste sich am ersten Weihnachtstag regelrecht aus ihrem Haus schleichen, um nicht von einem überfürsorglichen Familienmitglied doch noch aufgehalten zu werden, als er die Rückreise nach München antrat.
 

***
 

Es war zwar gespenstisch still in ihren Unterkünften, aber Eren wusste, dass wenigstens Zoë und Zacharias auf dem Gelände waren. Zoë hatte ihnen in der letzten Theoriestunde gesagt, dass sie durchgehend vor Ort sein würden und niemand vom Gelände ausgeschlossen wäre. Aber natürlich kam außer Eren keiner auf die schwachsinnige Idee auch noch den Urlaub im Ausbildungskomplex abzusitzen. Sie hatten besseres zu tun und das war völlig okay für ihn.
 

Nachdem er ausgepackt und eine heiße Dusche genommen hatte, legte er sich mit einem Theoriebuch aufs Bett, doch seine Gedanken kreisten unentwegt um Mikasa. Wie sie regungslos in diesem hellblauen Krankenhauszimmer lag, nur das stetige Summen der Maschinen. Ihre Haut war warm und weich und blass. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe. Eingefroren in der Zeit, wunderschön und ach so fragil.
 

Eren stieß zischend die Luft aus, als er das heiße Brennen in seinen Augen spürte und stand schwungvoll aus dem Bett auf. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen wegen der abrupten Bewegung.
 

Er musste an die frische Luft!
 

Gehetzt zog er Schuhe und Winterjacke an und ging die Treppen hinauf ins Dachgeschoss und dort durch eine Tür hinaus aufs Dach. Eisiger Wind blies ihm um die Nase und er rieb sich fröstelnd die Hände, obwohl sie noch warm waren. Die Kälte lenkte ihn etwas ab, als er tief die frische Luft einatmete.
 

„Hast du dich verlaufen, Jäger?“
 

Eren fuhr so stark zusammen, dass er erschrocken herumsprang und mit großen Augen auf den viereckigen Überbau der Dachgeschosstür sah.
 

„Levi, Sir“, keuchte Eren und fasste sich ans rasende Herz. Er war fast zu Tode erschrocken.
 

Levi saß im Schneidersitz und militärischer Winterkleidung da und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

„Brauchst du neue Windeln? Deine Aufmerksamkeit und Abwehrreaktion ist erbärmlich.“
 

Erens Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, bevor er den General-Leutnant angrinste.

„Da haben Sie recht. Aber ich hätte nie erwartet, dass mir der Tod hier ins Genick springt.“
 

„Der lauert überall“, murrte Levi, während er seine behandschuhten Hände anhauchte und rieb.
 

„Warum sind Sie hier?“, fragte Eren direkt.
 

„Weil ich nicht woanders bin“, kam es ebenso direkt schroff zurück.
 

Eren seufzte, ließ sich jedoch nicht so leicht abwimmeln und starrte den Mann so lange an, bis der den Blick leicht genervt erwiderte.

„Was? Starr' nicht so bescheuert.“
 

„Nichts“, lächelte Eren besänftigend, „Ich bin nur überrascht Sie von allen Orten gerade hier zu treffen.“
 

„Hm“, machte Levi und betrachtete ihn intensiv, „Solltest du die Feiertage nicht an einem reich gedeckten Tisch sitzen und dich wie ein Schwein vollstopfen?“
 

Erens Lächeln verschwand abrupt, doch er antwortete bereitwillig.

„Ich habe niemanden außer Armin und seiner Familie...“
 

„Und warum bist du dann nicht dort?“
 

Eren stockte. Ein Schauer durchfuhr ihn innerlich, nichtsdestotrotz flossen die bisher unausgesprochenen Worte unglaublich leicht über seine Lippen.

„Ich habe mich wie ein Eindringling in ihrer heilen Welt gefühlt“, entgegnete Eren leise und lächelte Levi mit traurigen Augen an.
 

„Tch.“ Levis Blick durchbohrte ihn förmlich. Trotz des abschätzigen Lauts glaubte Eren jedoch einen Hauch Verständnis zu erkennen.
 

„Leeeeviii~“, rief jemand laut und im nächsten Augenblick lag Eren mit dem Bauch auf dem harten Betonboden.
 

„Was zum-??!“
 

„Shhh!“, machte Levi, der plötzlich neben ihm lag und seinen Kopf unzeremoniell runter drückte.
 

Eren sah ihn halb verärgert, halb verwundert an. Wie in aller Welt war Levi von über der Tür so schnell zu ihm gekommen und wann zum Henker hatte er ihn auf den Boden gedrückt?!

Der Kerl war die reinste Naturgewalt.
 

„Leeeviii~! Wo bist du~?“, ertönte es erneut und ließ sich Erens Aufmerksamkeit auf das Gebäude gegenüber wenden. Tatsächlich stand Hanji auf dem Dach und blickte sich suchend um. Es war pures Glück, dass der Rand des Daches sie hier kauernd gerade so verbergen konnte.
 

„Im Schwimmbad ist er auch nicht“, brüllte Mike von unten.
 

„Ich seh' ihn auch nicht“, schrie Hanji vom Dach hinab und machte sich auf den Weg zurück nach unten.
 

Ein Seufzen neben ihm riss Eren aus seinen Beobachtungen und er spürte, wie Levis Griff sich von seinen Haaren löste.
 

„Das war knapp“, sagte er, blieb jedoch noch liegen.
 

„Was zum Teufel war das?!“, beschwerte sich Eren und sah auf seine Seite. Levi lag Schulter an Schulter mit ihm auf dem kalten Boden und bettete nun sein Kinn auf seine gefalteten Hände.
 

„Ein Versuch mich vor der Hölle zu bewahren“, gab Levi trocken zurück.
 

„Ich will ja nicht unhöflich sein, aber warum lieg ich plötzlich mit Ihnen auf dem Bauch? Hätte es nicht gereicht, wenn nur Sie sich hinschmeißen?“ Eren bemühte sich ehrlich, nicht gar zu aufgebracht zu klingen, was ihm jedoch vorn und hinten nicht gelang.
 

Levi sah ihn schief an.

„Stimmt“, meinte er plötzlich und sah wieder geradeaus.
 

„Stimmt?“, Eren war völlig perplex, „Was ist an Zoë so schlimm?“
 

Levi bedachte ihn mit einem Unheil versprechenden Blick, der Eren einen Schauder den Rücken hinab jagte. Dann setzte er sich in eine kniende Position und klopfte sich den Staub von der Militäruniform.
 

Eren sah Levi zum ersten Mal in militärischer Kleidung und es war frappierend wie gut sie ihm stand. Als sei er dafür gemacht.
 

„Ich bin schon seit heute früh vor ihr auf der Flucht und habe das auch noch vor bis sie schläft. Warum, musst du nicht wissen“, erklärte Levi sein Verhalten und mehr würde er anscheinend nicht bekommen.
 

Seufzend erhob sich auch Eren und setzte sich hin.

„Wenn sogar Sie vor ihr fliehen, wage ich mir kaum die Stresstests in der nächsten Einheit vorzustellen.“
 

„Es sind noch 35 Rekruten übrig. Das Sollziel ist 15. Rechne's dir aus wie's wird“, ließ Levi beiläufig durchblicken, was Eren mit großen Augen quittierte.
 

„Die sollen alle durchfallen?“ Das waren miserable Aussichten!
 

„Nicht sollen. Werden.“ Levi rieb sich unbeeindruckt die Hände.
 

„A-Aber-“, stammelte Eren sprachlos, „Es sind so viele gute Leute dabei!“
 

Nun blickte Levi ihn wieder an. Seine sturmgrauen Augen ließen keinerlei Mitgefühl erahnen. Es war ihm vermutlich auch völlig egal, wer durchfiel.
 

„Also fliegt man auch jetzt nur wegen der Psycho-Tests und -Gutachten raus“, stellte Eren schnaufend fest. Er hatte Angst davor.
 

Egal wie sehr er sich bemühte und sich selbst beschwor, er würde Zoës analysierenden Blicken nicht ausweichen können. Beim Gedanken daran erneut zu versagen, biss er sich schmerzhaft in die Unterlippe.
 

„Hör mir zu, Jäger“, durchbrach Levis ernste Stimme die aufgekommene Stille, sodass Eren ihn mit verwunderten Augen ansah, „Du musst einzig und allein die Antwort auf eine Frage finden.“
 

Eren betrachtete ihn abwartend, versuchte fieberhaft einen Eindruck von der Frage zu gewinnen.
 

„Wenn du die Wahl hast entweder das größte, aber insoweit 0815-Drecksschwein vor einem fatalen Ende zu bewahren oder der Kcrizott näher zu kommen, wie würdest du dich entscheiden?“
 

Eren blickte ihm erstaunt direkt in die unbewegten Augen. Es überraschte ihn nicht, dass Levi von der Kcrizott wusste, das stand alles in seiner Akte, es war vielmehr die Frage an sich, die ihn erst jetzt vollends begreifen ließ, warum er mit Argusaugen beobachtet wurde.
 

Seine Aufgabe bestand allein darin Menschen zu schützen. Und es wurde ihm nicht zugetraut das zu beachten.
 

Ernüchterung machte sich in Eren breit und er blickte auf seine kalten, nackten Finger. Gleichzeitig schwoll ein Gefühl in seiner Brust an, das ihn wieder entschlossen aufsehen ließ.

„Ich bin Polizist geworden, um die Menschen zu beschützen und davor zu bewahren, was ich erleben musste. Sympathien sind dabei irrelevant.“
 

Levi begegnete seinem entschlossenen Blick mit einem regelrecht bohrendem. Eren glaubte in diesem Moment, der Mann könne ihm bis in die tiefsten Winkel seiner Seele blicken.
 

Es war zu viel, er sah weg.
 

„Eren“, erregte Levi seine Aufmerksamkeit und ließ ihn wieder in die unnahbaren Augen blicken. Er nannte seinen Vornamen zum ersten Mal.

„In dem Moment deiner Rache wird nichts geschehen. Deine Eltern bleiben tot und deine Schwester im Koma. Es ändert rein gar nichts.“
 

Wut erfüllte Erens Brust bei diesen direkten, emotionslosen Worten. Es war zu persönlich, zu intim, es ging ihm direkt unter die Haut.
 

Doch trotz der offenen Wut in seinem Gesicht, blieb er stumm, was Levi zum Weiterreden veranlasste.

„Je nachdem wie viel Zeit und Energie du in deine Rache investierst, wird es dir beschissener gehen, wenn du dein Ziel erreicht hast und nichts mehr zu tun übrig bleibt.“
 

Eren sah Levi betroffen an. Er erkannte tiefe Trauer versteckt hinter Gleichgültigkeit in den sturmgrauen Augen und begriff in diesem Moment, dass Levi von seiner ermordeten Einheit im Krieg sprach. Seine ganze Wut wurde von aufrichtigem Mitleid verdrängt.
 

„Wie soll man sich aus diesem gedanklichen Teufelskreis denn befreien?“
 

Levi schnaubte humorlos.

„Gib dir eine sinnvolle Aufgabe, umgebe dich mit Freunden, heirate, mach Kinder und den ganzen Scheiß. Dann hängst du zu sehr am Leben, um alles für eine Racheaktion zu riskieren.“
 

Das brachte Eren zum Lächeln.

„Danke, Levi. Ich hoffe, dass auch Sie diesen Weg gehen werden.“
 

Nun war es an Levi verdutzt zu sein.

„Ich denke nicht, dass dich Balg das etwas angeht“, wehrte er ab und bedachte Eren mit einem eisigen Blick, der ihn schaudern ließ.
 

In der Tat, man merkte es, wenn man Levi anpisste.
 

„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht verärgern“, beschwichtigte Eren schnell. Er meinte es ernst und ehrlich.
 

Levi starrte ihn weiterhin kühl an, doch die Kälte war aus seinen Augen gewichen. Eren war selbst überrascht davon, dass er so versöhnlich sein konnte, normalerweise ritt er sich immer unwiederbringlich in den Schlamassel.
 

Beide fuhren sie zusammen, als die Tür hinter ihnen aufgeschlagen wurde.
 

„Leeeviii! Da bist du ja endlich!!!“, rief Hanji triumphierend und warf sich enthusiastisch auf die Knie, um einen entsetzten Levi überschwänglich zu umarmen.
 

Sie ließ sich nicht von ihm wegdrücken, als sie ihre Wange mit zermalmender Wucht an seine presste.

„A~lles Gute zum Geburtsta~g!“, trällerte Hanji, was Eren blass werden ließ.
 

„Oh, Sie haben heute Geburtstag, Sir?! Dann wünsche ich-“
 

„Lass stecken, Balg“, unterbrach Levi ihn böse und erstickte Erens Versuche ihm die Hand zu schütteln, bevor er sie ganz ausstrecken konnte.
 

„Oooh, Levi! Du alter Giftzwerg“, kicherte Hanji und Eren wunderte sich, dass sie nicht tot umfiel bei dem Blick, mit dem Levi sie durchbohrte, „Ich bin extra um fünf aufgestanden, aber da warst du schon weg. Ich hab dich überall gesucht, selbst durch den Wald bin ich gerannt, aber nichts. Du hast dich echt gut versteckt. Aber jetzt haaab ich dich!“
 

Fröhlich wippte sie mit Levi in den Armen hin und her.
 

„Ah, da ist ja unser verlorener Sohn“, grinste Mike, der nun ebenfalls hergefunden hatte, jedoch sicherheitshalber in der Tür stehen blieb, als er Levis Blick bemerkte.
 

„Jaaa~“, grinste Hanji glückselig und schien nicht daran zu denken, Levi in nächster Zeit loszulassen.
 

Der ließ es vor sich hin brodelnd mit routinierter Resignation über sich ergehen.
 

„Hey, Leute! Hier ist es arschkalt. Lasst uns reingehen und was trinken.“
 

„Jaaaa, ich habe ganz viel Essen und Trinken für dich und es gibt sogar einen Kuchen“, strahlte Hanji und sah Levi direkt in die stechenden Augen.
 

„Fick dich“, sagte er ihr trocken mitten ins Gesicht, was rein gar nichts an ihrem Strahlen änderte. Im Gegenteil, sie grinste nur noch breiter.

„Aber erst nachdem du alles probiert hast.“
 

Schwungvoll stand sie plötzlich auf und zog Levi am Handgelenk mit sich. Er versuchte gar nicht mehr sich loszueisen. Womöglich würde das die ganze Situation nur verschlimmern und das unabwendbare verzögern.
 

Eren kam sich vor wie ein Kind, das mit großen staunenden Augen in ein Zoogehege mit den erdenklich faszinierendsten Tieren guckte.
 

Hanji hatte Levi bereits bis zur Tür geschleift, als die sich nochmal umdrehte und ihn erstmals beachtete.

„Du kannst natürlich auch mitkommen, Jäger. Nicht wahr, Levi?“
 

„Fick dich und mir egal“, knurrte Levi. Das galt jedoch nicht Eren, sondern der eindeutig hyperaktiven Frau neben sich.
 

„Vielen Dank, General-Leutnant!“, lächelte Eren, was ihm kurzzeitig Levis Aufmerksamkeit einbrachte, ehe er wieder von Hanji mitgeschleift wurde.
 

Nachdem die Dachtür zufiel, wurde Eren zweierlei klar.

Die Stille auf dem Dach wog bleiern in ihrer schreienden Einsamkeit.

Und Zoë und Zacharias waren nicht zur Zusammenarbeit mit Levi gezwungen worden.

Sie empfanden echte, ehrliche Freundschaft.
 

***
 

Eren zog sich zügig ein gebügeltes, weißes Hemd und eine schwarze Jeans an, ehe er sich ziemlich nervös auf den Weg zum Appartementgebäude der vier Militärs machte.
 

Es war unüblich für einen Rekruten sich privat mit Vorgesetzten abzugeben. Das gab nur böses Blut unter seinesgleichen. Selbst bei seinem Sondertraining mit Levi hatten viele die Nase gerümpft und Jean hatte ihm vorgeworfen sich mit dem „Feind“ zu verbrüdern, um Vorteile rausschlagen zu können.
 

Das war natürlich lachhaft. Das Training war körperlich die Hölle gewesen. Zwar hatte er die Zeit mit Levi aus vielerlei Gründen genossen und ihr kleiner Wettkampf bereitete ihm ungemein Freude.

Eine Bevorzugung stand jedoch außer Frage, das war Eren mit der Zeit klar geworden. Levi würde ihn ohne zu zögern zum Teufel jagen, wenn er seine Erwartungen nicht erfüllte.
 

Es sei denn, man betrachtete ihre Gespräche über Erens Schwächen als Vorteil... Die hatten ihn tatsächlich weitergebracht.
 

Noch unsicherer als vorher stand Eren vor der Tür. Es wäre vermutlich unhöflich sich jetzt nicht blicken zu lassen, überlegte er sich und beschloss maximal eine halbe Stunde zu bleiben.
 

Mit einem tiefen Atemzug öffnete er die Haustür und trat in den Eingangsbereich. Vor ihm war das Treppenhaus und von rechts drangen Stimmen an sein Ohr. Er schluckte abermals, als er die Tür öffnete.
 

Er wurde von den Blicken Smiths und Zacharias' begrüßt und fühlte sich sehr klein.
 

„Ah, Jäger! Komm nur her“, begrüßte ihn General Smith mit einem freundlichen Lächeln.
 

Er ging etwas steif hin und schüttelte mit einem höflichen Lächeln die dargebotenen Hände.

„Frohe Weihnachten“, wünschte Eren.
 

„Frohe Weihnachten“, lächelte Smith zurück, ebenso Zacharias.
 

„Schön, dass du gekommen bist. Hanji und Levi sind gerade oben. Sie bewacht ihn beim Duschen, damit er nicht wieder abhaut“, grinste Zacharias und warf Smith einen amüsierten Blick zu, der leise lachte.
 

„Vielen Dank, dass ich hier sein darf“, brachte Eren kleinlaut hervor und ärgerte sich gleichzeitig, dass ihm die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben stand. Die Männer sahen ihn weiterhin gutmütig an, sichtlich sein Unwohlsein vermindern wollend.
 

Erst jetzt fiel ihm die Dekoration dieses Aufenthaltsraumes auf. Überall hingen Luftschlangen und Ballons. Auf dem anscheinend hineingetragenen Küchentisch lag Konfetti und gefaltete Papierschwäne thronten auf den schlichten Kasernentellern.
 

„Hanji hat sich mal wieder echt reingehängt“, kommentierte Zacharias Erens Beobachtungen.
 

„Das ist wirklich lieb“, entfuhr es Eren ehrlich.
 

„Ja, das ist es“, lachte Zacharias mit Smith.
 

Ihre Aufmerksamkeit wurde abrupt von der aufschlagenden Tür abgelenkt. Levi kam mit grimmiger Miene in den Raum gestakst, gefolgt von einer dauergrinsenden Hanji.
 

„Levi!“, ging Smith sogleich mit eloquentem Lächeln auf Levi zu und schüttelte seine Hand, „Ich wünsche dir alles erdenklich Gute fürs kommende Lebensjahr!“
 

Levi musste seinen Kopf in den Nacken legen, um dem zwei Köpfe größeren Mann in die Augen sehen zu können.

„Danke, Erwin“, erwiderte Levi sichtlich widerwillig, doch seine Augen verrieten eine gewisse Rührung, was Eren zum Lächeln brachte.
 

„Auch von mir nochmal alles Gute! Schön, dass du da bist“, lächelte Zacharias und klopfte Levi auf die Schulter. Eren hatte den Eindruck, er meinte nicht nur diesen Tag.
 

„Danke“, gab Levi zurück und wurde daraufhin gleich wieder von Hanji von hinten umarmt.
 

„U~nd was sagst du zur Dekoration?“
 

„Grauenhaft“, entgegnete Levi trocken und sah Hanji von der Seite an, die seine Bemerkung komplett ignorierte.
 

Eren nutzte die Gelegenheit für einen zweiten Gratulationsversuch.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag“, lächelte er verlegen und hielt Levi die Hand hin.
 

Diesmal ergriff er sie. Levis Händedruck war fest und seine Haut angenehm warm.

„Danke, Jäger.“
 

„Hey, Eren! Was hältst du davon mir mit dem Essen zu helfen?“, schlug Hanji vor und ließ endlich von Levi ab. Es war nicht ungewöhnlich, dass Zoë die Rekruten beim Vornamen nannte.
 

„Gerne.“ Es war schließlich eine direkte Aufforderung.
 

„Bitte sag' mir, dass du nicht selbst gekocht hast“, hakte Levi nach.
 

Hanji winkte ab.

„Nein, nein. Ich habe einen Partyservice engagiert.“
 

„Hanji sah diesmal davon ab uns allen Durchfall zu bescheren“, lachte Zacharias und kassierte dafür einen freundschaftlichen Ellbogenhieb von seiner Kameradin.
 

„Aber geschmeckt hatte es“, grinste sie.
 

„Das war ja das Tückische daran“, schmunzelte Smith.
 

„Ja, ja, als wenn ihr das mit den vorhandenen Zutaten besser hingekriegt hättet“, winkte Hanji gutmütig ab und griff nach Erens Handgelenk, um ihn aus dem Raum, über den Flur und in die geräumige Küche zu ziehen.
 

„Sooo, in der Kühltruhe sind die ganzen Snacks“, erklärte Hanji, „Ich mache dann mal die Suppe warm.“
 

Eren öffnete die breite Kühltruhe und staunte nicht schlecht über die vielen Tabletts mit allerlei Köstlichkeiten.

„Was ist mit dem rohen Truthahn, Generaloberstabs-?“
 

„Hanji reicht“, unterbrach sie ihn, „Wir haben keinen Stock im Arsch und der Vogel müsste in die Tiefkühltruhe. Außer Levi ist hier keiner in der Lage etwas halbwegs essbares zu kreieren.“
 

„Ich kann kochen“, entfuhr es Eren unbedacht - wie ihm auffiel, als Hanji ihm einen Unheil versprechenden Blick zuwarf, wobei ihre Brillengläser im kalten Küchenlicht reflektierten.
 

„Ohhh, Eren! Kannst du den Truthahn zubereiten?“
 

Ihr Blick ließ keine Widerworte zu. Er nickte verschüchtert.
 

„Wunderbar!“, trällerte sie, „Bist du dann so lieb und machst ihn? Die Zutaten dafür müssen da sein.“
 

Abermals nickte Eren, was Hanji freudvoll jubeln ließ.
 

***
 

Nachdem er Hanji mit den Tabletts geholfen und den Truthahn in den Backofen geschoben hatte, atmete er erst einmal tief durch.
 

Er war alleine in der Küche und es war mucksmäuschenstill. Das Inventar war beinahe ungebraucht und hochmodern. Der Truthahn würde in einer halben Stunde fertig sein. Bis dahin würde er hier warten und die Ruhe genießen.
 

Er traute sich nicht recht zu den anderen. Er fühlte sich fehl am Platze.
 

Eren hörte die Tür des Gemeinschaftsraums klicken und Schritte. Es war nicht schwer Hanjis Gang zu erkennen. Sie bewegte sich immer schnell und mit selbstbewusstem Rhythmus. Im Gegensatz dazu bewegten sich Smith und Zacharias gemächlich.
 

„Hey, Eren!“, platzte Hanji sogleich in die Küche, „Kommst du nicht rüber was essen?“
 

Eren stieß sich von der Küchentheke ab und stellte sich gerade hin.

„Danke, aber ich warte lieber auf den Truthahn.“
 

„Hast du keinen Hunger?“, Hanji sah ihn prüfend an, was ihn nervös an seinem Hemdsaum spielen ließ.
 

„Noch nicht so wirklich. Ich möchte sichergehen, dass ich's nicht verpfusche mit dem unbekannten Ofen...“ Es war nicht gelogen, auch wenn der Truthahn in den nächsten fünfzehn Minuten sicherlich nicht von ihm bewacht werden musste.
 

Hanji trat mit wildem Blick neben ihn, was ihn zusammenzucken ließ. Bei dieser Frau fühlte er sich stets wie eine Laborratte.

„Sag' mal, Eren“, fing sie mit ruhiger Stimme an und sah ihm womöglich bis in den letzten Winkel seiner Seele, „Du weißt doch, dass wir dich nicht eingeladen hätten, wenn wir deine Anwesenheit für problematisch hielten, nicht wahr?“
 

Eren starrte sie sprachlos an.
 

„Du brauchst dich nicht unwohl zu fühlen. Wir sind Kriegsveteranen. Wir trennen persönliches und berufliches strikt“, erklärte Hanji mit ernster und harter Stimme. Eren schauderte es innerlich.
 

Er nickte mechanisch.

„Ja, Gen-... Ja, Hanji.“
 

„Wunderbar!“, rief sie fröhlich und klopfte ihm auf die Schulter, „Dann komm!“
 

Mit einem tiefen Atemzug folgte er ihr.
 

Die drei Männer saßen an dem aus der Küche herbeigeschafften Esstisch und unterhielten sich. Hanji bedeutete ihm sich neben sie zu setzen, sodass sie zwischen ihm und Levi saß, gegenüber Smith und Zacharias.
 

Eren erwiderte das höfliche Lächeln von den beiden blonden Männern, während Levi ausdruckslos auf seinen Teller starrte und lustlos aß. Der General-Leutnant schien immer noch nicht sehr begeistert von der Aktion zu sein.
 

Es wurde über die aktuelle Politik diskutiert, bevor Hanji das Thema abrupt wechselte.

„Na, Levi? Wie fühlst du dich nun mit 34?“
 

Eren verschluckte sich prompt an seinem Wasser und hustete in eine Serviette.
 

„Da scheint einer ja ganz überrascht von deiner Jugend zu sein, Levi“, grinste Zacharias schelmisch, was Smith und Hanji lachen ließ.
 

Eren, der von allen angestarrt wurde, winkte verlegen ab, als er wieder Luft bekam.

„Nein, nein! Das ist es nicht. Ich hab mich bloß verschluckt“, versuchte er sich rauszureden.
 

„Ja, ja“, grinste Zacharias, wofür Eren ihm einen offen genervten Blick zuwarf.
 

„Wie alt hättest du mich denn geschätzt, Eren?“, ertönte plötzlich Levis Stimme und zog seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Schon wieder hatte er ihn mit Vornamen angesprochen.
 

Es dauerte ein paar Herzschläge bis ihm die Frage wieder einfiel und der abwartende Blick Levis ihn in der Gegenwart festhielt.

„Ich weiß nicht... Bei Ihnen ist das schwer zu schätzen“, antworte Eren wahrheitsgetreu.
 

„Das ist die typische Ausrede“, scherzte Zacharias und trank einen Schluck Wein.
 

„Nein, es ist bei Levi wirklich nicht einfach mit seinem grimmigen Blick“, feixte Smith.
 

„Wie alt schätzt du uns denn?“, wollte Hanji amüsiert wissen.
 

Eren sah sie mit großen Augen leicht flehentlich an.

„D-Das i-ist... Ich mein, ich bin nicht sonderlich gut das Alter von Leuten einzuschätzen“, stotterte er überfordert und spürte die Hitze in seinen Wangen.
 

„Sag einfach das Erste, was dir in den Sinn kommt“, bekräftigte Smith ihn freundlich lächelnd.
 

„Jupp, ist immer interessant sich von Fremden mal einschätzen zu lassen“, grinste Zacharias und biss in ein belegtes Brötchen.
 

Eren seufzte innerlich.

„Wenn man die berufliche Laufbahn betrachtet, dann müssten Sie alle eigentlich Mitte Vierzig und Fünfzig sein, aber jetzt so aus dem Bauch hätte ich Ende Dreißig, Anfang Vierzig gesagt.“
 

„Was meinst du, wer der Älteste ist?“, hakte Hanji neugierig nach.
 

„General Smith. Allein schon wegen dem Rang“, antwortete Eren wie aus der Pistole geschossen.
 

„Fast, Erwin und Mike sind dieses Jahr 40 geworden, wobei Mike zwei Monate älter ist. Wie alt schätzt du mich?“ Hanji deutete mit dem Finger auf sich und schenkte ihm einen herzzerreißenden Welpenblick.
 

„16“, meinte Eren trocken und bevor er denken konnte, was ihm eine Millisekunde später erneut heiß werden ließ.
 

Doch die anderen brachen in Gelächter aus, sogar Levis Mundwinkel zuckten belustigt.
 

Hanji schlug ihm breit grinsend auf die Schulter.

„Na, geht doch! Du kannst auch locker sein, eh, Eren“, prustete sie gut gelaunt und zwinkerte ihm zu.
 

„Ich will gar nicht wissen, wie du in dem Alter warst“, schnaubte Levi, „Du warst mit 20 schon ein unerträgliches Miststück.“
 

„Heeey“, rief sie empört und gab nun Levi einen Klaps auf den Arm, „Es hat dir doch gefallen, wie ich dich immer gestalkt habe.“
 

Levi verzog nur die Mundwinkel verekelt, aber seine Augen verrieten gutmütiges Amüsement.
 

„Hanji ist 33 und unser Küken“, klärte Zacharias auf, als er sich beruhigt hatte und schob sich ein weiteres Brötchen in den Mund.
 

„Apropos Küken“, entfuhr es Eren erschrocken und stand abrupt auf, „Ich muss den Truthahn rausholen!“
 

Er stob in die Küche - hinter sich heiteres Gelächter - und war gerade noch rechtzeitig da, um den Vogel rauszuholen, ehe er austrocknete. Er stellte sich mit diesen Hightech-Öfen immer etwas an.
 

„Puh.“ Eren seufzte erleichtert und machte sich daran den Truthahn zu zerlegen.
 

Er hörte, wie sich die Türe hinter ihm schloss und drehte sich mit fragendem Gesichtsausdruck herum, nur um überrascht festzustellen, dass Levi hinter ihm an der Tür gelehnt stand. Im Gegensatz zu den anderen bewegte er sich wie ein Panther. Kraftvoll, geschmeidig und verdammt leise.
 

„Und? Hast du's versaut?“
 

„Nein. Aber daran gibt es auch nicht viel zu versauen. Ich habe schließlich im Grunde nur eine Marinade dazu machen müssen wegen den ganzen anderen Beilagen von Hanji“, lächelte Eren und wandte sich wieder dem Truthahn zu.
 

„Tsk. Sie hat es wieder mal übertrieben. Das Weib übertreibt ständig alles“, sinnierte Levi und trat neben Eren, um ihn zu beobachten, „Kannst du wirklich kochen?“
 

„Ja“, schmunzelte Eren und driftete in Erinnerungen ab, „Früher hat mich das nicht interessiert und immer nur genervt, wenn ich meiner Mutter in der Küche helfen musste. Erst als Mikasa dann bei uns gelebt hat, hab ich aus Eifersucht manchmal freiwillig mitgemacht. Allerdings hab ich die meiste Zeit trotzdem nur Unsinn getrieben und mir ständig in die Finger geschnitten. Erst nachdem meine Eltern umkamen und wir den Fraß im Kinderheim nicht mehr ertrugen, haben wir uns heimlich in die Heimküche geschlichen und dort versucht selber zu kochen. Bei zwei Elfjährigen kann man sich das Ergebnis anfangs vorstellen, aber mit der Zeit und dem Segen des Hausmeisters, der uns erwischt hatte, ist es besser geworden. Mittlerweile bin ich recht gut und Armin hat mich immer gezwungen zu kochen, als wir zusammengewohnt haben.“
 

Eren merkte plötzlich verlegen, dass er auf seinen Vorgesetzten gerade mit völlig unerheblichen, privaten Dingen eingeredet hatte und warf einen Blick zur Seite. In den sturmgrauen Augen spiegelte sich leichte Überraschung, aber Levi schien nicht genervt zu sein.
 

„Hm“, Levi lehnte sich mit dem Rücken an die Theke und verfolgte weiterhin sein Tun, „Bei uns bin ich der Einzige, der Nahrungsmittel nicht vergewaltigt und verstümmelt. Die anderen Drei kannst du in der Pfeife rauchen.“
 

„Unsere Gemeinschaftsküche hier ist auch nur Dekoration. Außer Sasha kocht keiner mal etwas und ich hüte mich davor ihnen zu zeigen, dass ich's kann.“
 

„Angst sie abzuweisen?“
 

Eren stockte kurz, dachte nach.

„Ich tue Leuten gerne Gefallen und kann sie schlecht ausschlagen, wenn es keinen triftigen Grund dafür gibt. Ich bin da wohl zu gutmütig.“
 

„Besser jemanden mal vor den Kopf stoßen als etwas gar nicht zu tun.“
 

„Ja, das stimmt schon...“ Eren richtete das Fleisch auf einer großen Platte zurecht und goss die Marinade darüber. Es roch fantastisch und er freute sich darauf nach all der Zeit wieder einen Truthahn essen zu dürfen.
 

„Okay, fertig“, Eren nahm die Platte und freute sich, dass Levi den Soßenspender nahm und ihm die Tür aufhielt, „Danke.“
 

„Wenn das so schmeckt wie es riecht, wird dich das Vierauge allein schon rausfliegen lassen, um dich als Koch anzustellen.“
 

Eren freute sich über das verkappte Kompliment und schöpfte daraus das Vertrauen seine Neugierde in Worte fassen zu dürfen.

„Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?“
 

„Versuch's.“
 

„Sind Sie und Hanji ein Paar?“
 

Levi blieb mitten im Raum stehen und sah ihn an, als hätte er drei Köpfe - und bereit jeden einzelnen davon abzuschlagen. Wenn er sich bei dem Blick nicht fast in die Hose gemacht hätte, hätte er darüber lachen müssen.
 

„Wie war das?“, hakte Levi mit gefährlich leiser Stimme lauernd nach.
 

„Ähm-“ Mehr brachte Eren nicht über die Lippen. Was war so schlimm an der Frage?
 

„Wie kommst du auf so eine schwachsinnige Idee?“
 

„Nur so vom ganzen Verhalten her... Es wirkte sehr vertraut.“ Wer traute sich denn sonst den General-Leutnant ständig zu umarmen und anscheinend hatte sie ja mal ein Auge auf ihn geworfen gehabt...
 

„Wir kennen uns seit vierzehn Jahren“, erklärte Levi und sah ihn befremdet an, „Wir haben den Vierten Weltkrieg zusammen durchgemacht. Und es ist Hanji.“ Der letzte Satz sollte nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen alles erklären.
 

„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen, oder so...“, stammelte Eren mit heißem Kopf.
 

Levi schnaubte, aber seine Körperhaltung entspannte sich deutlich.

„Ich bin nicht beleidigt. Ich bin nur verblüfft, dass jemand auf so eine abwegige Idee kommen könnte.“
 

„Entschuldigung.“
 

„Wenn du dich heute Abend noch einmal für irgendetwas entschuldigst, trete ich dir so hart in den Arsch, dass du an meiner Schuhspitze nuckeln kannst“, verkündete Levi trocken und drehte sich um.
 

Eren nickte und folgte ihm verschreckt.
 

*~*
 

Zufrieden ließ sich Hanji neben Levi auf die Couch fallen. Sie hatte sich überfressen und fühlte sich träge. Das Essen und vor allem der Truthahn waren fantastisch gewesen. Sie hatte kaum mit dem Essen aufhören können.
 

Levi hielt sich an einem Weinglas fest und ignorierte sie geflissentlich.
 

„Glaubst du, ich kann von Eren verlangen, dass er für uns kocht, bis die Ferien vorbei sind?“ Sie starrte so lange auf Levis Profil, bis er so genervt war, dass er ihren Blick erwiderte. Das funktionierte fast immer.
 

„Du kannst dir ja kochen beibringen lassen.“
 

„Das wäre sicherlich lustig“, grinste sie bei dem Gedanken an das vermutliche Chaos dabei.
 

Sie blickte wieder zum Küchentisch. Die Jungs hatten Eren dazu überredet ihm Poker beizubringen und er lernte erstaunlich schnell.
 

„Was hältst du von ihm“, erkundigte sich Hanji wohlwissend, dass sie außer Hörweite waren.
 

„Was soll ich schon von ihm halten? Er ist ein stures Kind mit großem Potenzial, das Angst vor der eigenen Courage hat.“
 

Hanji grinste bei Levis Worten in sich hinein.

„Ja, ja. Mit der falschen Behandlung kann man das beste Rennpferd zum alten Klepper verkommen lassen.“
 

Levi trank einen großen Schluck, Verachtung in den Augen. Er hatte selbst viele Arschlöcher erdulden müssen, die versucht hatten ihn kaputt zu machen.
 

„Wenn er sich in den Stresstests gut schlägt und auch deine Teamwork-Einsätze meistert, können wir aus ihm richtig etwas machen. Er braucht nur die richtige Anleitung beziehungsweise noch mehr von deiner Anleitung.“
 

„Werte mich hier nicht zum Mentor auf.“
 

„So wie er dich anhimmelt, bist du das schon längst.“
 

Levi sah sie auf diese Aussage hin befremdet an und schweifte mit seinem Blick anschließend zu Eren, der am Pokertisch schwitzte.
 

Hanji wusste, dass Levi sich vor emotionalen Bindungen scheute und er sich sowohl unwohl mit Anerkennung fühlte als auch kaum ertrug, wenn jemand ihn durchschaute. Die Aussicht, dass er sich unter Umständen um Eren aus persönlich begründeter Verantwortung kümmern könnte, ließ ihn zurückschrecken.
 

Und das wollte Hanji unter allen Umständen verhindern.

„Du bist der Einzige, der dem Jungen die Gelegenheit gibt sich weiterzuentwickeln. Man erkennt deutlich an seinen manchmal forschen Worten und seinem Einsatzwillen, dass er im Grunde einen starken Charakter hat und ein ehrlicher, mutiger Mensch ist. Ich kann nur erahnen, dass seine vorherigen Ausbilder und Vorgesetzten davon verschüchtert und unfähig waren und ihn deswegen systematisch gedrückt haben. Und nun können wir ihm die Chance geben alles aus sich herauszuholen.“
 

„Und warum soll ich Babysitter spielen? Ich bin kein Seelenklempner. Mach du das halt.“
 

„Weil du ihn verstehen kannst. Ich kann es nur nachvollziehen. Das ist ein großer Unterschied“, erläuterte sie und lächelte dann schelmisch, „Außerdem scheint ihm deine direkte Art und Holzhammer-Methode zu liegen.“
 

„Tch.“ Levi wandte sich von ihr ab als hätte sie ihn beleidigt und füllte sein Glas nach.
 

Sie würde den Teufel tun und ihm sagen, dass sie den Eindruck hatte, dass Eren durch Levis Fassade blicken konnte. Hanji hatte keine Ahnung, wie es ihm gelang, aber er las womöglich mindestens genauso gut in seinen Augen wie sie. Das durfte Levi nicht erfahren, er würde sich sofort zurückziehen.
 

Irgendwie hatte Eren es geschafft Levis Ehrgeiz zu entfachen und dass er sich wohler in seiner Haut fühlte, gleichzeitig konnte Levi ihm beibringen seine Möglichkeiten und Grenzen zu akzeptieren.

Sie taten einander momentan gut und Hanji hoffte, dass es so blieb und Levi sich langsam erholen würde.
 

*~*
 

Es war weit nach Mitternacht, ehe sich Eren von seinen Vorgesetzten verabschiedete.
 

Erwin und Mike - er durfte sie nun auch beim Vornamen nennen - hatten ihn beim Poker ziemlich ausgenommen. Zwar konnte er die eine oder andere Runde für sich entscheiden, aber es stand in keinem Verhältnis, sodass sie ihn pleite machten und Hanji als Ausgleich vorgeschlagen hatte, dass er für sie alle fünf bis zum Ferienende kochte.
 

Eren war das ganz recht. Er brauchte sein Geld und Kochen machte ihm Spaß. Außerdem verbrachte er gerne Zeit mit den anderen und hoffte, noch viel von ihnen und über sie lernen zu können.
 

Eren wollte gerade die restlichen Lebensmittel aufräumen, bevor er schlafen ging und hatte daher mit Hanji abgesprochen, dass er die Haustür zuziehen würde, während die anderen zu Bett gingen. Levi war bereits vor geraumer Zeit plötzlich verschwunden gewesen, doch es schien keinen wirklich zu stören.
 

Seufzend rieb er sich über die müden Augen, während er alle Essensreste in verschließbare Glasschüsseln ordnete, sodass nichts schlecht wurde.
 

Die Tür wurde hinter ihm geöffnet, was ihn sich verwundert umdrehen ließ.
 

Levi stand da. Er trug lediglich schwarze Shorts und ein dunkles Shirt, scheinbar sein Schlafgewand, und blickte ihm mit erhobener Augenbraue entgegen.

„Hast du's so nötig, Schleimer?“, begrüßte er ihn mit leicht rauer Stimme.
 

Eren war zu müde, um sich in irgendeiner Form in Panik versetzen zu lassen.

„Die Anderen waren so erheitert und abgelenkt, dass ich mich lieber selber um das Essen und Geschirr kümmern wollte. Es gab auch keine Einwände.“
 

„Tch. Auch eine Art, um stockbesoffen und faul zu umschreiben. Was schert es dich?“
 

„Eigentlich gar nicht“, erwiderte Eren und beobachtete, wie Levi in die Küche trat und die Tür hinter sich schloss.
 

„Warum lässt du's dann nicht liegen, wenn du dich nicht einschleimen willst?“
 

Eren schnaubte. Ihm war ehrlich gesagt gar nicht der Gedanke gekommen, man könne ihn als Arschkriecher sehen. Das Essen und alles war einfach übrig geblieben und bevor es schlecht wurde, hatte er sich eben dem angenommen. Aus Anstand.
 

Aber eigentlich... hauptsächlich...
 

„Ich wollte noch nicht schlafen gehen.“

Eren wandte sich von Levi ab und verschloss die letzte Schüssel.
 

Er achtete nicht weiter auf den General-Leutnant, als er die ganzen Schüsseln im Kühlschrank ordnete, um auch die Letzte verstauen zu können.
 

Er hörte ein Klicken und Klappern, drehte sich um und sah Levi das Geschirr in die Spülmaschine räumen.
 

„Sie müssen nicht-“
 

„Ich weiß, Rotzlöffel“, unterbrach und ignorierte er ihn.
 

Eren atmete tief durch und begann währenddessen die Ablage zu wischen und ging auch in den Aufenthaltsraum, um die letzten Brösel vom Küchentisch in eine Handschaufel zu kehren.
 

Levi stieß kurze Zeit später zu ihm.
 

„Können Sie mir eventuell mit dem Tisch helfen?“, fragte Eren ihn.
 

Levi sah ihn ausdruckslos an.

„Nein, dass sollen die anderen gefälligst selber machen. Die sind Schuld an dem ganzen Zirkus.“
 

„Warum sind Sie so mies gelaunt? Es war doch lieb von ihnen sich die Mühe zu machen.“ Eren sprach schneller als er dachte, aber obwohl ihm Levis Blick daraufhin schlimme Schmerzen versprach, empfand er Unverständnis und sogar leichte Wut für Levis undankbares Verhalten.
 

„Ich habe nicht darum gebeten“, grollte Levi mit tiefer, bedrohlicher Stimme.
 

„Dennoch war es eine sehr liebe Geste. So etwas machen nur gute Freunde und... argh.“ Eren biss sich auf die Zunge, um sich nicht weiter um Kopf und Kragen zu reden.
 

Er wandte sich von Levi ab und wischte nochmals über die Tischkante. Ein Fehler.
 

Im nächsten Augenblick wurde sein Kopf kraftvoll auf die Tischplatte geschlagen. Er konnte ihn gerade so noch rechtzeitig drehen und sich mit den Händen soweit dagegenstemmen, dass er mit der Wange auf das Holz gedrückt wurde und der einzige Schmerz im Endeffekt von der Hand in seinen Haaren herrührte, die sich fest in ihnen verkrallt hatte.
 

„Du kleines wertloses Stück Dreck glaubst wirklich mich belehren zu müssen“, zürnte Levi mit kalten Augen. Eren wurde deutlich bewusst, wie gefährlich dieser Mann sein konnte. Aber witzigerweise fand er diesmal keine Furcht oder Unsicherheit in sich.
 

Entschlossen und ungebrochen starrte Eren Levi direkt an.

„Ich will Sie nicht belehren. Ich verstehe nur nicht, warum Sie den ganzen Tag versucht haben vor ihnen zu fliehen, obwohl sie Sie wirklich mögen und Ihnen nur Gutes wollen.“
 

Der Griff in Erens Haar verstärkte sich und er wurde etwas fester auf den Tisch gepresst, doch trotz der Schmerzen und Demütigung rührte Eren sich keinen Millimeter. Er würde nicht nachgeben und nicht aufbegehren.
 

Mit einem abfälligen Schnauben riss Levi Eren an den Haaren nach hinten und ließ los, sodass er hart auf den Hintern fiel. Automatisch fasste er sich an den Kopf und rieb sich widerwillig seufzend über seine brennende Kopfhaut.
 

„Du elendiges Balg brauchst nichts zu verstehen. Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß und steck deine Nase nicht in Angelegenheit, die dich 'nen feuchten Scheißdreck angehen.“ Levi stand bedrohlich vor ihm und trotz der Boxershorts strahlte er so etwas angsteinflößendes aus, dass Eren nun doch kurz nach Luft schnappte.
 

„Ich weiß, es stand mir nicht zu, Sir. Aber deswegen müssen Sie nicht gleich körperlich werden.“
 

Eren konnte gar nicht so schnell gucken, wie Levi vor ihm hockte, ihn am Kragen gepackt und vor sein Gesicht gezogen hatte. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast und er spürte Levis gleichmäßigen Atemzüge auf seinem Mund und Kinn. Er bemerkte den Duft frisch gewaschener Wäsche und etwas anderem - Levi roch gut.
 

Eren wusste nicht, ob sein Herz aus aufkommender Panik begann zu rasen oder weil Levi so arg in seinen Intimbereich eingedrungen war, dass er jede Pigmentmaserung in den sturmgrauen, zornigen Augen erkennen konnte.
 

„Warum sind Sie so wütend?“, entfuhr es Eren aufrichtig. Seine Gedanken überschlugen sich, als ihm klar wurde, dass Levi ihn nicht wegen seiner Umgangsart zur Rechenschaft zog, sondern weil es ihm gelungen war in einer offenen Wunde zu bohren.

Doch welche?

Was genau hatte er gesagt?
 

Levi schnaubte und sein Atem roch nach Eukalyptus.

„Du bist mir verdammt ähnlich, Scheißbalg.“
 

Er lockerte seinen Griff und entspannte seine Haltung, auch der Ausdruck seiner Augen beruhigte sich. Er hatte seine Emotionen wieder unter Kontrolle.

„Aber im Gegensatz zu mir laberst du weiter Müll, anstatt zu überlegen, wie du dich aus der Misere befreist.“
 

Levi ließ ihn los und stand ruckartig auf.

„Daran müssen wir noch arbeiten.“
 

Perplex beobachtete Eren, wie Levi ihn hocken ließ und aus dem Raum schritt. Er war zwar irritiert, aber eine Erkenntnis drang in seinen verworrenen Gedanken hervor.
 

„War das ein Angebot zu extra hartem Ferientraining, Sir?“
 

Levi schnaubte abermals. Es klang amüsiert.

„Eine Drohung und ein Versprechen.“
 

Die Worte zogen Erens Lippen zu einem breiten Grinsen auseinander.
 

Das Grinsen sollte ihm in den darauffolgenden Tagen jedoch gründlich vergehen.
 

*~*
 

Er war ein hervorragender Trainer, daran änderte sein immenses Widerstreben eine Leitfigur zu sein herzlich wenig.
 

Natürlich hatte er über die Jahre gelernt Leute anzuführen, Verantwortung zu übernehmen und auch konstruktiv - zumindest eine Zeit lang - auf Idioten einzuwirken und sie zu fördern.
 

Der Krieg hatte ihm alles entrissen und er war zu dem namenlosen Straßenköter verkommen als der er geboren worden war. Doch erneut hatte Erwin ihn aus dem apathischen Sumpf gezogen und ihn mit seiner größten Angst konfrontiert: der Realität.
 

Und wieder war er scheiß fantastisch in seinem Job und drillte diese Gören in die richtige Richtung. Er hatte ein verdammtes Talent dafür das Beste aus den Leuten herauszukitzeln und sah jedes Mal selbst erstaunt auf sein Werk wie ein Kind aufs Töpfchen, das nicht glauben konnte, dass dieser Haufen Kacke aus seinem Arschloch gekommen war.
 

Es entzog sich ihm, warum er so gut sein konnte und die anderen eben nicht. Dass er unwillkürlich besser war als der Durchschnitt. Seine Kameraden sagten, es sei eine Gabe. Und Gaben dürfe man nicht verschwenden, schon gar nicht davor weglaufen.
 

Levi wusste nicht mehr, wohin er laufen sollte. Er war noch nicht alt - obgleich er mehr gesehen und erlebt hatte als so manch alter Knacker - viel Leben lag noch vor ihm. Und da er sich nicht einfach zum Sterben hinlegen konnte, ohne seinen gefallenen Kameraden unrecht zu tun, war er Erwins Ruf gefolgt.
 

Sie hatten sich über die Jahre hinweg angefreundet. Es war keine passionierte Freundschaft, sondern eine stille. Es hatte sich zwischen ihnen ein tiefes Verständnis für den anderen entwickelt, ohne dass sie lange Gespräche führen mussten. Sie hatten gelernt einander zu vertrauen und Erwin war der einzige Mensch, dem Levi blind gehorchte; der Einzige der seine Starrköpfigkeit überwunden hatte.
 

Er hatte es also versucht.
 

Jetzt war er fast ein Jahr im Ausbildungslager und musste feststellen, dass es ihn veränderte. Er begann sich selbst wieder zu spüren, fühlte sich jeden Tag mehr als Mensch und es war erschreckend.
 

Erwin hatte ihm nach anfänglicher Unentschlossenheit die Zügel überlassen und die Ausbilder entlassen, die nicht mit Levi zurecht kamen, und ihm damit großes Vertrauen bewiesen.

Er wollte sich nicht vorstellen, was für Ärger Erwin mit den Ausbildern und den Regierungsfutzis wegen dieser Maßnahme gehabt hatte.
 

Dieses Vertrauen gab ihm Kraft.
 

Hanji um sich zu haben, war für Levi viel schwieriger. Sie war laut, frech, indiskret und penetrant. Sie hatte ihn seit ihrer ersten Begegnung fuchsteufelswild gemacht und geliebt. Er hatte sicherlich alles unternommen, um sie zu verschrecken, außer sie ernsthaft verprügelt. Nichts hatte das enthusiastische, verrückte Weibsbild von ihm abgehalten. Sie war der erste Mensch, bei dem Levi es aufgab sich durchsetzen zu wollen. Kaum hatte sie seine Resignation bemerkt, war Hanji zu einer zwar immer noch heillos aufgeputschten, aber ebenso geerdeten, klugen Kameradin geworden, die Levi mit ihrer Freundschaft so lange erdrückte, bis er sie ebenso sehr mochte.
 

Ihre Art mit ihm umzugehen war heilsam.
 

Auch mit Mike kam Levi zurecht. Er war eine Mischung aus ruhiger Ernsthaftigkeit und schalkhaftem Vergnügen. Er schaffte ein Gleichgewicht zwischen ihnen allen.
 

Nun war Levi so weit sich zu fragen, wo er dabei stand.
 

Er verabscheute den Gedanken, dass seine Kameraden versuchten ihm zu helfen. Er begann wieder sich selbst finden zu wollen.
 

Wer war er vor Kriegsende gewesen?

Wie noch vor der Zeit als Soldat?

Wer war er heute?
 

Nach fast fünf Jahren wollte er die Antwort darauf finden.
 

Er hätte nie gedacht, dass der Auslöser dieser Erkenntnis ein vorlautes Balg sein würde.
 

Eren Jäger war ihm bereits am ersten Tag aufgefallen. Er hatte dieses entschlossene Funkeln in den frappierend grünen Augen, als er durch die Reihen der Rekruten gegangen war. Levi hatte gesehen, dass sich dieser junge Mann anstrengen würde und mit Überzeugung an die Ausbildung ranging.

Anders als so manches karrieregeile oder unsichere Bürschchen.
 

Levi hatte auch die Wut gesehen, als er den blonden Jungen neben ihm angeredet hatte, der sich als sein bester Freund herausstellen sollte. Aber das grünäugige Balg hatte sich nicht eingemischt, sodass Levi ihn ignoriert hatte.
 

Levi bemerkte während der ersten Trainingseinheit, dass Eren Jäger ein sturer Bock, um Gerechtigkeit bemüht und völlig verschreckt von Autoritätspersonen war. Letzteres überraschte Levi, denn normalerweise war er es, der die Leute einschüchterte und nicht sein Rang, doch die expressiven, grünen Augen verrieten ihm, dass Eren ihn zwar respektierte, aber keineswegs fürchtete. Damit hob er sich von nahezu allen anderen Rekruten ab.
 

Er verstand nun, warum Eren sich von Höherrangigen einschüchtern ließ und auch warum Hanji der Meinung war, dass er das Balg am besten fördern konnte. Das war ihm während des Zusatztrainings nach Erens Krankheit selbst aufgefallen.
 

Eren brauchte ihn, wie er Erwin gebraucht hatte. Jemand der ihn richtig förderte.
 

Überraschenderweise empfand er es nicht als lästig so viel Zeit in Erens Training zu investieren und ihre freiwilligen kleinen Schwimmwettkämpfe waren zu etwas geworden, worauf Levi gerne fast jeden Abend zurückkam.
 

Eren war so voller Leben, trotz aller Schicksalsschläge und Widrigkeiten. Er färbte auf Levi ab und erzeugte in ihm ein Bedürfnis ihn zu führen.
 

Er begann Eren zu schätzen.

Und er begann zu akzeptieren, dass auch er geschätzt wurde.

Er erkannte, dass seine Kameraden - nein, Freunde - ihn wertschätzten und er mit ihnen noch etwas besaß, das der Krieg ihm nicht geraubt hatte.
 

In all der Dunkelheit, in die er gestürzt war, hatte er dies nicht erkennen können.
 

Nun war er dankbar, dass Erwin ihn, Hanji und Mike geholt und zusammengeschmissen hatte.
 

All dem zum Trotz mochte Levi es nicht, wenn man in seine Privatsphäre platzte und ihn mit der Nase in die Scheiße drückte.
 

Genau das hatte Eren in der Nacht nach seinem Geburtstag getan. Er verabscheute es, wenn man über ihn urteilte und er hätte bei jedem in diesem Moment barsch reagiert. Im Unterschied zu jedem, hatte dieses Rotzbalg jedoch eine ungeheuer ehrliche Schnauze und zu wenig gesunden Menschenverstand, der ihm sagte, wann er sie zu halten hatte. Deswegen hatte Levi grob reagiert und durfte mit Erstaunen feststellen, wie mutig Eren im Grunde war und wie bekannt ihm der Ausdruck in den grünen Augen vorkam.
 

Nichtsdestotrotz hatte Eren quasi um eine Lektion gebettelt und die bekam er in den folgenden Tagen auch.
 

Levi hatte neben dem üblichen Schwimm- und Lauftraining auch Selbstverteidigung auf den Plan gesetzt, was er noch nie mit Eren allein praktiziert hatte. Es war nicht nötig gewesen, da die Rekruten sich untereinander eher verbessern konnten, als wenn sie von Levi auseinandergenommen wurden.
 

Gegenwärtig verschaffte ihm dies jedoch die Gelegenheit dem vorlauten Balg eine Abreibung nach der anderen zu verpassen, ohne dass es verpönt war.
 

Levi war es egal, dass er sich wie ein Arsch benahm und sich in Schadenfreude suhlte, wenn er Eren flachlegte und der bedauernswerte Junge am Ende des Tages kaum noch für Hanji kochen konnte, weil ihm sämtliche Knochen wehtaten.
 

Es trat genau das ein, was Levi erwartet hatte. Nach den ersten beiden Einheiten hatte Eren so viel Staub gefressen, dass er die Schnauze gestrichen voll hatte und sein Gehirn anwarf. Ganz langsam begann er Levis Vorgehen zu begreifen und ihn zu analysieren.
 

Am fünften Tag gelang es Eren sodann zum ersten Mal erfolgreich ihn zu packen und seitlich gedreht auf dem Boden festzunageln.
 

Schwer atmend saß Eren auf seiner Hüfte, seine Beine fixierend um Levis geschwungen, mit beiden Händen die seinen festhaltend und die Stirn fest auf seine Schläfe pressend. Damit verhinderte er, dass Levi seinen Kopf und seine Extremitäten bewegen konnte, geschweige denn seinen Körper, der durch Erens Gewicht in die Matte gedrückt wurde.
 

„Und jetzt du Genie?“, fragte er abschätzig und völlig ruhig, „Wie willst du mir so Handschellen anlegen, Saftsack?“

Er spürte, wie Eren von der vorangegangenen Anstrengung zitterte, doch sein Griff blieb zu fest, um sich befreien zu können. Noch.
 

„Ich weiß noch nicht“, keuchte Eren ihm atemlos ins Gesicht, was Levi schnauben ließ.
 

Er bemerkte, wie Eren sich bemühte ihn nicht zu sehr anzuschnaufen, aber sie waren sich zu nah, um es gänzlich zu vermeiden und im Augenblick gab es nichts nebensächlicheres, weswegen Levi sich über seine Umsicht wunderte.
 

„Wenn ich jetzt los lasse, werd ich grün und blau geschlagen, nicht?“ Es war eine rhetorische Frage.
 

„Das bist du schon, also was gibt es zu befürchten?“, erwiderte Levi dennoch und spürte Eren amüsiert ausatmen.
 

„Fuck“, fluchte er, ließ jedoch nicht locker.
 

„Auf was warten wir?“ Langsam verlor Levi die Geduld. Er mochte es nicht allzu sehr, verdreht und mit 'nem Sandsack auf sich am Boden zu liegen.
 

„Darauf das jemand kommt?“, erwiderte Eren mit hoffnungsvoller Stimme.
 

Levi seufzte und spannte seinen Körper an, in dem Versuch sich zu befreien, doch mehr als den Kopf konnte er nicht bewegen und auch den fixierte Eren schnell wieder, indem er sich weiter nach vorne beugte und somit mehr Druck mit seiner Stirn auf Levis Schläfe ausüben konnte.
 

Sein Gesicht war nun noch stärker an ihn gepresst und seine Haare und sein Atem kitzelten Levi am Hals, sodass er kurz schauderte.
 

„Oh Gott, verdammt nochmal, du dämliches Balg! Mach schon mal was!“, murrte Levi ungeduldig und atmete tief durch.
 

„Ich häng' hier fest“, jammerte Eren. Es war das erste Mal, dass er sich solch eine Schwäche zu zeigen erlaubte.
 

„Armselig.“
 

„Sagt derjenige, dessen jede einzelne Faser aus purer Kraft besteht.“
 

„Dann mach mehr Krafttraining, wenn du zu schwächlich bist, Jammerlappen.“
 

„Das ist ja das Verwunderliche!“, echauffierte sich Eren, „Ich bin durchtrainiert und größer und trotzdem schaff' ich's einfach nicht!“
 

„Du bist eine lahme Ente“, erwiderte Levi, „Aber wenn es dich tröstet, Prinzessin, mich legt kaum einer flach.“
 

„Das... Hm“, machte Eren amüsiert und ließ für eine Millisekunde ein wenig lockerer.
 

Levi begriff, wohin seine Gedanken abgewandert waren. So ein Idiot.
 

„Wie alt bist du? Muss ich mir auch noch Sorgen machen, dass du einen Ständer kriegst?“
 

„Wa- Was?“, stotterte Eren und zuckte leicht zusammen.
 

Er war nur kurz abgelenkt, doch es reichte Levi, um seinen Kopf zu befreien und ihn gegen Erens Nase zu schlagen. Zwar nicht fest, aber schmerzhaft genug, sodass Eren sich automatisch etwas zurückbeugte.

Gleichzeitig nutzte er die kurzzeitige Lockerung seines Griffs, um ein Handgelenk zu befreien, sich auf dem Boden abzustützen und unter großer Kraftanstrengung zu drehen.
 

Eren rutschte hilflos mit, sodass Levi seine zweite Hand freibekam und sich aus der Umklammerung seiner Beine lösen konnte.
 

Ab da war es ein leichtes den überraschten Jungen unter sich zu bekommen.
 

Levi lag mit dem Oberkörper flach auf Eren, seine Hüfte jedoch gedreht und seine Beine um Erens geschlungen. Den einen Arm hatte er unter seinem Nacken, fixierte diesen mit der Armbeuge, und die andere Hand hielt eine ungeladene P8, deren Lauf er ihm in die Seite drückte.
 

„Fuck! Fuck! Fuck!“, fluchte Eren mit geschlossenen Augen. Er hatte verloren. Zwar hatte er beide Hände frei, aber ausrichten konnte er mit ihnen nichts mehr, wäre die Waffe geladen.
 

So beschränkte er sich darauf die Hände an Levis Seiten abzustützen, als wolle er ihn wegschieben.
 

Levi konnte es nicht lassen und beugte sich ein wenig vor.

„Du bist anscheinend sehr unausgelastet“, flüsterte er in Erens Ohr, „Vielleicht solltest du mal ins Hurenhaus? Oder bist du noch Jungfrau, hm?“
 

Zu Levis Belustigung lief Erens Gesicht puterrot an und er schlug seine großen grünen Augen auf, um ihn verstört anzublicken.
 

„N-Nein,... ich...“, stotterte Eren vor sich hin.
 

Levi konnte nicht umhin sich darüber zu amüsieren und den Spaß höher zu treiben.
 

„Was denn, Eren? Hm? Bring ich dich so aus der Fassung?“, raunte er ihm ins Ohr und wanderte mit dem Lauf der P8 von seiner Taille betont langsam zur Hüfte runter.
 

Diesmal versuchte sich Eren zusammenzureißen. Er atmete bewusst tief durch und fokussierte seinen Blick. Sein Ausdruck hatte sich geändert, war nun klar und selbstbewusst.
 

„Sie wissen schon, dass das unter sexuelle Belästigung fällt?“, erklärte Eren ernst, doch seine Augen blickten ihm gelassen entgegen. Er fühlte sich nicht unwohl. Zumindest nicht auf diese Weise.
 

„Pfft“, machte Levi und richtete sich auf, sodass er auf Erens Hüfte saß, „Stimmt, bei den Polizisten fällt ja alles gleich unter sexuelle Belästigung. Im Militär musst du schon gegen die nächstbeste Wand gefickt werden, um von sowas reden zu können.“
 

„Das ist ja furchtbar!“, entfuhr es Eren ungläubig, „Das muss schrecklich für die Frauen sein.“
 

„Von wegen. Gerade die Frauen waren es, die jede Nacht einen anderen mit in ihre Zelte geschliffen haben. Hanji, das alte Luder, kann dir das bestätigen.“
 

Eren war baff.

„Das muss ja sehr bunt zugegangen sein“, kommentierte er trocken.
 

„Wenn du jahrelang durch die Lande streunst, meist mit denselben Leuten zusammen bist... Wie mir auffiel haben sich hier auch ein paar Pärchen gefunden.“
 

„Schon, aber in der Akademie und auf meinem Revier waren offene Beziehungen unter den Kollegen verboten.“
 

„Wie steif. Beziehungsweise eben nicht“, sinnierte Levi und schob die Waffe ins Halfter.
 

„War es denn erlaubt oder hat man diese... sexuellen Eskapaden lediglich toleriert?“
 

„Solange es von den Frauen ausging wurde darüber hinweggesehen, aber wenn Männer Frauen belästigten, wurde hart durchgegriffen. Bei gleichgeschlechtlichen Affären war es logischerweise unproblematisch.“
 

„Sodom und Gomorrha.“
 

„Tch. Bist du prüde oder nur Jungfrau?“, fragte Levi ungeniert und durfte erneut einen rot anlaufenden Eren beobachten.
 

„Weder noch!“, brachte der hervor, „Ich bin nur etwas konservativ.“
 

„Also prüde oder Jungfrau“, schloss Levi.
 

„Nein! Schon seit ich Zwanzig bin nicht mehr!“, rief Eren. Seinen geröteten Ohren nach zu Urteilen anscheinend bevor er nachgedacht hatte.
 

Levi blickte überrascht auf ihn hinunter.

„Das musste ich jetzt unbedingt so genau wissen“, meinte er sarkastisch und verschämte den Jungen noch mehr, „Und Zwanzig ist alt.“
 

„W-Was? Zwanzig ist nicht alt!“, begehrte Eren empört auf, „Das ist der absolute Durchschnitt! Auch wenn selbst Armin früher dran war...“

Letzteres murmelte er bloß noch, doch Levi verstand jedes Wort.
 

„Okay, das ist jetzt traurig. Selbst dein schüchterner Freund hat seinen Schwanz früher benutzen können.“
 

Levi sah, dass Eren innerlich ruderte. Seine Worte ärgerten und verschämten ihn gleichermaßen, gleichzeitig konnte er sich dagegen nicht so wehren, wie er das bei Gleichgestellten hätte tun können. Levi war neugierig darauf, wie Eren damit fertig wurde.
 

„Er hat halt früher ein passendes Mädchen gefunden“, murrte Eren schließlich.
 

„Und du warst eine kleine wählerische Jungfer, die sich für die große Liebe aufsparte?“ Levi klang abschätzig.
 

„Wenn es so wäre, dann wäre ich tatsächlich noch Jungfrau, aber nein, bei mir hat es eben länger gedauert, bis ich mich auf diese Weise von jemandem angezogen gefühlt habe. Und daran gibt es nichts zu mäkeln“, verdeutlichte ihm Eren mit fester Stimme, der Ärger verflogen.
 

Levi gefiel Erens Reaktion.
 

„Also bist du prüde“, resümierte er ausdruckslos, was Eren resigniert Schnaufen ließ.
 

„Und Sie sind ungehobelt und indiskret“, entgegnete Eren bemüht ruhig.
 

„Friss oder stirb.“
 

Erens Blick schien ihn daraufhin zu durchbohren. Es war in Ordnung. Levi war zufrieden mit Erens Verhalten und hoffte, dass Hanji es bei ihren bevorstehenden Tests auch sein würde.
 

„Dein Benehmen gegenüber Vorgesetzten lässt ganz schön zu wünschen übrig, Balg“, tadelte er ihn mit herablassender Stimme.
 

„Wäre nicht das erste Mal, Sir“, grinste Eren plötzlich frech, sodass seine Augen belustigt blitzten.
 

Ein angenehmes Gefühl wanderte seinen Bauch hinauf in seine Brust, als Levi anfing dieses Spielchen zu genießen. Er beugte sich wieder hinab, diesmal wurde er jedoch von Erens Händen an der Brust auf halber Höhe gebremst.

„Wären wir im Militär würden mir einige Dinge als Maßregelung für dich Grünschnabel einfallen“, raunte er lasziv.
 

Levi wagte es nicht sein Becken gegen Erens zu drücken, das würde tatsächlich den Rahmen der guten Sitten sprengen und er konnte nicht einschätzen, wann bei dem Jungen der Spaß aufhörte.
 

Jedenfalls brannten dessen Wangen und die grünen Augen starrten ihn wieder verunsichert an. Aber immerhin, andere hätten nie den Blickkontakt halten können.
 

Levi zuckte mit der Augenbraue und griff nach Erens Handgelenken. Er leistete keinen Widerstand, als er sie jeweils neben seinem Kopf festhielt und sich abermals zu seinem Ohr runter lehnte.

„Wenn dich dieses Thema so aus der Fassung bringt, sollte ich vielleicht Hanji davon erzählen, damit sie dich bei ihren Psycho-Tests damit triezt, hm?“, hauchte er selbstzufrieden, als er Erens Schaudern spürte.
 

Nicht gerechnet hatte er damit, dass Eren beschloss sich aufzusetzen.
 

Eren erhob seinen Oberkörper und schob Levi somit zurück. Da er jedoch immer noch auf seiner Hüfte saß, schlang Eren instinktiv die Arme um seinen Rücken, um nicht wieder nach hinten zu fallen. Levi musste sich ein wenig stärker mit den Knien abstützen und sich leicht erheben, damit er nicht mitgezogen wurde.
 

Sie waren sich unerhört nah. Ihre Oberkörper lagen flach aufeinander, Erens Kinn lag auf seiner Schulter und die Hände unterhalb seiner Schalterblätter. Er konnte sogar den schnellen Herzschlag des Jungen spüren.
 

Normalerweise verabscheute Levi so engen Körperkontakt, abgesehen davon, dass es ihren Handlungen nun an jeglicher sportlicher Bedeutung mangelte. Im Moment störte es ihn jedoch herzlich wenig, zu neugierig war er darauf, wie sich Eren aus dieser Situation lavieren wollte.
 

Er überraschte Levi erneut.
 

„Wer sagt denn, dass es auch Hanji gelingen könnte, mich so aus der Fassung zu bringen?“ Erens Stimme triefte nur so vor anrüchigen Versprechungen und war tiefer und rauer als gut für ihn war. Simultan fuhr Eren mit den Fingerspitzen hauchzart von seinen Schultern zu seiner Taille hinab, was Levi sämtliche Härchen aufstellen ließ.
 

Das war der Augenblick, an dem es ihm zu viel wurde und er sich schwungvoll und ungehindert von Eren erhob.
 

Ihm lagen bereits allerlei gehässige Kommentare auf den Lippen, als ihn der Ausdruck in Erens Augen die Sprache verschlug.
 

In den grünen Augen spiegelte sich offener Triumph und ein selbstherrliches Grinsen zierte seine Lippen. Dieses elendige Scheißbalg hatte es darauf angelegt und geschafft ihn zum Rückzug zu bringen, wurde Levi schlagartig bewusst.
 

Eren erkannte Levis Verblüffung wohl, denn er grinste, wenn möglich, noch breiter und funkelte ihn verschmitzt an.
 

„Das gefällt dir Gör' jetzt“, stellte Levi trocken fest und empfand keinerlei Verdruss.
 

„Oh ja und wie“, lachte Eren und stand ebenfalls auf, sichtlich mit einigen Schmerzen von den vorangegangen Raufereien.
 

„Erwins tote Mutter bewegt sich eleganter als du“, kommentierte Levi seinen Zustand.
 

„Sie wurde wahrscheinlich auch nicht x-Mal von Ihnen niedergemäht“, seufzte Eren und rieb sich sein bläuliches Handgelenk.
 

„Tch. Dann freu dich, dass du die nächsten neun Tage frei hast.“
 

„Wie frei?“ Eren betrachtete ihn völlig perplex wie ein Welpe, dem man sein Lieblingsspielzeug aus dem Maul genommen hatte.
 

„Hanji ist der Meinung, dass wir zu viel trainieren und du dich ausruhen musst und damit hat sie recht.“ Wenn er Eren so ansah, war es womöglich etwas zu viel des Guten, insbesondere, wenn man die bevorstehenden Ausbildungseinheiten berücksichtigte. Er wollte nicht, dass Eren sich übernahm.
 

Levi ging aus der Turnhalle, hörte jedoch Schritte hinter sich.

„Und Sie sind auch dieser Meinung?“
 

„Ja.“
 

Er hörte, dass Eren ihm hinterherging, doch er schwieg bis sie vor dem Gebäude standen und sich ihre Wege trennten.
 

„Levi“, begann Eren und lächelte ihn spitzbübisch an, „Ich denke, das abendliche Schwimmen tut mir wirklich gut.“
 

Levi erwiderte Erens Blick gleichgültig, doch innerlich schmunzelte er über seine Worte.

„Wenn du's so nötig hast“, schnaubte er und wandte sich um.
 

Eren lachte leise.
 

*~*
 

Bereits am nächsten Tag wusste Eren nichts mit all der Zeit anzufangen. Klar, er lag im Bett und seinem von Hämatomen übersäten Körper tat die Ruhe wirklich gut und er konnte zur Abwechslung mal einen Roman lesen, dennoch hielt bei ihm die Langeweile Einzug.
 

Umso froher war er, dass er ab 12:00 Uhr für Hanji kochen sollte und dann hoffentlich ein wenig Gesellschaft bekam. Heute war Silvester und sie würden sich auch kurz vor Mitternacht noch einmal auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes treffen, da es das höchste Gebäude im Komplex war.
 

Als er das Appartementhaus der vier Soldaten betrat, empfing ihn nur Stille. Er dachte sich nichts dabei und ging einfach in die Küche, um den Pot au feu zuzubereiten.
 

Nach ein paar Minuten hörte er Hanjis enthusiastische Stimme draußen durch das Treppenhaus schallen und schlich neugierig zur Tür, um zu lauschen.
 

„Sei doch nicht so ein Spießer und gönn' einer untervögelten Freundin einen schönen Anblick!“, hallte es glasklar durch die Küchentür und trieb Eren die Schamröte ins Gesicht.
 

„Fick dich, scheiß Vierauge“, grollte es bedrohlich zurück und stachelte Erens Neugier noch mehr an.
 

Er wagte es die Küchentür einen Spalt breit zu öffnen und ins Treppenhaus zu schielen und hielt den Atem an.
 

Levi und Hanji standen auf dem ersten Treppenabsatz, er ein paar Stufen höher und nur mit einem Handtuch um den Hüften, das er vorne festhielt, um zu verhindern, dass Hanji es ihm runterzog.
 

Es war eine alberne Szene, wie man sie aus der Schule kannte - nur vielleicht mit umgekehrten Rollen - und Eren musste seine Vorgesetzten einfach anstarren.
 

Levis Haut glänzte noch feucht und seine Haare waren nass und er konnte verstehen, dass Hanji dieser Anblick gefiel. Er war ein beneidenswert gut gebauter Mann.

Aber der Blick in Levis sturmgrauen Augen war bedrohlich und versprach viel Pein, was Hanji allerdings komplett ignorierte. Eren fand ihren Mut bewundernswert. Sie grinste Levi wie eine Verrückte an und geiferte ihm mit funkelnden Augen hinterher, die eine Hand ins Handtuch gekrallt.
 

„Nur wenn ich dafür eine Vorlage kriege“, grinste sie unverschämt und völlig gelassen unter dem erdolchenden Blick.
 

Levi sagte nichts, sondern ging einen Schritt rückwärts die Treppe hoch, doch Hanji hielt sich weiterhin fest und zog ihm das Handtuch fast runter.
 

„Verdammt nochmal, du blöde Schnalle! Lass sofort los oder ich trete dir in deine dumme Fresse!“, fluchte Levi und nur er konnte so etwas in leisem Tonfall ehrlich erschreckend klingen lassen.
 

Hanji ließ das unbeeindruckt. Sie rührte sich keinen Millimeter und grinste weiterhin bekloppt in Levis Gesicht.
 

„Zier dich doch nicht so! Da gibt es nichts, was ich nicht schon gesehen hätte“, gluckste sie mit einem schalkhaften Glimmen in den haselnussbraunen Augen.
 

„Gut, dann bemüh deine Phantasie“, spukte Levi aus und stemmte nun eine Hand in Hanjis Gesicht, um sie wegzudrücken, doch die Frau war stur und hielt sich nur fester am Handtuch fest, während sie zeterte.
 

Der ganze Lärm schien nicht nur Eren auf den Plan zu rufen, denn weiter oben ging eine weitere Tür auf.

„Was soll das?“
 

Mit großen Augen sah Eren Erwin die Treppe hinunterkommen. Ruhig, erhaben wie immer.

„Hanji. Warum leistest du Levi nicht in der Sauna Gesellschaft, wenn du ihn unbedingt nackt sehen willst?“
 

Diese Worte zerstörten Erens Bild vom General irgendwie.
 

„Das versuche ich ja, aber er macht's immer heimlich“, beschwerte sich Hanji als wäre Levis Benehmen eine Untat.
 

„Warum wohl“, zischte Levi und warf Erwin einen bösen Blick zu.
 

Der erwiderte das mit einem belustigten Lächeln und ging an ihm vorbei.

Dann lagen die stahlblauen Augen plötzlich auf ihm.
 

„Hallo Eren“, begrüßte Erwin ihn freundlich wie immer als würde sich hinter ihm keine peinliche Szene abspielen.
 

Levi und Hanji zuckten beide überrascht zusammen. Sie hatten ihn offensichtlich nicht bemerkt.
 

„Hallo“, brachte Eren kleinlaut und mit hochrotem Kopf heraus. Alle Augen lagen auf ihm, aber er konnte sich nicht rühren, um etwas sinnvolles zu machen, wie zum Beispiel die Küchentür schließen und weiter kochen.
 

„Hey Eren“, strahlte Hanji ihn nach der ersten Schrecksekunde an, was Levi nutzte, um sich von ihr loszureißen.
 

Schnell sprang er einige Stufen hinauf, bevor sich die protestierende Frau wieder in ihn krallen konnte.

„Leeeevi! Traum meiner schlaflosen Nächte!“, rief sie ihm theatralisch mit erhobenen Händen nach und fiel auf die Knie.
 

„Du bist so ein krankes Weib“, moserte Levi auf seinem Weg nach oben, während Hanji noch ein paar Mal sehnsuchtsvoll seinen Namen rief.
 

Eren war so gefangen von diesem Anblick, dass er Erwins Augen auf sich zu spät bemerkte.
 

„Willkommen im Irrenhaus“, sagte er mit einem leichten Grinsen, als sich ihre Blicke kreuzten, „Das ist hier der alltägliche Wahnsinn mit den Zweien.“
 

„O-Okay.“ Eren sah etwas verloren zu Erwin hoch, der ihm aufmunternd zu nickte, ehe er in den Gemeinschaftsraum ging.
 

Eren nahm das zum Anlass sich wieder um seine Angelegenheiten zu kümmern und schnitt einen Salat zurecht.
 

Er war nicht lange allein.
 

„Hey“, begrüßte ihn Hanji ein paar Minuten später grinsend, „Ich hoffe wir haben dich nicht zu sehr verschreckt.“
 

Eren sah sie etwas befremdet an, lächelte dann jedoch.

„Man macht oft Unsinn mit Freunden. Es ist bloß seltsam, wenn man seine Vorgesetzten dabei beobachtet und erkennen muss, dass es auch nur Menschen sind.“
 

Seine Worte brachten Hanji zum Lachen. Sie setzte sich auf die Küchentheke und sah ihn mit dieser ruhigen Gelassenheit an, die Eren wieder daran erinnerte, wie intelligent und ernstzunehmend diese Frau war. Man konnte sie nur nicht in eine Schublade stecken; zumindest scheiterte dieser Versuch offensichtlicher als bei anderen.
 

„Schön, dass du so verständig bist und es richtig einordnest.“
 

„Denken Sie, ich würde nach so einer Szene den Respekt verlieren?“, fragte Eren überrascht.
 

„Es ist schwer Situationen emotional voneinander zu trennen“, erklärte sie und richtete ihre Brille.
 

„Ja, aber Respekt hat man oder nicht. Es ist nur schwer sich an seine eigene Position zu erinnern und nicht aus der Rolle zu fallen“, sinnierte Eren und dachte an die gestrige Selbstverteidigungseinheit mit Levi, die etwas ins Informelle abgerutscht war.
 

„Da hast du Recht. Wenn du dabei an deinen Umgang mit Levi denkst, kann ich dich aber beruhigen“, zwinkerte sie ihm zu, „Levi legt keinen großen Wert auf Förmlichkeiten, ihm ist nur wichtig, dass man ihn respektiert und seinen Befehlen gehorcht.“
 

Eren sah Hanji nachdenklich an. Er wollte mehr davon hören, mehr über Levi erfahren. Er übte eine ungeheure Anziehungskraft auf Eren aus.
 

„Du willst, dass ich aus dem Nähkästchen plaudere, hm?“, durchschaute ihn Hanji problemlos, was Eren peinlich berührt kurz wegsehen ließ.
 

„Ich bin nur neugierig. Er ist anders als alle vorherigen Ausbilder, die ich je kennengelernt habe“, rechtfertigte Eren sich ehrlich.
 

„Das glaub ich“, schmunzelte sie, „Er ist schon eine Marke. In unserer Kompanie war es nicht anders.“
 

Eren hing ihr geradezu an den Lippen, sodass sie grinsend den Kopf schief legte, bevor sie weiter erzählte.
 

„Levi hat sich mit seinem überaus ehrlichen Schandmaul in Windeseile bei all seinen Vorgesetzten beliebt gemacht und ist bloß nicht geflogen, weil er ebenso herausragend in allen militärischen Disziplinen war. Er war zwar schon vier Jahre beim Militär, als wir uns kennen gelernt haben, aber auch mit Zwanzig, Einundzwanzig hatte ihn noch keiner klein gekriegt. Erst als Erwin sich zu seinem Vorgesetzten aufschwingen konnte, wurden Levis Fähigkeiten in die richtige Richtung geleitet und je mehr Freiraum man ihm ließ, desto besser wurde er. Er war der beste Soldat, den wir hatten und der mir bis heute untergekommen ist.“
 

„Warum hat er dann aufgehört?“
 

Das leicht verträumte Lächeln verschwand von Hanjis Lippen und grimmiger Ernst ließ sie die Lippen zusammenpressen.

„Ich weiß, dass viel über Levi geredet wird, aber Eren“, sie sah ihn eindringlich an, „du darfst das alles nicht glauben. Es ist schlimm genug, dass Levi selbst all diesen Bockmist glaubt und es ist falsch.“
 

Verachtung und Trauer spiegelte sich in den haselnussbraunen Augen und ließen ihn mit einem beklommenen Gefühl zurück.
 

„Frag ihn bitte nicht danach, was damals geschehen ist“, verlangte Hanji von ihm.
 

Eren nickte.

„Ja.“
 

„Wunderbar!“, rief sie plötzlich und klatschte in die Hände, „Was kochst du alles feines?“
 

Der abrupte Themen- und vor allem Stimmungswechsel irritierte Eren, aber er ließ sich darauf ein und erklärte Hanji was er tat und ließ sich von ihr mit allen möglichen Fragen bezüglich Soßen, Salate und Gewürze bombardieren.
 

***
 

Sie saßen außer an Levis Geburtstag immer in der Küche zum Essen, sodass erst alle eingetrieben werden mussten. Diesmal hatte Hanji ihn gebeten die Männer zusammenzutreiben, während sie den Tisch deckte, sodass Eren als erstes in den Gemeinschaftsraum ging und Erwin fand.
 

„Sir? Das Essen ist fertig“, rief Eren, um den Fernseher zu übertönen. Erwin sah sich irgendeine Nachrichtensendung an.
 

Er drehte seinen Kopf zu Eren und lächelte ihn an.

„Danke, ich komme gleich.“
 

„Wissen Sie zufällig, wo die anderen sind?“
 

„Mike ist draußen. Warte, ich rufe ihn an.“ Erwin zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und rief an, doch keiner ging ran. Er seufzte und wählte eine andere Nummer.

„Anscheinend hat er sein Telefon nicht dabei. Ich gehe ihn holen. Er müsste drüben im Büro sein. Levi ist wahrscheinlich noch Zuhause, aber auch er geht nicht ran. Am besten du klopfst bei ihm. Er wohnt ganz oben.“
 

Erwin schaltete den Fernseher aus und stand auf.
 

„In Ordnung.“

Eren fühlte sich nicht gar so wohl Levi persönlich aus der Wohnung zu klopfen, aber er gehorchte. Ein wenig neugierig war er nichtsdestotrotz, vielleicht konnte er einen Blick in das Appartement erhaschen.
 

Er klopfte selbstbewusst an die Wohnungstür im Dachgeschoss, aber nichts rührte sich. Also klopfte er nochmal, diesmal länger.
 

Er erschrak, als sie plötzlich aufgerissen wurde und er auf einen mehr als genervten Levi hinabblickte.
 

Der Ausdruck in den sturmgrauen Augen veränderte sich von mörderisch zu neutral, als er ihn erkannte.

„Ist das Essen fertig?“, hakte er nach, doch drehte er sich um, ehe Eren antworten konnte und ging ins Appartement zurück.
 

„Ja, Sir.“ Erst jetzt fiel ihm auf, dass Levi nur in Shorts und T-Shirt herumlief, ein weißes Tuch um den Hals hatte und einen Staubwedel in der Hand. Anscheinend hatte er geputzt.
 

„Ich zieh mich um“, erklärte er und verschwand mutmaßlich im Schlafzimmer.
 

Da er die Tür offen gelassen hatte, stand Eren im Rahmen und beäugte neugierig das Interieur der Wohnung. Wenn man eintrat, kam man sofort in den geräumigen Wohn- und Essbereich. Die Einrichtung war sehr hochwertig und schick, aber genauso kühl und unpersönlich. Alles lag auf dem rechten Platz und nirgends sah man etwas persönliches herumliegen. Es wirkte wie ein verkaufsbereites Modellzimmer.
 

Levi brauchte nicht lange und kam in Jeans und dunkelblauem Rollkragenpulli zurück. Er kleidete sich immer gut.
 

„Was glotzt du so“, holte Levi ihn aus seinen Gedanken und trat nach draußen.
 

Diesmal verschreckte der schroffe Ton ihn nicht.

„Warum gibt es eine Gemeinschaftsküche, wenn die Appartements eigene Küchen haben?“
 

„Weil jemand gerne Steuergeld verprassen wollte“, bemerkte er desillusioniert und sie stiegen nebeneinander die Stufen hinab.
 

„Kocht ihr dann öfter für euch selbst?“
 

„Nein. Die Anderen können gerade mal 'ne Tütensuppe machen, ohne etwas zu zerstören und ich habe keine Lust für uns alle zu kochen. Ich mag es nicht.“
 

„Also nehmen Sie lieber mit dem Fraß in der Mensa Vorlieb?“, schloss Eren zweifelnd.
 

„Du doch auch.“
 

„Mir macht das nicht viel aus, aber ich habe Sie für jemanden gehalten, der mehr Ansprüche an seine Ernährung stellt“, erläuterte Eren ehrlich.
 

Levi kräuselte leicht verekelt die Nase.

„Deswegen mache ich mir oft irgendwelche Kleinigkeiten selber. Wenn ich eine richtige Mahlzeit kochen würde, säße mir Hanji im Genick und ich müsste für alle ständig etwas machen. Dazu habe ich weder Lust, noch genug Rezepte. Im Gegensatz zu dir kann ich nicht so aufwändige Großkotz- Gerichte.“
 

„Ich mach sonst auch immer einfache Gerichte. Nach dieser Woche habe ich die aufwendigsten, die ich kann, verbraucht“, gab Eren zu.
 

„Wolltest du protzen?“
 

„Ich wollte die Gelegenheit nutzen an teure Lebensmittel zu kommen.“
 

Ein Glucksen ertönte neben ihm, was Eren zu Levi sehen ließ. Er traf auf einen belustigten Blick und selten nach oben gezogenen Lippen. Levi lächelte und das machte Eren froh.
 

Als Levi die Tür zur Gemeinschaftsküche aufzog, verging es diesem bei Hanjis Geschrei jedoch wieder.
 

***
 

Den Abend verbrachte Eren in seinem Zimmer im Bett und las einen Fantasy-Roman. Leise Musik aus seinem Taschenspieler verdrängte die einsame Stille, an die er sich langsam gewöhnte.

Ansonsten herrschte vor seiner Tür immer heilloses Brimborium, wenn ihre Stockwerkgenossen hin und her rannten und in der Küche wüteten.
 

Umso sensibler reagierte Eren, als er draußen ein Geräusch hörte.
 

Verwundert und mit der Vorahnung, dass ihn einer der Militärs sprechen wollte, trat er aus seinem Zimmer.
 

Wer ihm da überrascht ins Gesicht gaffte, ließ ihn irritiert innehalten.

„Jean?“, purer Unglaube schwang in Erens Stimme mit, „Was machst du denn hier?“
 

Jean betrachtete ihn ebenso perplex, fing sich dann jedoch und setzte sein typisch überhebliches Gesicht auf.

„Das könnte ich dich genauso gut fragen, Hohlkopf.“
 

Missmutig und mit einem großen Rucksack auf dem Rücken schob er sich an Eren vorbei in Richtung seines Zimmers.
 

Eren folgte ihm neugierig und zugegebenermaßen voller Unverständnis.

„Heute ist Silvester. Solltest du nicht zu Hause sein und mit Champagner anstoßen?“
 

Jean knallte ihm die Tür vor der Nase zu, was Eren nicht davon abhielt sie langsam leise zu öffnen.
 

Jean teilte sich mit Marco ein Zimmer und es war recht gemütlich. Die Wandregale quollen über vor lauter Büchern wie bei Armin und Poster mit historischen Motiven oder Nachbildungen von berühmten Kunstwerken hingen an der Wand. Man konnte nicht genau sagen, wo bei Marco und Jean die Trennlinie verlief. Sie schienen sich gut zu ergänzen.
 

Eren beobachtete wie Jean den Rucksack absetzte und sich die nassen Winterklamotten auszog. Dabei bemerkte er den trüben Blick in den zuvor überheblich funkelnden Augen.
 

„Was zum Teufel willst du? Das ist mein Zimmer, verpiss dich“, fauchte Jean, als er Eren im Türspalt stehen sah.
 

Die stille Verzweiflung in Jeans Augen traf Eren. Zum ersten Mal erkannte er etwas verletzliches an ihm und empfand plötzlich keinen Groll gegen seinen unfreiwilligen Gegenspieler.

„Bleibst du die restlichen Ferien hier?“
 

„Was geht's dich an, Idiot?“, moserte Jean, doch als Eren nicht wie gewohnt wütend wurde, seufzte er resignierend, „Ja, ich bleibe.“
 

„Gut. Um halb Zwölf treffen wir uns mit den Militärs auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes zum Anstoßen und Feuerwerk gucken“, verlautbarte Eren und schloss die Tür. Er ignorierte Jeans irritierten Ausruf und machte es sich wieder in seinem Bett gemütlich.
 

Von allen Rekruten musste ausgerechnet Jean zurückkommen. Das war für Eren eine mittlere Katastrophe. Sie konnten einfach nicht miteinander und der Gedanke, dass Jean ihn für die anderen kochen sah, gefiel Eren noch weniger. Er konnte sich die Anschuldigungen ausmalen, wobei sich sein Magen umdrehte. Aber er konnte jetzt auch nichts mehr daran ändern und nur hoffen, dass sie sich arrangieren würden ohne dass einer umkam.
 

***
 

Eren fand Jean um elf Uhr nachts in der Küche, wo er sich Dosenravioli warm machte. Der sonst so stolze Mann kam ihm vor wie ein verprügelter Hund. Als er ihn bemerkte, richtete er seine Körperhaltung prompt auf und warf ihm einen herablassenden Blick zu.
 

Alles nur Fassade wurde Eren klar.
 

„Zoë hat mich gezwungen für sie und die anderen zu kochen, das heißt, Morgen gibt es Mittags was richtiges“, legte Eren die Karten gleich auf den Tisch und erntete ein Schnauben.
 

„Warum sollte ich deinen Fraß essen wollen?“, spuckte er, während er die Ravioli mit einem Holzlöffel geruhsam im Topf umrührte.
 

„Weil es auch Erwin Smith, Zacharias und Rivaille schmeckt und ich bis zum Ferienende kochen muss.“
 

„Du bist schon sehr verzweifelt, dass sie dich in die ESE lassen, was?“, provozierte Jean ihn hochnäsig, „Vögelst du sie auch alle?“
 

Normalerweise wäre das der Moment, in dem Eren die Geduld verlor und versuchen würde Jean eine zu Wischen. Überraschenderweise fühlte er sich komplett ruhig. Das Bedauern für Jean überwog seinen Ärger bei Weitem.
 

„Nein. Es war Zufall, dass sie herausgefunden haben, dass ich kochen kann.“
 

Jean starrte ihn an, als sei er von einem anderen Stern. Nun gut, seine Gelassenheit war ein Novum.
 

„Warum bist du hier? Brauchst du was?“

Jean wollte ihn erkennbar loswerden und es faszinierte Eren, dass er ohne sein Kontra selbst ruhig wurde und ihn nicht weiter beleidigte.
 

„Nein, ich wollte nur nachsehen. Wir müssen dann sowieso gehen.“
 

„Ich will nicht mit.“
 

„Es wäre aber besser, wenn du gehst“, versuchte Eren ihm zu verdeutlichen, „Sie sind okay und was machst du schon allein hier.“
 

„Das geht dich nichts an“, knurrte Jean und füllte den Inhalt des Topfes in eine Schüssel.
 

Eren wollte Jean nicht beim Essen beobachten.

„Ich hol dich in zwanzig Minuten.“
 

Jean schwieg.
 

***
 

Wie Eren es erwartet hatte, war Hanji umgehend zu ihnen gestürmt, als sie Jean erblickte. Sie fragte nicht, warum er da war, aber das war auch schon die einzige Frage, die sie ihm nicht stellte.
 

Erwin und Mike leisteten ihr Gesellschaft und er konnte hören, dass sie Jean erlaubten sie mit Vornamen anzusprechen. Eren war froh, dass er nicht nur wegen Jeans Anwesenheit wieder zur formalen Anrede wechseln musste.
 

Er hatte kein Interesse an Jeans Inquisition und tappte zum Rand, wo Levi abseits und unberührt von dem Tumult am anderen Ende des Daches stand.
 

Eren stellte sich neben ihn und schwieg. Vor ihnen lagen die Grenzlichter der Mauern, die den Komplex abschirmten. Daran schloss der leicht wegen Frost glitzernde Wald an und dahinter konnte man die Lichter der ersten Ortschaften Münchens schimmern sehen. Es war ein schöner Anblick.
 

„Magst du die Natur“, durchbrach Levis ruhige Stimme unerwartet die angenehme Ruhe zwischen ihnen.
 

Eren wandte leicht den Kopf, wurde jedoch nicht angesehen.

„Ja, sehr. Ich sehne mich danach einmal meinen ganzen Jahresurlaub in den Wäldern Kanadas zu verbringen.“
 

„Kanada ist eine Reise wert.“
 

„Sind Sie viel gereist? Privat, meine ich...“ Als Soldat im Krieg reiste man schließlich weit, sah jedoch nichts.
 

„Die letzten Jahre habe ich mir die Welt angesehen.“ Levis Stimme war gesenkt und monoton.
 

Erstaunt blinzelte Eren, ehe er wieder die Lichter in der Ferne betrachtete.

„Gibt es einen Ort, der Ihnen besonders gefiel?“
 

„Nein“, war die klare Antwort, was Eren sich ernüchtert den Kragen seines Wintermantels höher ziehen ließ. Es war windstill und kalt.
 

Die Antwort konnte man deuten wie man wollte.
 

„Haben Sie die Reise bereut?“, hakte Eren nach.
 

„Nein.“
 

Vermutlich war es unmöglich einen Ort zu bestimmen, der sich von allen anderen abhob, erklärte sich Eren die Antwort.
 

Die anderen polterten sich heran und kamen neben sie. Hanji stellte sich zwischen Levi und Erwin, während Mike neben dem General und Jean neben Eren stehen blieb.
 

Es war sicherlich das erste Mal in diesen Tagen, dass Eren Hanji still erlebte und genoss den Ausblick mit angenehmen Schweigen.
 

Sie brauchten keine Uhr, um den Sprung ins neue Jahr zu bemerken. In der Weite sah man unzählige Feuerwerkskörper über den Dächern Münchens explodieren. Farbenprächtig und pompös.
 

„Yahoo!“, kreischte Hanji und zog Levi und Erwin mit dem Arm um deren Hals näher zu sich, „Frohes neues Jah~r 2122!“
 

Voll kindlichem Entzücken genoss Eren das farbenfrohe Spektakel. Nur kurz sah er nach links, sah Levi an Hanjis Seite gedrückt und ein wenig zufrieden dreinblickend. Rechts von ihm stand Jean mit verschränkten Armen, scheinbar verfroren.
 

Eren schielte etwas genauer zu ihm und erkannte im Licht des Feuerwerks Tränen über Jeans Wangen rinnen.
 

***
 

Die folgenden Tage beschränkte sich Eren darauf zu versuchen mit Jean zu trainieren. Das Pferdegesicht machte ihm mit seinen Worten jedesmal das Leben schwer und begegnete ihm mit viel Skepsis und Misstrauen.
 

Doch Eren gelang es ruhig zu bleiben und konnte verblüfft feststellen, wie sich solch - laut Armin - vernünftiges Verhalten im Umgang mit Jean auswirkte.
 

Früher oder später kam Jean immer nach, lief oder schwamm mit ihm. Sie schwiegen viel und das war ein Fortschritt.
 

Glücklicherweise musste sich Eren keine weiteren Kommentare mehr wegen seinem Kochauftrag anhören. Die Militärs nahmen Jean problemlos ebenfalls auf, sodass sie jeden Tag miteinander aßen.
 

Es war anders als zuvor. Hanji war ruhiger, eher wie im Unterricht. Sie sprachen viel über Politik mit Jean, gaben wenig bis gar nichts persönliches preis. Levi schwieg meistens oder korrigierte irgendwelche Ausführungen mit dieser trockenen, ungehobelt-ehrlichen Art, womit er Jean ein paar Mal zum Stottern brachte.
 

Sonntags durften sie im Verwaltungsbüro mit ihren Angehörigen telefonieren. Das war ihr einziger Kontakt zur Außenwelt, da sichergestellt werden musste, dass niemand Schindluder mit seinen elektronischen Spielzeugen trieb und anfangs ziemlich hart. Nicht nur der seltene Kontakt zu Angehörigen und Freunden, sondern vor allem auch das Internetverbot. Lediglich Taschenspieler waren erlaubt - daumengroße, flache Musikspieler, die je nach Modell ungefähr zwischen 25.000 und 100.000 Musiktitel oder entsprechend Hörbücher speichern konnten. Nicht einmal E-Books wurden gestattet, da sie zu einfach manipulierbar waren und das Internet freigeschaltet werden konnte.
 

Eren wollte sich bei Armin melden, um ihm und seiner Familie zu versichern, dass es ihm gut ging und ihnen nachträglich frohes neues Jahr zu wünschen. Er freute sich ein wenig wieder Armins Stimme zu hören. Er war für Eren wie ein Bruder. Die Art von Bruder, die ihn zuweilen daran erinnerte, dass er ein Hirn hatte, das benutzt werden wollte...
 

Als Eren jedoch vor dem Büro stand und im Inbegriff war die Klinke runter zu drücken, hörte er Jeans Stimme durch die Tür dringen.
 

„Das könnt ihr doch nicht machen!“, rief Jean verzweifelt und klang dabei verdächtig verschnupft.

„Aber das geht doch nicht!“, sprach er weiter, zunehmend leiser und ungläubiger, „Ich bin doch auch ihr Kind...“

Danach konnte Eren die Worte nicht mehr richtig verstehen, Jean brabbelte zu sehr vor sich hin.

„Leb wohl“, keifte er plötzlich, woraufhin es totenstill in dem Raum wurde. Jean hatte aufgelegt.
 

Eren haderte einen Moment mit sich. Sollte er weggehen, reingehen, vorher klopfen? Zeigen, dass er was mitgekriegt hatte?
 

Kurzentschlossen öffnete er die Tür.
 

Jean saß halb auf dem Tisch, das mit einem Kabel gesicherte Mobiltelefon in beiden Händen und apathisch darauf starrend. Er wirkte in diesem Moment wie ein gebrochener Mann.
 

Er bemerkte Erens Anwesenheit schnell, stand ruckartig auf und wischte sich fahrig über die Augen. Voller Wut starrte er ihn aufgebracht an, aber sein von Tränen und Gram gezeichnetes Gesicht spiegelte auf fast schon komische Weise seine Hilflosigkeit wider.
 

„Was willst du? Noch nie was von Klopfen gehört, du Penner?“, fuhr er ihn zornig und mit heiserer Stimme an.
 

Eren befand sich in einer Art Schockstarre.

„Was hast du denn getan, dass deine Familie dich zum Weinen bringt?“, stürzte Eren buchstäblich mit der Tür ins Haus, was Jean die ersten Sekunden lang noch bleicher werden ließ.
 

„Was zum...?“ Mehr brachte Jean nicht heraus. Er schwieg und starrte Eren an, neue Tränen in den Augen.
 

„Ich weiß, es geht mich einen Scheißdreck an. Ich bin nicht Marco, ich bin nicht dein bester Freund. Aber was zur Hölle hast du falsch gemacht, dass du Silvester und Neujahr nicht bei deiner Familie warst?“, versuchte es Eren mit einem Frontalangriff.
 

Es schien, als würde Jean nie antworten. Die unterschiedlichsten Emotionen kerbten sich in seine Mimik, zurück blieb Resignation.

„Das wüsste ich auch gerne“, gab er leise zu und sah auf seine Hände, die das Telefon immer noch umklammerten.
 

Eren schloss die Tür und lehnte sich geduldig dagegen. Er würde Jean nicht weiter drängen. Wenn er nicht reden wollte, bitte.
 

„Ich bin das verfickte schwarze Schaf“, murmelte Jean in den stillen Raum hinein, „Verglichen mit meinen Brüder war ich immer der unangepasste Loser und jetzt haben sie endgültig die Schnauze voll von mir. Sie haben mich aus ihrem Leben gestrichen.“
 

Eren saugte die Informationen auf wie ein Schwamm. Jeans Zugeständnisse waren unerwartet und es tat ihm leid zu sehen, wie er weitere Tränen fortwischte.
 

„Warum sind deine Eltern so herzlos? Du hast doch nichts falsch gemacht?“, fragte Eren leise und aus purem Unverständnis. Jean mochte zwar zu ihm ein Arschloch sein, aber er war kein schlechter Kerl und ein guter Polizist.
 

Jean lachte freudlos auf. Es klang wie die Schnappatmung eines Mopses.

„Ich bin Polizist geworden. Und jetzt ziehe ich sogar in Erwägung bei der ESE zu bleiben: Einem völlig sinnlosen, selbstmörderischen Verein, wie meine Eltern immer sagen. Sie haben mir das Messer auf die Brust gesetzt und gesagt, dass sie mich enterben, wenn ich nach bestandener Ausbildung nicht ersichtlich höhere Ämter anstrebe.“
 

Eren schnaubte und Wut zog seinen Magen zusammen.

„Du bist ja wohl erwachsen und kannst mit deinem Leben machen, was du willst. Ist ja nicht so, als wäre dein Beruf nicht ehrbar, verdammt noch mal. Was sind deine Eltern für bornierte Leute?“
 

„Mein Vater sitzt im Vorstand des Health+-Pharmakonzerns und meine Mutter ist Abgeordnete im EU-Parlament. Meine Brüder arbeiten natürlich auch bei Health+“, fügte Jean den letzten Satz zunehmend verbittert hinzu.
 

„Wow, na wenn das nicht mal Lobbyismus in seiner reinsten Form vorprogrammiert...“
 

Jean schnaubte abfällig.

„Manchmal wundert es mich, dass es uns so gut geht und wir nicht im Kampf der Einzelinteressen der Konzerne untergehen.“
 

„Deswegen wird Korruption so hart bestraft und intensiv kontrolliert.“
 

„Ein Überwachungsstaat.“
 

„Ziemlich.“

Außer in den eigenen vier Wänden war man ein gläserner Bürger. Mit entsprechendem Antrag konnte man alle Aktivitäten außerhalb der Wohnung, des Büros oder der Umkleiden und Toiletten auf dreidimensionalen Kameraaufnahmen für einen Zeitraum von fünf Jahren nachprüfen; was man mit Mobiltelefon und Computer anstellte, wurde ohnehin für eine Dauer von 15 Jahren zwischengespeichert.
 

Jean schien sich zu beruhigen. Er weinte nicht mehr und als er das Telefon in die vorgesehene Halterung auf den Tisch legte, meinte Eren nochmal bekräftigend:

„Ganz ehrlich Jean, wenn deine Eltern dich bei deinen Entscheidungen nicht unterstützen wollen, dann schaffst du das auch ohne sie. Es ist dein Leben und du bist nicht ihre Puppe, die sie platzieren können, wie es ihnen am besten passt.“
 

Jean sah ihn mit großen Augen an. Endlich kehrte wieder dieses nervige Funkeln in seine Augen zurück - herablassend und selbstbewusst. Nie hätte Eren geglaubt sich einmal bei diesem Anblick erleichtert zu fühlen.
 

„Ich muss schon tief gesunken sein, wenn ich mir von so 'nem Trottel wie dir einen Rat anhören muss“, sagte Jean arrogant, nun ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das seinen Worten widersprach.
 

Eren grinste ihn an und stieß sich von der Tür ab, um sein ursprüngliches Vorhaben, Armin anzurufen, verwirklichen zu können.

„Du meinst wohl eher, dass dir die Höhenluft zu Kopf gestiegen ist.“
 

Sie rempelten einander hart, aber freundschaftlich an der Schulter als sie aneinander vorbeigingen.
 

„Viel Spaß beim Telefonieren. Ich hab extra schon mal vorgesabbert, damit es besser rutscht, wenn du dein Liebling vollschleimst“, grinste Jean gehässig, als er im Türspalt stand.
 

Eren warf dem Telefon einen verekelten Blick zu und zeigte Jean den Mittelfinger, bevor der schmunzelnd aus dem Raum trat.
 

„Das war sicherlich eine Begegnung der dritten Art“, murmelte Eren vor sich hin, als er Armins Nummer wählte.
 

***
 

Die restlichen Ferientage vergingen langsamer als die vorherigen. Eren trieb viel Sport mit Jean und obwohl sie sich wieder wie zuvor lauthals stritten, hatte sich ihr Verhältnis grundlegend geändert. Ihre Dispute hatten an Aggression verloren und fanden nunmehr auf mentaler Ebene statt. Ihr Konkurrenzkampf war konstruktiv geworden und von stiller Akzeptanz geprägt, sodass sie sich in ihrer Entwicklung nicht mehr gegenseitig im Weg standen.
 

Erst jetzt wurde Eren klar, wie sehr ihn die Auseinandersetzungen mit Jean im Endeffekt belastet hatten.
 

Glücklich über diesen persönlichen Fortschritt, hatte Eren kaum bedauert, dass er nicht mehr mit Levi hatte trainieren können. Doch als er am späten Abend vor der Ankunft der anderen Rekruten sich spontan entschloss noch mal schwimmen zu gehen und Jean ihm einen Vogel gezeigt hatte, wurde ihm schlagartig bewusst, dass ihm etwas gefehlt hatte.
 

Er hörte das Wasser plätschern, sowie er die Schwimmhalle betrat und als er sich an den Beckenrand stellte, sah er Levis Silhouette unter Wasser zum anderen Ende des Beckens tauchen.
 

Freude kribbelte in seinem Bauch und er sprang energiegeladen ins Wasser, um ebenfalls ein Stück zu tauchen. Ohne zuvor tief genug eingeatmet zu haben, konnte er die 50 Meter nicht durchschwimmen.
 

Kaum tauchte er nach Luft schnappend auf, wurde er auch schon wieder Unterwasser gedrückt. Automatisch griff er mit der einen Hand zu der in seinen Haaren, während er mit dem anderen Arm das einzige umschlang, dass ihn der Oberfläche näher brachte.
 

Als der Druck an seinem Kopf nachließ, stieß er durch die Wasseroberfläche und japste erstmal blind und taub nach Sauerstoff.
 

Eren blinzelte keuchend das Wasser aus seinen Augen und blickte direkt in das bewegungslose Gesicht seines Ausbilders. Immer noch lag Erens Unterarm auf Levis Schulter, die Finger seiner Hand lose in dessen Genick, um sich über Wasser zu halten, während er mit der anderen ruderte, um nicht unterzugehen. Aber wahrscheinlich hätte Levi sie beide problemlos über Wasser gehalten.
 

„Ich habe Sie auch vermisst“, grinste Eren keck nach dieser rabiaten Begrüßung.
 

Levi blieb völlig unbeeindruckt.

„Was hast du während der Nachtruhe hier verloren?“
 

„Da noch offen war, wollte ich offensichtlich noch mal schwimmen gehen“, erwiderte Eren mit neunmalkluger Stimme.
 

Er wurde prompt erneut untergetaucht. Diesmal fasste er auch mit der anderen Hand an Levis Schulter und stemmte sich dagegen, sodass Levi auch fast absoff. Allerdings hatte Eren nie damit gerechnet, dass er so einfach davonkommen würde und war somit wenig überrascht, als er Levis andere Hand an seiner Brust spürte, um ihn wegzudrücken.
 

Sie gingen beide unter.
 

Das war Erens Chance. Er ließ kurz locker, befreite seinen Kopf, drückte so kraftvoll es ihm möglich war Levi nach unten und sich nach oben.
 

Er tauchte mit einem tiefen Atemzug triumphierend auf. Dann wurde er grob an den Haaren rückwärts erneut Unterwasser gezogen.
 

Levi hielt ihn von hinten eisern fest. Sein Hinterkopf wurde gegen Levis Brust gedrückt, während eine Hand Erens Handgelenke schmerzhaft im Rücken fixierte und die andere Hand seine Kehle zusammendrückte. Pure Panik überkam Eren bei diesem tödlichen Griff und er verfiel in eine ergebende Starre.
 

Er wurde sofort losgelassen, als er sich nicht mehr rührte.
 

Keuchend und vor Sauerstoffmangel und Schreck schwach und zitternd versuchte sich Eren über Wasser zu halten und spürte völlig neben sich, wie Levi ihn an der Brust umschlang und gemächlich zum Beckenrand zog, wo sich Eren geistesgegenwärtig festkrallte und mühevoll versuchte genug Sauerstoff in die brennende Lunge zu bekommen.
 

Es dauerte eine gute Minute, ehe Eren soweit klar im Kopf war, um seine Umgebung wahrzunehmen.
 

Levi lag neben ihm mit den Armen am Beckenrand abgestützt und betrachtete ihn. Als sich ihre Blicke trafen, blitzte Amüsement in den sturmgrauen Augen auf.

„Du kleiner Scheißer kannst mich nicht einmal an Land überwältigen und dann versuchst du es ernsthaft im Wasser?“
 

Eren verzog das Gesicht und atmete einige Male durch, ehe er keuchend herausbrachte:

„Ich wusste nicht, ... dass Sie... gleich wieder versuchen würden... mich zu ertränken.“
 

„Dachtest du etwa ich habe Mitleid mit deinen kläglichen Versuchen besser zu sein und lasse dich gewinnen?“
 

„Spielverderber“, brummelte Eren gespielt beleidigt und zog eine Schnute.
 

„Du siehst lächerlich aus“, kommentierte Levi, woraufhin Eren ihm den Kopf zuwandte und ihn mit einem gekonnten Welpenblick ansah, der sogar Mikasa stets zum Einknicken gebracht hatte.
 

„Ich glaub, ich brauch ein Ungezieferspray“, stellte Levi trocken fest und warf ihm einen vergraulten Blick zu.
 

„Ist nicht dein ernst!“, rief Eren ungläubig mit offenem Mund, „Dieser Blick hat noch jeden zumindest ein wenig ins Schludern gebracht!“
 

„Nur weil du mich mit deinen großen grünen Augen wie ein Katzenbaby anschaust, erreichst du bei mir gar nichts.“
 

„Sie sind kein Mensch“, schnaufte Eren übertrieben außer sich und schmollte, was ihm eine nicht gerade sanfte Kopfnuss einbrachte.
 

„Hey!“, echauffierte er sich über die entstehende Beule reibend und seinen Peiniger empört anstarrend.
 

Levi bedachte ihn jedoch mit einem belustigten Schmunzeln und einem bisher ungesehenen Ausdruck in den Augen.
 

Er stemmte sich aus dem Wasser.

„Los raus! Ich muss dann absperren“, forderte Levi ihn auf und schritt geruhsam Richtung Umkleiden.
 

Eren schaute ihm verblüfft hinterher. Erneut spürte er dieses freudige Kribbeln in seinem Bauch.
 

Er war sich sicher, dass Levi ihn zum ersten Mal so zufrieden und ehrlich entspannt angesehen hatte. Ein Blick, den Eren ihn nur ansatzweise mal Hanji oder Erwin zuwerfen gesehen hatte.
 

Ein breites Lächeln zog Erens Lippen auseinander, als er sich ebenfalls aus dem Wasser stemmte und umziehen ging.
 

*~*
 

Fernab schützender Augen wurden fatale Entscheidungen getroffen.
 

+++

Dämmerung

Im letzten Kapitel hat Levi die Weihnachtszeit hinter sich gebracht, Eren getriezt und etwas besser kennengelernt. Eren musste sich hingegen nicht nur mit den Militärs herumschlagen, sondern auch mit Jean, der ziemlich deprimiert Silvester im Ausbildungskomplex verbringen musste.
 

Ich wünsche euch allen viel Spaß beim vierten Kapitel!
 

+++
 

Ausbildungsplan Einheit 5 - 09. Januar 2122 bis 31. März 2122
 

Montag bis Freitag

05:00 Uhr: Aufstehen

05:15 Uhr: Workout

06:15 Uhr: Pause

07:00 Uhr: Frühstück

08:00 Uhr: Appell

08:10 Uhr: Einsatzplanung

11:45 Uhr: Pause

12:00 Uhr: Mittagessen

13:00 Uhr: Einsatzsimulation

17:30 Uhr: Pause

18:00 Uhr: Abschlussbesprechung

19:00 Uhr: Abendessen

21:00 Uhr: Nachtruhe

Samstag

06:00 Uhr: Aufstehen

07:00 Uhr: Frühstück

08:00 Uhr: Appell

08:10 Uhr: Psychologisches Testverfahren

12:00 Uhr: Mittagessen

13:30 Uhr: Gruppenübungen

18:45 Uhr: Pause

19:00 Uhr: Abendessen

22:00 Uhr: Nachtruhe

Sonntag

Eine Stunde Schwimmen zwischen 09:00 Uhr und 20:00 Uhr
 

Im ersten Moment schien die 5. Ausbildungseinheit nicht so anstrengend zu werden wie die letzten Vier. Es brauchte keine Woche um sie eines besseren zu belehren.
 

Bei der Einsatzplanung bekamen sie alle einen etwa 100 bis 150 seitenlangen, fiktiven Sachverhalt, der ihnen alle Informationen, auch zu etwaigen Kriminellen gab.

Bei ihrem ersten Einsatz sollten sie ein Waffenlager räumen, das sich im Keller eines Wohnkomplexes befand. Natürlich fehlten ihnen einige Informationen, die sie auch nicht beschaffen konnten. Die Aufgabe bestand darin anhand des Sachverhalts einen Einsatz vorzubereiten, der strategisch so sicher und effizient wie möglich Erfolg versprach.

Als Polizisten kannten sie solche Einsätze, wodurch in der Theorie keine großen Hindernisse zu befürchten waren. Der Clue an der Aufgabe lag darin, dass sie 35 Rekruten waren und ihnen die Aufgabe ohne festgelegte Hierarchie hingeworfen wurde und sie zusehen mussten, dass sie innerhalb von dreieinhalb Stunden zu einem brauchbaren Ergebnis kamen, damit sie am Nachmittag den gestellten Einsatz ausführen konnten.

Dabei wurden sie von Hanji, Mike und einem weiteren Ausbilder schweigend beobachtet und analysiert.
 

Die erste Stunde verbrachten sie mit Lesen.

Die zweite Stunde fassten sie die Ergebnisse zusammen und begannen über die Vorgehensweise zu diskutieren. GSG9 gegen SEK und beide gegen den Rest. Jeder wusste es besser.

In der dritten Stunde hatten sie fünf verschiedene Alternativen übrig, die vehement von den verschiedenen Parteien vertreten wurden.

In der letzten halben Stunde schrieen sie sich an bis zwei Alternativen übrig blieben.
 

Die Zeit war vorbei und sie gingen Essen, weiterhin streitend.
 

Als am Nachmittag die Einsatzsimulation begann, standen sie mit ungewaschenem Hals und zwei Fronten da, die ihre favorisierte Vorgehensweise ums Verrecken durchsetzen wollten.
 

Im letzten Moment konnte Armin sie überreden sich den anderen anzuschließen, obwohl nicht nur Eren keineswegs von dem anderen Plan überzeugt war. Aber er verließ sich auf Armins Urteil und unterstützte ihn, was auch die anderen Schritt für Schritt überzeugte - sogar Jean.
 

Das „Waffenlager“ befand sich im Keller des Verwaltungsgebäudes und die festzusetzenden Kriminellen spielten drei weitere Ausbilder.
 

Sie wurden völlig fertig gemacht. Sie wurden zwar nur mit Farbkugeln beschossen, aber verdammt nochmal, das tat saumäßig weh und jeder einzelne von ihnen war danach völlig gelb von all der Farbe.
 

Sie hätten sich besser organisieren müssen - welch Wunder, sie waren ein chaotischer Haufen.

Es war demütigend.
 

Ihre Ausbilder schrieben stoisch und wortlos alle Ereignisse in ihre Notizblöcke.
 

In der Abschlussbesprechung wurden sie mit den Ergebnissen konfrontiert und von Hanji und Mike auf qualvoll sachlicher Basis auseinandergenommen.
 

Die folgenden Tage waren ähnlich furchtbar und frustrierend.

Zu viele von ihnen beharrten auf ihrem Führungsanspruch, sodass sie keinen einzigen Einsatz erfolgreich ausführten.
 

Am Samstag waren sie einzeln unterschiedlichen Urteils-, Deutungs- und Leistungstests unterzogen worden, die ihre Psyche durchleuchten sollten.
 

Bei den Gruppenübungen mussten sie jeweils zu fünft irgendwelche praktischen oder theoretischen Probleme lösen. Das fing mit der Konstruktion einer Brücke aus Papier und Zahnstochern an und endete mit der Erstellung eines architektonischen Bauplans der Schwimmhalle am Computer. Es waren teilweise völlig unterschiedliche Aufgaben, die anscheinend dazu dienen sollten sie unter Zeitdruck zur Zusammenarbeit zu zwingen.

Je nach Gruppenkonstellation gelang es besser oder schlechter.
 

Am Sonntag waren sie alle schließlich zu frustriert, um sich miteinander zu befassen und gingen sich möglichst aus dem Weg.
 

Eren hatte sich den ganzen Tag im Zimmer mit Armin verschanzt, Musik gehört und gelesen, sodass er erst abends zum Schwimmen ging. Insgeheim hoffte er, dass er Levi dort vorfand und sich auf andere Gedanken bringen konnte, blieb jedoch allein bis man ihn rausschmiss.
 

Er tauchte gerade einige Runden, sodass er die andere Person erst bemerkte, als er direkt vor ihr auftauchte. Eren erschrak und starrte mit großen Augen in gelangweilte Sturmgraue.
 

„Es ist nach 20:00 Uhr“, begrüßte ihn Levi, „Mach, dass du raus kommst.“
 

Eren hielt sich am Beckenrand fest und wischte sich das Wasser aus den Augen, während er zu seinem Ausbilder aufsah.
 

Levi hockte in schwarzer Trainingshose und langärmligem azurblauem Shirt vor ihm und schien nicht bester Laune.

„Wollen Sie nicht eine Runde mit mir schwimmen?“, lächelte Eren bemüht gewinnend.
 

„Nein, ich hab mir den Magen mit dem Mensafraß heute verdorben und mir ist zum Kotzen. Also beweg deinen Arsch, ich will zusperren.“ Gereizt stand Levi auf und warf ihm einen ungeduldigen Blick zu.
 

Eren beeilte sich aus dem Wasser zu kommen. Er bemerkte, dass er angestarrt wurde und sah fragend zurück. Als Levi es bemerkte deutete er auf Erens Schlüsselbein.

Er sah automatisch auf sich hinunter, obwohl er sofort wusste, auf was Levi hindeutete.
 

„Ich bin vorgestern bei der Simulation gestürzt, nachdem ich erschossen wurde.“ Seine ganze obere Brust war bläulich grünlich.
 

„Tch.“ Ohne weiteres Wort wandte Levi sich ab und ging Richtung Umkleiden.
 

Eren fühlte sich von dem abfälligen Laut beleidigt. Es schürte nur mehr seine Unsicherheit und Angst wie bei der SEK bei einem Psycho-Test zu versagen. Er durfte nicht versagen. Er musste es schaffen.
 

„Sir? Kann ich Ihnen eine Frage stellen?“
 

„Wenn du weiterhin wie angewurzelt stehen bleibst, statt deinen lahmen Arsch nach draußen zu schwingen, dann nicht mehr.“
 

Zügig ging Eren in die Umkleide und begann sich auszuziehen. Levi stand bei ihm gegen einen Spind gelehnt und starrte grimmig ins Leere.
 

Eren packte die Gelegenheit am Schopfe.

„Was ist die bessere Entscheidung: Zu tun, wie man glaubt, dass es von einem erwartet wird oder wie man meint, dass es das Richtige ist?“
 

Levi wandte den Kopf zu ihm, bedachte ihn mit gezückter Augenbraue und purem Unverständnis.

„Bist du gehirnamputiert? Was soll die beschissene Frage?“
 

„Genau das, was ich gefragt habe“, erwiderte Eren trotzig und starrte Levi stur entgegen, was diesem unerwartet ein Seufzen entlockte.
 

„Jetzt mal eine Lektion fürs Leben, Balg. Du weißt nie, welche Entscheidung richtig ist. Es existiert keine richtige Entscheidung. Es gibt lediglich Entscheidungen, die du weniger bereust als andere. Also verlier' dein Ziel nicht aus den Augen und wähl die Alternative, mit der du eher leben kannst.“
 

Eren sah ihn mit großen Augen an, seine Gedanken rasten.
 

„Und frag mich nichts über die Psycho-Tests, ich bin nicht involviert und es interessiert mich auch nicht. So oder so entgeht keiner Hanjis Urteil. So nervtötend das Vierauge auch ist, sie ist eine äußerst kompetente Medizinerin und Psychologin.“
 

Nachdenklich und verunsichert zwirbelte Eren seinen Pullover in den Händen.

Natürlich konnte Levi ihm keinen Tipp geben, damit würde er seine Pflichten verletzen. Seine Worte ergaben auch Sinn, halfen Eren jedoch in diesem Augenblick nicht aus seiner Misere.
 

Ein gereiztes Fingerschnippen holte Eren aus seinen Gedanken.

„Hey du Bremse, mach und zieh dich an oder ich schleif dich nackt raus!“
 

Hastig zog Eren den Pulli über den Kopf und beeilte sich mit dem Fertig machen.
 

Levi zerrte ihn buchstäblich aus der Schwimmhalle und sperrte ab. Es war eine eisige, klare Nacht, in der man die Sterne ohne das künstliche Laternenlicht auf dem Gelände hätte sehen können. Eren hauchte aus Gewohnheit seine Finger an, obwohl sie noch nicht kalt waren. Ein nervöser Tick.
 

„Danke“, sagte Eren unvermittelt zu dem Rücken Levis, als dieser den Hallenschlüssel mehrmals im Schloss drehte, „Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie mich nicht aufgegeben haben.“
 

Levi drehte sich fahrig um, als könne er nicht glauben, was er hörte. Sturmgraue Augen bedachten ihn mit einem bisher nie da gewesenem Erstaunen.

„Das warst du selber.“
 

Sie sahen sich an.
 

Nunmehr hinabsehen zu müssen, fühlte sich nicht mehr seltsam an. Generell Levis Präsenz war nicht mehr einschüchternd oder bedrängend. Respekteinflößend ohne Frage, Eren hatte sich mittlerweile jedoch an Levis Art gewöhnt und er empfand seine Gegenwart eher als angenehm und bestärkend.
 

Aus diesem Gefühl heraus zogen sich Erens Lippen zu einem breiten, ehrlichen Lächeln auseinander.

„Trotzdem danke.“
 

Der Ausdruck in Levis Augen veränderte sich, im Schein der Laternen konnte Eren seine Mimik doch leider nicht erkennen.

„Hau schon ab, Schleimschleuder. Da wird mir nur noch schlechter“, fuhr Levi ihn mit kühler Stimme an und wandte sich ab.
 

Ein Glucksen entfuhr Eren und er ging leise lachend zurück zu den Unterkünften.
 

*~*
 

Als Levi das rhythmische Klopfen an seiner Wohnungstür hörte, seufzte er genervt auf und überlegte kurz es schlicht zu ignorieren. Bei der dritten Strophe von Elvis' „Love Me Tender“ verwarf er jeglichen Gedanken an eine Vermeidungstaktik in dem Wissen, dass er dem schlussendlich doch nicht ausweichen können würde.
 

Schwungvoll öffnete er die Tür.

„Du hast fünf Sekunden mich davon zu überzeugen dir nicht jeden Finger einzeln zu brechen“, begrüßte er den Störenfried mit finsterem Gesichtsausdruck.
 

Hanji hielt einen Packen Akten abwehrend vor ihr Gesicht.
 

Erneut seufzte Levi und trat beiseite, woraufhin seine Kameradin flink in die Wohnung schlüpfte und sich zielstrebig ins Wohnzimmer begab.

Sie ließ sich auf die Couch plumpsen und breitete die Akten auf dem niedrigen Tisch vor ihr aus als sei sie daheim.
 

Wortlos schlenderte Levi in die Küche und setzte einen Kräutertee auf, ehe er sich auf den Sessel ihr gegenüber niederließ. Er beobachtete sie kurz beim Durchblättern der Akten.
 

„Ich hatte einen verflucht langen Tag, also spuck schon mal aus, was du willst, Vierauge.“
 

„Ich habe hier die Akten von den restlichen Rekruten. Zehn werden fliegen und zehn sind Wackelkandidaten, die ich vorerst dir überlassen möchte“, erklärte Hanji und deutete auf drei Stapel.
 

„Warum willst du sie mir überlassen? Schmeiß sie halt raus, wenn du nicht von ihnen überzeugt bist.“
 

„Ich denke, dass sie den Übergebliebenen gut tun werden.“
 

„Du willst sie ausnutzen? Als was?“ Hanji konnte sehr opportunistisch mit Menschen umgehen, um nicht zu sagen rücksichtslos, wenn sie ein festes Ziel vor Augen hatte.
 

„Als Herausforderung und Motivation. Die Wackelkandidaten werden Unruhe reinbringen, mit der die anderen Rekruten zurechtkommen müssen. Um sie rauszuschmeißen fehlen mir überdies genügend sachliche Gründe. Außerdem, vielleicht findest du ja einen Einsatzbereich für sie“, erläuterte sie und putze zu Levis Missfallen unterdessen ihre Brillengläser mit dem Zipfel ihres Pyjamaoberteils. Nur Hanji konnte in einem dunkelblauen Pyjama mit lachenden Sonnen und Monden durch die Gegend laufen und dabei ernstzunehmend wirken.
 

„Und wieso konntest du mir das nicht morgen sagen? Es sind noch zwei Wochen bis zum Einheitsende.“ Gemächlich stand Levi wieder auf und entfernte in der Küche das Sieb mit den Kräutern aus der Teekanne und stellte sie mit zwei Tassen auf einem Tablett vor Hanji ab, wobei ein paar Akten versehentlich vom Couchtisch rutschten.
 

Hanji hob sie auf und blätterte sie desinteressiert durch.

„Ich möchte mit dir kurz über diejenigen sprechen, von denen ich glaube, dass sie die Ausbildung abschließen werden.“
 

„Und wieso zum Teufel muss das ausgerechnet jetzt sein? Ich bin müde.“ Entnervt lümmelte sich Levi in den Sessel und rieb sich die Schläfen.
 

„Weil ich vorhin von Erwin erfahren habe, dass er dich breitschlagen konnte auch nach der Ausbildung die ersten Rekruten der ESE anzuleiten und mit ihnen Einsätze auszuführen“, grinste sie ihn mit einem unheilvollen Glitzern in den Augen an und schlürfte aus ihrer Teetasse, was sie zum Strahlen und Kichern brachte, „Du hast meinen Lieblingstee gemacht! Ui danke, Levi~!“
 

Er ignorierte ihre überschäumende Freude.

„Es ist bloß Tee, Blindschleiche.“
 

Hanji wippte noch ein paar Mal glucksend hin und her, schnüffelte genüsslich am Tee und schlürfte daraus wie ein Somalier. Levi musste sich davon abhalten verlegen den Ärmel seines Hemdes zurecht zu zupfen.
 

Sie kriegte sich nach ein paar mahnenden Blicken seinerseits langsam ein und räusperte sich:

„Ich möchte, dass du dir die letzten Wochen die Kiddies anschaust und schon mal überlegst, wen wir wie einsetzen, damit wir deine Einheit gleich koordiniert beginnen können.“
 

Das ergab gewissen Sinn. Dennoch wäre nichts zu Bruch gegangen, wenn sie morgen darüber gesprochen hätten. Aber Hanjis zufriedenes Gesicht mit der dämlichen Teetasse davor, hielt ihn davon ab sie rauszuschmeißen.
 

„Also ich erzähl dir dann mal grob meine bisherigen Eindrücke.“
 

„Mach schon mal und bitte nicht die ganze Nacht, du elende Märchentante“, moserte er.
 

Hanji lachte ausgelassenen und nahm endlich ein paar Akten auf den Schoß, ehe sie ihre Erkenntnisse abspulte.

„Franz Brandt und Hannah Meyer sind die geborenen Befehlsempfänger. Sie machen das, was man ihnen befiehlt, solange es nicht völlig hirnrissig ist. Thomas Wagner und Mina Carolina sind dahingegen skeptischer, aber verlässlich. Mit diesen Vieren hat man einen soliden Grundstock und eine Absicherung im Rücken.

„Annie Leonhardt, Berthold Hoover, Reiner Braun und Ymir Lenz sind willensstark und offensiv. Annie ist sehr stoisch und Ymir eigenwillig, aber sie ordnen sich unter, wenn man sie überzeugt. Selbst Reiner zeigt keinen kompromisslosen Führungswille, aber er erwartet, dass man sein Urteil gebührend berücksichtigt.

„Armin Alert ist ein hervorragender Stratege und Historia Reiss sehr einfühlsam und vorsichtig - ein Bindemittel. Die Beiden arbeiten gut zusammen, allerdings sind sie nicht für riskante Einsätze zu empfehlen, sondern eher Strippenzieher.

„Sasha Braus und Connie Springer sind Mitläufer - sie eine außerordentliche Scharfschützin, er sehr schnell, wendig und leise, aber nicht die hellste Leuchte am Firmament.

„Marco Bott ist der Ruhepol der Gruppe. Jeder mag ihn und hört ihm zu, aber er ist nicht mutig genug, um in stressigen Situationen schnell Entscheidungen zu treffen.

„Das liegt eher Jean Kirschstein. Er ist sehr dominant und ein sehr rationaler, pragmatischer Mensch, der lieber auf Nummer sicher geht und keine ausgefallenen Problemlösungen verfolgen will. Daher kommt es mit Eren Jäger ständig zu Reibereien.“
 

Levi merkte auf, was Hanji ihrem Schmunzeln nach zu beurteilen auffiel.
 

„Eren ist viel risikofreudiger und innovativ, was schwierigere Vorhaben angeht. Ihm fehlt jedoch oft der Weitblick und die Umsicht, dass seine Kollegen nicht ebenso mutig in bestimmten Situationen handeln. Glücklicherweise sieht Jean das, aber seine Art Contra zu geben ist wenig konstruktiv. Die Zwei sind völlig gegensätzlich. Glücklicherweise haben ihnen die Weihnachtsferien gut getan und die Zeit allein hat anscheinend ihr gegenseitiges Verständnis gefördert, sodass sie sich in dieser Einheit zusammenraufen konnten. Förderlich war auch, dass Erens bester Freund Armin die besten Einsatzstrategien präsentieren konnte und sich Eren spätestens nach der ersten Woche völlig auf ihn verlassen hat.

Auf diese Weise gelang es diesen fünfzehn Rekruten ein gutes Einsatzteam zu bilden und zunehmend vorzeigbare Ergebnisse abzuliefern.“
 

„Also hat sich Eren gemausert und dich überzeugt?“, hakte Levi nach, was Hanji mit einem selbstgefälligen Grinsen zur Kenntnis nahm und sich tiefer in die Couch lümmelte.
 

„Eren braucht Führung. Er ist sehr leidenschaftlich und ungestüm, hat keine herausragenden Fähigkeiten in irgendeinem Bereich, ist aber vielseitig einsetzbar. Er ist dafür von allen am Willensstärksten und wahnsinnig ehrgeizig. Er hat Führungspotenzial, wäre bisher jedoch ein Risiko. Er hat nie gelernt im Team zu arbeiten, deswegen hat es mich zugegebenermaßen überrascht, dass er das plötzlich geändert hat. Er hat sich zurückgenommen und ist gelassener an die Aufgaben rangegangen und da keiner der anderen sich um die Führerrolle gerissen hat, haben sie sich Armins Plänen untergeordnet. Ich habe immer noch Zweifel, ob Eren kontrollierbar ist, wenn er die Gelegenheit bekäme sich für seine Familie zu rächen und früher oder später würde er mit der Kcrizott in Berührung kommen. Aber ich möchte dir die abschließende Beurteilung diesbezüglich überlassen. Wenn er auf jemanden hört, dann auf dich.“
 

Hanji schenkte sich eine weitere Tasse nach und sog genüsslich den Kräuterduft ein.

„Außerdem hätte anfangs bei dir auch keiner geglaubt, dass du mal so einen verantwortungsvollen und aufopfernden Offizier abgeben würdest“, grinste Hanji diebisch über den Tassenrand hinweg.
 

„Du vergleichst uns beide? Das Balg ist ganz anders als ich“, meinte Levi mit hartem Tonfall. Er überging Hanjis vorige Worte geflissentlich. Er ertrug keine positiven Aussagen zu seiner Führungsqualität. Er fühlte sich verschmäht und dessen unwürdig.
 

„Ihr seid ziemlich unterschiedlich, aber es gibt sehr viele Überschneidungen bei euren Handlungen und Ansichten. Eren ist jetzt ungefähr da, wo du mit Anfang Zwanzig warst. Aus ihm könnte auch eine hervorragende Führungspersönlichkeit werden und ich kann es nicht vertreten, ihm und uns diese Chance wegen seiner Vergangenheit zu verwehren. Mit Unterstützung und der richtigen Anleitung ist er in den Griff zu kriegen. Machst du das, Levi?“
 

„Was soll die dumme Frage? Ich werde die Arschgeigen in Einsätze führen müssen und wenn ich ihn bis Juni nicht rausschmeiße, werde ich mich zwangsläufig auch um ihn kümmern müssen.“
 

„Ach, ich bin sicher, dass du dich gut um alle kümmern wirst“, betonte Hanji delphisch.
 

„Warum reden wir dann noch?“ Levi konnte es nicht ausstehen, wenn Hanji ihn mit ihrer Doppeldeutigkeit triezte. Meistens war da etwas im Busch oder sie heckte irgendetwas aus, was ihm nicht gefallen würde.
 

Hanji neigte den Kopf leicht, sodass sich das Licht in ihren Brillengläsern reflektierte. Es verlieh ihr immer die Aura eines verrückten Genies. Letztlich entsprach das wohl auch den Tatsachen.
 

„Hast du zu den Rekruten noch Fragen?“
 

„Nach deiner Erzählung zu urteilen, waren diese fünfzehn Rekruten auch diejenigen, die sich gegen den Rest zusammengetan haben. Ist das korrekt?“
 

„Nicht ganz. Noch drei hatten sich ihnen angeschlossen, aber von denen habe ich bloß Mylius Zeramuski behalten.“
 

„Was hat dich von ihnen überzeugt?“
 

„Ihre Kompromissbereitschaft, trotz vieler Differenzen. Die anderen Rekruten haben sich einem Alphatier angeschlossen, das sie manipulierend seinem Willen nach geformt hat. Erfolg war ihnen nicht abzusprechen, aber so etwas suchen wir nicht.“
 

„Ich denke, ich weiß wen du meinst.“ Nachdenklich trommelte Levi mit seinen Fingern gegen die rechte Armlehne seines Sessels.
 

„Ich freue mich auf diese Rekruten. Sie sind gut und die nächsten drei Monate kannst du sie dir schön passend zurechtlegen, sodass die ersten Einsätze unter Führung der GSG9 und SEK sicherlich besser laufen werden als erwartet.“
 

„Bist du da nicht zu voreilig?“
 

„Komm morgen mit und sieh sie dir an.“
 

Sie schwiegen eine Weile und Levi hing seinen Gedanken nach. Er kannte jeden Rekruten und sah sie bereits in verschiedenen Tätigkeitsfeldern.
 

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ ihn zu Hanji zurücksehen, die ihre Beine gemütlich auf die Couch legte und weiterhin an ihrer Teetasse nippte.
 

„Was treibst du da eigentlich? Ich hab nur einen Liter gemacht, sauf endlich!“, kommentierte er genervt ihre Gemütlichkeit.
 

„Hey! Ich genieße diesen wunderbaren Tee eben“, schmollte Hanji gespielt echauffiert, „Hetz' mich doch nicht so, du Giftzwerg.“
 

„Fick dich“, knurrte Levi und durchbohrte sie mit einem bösen Blick.
 

„Fick du mich“, blubberte sie hinterm Tassenrand, was Levi sie überrascht anblicken ließ.
 

„Was?“
 

Seine Reaktion entlockte Hanji ein erheitertes Glucksen und sie stellte die Tasse auf den Tisch, ehe sie sich seitlich komplett auf die Couch legte, ihren Kopf auf der Hand abgestützt. Sie warf ihm einen verruchten Blick zu und Levi konnte nicht leugnen, dass Hanji mit den offenen, wilden Haaren und dem weiten Pyjama, der sich nun an den richtigen Stellen an ihren Körper schmiegte, unheimlich anziehend wirkte.
 

„Wie wär's, hm, Levi? Ein kleiner One-Night-Stand?“, raunte sie ihm zu und wenn es nicht Hanji gewesen wäre, hätte es ihm eine Gänsehaut beschert.
 

„So nötig hab ich's nicht.“
 

Theatralisch drehte sich Hanji auf den Rücken, beide Arme von sich gestreckt.

„Bah! Ich schon. Ich hatte seit zwei Jahren keinen Sex mehr; ich glaub, ich weiß gar nicht mehr, wie's geht“, jammerte sie.
 

„Was ist eigentlich mit diesem Moblit-Typen passiert? Auf den hattest du doch ein Auge geworfen, soweit ich mich erinnere“, fiel Levi ein.
 

„Naaa, erst als es zu spät war und er irgendwo nach Südostasien versetzt wurde. Ich hab seitdem nix mehr von ihm gesehen oder gehört.“ Wehmut zeichnete sich auf ihren Gesichtszügen ab.
 

Moblit Berner war Hanjis rechte Hand und Untergebener gewesen. Obwohl sie sonst nie etwas hatte anbrennen lassen, war ihr erst spät aufgefallen, dass Moblit mehr als Sympathie für sie übrig hatte. Und anscheinend hatte sie die Gelegenheit mit ihm vollends verpasst.
 

„Was macht er in Südostasien?“
 

„Ärzte ohne Grenzen.“
 

„Hm.“
 

„Wann hattest du das letzte Mal Sex?“
 

„Das geht dich einen Scheißdreck an.“ So eine Frage konnte auch nur Hanji stellen.
 

„Ach komm schon! Ich hab's dir auch von mir gesagt!“, quengelte sie und drehte sich wieder seitlich, um ihn anzusehen.
 

„Was ich niemals wissen wollte, scheiß Vierauge.“ Levi verzog verekelt den Mund.
 

„Dafür, wie du aufgewachsen bist, hab ich selten mitbekommen, dass du überhaupt Sex hattest. So eine Schande bei all dem Interesse an dir.“
 

Levi war kurzzeitig sprachlos. Er wusste nicht, ob er amüsiert oder zornig sein sollte. Er entschied sich für zornig, das war gewohnter.
 

„Raus!“, befahl er kalt und stand auf.
 

Hanji blickte ihm unschuldig und völlig unbeeindruckt entgegen. Sie kannte ihn mittlerweile lang genug, um einschätzen zu können, wann er ernsthaft böse war.
 

„Ich habe mich immer gefragt, wie du so im Bett bist, aber du hast mich damals ja schon aus Prinzip abgelehnt“, sinnierte sie im Plauderton und warf ihm einen verschmitzten Blick zu.
 

Levi verschränkte unentschlossen die Arme vor der Brust.

„Das sollte dir zu denken geben.“
 

„Du weißt ja gar nicht was du verpasst“, grinste sie lasziv und zwinkerte ihm zu, „Ich bin echt gut.“
 

„Deine Verführungskünste wären effektiver, wenn du stumm wärest.“
 

Hanji guckte überrascht und sprang plötzlich auf.

„Ach so?“
 

Levi beobachtete sie verständnislos bis sie sich zu seinem blanken Entsetzen plötzlich das Oberteil über den Kopf zog und oben ohne vor ihm stand.
 

Sie grinste ihn frech und schamlos erwartungsvoll an.
 

„Wow, du hast ja doch Brüste“, stellte Levi trocken fest und starrte auf Hanjis nackten Oberkörper.
 

Klein hin oder her, aber ansonsten waren sie perfekt. Gleich groß, straff und hell mit kleinen rosigen Brustwarzen. Es hätten auch die Brüste einer Zwanzigjährigen sein können. Abgesehen davon war Hanjis Oberkörper durchtrainiert und genau in dem Maße muskulös, dass es bei einer Frau attraktiv wirkte. Levi konnte verstehen, dass sie begehrt war und wenn sie sich damals anders kennengelernt hätten, wäre er wahrscheinlich auch mit ihr im Bett gelandet.
 

„Du bist gemein für jemanden, der die Augen nicht von mir lassen kann“, grinste Hanji ihn belustigt an.
 

Irgendetwas an ihrem Blick und dieser Situation ließ ein unnachgiebiges Kribbeln Levis Bauch hinaufsteigen.

Er barg sein Gesicht in der Hand und schüttelte mit einem Schmunzeln auf den Lippen den Kopf.
 

Ohne ein weiteres Wort überbrückte er den Abstand zwischen ihnen, packte Hanji am Handgelenk und zerrte sie durch die Wohnung zur nächsten Tür, wo er die überrumpelte Frau ruppig ins dunkle Treppenhaus schob.
 

„Und du wunderst dich ernsthaft, warum ich es vermeide Zeit mit dir allein in einem Raum zu verbringen...“
 

Hanji fing sich wieder und brach in ansteckendes Gelächter aus. Sie versuchte vergeblich sich das Oberteil wieder anzuziehen und blieb mit dem Kopf stecken, was sie nur noch mehr glucksen ließ.
 

Levi beobachte ihr Mühen kurzweilig, bevor er seufzte und beherzt eingriff.

„Du bist so ein dummes Huhn.“
 

Sie hielt sich ruhig, als sie seine Finger an ihrem Kopf spürte, sodass er ihr problemlos das Oberteil überziehen konnte.
 

Ein hochroter Kopf mit verschobener Brille und funkelnden Augen kam zum Vorschein. Mit strengem Blick schüttelte er den Kopf, als stünde er vor einem ungezogenen Kind und fasste nach Hanjis Brille, um sie ihr wieder gerade auf die Nase zu schieben.
 

Sie nahm es mit einem sanften Lächeln zur Kenntnis und rückte das Gestell hinter ihrem Ohr zurecht, dann kehrte das freche Grinsen zurück.

„Gib es zu, wenn du mich länger hättest ansehen müssen, wärest du über mich hergefallen, Levi-Schatzi.“
 

„Dafür hätte ich taub sein müssen. Spätestens dein Mundwerk zerstört jeden Funken Erotik.“
 

Sie schlug ihm spielerisch auf den Arm und wandte sich dann schwungvoll von ihm ab, wobei das Treppenhauslicht ausgelöst wurde.

„Aaaber“, grinste Hanji fröhlich und zwinkerte ihm zu, „Ich habe dich aufgemuntert!“
 

Levi konnte gar nicht so schnell gucken, schon rauschte Hanji polternd und jubelnd die Stufen herunter. Vermutlich standen Erwin und Mike nun senkrecht in ihren Betten.
 

Kopfschüttelnd schloss Levi die Tür und schnaubte belustigt, ein seltenes Lächeln auf den Lippen. Er drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer. Dabei fielen ihm die Akten der Rekruten auf. Die müsste er Hanji am Morgen bringen, jetzt hatte er keine Lust mehr dazu. Wer wusste schon, was ihr wieder einfallen würde, wenn er vor ihrer Tür stand.
 

Levi schnaubte erneut. Hanji hatte ihn tatsächlich aufgemuntert und amüsiert. Immer noch hielt sich ein kleines Schmunzeln auf seinen Lippen und als er in der Nacht im Bett lag und an Hanjis Aktion zurückdachte, konnte er ein belustigtes Prusten nicht unterdrücken.
 

„Diese dämliche Brillenschlange...“
 

*~*
 

Es war überraschend den General-Leutnant am Montag plötzlich bei Hanji und Mike sitzen zu sehen, als ihnen der neue Fall ausgeteilt wurde.
 

Levi hatte sie diese Einheit über lediglich morgens trainiert, sonst hatten sie ihn den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen. Zu Erens Bedauern hatte er Levi auch nicht mehr beim Schwimmen oder sonst außerhalb des Trainings getroffen, was ihn zugegebenermaßen enttäuscht hatte.
 

Umso erdrückender wirkte seine Präsenz nun auf ihn und er musste sich schwer zusammenreißen, um konzentriert bei der Sache zu bleiben, doch spätestens bei der Diskussion über ihre Vorgehensweise hatte er sich zu sehr in den Einsatz vertieft, um von den Ausbildern Notiz zu nehmen. Ebenso bei der Einsatzsimulation am Nachmittag.
 

Auch die folgenden Tage spielte Levi Beobachter. Nach Armins Meinung sollte der General-Leutnant wohl seine Einschätzung zu ihnen abgeben, damit Hanji und Mike ihre Bewertungen abschließen konnten. Kein sehr beruhigender Gedanke für Eren, der gekonnt verdrängt hatte, dass die Einheit fast vorbei war und am 31. März viele fliegen würden - hoffentlich ohne ihn.
 

„Ähm, Leute?“, riss Connie ihn aus seinen brodelnden Gedanken und zeigte auf die Ausbilder vor ihnen, „Ist das Rivaille da in der Schurkenkluft?“
 

„Was?“, rief Jean entsetzt und folgte Connies Fingerzeig.
 

Statt wie üblich drei Ausbildern, waren es nun vier und obwohl sie in schwarzen Overalls und Stoffmasken vor dem Eingang des Rohbaus standen, war Levi unschwer an seiner Statur zu identifizieren.
 

„Fuck! Das ist er bestimmt“, fluchte Jean, „Warum will der mitmachen?“
 

„Keine Panik, was soll schon großartig anders werden“, versuchte Reiner sie zu beruhigen, erreichte jedoch das Gegenteil.
 

„Was heißt hier keine Panik?!“, gestikulierte Connie, „Rivaille ist ein Elitesoldat! Er wird uns sicherlich mit Absicht fertig machen!“
 

„Die drei Anderen sind von der GSG9 beziehungsweise SEK, also auch nicht gerade Hampelmänner“, erwiderte Reiner gelassen.
 

„Macht euch nicht in die Hose, ihr Feiglinge“, ertönte Annies Stimme hinter Reiner und Berthold. Sie schaute unbeeindruckt und gelangweilt wie immer drein.
 

„Genau und außerdem bringt es nichts sich zu wundern. Unser Plan ist gut und wenn wir die Nerven behalten, wird schon alles gut gehen“, mischte sich Armin ein.
 

„Du hast recht. Wir schaffen das schon. Wir sind gut“, lächelte Marco und warf dem zweifelnden Connie einen aufmunternden Blick zu.
 

„Also los!“, forderte Reiner sie auf und schritt selbstbewusst voran.
 

Heute sollten sie bei einer illegalen Geldübergabe die Täter festnehmen, wobei sie als Gebäude ein in Bau befindliches Einkaufszentrum am Rand Münchens als Einsatzgelände zur Verfügung gestellt bekommen hatten.
 

„Okay, Rekruten“, trat Mike hervor, während die vier „Täter“ im Gebäude verschwanden, um sich zu positionieren, „Ihr werdet von diesem Eingang hier starten, ab da seid ihr wie immer auf euch gestellt. Ihr habt noch 182 Minuten aaab jetzt.“
 

Mike betätigte eine Stoppuhr und trat zur Seite. Der Einsatz begann.
 

Sie zogen sich ihre Schutzhelme auf und machten sich bereit. Wie immer gab es zwei Fronten. Glücklicherweise konnten sie sich einigen, dass das eine Team nach seiner eigenen Vorgehensweise die zwei Hauptziele, gekennzeichnet mit einem roten und gelben Tuch am Oberarm, die sie möglichst „lebendig“ festsetzen sollten, und das andere Team sich um die Absicherung kümmern sollte. Heute würden sie das Gebäude sichern.
 

„Hey, Anton“, rief Eren, bevor sie das Gebäude betraten dem Anführer des anderen Teams zu, „Falls Rivaille eines der Zielobjekte ist, erschieß ihn.“
 

„Was? Spinnst du, Jäger? Das gibt Abzüge“, blaffte Anton zurück. Er war kein schlechter Kerl, aber unheimlich von sich selbst überzeugt.
 

„Wenn Rivaille in die Gänge kommt, wird er uns alle fertig machen.“ Eren hatte Levi bisher nur im Training erleben können, doch das reichte, um ihn einzuschätzen und wenn selbst Hanji sagte, er sei der beste Soldat, den sie je getroffen hatte, dann mussten sie verhindern, dass er eingriff.
 

„Piss dich nicht an. Der kocht auch nur mit Wasser.“
 

„Mag sein, aber es ist kochend heiß“, meinte Eren ernst.
 

„Ach was. Werden wir ja noch sehen“, winkte Anton abschätzig ab.
 

Eren knirschte mit den Zähnen, schwieg jedoch. Es ging los.
 

Sie drangen behutsam immer tiefer ins Gebäude vor. Das Kaufhaus war groß, verschachtelt und viele Gerüste erschwerten einen lautlosen Zugang - kurz: der reinste Alptraum.
 

Sie konnten sich auf den Gerüsten überhalb eines Rondells positionieren und die Subjekte unter ihnen anvisieren. Alle Vier standen tatenlos herum, zwei unterhielten sich sogar, doch die Sicherheit war trügerisch. Zu allem Übel trug Levi ein gelbes Tuch um den linken Oberarm, das signalisierte, dass er einer der beiden Männer war, die sie unbedingt festnehmen sollten.
 

Eren wusste, dass es unmöglich war, aber Anton und seine Leute waren dafür verantwortlich die Subjekte festzusetzen, während Eren mit Armin und ihren Freunden dafür zu sorgen hatte, dass sie dabei nicht erschossen wurden, sodass nicht mehr zu tun blieb, als zu hoffen, dass sie selbst mit Levi fertig wurden.
 

Fünf Polizisten machten sich bereit auf die Subjekte zuzustürmen, drei weitere befestigten Seile an Gerüststangen, um von oben einzugreifen. Sie waren geschickt, schnell und koordiniert.
 

Simultan schlugen sie los und die Hölle brach aus.
 

Kaum wurden die Rekruten bemerkt, schossen die zwei Ausbilder auf sie, während die zwei restlichen Ausbilder nach den Verborgenen suchten und diese beschossen, um ihren Leuten Deckung zu geben.
 

Levi traf alle Acht zielgenau mitten ins Gesicht und in die Brust. Trotz Schutzkleidung und Helme war der Aufprall hart und sie durften nicht weitermachen.
 

Erens Kameraden schossen, doch sie trafen niemanden ohne sich selbst zu gefährden. Antons Leute versuchten anscheinend einen Plan B, doch sie waren zu langsam und konnten sich nicht neu formieren, verharrten an Ort und Stelle.
 

Levi visierte einen der Rekruten in den Gerüsten an, Eren sah, dass er ihn treffen würde und keiner sonst den Rekruten retten konnte.
 

Eigenmächtig nahm Eren Levi ins Fadenkreuz und zielte auf seine Brust. Hochkonzentriert legte er seinen Finger auf den Abzug, atmete ruhig aus und betätigte ihn. Eine Kugel schlug plötzlich neben seinem Kopf im Gerüst ein und er zuckte leicht zusammen, aber es reichte damit er sein Ziel verfehlte und direkt an Levis Brust vorbeischoss.
 

Eren robbte sich etwas zurück, um nicht angeschossen zu werden, gleichzeitig stellte er fest, dass er nicht getroffen hatte und Levi ihn lokalisiert hatte.
 

Obwohl die Maske der Ausbilder bloß einen Augenschlitz aufwiesen, sah Eren wie sich die stahlgrauen Augen hart und gefährlich auf ihn richteten. Eine unwillkürliche Welle der Furcht ließ Erens Magen absacken und er zog sich zügig zurück.
 

Levi rannte in seine Richtung und sprang das Gerüst hinauf, hinter ihm her.
 

„Vorsicht Eren! Auf 5 Uhr hat dich einer im Visier!“, brüllte Armin durch den Kommunikationschip in sein Ohr.
 

„Keine Sorge, ich hab ihn“, sagte Sasha und ein Schuss ertönte. Im Augenwinkel sah Eren, wie sie einen Ausbilder in die linke Brust traf, direkt ins Herz.
 

Eren rannte über das Gerüst und sprang auf einen Balken, drehte sich um und sah gerade noch, wie Levi zwei weitere Rekruten auf seinem Weg zu ihm niederschoss.
 

Fuck, hallte es in Erens Gedanken wider, als er sich vom Balken eine Etage tiefer schwang.
 

„Sasha und Connie haben noch einen Ausbilder erschossen“, rief Reiner euphorisch in sein Ohr.
 

„Scheiße!“, fluchte Connie plötzlich in sein Ohr und Eren sah ihn an dem Gerüst gegenüber baumeln, „Rivaille hat mich am Kopf getroffen, bin draußen.“
 

„Alles ok?“, fragte Eren, sah jedoch, wie sich Connie sicher hochzog und auf dem Gerüst sitzen blieb.
 

„Rückzug! Rückzug!“, brüllte Armin in sein Ohr, „Rauf ins zweite Stockwerk, zum Brunnen!“
 

Ohne zu zögern rannten sie zurück und schwangen sich von den Gerüsten zu Boden. Eren wagte nicht sich umzudrehen, sondern beeilte sich in Sicherheit zu kommen.
 

„Wir sind alleine“, versicherte Berthold, der sie nach hinten absicherte, als sie die Treppen hoch sprinteten.
 

„Fuck!“, fluchte Anton und riss sich den Schutzhelm vom Kopf, „Das ist alles deine Schuld, Jäger! Warum hast du dich eingemischt?!“

Stocksauer stakste Anton auf ihn zu und packte ihn grob vorne an der Schutzweste.
 

„Ich hab dir deinen Arsch gerettet, Huber. Rivaille hätte euch alle fertig gemacht“, knurrte Eren wütend.
 

„Das stimmt, Anton. Er hat mich quasi gerettet“, beschwichtigte Stefanos Gekas, einer von Antons Leuten, woraufhin Eren losgelassen wurde.
 

Schnaubend spuckte Anton auf den Boden und wandte sich ab.
 

„Wir sind nur noch zu sechzehnt“, stellte Armin fest, „Wenn wir das Ruder noch rumreißen wollen, müssen wir Rivaille erschießen. Es reicht, wenn wir den anderen festnehmen.“
 

„Das hab ich doch schon von Anfang an gesagt“, beschwerte sich Eren.
 

„Schnauze, wir haben keine Zeit für sowas“, fauchte Jean, „Wir könnten jeden Augenblick angegriffen werden.“
 

„Hört mir zu, ich habe eine Idee“, begann Armin und erklärte ihre neue Vorgehensweise. Diesmal zogen Anton und seine drei übrig gebliebenen Leute mit.
 

*~*
 

Eigentlich hatte Levi gedacht, es wäre amüsant die Bälger fertig zu machen und sie mit Farbkugeln abzuschießen, aber mittlerweile war er angepisst.
 

Der andere Ausbilder, Hoffmann, lief hinter ihm her und labberte auf ihn ein, dass er sich gefährdet hatte, als er einem der Rekruten hinterhergejagt hatte.
 

Gefährdet. Am Arsch.
 

Der Schwachkopf hatte keine Ahnung durch welchen Kugelhagel er bereits hatte durchmüssen. Levi mochte zwar zu gewagten Manövern neigen, doch das lag daran, dass Dritte nicht nachvollziehen konnten, was er konnte und was nicht. Er wäre längst tot, hätte er nicht schon als Kind gelernt seine Fähigkeiten richtig einzuschätzen.
 

Umso mehr ärgerte er sich, dass er den einen Schützen zu spät bemerkt hatte. Er hätte ihn beinahe getroffen und das aus bloßer Arroganz seinerseits, weil er gesehen hatte, wie verschreckt die Rekruten auf seine präzisen Schüsse reagiert hatten.
 

Das würde ihm nicht noch einmal passieren.
 

Immerhin hatte er sie in die Flucht geschlagen und nun würde er sie suchen und jeden Einzelnen ausknipsen.
 

Er entsicherte seine Waffe, als sie in einen unübersichtlichen Bereich des Rohbaus kamen. Links und rechts reihten sich Geschäfte eine Passage entlang, Gerüste erschwerten den Überblick. Es wäre ein guter Ort, um auf sie zuzugreifen.
 

Levi blickte nach oben. An der Decke befanden sich Balken, an denen man sich hinab schwingen konnte.
 

Er schnaubte wenig begeistert. Seine Lust in diese offensichtliche Falle zu latschten, hielt sich in Grenzen.
 

„Hey, Hoffmann. Halt mir den Rücken frei“, befahl Levi, was dem hochrangigen Polizisten, der eine solche Umgangsweise ungern über sich ergehen ließ, hinter ihm sauer aufstieß.
 

Desinteressiert sprintete Levi plötzlich los und warf sich mit den Beinen voran unter eines der Gerüste, welches mit einer Plane soweit verdeckt war, dass man ihn darunter nicht anvisieren konnte. Er kroch dort entlang, sprang hervor und schmiss sich hinter eine Säule. Es blieb ruhig.
 

Er drang weiter vor bis die Passage zu Ende war und sich vor ihm ein Rondell mit einem unfertigen Brunnen präsentierte. Levi hatte sich den Gebäudeplan eingeprägt und wusste, an welchen Stellen sich ein Zugriff anbot, sodass er schnurgerade in eine weitere Passage ging.
 

Ein Schrei ließ Levi sich umdrehen und er sah, dass Hoffmann von zwei Rekruten überwältigt wurde. Er schoss ohne zu zögern und präzise. Allerdings traf er beide Rekruten bloß am Oberkörper, da er sich rasant um die eigene Achse drehen musste, um zwei weitere Rekruten zu erschießen, die seine Ablenkung ausgenutzt hatten.
 

Levi kletterte auf eines der Gerüste bis unter die Decke, wo er zumindest von oben und unten nicht erwischt werden konnte.
 

Er gab Hoffmann Feuerschutz so gut er konnte, doch der Trottel war die Inkompetenz in Person, sodass Levi ihn nicht mehr schützen konnte, als er selbst wieder angegriffen wurde.
 

Sie schossen Hoffmann ab, dann wurde es verdächtig still. Sie heckten etwas aus. Wenn Levi richtig gezählt hatte, müssten noch zehn Rekruten übrig sein, minus die, die Hoffmann vielleicht noch erwischt hatte.
 

Es war das reinste Ballerspiel und ziemlich lächerlich. Sie hatten nicht genug Respekt vorm Spieltod, da musste Levi sich noch etwas einfallen lassen, wenn er mit den Bälgern Einsätze einübte. Unangenehme Konsequenzen.
 

Er hörte jemanden unter sich und ahnte bereits, was sie vorhatten.
 

Sie lösten die Stangen aus ihren Verankerungen, sodass das Gerüst mit ihm drauf abstürzte. Kraftvoll stieß er sich vom Gerüstboden ab und rollte sich über den Boden, schoss wild um sich, verschreckte planmäßig seine Gegner und traf außerplanmäßig einen in der Brust und einen an der Schulter - der zwar weitermachen durfte, aber da die Schulter nicht so gut gepolstert war zu lange vor Schmerz erstarrte, sodass Levi einen Kopfschuss nachsetzen konnte.
 

Mutig schlitterte ein Rekrut vor seine Füße, um ihn zu Fall zu bringen. Wie eine Gazelle sprang er über ihn und schoss ihm ins Gesicht und einem anderen in die Brust. Sie hatten keine Ahnung, wie sie ihn aufhalten sollten.
 

Levi rannte aus der Passage und verbarg sich hinter der Säule einer Halle. Langsam ging ihm die Geduld aus. Und die Munition, wie er feststellte, als in die Säule geschossen wurde und er nicht erwidern konnte. Die Farbpatrone war leer und er hatte keinen Ersatz. Soviel zu Mikes Zusicherung, dass er sie schon nicht leer bekommen würde. Von wegen.
 

Also wartete er.
 

Nach einiger Zeit hörte er, wie sich Schritte näherten. Vermutlich wollte ihn einer von links und einer von rechts angreifen, während der Rest versuchte ihn zu erschießen.
 

Der Zugriff erfolgte plötzlich und simultan. Levi gelang es dennoch dem einen mit der Waffe eine überzuziehen und dem anderen den Arm zu verdrehen und ihn als Schutzschild zu benutzen, sodass niemand wagte auf ihn zu zielen.
 

Die Person in seinem Griff war leicht und kräftig, definitiv weiblich. Das konnte nur Annie Leonhardt sein, ein Grund mehr sich zu beeilen aus der Schusslinie zu kommen und die Frau loszuwerden. Gegen seine Kraft konnte sie nicht viel ausrichten, aber sie war flink und ein wahres Miststück im Nahkampf. Sie würde jeden Strohhalm ergreifen, um ihn fertig zu machen. Beim Training hatte sie ihm bereits in die Eier getreten und er war nicht sonderlich erpicht darauf diese Erfahrung zu wiederholen.
 

Annie begann sich zunehmend in seinem Griff zu winden, sodass er ihr kurzum mit der Handkante auf den Hals schlug. Sie sackte bewusstlos in seinen Armen zusammen. Das war der Moment, in dem er von hinten angegriffen wurde. Der Kerl, den er zuvor niedergeschlagen hatte, hatte sich erholt und zielte mit der Waffe auf ihn. Gerade so rechtzeitig, konnte Levi sich so drehen, dass weder die Schützen von vorne, noch der Angreifer schießen konnten, ohne seine Geisel zu gefährden.
 

Der Angreifer war jedoch nicht auf den Kopf gefallen und stürmte ohne erkennbares Zögern auf ihn zu, wobei er seine Waffe fallen ließ.
 

Im ersten Moment war Levi perplex, erkannte dann jedoch, dass der Angreifer wohl vermeiden wollte von ihm entwaffnet zu werden. In dieser Situation gar nicht dumm. Das funktionierte natürlich nur, weil sie sich kannten, andernfalls wäre es unmöglich seine Waffe zurückzulassen.

Noch ein Punkt, den Levi mit den Rekruten behandeln müsste.
 

Levi sah es zwar kommen, begeistert war er jedoch nicht, als sein Angreifer mit voller Wucht in ihn hineinlief. Er versuchte zwar noch Annie als Schutzschild vor sich zu halten, aber der Rekrut war geschickt genug, um ihn am Genick zu packen und ihn schwungvoll zur Seite und zu Boden zu reißen.
 

Levi ließ Annie los, in dem Bewusstsein, dass nicht auf ihn geschossen werden würde, solange die anderen ihm so nah waren.
 

Zu seiner Überraschung tat sein Angreifer das einzig Richtige in dieser Situation. Er packte Annie unter den Achseln und zog sie von ihm weg.
 

Natürlich konnte Levi nun fliehen, bevor wieder auf ihn geschossen wurde. Aber erstens war er mit der Geduld am Ende und zweitens war er sauer.
 

Er stieß sich vom Boden ab und rammte sich mit den Armen vorm Kopf und den Ellenbogen voran in den Bauch des Rekruten, der Annie rechtzeitig losgelassen hatte, um sie aus der Gefahrenzone zu halten. Obwohl Levi ihn umgerissen hatte, rappelte er sich schnell auf und stellte sich vor Annie. Doch als er erkannte, dass Levi erneut angreifen würde und er mit Annie nicht fliehen konnte, stellte er sich ihm.
 

Das erfüllte Levi mit kribbelnder Kampfeslust.
 

Der Rekrut wagte nicht den ersten Zug zu machen. Levi holte aus und schlug mit der linken Faust nach ihm, als er sich entsprechend duckte, trat er dem Rekrut mit dem Fuß in den Bauch. Geistesgegenwärtig griff der Rekrut nach seinem Fußgelenk, federte den Schlag ab und brachte Levi aus dem Gleichgewicht. Flink drehte er sich und ließ sich fallen, drückte sich mit den Händen am Boden ab und wandte sich aus den Händen des Rekruten.
 

Dann warf sich Levi auf den Rekruten, der zur Seite sprang, jedoch nicht weit genug, sodass Levi seinen Arm zu fassen bekam und ihn herumriss. Der Rekrut schlug ihm gekonnt in den Solarplexus, sodass Levi der Atem wegblieb und ihm schwindlig wurde.

Um nicht die Kontrolle zu verlieren, packte er den Arm des Rekruten noch fester, drehte sich an dessen Seite und warf ihn schwungvoll über seine Schulter zu Boden, ließ ihn jedoch nicht los, sondern hielt ihn weiterhin fest, um eigentlich weiterzumachen. Doch ein knackendes Geräusch und ein wütender Schmerzschrei ließ ihn inne halten.
 

„Eren?“ Überrascht blickte Levi auf den vor ihm auf dem Boden liegenden Rekruten, ihm dämmerte erst jetzt, dass ihm die Bewegungen eher hätten verraten müssen gegen wen er kämpfte.
 

Prompt wurde Levis Unaufmerksamkeit ausgenutzt und er erschossen. Er hatte für den Schützen bloß einen strafenden Blick übrig und sah wieder zu Eren hinab, der sich aufrappelte und fluchend den linken Arm hielt.
 

„Eren!“, rief Armin und rannte zu ihnen, wobei er den Helm absetzte, „Hast du dir den Arm gebrochen?“
 

„Nein, denke nicht“, presste Eren hervor und ließ sich von Armin den Schutzhelm ausziehen.
 

Unterdessen kümmerte sich Berthold mit Historia um die langsam zu sich kommende Annie und Ymir stakste selbstsicher und mit schadenfrohen Augen zu Eren hinüber.
 

„Sah echt toll aus, wie du geflogen bist. Wie ein kleines Fuchsbaby.“
 

„Fick dich“, fluchte Eren, was Ymir auflachen ließ.
 

„Ymir“, schalt Armin sie, woraufhin sie sich schulterzuckend abwandte und zu den anderen ging.
 

Kaum ging Levi einen Schritt vor, um Erens Schulter zu kontrollieren, hörte er auch schon Hanji zu ihnen laufen.
 

„Was ist denn hier passiert? Mike, geh du zu Annie“, befahl sie und ging absichtlich nah an Levi vorbei und warf ihm einen zurechtweisenden Blick zu, ehe sie sich vor Eren kniete.
 

Levi wandte den Kopf trotzig ab und riss sich die Maske vom Kopf.
 

„Lass mal ansehen“, forderte sie sanftmütig und tastete vorsichtig Erens Schulter ab, „Wir müssen deine Jacke ausziehen.“
 

Behutsam und mit Armins Hilfe zog sie ihm die gepolsterte Einsatzjacke aus, was Eren zischend und mit schmerzverzerrtem Gesicht über sich ergehen ließ.
 

Hanji betrachtete seinen Arm fachmännisch und grinste ihn dann aufmunternd an.

„Ist nur eine Schulterluxation. Einbügeln und fixieren, dann wirst du morgen nichts mehr davon spüren.“
 

Eren sah mit großen Augen in ihr euphorisches Gesicht.

„Okay. Danke, Generaloberstabsärztin Zoë.“
 

Es war Levi ein Rätsel, wie die Leute sie immer mit vollem Titel anreden konnten. Er hätte vergessen, was er sagen wollte, bevor er das ganze Wort herausbrächte.
 

Im nächsten Moment lagen Hanjis Augen auf ihm. Ihre Lippen waren zu einem breiten Grinsen auseinander gezogen, doch in ihren Augen spiegelte sich Ernst und eine Mahnung. Er hasste es, so von ihr angesehen zu werden.

„Levi wird mit dir zu meinem Auto gehen, während wir hier aufräumen, und sich um deine Schulter kümmern.“
 

Levi starrte sie wenig erfreut an und stellte zu seinem Verdruss fest, dass Eren noch viel weniger erfreut von dieser Aussicht war.
 

„Levi kann das genauso gut wie ich“, versicherte sie Eren und ließ es gar nicht erst zu Widerworten kommen.

Dann wandte sie sich ihm zu und drückte ihm ihren Autoschlüssel in die Hand.

„Der Arztkoffer ist hinten. Da ist alles drin, was du brauchst.“
 

Mit diesen Worten ließ sie sie stehen und ging zu Mike und Annie, die schon wieder stand und fit wirkte. Er hatte ja auch nicht sonderlich fest zugeschlagen, eigentlich hätte sie nur benommen sein müssen.
 

Er sah wieder zu Eren, dem Armin aufmunternd auf die gesunde Schulter tappte und sich vorläufig verabschiedete.
 

„Kannst du aufstehen?“, fragte Levi zugegebenermaßen ziemlich ruppig und kassierte prompt einen hitzigen Blick und ein trotziges Schnauben, als Eren sich hochhievte und ihm mit zusammengezogenen Augenbrauen folgte.
 

Klar, er war erfahren genug und hätte besser aufpassen müssen, als er ihn hingeworfen hatte, aber Levi fühlte sich deswegen nicht schuldig. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er ihm so schnell den Arm auskugeln könnte und sie waren nicht zum Spaß hier. Wer mit Samthandschuhen angefasst werden wollte, musste sich einen anderen Beruf suchen.
 

Levi ging zielstrebig aus dem Gebäude hinaus, ab da wurde es kompliziert. Er war mit den anderen Ausbildern gekommen, wusste nicht wo Hanji geparkt hatte und nach seiner Erfahrung hatte sie sich sicherlich wieder etwas besonderes ausgedacht.
 

Genervt sah er sich um.

„Warte hier. Ich suche das Auto.“
 

Levi lief los und suchte den Parkplatz ab. Er fand Hanjis Sanitätswagen hinter großen Bauschuttcontainern versteckt.
 

Er stieg ein, bemüht den Staub und die ganzen Papiere auf dem Beifahrersitz zu ignorieren, und fuhr zu Eren, welcher immer noch ziemlich angepisst dreinschaute.
 

Er stellte sich vor ihn hin, stieg aus und öffnete die Heckklappe. Der Arztkoffer war im Grunde Beiwerk, da der Sanitätswagen zur Genüge ausgerüstet war, doch Hanji schleppte den abgenutzten, mehrfach geflickten Koffer überall hin. Das Teil hatte sogar den Krieg überlebt und nur der neue Lederbezug verdeckte alte Blutflecken und tausende Erinnerungen. Levi hatte keinen Sinn für derartige Nostalgie.
 

Er klappte Hanjis Heiligtum auf und suchte sich die richtige Spritze heraus und zog Handschuhe an.

„Ich werde dir als erstes ein Lokalanästhetikum spritzen“, erklärte er, als Eren neben ihn gekommen war.
 

Levi bedeutete ihm sich hinzusetzen. Eren trug noch ein eng anliegendes Shirt, das störte.

„Halt mal, ich muss das Oberteil zerschneiden.“ Mit diesen Worten drückte er ihm die aufgezogene Spritze in die Hand und nahm sich eine Schere, um den Ärmel behutsam abzuschneiden.
 

Eren zuckte etwas und biss die Zähne zusammen, schwieg jedoch eisern weiter. Nachdem er die Schulter völlig freigeschnitten und desinfiziert hatte, nahm er die Spritze und betäubte die Schulter.
 

„Da fällt mir ein, du bist nicht auf irgendwas allergisch, oder?“
 

„Das fragen Sie mich erst jetzt?“ Eren blickte ihm zum ersten Mal in die Augen. Er war aufgebracht.
 

„Ich hab deine Akte nicht gelesen.“ Levi dachte sich nichts dabei. Hanji hätte ihm von einer Unverträglichkeit erzählt und wenn Eren eine allergische Reaktion gezeigt hätte, würde er hier schon das richtige Gegenmittel finden.
 

„Immer noch nicht? Sollten das Vorgesetzte nicht tun?“
 

Erens Tonfall verärgerte Levi.

„Warum so eingeschnappt, Balg? Verkraftest du's nicht, wenn du mal einstecken musst?“
 

Eren sah ihn mit großen Augen an, deutlich überrascht, trotz der steten Wut in ihnen.

„Ich bin nicht böse auf Sie, wenn Sie das meinen. Mich kotzt nur die ganze Situation an. Ich hab den anderen gesagt, dass wir Sie sofort erschießen müssen.“
 

Erkennend neigte Levi den Kopf.

„Du warst der Schütze, der mich fast in die Brust getroffen hätte.“
 

Eren nickte missmutig, ehe er in einer nervösen Geste auf seine Unterlippe biss. Anscheinend hatte sich plötzlich eine gewisse Verlegenheit eingeschlichen.
 

Belustigt davon schmunzelte Levi und holte eine weitere Spritze aus dem Koffer, zusammen mit einem Beißgummi.
 

Eren beobachtete ihn verwundert dabei.

„Was ist so komisch?“
 

„Du bist so ein dämliches Gör.“
 

„W-Wie bitte? Sie haben mir den Arm ausgekugelt, ich habe Schmerzen und Sie beleidigen mich? What the fuck?“, regte sich Eren auf, sichtlich rot vor Empörung, Scham und Schmerz.
 

Levi schnaubte belustigt und spritzte ein schmerzstillendes Mittel in Erens Arm, nachdem er die Einstichstelle ebenfalls desinfiziert hatte.
 

„Ich habe heute viel über euch Hosenscheißer gelernt und einige Ideen, was wir in der nächsten Einheit üben werden.“ Es würde nervenaufreibend werden, aber ein bisschen freute sich Levi dennoch darauf.
 

„Ich renke jetzt deine Schulter ein, also nimm das Beißgummi in den Mund und versuch dich nicht unnötig zu verkrampfen.“
 

Eren schenkte ihm einen zweifelnden Blick und tat wie geheißen. Levi packte und drehte Erens Arm so schnell wieder ins Gelenk, dass er kaum Zeit hatte sich leid zu tun oder gar zu schreien.
 

Ein peinvolles Stöhnen, war alles wofür ihm Zeit blieb, ehe er unterdrückt und mit stickiger Stimme fluchte.
 

„Schon vorbei. Ich werde den Arm fixieren und Hanji wird den Arm vielleicht noch tomographieren. Keine Ahnung.“
 

Eren ließ seine Augen noch zugekniffen, als er vorsichtig damit begann eine Schlinge um Erens Arm und Schulter zu binden.
 

Eren stöhnte erneut, öffnete dann jedoch die Augen und nahm das Gummi aus seinem Mund. Deutliche Einkerbungen zeigten wie hart er draufgebissen hatte.
 

„Normalerweise dürfte morgen nichts mehr weh tun.“
 

Prüfend betrachtete Eren seinen Arm und atmete tief durch.

„Danke.“
 

Levi nahm es zur Kenntnis und stieg ins Auto, um die gebrauchten Spritzen, Handschuhe und Wattepads wegzuschmeißen. Das Beißgummi warf er mit spitzen Fingern in das Miniaturspülbecken. Sollte Hanji es sachgemäß aufräumen. Anschließend desinfizierte und trocknete er seine eigenen Hände.
 

„Um nochmal auf die Akten zurückzukommen“, fiel Levi wieder ein und stellte klar, „Ich habe bereits gesagt, dass ich mir mein eigenes Bild mache, außerdem werden die medizinischen Tests nach dieser Einheit nochmal routinemäßig wiederholt und mir vorgelegt. Dementsprechend muss ich deine Akte nicht ansehen. Ich weiß alles, was ich wissen muss.“
 

Eren schien über seine Worte nachzudenken, dann wandte er seinen Kopf ruckartig ihm zu.

„Dann muss auch ich die medizinischen Test nochmal machen“, hakte Eren nach, unterschwellige Aufregung mitschwingend.
 

„Red' ich Suaheli?“ Dann begriff er.

„Oh, da hab ich wohl zuviel verraten, huh?“
 

Schulterzuckend schloss Levi den Arztkoffer und stellte ihn zurück.
 

Eren starrte ihn ungläubig und mit vorsichtiger Freude an.

„H-Heißt das, ich bin weiter? I-Ich hab bestanden? Die Psycho-Tests?“
 

Es faszinierte Levi wie ein erwachsener Mann so gucken konnte. Er musste als Kind der Horror gewesen sein.

„Du schaust wie ein Welpe, dem man sein Lieblingsspielzeug vor die Nase hält. Hör' auf damit, das ist peinlich“, schnaubte Levi erheitert. Es war klar, dass Eren das unabsichtlich machte. Noch schlimmer.
 

Eren blinzelte verwirrt und die Verlegenheit erreichte nun auch seine Augen. Er musste sich sichtlich bemühen den Blick zu halten.

„Das wäre nur so...whaa!“ Übermütig wippte Eren zur Seite, woraufhin er sich in nächster Sekunde zischend an die Schulter fasste.
 

„Hanji färbt wohl ab“, bemerkte Levi trocken, doch die Freude des Jungen war ansteckend, „Freu dich nicht zu früh, die nächste Einheit wird die Hölle.“
 

Nichtsdestotrotz funkelte Eren ihn froh an.

„Ist Armin auch weiter?“, fiel ihm plötzlich ein und Besorgnis spiegelte sich in seinem Gesicht, „Ich weiß, Sie dürfen nichts sagen, aber ich würde nichts verraten oder so...“
 

„Alle die am Schluss noch gelebt haben, bleiben. Hanji hat es mir Sonntag Abend erzählt, deswegen sehe ich kein Problem darin dir soviel zu verraten. Mehr allerdings auch nicht.“
 

„Vielen Dank, Levi“, strahlte Eren und für einen Moment wunderte sich Levi, ob es so gut gewesen war dem Balg zu erlauben ihn beim Vornamen zu nennen...
 

***
 

„Und? Was sagst du zu ihnen?“, wollte Hanji lautstark wissen, als sie in den Gemeinschaftsraum am selben Abend polterte, sodass Levi genervt zusammenzuckte, als er aus der Pokerpartie mit Erwin und Mike aufgeschreckt wurde.
 

„Schrei nicht so, Weib! Ich höre ausgezeichnet“, knurrte er sie an und legte die Karten verdeckt auf den Tisch. Mike und Erwin taten es ihm gleich. Es wäre unmöglich das Spiel fortzusetzen solange Hanji etwas wollte.
 

Schwungvoll schmiss sie sich auf den Sessel neben ihm.

„Los, sag schon!“
 

Levi warf ihr einen schmutzigen Blick zu, ehe er nachgab.

„Die einen sind scheiße, die anderen beschissen.“
 

„Ich glaub, das musst du konkretisieren“, grinste Mike erheitert, während Erwin abwartend zu ihnen schaute.
 

„Aaaalso denkst du, dass du die scheiß Leute hinbiegst?“
 

Erwin und Mike starrten Hanji an. Scheinbar hatten sie immer noch nicht begriffen, dass ihre Gehirne in mancherlei Hinsicht verstörend synchron liefen.
 

„Natürlich“, erwiderte Levi zufrieden.
 

„Wunderbar!“, jubelte Hanji und klatschte in die Hände. Dann wurde sie abrupt ernst.

„Es wäre nur gut, wenn du niemanden verletzt. Wir brauchen die Rekruten fit.“
 

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass Jäger so ein Porzellanpüppchen ist“, wehrte Levi ab und erwiderte den strengen Blick.
 

„Dir war von seinem Schlag schwindlig und deswegen hast du zu spät losgelassen“, erklärte Hanji, was Levi durchaus bewusst war, „Es ist keine Kritik, ich will nur sagen, dass du in dieser Situation einfach eher nachgeben solltest. Sein Arm ist unbeschädigt, aber mit deiner Kraft kannst du sogar Knochen brechen und sowas können wir nicht gebrauchen.“
 

„Das weiß ich selbst“, verdeutlichte er ihr in tiefer Tonlage und einem missbilligenden Blick. Er brauchte keinen Moralapostel und Hanji müsste das eigentlich wissen. Ihr Misstrauen kränkte ihn.
 

„Ich weiß“, lächelte Hanji ihn zuversichtlich an, ganz klar ein Versuch ihm die Anspannung wieder zu nehmen, doch es misslang natürlich.
 

„Wir können die Rekruten nicht in Watte packen“, meldete sich Erwin plötzlich mit gefasstem Entschluss zu Wort, „Natürlich sollten Verletzungen vermieden werden, aber ich denke, dass eine etwas rauere Umgangsart jetzt genau das Richtige ist.“
 

„Also ist es okay, wenn ich die nächsten Monate Gelenke einrenke und Extremitäten eingipse?“, brauste Hanji ungläubig auf. Auch Levi bedachte ihn mit zweifelndem Blick.
 

„Wir haben noch drei Monate bis die Ausbildung abgeschlossen ist, neun bis sie in autonome Einsätze geschickt werden. Wir können uns weder einen Fehlschlag des Projekts erlauben, noch dass Levi da draußen sich nicht hundertprozentig auf seine Leute verlassen kann. Also tu, was du willst, Levi.“
 

Verblüfft versuchte Levi in Erwins Augen zu lesen. Natürlich hatte Erwin mehr im Sinn als er zu erkennen gab. Diese forsche Aussage kam nicht von ferner liefen. Irgendetwas heckte dieser Mistkerl wieder aus.
 

„Ein Blanko-Scheck, huh? Das wäre gar nicht nötig gewesen.“
 

Erwin, der sich mit Hanji ein Blickduell geliefert hatte, sah zu ihm.

„Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, die diese Rekruten herausragend machen.“
 

Die Ernsthaftigkeit Erwins ließ sie alle kurz inne halten.
 

„Was verheimlichst du uns wieder, Erwin?“, sprach Mike als erstes und betrachtete seinen Freund genau.
 

„Nichts, was sich nicht aus dem Tagesgeschehen erschließen würde“, erwiderte Erwin knapp.
 

„Keine Informationen darüber hinausgehend?“, hakte Mike trotzdem nach, was ihm ein klares „Nein“ von Erwin einbrachte.
 

„Das sind gefährliche Zeiten“, betonte Erwin und redete sich heiß, „In Afrika erheben sich die Menschenrechtler, die russisch-chinesische Allianz ist unkooperativ bezüglich der Friedenskorps und die U.S.A. konnten immer noch kein Wirtschaftsabkommen mit Brasilien und Argentinien schließen. Die Welt ist in Unruhe und von den zahlreichen radikalen Organisationen brauche ich gar nicht anfangen. Wir sitzen in einem Wespennest und die V.S.E. kneifen taub die Augen zu und gebärden sich als ginge es sie nichts an. Nur weil der dritte Weltkrieg 63 Jahre her ist, sind sie davon überzeugt, dass das System funktioniert.“
 

„Danke für die Geschichtsstunde, aber die Zeiten waren immer gefährlich und das Volk immer dumm“, sagte Levi unbeeindruckt und kassierte dafür einen scharfen Blick von Erwin, „Das wird sich auch nie ändern. Wir können nur unseren Job machen und die Arschlöcher davor bewahren unterzugehen, bevor wir untergehen.“
 

„Ich weiß dann gar nicht, worüber wir hier reden“, stellte Erwin mit harter Stimme fest.
 

„Entspannt euch!“, seufzte Hanji tief auf, den Kopf in den Nacken legend und streckte Arme und Beine von sich, „Wir sind Kriegsveteranen. Wir haben die Hölle überlebt und arbeiten weiter. Wir schaffen alles, solange wir zusammenarbeiten.“
 

„Das war das Wort zum Freitag“, nickte Mike und nahm die Karten auf, „Lasst uns weiterspielen.“
 

„Hanji kann für mich einspringen. Ich geh' ins Bett.“ Mental etwas angeschlagen stand Levi auf.
 

„Yaaay“, jubelte sie und warf sich auf seinen Platz, „Ich hoffe, dass dein Blatt was taugt.“
 

Er schwieg und schlenderte mit gezücktem Mittelfinger aus dem Raum.
 

***
 

Als Levi diese Nacht im Bett lag, dachte er noch lange über Erwins Worte und die Rekruten nach.
 

Die gesellschafts-politische Lage war angespannt, da es einfach zu viele Menschen gab und nur derjenige mit der größten Wirtschaftskraft sein Volk ernähren konnte. Das war nichts Neues und wohl nicht der Grund für Erwins Unruhe. Wahrscheinlich saß ihm die Regierung im Nacken, nachdem Erwin die anderen Ausbilder zu Levis Gunsten ausgetauscht beziehungsweise rausgeschmissen hatte. Außer natürlich Erwin verheimlichte doch etwas und es gab noch viel konkretere Terrordrohungen als der Presse bekannt waren, aber wieso sollte Erwin ihnen das verheimlichen?
 

Die Rekruten hingegen waren tatsächlich brauchbar. Levi konnte sich einen guten Eindruck verschaffen, vor allem seine eigene Teilnahme hatte ihm großen Aufschluss gegeben. Er verstand Hanjis Auswahl und war gespannt darauf, wie gut er die Übrigen bekommen konnte.
 

Eren spukte ihm dabei am meisten im Kopf herum.

Der Mistkerl hatte ihn tatsächlich von Anfang an eliminieren wollen, obwohl das Tuch an seinem Arm signalisierte, dass er am besten gefangen zu nehmen sei.

Es war eine gleichsam kluge wie dumme Entscheidung. Klug, weil Levi am Gefährlichsten gewesen war und sie die Mission leichter hätten erfüllen können. Dumm, weil sie so ein Vorgehen auf lange Sicht zu nichts brachte. Sie würden ihre zukünftigen Gegner nicht kennen oder zumindest nicht so gut. Sie würden nicht lernen mit unerwarteten Schwierigkeiten zurechtzukommen.

Dafür musste Levi nun sorgen.

Ansonsten gefiel ihm Erens Vorgehensweise. Er hatte seine Kameradin beschützt und sich ihm mutig gestellt. Levi musste ihm noch sehr viel beibringen, damit hatte Hanji recht, aber er war zuversichtlich.
 

Er würde diesen Haufen schon hinbiegen und den Rest ausmustern.
 

„Hn“, schnaubte Levi erheitert, als er an Erens Reaktion auf die Nachricht, dass er den letzten Ausbildungsabschnitt erreichen würde, dachte.

Levi drehte sich tief durchatmend auf die Seite und rollte sich zusammen.
 

Was für ein hitzköpfiges Balg.
 

*~*
 

Glücklicherweise waren alle zu abgelenkt, um sich an seinen Geburtstag zu erinnern, sodass ihm niemand außer Armin gratulierte. Eren mochte es nicht wegen sowas im Mittelpunkt zu stehen. Im Grunde stand er generell nicht gern im Mittelpunkt, was man bei seiner Art kaum vermuten würde. Wahrscheinlich lag das daran, dass er kein Mitläufer war und öfters gegen den Strom schwamm. Sowas zog Aufmerksamkeit auf sich.
 

Umso mehr freute er sich auf das Ende des Tages. Es war der letzte Tag der 5. Einheit und Morgen würden sie die Ergebnisse erhalten und einige das Gelände verlassen müssen. Wie Eren erfahren durfte, würden Armin und er auf jeden Fall weiterkommen, weswegen er der ganzen Sache gelassen entgegenblickte.
 

Da sie Morgen frei haben würden, saßen sie etwas länger als sonst in der Mensa und unterhielten sich. Keiner wusste, ob er noch eine weitere Nacht hier verbringen würde.
 

„Also so lustig ist es also echt nicht, dass ich aus Sachsen komme“, jammerte Connie, während die anderen ihn auslachten und versuchten den Dialekt nachzumachen.

„Ihr seid solche Arschlöcher!“, regte er sich weiter auf, „Ich hätte es euch nicht sagen sollen, ihr Wichser!“
 

„Ach komm schon! Das ist doch nicht böse gemeint“, versicherte ihm Reiner mit einem freundschaftlichen Grinsen und klopfte ihm bestätigend auf die Schulter.
 

Murrend schüttelte Connie Reiners Pranke ab und verschränkte demonstrativ beleidigt die Arme vor der Brust.

„Ihr könnt mich mal“, murmelte er vor sich hin.
 

„Hey Sasha! Wo genau kommst du eigentlich her?“, verlangte Ymir plötzlich zu wissen. Sie war eine große schlanke Frau mit braunen Haaren und Sommersprossen, die ziemlich rau und unverschämt mit ihnen umging.
 

„Aus Stavanger in Norwegen“, erwiderte sie mit vollem Mund, wobei sich Chipsbrösel in ihren Mundwinkeln sammelten.
 

„Da warst du zuletzt, hast du gesagt, aber geboren bist du doch woanders?“, fragte Jean neugierig nach.
 

Sasha leckte sich über die Lippen und schluckte, ehe sie nickte.

„Ich stamme aus einem Jägerdorf weiter im Norden.“
 

„Noch nördlicher?“ Jean fröstelte es bei dem Gedanken sichtlich.
 

„Bist du deswegen so eine gute Schützin? Weil du von klein auf das Jagdhandwerk erlernt hast?“, ertönte nun Historias geschmeidige, feine Stimme. Sie wohnte mit Ymir zusammen und war ihr komplettes Gegenteil. Klein, zierlich, blond und ein wahrer niedlicher Engel.
 

„Genau. Ich hab mit fünf mein erstes Wild erlegt.“ Die Erinnerung daran brachte Sashas Augen zum Funkeln, was von ihnen mit einem verstörten Blick zur Kenntnis genommen wurde.
 

„Psycho“, sprach Ymir aus, was den meisten wohl durch den Kopf geschossen war.
 

Entgeistert sah Sasha auf und in Ymirs Augen: „W-Was?“
 

„Ymir! Wie kannst du sowas sagen? Du weißt doch nicht, wie die Leute dort leben“, keuchte Historia verlegen auf und zupfte vorwurfsvoll an Ymirs Ärmel.
 

„Ach, du bist so süß“, quietschte Ymir und packte das neben ihr sitzende Mädchen schwungvoll und schloss sie in die Arme, was Historia ein überraschtes Schnaufen entlockte. Das war der einzige Moment, in dem das Grinsen auf Ymirs Lippen ehrlich gutmütig war.
 

Eren verstand nicht, wie eine so zarte Person wie Historia mit Ymir zurechtkam und sie sich auch noch so innig angefreundet hatten. Es gab bereits Gerüchte, ob sie nicht ein Paar wären. Von Ymirs Seite bestünden da keine Zweifel, aber Historia schien weder lesbisch noch an mehr als Freundschaft interessiert zu sein. Aber was wusste man schon von fremden Beziehungen?
 

„Und wie bist du dann zur Polizei gekommen? Du bist doch Scharfschützin geworden?“, fragte Connie interessiert nach, was die Aufmerksamkeit wieder auf Sasha lenkte.
 

Sie lächelte, nachdem sie runtergeschluckt hatte. Die Erinnerung schien sie zu freuen, obwohl ihre Augen eine gewisse Wehmut ausstrahlten.

„Bei uns im Dorf gab es zwei Bauern, die jahrzehntelang zerstritten waren und eines Tages haben sie ernst gemacht und sich duelliert. Dabei haben sie sich gegenseitig erschossen. Na ja, der eine hat noch ein paar Tage gelebt, aber die Wunden waren fatal. Die Polizei kam zur Ermittlung und blieb zwei Wochen bei uns, bis sie den Fall aufgeklärt hatten.“
 

Sie schien nicht zu bemerken, dass der ganze Tisch sie anstarrte und trank genüsslich einen Schluck Saft.
 

„Aber wieso hat die Aufklärung des Falles so lange gebraucht?“, durchbrach Armin das zähe Schweigen.
 

„Ja und warum sind die zwei Wochen im Dorf geblieben?“, wunderte sich Marco.
 

„Unser Dorf ist klein und sehr abgelegen. Da kommt man schwer hin. Und gedauert hat es, weil alle zu den Tatumständen geschwiegen haben und sich die Tochter des einen Bauern kurz darauf selbst erschossen hat.“
 

„Wahhh? Damit haben sich doch alle strafbar gemacht?“, rief Connie fassungslos, wofür ihm Sasha einen ratlosen Blick zuwarf.
 

„Na ja, es waren halt Fremde. Die Polizisten, mein ich.“ Sasha zuckte mit den Schultern, als wäre der Mangel an Kooperationsbereitschaft in einem Mordfall in diesem Fall völlig normal.
 

Marco ignorierte die skurrile Antwort und fragte weiter nach.

„Und wie bist du dann darauf gekommen selbst Polizistin zu werden und das Dorf zu verlassen?“
 

„Einer der Polizisten hat in unserem Haus übernachtet und mir viel erzählt. Er war sehr nett.“ Ein verdächtiger Rotschimmer kroch ihre Wangen entlang, was Marco und Historia lächeln ließ.
 

Jean schnaubte ernüchtert.

„Du hast dich also in einen Polizisten verknallt und bist ihm nachgelaufen.“
 

„Was?“, entfuhr es Connie, der Sashas Röte nicht hatte einordnen können und auch Reiner sah leicht perplex drein, was Berthold mit einem Schmunzeln kommentierte.
 

„Jean!“, ermahnte ihn Marco leicht vorwurfsvoll und gab ihm einen Klaps auf den Oberarm.
 

„S-So war das nicht“, stammelte Sasha mit hochrotem Kopf, „D-Das war nicht so.“
 

„Was hat dich so fasziniert, dass du dein Dorf verlassen hast?“, versuchte Historia mit sanfter Stimme Sasha aus ihrer Schamstarre zu lösen, was ihr auch prompt gelang.
 

Sasha blickte ihr tief in die strahlend blauen Augen und es schien, als würde sie in diesem Moment nur Historias Anwesenheit wahrnehmen.
 

„Er hat mir viel von der Welt erzählt und von seinem Beruf und mir viel erklärt. Als ich bei der Lösung des Falles sehr hilfreich war, versuchte er mich davon zu überzeugen das Dorf zu verlassen, um mir eine sichere Zukunft aufzubauen. Wir waren alle sehr arm und einfach, ich hätte nur Jägerin werden und einen Bauern oder Schmied heiraten können, der sowieso über drei Ecken mit mir verwandt gewesen wäre. Also hab ich beschlossen zu gehen und einen Teil meines Gehalts ins Dorf zu schicken. Es war die schwierigste Entscheidung meines Lebens.“
 

„Dann ward ihr kein Paar?“, fragte Connie unverblümt plötzlich in die Stille nach Sashas Erklärung, was kollektives Stöhnen und Seufzen auslöste.
 

Sasha war zwar immer noch rot, aber sie hatte sich soweit gefangen, dass sie ihm antworten konnte.

„Vier Jahre lang. Er war mein erster Freund.“
 

„Oh, wie süß“, schwärmte Historia, woraufhin sie nochmals herzlich von Ymir durchgewuschelt wurde, die nicht als Einzige entzückt von der liebreizenden Frau war.

Es gab wohl keinen Mann unter ihnen, der Historia nicht süß fand und ihr gegenüber keinen großen Beschützerinstinkt entwickelt hatte. Ohne Ymir würden sie wohl alle Schlange stehen.
 

Während Historia weiter geknuddelt und Sasha verschämt wurde, driftete Eren allmählich mit den Gedanken ab.
 

„Was denkst du?“, fragte ihn Armin leise und musterte ihn ein wenig besorgt.
 

Typisch Armin. Er war unheimlich aufmerksam und reagierte sensibler auf Erens Stimmungsschwankungen als er selbst.

„Ich fühle mich ziemlich erschlagen und glaube, ich gehe noch eine Runde schwimmen und ins Bett.“
 

Armin nickte verständnisvoll, doch Verwunderung spiegelte sich dennoch in seinen Augen.

„Okay, mach das. Ich bleibe auch nicht mehr lang.“ Er nickte zu seinem halb vollen Glas.
 

Lächelnd erhob sich Eren und klopfte Armin freundschaftlich zwei Mal auf die Schulter, ehe er sich verabschiedete.

„Gute Nacht, Leute.“
 

„Du gehst schon?“, hakte Reiner überrascht nach, wurde jedoch von Jean belehrt.
 

„Lass ihn doch, das ist sein letzter Abend. Da will er sich allein in den Schlaf weinen.“
 

Ein paar Leute schnaubten belustigt, andere verdrehten die Augen.
 

„Fick dich, Jean. Ganz ehrlich. Fick dich“, erwiderte Eren auf den schwachen Kommentar und ignorierte jedes weitere Gerede. Er war echt nicht in der Stimmung dafür.
 

Missmutig schlenderte er hinaus und selbst die klare, milde Nachtluft konnte ihn nicht aus seinem plötzlichen Tief reißen.
 

Wie auf Autopilot holte er seine Schwimmsachen und schlenderte zum Hallenbad. Erst das auf seiner Haut kalte Wasser riss ihn aus seiner Trübnis und er begann mit einem tiefen Atemzug so schnell zu schwimmen als ginge es um sein Leben. Er hatte ein verzweifeltes Bedürfnis all die unterschwellige Energie mitsamt sämtlichem Frust aus seinem Körper zu pressen. Er wusste nicht, woher dieses unangenehme Gefühl kam, aber ihm wurde klar, dass es sich nicht nur über den heutigen Tag hinweg aufgebaut hatte.
 

Er war so vertieft in sein Training, dass er Levi erst nicht bemerkte. Als er den gelangweilt dreinschauenden Soldaten entdeckte, beendete er seine Runde Brustschwimmen und hielt einen halben Meter vorm Beckenrand an. Tief nach Luft schnappend blinzelte er sich das von seinen Haaren heruntertropfende Wasser aus den Augen und blickte zum General-Leutnant hinauf.
 

Levi betrachtete ihn wie ein Insekt, aber Eren durchschaute seine Fassade mittlerweile gut genug, um einen Hauch Amüsement in den sturmgrauen Augen ausmachen zu können. Woher das kam, konnte er zwar nicht sagen, aber zumindest vermieste es Erens Tag nicht noch weiter. Einen übellaunigen Levi konnte er gerade wirklich nicht gebrauchen.
 

„Guten Abend, Sir“, begrüßte Eren ihn höflich, nachdem sich die Stille dahinzog.
 

Levi löste seine verschränkten Arme und hockte sich hin.
 

Einen Augenblick lang schweifte Erens Blick von seinen Augen hinab, als ihm die neue Badehose auffiel. Normalerweise trug Levi immer ganz schwarze Profi-Badeshorts, sodass das nun königsblaue Exemplar seine Aufmerksamkeit einfing.
 

Die Hand, die ihm vor seine Nase gehalten wurde, riss ihn aus seiner Beobachtung. Fragend sah Eren die schlanken, kräftigen Finger entlang den muskulösen Arm nach oben und in Levis graue Augen, in denen sich das Licht spiegelte.
 

Seine schmalen, geschwungenen Lippen zuckten belustigt.

„Alles Gute zum Geburtstag, Eren“, erklärte Levi die ausgestreckte Hand, woraufhin Eren überrascht blinzelte, ehe sich seine Wangen vor Verlegenheit erhitzten.
 

„Ah!“, entfuhr es ihm überrumpelt und überschwänglich ergriff er Levis Hand, „Vielen Dank!“
 

Nun verzogen sich Levis Lippen doch noch zu einem kleinen Schmunzeln und er erwiderte Erens Händedruck fest und selbstsicher.
 

Es war kein solch dominanter Händedruck wie Erwins oder gehetzter wie Hanjis. Es fühlte sich angenehm an. Levis Autorität war unaufdringlich, obgleich unmissverständlich und klar. Für Eren fühlte es sich immer gut an, wenn er Levi berührte - natürlich abgesehen von den Malen, in denen er von ihm geschlagen oder halb ertränkt wurde...
 

Allerdings wirkten auch jene eher unschönen Erfahrungen nicht in dem Maß abschreckend auf Eren, wie es unter Umständen gesund gewesen wäre.
 

Nachdem er seine Obrigkeitsscheue Levi gegenüber überwunden und nunmehr Bewunderung und Respekt dessen Platz eingenommen hatten, hatte sich ebenso ein unleugbarer Schalk in Erens Kopf festgesetzt, der ihn dazu antrieb diesen haushoch überlegenen Mann ständig herauszufordern beziehungsweise schlicht zu ärgern. Ob es Mut oder himmelschreiende Dummheit war, wusste Eren nicht genau, aber in seiner Neugier für Levi und dem Bestreben ihm gleichzukommen, verschwammen alle guten Vorsätze sich an die der Hierarchie streng innewohnenden Grundsätze von Anstand und Demut zu halten.
 

Es war wohl dieser Schalk, der Eren verschmitzt Grinsen, den Händedruck verstärken und schwungvoll die Beine am Beckenrand abstoßen ließ. Er brachte Levi aus dem Gleichgewicht und zog ihn erfolgreich ins Wasser, obschon der es trotz Überraschung noch fertigbrachte halbwegs elegant mit Kopf und Armen ins Wasser abzutauchen, als Eren ihn ruckartig über sich hinwegzog.
 

Das Hoch über sein gelungenes Wagnis schwand jedoch schnell dahin, als Levi wieder auftauchte und ihn knapp über der Wasseroberfläche hinweg mit stechenden Augen anstarrte, die ihm schreckliche Qualen versprachen.
 

Aus einem Impuls heraus drehte sich Eren um und stützte sich schnell am Beckenrand ab, um aus dem Wasser zu fliehen. Sicherlich nicht der würdevollste Abgang auf der Welt, aber in diesem Moment tausendmal besser als durch das Abflussgitter am Beckenboden getreten zu werden.
 

Nein, Eren hatte sich das nicht vor seiner frechen Aktion überlegt.
 

Er war weder erschrocken noch überrascht, als sich zwei starke Arme um seine Taille schlangen und ihn mit Leichtigkeit zurück ins Wasser zogen.
 

Mit einem langgezogenen Klagelaut ließ sich Eren widerstandslos abpflücken und unter Wasser drücken. Er hatte es verdient und außerdem ließ ihn Levi früher los, wenn er sich nicht wehrte...
 

Als er losgelassen wurde, tauchte er mit brennenden Lungen auf und japste jämmerlich nach Luft, wobei er sich prompt noch verschluckte und fast erstickte.
 

„Du bist so ein Scheißgör. Unglaublich, dass sie dich aus der Vorschule gelassen haben.“
 

Eren war zu beschäftigt mit Atmen, um den Spott richtig zu verstehen. Er beruhigte sich allmählich und das erste, was seine Sinne wahrnahmen, waren nicht die Geräusche um ihn herum, sondern warme Haut und feste Muskeln unter seinen Fingerspitzen.
 

Perplex schlug Eren die Augen auf und blickte direkt auf Levis Nasenspitze, kaum eine Handbreit von sich entfernt.
 

„Wah!“ Erschrocken keuchte er auf und riss den Kopf zurück. Sie waren ziemlich weit in der Mitte des Beckens - es war Eren ein Rätsel, wie er dahin gekommen war - und in seiner Not hatte er sich an Levis Schultern festgekrallt, um sich über Wasser zu halten. Zusätzlich lag der eine Arm, den Levi nicht unbedingt brauchte, um sie Beide halbwegs über Wasser zu halten, stabilisierend um Erens Taille.
 

Scham war gar kein Ausdruck dafür, was er in diesem Augenblick empfand. Mechanisch ließ er von Levi ab, als dieser seinen Arm fortnahm und gluckerte prompt wieder ab. Es war ihm nur recht und ein guter Ersatz für das Loch, in dem er sich nur zu gerne auf Nimmerwiedersehen verstecken wollte.
 

Aber Levi schlang erneut seinen Arm um ihn, bevor er mit dem Kopf völlig abtauchte und zog ihn zu sich heran.
 

„Angst vor der eigenen Courage, huh?“
 

Eren schnaubte mit heißen Wangen, doch aller Verlegenheit zum Trotz wirbelte ein unnachgiebiger Sturm von seinem Bauch in seine Brust empor und erfüllte ihn mit euphorischer Kühnheit.
 

„Angst nicht, nein. Ich bin nur schüchtern“, grinste Eren verschmitzt und fügte mit tieferem Tonfall ein vielversprechendes „Sir“ an.
 

Levis rechte Augenbraue zuckte genervt und er ließ Eren los.

„Du bist auf dem geistigen Stand eines Fünfzehnjährigen. Du musst Hanji bestochen haben und Mike gleich mit dazu.“
 

„Wieso ausgerechnet Fünfzehn? Und nein, Hanji und Mike sind Soldaten. Ehrenwert. Unbestechlich.“ Eren wurde von Levis belustigtem Zungenschnalzen unterbrochen.
 

„Soldaten sind vieles, aber Ehre und Ehrlichkeit sind antiquierte Vorstellungen ihrer Eigenschaften.“
 

„Und warum Fünfzehn?“, bohrte Eren mit unschuldigen Rehaugen nach.
 

„Wegen Blicken wie diesen“, stellte Levi trocken fest und bedachte ihn mit einem abgeklärten Gesichtsausdruck, den Mund missmutig leicht verzogen.
 

„Ich bin halt expressiv.“ Eren zuckte gleichgültig mit den Schultern.
 

„Warum bist du hier und nicht mit deinen Freunden feiern?“
 

„Außer Armin weiß keiner von meinem Geburtstag. Ich mag keine geheuchelte Aufmerksamkeit deswegen bekommen. Es ist ein Tag wie jeder andere auch.“
 

„Aber die Dreistigkeit besitzen und mir Vorhaltungen machen“, grollte Levi mit stechenden Augen.
 

„Für mich hat sich ja auch keiner das Bein ausgerissen, um mich zu feiern. Außerdem ist mir nach dem Verlust meiner Eltern und dem Koma meiner Schwester nicht sonderlich zu feiern zumute“, erklärte Eren offen.
 

Er sah, dass sich etwas an Levis Ausdruck änderte und für einen Moment glaubte er, sein Vorgesetzter würde sich vor ihm zurückziehen, dieses private Geständnis von sich schieben und das Thema wechseln. Man musste schließlich eine angemessene Distanz wahren.

Heute anscheinend nicht.
 

„Trübsal blasen bringt dich auch nicht weiter.“
 

Eren legte den Kopf zweifelnd schief und sah ihn kritisch an.

„Wirklich?“
 

„Du kannst dir deinen Sarkasmus in den Arsch schieben. Bei mir war das etwas anderes und du hast kein Recht darüber zu urteilen“, erwiderte Levi hart, seine Augen starr und unleserlich.
 

„Ich urteile nicht, ich vergleiche nur das, was ich sehe“, erklärte Eren mit behutsamer Stimme. Er wollte nicht, dass Levi ihn missverstand.
 

„Du bist blind“, entfuhr es Levi schroff und mit einer abrupten Ehrlichkeit, die Eren überrascht blinzeln ließ.
 

„Dann machen Sie mich sehend“, lächelte Eren und erfreute sich an der kurz erkennbaren Irritation seines Gegenübers.
 

„Bin ich Jesus oder was? Ich bin nicht dazu da dich zu erleuchten, du dummes Balg.“
 

„Ich würde gerne mehr über Sie erfahren“, gab Eren selbstsicher zu, „Ich finde Sie faszinierend.“
 

Levi betrachtete ihn mit einer Mischung aus Befremdung und Amüsement. Nach einer Weile verschwand jegliche Erheiterung und wurde von resignierter Abgeklärtheit ersetzt, die Eren innerlich schaudern ließ.
 

„Du hast dir das falsche Vorbild ausgesucht.“ Levi sagte dies mit einer Finalität, die Eren trocken schlucken ließ.
 

Hinnehmen konnte er das natürlich nicht.

„Sollten Ausbilder nicht Leitfiguren sein?“
 

„Was du in mir suchst ist keine Leitfigur, Balg, sondern einen Mentor und das bin ich nicht.“
 

„Doch, seit dem Tag auf der Lichtung, als Sie mit mir trainiert haben, während die anderen Theorie hatten“, entgegnete Eren prompt und sah diesmal deutliches Erstaunen über Levis Züge huschen.
 

Erens Worte schienen ihm ganz und gar nicht zu passen und er wunderte sich warum Levi so eine Abneigung dagegen hatte als Vorbild genommen zu werden. Er konnte sich nur vorstellen, dass es etwas mit seiner toten Einheit und der Unterbrechung seines aktiven Militärdienstes zu tun hatte. Zumindest schien ihn der Gedanke genügend abzustoßen, um sich von ihm abzuwenden und mit dem Schwimmen beginnen zu wollen.
 

„Ich werde dir diese Hirngespinste in den kommenden Monaten schon austreiben“, verkündete Levi Unheil versprechend.
 

Erens Lippen zogen sich zu einem strahlenden Lächeln auseinander.

„Ich freu mich schon!“
 

*~*
 

„Arlert Armin, Bott Marco, Brandt Franz, Braun Reiner, Braus Sasha, Cabaye Louis, Carolina Mina, Gekas Stefanos, Hoover Berthold, Jäger Eren, Janmaat Tim, Kirschstein Jean, Lenz Ymir, Leonhardt Annie, Meyer Hannah, Miller Severin, Paletta Thiago, Pedro Richard, Ramos David, Reiss Historia, Rémy Oliver, Shaw James, Springer Connie, Wagner Thomas, Zeramuski Mylius - allen anderen, die nicht aufgerufen wurden, wünsche ich im Namen des Europäischen Justizministeriums und Ihrer Ausbilder viel Erfolg für die Zukunft. Sie können Ihre vorherigen Arbeitsplätze wieder einnehmen und werden aufgrund Ihrer in diesem Programm erworbenen Zusatzqualifikationen in einer höheren Tarifklasse eingestuft. Jene, die die Ausbildung fortsetzen bitte ich den Unterrichtsraum 13a aufzusuchen, um weitere Anweisungen von General-Leutnant Rivaille entgegenzunehmen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Erwin Smith von den Rekruten und überließ die restlichen 25 Levis Gutdünken.
 

Grinsend stieß Hanji ihm den Ellenbogen in die Seite, was ihr prompt einen wütenden Blick einbrachte. Sie nervte Levi schon die ganze Zeit mit ihrer Vorfreude auf seine Trainingseinheit, in der er den Rekruten ihrer Meinung nach den letzten Schliff verpassen würde.
 

In Wahrheit stand er vor einem Haufen Marmorblöcken. Gutes Material, ohne Zweifel, aber mehr auch nicht. In den kommenden drei Monaten würde er Skulpturen aus ihnen raushauen müssen und nicht alle würden es durchstehen, sondern zerspringen, wo er sie an einer empfindlichen Stelle traf.
 

Er würde jedem Einzelnen abwechselnd jede Aufgabe zukommen lassen, die bei einem Einsatz anfiel, unabhängig von den Psycho-Gutachten über ihre Fähigkeiten und Charakterzüge. Eine Führungspersönlichkeit ohne Rückhalt aus Überzeugung war genauso wenig Wert wie ein Schuh ohne Sohle und der beste Stratege unnütz, wenn ihm keiner folgte.

Natürlich hatten sich Hanji und Mike große Mühe mit ihren Bewertungen gegeben und diese waren weitaus differenzierter und komplexer, doch auch das ersparte Levi nicht den Aufwand jeden Einzelnen auf Herz und Nieren zu überprüfen.

Er würde sie in solche Stresssituationen bringen, dass ihre wahre Natur und Qualität roh zu Tage trat und nur anhand dessen würde sich ihre weitere Laufbahn entscheiden.
 

Als er in den Unterrichtsraum ging, folgten ihm seine Rekruten bereits enthusiastisch und setzten sich aufmerksam und gespannt auf ihre Plätze.

Hanji und Mike hielten sich neugierig im Hintergrund und beobachteten ihn verschmitzt grinsend. Er hatte das Bedürfnis ihnen die Fresse zu polieren.
 

Levi stand mit verschränkten Armen neben dem Pult. Er kannte ihre Namen, vorangegangene Anstellungen, Trainingsverhalten und Ende Juni würde er ihre dunkelsten Geheimnisse und sehnsüchtigsten Wünsche kennen.
 

„Ich begrüße euch zu der 6. Einheit der ESE-Ausbildung“, begann er mit tiefer, stets leicht genervter Tonlage, „Ich kann euch bereits jetzt verraten, dass zehn von euch nur da sind, um den anderen ein Bein zu stellen, bevor sie aussortiert werden.“
 

Die Gesichtszüge der Rekruten entgleisten und Unglaube, Irritation sowie Beunruhigung und Missmut schlug ihm entgegen. Nur ein grünes Augenpaar betrachtete ihn mit milder Neugier.

Wo war all die Verunsicherung dieses Balgs hinverschwunden?
 

Im Hintergrund konnte er sehen, wie sich Hanji unter unterdrücktem Lachen an Mike abstützen musste. Irgendwann platze diese dämliche Ulknudel noch.
 

„Wer und wie viele schlussendlich nicht bestehen werden, wird erst am 30. Juni feststehen. Bis dahin werden wir jeden Tag einen Einsatz mit einer festen Hierarchie und Aufgabenzuordnung absolvieren. Ich will sehen, wofür ihr wirklich taugt. Diese Einsätze werden unterschiedlichster Natur sein und ein Großteil davon keinen polizeilichen Bezug aufweisen. Ihr werdet keinen Lehrplan von mir bekommen, denn den wird es nicht geben. Für die körperliche Fitness seid ihr nun selbst verantwortlich, aber Frühstück gibt es wie gewohnt um sieben Uhr. Irgendwelche Fragen?“
 

Marco Bott hob seine Hand, was Levi mit einem Nicken zur Kenntnis nahm.
 

„Sehe ich das richtig, dass wir unseren späteren Alltag jetzt schon simulieren werden?“
 

Levi neigte leicht den Kopf, als er Marco direkt in die Augen sah. Wie die meisten erwiderte er den Blick nicht direkt, sondern fokussierte einen Punkt auf Levis Stirn.

„Was die Unvorhersehbarkeit des Tagesablaufs angeht schon, aber da ihr die letzten Monate mit Einsatzsimulationen verbracht habt, werden die Aufgaben meist anderer Art sein.“
 

Die Rekruten tauschten ratlose Blicke, zuckten mit den Schultern, aber keiner machte Anstalten weitere Fragen zu stellen.
 

„Da die Einheit offiziell erst morgen beginnt, habe ich beschlossen, dass wir heute einen Ausflug nach München machen“, verkündete Levi gelangweilt, doch die Rekruten betrachteten ihn teils verwundert teils aufgeregt, „Vormittags gehen wir ins Deutsche Museum und nachmittags werden wir uns in der Innenstadt aufhalten. Der Bus fährt in einer halben Stunde los.“
 

Für Levi war die Einführung damit beendet. Er machte sich nicht die Mühe den Rekruten weitere Anweisungen zu geben und ging stattdessen durch die Mittelreihe zum Ausgang, wobei er die aufgekommene Unruhe ignorierte.
 

„Darf ich mit auf den Ausflug kommen? Darf ich? Darf ich? Bitte~!“, quengelte Hanji, als er an ihr vorbei ging. Sie hüpfte vor überschäumender Energie und Aufregung herum wie ein hyperaktiver Flummi.
 

„Nein“, fuhr er sie harsch an, um sie mundtot zu machen. Nähme er Hanji mit, könnte er sich den Sinn des Ausflugs in die Haare schmieren. Er käme gar nicht dazu, die Rekruten in vergleichsweise entspanntem Umfeld zu beobachten, wenn ihm Hanji ständig ein Ohr abkauen und jeden um sich herum aufmischen würde.
 

„Ohhh.“ Schmollend und enttäuscht ließ sie ihren Kopf hängen, woraufhin ihr Mike belustigt aufmunternd auf die Schulter klopfte. Levi ignorierte sie den restlichen Tag über.
 

***
 

Levi fühlte sich wie die böse Nanny, von der jeder erwartete, dass sie jeden Augenblick einen Welpen massakrierte und sich das Fell als Trophäe auf den Kopf setzte.
 

Die Rekruten waren alle Mitte Zwanzig, erwachsen, fähig, beruflich erfolgreich und dennoch huschten sie ihm wie verschüchterte Sechsjährige hinterher. Es war nervenzermürbend und verfehlte den Zweck.
 

Im Deutschen Museum verteilten sie sich zwar je nach Interessen auf den verschiedenen Ebenen und Ausstellungen, aber davon hatte Levi herzlich wenig. Er konnte nicht viel beobachten und die Zusammensetzung der Gruppen überraschte ihn nicht.
 

Eren und Armin traten ständig im Doppel auf und dass sich ihnen Reiner, Berthold, Connie und Sasha angeschlossenen hatten, war nachvollziehbar. Sie teilten sich Küche und Bad.
 

Franz, Hannah, Thomas und Mina waren Pärchen, sodass der Umstand, dass sie sich absonderten, um verliebt durch die Gegend zu turteln, wohl ein Gefallen für die anderen war. Kein sexuell frustrierter Single wollte den ganzen Tag Leuten bei ihrem persönlichen, glücklichen Real-life Liebesfilm zusehen.
 

Jean, Marco und Mylius hatten sich zusammengetan, um ihrem Interesse an der Werkstoff- und Produktionsausstellung zu frönen, während Historia und Ymir zur Kommunikationsausstellung gelaufen waren.
 

Der Rest marschierte zuerst in einer Gruppe durch die Gegend und hatte sich dann in unterschiedliche Zweiergespanne aufgeteilt.
 

Annie war die Einzige, die sich desinteressiert mit einer Politikzeitschrift ins Museumscafé setzte.
 

Nun wünschte er sich tatsächlich Hanji herbei. Er hätte sie zu Annie schicken können, die sie dann voll unverhohlener Neugierde ausgefragt und ihm ihre Erkenntnisse mitgeteilt hätte.

Sich selbst zu Annie zu setzen und ein Gespräch anzufangen lag ihm fern. Levi war kein sonderlich sozialer Mensch und die Handvoll Menschen, die er je als Freunde angesehen hatte, waren die berühmten Ausnahmen von der Regel. Er hegte ein grundlegend tiefes Misstrauen gegenüber anderen und obgleich er keineswegs ein Misanthrop war, hielt er die Menschen lieber auf Abstand. Es musste schon viel passieren, bevor er einfach so jemanden ansprach und solange er nicht unbedingt musste, würde er Annie in Ruhe lassen.
 

Also schlenderte er ebenfalls durch das große Museum, füllte seinen Kopf mit Wissen und beobachtete hin und wieder das Sozialverhalten der Rekruten, wenn sie seinen Weg kreuzten.
 

***
 

Nach dem Museumsbesuch hatte er die Horde auf die Innenstadt Münchens losgelassen und seinen Plan für gescheitert erklärt. Wirklich Neues hatte er nicht gelernt und die Hektik der Großstadt zerrte in einem Maße an seinen Nerven, wie er es nicht für möglich gehalten hätte.
 

Nach all der Zeit auf Reisen, in der Natur und im Ausbildungskomplex hatte er verdrängt wie anstrengend, laut und nervig Großstadtmenschen sein konnten. Obwohl er in vielen Städten der Welt gelebt hatte, strapazierte ihn München besonders. Vielleicht lag das an dem Selbstverständnis der Menschen oder an Levis Tagesform, aber er sehnte sich momentan in den Fitnessraum und die Sauna in ihrem Appartementhaus.
 

Er saß draußen in einem großen Café Restaurant mit Blick auf das Karlstor. Der Brunnen am Stachus versprühte wertvolles Wasser kunstvoll in der Luft. Es war ein sonniger Märztag und der Frühlingsduft übertünchte selbst die unzähligen Parfums und Lebensmittelgerüche.
 

Die Rekruten wussten wo er saß. Mike hatte ihm den Tipp gegeben diese Lokalität aufzusuchen, da sie die besten Kaffees, Tees, süßen Köstlichkeiten und einfachen Gerichte anboten. Der Vorteil von Lebensmittelketten war ihr einheitliches Angebot, man konnte nicht viel falsch machen und obwohl Levi eigentlich kleine einheimische Betriebe vorzog, musste er Mike zustimmen. Abgesehen davon war es ein Ding der Unmöglichkeit in der Innenstadt ein Café oder Restaurant zu finden, dass nicht lieblosen Touristenfraß anbot.
 

Nach geschlagenen drei Stunden des Bummelns entdeckte Levi ein paar Rekruten die Fußgängerzone durchs Karlstor schlendern. Jeder hatte ein, zwei Tüten dabei und sie schienen nicht bereit es dabei zu belassen. Neugierig peilten sie das zweistöckige E-Book-Geschäft an und verschwanden erneut im schwarzen Loch des Konsums.
 

Kurz darauf trudelte auch Eren mit seinen „Mitbewohnern“ und Annie, Historia, Ymir und Mylius ein, die sich direkt auf einen Eisstand stürzten.
 

Milde interessiert beobachtete er die Gruppe über den Rand seiner Tasse hinweg. Sie redeten wild durcheinander, sichtlich zufrieden und freundschaftlich. Sogar Annie schien ihr Gespräch mit Historia und Berthold zu genießen.
 

Es wurde langsam zur Gewohnheit, dass sie sich immer als erstes bemerkten.
 

Levi ließ seinen Blick nur kurz schweifen und fand sich in seegrünen Augen wieder. Er stockte innerlich, als er diesen ehrlichen, neugierigen Ausdruck in ihnen erkannte, loderndes Temperament stetig in ihren Tiefen erkennbar. Dieses Balg war lächerlich expressiv. Regelrecht widerlich.
 

Er konnte nicht wegsehen.
 

Etwas herausforderndes blitzte in Erens Augen auf, dann wandte er sich auf einmal ab und sprach mit Armin, was Levi mit zusammengezogenen Augenbrauen begutachtete.
 

Levi setzte seine Tasse ab, als sich Eren mit Armin im Schlepptau von der Gruppe löste, die ihnen fragende Blicke hinterherwarf, und auf seinen Tisch zusteuerte.
 

„Können wir uns zu Ihnen setzen, Sir?“, fragte Eren mit einem forschen Lächeln.
 

Armin neben ihm stieß ihm Möchtegernunauffällig in die Seite, während er sich gebührend benahm, aber nicht weit kam: „Guten Tag, Sir!“
 

„Ich weiß nicht. Könnt ihr?“ Levi hob eine Augenbraue und bohrte seine Augen dabei in Erens.
 

„Wir können“, grinste Eren und schob einen Stuhl zurück.
 

„Vielen Dank.“ Armin lächelte höflich und setzte sich Levi gegenüber.
 

„Ich würd' gleich was bestellen. Kann ich euch was mitnehmen?“, bot Eren an, bevor er sich setzte.
 

Armin wartete bis Levi reagierte, der mit dem Finger auf den Rand seiner Tasse tippte. Eren schaute ihn abwartend an, ein amüsiertes Schmunzeln auf den Lippen.
 

„Earl Grey mit Honig und Milch.“
 

Eren nickte lächelnd und betrachtete Armin, der sich kurz die am Tisch liegende Karte durchblätterte.

„Diesen Black Bean Afternoon Latte, bitte. Ah! Und einen Apfelstrudel!“
 

„Für Sie auch etwas zu essen, Sir?“
 

Levis Antwort bestand aus einem gelangweilten Blick, der Eren in den Arsch trat.
 

„Ookay“, sagte Eren gedehnt und verschwand im Café.
 

Levi nahm seine Tasse und trank den letzten Schluck, wobei er Armin beobachtete, der sich mit der Speisekarte ablenkte. Er wusste sichtlich nicht, was er sagen sollte. Er war viel zu steif, wenn er nicht in irgendwelchen Aufgaben versank.
 

Ohne es geplant zu haben, ergriff Levi das Wort, als er die leere Tasse von sich geschoben hatte.

„Du und Eren kennt euch schon sehr lange.“
 

Armin sah überrascht auf, dann erfüllte ein nachdenkliches Leuchten seine blauen Augen.

„Ja, seit fast 14 Jahren. Wir waren so elf, zwölf.“
 

Levi erwiderte seinen Blick fordernd und Armin verstand und lächelte.
 

„Wir gingen auf verschiedene Gymnasien, aber mein Heimweg führte immer an der Waisenschule vorbei. Ich war recht klein, androgyn und der Klassenstreber, erdenklich unbeliebt und wurde oft gemobbt. Eines Tages haben mir drei Jungs aus meiner Klasse mal wieder auf dem Heimweg aufgelauert, mir die Bücher aus den Armen geschlagen, die ich aus der Schulbibliothek hatte ausleihen dürfen“, Armin sprach es aus, als sei dies die schlimmste Untat dieser Rowdys gewesen, „und mich verprügelt.“

Ein sanfter Ausdruck legte sich auf seine Züge.

„Eren hatte das gesehen und ist mir zu Hilfe geeilt, aber auch er wurde von den größeren Jungs verhauen, als er mich beschützen wollte. Mikasa hat uns beide dann gerettet. Seitdem sind wir immer zusammen ein Stück des Heimwegs gelaufen und haben uns angefreundet. Es lag sofort etwas besonderes zwischen uns Dreien.“
 

„Was ist Mikasa für eine Person?“, hakte Levi in dem Bewusstsein nach, dass er ein sehr emotionales Gebiet betrat. Doch etwas in ihm konnte nicht anders als sich zu interessieren.
 

„Sie ist sehr stark und stoisch. Ihnen eigentlich etwas ähnlich, wenn ich das so sagen darf. Sie war in allem immer die Beste und sie hat Eren immer sehr geliebt und ihn beschützt. Nach dem Tod ihrer Eltern war er ihr einziger Anker, weil er sich sehr um sie gekümmert hatte und als dann auch seine Eltern starben, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht Eren glücklich zu machen. Leider hat sie es oft übertrieben und die Zwei sind oft aneinander geraten, aber ihre Beziehung war trotzdem sehr innig. Eren hat es fast umgebracht, als Mikasa so schwer verwundet wurde. Ohne mich hätte er es wohl nicht überstanden. Immerhin ist sie das Letzte, was ihm an Familie geblieben ist.“
 

Zum Ende hin wurde Armin immer leiser. Traurig schloss er die Augen und biss die Zähne fest aufeinander. Es fiel ihm sichtlich schwer über dieses Thema zu sprechen und er litt unter dem Schicksal seiner engsten Freunde. Levi konnte ihn verstehen.
 

„Gut, dass Eren einen Freund wie dich hat.“
 

Verblüfft riss Armin die Augen auf und sah ihn an. In diesem Moment trat Eren mit einem großen Tablett nach draußen und lenkte die Aufmerksamkeit mit seinen steifen Bewegungen, um die darauf balancierten Tassen und Gläser nicht zu verschütten, auf sich.
 

„Sooo, hier ist es“, grinste Eren erleichtert, als er das Tablett ablegte und begann ihnen ihre Bestellungen zu reichen, „Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Die Leute vor mir konnten sich nicht entscheiden.“
 

„Ich hoffe, du hast nicht zuviel Milch rein gekippt“, bedankte sich Levi, als Eren ihm den Tee lächelnd vor die Nase setzte.
 

„Kann es denn je zuviel Milch sein?“, konterte Eren frech grinsend und zwinkerte ihm zweideutig zu.
 

Armin sog scharf die Luft ein, doch Levi verzog bloß angewidert das Gesicht.

„Abartig. Wenn zuviel drin ist, kannst du's selber saufen.“
 

Diesmal beschränkte sich Eren auf ein charmantes Schmunzeln und gab Armin seinen Kaffee und Strudel herüber.
 

„Und du isst zwei Stück Kuchen?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen deutete Armin auf die zwei Schokoladentortenstücke, während Eren sich hinsetzte.
 

„Da ist so eine Erdbeer-Rhabarber-Füllung drin.“ Eren fuchtelte mit der Gabel darüber herum, als erkläre das alles.
 

„Aha“, machte Armin amüsiert und reckte den Hals zu Erens Getränk, „Und dazu einen Moccachino, oder?“
 

„Natürlich“, grinste Eren und schob sich verträumt eine Gabel voll Torte in den Mund.
 

Armin schüttelte kichernd den Kopf. Es war erstaunlich, wie sehr er sich in den letzten Minuten entspannt hatte.
 

„Als wenn du nicht schon ohne Zuckerschock unausstehlich wärest“, rümpfte Levi die Nase beim Anblick des ganzen Süßkrams.
 

Eren warf ihm einen zufriedenen Blick zu, der Levi erneut innerlich stocken ließ.
 

Er hatte schon scheußlich viele Emotionen in diesen seegrünen Augen erkannt, doch stets verbarg sich ganz tief versteckt in ihnen die dumpfe schale Trauer, die nur lange unterdrückter Verlust zu erzeugen vermochte.
 

Dieser Ausdruck war ihm verhasst.
 

In diesem einen kurzen Augenblick war er verschwunden. Nicht permanent, nein. Das war unmöglich. Aber der stumpf pochende Schmerz hatte lang genug nachgelassen, um von einem spontanen Hochgefühl verdrängt zu werden.
 

Levi verstand nicht, warum ihm das gerade jetzt so stark auffiel oder weshalb es ihn dermaßen tangierte. Sie kannten den gleichen Schmerz - Erens Art damit umzugehen faszinierte ihn auf unerklärliche Weise und das verwirrte ihn.
 

„Die wissen, wie man Kaffee macht“, seufzte Armin genüsslich und erntete ein zustimmendes Murren von seinem Freund.
 

Skeptisch widmete sich Levi seinem Earl Grey und rührte noch einmal um, bevor er den Teelöffel ablegte und die Tasse zu seinen Lippen führte und die cremefarbene Flüssigkeit prüfend beäugte. Doch als er den Tee probierte, schloss er wohlwollend die Augen. Das Balg hatte es nicht versaut. Levi merkte erst, dass er sich etwas anstellte, als ihm Erens belustigter Blick auffiel.
 

„Hat man dir Balg nicht beigebracht, dass Starren unhöflich ist?“, fuhr Levi ihn prompt an.
 

Eren riss gespielt schockiert die Augen auf und fasste sich ans Herz.

„Vergebt, General-Leutnant! Ich war nur so aufgeregt, weil ich nicht wusste, ob ich Ihrem Urteil standhalte.“
 

Armin starrte Eren fassungslos an. Der arme Junge starb gerade tausend Schamtode, ob dieser Unverschämtheit. Nie zuvor hatte er sie beide zusammen gesehen, wusste nicht, dass sie sich des Öfteren jenseits aller Formalitäten bewegten.
 

Levi war keineswegs verärgert. Er hatte jedoch das Bedürfnis Eren eine Kopfnuss zu verpassen, was quer über den Tisch mit den ganzen Tassen und Gläsern schlecht umsetzbar war, sodass er sich auf einen scharfen Blick beschränkte. Alle Konter auf seinen Lippen blieben unausgesprochen, sie würden den Rahmen des guten Benehmens sprengen und Levi glaubte nicht, dass Armin zwischen Ernst und Schalk ebenso unterscheiden konnte wie Eren. Der mögliche Ärger wegen etwaigen Missverständnissen war es ihm nicht wert.
 

Erens Blick nach zu urteilen wartete er auf eine gehässige Erwiderung, dann blinzelte er kurz erkennend und widmete sich mit einem Schmunzeln auf den Lippen wieder seinem Tortenstück.
 

Armin beobachtete es leicht verstört, man konnte es regelrecht in seinem Hirn rattern hören.
 

Levi fiel indessen etwas ganz anderes auf. Die anderen Rekruten hatten sich beim Brunnen versammelt und obwohl sie zuvor sehr unentschlossen schienen, hatten sie nun wohl genug Mut gefasst, um sich nach dem Essen des Eises zu ihnen zu gesellen.
 

Überraschenderweise war Jean Kirschstein der Erste, der genug Eier in der Hose hatte und sich selbstbewusst näherte. Die anderen folgten ihm.
 

„Hey Eren! Wieder beim Einschleimen?“
 

Verärgert zogen sich Erens Augenbrauen zusammen und er warf Jean einen schmutzigen Blick zu, den Mund zu voll für einen Konter.
 

„Ich bezweifle es. Eher im Gegenteil“, murmelte Armin trocken, was Jean aufhorchen ließ.
 

Die anderen gaben ihm jedoch keine Gelegenheit weiter darauf herumzureiten und das Chaos brach aus.
 

„Eren, isst du beide Stücke? Kann ich eins haben? Ist es lecker? Es sieht so lecker aus!“, bombardierte Sasha Braus Eren und Levi meinte Sabber an ihren Mundwinkeln glänzen zu sehen.

Sie war ein verrücktes Exemplar und erinnerte Levi etwas an Hanji. Sie war zwar einfältiger, aber beide waren ehrlich in ihrem Enthusiasmus und ernsthaft, wenn es sein musste. Allerdings war sie zu unkonventionell, um sich reibungslos in ein Team einzugliedern, eher eine Einzelkämpferin.
 

„Machst du Sasha nach, oder was?“, grinste Connie Springer breit und deutete auf Erens Teller.

Er war wohl einer der schlichtesten der Rekruten, aber fähig und gut einzuschätzen.
 

„Dürfen wir uns dazusetzen?“, fragte Berthold Hoover ihn höflich, was Levi missmutig mit einem Nicken quittierte. Der Tisch war lang genug für zehn Leute.
 

„Ich würde einen Kaffee holen, kann ich jemandem was mitbringen“, bot Historia Reiss lächelnd an.

Sie brachte alle zum dahinschmelzen, aber außer ihrem zarten Wesen wies sie auch technisches Geschick und herausragende Spionagefähigkeiten auf. Sie war die perfekte Mogelpackung.
 

„Danke, ich schau erst mal, was es gibt.“ Marco Bott setzte sich lächelnd neben Armin.
 

Sasha rannte in das Café Restaurant, gefolgt von Connie, Historia, Ymir Lenz und Jean.
 

Levi wunderte sich über die ausgelassene Stimmung der Rekruten, die sich in seiner Gegenwart sonst immer wie brave Püppchen betrugen. Das war die Gelegenheit sie besser kennenzulernen und Erens entspannte Körperhaltung und gelassene Gesprächsführung mit Reiner Braun und Marco schien sich auf die anderen zu übertragen.
 

Levi fühlte sich bittersüß an die abendlichen Runden mit dem Jägertrupp zurückerinnert.
 

„Hey Eren“, rief Connie quer über den Tisch, „Du gehst doch oft abends schwimmen, nicht wahr?“
 

Eren blinzelte seinen Kameraden an, ungewohnt zurückhaltend.

„Ja, warum?“
 

„Na, jetzt müssen wir uns nicht mehr an einen Trainingsplan halten, da könnten wir zusammen gehen“, grinste Connie treudoof.
 

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun“, nuschelte Ymir zwischen zwei Bissen.
 

„Ich finde, dass das eine gute Idee ist“, mischte sich Reiner ein, „Schwimmen ist der perfekte Ausgleichssport und wenn wir was abmachen, kann sich keiner drücken.“
 

Eren sah zwischen Connie und Reiner hin und her. Euphorie sah anders aus.

„Hm.“
 

Die meisten pflichteten Reiner bei, was Eren mit einem missmutigen Gesichtsausdruck zur Kenntnis nahm.
 

Sie nahmen ihn als Beispiel und Aufhänger, allerdings über seinen Kopf hinweg. Zumindest ließ Eren es zu. Offensichtlich fehlte es ihm an Mut und Verstand seine Kameraden davon zu überzeugen, dass er alleine schwimmen gehen wollte.
 

Oder... Nun. Wohl nicht ganz alleine.
 

Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick und plötzlich fühlten sich ihre monatelangen Schwimmwettkämpfe bedeutend an. Ein wohlgehütetes Geheimnis, das keines war. Etwas das gerade verloren ging, egal wie selten sie sich in den Monaten zuvor im Hallenbad über den Weg gelaufen waren.
 

Dieses beschissene Balg mit diesen scheiß verfluchten seegrünen Augen ging ihm langsam aber sicher unter die Haut.
 

*~*
 

Sie wussten genau, was sie taten, als sie ihr giftiges Netz sponnen.
 

+++
 

Das war das 4. Kapitel^___^.

Ursprünglich sollte Levi mit Hanji schlafen. Aber dann hat mir ihre Freundschaft so sehr gefallen, dass ich sie nicht mit Spaß-Sex beeinträchtigen wollte.

Was meint ihr? Hätte euch eine LeviHan-Romanze gefallen?

Die fremden Rekruten haben die Vor- und Nachnamen von Fußballspielern, weil ich Namen gesucht habe und gerade die WM gelaufen ist, als ich das Kapitel geschrieben habe:D

Die Einsatzszene ist mir schwer gefallen.

Habt ihr Verbesserungsvorschläge? Ich sitze nämlich gerade am 7. Kapitel und hänge an so einer Szene:-(

Ich bin so gespannt auf eure Kritik und hoffe, dass ihr euch Zeit dafür nehmt:-) Ich würde mich wahnsinnig freuen!

Das nächste Kapitel kommt Anfang Juni. Leider schaffe ich es nicht schneller wegen Examensvorbereitung und anderen Querelen.
 

Im 5. Kapitel wird es emotionaler. Man erfährt mehr über Mikasa und Eren verscherzt es sich mit Levi... Außerdem endet die Ausbildung, yay:D
 

Bye
 

Minerva

Gezeiten

„Ich glaub's einfach nicht!“
 

Connie war nicht der einzige, der an diesem schwülen Juniabend ungläubig auf der Wiese vor ihrem Wohngebäude saß und den Kopf schüttelte.
 

„Ja, es kam vor allem so plötzlich.“ Reiner schüttelte grimmig mit dem Kopf.
 

„Ich finde es seltsam, dass das an einem Sonntag verkündet wird“, sinnierte Historia, während sie ihren langen Rock ordnete.
 

Sie saßen alle auf Decken und hatten sich ihr Bier mit raus genommen, um den Sommerabend etwas genießen zu können.
 

„Objektiv betrachtet sind die geflogen, mit denen die meisten von uns am wenigsten zu tun hatten“, stellte Armin klar, was ihm aller Aufmerksamkeit einbrachte.
 

Tim Janmaat, Richard Pedro, Oliver Rémy, Louis Cabaye, Thiago Paletta und David Ramos. Das waren die Namen der Rekruten, die heute morgen unvermittelt von Levi verabschiedet worden waren.
 

„Glaubst du, dass wir das Maß für die anderen anlegen?“, fragte Connie skeptisch.
 

„Du bestimmt nicht, Kretin. Aber Armin und meine süße Historia hier wahrscheinlich“, lachte Ymir und knuffte Connie grob.
 

„Ymir“, schalt Historia ihre Freundin sanft. Die Zwei standen sich unheimlich nah, aber zusammen waren sie seltsamerweise nicht, obwohl ihre Augen mehr als Freundschaft füreinander versprachen.
 

„Ich bin gespannt, was diesen Monat noch kommt. Der General-Leutnant erwies sich bisher als sehr fantasievoll“, seufzte Marco.
 

Es war bisher in der Tat eine skurrile und anstrengende Ausbildungseinheit gewesen.
 

Am ersten Tag der 6. Einheit geschah erst einmal gar nichts. Es war der pure Horror zu warten bis etwas passierte. Und als es dann losging wurden sie in den Wald gekarrt und ihnen befohlen eine weiße Box zu suchen. Im Dunkel stehend und ausgerüstet mit Taschenlampen brauchten sie die ganze Nacht. Sie schliefen zwei Stunden bis zum Frühstück. Danach ging es in München weiter. Sie sollten Hanji ausfindig machen, wobei Berthold die Suche leiten sollte.

Solche und andere seltsame Aufträge mussten sie die ersten vier Wochen ausführen, wobei immer jemand anderes den Einsatz leiten musste. Levi war stets bei ihnen und beobachtete sie.
 

Im Mai mussten sie haargenau dieselben Einsätze ausführen, die sie während der letzten Einheit aufgegeben bekommen hatten. Levi hatte sich Zwanzig davon ausgesucht und da sie sich an die Sachverhalte erinnerten und die Probleme kannten, wunderten sie sich zuerst über den Sinn der Aufgabe. Klar, ihnen wurde eine Hierarchie vorgeben, aber sonst?

Als Levi in der Rolle des Kriminellen vor ihnen stand, begriffen sie.
 

Außerdem hielt Levi die Einsätze anfangs oft an, um sie zu belehren und am Samstag saßen sie den ganzen Tag im Unterrichtsraum, analysierten die Videoaufnahmen der wöchentlichen Einsätze, diskutierten darüber und lernten.

Levi war ein fantastischer Lehrer. Man musste bloß seine Flüche und ungehobelte, radikal-ehrliche Art ausblenden und tadaa! Sie wurden immer besser.
 

Der plötzliche Rauswurf sechs ihrer Kameraden verunsicherte sie deswegen umso mehr. Es zeigte, dass sie noch nicht am Ende ihrer Reise waren und jeder fliegen konnte, egal wie gut sie sich anstellten. Und gut, verdammt nochmal, waren sie alle.
 

„Eren Jäger!“, rief Mike plötzlich aus einem der Fenster im Verwaltungsgebäude gegenüber.
 

Er stand auf: „Ja, Sir?“
 

„Komm her! Telefon!“
 

Ein eiskalter Schauer lief Erens Rücken hinab und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er warf Armin einen schockierten Blick zu, bevor er Mike zurief, dass er käme.
 

„Soll ich mitkommen?“, fragte ihn Armin besorgt und war bereits dabei aufzustehen.
 

„Nein, schon gut“, winkte Eren schroff ab und lief zum Eingang des Gebäudes.
 

Er ignorierte die verwirrten Blicke und Fragen der anderen. Armin würde es ihnen schon erklären.
 

Als Eren schließlich ins Büro trat, zitterte er am ganzen Leibe. Mike hielt ihm das Telefon hin, das Gesicht blank und unverbindlich. Er nahm es und presste es sich ans Ohr.
 

Es gab nur eine Person, die ihn anrufen würde. Der Tod. Nur der Tod oder das Leben.
 

„Jäger, hallo“, brachte er atemlos hervor. Am Rande bemerkte er wie Mike den Raum verließ.
 

Dann verschwamm alles. Es gab nur noch dieses taube Gefühl, seine schwitzigen Hände, die sich krampfhaft in den Hörer krallten und das leere Rauschen am anderen Ende des Apparates.
 

Oh Gott! Bitte! Bitte lass sie nicht tot sein!
 

„Eren Jäger? Guten Abend! Dr. Brzenska hier“, ertönte die tiefe, unterschwellig ungeduldige Stimme der Ärztin, die Eren besser kannte als ihm lieb war, „Ich muss Ihnen mitteilen, dass sich der Zustand Ihrer Schwester etwas verschlechtert hat und wir sie an ein Atemgerät anschließen müssen. Ich brauche dafür Ihr Einverständnis.“
 

Seine Beine gaben bei diesen Worten nach und er sank mit einem erstickten Laut auf die Tischkante.
 

„Herr Jäger?“
 

„H-Heute Morgen war noch alles okay“, presste er zwischen den Zähnen hervor.
 

„Ihre Schwester hatte einen Kreislaufzusammenbruch, aber wir haben das in den Griff gekriegt. Sie ist soweit stabil, aber zur Sicherheit würde ich sie gerne bei der Atmung unterstützen.“
 

„Ja. Ja, machen Sie das.“ Ein gewaltiger Druck baute sich hinter Erens Augen auf.
 

„Es ist nichts allzu Besorgnis erregendes“, erklärte Rico Brzenska mit einem Seufzen in der Stimme, „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Wachkomapatienten beatmet werden müssen.“
 

„Ich... Ich fahre zu Ihnen.“
 

„Das wäre Zeitverschwendung. Wir haben die Situation im Griff“, stellte die Ärztin klar. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, was letztlich erträglicher für Eren war.
 

„Sind Sie sicher? Ich mein, ich-“
 

„Herr Jäger“, unterbrach ihn Brzenska resolut, doch ihre Stimme wurde etwas weicher, als sie fortfuhr, „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Mikasa wieder aufwacht bei 0,3 % liegt. Wir haben schon oft über Euthanasie gesprochen und Sie sollten es erneut in Erwägung ziehen; ob Ihre Schwester diesen Zustand gewollt hätte, in dem sie sich befindet.“
 

„Ich werde sie nicht töten“, er hörte wie Brzenska widersprechen wollte und erstickte es im Keim, „Egal wie schlecht es aussieht, ich kann Mikasa nicht aufgeben. Sie würde dasselbe für mich tun und ich weiß, solange es nur die winzigste Chance gibt... Sie wird wieder aufwachen!“
 

Eren wurde zum Schluss hin immer lauter. Umso erdrückender wog die Stille danach. Er hörte das Knistern im Telefon, wartete angespannt. Ein Seufzen erklang am anderen Ende.
 

„Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Jäger. Ich kümmere mich um Ihre Schwester und halte sie auf dem Laufenden.“
 

Eren nickte, merkte dann, dass sie das nicht sehen kann.

„Danke.“
 

„Auf Wiederhören.“
 

„Wiederhören.“
 

Ein Knacken und die Stille wurde unerträglich.
 

Die Sekunden tickten träge voran.
 

Tik. Tok. Tik. Tok. Tik. Tok. Tik. Tok. Tik. Tok. Tik. Tok.
 

Seine Glieder fühlten sich bleiern und schwer an. Erst das laute rücksichtslose Geräusch der sich öffnenden Tür ließ ihn aus der Dumpfheit schrecken.
 

Wie ein Reh im Scheinwerferlicht starrte er Mike an, der ihn sichtlich prüfend begutachtete.
 

„Du warst fast eine halbe Stunde hier drin“, erklärte Mike mit ebener Stimme.
 

Mit einem sichtlichen Ruck riss sich Eren zusammen und legte den Hörer auf.

„Entschuldigen Sie.“ Mehr brachte er nicht über die Lippen.
 

Mike nickte.

„Ich muss noch etwas Papierkram erledigen. Du findest raus?“
 

„Ja. Danke, Sir.“ Mit steifen Schritten verließ Eren den Raum und versuchte das unnachgiebige Pochen in seinen Ohren zu ignorieren. Seine Schritte hallten synchron dazu und er krallte sich daran, um sich nicht in der Schwärze, die vor seinen Augen tanzte zu verlieren.
 

Als er aus dem Gebäude trat, sog er die frische Luft ein wie ein Ertrinkender.
 

Es beruhigte ihn etwas im Freien zu stehen, obgleich sich die aufwühlende Verzweiflung weiterhin eines Drahtseils gleich um seine Brust schnürte.
 

Er hörte die Stimmen seiner Kameraden und der Gedanke an ihnen vorbeizugehen oder gar mit Armin über das Telefonat reden zu müssen, verursachte eine ätzende Übelkeit, die ihm rasch den Magen hochstieg. Er schluckte schwer und die Magensäure runter.
 

Eren dachte nicht wirklich nach, als er abbog und an der Wand entlang hinter den Sträuchern zu dem großen Gebäude lief, in dem er eine Zeit lang oft gewesen war.
 

Die Haustüre war offen. Leise Musik ertönte von links und er machte die Tür auf.
 

Als er die Person, die er gesucht hatte, mit einem Buch auf der Couch liegen sah, atmete er erleichtert aus.
 

„Hanji, Ma'am.“
 

Mit verblüfft zusammengezogenen Augenbrauen schielte Hanji über den Buchrand und warf ihm erst einen irritierten Blick zu. Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, setzte sie sich alarmiert auf.
 

„Eren! Was ist passiert?“ Mit besorgten Augen schob sie ihre Brille zurecht und stand auf, das Buch immer noch in der einen Hand.
 

„Entschuldigen Sie die Störung. Ich... Eigentlich ist es dumm, aber...“ Eren kam sich auf einmal wie der größte Vollidiot auf der ganzen Welt vor. Er machte sich hier gerade zum Volldepp und wegen was? Einem Telefonat, einer Situation, die nicht neu war. Er war wirklich erbärmlich.
 

Plötzlich legte sich ein sanfter Ausdruck auf Hanjis Gesichtszüge und sie schritt auf ihn zu wie auf eine scheue Katze.

„Eren, Sweetie. Komm, setz' dich zu mir.“
 

Sie fasste ihn beruhigend an den Schultern und sah ihm mit dieser besonnenen Sicherheit in die Augen, zu der man sofort Vertrauen fasste.
 

Er ließ sich von ihr zur Couch dirigieren und sie setzten sich nebeneinander.
 

Hanji vermied diese seltsame Stimmung, die unangenehmen Gesprächen immanent war, indem sie sofort auf ihn einredete.

„Ich freue mich, dass du da bist, Eren. Ich habe neben meiner Offiziersausbildung und meinem Medizinstudium nicht Psychologie studiert, weil mir langweilig geworden ist. Ich wollte meine Kameraden nicht nur körperlich zusammenflicken können. Es ist genau richtig, dass du zu mir kommst, Eren. Auch wenn es irgendein Sexualproblem ist. Ich meine, es ist nicht einfach so lange abgeschottet zu leben, da stauen sich auch bei erwachsenen Männern die Hormone auf und-“
 

„Stop! Stop! Stop!“, brachte Eren entsetzt hervor, „Hanji, Ma'am! Das ist es nicht!“
 

Sie lächelte ihn gutherzig an. Unaufdringlich und so gekonnt manipulierend, dass man ihr alle seine Geheimnisse verraten wollte und sie in guten Händen glaubte.
 

„Fang einfach damit an, was du heute Abend getan hast“, schlug sie vor.
 

„Wir sind draußen gesessen“, begann Eren stockend, doch es fiel ihm zunehmend leichter sich zu fassen, „und haben über die Kameraden gesprochen, die gehen mussten. Dann hat Mike nach mir gerufen, weil jemand für mich angerufen hatte und ich wusste sofort, dass es nur das Krankenhaus sein konnte. Es gibt sonst niemanden und Armins Mutter spricht nur im Rahmen ihrer Telefonate mit ihm gelegentlich mit mir. Und da ich heute Morgen erst mit Dr. Brzenska gesprochen habe, habe ich Mikasa schon tot und kalt auf einer sterilen Metallbarre liegen gesehen.“
 

Eren atmete tief durch. Er starrte angestrengt auf seine unruhigen Hände in seinem Schoß und obwohl es ihn viel Kraft kostete, suchte er schließlich Hanjis Blick.
 

„Sie ist normalerweise stabil, aber sie hatte heute einen Kreislaufzusammenbruch und muss zur Sicherheit beatmet werden. Dr. Brzenska hat mir wegen der 0,3 %-Chance und der langen Zeit erneut ans Herz gelegt eine Euthanasie in Erwägung zu ziehen. Und ich weiß, dass es rational gesehen richtig wäre und dass Mikasa nie ein Leben lang so dahinvegetieren wollen würde. Aber ich kann es nicht.“
 

Seine Stimme brach unter seiner Verzweiflung und er wurde sehr leise, aber bestimmt, als er fortfuhr.
 

„Ich kann sie nicht töten lassen. Ich kann sie nicht so aufgeben. Sie hat immer gekämpft. Sie war stark in allen Bereichen. Armin und ich waren ihre einzigen Schwachpunkte und sie hat alles für uns getan, immer. Sie ist eine Kämpferin und ich weiß einfach, dass sie angepisst ist und auf ihren regungslosen Körper schaut und nur darauf wartet, bis er wieder genug Kraft hat, um aufzuwachen. Ich weiß, sie kann aufwachen. Wenn jemand in diese verfickten 0,3 % fällt, dann Mikasa!“
 

Erens Atem zitterte, er spürte nur am Rande, wie sich seine Fingernägel in seine Handinnenflächen bohrten. Er war aufgewühlt und wütend. So unglaublich wütend.
 

Hanji hielt seinen Blick unbewegt. Eine Maske lag über ihren tiefgründigen, haselnussbraunen Augen, die ihre Gedanken verbarg. Ein gleichmäßiges, verständnisvolles Schimmern nahm ihm alle offenkundigen Aggressionen, zurückblieb brodelnde Unruhe und stumme Entschlossenheit.
 

„Es ist eine unmögliche Entscheidung. Man kann nicht über das Leben eines geliebten Menschen entscheiden. Dass man dazu gezwungen wird, ist eine unaussprechliche Qual und eine Verantwortung, der man nie gewachsen sein kann“, sprach Hanji mit sanfter, leiser Stimme. Es war eine Tonlage, die man ihr nicht zutraute. Dennoch war Eren nicht überrascht von ihr.
 

„Sie wissen so viel. Sie haben schon so viel gesehen. Bitte. Bitte untersuchen Sie meine Schwester. Bitte sagen Sie mir, ob es bei 0,3 % bleibt“, bat Eren mit ernster Stimme, sich gänzlich bewusst was er verlangte.
 

Hanji atmete langsam aus, ansonsten rührte sich nichts an ihr. Dann lehnte sie sich leicht vor und griff nach Erens verkrampften Händen und nahm sie in ihre.
 

„Wo ist der Unterschied, wenn die Wahrscheinlichkeit bei 0,1 % oder 30 % liegt?“
 

„Es macht keinen Unterschied. Ich will nur wissen, ob auch Sie nichts ändern können.“
 

Hanji schloss die Augen und seufzte.

„Wenn die Ausbildung abgeschlossen ist, kann ich nach Berlin reisen.“
 

Das war die Antwort, die er wollte. Er atmete zittrig durch und schloss kurz die Augen. Seine Ohren rauschten und die Energie schien ihm geradezu aus jeder Faser des Körpers zu strömen.
 

„Danke.“ Es war nur ein Wort und reichte kaum, um diesem Gefallen gerecht zu werden, den Hanji ihm ohne jede Verpflichtung tun wollte.
 

Dennoch lächelte sie ihn an.

„Komm schon, Eren!“
 

Sie grinste und ihre Augen funkelten wieder mit diesem verstohlenen Wagemut und einem Kopf voller irrer Gedanken.
 

Sie stand auf, seine Hände immer noch in den ihren und zog ihn mit hoch.
 

„Ich weiß ganz genau, was du jetzt brauchst“, sagte sie überzeugt und führte ihn aus dem Gemeinschaftsraum.
 

Sie erhob den Zeigefinger zu ihren schelmisch geschwungenen Lippen. Eren betrachtete sie verwundert dabei, wie sie beinahe lautlos die Küchentür öffnete und sich hineinschlich.
 

Eren starrte in die Küche und begriff Hanjis seltsames Verhalten.
 

Wenn sie wollte, konnte sich Hanji erstaunlich leise bewegen und so pirschte sie sich von hinten an ihr Opfer an, das mit dem Rücken zu ihr am Herd stand und in einem großen Topf herumrührte.
 

Mit euphorischem Lächeln duckte sie sich und hob die Hände, bereit mit ihnen nach dem Körper vor ihr zu greifen.
 

„Vierauge. Was hab ich dir verkackten Hohlbirne vorhin gesagt? Fuck off!“
 

Hanji erstarrte in ihrer Pose wenige Millimeter mit ihren Fingerspitzen über Levis Rücken. Dann umschlang sie in einer fließenden Bewegung seine Taille und drückte sich an ihn.
 

„Ooooh!“, machte Hanji bemitleidend, „Das sieht doch schon fertig aus, außerdem-“
 

Weiter kam sie nicht. Levi drehte sich abrupt in ihrer Umarmung und schlug ihr mit einem Holzlöffel auf den Kopf, der zuvor noch unberührt und sauber auf der Küchentheke gelegen hatte.
 

Noch währenddessen kreuzte Erens überraschter Blick den Levis.
 

„-haben wir einen Gast“, beendete Hanji ihren Satz und rieb sich wehleidig den Kopf, „Mensch, Levi! Das hat echt weh getan!“
 

„Noch ein Wort und ich schieb dir den Löffel in den Arsch“, grollte er abschätzig.
 

„Du gönnst mir auch gar nichts“, jammerte Hanji, doch ihre Augen blitzten wieder spitzbübisch.
 

Levi rollte mit den Augen und seufzte genervt.

„Hier! Wasch ab, was du dreckig gemacht hast“, befahl er und drückte ihr den Holzlöffel gegen die Brust.
 

„Wahhh?“, sie nahm ihn reflexartig und schwenkte ihn mit einer Hand in der Luft, „Du warst doch derjenige, der mich wie ein altes, verbittertes Hausmütterchen damit geschlagen hat!“
 

Levi warf ihr einen mörderischen Blick zu und wenn Eren richtig sah, zuckte sein rechtes Bein kurz auffällig mit der Bereitschaft Hanji so richtig fest in den Arsch zu treten.
 

Er riss sich jedoch zusammen und beschränkte sich auf böses Starren. Sie rührten sich ein paar Sekunden nicht, belauerten sich wie Raubtiere. Man konnte die Spannung regelrecht knistern hören.
 

Eren zuckte zusammen, als Hanji sich plötzlich bewegte und zum Spülbecken sprang, um den Löffel abzuspülen.
 

Als die Zwei ihre Angelegenheiten geregelt hatten, richtete sich Levis Aufmerksamkeit jedoch auf ihn und Eren wusste augenblicklich nicht, ob ihm das sonderlich gefiel. Die dunkelblaue Schürze lenkte ihn allerdings zu sehr ab, um Levis Mimik zu lesen.
 

„Ihre Schürze ist falsch herum“, rutschte es Eren heraus, sowie ihm diese Tatsache ins Auge stach. Die Randnähte waren deutlich sichtbar und der Stoff war matt. Es war vermutlich nicht die eleganteste Art ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten zu beginnen.
 

„Das ist mir verfickt nochmal auch klar, Schlauberger“, erwiderte Levi hart und Eren verwarf jeden Gedanken an politisch korrekte Begrüßungen.
 

„Bist du fertig? Ich habe Hunger!“, rief Hanji und hielt ihre Nase über den großen Topf, von dem Levi sie grob am Kragen wegzerrte.
 

„Ich hab gesagt, verpiss dich! Halt gefälligst deinen widerlichen Zinken nicht über den Topf, Vierauge!“, fluchte Levi sichtlich gereizt.
 

Hanji wehrte sich nicht gegen diese derbe Behandlung, sondern wandte sich, als sei dieser Umgang das normalste von der Welt, an Eren.

„Ich hoffe, du hast noch ein bisschen Platz für Suppe. Levi hier kann echt toll kochen.“
 

„Ähm“, Eren blinzelte sie etwas überfordert an, was Levi anscheinend beobachtet hatte.
 

„Wo hast du ihn überhaupt aufgegabelt, Vierauge? Und warum guckt er, als hätte ihm jemand ins Gehirn gefickt?“
 

„Levi!“ Hanji wandte sich ruckartig zu ihrem Kameraden und bedachte ihn mit einem scheltenden Blick, den Eren so erst einmal gesehen hatte und zwar als Levi ihm vor ein paar Monaten aus Versehen den Arm ausgekugelt hatte. Es schien seine Wirkung zu erzielen; Levi stockte in seinem Tun und und hob fragend eine Augenbraue.
 

„Hanji hat mich nicht aufgegabelt. Ich habe sie aufgesucht“, erklärte Eren mit sanfter Stimme und zog die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich, „Und vielen Dank für das Angebot, aber ich möchte wirklich nicht weiter stören.“
 

„Papperlapapp! Du störst gar nicht“, grinste Hanji und zwinkerte ihm bei den folgenden Worten zu, „Außerdem musst du einfach Levis Essen probieren! Das ist eine einmalige Gelegenheit! Glaub mir, ich selbst kann noch haargenau aufzählen wie oft Levi für irgendjemand anderen als für sich gekocht hat, also genieß dieses Privileg!“
 

„Ach ja? Wie oft?“
 

„Mit heute das 36. Mal“, kam Hanjis Antwort wie aus der Pistole geschossen, „Und das seit ich dich kenne.“
 

Levi zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
 

„Also Eren, setz' dich“, lächelte Hanji und deutete auf den Küchenstuhl gegenüber der Küchenzeile auf der Wandseite.
 

Eren gab nach und lächelte Hanji an.

„Danke.“
 

Wie ein Wirbelsturm deckte sie den Tisch für fünf Personen und setzte sich anschließend freudig auf dem Stuhl wippend neben Eren.
 

Sie quietschte wie ein Meerschweinchen als Levi den großen Suppentopf auf den Tisch hievte, was Eren mit einem amüsierten Lächeln beobachtete.
 

Hanji hielt ihren Teller vor Levis Nase, damit er ihr als erstes von der Suppe gab, doch der zog verständnislos die Augenbrauen zusammen.

„Wo sind deine Manieren, Vierauge? Tu' deinen beschissenen Teller da weg und gib' mir Erens.“
 

Bedauernd schmollte Hanji und seufzte schwer, während Eren Levis Kommando nachkam und seinen Teller reichte.

„Vielen Dank, Sir!“
 

Levi bedachte ihn mit einem schrägen Blick.

„Krieg' dich ein. Es ist bloß Suppe und ich bin kein beschissener Sternekoch, ich verbrenne nur bloß nicht alles.“
 

„Trotzdem vielen Dank“, lächelte Eren, als er den Teller wieder nahm und obwohl Levi weiterhin genervt und missmutig dreinschaute, wurde der Ausdruck in seinen Augen einen Moment lang weicher.
 

Es freute Eren jedes Mal, wenn er an Levis Fassade kratzen konnte, Emotionen sah, insbesondere positive.
 

Es war eine helle Gemüsesuppe mit Hackfleischklößchen und es roch fantastisch. Trotz des ganzen Gefühlschaos begann sich sein Magen langsam zu entkrampfen und der Gedanke etwas zu essen wurde immer annehmbarer.
 

„Du vergiftest dich schon nicht“, kommentierte Levi trocken, als er sich ebenfalls hinsetzte und Erens Zögern wohl als Skepsis interpretiert hatte.
 

„Oh nein, das ist es nicht“, erklärte er schnell und griff nach dem Löffel, „Ich war bloß in Gedanken. Das sieht wirklich lecker aus!“
 

„Ist lecker“, nuschelte Hanji bereits mit dem Löffel im Mund, als sie die heiße Suppe schonungslos hinunterschlang.
 

Als Eren die Suppe probierte wurde er angenehm überrascht und lächelte.

„Das schmeckt wirklich fantastisch!“
 

Levi warf ihm einen kurzen wohlwollenden Blick zu.
 

Mit jedem Löffel ging es Eren ein wenig besser. Die heiße Suppe beruhigte ihn und er genoss jeden Schluck und Bissen. Sie war genau richtig gewürzt, das Gemüse nicht zu knackig, nicht zu weichgekocht und selbst die Hackfleischklößchen hatten die richtige Konsistenz. Eren machte bei sowas immer etwas falsch. Meistens wurde das Fleisch zu hart oder die Karotten zu fest.
 

„Wow, da sind sogar Eier drin“, stellte Eren freudig überrascht fest und zerteilte eines mit dem Löffel, „Das ist wirklich die beste Gemüsesuppe, die ich je gegessen habe!“
 

„Jetzt trägst du aber zu dick auf, Schleimschleuder“, schnaubte Levi, in seinen Augen deutliche Skepsis.
 

„Nein, ich meine das ernst. Ich könnte Ihnen nur eine Person sagen, die so leckere Suppen machen kann.“
 

„Das ist das einfachste von der Welt“, kommentierte er abschätzig.
 

„Vielleicht schlampen deswegen alle bei der Zubereitung. Ich verkoche es meistens.“
 

„Hm.“
 

„Noch einen bitte!“, unterbrach Hanji sie und hielt ihren Teller grinsend Levi vor die Nase.
 

„Du bist der reinste Müllschlucker, Vierauge. Unglaublich“, moserte Levi, schenkte ihr jedoch nach.
 

Sie aßen ein paar Minuten in Ruhe weiter, nur das klirrende Geräusch der Löffel hallte durch die Küche.
 

Als Eren fertig war, konnte er sich nicht mehr zurückhalten.

„Ich möchte nicht unverschämt klingen oder so, aber woher kommt denn dieser Neckname „Vierauge“?“
 

Hanji lachte prompt, während Levi sich zurücklehnte und die Arme verschränkte.
 

„Woher wohl? Sie trägt eine Brille“, erklärte er das Offensichtliche.
 

„Das ist klar, aber wie sind Sie darauf gekommen beziehungsweise seit wann?“
 

„Einfach so und keine Ahnung.“ Damit schien für Levi das Thema beendet.
 

Glücklicherweise war Hanji gesprächswilliger, sodass sie ihn aufklärte, während sie Levi erneut den Teller hinhielt, welcher sichtlich genervt ihrer Aufforderung nachkam.
 

„Eigentlich hat er immer „four eyes“ zu mir gesagt - neben einer ganzen Palette anderer Dinge natürlich - aber das hat sich am hartnäckigsten gehalten. Wir haben alle irgendwelche Spitznamen. Im Militär geht es oft derbe zu und Spitznamen machen es lustig und auch einfacher, weil jeder gleich weiß, wer gemeint ist.“
 

„Also haben Sie alle Vier Spitznamen?“
 

„Jepp“, grinste Hanji breit und warf Levi einen wagemutigen Blick zu.
 

„Willst du auch noch was, Eren?“, fragte Levi mit üblich gelangweilter Stimme.
 

„Gerne, danke“, lächelte er und überreichte den Teller.
 

„Was würdest du uns denn für Spitznamen verpassen? Bestimmt habt ihr Rekruten Spitznamen für uns. Sag' mal!“
 

„Ähm, na ja“, zögerte Eren.
 

Levi gab ihm den Teller zurück.

„Wir fressen dich nicht, wenn du es uns sagst.“
 

„Es gibt eigentlich keine festen Spitznamen“, erklärte Eren, „Eher sowas wie Riese, Big Foot, Boss, Prince Charming, verrücktes Eichhörnchen, Psychotante oder Sklaventreiber.“
 

„Es ist nicht schwer herauszufinden, wen ihr mit welchen Bezeichnungen meint“, stellte Levi fest und aß selbst noch einen Teller Suppe.
 

„Psychotante hab ich schon oft gehört, aber verrücktes Eichhörnchen ist mir neu“, kicherte Hanji vergnügt.
 

„Sklaventreiber ist das einzige, was euch zu mir einfällt?“, hakte Levi nach, „Oder traust du dich bloß nicht?“
 

Eren blickte Levi direkt in die Augen.

„Doch, es ist der einzige Name, der öfter fällt. Meistens reden wir über Sie als Rivaille. Anfangs sind viele andere Bezeichnungen gefallen, aber das hat sich nach dem ersten halben Jahr gelegt. Es ist meistens wirklich nur Rivaille.“
 

„Hast du auch einen Spitznamen?“, wollte Hanji mit neugierig funkelnden Augen wissen.
 

„Es geht eher in die Richtung Kamikaze“, gab Eren zu, „Meistens beschimpfen aber nur Pferdefresse und ich uns gegenseitig.“
 

Levi warf ihm einen fast amüsierten Blick zu, während Hanji so breit grinste, dass sie Muskelkater davon kriegen musste.
 

„Ich habe in meiner Theoriestunde mal was von Kartoffelmädchen gehört. Was hat es damit auf sich?“
 

„Ach!“, lachte Eren kurz auf, „Das verfolgt Sasha. Sie hat am Anfang ständig Kartoffelgerichte gekocht und dauernd heiße Kartoffeln gegessen und rumgeschleppt. Das fanden wir so ulkig, dass irgendwer, ich glaub Connie, sie mal so genannt hat. Sie wird es wahrscheinlich nicht mehr los, auch wenn sie nun nicht mehr so häufig Kartoffeln isst.“
 

„Die Frau ist ein Phänomen. Die frisst Mengen wie ein Schwein, ist trotzdem agil und schnell wie ein Wiesel“, pflichtete Levi trocken bei.
 

„Guter Stoffwechsel“, rief Hanji mit herumschwingendem Löffel, wobei ein paar Tropfen Suppe auf dem Tisch landeten.
 

„Du dumme Pute, hör' auf hier alles dreckig zu machen!“ Levi sah Hanji wie ein widerliches Insekt an und warf den Tropfen auf dem Holztisch denselben Blick zu.
 

Hanji gluckste bloß und wischte mit ihrer Serviette drüber, wobei sie es nicht unbedingt verbesserte.
 

„Du musst wissen, Eren“, begann sie schelmisch grinsend an ihn gewandt, „Levi ist ein Saubarkeitsfanatiker. Und damit meine ich nicht bloße Ordentlichkeit, sondern eine echte Zwangsstörung.“
 

„Halt deine verschissene Fresse!“, grollte Levi mit finsterem Blick, sodass Eren ein Schauer den Rücken runterlief.
 

„Man könnte auch meinen, er habe Koprolalie“, fügte Hanji trocken hinzu und zuckte mit den Schultern.
 

„Kopro- Was?“, entfuhr es Eren, wofür auch er einen bösen Blick kassierte, sich jedoch nur für Hanji interessierte.
 

„Das bezeichnet die Neigung zum Aussprechen unanständiger, obszöner Wörter, die oft einen Zusammenhang zum Verdauungstrakt aufweisen“, erklärte Hanji mit gesenkter, pseudo heimlichtuerischer Stimme.
 

Sie zuckten beide zusammen, als Levi den Stuhl beim Aufstehen geräuschvoll zurückschob. Er beachtete sie jedoch nicht weiter, sondern räumte das Geschirr weg, sodass Hanji sich ungestört wieder an ihn wandte.
 

„Bei Levi liegt das aber nicht in einer psychischen Krankheit begründet, er kann auch anders, wenn er will. Und das ständige Putzen ist nicht sonderlich stark ausgeprägt. Leute mit Zwangsstörungen sind oft viel stärker betroffen und wären schwerlich als Soldaten geeignet.“
 

„Aha“, machte Eren und stand ebenfalls auf.
 

Er ignorierte Hanjis Irritation und sammelte ihre zwei Teller ein, um sie in die Spülmaschine zu räumen. Levi ignorierte ihn, als er sich neben ihn stellte und auch, als Eren einen Lappen nahm, um den Esstisch damit zu wischen.
 

Erst als Eren den Lappen auswusch, richtete Levi seine Aufmerksamkeit auf ihn.
 

„Schon wieder am Schleimen?“
 

„Ach, kommen Sie! So gut müssten Sie mich mittlerweile kennen“, echauffierte sich Eren künstlich und grinste Levi gutmütig an.
 

Es schien zu wirken, denn statt einer unverzüglich scharfen Erwiderung, zögerte Levi. Eren sah es genau in seinen Augen. Diese verfluchten sturmgrauen Augen, die das Licht immer so stark spiegelten und der einzige Indikator für die Gefühle dieses verschlossenen Menschen waren, dessen Mimik fast ununterbrochen abweisend und statisch blieb.
 

Eren wünschte sich in diesem Moment durch diese Augen in seine Seele eindringen und sie räubern zu können. Er wollte alles über diesen Mann wissen und es machte ihn wahnsinnig, wenn er jedesmal abprallte.
 

„Ich weiß nicht, warum du hier bist“, stellte Levi ruhig fest und betrachtete ihn abwartend, beinahe lauernd.
 

Hanji erhob die Stimme, doch Eren bedeutete ihr mit der Hand zu schweigen. Eine völlig unangebrachte Geste und viel zu herrisch, aber in diesem Augenblick sah Eren bloß die Erwartung in Levis Augen, dass er einen Rückzieher machen würde.
 

Eren machte natürlich keinen Rückzieher, er war unfähig diese Herausforderung vorbeiziehen zu lassen.
 

„Ich bat Hanji sich meine Schwester anzusehen. Das Krankenhaus rief vorhin an, weil sie kurzzeitig beatmet werden muss und die Ärztin rät mir ständig Mikasa endlich zu töten, weil 0,3 % nicht wahrscheinlich genug sind, dass sie wieder aufwacht.“ Erens Stimme war beängstigend ruhig, wenn auch monoton, als er es erklärte.
 

Levi wandte seinen Blick keine Sekunde lang ab und seine nächsten Worte ließen Eren überrascht tief ausatmen.
 

„0,3 % sind mehr als genug.“
 

Eren riss die Augen auf und Hanji intervenierte.
 

„Das kannst du nicht pauschal sagen, Levi.“ Ihre Stimme klang ernst und bestimmt.
 

Er beachtete sie nicht, als er antwortete. Seine Augen bohrten sich weiterhin in Erens und strahlten dabei eine unaussprechliche Überzeugungskraft aus, die - ohne es zu wollen - Halt gab.
 

„Sie lebt. Sie wird nicht nur von Maschinen am Leben erhalten. 0,3 % reichen. Es sind Menschen auch nach 23 Jahren noch aufgewacht.“
 

Am Rande hörte Eren im Hintergrund Hanji unzufrieden schnaufen. Er blieb in Levis Blick gefangen, sah darin genau das, was er sehen wollte. Das leise Einverständnis, dass sein Tun natürlich, legitim war. Dass er-
 

„Ob es richtig ist, jemanden so lange vor sich hin vegetieren zu lassen, weiß ich nicht. Aber das weiß man erst hinterher.“
 

Eren lehnte sich leicht zurück, innerlich gegen die Konsequenz der Aussage protestierend.

„Was soll das heißen? Was würden Sie tun?“
 

„Das heißt, du musst die Alternative wählen, die du am wenigsten bereust. Keiner kann in die Zukunft sehen, man kann nur hoffen eine Entscheidung zu treffen, die einem am Ende gefällt. Ob sie das tut, wirst du nie wissen, egal wie gut du es dir überlegt hast und was dafür und dagegen spricht. Das Ergebnis bleibt ein Rätsel. Akzeptiere es und entscheide dich für das, was du potentiell weniger bereust.“
 

Das machte Eren nachdenklich.

„Also sollte man auf sein Bauchgefühl hören?“
 

Levi neigte den Kopf leicht.

„Du kannst auch auf das Jucken in deinem Arschloch hören, wenn es dich glücklich macht.“
 

Eren klappte der Kiefer runter wegen dieser trockenen Aussage und starrte perplex in die blitzenden Augen, als Levis Mundwinkel belustigt zuckte.
 

„Wo wir uns der Koprolalie wieder annähern würden“, bemerkte Hanji, was Levi schnauben ließ.
 

Er drehte sich um und zog die Schürze aus. Eren begriff, warum er sie falsch herum trug, als er das Motiv auf der Vorderseite sah.
 

Eren musste auflachen.

„Ein nackter Männerkörper als Motiv auf einer Kochschürze?“
 

Hanji brach in Gelächter aus, während Levi ihm einen genervten Blick zuwarf, dem ihm persönlich jedoch nicht galt.
 

„Vierauge wollte, dass ich nackt koche und als ich mich geweigert habe, hat sie diese alberne Abscheulichkeit gekauft.“
 

„Sie gönnen ihr auch gar nichts“, scherzte Eren.
 

„Meine Rede!“, gackerte Hanji und schlug schallend auf den Tisch.
 

Levi hob eine Augenbraue an.

„Du kannst dich ja gerne mit hängendem Schwanz hier hin stellen.“
 

„Nach so vielen Jahren Bekanntschaft ist doch nichts mehr dabei“, lavierte sich Eren um die Aufforderung sich hier und jetzt auszuziehen.
 

„Es geht ums Prinzip. Außerdem verabscheue ich es voll gesabbert zu werden.“
 

„Und was machen Sie beim Küssen?“
 

„Bitte?“
 

Erst der harte Ausdruck in Levis Augen und der strapazierte Ton, ließen Eren realisieren, dass er im Eifer im vollen Galopp durch die Wand gerauscht war, die Levis persönliche Schmerzgrenze darstellte und die Stimmung ziemlich schnell ziemlich schmerzhaft für Eren umkippen lassen könnte.
 

Ihm schoss prompt die Schamröte ins Gesicht und er fühlte sich plötzlich ganz heiß und sämtliche Härchen stellten sich ihm vor Nervosität auf.
 

„Entschuldigung“, brachte Eren mit standfester Stimme heraus, was herzlich wenig souverän wirken dürfte, so heiß, wie sich seine Wangen anfühlten, „Das ist mir leider so rausgerutscht. Es war die nächstliegende Frage in diesem Zusammenhang, aber ich hätte sie Ihnen nicht stellen dürfen.“
 

Levi durchbohrte ihn einige Sekunden lang mit seinem gefährlich ausdruckslosen Blick, der alle Handlungsalternativen offen ließ und Eren schlicht fertig machte. Er musste sich beherrschen nicht irgendwo unsicher zu nesteln wie er es am Anfang der Ausbildung noch getan hatte.
 

„Ich hätte mir denken können, dass du verkappte Jungfer keine Ahnung vom Küssen oder gar Sex hast“, erwiderte Levi schließlich für seine Verhältnisse schnippisch und trotz seiner Worte war Eren erleichtert. Damit konnte er umgehen. Damit konnte er weitermachen.
 

„Das Thema hatten wir doch schon. Sie wissen doch ganz genau, dass ich keine Jungfrau mehr bin“, grinste Eren herausfordernd.
 

„Umso erbärmlicher. Ich kann deine Affären nur bemitleiden, wenn du bei Sabbern gleich an Küssen denkst.“ Levi zeigte keinerlei Gefühlsregung. Es war, als blicke ihm eine Statue entgegen.
 

„Ich meinte auch weniger die Küsse auf die Lippen, sondern die am Körper.“ Eren spürte erneut die Hitze in seinen Wangen brennen. Es war zum Kotzen und gemein, dass er so schnell rot wurde!
 

„Ach so? Du schlabberst deine Partner also ab wie ein Hund?“, Levi verzog verekelt den Mund, „Wie widerlich. Kein Wunder, dass du so unerfahren bist.“
 

„Das stimmt doch gar nicht!“, brauste Eren kurz auf, fing sich jedoch schnell wieder und versuchte das Gespräch in geordnete Bahnen zu lenken. Es nutzte ihm nichts, wenn er sich von Levi aus der Fassung bringen ließ.

„Ich sollte mich nicht wundern, dass Sie eine andere Vorstellung vom Vorspiel haben. Im Militär hat hat man wahrscheinlich keine Zeit, um sich lange damit aufzuhalten.“
 

Eren klopfte sich mental auf die Schulter für diese Formulierung. So hatte er nichts beleidigendes gesagt und etwas von sich abgelenkt.
 

„Im Militär ist keine Zeit für schlechten Sex. Da hast du recht.“
 

Na ja. Vielleicht ist das auch eine Einbahnstraße.
 

„Gut, dann belassen wir es dabei, dass wir Beide gut im Bett sind.“ Was sollte er schon sagen, ohne wieder zu weit zu gehen.
 

„Ich weiß, dass ich gut bin. Bei dir Göre bezweifle ich es.“
 

Anscheinend hatte Levi beschlossen die Grenzen guten Benehmens völlig über Bord zu werfen, also ging Eren mit. War ihm doch egal, wenn er jetzt eine auf die Fresse bekam. Levi wollte es wohl nicht anders.
 

„Da ich Sie mit Worten nicht überzeugen kann, blieben bloß noch Taten, aber ich zweifle an Ihrer Spontanität.“
 

Eren hatte erwartet, dass er dafür eine körperliche Sanktion kassieren würde. Er hatte jedoch nicht vorausgesehen, dass Levi ihn am Kragen packen und ihn auf Augenniveau ziehen würde, während eine andere Hand ihm suggestiv und viel zu sanft über die Seite strich.
 

„Du bist wie ein kleiner Welpe, der fröhlich durch die Dunkelheit direkt auf den Abgrund zu tappt. Ich hoffe, du magst Schmerz, denn der Fall wird tief“, raunte Levi mit gesenkter Stimme und einem Funkeln in den Augen, das Eren bisher nicht kannte. Es hatte etwas nostalgisches und zugleich bedrohliches an sich, als spräche Levi über eine unheilvolle Vergangenheit. Dann änderte sich der Ausdruck in den sturmgrauen Augen und er sah, dass Levi wieder in der Gegenwart war, ihn sah und ihn nun aus der Fassung bringen wollte.
 

Wie gerieten sie bloß immer in solche Situationen?
 

„Du weißt nicht wovon du redest. Du bist das größte Unschuldslamm auf diesem Gelände und dennoch reißt du dermaßen die Klappe auf. Du hast keinen blassen Schimmer, was du tun würdest, wenn du bekämest, wovon du sprichst.“
 

Aus irgendeinem Grund verschwand jegliche Unsicherheit und Furcht, als er Levis Worten lauschte und ihm dabei eine Handbreit von seinem Gesicht entfernt in die intensiven Augen starrte. Er fühlte sich auf einmal nicht mehr unwohl und obwohl Eren diesen Stimmungswechsel nicht erklären konnte, nahm er es einfach als gegeben hin.
 

„Unterschätzen Sie mich nicht“, erwiderte Eren mit einem gekonnt verführerischen Lächeln und fuhr seinerseits mit einer Hand Levis Taille entlang, während er mit der anderen die Hand an seinem Kragen griff. Levis Hand war etwas kleiner und seine Finger schlank und lang wie die eines Pianisten, sodass Eren sich kurzzeitig über die immense Kraft in ihnen wunderte, als er seine Hand umfasste.
 

Er spürte, wie Levi erschauderte, ansonsten rührte er jedoch keinen Muskel. Nach endlosen Sekunden stahl sich jedoch eine gewisse Belustigung in seine Augen. Sie waren wieder bei ihrem Selbstverteidigungstraining in den Weihnachtsferien angelangt, wo sie ebenfalls in diese Richtung abgedriftet waren. Damals konnte Eren Levi verscheuchen, heute wollte dies jedoch nicht so recht gelingen. Er war nicht der Einzige, der sich zurückerinnerte und Levi schien entschlossen ihn diesmal auflaufen zu lassen.
 

Levi trat ein wenig näher, sodass Eren sich etwas entgegen dem eisernen Griff aufrichten musste. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast, als er leicht nach unten in Levis sturmgraue Augen blickte und seinen Atem auf seiner Mundpartie spürte. Diese unbotmäßige Nähe zu seinem Vorgesetzten ließ sein Herz rasen und ihm schummrig werden.
 

„Und was wirst du jetzt tun, Jäger?“, raunte Levi insbesondere seinen Nachnamen.
 

Mist verdammter! Dieser Kerl trieb ihn schier in den Wahnsinn! Scheiß auf die Hierarchie!
 

Stur wie Eren war, legte er seinen freien Arm um Levis Taille und drückte ihn an sich, während er mit der anderen Hand Levis von seinem Kragen soweit lockerte, dass sie nicht zusammenstießen und er sich ganz aufrichten konnte.
 

Levis freie Hand lag zwischen ihnen auf Erens Brust. Zwar nicht direkt auf seinem Herz, aber er musste dennoch das schnelle Pochen fühlen können.
 

Jeden Moment konnte die Stimmung kippen und Levi ihn auf den Boden schicken. Umso mehr genoss Eren die wenigen Sekunden, in denen Levi zu ihm hochsah und bewegungslos quasi in seinem Arm lag. Eren spürte seine Körperwärme und wie angespannt jede Muskelfaser war und für einen kurzen Augenblick wunderte er sich, ob Levi sich jemals fallen ließ.
 

Als Levi nichts unternahm außer ihm in die Augen zu blicken, begann Eren ihn eingehend zu studieren.
 

Die sturmgrauen Augen, in denen er eine Mischung aus neugieriger Zurückhaltung und sturer Ungeduld meinte zu erkennen, waren überraschenderweise blau. So tiefblau, dass sie im Licht grau schimmerten. Die etwas mandelförmigen Augen mussten von einem asiatischen Vorfahren stammen, vielleicht kam auch daher die eher geringe Körpergröße, zierliche Nase und die tiefschwarzen Haare, die manchmal bläulich glänzten. Seine Augenbrauen waren dünn und seine Wimpern nicht sonderlich lang, aber dicht und geschwungen. Die Schatten um seine Augen verrieten ein schweres Leben mit vielen Sorgen und schlechtem Schlaf. Dafür war seine helle Haut makellos und jugendlich. Seine blassrosa Unterlippe war voller als die Oberlippe und wirkte einladend weich.
 

Levi war die Sorte Mann, die nicht von weitem nach Schönheit und Attraktivität schrie, sondern auf eine herbe, rohe Art eine autoritäre Ausstrahlung besaß, die ihn anziehend machte. Er war gutaussehend, nicht hübsch. Und das machte diese Sorte Männer viel gefährlicher als wahrhaftige Models, denn man wurde von ihnen unerwartet mitgerissen und angezogen und hatte erst einmal keine Ahnung wieso.
 

Eren konnte nie verstehen, wenn die Frauen ihrer Einheit von Levi sprachen und ihn als anziehend bezeichneten. Klar, gut gebaut war er, das hatte keiner von ihnen abgestritten. Aber das war nicht, was die Mädchen meinten. Sie konnten es nur mit „der hat sowas an sich“ oder „seine Ausstrahlung ist einfach sexy“ erklären, was für alle männlichen Kameraden nicht nachvollziehbar war. Von den drei Militärs hätten sie Erwin und Mike, aber nicht Levi als Frauenschwarm bezeichnet. Aber die beiden Männer wirkten weniger auf die Frauen, obwohl sie größer und schöner waren.

Auch jetzt verstand Eren es noch nicht so ganz, aber er begriff, dass Schönheit und Attraktivität komplexer waren und ein hübsches Gesicht dafür nicht ausreichte. Er begriff, dass Levis Aussehen auch eine Waffe war und Eren ihn gerade anstarrte und in seinen Augen versank, um erneut in ihnen zu lesen.
 

„Was ist denn hier los?“, ertönte plötzlich eine kräftige, tiefe Stimme hinter ihnen, was sie beide zusammenzucken und einen Schritt zurückgehen ließ.
 

Erwin stand plötzlich in der Küchentür und warf ihnen einen verwunderten Blick zu, den Eren erschrocken und Levi gewohnt genervt erwiderte.
 

Dann wandte sich Erwin plötzlich grinsend zu Hanji, welche die Szene zuvor mucksmäuschenstill und gebannt beobachtet hatte.

„Hanji, was lässt du die Zwei da machen? Hast du von ihnen verlangt eine deiner geheimen Fantasien nachzustellen?“
 

Hanji schmollte und lehnte sich jammernd zurück.

„Es war gerade so spannend! Mensch, Erwin! Warum musstest du gerade jetzt hereinplatzen? Wer weiß wo das noch hingeführt hätte?!“
 

„Wahrscheinlich zu großen Schmerzen“, murmelte Eren unwillkürlich vor sich hin, doch Levi stand noch nah genug, um es zu hören und schnaubte.
 

„Darauf kannst du wetten, du freches Balg.“ Ihre Blicke begegneten sich kurz. Levis Augen blitzten belustigt und seine Lippen hatten sich zu einem leichten Schmunzeln auseinandergezogen.
 

Eren wandte verschämt lächelnd den Blick ab und rieb sich über die Nase.

„Ich glaube, ich gehe besser.“
 

„Ja, geh. Nicht dass dich noch der böse Wolf frisst, Rotkäppchen“, kommentierte Levi prompt seine Schüchternheit und es war bei Gott noch einer der nettesten Kommentare, die sich in dieser Situation anboten.
 

„Hast du gekocht, Eren?“, fragte Erwin, als er gänzlich in die Küche trat und in den Suppentopf, der immer noch auf der Theke stand, schaute.
 

„Nein, Sir. Das hat Levi gekocht.“ Es blieb seltsam vor Erwin über die anderen mit Vornamen zu sprechen, aber immerhin durfte Eren auch ihn hier mit Vornamen anreden.
 

„Ach so?“, erstaunt hob Erwin seine Augenbrauen an, „Was verschafft uns die Ehre?“
 

„Ich bin nicht in Stimmung“, murrte Levi und ging demonstrativ an Erwin vorbei.
 

Der schien heute besonders guter Laune zu sein.

„Will ich wissen in was für einer Stimmung du bist?“
 

„Kommt darauf an. Willst du sie ausbaden?“
 

„Ich dachte, diese Art der Überzeugung hättest du seit deiner Aufnahme ins Militär abgelegt?“, grinste Erwin provozierend.
 

„Fick. Dich. Hart.“ Mit diesen Worten schlug Levi die Tür hinter sich zu.
 

Erwin lachte erheitert und warf Eren einen gelassenen Blick zu.

„Nimm dir an diesem Umgangston bitte kein Beispiel.“
 

„Ach, ich glaube Eren hat schon seine ganz eigene Umgangsart gefunden“, feixte Hanji und zwinkerte Eren grinsend zu.
 

„Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend“, presste Eren mit brennenden Wangen hervor und nickte beiden zu, bevor er regelrecht aus dem Raum und dem Gebäude flüchtete.
 

Seine Gedanken rasten und kamen zu einem plötzlichen Stopp, als er Armin mit kreidebleichem Gesicht und besorgtem Blick auf seinem Bett sitzen sah.
 

*~*
 

„Jetzt ohne Spaß, was war das vorhin?“, hakte Erwin mit geerdeter Stimme nach, während er die Suppe aufwärmte.
 

Hanji konnte nicht umhin die Augen zu verdrehen, ob der abrupten Ernsthaftigkeit in Erwins Attitüde. Der Mann war schon immer ein Grübler gewesen, selten ausgelassen und der Spaßvogel, der sich in ihm verbarg und nur Unsinn im Kopf hatte. Manchmal übertrieb er es.
 

„Das ist etwas kompliziert, aber der Ausgangspunkt für die Szene vorhin war die Schürze dort.“ Hanji deutete auf den blauen Stoff, der ordentlich gefaltet über einem Ständer an der Wand hing.
 

Erwin ging hin und schmunzelte, als er die Schürze aufschüttelte.
 

„Levi meinte, ich habe ihm dies gegeben, weil er sich geweigert hatte nackt zu kochen. Eren war der Meinung, Levi gönne mir nichts - was ich absolut unterschreibe - und daraufhin meinte er, dass er nicht von mir voll gesabbert werden wollte. Und na ja, Eren dachte dabei wohl an Küsse und so driftete es ab Richtung Sex und Machtspielchen. Was du gesehen hast, war der Moment vor der Entscheidung und ich hätte wirklich gern gesehen, was passiert. Sie haben beide kein Stück nachgegeben und so wie Eren es gelungen ist Levi aus der Reserve zu locken... Das war sooo toll! Und dabei war er gehemmt. Levi ist schließlich trotz allem sein Vorgesetzter und kann ziemlich explizit werden, wenn ihm was gegen den Strich geht und trotzdem! Eren war so putzig!“ Schwärmend wippte Hanji auf dem Stuhl hin und her.
 

Sie war begeistert von Eren. Sie hatte Weihnachten bereits gesehen, dass er mit Levi auf der selben Wellenlänge lag und sie sich gegenseitig gut taten. Levi konnte Eren fördern, wie der das brauchte und Eren steckte Levi mit seiner Leidenschaft an. Leidenschaft, die Eren so lange mühevoll unterdrückt hatte und durch Levi wieder entfalten konnte. Es war ein wunderbarer Teufelskreis. Je mehr Levi Eren half, desto stärker wurde er von Eren mitgerissen.
 

„Muss ich mir wegen der anderen Rekruten Gedanken machen?“, holte Erwin Hanji wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.
 

„Nö, wieso?“
 

„Warum war Eren hier?“
 

„Er wollte mit mir über seine Schwester reden. Ich werde sie begutachten, wenn ich Urlaub habe.“
 

Erwin legte den Kopf schief, eine Aufforderung weiter zu erklären.
 

„Der arme Junge wird wiederholt mit der Euthanasie seiner Schwester konfrontiert und wollte wohl einfach mit jemand Neutralem darüber reden. Ich finde es klasse, dass er dafür zu mir gekommen ist und es tut mir nicht weh einen Blick auf seine Schwester zu werfen.“
 

„Wenn du das in deiner Freizeit tun möchtest“, Erwin zuckte mit den Schultern und nahm den Topf vom Herd, „Glaubst du wirklich, dass der Umgang mit Eren Levi gut tut?“
 

„Du brauchst dich nicht zu sorgen“, winkte Hanji ab, „Eren tut ihm gut.“
 

„In welchem Verhältnis stehen sie zueinander?“, bohrte Erwin weiter nach.
 

„Ich hoffe, dass sie sich anfreunden. Sie mögen sich. Es verhält sich ähnlich wie mit dir und Levi. Allerdings ist Eren viel impulsiver und nicht so verknöchert wie du.“
 

Erwin warf ihr einen schiefen Blick zu, wurde von dem ersten Schluck Suppe jedoch abgelenkt.

„Das schmeckt wirklich gut.“
 

„Jepp“, lächelte Hanji gelassen.
 

„Also du meinst, ich muss mir keine Gedanken um Levi machen?“, ließ Erwin nicht nach und Hanji konnte seine Besorgnis bloß belächeln.
 

„Es läuft gut.“
 

„Hm“, machte Erwin und genoss schweigend seine Suppe.
 

Er würde seine Argusaugen so oder so nicht von Levi nehmen und ihn bewachen wie eine Glucke ihr Küken.
 

Erwin war ein sehr emotionaler Mann, aber er konnte es schlecht zeigen. Er hatte so viele Ideale und verfolgte stets ein unerreichbares Ziel, das durch seine Hartnäckigkeit und Klugheit Stück für Stück erreichbarer wurde. Er konnte es nicht erreichen, wenn er sich zu sehr mit Gefühlen aufhielt. Er hatte keine Zeit der Liebe nachzugeben, keine Zeit um zu trauern, wenn Kameraden fielen, keine Zeit um komplizierte Beziehungen wie innige Freundschaften zu unterhalten. Das machte einsam. Erwin nahm die Einsamkeit in Kauf. Ihm waren seine Ideale und Ziele wichtiger. Er war einer der wenigen Menschen, die zu etwas Höherem berufen waren. Etwas, wozu kaum ein Mensch im Stande war, weil eben jene Dinge für sie nicht abzustreifen waren.
 

Erwin hielt sich stets auf Distanz zu seinen Mitmenschen und es gab kaum Ausnahmen. Eine davon war die Frau, die sein alter Schulfreund und Kamerad Nile Dawk geheiratet hatte und die andere war Levi.
 

Obschon Levi für Erwin das beste Rennpferd auf dem Weg zu seinen Zielen war, hatte sich der wilde, zornige Junge, der Levi gewesen war, mit mehr Mut und Glück als Verstand bereits bei ihrer ersten Begegnung unwissend in Erwins Gedächtnis gebrannt und irgendwann in sein Herz.
 

So sehr wie Erwin Levis Fähigkeiten ausnutzte, so sehr verehrte er ihn auch.
 

Levi war der Einzige, der Erwins Gefühlskälte vorbehaltlos akzeptierte und verstand, dass er alles andere als kalt und gefühllos war. Es war natürlich ein holpriger Weg bis dahin, aber sie hatten ihn zurückgelegt.
 

Erwin konnte im Gegenzug Levis Handlungen nachvollziehen und auf ihn eingehen, wie er es brauchte zu dem Zeitpunkt, den er brauchte.
 

Sie vertrauten einander. Aber uneigennützige Freundschaft konnte Erwin nicht bieten.
 

Hanji fand es schade. Sie mochte Erwin, obgleich sie ihn mehr noch respektierte. Selbst Mike, der Erwin von ihnen am längsten kannte und stets hinter ihm gestanden hatte, konnte nicht richtig auf ihn zugreifen.
 

„Du hättest sehen sollen, wie sich Levi während dem Essen langsam beruhigt hat. Anfangs nur am Fluchen und dann immer weniger. Es ist lustig, wie man Levis Stimmung an der Anzahl der Schimpfwörter messen kann“, grinste Hanji.
 

„Wie das?“
 

Hanji zuckte mit den Schultern.

„Außerdem hat Levi bewusst versucht Eren durch seine vulgären Worte von dem Euthanasiethema abzulenken und es hat wunderbar geklappt“, fügte Hanji enthusiastisch hinzu.
 

„Ich weiß, dass Levi dein Lieblingsforschungsobjekt ist, aber übertreib es bitte nicht“, mahnte Erwin und musterte sie mit seinen stahlblauen Augen analysierend.
 

„Ach, Erwin! Warum soll ich es denn übertreiben? Ich sag Levi doch nicht alles. Es würde ihn bloß vertreiben. Ich freu mich bloß, dass es ihm sichtlich besser geht und dass wir obendrein einen vielversprechenden ESE-Polizisten kriegen, den ich vor einem Jahr noch fast rausgeschmissen hätte.“
 

Überrascht sah Erwin ihr direkt in die Augen.

„Ihr kocht auch immer euer eigenes Süppchen. Ich glaub, ich sollte mich öfter einmischen, sonst verpasse ich das Beste.“ Demonstrativ deutete Erwin auf den Suppentopf, was Hanji mit einem Nicken kichernd bestätigte.
 

„Aber gedeckt haben wir für dich und Mike auch!“ Grinsend zeigte sie auf den unberührten Teller, der für Mike bestimmt sein sollte.
 

„Davon haben wir viel, wenn ihr uns nicht ruft“, sagte Erwin und aß einen zweiten Gang Suppe.
 

Für Mike blieb am Ende tatsächlich kaum eine Kelle voll übrig.
 

~*~
 

Es blieb ihm nur noch der Juni. Es kam ihm vor, als flöge die Zeit nur so dahin und obwohl die Rekruten geradezu Fortsprünge machten, genügte es nicht. Levi sah diese jungen, talentierten Polizisten an und wollte sie am liebsten irgendwo einsperren oder zu Mama schicken.
 

Er ärgerte sich über diesen unangebrachten Beschützerinstinkt, den er zuvor nie auf diese Weise verspürt hatte. Er hatte sich früher immer um das Wohl seiner Kameraden und Untergebenen gesorgt, aber er wäre nie auf die Idee gekommen ihnen ihre Sicherheit aufzuzwingen. Man wurde nicht Soldat, wenn man lieber daheim im gemütlichen Wohnzimmer hockte. Wer Soldat wurde hatte zwangsweise einen an der Klatschte.

Welches Tier zog schon ohne existenzielle Not freiwillig in den Kampf?
 

Sie waren schon besondere Exemplare und wussten, wofür sie sich entschieden hatten. Es war sinnlos und lächerlich dies in Frage zu stellen.
 

Ähnlich waren die Auszubildenden für die ESE, die im Grunde nichts anderes als Soldaten in Polizeiuniform waren. Immerhin durfte im Innland kein Militär eingesetzt werden, außer es handelte sich um eine der zahlreichen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Waldbrände oder Orkane.
 

Levi musste sich regelrecht ermahnen mit dem Training nicht zu übertreiben und zu streng und zu harsch zu reagieren, wenn etwas nicht perfekt verlief. Er wollte nicht überreagieren. Er wollte keine Angst haben.
 

Er hatte in der ersten Juniwoche begonnen die Rekruten an ihre physischen und psychischen Grenzen zu treiben.

Er ließ sie stundenlang zu ihrem Zielort laufen, bevor er sie in den Einsatz schickte, in dem sie sich ihm stellen mussten. Die Einsatzorte waren sorgfältig präparierte Gebäude aus dem Bavaria Stuntman- und Filmstudio in München, wo sie allerlei Fallen und Hindernisse aufgestellt hatten. Polizeischüler aus dem Abschlusssemester spielten die Ganoven und bespaßten die Rekruten mit gezielten Manövern unter Zuhilfenahme der technischen Raffinessen der Gebäude. Das Ergebnis war eine Mischung aus Thriller und Geisterbahn mit vielen Beulen, Hämatomen und verdrehten Körperteilen - nichts ernstes. Danach durften die Rekruten abends wieder heimlaufen, nur um maximal fünf Stunden später wieder aufzustehen.
 

Er wollte die Rekruten nicht quälen und ihnen nicht absichtlich Schmerzen zufügen oder Schrecken einjagen. Aber Levi musste wissen wie weit er gehen konnte. Er musste wissen, wie sie mit solcherlei Stresssituationen umgingen.
 

Also schmiss er am Sonntagmorgen James Shaw raus. Er war ein guter Polizist, aber es hatte Levi nicht überrascht, dass er nervlich nicht mithielt. James hatte keinen richtigen Anschluss gefunden, war mit dem Herzen bei seinem bereits neunjährigen Sohn, den er unehelich gezeugt hatte, sich jedoch um ihn kümmerte wie er konnte. Das Kind war ihm letztlich wichtiger als diese Einheit und das schlug schlussendlich auf seine Leistungen durch. Er war einer der Wackelkandidaten gewesen, die Hanji nur aus Opportunismus nicht rausschmiss und nun hatte Levi dies ausgenutzt.
 

Durch die abrupte Verabschiedung James' zu dieser Unzeit an einem Sonntag hatte er eine noch größere Unruhe reinbringen können, als zuvor mit der Entlassung von sechs anderen Rekruten.

Und je nachdem wie sich die Rekruten verhielten, standen noch Stefanos Gekas und Severin Miller auf seiner Abschussliste, die er zum geeigneten Moment entlassen konnte, um den Stressfaktor in die Höhe zu treiben.
 

Da der Sonntag frei war, konnten die Rekruten sich richtig schön in ihrem Unverständnis suhlen und sich über Levi das Maul zerreißen, was ihrer dringend notwendigen Erholung nicht gerade zuträglich war.
 

Levi tat ihnen nur den Gefallen sich den restlichen Tag nicht blicken zu lassen. Er hatte die Zeit in seinem Appartement mit Planungen und Telefonaten verbracht und abends sichtlich selbst die Schnauze voll und wollte sich nur noch irgendwo eingraben und von diesen ganzen anstrengenden Menschen abschotten.
 

Zuvor beschloss er allerdings ein wenig zu schwimmen, um seinen steifen Nacken zu entspannen. Er wähnte sich in Sicherheit, kein Rekrut würde nach der Woche auf die Idee kommen noch Sport zu treiben, sodass er bereits um 18:30 Uhr die Schwimmhalle betrat.
 

Levi schwamm ein paar Bahnen im geruhsamen Tempo, um seine Muskeln zu strecken und tauchte kreuz und quer. Eigentlich liebte er es ziellos umher zu schwimmen, zu tauchen, nur zu plantschen. Als Kind hatte er sich nach Wasser gesehnt und das Meer bestaunt. Leider war das Meer in Bangkok völlig verdreckt und voller Feuerquallen gewesen. Da hätte man sich genauso gut in eine Pfütze im Slum legen können.
 

Die Erinnerungen an seine Kindheit verdrängte er meistens. Sie hinterließen bloßes Bedauern und viele Selbstzweifel. Und der kindliche Impuls einfach loszulassen, zu albern und sinnlosen Spaß zu haben, war über die Jahre beinahe verloren gegangen. Es gab kaum solche Momente und nur eine Person hatte ihm je das Gefühl geben können, das ihn manchmal durchdrehen und wie ein glückliches Kind toben ließ.
 

Levi atmete stoßweise aus, sodass die Luftblasen gluckernd an die Wasseroberfläche drangen und ihn am Kinn kitzelten.
 

Er drehte sich auf den Rücken und tauchte leise auf, ließ sich treiben. Er schloss die Augen, schluckte trocken, doch der immense Druck in seiner Brust drückte sie nur fester zusammen.
 

Das Blut rauschte in seinen Ohren und er versuchte sich darauf zu konzentrieren, um jegliche Gedanken an die Vergangenheit zu ersticken.
 

„Ich dachte, das Becken wäre zum Schwimmen da.“
 

Die Stimme klang gedämpft und leise an seine Unterwasser liegenden Ohren, dennoch schrak Levi unangenehm zusammen und brachte sich wieder in Schwimmposition.
 

Seine Augen fanden sofort Seegrüne.
 

Eren saß am Beckenrand und lehnte entspannt mit dem Oberkörper gegen einen der Startblöcke. Er stützte seinen rechten Ellbogen darauf ab und seinen Kopf auf seine Hand, deren Finger sich in den braunen Haaren vergruben. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln, das sich in seinen frappierenden Augen wiederfand.
 

Er sah aus wie hingegossen.
 

„Was lümmelst du hier rum?“, fragte Levi harsch und wenig begeistert davon, dass Eren sich so hatte anschleichen können.
 

Das Lächeln wurde ein wenig breiter und Amüsement blitzte in seinen Augen auf, statt sich von Levis Unfreundlichkeit abschrecken zu lassen.
 

„Mir tut alles weh. Ich wollte auch ein wenig im Wasser liegen und mich entspannen“, erklärte Eren mit einer Ruhe in der Stimme, die Levi irritierte.
 

Normalerweise schwang stets ein leicht passionierter oder entschlossener Unterton bei Erens Worten mit. Nie hatte seine Stimme so samtig und geradezu friedlich geklungen.
 

„Warum treffe ich immer nur auf dich?“ Die Frage galt nicht nur Eren und klang selbst in seinen Ohren ein wenig frustriert. Erens Ausstrahlung brachte Levi heute seltsam durcheinander.
 

Eren lachte leise und der raue Ton jagte Levi einen kühlen Schauer über den Rücken.
 

Zur Hölle...?
 

„Armin liegt wie erschlagen im Bett und ist sogar zu müde zum Lesen. Die anderen haben sich auch unter ihren Decken vergraben und ich wollte niemanden heraus scheuchen. Und allgemein bin ich anscheinend die einzige Wasserratte hier.“
 

„Du bist komisch.“
 

„Warum?“, Eren neigte leicht den Kopf in Verständnislosigkeit, „Weil ich eine Wasserratte bin?“
 

„Nein“, entgegnete Levi genervt und unterdrückte ein Schnauben, „Du wirkst als hättest du dir gerade das Hirn herausgevögelt.“
 

Erens Gesichtszüge entgleisten auf so herrlich empörte Weise, dass Levis Mundwinkel zuckten. Es war schier unglaublich wie ehrlich unschuldig dieser wunderschöne junge Mann war. So pur.
 

Es dauerte einen kurzen Moment, ehe sich Eren wieder fing und sich bemühte seine geröteten Wangen zu ignorieren. Das brachte Levi fast zum Schmunzeln.
 

„Schön wär's“, war schließlich die überraschend trockene Antwort, „Ich kann mich gar nicht mehr ans letzte Mal erinnern.“
 

„Vor sechs Jahren?“, half Levi nach.
 

Eren warf ihm wieder einen amüsierten Blick zu, Schalk blitze in seinen seegrünen Augen.

„Muss ich mir Gedanken machen, dass Sie so viel über mein Sexleben nachdenken?“
 

Levi schnaubte erheitert und schüttelte den Kopf.

„In einem Moment bist du völlig verschämt und im nächsten reißt du dein freches Maul auf. Sehr gut, Eren.“
 

„Das war eine ernsthafte Frage“, schmollte Eren mit vorwurfsvollen Augen und roten Wangen, was Levi tatsächlich verhalten Lachen ließ.
 

Wenn es ging, schmollte Eren noch mehr.

„Ich freu' mich ja wirklich, dass ich Sie zum Lachen bringen kann, aber es ist trotzdem gemein.“
 

Levi schielte Eren mit schweren Lidern an und gluckste ein wenig.

„Bist du wirklich 26? Du musst als Kind der reine Horror gewesen sein, wenn du selbst jetzt noch so dreinschauen kannst.“
 

„Ich war ein schreckliches Kind. Stürmisch, frech und ständig gerauft habe ich auch“, sinnierte Eren und zog seine Augenbrauen überlegend zusammen, „Wahrscheinlich habe ich das wirklich nur überlebt, weil ich zu süß war und meine Mutter mich nicht lange mit Schweigen bestrafen konnte.“
 

„Du wurdest mit Schweigen bestraft?“ Levis Stimme wurde ungläubig. Für ihn wäre das ein Segen gewesen, aber es passte wohl zu Eren. Er hatte ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung.
 

„Nicht nur. Aber das Ohren langziehen und auf den Hintern hauen, half nicht.“
 

„Also kann man dich weder mit Worten noch mit Taten zähmen?“
 

„Mit Taten nicht dauerhaft“, kam die schnelle Antwort, „Aber Worte beziehungsweise schweigende Reaktionen auf mein Verhalten machen mich fertig.“
 

„So ein Sensibelchen.“
 

„In gewisser Weise. Ich weiß, dass das ein Schwachpunkt von mir ist.“
 

„Gut.“ Wenn man seine Schwächen kannte, konnte man an ihnen arbeiten oder sie akzeptieren und ausmerzen.
 

„Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass man mich zähmen kann. Ich halte mich zu stur dafür“, meinte Eren mit leiserer Stimme und sah in Gedanken auf den Boden. Schmerz spiegelte sich in seinen intensiven Augen.
 

„Hm“, stimmte Levi zu, „Dich kann man nur so in Verlegenheit bringen, dass du deinen eigenen Namen vergisst.“
 

Erens Kopf schnellte wieder zu ihm, Augen überrascht aufgerissen. Die Belustigung kehrte wieder zurück.
 

Ein breites Grinsen zog seine vollen Lippen auseinander.

„Das könnte natürlich passieren. Allerdings nur bei Leuten, die mir näher stehen. Bei anderen ist es mir scheißegal.“
 

„Ich stehe dir also näher?“, hakte Levi mit suggestiver Stimme nach. Erens unmittelbare Reaktion war zu amüsant, um der Verlockung zu widerstehen.
 

Zwar errötete er erneut, doch diesmal blieb er völlig gefasst.

„Ich muss Sie enttäuschen. Die Anforderungen sind nicht sonderlich hoch. Jeder, den ich regelmäßig sehe, steht mir nah.“
 

„Also könnte dich dein verfickter Bäcker auch aus dem Konzept bringen?“
 

Eren lachte wieder leise und auf diese Art, die Levi schaudern ließ.
 

„Ich denke, es kommt darauf an, wie mein Bäcker aussieht“, grinste Eren zwinkernd, „Aber bei Ihnen ist es Ihre Stellung.“
 

Levi verzog missmutig die Lippen.

„Du findest mich also hässlich?“
 

Anders als bezweckt, brachte er Eren dadurch nicht wieder zum Rudern. Im Gegenteil. Leider.
 

„Oh nein, keineswegs“, raunte Eren und verdammt nochmal, dieses elendige Balg konnte verfickt anzüglich und verführerisch klingen und schauen, wenn er wollte. Seine seegrünen Augen funkelten unter gesenkten Lidern vielversprechend und als er sich mit der Zunge über die Lippen leckte, erschauderte Levi innerlich. Das konnte doch wohl nicht wahr sein!
 

„Du hättest als Hure eine Karriere sondergleichen hingelegt“, stellte Levi trocken fest und ohne es zu wollen, brachte er Erens anrüchige Maske zum Bruch.
 

Allerdings blieb seine Stimme ruhig und seine Gedanken geordnet, auch wenn er seine Verwunderung deutlich zeigte.

„Wie können Sie das sagen, wenn Sie mich zuvor als prüde bezeichnet haben?“
 

„Ich kann nichts für deine Ambivalenz.“
 

„Okay“, sagte Eren langsam und blickte ihm wieder direkt in die Augen, „Und wie kommen Sie darauf mich mit einer Hure zu vergleichen?“
 

„Ach komm, du wirst doch nicht ernsthaft deswegen beleidigt sein“, schnaubte Levi und verdrehte innerlich die Augen. Als er sah, dass Eren ihn abwartend anstarrte, schnaubte er erneut.

„Es ist der verfickte feuchte Traum eines jeden Mannes ein anrüchiges Unschuldslamm zu vögeln.“
 

Eren legte nachdenklich den Kopf schief.

„Weil sich die meisten Männer eine verruchte Jungfer wünschen?“
 

Levi nickte.
 

„Und wie kommen Sie da auf Hure? Das ist ziemlich herabwürdigend.“ Eren zog streng die Augenbrauen zusammen.
 

„Komm mir nicht auf die scheiß Moralische, Balg. Ich bin in Bangkok aufgewachsen. Das ist sozusagen das Hurenhaus der Welt und außerdem bezeichne ich weibliche wie männliche Prostituierte als Hure. Also kein Grund mir mit dem ganzen Toleranzscheiß zu kommen.“
 

„Aha“, machte Eren ausatmend.
 

Sein Blick war zwar nicht mehr vorwurfsvoll, aber er sah ihn immer noch analysierend an. Es war entnervend. Doch bevor er ihn deswegen anblaffen konnte, stand Eren auf und stieg auf den Startblock.
 

Er stellte sich absprungbereit darauf und Levi erkannte deutlich, wie viel kräftiger Erens Körper in den letzten Monaten geworden war.
 

Er tauchte tadellos ins Wasser, schwamm aber im geruhsamen Tempo einige Meter Unterwasser, bevor er sanft auftauchte. Eren war genauso wenig daran interessiert ernsthaft zu schwimmen und genoss ebenfalls die Schwerelosigkeit und angenehme Kühle in dieser heißen Sommernacht.
 

Levi tauchte auch wieder unter und zog gemütlich seine Bahnen, doch ein fader Beigeschmack blieb in seinem Mund zurück. Das Gespräch mit Eren hallte in seinen Gedanken immer und immer wieder wider und jedes Mal wurde er etwas wütender darüber.
 

Nach einer geschätzten halben Stunde stieg Levi wortlos aus dem Becken und ging zu den Duschen. Er hatte einen Stein im Magen und war zu ungut, um Eren noch einmal anzugucken.
 

Er duschte sich erst kalt ab, dann fröstelte es ihn doch zu sehr und er stellte sich das Wasser auf warm. Sein ganzer Körper wurde von Gänsehaut überzogen und er zog sich aus.
 

Levi ließ sich mit geschlossenen Augen berieseln und knirschte mit den Zähnen, als er Erens Anwesenheit eher spürte als hörte. Er hätte sich denken können, dass das Balg nachkommen würde. Er rechnete sicherlich damit, dass er absperren wollte.
 

Er ignorierte ihn.
 

Er ignorierte ihn, als er neben ihm duschte.

Er ignorierte ihn, als sie sich anzogen.

Er ignorierte seine inquisitorischen Blicke.
 

„Gute Nacht, Sir“, verabschiedete sich Eren mit sanfter Stimme. Freundlich. Vorwurfslos.
 

Levi nickte ihm zu ohne ihn anzusehen.
 

***
 

„General-Leutnant! Sir!“
 

Er erkannte die atemlose Stimme mit einem innerlichen Grollen und verlangsamte seinen Schritt. Als er bemerkte, dass alle stehen geblieben waren, hielt auch er an und drehte sich um.
 

Die Rekruten waren allesamt schweißüberströmt und japsten nach Luft. Ihre Augen waren glasig vor Erschöpfung und in ihren Gesichtern spiegelte sich die Scheu vor dem, was er noch von ihnen verlangen könnte.
 

Nur ein Paar Augen blickte ihn dennoch entschlossen und mit einer hart erarbeiteten Selbstsicherheit an.
 

„Können wir bitte eine Pause machen, Sir?“
 

„So schnell schon am Ende, Jäger?“, stellte Levi die Gegenfrage mit erbarmungsloser Stimme. Er hatte Eren fast zwei Wochen lang konsequent ignoriert, soweit es von der Ausbildung her möglich war.
 

„Nicht nur ich, Sir. Einige von uns sind kurz vorm Zusammenbrechen und soweit sollte es nicht kommen“, antwortete Eren sachlich und ruhig, doch in seinen Augen flackerte Wut auf.
 

„Sollte es nicht, huh?“ Levi ging einige Schritte auf Eren zu und sah in den Augenwinkeln, wie die anderen Rekruten zurückzuckten. Auch in Erens Augen stahl sich kurz eine gewisse Unsicherheit, aber er blieb standhaft.

„Was verleitet dich zur Annahme, dass ich nicht genau das will?“
 

Für einen Moment schien er sprachlos, doch Eren konnte durchaus denken, wenn er wollte.

„Sie haben uns unsere Grenzen aufgezeigt. Und das ist eine davon. Wir kommen als Team nicht weiter als bis hierher.“
 

Levi sah sich um.

„Dort hinten ist ein Park. Dort pausieren wir.“
 

Erleichterung sprang den Rekruten aus den Gesichtern und Erens Lippen zogen sich zu einem ermatteten Lächeln auseinander.
 

Levi hatte das Training noch einmal verschärft und nun geschah genau das, worauf er es angelegt hatte: sie streikten. Glücklicherweise musste nicht erst jemand zusammenbrechen und es war anscheinend Erens beherztes Eingreifen zu verdanken, dass es nicht so weit kam. Es hätte Levi vermutlich nicht so sehr überraschen sollen, wie es das tat.
 

Obschon er mehreren nach Krankheit Privattraining hatte angedeihen lassen, hatte er die meiste Zeit in Eren investiert. Er hatte verglichen mit den anderen keine Scheu mehr vor ihm und wusste wie er dachte. Eigentlich genau das was Levi erreichen wollte, aber nun ärgerte es ihn nur, dass kein anderer Rekrut die Traute hatte, ihn anzusprechen - Verantwortung zu übernehmen.
 

Eren als Führungspersönlichkeit einzusetzen war noch zu früh. Ihm fehlte es an der nötigen Nüchternheit, war zu emotional. Er war ein guter Beta.
 

In dem kleinen Park am Rande Münchens ruhten sie sich etwas aus und tranken die letzten Wasservorräte leer. Es dämmerte zwar bereits, doch die Hitze des Tages drückte schwül auf sie herab. Sie hatten noch zwanzig Kilometer bis zum Ausbildungskomplex.
 

Levi zog sein Smartphone aus der rechten Hosentasche und schrieb Hanji einen kurzen eLetter. Normalerweise rief er die Leute lieber an als ihnen Kurznachrichten zu schicken, aber bei Hanji machte er eine Ausnahme. Einmal an der Strippe, würde er sie kaum mehr loswerden, geschweige denn dazu kommen ihr sein Anliegen mitzuteilen.
 

Die Rekruten schienen nicht darauf versessen recht bald weiterzulaufen. Sie hockten in kleinen Grüppchen auf dem Boden oder lehnten an Bäumen. Insbesondere die Frauen brauchten diese Auszeit, die Levi mit ihrem Durchhaltevermögen ohnehin positiv überrascht hatten.
 

Als Hanji mit dem Bus angefahren kam, starrten die Rekruten darauf wie auf eine Fata Morgana.
 

Wortlos ging Levi darauf zu, ungläubig folgten ihm die anderen.
 

„Braucht jemand eine Mitfahrgelegenheit?“, grinste Hanji wie ein Honigkuchenpferd, als sie die Türe öffnete und Levi neben sie trat, „Immer nur hineinspaziert!“
 

Verblüfft und unheimlich erleichtert traten die ersten Rekruten ein und ließen sich auf die gepolsterten Sitze des Minibusses sinken. Manche nickten ihm sogar dankbar zu und begrüßten Hanji lächelnd.
 

Als Eren die Stiege hinauf trat, stemmte Levi seine Hand in Erens Brust, um ihn aufzuhalten.

„Du nicht. Du gehst zu Fuß.“
 

Erens Gesichtsausdruck wäre unter anderen Umständen vermutlich komisch gewesen. Seine Mimik wechselte von überrascht zu ungläubig, um sich schließlich in aufgebrachter Resignation zu verlieren. Seine seegrünen Augen funkelten ihn wütend an, aber Eren hatte genug dazugelernt, um die Klappe zu halten und kehrt zu machen.
 

Die anderen Rekruten nahmen diese Wendung mit gemischten Gefühlen auf. Sie tuschelten, fluchten, resignierten. Und wer bereits saß, stieg aus. Allesamt.
 

Levi betrachtete die Rekruten und wie Eren auf sie einredete doch mitzufahren. Reiner, Armin, Marco, Historia, Thomas,... Sie blieben alle.
 

„Ihr kennt den Weg. Den Wachen sag' ich Bescheid.“ Mit diesen Worten wandte sich Levi ab und setzte sich hin, während Hanji mit ratlosem Gesichtsausdruck die Türe des Minibusses schloss.
 

Sie fuhren einige Kilometer in Stille, ehe Hanji mit distanzierter, halbinquisitorischer Stimme nachfragte: „Warum hast du ihn angeguckt wie ein widerliches Insekt?“
 

„Ich gucke immer so.“
 

„Nein, du guckst immer desinteressiert und wenn, dann genervt.“
 

„Was ist dein scheiß Problem, Vierauge?“
 

„Hat dir Eren was getan?“, brachte sie es auf den Punkt, „Oder warum haben sich bei dir plötzlich sämtliche Nackenhaare aufgestellt?“
 

Levis Magen verknotete sich ungut und eine unzufriedene Welle leichter Wut wogte seinen Bauch hinauf, die er nur mit Mühe zurückbeißen konnte. Er knirschte mit den Zähne und stemmte einen Fuß gegen die Trennwand zwischen erster Sitzreihe und Fahrerhaus.

„Nein.“
 

„Du weißt schon, dass ich dich im Innenspiegel sehen kann?“ Hanjis Tonfall sank in Ebenen, in denen es nicht mehr lustig war, sie zu vergackeiern.
 

„Fick dich.“
 

„Das Thema hatten wir doch schon“, erwiderte sie in einer Stimme, als rede sie mit einem Kind, das zum tausendsten Mal etwas Selbstverständliches fragte.
 

„Kümmere dich um deinen eigenen Scheißdreck“, grollte er. Dieses scheiß Weib verbiss sich unsäglich genau da, wo es wehtat.
 

„Ich mag Eren. Er ist so ein gut aussehender junger Mann und ein Traum von einem Koch noch dazu“, schwärmte Hanji und driftete wohl von ihrer Kernaussage ab, „Er ist freundlich, leidenschaftlich, sehr emphatisch, willensstark, mutig und hach... Wenn ich könnte, würde ich ihn heiraten.“
 

Levi schnaubte.

„Er wäre gar nicht dein Typ.“
 

„Ach so? Was ist denn mein Typ?“ Hanji blickte ihn kurz durch den Innenspiegel an.
 

„Irgendjemand der dich bändigen kann wie Moblit Berner. Eren kann ich mir beim besten Willen nicht mit dir vorstellen.“
 

„Mag sein“, erwiderte sie nachdenklich. Es war vermutlich etwas unfair Moblit zu erwähnen, da sie der verpassten Chance immer noch hinterher trauerte. Glücklicherweise war Hanji niemand, der sich lange mit tristen Gedanken aufhielt.

„Aber für eine Affäre vielleicht? Wenn die Einheit zu Ende ist und er nicht mehr Schutzbefohlener ist?“
 

Levis Lippen verzogen sich angewidert.

„Auch das kann ich mir nicht vorstellen. Will ich auch gar nicht.“
 

Hanji kicherte belustigt vor sich hin. Sie hatte in der Vergangenheit zwar so gut wie jeden hübschen Soldaten ins Bett gezerrt, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ernsthaft in Erwägung zog Eren zu verführen. Der arme Junge wäre fürs Leben gezeichnet.
 

Obwohl...
 

Vor zwei Wochen hatte er eine Seite an Eren gesehen, die er ihm nicht zugetraut hätte. Was wusste er schon von dem Balg? Vielleicht würde er Hanji zum Schreien bringen?
 

Der Gedanke ließ ihn erneut verekelt den Mund verziehen. Sein Gehirn visualisierte viel zu schnell.
 

„Ich hoffe, du stößt ihn nicht von dir“, riss Hanji ihn aus seinen Gedanken.
 

„Bitte?“ Er verstand nicht und der abrupte Themenwechsel half nicht.
 

„Eren konnte sich nur Dank dir so großartig weiterentwickeln und er ist dir dafür sehr dankbar. Es wäre schade, wenn du das kaputt machen würdest, indem du ihn auf Distanz hältst.“
 

„Was soll ich kaputt machen?“
 

„Er ist der Einzige der Rekruten, der für dich ohne zu Zögern durchs Feuer gehen würde.“
 

„Ich will kein Schoßhündchen.“
 

„Er vertraut dir und ist loyal. Er wäre ein guter Freund.“
 

„Ich brauche keine Freunde. Ich brauche ESE-Polizisten.“
 

„Das schließt einander nicht aus“, sagte Hanji resolut mit strenger Stimme, „Wir fanden uns alle und andere lebenslange Freundschaften im Beruf. Es hat uns nicht geschadet.“
 

„Das ist relativ“, flüsterte Levi verbittert und sprang auf. Sie waren da.
 

***
 

Levi blieb wach bis die Rekruten ungefähr vier Stunden später kurz nach Mitternacht ankamen. Sie hatten sich Zeit gelassen, aber daran gab es in diesem Fall nichts auszusetzen.
 

Am nächsten Morgen suchte er Erwin und fand ihn in der Küche mit einem Kaffee stehend und mit Mike plaudernd, der sich ein Honigbrot schmierte.
 

„Guten Morgen, Levi“, begrüßte Erwin ihn mit diesem weißer-Ritter-Lächeln, für das Levi ihn am liebsten watschen würde.
 

Mike sah kurz über seine Schulter und nickte ihm mit einem weniger aufdringlichen „Morgen“ zu.
 

Levi nickte ebenfalls und fixierte Erwin.

„Wir müssen reden.“
 

Erwins strahlende Schwiegersohnfassade brach in sich zusammen und wurde zu dieser ernsten Offiziersvisage, die er ihm noch lieber aus dem Gesicht wischen wollte.

„Was ist passiert?“
 

Levi schlenderte zur Küchentheke und suchte sich Teekanne und Teeblätter heraus. Er hatte oben zwar schon einen Earl Grey getrunken, aber was das anging, konnte er nie genug haben.

„Nichts. Ich bin bloß fertig.“
 

Erwin sah irritiert auf ihn hinab. Mike drehte sich mit dem Brot in der Hand um und betrachtete ihn neugierig.
 

„Was meinst du mit fertig?“, hakte Erwin mit lächerlich lauernder Stimme nach, als verberge sich in der kommenden Antwort das größte Übel.
 

„Mit der Auswahl der Rekruten. Zwei werde ich heute noch rausschmeißen und dann sind sie fertig.“ Er zuckte gelangweilt mit den Schultern, während er heißes Wasser aufsetzte und die Teeblätter in ein Sieb gab, das im Verschluss der Teekanne steckte.
 

„Das ist aber erfreulich!“, platzte es aus Erwin heraus, nun entspannt, ob der guten Neuigkeiten.
 

„Wie viele bleiben denn übrig?“, wollte Mike zwischen zwei Bissen wissen.
 

„16. Zehn Männer und sechs Frauen.“

Er schüttete das heiße Wasser durch das Sieb in die Kanne und warf einen Blick auf seine Armbanduhr - ein altes verschlissenes Ding aus lederummanteltem Edelstahl.
 

„Wunderbar, dann haben wir die Quoten erfüllt. Das Justizministerium wird erfreut sein.“ Erwins Lippen zogen sich zu einem triumphierenden Grinsen auseinander.
 

„Meinst du die sechs Frauen ernst?“, fragte Mike mit skeptisch erhobener Augenbraue.
 

„Natürlich meine ich das ernst“, fuhr Levi ihn an und nahm das Sieb raus, schmiss die gebrauchten Teeblätter weg und nahm sich eine Tasse.
 

Mike zuckte mit aufgesetzter Unschuldsmiene mit den Schultern und schob sich das letzte Stück Brötchen in den Mund. Er schleckte sich die honigverschmierten Finger ab und griff erneut zum Messer, um sich noch eine Scheibe zu schmieren. Levi verzog angewidert den Mund, als er den schmutzigen Messergriff sah.
 

„Was willst du-“, begann Erwin, wurde jedoch von der aufschlagenden Küchentür unterbrochen.
 

„Levi!“, rief Hanji mit gewöhnlich aufgeregter, lauter Stimme.
 

Er war versucht sich die Ohren zuzuhalten, beschränkte sich letztlich jedoch auf einen strafenden Blick, der nur an Hanji so glorreich abprallen konnte.
 

„Die Rekruten stehen gebügelt und gestriegelt zum Appel auf dem Platz!“
 

Die Verblüffung über diese Nachricht ließ Levi seine Teetasse zur Seite stellen und Hanji folgen, die ihm theatralisch die Eingangstür aufhielt.
 

Es war 9:00 Uhr morgens und er hatte die Rekruten mit Absicht liegen lassen, in der Erwartung, dass sie dankbar bis Mittag verschliefen. Dennoch standen sie nun in Reih' und Glied auf dem Platz und rührten keinen Muskel, als er vor sie trat. Was für ein Unterschied zum Anfang!
 

„Eigentlich wollte ich euch liegen lassen“, begrüßte Levi die Rekruten mit gelangweilter Stimme, die sein Erstaunen gänzlich ertränkte, „Aber wenn ihr schon da seid: Ich gebe euch bis Ende der Woche frei. Allerdings müsst ihr auf dem Gelände bleiben.“
 

Die Rekruten sahen ihn an wie eine Scharr Hühner, die darauf wartete, dass er ihr die Körner hinwarf. Dieser Anblick belustigte Levi.
 

„Severin Miller und Stefanos Gekas muss ich an dieser Stelle verabschieden. Ihr könnt eure Abschlussbeurteilung und Papiere ab 10:00 Uhr im Büro von Erwin Smith abholen.“
 

Genannte Rekruten starrten ihn wie Karpfen an, Augen groß, empört und ohne jeden Biss. Es waren gute, sehr gute Polizisten, aber sie waren froh gehen zu dürfen. Sie hatten eine andere Vorstellung von ihrem Leben als die restlichen 16 Rekruten.
 

Levi schweifte mit ausdruckslosem Blick über die Männer und Frauen, mit denen er in nächster Zeit lebensgefährliche Einsätze ausführen würde und schluckte die bittere Pille des Zweifels herunter. Er hatte sich die Besten ausgesucht und sie waren so bereit wie sie sein konnten.
 

Er wandte sich wortlos ab und überließ es ihnen sich das Maul über ihn zu zerreißen.
 

*~*
 

Es war Donnerstag und der Aspekt, dass sie erstmal nicht auf Hab Acht sein mussten, ließ sie alle förmlich in sich zusammensacken. Klar, dass Severin und Steff gehen mussten, war ein Schock und verunsicherte sie genauso wie sie Mitleid empfanden.
 

Eren hatte sich mit Beiden verstanden, aber nie viel zu sagen gehabt. Größtenteils war er froh, dass es nicht ihn erwischt hatte, um ehrlich zu sein.
 

„Ich glaube, ich schlafe bis Samstag durch“, seufzte Armin, als er sich aufs Bett fallen ließ.
 

Tief durchatmend plumpste Eren ebenfalls auf die Matratze und blieb mit ausgestreckten Extremitäten am Rücken liegen.

„Was meinst du, wie viele fliegen noch?“
 

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass überhaupt noch jemand fliegt. Aber ich wurde schon öfter überrascht.“
 

„Sehr beruhigend“, schnaubte Eren, was Armin jedoch als Unzufriedenheit mit seiner Aussage aufzufassen schien.
 

„Du kannst ihn ja bei einer der Schwimmrunden fragen, ob er noch jemanden rauswerfen will“, schlug Armin leicht pikiert vor und sah Eren wie ein getretener Welpe an.
 

„Erstens würde er mir bei der Frage einen Vogel zeigen und zweitens scheint er zur Zeit sauer auf mich zu sein“, erwiderte Eren ungeduldig, ob Armins unbegründeter Eifersucht.
 

Es war nicht das erste Mal, dass er wegen Levi einschnappte. Armin mochte es scheinbar nicht, wenn Eren ihn bewunderte aus Angst, dass er Armin links liegen ließ. Das war natürlich Quatsch, aber Armin hatte in der Vergangenheit schlimme Erfahrungen mit sogenannten Freunden gemacht und konnte eine gewisse Unsicherheit auch gegenüber Eren zuweilen nicht abstellen.
 

Eren liebte Armin wie einen Bruder. Doch in Momenten wie diesen würde er ihm am liebsten für sein mangelndes Vertrauen eine scheuern.
 

„Wieso sollte er sauer sein? Wegen dem Gespräch, von dem du mir neulich erzählt hast?“
 

Er nickte.

„Seitdem ignoriert er mich soweit er kann.“
 

„Meinst du nicht, dass du dir das bloß einbildest?“, fragte Armin behutsam nach. Er hatte gemerkt, dass Eren gereizt war.
 

„Nein. Nach dem Schwimmen hat er mich nicht einmal angeguckt und seitdem ist er einfach reservierter; interagiert nur mit mir, wenn’s sein muss.“
 

„Vielleicht hatte er einen schlechten Tag. Außerdem ist er generell reserviert. Ich denke nicht, dass er sehr viel Wert auf Verbrüderung legt. Und man darf nicht vergessen, dass er Kriegsveteran ist, keiner kann erahnen, wie ihn der Krieg geprägt hat.“
 

Die Worte ergaben für Eren nur begrenzt Sinn. Er wollte einfach nicht einsehen, dass er nicht einen Draht zu Levi hatte. Er hatte nicht den Eindruck gehabt sich ihm aufzudrängen, im Gegenteil. Eigentlich verstanden sie sich. Irgendwie musste er Levi klar machen, wie viel ihm sein Einsatz für ihn bedeutete. Eren war nicht dumm genug, um zu übersehen, dass er es ohne Levis gewollte und ungewollte Lektionen nicht so weit gebracht hätte.
 

„Ich muss ihn beleidigt haben“, nuschelte Eren vor sich hin, was Armin fragend zu ihm blicken ließ, doch er winkte ab.
 

*~*
 

Als am Sonnabend Hannah Meyer vor seiner Appartementtür stand, hätte sich Levi eigentlich nur darüber wundern müssen, was sie von ihm wollte, nicht wie sie hinaufgekommen war.
 

Die junge Frau war zweifellos auf der Suche nach ihm an Hanji geraten, denn keiner sonst käme auf die Idee jemanden zu ihm zu schicken, anstatt ihn zu holen.
 

Hannah blickte Levi wie ein verschrecktes Reh an. Sie war nie sonderlich auffällig, eher die graue Maus mit dem technischen Verstand und der Ruhe eines Bombenentschärfers. Er hatte sie nicht ohne Grund ausgewählt und die Tatsache, dass sie ihn mit einer Art von Unsicherheit und Schreck anstarrte, die nicht allein seinem griesgrämigen Gesichtsausdruck zu verdanken war, verhieß nichts Gutes.
 

„Es tut mir leid, dass ich Sie störe...“, begann sie und bemühte sich sichtlich um eine selbstbewusste Stimme. Gewöhnliche Menschen hätte sie sicherlich getäuscht.
 

„Komm herein“, sagte Levi desinteressiert und ging in die Küche. Er hatte sich gerade Tee aufgesetzt: „Willst du auch eine Tasse Jasminblütentee?“
 

„Nein, danke. Ich möchte Sie nicht lange aufhalten.“
 

Er hörte das Klicken der Tür, als sie ins Schloss fiel und fand Hannah unschlüssig davor stehen.
 

„Setz' dich auf die Couch. Hier ist nichts, was dich auffressen will“, meinte Levi leicht genervt und und setzte sich kurz darauf mit einer Tasse Tee ihr gegenüber in den Sessel.
 

Sie starrte auf ihre Hände, mit denen sie an ihrer dunkelblauen Bluse herumspielte. Es machte Levi verrückt.

„Hast du deine Zunge verschluckt?“
 

Sie sah ruckartig auf, sichtlich betreten und klaubte ihre sieben Sinne zusammen.

„Entschuldigen Sie. Ich bin selbst etwas durcheinander“, begann Hannah und Levi begann zu erahnen, wohin das führte, „Ich war vorhin bei Generaloberstabsärtzin Hanji und sie hat meine Befürchtung bestätigt. Ich bin in der dritten Woche schwanger.“
 

Bingo. Richtig vermutet.
 

„Und was willst du jetzt tun?“, fragte Levi, als Hannah ihn bang ansah.
 

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht.“
 

Levi lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete die junge Frau, die eindeutig ungeplant schwanger geworden war. Wie man das heutzutage noch schaffte, war ihm ein Rätsel.

„Bei unserer Tätigkeit bist du ab der 14. Schwangerschaftswoche in Mutterschutz. Du kannst bis dahin als Teil der ESE arbeiten, allerdings würde ich dich nicht in den aktiven Dienst schicken, sondern hinter die Kulissen. Du könntest nach der Entbindung entweder drei Monate später wieder mit dieser Tätigkeit anfangen oder nach einem Jahr. Wenn du mehr als ein Jahr fernbleibst, müsstest du eine erneute Eignungsprüfung ablegen. Ich weiß allerdings nicht, wie die aussehen würde. Das steckt noch in den Kinderschuhen, aber es sollte sich an den sonstigen polizeilichen Eignungsprüfungen orientieren, nur anspruchsvoller.“
 

Hannah sah ihn mit kugelrunden Augen an.

„Sie schmeißen mich also nicht raus? Sie behalten mich? Ich komme zur ESE und obwohl ich schwanger bin?“
 

Levi wunderte sich über die Kindlichkeit dieser Generation. Aber vielleicht kam es ihm auch nur so vor, weil er ein völlig anderes Leben kannte und wenig „normale“ Menschen um sich gehabt hatte.

„Ja. Du brauchst dich nicht sofort zu entscheiden, aber ich sollte es bis Mitte nächster Woche wissen.“
 

„Danke“, brachte sie überwältigt heraus, „Ich will arbeiten. Ich weiß nur nicht...“
 

„Nimm dir Zeit“, sagte Levi zwischen zwei Schlücken des herrlich duftenden Tees, „Was sagt der Vater dazu?“
 

„Der weiß es noch nicht“, gab Hannah betreten zu, „Ich bin sofort zu Ihnen gegangen.“
 

„Das ist sehr pflichtbeflissen von dir, aber du solltest Franz Bescheid sagen.“
 

„Woher-?“
 

Sie wurde von Levis willst-du-mich-verarschen-Blick am weitersprechen gehindert.

„Ich werde morgen mit den Rekruten unter anderem über dieses Thema sprechen, wenn es in Ordnung für dich ist.“
 

„Klar, ich werde es Franz nachher gleich beichten und dann kann es von mir aus jeder wissen.“
 

„Gut. Sonst noch was?“
 

„Ist Franz auch bei der ESE?“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
 

Levi wollte sie zuerst auf Morgen vertrösten, doch in Anbetracht der Tatsache, dass er noch vorm Kindsvater von den Neuigkeiten erfahren hatte, plauderte er aus dem Nähkästchen.

„Ja, ist er. Aber behaltet es für euch.“
 

Zum ersten Mal strahlte sie vor Freude und die Art wie sie lächelte und ihre Augen glänzten, gab Levi ein Eindruck von der versteckten Attraktivität Hannahs.
 

„Viel Dank, Sir!“ Sie saß bereit zum Aufstehen, sodass Levi sich erhob und mit ihr zur Wohnungstür ging.
 

„Es ist zwar eine Unzeit, aber du solltest dich über das Kind freuen. Es hat es bestimmt gut bei euch“, meinte Levi ehrlich, als Hannah im Hausflur stand, die ihm einen verblüfften, aber warmen Blick schenkte. Sie dachte womöglich erst jetzt daran, was die Schwangerschaft noch alles bedeuten konnte als einen möglichen Karrierekiller.
 

„Ich danke Ihnen“, lächelte sie, „Gute Nacht!“
 

Levi nickte ihr zu und schloss die Tür.
 

***
 

„Wie zum Teufel kann Frau heutzutage aus Versehen schwanger werden?“
 

„Levi, findest du die Ausdrucksweise passend?“, schalt Hanji ihn am nächsten Morgen, als er sie in der Gemeinschaftsküche fand.
 

„Ich brauch keinen verdammten Moralapostel, Vierauge“, grummelte Levi und starrte sie abwartend an.
 

Hanji seufzte theatralisch.

„Indem man die Depotspritzen vergisst zum Beispiel.“
 

„Also aus purer Dummheit“, schloss Levi emotionslos.
 

Den Frauen wurden kleine runde, chipartige Plättchen unter die Haut - meistens im Oberarm - eingesetzt, die man alle drei bis zwölf Monate mit einer einfachen Spritze genau in eine vorgesehene Stelle des Chips auffrischen konnte. Diese Chips gaben gleichmäßig den Stoff ab, der eine Empfängnis verhinderte und machte die vor vielen Jahren marktführende Antibabypille obsolet.
 

„Während unseres Einsatzes in Asien war es für die Frauen so gut wie unmöglich regelmäßig zu spritzen und vom Krieg rede ich noch gar nicht. Was glaubst du, wie viele Kürettagen ich machen musste?“
 

„Du musstest Abtreibungen vornehmen? Das ist krank. Wie konntest du das tun?“
 

„Was hätte ich tun sollen?“, verteidigte sich Hanji mit in die Hüften gestemmte Hände, „Die Frauen mit dicken Bäuchen durch den Kugelhagel robben lassen? Ich hatte keine Wahl, sonst hätten sie anders versucht abzutreiben und vertrau mir Levi, ich habe schon gesehen, auf was für Ideen die verzweifelten Frauen da kommen und wie mies das ausgehen kann. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich weniger Schaden anrichte. Was natürlich nicht heißt, dass ich das wortlos tue.“
 

Zwar konnte Levi Hanjis Sichtweise nachvollziehen und sich gut vorstellen, wie sie den Frauen eine saftige Lektion verpasste, die sie ihren Lebtag nicht vergaßen. Trotzdem verzog er verächtlich den Mund und konnte ihr nicht in die Augen sehen.
 

Für ihn war eine Abtreibung genauso Mord wie der Schuss einer Waffe auf den Kopf seines Gegners. Im Gegensatz zu seinem Gegner war ungeborenes Leben und kleine Kinder wehrlos und unverdorben. Sie waren schützenswert und etwas Besonderes. Nur bei Vergewaltigungen konnte er eine Abtreibung akzeptieren oder wenn die Schwangerschaft das Leben der Mutter bedrohte.
 

Levi verabscheute sinnlose Tode.
 

„Hast du auch mal sowas gebraucht?“, fragte er leise und fixierte dabei einen Wassertropfen auf der Küchentheke. Er schimmerte wie ein Diamant im hereinscheinenden Morgenlicht der Sonne.
 

„Nein“, erwiderte Hanji leise, „Aber ich hatte in dem Sinne Glück wie ich nach dem Krieg festgestellt habe.“
 

Hanjis tiefer Ton ließ Levi verwundert aufsehen. In ihren haselnussbraunen Augen spiegelte sich erstickendes Bedauern.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ich je Kinder kriegen kann, liegt bei 5,32 %. Mein Körper stößt den Embryo ab.“
 

„Das ist mehr als genug“, erwiderte Levi wie aus der Pistole geschossen, bevor er kurz inne hielt und Hanji zurückhaltend betrachtete, „Ich habe nie darüber nachgedacht, dass du mal wirfst und Bälger an den Händen baumeln haben könntest. Du warst für mich immer nur die verrückte Wissenschaftlerin, die uns zusammenflicken konnte.“
 

Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln und sah ihn nachdenklich an.

„Man will immer das, was man nicht haben kann. Aber abgesehen davon fehlt mir dafür schon der passende Mann.“
 

„Die meisten Frauen kriegen zwischen 35 und 45 Kinder. Da hast du noch genügend Zeit zum Mann finden und üben.“
 

„Und? Lust ein wenig mit mir zu üben?“, zwinkerte ihm Hanji zu, wieder mit Leben in ihren Augen, auch wenn nicht so leuchtend.
 

Levi überraschten ihre Avancen nicht und er wollte eigentlich nicht darauf reagieren, als er plötzlich ein Bild vor seinem inneren Auge hatte und begann leise darüber zu lachen.
 

„Was zum...?“, Hanji starrte ihn mit großen Augen erstaunt an, „Ich mache mich hier eineinhalb Jahre zum Affen und was dich zum Lachen bringt ist meine Unfruchtbar- und Altjungfräulichkeit?“
 

Ein Blick in Hanjis Gesicht verriet ihm, dass er sie nicht gekränkt hatte.

Er schnaubte belustigt, ehe er sich erklärte.

„Ich musste mir gerade vorstellen, wie so ein armes Kind mit unseren Genen wäre“, schmunzelte Levi, „So ein kleines verrücktes Ding, das alle verprügelt und mit dicker Hornbrille in seiner Wildheit alles zerstört, was es anfasst.“
 

Der Funke schien auf Hanji überzuspringen, sie grinste breit.

„Heeey! Und wo bleiben dabei deine Gene? Da fehlt das Miesepetrige! Es wäre bestimmt ein hochintelligentes, schwarzhaariges Emo-Kind mit fetter Brille.“
 

Sie begann zu lachen und sie amüsierten sich gemeinsam über diese Vorstellung.
 

„Das könnten wir keinem Geschöpf antun“, meinte Levi, als sie wieder in Schweigen verfielen.
 

„Aber wir könnten verhüten, wenn dir 5,32 % zu unsicher sind“, grinste sie vielversprechend und in ihre Augen trat ein lüsterner Glanz, für den Levi sie innerlich beglückwünschte.
 

„Ich werde niemals mit dir schlafen und wenn du mir je etwas untermischt, um mich gefügig zu machen, zerr' ich dich wegen Vergewaltigung vors Gericht. Das verspreche ich dir“, erklärte Levi ihr mit strengem Blick und ebener Stimme.
 

Hanji brach in hysterisches Gelächter aus, hielt ihren Bauch und krümmte sich.

„Diese Vorstellung!“, japste sie nach Luft, „Du vorm Richter! ... Mich anklagend! Wegen Vergewaltigung! Ha!“
 

Ihre Stimme versagte und sie sank lachend auf die Knie, Tränen in den Augenwinkeln.
 

Levi starrte sie verständnislos an, völlig unbewegt.

„Du bist heillos verdreht, Vierauge. Und ich meine es ernst.“
 

Meinte er wirklich. Er traute ihr solch einen Unsinn durchaus zu und da er sie nur begrenzt verprügeln würde, müsste er eben vor Gericht ziehen. Er hatte davor weniger Scheu als Hanji körperliche Gewalt anzutun. Die war wie ein Quietscheball. Egal wie oft man drauf trat, er würde jedes Mal dieses markerschütternde Geräusch von sich geben. Sinnlos.
 

Als Mike mit verstörtem Gesichtsausdruck in die Küche trat, nutzte Levi die Gelegenheit zu gehen.
 

Diesmal war es ihm gelungen sie aufzuheitern.
 

***
 

Als die Rekruten Sonntag Mittag im Vortragsraum saßen und ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und unerfreulicher Vorahnung anblickten, seufzte er.

Die letzten drei Wochen war es ihm definitiv gelungen sich richtig unbeliebt zu machen. Selbst Eren sah ihn abwartend mit steinernem Gesichtsausdruck an...
 

„Ich möchte euch hiermit mitteilen, dass ihr alle bestanden habt und nun die erste Europäische Sondereinheit zur Terrorbekämpfung darstellt. Glückwunsch.“ Er sagte es in einem dermaßen gelangweilten Ton und so passiver Mimik, dass es einige Sekunden dauerte, ehe die Rekruten begriffen, dass er etwas positives gesagt hatte. Und nochmal ein paar Sekunden, bis die Information ins Gehirn sickerte und ihre Nervenbahnen zu einer Reaktion verlockten.
 

Sie brachen in ausgelassenen Jubel aus, plötzlich keine Scheu mehr vor seiner Präsenz habend. Sie umarmten sich, lachten, riefen und schrieen.
 

Er ließ sie sich ein paar Minuten freuen, ehe er sich räusperte und sie mit einem kühlen Blick bedachte, der sie gekonnt zur Ordnung rief.
 

„Nächste Woche wird die offizielle „Übergabe“ und Ernennung stattfinden, danach werdet ihr bis Ende des Jahres mit der SEK und GSG9 mitlaufen, um euch im Ernstfall einzuspielen, ehe ihr eigene Aufgaben wahrnehmt.“ Nun sahen ihn die Rekruten mit leuchtenden und vorfreudigen Augen an. Der reinste Kindergarten.
 

„Kommende Woche werden wir noch einmal alle technischen Hilfsmittel durchprobieren und das eine oder andere einüben, sofern Bedarf besteht.“
 

Und der bestand. Als Polizisten waren sie sehr gut ausgebildet worden, sodass sie fast alles konnten, außer mit den Seagull-Suits fliegen und tauchen. Das war rein militärische Ausrüstung, aber Levi wollte sie darin unterweisen. Es war anspruchsvoll und extrem praktisch.
 

Erwin hatte ihm zwar einen Vogel gezeigt - nun, auf seine Weise; er hatte ihn angesehen, als verlange er von ihm den Körper seiner toten Mutter herauszugeben - aber Levi war davon überzeugt, dass er die schweineteuren Dinger schon noch beschaffen würde.
 

„Und nun zu etwas ganz anderem, was sich in erster Linie an die Damen richtet“, sagte er nun und bedachte jede Einzelne mit einem Blick, dem nur Hannah mit einem Lächeln begegnete und Franz neben ihr kratzte sich verlegen am Nacken, „Wir leben im Jahr 2122, benutzt die verfickten Depotspritzen, wenn ihr keine Kinder kriegen wollt!“
 

Die Frauen sahen ihn überrascht oder verschämt an, während die Männer teils verständnislos, teils erstaunt drein guckten.
 

„Und falls hier jemand unbedingt jetzt eine Familie gründen möchte und dafür in Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub treten will, dann sagt bitte möglichst rechtzeitig Bescheid. Ihr seid die ersten ESE-Rekruten, ihr seid nicht viele und wir haben nur euch. Seid fair zu euren Vorgesetzten und warnt sie vor eurem Ausfall.“
 

Alle Augen lagen auf ihm. Dann schnippte Ymir mit den Fingern und wandte sich zu der hinter ihr sitzenden Hannah um, die ihr einen irritierten Blick zuwarf.

„Du bist schwanger“, schloss die trocken, woraufhin sich alle an Hannah wandten, die mit ihrem scheuen Blick nach unten für Unruhe sorgte.
 

„Ist das wahr?“, hakte Reiner mit großen Augen nach.
 

„Stimmt das?“, wollte auch Marco wissen.
 

„Nicht euer ernst?“ Connie starrte das Paar an, wie die Büchse von Pandora, völlig befremdet von dem Gedanken, dass die zwei ein Kind gemacht hatten.
 

„Das erklärt euer seltsames Verhalten gestern. Ich dachte schon, ihr fliegt“, seufzte Mina erleichtert.
 

„Wie wundervoll! Glückwunsch!“, fiepte Historia, die daraufhin von Ymir mit einem hingerissenen „Awww“ durchgeknuddelt wurde. Na, wenn die zwei nichts am Laufen hatten, schrieb sich Levi bei den Ordensschwestern als Novizin ein. Aber wenigstens konnten sie dann nicht so einfach schwanger werden.
 

Immer mehr Rekruten bohrten nach, bis Franz schließlich seinen Arm um Hannah legte und bestätigte. Dies wiederum löste eine Glückwunschwelle aus und Levi fragte sich ernsthaft, was er hier überhaupt noch machte.
 

Also ging er kurzentschlossen einfach. Es gab sowieso nichts mehr zu sagen.
 

„Sir?“
 

Die angenehme Tenorstimme ließ ihn im Flur innehalten als sei er zu einer Statue gefroren.

„Was ist, Jäger?“
 

Seine Ohren waren bis aufs äußerste gespitzt und mit jedem achtsamen Schritt, den Eren auf ihn zutrat, spannte sich Levis Körper ein bisschen mehr an.
 

„Ich weiß nicht, was genau es war, aber ich wollte Sie nicht beleidigen oder verärgern“, begann Eren im ruhigen Tonfall und blieb hinter ihm stehen.
 

Levi warf ihm einen irritierten Blick über die Schulter zu. Was zur Hölle?
 

„Damals beim Schwimmen, als es um Hurenhäuser ging“, klärte ihn Eren auf und lächelte leicht. Er konnte seine Unsicherheit nicht gänzlich verbergen und diese ganze Situation an sich, verwirrte Levi auf entnervende Weise.
 

„Du hast gerade die Ausbildung bestanden, was du so sehr wolltest und deine einzige Sorge sind meine Befindlichkeiten?“, fragte Levi ihn mit desinteressierter Stimme, nichtsdestotrotz klang selbst in seinen Ohren der ungläubige Unterton darin hervor.
 

Diesmal trat das Lächeln auch in seine seegrünen Augen, die ihn, expressiv wie das Balg nun einmal war, voller Zufriedenheit und Dankbarkeit anstrahlten.
 

Scheiß auf Erens vermeintlich katastrophale Wirkung, die er als Kind gehabt haben musste, der Kerl war ein erwachsenes, kräftiges Mannsbild und versetzte selbst Levi mit seinen verfickt grünen Augen und seinem scheiß charmanten Lächeln in ein Stadium der Hilflosigkeit. Das war viel heimtückischer und gefährlicher, denn bei einem Kind erwartete man im Zweifel, dass es einen um den Finger wickeln konnte, aber bei einem Mann?
 

Levi starrte Eren über seine Schulter hinweg an und verfluchte sich für seine Tatenlosigkeit, als Eren ihn mit seiner Art einnahm.
 

„Jetzt wo ich das eine geschafft habe, bleibt nur noch das offen“, antwortete Eren und sein Lächeln wurde etwas verlegen, „Ich will nur, dass Sie wissen, dass ich Sie nicht für Ihre Worte verurteile oder sie irgendwie negativ aufgefasst habe.“
 

Levi drehte sich nun zu Eren um, um ihn innerlich bestürzt ansehen zu können. Das verdammte Balg hatte ihn gelesen wie ein verficktes Buch!
 

Die volle Aufmerksamkeit Levis ließ Eren zwar erröten, doch er hielt den Blickkontakt aufrecht. Pure Ehrlichkeit triefte aus den schönen Augen, als Eren ruhig weitersprach.
 

„Es ist nur so, dass ich mir jedesmal, wenn Sie etwas von sich erzählen, so fest auf die Zunge beißen muss, um nicht nachzubohren, dass keine vernünftigen Worte mehr aus meinem Mund herauskommen“, gab Eren zu und errötete noch mehr, es machte Levi sprachlos, „Ich bin sehr neugierig und finde Sie sehr interessant. Ich würde zu gern wissen, wie Sie aufgewachsen sind und was Sie alles erlebt haben...“
 

Nach diesem Geständnis stand Eren da, als erwarte er im nächsten Augenblick für seine Unprofessionalität gescholten zu werden, dabei war die einzige Emotion, zu der Levi fähig war, Erstaunen in seiner reinsten Form.
 

Obwohl es das nicht sollte. Er wusste, dass Eren ihn zum Vorbild auserkoren hatte und natürlich wollte er mehr über ihn erfahren - das war nur menschlich und kein Stück überraschend. Und es war ganz und gar nicht verwunderlich, dass Eren bemerkt hatte, dass er systematisch ignoriert wurde. Levi war diesbezüglich nicht sonderlich subtil und der Mann zu sensibel, um es nicht mitzukriegen.
 

Also was war es? Warum stand Levi vor ihm und starrte ihn erstaunt an, als hätte man ihm eben die letzten Geheimnisse der Welt offenbart?
 

Ich hoffe, du stößt ihn nicht von dir.
 

Es wäre schade, wenn du das kaputt machen würdest...
 

Er wäre ein guter Freund.
 

Hanjis Worte hallten in seinem Kopf wider und ließen ihn den trockenen Kloß in seinem Hals herunterschlucken, der sich bleiern in seinem Magen festsetzte und ihn innerlich schaudern ließ als wirbelten tausende Federn in ihm herum.
 

„Vielleicht“, begann Levi mit tonloser Stimme, „fragst du das nächste Mal einfach.“
 

Levi machte kehrt, bevor Erens erleichtertes Lächeln und seine gottserbärmlich glücklich glänzenden Augen ihn noch mehr verwirrten.
 

Wie sollte er in der Lage sein so einen Menschen überhaupt von sich fern zu halten?
 

*~*
 

Woanders machten sich Männer an einem lebendigen Ort bereit.
 

+++

Krähenlied

„Okay, Mäuschen“, sagte der bullige Polizist zu ihnen, als er ihnen ihre Wohnungen in einem der Häuser des Blocks, in dem alle Polizisten der GSG9 lebten, zuwies, „Es gibt im dritten und vierten Stockwerk vier Wohnungen à zwei Personen, eine Gemeinschaftsküche im Zweiten und ein Vorgesetzten-Appartement im Ersten.“
 

Sie nickten bloß und verbissen sich sämtliche Kommentare darüber, dass sie wie Abschaum behandelt wurden. Sie waren die Neuen. Mäuse, Rotärsche, Muschis. Und noch dazu von einem neuen Ausbildungszweig, der sie zum Bindeglied zwischen Polizei und Militär werden ließ. Besser als SEK und GSG9. Man konnte sie nur verabscheuen.
 

„Heute Abend werft ihr euch in Schale und kommt zum Empfangsessen in das Gebäude, in dem ich euch abgeholt habe“, erklärte er weiter mit arroganter Stimme und ausladender Geste.
 

Sie nickten und wurden mit den Worten „Nistet euch ein Mäuschen“ stehen gelassen.
 

„Na, dann teilen wir uns mal auf. Ich will mit Marco in den dritten Stock“, verlautbarte Jean und zog seinen Freund die Treppe hoch.
 

Das war das Stichwort und sie rannten alle wie auf ein stilles Kommando hin los, um sich ihr Wunschzimmer zu sichern. Bei solchen Dingen wurde man einfach nicht erwachsen.
 

Jean und Marco teilten sich mit Mylius, Thomas, Ymir, Historia, Franz und Hannah das dritte Stockwerk, während Eren und Armin mit Reiner, Berthold, Mina, Annie, Connie und Sasha ins vierte Stockwerk mussten, wobei das Geschrei von Sasha und Connie groß war, wollten sie schließlich ursprünglich kein Zimmer miteinander teilen.
 

„Wenigstens sind die Appartements schön“, seufzte Eren, als er seine Hygieneartikel ins Gemeinschaftsbad brachte.
 

„Ja“, rief Armin aus seinem Schlafzimmer, „Klein, aber fein, nur putzen müssen wir nochmal alles. Es ist extrem staubig.“
 

Eren fuhr mit dem Finger über die Ablage vorm Spülbecken und verzog bei der grauen Schicht, die er dabei abkratze, den Mund.

„Ja, leider. Aber wir haben schon schlimmere Unterkünfte gehabt. Auf der Polizeischule hatten wir Wanzen in den Matratzen.“
 

„Abwarten. Wer weiß, was sich hier versteckt“, grinste Armin, als er mit seinem Hygienebeutel ins Bad trat.
 

Eren grunzte zustimmend und ging in sein Schlafzimmer zurück.
 

Das Appartement hatte zwei 14 qm große Schlafzimmer, ein 10 qm Bad und eine 16 qm große Küche mit Esstisch. Es war größer als in München.
 

„Was meinst du, wen wir als Vorgesetzten kriegen?“, rief Armin durch die Wohnung.
 

„Ich hoffe Levi. Obwohl es komisch ist, dass sie uns noch nichts gesagt haben. Das hätten sie spätestens bei der Abschlusszeremonie machen können“, rief Eren zurück und schnaubte unzufrieden, „Es ist immerhin wichtig, mit wem wir in die Einsätze gehen müssen.“
 

„Vielleicht will Rivaille nicht mit uns arbeiten oder es musste noch Papierkram erledigt werden“, schlug Armin vor.
 

Die Aussicht, dass sie Levi so schnell nicht mehr sehen würden, gefiel Eren kein Stück. Er glaubte nicht, dass er unter jemand anderem so gut arbeiten konnte und abgesehen davon wollte er mehr von Levi lernen. Eren war davon überzeugt, dass er sie gut führen würde. Das waren sie alle.
 

Auf persönlicher Ebene war Eren wütend darüber, dass Levi ihm keine Gelegenheit zum Abschied gegeben hatte oder dies selbst nicht für nötig befunden hatte. Nach ihrem Gespräch eine Woche vor Ausbildungsschluss hatten sie das Missverständnis nach Erens Begriff aus der Welt geschafft und Levi hatte ihn zwar nicht mehr auf diese kühle Art ignoriert, aber auch keine Chance zu irgendwelchen Gesprächen gegeben. Nach der Abschlusszeremonie war er einfach verschwunden und ward seitdem nicht mehr gesehen.
 

Eren war enttäuscht.
 

„Wenn alle solche Arschlöcher sind wie der Kerl vorhin, werden wir hier eine fantastische Zeit verbringen“, moserte Eren durch das Appartement und hörte Armin zustimmend summen.
 

„Aber wir sind in Paris!“, rief Armin begeistert und lächelte Eren strahlend und voller Enthusiasmus an, als er in sein Zimmer trat, um eins von Erens „verlorenen“ Shirts auf sein Bett zu werfen.
 

Eren rollte mit den Augen.
 

Seit Armin erfahren hatte, dass sie bis Jahresende und eventuell darüber hinaus ihren Hauptstandort in Paris haben würden, konnte ihm so gut wie nichts mehr die Laune verderben. Die Stadt war wie ein wahr gewordener Traum. Armin liebte alles, was mit Kultur und Wissenschaft zu tun hatte, sodass die historische Stadt mit ihrer wundervollen Architektur und den vielen Museen ein Paradies für ihn war. Eren sah sich in seiner Freizeit schon im Louvre versauern. Nicht, dass er sich nicht für diese Dinge interessierte, aber wenn man mit Armin in ein Museum ging, kam man nicht eher raus als bis man sie rauswarf.
 

„Ach, komm schon! Schau nicht so grimmig! Wir haben schon andere Leute ertragen und hier in Paris wird es bestimmt besser!“ Armin rempelte ihn freundschaftlich an, als er mit Eren ins Bad ging.
 

„Du hättest Bibliothekar oder so werden sollen“, grummelte Eren, während er Armin einen amüsierten Blick zuwarf.
 

***
 

Es gab nur einen Mann, der sie nicht wie den letzten Dreck behandelte. Keith Shadis, Kommandeur der GSG9, verdammt angsteinflößend, aber anständig. Er war ein großer, schlanker und kräftiger Mann mutmaßlich in den 50ern, mit dunkler Hautfarbe, vielen Falten und Augenringen, die seine scharfen, sandfarbenen Augen nur noch mehr hervorhoben. Wären sie nicht Levis Blicke gewohnt, hätten sie sich vermutlich in die Hosen gemacht.
 

Er wies ihnen einen eigenen Tisch in der riesigen Kantine zu, als sie an ihrem ersten Abend mit leeren Mägen in das Nebengebäude stolperten und dabei von missgünstigen Blicken erdolcht wurden.
 

Keiner von ihnen fühlte sich sonderlich wohl. Verständlicherweise. Sie saßen führerlos in einem Raum mit mindestens 200 SEK'lern und GSG9'lern, die sie nicht akzeptierten.
 

Allein die Geräusche von Besteck auf Tellern und geflüsterten Gesprächen hallten in der Kantine wider und verdarb anscheinend nicht nur Eren den Appetit, wie er am lustlosen Gesichtsausdruck seiner Kameraden bemerkte.
 

Das plötzliche Aufschlagen der massiven Flügeltür der Kantine ließ daher sämtliche Köpfe zum Eingang schnellen, in dem ein kleiner Mann in dunkelgrauer Uniform, dunkelgrünem Umhang und bordeauxrotem Barett aufgetaucht war.
 

Eren klappte das Kiefer herunter und nicht nur er stand automatisch auf.
 

Das Geräusch der sich zurückschiebenden Stühle in dem mucksmäuschenstillen Saal zog die sofortige Aufmerksamkeit des Mannes auf sie und Eren starrte direkt in sturmgraue Augen, die aus der Entfernung im fahlen Licht der alten Kronleuchter silbrig wirkten.
 

Bevor noch einer von ihnen einen Ton herausbrachte, donnerte Keith Shadis' laute Stimme durch die Kantine und er schritt mit selbstbewusster Ausstrahlung und einem überaus erfreuten Ausdruck in den sonst berechnenden Augen auf den Neuankömmling zu.
 

„General-Leutnant Levi Rivaille! Was für eine Ehre Sie bei uns begrüßen zu dürfen.“ Shadis reichte Levi schon von der Ferne seine Hand und da Eren und seine Kameraden rechts von Levi am ersten Tisch beim Eingang saßen, hatten sie den besten Blick auf das Geschehen.
 

Etwas zögerlich ergriff Levi die dargebotene Hand, Mimik ausdruckslos wie immer, doch seine Augen sahen aufmerksam und kalkulierend zu Shadis auf.

„General Keith Shadis, die Ehre ist ganz meinerseits.“
 

General?
 

Shadis lachte laut auf, als er Levis Hand wieder losließ.

„Hier bezeichnet man mich nur noch als Kommandeur.“
 

„Erwin erwähnte, dass Sie den Laden unter ihre Fittiche genommen haben“, sagte Levi mit einer Höflichkeit in der Stimme, die sie sprachlos machte. Sie konnten die Ereignisse an einer Hand abzählen, in denen Levi mit diesem Respekt gesprochen hatte und es war immer vor ihnen an Erwin gerichtet gewesen.
 

„Irgendjemand muss sich ja ums Nest kümmern“, lachte Shadis und sprach mit wohlwollendem Unterton weiter, „Glücklicherweise habe ich durch Erwin etwas Unterstützung bekommen und nun sind selbst Sie hier!“
 

Shadis lachte erneut und wandte sich an seine Untergebenen, die allesamt von ihren Tischen mit neugierigen Augen hochsahen.
 

„Ich möchte euch General-Leutnant Levi Rivaille vorstellen“, donnerte er mit noch lauterer Stimme und legte bei der Vorstellung eine Hand in Levis Rücken, eine kameradschaftliche Geste.
 

Levi schien nicht sonderlich erfreut von der Situation, aber es war schwer zu sagen, was er dachte.
 

„Diesem Mann“, fuhr Shadis fort und blickte Levi dabei fest in die Augen, „haben wir das Ende des 4. Weltkrieges zu verdanken.“
 

Das war neu.
 

Der Geräuschpegel in der gesamten Kantine schwoll kurzzeitig an und auch sie tauschten überraschte, irritierte Blicke aus. Was meinte Shadis damit?
 

„Sie übertreiben“, meinte Levi und zog verärgert die Augenbrauen zusammen.
 

„Keineswegs“, widersprach Shadis resolut und verkündete weiterhin: „Dieser Mann führte mit seiner Entscheidung die Jägertruppen in Beijing zu unterstützen die entscheidende Wende im Krieg herbei und hat durch die gezielte Tötung des Militärkommandeurs des chinesischen Heeres, Long Wang, den Untergang der chinesischen Schreckensherrschaft besiegelt. Ihr habt hier lebendige Geschichte vor euch stehen!“

Man konnte den Stolz und die Hochachtung gegenüber Levi geradezu aus jeder Faser Shadis' überquellen sehen.
 

Sie waren alle sprachlos.
 

Erens Gedanken rasten. Levi war ein Kriegsheld. Er war der Kriegsheld.
 

„Ich habe nicht mehr geleistet als jeder andere tapfere Soldat im Feld auch“, erklärte Levi kühl und fing sich wieder Shadis' geierhaften Blick ein, der eine ganz andere Sprache sprach.
 

Er unterhielt sich nun mit normaler Lautstärke mit Levi, sodass sie geradeso alles verstehen konnten, während Shadis' Schäfchen angestrengt zu lauschen versuchten.
 

„Das ist eine eklatante Untertreibung. Sie sind der geborene Soldat, ich habe nie einen fähigeren Mann erlebt und ich muss beschämt gestehen, dass Erwin von Anfang an mit Ihnen recht hatte. Ich war damals zu blind, um Ihr Potenzial zu erkennen.“
 

„Im Vergleich zu Erwin sind wir alle blind“, schnaubte Levi humorlos, während Shadis' lachte.
 

„Dieser Teufelskerl wusste schon als grüner Hosenscheißer, wie man die Leute manipulieren muss“, grinste Shadis wissend, „Ich hielt ihn für wahnsinnig, als er damals in Bangkok mit Ihnen im Schlepptau ankam und wollte, dass ich Sie aufnehme. Ich sah nur Unheil und Ärger auf mich zukommen und die ersten ein, zwei Jahre waren der reinste Horror. Ich bin in den Beschwerden über Sie versandet und hätte Sie beinahe wieder zum Teufel gejagt. Gott segne' Erwin, diesen elendigen Hund, der mich bekniet hat es nicht zu tun. Kurz darauf haben Sie eine beispiellose Karriere hingelegt und unzählige Leben gerettet.“
 

Levis Augen verdunkelten sich immer mehr, wurden kälter und kälter.

„Sie hätten mich besser rausgeschmissen“, sagte Levi mit eisiger Stimme und zog den waldgrünen, taillenlangen Umhang fester um seine Schultern.
 

Shadis' Enthusiasmus fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen und er wurde ernst, seine Stimme tiefer und für sie kaum noch zu verstehen, geschweige denn für die anderen Polizisten.
 

„Ich habe von der Gerichtsverhandlung gehört. Ich habe gehört, dass Sie sich selbst angezeigt haben, alles versucht haben, um sich selbst zu diskreditieren. Und als das Gericht nichts fand, um Sie für schuldig zu befinden, haben Sie versucht den Dienst zu quittieren. Glücklicherweise hat Erwin kommunizieren können, dass Sie nur freigestellt werden. Sie hätten wie Erwin zum General befördert werden können. Sagen Sie, Levi, glauben Sie wirklich, dass all' Ihre Bemühungen Ihr eigenes Leben zu ruinieren notwendig waren? Auch aus der heutigen Sicht?“
 

Levi starrte ihn ausdruckslos an. Kein einziger Muskel zuckte, einer Statue gleich.
 

Keith Shadis betrachtete ihn mit grimmigem Bedauern und seufzte.

„Nichtsdestotrotz ist es ein Segen für die Menschen Europas, dass Sie sich nun dieser Aufgabe zugewandt haben. Ich bin davon überzeugt, dass Sie und Ihre Leute Großes leisten werden.“
 

„Wie auch immer“, meinte Levi nach einer Weile des gegenseitigen Anstarrens und wandte sich von Shadis ab, „Ich hoffe, Sie haben Ihre Leute im Griff.“
 

Eren hatte das Gespräch mit ungläubigen Augen mitgehört, aber diese Respektlosigkeit zum Schluss hatte nicht nur seinen Kiefer zum Runterklappen gebracht.
 

Shadis blinzelte tatsächlich ein paar Mal irritiert, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach und sich wieder zu seinem Tisch zurück gesellte, die seltsamen Blicke seiner Leute ignorierend.
 

„Was steht ihr hier rum wie bestellt und nicht abgeholt?“, fragte sie Levi kühl, als er sich zu ihnen stellte als sei es das selbstverständlichste von der Welt.
 

„S-Sir“, stammelte Marco erstaunt.
 

Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
 

„Sie sind da!“
 

„Also führen Sie uns doch an?“
 

„Ich hab's doch gewusst!“
 

„Warum haben Sie uns nichts gesagt?“
 

„Gott sei Dank!“
 

„Wir hatten schon befürchtet, dass wir irgendeine Arschgeige vorgesetzt bekommen.“
 

„Sie können sich nicht vorstellen, wie froh wir sind, dass Sie da sind!“
 

„Was ist das für ein Barettabzeichen?“
 

Eren beobachtete wie seine Kameraden auf Levi einredeten, der das nicht erwartet zu haben schien. Mit irritiert blitzenden Augen nahm er das aufgeregte Geschnatter seiner Rekruten einen Moment lang sprachlos zur Kenntnis.
 

Eren spürte, wie sich bei diesem Anblick seine Mundwinkel auseinander zogen bis seine Wangen schmerzten.
 

„Was zur Hölle? Stopp!“ Abwehrend hielt Levi seine Hände hoch und versuchte die Fragerei mit einem gekonnt genervt-mahnenden Blick im Keim zu ersticken.
 

Der Tisch verstummte.
 

Levi atmete erleichtert aus und strich sich mit der rechten Hand ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. Eine überraschend nervöse Geste.

„Gut. Ich dachte schon dieser orale Durchfall hört gar nicht mehr auf.“
 

Schnaubend trat Levi zu einem leeren Stuhl und setzte sich mit einer schwungvollen Bewegung zu ihnen an den Tisch. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, während sie es ihm gleichtaten.
 

Als selbst sein finsterster Blick die lächelnden und grinsenden Gesichter nicht von ihm abbrachte, entschloss sich Levi sie einfach zu ignorieren und löste seinen Umhang, um ihn an die Stuhllehne zu hängen. Zum Vorschein kam eine dunkelgraue Dienstuniform mit Epauletten, karmesinroten Kragenspiegel und einem goldenen Abzeichen über der rechten Brusttasche.
 

Man konnte sagen, was man wollte. Levi war gemacht für diese Uniform. Oder Militärbekleidung generell, wenn Eren sich an Levis militärische Winterbekleidung zurückerinnerte. Er verkörperte von Natur aus diese gefährliche Eleganz eines Raubtieres und ummantelt mit diesen militärischen Attributen wirkte er auf fatale Weise hinreißend und noch Ehrfurcht gebietender.
 

Er zog sich mürrisch das Barett vom Kopf und legte es ordentlich vor sich auf den Tisch. Das goldene Barettabzeichen befand sich an der linken Schläfe des Baretts und zeigte einen von Eichenlaub umrandeten stürzenden Adler und am unteren Rand ein kleines Plättchen die europäische Flagge.
 

„Sie waren bei den Fallschirmjägern, oder?“, wagte Connie ihr Schweigen zu brechen und zeigte mit leuchtenden Augen auf das Barettabzeichen und das Abzeichen an seiner Brust, „Und das ist das höchste Fallschirmspringerabzeichen, nicht?“
 

Levi sah auf sein Barett.

„Ja.“
 

„Wie viele Sprünge haben Sie gemacht?“, bohrte Connie weiter nach. Seine unverfälschte Faszination schien Levi davon abzuhalten ihm harsch übers Maul zu fahren.
 

„Ich habe nicht mitgezählt. Nach lächerlichen 50 Sprüngen schmeißen sie einem dann sowas hinterher“, er tippte mit seinem Zeigefinger lustlos auf das Springerabzeichen an seiner Brust, „Die alten Kacker sehen es gar nicht gern, wenn man sich nicht mit dem Zeug behängt, dass sie einem aufdrängen, als wär' man ein Weihnachtsbaum.“
 

Connies Gesichtszüge entglitten, während Marco darauf einging.
 

„Wir sind Werkzeuge des Staates, irgendwie müssen wir unsere Zugehörigkeit ausdrücken und die Leute wollen in der Lage sein auch die Ränge und Zugehörigkeit einfach feststellen zu können. Daran ist doch nichts falsch?“
 

Levi sah Marco mit erhobener Augenbraue direkt ins Gesicht.

„In der Theorie ist das ganz nett, aber im Militär wird es oft übertrieben. Nur noch die Abzeichen und Ehrenmedaillen zählen und je bunter du bist, desto besser. Ich brauche das nicht, um meinen Job zu machen und will nur tragen, was wirklich notwendig ist. Aber erklär' das den verknöcherten Wichsern, die selbst nie im Krieg waren und mit ihren fetten, platten Ärschen auf ihren Sesseln durchs Büro rollen.“
 

Das entlockte fast allen ein Kichern.
 

„Wollen Sie denn nichts essen?“, fragte ihn Hannah mit sanfter Stimme. Sie schien einen Narren an ihm gefressen zu haben, was Franz bisher nur kopfschüttelnd mit einem „Sie findet ihn halt nett“ erklären konnte.
 

„Ich habe am Flughafen gegessen.“
 

„Also sind Sie unser Vorgesetzter“, platzte Reiner heraus, „Warum haben Sie nichts gesagt?“
 

Levis Augenbrauen zogen sich genervt zusammen, es galt jedoch nicht Reiner.

„Ich wurde Ende März von Erwin dazu überredet die erste Einheit zu übernehmen, aber das Verteidigungsministerium hat mit dem neuerlichen Personalwechsel im Mai angefangen zu zicken und wollte, dass ich mich nach Abschluss meiner Einheit noch einem Eignungsverfahren unterziehe.“
 

„So ein Schwachsinn“, schnaubte Reiner, „Als wenn sowas nötig wäre.“
 

„Wie ist Ihr Status denn jetzt eigentlich?“, mischte sich Jean stirnrunzelnd ein, „Sie sind General-Leutnant und trotzdem Kommandeur einer polizeilichen Anti-Terroreinheit?“
 

„Wenn du mich nach der verfickten Rechtsgrundlage fragst, muss ich passen. Ich bin allerdings nach wie vor Offizier des europäischen Heeres, nicht mehr freigestellt und müsste bei entsprechendem Befehl in Auslandseinsätze. Dieses ESE-Projekt ist Erwins Kind, das er mit dem Verteidigungsminister aufgezogen hat. Da Inlandseinsätze dem Militär verboten sind und die Polizei mit ihrem ganzen Verwaltungsapparat zu schwerfällig geworden ist, haben Erwin und Minister Zackly einen Weg gesucht eine militärähnliche Einheit fürs Inland zu gründen, die durch kurze Befehlsketten schnell und effektiv reagieren kann.“
 

„Sie umgehen also das Gesetz, indem sie eine quasi militärische Einheit gründen und sie bloß anders nennen, um im Inland operieren zu können“, schloss Jean zweifelnd.
 

„Es ist eine Lücke“, Levi zuckte mit den Schultern, „Was habt ihr denn geglaubt, was ihr für einen Sinn habt?“
 

„Nein, klar. Es ist nur der Gesamtkontext. Durch uns wird versucht ein Inlandsheer zu etablieren und das ist einfach - wow.“ Jean sah unglücklich auf seine Finger, die unruhig auf der Tischplatte lagen.
 

„Nein, kein Inlandsheer. Nur eine verbesserte GSG9 mit mehr Kompetenzen und weniger Regeln.“
 

„Genau dafür bin ich hergekommen“, grinste Ymir, „Ich will ein paar Arschlöchern auf kurzem Dienstweg in den Arsch treten.“
 

Das brachte die meisten von ihnen zum Lachen.
 

„Das werden wir, nachdem wir bis zum Jahresende mit Shadis' Leuten mitgelaufen sind. Wir brauchen Routine.“
 

„Die hier können uns nicht ab“, meinte Mylius mit gesenkter Stimme, „Sie behandeln uns wie Dreck.“
 

Levi faltete desinteressiert die Hände auf seinem Barett.

„Wen interessiert's. Wir werden denen schon noch die Mäuler stopfen.“
 

„Yeah!“, rief Connie und der ganze Tisch lachte und grinste unheilversprechend.
 

Sie wollten alle zeigen, was sie konnten.
 

„Morgen bekommt ihr eure Berufskleidung und ansonsten haben wir frei“, erklärte Levi monoton, „Aber ich würde vorschlagen, dass wir in die Stadt gehen und uns etwas umsehen.“
 

„Ja!“, quietschte Armin aufgeregt, was sie wieder zum Lachen brachte und Armin zum Erröten.
 

Levi warf Armin einen Blick zu, wobei er auch Erens streifte. Es war erst das zweite Mal an diesem Abend.
 

Es war nur ein kurzer Moment, ein Aufflackern, ehe Levi sich wieder an die anderen richtete.
 

„Irgendwelche Einwände?“
 

„Soll das ein Scherz sein? Scheiße, nein!“, rief Reiner und röhrte vor Lachen.
 

„Kennen Sie Paris, Sir?“, fragte Marco ruhig nach.
 

„Nein.“
 

„Aber Sie sind doch Franzose!“, schoss es aus Connies vorlautem Mund, was ihm von Levi einen kühlen Blick einbrachte.
 

„Ich habe bis fast 30 keinen Fuß aus Asien gesetzt. Ich war noch nie in Paris.“
 

„Mhm.“ Mehr schien sich Connie nicht zu sagen zu trauen.
 

„Genug der Fragestunde, Kinder. Wer morgen mit in die Stadt will, steht um 9:00 Uhr im Foyer unseres Wohnhauses.“ Mit diesen Worten nahm Levi sein Barett in die Hand und legte sich beim Aufstehen den Umhang über den Arm, „Gute Nacht.“
 

„Gute Nacht, Sir!“, kam es wie aus einem Munde.
 

Jetzt hatten sie ihr Selbstvertrauen zurück.
 

*~*
 

Sie hatten ihn nicht nach seiner Vergangenheit gefragt.
 

Obwohl sie durch Keiths loses Mundwerk so viel erfahren hatten, es aufsaugten wie Schwämme...

Sie haben nichts gesagt.
 

Sie wollten nur über seine Zugehörigkeit Bescheid wissen und ob er bei ihnen bleiben würde. Sie hatten sich ehrlich über seine Anwesenheit gefreut, ihn angestrahlt wie geisteskranke Idioten.
 

Es war ein ungewohntes Gefühl.
 

Es gab so wenig Menschen, die sich je auf diese Weise über seine Anwesenheit gefreut hatten. Davon lebten noch Erwin und Hanji.
 

Und dann kamen diese Bälger daher und schauten ihn so an! Obwohl sie ihn nicht kannten, er sie so hart trainiert hatte und alles andere als eine zugängliche Person war.
 

Erneut seufzte Levi auf und wischte sich müde mit dem Arm über die Stirn. Ein Blick auf die Uhr bestätigte seine Vorahnung. 01:30 Uhr. Er hatte vier Stunden mit Putzen verbracht.
 

Diese scheiß Dreckshölle, die sich GSG9-HQ bezeichnete, war ein armseliges Loch mit einer architektonisch wunderschönen Fassade.
 

Sein Appartement war relativ geräumig; ein helles Bad mit Badewanne und Dusche, eine gut ausgestattete Küche mit anschließendem gemütlichen Wohnzimmer und ein Schlafzimmer mit einem angenehm großen Bett. Das war ja alles ganz nett soweit. Wären da nicht diese meterdicke Staubschicht, die ganzen Kellerasseln und Spinnweben in jeder verfluchten Ecke. Es war geradezu widerlich.
 

Levi grauste sich irgendetwas anzufassen, bevor nicht alles makellos war.
 

Vier Stunden später konnte er zumindest schlafen gehen, ohne dass sich seine Haut vor Ekel abschälte und davon kroch.
 

Erschöpft räumte er seine Putzutensilien auf und zog sich aus. Seine Joggingklamotten waren völlig verstaubt und verschwitzt, sodass er sie einfach in die Waschmaschine steckte, bevor er in die Dusche stieg.
 

Das heiße Wasser lief seinen Körper hinab, umspielte seine angespannten Muskeln und beruhigte allmählich seine Nerven.
 

Es war lächerlich, wie verloren er sich fühlte.
 

Unglaublich, wie sehr er sich die letzten 1 1/2 Jahre an die Anwesenheit von Hanji, Erwin und Mike gewöhnt hatte. Ob er wollte oder nicht, sie waren immer da gewesen. Man hatte sie gehört oder beschäftigt über das Gelände gehen sehen.
 

Er war alleine.
 

Die Einsamkeit fraß sich durch seinen Bauch, höher, höher, immer höher, verstopfte seine Brust, blieb in seiner Kehle stecken wie ein dumpfer Stein. Erstickte ihn.
 

Er schnappte nach Luft. Das Geräusch laut und jämmerlich in seinen Ohren.

Er schaltete die Dusche aus.
 

„Ich bin davon überzeugt, dass es dir in Paris gut gehen wird!“, hallten Hanjis Abschiedsworte in seinem Kopf wider. Sie hatte kein großes Trara gemacht wie sonst. Sie hatte ihn an den Schultern gefasst, angelächelt und diese Worte mit nachdrücklicher, aber sanfter Stimme gesagt.
 

„Sie können sich nicht vorstellen, wie froh wir sind, dass Sie da sind!“
 

Die Worte der Bälger wiederholten sich in seinem Kopf, auch als er bereits im Bett lag und in der Dunkelheit an die graue Decke starrte.
 

Die frohen Gesichter, lächelnden Lippen, zaghaften oder überschwänglichen Gesten und Worte spielten sich vor seinem inneren Auge ab, bis er zu müde wurde den gedanklichen Konversationen zu lauschen. Und irgendwann sah er nur noch seegrün.
 

***
 

Sie landeten schneller im Louvre als er gucken konnte.
 

Keiner der Rekruten - oder sollte er sie nun Kameraden nennen? - hatte einen Einwand, als Armin mit seinem Wunsch herausplatzte den Louvre zu besuchen.
 

Levi machte es nichts aus. Er hatte in seinem Leben nicht viel Kultur genossen. Dazu gab es nie Gelegenheit und auch während seiner fast vierjährigen Weltreise hatte es ihn weniger zu den menschenüberfluteten, kulturellen Stätten gezogen. Ihm fehlte die Geduld, obendrein der Tatsache, dass er keine Menschenmengen mochte.
 

Den Louvre musste man wohl irgendwann mal besucht haben und es machte ihm nichts aus die Werke talentierter Menschen anzusehen und hier und da über ihre mutmaßlichen Gedanken zu rätseln.
 

Er schlenderte sicherlich seit drei Stunden durch die Ausstellungsräume, hatte die Werke aus den verschiedenen Kunstepochen betrachtet und ein paar seiner Kameraden herumsausen sehen beziehungsweise meistens lief ein besonders begeistertes Exemplar vor den anderen her und redete dabei wie ein Wasserfall.
 

Die Konstellation der Gruppen überraschte Levi im Grunde nicht, doch als er Armin und Eren nicht bei ihren gewöhnlichen Freunden fand, runzelte er leicht die Stirn. Er beschäftigte sich jedoch nicht weiter damit und erklärte ihre Abwesenheit mit einem Klogang.
 

Gemächlich trat Levi nun in die griechisch-römische Abteilung mit den imposanten Marmorstatuen und -skulpturen und blieb prompt vor der Venus von Milo stehen. Es war eine schöne Skulptur, aber Levi verstand nicht, was so besonders an ihr sein sollte. Sie hatte keine Arme und auf dem Schild stand bloß, dass man ihren Ursprung nicht zweifelsfrei feststellen konnte.
 

„Sie ist wie die Mona Lisa, nicht?“, ertönte plötzlich eine angenehme Stimme hinter ihm und ließ ihn sich ruckartig umblicken. Eren stand schräg links hinter ihm. Der Bastard hatte sich verdammt erfolgreich angeschlichen, Levi musste besser aufpassen. Er hatte sich zu sehr in der Menschenmasse treiben lassen.
 

„Die Mona Lisa ist nichts besonderes“, redete Eren weiter ohne ihn anzusehen, „Aber irgendwer war so begeistert von ihr und nun scharren sich alle um sie, obwohl im Gang davor viel bewundernswertere Gemälde hängen.“
 

„Es gibt immer einen Alpha. Die Masse ist dumm und will geführt werden“, erwiderte Levi leidenschaftslos.
 

„Das sind Allgemeinplätze, Sir“, grinste Eren und warf ihm einen schelmischen Blick zu, den Levi normalerweise jedem anderen aus dem Gesicht wischen wollen würde.
 

Aber Eren hatte so etwas unschuldiges an sich. Er war entwaffnend und auf eine irritierende Weise charmant. Levi mochte solche Leute nicht. Er konnte ihnen einfach nichts entgegensetzen.
 

„Fuck off, Jäger“, sagte Levi mit tiefer, kalter Stimme, davon überzeugt, dass es Eren zumindest zurückschrecken ließ.
 

Doch nichts da.
 

Eren schien sich dazu entschieden zu haben in den Angriff überzugehen. Seine Lippen zogen sich zu einem noch strahlenderem Lächeln auseinander und seine seegrünen Augen funkelten ihn unverschämt herausfordernd an.
 

„Können Sie Französisch?“
 

Levis Augenbraue zuckte.

„Findest du es angemessen, deinen Vorgesetzten derartig private Fragen zu stellen?“

Das Spiel konnten Zwei spielen.
 

Erens Gesichtsausdruck war unbezahlbar. Er starrte ihn verständnislos an, öffnete den Mund ein paar Mal wie ein Karpfen auf dem Trockenen.
 

Levi schenkte ihm einen schrägen Blick und zog die Augenbrauen ungeduldig zusammen.
 

Dann lachte Eren. Laut. Herzlich. Ehrlich.
 

Es haute Levi regelrecht um.
 

„Die privaten Fragen sind doch die spannendsten“, grinste Eren, als er sich beruhigt hatte, „Aber es sollte gar keine so intime Frage sein - aber natürlich können Sie auch die beantworten - eher sprach ich von Französisch als etwas unverfänglichere Zungenakrobatik.“
 

„War das überhaupt ein Satz?“
 

Eren lehnte sich vor. Auf Augenhöhe mit ihm. Es war ein unerhört legeres Verhalten.

„Sprechen Sie Französisch, Levi?“
 

Die Art, wie Eren seinen Namen aussprach, jagte ihm einen heißkalten Schauder über den Rücken. Ein altbekanntes Feuer loderte in ihm auf, eine wagemutige Lust, die seinerzeit mit Erwin zu vielen interessanten Spielchen geführt hatte, bevor alles den Bach hinuntergegangen war.
 

Er war hin- und hergerissen. Und wartete zu lang.
 

Eren lächelte ihn an, schloss kurz nachgiebig die Augen und beugte sich zurück.
 

Levi beobachtete ihn mit steinernem Ausdruck. Umso erstaunter war er, als sich leicht gebräunte Finger um sein Handgelenk schlossen.

„Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen, Levi“, lächelte Eren verschwörerisch und zog ihn sachte mit sich.
 

Und Levi ließ sich ziehen.
 

Eren ging mit ihm durch die Ausstellungshalle an vielen beeindruckenden Marmorstatuen vorbei und blieb am anderen Ende vor einer Skulptur stehen, die seitlich auf dem Bauch auf einer Matratze lag. Sie war ganz und gar aus weißem Marmor und wunderschön.
 

Sie blickten zwar auf den Rücken der Skulptur, die mit ihren femininen Körperkonturen und dem ihnen zugewandten Gesicht eine Frau darstellen musste. Die Matratze, auf der sie lag, wirkte weich und gepolstert. Am liebsten würde er die Hand ausstrecken und sie anfassen, davon überzeugt, weiche Seide unter den Fingerspitzen zu fühlen.
 

In diesem Moment fielen ihm Erens Finger an seinem Handgelenk wieder auf und er riss sich los. Seine Grobheit brachte ihm einen kurzen irritierten Blick ein, ehe Eren auf ein Schild deutete.
 

„Ich muss zugeben, ich habe seit der Schule kein Französisch mehr gehabt und alles vergessen. Wissen Sie, was auf diesem Schild steht?“
 

Levi folgte dem Fingerzeig und zog die Augenbrauen zusammen.

„Mhm“, machte Levi erkennend und ging auf die andere Seite der Skulptur. Dort erkannte man die in Marmor gemeißelten männlichen Geschlechtsorgane und weiblichen Brüste.
 

„Das ist Hermaphroditos, der Sohn von Hermes und Aphrodite. Er und eine Nymphe namens Salmakis haben sich verliebt und wünschten sich für immer zusammen zu bleiben. Der Wunsch wurde ihnen von Zeus erfüllt und sie verschmolzen zu einem Körper. Huh, ich mag den Humor der griechischen Götter.“
 

„Okay, so viel habe ich mir auch erschlossen“, sagte Eren und verschränkte skeptisch die Arme vor der Brust, „Aber Armin hat mir mal eine andere Geschichte erzählt. Da hat Salmakis versucht ihn zu verführen und ist mit ihm in einer Quelle verschmolzen, als sie sich das von seinen Eltern gewünscht hat. Danach wurde jeder, der in der Quelle badete zum Zwitter.“
 

Levi schielte ihn ungläubig an.
 

„Was?“, rief Eren aufgebracht, als er seinen Blick bemerkte und ließ die Arme wieder runterhängen.
 

„Es ist scheißegal, warum der arme Kerl mit Titten rumlaufen muss. Irgendein Idiot hat sich den Unsinn ausgedacht und andere haben's nachgeplappert.“
 

Die tellergroßen Augen Erens brachten Levi unwillkürlich zum Schmunzeln.
 

„Also Erstens gibt es schlimmeres als mit Titten herumzulaufen und Zweitens hat's der Begriff Hermaphrodismus ganz schön weit gebracht, dafür dass sich nur ein paar Idioten bei zu viel Wein Märchen erzählt haben.“
 

„Musst du mich ständig daran erinnern, dass du untervögelt bist?“
 

„Was??!“, entfuhr es Eren etwas zu laut, sodass er sich einige irritierte oder genervte Blicke einfing.
 

Was waren diese Wichser nur alle so empfindlich.
 

Levi brauchte Eren keinen weiteren Denkanstoß mehr geben, er hatte selbst geschaltet.
 

„Ich meinte Titten an Frauen“, erklärte er und machte es nicht besser, was ihm nach einem erheiterten Blick seinerseits aufzufallen schien, „Also ich meine, ... Herrgott nochmal! Wie alt sind Sie denn? Ich meinte das überhaupt nicht in irgendeiner Weise sexuell!“
 

„Gut zu wissen“, erwiderte Levi abgeklärt und fing sich plötzlich einen Klaps am Oberarm ein. Er sah Eren überrascht an, doch der verlor sich zu sehr in seiner aufgekommenen Scham, um es zu bemerken.
 

„Sie sind so gemein!“, lachte Eren mit geröteten Wangen und gutmütigen Augen.
 

„Balg“, seufzte Levi und ignorierte das angenehme Gefühl in seiner Brust. Stattdessen deutete er auf die Skulptur.

„Wolltest du mich bloß als Übersetzer missbrauchen oder warum hast du mich regelrecht her geschleift?“
 

Eren schaute kurz verdutzt und lächelte dann strahlender als die scheiß Zahnreiniger-Werbefritzen.

„Ich finde die Skulpturen ganz besonders schön. Das ist wahres Kunsthandwerk, finden Sie nicht auch?“
 

„Warum überrascht es mich nicht, dass dir das gefällt, was am wenigsten Denkarbeit erfordert“, triezte Levi ihn weiter.
 

„Ich hatte bis gerade vorhin Denkarbeit. Armin hat mich durchs ganze Museum gejagt und das ist verdammt groß“, seufzte Eren theatralisch geschafft auf, „Und wenn man mit Armin in Museen geht, dann heißt das nicht, auf nimmer Wiedersehen Verstand, sondern es wird richtig analysiert und bewertet. Ich bin völlig fertig und hab ihn derweil weiterlaufen lassen. Er holt mich nachher hier ab.“
 

„Wenn ich nicht miterlebt hätte, dass du da oben was drin hast, würde ich dich für einen Kretin halten“, sagte Levi und verschränkte seine Arme, „Du hast ein besonderes Talent dafür dumm zu klingen.“
 

„Ich weiß“, murrte Eren, „In der Schule hielten mich die Lehrer auch meist für bekloppt. Meine Noten waren trotzdem gut.“
 

„Du warst bestimmt das Kind, das sich im Schulhof ständig geprügelt hat.“
 

„Später, ja. Bevor meine Eltern ermordet wurden, erhielt ich Privatunterricht von jedem, der was konnte und Zeit hatte. Wir sind zu viel gereist, um mich in eine reguläre Schule zu stecken.“
 

„Was haben deine Eltern gemacht?“, hakte Levi nach und als er Erens entgeisterten Blick sah, fuhr er ungeduldig fort, „Nein, ich habe deine verschissene Akte immer noch nicht gelesen und werde es auch nie tun. Komm darüber hinweg.“
 

„O-kay“, sagte Eren langsam und wandte sich ihm zu, sodass sie nicht mehr nebeneinander standen, „Meine Eltern waren Ärzte und für die UNO tätig. Ich bin zwar in Hannover in Deutschland geboren worden, aber das war es bis sie starben dann auch von Deutschland oder generell Europa. Wir haben in verschiedenen afrikanischen Ländern gelebt, bevor wir wegen der großen Hungersnot nach Ägypten gegangen und drei Jahre dort geblieben sind. Bis zu ihrem Tod halt. Von ihrer Arbeit kannten sie auch die Ackermanns - Mikasas Eltern. Sie waren deutsche Lehrer und haben die Kinder dort in allen möglichen Fächern unterrichtet.“
 

„Ich dachte, Mikasa ist deine Adoptivschwester?“
 

„Ja, ihre Eltern wurden von der Kcrizott entführt und als sie nicht frei gekauft wurden getötet. Daraufhin nahmen wir Mikasa auf. Das war ungefähr ein Jahr, bevor meine Eltern getötet wurden.“
 

„Das ist ja scheiße“, entfuhr es Levi unsensibel, aber ehrlich.
 

„Jupp, ist es. Sie ist aber stark und wir beide hatten immer ein inniges Verhältnis. Es ist ein Wunder, dass ich mir ohne sie die Schuhe binden kann.“
 

Levi sah Eren erstaunt an. Obwohl er selbst miterlebt hatte, wie sehr Eren unter dem Zustand seiner Schwester litt, gelang es ihm diese Worte mit fester Stimme hervorzubringen. Und er nahm keinerlei Anstoß an Levis direkten Worten. Das war sehr angenehm.
 

Dieses Balg konnte Schmerz auch runterschlucken.
 

„Also war sie mehr deine Gouvernante als Schwester.“
 

„Sie ist Ihnen ähnlich“, erklärte Eren und blickte ihm freundlich in die Augen, „Sie bewegt sich wie eine Raubkatze und hat später allen eine Heidenangst eingejagt. Nach dem Tod meiner Eltern hat sie es sich zur Aufgabe gemacht mich zu beschützen; womöglich hat mir das den einen oder anderen Knochenbruch erspart.“
 

„Ich bewege mich also wie eine Raubkatze und jage allen eine Heidenangst ein“, resümierte Levi trocken und betrachtete Eren innerlich belustigt, doch der begann bloß leise zu lachen.
 

„Als wenn Sie das nicht wüssten“, grinste Eren, ehe er fortfuhr, „Auf jeden Fall konnte sie nicht verhindern, dass ich mich in der Waisenschule regelmäßig geprügelt habe.“
 

„Warum?“
 

Eren zuckte mit den Schultern.

„Ich war von bestimmten Dingen überzeugt und bei diesen Idioten haben verbale Argumente nicht gereicht.“
 

Levi konnte dies einwandfrei nachvollziehen. Er hatte sich selbst viel zu oft wortwörtlich durchgekämpft, um eine solche Verhaltensweise zu verurteilen.
 

Eren schien jedoch den Drang zu empfinden sich zu rechtfertigen.

„Es ist nicht so, dass ich mit der Prügelei angefangen hätte...“
 

„Ich habe mich in meiner Jugend auch unzählige Male geprügelt und ich kann nicht unbedingt behaupten, dass ich den Konfrontationen aus dem Weg gegangen wäre.“
 

„Manche Leute betteln ja auch geradezu nach einer Tracht Prügel“, schnaubte Eren mit dieser ungetrübten Ehrlichkeit, die Levi so sehr an ihm schätzte.
 

Als er nicht antwortete, blickte Eren ihn wieder an, leichte Verunsicherung in den Augen. Doch als er das kleine Lächeln auf Levis Lippen entdeckte, strahlte er ihn glücklich an.
 

Es verschlug Levi den Atem.
 

„Und nun?“, fragte Eren erwartungsvoll.
 

„Was?“
 

„Haben Sie sich diese Abteilung schon angesehen?“ Eren strahlte weiterhin wie ein Vollidiot.
 

„Nein.“
 

„Na, dann“, grinste Eren und fasste Levi am Stoff seines schwarzen Hemdärmels, um ihn in eine Richtung zu dirigieren.
 

Eren konnte sich glücklich schätzen, dass der Kontakt zu kurz für Levi war, um ihm eine zu wischen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn irgendwohin zog.
 

Dennoch folgte er Eren mit griesgrämiger Miene.
 

Ihren Rundgang durch die römisch-griechische Abteilung verbrachten sie mit unzähligen sarkastischen Kommentaren über die fantastischen Skulpturen und ihren Bedeutungen. Sie waren der Horror für kunstliebende Touristen und Kinderohren, aber Levi empfand zum ersten Mal seit sehr langer Zeit unreflektierten Spaß.
 

Er würde den Klang von Erens ausgelassenem Lachen noch Stunden später in seinem Kopf widerhallen hören. Sie hatten einen erstaunlich ähnlichen Humor.
 

Erst als Armin zurückkam wurde Levi wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und alle Ausgelassenheit verebbte.
 

„Eren, was machst du nur?“, tadelte Armin seinen Freund mit einem besorgten Seitenblick auf Levi. Anscheinend glaubte er, dass sich Eren vor seinem Vorgesetzten zum Affen machte. Ganz unrichtig war seine Einschätzung jedenfalls nicht.
 

„Kunsthandwerk genießen“, entgegnete Eren mit einem unschuldigen Lächeln als hätten sie sich vorhin nicht über den kleinen Schwanz der imposanten Herkules-Skulptur lustig gemacht.
 

Armin betrachtete ihn skeptisch, ehe er Levi scheu anlächelte.

„Ich habe die anderen vorhin getroffen und sie meinten, sie seien fertig und warten beim Souvenir Shop, Sir.“
 

„Gut, dann gehen wir. Ich habe sowieso Hunger“, bestimmte Levi ausdruckslos und zog sein Handy aus der Hosentasche. Sie hatten alle am Eingang einen Lageplan zugeschickt bekommen.
 

„Oh ja, ich bin auch am Verhungern“, schnaufte Eren, ehe er zu schwärmen begann, „Ich hoffe, wir kommen an so einer super leckeren Boulangerie vorbei! Ich will unbedingt so ein kleines Blaubeertörtchen probieren!“
 

„Ich glaube, wir werden was gesünderes Essen gehen, Eren“, seufzte Armin.
 

Levi achtete nicht weiter auf die beiden und ging Richtung Ausgang.
 

***
 

Es war bereits später Nachmittag, als sie sich in Montmartre ein kleines Restaurant gesucht hatten und ihre leeren Mägen mit französischen Köstlichkeiten füllten.
 

Levi konnte den Lobeshymnen seiner Leute im Stillen beipflichten. Andererseits waren sie alle nach dem schrecklichen Mensaessen in München nicht sonderlich schwer zufrieden zu stellen.
 

„Bekommen wir eigentlich eigene Uniformen, Sir?“, fragte Marco plötzlich, woraufhin sämtliche Aufmerksamkeit auf ihm lag.
 

„Ja.“
 

Sie sahen ihn einen Moment blank an, ehe Connie wild gestikulierte.

„Und wie sehen sie aus?“
 

Levi seufzte innerlich.

„Schwarz mit jägergrünen Umhängen und einem Abzeichen, das zwei Flügel zeigt.“
 

„Flügel?“, murmelte Mylius.
 

„Was sollen die Flügel aussagen?“, hakte Historia etwas schüchtern nach, pure Neugier in den hellblauen Augen schimmernd.
 

„Es sind die „Flügel der Freiheit“. Fragt mich nicht, wer sich das ausgedacht hat“, schnaubte Levi desinteressiert.
 

„Ich finde, dass es schön klingt“, meinte Historia, während ein paar andere lachten.
 

„Sehr pathetisch, nicht?“, warf Jean ernüchtert ein.
 

„Den Menschen gefällt pathetisch und außerdem passt es sehr gut. Wir haben schließlich einen wichtigen Spezialauftrag und können ungebunden mit anderen polizeilichen Einheiten und dem Militär arbeiten“, fiel Armin engagiert ins Gespräch.
 

„Ja, schon...“ Jean schien es im Grunde völlig egal zu sein, was sie trugen. Levi sah das genauso.
 

„Aber bis wir eigenständig agieren, laufen wir noch in der GSG9-Kluft rum, oder?“, fragte Reiner, bevor er seinen Wein austrank.
 

„Ja.“ Zugegeben, er hatte wirklich schon mehr von sich gegeben.

Vermutlich hatte er das heutige Wortlimit mit Eren verbraucht, dachte Levi selbstzynisch.
 

„Werden wir unsere Befehlsstruktur auch an die GSG9 anpassen oder zusätzlich eine eigene haben?“, wollte Armin wissen und die Frage war verdammt berechtigt.
 

Levi erhob sich vom Stuhl.

„Wenn wir zurück sind, werde ich eure Aufgaben erläutern.“
 

Mit einem knirschenden Geräusch standen alle auf.
 

***
 

„Das Präzisionsschützenkommando bilden Sasha, Annie und Mylius. Das Zugriffskommando unterteilt sich in zwei Gruppen. Die erste Gruppe bilden Ymir, Mina, Thomas, Marco und Franz. Jean, du wirst die erste Gruppe anführen.“

Levi ignorierte wie seinen Leuten die Kinnlade runterfiel und er sprach weiter.

„Die zweite Gruppe bilden Reiner, Berthold, Connie und Armin. Eren wird die zweite Gruppe anführen.“

Auch hier ignorierte er das ungläubige Schnaufen.

„Historia und Hannah werden uns als unsere IT- und Technik-Spezialisten unterstützen.“

Levi wusste, er würde es bereuen: „Fragen?“
 

Sie sahen ihn einen Augenblick mit großen Augen an, ein regelrechter Sturm rauschte ihre Kehlen hinauf und als alle auf einmal den Mund öffneten, musste Levi an sich halten, um die Hände nicht an seine Ohren zu pressen.
 

„Haltet die Schnauze, verdammt noch mal“, fluchte Levi ungehalten, „Wie zum Teufel soll ich denn was verstehen, wenn ihr alle gleichzeitig die Fressschleusen offen habt?!“
 

„Ähm“, machte Armin zögerlich, nachdem Levis Worte ihnen effektiv die Sprache verschlagen hatte, „Ich denke, wir wollen alle wissen, auf welcher Grundlage Sie Ihre Entscheidung bezüglich der Gruppenkonstellation getroffen haben.“
 

Levi beglückwünschte sich für diesen Kameraden.

„Sag, Armin, was meinst du, warum ich mich so entschieden habe?“
 

Der junge Mann schlug nachdenklich die Augen nieder und verschränkte seine Finger auf dem Tisch.
 

„Na ja“, begann er zögerlich, redete sich mit jedem Wort jedoch mehr Unsicherheit vom Leib, „wir sind zu viele für ein Zugriffskommando, also liegt es nahe uns zu splitten. Allerdings braucht man dann zwei Führungspersönlichkeiten, die unter Ihnen arbeiten können und entsprechende Qualitäten aufweisen.

„Für diese Aufgaben kämen neben Eren und Jean auch Marco und Reiner in Betracht, wobei von vorn herein feststeht, dass Jean und Eren möglichst nicht in einem unklaren Aufgabenverhältnis zueinander stehen. Es wäre also sinnvoll sie trennen. Jean und Marco ergänzen sich hingegen sehr gut, sodass es sich anbietet beide in einer Gruppe zu belassen. Da Eren eher ungestüm veranlagt ist, bietet es sich ebenso an einen geerdeten Charakter wie Reiner und ihn in eine Gruppe zu stecken - genauso wie mich im Endeffekt.

„Jeans Urteilsvermögen in komplizierten Situationen ist hervorragend und was ihn Marco gegenüber vorzugswürdig als Führer macht, ist, dass Marco auf Dauer nicht für solch verantwortungsvolle Positionen geeignet ist. Ihm fehlt diese gewisse Abgebrühtheit, die man für diese Position braucht.

„Reiner als Führer wäre zwar eine sichere Wahl, doch Erens Vorgehensweise ist durch seine Spontanität und sein Durchhaltevermögen oft innovativ und deswegen erfrischend erfolgreich. Damit mit ihm nicht die Pferde durchgehen, sind eben Reiner und ich als Stimme der Rationalität dabei. Berthold und Connie passen mit ihren exzeptionellen Fähigkeiten perfekt dazu, um uns zu einer Art Sturmtruppe zu machen, während Jeans Leute mit Ausnahme von Ymir eher eine solide Nachhut bilden.

„Ach ja, und das Präzisionsschützenkommando könnte von Mylius angeführt werden, weil ich denke, dass er am ehesten bereit ist diese Verantwortung zu tragen.“
 

Die Atmosphäre in dem kleinen Konferenzraum im Hauptgebäude der GSG9 war beinahe bedrückend. Die mit Holz kunstvoll ausgekleideten Decken und Wände verschluckten Armins Worte und zurück blieb eine bedeutungsschwangere Stille.
 

Allmählich schien Armin die Bedeutung seiner Worte zu verstehen und wurde von Sekunde zu Sekunde verlegener und unsicherer.
 

„Sehr gut, Armin“, meinte Levi und sah ihm direkt in die blauen Augen, „Ich hätte es nicht besser erklären können.“
 

Es bereitete Levi unwillkürlich Freude zu sehen, wie der junge Mann, ob seiner Bestätigung aufblühte und zu strahlen begann.
 

„Wir werden Sie nicht enttäuschen, Sir!“, durchbrach Eren überraschend die aufgekommene Stille mit fester Stimme und sah Levi entschlossen direkt in die Augen.
 

Er salutierte und die anderen taten es ihm gleich.
 

Ein wenig sprachlos verschränkte Levi seine Arme vor der Brust und lehnte sich gelassen zurück.

„Davon gehe ich aus.“
 

„Was macht Hannah, wenn sie in den Mutterschutz geht?“, fragte Historia, „Wird sie trotzdem bis acht Wochen vor der Entbindung von hier aus arbeiten? Und wo werden sie und Franz mit dem Baby leben?“
 

„Wir bleiben hier“, erklärte Franz, als Levi das Paar auffordernd anblickte, „Das Appartement ist zwar nicht allzu groß, aber vorerst haben wir genug Platz und Hannah kann uns mit ihren Fähigkeiten auch aus der Ferne unterstützen bis wir wissen, wann sie wieder arbeiten kann.“
 

Das Paar sah sich liebevoll an und sie schmiegte sich enger an seine Seite.
 

„Wollt ihr eigentlich auch heiraten?“, fragte Reiner ungeniert, was Hannah und Franz etwas verlegen machte und Reiner einen Ellbogenstoß von Berthold einbrachte.
 

„Erst wenn das Baby da ist“, sagte Hannah strahlend. Sie hatte eine sehr warme Persönlichkeit und durch die Schwangerschaft war sie noch mehr aufgeblüht.
 

„Wegen euch muss ich mit Connie schlafen“, nuschelte Sasha grimmig.
 

„Ähm, nein“, meinte Jean ganz trocken, „Ich denke das Appartement wird vom Staat bezahlt.“
 

Sasha blinzelte ein paar Mal perplex, ehe sie begriff und der Tisch in homerisches Gelächter ausbrach.
 

„So lustig ist das auch nicht“, murmelte Connie verschämt, während Sasha über ihre eigene Wortwahl lachte und ihrem Mitbewohner auf die Schulter klopfte.
 

Was für eine eigene Truppe, dachte sich Levi und versank ein wenig in Nostalgie. Es hatten sich wieder gute Leute um ihn gescharrt.
 

*~*
 

„Oh Gott, ich freu mich so aufs Bett“, seufzte Connie erschöpft und erntete zustimmendes Murren.
 

Sie flogen augenblicklich von Polen zurück nach Frankreich. Es war das Ende ihres ersten Einsatzes mit der GSG9. Die Entführung der alten Mutter eines Politikers. Sie hatten die Entführer in einem unterirdischen Lagerhaus bei Breslau aufgespürt und effektiv ausgeschaltet. Die Mutter war sicher und mit ein paar Schürfwunden und Prellungen ins Krankenhaus gebracht worden.
 

All das Training hatte sie nicht auf die Strapazen vorbereiten können, die ein ernsthafter Einsatz mit sich brachte.
 

„Wenn wir ankommen werdet ihr euch waschen, anschließend treffen wir uns im üblichen Besprechungsraum und gehen den Einsatz nochmal durch. Wir waren scheiße“, verlautbarte Levi mit kühler, erbarmungsloser Stimme und stand vor ihnen auf dem Gang des schmalen Hochgeschwindigkeitsjets. Er strotzte vor Kraft und stiller Energie.
 

Einige zuckten zusammen oder duckten sich verschämt in ihren Sitzen.
 

Eren bekreuzigte sich dafür, dass er keinen Fauxpas begangen hatte. Dafür allerdings seine Leute und das fiel auf ihn zurück, dennoch... Es hätte viel schlimmer sein können.
 

Levi setzte sich wieder und wirkte als könne er den gesamten Einsatz ein weiteres Mal durchführen. Er schien geradezu aufzublühen, sein Potenzial wies neue Höhen auf. Er strömte noch mehr Autorität aus und seine Augen wurden durchdringender und scharf wie die eines Falken.
 

Sie konnten nicht mit ihm mithalten und stockten. Ratterten dahin wie ein rostiger Heuwagen über einen unebenen Feldweg.
 

Vermutlich wagte es deshalb auch keiner mehr sich darüber zu beschweren, dass sie nach der Landung gerade mal Zeit hatten sich zu duschen, bevor sie sich im Besprechungsraum versammelten.
 

Levi saß am Kopfende des Tisches, einen Tablet-Computer vor sich liegend und die Projektion dessen Desktops hinter sich an die Wand strahlend.
 

Eren blickte Levi direkt in die Augen, als er sich hingesetzt hatte, die meisten anderen spielten zerknirscht mit ihren Fingern und bereiteten sich mental auf die Schelte vor.
 

Als Levi begann mit ruhiger Stimme zu sprechen, wandten sich alle Augen zu ihm.

„Eren. Jean. Was ist eurer Meinung nach schief gelaufen?“
 

Eren tauschte mit Jean einen fragenden Blick aus, ehe Jean ihm mit einem Nicken bedeutete anzufangen. War klar, dass sich das Pferdegesicht drückte.
 

„Unsere Aufgabe war es zwei der fünf Entführer, die draußen Wache schoben, auszuschalten und die GSG9'ler bei ihrem Einsatz hinten abzusichern“, begann Eren, um die Situation zu rekapitulieren.

„Dabei sollte ich mit meinen Leuten den Beta-Entführer bei seiner Patrouille in einen Hinterhalt locken und Mylius' Leute Alpha gezielt außer Gefecht setzen, während Jean und Co. nachrücken und die ins Lagerhaus vordringenden GSG9'ler absichern.

„Zu Anfangs hat es auch geklappt, aber dann ist dieser Obdachlose aufgetaucht und Jeans Team musste sich zuerst um ihn kümmern und ihn fixieren, sodass sie nicht rechtzeitig nachrücken konnten und es an meinem Team blieb die GSG9'ler zu decken.

„Dabei gingen wir zu langsam und ungelenk vor, sodass wir nicht rechtzeitig auf den Hinterhalt reagieren konnten und es nur Ihren Fähigkeiten zu verdanken haben, dass uns niemand erwischt hat. Bei der weiteren Fortführung des Einsatzes konnten wir die GSG9'ler absichern. Jeans Team kam recht spät und konnte bei der Festnahme nur noch zugucken.“
 

„Verbesserungsvorschläge?“, fragte Levi scharf nach, sehr zum Kontrast zu seinem gelangweilten Blick.
 

Eren zuckte mit den Schultern und schnaubte unzufrieden.

„Wir brauchen Erfahrung.“
 

Levi wandte sich von ihm ab.

„Was sagst du dazu, Jean?“
 

„Es ist erschreckend wie beschissen wir waren, obwohl eigentlich jeder von uns in seinem Beruf zuvor solchen Situationen ausgesetzt worden ist - von dem Training in der Ausbildung ganz zu schweigen. Und ich könnte noch nicht einmal sagen, wo das Grundproblem liegt.“
 

Levi betrachtete Jean kurz abschätzig, welcher stur mit verschränkten Armen auf die Tischplatte starrte und vor sich hin brütete.
 

„Irgendwelche Ideen?“, richtete Levi sich nun an alle.
 

„Wir sind einfach keine realen Einsätze mehr gewohnt“, brachte Reiner es auf den Punkt, „Die Pause war ja auch recht lang. Wir müssen uns einfach etwas einspielen wie Eren sagte.“
 

„Bis wir uns eingespielt haben, könnte jemand sterben“, erwiderte Ymir trocken, „Dafür haben wir keine Zeit.“
 

„Deswegen haben wir dieses halbe Jahr - um zu einer richtigen Einheit zusammenzuwachsen“, warf Thomas ein und erntete einen schmutzigen Blick von Ymir.
 

„Na, wenn du bis Januar dann noch lebst.“
 

„Leute!“, unterbrach Marco die aufkommende Diskussion just, als Thomas wütend den Mund aufmachte, „Zu streiten bringt gar nichts. Wir sollten uns viel lieber Gedanken darüber machen, woran es genau hapert anstatt uns gegenseitig anzublaffen.“
 

„Sag ich doch“, murrte Jean, während Armin die Hände auf dem Tisch faltete.
 

„Ich denke, in erster Linie hat uns eine Führung gefehlt“, sagte er und hob die Hand, als Eren missmutig die Augenbrauen zusammenzog und Jean grantig schnaubte, „Euch meine ich damit eigentlich nicht.“
 

Erens Kiefer klackte mit einem Plopp zu und er starrte mit den anderen abwechselnd fassungslos zwischen Armin und Levi hin und her.
 

Letzterer hob einen Augenbraue an und betrachtete Armin durchdringend, während der nervös Löcher in seine Hände starrte.
 

„Rede nur weiter.“
 

Armin holte einmal tief Luft, ehe er genug Mut aufbrachte ihrem Vorgesetzten in die bewegungslosen Augen zu blicken.
 

„Ich kann nachvollziehen, warum Sie Eren, Jean und Mylius die Führung größtenteils überlassen haben und für unseren ersten Einsatz waren wir gar nicht schlecht. Aber es ist eben genau das eingetreten, was eintreten musste: Jean geht auf Nummer sicher und fällt dadurch zurück und Eren ist so viel Verantwortung nicht gewohnt und will alles perfekt machen, wodurch er an Flexibilität und Reaktionsvermögen einbüßt.

„Von uns anderen will ich gar nicht anfangen, wir sind wie junge Lämmer hinterher gestolpert, nervös und unzufrieden damit, dass wir den GSG9'lern hinterherlaufen müssen und nicht unser eigenes Ding durchziehen können.

„Hier hätten wir Sie gebraucht, Sir. Nicht um Schadensbegrenzung zu üben, sondern um uns in den Arsch zu treten und Befehle ins Ohr zu brüllen.“
 

Mit Armins letzten Worten kehrte eine bedeutungsschwere Stille ein, die seine Ansprachen regelmäßig zu verursachen schienen. Alle Augen bohrten sich in Levi, der unbeeindruckt da saß und Armins Blick erwiderte. Hinter den sturmgrauen Augen wirbelten allerlei Gedanken und erst nach einer gefühlten Ewigkeit reagierte Levi.
 

Er schwang lässig einen Arm hinter die Stuhllehne und setzte sich schräg mit verschränkten Beinen zum Tisch.

„Ich gebe dir völlig recht“, meinte er unbeeindruckt, „Ich wollte euch ins Messer laufen lassen und es hat wunderbar funktioniert.“
 

Jean schnaubte entrüstet.

„Sie können uns doch nicht absichtlich zur Schlachtbank führen!“
 

„Das habe ich nicht. Ihr ward so sicher wie man es auf so einem Einsatz sein kann. Ich wollte sehen, wie ihr mit der Situation umgeht und habe meine Lehren daraus gezogen“, erklärte Levi unmissverständlich und begann etwas auf dem Tablet-Computer aufzuzeichnen.

„Wir werden den Einsatz nun rekapitulieren und eure einzelnen Handlungen analysieren und Alternativhandlungen besprechen.“
 

Sie arbeiteten den Einsatz bis in die frühen Morgenstunden nach.
 

„So, das wär's. Ihr könnt euch bis zum Mittagessen hinlegen, danach wird trainiert“, schloss Levi ihre Besprechung um kurz nach fünf Uhr morgens.
 

Alle stöhnten erschlagen auf, keiner so recht sicher, wie er ins Bett finden sollte. Levi hingegen schien vital und fit wie immer und stand auf, als wären sie nicht gerade fast sieben Stunden am Stück da gehockt.
 

„Ach ja“, sagte Levi beim hinausgehen, „Ab heute dürft ihr mich Duzen und Levi nennen.“
 

Sie waren so schnell wach wie ein Hund, der sein Futter in den Napf füllen hörte.
 

*~*
 

Mit jedem Einsatz verbesserten sie sich und auch Levi gewann ein Gefühl dafür, wann er wen wie anleiten musste, um das Maximum herauszuholen.
 

Als die heißen Augusttage ihr Ende fanden und der September Einzug hielt, empfand Levi seit langer Zeit wieder zerbrechliche Zufriedenheit mit sich. Es tat ihm gut sich zu beweisen und im Miteinander mit seinen Rekruten an Aufgaben zu wachsen. Diese jungen Menschen waren fantastische Persönlichkeiten und bildeten eine zunehmend gute Einheit.
 

Sie konnten zu einer guten Europäischen Sondereinheit werden.
 

Gedankenverloren saß Levi auf einer Bank in den weitläufigen Gärten Versailles' und beobachtete in seiner fragilen Einsamkeit die Touristen am Eingang des kleinen Parkabschnitts, in dem er sich befand, vorbeiliefen.
 

Er war zum ersten Mal hier und obwohl er nichts von Schlössern hielt, beglückwünschte er die Landschaftsarchitekten für diese schönen Gärten und unzähligen farbenfrohen Blumen. Hier konnte er sich zumindest entspannen, bis seine Kameraden ihn anriefen, um ihm das Ende der Schlossführung mitzuteilen und ihn zu treffen.
 

Er hatte sich tatsächlich an ihrem freien Tag zu diesem Ausflug bereit erklärt.
 

Levi mochte Geschichte und hatte das ein oder andere über das absolutistische Frankreich und die Französische Revolution gelesen, aber von selbst hätte er nicht das Verlangen verspürt diesen historischen und völlig überlaufenen Ort zu besuchen.
 

Er bereute es aber auch nicht.
 

Das Vibrieren seines Mobiltelefons beendete seine Ruhe jäh und er steckte sich schnaubend das Mikro ins Ohr, während er abhob und sich keine Gedanken darüber machte, wer ihn anrief.
 

„Seit ihr draußen?“, fragte er gelangweilt, bevor er zusammenzuckte.
 

„Leeee~vi! Ich bin’s, altes Haus! Na, hast du mich vermisst?“, quietschte es schrill in sein armes Ohr.
 

„Zum Teufel nochmal, Shitty-Glasses! Ich werd hier taub von deinem Geblöke“, fuhr er sie übellaunig an und rieb sich gepeinigt die Schläfen.
 

„Ohhh“, machte Hanji mitleidig, wobei ihr Grinsen kaum besser hätte herauszuhören sein können, „Ich wollte dir nur die fabelhafte Neuigkeit überbringen, dass ich um 18:00 Uhr in Paris landen werde. Na, freust du dich?“
 

Levi sah auf seine Armbanduhr.

„Willst du mich verarschen? Es ist bereits halb fünf. Warum kommst du und bis wann?“
 

„Hmm“, summte Hanji quengelig, „Ich wollte dich an meinen freien Tagen besuchen! Leider habe ich nur ein paar Tage Zeit. Ich lande am Charles-de-Gaulle, also hol' mich bitte ab! Ciaoiiii!“
 

„Hanji, warte verdammt-“, schimpfte Levi, doch sie hatte bereits aufgelegt. Diese dumme Pute.
 

Er schnaubte gereizt, als er auflegte. Diese Frau meinte auch sie könne sich alles erlauben.
 

Keine Sekunde später vibrierte sein Handy erneut, ohne zu überlegen nahm er ab.
 

„Was denn noch, Shitty-Glasses?“
 

Stille am anderen Ende ließ Levi blinzeln. Ups. Vielleicht hätte er nachschauen sollen, bevor er ins Telefon knurrte.
 

„Levi? Hier ist Eren.“
 

Levi richtete sich auf der Bank auf, als hätte er einen leichten Stromschlag bekommen.

„Seid ihr fertig?“
 

„Ja, wir sind gerade rausgekommen und gehen zu dem angelegten See in der Mitte.“
 

„Dann komme ich da hin.“ Levi stand auf und schlenderte zum Parkausgang.
 

„Die anderen würden gerne noch Essen gehen. Wärest du damit einverstanden?“
 

Levi seufzte innerlich. Die Art, wie Eren mit ihm sprach, störte ihn.
 

Klar, er hatte allen erlaubt ihn zu duzen und Eren hatte ihn unter vier Augen sowieso schon beim Vornamen genannt. Aber keinem der anderen war es so leicht gefallen sich umzustellen und ihn so vertraut anzusprechen. Es machte es für Levi nicht leichter die Distanz zu wahren und sich nicht mit ihm anzufreunden, wie Hanji es sich wünschte.
 

„Dafür bleibt keine Zeit. Hanji landet um 18:00 Uhr und will abgeholt werden.“
 

Eren lachte leise. Seine Stimme klang angenehm und entspannt am Telefon, ganz anders als im Funk bei den Einsätzen.

„Dann müssen wir sie natürlich vorm Essen holen. Willst du dann zurück oder gehen wir trotzdem auswärts essen? Hanji würde sich bestimmt freuen.“
 

Zu vertraut. Es war einfach zu vertraut.
 

„Mal schauen, wie spät es wird“, wiegelte Levi ab.
 

„Ja, sicher. Die anderen möchten ins Quartier Latin, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Restaurant einigen können, aber eigentlich wäre es schön, wenn wir nach Montmatre gehen könnten“, redete Eren unbeirrt weiter.
 

Levi brachte es nicht über sich ihn eiskalt abzuwürgen, während er durch die Irrgärten Versailles’ lief und den Weg zum künstlichen See in der Mitte der Schlossanlage suchte.
 

„Das Restaurant in Montmatre war wirklich ganz nett“, ging Levi darauf ein, „Aber es wird vermutlich auf eine Mehrheitsentscheidung hinauslaufen, falls wir überhaupt dazu kommen.“
 

„Na ja, wenn Hanji schon um Sechs kommt, können wir uns spätestens um Acht zum Essen setzen und um Elf wieder daheim sein.“
 

„Ich bezweifle, dass wir es vor Mitternacht schaffen. Du weißt wie gesprächig Hanji ist“, sagte Levi und trat aus dem Labyrinth der Gärten hinaus zum See.
 

„Ich sehe dich“, rief Eren auf einmal in den Hörer, „Wir sind links von dir!“
 

Blinzelnd sah sich Levi um und erkannte keine zweihundert Meter von sich den winkenden jungen Mann und seine Kameraden.
 

„Gut, sag' den anderen, dass wir gleich los müssen“, befahl Levi kühl und legte auf, bevor ihn Erens Stimme noch weiter aufhalten konnte.
 

Aus der Ferne sah er, wie Eren zu seinen Kameraden trat, war er zuvor noch abwärts gestanden.
 

***
 

Natürlich wurde es so spät, wie er befürchtet hatte.
 

Die Kirchenglocken hatten längst Mitternacht geschlagen, als sie in einem gemütlichen Restaurant in Montmatre ihre letzte Flasche Wein bestellten.
 

Hanji war lebendig, aufgedreht und stürmisch wie eh und je, sodass gar nicht daran zu denken war, dass einer von ihnen - außer Hannah natürlich - nüchtern ins Bett kam.
 

„Ich habe am Samstag Geburtstag!“, rief Hanji über den Tisch und erntete erstaunte Blicke und Ausrufe.
 

Levi wollte ins Bett.
 

„Dass heißt, du musst mit mir tanzen!“, stellte Hanji klar und schmiegte sich gut gelaunt an Levis Seite, der ihr einen mürrischen Blick schenkte.
 

„Warum sollte ich?“ Es war eine rhetorische Frage.
 

„Weil du mir versprochen hast, dass du nach Kriegsende mit mir tanzt und - Tadaa! - der Krieg ist vorbei!“
 

Zu Levis Entsetzen klingelte da was...
 

„Das ist verfallen.“
 

„Nix da“, lachte Hanji und betrachtete ihn dann bemüht schmollend, „Du hast es mir versprochen! Und außerdem gibt es dafür keine bessere Gelegenheit als meinen Geburtstag!“
 

Levi versuchte sie mit einem bösen Blick über diesen Zwischenfall hinwegsehen zu lassen, was bei Hanji den selben Effekt erzielte, als würde man mit einem nassen Lappen dem Meer zu Leibe rücken. Absolut lachhaft.
 

„Warum tanzen?“, fragte Historia. Ihre Wangen waren rot vom Alkohol, ihre Augen glasig und selten lebhaft.
 

Natürlich antwortete Hanji, bevor Levi überhaupt den Mund öffnen konnte.
 

„Levi ist ein ganz fantastischer Tänzer!“, schwärmte sie, „Er bewegt sich wie ein Gott und alle Frauen im Militär haben ihn deswegen angeschmachtet! Ansonsten hatte er sie ja immer mit seinem grimmigen Gesicht, seiner Gossensprache und kleinen Statur erfolgreich auf Abstand gehalten.“
 

Levi packte Hanji am Hinterkopf und riss sie an ihren hochgesteckten Haaren nach hinten, sodass ihr Kopf im Nacken lag. Trotz der zugegeben schmerzhaften Behandlung quietschte sie nur kurz und gluckste weiter.
 

Levi ignorierte die fassungslosen Blicke gänzlich, als er Hanjis Profil betrachtete. Er spürte das Vibrieren ihrer Kehle während sie unerlässlich gluckste.
 

Er ließ sie los.
 

„Ahhh“, stöhnte Hanji und rieb sich grinsend den Nacken, „Dafür schuldest du mir einen Striptease.“
 

„Nicht einmal in deinen Träumen.“
 

„Oh, was in meinen Träumen geschieht“, schmunzelte Hanji lasziv und zwinkerte ihm vielversprechend zu.
 

„Gott, geh' vögeln, du brauchst es dringend“, schnaubte Levi.
 

Hanji brach in Gelächter aus, bemüht dazwischen irgendwelche Satzfetzen herauszubringen, von denen Levi meinte „Angebot“ herauszuhören und das war schon alles, was er hören musste, um sie wieder vollkommen zu ignorieren.
 

Als er in die großen Augen seiner Kameraden sah, musste sich Levi ein Schmunzeln verkneifen. Seine stets leicht genervte Stimme verriet sein Amüsement ebenso wenig wie seine gelangweilte Miene.
 

„Los, bezahlt“, befahl er, „Wir müssen früh raus.“
 

»Garçon! L'addition, s'il vous plaît!«, rief Hanji laut und unheimlich effektiv.
 

Der Kellner schoss geradezu aus dem Restaurant heraus - vermutlich war er froh, dass sie gingen.
 

Sie bezahlten und machten sich auf dem Weg zur nächsten Metrostation.
 

„Wo übernachtest du eigentlich?“, fiel Levi ein, als er Hanjis vollgepackten Militärrucksack betrachtete.
 

Hanji drehte sich um und lächelte ihn zuckersüß an. Er ahnte schreckliches.

„Na, bei dir, Schatzilein!“
 

Levi wurde allmählich zu müde, um sich mit Hanjis Scheiß zu befassen und zuckte lediglich mit den Schultern.

„Ich hoffe für dich, dass du da drin auch eine Matte hast. Der Boden ist hart und kalt.“
 

Hanji folgte seinem Fingerzeig auf ihren Rucksack, grinste noch eine Spur breiter und stakste enthusiastisch davon.
 

Das würde eine lange Nacht werden...
 

*~*
 

Sein Herz hämmerte unangenehm in seiner Brust und es fühlte sich an, als würde es einer Trommel gleich durch den leeren Gang hallen, als er verunsichert vor der antiken Holztür stand, die zu Levis Appartement führte.
 

Wenn er lauschte, meinte er das metallene Plätschern von Wasser zu hören, wie es aus den alten Wasserhähnen in den Küchen floss.
 

Eren hob seine Hand an, absolut nicht bereit zu klopfen, aber mit diesem ziehenden Gefühl im Bauch, das einen schneller handeln als denken ließ. Sich zu überwinden.
 

Der hohle Lärm seiner Knöchel gegen Holz ließen ihn zusammenzucken, jedoch unwillig nun davonzurennen.
 

Er hörte kein Wasser mehr plätschern. Ob es nicht mehr lief oder durch das Dröhnen seiner Ohren nicht mehr durchdrang war ihm unklar.
 

Schritte im Inneren näherten sich und sein Herz begann zu rasen.
 

Er schluckte, als die Tür geöffnet wurde.
 

Levi lugte aus dem Türspalt hervor, sichtlich müde und wenig begeistert. Als seine sturmgrauen Augen auf ihn fielen, zog er überrascht eine Augenbraue hoch, ehe sich seine Mimik glättete und er verständnislos die Tür gänzlich öffnete.
 

„Eren, was ist los?“ Levis Stimme war rau vor Müdigkeit, nichtsdestotrotz fordernd und autoritär.
 

Eren atmete tief durch und nahm sich zusammen, um mit ruhiger, selbstbewusster Stimme sprechen zu können.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich jetzt noch störe. Aber wäre es möglich, dass ich kurz mit Hanji spreche?“
 

Levi betrachtete ihn kurz abschätzend und trat dann zur Seite.

„Viel Glück.“
 

Eren fasste es richtig als Aufforderung auf Levi zu folgen und schloss behutsam die Tür hinter sich.
 

Er hatte keine Zeit sich umzuschauen, viel zu sehr fokussierte sich sein Blick auf Levi, der ihn vom Wohnzimmer in ein anderes Zimmer führte. Er trug nur ein weites T-Shirt und Shorts zum Schlafen.
 

Es war ungewohnt Levi so leger zu sehen und er schluckte trocken.
 

Levi ging - wie es sich herausstellte - in sein Schlafzimmer.
 

„Hey Vierauge! Du hast Besuch.“ Unfreundlich und grob zog Levi an Hanjis T-Shirt, das ihre komplette Schulter auf einer Seite bloßlegte, während sie scheinbar schlafend auf dem Bauch lag und es mit ihren ausgebreiteten Armen und Beinen tatsächlich schaffte das große Bett völlig in Beschlag zu nehmen.
 

„Mhmhn“, murrte sie und rührte sich nicht.
 

Sichtlich genervt zog Levi fester an ihrem T-Shirt bis ein eindeutiges Ratschen das Nachgeben des Stoffes anzeigte. Ungut stöhnte Hanji und schlug nach Levis unnachgiebiger Hand.
 

„Los raus, scheiß Vierauge! Eren will mit dir sprechen!“, grollte Levi und dem Geräusch nach zu urteilen zerriss er ihr Oberteil.
 

„Ähm“, machte er etwas ratlos, peinlich berührt von der ganzen Situation. Er wurde jedoch ignoriert.
 

Levis Worte schienen zu Hanji durchzudringen, denn sie setzte sich gähnend auf und rieb sich die Augen: „Eren?“
 

Levi ließ ihr T-Shirt los, welches sich ausgeleiert wieder an Hanjis Körper schmiegte und gefährlich tief hin. Ein Zentimeter tiefer und ihre eindeutig nicht BHte Brust würde hinausfallen.
 

Das war sicherlich nicht der Anblick, den ein Untergebener von seiner Vorgesetzten haben sollte. Obgleich Eren durch Weihnachten und den folgenden Ereignissen etwas abgehärtet war, spürte er, wie seine Wangen heiß wurden.
 

„Das ist mein Bett“, sagte Levi und es klang wie ein Fluchen, „Mach dich gefälligst nicht so breit oder ich schmeiß dich wieder auf den Boden.“
 

Nun schien Hanji wieder voll da zu sein. Sie grinste Levi an und zwinkerte ihm frech zu.

„Gib's zu, du liebst es mit mir zu schlafen.“
 

Spätestens jetzt stand Erens Kopf gänzlich in Flammen, während er zwischen Levi und Hanji hin und herschaute, unwillkürlich ein Kopfkino abspielend.
 

In Levis Augen blitzte kurz Wut auf, doch nach einem Wimpernschlag spiegelte sich nur noch resignierte Genervtheit in ihnen und er wandte sich Eren zu.

„Red', bevor ich sie abschlachte.“
 

„Das ist aber eine ziemlich makabere Umschreibung dafür“, stellte Hanji fest, was Levi mit einem Schnauben quittierte. Er hatte ersichtlich keine Lust mehr auf Diskussionen und Eren wunderte sich, wann sich bei ihm der Hebel umlegte und Hanji tatsächlich mit einem Arschtritt rauswarf.
 

Eren wollte es nicht soweit kommen lassen und schon gar nicht der Grund dafür sein.

„Entschuldige, Hanji“, begann er, „Ich weiß, es ist unpassend, aber ich finde einfach keine Ruhe und hatte bis jetzt keine Gelegenheit...“
 

Er stockte kurz, als Hanji ihm ihren Blick schenkte und ihn wach ansah.

„Ich war gestern in Berlin“, unterbrach sie ihn, „Ich habe mit Dr. Brzenska gesprochen und mir deine Schwester angeschaut. Ich bat sie, mir die Übermittlung meiner Erkenntnisse zu überlassen.“
 

Eren schluckte und verschränkte nervös die Finger ineinander. Im Augenwinkel bemerkte er Levis Blick auf sich ruhen.
 

„Ich muss zugeben, das Charité ist ein wahnsinnig fantastisches Krankenhaus! Die haben alles dort! Sogar-“
 

„Hanji“, ertönte Levis Stimme harsch und schneidend. Es riss Hanji aus ihrer aufwallenden Euphorie und den Erinnerungen an das hochmoderne Krankenhaus im Herzen Europas.
 

Eren starrte unentwegt in ihre braunen Augen, die an Glanz verloren und an Ernst gewannen.
 

Angst strömte durch seine Adern, erfüllte ihn mit erstickender Kälte.
 

„Mikasa hatte sehr großes Glück“, fuhr Hanji mit geebneter Stimme ruhig fort, „Wie durch ein Wunder wurden keine wichtigen Hirnareale durch den Kopfschuss verletzt. Weitere Untersuchungen zeigen, dass ihre Synapsen neue Verbindungen aufgebaut haben und sich ihr Gehirn regeneriert hat. Aber das ist bestimmt nicht neu für dich.“
 

Nein, das war es nicht. Die Ärzte hatten Eren kurz nach dem Anschlag mit erstaunten Augen und preisenden Worten zu geschwafelt, was für ein gottverdammtes Wunder es war, dass die Kugel ausgerechnet in diesem Winkel in diese Tiefe eingedrungen war und nichts dagegen sprach, dass Mikasa wieder gesund wurde und ein uneingeschränktes Leben führen könnte.
 

Leere Worte. Nutzlos.
 

Verzweifelte Wut ließ Eren mit den Zähnen knirschen.
 

„Ich habe sie zusätzlich noch einmal untersucht und bin der Meinung, dass sie aufwachen kann“, erklärte Hanji.
 

„Warum-“, begehrte er auf, doch Hanji erstickte seinen Ausbruch im Keim.
 

„Ihr Gehirn hat sich über die letzten Jahre regeneriert, aber ein solches Trauma hinterlässt noch lange spuren. Sie wird aufwachen, Eren. Aber es liegt an Mikasa selbst. Ihr Körper ist bereit, aber ihre Psyche lässt es noch nicht zu. Meinem Urteil nach wäre es jedenfalls falsch an Euthanasie zu denken und ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufwacht höher. Statt 0,3% würde ich die Wahrscheinlichkeit auf 40% hoch setzen. Und mit jedem weiteren Jahr erhöht sich die Wahrscheinlichkeit um 3-10%.“
 

Wortlos starrte Eren Hanji an, das Gesicht blank und ungläubig.
 

„Das ist eine gute Nachricht, Eren“, betonte Hanji sanft.
 

„Ist Dr. Brzenska kompetent?“
 

„Ja, ist sie. Aber du darfst nicht vergessen, dass sie keine Militärärztin ist und nie erfahren hat, welche Wunder möglich sind. Im Krieg lernt man sehr eindrücklich, was möglich ist und was nicht.“
 

Eren sah schweigend zu Boden. Mikasa war nicht verloren. Sie konnte aufwachen und vermutlich ihr Leben weiterleben. Hanji war seiner Bitte nachgekommen und konnte ihm Hoffnung machen.

Was hätte er mehr erwarten können?
 

„Danke“, flüsterte Eren, ehe er Hanjis Blick suchte und mit fester Stimme fortfuhr, „Vielen Dank für Ihre Mühen. Ich stehe in Ihrer Schuld.“
 

„Pfff“, winkte sie ab, „Du schuldest mir gar nichts, ich habe das gern gemacht.“
 

„Aber-“
 

„Nichts da!“, unterbrach sie ihn, „Ich hatte eine Entschuldigung das schöne Berlin zu besuchen und mich in der Charité auszutoben.“ Sie seufzte.

„Die Militärklinik in Brüssel ist zwar schön, aber ich kann mich da kaum bewegen vor Papierkram.“
 

„Bist du dort die Oberärztin?“, fragte Levi.
 

„Nö, Chefärztin der Traumachirurgie.“
 

„Seit wann?“
 

„Schon die ganze Zeit. Ich war wegen der Ausbildung nur beurlaubt“, erklärte Hanji, „Es gefällt mir allerdings nicht sonderlich und ich hoffe, dass Erwin mich zu euch schiebt.“
 

„Bloß nicht“, murrte Levi und stieg unbekümmert an Hanji vorbei ins Bett, „Bring du Eren raus und halt dann die Schnauze.“
 

„Dir auch gute Nacht.“ Hanji rollte mit den Augen und stand auf, während sich Levi zudeckte und mit dem Gesicht zur Wand liegen blieb.
 

Eren starrte noch kurz auf seinen Rücken, ehe er sich mit leiser Stimme verabschiedete.

„Vielen Dank, Levi. Gute Nacht!“
 

Er sah eine Bewegung unter der Decke, also hatte Levi ihn gehört.
 

Hanji ging voraus und öffnete mit einem sanften Lächeln die Wohnungstür.
 

„Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.“
 

„Ach was, das ist überhaupt kein Problem“, lächelte sie. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie selbst im Bett noch ihre Brille aufgehabt hatte.
 

Für einen Moment spielte Eren mit dem Gedanken zu fragen, ob etwas zwischen ihr und Levi lief, besann sich im selben Augenblick jedoch und nickte ihr mit einem müden, aber dankbaren Lächeln zu.
 

„Gute Nacht.“
 

„Gute Nacht, Eren!“
 

*~*
 

Hanjis Anwesenheit bereitete ihm mehr Kopfschmerzen als er ertragen wollte. Allein die Aussicht, dass sie morgen wieder in den Flieger stieg, ließ ihn bei Verstand bleiben.
 

Das Schlimmste stand leider noch bevor und spielte sich vor seinen Augen ab.
 

Die Kantine hatte sich innerhalb von zwei Stunden in einen quietschbunten Tanzsaal verwandelt. Luftballons und Luftschlangen verliehen dem mit dunklem Holz ausgekleideten Saal einen lächerlich billig-kitschigen Flair.
 

Levi wusste nicht, ob er es bedenklich oder beachtenswert fand, dass Hanji die Polizisten davon überzeugen konnte Getränke zu mixen, zu kochen und bei Dekoration und Einrichtung der Musikanlage mitzuwirken. Jedenfalls hingen sich alle rein und Levi konnte seine Leute nur durch Extra-Training davon abhalten ebenfalls zur bevorstehenden Party beizutragen.
 

Selbst Keith Shadis hatte nichts gegen dieses Theater einzuwenden gehabt, schien die Abwechslung geradezu zu begrüßen.
 

Die Vorbereitungen waren abgeschlossen als die ersten von Levis Leuten nach ihrem Training die Kantine aufsuchten und mit gehöriger Überraschung den Raum begutachteten.
 

Levi hatte nichts gegen Feiern im Allgemeinen. Er hatte nur etwas dagegen, wenn man ihn darin mit einbezog. Selten genug war es seine freie Entscheidung.
 

Der Saal vibrierte vor Leben und als die Musik durch die gut platzierten Lautsprecher klang, erhöhte sich der Lärmpegel signifikant, um die Gespräche über die Musik hinweg aufrecht erhalten zu können.
 

Am liebsten würde Levi fliehen.
 

„Hast du Hanji hier irgendwo gesehen?“, fragte es links hinter ihm, worauf er grimmig sein Gesicht zu der Person drehte.
 

„Sehnsucht nach Prügel, Jäger?“
 

Erschrocken blickte ihn Eren an wie ein Welpe, den man mit erhobener Hand bedrohte. Mitte Zwanzig und in so vielerlei Hinsicht schwer ernst zu nehmen. Es erstaunte Levi immer wieder aufs Neue, dass die persönliche Hölle, durch die Eren hatte gehen müssen, verhältnismäßig wenig von seinem Wesen zerstört hatte.
 

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“
 

Eren machte es sicherlich nicht besser, aber selbst Levi konnte bei dem treudoofen Blick nicht wirklich kalt oder böse sein. Im Grunde war ihm der Umgangston auch gleich. Er verlangte lediglich Respekt und Gehorsam - beides bekam er zuhauf von Eren und den anderen.
 

„Hau ab, Jäger“, schnaubte Levi resignierend und wandte den Blick wieder nach vorne.

Er saß in der zweiten Tischreihe vor der Tanzfläche, auf welcher sich momentan noch plaudernde Grüppchen befanden und wenig Tänzer. Die Tische in der ersten Reihe waren rundherum mit Spirituosen zugedeckt, sodass die Stimmung sicherlich schnell umkippen würde.
 

Er bemerkte erst, dass Eren nicht gegangen war, als der Stuhl am Nebentisch quietschend zurückgezogen wurde. So viel zum Thema Gehorsam.
 

Er ignorierte ihn.
 

„Da bist du ja, Eren! Ich hab dir ein Sandwich mitgebracht“, rief Armin, als er sich durch die Menge und neben Eren auf den Stuhl kämpfte, der sich bedankte.

Dann warf Armin einen Blick zu ihm hinüber: „Guten Abend, Sir!“
 

Levi nickte ihm zu; nicht ohne Eren einen strengen Blick zuzuwerfen, der diesen zu Recht als Hinweis verstand, was Levi von ihm als Begrüßung erwartet hätte.
 

Ihr Blickkontakt brach ab, als er einen Mann neben sich bemerkte. Beinah automatisch wollte er sich erheben, doch die Hand auf seiner Schulter hielt ihn davon ab.

„Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen“, schmunzelte Keith Shadis, „Ist bei Ihnen noch etwas frei?“
 

„Natürlich“, sagte Levi und beobachtete Erwins Mentor, der sich ebenfalls in zivil gekleidet hatte, „Womit verdiene ich diese Ehre?“
 

Shadis lachte. Er kannte Levi und wusste, dass diese Höflichkeit seinen Sarkasmus ummantelte wie Schokolade die Scheiße.
 

Levi respektierte Shadis, doch obgleich sein Körper den militärischen Drill verinnerlicht hatte, sein Mundwerk war immer noch lose; wenn auch harmlos im Vergleich zu früheren Zeiten.
 

Sie sprachen ungezwungen über die Arbeit und die aktuelle sicherheitspolitische Lage und ehe sich Levi versah hatte sich der Saal in eine feucht-fröhliche Party verwandelt.
 

Als Schweigen einkehrte blickten Shadis und er über die Tanzfläche und beobachteten ihre Untergebenen dabei, wie sie sich zum Affen machten.
 

Hanji im Wust auszumachen war nicht sonderlich schwer. Sie hatte sich einen hübschen Polizisten gekrallt und tanzte wild mit ihm herum. Der Kerl hätte Levi leid getan, wäre er nicht froh gewesen, dass Hanji ihn nicht aus dem Gespräch mit Shadis hatte reißen wollen und statt ihn diesen Clown als Tanzopfer auserkoren hatte.
 

„Hey Eren! Armin! Los kommt!“, brüllte Connie über den Lärm hinweg, woraufhin sich Levi zu ihnen wandte, „Ihr sollt nicht den ganzen Abend rumsitzen! Kommt bewegt euch!“
 

„Ich kann nicht gut tanzen“, wiegelte Armin mit erhobenen Händen ab, während Eren grinste.
 

„Du musst wissen“, grinste Eren unheilvoll, „Armin hat nur sieben Jahre lang Ballett getanzt.“
 

„Eren!!“, schalt Armin ihn fassungslos mit hochrotem Kopf.
 

Connie starrte den blonden Mann mit kugelrunden Augen ungläubig an.

„Du hast echt Ballett getanzt? So echt mit Tutu und Strumpfhosen?“
 

„Tutu tragen Frauen, du Idiot“, erscholl Ymirs Stimme hinter Connie, die mit Historia dem Gespräch gelauscht hatte.
 

„Dann musst du erst recht mit uns tanzen!“, strahlte Historia begeistert.
 

„A-Aber ich kann doch nichts mehr und das hier ist die falsche Musik...“
 

„Egal“, meinte Connie und zerrte mit Ymir den sich vergeblich zierenden Armin vom Stuhl und schleifte ihn auf die Tanzfläche.
 

Der halb betrogene, halb Hilfe suchende Blick zu Eren, quittierte dieser mit einem Lachen und gutmütigen Augen.
 

Als Ymir mit Armin in der Menge untergetaucht war, blieb Connies Aufmerksamkeit wieder an ihm haften.

„Los, Eren! Du kommst auch nicht davon!“
 

Der hielt seinen halbvollen Getränkebecher hoch.

„Wenn ich fertig bin, komme ich nach. Versprochen.“
 

Das schien Connie zu überzeugen. Mit einem breiten Grinsen schmiss er sich keinen Moment später wieder zurück ins Geschehen.
 

„Ich werde dann wohl mal etwas zu essen suchen“, riss Shadis Levi aus seinen Beobachtungen, „Ansonsten werde ich auch noch auf die Tanzfläche gezerrt und ich bin wirklich kein Freund von diesen Single-Tänzen.“ Shadis zwinkerte ihm zu und verschwand zügig zu den hinteren Tischen.
 

Da ging sein Alibi dahin.
 

„Levi?“, fragte es diesmal bedächtig und mit einem innerlichen Seufzen wandte er sich Eren zu, der mit seinem Stuhl näher gerückt war, „Macht dir Tanzen keinen Spaß?“
 

„Seh' ich aus, als würde mir überhaupt etwas Spaß machen?“, konterte Levi in dem Vorhaben Eren zu vertreiben.
 

„Aussehen nicht“, erwiderte Eren trocken, ehe er mit diebisch blitzenden Augen fortfuhr, „Aber ich weiß, dass es ein paar Dinge gibt, die dir Freude bereiten.“
 

Das mit dem Duzen war eine wirklich schlechte Idee.
 

Levi schluckte.

„Die da wären?“, hakte er mit gelangweilter Stimme und interesselosem Gesicht nach.
 

Eren grinste, ob der dennoch gewonnen Aufmerksamkeit. Scheiß Balg.
 

„Es macht dir Spaß ziellos umher zu schwimmen, dich zu rangeln, zu lehren, an deine Grenzen zu gehen“, zählte Eren auf, „und andere aus ihrer Selbstvollkommenheit mit deiner Art auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen beziehungsweise aus der Reserve zu locken. Und das sind nur die Dinge, die mir spontan einfallen.“
 

Spätestens als Erens Augen in Triumph erstrahlten, wusste Levi, dass sich sein Erstaunen in seiner Mimik widerspiegeln musste.
 

Bemüht glättete er seine Gesichtszüge und blinzelte jegliche Emotionen aus seinen Augen.

„Vielleicht bist du nicht ganz so blind und dumm wie angenommen“, meinte er schroff und wirkungslos.
 

Warum schaute ihn dieses Balg mit so einem sanften Lächeln und warmen Augen an?!
 

Es brachte ihn regelrecht aus der Fassung.
 

Auch das schien Eren zu bemerken, denn er versteckte sein Grinsen hinter seinem Getränk, das er schnell leerte. Dann stand er auf, stellte das Glas ab und rückte seinen wie Armins Stuhl zurecht.
 

Levi wandte seinen Blick halb bewusst, innerlich über sich verärgert, auf die andere Seite des Raumes.
 

Eigentlich hätte er nicht überrascht sein dürfen. War er um ehrlich zu sein auch nicht. Trotzdem rührte er sich keinen Millimeter als er die Körperwärme spürte und der mittlerweile bekannte Geruch ihm entgegenschlug als sich Eren zu ihm herabbeugte und ihm ins Ohr flüsterte.
 

„Ich bin gespannt, ob du so gut bist wie du tust.“
 

Die Worte sickerten gerade noch rechtzeitig durch, sodass Levi Erens Zwinkern erhaschen konnte, ehe er in der Menge untertauchte.
 

Mit aufgerissenen Augen sah er ihm nach und ertappte seinen schnellen Puls und Herzschlag, woraufhin er sich mühsam zusammenriss und Arme wie Beine in leicht trotziger Manier verschränkte.
 

Wenn er diese Rotzgöre in die Finger bekam! Dem würden seine unverschämten Worte schon noch im Halse stecken bleiben!
 

Innerlich vor sich hinbrütend, vergas er für einige Zeit seine Umgebung zu beobachten. Umso mehr schreckte er auf, als sich Hanji kreischend neben ihn plumpsen ließ und sich in seine verschränkten Arme krallte.
 

„Leeeviii! Da bist du ja! Sitzt immer noch hier rum! Los komm tanzen!“
 

Seine Ohren klingelten und er verzog angewidert sein Gesicht, als ihm der süßliche Alkoholatem Hanjis entgegenschlug.
 

„Verpiss dich, Vierauge“, grollte er aufgebracht und riss seine Arme aus Hanjis Griffeln.
 

Sie schmollte umgehend und betrachtete ihn durch ihre dicken Brillengläser mit einem gekonnt niedergeschlagenen Blick.
 

Er ignorierte sie und warf stattdessen einen Blick auf die Tanzfläche.
 

Der Anblick dort verbesserte seine Stimmung nicht gerade.

„Was zum...?“
 

Hanji folgte seinem Blick und begann breit zu grinsen.

„Die sind echt gut, wa?“
 

Im direkten Vergleich war echt gut eine Untertreibung. In diesem Fall war echt gut fantastisch.
 

Zwischen den zappelnden Affen stachen einige von Levis Leuten hervor, die ihre Körper tatsächlich zur Musik bewegten und das auf eine angenehm talentierte Weise.
 

Irgendeiner schien sich eine Choreographie ausgedacht zu haben, die Mina, Connie, Sasha, Armin und Eren gemeinsam tanzten, während die anderen der ehemaligen Rekruten darüber lachten, pfiffen oder es für sich nachahmten.
 

Mina fiel es schwer im Takt zu bleiben, aber ihre Bewegungen waren fließend und sehr feminin, während Sasha überraschend leidenschaftlich wirkte und unvermutet geschickt. Connie konnte die Choreo perfekt im Takt, doch er wirkte etwas verbissen. Ihm fehlte die Leichtigkeit und Freude, die Armin und Eren ausstrahlten. Der Einfluss der Ballettschule auf Armin ließ sich nicht leugnen. Er bewegte sich leichtfüßig und natürlich. Es machte geradezu Spaß ihm beim Tanzen zuzusehen. Im Gegensatz dazu war Eren ein ungeschliffener Diamant, allerdings konnte man ihm sein Talent nicht absprechen. Er bewegte sich mit verschwenderischer Kraft und einer fesselnden Freude, die über jeden Fauxpas hinwegtäuschte.
 

Levi wollte kaum die Augen abwenden.
 

„Du schuldest mir noch einen Tanz oder mehr“, erinnerte ihn Hanji mit einem Schulterstoß in seine Seite.
 

Levi atmete tief durch. Er hatte es vor langer Zeit versprochen.

„Bringen wir's hinter uns, Brillenschlange.“
 

Vorfreudig sprang Hanji vom Stuhl und hüpfte wie ein Ball auf und ab.

„Ich geb nur schnell einen Song durch“, erklärte sie gehetzt und verschwand zu dem Kerl mit dem Tablet, der die Musikanlage steuerte.
 

Levi graute es.
 

Entsprechend griesgrämig blickte er drein, als er Hanjis Hand nahm und mit ihr auf die Tanzfläche schritt.
 

Prompt wurde ihnen Platz gemacht und jeder schenkte ihnen ihre volle Aufmerksamkeit als seien sie ein verficktes Weltwunder.
 

Er verabscheute es angegafft zu werden. Er kam sich bescheuert vor zu Hanji hochsehen zu müssen und fühlte sich noch kleiner als er ohnehin schon war. Er wollte nicht im Mittelpunkt stehen.
 

Erst als Hanji in der richtigen Position vor ihm stand, nahm er sich die Zeit ihr dunkelrotes, tiefgeschnittenes Kleid zu würdigen, das trotz seiner Nacktheit von Hanji getragen werden konnte ohne nuttig auszusehen.

„Du siehst ausnahmsweise mal wie eine Frau aus. Wie hast du aus diesen Pickeln Brüste gemacht?“
 

„Victoria's Secret, baby, Victoria's Secret. Aber du bist auch ganz passabel gekleidet“, lächelte sie mit einem schweifenden Blick über sein dunkelblaues Hemd und seiner schwarzen Stoffhose.
 

Sie sahen beide gut aus.
 

„Wenn du Trampel mir auf die Schuhe steigst, kaufst du mir neue und verbringst die Nacht auf dem Boden“, warnte er sie kurz bevor das Lied anspielte.
 

Hanji lächelte ihn lediglich an, echte rührende Freude in den braunen Augen. Dieser Anblick ließ Levi zur Ruhe kommen und sich fast gänzlich entspannen.
 

Als die Musik begann, verschwamm seine Umgebung zu einem farbenfrohen Lichtermeer und jegliche Nervosität und Unbehaglichkeit verschwand.
 

Hanji ließ sich erstaunlich leicht führen und in seinen Armen zurechtbiegen.
 

Vielleicht war es doch nicht ganz so übel wie angenommen.
 

Seinem vorsichtigen Optimismus wurde ein Dämpfer verpasst, als das nächste Lied anspielte und der einfachste Tanz hierzu - ein unkomplizierter Discofox - in einem unrhythmischen Desaster endete.
 

Hanji konnte nur tanzen, solange er sie nah bei sich hielt und sie außer ein paar Drehungen keine choreografischen Schritte machen musste. Beim Discofox konnte sie nicht mehr an ihm kleben und obwohl es ihm ein Rätsel war, schien es gerade daran zu scheitern. Der Tanz war leicht, trotzdem stellte sich Hanji auf einmal enervierend unbeholfen an.
 

„Was machst du?“, schnaubte Levi als sich Hanjis Körper mit jedem Fehltritt mehr verspannte und sich nicht mehr richtig führen ließ.
 

„Du musst mir die Schritte beibringen“, erklärte sie mit dem Blick auf ihre Füße.
 

Es wurde eine lange Nacht.
 

*~*
 

Armin war nie sehr beliebt gewesen.
 

Seine Eltern waren Naturfilmer und dementsprechend fast nie Zuhause, sodass er von seinen Großeltern väterlicherseits und seinem Opa mütterlicherseits aufgezogen worden war.
 

Er hatte eine sehr liebevolle Kindheit.
 

Mit fünf steckte ihn seine Oma in die Ballettschule und in dem Alter hatte er nichts außergewöhnliches daran gefunden. Sicher, es waren mehr Mädchen als Jungs, aber er hatte keine weiteren Gedanken daran verschwendet.
 

Erst in der Grundschule begannen allmählich die Hänseleien und wurden mit jedem Jahr heftiger.

Dafür gab es mehrere Gründe.

Er war der Lehrerliebling, weil er so wissbegierig war und das Lernen liebte.

Seine Oma zog ihm immer die alten Klamotten seines Vaters an, um zu sparen und ließ ihm die Haare für einen Jungen seines Alters sehr unvorteilhaft schneiden.

Hinzu kam seine extrem zierliche Statur und die Tatsache, dass er im Ballett tanzte.

Und mit jeder Schikane verlor er ein Stück mehr Selbstvertrauen und die paar Freunde, die er aus Kindergartenzeiten noch hatte.
 

Als er ins Gymnasium kam, war er ganz alleine und der fröhliche Junge, den seine Großeltern kannten, existierte nur mehr zum Schein. Sie waren gute Menschen mit guten Intentionen, er wollte sie nicht traurig machen und sie mit seinem Kummer belasten.

Tragischerweise durchschauten sie ihn auch nicht.
 

Sein Rücken war das Erste, das Armin von Eren sah, als der einem der Jungen einen Kinnhaken verpasste.
 

Wie immer wollten ihn drei Jungs aus seiner Klasse aufmischen, doch an diesem Tag bekam er wütende Unterstützung von zwei Waisenkindern, die so schnell und endgültig seine besten Freunde wurden, dass Armin heute noch manchmal innehielt und dem Schicksal für diese Fügung dankte.
 

Diese Freundschaft hatte sein Leben verändert. Sie hatte ihn unvergleichlich stärker gemacht.
 

Armin hatte sich freiwillig und aus Überzeugung an der Polizeiakademie gemeldet und bereute diese Entscheidung nie, obgleich besonders Eren nicht glauben konnte, dass er mit seiner Berufswahl vollends zufrieden war. Das war er. Er wollte den Schwächeren helfen und als Kriminalpolizist war es ihm zusammen mit Eren möglich gewesen.

Seinen anderweitigen intellektuellen Interessen konnte er mit unzähligen Sachbüchern in seiner Freizeit frönen.
 

Er hatte begriffen, dass Eren ohne ihn den beinahe-Verlust Mikasas nicht überstanden hätte. Armin war sein einziger Freund und Erens damalige feste Freundin hatte Erens Zusammenbruch nicht ertragen können. Sie hatte ihn verlassen, doch diese egoistische Tat war von Eren kaum zur Kenntnis genommen worden.
 

Egal wie schrecklich die Zeit gewesen sein mochte und obwohl der Alptraum noch anhielt, hatte sich Armin nicht ein einziges Mal für die Misere bemitleidet, in die ihn ihre Freundschaft gebracht hatte. Es war ihm ein Rätsel, wie man einen wichtigen Menschen im Stich lassen konnte.
 

Irgendwann hatte Eren wieder begonnen zu kämpfen und obwohl es ein gefährlicher Pfad war, auf den er sich begeben hatte, war Armin froh.
 

Nach misslungener Bewerbung bei der SEK hatten sie es nun beide bei der ESE geschafft und waren auf dem besten Weg für mehr Sicherheit in Europa zu sorgen. Armin hoffte inständig, dass sich Erens Vergeltungswunsch auf diese Weise in geordneten Bahnen verwirklichen ließ.
 

Glücklicherweise schien Eren in General-Leutnant Rivaille jemanden gefunden zu haben, der seine Fähigkeiten erkannte und ihn entsprechend fördern konnte.
 

Armin wäre ein Schwachkopf, wenn er nicht erkannt hätte, dass das Verhältnis zwischen Rivaille und Eren über eine gewöhnliche Lehrer-Schüler-Beziehung hinausging.
 

In der Gruppe bemerkte man nichts, aber das verbarg ihre gegenseitige Sympathie vor Armin nicht mehr. Erens Erzählungen von ihren Trainingseinheiten waren das eine, doch seit Armin mit Rivaille bei ihrem Ausflug nach München ein wenig gesprochen hatte, war ihm die Natur ihres Verhältnisses klar geworden.
 

Armin hatte keinen Zugriff auf Akten über Rivaille. Er wusste so gut wie nichts über den Mann und ohne Shadis' Worte wüsste er bis heute kaum mehr als das, was er am Anfang der Ausbildung Eren erzählt hatte. Es gab immer noch unzählig ungeklärte Fragen, aber sie hatten mittlerweile alle genügend Vertrauen, um Rivaille vorbehaltlos zu folgen. Seine Kompetenzen waren unleugbar.
 

Es bereitete ihm mithin weder Sorgen, wenn er Erens Umgang mit Rivaille beobachtete, noch hatte er Bedenken, dass Eren eine Freundschaft zu ihm schaden könnte.
 

Allerdings musste sich Armin an diesem Abend wundern, als er mit Eren und den anderen Rivaille beim Tanzen beobachtete.
 

Sie starrten ihren Vorgesetzten alle an wie das achte Weltwunder, als er mit Generaloberstabsärztin Zoë tanzte wie es kein Profitänzer besser hätte machen können. Was Bewegungsabläufe jeglicher Art anging, schien Rivaille seinesgleichen zu suchen.
 

Selbst als er sich gezwungen sah Zoë verschiedene Schrittfolgen beizubringen, konnten sie ihre Blicke nicht abwenden.
 

„Gibt es überhaupt etwas, was er nicht kann?“, murrte Jean neben Armin, woraufhin ihm Marco einen seelenvollen Blick zuwarf.
 

„Manche Menschen haben eben mehr Talente in die Wiege gelegt bekommen.“
 

„Wenigstens ist er nicht auch noch groß und gutaussehend.“
 

„Wieso? Fühlst du dich etwa bedroht, Jean?“, triezte ihn Ymir.
 

„Pfft, wieso sollte ich?“
 

„Da würde mir an deiner Stelle einiges einfallen“, mischte sich Eren ein und kassierte prompt einen heißblütigen Blick.
 

„Bitte nicht streiten“, griff Armin beherzt ein, „Komm, Eren!“
 

Widerstandslos ließ sich Eren von ihm zu den Tischen ziehen, wo sie sich etwas zu trinken suchten.
 

Nachdem sich Armin auf der Suche nach etwas nicht über die Maßen Alkoholhaltiges mit einer Vodka-Cola abfinden musste, sah er zu Eren, der mit funkelnden Augen zu Rivaille und Zoë blickte.
 

„Was denkst du?“, riss Armin seinen Freund aus den Gedanken, der ihm fast umgehend ein leicht bedröppeltes Lächeln zuwarf.
 

„Ich denke, dass ich ziemlich verkackt habe.“
 

„Warum denn das?“
 

Eren grinste ihn verschwörerisch an.

„Weil es sein könnte, dass ich Levi vorhin ziemlich provoziert habe und mich meine eigene Courage nun droht in den Arsch zu beißen.“
 

„Wäre nicht das erste Mal“, entgegnete Armin unverblümt, „Aber was hast du diesmal gemacht und warum wurdest du noch nicht zum Extra-Training geschickt?“
 

Seit Ausbildungsabschluss hatte Eren keine gesonderten Aufeinandertreffen mit Rivaille mehr, sodass er auch keine Gelegenheit mehr hatte sich in die Nesseln zu setzen. Es war jedoch unübersehbar, dass Eren, von einer innerlichen Unruhe ergriffen, nur darauf wartete ihrem Vorgesetzten eine Reaktion zu entlocken.
 

Er war schon immer auf Zoff aus, wenn er jemanden nicht respektierte.
 

Das Problem war vorliegend, dass Eren Rivaille durchaus respektierte - mehr noch bewunderte. Vermutlich gerade deswegen war er so erpicht darauf von ihm wahrgenommen zu werden.
 

Armin hatte ihre Dynamik noch nicht recht durchschaut, aber Rivaille schien Eren nicht gerade darin zu entmutigen ihn ständig herausfordern zu wollen, obwohl Armin durchaus bemerkt hatte, dass er eher eine Distanz zu Eren aufrecht erhalten wollte.
 

Tja, Pech, dachte sich Armin, Rivaille hatte sich mit Erens Sturheit verkalkuliert, wenn er meinte, dass er Eren so schnell wieder los wurde.
 

„Ich habe ihm quasi unterstellt, er könne nicht tanzen und dass er doch zeigen soll, dass nicht alles Lug und Trug ist“, erwiderte Eren mit einem verlegenen Grinsen, „Na ja, nicht direkt mit diesen Worten, aber gefühlt kommt es hin.“
 

Armin betrachtete ihn mit großen Augen und sah dann erneut zur Tanzfläche, wo Rivaille gerade mit Zoë den erfolgreich beigebrachten Discofox tanzte, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan.
 

Pures Amüsement sickerte in seine Stimme, als er Eren angrinste.

„Das war wohl ein gründlicher Schuss in den Ofen.“
 

„Haha“, Eren verzog missmutig das Gesicht und fuhr sich peinlich berührt durch die Haare, „Soviel habe ich auch herausgefunden.“
 

„Ich würde sagen, genieß den Anblick und hoffe, dass er keine Lust hat nochmal auf dich zurückzukommen“, schlug Armin lächelnd vor und legte Eren eine Hand auf den Oberarm.
 

Den hitzigen Blick, den er kassierte, hatte er nicht erwartet.

„Oh nein, das ist noch nicht zu Ende!“
 

Armin runzelte die Stirn, ob Erens Unheil versprechendem Grinsen und schalkhaft leuchtenden Augen. Ein Seitenblick auf Erens Getränk verriet puren Tequila, allerdings hätte er sich im nüchternen Zustand wohl ebenso enthusiastisch den Strick um den Hals gelegt.
 

„Eren“, begann Armin mit warnender Stimme, doch der schüttelte seine Hand ab und kippte den Rest des doppelten Tequila runter, ehe er mit einem frechen Zwinkern zurück zur Tanzfläche schritt.
 

Armin barg sein Gesicht kurz in der Hand.
 

Manchmal war Eren immer noch dieser heillose Unruhestifter, den Armin vor all diesen Jahren kennengelernt hatte.
 

Was hatte Mikasa ihm damals geraten?
 

„Manchmal muss man ihn mit dem Kopf gegen die Wand laufen lassen. Egal was wir machen, er tut's sowieso. Wir können ihm danach nur mit vorwurfsvollen Blicken den Kopf verbinden. Besser wird er es nie verstehen.“
 

*~*
 

Nach dem ersten Schock begannen die Leute selbst wieder zu tanzen, statt Levi und Hanji anzustarren und auch Eren fischte sich erfolgreich Historia heraus.
 

Er hatte zwar nicht viel Ahnung von lateinamerikanischen Tänzen, glücklicherweise war Historia jedoch auch nur darauf aus Spaß zu haben, sodass sie ihr Unwissen mit irgendwelchen Albernheiten überbrückten.
 

Nach einiger Zeit landeten sie in der Nähe ihrer ehemaligen Ausbilder und ahmten ihre Schritte relativ erfolgreich nach.
 

Fieberhaft suchte Eren nach einer Möglichkeit von Levi bemerkt zu werden, der seine Existenz nicht einmal wahrzunehmen schien.
 

Es dürstete ihn nach all der Zeit, in der ihm Levi möglichst aus dem Weg gegangen war, regelrecht nach einer Interaktion, sei es nur um wegen seiner Frechheit bestraft zu werden.
 

Eren machte sich keine großen Gedanken um sein penetrantes, pubertäres Verhalten. Es war nicht das erste Mal in seinem Leben, dass er zweifelhafte Entscheidungen traf. Die Tatsache, dass bisher fast immer etwas Gutes dabei herausgekommen war, verminderte seine Traute nicht gerade.
 

„Soll ich mal fragen, ob wir die Partner tauschen können?“
 

Überrascht blickte er zu Historia hinab, die ihm mit geröteten Wangen, glänzenden Augen und einem verschwörerischen Grinsen zuzwinkerte. Sie war eine wunderschöne, zierliche Frau, aber Eren hatte nie etwas an ihrem Charakter finden können. Betrunken jedoch, wurde sie ihm schlagartig sympathisch.
 

„Traust du dich mit Levi zu tanzen?“
 

„Mehr als abservieren wird er mich schon nicht“, grinste sie mit dem Selbstverständnis einer schönen Frau. Anscheinend hatte sie ihre Unsicherheiten ertränkt.
 

„Okay, ich versuche es.“
 

Historia schüttelte mit dem Kopf.

„Nein, nein“, winkte sie ab, „Ich frage lieber.“
 

So schnell konnte Eren nicht gucken, ließ ihn Historia stehen und trat zu dem tanzenden Paar, das überrascht inne hielt.
 

„Entschuldigung, dürfte ich mal mit Ihnen tauschen, Frau Zoë?“ Historia lächelte so süß und gewinnend, dass selbst Levi vermutlich nicht einfach „Nein“ sagen konnte.
 

Hanji strahlte die kleinere Frau blendend an und schmiegte sich enthusiastisch an Levi, nachdem sie Eren einen kurzen Blick zuwarf.
 

„Jaaa, das ist eine guuute Idee“, grinste sie und ließ Levi dann mit einem schnellen Wangenkuss stehen.
 

Eren traute sich kaum ihm ins Gesicht zu sehen, er konnte sich den mörderischen Blick auch so gut genug vorstellen. Keine Sekunde später hatte er braune Haare vor der Nase.
 

„Also dann, schöner Mann“, gluckste Hanji, „Lass uns das Tanzbein schwingen!“
 

*~*
 

Es war angenehm mit Historia zu tanzen. Sie war talentiert und ließ sich leicht führen, außerdem war es angenehm zur Abwechslung mal runter sehen zu müssen, um jemandem in die Augen sehen zu können.
 

Mit der Zeit wurden ihm die Standardtänze langweilig und er müde. Levi tanzte am liebsten frei nach Gefühl, aber hierfür fehlte ihm die innere Ruhe, sodass er Historia nach fünf Tänzen zu den Tischen führte, wo sich ihre Wege trennten. Die hübsche Frau ging sofort zu Ymir, die sie grinsend in eine liebevolle Umarmung schloss und etwas ins Ohr flüsterte.
 

Levi hatte sich bereits gedacht, dass die Zwei ein Paar waren.
 

Anschließend schweifte sein Blick zu Hanji, die sich gerade an Eren presste, welcher sich fieberhaft bemühte korrekt zu tanzen. Es war ein lächerlicher Anblick.
 

Er wandte sich ab und suchte vergeblich nach einem alkoholfreien Getränk zur Erfrischung. Es stellte sich heraus, dass Bier das nächste an Wasser war, das er auftreiben konnte. Natürlich hätte Levi auch einfach gehen können und es sich in seinem Appartement gemütlich machen können.
 

Eren hielt ihn hier. Das zwischen ihnen war noch nicht geklärt. Er wartete nur noch auf eine Gelegenheit dem frechen Balg eine Lektion zu erteilen.
 

Die sollte auch prompt kommen.
 

Keine zehn Minuten später gab Hanji auf und verschwand wohl aufs Klo, denn Eren stand alsbald neben ihm und schenkte sich ebenfalls eine halbe Maß ein. Er kippte das Bier schneller runter als gesund sein konnte und ein paar Tropfen rannen Eren am Kinn hinunter, was Levi angewidert zur Kenntnis nahm.
 

„Wir sind nicht im Schweinestall, Jäger“, kommentierte er mit gerümpfter Nase.
 

Eren stellte den fast leeren Krug neben sich ab und wischte sich wenig elegant mit dem Handrücken übers Kinn.
 

„Du bist ekelhaft.“
 

Eren lachte und wandte sich nun zu ihm. Seine seegrünen Augen glänzten erschöpft, beschwipst und unerlässlich schalkhaft.

„Ich muss nachher sowieso duschen. Ich bin völlig durchgeschwitzt.“
 

Levi wusste nicht, ob es Absicht war oder unbewusstes Beiwerk zu seinen Worten, aber er kam nicht umhin Erens Hand zu folgen, als er sein dunkelgraues Hemd etwas aufknöpfte.
 

„Kein Wunder, dass dir bei dieser jämmerlichen Performance heiß wird.“
 

„Dafür, dass ich sowas nie getanzt habe, fand ich mich ganz gut.“
 

Das überraschte Levi ein bisschen.

„Nie?“
 

„Nein“, schmunzelte Eren, „Ich habe nur ein wenig aus Jux mit Armin getanzt, als er für sein Ballett üben musste. Das ist aber auch lange her.“
 

„Also kennst du sonst nur das Club-Gehopse.“
 

„Könnte man so sagen“, sinnierte Eren kurz, ehe er ihm wieder direkt in die Augen blickte, „Aber wann hast du diese ganzen Tänze gelernt?“
 

Das war er. Der Moment der Abrechnung.
 

Es war Levi wohl am Gesicht abzulesen, denn Erens Augen weiteten sich und er schluckte verschüchtert.
 

„Du elendiges Balg“, grollte Levi finster, „Wie war das vorhin?“
 

Er durchbohrte Eren mit seinem Blick abwartend, der ihn wie versteinert anstarrte und nicht zu begreifen schien.
 

„Wiederhole, was du bei unserem letzten Gespräch am Ende gesagt hast“, befahl Levi.
 

Eren blinzelte unbehaglich, hielt den Augenkontakt jedoch.

„Ähm,... sowas wie „Zeig mir was du kannst“... .“
 

Barsch griff Levi nach Erens Kragen, wobei er fast Knöpfe ausriss, zog ihn auf Augenhöhe und so nah, dass er seinen Atem im Gesicht spüren konnte.
 

„Ich zeige dir, was ich kann. Als dein Boss kann ich dich jetzt sofort in den Trainingsraum schicken und dich erst zum Frühstück wieder abholen.“ Er meinte jedes Wort ernst. Eren schien das nicht zu begreifen.
 

„Tust du das auch?“, flüsterte Eren zaghaft.
 

Für einen Moment wusste Levi auf Erens dämliche Frechheit keine Antwort. Das Balg musste die Lektion begreifen, er musste wissen, dass es um Autorität und Benimm ging. Dass er nicht per se so leger mit Levi sprechen konnte und einen gewissen Abstand zu wahren hatte.
 

Es war zwar mit halbherzigem Ernst, aber das merkte Eren nicht, als Levis Augen jeglichen Ausdruck verloren.

„Du wirst jetzt trainieren gehen, Jäger. Ich will dich am Morgen an den Geräten schuften sehen, wenn ich dich abhole.“
 

Erens Augen weiteten sich ein wenig mehr und er öffnete ungläubig den Mund. Warmer Atem streifte Levis Wange, während er wie eine Statue verharrte.
 

„Du meinst das ernst“, realisierte Eren schlussendlich.
 

„Natürlich meine ich das ernst“, fuhr Levi ihn an und schob ihn grob von sich. Durch die Wucht strauchelte Eren kurz, doch anstatt die Beine in die Hand zu nehmen, starrte ihn Eren nochmal blinzelnd an.
 

Erst als Levi einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu tat, schien Eren seine Situation zu begreifen und sprang geradezu über den im Weg stehenden Stuhl und floh.
 

Mit einer verhängnisvollen Mischung aus Verärgerung und Belustigung sah Levi ihm nach.
 

Er musste die Grenzen nichtsdestotrotz besser abstecken. Eren wurde ihm zu wagemutig - auch wenn nur unter vier Augen.
 

„Strippst du jetzt für mich?!“, brüllte es ihm plötzlich ins Ohr und Hanjis Arme legten sich von hinten über seine Schultern.
 

Soviel zu abgesteckten Grenzen...
 

***
 

Nach einer Stunde Schlaf und einer halben Stunde heißem Duschens davor und danach ging Levi zu den großen Trainingsräumen, die kein Sportlerherz zu enttäuschen vermochten.
 

Levi mochte sich nicht vorstellen was für Unsummen hier hineingesteckt worden waren. Für jemanden, der seinen Körper im Alltag auf den Straßen Bangkoks gestählt hatte und für den eine Hantel aus alten Bremsscheiben bestand, waren diese technischen Wundergeräte zwar nützliche, aber hoffnungslos überteuerte und übertechnisierte Spielzeuge.
 

Es war mucksmäuschenstill und man konnte nicht wirklich von Überraschung sprechen, als er Eren auf einer Flachbank schlafend liegend vorfand. Er trug Trainingsshorts und lag mit dem nackten Oberkörper auf einem ausgewaschenem Handtuch, das mittlerweile mehr rosa als rot war.
 

Levi stellte sich ans Kopfende und stützte sich mit den Unterarmen auf der Langhantelstange ab. Er musterte Eren, der schlafend halb unter ihm lag. Er sah so viel jünger aus als sich Levi je gefühlt hatte. Und schön.
 

„Eren.“
 

Das weich ausgesprochene Wort reichte, um Eren wie von der Tarantel gestochen aufsitzen zu lassen und nur Dank seiner herausragenden Reflexe verhinderte Levi, dass sie schmerzhaft mit den Köpfen aufeinander stießen.
 

Irritiert blinzelte Eren die Verwirrungen des Schlafes fort und blickte automatisch als erstes auf die Hand an seiner linken Schulter, die ihn davon abhielt sich ganz aufzusetzen. Seine Augen folgten dem dazugehörigen Arm und wanderte schließlich zu Levis Gesicht. Er blinzelte erneut, Erkenntnis die seegrünen Augen weitend. Dann ließ sich Eren stöhnend zurücksinken.
 

Levi fiel die Hitze von Erens Haut erst auf, als sie unter seiner Hand verschwand. Mit hochgezogener Augenbraue verschränkte er seine Hände und stützte sich wieder auf der Stange über Eren ab.
 

„Wie spät ist es?“, raunte Eren mit vom Schlaf heiserer Stimme und barg das Gesicht in den Händen.
 

„Sieben. Um halb neun gibt es Frühstück.“
 

Erneut stöhnte Eren auf.

„Dann habe ich jetzt ungefähr eine halbe Stunde geschlafen“, nuschelte er, ehe er zwischen seinen Fingern zu Levi hoch schielte, „Es war nicht mehr. Ehrlich. Ich hab trainiert.“
 

„Hmm“, machte Levi. Er glaubte ihm.
 

Scheinbar beruhigt nahm Eren seine Hände vom Gesicht und betrachtete Levi mit sichtlicher Neugier in den faszinierenden Augen, in denen Levi sich länger verfing als ihm bewusst war.
 

Erens Gähnen unterbrach ihren Blickkontakt jäh und ein Frösteln ging durch seinen halbnackten Körper.
 

„Du solltest jetzt in dein Appartement zurückgehen und dich fertig machen. Du wirst nur wieder krank, wenn du hier liegen bleibst“, befahl Levi mit unmerklich atemloser Stimme.
 

Eren nickte und schob sich von der Hantelbank. Dann verzogen sich seine Lippen jedoch zu einem schelmischen Grinsen.
 

„Bekomme ich dann wieder Extratraining mit dir, wenn ich krank werde?“
 

„Ich gebe dir gleich einen Arschtritt“, versprach ihm Levi dunkel, aber mit reichlich ineffektiv amüsiert blitzenden Augen.
 

Eren packte glucksend seine Sachen und rannte verspielt mit einem kecken Grinsen aus dem Raum.
 

Levi erwiderte dieses Theater mit einem ehrlichen Schmunzeln.
 

Es war wohl zu spät.

Er konnte nicht mehr verhindern, dass sich Eren in die überschaubare Reihe ihm wichtiger Menschen dazugesellte.
 

Und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte er kein schlechtes Gefühl deswegen.
 

*~*
 

Eren hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, warum Levi aufhörte gezielt von ihm Abstand zu halten. Ehrlich gesagt war es ihm auch genauso egal, solange er öfter mit ihm sprechen und trainieren konnte.
 

Und das taten sie. Fast jeden Abend vorm Schlafen gehen liefen sie eine Stunde lang draußen um den Block oder bei schlechtem Wetter auf dem Band, bevor sie anschließend zwanzig Minuten in der Sauna ausspannten.
 

Ganz langsam traute sich Eren ihr Verhältnis als freundschaftlich zu bezeichnen und er liebte es!
 

Dieses Jahr hatten sie vom 23. bis 29. Dezember frei, sodass Eren zwar mit Armin nach Berlin zu Mikasa flog, allerdings am 24. wieder zurück nach Paris anstatt zu den Alerts'.

Jeans familiäre Situation schien sich übers Jahr auch nicht gebessert zu haben, glücklicherweise nahm Marco ihn jedoch mit zu seiner Familie.
 

Dies ließ Eren wieder alleine mit Levi, Hanji, Erwin und Mike zurück, die zu Besuch gekommen waren und diesmal gelang es ihnen gemeinsam Levi davon abzuhalten sich an seinem Geburtstag aus dem Staub zu machen.
 

Eren kochte und hielt Hanji davon ab die kaum frequentierte Kantine auf den Kopf zu stellen. Gänzlich verhindern konnte er ihre Dekoration nicht, sodass alsbald unzählige Luftballons durch die Gegend flogen und Konfetti ihren Esstisch und den Boden drum herum bedeckte.
 

Es war erstaunlich in welcher Geschwindigkeit Hanji Ballons aufblasen konnte, ohne ohnmächtig zu werden.
 

Erwin und Mike hielten Levi mit Gesprächen und Kartenspielen auf Trab, um eine Flucht zu verhindern; obschon Eren nicht den Eindruck hatte, dass Levi ernsthaft versuchen würde abzuhauen.
 

In den späten Abendstunden saßen sie alleine in der Kantine und Eren räumte in der anschließenden Küche gerade die Spülmaschine aus, als er Hanji rufen hörte.
 

„Ja?“ Er schaute um die Ecke zur Tür, wo Hanji stand, während er sich die Hände mit einem Geschirrtuch abtrocknete.
 

„Komm mal her, ich muss dir was zeigen“, grinste Hanji und obwohl ihm Böses schwante, ging er zurückhaltend auf sie zu.
 

Er warf einen Blick hinter sie, doch die drei Männer schienen weiterhin zu pokern und sie nicht zu beachten. Vielleicht war es doch keine Falle.
 

Mit selbstbewussteren Schritten überbrückte er ihren Abstand und stellte sich vor Hanji.

„Was willst du mir denn zeigen?“
 

Wortlos deutete sie mit dem rechten Zeigefinger über ihre Köpfe. Im Augenwinkel bemerkte er wie sich die anderen in ihren Stühlen drehten, um zu ihnen zu sehen. Vielleicht war Eren deswegen wenig überrascht, als er über sich einen Mistelzweig baumeln sah.
 

„Und?“, wandte er sich wieder zur glucksenden Hanji, die ihn daraufhin anstrahlte.
 

„Das ist ein Mistelzweig“, erklärte sie begeistert.
 

„Und?“ Seine Passivität erzeugte leises Gelächter bei Mike und Erwin. Selbst Levi hatte sich in seinem Stuhl schräg gesetzt und beobachtete ihn mit amüsiert blitzenden Augen.
 

„Und wir beide stehen unter dem Türrahmen, an dem er hängt. Dem Brauch gemäß musst du mich nun auf den Mund küssen. Richtig“, grinste Hanji unbeirrt und deutete von seinen Lippen auf die ihren. Rot glänzend und fein geschwungen.
 

Sie mussten Wetten abgeschlossen haben. Es war albern. Und eigentlich war Eren dem Gedanken nicht abgeneigt sie zu küssen, aber er wollte es ihnen nicht allzu leicht machen.
 

„Hmm“, machte Eren gespielt nachdenklich, „Wäre es nicht unpassend, wenn ich dich küsse?“
 

„Nö, ich bin weder deine Ausbilderin noch Vorgesetzte“, zwinkerte Hanji ihm zu.
 

Er bemerkte, wie sich Mike und Erwin einen bedeutungsvollen Blick zuwarfen. Sie hatten wohl dagegen gewettet und glaubten, Eren würde kneifen. Levis Standpunkt blieb ihm schleierhaft, da er ihn lediglich unbewegt beobachtete. Ihm schien das Geschehen an sich und nicht das Ergebnis zu interessieren.
 

Eren sah wieder in Hanjis Gesicht.

„Stimmt“, meinte er sachlich, ging den letzten Schritt vorwärts, fasste Hanji um Taille und Schulterblätter und schwang sie seitlich nach hinten, wobei sie überrascht aufquietschte und ihre Arme automatisch um seinen Nacken schlang.
 

Ihre Lippen berührten sich, als Hanji ihre Überraschung erstaunlich schnell überwunden hatte, in einem sanften, nachdrücklichen Kuss. Hanjis Lippen fühlten sich etwas feucht vom Lippenstift an und waren weich. Auch ohne Zunge konnte Eren spüren, dass er gerade jemanden küsste, der darin viel Erfahrung hatte. Es war schön, aber Hanji mit der Zeit zu schwer und seine Arme von dem langen Tag zu müde, um den Kuss vor ihren Zuschauern weiter aufrecht zu erhalten.
 

Mike pfiff, während Erwin lachte und klatschte. Levi starrte sie unbewegt an.
 

Eren hob Hanji wieder auf ihre Füße, die ihn strahlend anlächelte.

„Wow, Eren“, grinste sie und tätschelte seine Schultern, auf denen ihre Hände noch lagen, „Respekt! So einen buchstäblich filmreifen Kuss hatte ich noch nie! Von wegen Jungfrau hier.“
 

Nun wurde ihm doch noch heiß und die Schamröte begann in seinen Wangen zu brennen.
 

„Willst du das Letzte vielleicht nicht doch noch revidieren?“, kommentierte Levi schonungslos sein feuerrotes Gesicht, woraufhin Eren ihm einen hitzigen Blick zuwarf.
 

„Oha! Vorsicht, Levi. Bissig“, scherzte Mike, was jener mit einem „Tch“ abtat.
 

Gutmütig tätschelte ihm Hanji abermals auf die Schulter und trat einen Schritt zurück.

„Ich krieg 100 € von euch!“
 

Kopfschüttelnd, aber amüsiert griffen die blonden Männer nach ihren Geldbörsen.
 

„Wir hätten es wie Levi machen und nicht wetten sollen“, seufzte Mike und legte einen 50er auf den Tisch.
 

Erwin tat es ihm gleich, schmunzelte Mike jedoch nur an.
 

„Und? Bist du jetzt fürs Leben gezeichnet?“, fragte Levi trocken an Eren gewandt, wofür er ein empörtes Schnaufen von Hanji kassierte, die sie beide ignorierten.
 

„Keineswegs. Irgendwie muss man ja in der Übung bleiben.“
 

„Waaas? Was bin ich? Ein Übungsgerät?“
 

Eren schenkte Hanji ein reumütiges Lächeln, das mit seinen schalkhaften Augen in zu großem Kontrast stand, um annähernd ernst genommen zu werden.
 

„Komm! Setz' dich zu uns, Eren!“, winkte ihn Mike gut gelaunt heran.
 

Eren und Hanji setzten sich neben Levi und mithin vor Erwin und Mike, die die Karten beiseite gelegt haben und ihn nun neugierig ansahen.
 

„Also Eren? Wie ist das mit dir und der Liebe? Gibt es da jemanden?“, fragte Mike geradeheraus, was Eren ihn mit großen Augen anstarren ließ.
 

„Du musst dieser Saufnase nicht antworten, Eren“, versicherte ihm Levi neben ihm, bevor er einen Schluck Whiskey trank, dabei das Glas umständlich von oben haltend.
 

Eren lächelte Levi kurz an, ehe er sich wieder Mike zuwandte.

„Schon in Ordnung. Nein, ich hatte nie viel Erfolg in der Liebe.“
 

„Och, wieso das denn? Du bist doch so ein Süßer“, schwärmte Hanji und begutachtete ihn eingehend.
 

„Ich sage ja nicht, dass ich nicht angeschaut wurde“, erklärte Eren, „Es war halt nur keine dabei für die ich auch etwas übrig hatte.“
 

„Bist du asexuell?“, bohrte Hanji nach und rückte ihm mit ihrem Gesicht musternd auf den Pelz, wobei ihre Brillengläser das dämmrige Licht reflektierten.
 

„Äh, nein.“ So ganz wohl fühlte sich Eren nicht unter ihrem Blick.
 

„Aber keine One-Night-Stands?“, wollte Mike jetzt auch noch wissen.
 

„Nein.“
 

„Aber Jungfrau bist du auch keine mehr.“
 

„Nein“, brachte Eren zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
 

„Wie alt warst du bei deinem letzten Partner?“
 

„Zwanzig.“
 

„Pfft.“
 

Sein Kopf schnellte zu Levi, der ihn belustigt betrachtete, doch schwieg.
 

„Und wie lange wart ihr zusammen“, hakte Hanji wieder nach.
 

„Ein gutes Jahr“, und bevor sie nochmal fragten, „Sie war meine erste und bis dato letzte Freundin. Ich hatte nach dem Anschlag auf Mikasa keinen Nerv für Romantik.“
 

„Aber wie kommst du so lange ohne Sex aus?“ Mike sah ihn ehrlich überrascht an.
 

„Du tust so, als hättest du nie Trockenphasen erlebt“, konstatierte Hanji mit zu Schlitzen verengten Augen, die es besser wussten.
 

„Keine ONS, seit sechs Jahren keine Freundin und nicht asexuell“, zählte Mike auf und wäre Eren nicht oft genug blöd angeredet worden, wäre es ihm sicherlich todpeinlich. Nun empfand er nur abwartende Spannung, wo das hinführen sollte.

„So lange habe ich es bisher nicht aushalten müssen und ich bin bei Leibe kein Schwerenöter“, schloss Mike.
 

„Was ist eigentlich aus Nanaba geworden? Ich hab euch immer zu Zweit in Erinnerung“, ertönte Levis ruhige Stimme wie kühles Wasserrauschen neben Eren. Ihm lief es beinahe warm über den Rücken und es schauderte in seinem Bauch als sei er nervös.
 

„Wir waren auch sowas wie Highschool-Sweethearts, aber nach dem Krieg entschied sie sich zurück zu ihren Eltern zu ziehen und im regionalen Krankenhaus zu arbeiten. Da ich das Militär nicht verlassen wollte, haben wir uns getrennt. Seitdem hatte ich nur kurzlebige Beziehungen. Man kann sich nach so einer langen Beziehung nicht so leicht an jemand anderen gewöhnen.“
 

Hanji winkte ab und verschränkte überzeugt die Arme vor der Brust, nur um sie in der nächsten Sekunde über die Rückenlehne ihres Stuhles zu werfen.

„Ach, das kommt darauf an, wen du triffst.“
 

„Hattest du überhaupt mal eine Beziehung, die länger als drei Wochen Bestand hatte?“ Mike beäugte sie kritisch, er hatte sich bereits eine Meinung über sie gebildet.
 

„Ich hatte noch nie eine Beziehung, nur mehrere Liebesaffären über längere Zeiträume. Fast zwei Jahre hatte ich den einen“, sagte Hanji als würde sie über das Wetter sprechen. Eren bewunderte ihre Selbstsicherheit. Sie schien mit sich im Reinen zu sein und keinen feuchten Dreck auf die Meinung anderer zu geben. Anders als Eren, der sich immer noch angegriffen fühlte, wenn man ihm seine überschaubaren romantischen Erfahrungen unter die Nase rieb.
 

„Waren es wirklich Liebesaffären?“, sprach Erwin zum ersten Mal und betrachtete Hanji gutmütig.
 

„Ich hab meine Liebhaber immer sehr gern gemocht. Es war jetzt nicht diese Liebe, von der sie in Romanen schreiben, eher ein Lieb haben... Es war schön und unkompliziert.“
 

„Hm“, nickte Erwin verständnisvoll, während Mike nachhakte.
 

„Aber jetzt hast du niemanden?“
 

„Nein“, antwortete sie und wandte ihren Kopf schelmisch grinsend zu ihm und Levi, „Levi will ja nicht.“
 

Der schnaubte und warf ihr einen kühlen Blick zu.
 

„Dabei hab ich's wirklich versucht“, schmollte sie.
 

„Du hast den Charme eines räudigen Elches.“
 

„Aw! Würdest du auch einen räudigen Elch in deinem Bett schlafen lassen?“
 

Levi wandte sich mit einem „Tch“ ab und trank einen weiteren Schluck Whiskey.
 

„Na, Eren!“, stürzte sich Hanji stattdessen auf ihn, „Was hältst du davon mit mir zu schlafen?“
 

„W-Was?“ Er starrte Hanji fassungslos, stocksteif und mit brennenden Wangen an. Sie lächelte vergnügt, ihre Augen meinten es ernst.
 

Durch das Rauschen seiner Ohren hörte er zwar Mike und Erwin schmunzeln, er hatte jedoch nur Augen für die hübsche, nett-verrückte Frau neben sich.
 

„Danke, aber wir haben ja gründlich erörtert, dass ich nicht viel Erfahrung habe“, er sah wie Hanji die Lippen zu einer Entgegnung spitzte, „Außerdem schlafe ich nur mit jemandem, den ich liebe.“
 

Das brachte Hanji zum Schmollen, während Mike die Augenbrauen zusammenzog.
 

„Also doch eher asexuell.“
 

Allmählich verlor Eren die Geduld und den Humor.

„Nur weil ich nicht mit jedem vögle, der ein hübsches Gesicht hat, bin ich weder asexuell noch prüde.“
 

Er musste wütender geklungen haben als intendiert. Zumindest warfen ihm Hanji und Mike etwas bedröppelte Blicke zu, während Erwin ihn nachgiebig anlächelte.
 

„Bitte entschuldige, Eren. Es war nicht unsere Absicht dich zu beleidigen“, versicherte ihm Erwin, obwohl der kaum ein Wort gesagt hatte.
 

„Ich finde deine Einstellung gut!“, rief Hanji und klopfte ihm auf den Oberarm, „Aber versteh, dass es für uns kurzlebige Soldaten schwer ist zu begreifen, dass jemand freiwillig so lange auf etwas so tolles wie Sex verzichtet. Ich mein, okay, ich bin auch schon lange abstinent, aber das auch nur wegen Überarbeitung und Mangel an Männern, die zu mir passen.“
 

„Ich hatte auch viel Arbeit“, betonte Eren pikiert, „Außerdem hab ich nun mal nicht mehr davon mit jemandem zu schlafen, für den ich nichts empfinde, als wenn ich meine eigene Hand benutze.“
 

„Es ist schon ein Unterschied“, murmelte Mike vor sich hin und brachte Hanji damit zum kichern.
 

„Der Unterschied ist nicht immens genug“, mischte sich Levi nach langem Schweigen plötzlich ein.
 

Erstaunt blinzelte Eren zu Levi, der stur geradeaus schaute und an seinem Getränk nippte.
 

Hanji verschränkte summend die Arme im Nacken.

„So Leute wie euch bezeichnet man als demisexuell. Können nur mit jemandem Sex genießen, den sie auch lieben. Grob formuliert.“
 

„Am Arsch“, fluchte Levi, „Ich lasse mich von dir Schrulle doch nicht in eine Schublade stecken.“
 

„Was ist so schlimm an Schubladen? Wo würdest du dich denn hinstecken?“
 

Levis Gesichtsausdruck verfinsterte sich zusehends und ehe Eren darüber nachdachte, ergriff er an dessen Stelle das Wort.
 

„Als Wissenschaftler ist es wohl unerlässlich alles zu kategorisieren, aber ich denke, dass das nur für Vergangenes möglich ist. Solange man lebt, wäre es fatal sich in eine Schublade zu stecken und sich so Optionen selbst zu verwehren. Am Ende sieht man schon, wo man landet und das größte Kompliment bleibt dann wohl ein Wissenschaftler, der sich den Kopf darüber zerbricht, wo er einen einsortieren soll.“
 

Als Eren in die verblüfften Gesichter der Militärs blickte, wurde ihm erneut warm vor Scham.
 

„Hört! Hört!“, rief Mike, bevor er mit Hanji und Erwin in schallendes Gelächter ausbrach. Sogar Levi schmunzelte und betrachtete ihn mit amüsiert blitzenden Augen.
 

„Wow, Eren! Du wirst ja regelrecht philosophisch“, witzelte Hanji gutmütig.
 

„Halt die Fresse, Vierauge“, fuhr Levi sie an, bevor sie überhaupt Luft holen konnte.
 

„Oha! Vorsicht, Hanji“, meinte Mike grinsend und nickte zu ihm und Levi, „Die beiden haben sich gegen dich verbrüdert.“
 

Eren sog irritiert die Luft ein und blickte erstaunt zu Levi, der Mike mit zusammengezogen Augenbrauen ansah. Als Hanji das Wort ergriff schauten sie beide zu ihr.
 

„Ja, ich hab's schon gemerkt! Da dachte ich, ich könnte Eren auf meine Seite ziehen, aber nix da. Dabei bin ich doch so viel hübscher und charmanter als Levi“, begann sie zu schmollen und er zuckte zusammen, als sie sich schwungvoll zu ihm drehte und sich in seine Schultern krallte, das Gesicht plötzlich seinem sehr nahe.

„Sag, Eren“, presste sie dringlich zwischen den Zähnen hervor, einen manischen Glanz in den Augen, „Warum magst du Levi lieber als mich?“
 

„Vielleicht zieht Eren eine etwas unaufdringlichere Umgangsart vor, Hanji“, ergriff Erwin mit ruhiger Stimme das Wort, die sich mit ihrer Autorität in ihre Köpfe bohrte und Hanji seufzend von ihm ablassen ließ.
 

„Menschenskind, Erwin“, schmollte Hanji und seufzte herzzerreißend, „Diese Zivilisten sind für meinen Charme einfach nicht empfänglich.“
 

„Nö, die haben's nur einfach nicht so nötig wie auf'm Kriegszug“, neckte Mike sie augenzwinkernd.
 

Gutmütig schlug Hanji nach ihm über den Tisch. Obwohl sie ihn gar nicht erwischen konnte, wich er trotzdem lachend zurück und schob den Stuhl dabei leicht nach hinten.
 

„Außerdem würde ich Levis Art nicht unbedingt als unaufdringlich beschreiben“, schmollte Hanji weiter und warf Levi einen gespielt beleidigten Blick zu.
 

„Ich bespringe wenigstens niemanden und frage nach Sex“, entgegnete Levi gelassen und trank seinen Whiskey aus.
 

Hanji drehte sich schwungvoll in ihrem Stuhl um und stützte sich mit ihrem rechten Ellenbogen am Tisch ab.

„Das stimmt so nicht! Du bespringst die Leute schon! Aber nur unter dem Vorwand von „Training“ - und Sex würde dir gut tun, aber du sagst ja, dass du keinen willst.“
 

„Das stimmt nicht und jetzt hör' auf mir auf den Sack zu gehen“, warnte Levi sie mit zu Schlitzen verengten Augen.
 

„Das geht ja gar nicht, wie wir festgestellt haben“, murrte sie halblaut und Eren wunderte sich, ob sich Hanji tatsächlich verletzt fühlte, weil Levi nicht an einer Affäre mit ihr interessiert war.
 

Levi bedachte sie mit einem gelangweilten Blick, doch Eren erkannte unterschwellig einen Sturm in den grauen Augen heraufziehen.

„Ich gehe schlafen. Gute Nacht“, stand Levi auch prompt auf und warf ihnen allen einen kurzen Blick zum Abschied zu, den Erwin und Mike mit einem Nicken und Lächeln zur Kenntnis nahmen.
 

„Ich auch“, beschloss Eren kurzerhand, „Ich wünsche euch eine gute Nacht. Bis morgen!“
 

„Gute Nacht, ihr Zwei“, lächelte und winkte Hanji, wobei sie nur ihn ansah.
 

Levi legte sein Whiskeyglas in die Spülmaschine, ehe er mit Eren zusammen das Gebäude verließ, um zu ihrem Wohnhaus zu gehen. Es war nur drei Häuser weiter und es gab zwar große, schwere Verbindungstüren zwischen den Gebäuden. Gewöhnlich war man jedoch schneller, wenn man einfach draußen herum ging als durch die Häuser zu laufen.
 

Es war kalt und feucht, aber windstill, als sie ins Freie traten. Eren atmete erleichtert durch und streckte sich kurz. Der Dezember war sehr stürmisch und nass gewesen und erst seit ein paar Tagen schien es als hole die Welt tief Luft, um sich für die Weihnachtstage kurz zu beruhigen.
 

Müde lief Eren einträchtig mit Levi die menschenleere, videoüberwachte Straße entlang und es war eben jenes Gefühl der Eintracht, das ihn sich entscheiden ließ seine vorherige Frage in Worte zu fassen: „Kann es sein, dass Hanji sich eine Beziehung mit dir wünscht?“

Als Levi ihm einen Blick schenkte, der ganz klar aussagte, dass er an seiner geistigen Gesundheit zweifelte, führte Eren seine Gedanken weiter aus.

„Es kam mir so vor, als sei sie ehrlich beleidigt und enttäuscht darüber, dass du ihre Avancen so rigoros niederschmetterst.“
 

Levi sah wieder auf den Gehweg und atmete tief aus, beinahe seufzend.

„Sie hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie gerne mal mit mir schlafen würde und natürlich ist sie über meine Ablehnung nicht begeistert, aber sie kennt mich lange genug, um deswegen nicht ernsthaft enttäuscht zu sein.“
 

„Warum war sie am Schluss dann so komisch?“
 

Levi zuckte leicht mit den Schultern und steckte seine Hände in die Taschen seines dunkelgrauen Stoffmantels.

„Wahrscheinlich nur um mich anzupissen, dieses dumme Vierauge.“
 

Eren nickte nachdenklich. Er konnte sich nicht vorstellen, warum Hanji Levi ausgerechnet an seinem Geburtstag ärgern wollen sollte.

„Auf mich war sie nicht böse, oder?“
 

„Weil du nicht mit ihr schlafen willst?“, fragte Levi und sah ihn befremdet an, ehe er amüsiert schnaubte und tatsächlich schmunzelte. Eren wurde buchstäblich von seinen sturmgrauen Augen ausgelacht!
 

„Was denn? Ihr Angebot klang ernst gemeint und ich habe sie komplett abprallen lassen!“, entfuhr es Eren mit großen Augen.
 

Levi blieb stehen und betrachtete ihn nochmals kurz, dann... dann fing er an zu lachen. Levi lachte ihn aus. Und obwohl Erens Wangen vor zorniger Schamröte glühten, konnte er auf den Mann vor sich nur mit hilfloser Bewunderung hinabblicken.
 

Als Eren schwieg, schaute Levi zu ihm hinauf. Er lachte nicht mehr hörbar, doch seine Augen strahlten und seine Lippen wurden von einem leichten Lächeln umspielt.
 

Eren wusste, er sollte, nein, musste etwas sagen, um nicht wie der letzte Depp dazustehen. Also öffnete er wenig hilfreich den Mund, aus dem kein so rechter Ton gelangen wollte.
 

„Ähm...“ Er kam sich vor wie ein Karpfen und musste auch den entsprechenden Eindruck machen, denn Levi schnaubte abermals belustigt und machte etwas, womit Eren ebenso wenig rechnete.
 

Levi hob seine Hand und langte nach oben und... er legte seine Hand auf Erens Kopf und wuschelte durch seine Haare. Es war eine ungeahnt sanfte Berührung.
 

„Du bist so unfassbar unschuldig“, sagte Levi mit weicher Stimme, die Eren innerlich schaudern ließ.
 

Erst als Levi ihm schmunzelnd gegen die Nasenspitze schnippte, wurde Eren in die Realität zurückkatapultiert und er fasste sich in einer übertriebenen Verlegenheitsreaktion mit beiden Händen und einem Schnaufen an die Nase.
 

Mit einem amüsierten „Tch“ wandte sich Levi um und ging weiter.
 

Eren folgte ihm indigniert.

„Hey! Warum lachst du mich aus! Und ich bin kein Kind!“
 

„Nein, das bist du nicht“, bestätigte Levi.
 

„Was war so komisch an meiner Frage?“
 

„Nein, Hanji ist nicht böse, weil du sie nicht flachlegst“, erklärte ihm Levi als sei er ein unverständiges Kind, „Sie ist bloß deprimiert, weil sie untervögelt ist und auch du daran nichts ändern willst.“
 

„Margh“, murrte Eren unzufrieden.
 

„Was bist du? Ein Kretin?“
 

„Nein, ein altjungfräulicher Don Juan“, moserte Eren und würde sich im selben Moment am liebsten für sein nunmehr unwiderleglich kindisches Verhalten selbst watschen.
 

Statt einen entsprechenden Kommentar zu ernten, gluckste Levi erneut.

„Anscheinend. Hanji gibt sich nach einem simplen Kuss sonst nicht so viel Mühe jemanden ins Bett zu zerren.“
 

Eren beschränkte sich auf peinlich berührtes Schweigen, während Levi in rarem Vergnügen vor ihm in ihr Gebäude trat.
 

***
 

Am 28. und 29. Dezember trudelten wieder alle ein. Ab dem 01. Januar 2123 gab es ganz offiziell die Europäische Sondereinheit, deren Aufgabe allein der Bekämpfung der international organisierten Kriminalität und des Terrorismus im Inland galt.

Sie hatten ein Jahr, um ihre Nützlichkeit unter Beweis zu stellen. Brachten sie Ergebnisse, würden im Januar 2124 weitere Polizisten mit der ESE-Ausbildung beginnen, um ihnen mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
 

Sie hatten keine Ahnung, was ihnen bevorstand.
 

Es war gar nicht so einfach unter den, der Polizei gehörigen Gebäuden, eines zu finden, auf dessen Dach man Silvester feiern konnte. Als Reiner und Connie eines fanden, mussten sie feststellen, dass sie mit ungefähr 150 weiteren Polizisten dieses Dach zum Mittelpunkt der Feierlichkeiten auserkoren hatten und nicht einmal die Hälfte dort oben gefahrlos Platz hatte. Also mussten sie weiterziehen.
 

Sie mochten alle Montmartre, wo die Pariser Künstler feierten und spontane Shows veranstalteten, aber es war zu weit weg und unsäglich überfüllt. Nur rund um den Eifelturm herum waren noch mehr Menschen, sodass beides nicht für sie in Betracht kam.
 

„Oh man, wie alt bist du?“, beschwerte sich Ymir, „Wenn du unbedingt ein Feuerwerk sehen willst, dann quetsch dich halt zu den ganzen Touris und Idioten zum Trocadéro.“
 

„Wir sind so nah am Eifelturm und da soll ich hier drin hocken, anstatt mir das Feuerwerk anzusehen?“, echauffierte sich Connie mit vorwurfsvoll erhobenen Armen.
 

„Es wäre wirklich schade“, mischte sich Marco zum ersten Mal ins Gespräch ein.
 

„Noch haben wir genug Zeit um uns zum Sacré Cœur zu stellen“, warf Mina ein. Das Strahlen in ihren Augen machte deutlich, wie gern sie dorthin fahren würde.
 

„Bis wir dort sind ist es 11. Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir da noch durchkommen.“ Wenig begeistert schüttelte Jean mit dem Kopf und lehnte sich mit verschränkten Armen im Stuhl zurück.
 

Sie saßen allesamt in der Kantine.
 

„Ich bin auch nicht sonderlich erpicht auf den Gedanken mich mit Hannah durch die Menschenmassen zu pressen“, lehnte Franz den Vorschlag ab und strich Hannah beschützend über den Oberschenkel. Sie war bereits ziemlich rund.

Das schien sie jedoch nicht davon abzuhalten Mina zuzustimmen.

„Sacré Cœur wäre wirklich schön.“

Sie nahm Franz' Hand in die ihre, als er ihr einen besorgt-irritierten Blick schenkte, und lächelte ihn geduldig an.
 

„Lass uns halt einfach gehen. Wer keinen Bock hat, soll halt Neujahr in seinen vier Wänden feiern“, beschloss Reiner der Diskussion überdrüssig.
 

„Also los geht's!“, stand Connie entschlossen auf.
 

Alle außer Ymir, Historia und Levi taten es ihm gleich.
 

Eigentlich wollte Eren nicht aufdringlich werden und dadurch das zarte Pflänzchen, das ihre Freundschaft war, überstrapazieren. Als sich alle von den drei übrig gebliebenen verabschiedet und ihnen einen guten Rutsch gewünscht hatten, ließ sich Eren zurückfallen und machte Armin ein Zeichen, dass er draußen kurz mit den anderen warten sollte.
 

Entschlossen stellte sich Eren zu seinem Vorgesetzten und griff gerade nach dem Stuhl neben ihm.
 

„Nein“, sagte Levi ruhig, bevor Eren sich überhaupt hingesetzt hatte.
 

Ernüchtert ließ sich Eren in den Stuhl plumpsen und wandte sich mit auf dem Tisch abgestützten Ellenbogen zu Levi.

„Nur dieses eine Silvester! Bitte! Es würde uns alle sehr freuen!“, versuchte Eren ihn zu überreden, wobei seine Stimme zugegebenermaßen recht quengelig klang.
 

„Verpiss dich.“ Levi sah ihn noch nicht einmal an. Er saß da wie immer, eine Teetasse in den Fingern und gelangweilt wie eh und je dreinblickend.
 

Eren seufzte tief.

„Ich werde auch freiwillig die Duschen in der Schwimmhalle putzen.“ Zwar beschäftigte die Polizei Reinigungskräfte für ihre Einrichtungen, doch Levi hatte sich erst letztens wieder über die mangelnde Sauberkeit beschwert, weil die Fließen matt und in manchen Ecken schmierige Stellen waren.
 

Das brachte ihm wenigstens Levis Aufmerksamkeit in Form eines Blickes ein.

„Versuchst du mich gerade zu bestechen? Mit deinen jämmerlichen Putzkünsten?“
 

„Du musst ja sehr verzweifelt sein, Eren, wenn du dich schon anbietest so etwas zu tun, nur damit der General-Leutnant mitkommt. Was kommt als nächstes? Hm?“, lachte ihn Ymir aus, die sich von Historias aufgebrachten Gesten, doch bitte zu Schweigen, nicht irritieren ließ.
 

Eren warf ihr einen wütenden Blick zu und versuchte sich von ihren weiteren Anspielungen nicht beeinflussen zu lassen. Levi starrte wieder ins Leere und nippte an seinem Tee.
 

Vermutlich hatte Ymir sogar recht. Er machte sich hier zum Affen und wenn Levi nicht wollte, konnte er ihn auch nicht zu seinem Glück zwingen. Außerdem warteten die anderen auf ihn und die Zeit lief ihnen davon.
 

„Dann halt nicht. Ich habe es zumindest versucht“, schnaubte Eren missgelaunt und stand auf. Levi verfolgte seine Bewegung.

„Ich wünsche euch einen guten Rutsch“, sagte er zu allen, wobei er Historias Lächeln erwiderte, „Bis Morgen und gute Nacht!“
 

Er wusste wie unhöflich sein harter Tonfall war und das er Levi direkt hätte ansprechen müssen. Als er ging, meinte er seinen Blick im Nacken zu spüren, er drehte sich jedoch nicht um. So sehr er Levi verehrte, zuweilen wurde es ihm schlicht zu dumm.
 

***
 

Es war das reinste Spektakel.
 

Auf den Straßen von Montmartre tummelten sich die verlorenen Künstler der Stadt und boten den Schaulustigen ein unterhaltsames Angebot bis Mitternacht. Zwischen all den Jongleuren, Artisten, Feuerspuckern, Schauspielern, Tänzern und Komödianten fanden sich auch ein paar Maler, die mit ihren Karikaturen und Portraits noch ein paar Euro dazuverdienten.
 

Durch ihre Begeisterung über die Veranstaltungen vergaßen sie beinahe, dass sie um Mitternacht vor Sacré Cœur auf die Stadt hinabblicken wollten und schafften es daher sich nur an den Rand der Treppen vor die Basilika zu drängen.
 

„Puh“, erleichtert wischte sich Connie über die Stirn, „Noch zwei Minuten. Wir haben es echt auf den Punkt geschafft.“
 

„Wir müssen uns auf dem Rückweg unbedingt so eine Tarte mitnehmen“, meinte Sasha neben ihm und brachte damit jeden, der sie gehört hatte zum Lachen, was sie mit einem unbedarften Blick quittierte.
 

„Pst! Es geht los“, mahnte sie Mina mit einem Lächeln.
 

Die Menge begann bereits zu zählen.
 

„Dix.“
 

Sie traten alle enger zusammen.
 

„Neuf.“
 

Eren schlang seine Arme um den Nacken von Armin und Connie, die neben ihm standen und spürte sich ebenfalls umarmt.
 

„Huit.“
 

Ihre gesamte Gruppe schlang ihre Arme um ihre Nebenmänner und -frauen.
 

„Sept.“
 

Kurz flackerte Bedauern über Historias und Ymirs Abwesenheit in Eren auf.
 

„Six.“
 

Auch Levi fehlte ihm.
 

„Cinq.“
 

Es hätte ihrem Gemeinschaftsgefühl sicherlich nicht geschadet.
 

„Quatre.“
 

Obwohl sie bereits eine eingeschworene Gemeinschaft waren.
 

„Trois.“
 

In zwei Sekunden würden sie die ersten Mitglieder der neugegründeten ESE sein.
 

„Deux.“
 

Es gab soviel zu tun.
 

„Un.“
 

Eren wollte im neuen Jahr so viel erreichen.
 

„Bonne année!“
 

Sie riefen es in die klare Nacht hinaus.
 

Rund um den Eifelturm gingen Feuerwerkskörper hoch und malten farbenfrohe Figuren und Lichterpilze in den Nachthimmel. Aus der Entfernung wirkten sie nicht sonderlich imposant, dennoch jubelten sie und alle Menschen um sie herum.
 

Eren sah zu Armin und begegnete prompt seinen himmelblauen Augen. Sie strahlten sich an, ein seltenes Gefühl der Freude und Zuversicht in der Brust und glückstaumelnder Sicherheit am richtigen Ort zu stehen.
 

Es war der genau richtige Ort.
 

Gleißend weißes Licht auf Höhe des Trocadéro und zwischen Eifelturm und der École Militaire, gleich neben dem Hauptsitz der Polizei, zog ihre Blicke auf sich. Das Feuerwerk wirkte dahingegen fahl. Es war nur der Stadt erlaubt am Eifelturm Feuerwerkskörper zu entzünden, um die Bauwerke zu schützen. Doch diese Lichter waren nicht an der richtigen Stelle.
 

Die erbarmungslose Faust der Furcht ergriff Erens Herz und eine bleierne Gewissheit presste ihm die Luft aus den Lungen.
 

Es fühlte sich an, als drehe er den Kopf wie in Zeitlupe, nur sein schwerer Atem in den rauschenden Ohren.
 

„Reiner! Nimm Hannah!“
 

Seine Stimme klang fremd in ihrer schallenden Dringlichkeit.
 

Er sah wie Reiner am anderen Ende ihrer Kette verwirrt zu ihm blickte und sich seine schmalen Augen plötzlich erschrocken aufrissen.
 

Dann handelte er und hievte sich die perplexe Hannah, die mit Franz vor ihm stand auf die Arme.
 

Eren rannte. Zog Armin und Connie hinter sich her. Sah und fühlte nichts außer den Weg vor sich, die Leiber, die er beiseite drückte und dass er etwas in den Händen hielt.
 

„Lauft! Lauft! Lauft!“
 

Erst als er das Kratzen in seinem Hals spürte, verstand er, dass er brüllte wie am Spieß.
 

Es war dieser dumpf-raue Schmerz, der ihn wieder zu Sinnen kommen ließ und mit ihm tausende Geräusche.
 

Vor den Treppen, die den Berg von Sacré Cœur hinabführten, wirbelte er herum.
 

„Eren!?“, rief Armin verstört.
 

Sie waren alle da.
 

Er schob Armin die ersten Stufen hinab.

„Los weiter! Schnell! Runter!“
 

Eren vergewisserte sich, dass wirklich jeder da war, als sie an ihm vorbei stürmten und folgte ihnen.
 

Der Boden wurde ihm durch eine immense Erschütterung unter den Füßen weggerissen.
 

Grell weißes Licht.
 

Verständnislose Schreie und betäubendes Dröhnen.
 

Der beißende Gestank von Rauch und Blut.
 

Die jähe Schwerelosigkeit, als er die Treppen hinabstürzte.
 

*~*
 

Es war ein voller Erfolg.
 

+++

Feuerflüstern

Historia und Ymir hatten sich um halb zwölf höflich zurückgezogen. Das ließ ihn allein mit seinem letzten Schluck Tee in der großen Kantine zurück, in der man sicherlich eine Nadel hätte fallen hören können.
 

Als nach einigen Minuten das Licht flackerte und er die Möglichkeit in Betracht zog, dass jeden Augenblick jemand vorbei kommen und in der vermeintlichen Gewissheit, dass sich hier niemand mehr aufhielt, das Licht ausknipsen könnte, entschied sich Levi das neue Jahr unter der Dusche stehend zu begrüßen.
 

Einsamkeit war ein lähmendes Gift, das sich erst bemerkbar machte, nachdem es sich schleichend im ganzen Körper ausgebreitet hatte.
 

Vielleicht hätte er nicht so störrisch sein und in den sauren Apfel beißen sollen.
 

Silvester in Paris bei einer der schönsten Basiliken der Welt zu verbringen, war nicht die fürchterlichste Idee, die man haben konnte.
 

Er trat gerade aus der Dusche, als die Fenster durch eine unnatürliche Erschütterung in Schwingung versetzt wurden.
 

Einem Gefühl folgend rannte Levi ins Wohnzimmer und riss sein Fenster auf. Er blickte auf die von Laternen beleuchtete Straße, auf der sich keine Menschenseele befand, doch er hörte es. Ein magenumdrehendes Rauschen aus zahllosen Schreien.
 

Er schloss das Fenster und begann sich mit einer routinierten Zügigkeit anzuziehen, die man nur durch den Einsatz in Gefahrsituationen erwarb, sodass er bereits aus der Tür trat, als ihn ein kreidebleicher Polizist aufsuchte.
 

„Sir!“, rief er, als Levi auf den Gang trat.
 

„Was ist passiert?“
 

„Es gab vier Explosionen. Zwei um den Eifelturm, eine beim Arc de Triomphe und eine direkt vor Sacré Cœur“, rief der Polizist, während sie zur Ausrüstungskammer rannten - die Alarmsirenen gingen ebenfalls mit markerschütterndem Lärm los, doch Levi nahm sie durch das Rauschen seiner Ohren kaum wahr.
 

Sacré Cœur.
 

„Es ist noch völlig unklar, wer dafür verantwortlich ist und wie viele Opfer es gibt“, brüllte der Polizist über den Lärm hinweg.
 

„Was du nicht sagst“, grollte Levi und ignorierte das irritierte Gesicht des Kerls, der ihm bedeutete, dass er nichts verstanden hatte.
 

Levi drängte sich in die Ausrüstungskammer und schnallte sich zwei Maschinenpistolen und eine handliche Walther um. Sein Fallschirmjägermesser trug er stets an der Innenseite seines linken Stiefels.
 

„General-Leutnant!“
 

Beim Klang dieser Stimme schnellte Levi zurück. Historia und Ymir standen bereit hinter ihm und drängten nun ebenfalls zu den Waffen.
 

„Beeilt euch, wir fahren nach Sacré Cœur!“
 

„Verstanden“, kam es unisono zurück.
 

„Aber Sir! Es findet zuerst eine Einsatzbesprechung statt“, gab das arme Würstchen von sich.
 

„Nicht für uns. Wir unterstehen der GSG9 ab dem heutigen Tag nicht mehr.“
 

Levi wandte sich ab, sobald seine Frauen in voller Montur heraustraten und rannte mit ihnen zu den Garagen. Er ließ sich von keinem dieser Affen abhalten.
 

Sacré Cœur.
 

Bei allen Mächten dieser vermaledeiten Welt! Das durfte nicht wahr sein!
 

Sie nahmen sich die High-Speed Motorräder aus dem Bestand der SEK und schlängelten sich so schnell wie möglich durch das Chaos von panischen Menschen, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Sicherheitsbeamten.
 

Unter größten Willensanstrengungen verdrängte Levi seine Angst und ignorierte sein schmerzhaft rasendes Herz, als sie nach Montmartre fuhren, wo Rauchschwaden emporstiegen und Sirenen wütend heulten.
 

Levi ließ das Motorrad am Treppenabsatz fallen und sprang die Stufen hinauf, ungeachtet dem blinden Chaos um ihn herum.
 

„General-Leutnant!“
 

Ymir?
 

„General-Leutnant!“
 

Levi wirbelte herum und sprang zur Seite.
 

„Hannah.“ Der Name verließ seine Lippen mit einem erleichterten Seufzer, als er sie zusammen mit Franz, Reiner, Mylius, Mina und Connie in einer kleinen Seitenstraße neben der Treppe am Bordstein sitzen sah. Die anderen lehnten an einer Mauer und soweit er sah, hatten sie nur ein paar Schrammen davongetragen.
 

Ein Blick genügte, um die aufkeimende Hoffnung zu zerschmettern.

„Wo sind Eren, Armin, Berthold, Annie und Thomas?“
 

Wollte er die Antwort hören?
 

Ja, wollte er.
 

„Sie sind weiter oben. Es geht ihnen gut“, erklärte Reiner ihm mit ernstem Gesichtsausdruck. Er hatte Levi etwas zu erzählen, doch das musste vorerst warten.
 

Levi sprang die nächsten Treppen hinauf und bemerkte beiläufig Ymir und Historia bei den anderen ankommen. Er hatte sie in seiner Eile tatsächlich ein gutes Stück hinter sich gelassen.
 

Er erkannte Armins Blondschopf in einer weiteren Seitengasse und fand sich schneller in der Mitte seiner übrigen Kameraden wieder, als sie gucken konnten.
 

„Sir!“, rief Berthold überrascht und starrte ihn mit großen Augen an.
 

Levi beobachtete sich selbst dabei, wie er in Erens Augen starrte als könne er nur mehr atmen, wenn er um dessen Gesundheit wusste.
 

Die seegrünen Augen blickten ihm überrascht entgegen, doch Levi hielt sich nicht lange mit ihnen auf. Sein Blick streifte über Erens zerschrammtes Gesicht, die zerrissene, schmutzige Kleidung und sah, wie Eren mit blutigen Fingern seinen Arm hielt.
 

Levi betrachtete seine restlichen Leute prüfend, die sich um ihn gescharrt hatten. Es ging allen gut.
 

Die Erleichterung erfasste ihn mit taumelnder Überwältigung und sein schmerzhaft pochendes Herz beruhigte sich unverzüglich.
 

„Bist du der einzige Verletzte?“, fragte er Eren nun, dessen Augen sich bei der Frage in wütender Schuld zusammenkniffen.
 

„Es sind viele Menschen gestorben“, sagte Eren mit abgewandtem Blick.
 

Noch bevor Levi ihn für diese an seiner Frage vorbeigehenden Antwort schelten konnte, ergriff Annie unerwartet das Wort.
 

„Er hat uns gerettet.“
 

Levi wandte sich ihr zu, doch sie schien froh, dass Armin ihr die Erklärung abnahm.

„Als die Bomben in der Stadt explodierten hat Eren als Erster die Gefahr erkannt und uns befohlen herunterzurennen. Die Bombe oben ist direkt neben unserem vorherigen Standort hochgegangen - soweit wir das von hier beurteilen können. Eren war der Letzte und ist vom Druck der Detonation einige Stufen herunter geschleudert worden, aber glücklicherweise scheint er nur Kratzer davongetragen zu haben.“
 

Eren schnaubte abfällig und starrte weiterhin mit seinem bösen Blick Löcher in den Boden.
 

„Gut gemacht, Eren“, lobte Levi ihn, obwohl er wusste, dass sich Eren unverdientermaßen gelobt fühlte. Wie erwartet ignorierte Eren ihn und biss sich von Selbstvorwürfen zerfressen auf die Unterlippe.
 

Er würde später mit ihm reden müssen. Jetzt musste sich Levi um anderes kümmern.
 

„Annie, du warst beim Bombeneinsatzkommando.“
 

„Ja, Sir.“
 

Levi nickte.

„Du und Armin kommt mit mir nach oben. Lasst uns sehen, ob wir etwas in Erfahrung bringen können.“
 

Er sah Zweifel in Armins Augen aufblitzen und auch alle außer Annie schienen sich zu fragen, ob es in diesem verzweifelten Chaos richtig war einen Tatort zu inspizieren, statt Verletzte zu versorgen. Doch sie gehorchten und folgten ihm die Treppen hinauf, vorbei an kreischenden Menschen und über Blut und Fleischfetzen.
 

Die Polizisten und Feuerwehrleute erkannten seine GSG9-Uniform und ließen ihn wortlos die Stufen zur Basilika emporsteigen. Schräg unterhalb von Sacré Cœurs Front blieb er stehen und nahm das Bild vor sich auf.
 

Armin neben ihm zischte schockiert und auch Annie betrachtete den Tatort mit gequälter Miene.
 

„Wir wären alle tot“, murmelte sie ungläubig.
 

Erwartungsvoll sah Levi zu Armin, der ihm mit verstörter Mimik erklärte:

„Wir sind vor der untersten Stufe dort seitlich gestanden. Die Bombe hätte uns zerfetzt.“
 

Mehr brachte der junge Mann nicht hervor. Vermutlich war er noch nie in einer solchen Lage gewesen und nur wenn man es gewohnt war dem Tod von der Schippe zu springen, konnte man mit rational geschaffener Ruhe so einer Situation begegnen.
 

Annie hatte als Bombenentschärferin mehr von dieser notgedrungen akzeptierten Gelassenheit.

„Es war eine sehr kleine, kontrollierte Explosion.“
 

„Die Leute im Umkreis von zehn Metern sind geradezu verdampft“, stellte Levi fest.
 

Den Brandspuren nach zu Urteilen war die Bombe rechts unterhalb der Treppe detoniert. Sie hatte die Balustrade zerrissen und das Gestein gesprengt.
 

„Ja, sie wollten mit dieser Bombe nur Angst einjagen ohne die Kirche zu zerstören. Der eigentliche Terrorakt bestand in den Bomben beim Eifelturm.“
 

„Zwei beim Eifelturm und eine am Arc de Triomphe. Ich stimme zu. Es sieht nicht nach blinder Zerstörungswut aus. Ihr habt gesagt, ihr hättet die anderen Explosionen gesehen?“
 

„Ja“, erwachte Armin aus seiner Schockstarre, „Diese Bombe muss zwischen 30 und 60 Sekunden später detoniert sein. Wir konnten die Explosionen in der Stadt wunderbar sehen. Fast wie-“
 

„Ein Theaterstück“, unterbrach Levi ihn bedeutungsschwer.
 

„Ja“, bestätigte Armin, „Die Täter wollten hier vermutlich ein Publikum, das ihr Werk bestaunt, bevor...“ Er konnte den Satz nicht beenden. Sie hätten alle tot sein können. Tot wie diese armen Menschen, von denen nur noch in den Beton gebrannte Asche übrig war.
 

„Annie, ich möchte das du mit Thomas hier bleibst und den Hampelmännern von der Forensik auf die Finger schaust“, beschloss Levi, „Hast du dein Mobiltelefon dabei?“
 

„Ja“, erklärte sie und holte es aus ihrer Jackentasche, um seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Alles in Ordnung.
 

„Gut. Ich schicke dir Thomas hoch und werde euch die Freigabebestätigung mailen.“

Ohne Uniform würde man an Annies und Thomas' Autorität zweifeln, sodass Levi ihnen ein Formular über das interne Netzwerk zuschicken würde, das die anderen Sicherheitskräfte und jeden, der es wissen musste, über ihre Kompetenzen und Berechtigungen aufklären konnte.
 

„Ja, Sir!“
 

Levi nickte zufrieden mit Annies Einstellung und wandte sich ab. Geschickt sprang er die Stufen zu seinen Leuten hinab, ohne auf Armin zu warten, der immer noch steif vor Schreck langsamer nachfolgte.
 

Erneut blieb er vor Eren stehen.

„Kannst du gehen?“
 

Eren blinzelte ihn mit aufgewühlten Augen an.

„Ja, kann ich.“
 

Demonstrativ erhob er sich ruckartig und schwankte prompt. Levi trat zu ihm und fasste ihn an den Schultern, doch Eren erholte sich schnell.
 

„Berthold!“, rief Levi den großen Mann, „Hilf Eren beim Weg. Und Thomas!“, wandte er sich jenem zu, „Du gehst zu Annie rauf und kontrollierst mit ihr die Forensiker.“
 

„Ja, Sir!“, riefen sie unisono und führten seine Befehle aus.
 

„Ich brauch keinen Aufpasser“, knurrte Eren, als Berthold zu ihm trat.
 

„Halt die Klappe und komm“, befahl Levi mit einem scharfen Blick und ging die Treppen hinab zum Rest des Trupps.
 

Es hatte keinen Sinn weiterhin hier zu verharren. Erste Hilfe wurde bereits von Sanitätern und Feuerwehrleuten geleistet.

Ihre Aufgabe war es nun Informationen zu sammeln und das war an diesem Ort vorerst nicht zufriedenstellend möglich.
 

Paris war im Ausnahmezustand und trotzdem hatte jemand die Motorräder geklaut. Es überraschte Levi nicht und war ihm im Endeffekt egal. Er musste sowieso erst herumtelefonieren, bis ihn der Sohn der Putzfrau von Shadis' Sekretär mit einem Transporter von der SEK abholte. Der öffentliche Verkehr war zum Erliegen gekommen.
 

Die Straßen waren das reinste Chaos, aber nach fast drei Stunden hatten sie sämtliche Staus, Sperren und Kontrollen hinter sich gelassen und betraten ihr Quartier.
 

„Zieht euch um und kommt in dreißig Minuten in den Besprechungsraum“, befahl Levi, „Eren, du kommst mit mir mit.“
 

„Entschuldigung, aber Sir“, fragte Mylius, „Was sollen wir anziehen?“
 

„Saubere, praktikable Kleidung. Keine Einsatzmontur“, konkretisierte Levi, „Im Moment haben wir es nicht eilig.“
 

Es mochte paradox klingen. Levi hatte jedoch genug Erfahrung mit Chaos und wusste genau, dass es zwecklos war sich in diesem Moment zu hetzen. Wer diesen Terroranschlag geplant hatte, saß nun sicher irgendwo seinen Arsch vor der Glotze platt und bestaunte die brennende Stadt mit triumphierender Grimasse in den Nachrichten.
 

Manche wollen es einfach nur brennen sehen.
 

Er wandte sich um, wurde jedoch von Reiner aufgehalten, der zurückblieb.

„Sir? Kann ich kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen?“
 

Levi nickte, bevor er Eren zum Behandlungsraum vorschickte, der wie ein Häuflein Elend davon schlurfte.
 

Als sie alleine waren, betrachtete Levi ihn abwartend. Reiner sah müde aus. Der bullige Mann stand in sich zusammengefallen vor ihm, gezeichnet von den Ereignissen dieser Nacht.
 

„Wir standen vor Sacré Cœur und haben das Feuerwerk beobachtet“, berichtete Reiner mit gesenkter Stimme und erinnerndem, fernen Blick, „Dann waren da zwei weiße Lichter in der Stadt - als würde Magnesium abbrennen. Wir standen da wie Rehe im Scheinwerferlicht und verstanden nicht, was wir sahen. War es Feuerwerk? Es sah aber ganz anders aus. Komisch.“

Nun blickte er Levi mit intensiven Augen an.

„Dann hat Eren plötzlich geschrieen, ich solle Hannah nehmen und dass wir laufen sollen. Es stand eine solche Not und Dringlichkeit in seinem Gesicht geschrieben, dass er uns alle aus unseren Beobachtungen gerissen hat und wir ihm einfach gehorchten. Am ersten Treppenabsatz wartete er bis wir alle runterliefen, ehe er uns nachfolgte. Vermutlich hat er deshalb noch am meisten von der Schockwelle abbekommen. Er ist einen ganzen Treppenabsatz hinabgestürzt. Es ist ein Wunder, dass er sich nichts gebrochen hat. Er hat uns alle gerettet“, Reiner schnaubte, „Trotzdem macht er sich Vorwürfe, dass er nicht mehr Leute gerettet hat. Verständlich, aber...“
 

Reiner blickte mit gekräuselter Stirn auf den Boden, tief in Gedanken und bei eigenen Selbstvorwürfen.
 

„Danke, Reiner. Ich werde mit ihm reden“, nickte Levi und ging.
 

Der Gang zu dem kleinen Behandlungsraum, der eher eine hauseigene Apotheke mit Bett war, dauerte nicht lang. Doch mit jedem Schritt bemerkte Levi mehr und mehr das bleierne Klopfen seines Herzen und ein seltsam leeres zugleich aufwühlendes Gefühl in seinem Bauch. Er zog gereizt die Augenbrauen zusammen, als könne er so diese Empfindungen verscheuchen. Als er die Tür zum Behandlungsraum öffnete, verdrängte er sie zumindest.
 

Eren hockte geknickt auf dem Bett und stierte vor sich hin. Er raffte sich nur ein wenig zusammen, um Levi dabei zu beobachten, wie er in den Regalen und Schubladen nach Wattepads, Jod und desinfizierender Reinigungsflüssigkeit suchte. Levi merkte sich, wo die Pflaster und Verbände verstaut waren und zog seine Handschuhe aus.
 

Dann gab er etwas von der Reinigungsflüssigkeit in eine sterile Schüssel und tupfte mit der Pinzette eines der Wattepads darin herum. Er blieb bereit vor Eren stehen und sah ihn abwartend an.
 

Nach ein paar Sekunden spürte Eren seinen Blick und schielte zu ihm hoch.
 

Er verkniff sich ein aufgebrachtes Seufzen und befahl trocken: „Zieh dich aus.“
 

Fahrig fummelte Eren an seiner Winterjacke und streifte sie ab. Danach versuchte er dasselbe mit seinem Pullover, blieb jedoch ungeschickt an seinem Kopf hängen. Levi konnte dem hilflosen Gezerre kaum zusehen und stellte die Schüssel etwas grob auf das Tischchen neben dem Bett.
 

Ohne Scheu fasste er den Saum des Pullovers und zog ihn behutsam über Erens Kopf, der ihn mit großen Augen ansah.
 

„Shirt“, sagte Levi mit gelangweilt klingender Stimme.

Auch dabei tat sich Eren am letzten Stück schwer, sodass Levi es ihm auszog.
 

Als er seinen nackten Oberkörper sah, verstand Levi seine Mühe mit den Klamotten.

Erens Arme waren blau und blutig. Man sah, dass er seinen Kopf mit ihnen beim Sturz geschützt hatte. Ein Blick auf den Rücken bestätigte Levis Befürchtungen, dass auch dieser zerkratzt und übersät von Hämatomen war.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken griff er an Erens Seiten, was diesen heftig zusammenzucken ließ.
 

„Ich will nur deine Rippen kontrollieren“, erklärte er, ehe er wieder hinlangte.
 

„Deine Hände sind kalt“, nuschelte Eren, was Levi die Augen verdrehen ließ. Er sparte sich jedoch jeden Kommentar und setzte seine Untersuchung fort. Er fand nichts auffälliges.
 

Anschließend wollte er Erens Kopf auf Verletzungen hin überprüfen und fasste in seine Haare. Er strich kaum durch die braunen Strähnen, da riss Eren schon seinen Kopf nach hinten und griff nach Levis Händen.
 

„Ich habe keine Kopfwunden“, wehrte Eren sein Vorhaben ab und hielt seine Hände weiterhin fest, bis es ihm auffiel und ihn mit einer peinlichen Röte im Gesicht wieder losließ.
 

Erens Griff war sanft und warm. Es erinnerte Levi daran wieder zu atmen.
 

Das kühle Edelstahl der Schüssel ließ Levi dahingegen beinahe frösteln, als er sie wieder aufnahm. Allmählich wurde er wohl müde.
 

Ungeachtet Erens schmerzerfüllten Zischens tupfte er die Wunden an seinen Armen sauber.

Der Moment war gut geeignet, um das Gespräch hinter sich zu bringen.
 

„Reiner hat mir erzählt, was passiert ist. Du hast gute Arbeit geleistet.“
 

„Huh“, machte Eren abfällig und verzog sein Gesicht zu einer missgünstigen Grimasse.
 

„Als ich von dem Anschlag bei Sacré Cœur gehört habe, hatte ich befürchtet, dass ihr alle tot seid. Zwei Jahre Training für'n Arsch. Die erste Europäische Sondereinheit am ersten Arbeitstag ausgelöscht“, Levi schnaubte, „Glücklicherweise hast du sie gerettet.“
 

Eren schwieg und starrte selbstverachtend vor sich hin.
 

„Du weißt, dass du nicht mehr Menschen hättest retten können. Ohne dich wären weitere 14 Menschen tot.“
 

„14?“
 

„Hannahs Baby.“
 

„Ah“, gab Eren apathisch von sich, während Levi sich dem anderen Arm zuwandte.
 

„Bist du dazu in der Lage nachher an der Besprechung teilzunehmen?“, verlangte Levi mit kühler Stimme zu wissen, was Eren endlich in die Realität zurückkatapultierte.
 

„Natürlich!“, rief er, was Levi den Mund verziehen ließ.
 

„Ich bin nicht taub“, mahnte er und füllte die Flüssigkeit nach, um sich dem Rücken widmen zu können.
 

„Entschuldige“, murmelte Eren postwendend.
 

„Sprich mit mir, Eren“, forderte Levi und blickte ihm nachdrücklich in die seegrünen Augen.
 

Der junge Mann atmete tief durch.

„Ich weiß, es ist dumm sich Vorwürfe zu machen, weil ich nicht mehr tun konnte“, erklärte Eren mit leiser Stimme, „Und je mehr ich darüber nachdenke, desto wütender werde ich.“
 

„Wütend auf was?“
 

Eren sah auf, direkt in Levis Augen. Mit all der Entschlossenheit, die Levi an ihm beeindruckte, und heiß glühendem Zorn.

„Ich werde jeden Einzelnen zugrunderichten! Diese feigen Würmer werden für all das Leid büßen und wenn ich es mit meinen eigenen Händen tun muss!“
 

„Hm“, summte Levi gedankenverloren und stellte die Schüssel beiseite. Das Jod konnte er mit einer Pipette problemlos auf den Wunden verteilen.
 

„Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“, ertönte Erens Stimme nach einer Weile leise mit anschuldigendem Unterton.
 

„Ich bin Kriegsveteran“, erwiderte Levi nüchtern, „Und mein Leben vor meiner Militärzeit war auch kein Zuckerschlecken. Ich bin Katastrophen gewöhnt.“
 

Erst als das Starren zu unnachgiebig wurde, begegnete er Erens inquisitorischem Blick erneut.

„Was?“ Er hörte selbst, wie gereizt er plötzlich klang.
 

Verdattert blinzelte Eren, ehe sein Mundwerk in Brechdurchfall ausbrach.

„Es tut mir leid! Ich sitz' hier nutzlos rum und lass mich von dir verarzten, dabei hast du bestimmt viel wichtigeres zu tun und es muss dir auch schwer fallen mir wegen meiner Nutzlosigkeit nicht in den Arsch zu treten!“
 

Levi bohrte seine Augen in Erens und verfehlte damit seine Wirkung nicht, sodass Eren betreten zu Boden blickte.
 

Mit einem leisen Schnauben hob er Erens Kinn mit seinem Zeigefinger an und sah ihm in die verwirrten Augen.

„Ja, ich könnte dich treten“, flüsterte Levi und beugte sich auf Höhe seines Gesichts herunter, „Für den Scheiß, den du hier verzapfst. Muss ich dir die Erkenntnis, dass du heute unsere Einheit gerettet hast, erst einprügeln?“
 

Eren öffnete seinen Mund - sprachlos - und schloss ihn wieder. Eine sanfte Röte überzog seine Wangen.
 

War er endlich zu ihm durchgedrungen?
 

Wie auf einen Schlag wurde Levi ihre Nähe bewusst und sein Herz setzte einen Takt aus.
 

„Hn“, machte Levi und richtete sich, für einen Sekundenbruchteil zerstreut, auf, ehe er ruhig weitersprach, „Ich habe nichts wichtigeres zu tun. Da draußen ist Chaos. Vermutlich können wir uns auch die Besprechung sparen und ein paar Stunden schlafen gehen, bevor wir uns den Kopf zerbrechen.“
 

„Du könntest die Nachrichten und Meldungen checken“, meinte Eren kleinlaut.
 

„Deswegen rette ich die Welt auch keine 15 Minuten schneller.“
 

„Aber wenn du mich verarztest schon?“
 

„Vielleicht“, antwortete er postwendend und begegnete Erens überraschtem Blick.
 

Doch dann machte sich Nachdenklichkeit in Erens Mimik breit.

„Ich werde dich nicht enttäuschen“, versprach er eisern.
 

„Du kannst mich nur enttäuschen, wenn du vergisst, was ich dir über Rache und Entscheidungen erzählt habe.“
 

„Dass ich meine Aufgabe nicht vergessen und nicht der Kcrizott hinterherjagen soll, egal was geschieht.“
 

„Und warum?“
 

„Um Menschen zu beschützen und nicht meine Rache um jeden Preis zu verfolgen.“
 

„Ich frage mich, ob du das auch wirklich verinnerlicht hast.“
 

„Das habe ich!“, sagte Eren mit scharfem Ton und einem überzeugten Ausdruck in den Augen.
 

„Gut“, erwiderte Levi scheinbar unberührt, „Ich verlasse mich auf dich.“
 

„Ja!“ Erens Inbrunst erinnerte Levi an andere grüne Augen, die ihm unzählige Male stur und feurig entgegengeblickt hatten.
 

Die Erinnerung war nicht allzu schmerzvoll, sodass er Erens Kopf amüsiert herunterdrückte.

„Halt dich still, wenn ich deine Wunden desinfiziere, sonst brenn' ich dir mit dem Jod aus Versehen noch die Augen aus.“
 

Die Warnung wirkte. Eren rührte sich keinen Millimeter mehr, als er die Kratzer auf seiner Wange und die aufgeschürfte Augenbraue verarztete.
 

Levi richtete sich wenige Minuten später auf und betrachtete zufrieden die Pflaster und gesäuberten Wunden.

„Zieh dich an.“
 

Er trat zurück, als Eren sich anzog. Plötzlich wurde ihm neben dem intensiven Geruch der Desinfektionsmittel ein anderer gewahr, den er inzwischen gut kannte.
 

Erens Eigengeruch erinnerte ihn an warmen Sand. Warmer Sand am Meer.
 

Sein Magen zog sich schaudernd zusammen.
 

„Ich komme gleich wieder“, erklärte Levi distanziert, „Zieh deine Hose aus. Du scheinst am Schienbein zu bluten.“
 

Eren sah ihn fragend an, als sein Kopf aus dem Pullikragen auftauchte.
 

Levi drehte sich um und ging in das winzige Bad, das direkt an diesen Raum anschloss und setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel. Gejagt von seinen eigenen Dämonen saß er mit auf den Mund geschlagener Hand gebückt in diesem kalten weißen Raum. Trotzdem wurde ihm auf einmal heiß und übel von dem Kribbeln in seinem Bauch. Allerdings hatte er noch nie gehört, dass man Schmetterlinge kotzen konnte.
 

Schmetterlinge.
 

Ja, er kannte dieses Gefühl. Er kannte und fürchtete es.
 

Und wieder war es ihm ein Rätsel, woher diese unpassenden Gefühle kamen und warum sie ihn anscheinend liebend gern unangekündigt zu denkbar beschissenen Zeitpunkten aus dem Nichts wie eine Abrissbirne um mähten.
 

Warum? Warum zum Teufel?
 

Damals existierte bereits keine Antwort darauf, warum sollte es denn nun eine darauf geben? Er musste es herunterschlucken und seine verdammte Arbeit tun. Vielleicht würde es diesmal anders sein und diese unsäglichen Gefühle hatten einen anderen als den befürchteten Ursprung.
 

Levi riss sich zusammen und stand auf. Unschlüssig starrte er in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing und bereute es sogleich. Er sah müde aus. Seine Augenringe hatten sich tief eingekerbt und seine fahle Haut ließ ihn mehr tot als lebendig erscheinen. Ein Maskenbildner würde kein geeigneteres Ausgangsmaterial für einen Zombie zwischen die Finger kriegen als ihn in diesem Moment. Ruhelose Unzufriedenheit stieg in ihm auf und das einzige Auslassventil, das er kannte war Händewaschen.
 

Wie vergiftet seifte er sie ein und rubbelte sie sauber, obwohl er seine Handschuhe erst zum Verarzten von Eren ausgezogen hatte und sie ohnehin sauber gewesen waren. Aber auch das Händewaschen konnte letztlich die Leere in seiner Brust nicht vertreiben. Das hatte noch nie funktioniert.
 

Er wollte gar nicht wissen, wie viel Zeit er verplempert hatte, als er zurück in den Behandlungsraum trat.
 

Er fand Eren in eng anliegenden Shorts vor, einen Anblick, den er vom Schwimmen her kannte, und beim kläglichen Versuch sich selbst einen Verband vernünftig ums Knie zu wickeln.
 

Jeglicher sarkastischer Kommentar verging Levi jedoch, als er die Hämatome an seinen Schienbeinen und Knien sah.
 

„Fuck! Das sieht übel aus.“
 

Eren sah ihn leicht betreten an und ließ sich die Bandage bereitwillig abnehmen, als sich Levi vor ihn kniete, um den Verband selbst anzulegen.
 

Erens rechtes Knie war geschwollen und blau und die Haut an seinem Schienbein fehlte gut dreißig Zentimeter. Es war nicht schlimm, aber schmerzhaft.

„Du hast echt Schwein gehabt, dass du dich nicht schlimmer verletzt hast. Trotzdem wirst du dich einige Tage schonen müssen.“
 

„Es gibt doch Spritzen, die Hämatome auflösen und die Heilung der Blutgefäße fördern.“
 

„Ja, im Krankenhaus. Bis du da hinkommst, musst du dich trotzdem zusammenreißen“, befahl Levi, während er den Verband gekonnt um sein Bein wickelte, „Hast du Anzeichen einer Gehirnerschütterung?“
 

„Nein, es geht meinem Kopf erstaunlich gut. Ich bin wohl eher mit der Seite die Treppen heruntergekugelt.“
 

„Trotzdem solltest du auch das untersuchen lassen. Aber solange du keine weiteren Beschwerden hast, würde ich dich erst im Laufe des Tages zum Arzt schicken.“
 

„Das ist mir nur recht“, murmelte Eren wieder in Gedanken, ehe er daraus aufschreckte, als Levi aufstand.
 

„Ich werde dir ein paar Schmerztabletten und Schwellungshemmer raussuchen.“
 

„Danke. Für alles“, lächelte Eren leicht mit gutherzigem Welpenblick.
 

Levi winkte ab.

„Schon in Ordnung. Zieh dich an. Die anderen warten bestimmt schon.“
 

*~*
 

Sie hatten sich in Rekordgeschwindigkeit umgezogen und waren allesamt zu früh im Besprechungsraum angekommen. Sie saßen stumm und bedrückt an dem langen alten Holztisch und starrten auf die Bildschirme ihrer Smartphones.
 

Die internen Nachrichten gaben auch nicht viel mehr Aufschluss über die Terroranschläge als die öffentlichen Nachrichtensender, dennoch genügten die wenigen neuen Informationen, um ihnen allen schlecht werden zu lassen.
 

Sie waren so konzentriert auf die Nachrichten, dass sie zusammenzuckten, als General-Leutnant Rivaille mit Eren im Schlepptau geschlagene zehn Minuten nach der verabredeten Zeit in den Raum trat.
 

Kaum war die Tür zu, wollte Connie ihm alle neuen Erkenntnisse mitteilen, doch eine herrische Handbewegung Levis ließ ihn schweigen.
 

Connie schien diese Reaktion nicht so recht zu begreifen, doch Armin verstand es.
 

Levi legte sein eigenes Smartphone auf den Tisch und informierte sich, während Eren sich angeschlagen die Schläfen rieb.
 

Mitfühlend legte Armin vorsichtig seine Hand auf Erens Schulter, was ihm ein müdes Lächeln einbrachte. Vermutlich hatte das Adrenalin nun komplett nachgelassen und er begann unter seinen Verletzungen zu leiden. Eren war schon immer ein wilder Kerl gewesen, aber solche Dinge forderten früher oder später ihren Preis.
 

„Okay“, begann Levi und aller Aufmerksamkeit ruhte auf ihm, „Es gab Terroranschläge in allen Hauptstädten der europäischen Bundesstaaten, aber nur in Paris, Berlin und Budapest sind mehrere Bomben detoniert. Alle mit demselben grellen Licht und einer vaporisierenden Hitze. Das Ziel war überall die Zivilbevölkerung. Soweit Erwins Informationen reichen wurden keine signifikanten Persönlichkeiten bei den Anschlägen verletzt - genauso wenig wie Bauwerke. Die wollten Silvester nutzen, um einfach so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Zu den Anschlägen hat sich noch keiner bekannt, aber Erwin geht davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis sich die Täter des historisch größten geplanten Terroranschlags zu Wort melden.“
 

Armin sah wie Eren vor Wut und Erschöpfung bebte und strich mit seiner Hand über den Rücken seines Freundes, während er das Wort ergriff.

„Sie wollen Europa von innen heraus zerfressen. Einen Anschlag auf irgendwelche bekannten Persönlichkeiten oder wichtige Bauwerke hätte jeder noch verstanden, aber auf völlig gewöhnliche Leute? Das erzeugt eine ganz andere Dimension aus Angst und Zorn. Der perfekte Nährboden für Aufstände und radikale Gruppierungen.“
 

„Wir können diese Auswirkungen auch nicht verhindern, außer wir liefern dem Volk ihre Sündenböcke“, warf Jean ein.
 

„Dafür sind wir doch da“, grummelte Connie neben ihm.
 

„Ach ja?“, fuhr Jean ihn an, „Und welcher Spur sollen wir folgen? Selbst wenn wir den Namen der Organisation erfahren, wo fangen wir an? Es hat ja noch nicht mal jemand gemerkt, dass so ein riesengroßes Unterfangen auf dem Weg ist!“
 

„Beruhig dich, Jean“, unterbrach Levi die aufkommende Diskussion gefasst und kühl wie eh und je.
 

Es brachte zumindest alle zum Schweigen.
 

„Dann werden wir eben mit guter alter Polizeiarbeit die Herkunft der Materialien von den Bomben ermitteln und alle schwarzen Schafe verfolgen, die uns bekannt sind“, sprach Armin seine Überlegungen laut aus.
 

„Es gibt auch Videoaufnahmen von allen Straßen und Plätzen. Wir müssen die Aufnahmen analysieren und auswerten. Bestenfalls können wir die Bombenleger identifizieren“, merkte Historia an und erntete verstehendes oder zustimmendes Nicken.
 

Allmählich konnten sie wieder alle klar denken.
 

„Als nächstes gehen wir alle schlafen“, bestimmte Levi, „Vor 12:00 Uhr will ich keinen von euch außerhalb eurer Zimmer sehen. Dann werden wir unsere Ausrüstung zusammenkratzen und alles an Informationen und Videomaterial, was wir in die Finger kriegen, verarbeiten und einen Aktionsplan aufstellen.“
 

Sie nickten geschlagen und starrten auf die Tischplatte. Das war die vernünftigste Alternative, egal wie schlecht sich ihr momentanes Nichtstun anfühlte.
 

„Wie hast du so schnell erkannt, dass es eine Bombe war?“
 

Armin spürte wie sich Eren auf Reiners Frage hin unter seiner Hand verkrampfte.
 

Eren blickte seine Freunde an, die ihm alle neugierig entgegenblickten.

„Ich habe es nicht erkannt“, begann Eren zögerlich, „Als ich das grelle Licht gesehen habe, hatte ich plötzlich so eine fürchterliche Vorahnung. Es war wie damals, kurz bevor meine Eltern von der Bombe eines Selbstmordattentäters getötet wurden. Ich wartete auf sie vor dem Haupteingang des UN-Krankenhauses. Ich sah wie ein schwitzender Mann mit Weste ins Krankenhaus ging und wunderte mich noch über seine viel zu warme Kleidung. Auch da hatte mich auf einmal so eine erstickende Panik befallen, aber ich blieb stehen wo ich war und schalt mich einen Idioten. Keine Sekunde später explodierte die Bombe und tötete 17 Menschen. Ich hatte heute dasselbe Gefühl und habe einfach gehandelt.“
 

„Du hast uns gerettet“, ergriff Franz als Erstes das Wort, „Ich werde dir ewig dafür dankbar sein.“
 

„Vielen Dank, Eren!“, lächelte Hannah, die Franz' Hand hielt und mit der anderen Hand schützend über ihren Babybauch strich.
 

Sasha sah ihn mit großen Augen an.

„Auf jeden Fall fantastische Reaktion!“
 

„Gut gemacht, Mann!“, grinste Connie.
 

„Gut, dass wir dich im Team haben!“, nickte Mylius anerkennend.
 

„Mist!“, fluchte Jean mit zerknitterter Mimik, „Jetzt steh' ich in deiner Schuld, was?“
 

Armin beobachtete Erens ungläubigen Ausdruck mit einem leichten Lächeln, während sich alle bei ihm bedankten.
 

Eren fehlten die Worte. Er lief rot an und schlug sich vor Rührung die Hand auf den Mund, was die anderen zum Kichern brachte.
 

„Gut“, verkündete Levi und stand auf, „Alle ab unter die Dusche und ins Bett. Wir sehen uns um halb eins wieder hier.“
 

Die Stühle knirschten über den Boden, als sie alle aufstanden.
 

*~*
 

Eine neue terroristische Organisation namens Revoluzzer hatte sich für die Anschläge schuldig bekannt. Sie hatte ganz altmodisch einen Brief an die Regierung in Brüssel geschickt, in dem sie die Zusammensetzung der Bomben erklärte und schrieb, dass eine Revolution die Dekadenz Europas beenden würde. Keine weiteren Drohungen, nichts.
 

Levi war klar, dass Armin recht hatte. Nichts war so verzehrend wie das lodernde Feuer des völkischen Zorns. Die Menschen hatten Angst und verlangten Antworten. Ohne diese würden sie sich auf den nächstbesten Sündenbock werfen und Hetzer konnten dieses Potenzial ausnutzen und für ihre Zwecke lenken. So konnten Bürgerkriege entfacht werden.
 

Also mussten sie liefern, Ergebnisse erzielen. Doch auch am 03. Januar hatten sie noch nicht spürbare Fortschritte erzielt.
 

Annie und Thomas fanden zwar die Hersteller der verschiedenen Materialien und konnten die im Brief genannte Zusammensetzung der Bomben bestätigen, doch die Terroristen hatten weiträumig eingekauft. Sie fanden keine Hinweise auf organisierte Kriminalität, nicht mal irgendwelche Ordnungswidrigkeiten.
 

Armin, Historia und Hannah - die schlichtweg nicht von der Arbeit abzuhalten war - durchforsteten das Videomaterial, doch es war uferlos. Die Bomben wurden in allen Städten entweder an sehr schwer einsehbaren Stellen positioniert oder an Touristenmagneten, wo es nicht auffallen würde, wenn sich mal jemand kurz bückt oder etwas fallen lässt. Letztendlich konnte man nicht einmal sicher sagen, ob es sich nicht um Selbstmordattentäter handelte. Die Bomben explodierten so heiß, dass sich nicht mehr feststellen ließe, ob eines der verbrannten Opfer ein Täter gewesen war. Abgesehen davon hatten sie nicht einmal eine Vorstellung davon, in welchem Zeitraum die Bomben angebracht worden sein könnten.
 

Der Rest seiner Leute half bei allem was anfiel und ermittelte alle Personen mit einschlägiger Vergangenheit.
 

„Wir haben 103 Verdächtige, von denen 87 in Frage kommen. Die anderen 16 sind invalide“, berichtete Berthold.
 

„Auch Invalide können Straftaten begehen. Sind welche davon geistig völlig im Eimer und können nur noch sabbernd an die Decke starren?“, hakte Levi nach.
 

Berthold sah auf sein Tablet.

„Zwei, Sir!“
 

„Also haben wir 101 Verdächtige“, schloss er und Berthold nickte.
 

„Sollen wir sie nicht aufsuchen, Sir?“, fragte Sasha mit einem halben Muffin im Mund.
 

Levi sparte sich jede Kritik bezüglich ihrer Essmanieren. Er hatte gelernt, dass sie sowieso wie im Treibsand versank.

„Natürlich“, bestätigte Levi und erhob die Stimme, um die Aufmerksamkeit aller seiner Leute zu erregen, „Da uns die Auswertung des Videomaterials nicht weiterbringt, möchte ich, dass ihr diese Aufgabe den Kräften der SEK weitergebt. Wir haben 101 Verdächtige, die wir zuerst beobachten und dann eventuell festsetzen werden. Ich möchte, dass sich jeder von euch sechs Verdächtige vornimmt und einen Einsatzplan für jeden erstellt. Danach werden alle Einsatzpläne präsentiert und diskutiert.“
 

„Bis wann sollen wir das schaffen?“ Nicht nur Thomas starrte ihn mit großen Augen an. Es war eine wahnsinnig umfangreiche Aufgabe für so wenig Leute.
 

Levi schaute auf seine altmodische Armbanduhr.

03.01.2123 - 11: 37 Uhr.
 

„Bis morgen Abend, 20:00 Uhr. Ich möchte am 05. Januar los.“
 

Kollektives Schnaufen.
 

Levi zog sein Handy hervor und drehte sich um.

„Bevor ihr anfangt, könnt ihr bis 12:00 Uhr Mittagspause machen.“
 

Er musste mit Erwin telefonieren. Wenn jemand an den politischen Quellen saß, dann er.
 

Levi schlenderte den Gang entlang, während es am anderen Ende klingelte. Es war ein ganz eigentümliches Klingeln, sehr tief und summend, das eine sichere Leitung signalisierte.
 

„Levi!“, begrüßte ihn Erwin leicht außer Atem nach dem gefühlt hundertsten Klingeln.
 

„Hab ich dich aus einer deiner X sinnlosen Konferenzen gescheucht?“

„Richtig“, bestätigte er leicht abgeschlagen, „Es wurden mittlerweile 13.654 Tote bestätigt. Es werden in den nächsten Tagen sicherlich noch mehr.“
 

„Scheiße!“
 

„Es hätten noch mehr sein können. Allein in Berlin haben 2,6 Millionen Menschen vorm Brandenburger Tor Silvester gefeiert. Erstaunlich viele wurden nur schwer verletzt und genau das war das Ziel der Terroristen. Die Analyse der Bomben ergab, dass bei ihrer Explosion alles im Radius von ca. 15 Meter verdampfte, die Temperatur aber nach weiteren 27 Metern bei nur mehr 100 °C lag und exponentiell pro Meter weiter sank.“
 

„Ein wahres Teufelszeug.“
 

„Das kannst du laut sagen, Levi“, seufzte Erwin und Levi brauchte ihn nicht zu sehen, um seine Erschöpfung erraten zu können, „Die Medien machen uns die Hölle heiß. Es wird bereits wild spekuliert und viele haben Angst um ihr Amt. Wenn du mich fragst, bewirken Versammlungsverbot, Sperrstunden und die Einstellung des öffentlichen Verkehrs nicht das Intendierte. Die Leute bekommen bloß mehr Panik und sehen unsere Maßnahmen als Zeichen von Inkompetenz und Hilflosigkeit.“
 

„Diese Terroristen wollen Europa brennen sehen. Wenn wir Stabilität vorgaukeln wird es vermutlich weitere Anschläge geben.“ Levi kannte diese Denkweise nur zu gut und auch Erwin hatte genug Erfahrung in dieser Richtung sammeln dürfen. Ihre Kriegsvergangenheit desillusionierte sie und schützte sie vor der Naivität zu glauben, dass alles einen Sinn ergeben musste.
 

„Das befürchte ich auch. Habt ihr was herausgefunden?“
 

„101 Verdächtige, denen wir uns widmen werden“, berichtete Levi, „Aber nichts zu den Tatorten an sich. Es ist uferlos.“
 

„Ich setze mein vollstes Vertrauen in dich und deine Leute“, betonte Erwin beinahe inbrünstig.
 

„Wir tun, was wir können“, schnaubte Levi leise, bevor ihm etwas anderes einfiel, „Hast du noch was von Hanji und Mike gehört?“
 

„Retten Menschenleben. Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut. Hanji hat mich nach Eren gefragt. Geht es ihm wieder gut?“
 

„Ja ja, die Spritzen wirken und er nervt wie immer mit seinem Tatendrang.“
 

„Gut. Viel Erfolg, Levi. Ich muss wieder zurück“, Erwin atmete tief durch.
 

„Danke, dir auch bei was auch immer ihr Wichser in eurem Elfenbeinturm ausheckt.“
 

Erwin schmunzelte.

„Mach's gut.“
 

Er legte auf, bevor Levi etwas erwidern konnte.

„Captain Eyebrows.“
 

Mit einem tiefen Atemzug machte sich Levi auf den Rückweg zu ihrem zugewiesenen Einsatzbesprechungsraum. In diesem Wust an Aufgaben und frustrierter, ungeduldiger Jungspünde musste er den Überblick behalten. Als Erwin ihm die Leitung der ESE übertrug, hatte er mit vielem gerechnet, aber ehrlich gesagt nicht mit dem Worst-Case-Szenario vor dem sie nun standen. Doch Jammern brachte nichts, also kniff Levi die Arschbacken zusammen und erstellte ebenfalls Einsatzpläne und half den anderen bei den ihrigen.
 

*~*
 

Rhasgard blickte auf den Mann vor sich wie auf ein widerliches Insekt. Der stämmige, vernarbte Mann kniete vorgebeugt und wimmernd zwischen seinen Männern und Rhas empfand bei diesem unwürdigen Anblick Zorn und Abscheu, die ihm wie Galle auf der Zunge lagen.
 

„Antworte dem Führer, du elendiges Stück Scheiße!“, brüllte einer seiner Männer den Mann an und trat ihm kräftig in die Seite, sodass dieser Wurm japsend und hustend mit der Stirn am Boden lag.
 

Als sein Mann erneut zutreten wollte, hob Rhas die Hand. Seine Männer gingen einen Schritt zurück.
 

Er atmete tief durch und massierte seine pochenden Schläfen, bevor er sich von seinem Schreibtisch erhob und beherrscht zu diesem Jammerlappen schritt.
 

Dieser zuckte zusammen und sah mit panisch geweiteten Augen zu ihm auf, als Rhas sich vor den nach Angst und Pisse stinkenden Mann hockte.

„Erkläre mir das bitte noch einmal, Xavier. Eine Fotze hat zehn meiner Männer angeschossen, sie wurden von einem „Spezialkommando“ festgenommen. Und dann haben sie mein schönes Haus gefilzt, die Knarren beschlagnahmt und - was mir an deiner kleinen Geschichte am besten gefällt - dich entkommen lassen?“
 

Rhas hörte seine eigene Stimme süßlich und tödlich wie durch dicke Watte klingen.
 

Schlotternd vor Angst brachte der Mann vor ihm zwischen klappernden Zähnen hervor:

„S-S-Sie haben mich nicht ges-s-sehen.“
 

„Richtig. Sie haben dich nicht gesehen“, lächelte Rhas und stand schwungvoll auf, was dieses jämmerliche Stück Dreck heftig zucken ließ.

„Während mir irgendwelche Regierungsmarionetten eines meiner Häuser wegnehmen, hast du beschlossen wie ein feiger Hund zu fliehen. Und was geschieht mit feigen Hunden?“, fragte er an seine Männer gewandt.
 

Sie grinsten und öffneten die Schnallen ihrer Gürtel und zogen die Gürtel von ihren Hosen. Ohne weiteres Kommando traten sie zu dem am Boden kauernden Mann und schlugen mit den Gürteln auf ihn ein.
 

Rhas blendete das widerwärtige Geschrei aus und horchte auf den beruhigenden Klang von durch die Luft fauchendem Leder. Erst als Rhas wieder auf seinem Schreibtischstuhl saß, beendete er das Konzert.
 

Desinteressiert begutachtete er seine Finger. Er hatte sich ärgerlicherweise einen Nagel eingerissen.

„Warum bist du geflohen?“
 

Erst als einer seiner Männer dem Mann an den Kopf trat und die Frage wiederholte, bekam Rhas endlich eine Antwort.

„S-s-sie w-war-ren zu g-gut“, mühevoll schilderte der Mann die einzige Szene, die sich ihm in den Kopf gebrannt hatte, „Ein kl-kleiner Mann f-führte s-s-sie an. Ri-i-vai.“
 

Rhas ließ seine Hände auf den Tisch fallen und starrte den blutigen Mann an.

„Rivaille. Ein kleiner Mann namens Rivaille?“
 

„Ja.“ Unsägliche Hoffnung.
 

„Wie sah er aus?“
 

„E-er hatte e-eine Uniform an. Konnte nix s-s-sehen. Er wa-ar kl-klein, tiefe St-stimme, autoritär, s-se-selbstsicher, sehr sch-schnell.“
 

Rhas überschlug mit aufkommend manischer Euphorie seine Beine und bettete sein Kinn genüsslich auf seinen verschränkten Fingern.

„Dieser Name ist äußerst interessant. Ich werde mich mit ihm befassen. Hmm, mal sehen. Was bringt dir diese Information denn nun?“
 

Gleichgültig streifte er mit seinem Blick durch den Raum. Da kam ihm die Idee.

„Hm, ursprünglich wollte ich dich tot prügeln lassen wie den feigen Hund, der du bist. Aber ich mag den Namen, den du genannt hast“, er lächelte zufrieden, „Deswegen erlaube ich dir stattdessen weiterzuleben.“
 

Voll lächerlicher Hoffnung starrte der Mann zu ihm hoch. Nachsichtig neigte Rhas seinen Kopf, ehe er mit einer wegwerfenden Handbewegung seinen Männern befahl:

„Zunge ab, kastriert ihn und lasst ihn laufen. Vielleicht ist er schneller als die Hunde.“
 

Als sie den zeternden Mann aus seinem Büro schafften, öffnete Rhas eine Schreibtischschublade und holte eine Nagelfeile hervor. Gemächlich korrigierte er seinen Nagel, ehe er zu seinem Mobiltelefon griff.
 

Als am anderen Ende abgenommen wurde, grinste er mit vor Vorfreude strahlenden Augen.

„Du wirst es nicht glauben, aber es sieht ganz so aus als wäre der Drachentöter aus seiner Versenkung aufgetaucht.“
 

*~*
 

„Verdammt nochmal!“, brüllte Reiner und schlug mit den Händen auf den weißen Tisch.
 

Sie beobachteten wie er den Verdächtigen verhörte, ihn taxierte wie ein Raubtier eine angeschossene Gazelle. Leider zermürbten Reiners Worte und Handlungen den Mann herzlich wenig.
 

Theatralisch ausatmend warf sich Reiner leger auf den Stuhl gegenüber und legte die Stiefel auf den Tisch.

„Wenn du nicht reden magst, gut“, sagte Reiner desinteressiert, „Ist nicht mein Arsch, der ohne Aussicht auf Strafmilderung im Knast rangenommen wird.“
 

„Ich habe Durst.“
 

Levi schnaubte. Sie standen auf der anderen Seite des Spiegels neben dem Verhörraum und obwohl Reiner die vorherigen Verdächtigen sehr professionell verhört hatte, war er nun zu müde und der Brocken vor ihm hart und stur. So kamen sie im Moment nicht weiter.
 

„Mach Schluss und stell’ dem Wichser einen Becher Wasser hin“, befahl Levi via Mikro direkt an Reiners Ohrmikrofon gerichtet.
 

Dieser ließ sich vor dem Verdächtigen nichts von den geänderten Umständen anmerken.
 

Levi wartete nicht bis Reiner sich geordnet zurückzog und verließ den Raum in Richtung Waschraum. Ihm fehlte die Geduld für diese Spiele. Das war der Nachteil, wenn man sich nicht offiziell im Kriegszustand befand. Das Recht wurde zum Hindernis ihres Fortschritts.
 

„Sir?“, rief Sasha ihm hinterher und fuhr fort, als er vor dem Waschraum innehielt, „Die Anwälte sind da.“
 

Levi blickte in Sashas Augen. Ihr zerknitterter Anblick verriet, dass die Anwälte über sie hergefallen sein mussten wie die Geier über ein Stück Aas.

„Lass sie rein.“
 

Tief durchatmend stellte sich Levi vor das Waschbecken und betrachtete sein müdes Gesicht im Spiegel. Die letzten Tage zerrten an ihm und seinen Leuten und der entscheidende Durchbruch lag fern.
 

Levi hielt die Hände unter den Wasserhahn, der automatisch anging und wusch sie sich gründlich, ehe er sein Gesicht mit dem eisigen Wasser erfrischte.
 

Es ärgerte ihn, dass er sich das mutmaßliche Alphatier nicht auf die gute alte Art vornehmen konnte. So gut und wichtig gesetzliche Regeln im Umgang mit Verdächtigen waren, es hatte auch etwas für sich, wenn es gestattet war mit Drohungen und leichter körperlicher Züchtigung zu arbeiten.
 

Aber sie waren nicht im Krieg und nicht in irgendeinem Kanaken-Staat, er musste sich mit den wenigen Methoden zur Informationsgewinnung abfinden, die ihm die Gesetze übrig ließen.
 

Als Levi aus dem Waschraum trat, wurde er von Gezeter und Aufruhr begrüßt.
 

„Was zum Teufel ist hier los?“, grollte er und der Mop vor ihm wurde umgehend still und nahm eine entspanntere Haltung ein. Alle bis auf eine schmutzigblonde Frau in teurem Kostüm und einer derartig arroganten Fresse, dass Levi die Lust verging überhaupt ein Wort an die Anwältin zu richten.
 

Diese Aufgabe wurde ihm abgenommen, als die Frau sich ihm mit zornigem Blick zuwandte.

„Sie müssen Leutnant Rivaille sein? Sagen Sie Ihren Affen, dass sie ihren Job machen und mich beschützen sollen, wenn ich mit einem Terroristen in einen Raum gesperrt werde.“
 

Levi atmete unmerklich tief durch und inhalierte dabei versehentlich den Duft eines süßen Parfüms, das besser zu einer Verabredung in einer schicken Bar als an den Arbeitsplatz gehörte. Besonnen und nonchalant mit vor der Brust verschränkten Armen betrachtete er die an sich gut aussehende Frau, die am linken Kiefer sichtlich gerötet von einem vermeintlich gestreiften Fausthieb war. Der Ausdruck in den Augen von Jean, Marco, Reiner, Armin, Connie und Sasha sprach Bände.
 

Die Frau wollte auf sein Schweigen hin schon wieder die Klappe aufreißen, als Levi sich mit stechendem Blick an sie wandte.
 

„Diese Affen sind hochqualifizierte Polizisten, die ihren Job tadellos machen, wenn man sie lässt. Anders als Sie, scheint es, wenn Sie als Verteidigerin Ihres Mandanten vor uns herumkeifen und ihn als Terroristen bezeichnen, obwohl bis dato keine Beweise für neue Straftaten vorliegen. Falls Sie also Schutz benötigen, dann vor sich selbst. Anders kann ich mir nicht erklären, wie ein stoischer Verdächtiger mit zwei Polizisten im Raum nach Ihnen schlagen konnte. Abgesehen davon ist es ungehobelt jemanden ohne sich vorzustellen mit falschem Titel anzumotzen. Sie sollten sich eventuell überlegen, ob Ihr Temperament mit Ihrem Beruf vereinbar ist.“
 

Es war ulkig anzusehen, wie sich das Gesicht der Frau von Überraschung und Unglaube über Empörung zu aufgebrachter Wut verzerrte, während Levis Leute sich mühsam ihr Grinsen verkneifen mussten.
 

Die Frau überwand ihre beleidigte Sprachlosigkeit und imitierte seinen gelangweilten Stand mit einem aufmüpfigen Blick und schnippischen Tonfall. Es täuschte Levi nicht über ihren brodelnden Zorn hinweg.

„Ich bin Hitch Dreyse und arbeite für Macintosh. Ich hatte gerade mit meinem Mandantengespräch begonnen, als Herr Muck mich angriff und diese Beiden“, sie deutete auf Marco und Connie, „fast zu langsam waren, um Schlimmeres zu verhindern.“
 

Levi sah Marco in die Augen, der die Aufforderung sofort verstand.

„Herr Muck reagierte plötzlich und heftig auf Frau Dreyse. Wir konnten ihn festhalten und zur Sicherheit haben wir ihn mit Handschellen am Tisch fixiert.“
 

„Was war der Auslöser?“
 

„Das Geschlecht und das Betragen der Anwältin schienen ihn zu reizen.“
 

„Bitte?“, echauffierte sich Dreyse schäumend, „Ich habe mich vorgestellt und ihn sachlich über seine Rechte aufgeklärt und nachgehakt, ob irgendwelche zweifelhaften Verhörmethoden angewandt wurden. Er ist dann plötzlich auf mich losgegangen! Sie hätten mich über die Gefährlichkeit meines Mandanten aufklären oder ihn rechtzeitig fixieren müssen!“
 

Bevor Marco etwas erwidern konnte, mischte sich Reiner ein.

„Es gab keinen Anlass eine erhöhte Gefährlichkeit anzunehmen. Im Gegenteil!“
 

„Es reicht!“, unterbrach Levi den aufkommenden Streit und fuhr ruhig fort, „Frau Dreyse, wollen Sie Ihren Mandanten weiterhin vertreten oder müssen wir einen neuen Anwalt herbestellen?“
 

Sie durchbohrte Levi mit ihrem Blick. Er sah deutlich ihre Zwickmühle. Vermutlich konnte sie es sich nicht leisten das Mandat abzulehnen.
 

„Natürlich nicht!“, schnappte sie, „Aber ich verlange einen besseren Schutz als Sommersprosse und Mönchi hier.“
 

Connie zeigte indigniert auf sich, während Marco irritiert blinzelte.
 

„Reiner, hol' mir Berthold und schick ihn noch zusätzlich rein“, befahl Levi, woraufhin Reiner mit einem knappen „Jawohl, Sir“ abzog.
 

„Ich werde Ihr Gespräch von draußen beobachten, um rechtzeitig eingreifen zu können, falls es zu Spannungen kommt“, erklärte Levi und ließ es dabei klingen, als schmiere er ihr Honig ums Maul. Es war Spott in seiner reinsten Form.
 

Sie nickte knapp und reckte ihren Hals dabei wie eine Schlange, die zum Biss ausholen wollte.
 

Für Levi war damit die Angelegenheit erledigt. Ohne weiteres Wort ging er in den Nebenraum des Verhörraums, in dem sich ihr wichtigster Verdächtige aufhielt. Durch die Spiegelwand beobachtete er, wie Dreyse wieder in den Raum trat und mit selbstbewussten Schritten wie ein Storch an ihrem Mandanten vorbeiging, um sich ihm mit knallendem Aktenkoffer gegenüberzusetzen.
 

Levi wunderte sich bei diesem zickigen Verhalten über ihr Fachgebiet. So eine Juristin gehörte nicht ins Strafrecht beziehungsweise zur Strafverteidigung. Juristen von diesem Schlag bliesen wohlhabenden Leuten mit offen gehaltener Hand in Wirtschaftskanzleien ihre guten Ratschläge in den Arsch.
 

„Was halten Sie von der?“, fragte Jean unerwartet neben ihm.
 

Levi erwiderte die Frage mit einem vielsagenden Blick, was Jean schalkhaft grinsen ließ. Ein Grund mehr für Levi ihn zweifelnd anzusehen.
 

„Ich kenne Hitch aus meiner SEK-Zeit“, erklärte Jean bereitwillig, „Sie war mit einem Kollegen zusammen und ihre Art, Leute auf die Palme zu bringen, ist legendär. Als ich sie sah, dachte ich mir, dass sie unseren Stoiker hier schon aus der Reserve locken würde.“
 

Diese Frau hatte echt ihren Beruf verfehlt, dachte sich Levi, hakte jedoch nach:

„Was versprichst du dir davon? Glaubst du etwa, dass er plötzlich Namen ausspuckt?“
 

Jean zuckte mit den Schultern.

„Unter Umständen können wir dieselben Knöpfe drücken wie sie, wenn wir ihn verhören.“
 

Es war zumindest eine Idee.
 

Levi nickte und beobachtete gespannt, ob er Schwächen bei ihrem Verdächtigen fand, die er ausnutzen konnte. Auf legalem Wege.
 

***
 

Siegfried Muck betonte mehrmals, dass er einen neuen Anwalt wünsche, sodass ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihm einen anderen zu stellen. Levi war nicht explizit genervt deswegen, da er mittlerweile eine Vorstellung davon hatte, wie er den Verdächtigen aus der Reserve würde locken können.
 

Marlo Freudenberg stellte sich als trotteliger Gutmensch heraus, dessen Torheit an seinem flammenden Gerechtigkeitssinn lag.
 

Wenn man Levi fragen würde, hätte dieser junge Mann besser Philosoph als Jurist werden sollen, denn Gerechtigkeit ließe sich in der Philosophie eher finden als in der Praxis der Rechtswissenschaften.
 

Mit Freudenberg kooperierte Muck und machte am nächsten Morgen eine weitere Vernehmung mit anwaltlichem Beistand möglich.
 

Allerdings ließ Levi diesmal statt sich selbst nicht Reiner, sondern Annie die Vernehmung durchführen.
 

Eine Anweisung, die bei der abendlichen Besprechung tags zuvor auf Überraschung gestoßen war, denn Annie hatte viele herausragende Fähigkeiten. Vernehmungen gehörten nicht dazu. Sie war unzugänglich, kühl und rhetorisch so spitzfindig wie ein Maulwurf. Genau was Levi brauchte.
 

Marlo Freudenberg saß neben seinem mit Handschellen an den Tisch fixierten Mandanten, sichtlich wild entschlossen jedem Menschen die Wahrung seiner Rechte zu ermöglichen.
 

Als Annie in ihrer tadellosen Uniform und einer dicken Arbeitsmappe den Raum betrat, lächelte Freudenberg die ihm unbekannte Polizistin höflich an. Die Mimik seines Mandanten verfinsterte sich hingegen zusehends.
 

Reiner und Berthold standen links und rechts draußen vor der Tür, bereit jederzeit einzugreifen, wenn Levi es ihnen befahl. Der Rest seiner Einheit hatte sich gespannt um ihn gescharrt, um der Vernehmung hinter dem Spiegel zu folgen.
 

„Annie Leonhardt“, stellte sie sich mit monotoner Stimme und gelangweiltem Blick vor und setzte sich vor den Verdächtigen hin, ohne auf Freudenbergs Versuch, ihr die Hand zur Begrüßung zu reichen, einzugehen oder den Verdächtigen anzusehen.
 

„Dr. Marlo Freudenberg“, stellte er sich ungelenk, ob der unfreundlichen Abweisung, vor und lächelte leicht verunsichert. Was für ein Depp.
 

Annie ignorierte ihre Gesellschaft völlig und begann konzentriert in der dicken Arbeitsmappe zu blättern, als suche sie etwas. Wie abgesprochen nahm sie sich viel Zeit, um die beiden Männer zu entnerven und als jedes Umblättern laut und schneidend durch den Raum hallte, begann sich Muck langsam zu regen. Seine Mimik verdüsterte sich zu einer unheilvollen Fratze und seine großen Hände ballten sich zu Fäusten.
 

Freudenberg schien die sichtliche Anspannung seines Mandanten genug zu beunruhigen, um sich verhalten zu räuspern.

„Haben Sie denn was sie brauchen?“
 

Abrupt hielt Annie inne und konzentrierte sich auf ein Schriftstück, als hätte sie genau dieses die ganze Zeit über gesucht. Ihr ausdrucksloses Gesicht verzog sich zu einer genervten Grimasse, als sie wieder weiter blätterte.
 

Muck wurde zunehmend unruhig und fing an die Kette, mit der seine Hände am Tisch fixiert waren, über die Tischplatte zu ziehen.
 

Links. Rechts. Links. Rechts. Links.
 

In der Stille war es eine Tortur, doch bis auf einen unbehaglichen Seitenblick von Freudenberg löste es keinerlei Reaktionen aus. Annie blieb stoisch und studierte weiterhin das ein oder andere Schriftstück.
 

Die Anspannung wurde Freudenberg allmählich zu viel.

„Frau Leonhardt“, begann er mit überraschend selbstbewusster Stimme und einem entschlossenen Ausdruck in den kleinen, dunklen Augen, „Wenn Sie nicht vorbereitet sind, würde ich die Vernehmung auf einen anderen Zeitpunkt verlegen.“
 

Diesmal reagierte Annie und blickte dem Anwalt gelangweilt direkt in die Augen wie eine satte Löwin. Freudenberg erwiderte den Blick tapfer, doch als sie die Arbeitsmappe mit einem Knall zuschlug, zuckte er dennoch zusammen.
 

Sie ließ sich gelassen in ihren Stuhl zurücksinken und wandte sich zum ersten Mal ihrem Verdächtigen zu, der wie ein mordlüsterner Vielfraß mit vorgezogenen Schultern und abwartend gesenktem Kopf zu ihr auflauerte. Seine verwaschen blauen Augen blitzten scharf und gefährlich aus dem gebräunten, unrasierten Gesicht hervor.
 

Annie betrachtete ihn und reckte ihren Hals dabei stolz wie ein Raubvogel, der skeptisch seine Beute betrachtete, die sich bereits unter seinen Krallen wand.
 

Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
 

„Beschissene Fotze“, knurrte Muck angewidert und zog seine Schultern noch weiter hoch, als Freudenberg seinen Namen mahnend zischte.
 

Betont langsam lehnte sich Annie vor und stützte ihren rechten Ellenbogen auf dem Tisch ab.

„Was haben Sie in dem alten Lagerhaus gemacht?“, fragte Annie gelangweilt, doch ihre Augen zogen sich drohend zusammen.
 

„Hat dir schon mal einer die Fotze geleckt?“, zischte Muck und warf ihr einen obszönen Blick zu.
 

„Ihre Leute haben ausgesagt, dass Sie dort auf Anordnungen für weitere „Aktionen“ gewartet haben. Wer sollte diese Anordnungen geben?“ Das war ein Bluff. Nichts wussten sie.
 

„Du dreckige Fotze hast ja keinen Schimmer“, grollte er und wurde erneut von Freudenberg ermahnt. Es schien an Muck komplett vorbei zu gehen.
 

„Wie lange haben Sie sich in diesem heruntergekommenen Lagerhaus versteckt?“
 

Muck brummte erzürnt, deutliche Verachtung triefte aus seinen Augen.
 

„Wieso hat man Sie uns dort wie auf einem Präsentierteller serviert?“
 

Etwas flackerte in seinen Augen.
 

„Warum ausgerechnet ein altbekannter Drogenumschlagplatz? Wollten Ihre Anführer Sie loswerden?“
 

„Elendige Misthure.“ Mucks wutverzerrtes Gesicht nahm eine tiefrote Farbe an.
 

„Haben Sie es versaut? Haben Sie bei der letzten „Aktion“ versagt? Wollte man Sie deshalb so einfach an uns ausliefern?“
 

Alles geschah auf einmal.
 

Es war wie ein Polterschlag, als Muck seine Fäuste auf den Tisch schlug und vom Stuhl aufsprang. Freudenberg hechtete erschrocken zur Seite, doch Levi befahl Reiner und Berthold noch im selben Augenblick draußen zu bleiben, als all seine Kameraden um ihn herum vorm Spiegel zusammenzuckten.
 

Annie rührte sich keinen Millimeter, als Muck über den Tisch vorgebeugt keine zwanzig Zentimeter vor ihrem Gesicht drohte.

„Warte nur ab bis sie an die Macht kommen. So Schlampen wie dich werden sie mit ihren Fotzen auf die Fahnenmasten spießen.“
 

Annie zuckte bei all der Bosheit ihr gegenüber nicht einmal mit der Wimper und entgegnete Mucks Blick mit selbstsicherer Kälte.
 

Ein brodelndes Hochgefühl überkam Levi, ehe er mit Annie per Ohrmikro Kontakt aufnahm.

„Beende die Vernehmung und komm in den Besprechungsraum.“
 

Levi ignorierte die Verwunderung seiner Kameraden, als er den Raum verließ. Er war davon überzeugt, dass Annie das Verhör ebenso souverän beenden würde, wie sie es geführt hatte.
 

Schweigend folgten ihm seine Leute in den einzigen Raum, von dem Levi sich sicher war, dass sie keiner abhören konnte.
 

Zielstrebig setzte er sich ans Kopfende und wartete bis sich seine schweigenden Kameraden gesetzt hatten. Alle außer einem.
 

„Kann ich jemandem was zu trinken holen?“, fragte Marco und durfte daraufhin die enthusiastischen und vielfältigen Bestellungen seiner zwölf Kameraden aufnehmen, was den gutherzigen Mann schier überforderte.
 

Levi ignorierte das Theater geflissentlich, stellte mit Genugtuung jedoch fest, dass Marco ihm eine Tasse Earl Grey brachte, während er mithilfe von Reiner und Berthold eine Trage Wasser und eine Trage Apfelsaft auf den Tisch stellte.
 

Als wieder Ruhe eingekehrt und Annie ebenfalls zu ihnen gestoßen war, begann ihre Besprechung.
 

„Was hältst du von der Vernehmung, Annie“, eröffnete Levi das Gespräch und betrachtete die blonde Polizistin mit unmerklicher Neugierde.
 

Unzufrieden lehnte sie sich zurück und reckte den Hals.

„Es hat geklappt ihn zu reizen und wie du es vermutet hast, scheint er frauenfeindlich eingestellt zu sein - zumindest hat allein mein Anblick ihn schon über die Maße verärgert. Allerdings hat es nicht gereicht, um ihm brauchbare Informationen zu entlocken.“
 

„Hat jemand darüber hinausgehend eine Meinung?“, wandte sich Levi an die anderen und sah lediglich blanke oder grübelnde Gesichter. An einem blieb er hängen.
 

Armin bemerkte seine unausgesprochene Nachfrage.

„Der Verdächtige sagte, dass wir nur warten sollen bis sie an die Macht kämen. Möglicherweise streben die Terroristen nicht nur danach Chaos zu verbreiten, sondern mittels der damit geschürten Angst einen politischen Machtwechsel herbeizuführen. Wir müssten uns also fragen, wer beziehungsweise welche Gruppierungen und Parteien von dieser Situation am meisten profitieren.“
 

Zufrieden nickte Levi und ließ seinen Blick erneut durch die Runde schweifen.
 

„Die radikalen Parteien profitieren“, warf Hannah ein, „Sowohl links als auch rechts.“
 

„Wir sollten aber nicht nur die Parteien berücksichtigen. Es könnte auch eine Irreführung sein“, gab Mylius zu bedenken.
 

„Genau. Vielleicht wollen die Terroristen uns extra auf diese Fährte locken“, sprang Sasha darauf an.
 

Jean zuckte mit den Schultern.

„Dann müssen wir uns eben auch alle Sekten und sonstigen Gruppierungen ansehen, die davon profitieren.“
 

„Auch in den großen Parteien und Organisationen gibt es radikale Lager“, wandte Thomas ein.
 

„Uff“, stöhnte Connie, „Das artet wieder aus.“
 

Levi hob die Hand, ehe eine Debatte über die Auswahl der möglichen Verdächtigen stattfand.

„Ist jemandem noch etwas aufgefallen?“
 

Alle blickten ihn fragend an.
 

„Außer seiner vulgären Sprache...“, murmelte Mina und blickte ratlos zu Mylius, der den Kopf schüttelte.
 

„Was haben wir übersehen? Vielleicht wenn wir uns die Aufnahme nochmal anhören“, überlegte Marco.
 

„Das brauchen wir nicht. Seine letzten Worte haben uns genug Informationen geliefert und mehr bekommen wir aus dem legal sowieso nicht mehr heraus“, ergriff Levi das Wort.

Blutrot erhebt sich der Staat aus der Asche der Unwürdigen und die Entarteten bluten auf unseren Fahnenmasten. Das war ein geflügelter Spruch der neokommunistischen Fanatiker, die sich mit der Volksrepublik China solidarisiert hatten, als diese in den Krieg gezogen ist. Nachdem China den Krieg verloren hat, sind die „Königstreuen“ abgetaucht und haben sich in Nordafrika neu formiert. Die führenden Gruppierungen sind die Raknatz, Isurumi, Nardotza und Kcrizott. Sie zeichnen sich durch ihre strategische, skrupellose Vorgehensweise und europafeindlichen Haltung aus. Die Gruppierung, mit der wir es nun zu tun haben, scheint in dieselbe Kerbe zu schlagen.“
 

„Aber reichen die Worte des Verdächtigen wirklich für diesen Schluss aus?“, sinnierte Armin mit nachdenklich nach unten gerichtetem Blick.
 

„Es ist der einzige Hinweis, den wir bisher haben und mehr bekommen wir so schnell nicht“, schloss Levi und betrachtete seine Leute mit verborgenem Interesse.
 

„Ich erinnere mich daran, wie mein Vater von gepfählten Menschen gesprochen hat.“

Alle Blicke richteten sich auf Eren.
 

Dieser sah mit einem zornerfüllten Funkeln in den Augen auf. Levis Magen zog sich unwillkürlich zusammen, als ihn dieser eiserne Blick traf.

„Die Kcrizott hat vor zwanzig Jahren Ägypten durch Entführungen und Bombenattentaten ins Chaos gestürzt. Die Entführten spießten sie lebendig auf Pfählen auf, die sie langsam und qualvoll umbrachten. Es ergibt also Sinn, dass er Annie mit so etwas gedroht hat.“
 

Sie unterbrachen den Blickkontakt nicht.

Unheilvoll.

Unheilvoll bohrten sich Erens expressive Augen in die seinen.
 

Sie erinnerten Levi deutlich an Hanjis Warnung. Dieser Mann suchte Rache. Und es war an Levi ihn unter Kontrolle zu halten, ihn zu führen.

Eine nachdrückliche Erinnerung.
 

„Wir haben eh nichts besseres, also können wir genauso gut dieser Spur folgen“, durchbrach Jeans nonchalante Stimme die aufgebaute Anspannung im Raum.
 

Levi wandte sich von Eren ab und sah zu Reiner, der automatisch aufmerkte.

„Reiner, du gehst zu Serbanescu und übergibst ihm die Verantwortung für alle Verdächtigen. Soll sich die SEK weiter mit ihnen herumärgern.“
 

Reiner nickte ernst und stand auf.
 

„Und was machen wir?“, fragte Connie irritiert, „Die Verdächtigen einfach so weiterzureichen...“

Als er Levis Blick bemerkte verstummte Connie etwas betreten.
 

„Historia, Hannah, Armin, Thomas und Annie werden alles über die einschlägigen Gruppierungen recherchieren und der Rest kommt mit mir und überprüft nochmal das Lager.“
 

Connie nickte kleinlaut.
 

„Los!“, befahl Levi und alle erhoben sich, begleitet vom lauten Scharren der Stuhlbeine auf dem alten Holzboden.
 

*~*
 

„Das war alles für die Katz'!“
 

„Eren! Nicht so laut“, zischte Armin, bevor er ihre Appartementtür behutsam schloss.
 

„Wieso? Schläft doch eh noch keiner in dem Stockwerk“, schnaubte Eren frustriert und kickte sich grob die Schuhe von den Füßen.
 

Die erneute Untersuchung des Lagers hatte natürlich nichts Neues ergeben.
 

„Trotzdem musst du nicht durch den Gang brüllen“, ermahnte ihn Armin wie ein trotziges Kind.
 

Eren sparte sich eine Erwiderung und ging schnurstracks ins Bad. Er war selbstbeherrscht genug, um seinen Frust nicht an Armin auszulassen, der nichts für ihre stagnierende Arbeit konnte.

Keiner konnte etwas dafür. Es war der 14. Januar und mehr war in zwei Wochen einfach nicht zu holen gewesen. Sie hatten rund um die Uhr gearbeitet und jeder gab sich erdenklich große Mühe.
 

Als er sein Spiegelbild betrachtete, atmete er tief durch und begann sich auszuziehen. Es war bereits ein Uhr morgens und eine heiße Dusche war mit Sicherheit das einzige, das ihn einigermaßen wieder runterbringen konnte.
 

Er trat in die Duschkabine und genoss seufzend wie das heiße Wasser an seinem Körper herabrann.
 

Allmählich entspannten sich seine Nacken- und Rückenmuskeln und seine Gedanken schweiften wieder ab. Diesmal jedoch zu seinen Kameraden und der guten Arbeit, die sie geleistet hatten. Dahingegen fühlte er sich ziemlich nutzlos.
 

Was konnte er schon?

Er war gut im Nahkampf, schnell und nicht dämlich.

Aber er hatte keine einzige spezielle Begabung.

Er war kein Bombenspezialist wie Annie oder Thomas oder Scharfschütze wie Sasha oder Mylius.

Als IT-Spezialist oder Analyst wie Armin, Historia oder Hannah war er auch nicht zu gebrauchen.

Er konnte auch keine 13 Sprachen wie Mina, hatte kein fotografisches Gedächtnis wie Franz oder war sonderlich geschickt beim Führen von Verhandlungen wie Marco oder gar Reiner.

Aber selbst jene ohne besondere Zusatzqualifikationen wirkten viel sicherer und begabter.

Als gehörten sie hier hin. Eren fühlte sich dahingegen seltsam fremd.
 

Erschrocken keuchte er auf und wand sich aus dem Wasserstrahl, als das Wasser plötzlich eiskalt wurde.
 

Grimmig schaltete er das Wasser aus und stieg fröstelnd aus der Dusche, mit den Gedanken bereits bei Armin, der womöglich in der Küche das Wasser angestellt hatte, um ihn aus dem Bad zu schmeißen. Das Gebäude war antik, da funktionierten solche Späße noch, wie sie festgestellt hatten.
 

Mies gelaunt stürmte Eren aus dem Bad, doch Armin war nicht in der Küche und grinste ihn unschuldig an.

„Armin?“
 

Er ging zu seinem Zimmer, aus dem Armin keine Sekunde später hinaustrat.

„Kann ich rein?“
 

„Ja“, antwortete Eren leicht neben der Spur, „Ich dachte, du bist in der Küche.“
 

„Eh, nein“, lächelte Armin müde und ging zum Badezimmer.
 

Irritiert schüttelte Eren den Kopf und ging in sein eigenes Zimmer. Er war völlig übermüdet und in diesem Augenblick unheimlich froh, dass sie erst um 10:00 Uhr mit der Arbeit anfangen würden.

Auf Mahlzeiten und einigermaßen Schlafzeiten achtete Levi penibel, obwohl sie ackerten wie die Schweine.
 

Levi.
 

Gerade wollte sich Eren erschlagen im Bett zusammenrollen, da hörte er Armin aufgebracht nach ihm rufen.
 

Wie auf Kommando schoss Eren aus dem Bett hoch und zu seinem Freund.
 

„Was ist passiert?“ Verwirrt sah er Armin im Bad stehen, das Gesicht Richtung Dusche gewandt.
 

„Da!“, sagte er und zeigte auf die obere linke Ecke der Duschkabine.
 

Mit zusammengezogenen Augenbrauen folgte er seinem Blick und entdeckte sofort was Armin meinte.
 

„Ach du scheiße!“ Die Wand in der Ecke färbte sich langsam gelb.
 

„Ich glaube, wir müssen den Hausmeister rufen“, erwiderte Armin ernüchtert.
 

***
 

„Ein Wasserrohrbruch.“
 

„Ja, unglücklicherweise müssen deswegen die betreffenden Appartements in den beiden Stockwerken für die Zeit der Reparatur geräumt werden. Normalerweise würde wegen dem Alter der Gemäuer die Reparatur eine Woche dauern, allerdings sind wir auf Grund der Beschädigungen durch die Anschläge völlig ausgebucht. Das heißt wir werden den Schaden vorerst nur eindämmen und in zwei Wochen dann beheben“, erklärte der Handwerker ihnen trocken.
 

„Soll das heißen, dass wir drei Wochen lang nicht in unsere Wohnung können?“, hakte Eren ungläubig nach.
 

Der Handwerker nickte.
 

„Reicht es nicht nur, wenn wir kein Wasser benutzen?“, wollte Armin genauer wissen.
 

„Wir können den Schaden vorerst nur eindämmen, das heißt wir verhindern eine Ausbreitung des Schadens.“
 

„Wir sind nicht dumm“, funkte Jean grantig dazwischen.
 

Unbeirrt fuhr der Handwerker fort.

„Es ist aus gesundheitlichen und praktischen Gründen zu empfehlen die Appartements bis zur Behebung des Schadens nicht mehr zu bewohnen.“
 

„Was heißt hier praktische Gründe?“ Verständnislos verschränkte Eren die Arme vor der Brust.
 

„Er hat Angst, dass du es schlimmer machst, Idiot.“
 

Wütenden Blickes wandte sich Eren zu Jean, der ihn postwendend dumm angrinste.
 

Levi, der zuvor geschwiegen hatte, beendete das Gespräch.

„Ist das alles?“
 

„Meinerseits schon“, nickte der Handwerker und verabschiedete sich auf Levis entlassende Handbewegung hin mit einem weiteren Nicken in die Runde.
 

Es war vier Uhr morgens und sie standen mit Jean und Marco im Pyjama auf dem Flur des dritten Stockwerkes.

Da Jean und Marco das Appartement unter ihnen hatten, waren sie ebenso vom Wasserrohrbruch betroffen, was die Situation nur noch verdrießlicher machte.
 

„Und wo sollen wir jetzt schlafen?“, fragte Marco schlaftrunken in die Runde.
 

Ihre Blicke richteten sich auf Levi, der ebenfalls leger mit Trainingshose und T-Shirt dastand und ziemlich angepisst dreinschaute.
 

„Da die Wohnung sowohl von Ymir und Historia als auch von Sasha und Connie zu klein sind und es für Hannah und Franz nicht zumutbar ist, bleiben nur drei Wohnungen, in denen genug Platz für eine dritte Person ist. Also macht es euch aus, wer wohin geht.“
 

„Ich geh zu Reiner und Berthold!“, rief Jean, während Marco sich gleichzeitig für „Mylius und Thomas!“ aussprach.
 

„Dann bleiben nur noch Annie und Mina“, stellte Eren blinzelnd fest und sah fragend zu Armin.
 

„Ich habe auch noch Platz, also kann einer von euch bei mir wohnen“, erklärte Levi sichtlich nicht begeistert.
 

Enthusiastisch hob Armin den Arm.

„Annie und Mina!“
 

Eren betrachtete seinen Freund erst verwirrt, bevor ihm dämmerte, was er gerade getan hatte.

„Du-!“, fing Eren mit aufgerissenen Augen an, wurde jedoch jäh von einer strengen Stimme unterbrochen.
 

„Los, Jäger. Ich hab nicht ewig Lust mir hier den Arsch abzufrieren.“
 

„Ja!“, brachte Eren überfordert heraus und eilte Levi nach. Als er sich nochmal sauer zu Armin und den anderen umwandte, kicherten diese wie Schuljungen leise vor sich hin und das gehauchte „Sorry“ von Armin konnte sich dieser, was Eren anging, gerne sonst wo hinschieben.
 

Levis Appartement lag im ersten Stock und war genauso groß, allerdings hatte es neben Wohnküche, Abstellkammer und Bad nur ein Schlafzimmer. Dummerweise konnte man das Bad auch nur vom Schlafzimmer aus betreten.
 

Im Moment war das jedoch gleich, denn Levi suchte schweigend aus seinem Wandschrank eine dicke Decke und ein zweites Kissen, welche er auf die große Stoffcouch im Wohnzimmer legte.
 

Eren beobachtete ihn still dabei und wagte es kaum zu atmen. Die Situation war alles andere als ideal und er war viel zu müde, um etwas zu sagen.
 

„Ich habe kein Laken“, erklärte Levi ihm, nachdem er die Sachen auf die Couch gelegt hatte, „Wir kümmern uns morgen um den Rest.“
 

„Ja, danke“, lächelte Eren, doch Levi reagierte nicht darauf und verließ ihn mit einem „Hm“.
 

Eren sparte sich jegliche Gute Nacht-Wünsche und begann vielmehr die Decke aufzuschlagen und sich alles zurecht zu zupfen.
 

Die Couch war kein Vergleich zu seinem Bett, aber Eren war zu erschöpft, um sich darüber weiter Gedanken zu machen und schlief fast umgehend ein.
 

***
 

Das Geräusch von kochendem Wasser weckte ihn wieder auf.
 

Es war nur ein leises Gluckern, doch es genügte, um ihm den ziehenden Schmerz verspannter Muskeln bewusst werden zu lassen.
 

Stöhnend drehte er sich um und rutschte dabei prompt mit einem überraschten Schnaufen von der Couch.
 

„Fuck!“

Missmutig stemmte sich Eren mit den Armen hoch und rieb sich leise vor sich hin grummelnd den Nacken. Er konnte ihn kaum drehen, ohne vor Schmerzen aufzustöhnen.
 

Wie ein alter Mann erhob er sich stöhnend vom Boden. Erst dann bemerkte er Levis Blick auf sich ruhen.
 

Etwas verschämt lächelte Eren ihn an.

„Guten Morgen!“
 

„Hm.“ Ohne eines weiteren Blickes drehte sich Levi um und entfernte das Teesieb aus der großen Teekanne.
 

Eren störte sich nicht an der Schweigsamkeit und schlenderte verschlafen zum Bad. Da Levi ihn mehr oder weniger freiwillig aufgenommen hatte, machte er sich keine Gedanken darüber ihn zu fragen, ob er durch sein Schlafzimmer latschen durfte.
 

Alles war ordentlich und quietschsauber. So sauber, dass Eren sich beinahe unwohl fühlte den Wasserhahn des Waschbeckens anzufassen. Zwar waren die Oberflächen wasser- und schmutzabweisend, aber seine Fingerabdrücke sah man trotzdem leicht am Hahn, sodass Eren sich genötigt fühlte diese mit Klopapier wegzuwischen.
 

Eren begann sich schlecht zu fühlen, dass er die Couch nicht zurechtgemacht hatte...
 

Als er wieder ins Wohnzimmer trat, saß Levi auf einem Barstuhl am Tresen, welcher Küche und Wohnzimmer voneinander abtrennte, trank Tee und las etwas auf seinem Tablet.
 

Schnell ordnete Eren seine Decke, faltete sie und legte das Kissen darauf.
 

Als er den Kopf hob, begegnete er Levis sturmgrauen Augen.
 

„Ähm, ich hol dann mal meine Sachen. Wo soll ich sie derweil hintun?“
 

„Dir wird bestimmt etwas einfallen.“
 

„Oookay“, dehnte Eren mit gerunzelter Stirn und wandte sich um.
 

Da war ja einer ganz toll gelaunt. Eren hoffte, dass Levi entweder wider Erwarten ein Morgenmuffel war und es nichts mit seiner Anwesenheit per se zu tun hatte.
 

Lustlos ging Eren die Treppen bis in den vierten Stock hoch und in sein und Armins Appartement, um sich eine Tasche mit den nötigsten Dingen zu packen und umzuziehen. Er sah immer noch nicht ein, dass er die Wohnung komplett räumen musste, aber er fand sich damit ab.
 

Er packte Waschzeug, Klamotten, sein Tablet und Taschenspieler ein. Als er auf sein Smartphone sah, stöhnte er auf.

„Was zum? Halb sieben?“
 

Entsprechend gelaunt warf sich Eren die Tasche um und trottete wieder in den ersten Stock zurück. Kein Wunder, dass er noch so müde war und kein Laut auf die Gänge drang. Sie mussten erst um 10:00 Uhr parat stehen, das hieß vor neun stand kein Schwein auf.
 

Warum zum Teufel war Levi schon wach?
 

Als Eren an der Tür seines Vorgesetzten klopfte, um sein Eintreten anzumelden, war Levi nicht mehr in der Küche. Auf dem Tresen lag ein Zettel mit Levis ordentlicher Schrift und der Nachricht „Bin bis halb neun im Fitnessraum. Mach was du willst.“
 

Diese Nachricht passte für Eren perfekt zu diesem bescheidenen Morgen.
 

Seufzend machte Eren genau das, was er wollte und suchte sich aus Levis Schränken etwas zu essen. Er fand Müsli und frische Milch.
 

Nach dem Frühstück stellte er sich eine gefühlte Stunde unter die heiße Dusche und dämmerte vor sich hin, bevor er sich in Boxershorts und einem normalen schwarzen T-Shirt wieder auf diese schrecklich unbequeme Couch legte und weiter döste. Das Geräusch von Levis Rückkehr ignorierte er geflissentlich. Er würde schon mitkriegen, wenn es Zeit wurde aufzustehen.
 

Er spürte sie, bevor er Levis Präsens direkt vor seiner Couch hörte. Mit schlechter Vorahnung schielte er zu der über ihm lauernden Gestalt und machte sich innerlich für den gelangweilt-irritierten Blick bereit.
 

„Um das klarzustellen“, begann auch schon die Predigt, „ich lege viel Wert auf Ordnung.“
 

Ach, ne.
 

„Wenn du duscht, möchte ich, dass du die Oberflächen anschließend mit dem Lappen abtrocknest, den du unter der Spüle findest. Egal, ob ich nach dir dusche. Wenn du abspülst, dann lass die Schüssel nicht stehen, sondern trockne sie ab und räum’ sie dahin zurück, wo du sie gefunden hast.“
 

Eren betrachtete ihn ausdruckslos, innerlich genervt. Doch als er etwas abwartendes durch die harten Augen blitzen sah, wurde ihm klar, dass Levi eine Diskussion erwartete. Darauf hatte Eren keine Lust und was soll’s, dann bemühte er sich halt dieses sterile Appartement möglichst unberührt zu lassen.
 

„Okay.“
 

Ein kurzes erstauntes Flackern in den sturmgrauen Augen ließ Eren leicht schmunzeln.
 

„Okay“, nickte Levi und ging ins Schlafzimmer.
 

Durchatmend drehte sich Eren um, stöhnte dabei schmerzerfüllt und massierte sich zaghaft den Nacken.
 

Scheiß Couch.
 

Scheiß Tag.
 

***
 

„Du bist ein gemeiner Verräter!“, beschuldigte Eren seinen Freund, kaum nachdem Marco und Reiner die Gemeinschaftsküche verließen, in der sie sich zu viert niedergelassen hatten.
 

„Ach, komm schon. Ich war einfach schneller“, hatte Armin die Frechheit ihn unverfroren anzugrinsen, als er von seinem Tablet aufsah.
 

Eren hatte das Bedürfnis ihm den dürren Hals umzudrehen.
 

„Was ist denn?“, merkte Armin auf, „Hattest du Ärger mit ihm?“
 

Missmutig verzog Eren den Mund zu einem genervten Schmollen.

„Nicht direkt.“
 

„Ich hab mich für Annie und Mina entschieden, weil du dich viel besser mit Levi verstehst als ich. Was ist also in den wenigen Stunden passiert, dass du so ein Gesicht machst, Eren?“
 

Er zuckte mit den Schultern.

„Es war immer ein auf und ab, aber jetzt ist es als stünde eine Mauer zwischen uns. Warum lachst du??“ Beleidigt starrte Eren seinen besten Freund an, der abwinkte.
 

„Eren, hast du mal daran gedacht, dass Levi vielleicht auch gestresst ist?“
 

„Worauf willst du hinaus? Natürlich weiß ich das!“
 

Lautlos seufzend fuhr sich Armin durch die Haare.

„Die ESE existiert seit zwei Wochen. Wir haben es mit dem schlimmsten Terrorakt auf europäischem Boden seit der Gründung der Vereinigten Staaten Europas zu tun. Die ESE wurde zur Vorbeugung eines solchen Falles gegründet und nun haben wir es mit dem Worst-Case-Szenario zu tun. Du hast doch gesehen wie viele Telefonate Levi ständig führt und obwohl wir lächerlich wenig über ihn wissen, dürfte klar sein, dass Levi die Leitung dieser Einheit mehr aus einem Gefallen gegenüber General Smith heraus übernommen hat als aus eigener Ambition.“

Durchatmend fixierten ihn Armins Augen mit diesem selbstbewussten Glanz, den Eren an dem sonst eher sich selbst unterschätzenden Mann so bewunderte.

„Von Levi wird erwartet, dass er die Schuldigen vor den wachsamen Augen der Welt zum Schafott führt, am besten vorgestern. Wir können uns den Druck gar nicht vorstellen, der auf seinen Schultern lastet.“
 

Eren wandte den Blick ab. Zurück auf sein eigenes Tablet, auf dem er alle bisher recherchierten Ergebnisse zu den terroristischen Gruppierungen durchzugehen hatte, bevor sie sich in einer knappen Stunde zu einer erneuten Besprechung treffen würden.
 

All diese Informationen waren ihm bekannt. Sie hatten bisher keinen echten Anknüpfungspunkt.
 

Armin hatte selbstverständlich Recht und das machte Eren wütend. Nicht wegen des ungeheuren Drucks, dem sich Levi als Verantwortlicher ausgesetzt sah, sondern wegen der Tatsache, dass er diesen Job nicht aus eigener Überzeugung machen könnte.
 

Ja, warum machte Levi das alles eigentlich? Warum tat er sich das an?
 

Nie hatte sich Eren diese Frage gestellt.
 

*~*
 

Die nächste Phase wurde eingeleitet.
 

+++

Nachtklang

Nach einem anstrengenden Tag voll zermürbender Recherchearbeit wünschte sich Eren nur noch in die heiße Dusche und ins Bett. Die Aussicht wieder auf dieser Teufelscouch schlafen zu müssen, verpasste ihm allerdings einen Dämpfer.
 

Er klopfte wieder, bevor er Levis Appartement betrat und fand ihn in der Küche. Er schien irgendetwas zuzubereiten und nahm von Erens Anwesenheit keine sichtliche Notiz.
 

„Hallo“, begrüßte Eren ihn trotzdem etwas kleinlaut, „Ich gehe gleich duschen.“
 

Er ersparte sich auf eine Antwort zu warten und ging schnurstracks ins Bad, wo er sich eine richtig lange Dusche gönnte. Danach wischte er wie angeschafft alle Wassertropfen mit einem Lappen weg und warf seine Kleidung in den Wäschekorb.
 

Dummerweise hatte er seine Schlafkleidung nicht mitgenommen, sodass er sich bei der Couch umziehen musste, wo seine Tasche lag. Als Eren sich das Handtuch um die Hüfte schlang, zögerte er kurz. Eigentlich konnte er sich das Handtuch auch sparen. Er hatte oft genug mit Levi geduscht oder in der Sauna gesessen und schwerlich etwas zu verbergen. Abgesehen davon beendete Levi vielleicht dieses unsägliche Schweigen, sei es auch nur um Eren wegen seiner Nacktheit in der Wohnung zu schelten.
 

Komischerweise fühlte sich Eren etwas unsicher, als er dann tatsächlich splitterfasernackt das Bad verließ, durchs Schlafzimmer ging und dann raus in das Wohnzimmer zur Couch, wo Levi ihn unzensiert beobachten konnte. Seine Wangen begannen zu glühen, als er mit auf den Boden gerichteten Blick begann seine Trainingshose und ein bequemes olivgrünes Shirt aus der Tasche zu ziehen. Er wagte gar nicht erst nachzusehen, ob Levi ihn ansah oder weiterhin ignorierte.
 

Erst als er wieder bekleidet war, sah er auf und blickte auf Levis Rücken, der vor dem Herd stand. Ein Schaudern floss wie Honig von seiner Brust in seinen Bauch und er erkannte überrascht Enttäuschung.
 

Eren atmete tief durch. Dabei fiel sein Blick zufällig auf die Couch und er bemerkte das darüber gezogene Laken. Mit einem Lächeln bückte er sich und strich über die weiche Oberfläche. Levi hatte ihm unter das Laken sogar noch eine weitere Decke gelegt, um die Liegefläche annehmbarer zu gestalten. Er kümmerte sich also doch um ihn.
 

Das ließ Eren den Entschluss fassen nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen, sondern etwas diplomatischer zu versuchen herauszufinden, warum Levi ihn quasi mit Schweigen strafte. Dieses Spielchen hatten sie schließlich bereits bei Ausbildungsende und nach den letzten Monaten allmählich aufblühender Freundschaft fühlte sich Eren mit der Wiederholung dieser Behandlung ziemlich vor den Kopf gestoßen.
 

„Danke für das Laken“, lächelte Eren etwas gezwungen als er zum Küchentresen ging und sich auf den Barstuhl setzte.
 

Diesmal drehte sich Levi mit Besteck in der Hand um und legte es vor Eren. Seine Mimik wirkte erstarrt wie das Gesicht einer Statue und ließ Eren innerlich zurückschrecken.

„Bitte“, erwiderte Levi gewöhnlich knapp.
 

Als er sich wieder zum Herd drehte, atmete Eren tief ein, entschlossen das verflixte Eis zu brechen.

„Was kochst du denn? Das riecht wirklich lecker“, erkundigte er sich und spürte bereits seinen Magen rumoren. Er hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen.
 

„Eine Kartoffelsuppe.“
 

„Oh wow, ich hatte schon lange keine Kartoffelsuppe mehr“, bemühte sich Eren um ein Lächeln, „Das ist jetzt genau richtig bei diesem widerlich feuchten Wetter.“
 

Es regnete seit Tagen ohne Unterlass.
 

„Du warst den ganzen Tag drin, was interessiert dich da das Wetter.“
 

„Mir ist trotzdem den ganzen Tag in diesem alten Gemäuer zu klamm gewesen“, meinte Eren und konnte den etwas trotzigen Unterton nicht verdrängen.
 

Levi drehte sich mit zwei vollen Suppentellern um und stellte einen vor Eren.
 

„Danke.“
 

Levi nickte bloß und drehte sich zum Suppentopf, um ihn abzudecken und ein paar Tropfen von seinem Rand zu wischen, ehe er sich Eren gegenüber auf den Barstuhl setzte.
 

„Guten Appetit!“ Neugierig tauchte Eren den Löffel in die dickliche Flüssigkeit und probierte vorsichtig.

„Wow, das schmeckt echt gut!“, strahlte er und verbrannte sich beim nächsten gierigen Schluck die Zunge.
 

„Falls du noch irgendwas nachwürzen willst, sag Bescheid. Ich bin da oft etwas zurückhaltend.“
 

„Oh nein, es ist perfekt“, lächelte Eren und meinte es ernst. Es war wirklich sehr lecker.
 

Levi nickte und begann selbst mit dem Essen.
 

„Machst du oft Suppen?“
 

„Ja.“
 

„Warum?“
 

Genervt suchten Levis Augen Eren und blickten ihn abweisend an.
 

„Was denn?“, entfuhr es Eren ungeduldig, „Ich will doch nur etwas Konversation betreiben.“
 

„Lass es bleiben“, schmetterte Levi ab und aß mit aller Ruhe in der Welt weiter.
 

Verständnislos zog Eren seine Augenbrauen zusammen.

„Hab ich wieder irgendwas falsch gemacht?“, forderte er zu wissen, woraufhin Levi ihn zweifelnd ansah.
 

„Nein, Eren“, erwiderte er strapaziert, „Ich bin einfach nicht in Stimmung zu reden.“
 

Schnaubend konzentrierte sich Eren wieder aufs Essen und schmollte in seinen Teller. Die bleierne Unzufriedenheit und Wut in seinem Bauch ließ ihm jeden Schluck fast im Halse stecken bleiben.
 

Als er so vor sich hin brütete, fiel ihm wieder das Gespräch mit Armin ein.
 

„Warum machst du das eigentlich?“, als er sah, dass Levi ihn verständnislos anblickte, erklärte er weiter, „Diesen Job. Warum hast du die Führung dieser Einheit eigentlich übernommen? Um Erwin Smith einen Gefallen zu tun oder weil du es wolltest?“
 

Zugegeben, diplomatisch war das nicht. Weder die Wortwahl, noch der vorwurfsvolle Ton.
 

Er bekam auch prompt die Quittung.
 

Levis Augen wurden kalt und bedrohlich und er erstarrte vollkommen. Eren spürte sein Herz rasen und erwartete jeden Augenblick mit einem saftigen Arschtritt rausgeschmissen zu werden.
 

Doch nichts dergleichen geschah.
 

Eren zuckte zusammen, als Levi aufstand und sein Geschirr nahm. Ohne weitere Reaktion auf Erens Frage hin, begann er seine nicht mal aufgegessene Suppe in eine Verschlussbox zu füllen und aufzuräumen.
 

Mit aufgerissenen Augen beobachtete Eren dieses Verhalten und versuchte zu begreifen, warum Levi so auf ihn reagierte.
 

„Levi…“
 

„Lass gut sein. Ich bin müde. Räum den Topf weg, wenn du fertig bist.“ Mit diesen tonlosen und gespenstisch kraftlos klingenden Worten verabschiedete sich Levi für die Nacht.
 

Eren verstand es nicht. Er verstand Levi nicht.
 

Resignierend schob er den leeren Suppenteller von sich. Sein Herz klopfte schwer in seiner Brust und er fühlte sich auf einmal so schrecklich miserabel.
 

Der körperliche und emotionale Stress der letzten zwei Wochen schienen ihn einzuholen. Vielleicht hatte Armin Recht und er unterschätzte den Druck, dem sich Levi ausgesetzt sah. Vielleicht hielt Eren ihn für zu stark, zu unbeugsam.
 

Und vielleicht spielte es keine große Rolle, warum Levi tat was er tat.
 

Mit knirschenden Zähnen entschloss er sich Levi zu unterstützten und aufzuhören ständig etwas von ihm zu erwarten. Wer war Eren schon, dass er den Anspruch stellte, dass Levi ihn anders behandelte als seine restlichen Kameraden.
 

*~*
 

Frustriert drehte sich Levi im Bett zum abertausenden Mal um und schnaufte genervt. Er fand einfach keine Ruhe. Ständig musste er an Erens Worte und seine erschrockenen Augen denken.
 

Er wollte Eren nicht verletzen oder mit Schweigen strafen - der einzigen Strafe, von der Eren selbst gesagt hatte, dass sie ihn fertig machte.
 

Levi hatte sich schon immer in diese kalte, passive Attitüde geflüchtet, wenn er sich besonders angreifbar fühlte. Damit wollte er natürlich nicht die wenigen Menschen, die ihm Nahe genug standen, verletzen. Aber er konnte sich nicht beherrschen. Es war als stünde er wie ein Fremder daneben und würde sein abweisendes Verhalten ohne Eingriffsmöglichkeiten beobachten. Es war ein Automatismus.
 

Die Leute, die ihn aus diesem Verhaltensmuster rausreißen konnten, hatten sich mittlerweile auf Null reduziert. Nicht einmal Erwin und Hanji kamen in so einer Situation an ihn heran, aber sie wussten wenigstens, dass er sie deswegen nicht weniger schätzte und sich irgendwann wieder einkriegen würde.
 

Levi verabscheute diese Seite an sich. Er kam sich vor wie ein angeschossenes Tier, das blind und instinktiv jeden biss, der zu Nahe kam.
 

Er war wohl auch nicht mehr als ein gemartertes Tier.
 

Levi wusste im Gegensatz zu seiner Jugend nun zumindest, warum er in dieses Verhaltensmuster zurückgefallen war.
 

Ungehalten schob Levi seine Decke zur Seite. Ihm war zu heiß und der elendige Raum zu stickig. Völlig entnervt stand er auf und ging ins Bad, um das dortige Fenster zu öffnen. Ein feucht-kalter Windhauch zog daraufhin durch bis ins Schlafzimmer. Endlich hatte er den Eindruck wieder atmen zu können, sodass er sich erschöpft ins Bett verkroch.
 

Aber egal an was Levi versuchte zu denken, seine Gedanken fanden früher oder später immer zu Eren zurück. Sei es im beruflichen Kontext oder… eben weniger beruflich.
 

Der Depp musste ja in seiner Wohnung landen! Verschissener Wasserrohrbruch!
 

Eren war glücklicher- und fatalerweise die einzige Person, die Levi in seinen vier Wänden ertragen wollte.
 

Allerdings kam Levi nicht damit zurecht. Nicht nachdem er sich zu diesem Idioten hingezogen fühlte beziehungsweise akzeptiert hatte, dass er dies tat. Er konnte nichts daran ändern. Er konnte nur warten und hoffen, dass es verging. Zumindest hatte er sich das eingeredet.
 

Jetzt lag Eren nebenan und es half beim besten Willen nicht, wenn Eren verwuschelt nach seiner Dusche nackt durch die Wohnung lief.
 

Natürlich hatte Levi ihn schon unzählige Male nackt gesehen und ihm war die ganze Zeit klar gewesen, wie gut gebaut Eren war. Himmel, dafür brauchte es nie Phantasie.
 

Rückblickend betrachtet verstand Levi nun wenigstens seine eigene Zurückhaltung Eren anzusehen, wenn sie zusammen in der Sauna waren oder duschten. Es hätte ihm früher auffallen können, dass er Eren nicht mit der selben Gleichgültigkeit ansah wie jeden anderen Mann.

Was hatte es ihn je gekümmert, ob er den Schwanz eines anderen begaffte?
 

Es war seltsam wie sich das Verhalten änderte, wenn man für jemanden Gefühle entwickelte.
 

Frustriert legte Levi einen Arm über seine Augen und knirschte mit den Zähnen. Die andere Hand legte er über sein schnell schlagendes Herz, versucht sich zu beruhigen.
 

Er fühlte sich so fürchterlich außer Kontrolle und ärgerte sich maßlos darüber. Natürlich half es denkbar wenig. Sicherlich wäre es einfacher diesen Job zu machen, ohne jedes Mal einen Herzaussetzer zu bekommen, wenn er einem seiner Untergebenen in die Augen schaute, aber das änderte nichts an den Tatsachen.
 

Er musste bei der Arbeit einfach einen kühlen Kopf bewahren. Das konnte er.

Ob er sich beherrschen konnte, Eren mit seiner abweisenden Art nicht zu vertreiben, wusste er nicht.
 

Es war so unpassend.
 

***
 

Levi wachte vom leisen Öffnen seiner Schlafzimmertüre auf.
 

Eren tapste leise mit einem Kleiderbündel an ihm vorbei ins Bad, wo Levi ein leises Zischen durch die Türe hindurch vernahm.
 

Ups. Er hatte das Fenster die ganze Nacht offen gelassen. Eren würde es da drin vermutlich die Eier abfrieren.
 

Das Geräusch der Dusche ließ Levi einen Blick auf seine Uhr werfen. 06:28 Uhr. Um halb Acht hatten sie ihre Morgenbesprechung, das hieß dass Levi keine Zeit mehr für sein Workout hatte.
 

Lautlos seufzend drehte er sich um und wartete bis Eren aus dem Bad und seinem Schlafzimmer war, bevor er aufstand. Das Bad dampfte regelrecht, dennoch hatte sich Eren augenscheinlich bemüht die Duschkabine trocken zu wischen. Eigentlich hätte er lüften müssen.
 

Lustlos zog sich Levi aus und stellte sich unter die lauwarme Dusche, die er Stück für Stück kälter stellte, um in die Gänge zu kommen. Der Tag würde lang und anstrengend werden. Außerdem musste er sich etwas mit Eren einfallen lassen. Er konnte ihn schlecht die nächsten drei Wochen so behandeln. Das würde bei ihrer beider Temperament bloß eskalieren und der Zusammenarbeit schaden.
 

Fröstelnd stieg Levi aus der Dusche, trocknete sich ab, wischte alles trocken und kippte das Fenster. Da erst einmal geplant war sich mit den Recherchenergebnissen zu spielen, zog er sich einen dunkelgrünen Cashmerepullover und schwarze Jeans an.
 

Als er das Wohnzimmer betrat, fand er Eren in der Küche werkelnd vor. Er schien irgendwas mit der Pfanne zuzubereiten.
 

„Du hast vergessen das Bad zu lüften“, begrüßte Levi ihn und schlug sich mental für seinen unleidlichen Ton auf die Stirn.
 

Eren drehte sich blinzelnd um.

„Ich weiß, ich wollte dir nur ersparen, dass du dir so wie ich den Arsch abfrierst.“
 

„Das hätte mir nichts ausgemacht“, erklärte Levi kühl, einerseits angetan von der Umsicht, andererseits angesäuert wegen Erens Wortwahl.
 

„Ich mache gerade Pfannkuchen zum Frühstück“, wechselte Eren nüchtern das Thema, „Ich dachte mir, dass wir uns mit dem Kochen abwechseln könnten. Da du außer Honig und Milch nichts mehr hast, dachte ich, dass wir heute Mittag eine Einkaufsliste erstellen könnten, damit die Kantineleute uns was beiseite legen.“
 

Es war Gang und Gebe, dass ihre Nahrungsmittel über die Kantine bezogen wurden. Es war billiger über den Großhandel und so gut wie alles konnte bestellt werden.
 

„Für heute Abend haben wir noch Suppe. Morgen kannst du kochen. Aber ich werde mich selbst um meine Einkaufsliste kümmern.“
 

„Gut, dann hätten wir das geklärt.“ Eren verzog die Lippen zu einem sozialkonformen Lächeln; ein Lächeln ohne Freude, sondern einer Friedensbotschaft.
 

Ohne weitere Worte wandte sich Eren wieder den Pfannkuchen zu und stapelte die fertigen Stücke auf einem großen Teller.
 

Wortlos setzte sich Levi auf den Barhocker, auf dem Eren gestern gesessen hatte. Er beobachtete Erens schnelle Handgriffe und ordentliche Arbeit. Als der Teig aufgebraucht war, stellte er zwei Teller auf den Tisch und den Pfannkuchenteller daneben.
 

„Ich hoffe, du magst so etwas mit Honig“, sagte Eren und stellte ein Glas mit Akazienhonig zwischen sie.
 

„Ich habe es noch nicht probiert.“
 

Eren warf ihm einen fassungslosen Blick zu.

„Du hattest noch nie Pfannkuchen mit Honig?!“
 

„Warum sagst du es, als hätte ich gerade einen Mord gestanden?“
 

Eren blickte ihn ungläubig an.

„Wie kommt man in seinem Leben an Pfannkuchen mit Honig vorbei?“
 

„Tue ich ja nicht. Ich lebe noch und esse das jetzt“, erwiderte er mit desinteressierter Stimme.
 

Anscheinend hatte sich Eren vorgenommen ihn heute warm zu quasseln.

„Gibt es etwas, dass du nicht gerne isst? Nicht, dass ich etwas mache, was du nicht magst.“
 

„Nicht wirklich“, erwiderte er und verteilte den Honig mit einem Löffel über den Pfannkuchen.
 

Es roch wirklich gut und als Levi ein Stück davon probierte, seufzte er innerlich auf. So ein Frühstück war um einiges besser als Eierbrot, Müsli oder Obstyoghurt.
 

„Und? Schmeckt es? Soll ich das morgen wieder machen?“, lächelte Eren zwischen zwei Bissen.
 

„Ja“, antwortete Levi, „Zu allem.“
 

Erens Lippen verzogen sich zu einem ehrlichen Lächeln, das seine Augen zum ersten Mal an diesem Morgen zum Strahlen brachte.

„Das freut mich!“
 

Tatsächlich schien es ihn soweit zufrieden zu stellen, dass er die Klappe hielt und sich aufs Essen konzentrierte.
 

Levi atmete möglichst unbemerkt tief durch und versuchte an die bevorstehenden Aufgaben zu denken, aber es mochte nur schleppend funktionieren.
 

Sie mussten nicht viel tun, außer einen Aktionsplan zu erstellen, um einige Personen auszuspionieren. Dafür konnten sie auch auf den Gesamteuropäischen Geheimdienst - GEG - zurückgreifen. So wie die es verbockt hatten, waren sie zur Zeit zahm wie Lämmer, wenn man was von ihnen wollte. Und Erwin hatte über X Ecken dafür gesorgt, dass Levi derjenige sein konnte, der etwas wollte.
 

„Alles in Ordnung?“, fragte Eren unvermittelt und ließ Levi aufblicken.
 

Noch ehe Levi den Mund aufmachte, redete Eren weiter.

„Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angefahren habe. Ich sollte dir eigentlich helfen und nicht deine Motive in Frage stellen.“
 

Eren blickte zerknirscht auf seinen leeren Teller, doch dann schaute er ihm fest in die Augen. Es war keine Reue in seinen expressiven Augen, nur Hingabe und Entschlossenheit.
 

Was sollte Levi darauf erwidern?
 

Er fühlte sich ziemlich hilflos. Er warf einen Blick auf die Uhr am Herd.

„Es ist 07:16 Uhr. Wir sollten uns mit dem Frühstück beeilen.“
 

Vor den Kopf gestoßen blickte Eren wieder auf seinen Teller und nickte.
 

***
 

„Hab ich das richtig verstanden, Sir?“, hakte Jean blinzelnd nach, „Wir sollen uns in diesen Club einschleusen und der Tochter des rechtsradikalen Dr. Pritz einen Mikrosender unter die Haut spritzen.“
 

Zwar herrschte immer noch allgemeines Ausgangsverbot nach 21:00 Uhr, aber es hielt sich natürlich nicht jeder daran. Einschlägige Clubs am wenigsten.
 

„Am besten nicht irgendwo unter die Haut, sondern in den Oberschenkel“, bestätigte Levi gelassen als sprächen sie über die Auswahl eines Restaurants für ihren nächsten Besuch.
 

„Das heißt wir müssen Undercover hin und möglichst eng an Tamara Pritz herankommen. Die Spritze dürfte sie nicht bemerken, wenn wir schnell und präzise arbeiten“, führte Armin weiter aus.
 

Levi nickte.

„Deswegen möchte ich vier von euch reinschicken. Es ist ein Tanzclub, wo nur Leute mit dem entsprechenden Namen oder Aussehen reinkommen. In den VIP-Bereich kommt man nur mit entsprechenden Tanzfähigkeiten und natürlich befindet sich unsere Zielperson genau dort.“
 

Der Club war die einzige Möglichkeit so nah an die Frau heranzukommen. Zusammen mit der GEG würden sie insgesamt 28 Personen in den nächsten fünf Tagen verwanzen. Sie würden sehen, wie viele nützliche Informationen sie dadurch gewannen. Das Vorgehen wurde bereits richterlich im Schnellverfahren abgesegnet. Weitere 43 Personen mussten mit herkömmlicheren Methoden überwacht werden.
 

„Welche vier wollen wir in den Club schicken? Armin?“, fragte Marco.
 

„Was? Warum ich?“ Überrascht zeigte Armin auf sich.
 

„In der Tat. Ich brauche gute Tänzer. Gut genug seht ihr alle aus“, erwiderte Levi und sah auf seine Leute, „Und ich will auch zwei Frauen reinschicken. Wir haben keine Ahnung, welche Präferenzen die Zielperson hat. Sie wurde bisher mit Männern und Frauen beobachtet.“
 

„Normalerweise ziehen die Rechten heterosexuelle Partnerschaften vor“, warf Berthold ein.
 

„Partnerschaften. Aber was in einem Club geschieht, dürfte denen auch egal sein“, widersprach Annie träge. Es war bereits kurz nach Mitternacht.
 

Levi wollte es auch langsam gut sein lassen. In den Club kamen sie ohnehin erst morgen Nacht.

„Wen würdet ihr außer Armin noch reinschicken?“
 

„Historia und Eren haben schön miteinander getanzt“, fiel Connie ein.
 

„Ich bin sofort dabei!“, erklärte Eren engagiert.
 

Jean verdrehte dabei die Augen.

„So ungehalten wie du Idiot bist, bezweifle ich, dass du so nah an eine Frau rankommst.“
 

„Was hast du-“
 

„Es reicht!“, herrschte Levi die Streithähne an und massierte sich dabei die Schläfen.
 

„Soweit ich mich erinnere, hat Eren bereits viele Undercover-Einsätze hinter sich. Haare färben, Kontaktlinsen und fertig“, befahl Levi die Reaktionen seiner Kameraden ausblendend, „Da Armin im Einsatz sein wird und Hannah hier bleibt, brauchen wir Historia draußen zur Überwachung. Wie viele Undercover-Einsätze hattest du, Sasha?“
 

Perplex zuckte Sasha in ihrem Stuhl zusammen und sah ihn alarmiert an.

„Keinen einzigen, Sir.“
 

„Dann wird dies dein Erster sein. Du wirst mit Ymir reingehen“, an Letztere wandte er sich nun, „Ich habe dich noch nicht tanzen sehen, aber wenn du schlecht bist, werde ich das im Laufe des Tages schon hinbiegen.“
 

„Ich kann tanzen und ich habe schon monatelang Undercover im Drogenmilieu gearbeitet“, winkte Ymir ab. Levi war froh über ihre unkomplizierte Art.
 

„In Ordnung. Alles weitere besprechen wir morgen um 08:00 Uhr. Gute Nacht“, verabschiedete sich Levi und alle standen mit einem erleichterten Stöhnen auf.
 

Levi sehnte sich nach seinem Bett, aber da hatte er seine Rechnung ohne Eren gemacht.
 

„Ich würde die Suppe aufwärmen, falls du zuerst ins Bad möchtest“, erklärte Eren, als er die Appartementtür hinter ihnen schloss.
 

Überrascht drehte sich Levi um.

„Jetzt?“
 

„Wann sonst?“ Eren blinzelte irritiert.
 

„Du willst mitten in der Nacht noch was essen?“
 

Verunsichert starrte Eren ihn an.

„Ja, wir haben am Mittag bloß diesen fürchterlichen Salat gehabt und die Suppe muss sowieso gegessen werden.“
 

Eigentlich hatte Eren Recht. Das bisschen Suppe würde ihm vermutlich ganz gut tun. Der Salat war in der Tat widerlich gewesen. Die Stadt hatte etwas Probleme bei der Beschaffung von frischen Lebensmitteln, da jedes Fahrzeug, das in die Stadt fuhr, gefilzt wurde und damit den Transport verzögerte.
 

„In Ordnung.“ Damit verschwand Levi ins Bad und gönnte sich eine kurze heiße Dusche, ehe er in Shirt und schwarzen Boxershorts in die Küche schlenderte, wo die Suppe bereits köchelte.
 

Wortlos setzte er sich an den Tresen und ließ sich von Eren den Suppenteller vor die Nase setzen.
 

„Danke“, brachte er müde heraus und nahm sich fest vor sich um mehr Umgänglichkeit zu bemühen.
 

„Gern“, lächelte Eren zaghaft und setzte sich ihm gegenüber, „Ich dachte, ich mache heute Abend einen Zucchinieintopf, wenn du einverstanden bist.“
 

„Klar, heute dürfte es nicht so spät werden.“ Sie mussten sich auf den Einsatz vorbereiten und einen weiteren besprechen. Levi hatte mit einem der GEG-Leute, Hannes irgendwer ausgemacht, dass sie zehn der 28 Personen in Eigenregie verwanzen würden.
 

„Ich werde meine Haare am besten blond färben und hellbraune Kontaktlinsen tragen. Das hat mich immer am meisten verändert.“
 

Levi warf einen prüfenden Blick auf Eren, sich schwerlich ein anderes Aussehen vorstellen könnend.
 

Sie aßen still ihre Suppe fertig und Levi räumte die Küche auf, während Eren ins Bad verschwand.
 

Als Levi wenig später im Bett lag, beglückwünschte er sich für sein etwas weniger asoziales Benehmen.
 

***
 

Ein Rumsen und Fluchen weckte ihn aus seinem leichten Schlaf. Mehr aus einem Automatismus heraus raffte sich Levi auf und trat ins Wohnzimmer, wo er Eren vor der Couch am Boden vorfand.
 

Mit verschränkten Armen lehnte er sich an den Türrahmen und beobachtete Eren dabei, wie er sich grummelnd den Nacken massierte.

„Was machst du?“
 

Erschrocken drehte sich Eren um und fasste sich bei der ruckartigen Bewegung wieder stöhnend ins Genick.

„Ich bin von der Couch gerutscht. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.“
 

„So laut wie du warst, hättest du jeden aufgeweckt.“ Levi betrachtete Erens Verlegenheit und erinnerte sich daran, dass Eren auch schon nach der ersten Nacht Nackenschmerzen gehabt und sich den ganzen Tag recht steif bewegt hatte. Die Couch war nicht zum Schlafen geeignet.
 

Das würden noch viel strapazierendere Wochen werden als Levi ohnehin schon befürchtet hatte.
 

„Nimm Decke und Kissen, du kannst bei mir schlafen. Wenn du willst“, fügte er Letzteres noch hinzu.
 

Überrascht blinzelte Eren zu ihm hoch.

„Echt jetzt?“, hakte er ungläubig nach, „Ich kann mit in deinem Bett schlafen?“
 

„Schlimmer als Hanji wirst du wohl kaum sein“, tat es Levi ab, „Entscheide dich, bevor ich es mir anders überlege.“
 

„J-Ja, natürlich“, strahlte Eren und sprang auf, „Diese Couch ist ein Gräuel.“
 

Levi drehte sich während Erens Worte um und ging ins Bett. Er machte für Eren Platz, der keine Minute später mit Decke und Kissen vor ihm stand und wartete, bis Levi die äußere Betthälfte frei gemacht hatte. Er schlief lieber an der Wand, denn er traute sich eher zu unbemerkt über Eren zu steigen als Eren über ihn. Außerdem konnte er ihn so auch einfach aus dem Bett schmeißen. So wie Hanji.
 

„Vielen Dank. Das ist wirklich nett von dir“, lächelte Eren, während er sich neben ihm niederließ.
 

„Abwarten.“
 

„Wieso?“
 

„Wenn du dich zu breit machst, schnarchst oder mich bedrängst werde ich dich mit einem Arschtritt rausschmeißen.“
 

Eren kuschelte sich in die Decke und sah ihn dann abgeklärt an.

„Find ich fair.“
 

„Ich meine das ernst“, betonte Levi.
 

„Ganz ehrlich“, seufzte Eren müde, „Alles ist besser als diese Couch. Das Bett ist himmlisch.“
 

„Hm.“ Levi wusste nichts mehr zu sagen und drehte sich auf den Rücken.
 

Nachdem Stille eingekehrt war, wurde Levi von seiner eigenen Entscheidung überfordert.
 

Da lag er nun. Keine dreißig Zentimeter von dem schönen jungen Mann entfernt in einem fensterlosen Raum und mit nervös flatterndem Herzen.
 

Und mit jeder weiteren Minute wurde es schlimmer. Er begann Eren zu riechen und verdammt noch mal, er roch ihm unheimlich gut. Er fühlte sich davon angezogen wie sonst nur von dem Duft erlesener Teeblätter. Es war eine bittersüße Qual.
 

Ob Eren sich Gedanken darüber machte, dass er mit seinem Vorgesetzten im selben Bett lag?
 

Levi musste an ihre erste Interaktion vor ziemlich genau zwei Jahren denken, als er sich Eren als Gymnastikpartner genommen hatte. Der Unterschied war immens. Eren wurde zwar immer noch verlegen, aber von der Obrigkeitsscheue war nichts mehr übrig.
 

Natürlich gab es noch genug für Eren zu lernen, aber er hatte sich in die Richtung entwickelt, die Levi sich vorgestellt hatte.
 

Dass er jemals wieder so fühlen könnte, hatte sich Levi jedoch selbst in seinen pathetischsten Träumen nicht vorstellen können. Er hoffte inständig, dass er diese Schwärmerei hinter sich lassen konnte. Er hatte sich doch gerade erst damit abgefunden sich mit Eren zu befreunden…
 

*~*
 

„Ist das euer ernst?“, fuhr sie Levi an, „Muss man euch erst abfüllen, damit ihr tanzen könnt?“
 

Verschüchtert hielten sie inne und sahen verschämt zu Boden. Außer Ymir natürlich. Sie verschränkte irritiert die Arme vor der Brust und betrachtete Levi mit kühler Gleichgültigkeit.
 

„Ihr seid alle völlig steif.“
 

„Das ist ja auch keine Tanzstimmung. Im Club ist das anders“, redete Ymir dagegen, doch Levi ignorierte sie.
 

„Armin, du hast keinen Besenstil im Arsch. Eren, Sasha. Was macht ihr mit euren Armen? Einen imaginären Welpen tot schütteln?“, dann erst erwiderte Levi ihren Blick, „Und du tanzt wie ein Roboter.“
 

Wenig begeistert rümpfte Ymir die Nase.

„Vielleicht würde es helfen, wenn du mit uns tanzt.“ Immerhin tanzte ihr General-Leutnant verdammt gut und ein anschauliches Beispiel wäre im Zweifel hilfreicher als angepisste Blicke und Worte.
 

„Nochmal“, befahl Levi und schaltete mit einer Fernbedienung die Musikanlage an.
 

Wenn möglich, dann wurde es nach dieser Ansage noch schlimmer. Hoch konzentriert versuchten sie sich locker und geschmeidig zu bewegen, was unter Levis genervten Augen zu einem lächerlichen Gehampel steifer Zwölfjähriger wurde, die zum ersten Mal ihre Hüften zu Musik schwangen.
 

Levi schaltete die Musik prompt aus und starrte sie in Grund und Boden.
 

Entnervt schnaubte Ymir, während ihre Kameraden verlegen an ihrer Kleidung nestelten wie gescholtene Kinder. Lächerlich.

„So, ich hab’ die Schnauze voll. So wird das nichts. Jäger! Komm her, wir tanzen jetzt zusammen. Das ist kein Line Dance.“
 

„Was? Warum soll ich mit dir tanzen?“, fragte Jäger mit seinen großen grünen Welpenaugen. Der Mann war ein Phänomen. Ymir konnte sich endlos über sein lächerlich hübsches Gesicht aufregen.
 

„Ich habe gesehen, wie du mit Historia tanzt. Das machst du jetzt mit mir“, befahl sie barsch. Sie wollte diese Farce hinter sich bringen. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt und wollte von ihrem miesepetrigen Vorgesetzten weg. Sie könnte schwören, dass der Kerl heute morgen mit dem falschen Bein aufgestanden war.
 

„Na ja“, maulte Jäger, hielt bei ihrem grantigen Blick jedoch die Klappe und stellte sich vor sie.
 

„Steht nicht so dumm rum!“, fauchte Ymir Sasha und Armin an, „Ihr sollt auch tanzen.“
 

Die Idioten schraken tatsächlich auf und stellten sich in eine vernünftige Tanzposition.
 

Levi hatte inzwischen ein passendes Lied für einen Partnertanz ausgewählt und drückte auf Play, als sie alle bereit waren. Es war angenehm, wie kooperativ ihr Boss war. Man konnte ihm keinen Mangel an Teamfähigkeit vorwerfen, egal wie autoritär und bestimmt er sonst war.
 

Es war als hätte man einen Schalter umgelegt.
 

Sowie sie zu tanzen begannen wurden ihre Bewegungen flüssig und weich. Wie Ymir sich gedacht hatte nahm der Paartanz die verkniffene Anspannung aus ihrer Haltung und sie konzentrierten sich nicht mehr auf Levis angepisstes Gesicht, sondern auf den Partner und die Musik.
 

Levi ließ sie ein paar Stücke tanzen, ehe er die Musik unterbrach.
 

„In Ordnung. Nun wieder Einzeln. Ich werde mittanzen, wenn’s euch hilft.“
 

Ach auf einmal, dachte sich Ymir, sparte sich jedoch jeglichen Kommentar. Hauptsache sie wurden bald fertig. Die anderen bereiteten immerhin ihre anderen neun Einsätze vor und es war geradezu albern, dass sie hier mit ihrem Boss tanzen übten wie blutige Anfänger.
 

Als die Musik wieder anging trat Levi in ihre Reihe und begann sich mit ihnen zu bewegen. Nach den ersten Takten bemerkte Ymir, wie ihre Kameraden allmählich inne hielten.

Das konnte doch nicht wahr sein!
 

Als sie um Eren lugte, stockte sie allerdings auch abrupt.
 

Verdammt! Das half kein bisschen.
 

Es gab wohl nichts, was Levi mit seinem Körper nicht konnte. Ohne irgendwas besonderes zu machen, schaffte er es so sündhaft gemein fantastisch zu einem langweiligen Discosong zu tanzen, dass Sasha ihn mit offenem Mund begaffte und Armin und Eren ihn mit blinzelnder Bewunderung anstarrten wie die Volldeppen, die sie waren. Zugegeben, selbst Ymir fühlte sich von der ästhetischen Ausstrahlung dieses komischen, kleinen Mannes angezogen.
 

„Was zum Teufel macht ihr da?“, wurden sie von Levi angefahren, als er ihre Blicke bemerkte.
 

„Eye fucking“, erwiderte Ymir trocken und wünschte sich in diesem Moment Historia herbei. Sie wäre vor Lachen zusammengebrochen bei den erschütterten Blicken ihrer Kameraden. Levi selbst verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie mit einer genervt hochgezogenen Augenbraue.
 

„Wenn ihr das morgen Nacht versaut, sorge ich persönlich dafür, dass ihr jedes einzelne bewohnte Appartement in diesem Komplex putzen müsst“, versprach Levi ihnen am Ende mit seiner Geduld.
 

„Wir werden nicht versagen!“, ereiferte sich Eren mit völlig überzeugtem Blick.
 

Ymir verdrehte die Augen. Klar würden sie nicht versagen.
 

Es dauerte fast eine weitere Stunde bis Levi mit ihnen zufrieden war.
 

***
 

„Ich bin fix und fertig“, seufzte Historia, als Ymir sich hinter ihren Stuhl stellte.
 

Mit einem sanften Lächeln legte Ymir die Hände auf die schmalen Schultern ihrer Freundin, die sich nach hinten lehnte und den Nacken in den Kopf legte. Sie war so rücksichtslos schön, dass Ymir jedesmal aufs Neue der Atem stockte.
 

„Frag mal. Das war eine Katastrophe. Die Idioten machen sich vor Levi in die Hosen.“
 

„Hey!“, rief Eren beleidigt zu ihr herüber.
 

„Chill’ Jäger“, winkte Ymir ab und ignorierte ihn.
 

„Könnt ihr jetzt tanzen?“, fragte Historia schmunzelnd.
 

„Ja ja, geht schon. Wenn die Jungs die Windeln wechseln, wird das schon.“
 

„Hey!“
 

„Jetzt weiß ich wenigstens, was hier so stinkt“, funkte Jean dazwischen, als er von seinem Tablet aufsah und Eren einen pointierten Blick zuwarf.
 

„Fick dich, Pferdefresse!“
 

Jeans dämliches Grinsen fiel in sich zusammen und verzerrte sich zu einer wütenden Fratze.

„Was hast du Penner gesagt?“
 

Here we go, schnaufte Ymir gedanklich.
 

Eren warf ihm einen überheblichen Blick zu.

„Geh arbeiten, Bukephalos.“
 

„Du willst es echt wissen, Wichser!“, knurrte Jean und sprang zornig von seinem Stuhl auf.
 

Ymir fand es faszinierend wie schnell die Zwei sich gegenseitig in Rage bringen konnten.

Ihre Gruppenführer, Ladies and Gentlemen.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass ihr aufeinander steht.“
 

Das bescherte Ymir die Aufmerksamkeit dieser Idioten.

„Ich meine, ganz ehrlich. Sexuelle Frustration wie sie leibt und lebt.“
 

Jean und Eren starrten sie an als sei sie geisteskrank. Dann wanderte ihr Blick langsam zum jeweils anderen. Verekelt verzogen sie ihre Münder und das pure Grauen spiegelte sich auf ihren Gesichtern.
 

Was für Kindsköpfe.

Hätte Ymir nicht um ihre beruflichen Qualitäten gewusst, hätte sie die Zwei schon längst abgehakt.
 

„Was ist hier los?“, ertönte die gelangweilte Stimme ihres Vorgesetzten von der Tür.
 

Ruckartig schreckte Jean zurück zu seinem Arbeitsplatz und Eren stakste zu Armin, der sich zu Hannah gesetzt hatte.
 

Ein Schmunzeln ging durch den gesamten Raum und als Ymir runterblickte, lachte Historia leise mit vorgehaltener Hand.
 

So lustig war das nun wirklich nicht. Aber Ymir liebte es Historias Lachen zu sehen. Egal aus welchem Grund.
 

„Wie weit seit ihr, Historia?“, wollte Levi wissen und stellte sich mit seiner Teetasse neben sie.
 

Ymir wich einen höflichen Schritt zur Seite und beobachtete sie neugierig.
 

„Wir können Walker und Jachumsen auf dem Parteitag morgen Abend verwanzen. Zillinger hat heute um 18:00 Uhr einen Arzttermin. Da müsste sich einer reinschleichen und ihm die Mikrosenderspritze unter die Impfspritzen mischen. Walter und Baquari sind am Sonntag voraussichtlich beim Gottesdienst. An den anderen sind wir noch dran.“
 

„Ich bezweifle, dass wir so einfach an Zillinger rankommen. Dafür müssten wir schon denjenigen umdrehen, der die Spritzen gibt.“
 

„Er lässt es in einer Arztpraxis machen. Stimmt, das wird schwer“, grummelte Historia, „Vielleicht kann ich mich als Patientin reinschmuggeln und da die Spritzen vertauschen.“
 

„Das kommt auf die Impfungen an. Im Grunde dürften wir ihm keine Impfdosis vorenthalten.“
 

„Können wir diese Aufgaben nicht auch noch der GEG übertragen?“, mischte sich Ymir ein.
 

Levi wandte seinen steinernen Blick ihr zu.

„Und mit was sollen wir uns dann die Zeit vertreiben?“
 

„Die Penner kassieren, die von denen tatsächlich Leichen im Keller haben“, betonte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen.
 

Levi schnaubte.

„Ich gehe telefonieren“, erwiderte er und wandte sich um.
 

Dieses Verhalten ließ sie leicht überrascht zu Historia herabblicken.

„Was war das?“
 

Die zuckte mit den Schultern.

„Ich glaube, er hat auch keine Lust mehr die Arbeit von dem gesamten europäischen Sicherheitsapparat aufgehalst zu bekommen.“
 

„Das fällt ihm jetzt erst ein?“ Ungläubig lehnte sich Ymir an Historias Schreibtisch.
 

„Wie gesagt, vermutlich hat er jetzt auch keine Lust mehr dazu und fängt an mehr zu delegieren.“
 

„Es ist ja auch schwierig“, schaltete sich Connie in ihr Gespräch ein, „Immerhin müssen wir uns als neue Einheit erst beweisen und wahrscheinlich hängt das Ministerium an Rivailles’ Arsch.“
 

„Da hängt es ganz sicher“, meinte Reiner trocken, während er auf seinem Tablet wie verrückt herumkritzelte.
 

„Ymir! Komm! Wir müssen unser Outfit festlegen“, rief Sasha zu ihr rüber.
 

„Ich geh’ als Rockerbraut“, erwiderte sie gelangweilt.
 

„Du sollst doch nicht als du selbst gehen“, triezte sie Historia mit einem frechen Grinsen.
 

Ymir lachte auf und legte den Kopf schief, kurz davor Historia aus ihrem Stuhl in eine stürmische Umarmung zu ziehen. Natürlich hielt sie sich zurück und zwinkerte ihrer Freundin zu, die prompt begreifend blinzelte. Sie wusste, dass noch was auf sie zukommen würde, wenn sie alleine waren.
 

Ymir leckte sich genüsslich die Lippen, wurde aber von Sashas Gezeter in die Realität zurückgeholt.
 

„Ja, Herr Gott nochmal! Ich komm’ ja schon“, moserte sie und ging zu Vielfraß, Nerdyboule und Kamikatze.
 

Sie besprachen ihre Montur und gingen nochmal die Architektur des Clubs durch. Sie würden erst morgen in den Einsatz gehen, also sah es Ymir nicht wirklich ein sich zu hetzen. Sie waren alle ziemlich gestresst und unzufrieden mit ihrer Arbeit und Ymir bemühte sich dem etwas entgegen zu wirken. Sie konnten nicht mehr tun.
 

Die politischen Unruhen und die zügellosen Medien waren Übel, die sie nicht verhindern konnten.

Sie mussten dankbar sein, dass die Bevölkerung sich großteils an die Ausgangssperren hielt und die kontinuierlichen Leibesvisitationen duldete. Und dass es keine weiteren Anschläge gab. Noch schienen die Terroristen das strangulierte Aufatmen zu beobachten und das war die einzige Lücke, die sie hatten. Zweifellos würden bald wieder Leute sterben.
 

„Oi! Hört her“, rief Levi über ihre Besprechungen, sodass alle Köpfe zu ihm schnellten.
 

Ymir schnalzte mit der Zunge. Sie hätte nicht geglaubt, dass ihr Boss noch angepisster aussehen konnte als heute Morgen. Sie hatte sich geirrt. Das mussten amüsante Telefonate gewesen sein, um eine solch erstaunliche Steigerung auf der Angepisstheitsskala herbeizuführen.
 

„Alle die sich nicht mit Tamara Pritz, Georg Walker und Bjørn Jachumsen beschäftigen reichen ihre bisherigen Ergebnisse Frederic Vase weiter. Der kümmert sich um die Aufgabenzuweisung an die anderen Einheiten und arbeitet mit der GEG zusammen. Danach könnt ihr euch eine Stunde freinehmen, bevor ihr die anderen bei ihrer Einsatzplanung unterstützt.“
 

Die meisten starrten Levi mit großen Augen an, aber Ymir hob triumphierend die Faust und grinste ihren Boss an. Erst dann schien es ihren Kameraden zu dämmern und sie seufzten erleichtert auf.
 

„Heißt das, dass wir einfach so Däumchen drehen sollen, wenn wir die drei Ziele verwanzt haben?“, fragte Kirschstein ungläubig, der nicht sonderlich erfreut schien seine Arbeit abzugeben. Er hatte anscheinend schon ein paar recht detaillierte Einsatzpläne ausgearbeitet.
 

„Es war alles andere als einfach“, grollte Levi gefährlich, sodass sie alle leicht die Köpfe einzogen, „Und keine Angst, Kirschstein, dir und keinem von euch wird in nächster Zeit die Arbeit ausgehen.“
 

Autsch. Bei diesem Tonfall verschluckte man sich glatt an der eigenen eingeatmeten Luft.
 

„Ja, Sir!“, brachten sie alle etwas atemlos heraus, was Levi mit einem leichten Nicken zur Kenntnis nahm und sie wieder alleine ließ.
 

Mit einem breiten Grinsen wandte sich Ymir wieder ihrer Gruppe zu.

„Hah, endlich etwas mehr Freizeit!“
 

„Freizeit?“, echauffierte sich Eren prompt so herrlich empört, dass Ymir gleich auf die Bremse trat. Den Zug wollte sie vorbeiziehen lassen.
 

„Chill out, oh man. Ich arbeite genauso viel wie du, okay.“
 

„Scheinbar nimmst du das alles nicht so ernst“, warf Eren ihr vor, was sie nur mit Mühe ohne Augenrollen hinnahm.
 

„Soll ich dir ein Motivationsschreiben vorlegen?“, erwiderte sie dennoch sarkastisch, „Anscheinend ist der Boss nicht der Einzige, der heute etwas sensibel reagiert, huh?“
 

Eren sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen sauer an, schien sich jedoch abzuregen.
 

„Leute, lasst uns lieber nochmal den Plan durchgehen“, holte sie Armin zurück zum Thema.
 

Immerhin behielt Nerdyboule einen kühlen Kopf.
 

*~*
 

Sich die Nase reibend ging Eren am Abend zu Levis Appartement. Er verabscheute den Geruch von Haartönungen. Trotz Shampoonieren und auswaschen, hatte sich der Gestank in seine Nasenflügel gebrannt. Wenigstens störten ihn die Kontaktlinsen nicht. In seinem früheren Präsidium hatten sie eine Frau, die jedes Mal Augenentzündungen bekam, wenn man ihr Kontaktlinsen zuschob. Das ist erstmal scheiße.
 

Eren klopfte an und glücklicherweise wurde ihm zügig geöffnet.
 

Levis Ausdruck änderte sich in einem Sekundenbruchteil von gelangweilt zu überrascht, was Eren erst recht etwas unsicher über die Nase reiben ließ.
 

„Ähm, hi!“, begrüßte er ihn verlegen lächelnd.
 

Levi ging zur Seite und ließ ihn eintreten.

„Du in blond ist seltsam.“
 

„Ich weiß“, stöhnte Eren, „Und diese Tönung macht mich wahnsinnig! Ich krieg den Gestank einfach nicht aus der Nase.“
 

Levi warf ihm einen skeptischen Blick zu, der Eren daran erinnerte, dass die Stimmung zwischen ihnen etwas angespannt war und sein Ausbruch es womöglich nicht besser machte.
 

„Ich mache gerade einen Jasmintee. Vielleicht wird es besser, wenn du deine Nase da reinschiebst.“
 

Erleichtert seufzte Eren auf.

„Jasmintee klingt lecker“, lächelte er, „Und ich bin ja auch mit dem Zucchinieintopf dran, da kommen auch viele geruchsintensive Zutaten rein.“
 

„Hm.“
 

„Hast du noch Lust auf Zucchinieintopf?“, hakte Eren nach und beobachtete Levi dabei, wie er den Tee in zwei Tassen goss.
 

„So war es abgemacht.“
 

Eren nickte und schluckte den plötzlichen Kloß in seinem Hals runter. Er sollte nicht so sensibel auf Levis gelangweiltes Gesicht und seine leicht irritierten Worte reagieren.
 

Er wusch sich die Hände und begann die Zutaten und Gegenstände für den Eintopf zusammenzusuchen, als Levi neben ihn an die Küchentheke trat und ihm eine Tasse vor die Nase hielt.
 

„Danke“, lächelte Eren und nahm die Tasse in seine Hände. Der Tee duftete fantastisch. Gierig inhalierte er den heißen Dampf.
 

„Kann ich dir beim Kochen helfen?“
 

Überrascht sah Eren auf.

„Klar. Wenn du möchtest.“
 

„Würde ich sonst fragen?“
 

„Nein“, seufzte Eren, „Du wohl nicht.“
 

„Aber andere schon?“

Levi warf ihm einen wenig amüsierten Blick zu. Es kam Eren vor, als versuche Levi seine Mimik zu kontrollieren. Ansonsten war sein Gesichtsausdruck auf natürlichere Weise stoisch.
 

Warum trug er plötzlich eine Maske vor ihm?

Es verursachte ein ungutes Gefühl. Als läge ein mit Steinen gefülltes Säckchen in seinem Magen.
 

„Viele fragen nur aus Höflichkeit und hoffen darauf eine Absage zu bekommen.“
 

„Vielleicht wollte ich auch nur ein „Nein“ hören.“
 

„Tja, zu spät“, grinste Eren ihn an und legte ihm die Zucchini zum Schälen und Schneiden vor die Nase, „Aber wenn du nicht wollen würdest, würdest du mich einfach ignorieren.“
 

Levi warf ihm einen kurzen Blick zu und summte zustimmend, ehe er sich die Hände waschen ging.
 

Sie bereiteten schweigend den Eintopf vor und obwohl es nicht direkt das angenehme Schweigen war, das Eren schon oft mit Levi genossen hatte, war er momentan zufrieden damit.
 

Als sie den Topf zum Köcheln auf den Herd gestellt hatten, machte es sich Eren an der Theke mit der letzten Tasse Tee gemütlich und schloss erschöpft die Augen.
 

„Gibt es eigentlich einen Tee, den du besonders gerne trinkst?“, riss Levis ruhige Stimme Eren aus seinen trägen Gedanken.
 

„Ich habe eigentlich keine Favoriten. Aber mit bitteren Tees kannst du mich jagen. Oder mit seltsamen Geschmackssorten wie Schokolade-Ingwer oder so.“

Eren verzog angewidert das Gesicht.
 

„Ingwer ist gut, aber es gibt schon perverse Kombinationen.“
 

„Ja, nicht?“, gestikulierte Eren mit der rechten Hand, „Wenn ich Schokolade will, dann trink ich doch keinen Tee, sondern Kakao oder so.“
 

„Ich würde einen Kräutertee mit Holunder-, Lindenblüten, Thymian, Salbei, Drachenkopfblätter, Spitzwegerich und Malvenblüten machen, wenn du sowas magst.“
 

Eren blickte ihn mit großen Augen an.

„Also die erste Hälfte sagt mir sogar was, aber das andere Zeug kenne ich nicht und klingt giftig.“
 

Levi betrachtete Eren wie einen Kretin, allerdings lag Amüsement in seinen sturmgrauen Augen und Eren war es als löse sich ein Knoten in seiner Brust und er wüsste nach langer Zeit wieder wie man atmet. Es war ein plötzliches, unerwartetes Gefühl. Es machte ihn glücklich.
 

„Es ist eigentlich ein Erkältungstee, deswegen sind viele beruhigende Kräuter drin. Ist aber gut und weder bitter noch giftig.“ Er verdrehte die Augen.
 

„Ja, gern“, lächelte Eren, „Ich probiere gerne was Neues aus.“
 

Daraufhin nahm Levi Sieb und ausgespülte Teekanne und bereitete den Tee vor.
 

„Trinkst du eigentlich einfach nur gerne Tee oder kennst du dich auch mit Kräutern aus?“, fragte Eren plötzlich und fing Levis Aufmerksamkeit wieder ein, welcher sich mit verschränkten Armen an die Küchentheke lehnte, um ihn anzusehen.
 

„Anfangs erst das eine. In Bangkok trinkt man eher Tee und Kaffee mochte ich nie sonderlich. Es ist eher ein Mittel zum Zweck, um mich vorm Wachkoma zu bewahren.“
 

Levis Körper spannte sich auf einmal komplett an, als ihm seine Formulierung dämmerte. Eren lächelte ihn milde an. Er hatte kein Problem mit dem Wort „Koma“ in jeglicher Hinsicht.

Nicht mehr.
 

Auf gewisse Weise fühlte er sich durch Levis Umsicht geschmeichelt, aber er wollte nicht, dass er sich deswegen unwohl fühlte.
 

Deswegen hakte Eren weiter nach.

„Aber dann hast du auch angefangen dich für die Zutaten zu interessieren?“
 

Levis Haltung entkrampfte sich ein wenig, als er in seinen Erinnerungen versank.

„Ja, ich mochte wie die verschiedenen Blätter dufteten und begann nach Büchern zur Kräuterkunde und Botanik allgemein zu suchen. Wenn mich etwas interessiert, lerne ich schnell und merke mir auch fast alles, sodass ich in kürzester Zeit viel über die verschiedenen Zutaten wusste und immer - wenn ich konnte - für sämtliche Beschwerden und Gelüste einzelne Kräuter besorgt und selber Tees kreiert habe.“
 

„Wow“, strahlte Eren beeindruckt, „Das klingt nach einer richtigen Leidenschaft. Machst du heute auch noch deine eigenen Teesorten?“
 

„Selten. Die käuflichen Mischungen sind recht passabel und decken meine Bedürfnisse gut genug ab.“ Just in diesem Augenblick war das Wasser fertig und Levi drehte sich um und goss den Tee auf.
 

„Gab es irgendeine Mischung, die du am liebsten gemacht hast?“
 

Levi blickte auf die Uhr am Herd, ehe er sich wieder Eren zuwendete.

„Wenn es ging, habe ich verschiedene Schwarzteesorten kreiert. Davon gab es nur wenig gute Blätter auf dem Markt.“
 

Eren verschränkte die Arme auf der Theke und legte den Kopf leicht schief.

„Das klingt wirklich interessant. Ich würde zu gern mal einen deiner Tees probieren.“
 

Levi schnaubte.

„Du würdest den Unterschied zu anderen Teesorten doch gar nicht bemerken.“
 

„Wer weiß“, grinste Eren zwinkernd, „Vielleicht werde ich nach den drei Wochen mit dir zum Teeexperten mutiert sein.“
 

„Du legst doch gar keinen Wert auf solche Details“, stellte Levi trocken fest und entfernte das Sieb aus der Kanne, ehe er diese auf die Theke stellte und sich mit seiner Tasse Eren gegenüber setzte.
 

„Hey!“, beschwerte sich Eren sogleich, während Levi ihre Tassen aufgoss, „Das kannst du doch gar nicht wissen!“
 

„Hm.“ Nachdenklich nahm Levi seine Tasse am oberen Rand und hielt sie sich mit genießerisch geschlossenen Augen vor die Nase. Es war Eren ein Rätsel, wie er die Tasse so halten konnte.
 

Neugierig nahm Eren auch seine Tasse und sog den angenehmen Duft auf. Er konnte unmöglich einzelne Zutaten bestimmen, aber womöglich brauchte man dafür einfach Übung im Erschnüffeln der verschiedenen Blätter und Blüten.
 

„Bevor ich zum Militär gegangen bin, dachte ich immer, dass ich eines Tages meinen eigenen Teeladen eröffnen würde“, durchbrach Levi plötzlich die aufgekommene Stille mit einer ungewohnt tiefen, nachdenklichen Stimme.
 

Erstaunt blickte Eren von seinem Tee auf. Levi starrte stur auf seine Tasse, einen erschreckend verletzlichen Ausdruck in seinen Augen widerspiegelnd.
 

Nein, nicht verletzlich, begriff Eren. Nostalgisch. Die rohe, düstere Variante bittersüßer Erinnerungen.
 

„Das hätte sicherlich super funktioniert“, sagte Eren leise und lächelte, als Levi ihm in die Augen sah, „So ordentlich und gewissenhaft wie du bist, hätten die Leute dir die Bude eingerannt.“
 

Als Eren in Levis Augen erkannte, dass er sich wieder zurückzog, redete er schnell weiter.
 

„Als ich klein war, wollte ich Tierfilmer werden“, bei der Erinnerung begann Eren zu strahlen, „Da war dieser Kerl, als wir ein paar Monate im Kongo waren, der war Tierforscher oder so und hat die ganze Welt bereist, um Dokumentationen zu drehen. Das fand ich so cool, dass ich das auch unbedingt machen wollte!“
 

Neugierig geworden blickte Levi ihn weiterhin an.

„Was hat dir an diesem Beruf am besten gefallen?“
 

„Das Reisen und die Aussicht viele verschiedene Tiere sehen zu können“, grinste Eren verträumt, „Allerdings war ich da ungefähr fünf Jahre alt und hatte keine Ahnung von der Welt. Zumindest nicht allzu viel. Es hat mir nicht gefallen ständig mit meinen Eltern umherzureisen, ohne Kontrolle darüber zu haben wann und wohin. Ich hab es gehasst, dass sie mich immer wie eine Sache mitgeschleift haben. Ich wollte selber über mich entscheiden und in dem Sinne frei sein. Da klang der Tierforscher, der mit seiner Crew die Welt bereiste, wie ein wahr gewordener Traum. Ziemlich kindisch und im Nachhinein tut es mir leid, dass ich immer so einen Aufstand gemacht habe, wenn wir wieder woanders hinfliegen mussten.“
 

„Das klingt normal für ein Kind“, meinte Levi und trank einen Schluck, „Warum hat dir das Reisen mit deinen Eltern nicht gefallen? Weil du deine Freunde immer aufgeben musstest?“
 

„Nicht wirklich“, erwiderte Eren und stand auf, als der Herd aufleuchtete. Der Eintopf war fertig.

„Ich war nie sonderlich beliebt und hatte nie sonderlich gute Freunde, die ich vermisst hätte. Es waren eher die Orte, an die wir mussten.

„Meistens waren es irgendwelche Flüchtlingslager oder überfüllte Krankenhäuser in stickigen, heißen Städten mit vielen, gehetzten Menschen. Ich habe so viele schwer kranke und verletzte Menschen gesehen und nichts auch nur annähernd Schönes. Das beste, was passieren konnte, war, dass ich Neugeborene sehen konnte, die zur Abwechslung mal von einer glücklichen und nicht todtraurigen Mutter in die Arme genommen wurden.

„Als Kind nimmt man die Geschehnisse hin wie sie sind, aber im Nachhinein war es fürchterlich und oft sehr gefährlich. Aber für meine Eltern war es die Berufung und sie haben auch alles getan, um mich zu beschützen und auszubilden.“
 

Gedankenverloren richtete Eren die Theke her und gab das Essen auf ihre Teller. Er spürte Levis Blick auf sich ruhen, aber das Gefühl riss ihn nicht aus den bildhaften Erinnerungen über seine Eltern.
 

Er sah sich als kleiner trotziger Junge seine Mutter anschreien, weil sie wieder nicht nach Hause gekommen war wie sie es versprochen hatte. Sie brach oft ihre Versprechen. Sein Vater machte erst keine mehr. Er sah ihr Lächeln vor seinem geistigen Auge, doch ihr Gesicht war verschwommen, sodass ihre Gesichtskonturen durch ein Foto, das Eren von ihr besaß, ersetzt wurden. Nur Fotos konnten die Gesichter seiner Eltern in allen Details für Eren bewahren.
 

„Also hast du als Kind nie mit dem Gedanken gespielt auch Arzt zu werden“, riss Levi ihn aus seinen erstickenden Gedanken, „sondern immer nur Tierfilmer?“
 

Eren setzte sich wieder auf den Barstuhl und nahm die Gabel in die Hand, ehe er Levi betrübt anlächelte.

„Doch, als ich Sieben war oder so. Meine Eltern waren nicht so begeistert von meiner Schwärmerei und hatten mir eingeschärft, dass ich zuvor etwas handfesteres lernen müsse. Also wollte ich dann Medizin studieren, um danach als Tierforscher durch die Wildnis zu streifen.“
 

„Warum hast du später dann nicht doch noch Medizin studiert?“, fragte Levi und Eren erkannte ein leichtes Zögern.
 

Erneut freute sich Eren über Levis Vorsicht, aber er war noch viel erfreuter über Levis Interesse. Sie hatten schon viel geredet, aber nie über ihre Vergangenheit oder wirklich persönliche Dinge.
 

Eren schenkte Levi ein sanftes Lächeln.

„Meine Eltern konnten mit ihrer Arbeit nur Pflaster auf schon zugefügte Wunden kleben. Ich wollte es gar nicht erst dazu kommen lassen. Ich wollte verhindern, dass es erst zu diesen Wunden kam. Ziemlich idealistisch, ich weiß. Und vermutlich hätte ich dafür Politiker werden müssen, aber ich war zu wütend und ehrlich, um die Spielchen der Politik mitmachen zu können.“
 

„Warum bist du nicht zum Militär gegangen?“, fragte Levi ihn zwischen zwei Bissen.
 

Eren hielt auf halben Weg zum Mund inne.

„Die nehmen keinen auf, der eine ungefestigte Vergangenheit hat. Und ein Waisenjunge, der seine Eltern bei einem Terroranschlag in Afrika verloren hat, fällt definitiv darunter.“
 

Echtes ungläubiges Amüsement blitzte durch Levis Augen und er lachte einmal auf.
 

„Was ist daran lustig?“, wollte Eren verständnislos wissen. Da zeigte der Kerl so gut wie nie Emotionen und jetzt lachte er über Erens Situation?
 

Levi nahm mit belustigt glänzenden Augen wieder die Gabel zur Hand.

„Es ist nur lächerlich ironisch, dass sie dich wegen sowas abgewiesen haben. Scheiß Bürokratie. Wenn es nach solchen Vorgaben ginge, wäre ich nie Soldat geworden. Und nun hängen unzählige Auszeichnungen an meiner Brust wie Christkugeln am Weihnachtsbaum.“
 

„Huh“, schnaufte Eren und nahm einen Bissen. Er zögerte auf den Zug aufzuspringen und Levi über die Umstände seiner Rekrutierung auszufragen, da er das Gefühl hatte, dass er Levi dadurch wieder abschrecken könnte. Das wollte er um jeden Preis verhindern, zu gut fühlte es sich an mit ihm reden zu können.
 

„Immerhin bin ich jetzt in einer Position, in der ich was bewirken könnte, auch wenn es sich momentan nicht so anfühlt.“
 

Levis Blick wurde wieder härter, professionell.
 

„Der Einstieg in diesen Job war beschissen und ich habe es auch nicht besser gemacht“, gab Levi zu, „Ich habe mich zu sehr von Erwin und den ganzen Ärschen der anderen Einheiten bequatschen lassen. Aber damit ist jetzt Schluss.“
 

Eren betrachtete Levi mit einem erstaunten Blinzeln.

„Echt? Hat nicht so gewirkt.“
 

Levi schnaubte abwertend.

„Eigentlich sind wir eine Spezialeinheit, die innerhalb und außerhalb Europas Terroristen und dergleichen ausmerzen sollte. Eine Mischung aus GSG9, GEG und Militär. Nicht wir sollen den anderen zuarbeiten, sondern sie uns. Und ich werde keinen Finger mehr rühren, solange es Kompetenzgejammer gibt, weil die anderen Einheiten uns für überflüssig halten.“
 

Sie waren allein schon flexibler und unabhängiger als GSG9 und GEG. Und das Heer durfte im Inland sowieso nicht agieren, außer bei Naturkatastrophen.
 

„Wenn wir erst einmal auf die richtige Spur kommen, werden sie sehen, dass wir eine Daseinsberechtigung haben“, grinste Eren entschlossen.
 

Levi sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, doch dann nahmen seine Augen plötzlich einen gar zerknirschten Ausdruck an, den Eren so noch nicht bei ihm gesehen hatte.
 

„Du hattest mich gefragt, warum ich diesen Job mache“, begann Levi mit monotoner Stimme und blickte ihm wieder direkt in die Augen, „Es stimmt, dass mich Erwin darum gebeten hat eure Ausbildung zu leiten, aber ich wäre dem nicht nachgekommen, wenn ich es nicht gewollt hätte und ich bereue die Entscheidung auch nicht.“
 

Levi sah ihn durchdringend an, Eren glaubte ihm.
 

Er begann erneut zu strahlen.

„Danke, dass du mir das gesagt hast!“
 

Levi schnaufte, ob seiner Überschwänglichkeit und sah auf seinen Teller. Keine Sekunde später erhob sich Levi und stellte das Geschirr in die Spüle.

„Danke für das gute Essen. Ich geh' schon mal vor ins Bad.“
 

„Ist gut“, nickte Eren gut gelaunt und stand ebenfalls auf, um die Küche aufzuräumen.
 

***
 

„Ich schwöre, ich schmeiß’ dich raus, wenn du dich auch nur einmal noch bewegst“, grollte Levi hörbar am Ende seines Geduldsfadens.
 

Eren schnaufte auf und drehte sich vom Bauch auf die Seite, um Levi ansehen zu können, der mit geschlossenen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln auf dem Rücken lag.
 

„Tut mir leid, aber ich finde einfach keine Ruhe“, erklärte Eren in normaler Lautstärke, was Levi genug zu irritieren schien, dass er die Augen öffnete und ihn wütend anfunkelte.
 

„Ist mir scheiß egal! Ich bin todmüde und will weder das Bett ruckeln, noch deine Körperwärme spüren, also reiß dich zusammen, halt's Maul und bleib mir von der Pelle! Ansonsten trete ich dich aus dem Bett!“
 

Eren brummelte unzufrieden und warf Levi einen schmollenden Blick zu.
 

„Aber wenn ich in der Nacht unbewusst an dich heranrücke, dann bitte Arschtritt nur als ultima ratio“, bat Eren im Flüsterton, „Ich hab im Waisenhaus jahrelang mit Mikasa im selben Bett geschlafen, bis man uns verpetzt hat und die Betreuer es zu heikel fanden uns das mitten in der Pubertät zu erlauben.“
 

Eren schnaubte verschämt.

„Da wir nicht blutsverwandt sind, hatten sie Angst, das was passieren könnte und haben uns ins Gebet genommen. Das war so peinlich!“ Bei der Erinnerung wurden seine Wangen heiß und er barg das Gesicht in der Hand.
 

Aber er fing sich schnell wieder und erzählte munter weiter.

„Als Mikasa dann im Krankenhaus war, hat Armin eine Zeit lang bei mir geschlafen, um mich zu trösten. Das heißt ich bin es gewöhnt mit jemandem im Bett zu schlafen und hab normalerweise keine Scheu, also bitte erst aufwecken, bevor du mich rausschmeißt.“
 

Als Eren wieder Luft holte, nahm er sich die Zeit Levi wieder in die Augen zu sehen.

Der betrachtete ihn mit leicht geöffnetem Mund, erstaunt aufgerissenen Augen und irritiert zusammengezogenen Augenbrauen.
 

„Bist du wach?“, fragte Levi ihn trocken.
 

Verwundert legte Eren die Stirn in Falten.

„Ja, aber wa- Au!!!“
 

Levi trat ihm unvermittelt gegen das Schienbein. Es war nicht sonderlich schmerzhaft, dennoch rieb sich Eren jammernd über die malträtierte Stelle.
 

„Hey!“
 

„Was an „Halt’s Maul“ verstehst du nicht?“, knurrte Levi.
 

„Ich wollte dich ja bloß vorwarnen, Mensch!“, moserte Eren und zog die Decke enger um sich, „Es könnte halt sein, dass ich dir gegen Ende der drei Wochen unabsichtlich auf die Pelle rücke, weil ich meine Scheu mit der Gewöhnung verlieren könnte. Autsch! Verdammt noch mal, Levi!“
 

Echauffiert rieb sich Eren über seinen Oberschenkel.
 

„Noch ein Wort und ich trete noch eine Stufe höher, da wo es wirklich weh tut“, grollte Levi bitterböse, „Dann wollen wir mal sehen, wie schnell du die Scheu vor mir verlierst.“
 

Unzufrieden stöhnte Eren auf und rollte sich zusammen wie eine beleidigte Katze und funkelte Levi vorwurfsvoll aus der über den Kopf gezogenen Decke heraus an.
 

Levi schnaubte bloß entnervt und drehte ihm den Rücken zu.
 

*~*
 

Äußerlich völlig ruhig beobachtete Levi das Geschehen auf dem Bildschirm. Er sah alles durch eine winzige Kamera, die sich an Annies Colliers befand. Sie und Marco hatten sich Undercover auf den Parteitag als Kellner geschlichen, wo sie Walker und Jachumsen verwanzen sollten. Historia beobachtete auf zwei Monitoren jeden ihrer Schritte und kommunizierte wie auch Levi über Ohrmikrofone mit ihnen.
 

Der Parteitag hatte um 17:00 Uhr begonnen und es konnte dauern, bis sich eine Gelegenheit ergeben würde die Sender zu spritzen. Die Spritzen waren zwar nur 1,00 x 0,50 mm groß und verursachten keinerlei Zwicken, wenn man die Sender unter die Haut spritzte, allerdings musste man sehr präzise und schnell vorgehen, damit das Ziel nichts bemerkte. Es war nicht sonderlich einfach unbemerkt an den Oberschenkel eines Fremden zu kommen, wo die Mikrosender am besten festsaßen.
 

„Team Beta ist in acht Minuten am Zielort“, informierte ihn Hannah, die an den Monitoren gegenüber Historia saß.
 

Normalerweise würden sie aus einem Jet aus die Überwachung übernehmen, allerdings war Hannah es in ihrem Zustand verboten zu fliegen, sodass sie nun in einem Van 43 km von dem Club entfernt saßen, zu dem Team Beta aufgebrochen war. Team Alpha wurde von Jean und seiner Gruppe aus einem Hotel in der Nähe des Parteitags vor Ort unterstützt, falls es notwendig werden sollte.
 

Wenn Hannah arbeiten wollte, war Levi dankbar dafür und erlaubte es im Rahmen der Vorschriften und gesundem Menschenverstand.
 

Levi setzte sich neben Hannah und beobachtete mit ihr die vier Monitore, die die Bilder von winzigen Kameras, welche an der Kleidung angebracht waren, zeigten.
 

„Historia, ich schalte auf Beta.“
 

„Verstanden!“ Zusammen mit Reiner behielt sie Marco und Annie im Auge.
 

„Team Beta kommen. Versteht ihr mich?“, sprach Levi in sein Headset mit ihren Lockvögeln.
 

„Ganz deutlich, Sir“, erwiderte Eren stellvertretend für alle.
 

„Gut. Viel Erfolg Beta.“
 

„Danke, Sir!“, kam es unisono zurück.
 

Wenn alles glatt lief, würde Levi sie nur beobachten und keinen Kontakt aufnehmen müssen. Er hoffte, dass sie den Einsatz bald über die Bühne brachten.
 

*~*
 

Nur keine Panik. Nicht durchdrehen. Alles wird gut.
 

„Whaaaaa!“
 

„Sag’ mal!“
 

„Spinnst du?“
 

„Was geht denn mit dir?“
 

Mit vorgebeugtem Oberkörper und geballten Fäusten auf den Knien starrte Sasha auf den Boden. Ihr Herz raste unangenehm in ihrer Brust und Übelkeit schnürte ihren Magen zu, während sie sich gleichzeitig fühlte, als müsse sie jeden Augenblick aufs Klo rennen.
 

Sie wimmerte und biss die Zähne zusammen.
 

„Du gehst nur in einen Club, also kein Grund für dich so nervös zu sein.“
 

Sie sah ein wenig auf und begegnete Connies lächelndem Gesicht und seinen gütigen Augen. Seine Hand ruhte warm auf ihrer Schulter, es war als zöge er ihr sämtliche Nervosität aus dem Leib.
 

Obwohl das Zusammenleben mit ihm zu Anfang echt anstrengend gewesen war und sie sich oft genug gefetzt hatten, konnte Sasha nicht abstreiten, dass sie sich näher gekommen waren.
 

Eine vertrauensvolle Freundschaft verband sie und diese schlichte Geste vermochte es tatsächlich Sasha zu beruhigen.
 

Sie setzte sich wieder gerade hin und schenkte Connie ein Lächeln, das er mit einem treudoofen Grinsen erwiderte.
 

„Was laberst du Springer?“, hänselte Ymir, „Wir gehen in den Club für rechtsradikale Wichser. Ein falsches Wort und dir wird aufs Maul geschlagen.“
 

„Wie gut für dich, dass du eine Frau bist“, fuhr Connie sie postwendend an, grinste dann gehässig, „Obwohl, wenn ich dich länger angucke…“
 

„Sollte das etwa ein armseliger Versuch eines Witzes sein?“
 

„Haltet die Klappe!“, fuhr Eren dazwischen und warf Connie und Ymir einen strengen Blick zu.
 

Ymir biss sich sichtlich auf die Zunge und zischte abfällig, während Connie sich beleidigt im Sitz umdrehte.
 

„Das ist nicht die Zeit für Streit“, beschwichtigte Armin gekonnt, „Dieser Einsatz ist für deinen Ersten eigentlich ganz gut.“
 

Sasha begegnete Armins nun dunkelbraunen Augen, die zu seinen haselnussbraun gefärbtem Haar perfekt passten.
 

Er lächelte sie mit einer gottgewollten Ruhe an.

„Der Einsatz steht und fällt nicht mit deinen Taten allein, wir sind auch noch da und die Lichtverhältnisse im Club werden uns in die Hände spielen.“
 

„Ja, schon“, erwiderte sie kleinlaut, „Es ist halt was komplett anderes. Normalerweise beobachte ich das Geschehen aus der Ferne und bin nicht mitten drin.“
 

„Wenn wir erstmal da sind, wirst du so beschäftigt sein, dass dir die Nervosität vergeht“, versicherte Armin ihr.
 

„Okay, danke“, lächelte Sasha gezwungen.
 

Der Van hielt an.

„Wir sind da, ihr müsst hier raus“, rief Berthold hinterm Steuer zu ihnen nach hinten, „Ihr wisst wo der Club ist und wo wir auf euch warten werden.“
 

„Ja!“
 

Simultan erhoben sie sich und stiegen aus dem Van in die frische Nachtluft.
 

„Ihr kennt die Richtung“, meinte Connie und grinste sie an, bevor er die Schiebetüre schloss, „Viel Spaß!“
 

Sie sahen dem Van alle ziemlich miesepetrig hinterher.
 

„Na gut, auf geht’s!“ Zielstrebig führte sie Eren an.
 

Ymir verdrehte die Augen.

„Bringen wir’s hinter uns.“
 

Sie liefen einige Zeit durch das nächtliche Dresden. Es war dank der Sperrstunde wie ausgestorben. Unter normalen Umständen hätten sie wie jede andere Gruppe an jungen Nachtschwärmern mit ihrer schicken sexy Kleidung ausgesehen. Sie waren lediglich etwas konservativer gekleidet, um in den rechtsorientierten Club überhaupt reinzukommen.
 

Eren war mit seinen blonden Haaren, honigbraunen Augen, Hemd und alter Militärhose wirklich nicht mehr zu erkennen

Armin konnte seine blauen Augen und blonden Haare leider nicht behalten und musste beides mit braun ersetzen.

Sie sollten immerhin ihren Typ verschleiern. Vielleicht hatte er sich deswegen in Springerstiefel und Muskelshirt gezwängt. Es war ein irritierender Anblick.

Sasha hatte wie Ymir blaue Augen und schwarzes Haar, aber während Ymir in engen Jeans und Pseudo-Militärjacke gekleidet worden war, musste Sasha in einem altmodischen, züchtigen Blümchenkleid gehen.

Sie fühlte sich unwohl und dämlich. Wie sollte sie so an ihr Ziel herankommen?
 

Der Club lag in einer zwielichtigen Seitenstraße versteckt und der Eingang wurde von zwei glatzköpfigen Muskelprotzen bewacht. Es stand sonst keiner auf der Straße und die Atmosphäre versetzte Sasha in Alarmbereitschaft. Die Luft fühlte sich dick und bleiern an.
 

Sie war froh, dass Eren voranging. Er und Ymir hatten von ihnen die größte Erfahrung in Undercover-Einsätzen.
 

Ohne sichtlich Notiz von den Rausschmeißern zu nehmen, ging Eren auf sie zu und hielt ihnen einen echten gefälschten Ausweis unter die Nase.
 

„Martin Loibl aus Nürnberg, huh“, las einer der Protze vor, „Wie kommt ein Kack-Tourist an diese Adresse?“
 

„Die richtigen Freunde“, erwiderte Eren kalt und passiv.
 

Sasha lief ein Schauder den Rücken hinab. Sie hatte in den Einsätzen oft genug diesen kalten Ton von Eren gehört, aber es war etwas anderes seine emotionslosen Augen dabei zu sehen. Sie hatte nicht für möglich gehalten einmal so wenig Gefühl in ihnen erkennen zu können.
 

Der Protz durchbohrte Eren mit seinen kleinen Schweinsäuglein, nickte dann jedoch und gab ihm den Ausweis zurück.
 

„Anna Dietrich aus Ansbach, Friedrich Meringer aus Nürnberg“, las der Protz vor und nahm schließlich Sashas Ausweis zur Hand, „Und eine Stefanie Seidel aus Nürnberg. Ihr habt wohl auch die richtigen Freunde.“
 

Der gehässige Tonfall des Mannes machte Sasha wütend doch Ymir hakte sich bloß bei ihr unter und zog sie mit sich in den Club.

„Natürlich haben wir das“, grinste Ymir süffisant und zwinkerte den Männern zu, ehe sie aus der Sicht waren.
 

Ein düsterer, tür- und fensterloser Gang führte zu einer breiten Feuerschutztür. Ohne erkennbares Zögern zog Eren die Türflügel auf. Dröhnende Musik und schwüle Hitze schlug ihnen entgegen.
 

Sasha war einen Augenblick von den vielen Eindrücken überwältigt, dann setzen ihre Instinkte ein.

Schnell huschten ihre Augen durch den Club, sogen alle Details auf.
 

Hitze.
 

Überwiegend männlich.
 

Schweiß.
 

Trunkenheit.
 

15 Leute in der VIP-Lounge.
 

Tamara Pritz.
 

Sie blickte mit einer mühevollen Selbstherrlichkeit auf den unteren Bereich des Clubs herab, umringt von drei Männern und einer Frau, die ihren Stil imitierte.
 

Sie war das Alphatier.

Sie war aber schwach.
 

Sasha verzog verächtlich den Mund.
 

Menschen waren die einzigen Tiere, die sich so uneingeschränkt hingebungsvoll blenden ließen.
 

Eren und Armin gingen zur Bar und bestellten ihnen allen ein Bier.

Ihre Sinne mussten scharf bleiben, aber nichts zu trinken würde auffallen.

Bier war ein Kompromiss und sie hatten Tabletten zu sich genommen, die Alkohol in gewissen Mengen aufzulösen vermochten. Eine Maß Bier pro Stunde würde sie also nicht betrunken machen.
 

„Alkibletten“ wurden sie im Volksmund genannt und waren ziemlich teuer. Nur reiche Kids konnten sich das Zeug leisten und die Krankenkasse bezahlte es nur für die Therapie von Alkoholikern, um sie vor einer teuren Lebertransplantation zu bewahren.
 

„Hey, Steff“, rief Ymir über den rassistischen Sprechgesang hinweg, „Lass uns zur Bar gehen.“
 

Ymirs Haltung hatte sich völlig verändert. Sie bewegte sich plötzlich feminin und strahlte schalkhaften Spaß aus.
 

Sasha biss die Zähne zusammen.

Sie musste sich endlich unter Kontrolle bringen.

Es war lachhaft wie sie sich anstellte.

Sie war kein blutiger Anfänger mehr.
 

Als Armin ihr eine Flasche Bier in die Hand drückte, begann sie sich langsam zu beruhigen.

Alles würde nach Plan laufen.
 

*~*
 

Observationen waren zum Kotzen.
 

Hierzu zählte für Levi auch das stumpfsinnige auf-die-Monitoren-Gestarre bei diesem Einsatz.
 

Bei Annie und Marco hatte sich bisher keine Gelegenheit ergeben an die Zielpersonen zu gelangen, allerdings war Levi zuversichtlich, dass nach den Vorträgen die Stimmung locker genug wurde, um sich ihnen zu nähern.
 

Team Beta befand sich im Club und hatte sich erfolgreich integriert. Sie tanzten nun seit fast einer Stunde relativ erfolgreich, wenn man nach dem zustimmenden Gegröle ihrer Umgebung urteilte. Eine Einladung in den V.I.P.-Bereich hatte leider noch keiner bekommen.
 

„Bei Annie tut sich was“, riss Historia Levi aus seinen Gedanken.
 

Er drehte sich im Stuhl um und rollte sich neben Historia.
 

„Annie hat Walker angeflirtet und der geht drauf ein.“
 

„Der besoffene Sack“, murrte Levi und erntete von seinen Leuten kugelrunde Augen.
 

Er beobachtete auf dem Monitor wie geschickt Annie den gut gelaunten, gut beschwipsten Mann um den Finger wickelte. Sie brauchte nicht viel zu reden. Annie war die Femme Fatale, die mit ihrer Körpersprache mehr sagen konnte als mit Worten. Und es wirkte.
 

Levi rümpfte angewidert die Nase.
 

Menschen konnten so unglaublich einfach gestrickt sein, darauf konnte man sich wenigstens verlassen.
 

Keine zwanzig Minuten später hatte Annie den Kerl auf die Toiletten gelockt.

Sie hatte sich mit ihm in eine Kabine auf dem Herrenklo gezwängt und ließ sich an der Brust begrapschen, während sie an seinem Gürtel herumfummelte.
 

„Bott kommen“, sagte Levi in das Micro, was auch Annie hören konnte.
 

„Bott hier“, kam es leise zurück.
 

„Bott, geh zum Männerklo im linken Flügel bei der Treppe. Annie ist dort mit Walker. Ich möchte, dass du sie auf mein Zeichen hin störst und Annie damit raus schmeißt.“
 

„Verstanden, Sir.“
 

Levi beobachtete wie Annie langsam auf die Knie ging und mit ihren Händen die entblößten, haarigen Oberschenkel des beleibten Mannes hoch strich. Es war eine unauffällige Bewegung, in der Annie mit dem Daumen den silbernen Ring an ihrem Ringfinger drückte, in dem die Spritze verborgen war, der die Wanze direkt unter die Haut setzte.
 

Historia stieß ein triumphierendes „Ha!“ aus und wandte sich mit einem Nicken an Levi.
 

„Bott kommen. Hol Annie da raus.“
 

„Verstanden, Sir!“
 

Annie war gerade dabei Walkers Unterhose runterzuziehen, als ein lauter Knall beide zusammenzucken ließ.
 

„Ich sehe ganz genau, dass Sie da zu Zweit drin sind! Kommen Sie sofort raus!“, wetterte Marco beeindruckend autoritär.
 

„Verpiss dich“, schimpfte Walker, woraufhin Marco weiter gegen die Kabinentür schlug.
 

„Ich werde weitermachen, bis Sie da raus kommen“, versprach er zornig und schlug auf die Tür ein.
 

Annie stand auf und richtete ihre Kleidung, während Walker fluchend wie der letzte Prolet seine Hose hochzog.
 

Annie beeilte sich die Tür aufzuschließen und herauszuschlüpfen, ehe der protestierende Walker sie aufhalten konnte und ging zielstrebig wie abgesprochen zu den Bediensteten-Räumen, wo sie sich im passenden Augenblick davonschleichen und zu Jeans Gruppe stoßen würde.
 

Marco hatte sich unterdessen ungesehen schnell zurück zu seiner Stelle begeben und stolzierte mit einem Tablett voller Champagner-Gläser an einem krebsroten, mühevoll Contenance suchenden Walker vorbei, der aus dem Herrenklo stolperte.
 

Das war gut gelaufen. Jetzt musste Marco zusehen, wie er an Jachumsen kam.
 

Levi atmete tief durch und wandte sich zu Hannah.

„Was Neues bei Beta?“
 

„Yupp, Eren und Sasha sind soeben in der V.I.P.-Lounge angekommen“, grinste sie.
 

„Ausgerechnet die Zwei.“ Levi rollte sich wieder zu den Monitoren von Team Beta und beobachtete wie Eren und Sasha auf einer Couch saßen, zwei Weißbier auf dem Tischchen vor ihnen.
 

Tamara Pritz stand mit vier Leuten am Geländer, hielt sich an einem Bier fest und sah auf die Tanzenden herunter.
 

Es würde nicht einfach werden an sie heran zu kommen.
 

Levi schaltete sein Micro auf die Frequenz von Team Beta, um ihre Gespräche belauschen und die Hintergrundgeräusche wahrnehmen zu können.
 

„Sie ist leicht zu beeindrucken“, flüsterte Sasha in Erens Ohr, welcher sie leicht von sich schob.
 

„Wie kommst du darauf?“
 

„Sie ist kein Alpha-Tier. Die anderen denken das bloß.“
 

„Und was für ein Vorgehen schlägst du diesbezüglich vor?“
 

„Du solltest Blickkontakt suchen und möglichst dominant dabei gucken.“
 

„Aha… Dominant gucken… Krieg ich hin.“ Skeptisch nahm Eren sein Bier zur Hand und trank.
 

Es verging keine lange Zeit bis die andere Frau neben Tamara Pritz diese auf Erens Blicke aufmerksam zu machen schien. Ihre Zielperson suchte daraufhin immer wieder neugierig Erens Augen. Levi erkannte durch Sashas Videochip wie Eren geschickt ein verführerisches Lächeln auf seine Lippen meißelte.
 

Obwohl Levi mittlerweile wusste wie gut Eren sich verstellen konnte, war er jedes Mal aufs Neue verdutzt. Lächerlich.
 

Nun hatten die Typen an der Seite von Tamara Pritz Wind von ihrem Interesse an Eren bekommen und durchbohrten Eren mit ihren dummen Augen.
 

Das war eine heikle Situation. Entweder die Situation eskalierte oder Eren schaffte es trotz dieser Wichser an die dumme Pute heranzukommen.
 

„Die Männer sind schwach. Wenn du jetzt selbstbewusst auf die Frau zugehst, werden sie vermutlich weichen“, wisperte Sasha Eren zu, „Aber du musst echt selbstbewusst rüberkommen, sonst machen die dich fertig! Die sehen vermeintliche Schwäche sofort!“
 

„Roger that“, erwiderte Eren und Levi konnte das breite Grinsen durch Sashas Videochip sehen.
 

Eren stand auf und schritt mit den gemächlichen Schritten eines Mannes, der wusste, dass er den Raum kontrollierte auf das Grüppchen zu.
 

Pritz und Freundin betrachteten Eren neugierig-abschätzend, während die Typen sich Eren zuwandten und die Köpfe lauernd senkten.
 

„Heil“, grüßte Eren die Gruppe mit kräftiger Stimme.
 

„Heil“, erwiderte Pritz mit einem lasziven Lächeln. Die anderen grüßten oder brummten den selben Gruß.
 

Eren ignorierte die Männer komplett, obwohl sie ihn immer noch angespannt musterten. Noch war die Situation nicht stabil.
 

„Entschuldige, dass ich so direkt bin, aber ich konnte die Augen nicht von dir lassen, seit ich hergekommen bin.“
 

„Oh“, schnaufte Hannah neben Levi und sprach ins Micro, „Was war das denn, Eren?“
 

„Scht!“, machte Levi Hannah mundtot, die sich leicht verlegen an die Nase fasste. Wer wusste schon, ob sich Eren von solchen Kommentaren nicht aus dem Konzept bringen ließ.
 

„Ich bin übrigens Martin“, stellte sich Eren vor.
 

„Tamara“, kam es mit einem hochnäsigen Halsrecken und eindeutig interessierten Augen zurück.
 

Levi verabscheute Menschen, denen die Dummheit aus den Augen sprang und gleichzeitig dachten, alle anderen dienten ihrer bloßen Belustigung.
 

„Du bist neu. Wo kommst du her?“, begann sie vorerst immerhin anzubeißen.
 

„Ich komme aus Nürnberg und bin mit meinen Leuten auf Kurzurlaub hier.“
 

„Ist das da hinten deine Freundin?“, hakte sie mit angewidertem Ton nach.
 

Eren lachte. Es klang echt.

„Eine Kameradin würde es eher treffen. Sie trifft nicht ganz meinen Geschmack.“
 

„Und was ist dein Geschmack?“
 

Eren beugte sich leicht nach vorne.

„Was denkst du?“, raunte er ihr zu.
 

„Hey! Verzieh dich“, fuhr einer der Typen dazwischen.
 

„Möchtest du, dass ich mich verziehe?“, hauchte Eren unbeeindruckt. Pritz biss an.
 

„Nein“, sagte sie bestimmt und machte eine wegwerfende Geste. Ihre „Freunde“ verzogen sich tatsächlich.
 

Wie dumm konnte man sein…
 

Eren wartete bis sie allein waren, ehe er weitersprach:

„Magst du was trinken?“
 

„Bier.“
 

Eren drehte sich um und schnippte, was Sashas Aufmerksamkeit erregte.

„Bring’ uns bitte Bier!“
 

Sasha sprang gehetzt von der Couch auf, ehe sie sich wieder zusammenriss und normal weiterging. Wäre es nicht ihrer Nervosität zuzuschreiben, hätte man dieses Verhalten als gut geschauspielert bezeichnen können.
 

„Kommandierst du deine Freunde immer so herum?“, bemerkte Pritz mit verschlagenen Augen und tadelndem Ton.
 

„Wieso herumkommandieren? Ich habe sie bloß etwas gebeten“, stellte Eren klar, „Wenn man Autorität ausstrahlt, braucht man niemanden herumkommandieren.“
 

Pritz’ Augen blitzten zufrieden. Sie hatte den Köder geschluckt.
 

Levi atmete tief durch. Jetzt musste Eren nur noch einmal mit der Hand über ihren Oberschenkel streichen und mittels der Haarnadelspritze, die sich in dem silbernen Ring an seinem Mittelfinger befand, die Wanze setzen.
 

„Hier das Bier!“ Sasha überreichte Eren und Pritz das Bier, wobei letztere bewusst nach dem Krug griff, den Sasha Eren hinhielt.
 

„Danke, Stefanie. Du kannst ja mal schauen, wo die anderen sind“, erklärte Eren ihr mit einer leichten Arroganz, von der Levi keine Ahnung hatte, woher die kam.
 

Levi folgte angespannt dem Gespräch, als er von Historia herausgerissen wurde.
 

„Marco hat Jachumsen!“, grinste sie triumphierend, was die anderen im Wagen aufatmen ließ.
 

Levi rollte sich auf die andere Seite und betrachtete die Bildschirme. Marco war gerade dabei Glassplitter vom Boden aufzulesen, während er von einem der anderen Kellner gescholten wurde.

„Er hat Jachumsen Champagner drüber gekippt.“
 

„Ja und es war herrlich Marco“, lachte Historia, „Er ist so schön gestolpert, rot angelaufen und hat versucht Jachumsens Beine abzutrocknen.“
 

Levi nickte kaum merklich, ehe er Kontakt zu Team Alpha aufnahm:

„Team Alpha, kommen. Zieht euch geordnet zurück und haltet euch an den Plan.“
 

„Verstanden, Sir“, kam es unisono zurück.
 

Erleichtert rollte sich Levi wieder zu den Monitoren, die Team Betas Bewegungen wiedergaben und aufzeichneten. Die Kuh war noch nicht vom Eis. Erst wenn sie alle in ihrem Besprechungsraum in Paris saßen, konnte man von einem gelungenen Einsatz sprechen.
 

Mittlerweile saßen Eren und Pritz voreinander. Das war wenig hilfreich, da sich ihre Distanz nicht genügend verringert hatte. Auch so würde sich Eren in ihren persönlichen Bereich hineinwagen müssen, wobei die Gefahr bestünde, dass Pritz sich zurückzog.
 

Von allen Nazischlampen, warum musste ausgerechnet diese schwer zu kriegen spielen.
 

Eren laberte sie mit dem auswendig gelernten Wissen seiner gefälschten Identität zu und machte ihr womöglich schöne Augen. Leider war Sasha tatsächlich zu Armin und Ymir zurückgekehrt. Die standen wenig produktiv mit einem Bier in der Hand in einer Ecke und beobachteten ihr Umfeld, konnten Eren im V.I.P-Bereich jedoch nicht sehen.
 

Ungeduld war bei solchen Einsätzen fehl am Platze.
 

*~*
 

Eren fühlte sich wie ein Schleifstein, der zwischen unerfahrenen Händen aufgerieben wurde. Die innere Anspannung und geduldslose Wut ließ sich nur Dank jahrelangem Training soweit verdrängen, dass ihm äußerlich nichts davon angesehen werden konnte.
 

Er hatte solche Einsätze selten genossen und bewunderte die Leute, die gern gerade diese Arbeit der Installation von Spionagetechnologie an Lebewesen oder Sachen verrichteten.
 

Gerade als Eren sich weitere Sätze zurechtlegte, um diese dumme Pute zu bezirzen, hörte er das gute alte Scheppern von zerbrochenen Gläsern und Flaschen, auf die Körper krachten. Eren reagierte noch, bevor die Musik unterbrach und von aggressivem Gegröle abgelöst wurde.
 

Er lehnte sich vor und legte wie zur Besänftigung seine Hand auf Pritz’ Oberschenkel.

„Ich schaue mal schnell nach, ob bei meinen Leuten alles in Ordnung ist. Ich komme gleich wieder“, versprach er mit einem bemüht gewinnenden Lächeln.
 

Sie merkte nicht, wie ihr die Abhörwanze durch die dünne Jeans unter die Haut gespritzt wurde und blinzelte ihn missfallend an. Mit einem Nicken kaufte sie es ihm ab und er stand bemüht gelassen auf, innerlich jubilierend.
 

An der Brüstung angekommen, blickte er hinab auf die Tanzfläche, wo eine Schlägerei zugange war. Seine suchenden Augen entdeckten Armin und die anderen, welche bemüht teilnahmslos in einer Ecke standen und das Geschehen aufmerksam beobachteten. Glücklicherweise schien Armin den Blick auf sich zu spüren und sah hoch.
 

„Können wir aufbrechen?“, erschallten Armins Worte dumpf in seinem Ohr.
 

Da die Typen von Pritz quasi neben ihm standen, legte Eren bloß den Kopf ein wenig zur Seite. Armin kannte ihn gut genug, um diese nicht abgesprochene Geste zu deuten.
 

Und das tat er.

„Leute, Auftrag erfüllt! Wir können uns zurückziehen.“
 

Die Bestätigung des Rückzugsbegehrens kam prompt.

„Dann zieht euch zügig und möglichst unauffällig zurück. Ihr kennt die Befehle.“
 

„Verstanden, Sir!“, ertönte es pflichtbewusst von Armin.
 

Eren wandte den Blick zurück zu Pritz, die ihn mit ungeduldiger Wachsamkeit beobachtete. Er durfte sie nicht verärgern und hoffte, dass sie kein Drama machen würde, als er einen Finger hochhielt und ihr mit einem bittenden Lächeln bedeutete kurz auf ihn zu warten.
 

Eren wartete nicht auf eine Reaktion von ihr und drehte sich zur Treppe. Seine Bewegungen waren gelassen als sei er auf dem Weg zum Klo, obwohl die Schlägerei unten immer noch in vollem Gange war und er am liebsten wie auf dem Parcours durch die Menge zum Ausgang gesprintet wäre.
 

Die anderen gingen zwar bereits vor, um nicht den Anschein zu erwecken, dass er mit ihnen fortging. Das schien Pritz und Gefolge allerdings nicht davon abzuhalten ihn misstrauisch vom Geländer aus zu beobachten.
 

„Wir müssen fliehen. Auf mein Kommando rennt ihr“, flüsterte Eren und erhielt sogleich ein dreistimmiges „Verstanden“.
 

Eren schlängelte sich zwischen den grölenden und stinkenden Leute durch und es war ihm als fühle er regelrecht wie die Schalter bei seinen Beobachtern umgelegt wurden, sowie er einen Schritt an dem Gang, welcher zu den Toiletten führte, vorbei tat. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass er ab nun verfolgt wurde, um für die „Verarsche“ Pritz’ verprügelt zu werden.
 

Genervt und definitiv lustlos raunte er seinen Kollegen das Kommando ins Ohr, öffnete die Feuerschutztür und spurtete den Gang hinunter. Er hörte durch das Mikro einen Zwist mit den Security-Leuten, ignorierte dies jedoch geflissentlich und nahm weiter Tempo auf.
 

Voller Schwung rammte Eren einen der Typen und schlug ihm in den Solarplexus, woraufhin der sich japsend krümmte.
 

Seine Kameraden hatten geistesgegenwärtig den Zweiten niedergestreckt.
 

„Hey!“, brüllte es hinter ihnen aus dem Gang. Erens Verfolger holten auf.
 

Mit einem letzten versicherndem Blick in die Runde spurteten Eren und die anderen los. Sie wussten wo Berthold auf sie warten würde. Sie hatten den Stadtplan vor ihrem Einsatz für diesen und die umliegenden Viertel memorieren müssen.
 

Die feuchte Luft peitschte Eren unliebsam entgegen als sie durch Seitenstraßen hetzten, hinter sich die keuchenden Verfolger und verdammt waren die hartnäckig! Was sollte der Scheiß?
 

Wenn sie die Wichser nicht schnell los wurden, würden sie einen Umweg nehmen müssen, um ihren Treffpunkt zu verschleiern und darauf hatte keiner Bock. Ihre Einheit war müde und allgemein überarbeitet.
 

Vor ihnen lag eine Hauptstraße und wenn Eren sich richtig erinnerte, würden sie dort in die Seitenstraße gelangen, von der aus sie auf den Platz kamen, an dessen Rand Berthold parkte.
 

Sie mussten sie jetzt abschütteln.
 

Sie sprinteten auf die Hauptstraße und direkt vor ein anfahrendes Fahrzeug, was Ymir ins Straucheln brachte und Armin in die Quere kommen, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte.
 

„Passt auf“, schrie Eren instinktiv, aber da stürzten sie schon zu Boden.
 

Sasha reagierte schnell und packte Armin am Oberarm, zog ihn hoch, während Ymir sich fluchend aufraffte.
 

„Halt! Keine Bewegung!“, brüllte plötzlich eine weibliche Stimme und ließ Eren zu dem Fahrzeug herumwirbeln.
 

Eine blonde Frau stand mit gezogener Waffe neben dem Fahrzeug, aus dem nun auch noch ein Mann ausstieg.
 

Sie waren ausgerechnet vor ein Polizeifahrzeug gestolpert.
 

Eren hob beschwichtigend die Hände.

„Hey…“, begann er, doch Levi unterbrach ihn.
 

„Lasst euch mitnehmen! Spielt mit. Wir wollen nicht noch mehr Aufsehen erregen. Wir holen euch später raus.“
 

Tief durchatmend begann Eren eine erzürnte Maske aufzusetzen.

„Wir wollen keinen Ärger, also fuchteln Sie mir nicht mit der Knarre vor der Nase herum“, sprach er die blonde Polizistin mit harter Stimme an.
 

„Halt’s Maul!“, fauchte sie ihn nervös an, „Los, runter auf den Boden, Hände wo ich sie sehen kann!“
 

Sie benahm sich wie ein aufgescheuchtes Huhn.

Mit Knarre.

Ein Killerhuhn.
 

Eren konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er sich schnaufend auf den eisigen Asphalt legte.
 

Unterdessen brüllte ihr Kollege dieselben Befehle den anderen zu. Er war kräftig gebaut, reifer. Er hatte die Gelassenheit eines erfahrenen Polizeibeamten, der sich selten aus seinem gewohnten Trott reißen ließ.
 

Aus dem Augenwinkel erkannte Eren ihre Verfolger sich in der Seitenstraße herumdrücken. Nun, gut. Zumindest würden die sie in Ruhe lassen und im Zweifel war ihre Tarnung nicht aufgeflogen. So wie Ymir den zunehmend verärgerten Polizisten anmaulte, würden sie sie hoffentlich nicht in eine Schublade stecken.
 

„Verpiss dich, Schwuchtel“, spuckte Ymir aus, als ihr Handschellen angelegt wurden, „Wird man so als unschuldiger Bürger von den Sicherheitsbehörden behandelt?!“
 

„Ihr habt gegen die Ausgangsperre verstoßen, also so unschuldig seid ihr nicht“, erwiderte der Polizist leidenschaftslos und zog Ymir rücksichtslos an den Handschellen von der Straße hoch und schaffte sie zum Fahrzeug. Es war ein mittelgroßer Polizeibus, gerade groß genug, um sie fortzuschaffen.
 

„Wir wollen keinen Stress“, murrte Armin und schielte zur Polizistin hoch, die sie bewachte.
 

Sie ignorierte ihn und wartete bis ihr Kollege Sasha und Armin aufgepflückt hatte, ehe sie sich ihm widmete. Ziemlich ungeschickt legte sie ihm die Handschellen an und zerrte ihn auf die Füße.
 

Frech grinsend wandte er seinen Kopf zu der groben Frau.

„Erster Einsatz?“
 

Sie sah ihn aufgebracht an. Sie blieb kalt und stieß ihn zu dem Fahrzeug.
 

Diese Behandlung war unangemessen. Gut, das Land war in Terroralarm, sie hatten die Sperrstunde gehörig überschritten und sahen nicht sonderlich vertrauenserweckend aus. Eren hoffte, dass er als junger Polizist eine bessere Figur abgegeben hatte…
 

Sie wurden auf eine Polizeiwache gefahren, wo ihre falschen Identitäten aufgenommen wurden. Glücklicherweise wurden ihre Identitäten für solche Einsätze im Zentralserver gespeichert, damit sie bei entsprechenden Nachforschungen nicht aufflogen; das galt natürlich auch für polizeiliche Überprüfungen.
 

Spannender wurde es, als sie gefilzt wurden.

Allerdings gingen die Polizeibeamten nur oberflächlich vor, tasteten sie auf Waffen und Gegenstände ab und fanden nichts. Sie erwarteten kein gut verstecktes Mikro in ihren Ohren oder Mini-Kameras in den Knöpfen ihrer Kleidung oder in den Halsketten der Mädels.
 

Levi ermahnte sie weiter in der Rolle zu bleiben, um etwaige Spione weiterhin zu täuschen. Er würde sie bald rausholen.
 

Nach ihrer Registrierung wurden sie in eine Ausnüchterungszelle zu drei weiteren Insassen gesteckt, die nur müde die Köpfe hoben und sich noch breiter auf den einzigen Bänken im Raum machten. Sie hatten weder Lust noch war ihnen es der Ärger wert die Penner von den Bänken zu drängen, also setzten sie sich auf den Boden und schimpften ihrer Rolle entsprechend über die verwichsten Bullen.
 

Hoffentlich holte sie Levi bald heraus.
 

*~*
 

Der telefonierte mit einem wenig amüsierten Erwin, der die frühen Morgenstunden lieber anders genutzt hätte, als seinem entnervten Freund einen Blanko-Scheck auszustellen, den er bloß an den Leiter der Polizeidienststelle zu senden hatte, um den zur Löschung aller Daten und Entlassung ihrer Gefangenen zu veranlassen.
 

Natürlich hätte Levi selbst einen Blanko-Scheck ausstellen können, aber das hätte vermutlich eine Stunde lang gedauert. Erwin musste bloß sein Tablet anmachen, einen Ordner öffnen und den passenden Blanko-Scheck auswählen und ihm schicken.
 

Ob es unpassend war einen der Hauptakteure des Krisenstabs wegen so einer Banalität um seinen raren Schlaf zu bringen?
 

Nein. Es war arschig.

Und ein großes „Fuck you“ von seinem General-Leutnant, der in dem Behördenchaos um seine Daseinsberechtigung - entgegen aller Absprachen - völlig allein kämpfen musste.

Wer brauchte eine Europäische Sondereinheit, wenn genug andere hochqualifizierte Polizisten in anderen Einheiten auf den Einsatz warteten?

Und das in diesen Zeiten?
 

Levis gut kontrollierte Wut wurde Erwin mit diesem unpassenden und förmlichen Anruf wie ein nasser Lappen um die Ohren gehauen.
 

Er kommentierte nichts und schickte Levi die nötigen Unterlagen, innerlich fest entschlossen das Thema ESE nochmals anzusprechen und die Zähne zusammenzubeißen, wenn er wieder wie ein Kind angesehen wurde, das eine tote Eidechse anschleppte.
 

Levi druckte die Unterlagen aus und sie fuhren zu dem zweiten Van, wo er Berthold den Blanko-Scheck übergab. Sicherheitshalber hatte der sich ebenfalls die Haare blond gefärbt, grüne Kontaktlinsen und schlichte Handwerkskleidung an. Damit kam er zumindest unauffällig in die Dienststelle. Diskretion war nun höchste Priorität.
 

Also ließ sich Berthold zwei Stunden Zeit, ehe er in die Dienststelle marschierte, von verwirrten, aufgebrachten Polizisten empfangen wurde, denen er eine gute Geschichte erzählte, die im Büro des Vorgesetzten fortgeführt und mit einem Brief beendet wurde. Diskret wurden sämtliche Daten manipuliert, Fingerabdrücke ausgetauscht, falsche Akten angelegt.
 

Dann holte Berthold einen Werkzeugkoffer aus dem Van, in dem andere Klamotten versteckt waren. Da die anderen Gefangenen schliefen, wurden Armin, Ymir, Sasha und Eren leise aus der Zelle in einen Vernehmungsraum gebracht, wo sie sich umzogen.
 

Gleichzeitig überprüften Reiner und Historia mittels zwei als Maus getarnten Drohnen die Umgebung und entdeckten zwei verdächtige Personen und warteten bis diese verschwunden waren. Ansonsten waren die Straßen menschenleer.
 

Dementsprechend stiegen sie um sieben Uhr morgens als Handwerker verkleidet mit Werkzeugtaschen in den Händen zu Berthold in den Wagen und fuhren endlich heim.
 

Etwas holprig die ganze Geschichte, aber bis auf drei Polizisten und dessen Vorgesetzter hatte wohl keiner Verdacht geschöpft, dass sich hinter ihrer Fassade mehr verbarg als Naziabschaum.
 

Connies Daumen hoch, erwiderte Sasha mit einem müden Lächeln, der Rest von ihnen nickte die lobenden Schulterklopfer ab und schlief ein, sowie das Geräusch der zuschnappenden Anschnallgurte verklungen war.
 

*~*
 

Es war purer Wille, den Eren nach ihrer Ankunft in Paris aufrecht in ihren Besprechungssaal brachte.
 

Na ja. Und Levi. Levis eindeutig viel zu wache Stimme.
 

Sie besprachen den Einsatz in allen Details und überraschenderweise fand Levi nicht viel zu bemäkeln. Er schien generell von dem Einsatz im Club genervt und weniger von ihrer mangelnden Professionalität beim Rückzug. Soweit sich bereits aus der funktionsfähigen Wanze von Pritz heraushören ließ, schöpften sie und ihre Knalltüten keinen Verdacht und wollten sie nur aufmischen, weil Eren ihre Chefin sitzengelassen hatte.

Für Marco und Annie fand er fast nur lobende Worte, so auch bei allen anderen.
 

„In Ordnung“, schloss Levi nach beinahe 40 Minuten, „Ihr habt heute und morgen frei. Ich möchte euch nicht arbeiten sehen. Schlaft, ruht euch aus. Übermorgen um 08:00 Uhr wieder hier.“
 

Mit diesen Worten stand Levi auf und ignorierte ihre Einwendungen geflissentlich. Es war eine vernünftige Entscheidung. Sie krochen am Zahnfleisch daher.
 

Also schlürften sie erschöpft in ihr Wohngebäude und die Treppen hoch. Erens Herz machte bei der Erinnerung, dass er bei Levi schlafen würde, einen kurzen Satz und flößte ihm mehr Energie ein.
 

Mit neuem Schwung ging er zu der Appartementtür. Sie war lediglich angelehnt. Schmunzelnd betrat er die allmählich vertraute Wohnung, zog Schuhe und Jacke aus, ehe er ins Schlafzimmer schlich.
 

Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus, die verschwitzten Klamotten zusammengeknüllt auf dem Schoß und wartete auf dem Bett sitzend bis Levi aus dem Bad kam.
 

Keine fünf Minuten später trat Levi in seiner Schlafkleidung und feuchten Haaren aus dem Bad und Eren stand mit einem leichten Lächeln auf.
 

Levis Blick huschte über seinen Körper, doch anstatt Kritik an Erens Handhabung mit seiner zerknüllten Kleidung fand er etwas anderes in den dunklen Augen aufblitzen. Etwas, das er nicht zuordnen konnte und ihn mit einem inneren Schauder trocken schlucken ließ.
 

Dafür waren Levis Worte umso eindeutiger.

„Putz’ die Dusche vernünftig, wenn du die Farbe aus den Haaren wäschst und vergiss nicht das Fenster zu kippen und die Wäsche in einen Wäschesack zu stecken, bevor du sie in die Waschmaschine legst.“
 

Eren nickte im vorbeigehen bloß leicht dümmlich.
 

„Und Eren.“
 

Er blieb stehen und blickte in Levis ernstes Gesicht.
 

„Vergiss nicht nur das Clear Universal Waschmittel herzunehmen.“
 

Nochmals nickte Eren mechanisch und beeilte sich ins Bad zu kommen, bevor Levi noch etwas einfiel, das seinen Schlaf hinauszögerte.
 

***
 

Eine geschlagene Stunde später schaffte es Eren endlich wieder mit braunen Haaren, grünen Augen und einem sauber hinterlassenem Bad ins Bett. Fenster gekippt, richtiges Waschmittel benutzt.

Er war stolz auf sich.
 

Ohne eine Minute lang weiter die Augen offenhalten zu können, kroch er zu Levi ins Bett und blieb wie tot auf dem Bauch liegen.

Nach ein paar Augenblicken öffnete er sie dennoch und blickte auf Levis Hinterkopf. Er lag mit dem Rücken zu ihm, beinah gänzlich unter der Decke vergraben.
 

Langsam tröpfelte Freude in sein Bewusstsein.
 

Ein Schwall der Euphorie ließ ihn sich seitlich zusammenrollen und kichern, wodurch die Decke um Levis Schultern leicht bewegt wurde.
 

Erst jetzt realisierte er, dass er den Auftrag erfüllt hatte.
 

Er merkte kaum, dass er sich einmal übermütig nach rechts und links drehte und wieder kicherte wie ein Dreijähriger.
 

„Zur Hölle? Halt dich still.“
 

Eren erstarrte mit dem Kopf auf Levis Schulterhöhe.

„Ähm… Ich dachte, dass du schläfst.“
 

„Wenn du dich fallen lässt wie ein nasser Sack und dich wälzt wie ein Hund in der Scheiße?“
 

„Ich bin trocken und das Bett ist sauber“, grinste Eren wenig phantasievoll.
 

„Schnauze und schlaf“, knurrte Levi postwendend.
 

„Ja ja“, erwiderte Eren und drehte sich auf den Rücken. Nur um sich eine Minute später wieder auf die Seite zu drehen.
 

„Eren.“ Ein Wort. Eine Drohung.
 

Jedesmal wenn Levi das „R“ in seinem Namen besonders rollte, wusste Eren, dass er kurz davor stand wirklich die Geduld zu verlieren.
 

Da er nicht massakriert werden wollte, aber auch keine Ruhe fand, versuchte Eren sich zu erklären.

„Ich bin auf einmal bloß so aufgekratzt, weil ich verstanden habe, dass ich es war, der die Pritz verwanzt hat.“
 

„Und?“, kam es genervt zurück.
 

„Na ja, es war nicht Ymir, die bereits Hardcore-Undercover gearbeitet hat und verdammt fantastisch darin war.“ Sie hatte eines der größten Drogenkartelle in der Geschichte Europas auffliegen lassen, nachdem sie sich dort erfolgreich für zwei Jahre eingeschlichen hatte.

„Und es war auch nicht Armin, der in die Lounge gekommen ist, obwohl er der beste Tänzer von uns ist und auch eine klasse Vorstellung abgeliefert hat. Ich war es. Ich hab es geschafft!“
 

„Und?“
 

„Was und? Nichts und! Ich freu mich darüber, dass ich als Underdog es geschafft habe diesen Auftrag zu erfüllen und nicht die ach so tolle Ymir, der begabte Armin oder Sasha“, erklärte Eren und ließ den Arm in ausladender Geste lautstark auf die Decke fallen.
 

Er hörte Levi ausatmen, ansonsten regte er sich keinen Millimeter und schwieg beharrlich.
 

Eren wollte nicht nach Komplimenten fischen oder sich aufplustern. Es war schlichte Freude, die sich in Unruhe kanalisierte.
 

Warum fühlte er sich also von Levis Passivität vor den Kopf gestoßen?
 

Tief durchatmend drehte sich Eren um und rollte sich zusammen. Er musste wirklich an seiner Launenhaftigkeit arbeiten.
 

*~*
 

Sie tat genau das, was sie von ihr verlangten.
 

Manchmal musste man Opfer bringen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Auch in dem Fall, dass man sich diese Ziele nicht selbst gesetzt hatte. Verdrießlich zwar, aber sie hatte schon früh lernen müssen die Zähne zusammenzubeißen.
 

Sie legte das Speichermedium auf den Schreibtisch ihres Sekretärs, auf dem sich bereits ein Stapel von Speichermedien angesammelt hatte und schob ihn unbemerkt zwischen diese.
 

Keiner würde ihr auf die Schliche kommen und ihr Sekretär war ein Trottel.
 

*~*
 

Als Eren gegen 15:00 Uhr aufwachte, war Levi natürlich längst ausgeflogen. Freundlicherweise hatte er in einem Zettel am Küchentisch vermerkt, dass er am Abend kochen wolle und zuvor noch ein paar Dinge mit Erwin und Shadis zu klären hatte.
 

Das kam Eren gerade recht. Er wollte ohnehin etwas im Bett faulenzen und sich zur Abwechslung einen Film ansehen, um sich von der Arbeit abzulenken.
 

Nach einer fix gefutterten Mandarine, schmiss er sich mit seinem Tablet aufs Bett und suchte sich aus seinem Film, Fernsehen und Serien-Abonnement eine klassische Komödie aus, die er fast auswendig kannte und ihn trotzdem noch amüsierte und aufzuheitern vermochte. Unzählige Male hatte er sich mit Mikasa und Armin auf die Couch in ihrer alten WG gezwängt und diesen Film geguckt.
 

Heute schien es anders zu sein.
 

Erens Gedanken wanderten ständig zur Arbeit, all den Problemen, zu Mikasa und der Kcrizott. So konnte er unmöglich abschalten.
 

Mit einem genervten Stöhnen wühlte sich Eren wieder aus dem Bett, legte das Tablet unter sein Kopfkissen und machte das Bett. Danach stand er etwas unschlüssig im Zimmer herum und ließ seine Augen ziellos über die Wände hin zum Bad schweifen.
 

Levi war weg und die anderen wollte er nicht stören.
 

Sein Blick blieb an der Dusche hängen, die er durch die offene Badezimmertür erkennen konnte.
 

Kurz spielte er mit dem Gedanken sich eine lange Dusche zu gönnen und ein wenig zu masturbieren, um sich abzulenken.
 

Diese Idee verwarf er bei dem Gedanken daran die Dusche danach erneut putzen zu müssen.
 

Schnaubend fasste Eren den Entschluss wenigstens trainieren zu gehen. Wozu hatten sie diese riesigen Fitnessräume schon, wenn er sie nur dreimal in der Woche aufsuchte.
 

***
 

Die Tür war kaum einen Spalt breit geöffnet, als er erstarrte.
 

Mit vor Überraschung aufgerissenen Augen schlug er die Tür zum Fitnessraum auf und blickte in von seinem schwungvollen Auftritt bedröppelte Gesichter.
 

„Heeeey!“

„Bonjour!“

„Ereeen!“
 

Fünf Leute grölten gleichzeitig auf wie bei einem Saufgelage. Der momentanen Stimmung nach zu urteilen, war es ein Saufgelage.
 

Süffisant grinsend kam Connie auf ihn zu und legte mit einem leichten Sprung einen Arm um seinen Hals. Dass er Eren dabei auf grobe Weise auf seine Höhe herunterzog, ging gänzlich an ihm vorbei.
 

„Noch ein verlorener Sohn, der sich unserem spontanen Haufen anschließen möchte.“
 

Reiner, Mylius, Thomas und Sasha grölten, klatschten und pfiffen. Sie machten Lärm für 20 Leute.
 

„Was habt ihr intus und wo kriege ich das her?“, verlangte Eren mit ernster Miene zu wissen und kassierte eine weitere Runde ausgelassene Begeisterung.
 

Nur gut, dass die Wände dick waren. Die Kollegen aus anderen Einheiten hätten ihnen den Vogel gezeigt und ausgeschimpft wie ein strenger Lehrer die ungezogene Klasse.
 

„Außer Armin und Historia sind wir nun vollzählig!“, schrie ihm Connie ins Ohr.
 

„Echt?“
 

„Jepp, alle sind da“, grinste Reiner vom Rudergerät aus, „Peu à peu sind alle eingeflogen.“
 

„Auch Levi?“
 

Nicht nur Reiner verdrehte die Augen, ehe Connie erklärte:

„Nein, der Boss ist nicht da, aber dafür hocken die anderen in der Sauna oder dümpeln im Schwimmbecken. Ich sag dir, du glaubst nicht wie dick Hannah geworden ist! Das siehst du unter der ganzen Kleidung gar nicht richtig!“
 

„Sie ist nicht dick!“, verbesserte Sasha ihren Mitbewohner mit einem wilden Blick vom Laufband herunter, „Sie ist schwanger!“
 

„Ach so, und wie nennt man den gewonnen Körperumfang dann?“, gestikulierte Connie wild und ließ dabei von Eren ab, der sich mit einer Grimasse das Genick massierte.
 

„Ich würde sagen sie ist rundlicher“, meinte Thomas wenig hilfreich.
 

„Der Gravidität-Grad ist erhöht“, schmunzelte Mylius, während Reiner lachte.
 

„Du meinst die Gravidität ist bereits weit fortgeschritten!“
 

„Ihr seid blöd“, maulte Sasha und stellte pikiert eine höhere Laufgeschwindigkeit ein.
 

Mit einem wohlwollenden Schmunzeln hängte Eren sein Handtuch auf den Handtuchhalter bei der Tür und stellte sich auf das Laufband neben Sasha.
 

Diese Chaoten und Ausdauertraining waren genau die richtige Abwechslung.
 

*~*
 

Historia warf ihm einen zweifelnden Blick zu, doch Armin blieb stoisch.
 

„Sir, ich verstehe ja, dass wir uns ausruhen müssen und die anderen Einheiten mit uns zusammenarbeiten sollen“, betonte er nochmals, „Aber ich fühle mich wirklich nicht wohl damit.“
 

Levi wollte alle Aufzeichnungen der installierten Wanzen von Mitarbeitern der GEG oder MEK überwachen und überprüfen lassen. Faktisch blieb die ESE damit vorerst arbeitslos. Das war und konnte einfach nicht richtig sein!
 

„Wie ich bereits sagte“, erklärte Levi fast gelangweilt mit verschränkten Armen, „Unsere Aufgabe ist es nicht den Job anderer Einheiten zu machen, sondern schnell einzugreifen, falls sich die Gelegenheit ergibt.“
 

„Und wann soll sich diese Gelegenheit ergeben, wenn wir uns sämtliche Informationen bloß zuleiten lassen?“, begehrte Armin in seltener Leidenschaft auf, „Die MEK präferiert gewohnheitsmäßig die GSG9 und die GEG bleibt sowieso lieber auf ihrem Wissen sitzen als es anderen Einheiten zugänglich zu machen!“
 

„Daran habe ich gedacht“, blieb Levi ruhig, „Sie haben Order vom Innenminister persönlich, dass sie uns sämtliches Material und ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Verfügung stellen müssen. Sie sind verpflichtet uns als zuständige Einheit in diesem Fall anzusehen und gleich der GSG9 zu behandeln.“
 

Das nahm Armin etwas Wind aus den Segeln.

„Der Innenminister persönlich.“
 

Levi nickte.

„Ich habe zwar lange telefonieren müssen, aber mithilfe von Erwin und Shadis konnte ich immerhin soviel erreichen. Ansonsten hätte uns die MEK sicherlich übergangen.“
 

Armin verschränkte die Arme und blickte nachdenklich auf Levis Schuhspitzen.
 

Anders als die SEK und MEK, die jeweils den einzelnen Bundesstaaten unterstanden, operierte die GSG9 als Staatspolizei innerhalb der Vereinigten Staaten von Europa. Zwar waren ihr ursprünglich auch Auslandseinsätze erlaubt, aber wegen mangelndem Personal und steigender Inlandseinsätze führte sie kaum noch Einsätze außerhalb der Grenzen Europas aus.
 

Nicht zuletzt dafür sollte die ESE dienen.
 

Darüber hinaus sollte die ESE als hochqualifizierte, militärisch ausgebildete Einheit der GSG9 im Inland bei schwierigen Einsätzen behilflich sein.

Anders als bei der GSG9 war jedoch nicht der Innenminister, sondern der Verteidigungsminister ihr Dienstherr, was nicht zuletzt für Spannungen sorgte.
 

Umso erfreulicher war eine Weisung vom Innenminister, denn das ließ kaum Spielraum für Machtdemonstrationen der anderen Einheiten gegenüber der ESE.
 

„Wenn es recht ist, würde ich trotzdem gerne mit den zuständigen Gruppenleitern der MEK sprechen und ihre Arbeit überwachen“, bat Historia mit sanfter, aber durchaus selbstbewusster Stimme, „Natürlich erst nach unserem freien Tag morgen.“
 

„Wir haben ohnehin um 08.00 Uhr eine Besprechung“, meinte Levi mit einem leichten Nicken, „Im Rahmen dessen können wir auch darüber nochmal sprechen, aber es schadet sicherlich nicht, wenn ihr Zwei denen auf die Finger schaut.“
 

„Super, danke!“, lächelte Historia beneidenswert gewinnend, während Armin besänftigt durchatmete.
 

„Geht euch nun ausruhen“, befahl Levi und ging zur Tür des Besprechungsraumes, in dem sie ihm aufgelauert hatten.
 

„Und was ist mit Ihnen?“, hakte Historia freundlich nach.
 

Levi warf einen Blick über die Schulter, ehe er hinaustrat.

„Ich hab jetzt auch frei.“
 

Das laute Knacken der sich schließenden Tür war beinahe schmerzhaft laut in der Stille des großen Raums, in dem Armin und Historia noch einige Momente schweigend verweilten.
 

„Was hältst du davon?“, ergriff Armin das Wort.
 

Nachdenklich blickte Historia zu ihm auf und verschränkte dabei die Arme.

„Ich denke, dass es die richtige Entscheidung ist so viel wie möglich zu delegieren.“
 

„Aber es schwächt gleichzeitig unsere Position. Wir konnten uns noch nicht beweisen und es wundert mich dementsprechend auch nicht, dass die anderen uns nicht ernst nehmen.“
 

„Immerhin haben wir sie auf eine neue Spur gebracht. Dass hinter den Anschlägen Gruppierungen wie die Raknatz, Isurumi, Nardotza und Kcrizott stecken könnten, haben sie bis zu unseren Hinweisen nur vermuten können. Jetzt haben wir einen begründeten Verdacht.“
 

„Na ja. Ohne weitere Indizien können wir eigentlich nicht von einem begründeten Verdacht sprechen.“
 

„Ich bin davon überzeugt, dass wir durch diese groß angelegte Abhöraktion entscheidende Hinweise bekommen werden, die unseren Verdacht erhärten.“
 

„Hoffentlich“, seufzte Armin, „Ansonsten werden wir wohl erneute Anschläge nicht verhindern können.“
 

Obwohl jeder einzelne Polizist und Geheimagent auf Hochtouren arbeitete, tappten sie immer noch im Dunklen. Die Zivilbevölkerung würde das nicht ewig dulden. Bis jetzt hielten sich die Unruhen in Grenzen.
 

Nur…
 

Wie lange noch?
 

„Wir leben in einem Überwachungsstaat. Früher oder später macht einer einen Fehler. Das war bisher immer der Fall“, versicherte ihm Historia mit fast naiver Überzeugung, „Und dann werden wir sie finden.“
 

Tief ausatmend rieb sich Armin über die Augen.

„Wir müssen.“
 

*~*
 

Lautes Gegröle riss Eren aus seiner Konzentration, sodass er die Hantel ablegte und sich aufsetzte, um die Ursache der lauten Freude begutachten zu können.
 

Freudig zogen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen auseinander, als er Armin sah, der mit Historia gerade den Fitnessraum betreten hatte.
 

Jetzt waren sie tatsächlich alle da.
 

„Ich habe dich schon vermisst!“, rief Eren seinem besten Freund zu, der von der Überschwänglichkeit ihrer Kameraden genauso überrumpelt schien wie Eren vor einer guten Stunde.
 

Armin fand seinen Blick und lächelte ihm zu.

„Sauna?“, formten seine Lippen die stille Frage.
 

Lachend schüttelte Eren den Kopf und bedeutete ihm, dass er zumindest erst ein wenig trainieren möge.
 

Geschlagen ließ Armin den Kopf hängen und wandte sich einem vakanten Rudergerät zu.
 

Es dauerte allerdings keine halbe Stunde, bevor er ihn bezirzte und sie doch noch gemeinsam in die Sauna gingen. Danach wollte Eren ohnehin noch schwimmen gehen.
 

In der Sauna trafen sie auf Ymir, Annie, Berthold, Reiner, Franz und Marco. Die Sauna war glücklicherweise groß genug für sie alle und noch war genug Platz, um sich hinzulegen.
 

Die Sauna war ein Luxus, den sie alle schon oft gern genossen hatten. Die Nacktheit machte den Frauen auch nichts aus, solange keine aufdringlichen GSG9’ler dazukamen und bis jetzt war nur einmal einer dabei gewesen, der meinte Mina mit derben Sprüchen anmachen zu müssen.

Die Aktion ging nach hinten los, da Mina ziemlich schlagfertig und sich keineswegs zu schade war den Vollpfosten anzuzeigen.

Der kleine Eklat führte zu einem ziemlich peinlichen Gespräch zwischen dem Arschloch, dessen Vorgesetztem und Levi, welches darin resultierte, dass der Kerl bei den nachfolgenden Zusammentreffen keinen Ton mehr von sich gab.
 

Seufzend breitete sich Armin auf der obersten Liege aus, während Eren Wasser nachgoss.
 

„Ist Hannah noch immer im Schwimmbad?“, fragte Eren und sah Franz an, der ihm am nächsten lag.
 

„Ja, sie ist kaum aus dem Wasser zu kriegen und plaudert unentwegt mit Mina.“
 

„Weißt du eigentlich bereits das Geschlecht des Kindes?“ Den Blicken der anderen Männer nach zu urteilen war bisher keiner auf die Idee gekommen diese Frage zu stellen.
 

Franz lachte gutmütig.

„Nein, wir wollen überrascht werden.“
 

„Ende Februar ist es schon soweit, oder?“, hakte Marco nach.
 

„Ja, angeblich der 24., aber wir werden sehen. Es soll alles ganz natürlich ablaufen.“
 

„Wahnsinn. Echt“, sinnierte Reiner, „Kein Jahr und boom Vater. Was ist das für ein Gefühl?“
 

„Das ist schwer zu beschreiben“, erwiderte Franz mit einem milden Lächeln, „Einerseits ist da Stolz und Freude, andererseits fühlt es sich trotzdem noch unwirklich an und ist irgendwie beängstigend. Da kommt ein hilfloses, kleines Wesen auf die Welt und du musst dich darum kümmern, darauf achten, es groß ziehen. Das ist eine immense Verantwortung - und gerade bei diesem Job wird das schwer.“
 

Überlegend setzte sich Reiner auf, um Franz besser ansehen zu können.

„Tja, schwierig. Aber immerhin könnt ihr euch bei den Einsätzen abwechseln und Hannah muss sowieso nicht unbedingt vor Ort sein, um einen guten Job zu machen.“
 

„Gott sei Dank! Ansonsten wäre es wirklich schwierig geworden. Levi ist glücklicherweise auch sehr entgegenkommend und hat uns die Elternzeit unseren Wünschen entsprechend genehmigt.“
 

„Stimmt schon“, mischte sich Ymir nun mit rechthaberischer Stimme ein, „Aber wie kann man nur so dämlich sein und nicht vernünftig verhüten.“
 

Gelassen zuckte Franz mit den Schultern.
 

Marco fand das weniger lustig.

„Was soll das, Ymir?“
 

„Schon gut“, winkte Franz ab und stand auf, um Wasser nachzugießen. Die Dampfentwicklung war enorm, sodass der ein oder andere sich räusperte oder schnaufte.
 

„Irgendwo beneide ich dich“, räumte Reiner ein, „Ich will zwar noch nicht Vater werden, aber zumindest eine Freundin wäre schön.“
 

„Was ist eigentlich aus der Brünetten mit dem Muttermal auf der Stirn geworden“, stutzte Eren, ob dieser Aussage.
 

„Die hat ja letztes Jahr nach dem Abschluss Schluss gemacht“, erklärte er bereitwillig, „Sie wollte mit mir zusammenziehen und ernst machen. Alles nicht möglich bei diesem Job. Sie ist Optikerin, da konnte sie einfach nicht verstehen, dass ich nie der Acht-Stunden-und-Daheim-Abendesser-Typ bin.“
 

Ein verständnisvolles Raunen ging durch den Raum.
 

„Hier laufen ja genug Polizistinnen rum“, grinste Ymir schelmisch.
 

Annie setzte sich auf der obersten Bank auf, um ihre Kameraden ansehen zu können.

„Was brauchst du auch eine Beziehung, Reiner?“
 

Verständnislos erwiderte er ihren Blick.

„Weil es schön ist jemanden zu haben?“
 

Skeptisch kniff sie leicht die Augen zusammen.

„Wenn es nur um Sex geht, sind die Straßen von Paris der ideale Ort.“
 

„Es geht mir nicht nur darum“, murrte Reiner nicht sonderlich angetan.
 

„Normalerweise eignet sich Paris gut, um Kontakte zu knüpfen“, sinnierte Marco, „Wenn es draußen nicht so chaotisch wäre, hätte ich vorgeschlagen, dass wir morgen etwas in der Stadt unternehmen.“
 

Reiner schüttelte missmutig den Kopf.

„Du musst reden. Hast du nicht noch eine Freundin?“
 

„Nicht mehr. Ich hab mit ihr an Weihnachten Schluss gemacht, nachdem ich erfahren habe, dass sie mich mit einem Kerl vom Kegelclub betrogen hat.“
 

Ein mitfühlendes Zischen ging durch den Raum.
 

„So eine blöde Kuh.“
 

„Sauerei!“
 

„Das ist das Allerletzte!“
 

„Wer kegelt heutzutage überhaupt noch?“
 

„Ich denke nicht, dass das der Punkt ist, Ymir“, schmunzelte Annie und betrachtete die Runde mit selten amüsiert glänzenden Augen.
 

„Sollte er aber“, beharrte sie mit theatralischer Gestik, „Da hat sie sich so einen vorbildlichen Mann geangelt und dann vögelt sie einen aus dem Kegelclub! Was für ein Abstieg.“
 

Unweigerlich zogen sich sämtliche Mundwinkel hoch.
 

„Ich glaube, ich war einmal mit einem Kumpel kegeln. Oder bowlen. Gibt’s da einen Unterschied?“, fragte Eren und erntete ratlose Gesichter und Schulterzucken.
 

Reiner zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung.“
 

„So“, seufzte Berthold, „Ich muss hier raus. Ich krieg keine Luft mehr.“
 

„Du bist ja auch schon ewig drin“, kommentierte Reiner den Abgang seines Freundes, „Ich glaub, ich pack’s auch langsam. Mehr als zwanzig Minuten sollten es sowieso nicht sein.“
 

„Gehen wir dann noch schwimmen?“, richtete Armin das Wort an Eren, der träge zu ihm blinzelte.
 

„Ja, ich würde schon gerne.“
 

„Gut, dann lass uns gehen“, lächelte Armin und schob sich von der Saunabank.
 

„Och, geht ihr etwa alle schon?“
 

„Sind wir alle?“, sprang Ymir prompt auf Franz’ Worte an.
 

„Nein, nein“, erwiderte Franz wie aus der Pistole geschossen.
 

„Ich geh auch“, verkündete Annie und stand auf.
 

Mit einem lauten Seufzer tat es ihr Ymir gleich.

„Naaa gut. Wenn’s denn sein muss.“
 

„Du musst ja nicht mitlaufen, Ymir“, stichelte Eren, was ihm prompt den Mittelfinger und einen desinteressierten Blick einbrachte.
 

Mit einem ergebenen Stöhnen folgte Franz ihm und Armin aus der Sauna und unter die Eisdusche draußen neben dem Saunaeingang.
 

***
 

Mit fünf 50 Meter langen Bahnen war das Schwimmbad nicht sonderlich groß. Es war überschaubar und definitiv etwas überfüllt als sie zu 16. darin herumplanschten und um die Wette schwammen.
 

„Verdammt nochmal! Jäger!“, prustete Reiner sich am Beckenrand abstützend.
 

Nach 14 Bahnen Wettschwimmen waren nur noch er und Marco übrig.
 

„Immerhin bist du Dritter“, tröstete Jean ihn mit einem Schulterklopfer vom Beckenrand aus.
 

Jean hatte nach neun Runden bereits das Handtuch geworfen. Er war ein fantastischer Läufer, aber beim Schwimmen zu langsam. Eren musste zugeben, dass er das etwas erfreut zur Kenntnis nahm.
 

Allerdings hielt Jean nun zu Marco, der mit einer Leichtigkeit alle abgehängt hatte, die Eren schummrig werden ließ. Wenn Eren gewusst hätte, dass Marco in seiner Jugend die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen im Schwimmen gewonnen hatte, wäre er bei seinem Aufruf zum Wettkampf und zu bunten Schwimmwetten etwas vorsichtiger gewesen.
 

Das hatte man davon, wenn man sich nicht genau über das Leben seiner Kameraden informierte und mit Tunnelblick durch die Welt lief. Eren fragte sich allen Ernstes wie Levi nur so fahrlässig sein konnte und sich partout weigerte ihre Akten zu lesen. Informationen auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, war ein feuchter Ermittlertraum.
 

„Armin?“, rief Eren, „Gibt es überhaupt noch jemanden, der auf mich wettet?“
 

Armin sah ihn mit großen blauen Augen an wie ein Kind, das beim Naschen vor dem Essen erwischt worden ist. Eren verzog missbilligend das Gesicht, noch ehe Armin mit roten Wangen antwortete.
 

„Na ja“, druckste er herum, „Wenn du gewinnst, bist du um 250 € reicher...“
 

Anklagend starrte Eren seinen Freund an und meinte bedrohlich leise:

„Selbst du wettest gegen mich?“
 

„Sieh es so, wenn keiner auf dich wettet, bleibt mehr Geld für dich übrig - falls du wider Erwarten gewinnst“, grinste Jean gehässig.
 

Normalerweise wäre Eren ihm für seine freche Klappe mit nacktem Arsch ins Gesicht gesprungen, stattdessen nutzte er die aufgestaute Wut und das Gefühl der Schmach, um sich auf die letzten zwei Bahnen vorzubereiten. Die alles entscheidenden Bahnen. Er spürte das Adrenalin regelrecht in seinen Adern aufkochen. Die Geräusche versanken in einem weißen Rauschen und er schloss die Augen.
 

„Heyyyy!“, grölte es monoton vom Beckenrand. Er ignorierte es.
 

„Boss!“
 

Eren riss so schnell die Augen auf, dass es ihn für eine Sekunde lang blendete. Die Welt tauchte aus dem grellen Schleier auf und gab die Sicht auf ihren Vorgesetzten frei, der mit einem Handtuch über der linken Schulter und Badeshorts auf seine euphorische Einheit blickte.
 

Levi sah sie mit verwunderter Überraschung an, ehe er die jubelnden Ausrufe wegblinzelte und sie mit einem tadelnden Blick bedachte. Eren meinte angestrengten Ernst auf Levis Gesichtszügen ausmachen zu können, aber er konnte sich auch täuschen. In den das Licht widerspiegelnden Augen konnte er nicht lesen.
 

„Sind wir hier in einem Affenzirkus?“
 

Die ruhige Frage schnitt jedwedes Gegröle ab und hinterließ schalkhaftes Gegrinse.
 

Eren konnte nicht anders, als diese künstliche Ruhe zu unterbrechen.

„Aber du wirst bestimmt auf mich wetten, oder Levi?“
 

Levis Blick schnellte zu ihm und durchbohrte ihn auf diese einnehmende, nervös machende Art, die Eren gelernt hatte mit einem breiten Grinsen zu entgegnen.
 

Der kurze Moment des gegenseitigen Musterns wurde von lautem Gelächter unterbrochen.
 

„Nice try“, schüttelte Ymir sich lachend und stützte sich auf Historias Schulter, um nicht umzufallen.
 

„Von wegen, Jäger“, wieherte Jean und erstickte fast an seinen Worten.
 

„Ganz schlechter Deal, Sir“, japste Connie.
 

Miesepetrig blendete Eren die Worte seiner Kameraden aus und warf einen Blick auf Marco, der neben ihm im Wasser trieb. Der Kerl lächelte peinlich berührt vor sich hin, was Eren geschlagen seufzen ließ.
 

Obwohl Levi bloß eine Hand anhob, hörte das Gebabbel sofort auf und bloß unterdrückte Lacher und Gekicher störten die erneute Stille.
 

„Welche armen Kreaturen haben euch denn ins Hirn geschissen?“
 

Eren ließ sich bis zur Nase ins Wasser sinken, um das Grinsen zu verbergen, welches sich bei den verdatterten Blicken seiner Kameraden unweigerlich auf seinen Lippen ausbreitete.
 

„Es geht um ein Wettschwimmen, bei dem nur noch Marco und Eren übrig sind“, erklärte Hannah, die mit einem großen Handtuch um den Schultern am Beckenrand saß, „Da Marco früher Leistungsschwimmer war, haben alle auf ihn gesetzt.“
 

Levi schien einen Augenblick nachzudenken, ehe er leidenschaftslos das Handtuch von der Schulter zog und zu der Bank an der Seite der Schwimmhalle ging.

„Habt ihr keine sinnvollere Verwendung für euer Geld.“
 

„Ach, hier und da ein wenig Spaß muss sein“, lachte Reiner dröhnend, was die Atmosphäre allgemein wieder etwas auflockerte.
 

Darauf erwiderte Levi nichts mehr, obwohl seine angehobene Augenbraue auf einen inneren Monolog hindeutete.
 

„Wollen Sie vielleicht mit uns um die Wette schwimmen, Levi“, kam die Frage überraschend von Marco, der Zuspruch der anderen folgte sogleich.
 

Das erregte Levis Interesse gerade lange genug, um ihn zu einem Kopfschütteln zu verleiten.

„Nein, danke. Ich bin zum Entspannen hier und nicht zu eurer Belustigung.“
 

Damit war die Angelegenheit für Levi sichtlich erledigt.
 

Ohne weiter Notiz von ihnen zu nehmen, ging er zu der äußersten Bahn, sprang elegant ins Wasser und schwamm in gemächlichem Tempo vor sich hin.

Nun gut. Man konnte niemanden zu seinem Glück zwingen.
 

„Auf eine letzte Runde?“, riss Marco ihn aus seinen Beobachtungen.
 

Eren grinste ihn schelmisch an.

„Auf jeden Fall!“
 

Die zuvor abgeflaute Anspannung nahm mit der wiedergewonnen Aufmerksamkeit der Kameraden wieder zu und Adrenalin schoss durch seine Adern, als sie auf den Startblöcken standen und Thomas ansagte.
 

Eren schloss die Augen. Er meinte Sturmgraue auf sich zu spüren.
 

Auf Kommando tauchte er wie ein Torpedo ins Wasser ein und kraulte die zwei letzten Bahnen unter Mobilisierung all seiner Kraft.

Er fühlte sich schneller als jemals zuvor.
 

Schlussendlich gewann Marco mit einer Armlänge Abstand. Allerdings empfand Eren zum ersten Mal keine Betrübnis oder Frustration, ob einer Niederlage und Jeans dämlichen Äußerungen.
 

Er spürte, dass er besser geworden war und alles gegeben hatte. Es war ein angenehmes Gefühl.
 

Unbewusst suchte er Levis Blick, den er für einen Wimpernschlag fand. Gerade lang genug um Wohlwollen zu erkennen.
 

Mit einem verlegenen Lächeln nahm er die aufbauenden Worte seiner Kameraden hin und ruhte sich eine Weile am Beckenrand aus, während die anderen sich fröhlich wieder ins Wasser schwangen und wie Kinder planschten.
 

Aus irgendeinem Grund überkam Eren bei diesen Geräuschen und dem Anblick seiner Kameraden ein wahnsinnig nostalgisches Gefühl und eine unbegreifliche Ruhe.
 

Irgendwie.

Irgendwie gehörte er genau hier hin.
 

*~*
 

Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann auf die Schwäche der Menschen und Gottes Gleichgültigkeit.
 

+++

Untertöne

+++
 

Obwohl sie erst am Morgen von ihrem Undercover-Einsatz im Club zurückgekehrt waren, fühlte es sich an als seien Tage seitdem vergangen.
 

Eine bleierne Müdigkeit hatte von Erens Gliedern Besitz ergriffen, doch sein Geist war hellwach, beinahe aufgeregt.
 

Und diese Aufregung bekam sein derzeitiger Mitbewohner zu spüren, ob er wollte oder nicht.
 

„Ich verstehe einfach nicht, warum die anderen sich so bescheuert mit dem Duzen anstellen“, ratterte Eren herunter, während er an der Theke saß und Levi beim Kochen beobachtete, „Ich meine, du hast es uns angeboten und im Einsatz verstehe ich die Distanz ja, aber sie scheinen es einfach nicht zu fressen. Klar, manche haben kein Problem damit, aber viele mischen oft Titel mit Du, den Namen mit Sie... Dass das ihnen nicht zu anstrengend ist.“
 

Levi schmeckte seinen Eintopf ab und würzte ihn seelenruhig nach.
 

Eren nahm diese Passivität nicht krumm, allerdings wäre es ihm lieber gewesen, wenn Levi mit ihm redete, anstatt ihn zu ignorieren.
 

„Nervt dich dieser Wirrwarr nicht?“ Eine Frage sollte zumindest irgendeine Reaktion provozieren.
 

Tatsächlich richteten sich Levis Augen kurz auf ihn, ehe er sich wieder dem Zerkleinern von Paprika widmete.
 

„Nein.“
 

Wow. Soviel dazu.

Eren musste sich ein aufgebrachtes Schnaufen verkneifen.
 

„Wusstest du eigentlich, dass Marco mal eine Silbermedaille im Schwimmen bei den Olympischen Spielen gewonnen hat?“
 

„Ja.“
 

„Woher? Ich dachte, du liest keine Akten?“
 

„Hanji.“
 

Allmählich entfachte Erens Ehrgeiz.

„Hast du dich eigentlich je für bestimmte Sportarten interessiert und Sendungen darüber gesehen?“
 

„Nein.“
 

„Warum nicht?“
 

„Uninteressant.“
 

„Hast du eigentlich eine Lieblingssportart?“
 

„Nein.“
 

„Hast du deine maximale Wortzahl für heute schon erreicht?“
 

Kurz hielt Levi inne.

„Ja“, meinte er genauso leidenschaftslos und gab die Paprika in den Topf.
 

Diesmal hielt Eren sein mürrisches Schnaufen nicht zurück und wurde weiterhin mit Nichtbeachtung gestraft.
 

„Wie geht es eigentlich Hanji und Mike? Hast du mit ihnen gesprochen?“
 

„Nein, weiß nicht.“

Immerhin drei Worte. Es ging bergauf.
 

„Was hat Erwin erzählt?“
 

„Nichts besonderes.“

Und schon ging's wieder bergab.
 

„Da wir morgen frei haben, meinten die Jungs, dass wir tagsüber ein wenig in die Stadt gehen könnten. Reiner ist auf Brautschau. Mehr oder weniger.“
 

„In der Stadt ist tote Hose“, wandte Levi ihm zum ersten Mal an diesem Abend seine volle Aufmerksamkeit zu. Eren jubilierte innerlich.
 

„Mag sein. Was bleibt aber schon großartig anderes zu tun? Ohne Arbeit sitzen wir bloß dumm rum und den ganzen Tag trainieren ist auch doof.“
 

„Sehr versierte Ausdrucksweise.“
 

„Stimmt aber“, schmollte Eren absichtlich wie ein Kind, um Levi zu triezen.
 

„Viel Glück.“
 

Irritiert runzelte Eren die Stirn.

„Wobei?“
 

„Bei der Brautschau.“
 

Tief durchatmend stützte Eren den Ellenbogen auf den Tresen und seinen Kopf in die Hand.

„Annie meinte, Reiner solle lieber ein Bordell besuchen.“
 

„Ein zeitloses Gewerbe.“
 

„Und hier dachte ich, dass du etwas mehr dazu zu sagen hättest“, sagte Eren ruhig und musterte Levi gemächlich.
 

Dessen Reaktion folgte prompt mit unerwarteter Wachheit.

„Warum sollte ich?“
 

„Solltest du als Vorgesetzter nicht auch ein Stück Moralapostel sein?“
 

Amüsement blitzte durch Levis sturmgraue Augen.

„Wenn es eure Form und euer Verhalten betrifft, nicht eure Vorlieben.“
 

„Sind Bordellbesuche bloße Vorlieben? Haben sie keine unerwünschte Wirkung nach außen? Betrifft es nicht unser Verhalten?“ Neugierig hob Eren den Kopf und faltete seine Hände auf der Theke, bemüht sein Interesse an Levis Reaktion auf dieses Thema nicht zu sehr zu zeigen und einzuordnen.
 

„Wenn du eine religiöse Echauffiertheit erwartest, muss ich dich enttäuschen. Prostitution ist so alt wie die menschliche Zivilisation und ich kann nichts schlimmes daran finden, solange es Regeln gibt, die die Beteiligten schützen“, erklärte Levi, während er das Gemüse im Topf umrührte und die Kartoffeln vom Herd nahm, „Natürlich kommen Bordellbesuche von gesellschaftlichen Leitfiguren nicht gut an, sodass Diskretion ratsam wäre, aber ich muss zugeben, dass ich nicht der richtige Ansprechpartner dafür bin. Mir war die öffentliche Meinung immer scheißegal. Die Ergebnisse müssen stimmen, nicht das Bild davon.“
 

„Manchmal kann man aber keine Ergebnisse mehr erzielen, wenn es einem aufgrund des Bildes der öffentlichen Meinung unmöglich gemacht wird.“
 

Er musste dabei an den Innensenator von Hamburg denken, der während Erens Ausbildungszeit eine Beziehung mit einer 15 Jahre jüngeren Frau unterhielt. Der Altersunterschied war nichts außergewöhnliches. Ihr zartes Alter von knapp 17 Jahren schon. Es war absolut legal und ein Jahr später hätte die Presse wohl höchstens die Nase gerümpft.
 

Aber zu diesem Zeitpunkt war das Mädchen nun mal 17 und weshalb sollte so ein blutjunges Ding etwas an dem damaligen, nicht sonderlich gut aussehenden 32-Jährigen finden?
 

Die Presse machte einen Skandal daraus.

Zerstörte den Ruf des Mannes und dessen Beziehung.

Zwang ihn zum Rücktritt.

Ruinierte seine gesellschaftliche Stellung.

Hamburg verlor den besten Innensenator seit 30 Jahren und der Bundesstaat einen seiner engagiertesten, intelligentesten Politiker und gewann dafür einen Alkoholkranken mehr.
 

Alles nur wegen einem Lebensjahr.

Ohne rechtliche Grundlage.

Nur aus moralischer Empörung?
 

Das war einer der Momente in Erens Leben gewesen, der ihm die Manipulierbarkeit der sogenannten öffentlichen Meinung vor Augen geführt hatte.

Und die Erkenntnis, dass Grundrechte zuweilen missbraucht werden konnten, ohne eine Konsequenz fürchten zu müssen.

Ein äußerst desillusionierender Moment.
 

„Das stimmt“, räumte Levi ein, „Deswegen bin ich für solche Sachen der falsche Ansprechpartner. Ich bin es gewohnt mit dem Kopf durch Wände zu brettern und die Klappe aufzureißen, wenn mir was nicht passt.“
 

„Ist es mit diesem Wissen nicht ziemlich uneinsichtig, gerade diese Situation nicht vermeiden zu wollen?“
 

„Wer hat je behauptet ich sei einsichtig?“, stellte Levi die Gegenfrage.
 

„Auch wieder wahr“, lächelte Eren und beobachtete, wie Levi ihn kurz musterte, ehe er sich wieder dem Essen zuwandte.
 

Angenehmes Schweigen breitete sich aus, während Eren Levi beim Tisch decken zusah. Es gab Weinwickel in Tomaten-Paprika-Sauce und dazu Salzkartoffeln. Eine Kombination, die Eren so nicht kannte, aber lecker roch und aussah.
 

„Ich glaube sowieso nicht, dass Reiner die Eier hätte in ein Bordell zu marschieren“, sinnierte Eren, „Dafür ist er wohl zu gut erzogen.“
 

„Was hat das mit Erziehung zu tun? Guter noch dazu?“, verlangte Levi mit scharfem Blick von ihm zu wissen, während er ihm einen vollen Teller vor die Nase schob.
 

„Danke“, lächelte Eren und nahm hungrig das Besteck zur Hand, wartete aber bis Levi saß, bevor er einen mit Hackfleisch und Reis gefüllten Weinwickel aufschnitt.

„Na ja, die meisten Menschen werden mit bestimmten Wertvorstellungen erzogen, die ihr Verhalten ein Leben lang bestimmen und so wie ich Reiner kennengelernt habe, gehört bei ihm dazu, dass er die Frauen lieber erobert, als für Sex zu bezahlen.“
 

Endlich nahm Eren einen Bissen und seufzte wohlwollend.

„Das ist fantastisch!“, brachte er mit vollem Mund heraus.
 

Levi sah ihn scheltend an.

„Soviel zu guter Erziehung.“
 

„'Tschuldigung“, sagte Eren und beging den selben Fauxpas gleich nochmal, bevor er herunterschluckte und verlegen grinste, „Danke für das leckere Essen!“
 

„Hn“, machte Levi und schluckte runter, bevor er den Mund aufmachte, „Bitte. Aber nochmal zurück zum Thema...“
 

Erfreut begann Eren zu strahlen, ob Levis Interesse das Gespräch aufrecht zu erhalten.
 

„Was macht für dich eine gute Erziehung aus? Warum findest du, dass Reiner diesbezüglich gut erzogen ist?“
 

„Hm, schwierig“, überlegte Eren mit gerunzelter Stirn, „Ich würde ja sagen, es sei sozial adäquat oder ehrbarer, aber beides sind sehr schwammige Begriffe. Wie du sagtest, Prostitution ist ein Bestandteil der Zivilisation und es gibt viele verschiedene Auffassungen davon, wie sich eine Frau in der Gesellschaft benehmen soll und wie Männer mit ihnen umzugehen haben - je nachdem wo man lebt.“
 

„Also ist gut, was man kennt?“
 

„Es wird wohl darauf hinauslaufen. Obwohl zu bedenken ist, dass sich dieser Begriff ebenfalls mit der Zeit verändert. Vor 200 Jahren war eine Gleichbehandlung der Homosexuellen noch undenkbar und heute schert sich keiner mehr drum, wer was mit wem macht oder lebt. Und siehe da, die Gesellschaft ist nicht deswegen untergegangen. Es war trotzdem noch eine Ein-Kind-Politik nötig, um der Überpopulation entgegenzuwirken und der Anteil an nicht heterosexuellen Partnerschaften hält sich in Europa seit gut 60 Jahren bei 5 bis 8%. Es ist also schwer zu sagen, was gut bedeutet.“
 

Levi summte zustimmend.

„Es kommt wohl immer darauf an, wie sehr man sich selbst von den Wertvorstellungen der Gesellschaft eingeschränkt fühlt.“
 

Zustimmend nickte Eren, während er auf einem großen Stück Weinwickel herumkaute.

Soviel Selbstbeherrschung besaß er noch, um nicht ein drittes Mal den gleichen Fehler zu machen.
 

Sie genossen den Rest der Mahlzeit schweigend.

Erst als Levi abräumte und Eren für ihn die Geschirrspülmaschine einräumte, fing er wieder an zu reden.
 

„Wie war das eigentlich während des Krieges in Asien? War es da üblich, dass die Soldaten ins Bordell gingen?“
 

Ein erheitertes Blitzen erhellte kurz Levis Augen, ehe er wenig angetan meinte:

„Soldaten führen sich in fremden Ländern oft auf wie ungezogene Kinder im Spielzeugladen. Je länger sie dort sind und keiner ihnen auf die Finger klopft, desto ungestümer und besitzergreifender werden sie. Natürlich sind viele ins Bordell gegangen, haben Strip-Clubs besucht und sich in Varietés besoffen.“
 

„Du nicht?“, fragte Eren forsch und direkt. Er hoffte, dass seine Augen die Botschaft richtig übermittelten und Levi verstand, dass er bloß neugierig war und nicht über ihn urteilen wollte oder würde.
 

Die Botschaft schien anzukommen, dennoch zögerte Levi sichtlich.

„Als Soldat habe ich solche Orte gemieden und mich lieber mit Leuten abgegeben, die ohne diese Ablenkungen zurecht kamen.“
 

Eren erkannte, dass das Thema seltsam heikel für Levi zu sein schien. Dennoch fasste er sich ein Herz und fragte weiter.

„Und als Nicht-Soldat?“
 

Levis Augen verhärteten sich.
 

„Du hast gesagt, ich könne alles fragen“, erklärte Eren schnell und hob beschwichtigend die Hände. Er wollte auf gar keinen Fall, dass ihm Levi böse wurde oder sich wieder zurückzog.
 

„Kannst du. Aber ich muss nicht auf alles antworten“, erwiderte er ruhig, seine sturmgrauen Augen wieder weicher, freundlich gar.
 

„Klar“, bestätigte Eren mit gewisser Verlegenheit, die ihm heiß werden ließ, „Ich will dich nicht bedrängen.“
 

„Ich weiß.“ Als Eren das leichte Lächeln auf Levis Lippen sah, wurde ihm schlagartig noch wärmer.
 

Verlegen rieb er sich einmal über die Nase und blickte auf die Theke.
 

„Ich gehe vor ins Bad“, erklärte Levi und ging davon.
 

Auf gewisse Weise war Eren froh für den kurzen Moment der Privatsphäre. Erschöpft barg er das Gesicht in den Händen und schalt sich einen kindischen Dummkopf. Er fand sich zu alt für diese komische Unsicherheit, die seinen Verstand benebelte.
 

*~*
 

Obwohl die Müdigkeit an seinem Geist zerrte, konnte er nicht abschalten.
 

Die heutigen Gespräche waren zehrend gewesen. Erwin gab sich zwar Mühe, aber Berge versetzen konnte er beim besten Willen nicht. Levi musste sich selbst helfen, was sich für ihn als schwierig erwies.
 

Wie er Eren vorhin verraten hatte, neigte er auch dazu mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.

Natürlich konnte er taktisch vorgehen und Leute manipulieren.

Er verließ sich jedoch auf seine Kraft und seinen starken Willen, wenn alle Taktik versagte.
 

Dass der Körper eine Waffe war, hatte er früh lernen müssen.
 

Es wäre gelogen gewesen zu behaupten, dass er Erwins Vorliebe für die Politik und ihre Intrigen nicht verstehen konnte. Erwin war ein manipulatives Miststück, das es liebte Grenzen zu erforschen. Intellektueller oder psychischer Natur.
 

Das machte ihn gefährlich und interessant.
 

Dennoch war Levi beileibe kein Politiker.

Für diese Sesselfurzer hatte er einfach keine Geduld.
 

Deswegen war Levi zwar ein begnadeter Soldat und guter Lehrer, aber die Karriereleiter konnte er damit nur begrenzt hochklettern.

Ihm fehlte der nötige Pathos, um Klinken zu putzen und Schleim zu scheißen.
 

Er hatte mit Erwin, der seine mangelnde Bereitschaft sich mit Speichellecken und unnötiger Bürokratie zu befassen kannte, abgesprochen, dass der das übernahm.

Natürlich konnte Erwin nichts für dieses Terror-Chaos und hatte aus legitimen Gründen zu wenig Zeit, um Levi den Weg freizumachen, trotzdem fuchste es ihn.
 

Er musste sich selbst durch den Behördenzuständigkeits-ich-bin-ja-so-wichtig-Wahn schlagen.

Zu oft hatte er sich im Zuge dessen bereits schmerzhaft auf die Zunge gebissen. Glück nur, dass diese arroganten Arschlöcher nicht in persona dastanden, als sie telefonierten, ansonsten hätte heute manch einer Zahnfee spielen können.
 

Natürlich wollte Levi nicht sämtliche Aufgaben delegieren und sie damit der eigenen Handlungsfähigkeit berauben.

Natürlich wusste er um eben jene Gefahr.
 

Doch wie man es drehte und wendete, sie hatten zu wenig Personal, um alles selbst machen zu können.

Sie waren mit ihm 17 Leute.

Irgendwann war bei ihnen die Belastbarkeitsgrenze erreicht.

Levi sah nicht dabei zu wie sich seine Kameraden um den Verstand arbeiteten.
 

Er brauchte sie für Einsätze.

Um die Terroristen aus ihren Nestern zu jagen und festzunehmen.

Egal wo sie dafür hin- und welche Mittel sie anwenden mussten.

Dafür gab es die ESE.
 

Und nach wie vor konnte ihn jeder gern haben, der ihn mit großkotzigen Sprüchen an die GSG9 verwies.

Die GSG9 war zu einer Staatspolizei degeneriert und gar nicht mehr in der Lage das Übel an der Wurzel zu packen.

Stattdessen schnitten sie ihm ständig Stumpf und Blätter ab, übersahen wie sich das Wurzelwerk dabei kräftigte und verzweigte. Immer weiter bis daraus neue Pflanzen zeitgleich an verschiedenen Orten empor sprossen und sich eine Bekämpfung dadurch noch schwieriger und umfangreicher gestaltete.
 

Das Problem wurde nicht gelöst, nur klein geredet.
 

Die Quittung kostete viele Leben.
 

Die GSG9 konnte ihn mal.
 

Levis Leute waren viel umfangreicher ausgebildet und er wusste genau, was sie konnten und wie sie einzusetzen waren. Das machte sie ungleich effektiver.

Und sobald sie etwas brauchbares herausfanden, würde sich das ganze Training auszahlen.
 

Er konnte es kaum erwarten.
 

Abrupt landete eine Hand direkt vor Levis Gesicht und er zog missmutig die Augenbrauen zusammen.
 

Eren drehte sich im Schlaf um.
 

Anders als bei Hanji fühlte er einen inneren Widerstand Eren einfach rabiat wegzuschieben. Zumindest nicht solange er ihn nicht berührte oder sonst wie zu sehr bedrängte.

Die Empfindung, ab wann er sich bedrängt fühlte, hatte sich ärgerlicherweise ebenso verschoben wie seine Antipathie für Körperkontakt. Plötzlich wurde es zu einem bewussten Vorgang Eren nicht anzufassen, sei es bei einem Gespräch am Oberarm oder nun im Schlaf eine Haarsträhne.
 

Levi hatte dieses Gefühl in seinem Leben erst einmal kennengelernt und wusste nicht wie er damit umgehen sollte. Damals wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Er musste es nicht aussitzen.

Jene Situation unterschied sich jedoch von der heutigen. Zwar nicht so grundlegend wie Levi sich das wünschte - im Grunde kaum - aber er hatte kein Interesse an diesem Verliebtsein.
 

Es kotzte ihn an.

Er hatte Angst davor. Dieser Kontrollverlust machte ihm Angst.
 

Dennoch oder gerade deswegen starrte er nun in Erens schlafendes Gesicht wie ein Reh ins Scheinwerferlicht eines heranrasenden Fahrzeugs.
 

Ihre Gesichter trennte eine Unterarmlänge und das war eigentlich viel zu nah. Er hörte ihn leise atmen, bildete sich ein jeden Atemzug am Kinn zu spüren und konnte viel zu viele Details in dem dunklen Zimmer erkennen, das nur vom Bad aus wegen der grellen Straßenbeleuchtung wie von Mondschein ein wenig beleuchtet wurde. Das Licht genügte, um lächerlich lange Wimpern zu sehen, eine gut geformte Nase, schöne Lippen...
 

Obwohl Eren ein wirklich gutes Los bei der Genvergabe gezogen hatte, war es schwerlich sein Aussehen, das in Levi diese vermaledeiten Gefühle heraufbeschworen hatte.

Schöne Menschen gab es zuhauf.

Sogar in ihrem Team hatte keiner ein hässliches Gesicht, auch wenn man über Schönheit und Attraktivität streiten konnte. Aus möglichst objektiver Sicht waren alle durchschnittlich bis sehr gut aussehend.

Aussehen war für Levi nicht bedeutsam. Er betrachtete schöne Menschen wie alles, was er als schön empfand. Es entlockte ihm kein tieferes Gefühl als das Bild von einem Sonnenuntergang. Ganz nett. Erfreulich.
 

Die meisten Menschen reagierten da vollkommen anders, aber Levi kam gut genug mit sich selbst zurecht, um seine innere Einstellung aufgrund dessen nicht zu hinterfragen.
 

Hinterfragen, warum ausgerechnet Eren es ihm so angetan hatte, wollte er jedenfalls nicht.
 

Selbst wenn er es gekonnt hätte, wollte er die Antwort gar nicht finden.
 

Es konnte ihm egal sein, was Eren von Erwin und Hanji unterschied.

Es war egal.

Er würde ohnehin nichts tun.
 

Levi konnte Eren nur weiterhin ansehen und hoffen, dass sein Gehirn zu träge für weitere Gedanken wurde und er einschlief. Der nächste Tag würde genug Aufgaben bereit halten, die ihn verdrängen lassen würden, was sich immer tiefer in sein Bewusstsein eingrub.
 

***
 

Er nahm seine Umgebung wahr, noch ehe er vollends aufwachte. Er spürte, wie sich die Matratze leicht bewegte, als Eren aufstand, um im Bad zu verschwinden.
 

Er ignorierte es. Sein Körper fühlte sich wie ein Mehlsack an, er wollte sich keinen Millimeter rühren. Langsam wurde er zu alt für diesen Scheiß. Eine Stunde Schlaf reichte ihm einfach nicht mehr.

Das war einer dieser Momente, der ihm verdeutlichte, dass sein Körper nicht mehr jeden Spaß mitmachen wollte. Wo früher locker drei Stunden Schlaf gereicht hatten, um ihn fit zu halten, genügten nun kaum fünf Stunden.
 

Glücklicherweise war die Medizin weit genug fortgeschritten, um zumindest seine Gelenke und Knochen wiederherstellen zu können, sollten sie ihm in ca. zehn Jahren seine ganzen Stunts nachtragen.
 

Eren werkelte in der Küche herum, als sich Levi schließlich aufraffte.
 

Das Bad war angenehm warm und sauber. Anscheinend hatte Eren nach dem Lüften so viel Umsicht besessen die Heizung aufzudrehen. Etwas zog in seinem Bauch wie eine Saite am Cello.

Schnaubend stieg er in die Dusche und drehte sie auf kalt. Das Zittern lenkte seinen Körper ab und die Kälte betäubte seine Gedanken lange genug, um sich zu waschen und anschließend das Bad zu putzen und sich anzuziehen.
 

„Ich habe Kaiserschmarrn mit heißen Pflaumen gemacht“, begrüßte ihn Eren strahlend, als er die Wohnküche betrat. Wenigstens einer von ihnen schien gut geschlafen zu haben.
 

„Ist das nicht eher ein Dessert?“ Levi gab sich Mühe nicht zu unwirsch zu klingen und möglichst gelassen zu wirken. Er brauchte Eren nicht mit seiner schlechten Laune anzustecken.
 

„Eigentlich schon, aber ich wollte irgendwas vernünftiges zum Frühstück machen und Pfannkuchen hatten wir erst“, erklärte Eren mit selbstzufriedener Ausstrahlung.
 

„Wenn du Süßspeisen als was vernünftiges ansiehst, sollte ich dich wohl zurück zu Hanji schicken. Du hast in der Ernährungskunde anscheinend gepennt.“
 

„Das nicht, aber einmal am Tag kann man sich was semigesundes gönnen.“
 

„Ein schöner Euphemismus für ungesund.“
 

„Es ist in Maßen nicht ungesund. Alle Nahrungsmittel sind in Maßen okay.“
 

„Na gut, das lass ich durchgehen.“ Mit einem inneren Seufzen setzte sich Levi an die Theke und kommentierte Erens triumphierendes Grinsen mit einer hochgezogenen Augenbraue.
 

Zugegeben, der Kaiserschmarrn roch köstlich und er hatte bisher noch keinen gegessen. Zwar hatte ihn die Mensa im Ausbildungskomplex öfter angeboten, aber er hätte das Zeug höchstens kurz vorm Verhungern in Erwägung gezogen anzurühren.
 

Eren servierte ihm den Kaiserschmarrn auch in ansehnlicherer Weise als das Küchenteam der Mensa, die alles einfach auf den Teller geklatscht hatte, sodass der Teig die Soße aufsaugte und alles traurig vor sich hin triefte.
 

„Das ist das erste Mal, dass ich sowas esse“, meinte er, als er die Gabel zur Hand nahm.
 

Eren setzte sich ihm gegenüber und grinste ihn breit und schelmisch an. Levi ahnte Böses.

„Ich freue mich, dass du mit mir ein paar Erste Male erleben kannst.“
 

„Das ist mit Sicherheit das erste Mal, dass jemand für so etwas keinen Arschtritt kriegt.“
 

„Sag’ ich doch“, zwinkerte ihm Eren schmunzelnd zu und sprang glucksend auf, als Levi sich anspannte und die linke Hand auf die Theke stützte, als würde er ihn am Schlafittchen packen wollen.
 

Levi tat ganz gelassen so, als hätte er sich bloß nach vorne beugen wollen, um an die Teekanne zu kommen und bedachte Eren mit einem gekonnt irritierten Blick, der seine Zurechnungsfähigkeit in Frage stellte.
 

Wie ein übermütiges Fohlen tänzelte Eren misstrauisch in der Küche herum, fluchtbereit, argwöhnisch und unentwegt lachend.
 

„Ich hab alles falsch gemacht“, seufzte Levi und probierte von dem Kaiserschmarrn. Natürlich schmeckte er fantastisch.
 

Als er entspannt zu essen begann, traute sich Eren zögerlich zurück an die Theke und aß glucksend und immer wieder zu ihm rüberblickend endlich seinen Teller leer.
 

„Ich hatte für eine Sekunde vergessen, dass du zwölf bist.“ Levi klang, als sei er fertig mit der Welt.
 

„Nicht jeder, der ein wenig herumalbert, ist ein Kind“, verteidigte sich Eren mit sachlicher Stimme, die genauso gut einem Lehrer hätte gehören können.
 

„Ich sage nicht, dass du ein Kind bist. Du verhältst dich nur wie eins. Und sich in die Küche zu flüchten, die auf drei Seiten geschlossen ist, ist nicht sonderlich durchdacht.“
 

„Nur weil ich mich im ersten Moment zurückziehe, heißt das nicht, dass ich auf der Flucht bin“, gab Eren keck zurück.
 

Herausfordernd neigte er den Kopf ein wenig.

„Ach so? Du meintest also dich mir gegenüber behaupten zu können?“
 

„Wenn du das so sagst, dann eher nicht unterzugehen.“ Eren verzog theatralisch die Lippen als hätte er eine Vase zerbrochen und steckte sich schmunzelnd ein Stück Pflaume in den Mund.
 

„Feigling.“
 

„Lebenserhaltungsmaßnahme.“
 

„Wäre es nicht klüger, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen?“
 

Eren blickte mit ernstem Gesicht zu ihm.

„Denk noch einmal über diesen Satz nach.“
 

„Ach ja, ich vergaß. Du und klug schließen einander aus.“
 

Eren schmunzelte vielsagend.

„Zumindest in Bezug auf dich.“
 

„Nein, das gilt nicht. Da gibt es keine Einschränkungen“, winkte Levi sogleich ab.
 

„Meine Mutter hat immer gesagt: So viele Menschen du kennst, so viel mal bist du Mensch.“
 

„Deine Mutter konnte kein Deutsch, oder?“
 

„Ihre Eltern waren Deutsche. Mein Vater war vor Generationen türkischstämmig, aber von dem hab ich das nicht. Ich weiß nicht, warum das Sprichwort so abgekratzt formuliert ist.“ Nachdenklich zog Eren die Stirn kraus.
 

„Ich kenne ein ähnliches Sprichwort mit Sprachen: Je mehr Sprachen du beherrscht, desto öfter bist du Mensch.“ Das hatte eine Soldatin zu ihm gesagt, als sie durch Nordkorea gezogen waren.
 

Eren zuckte mit den Schultern.

„Das klingt besser. Und es ist beides wahr.“
 

„Du verhältst dich also bei jedem Menschen anders? Ist das nicht ein wenig heuchlerisch?“
 

„Natürlich sollte man seinem Charakter immer treu bleiben, aber mit jedem Menschen interagiert man anders. Worte, Taten, Gefühle. Es ist jedesmal einzigartig.“
 

„Ich scheiß auch nicht zweimal dieselbe Scheiße aus, bleibt trotzdem Scheiße.“
 

„Welch schöne Metapher fürs Leben“, erwiderte Eren nüchtern, nachdem er bemüht seinen Bissen heruntergeschluckt hatte, „Aber es geht eher darum, dass man sich mit jedem Menschen ganz neu entdeckt.“
 

„Das wäre erbarmungswürdig.“
 

Allmählich verlor Eren die Geduld mit ihm.

„Du weißt ganz genau was ich meine! Man verhält sich nunmal mit jedem Menschen ein wenig anders und lernt sich im Zweifel selbst ein wenig besser kennen.“
 

„Schon klar. Du verhältst dich mit mir wie zwölf. Ich hab’s verstanden.“ Levis Mundwinkel zuckten verräterisch.
 

„Haha“, wenig amüsiert rümpfte Eren die Nase, „Du willst gar nicht wissen, wie ich mit zwölf gewesen bin.“
 

„Wie warst du denn? Stürmisch und streitlustig?“, versuchte Levi sein Glück.
 

Eren grinste.

„Meistens grün und blau.“
 

„Ich hoffe doch, dass die anderen genauso aussahen.“
 

„Vielleicht mit etwas mehr rot.“
 

Levi spitzte angeekelt den Mund.

„Widerlich.“
 

Eren zuckte mit einer Schulter.

„Hast du dich als Junge nicht geprügelt?“
 

„Doch, natürlich. Ich bin in Bangkok aufgewachsen.“ Nach Levis Meinung erklärte das alles.
 

Für Eren natürlich nicht.

„Und da prügelt man sich mehr als an anderen Orten?“
 

„Wahrscheinlich nicht. Es interessiert nur keinen Schwanz, ob du totgeschlagen wirst oder nicht.“
 

„Das klingt heftiger als die 0815-Kinderschlägerei.“
 

Ach was.

„In Bangkok wird man selten als Kind geboren.“
 

„Als was dann?“
 

„Als kleiner Erwachsener. Ab fünf Jahren weißt du dort bereits wie der Hase läuft“, führte Levi geduldig weiter aus.
 

„Das ist traurig.“
 

„Es ist den Umständen geschuldet. Die Stadt ist verarmt. Vor 100 Jahren war es bestimmt schöner.“
 

„Ja. Die Kriege haben ziemlich viel verändert. Stell’ dir vor wie die Welt wäre, hätten sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht zu den Vereinigten Staaten Europas verbunden!“
 

„Das war nach dem 3. Weltkrieg die einzig logische Vorgehensweise. Alleine hätten sich die Staaten nicht erholt, geschweige denn so eine aufstrebende Wirtschaftsmacht werden können.“
 

Eren nickte und goss ihnen beiden Tee in die Tasse.

„Dafür sind die Anrainerstaaten zugrunde gegangen.“
 

„Es hat sie ja keiner gezwungen so miserable politische Entscheidungen zu treffen“, war Levis lapidare Antwort auf diesen Umstand.
 

„Natürlich nicht, aber es interessiert Europa auch nicht, ob ihre Handlungen die afrikanischen Länder fördert oder ob sie weiterhin heruntergewirtschaftet werden. Hauptsache man kann - um nur ein Beispiel zu nennen - die eigenen Produkte in den Markt drücken und heimische Anbieter verdrängen. Hilfe zur Selbsthilfe sieht anders aus.“
 

„Du kannst ihnen aber auch keine Veränderungen von außen aufdrängen. Das müssen sie selbst bewerkstelligen. Aber solange die Verantwortlichen die Hand aufhalten und das Volk die Situation duldet, gibt es keine Verbesserung, wie wir das verstehen.“
 

„Also sollen wir die Korruption zu unserem Vorteil nutzen und über Elend und Armut hinwegsehen?“, Eren zog die Augenbrauen missbilligend zusammen, „Außerdem hat das Volk keine andere Wahl als die momentane Situation zu dulden.“
 

„Das Volk hat immer die Wahl. Jeder einzelne Mensch hat die Wahl. Dass damit auch Risiken und Opfer verbunden sind, nimmt ihnen nicht diese Wahlmöglichkeit. Das ist das schwere Los der Freiheit. Man muss abwägen und Entscheidungen treffen und kann dabei alles und sein Leben verlieren. Ob es das Wert ist, muss jeder Mensch, jedes Volk für sich entscheiden“, stellte Levi seinen Standpunkt dar, „Und nein, Korruption gilt es zu bekämpfen und wenn einem die Politik nicht gefällt, dann sollte man seine Vertreter mit Verstand und Umsicht wählen oder sich verdammt nochmal selbst politisch engagieren. Veränderungen kommen nicht durch Zuschauen und Lästern zustande.“
 

Schweigend wie ein beeindruckter Goldfisch starrte Eren ihn an.

„Wow. Ich wusste gar nicht, dass du so leidenschaftlich bei politischen Themen werden kannst.“
 

Levi verschränkte die Arme vor der Brust.

„Vielleicht erlebe nicht nur ich hier ein paar Erste Male.“
 

„Ich finde, du hast Recht. Es ist wohl ein Spagat zwischen moralischer Verpflichtung zur Hilfeleistung und gesundem Abstand zur Gewährung eigener Entfaltung. So wie es jedenfalls seit nunmehr fast 30 Jahren läuft, kann es nicht bleiben. Dieses verlogen halbherzige Eingreifen und Aufrühren hat die afrikanischen Staaten destabilisiert und radikale Gruppierungen gefördert.“
 

„Das stimmt natürlich, trotzdem ist der Ursprung der momentan größten Gefahr nicht im Ausland zu suchen.“
 

„Glaubst du, dass die Terroristen etablierte Bürger Europas sind?“
 

„Die Drahtzieher vermutlich schon. Es verlangt viel Insiderwissen und gute Verbindungen, um so einen Anschlag vorzubereiten und durchzuführen. Wahrscheinlich wurden wir jahrelang infiltriert.“
 

„Hoffentlich haben wir ein paar der Maulwürfe erwischt“, seufzte Eren, „Diese Abhöraktion ist immerhin umfangreich genug.“
 

„Sollte man meinen.“
 

Ein Piepsen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Erens Hose, der sein Mobiltelefon daraus hervorzog.

„Armin schreibt gerade, dass wir in-“, Eren zog die Augenbrauen zusammen, „einer guten halben Stunde in die Stadt gehen wollen.“

Dann lächelte er ihn wieder an: „Kommst du mit?“
 

„Auf Brautschau?“ Levis Ton klang nicht nur zweifelnd, er sah ihn auch so an.
 

Eren rollte mit den Augen.

„Ich bezweifle, dass es auf sowas hinausläuft, wenn auch Historia, Ymir und Annie dabei sind. Es wird wohl eher ein kleiner Ausflug, um mal raus zu kommen.“
 

„Ich bleibe hier. Ich habe noch ein paar Dinge zu klären“, schmetterte Levi den Vorschlag ab.
 

„Und das kann keine drei Stunden warten?“
 

Levi beantwortete die Frage mit einem vernichtenden Blick, der jedem normal denkenden Menschen eine Gänsehaut beschert, zumindest das Maul gestopft hätte. Nicht so Eren.
 

Mit einem herausfordernden Grinsen erhob sich Eren, wobei er beide Hände flach auf der Theke abstützte.

„Ich glaube, du kneifst.“
 

Der Moment der verdatterten Sprachlosigkeit verflog nicht schnell genug, um Eren einen Arschtritt zu verpassen, ehe der sich seinen schmutzigen Teller schützend vor die Brust hielt. Das Besteck fiel dabei klirrend zu Boden, was die angespannte Stille parodierte.
 

„Wisch den Boden, bevor du gehst“, meinte Levi nüchtern, ehe er sich erhob.
 

„Hat es dir geschmeckt?“, fragte Eren noch schnell, ehe er außer Sicht war.
 

„Sehr“, erwiderte er ehrlich, „Daran könnte ich mich gewöhnen.“
 

Er spürte beinahe körperlich wie Erens Lippen sich zu einem triumphierenden Grinsen auseinander zogen.
 

*~*
 

Sie trafen sich nicht wie Kriminelle im Hinterzimmer der allerletzten Spelunke, sondern leger im Golfklub. Sie saßen zu acht im gut besuchten Edel-Restaurant und redeten und scherzten wie alte Freunde. Keiner nahm Notiz von ihnen oder ihren Gesprächen. Sie verschmolzen wie ein Octopus mit der Umgebung.
 

„Wie erwartet sind die Menschen in die Trotzphase gekommen und wollen mit ihrer „Jetzt-erst-recht“-Einstellung zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen.“

Er wechselte das Thema von der Beschaffenheit der Golfplätze im Sommer zu dem Grund ihres Treffens mit einer unerhörten Leichtigkeit.
 

„Du vergisst die Ausschreitungen.“
 

„Welche Ausschreitungen? Die paar Molotowcocktails, die in fremdenfeindlicher oder anarchistischer Gesinnung gegen die paar Scheiben geflogen sind, machen aus Kretins keine Aufständischen. Die Mehrheit ist erstarrt oder macht weiter wie bisher.“
 

„Das sollten wir auch.“
 

„Ich finde es ein wenig früh. Je langsamer die Veränderung, desto beständiger wird sie am Ende sein.“ Einer von ihnen musste ja die Stimme der Vernunft sein.
 

„Ich gebe dir recht, mein Teurer. Wir wollen die Federn doch nicht zu sehr aufwuscheln, bevor das Hühnchen serviert wird.“
 

„Bevor du das Huhn servieren kannst, musst du ihm erst den Kopf abschlagen und es rupfen.“
 

„Und kochen nicht vergessen!“
 

„Ich will es eher gegrillt.“
 

„Unabhängig von den Präferenzen bezüglich der Zubereitung, sollten wir uns zuvorderst auf ein Huhn einigen.“
 

„Die Metapher ist ziemlich beschissen.“
 

„Wir haben doch bereits besprochen, dass als nächstes Ratten in den Häusern Unruhe stiften sollen.“
 

„Du kannst das mit den Tiermetaphern einfach nicht, huh?“
 

„Wieso denn?! Ist doch verständlich!“
 

„Ratten schickt man nicht in Häuser. Man hebt ein Rattennest aus und das wollen wir bestimmt nicht.“
 

„Interessant. Gut zu wissen, dass du dich selbst als Ratte siehst.“
 

„Sehr lustig.“
 

„Wir werden an dem ursprünglichen Plan auch weiterhin festhalten. Die Art und Weise ist es, die ich noch einmal besprechen möchte.“
 

„Dann stell’ dich vor ´nen Spiegel. Wir haben das Thema bereits durch.“
 

„Das war bevor der Drachentöter auf der Bildfläche erschienen ist.“
 

„Oh mein Gott! Kauf dir ´ne Windel. Wen interessiert der kleine Scheißer schon?“
 

„Mich zum Beispiel. Es gilt Rechnungen zu begleichen.“
 

„Fuck me sideways!“
 

„So wie ich das sehe, kommen wir nicht um ihn herum. Falls er in den letzten Jahren nicht nachgelassen hat.“
 

„Menschen wie diese bleiben gefährlich. Genauso wie ein Löwe im Zoo gefährlich bleibt.“
 

„Kommt drauf an für wen. Ich mache mir keine Gedanken um den. Das ist ein Nebenschauplatz.“
 

„Die Chinesen haben die Jägertruppen damals unterschätzt, taktische Fehler begangen. Das sollte uns nicht aus purer Nachlässigkeit passieren.“
 

„Zurück zum Thema: Wir werden mit der nächsten Phase in zwei Tagen beginnen.“
 

„Und das sagst du einfach so?“
 

„Schau in deinen Kalender. Das war der ursprüngliche Plan.“
 

„Was gibt es zur Vorgehensweise noch zu besprechen? Ich dachte das hätten wir bereits geklärt.“
 

„Wir haben die Orte und Mittel, aber noch keine zeitlichen Abstände.“
 

„Ich dachte gleichzeitig und dann im Primzahltakt.“
 

„Schön, dass du denkst, aber wie gerade vorhin gesagt-“
 

„Ja ja, schon gut. Beständige Veränderung. Wie stellt ihr euch das vor?“
 

„Es müssen noch mehr Nadelstiche sein.“
 

„Wenn ich richtig verstehe, was du meinst, dann brauchen wir mehr Personal.“
 

„Wir haben noch ein paar gute Leute in der Hinterhand.“
 

„Dort sollten sie auch bleiben.“
 

„Also importieren?“
 

„Wozu haben wir denn die ganzen Trainingscamps.“
 

„Es wird nicht leicht über die Grenze zu kommen.“
 

„Wir sollten unsere lieben Kollegen aus dem Norden mit dieser Aufgabe betrauen. Wozu hat man denn so ein Netzwerk.“
 

„Argh!“
 

„Was denn?“
 

„Das sind solche Wichser.“
 

„Mag sein, aber nützlich.“
 

„Ja, die Jungs wissen, wo sie nach Personal suchen müssen.“
 

„Arrogante Hackfressen.“
 

„Sie erledigen ihren Job. Sympathien sind zweitrangig.“
 

„Hmhm - ich freu mich schon. Das wird ein Spaß.“
 

„Auf wieviel sollen wir aufstocken?“
 

„Ich dachte auf mein Alter.“
 

„150 ist ein wenig viel, findest du nicht?“
 

„Ich lach’ mich tot.“
 

„Allzu lang dürft’ das ja nich’ dauern.“
 

„Ich bin damit einverstanden. Ihr auch?“
 

„Jaja.“
 

„Passt.“
 

„Okaydokay.“
 

„Und den Drachentöter lassen wir derweil laufen?“
 

„Ich bin neugierig, was er tun wird.“
 

„Die Neugier ist der Katze tot.“
 

„Nicht wirklich.“
 

„Dann ist es beschlossen.“
 

„Wer will noch Champagner?“
 

„Tu’ mir das Gesöff wech.“
 

„Wieso? Ist doch lecker?“
 

„Wech’ damit!“
 

„Ich bin im Kindergarten gelandet.“
 

„Hey! Bringen Sie bitte noch eine Flasche!“
 

„Sitzen schon genug da, ne?“
 

„Schnauze! - Eh, nein, nicht Sie! Danke!“
 

Der Tisch brach in Gelächter aus und begann über die neuesten europäischen Sportwagenmodelle zu diskutieren.
 

*~*
 

Reiner wusste schon als kleiner Junge, dass er einmal Polizist werden würde.

Es war sozusagen vorprogrammiert. Seine ganze Familie ging mehr oder weniger Berufen in diesem Feld nach.

Seine Eltern arbeiteten immer noch als Erste Polizeihauptkommissare und seine sämtlichen Onkels, Tanten und Cousins und Cousinen waren entweder Polizisten, Anwälte, Rechtspfleger oder Forensiker. Nur seine Oma mütterlicherseits war eine Ausnahme: Sie hatte den Opa als studentische Bedienung in einem Donut-Shop kennengelernt und war Steuerberaterin geworden.
 

Man könnte meinen, dass es von ihm erwartet wurde sich für dieselben Berufe zu interessieren. Natürlich war das so, aber er fühlte sich nie sonderlich dazu gezwungen sich denselben Beruf auszusuchen. Wenn die Umgebung für etwas Leidenschaft aufbrachte, dann sprang der Funke über und man konnte sich selbst dafür begeistern.
 

Also war alles paletti in der Familie, was seine Berufswahl anbetraf. Alle hatten sich gefreut, dass er einer der besten seines Jahrgangs wurde und nach vielen Mühen zur SEK gekommen war.
 

Weniger begeistert waren sie von der Ausbildung bei der ESE.
 

Das kannte man schließlich nicht. Es war nicht alt und bewährt, sondern unausgereift und nicht anerkannt. Ein gewisses Prestige war seiner Familie genauso wichtig wie harte Arbeit und Ehrgeiz. Umso schlimmer war es für seine Eltern, dass ihr einziger Sohn nicht darauf hinarbeitete seine Karriere auf konventionelle Weise voran zu bringen, sondern einen Abbieger zu etwas völlig „abstrusen“ machte.
 

So schwer ihn die enttäuschten, verständnislosen Blicke seiner Familie trafen, er war stolz auf seinen gewählten Weg. Er musste stolz sein, weil er von herausragenden Menschen auf diesem Weg begleitet wurde.
 

Am liebsten würde Reiner seinen Eltern die gesamte Truppe vorstellen. Wenn das ihre Meinung nicht zu ändern vermochte, dann konnte das so schnell gar nichts.
 

Reiner mochte jeden Einzelnen seiner Kameraden, wenn zugegebenermaßen auch mit ein paar Abstufungen.
 

Berthold kannte er bereits von seiner SEK-Zeit, wenn auch mehr vom Sehen her, da sie verschiedenen Abteilungen angehört hatten. Die flüchtige Bekanntschaft war jedoch genug gewesen, um eine erste Freundschaft zueinander aufzubauen und mittlerweile würde Reiner ihn als seinen besten Freund bezeichnen.
 

Freunde waren rar. Umso fester musste man sie halten, wenn man einem derart zeitintensiven Beruf nachging. Vermutlich war deshalb seine ganze Familie beruflich so verknüpft. Außerhalb der Arbeit lernte man selten jemanden kennen, hatte geschweige denn die Zeit dazu Freundschaften gehörig zu pflegen.
 

Mittlerweile konnte er eigentlich von all seinen Kameraden behaupten mit ihnen befreundet zu sein. Klar, mit Ymir war nicht gut Kirschen essen. Die Frau war schlicht grob in jedweder Hinsicht.

Er konnte nicht begreifen, was Historia an ihr fand.

Historia war ein Engel. Ein Engel, der sich auf Lucifer höchstpersönlich eingelassen hatte. So empfand es zumindest Reiner, der sich eingestehen konnte, in Historia verliebt gewesen zu sein.
 

Aber der Zug war abgefahren und mit seiner Ex-Freundin hatte er nun auch abgeschlossen. Es wurde Zeit für eine neue Partnerschaft. Anders als so mancher Kamerad brauchte er jemanden mit dem die Aussicht auf eine Familie bestand. Er wollte innerhalb der nächsten zehn Jahre heiraten und Kinder zeugen. Sonst würde ihm etwas fehlen und er auf lange Sicht unglücklich werden.
 

Natürlich fand er keine Freundin, wenn er mit zwölf lauten, jugendhaften Chaoten im Schlepptau durch die Straßen einer gemarterten Stadt schlenderte.
 

Paris hatte sich gut einen Monat nach den Anschlägen etwas erholt. Die Leute weigerten sich ihr Leben großartig umzustellen. Ein gewisser Beigeschmack der Unsicherheit haftete dem Alltag an, aber soweit es ging, blieb es möglichst ungezwungen.
 

Die Bevölkerung war stark und vor allem stur. Sie wollten sich nicht von Terroristen das Leben diktieren lassen.
 

Für die meisten war es schlimm genug, dass eine Sperrstunde existierte und öffentliche Versammlungen untersagt waren. Doch so lange dieser oberflächliche Unmut nicht in allzu großen Revolten mündete, konnte sich kein Polizist beschweren.
 

Wenn nicht einmal die streikerprobten Franzosen sich erhoben, würde es vorerst relativ ruhig in der Bevölkerung bleiben. Diesbezüglich fungierten die Franzosen mit ihrem Temperament immer als genauestes Stimmungsbarometer in Europa.
 

„Hey! Spinnst du?!“ Sashas Gekreische ließ Reiner sich umdrehen.
 

Anscheinend hatte Connie ihr eine Marone stibitzt. Ein wahrlich mutiges Unterfangen bei Sasha, die mehr Lebensmittel verschlang als ein Schwein, jedes Stück verteidigte wie eine Löwin und eine Figur hatte, die Tarzan das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen würde.
 

„Leute“, seufzte Mylius genervt, „Könnt ihr euch einmal aufführen, als seien wir nicht in der dritten Klasse und auf Klassenfahrt.“
 

Die ohnehin rhetorische Frage wurde mit einem verständnislosen Blick quittiert und ignoriert. Interessanter waren die letzten fünf Maronen in dem Papiertütchen, um die eine lautstarke Diskussion und ein bedenkliches Handgemenge entbrannte.
 

Sasha und Connie waren das pure Klischee. Die Parodie des Klischees. In fast jeder Gruppe musste es einen Clown geben; sie hatten zwei.
 

Glücklicherweise waren beide ungemein talentiert und effizient in ihrem Beruf und eine amüsante Bereicherung für ihre ansonsten recht schmucklose Truppe.
 

Historia war zwar sehr schön, abgesehen davon waren keine wirklichen Charaktere dabei. Das hieß freilich nicht, dass es langweilig war. Dafür gab es zu viele Reibereien, allein schon zwischen ihren Gruppenführern.
 

Glücklicherweise kamen Jean und Eren mittlerweile besser miteinander aus und funktionierten im Einsatz recht harmonisch. Nicht nur Reiner war der Meinung, dass die beiden Streithähne einfach mehr an ihrer Kommunikation arbeiten mussten, um sich gut zu verstehen.
 

Vermutlich brauchte man auch die Volldeppen in jeder Gruppe.
 

„Wenn die Museen und Galerien geschlossen sind, gibt es hier nicht mehr wirklich was zu tun“, gähnte Thomas neben ihm.
 

„Wir könnten gut essen“, schlug Reiner vor.
 

„Vielleicht etwas später“, antwortete Thomas, „Ich habe noch keinen Hunger. Wie sieht’s mit euch aus?“
 

Die Angesprochenen hinter ihm schüttelten den Kopf, während Sasha und Connie immer noch stritten.
 

„Ich bin gespannt, ob wir ins Moulin Rouge kommen.“ Historias Augen glänzten vor Vorfreude.
 

„Zum Essen oder Trinken, aber Shows laufen erst ab 23:00 Uhr oder so“, rationalisierte Jean ihre Freude sofort und kassierte einen bösen Blick von Ymir, während Historia unschuldig zu ihm aufsah.
 

„Das wäre auch in Ordnung. Ich denke nicht, dass momentan überhaupt Shows angeboten werden“, lächelte sie.
 

„Wenn sich die Situation beruhigt hat, könnten wir tatsächlich mal eine Show ansehen“, sinnierte Armin, „Jetzt ist es schade, dass wir das immer vor uns hergeschoben haben.“
 

„Oh, Armin!“, triezte Jean, „Ich wusste gar nicht, dass du auch lebendige Kunstwerke anschaust.“
 

„Ich bin blond, kein Engel“, konterte Armin, „Und natürlich kann ich mich für gute Shows begeistern.“
 

„Ich vergesse immer, dass du keine Jungfrau mehr bist. So nerdig wie du bist, verwechsle ich dich immer mit einem Asexuellen.“
 

„Was hast du denn eingeworfen, Kirschstein“, motzte Eren prompt.
 

„Das war jetzt gar nicht beleidigend, stereotyp oder unpassend“, tadelte Marco seinen besten Freund, der empört dreinschaute.
 

„Das war doch gar nicht ernst gemeint! Regt euch ab; ihr habt ja gar keinen Humor.“
 

„Diesen sicherlich nicht“, kommentierte Reiner, während Ymir sich einmischte: „Du hast keinen Sinn für Humor.“
 

„Dein Humor wirkt auf andere zuweilen harsch“, versuchte es Marco etwas diplomatischer, aber seine verständnislose Belustigung war zu offensichtlich.
 

Beleidigt verschränkte Jean die Arme vor der Brust und schob die Unterlippe leicht vor.

„Ihr könnt mich mal und es war nicht böse gemeint. Tut mir leid, Armin.“
 

Der winkte ab.

„Schon gut. Ich kenne dich mittlerweile ja etwas“, zwinkerte er ihm zu und entspannte damit die gesamte Situation.
 

„Es ist offen!“, rief Thomas.
 

„Perfekt, ich kann einen Kaffee echt gut gebrauchen“, lächelte Historia.
 

„Ist das nicht Sairams Truppe?“, bemerkte Eren und nickte zum Eingang des Varietés.
 

„Ja, sind sie“, bestätigte Annie und löste eine Welle des Unmuts bei ihnen aus.
 

Sairam war ein Polizist der GSG9, ein Mitbewohner sozusagen, und führte eine Gruppe von 13 an. Alle sehr versiert und fleißig, aber ebenso großkotzig, arrogant und gehässig.
 

„Sollen wir uns das wirklich antun?“, sprach Mylius wenig begeistert die Frage aus, die ihnen allen durch den Kopf geschossen war.
 

„Wir lassen uns von denen doch nicht diktieren, wie unsere Freizeit auszusehen hat!“, kam es gewohnt stur-leidenschaftlich von Eren, was Jean mit den Augen rollen ließ.
 

„Vielleicht sind nicht alle wie du auf Krawall aus und wollen die Handvoll freien Stunden in Frieden verbringen.“
 

„Wer redet denn von Krawall? Ich rede davon, dass uns diese Arschlöcher am Buckel runter rutschen können“, engagierte sich Eren und ging dabei glücklicherweise nicht direkt verbal auf Jean los, wie er es früher immer ohne Umschweife getan hatte.
 

„Wenn du noch ein wenig lauter sprichst, machen die das bestimmt auch“, ermahnte Armin seinen besten Freund mit ruhigem Tonfall, was Eren etwas verlegen blinzeln ließ.
 

„Ich will jetzt einen Kaffee“, verlautbarte Annie und ging schnurstracks auf das Moulin Rouge zu, das tagsüber nicht sonderlich eindrucksvoll aussah.
 

Brav folgten sie ihr.
 

*~*
 

„Wenn nicht nur ich meinen Job machen würde, hätten wir bestimmt schon bessere Ergebnisse erzielt“, schimpfte einer der IT-Jungs, was Levi in vollkommener Ignoranz ausblendete.
 

Für ihn waren das nicht mehr als Spatzen, die auf der Straße herumhüpften und hier und da einmal zwitscherten.
 

Die Anspannung und die Diskussionen um ihn herum perlten an ihm ab, als er durch die Gesprächsaufnahmen blätterte und einiges selbst abhörte.

Sie hatten bereits eine Unmenge an Informationen gesammelt und da Levi verboten hatte eine computergesteuerte Vorauswahl zu treffen, bei der einige Gespräche bei bestimmten Worthäufungen übersprungen wurden, um sich beispielsweise die manuelle Aussortierung von Klogängen oder Geschlechtsverkehr-Sequenzen zu ersparen, galt es unzählige elektronische Dokumente durchzulesen und zu analysieren.
 

Eine Sisyphusarbeit für die meisten Analytiker und IT’ler, die sich manches Mal zu sehr auf ihre technischen Hilfsmittel verließen.
 

Levi las schnell. Er hatte eine Begabung darin Informationen schnell aufzunehmen und zu verwerten. Obwohl er niemals an Hanjis Auffassungsgabe oder Erwins Scharfsinn heranreichen konnte, schien es für die Spatzenhirne hier auszureichen; zumindest wenn es nach dem Wert seines Erkenntnisgewinns ging.
 

Er konnte bereits sieben Personen als Verdächtige ausschließen und hatte bei zweien interessante Verbindungen zu radikaleren Gruppen festgestellt. Der entscheidende Hinweis fehlte zwar noch, aber es waren Spuren, Anhaltspunkte, denen man nachgehen konnte.
 

Wenn man sich mit seinem momentanen Schicksal abfand, konnte man ziemlich viel in der Zeit, die andere lieber zum Jammern, Ärgern oder Motzen nutzten, erreichen.
 

Levi wollte endlich vorankommen. Er brannte auf ihren ersten Einsatz als ESE. Sie würden unter Beweis stellen, dass sie ihre Daseinsberechtigung hatten.
 

*~*
 

„Na, wenn das nicht unsere geschätzten ESEL sind!“, begrüßte sie einer der arroganten Dumpfbacken mit dreckigem Grinsen, als er ihre Frauen mit den Augen auszog.
 

Manchmal mochte Jean am liebsten aus der Haut fahren, wenn er sah, was für Minderbemittelte seinen vormaligen Traumjob ausübten.
 

Die Aufnahmebedingungen für die GSG9 hatten es in sich und dann stand so ein Vollhorst da, gaffte Frauen auf Brüste und Arsch und labberte den letzten Stuss.
 

Die Aufnahmeprüfer mussten besoffen gewesen oder bestochen worden sein.
 

„Warum sagt ihr denn nichts? Hat es euch die Sprache verschlagen?“, stichelte ein Anderer und lachte wie ein pubertierender Teenager.
 

Wieder ein Anderer stellte sich vor Annie, versperrte den Eingang ins Moulin Rouge.

„Oh, da will jemand wichtig aussehen.“
 

„Die haben wohl nichts mehr zu sagen“, grinste Dumpfbacke Eins, „Bei diesen Karrierechancen würde’s mir auch die Sprache verschlagen.“
 

Annies Augen blitzten auf.

Jeans Magen zog sich nervös zusammen.
 

Scheiße!
 

Dieser Ausdruck in ihren Augen versprach Schmerzen - für Dumpfbacke - und jede Menge Ärger für sie.
 

Doch bevor Annie einen Muskel zur Gewalt bereit rührte, schob sich Armin vor sie.
 

„Na, wen haben wir denn da? Hat Mami dir die Haare geschnitten?“, spöttelte Dumpfbacke.
 

Armin blieb ungerührt und - verdammt noch mal - Armin durchbohrte das Arschloch mit seinem Blick wie eine Mörderpuppe aus einem Horrorstreifen. Was hatte der denn gefrühstückt?
 

Dumpfbacke konnte auch nichts mit der Situation anfangen und grinste Armin dumm an.

„Was willst du, Bubi? Hast du dich verlaufen?“
 

Armin schwieg beharrlich und starrte Dumpfbacke weiterhin an.
 

Als Jean den Blick kurz abwandte, sah er, dass Historia Tickets für sie gelöst hatte.

Wenn keine Shows liefen, waren die zwar kostenlos, aber ohne wurden sie nicht in den Bereich mit dem Café gelassen. Die Betreiber wollten aus Sicherheitsgründen stets die Anzahl der Besucher wissen.
 

„Kommt Leute“, meinte Reiner und trat hinter Annie und Armin. Er wirkte wie ein Schrank vor den beiden Kleineren und erweckte bei der Dumpfbacke gewissen Respekt. Zumindest wenn man nach der plötzlich aufrechteren Haltung urteilte.
 

„Wo haben sie eigentlich euch Arier aufgegabelt?“, wollte Vollhorst wissen.
 

Jean wunderte sich einen Moment über den Begriff, ehe ihm auffiel, dass Annie, Armin und Reiner blond und blauäugig waren. Ihm wurde das erst jetzt bewusst, aber er hatte sich bisher auch nie drum geschert.
 

„Du hast doch überhaupt keine Ahnung“, zischte es überraschenderweise scharf aus Sashas Mund, „Du solltest nicht Worte in den Mund nehmen, von denen du nichts verstehst.“
 

Vollhorst aka. Wichser hob arrogant grinsend die Hände, als wolle er die Situation beschwichtigen.

„Oh ha, wer hat dir denn den Slip verdreht.“
 

„Lasst uns reingehen“, ergrifft Jean nun endgültig erbost das Wort, „Die sind es nicht wert.“
 

„Was reißt du deine lange Fresse auf, Bürschchen“, erzürnte sich Wichser, während sich die anderen Dumpfbacken hinter ihn stellten.
 

Jean verdrehte die Augen und warf einen Blick zu Eren, der seltsam still war. Normalerweise waren solche Arschlöcher gefundenes Fressen für ihn.

Als er in Erens Gesicht sah, hielt Jean überrascht inne.

Erens grüne Augen leuchteten schier vor Abscheu und Wut, doch sonst stand er vollkommen regungslos da.
 

Eren beherrschte sich.
 

Man durfte das nicht falsch verstehen. Egal was für Streits sie hatten, Jean wusste um Erens Qualifikationen als Polizist und Gruppenführer und dazu gehörte selbstverständlich seine Professionalität und Selbstbeherrschung in Konfliktsituationen.
 

Aber das hier war anders. Das hier war Freizeit. Das waren gewissermaßen Kollegen. Das waren riesengroße Arschlöcher, die sie ständig schikanierten - mal schlimmer, mal dümmer.
 

Jean löge, wenn er behaupten würde, er könne nicht ganz genau die Worte auf seiner Zunge brennen spüren, die Eren gerade runterschluckte. Doch Eren war zu ehrlich und leidenschaftlich, um seine Meinung in solchen Situationen in deeskalierende Worte zu hüllen. Es war für ihn beeindruckend genug, dass er sie sich verbiss, obwohl jeder von ihnen Eren angefeuert hätte, wäre er auf die Wichser losgegangen.
 

Man solle nicht behaupten, ein alter Köter lerne keine neuen Tricks.
 

„Auf geht’s!“, lächelte Historia und reichte jedem von ihnen ein Ticket, während Reiner Annie und Armin leicht Richtung Eingang bugsierte.
 

Die restlichen Schmähungen waren ein Rauschen in Jeans Ohren.
 

„Wow, hier wimmelt es vor Polizisten“, stellte Marco fest, „Ich wusste nicht, dass wir hier in ein Nest laufen würden.“
 

Das Café war gemütlich und groß und überall erkannten sie Gesichter aus ihrer Kantine oder Einsätzen wieder. Es war fast skurril.
 

„Immerhin ist Sairam nicht mit dabei. Der hätte mir noch gefehlt“, ergänzte Jean, während sie auf einen leeren Tisch mit Polstermöbeln drum herum zugingen.
 

„Ein Kaffee und ich bin raus“, stöhnte Connie.
 

„Ja“, nickte Sasha grimmig, „Ich habe auch keine Lust auf diese Leute.“
 

„Das sind unsere Kollegen. Das wisst ihr schon, oder?“, hakte Thomas mit hochgezogener Augenbraue nach.
 

„Deswegen muss ich keine Lust auf sie haben“, erwiderte Sasha ungewohnt abgeklärt.
 

Diese Typen schienen ihr ja mal richtig über die Leber gelaufen zu sein. Vielleicht reagierte sie so sensibel, weil sie diesen ganzen Nazi-Abschaum im Club hatte ertragen müssen.

Anders konnte Jean sich ihr Verhalten nicht erklären. Sasha war sonst immer irgendwie… heiter.
 

Sie bildeten sich nicht bloß ein beäugt zu werden. Sie wurden offen gemustert und es wurde wenig unauffällig über sie getuschelt.
 

Dennoch tranken sie stoisch ihre Getränke, zahlten und gingen nach einer Dreiviertelstunde wieder.
 

„Das war ja mal für’n Arsch“, beschwerte sich Reiner mit zornig gerunzelter Stirn.
 

„Lass uns am besten zu Fuß zurücklaufen“, schlug Eren vor.
 

Jean blinzelte erstaunt.

„Weißt du wie weit das ist?“
 

Eren legte den Kopf ein wenig schief, den Hals herausfordernd gereckt.

„Du bist doch ein guter Läufer.“
 

Jean atmete tief durch und schnaubte.

„Das ist wenigstens ein schöner Spaziergang…“
 

„Na dann, auf geht’s!“, trieb sie Mylius an, „Ich möchte es bis 17:00 Uhr schaffen.“
 

„Hast du eine Verabredung?“, scherzte Connie.
 

Mylius zuckte milde lächelnd mit den Schultern.

„Meine Ma’ würde sich freuen, wenn ein junger Mann sie als Dating-Material ansehen würde.“
 

„Ist sie alleinstehend?“, fragte Historia neugierig.
 

„Nein“, lachte Mylius, „Aber sie schaut gerne junge Männer an.“
 

„Und andersherum“, schmunzelte Thomas.
 

„Du kennst sie?“, fragte Connie.
 

„Ja, ich hatte einmal das Vergnügen. Eine sehr nette, lustige Frau.“
 

„Sie ist Künstlerin“, führte Mylius weiter aus, „Und bedient fast alle Klischees. Sie hat sich Thomas mal an den Hals geworfen, als er mich im Urlaub besucht hat, um zu testen wie er reagiert. Das macht sie bei allen Gästen.“
 

„Ja, du hättest mich damals echt vorwarnen können!“, warf ihm Thomas echauffiert mit großen Augen vor, doch Mylius lachte bloß.
 

„Gut zu wissen.“ Jean zuckte mit den Schultern und sah zu Marco, der ebenfalls mit den Schultern zuckte und lächelte.
 

Jean war froh, dass Marcos Familie unkomplizierte, bodenständige Leute waren, die er jederzeit besuchen durfte.
 

Ein guter Ersatz für seine eigene, verkorkste Familie.
 

„Stopp!“
 

Prompt blieben alle alarmiert stehen und folgten Erens Blick, der ein Geschäft zu ihrer linken beäugte.
 

„Zur Hölle, Jäger?“
 

Eren sah kurz durch ihre Runde.

„Ich geh da schnell mal rein, wartet bitte kurz, ja? Armin?“
 

Damit zog Eren ab über die Straße, brav gefolgt von Armin, der ihnen kurz einen ahnungslosen Blick und bedröppeltes Lächeln zuwarf.
 

Als Eren nach fünf Minuten noch nicht wieder da war, verlor Jean allmählich die Geduld.

„Was treibt der da drin? Herr Gott nochmal!“
 

„Vermutlich lässt er sich beraten“, meinte Marco und begutachtete geduldig das Firmenschild.
 

„Das sind Tees, keine Raketen.“
 

„Schon, aber da kann man auch viel falsch machen.“
 

„Ich werde nie verstehen, wie man Tee nicht nur als Mittel zum Zweck sehen kann“, meinte Annie und kassierte ein Augenrollen von Reiner.
 

„Das kann ja nur ein Coffeejunkie wie du sagen.“
 

Leichtes Amüsement blitzte durch Annies Augen.

„Ich steh’ dazu.“
 

„Endlich“, murrte Jean, als er Eren und Armin aus dem Laden treten sah.
 

„Hast du, was du wolltest?“, erkundigte sich Marco freundlich, was Eren strahlen ließ.
 

„Ich hoffe es. Die Kommunikation war etwas schwierig. Der Verkäufer hat irgendeinen fiesen Dialekt gesprochen.“
 

„So lange er dir keine toten Insekten mitgegeben hat, wird es schon passen“, kommentierte Jean wenig hilfreich und brachte damit zumindest Connie zum Lachen.
 

„Es sah zumindest gut aus und roch lecker“, grinste Eren und schien zufrieden mit sich.
 

So ein Penner.
 

Gemächlich liefen sie den ganzen Weg von Montmartre bis zur ehemaligen L’École Militaire zurück und schalteten zur Abwechslung mal ab.
 

*~*
 

Levi las die Passage mehrmals durch, doch das Gefühl blieb.
 

Dr. Joachim Pritz:

Die Ladung wird am 02. Februar verschifft.

Alles andere wäre inakzeptabel. Ich habe nicht so viel Zeit und Geld für nichts investiert.

Was heißt da, ich werde nicht dafür bluten müssen?

Sparen Sie sich Ihre hochtrabenden Floskeln. Es ist mir scheißegal. Geschäft ist Geschäft.

Ich erwarte Ihre Bezahlung diesmal pünktlich. Das ist kein Scherz für mich.

Ist mir egal, wer Sie sind. Machen Sie Ihren verdammten Job - ich halte mich an unsere Abmachungen.
 

Tamara Pritz:

Bist du endlich fertig mit telefonieren?
 

Dr. Joachim Pritz:

Das versteht sich von selbst.

Gut.

Sie wissen, wie Sie mich erreichen.

Ja.
 

Tamara Pritz:

Wer war das? Wir waren verabredet, Papa.
 

Dr. Joachim Pritz:

Geschäft, Goldlöckchen. Manche Kundschaft kapiert nicht, wie der Hase läuft.
 

Tamara Pritz:

Ist schnurz. Lass uns endlich gehen. Mama wartet schon.
 

Levi war der Einzige, der sich selbst die verworfenen Texte durchlas und konnte nicht umhin sich für seine Hartnäckigkeit zu beglückwünschen.
 

„Oi! Ich dachte, es wäre klar gewesen, dass wir alle Gespräche, in denen Worte wie Blut vorkommen, überprüfen müssen.“
 

Einer der IT’ler wandte sich ihm mit müden Augen und unmotiviert heruntergezogenen Mundwinkeln zu.

„Tun wir auch.“
 

„Und warum wurde das hier aussortiert?“ Er hielt dem Kerl sein Tablet vor die Nase.
 

Der IT’ler überflog die Passage und zeigte sie seinem Nebenmann.

„Du hast doch die Gespräche von Pritz sortiert.“
 

Der Kollege grunzte zustimmend und las das Gespräch nochmal durch.

„Ja, das war uninteressant. Pritz ist Bauunternehmer und verschifft regelmäßig Baustoffe von Hamburg aus in alle Welt. Am 02. Februar geht’s nach Dover.“
 

„Wieder so ein Wohlstandsnazi“, gab ein anderer seinen Senf dazu, während er auf seinen Bildschirm starrte.
 

Levi wurde sein Tablet zurückgereicht.

„Ich möchte, dass alle Dokumente mit den genannten Schlüsselwörtern mir zugespielt werden“, wiederholte Levi den Befehl nochmals und starrte dem Typen in die trägen Augen.
 

Es war offensichtlich, dass sie ihn für bekloppt hielten und nur die Fresse hielten, weil sich herumgesprochen hatte, dass Levi ein „Kriegsheld“ war.
 

Im Moment sollte es ihm recht sein. Hauptsache die Idioten taten endlich, was er ihnen aufgetragen hatte. Typisch Wohlstandskinder.
 

*~*
 

Eren hörte die Apartmenttür und lugte von der Küche aus zu Levi, der sich die Schuhe auszog.
 

„Hallo!“, begrüßte ihn Eren lächelnd und bekam einen kurzen Blick zur Erwiderung, ehe Levi ins Schlafzimmer und wohl ins Bad verschwand, um sich die Hände zu waschen.
 

Levi neigte es mit Hygiene und Sauberkeit zu übertreiben. Händewaschen war ja gut und sinnvoll, aber er betrieb das mit chirurgischer Präzision und viel zu oft, als dass das der Haut gut tun konnte.
 

Mit einem unterdrückten Gähnen machte sich Eren daran die Soße abzuschmecken und würzte noch einmal nach.
 

„Du kommst gerade richtig“, sagte Eren laut, als er das Schließen der Schlafzimmertüre hörte, „Das Essen ist in fünf Minuten fertig.“
 

Da bog Levi auch schon um die Ecke, wobei er sich die Ärmel seines dunkelgrauen Hemdes hochkrempelte und ging um den Tresen herum in die Küche.
 

Verwundert schaute Eren auf Levi herunter, der ihn blank ansah.

„Brauchst du was?“
 

„Du stehst im Weg.“
 

Eren zog belustigt eine Augenbraue hoch.

„Und ich soll jetzt verschreckt auf die Seite springen?“
 

Levi bedeutete ihm mit einer wegwerfenden Handbewegung sich zu verpissen, doch Eren betrachtete ihn nur weiterhin amüsiert.
 

Bis ihm ein widerlicher Schmerz durch den Fuß schoss und er schmerzerfüllt aufschrie und wegsprang.
 

„Ahhh! Spinnst du?! Herr Gott nochmal, Levi! Bist du noch ganz dicht?!“
 

„Stell’ dich nicht so an“, entgegnete Levi ruhig in trockenem Tonfall und kam nun zu dem Hängeschrank, in dem sich die Trinkgläser befanden.
 

„Ich stell’ mich an?“, regte sich Eren auf und rieb seinen linken Fuß an seinem rechten Oberschenkel, „Du bist mir volle Kante auf die Zehen gelatscht! Hast du Stahlsocken an oder was?!“
 

„Soll ich den Notarzt rufen?“
 

„Boah, ich schwöre, wenn du nicht mein Vorgesetzter wärest, würde ich dir eine reinhauen“, knirschte Eren erbost mit den Zähnen.
 

„Ach so?“, unheilvoll blitzte es durch Levis Augen, doch seine Mundwinkel verrieten leichte Belustigung, „Mach’ doch. Aber beschwer’ dich dann nicht über verbogene Körperteile.“
 

Eren schnaubte arrogant.

„Wer sagt, dass nicht du derjenige sein wirst, der mit verbogenen Körperteilen liegen bleibt? Du weißt, ich bin gut.“ Ihre extracurricularen Kampftrainingseinheiten waren zwar schon etwas länger her, aber Eren hatte sich wahrlich nicht schlecht angestellt.
 

Nun zogen sich Levis Mundwinkel zu einem überlegenen Schmunzeln auseinander.

„Du bist nicht schlecht, nein, aber du hast keine Chance gegen mich. Du willst mich nicht am eigenen Leib erleben, wenn ich nicht zu Trainingszwecken kämpfe.“
 

„Ach, du meinst zum Beispiel das eine Mal, wo du mir die Schulter ausgerenkt hast.“
 

„Und das war keine Absicht“, betonte Levi, „Willst du etwa mehr davon?“
 

„Nur wenn du mich danach wieder verarztest“, scherzte Eren mit gesenkter Stimme, die Levis Augen aufblitzen ließ. Leider konnte er nicht in den stürmischen Augen lesen. Levi war trotz allem zu reserviert.
 

„Also hast du eingesehen, dass du dich lieber nicht mit mir anlegst.“
 

„Soweit würde ich nicht gehen“, erklärte Eren, „Wenn du das nochmal machst, kommt es postwendend zurück; egal, ob ich danach verprügelt werde. Das wäre es mir wert.“
 

„Also wenn ich mal einen Grund brauche, dich grün und blau zu schlagen oder mich einfach nur abreagieren will, trete ich dir auf den Fuß, um dich zu provozieren.“
 

„Irgendwann“, versprach Eren lachend, „Irgendwann werde ich dich besiegen.“
 

„Ja, wenn ich 90 bin und du mit 80 noch fit genug bist, hast du vielleicht eine Chance.“
 

Eren schnaubte und grinste.

„Haha. Wäre ja schön, wenn wir dann noch befreundet sind, aber solange will ich nicht warten.“
 

„Hm“, machte Levi und schien auf einmal sehr nachdenklich.
 

Das Piepen der Herduhr lenkte Erens Aufmerksamkeit wieder zu dem Kochtopf, der fröhlich vor sich hin köchelte.
 

Levi erwachte aus seiner Starre und goss Leitungswasser in sein „erobertes“ Trinkglas.

„Was machst du denn?“
 

„Einen griechischen Schmortopf mit Rindfleisch und Reisnudeln“, erklärte Eren, „Das habe ich euch schon mal gekocht.“ Als er im Ausbildungslager von Hanji zum Kochen verdonnert worden war.
 

„Wo hast du das Rindfleisch her?“
 

Die Kantine bot nur zweimal die Woche ein Fleischgericht an und zur Zeit gab es wegen der LKW-Kontrollen nur eingefrorene Ware.
 

„Wir sind an einem Metzger vorbeigekommen, der zufälligerweise frische Ware hatte. Ich konnte mir das Fleisch selbst aussuchen.“
 

„Es riecht jedenfalls sehr gut“, lobte Levi, was Eren zufrieden lächeln ließ.
 

„Du kannst gerne den Tisch decken, wenn du möchtest. Wo du doch so sehr an die Schränke willst.“
 

„Wenn du lieb gebeten hättest, hätte ich es vielleicht gemacht“, erwiderte Levi mit gezückter Augenbraue und setzte sich demonstrativ tatenlos an den Tresen und süffelte aus seinem Glas.
 

„Und wie war dein Tag so?“, fragte Eren mit ironischem Unterton.
 

„Ich habe Aufnahmen gehört und Protokolle durchgelesen und war in fünf Stunden effektiver als die Idioten in drei Tagen“, meinte Levi leicht genervt bei dem Gedanke an die Kollegen.
 

„Du hast also gearbeitet, es uns aber verboten?“, wiederholte Eren nicht sonderlich angetan.
 

„Das ist der Unterschied zwischen Bauer und König.“
 

„Ich verstehe gerade, dass du der Bauer bist, der ackert und wir die Könige, die dabei zusehen.“
 

Levi schmunzelte.

„Zum Einen steht und fällt die ESE mit mir, zum Anderen muss ich mich auf euch verlassen können und das geht ersichtlich nicht, wenn ihr alle auf dem Zahnfleisch angekrochen kommt.“
 

„Das gilt aber auch im Umkehrschluss: Wir müssen uns auch auf dich verlassen können und dafür muss es auch für dich Auszeiten geben“, argumentierte Eren dagegen.
 

„Die hab ich, sonst wären es mehr als fünf Stunden geworden.“
 

„Okay.“ Eren ließ es gut sein. Levi würde schon wissen, wie viel er sich zumuten konnte.
 

Sie verfielen in ein müdes Schweigen, als Eren den Tisch deckte und das Gericht servierte.
 

„Schmeckt gut“, bestätigte Levi, nachdem er probiert hatte.
 

„Freut mich“, lächelte Eren und genoss das zarte Rindfleisch. Das war wirklich ganz hervorragende Qualität.
 

„Hast du diese ganzen Gerichte aus Kochbüchern oder hast du auch welche von deinen Eltern gelernt?“, fragte Levi unerwartet, was Eren aufsehen ließ.
 

„Hm, überlegen. Ich kenne ein paar Süßspeisen von meiner Mutter und schlichte Gerichte mit Bulgur, Couscous oder Maismehl. Ach ja, und ich weiß von Mikasas Eltern, wie man eine ganze Ziege auf dem Spieß überm Feuer zubereitet“, grinste Eren und erinnerte sich noch gut an das große Geburtstagsfest von seinem Vater, der von den Ackermanns eine lebendige Ziege geschenkt bekommen hatte. Seine Mutter war nicht sonderlich begeistert davon gewesen, dass ihr Mann das Tier selbst schlachten musste, bevor es ausgenommen, enthäutet und aufgespießt wurde.
 

„Ziege haben wir auch gegessen“, Levi dachte kurz nach, „Eigentlich generell alles, was man über einem Feuer wenden kann.“
 

„Also Hunde, Katzen,… Menschen“, zählte Eren amüsiert auf.
 

„Vielleicht doch nicht alles“, schränkte Levi seine Aussage schmunzelnd wieder ein.
 

„Aber das klingt eher nach dem, was Soldaten essen würden und nicht du mit deiner Familie.“
 

„Ja, das war auch so“, stellte Levi klar, „Wir haben zeitweise alles gegessen, was wir bekommen konnten und nicht aus einer Konserve, einem Beutel oder in Pillenform daherkam.“
 

„Dabei sind diese Ernährungspillen echt praktisch.“ Die hatten schon die ein oder anderen Leben gerettet.
 

Levi spitzte verekelt die Lippen.

„Wir reden nochmal darüber, wenn du das Zeug drei Wochen hintereinander eingeworfen hast.“
 

Eren nickte verständnisvoll, ehe er neugierig nachhakte.

„Was war das seltsamste, was ihr gegessen habt?“
 

„Du stellst Fragen“, Levi sah nach oben, „Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern. Es gab einige richtig widerliche Mahlzeiten und damit meine ich nicht Heuschrecken oder Skorpione. Ich denke, ich habe es ziemlich verdrängt.“
 

„Wir haben mal Affenhirn gegessen, als wir in so einer Provinz in Zentralafrika waren. Das war…unaussprechlich.“ Allein bei dem Gedanken daran wurde Eren übel.
 

Levi betrachtete ihn angewidert.

„Ist das nicht illegal?“
 

„Sag’ das den Eingeborenen.“
 

„Wie seid ihr denn zu sowas gekommen? Unwissentlich?“
 

„Ja. Meine Eltern haben ja in vielen verschiedenen Krankenhäusern gearbeitet und sind so in manches Eck geschleppt worden. Wir haben es erst im Nachhinein erfahren.“
 

„Und alles aufgegessen?“, fragte Levi mit der Faszination des Grauens.
 

„Meine Eltern schon, weil sie es erst später erfahren haben. Sie dachten wohl, es sei sowas wie Leber. Ich habe mich nach den ersten Bissen geweigert - unhöflich hin oder her.“
 

„Ärzte, die Hirn für Leber halten“, resümierte Levi, „Wie beruhigend.“
 

Eren lachte auf.

„Zu ihrer Verteidigung: Es war kleingeschnitten und hatte wohl die richtige Konsistenz für Leber. Als Arzt kocht man immerhin selten die inneren Organe seiner Patienten.“
 

„Wäre wünschenswert.“
 

„Isst du eigentlich Innereien?“
 

„Nicht, wenn ich eine Wahl habe.“
 

„Gut, sowas koche ich nämlich nicht. Mir schmeckt’s nicht.“
 

„Wenn wir schon beim Thema sind“, meinte Levi, als er fertig gegessen hatte, „Ich würde morgen eine Gemüse-Reispfanne machen.“
 

„Gern“, seufzte Eren tief, „Wie soll ich mich nach den drei Wochen je wieder mit dem Kantinenfraß abfinden?“
 

„Du kannst dir ja selbst kochen.“
 

„Ehhh“, machte Eren wenig begeistert und stand auf, um die Teller wegzuräumen.
 

„Beschwer’ dich nicht, wenn du zu faul bist.“
 

Eren zuckte mit den Schultern.

„Es macht nicht so viel Spaß, wenn ich nur für Armin kochen muss.“
 

„Du kannst ja für die ganze Einheit kochen“, schlug Levi schmunzelnd vor.
 

„Ja, genau. Hab ja sonst nix zu tun.“
 

„Immer nur am Meckern.“
 

„Eigentlich war es ja als Kompliment gemeint“, erklärte Eren, während er die kleine Spülmaschine einräumte.
 

„Gut zu wissen“, erwiderte Levi trocken und erhob sich, um sein Glas nachzufüllen.
 

„Ach, da fällt mir ein…“ Eren beendete den Satz nicht, als er die Spülmaschine anwarf und ins Wohnzimmer zu seinem Rucksack lief.
 

Er holte das Päckchen aus der Stofftasche, die er neben seinen Habseligkeiten abgestellt hatte und ging wieder zurück zu Levi, der ihn neugierig beobachtete.
 

„Hier, das ist für dich“, lächelte er und hielt Levi das Päckchen hin.
 

Levi sah es überrascht an, dann ihn und stellte das Glas aus der Hand.
 

„Was ist das?“, wollte er wissen und schien ehrlich verblüfft, als er das Päckchen nahm und es in den Händen drehte, „Tee?“
 

Eren nickte lächelnd.

„Bio-Earl Grey aus China. Wir sind an so einem gut sortierten Teeladen vorbeigekommen. Ich hoffe, er ist gut. Roch und sah zumindest gut aus, soweit ich das einschätzen kann.“
 

„Warum?“ Levi war so herrlich perplex, dass Erens Lippen sich zu einem strahlenden Lächeln formten.
 

„Ich könnte natürlich sagen aus Dankbarkeit, dass du mich bei dir wohnen und sogar in deinem Bett schlafen lässt, um mich vor der grauenhaften Couch zu bewahren“, schmunzelte Eren, „Aber um ehrlich zu sein, habe ich einfach an dich denken müssen, als ich den Laden gesehen habe und wollte dir eine Freude machen.“
 

Levi starrte ihn an, blinzelte dann auf den Tee hinab.

„Danke.“
 

„Gern.“ Langsam schien sich Levis unbeholfene Verlegenheit auf ihn zu übertragen, zumindest spürte Eren, wie seine Wangen warm wurden und kribbelten.
 

Als Levi wieder in seine Augen sah, konnte Eren nicht anders als zu strahlen und dabei auszublenden, wie ihm unter Levis musterndem Blick heiß wurde.
 

„Ähm“, machte Eren nicht sonderlich intelligent, „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich vor ins Bad gehen.“
 

„Klar“, erwiderte Levi ihn immer noch genau betrachtend, ehe Belustigung durch seine Augen blitzte, „Du willst ja bloß, dass ich das Bad am Ende putzen muss und nicht du.“
 

„Erwischt!“, lachte Eren nervös auf und wirbelte herum, um sich zügig ins Bad und aus der leicht seltsamen Situation zu retten.

Oder eher sie beide.
 

Vielleicht war es etwas daneben seinem Vorgesetzten was zu schenken?

Nein, beschloss Eren, das war genau richtig gewesen.
 

Er ertappte sich selbst dabei, wie er unentwegt vor sich hin lächelte.
 

*~*
 

Wenn es so weiter ging, verlor Levi seinen Verstand.
 

Da nahm er extra ein angenehm langes Bad, um Eren nicht mehr wach antreffen zu müssen und dann sowas.
 

Aufgebracht schnaubte er, überlegte fieberhaft, wie er mit der Situation am besten umgehen sollte.
 

Er lag mit dem Rücken zu Eren. Half nur nichts, denn der Kerl hatte sich im Schlaf auf Levis Betthälfte gedreht und atmete ihm nun quasi in den Nacken. Levi drängte sich so nah an die Wand, dass er sie beinahe mit der Nasenspitze berührte, konnte aber nicht weiter fliehen.
 

Dementsprechend konnte er entweder das Bett verlassen oder Eren wegschubsen. Normalerweise hätte es für ihn keine Alternative gegeben. Natürlich wäre es Wegschubsen gewesen.
 

Normal war für ihn diese Situation allerdings herzlich wenig.
 

Er wollte sich nicht umdrehen.

Er wollte Eren nicht ins Gesicht sehen.

Schon gar nicht wollte er ihn aufwecken.
 

Es war der Punkt erreicht, an dem sich Levi selbst nicht mehr vertraute.
 

Trotzdem fasste er sich und drehte sich Millimeter für Millimeter um. Ganz langsam, behutsam.

Und starrte direkt in Erens schlafendes Gesicht, das eine Handbreit vor seinem ruhte.
 

Ein kribbelnd heißer Schauder durchfuhr ihn von der Haarwurzel bis in die Zehenspitzen und ihm brach der Schweiß aus. Der angenehm kühle Raum erschien ihm plötzlich stickig, seine Klamotten klebrig an seiner Haut und die Decke wie ein schweres Fangnetz.
 

Empfindungen loderten in ihm auf, über die er sich bloß wundern konnte.
 

Er hatte vergessen, was es hieß zu begehren. Jemanden zu begehren.

Wie verzehrend dieses Gefühl sein konnte, wie allumfassend und erbarmungslos.
 

Es kostete ihn viel zu viel Selbstbeherrschung einfach nichts zu tun. Liegen zu bleiben, regungslos, nur guckend.
 

Warum musste Eren ihm auch Tee schenken?

Gut riechenden Tee mit qualitativ hochwertig aussehenden Blättern - Levi hatte die Packung geöffnet und nachgesehen.

Warum musste Eren ihn mit jeder Geste, jedem freundlichen Wort immer mürber machen?
 

Er wollte das nicht.

Er konnte es nicht.
 

Es war lächerlich ironisch, dass er sich ausgerechnet in die einzige Person verliebte, die es seit Kriegsende geschafft hatte sich mit ihm anzufreunden.

Levi verliebte sich so unsagbar schwer und dann musste es wirklich ein zehn Jahre jüngerer Mann sein?
 

Wütend mit sich selbst zog Levi die Augenbrauen zusammen und nutzte den Zorn um seine Hände an Erens Schultern zu legen und ihn langsam wegzuschieben.
 

Bis auf ein leises Seufzen reagierte Eren nicht und ließ sich wie ein Mehlsack auf die andere Betthälfte drücken.
 

Levi wollte gerade seine Hände zurückziehen, als Eren sich plötzlich im Schlaf schwungvoll auf die andere Seite drehte. Ein lautes Rumsen und schmerzerfülltes Stöhnen waren das nächste was Levi vernahm. Er hatte nur verblüfft dabei zusehen können, wie Eren sich über die Bettkante gedreht hatte. Ups.
 

„Ah, verdammt“, stöhnte Eren und Levi hob seinen Oberkörper, um über die Kante sehen zu können.
 

Eren stützte sich mit einem Ellenbogen am Boden ab und rieb sich mit der anderen Hand fluchend über sein Stirnbein.
 

„Alles okay?“
 

Die Frage ließ Eren schlaftrunken blinzeln und zu ihm hochsehen. Ein Murren war alles, was zwischen seinen Lippen hervorkam. Kein vorwurfsvoller Blick, nur das müde Leid eines aufgeweckten Kindes.
 

Mit einem weiteren Blinzeln setzte sich Eren auf und begann sich langsam und unglaublich umständlich aus seiner Bettdecke zu entwirren, dass es Levi Überwindung kostete sie ihm nicht aus Ungeduld selbst vom Leib zu ziehen.
 

Um sich den Anblick zu ersparen, legte sich Levi wieder hin und starrte an die Decke.

Er wandte den Blick auch nicht ab, als er spürte, dass sich Eren wieder ins Bett legte und das Bettzeug richtete.
 

Erst als er wieder ruhig dalag, richtete er das Wort an Levi.

„Das nächste Mal bitte nicht rausschmeißen.“
 

Prompt drehte er den Kopf in Erens Richtung.

„Das warst du selber. Ich habe dich nur zurück auf deine Seite geschoben und du hast dich auf einmal über die Kante gedreht.“
 

„Ach so“, Verständnis spiegelte sich in den nun dunklen Augen wider, „Warum hast du mich nicht aufgeweckt?“
 

„Weil ich nicht wollte.“
 

„Hab ich dich sehr bedrängt?“
 

„Ja.“
 

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Eren mit müder Verlegenheit, „Es ist wirklich kein Problem, wenn du mich wachrüttelst. Von mir aus zieh' mir an den Haaren. Vielleicht sickert es dann wenigstens in mein Bewusstsein, wo ich zu liegen bleiben habe.“
 

„Hm“, machte Levi und drehte Eren wieder den Rücken zu.
 

Es dauerte nicht lange bis er Erens regelmäßigen Atem hörte und döste selbst allmählich ein.
 

Als er wieder aufwachte, spürte er Erens Kopf zwischen seinen Schulterblättern ruhen und begriff mit einem innerlichen Seufzen und schwer schlagendem Herzen, dass er die restliche Zeit bis zur Wasserrohrreparatur so nicht vernünftig denkend überstehen würde.
 

Ziemlich genervt von Gott und der Welt setzte sich Levi vorsichtig auf und starrte Erens schlafendes Profil böse an. Er war zu nett zu ihm, wenn er sich wohl genug fühlte ihm so Nahe zu kommen. Vielleicht musste er rabiater mit ihm umgehen.
 

Also entschloss er sich - wie Eren das ja auch sagte - ihm an den Haaren zu ziehen und grob aufzuwecken.
 

Entschlossen fuhr er mit seinen Fingern in Erens Haare, drauf und dran an den schön langen Strähnen zu ziehen, als ihn unerwartet die Kraft verließ.
 

Wie ein blauäugiges Katzenjunges verlor er sämtliche Konzentration und fixierte sich gebannt auf das Interessanteste, das seine Aufmerksamkeit vollkommen einfing.
 

Weich.
 

Seine Hand entspannte sich, ließ von Erens Strähnen ab, doch seine Finger verharrten.
 

Mit irrationaler Faszination zwirbelte er eine Strähne zwischen den Fingern. Erens Haar war weich, gepflegt und gerade lang genug, um sich darin festkrallen zu können.
 

Levi stockte, als erneut eine Welle aus Sehnsucht über ihm zusammenbrach.
 

Das Bedürfnis Eren zu umarmen, ihn fest an sich zu spüren, die Hände in seinen Haaren zu vergraben wurde beinahe übermächtig.
 

Diese Nacht war wirklich besonders schlimm.
 

Und Eren hatte keine Ahnung.
 

Bedauern erfüllte ihn schneller als er damit umgehen konnte und er seufzte tief.

Er ließ von Erens Haaren ab und packte seine Schulter, schüttelte ihn, bis Eren murrend die Augen aufschlug.
 

„Wha?“, begann er zu protestieren, doch als ihm ihre Position und Levis missbilligender Blick bewusst wurde, brach er ab und beeilte sich wieder auf die andere Bettseite zu robben, „'Tschuldigung.“
 

„Hmhm“, summte Levi tadelnd, „Das muss aufhören.“
 

„Ich mache das ja nicht mit Absicht“, verteidigte sich Eren mit schmollendem Unterton.
 

„Ist mir egal. Es stört mich.“
 

„Soll ich wieder auf die Couch zurück?“
 

Diese Frage brachte Levi kurzzeitig aus dem Konzept. Klar, er konnte sich einen Großteil dieses Theaters sparen, wenn er Eren verdammt nochmal auf Abstand brachte.

Aber irgendwie…
 

Es hatten zuvor doch auch schon alle Versuche fehlgeschlagen, Eren von sich fern zu halten.

Warum sollte er ihn aus seinem Bett werfen, nur weil Levi zu sensibel auf seine Nähe reagierte?

Hanji war auf ihm gelegen, bevor er sie auf die andere Betthälfte komplimentiert hatte und Eren berührte ihn kaum.

Es wäre ungerecht.
 

Also versuchte er es anders.

„Wie wär’s, wenn du dir bewusst machst, dass du dich ständig an deinen Vorgesetzten kuschelst. Das ist peinlich.“
 

„Mir ist das nicht peinlich. Ich habe halt keine Berührungsangst, wenn mir jemand vertraut ist“, erklärte Eren mit zusammengezogenen Augenbrauen, „Es tut mir leid, dass es dich stört. Aber ich kann das im Schlaf nicht steuern.“
 

„Wie kann ich dir nur so vertraut sein? Bist du immer so anhänglich?“ Levi hatte die Fragen bereits ausgesprochen, ehe ihm klar wurde, dass er die Antwort auf keinen Fall hören wollte.
 

Amüsement blitzte durch Erens Augen.

„Na ja, ich hätte auch nicht geglaubt, dass ich mich mit einem Vorgesetzten befreunden könnte. Normalerweise bin ich für die ein rotes Tuch. Aber aus irgendeinem Grund war ich’s dir nicht nur wert, dass du mich förderst, sondern auch, dass du mit mir redest und mich anscheinend genug magst, um mit mir über Gott und die Welt zu diskutieren“, strahlte Eren, „Das macht mich sehr glücklich und haben bisher nur eine Handvoll Menschen getan; darunter Mikasa und Armin. Und beide mussten sich meine Anhänglichkeit gefallen lassen, wenn sie mit mir im Bett schliefen. Ich denke, wenn du mich regelmäßig verprügelst, schaltet mein Hirn wieder um und versucht dich zu meiden.“
 

„Tse.“ Schwungvoll drehte sich Levi um und ignorierte Erens leises Lachen. Er konnte ihn wirklich nur rausschmeißen oder schlagen. Beides erschien ihm vergleichbar unangebracht, wie einen frierenden Welpen vor die Tür in den Regen zu setzen.
 

Eren war verflucht entwaffnend mit seinen expressiven Augen und kitschigen Worten. Es war zum Kotzen.
 

Er konnte nur hoffen, dass Eren zu gutgläubig war, um zu erkennen, dass er Levi zu manipulieren vermochte.
 

*~*
 

Eren wachte auf, als Levi aufstand. Allerdings marschierte er nicht in die Trainingsräume wie Levi, sondern blieb bis 07:00 Uhr liegen, ehe er sich duschte - das ständige Abtrocknen und Putzen der Duschkabine ging ihm gehörig auf den Senkel, da konnte man sich das Duschen glatt abgewöhnen - und Galettes zubereitete. Er machte bloß zwei für jeden, aber das reichte zum Frühstück allemal.
 

Levi kam eine Viertelstunde vor ihrer Besprechung vom Training zurück, sodass Eren die Galettes wie Wraps rollte, um sie schneller essen zu können.
 

„Levi! Komm’ bitte Frühstücken!“, rief er von der Küche aus und sah sich prompt einem missbilligendem Blick gegenüber.
 

„Du bist ja schnell“, scherzte Eren, der Levis Laune richtigerweise eher in der unteren Skala des Stimmungsbarometers einordnete, „Ich habe Galettes gemacht. Das sind-“
 

„Ich weiß, was das ist“, unterbrach ihn Levi mit harter Stimme, „Du musst nicht jeden Morgen kochen, geschweige denn so üppige Gerichte.“
 

Eren ließ sich nicht ins Bockshorn jagen.

„Zugegebenermaßen sind hier bloß Eier, Tomaten, Käse und Spinat drin. Es ist also nicht zu heftig.“
 

„Hm.“ Levi betrachtete ihn skeptisch, doch Eren konnte in seinen Augen lesen, dass es ihm eigentlich nicht ums Essen ging.
 

Levi war wegen ihm mies drauf. Er hatte ein Problem mit ihm als Person und Eren brauchte nicht viel Fantasie, um zu erraten weshalb. Er musste wirklich zusehen, dass er Levi in der Nacht nicht mehr bedrängte oder so anständig sein sich selbst aus dem Bett zu werfen und wieder auf der Couch zu schlafen. Levi war eindeutig zu gutmütig, um es selbst zu tun.
 

Sie aßen schweigend und machten sich zügig für die Besprechung fertig.
 

Um Punkt 08:00 Uhr öffnete Levi die Tür zum Besprechungsraum, in dem bereits alle saßen und warteten.
 

Eren beeilte sich schnell neben Armin auf seinen Platz zu huschen und kassierte von Jean gegenüber eine gezückte Augenbraue und arroganten Blick.

War klar, dass sich die Pferdefresse wieder das Maul darüber zerreißen wollte, dass er auf den letzten Drücker kam und womöglich wollte er ihm auch noch vorwerfen, Levi aufgehalten zu haben.
 

Eren schnaubte und erwiderte Jeans Blick mit einem hitzigen.
 

„Guten Morgen“, begrüßte sie Levi und verlinkte sein Tablet mit dem Projektor, „Diese Woche werden wir uns um die Vorbereitung eines Einsatzes am 02. Februar und die Auswertungen der Überwachungsprotokolle kümmern.“
 

Levi blickte jeden Sitzenden kurz an.

„Historia und Hannah werden mir bei der Auswertung behilflich sein, während sich das Präzisionsschützenkommando heute einschießen geht und Jean und Eren mit ihren Gruppen Cardiotraining machen bis sie umfallen und das meine ich wortwörtlich. Fragen?“
 

„Kann ich mich bei der Auswertung nicht nützlicher machen?“, wollte Armin wissen und fing sich einen gelangweilten Blick ein.
 

„Wenn es so wäre, hätte ich dich mir zugeteilt.“ Damit war für Levi das Thema erledigt.
 

Aber Armin war noch nicht ganz fertig.

„Was hat es mit dem Einsatz am 02. Februar auf sich?“
 

„Es geht dabei um einen Schiffstransport von Baumaterialen, den ich überprüfen will. Genaueres später.“
 

„Wann sollen wir uns zur Abschlussbesprechung treffen?“, meldete sich Jean zu Wort.
 

„Um 14:00 Uhr zum Mittagessen in der Kantine und um 19:00 Uhr wieder hier.“
 

Sie nickten und wurden entlassen.
 

*~*
 

„Ich verhungere“, seufzte Armin in der Umkleide, als er und Eren sich für das Mittagessen nach der Dusche anzogen.
 

Sie waren die Letzten, da sie mit ihren Laufzeiten in Verzug geraten waren, nachdem Sairams Leute wieder Ärger gemacht und sie bei ihrem Training gestört hatten. Sie zogen diese Typen anscheinend an wie ein Magnet. Glücklicherweise waren alle gelassen geblieben und hatten das Mobbing ignoriert.
 

„Ich auch“, murrte Eren, „Ich hoffe, Levi nimmt es mit dem Mittagessen nicht zu genau.“
 

„Die anderen werden schon sagen, dass es nicht unsere Schuld ist“, meinte Armin, bevor ihm etwas anderes einfiel, „Wie läuft das Zusammenleben mit dem Chef eigentlich? Du erzählst gar nichts.“
 

Gewöhnlich überhäufte Eren ihn mit Erzählungen über alles, was ihm durch den Kopf ging, als sei Armin sein lebendiges Tagebuch. Für viele mochte das anstrengend klingen, doch Armin störte das in keiner Weise. Es machte ihn glücklich einen Menschen zu haben, dem er so nah stand und dem er ohne Einschränkungen vertrauen konnte. Eren war sein einziger wahrer Freund.
 

Umso seltsamer war es, dass Eren keinen Ton über Levi sagte, seit sie gezwungenermaßen zusammenwohnten.
 

„Gut, gut. Wir schlagen uns nicht die Köpfe ein. Aber diese Putzerei nervt. Er ist ein Sauberkeitsfanatiker“, lachte Eren und schüttelte den Kopf.
 

„Und wie schläft es sich auf der Couch? Hast du dich daran gewöhnt?“ Eren hatte ihm immerhin lautstark vorgejammert, wie schrecklich das Teil war.
 

„Ach, auf der muss ich Gott sei Dank nicht mehr schlafen“, erklärte Eren ihm mit großen Augen, die Erstaunen verrieten, dass er vergessen hatte Armin davon zu erzählen.
 

„Und wo dann?“, fragte Armin nach und bemerkte verwundert, wie Erens Grinsen noch breiter wurde.
 

„Im Bett.“
 

„Rivaille hat zwei Betten? Ich dachte-“
 

„Nein, nein“, unterbrach er ihn, „Ich darf mit in Levis Bett schlafen. Es ist locker groß genug für Zwei.“
 

„Was?“ Armin starrte Eren perplex an. Innerlich ziemlich überrascht von dieser Entwicklung.
 

Eren schien seine Verwunderung peinlich zu sein.

„Das ist keine große Sache. Hanji hat damals auch bei ihm geschlafen und wie gesagt, die Couch ist scheiße und das Bett groß.“
 

„Warum hast du dir keine Isomatte oder ein Feldbett besorgt“, fragte Armin verständnislos, „Davon haben wir genug im Ausrüstungsbunker.“
 

Blinzelnd sah Eren auf ihn hinab, deutlich zum ersten Mal daran denkend, dass es Alternativen zum Bett des Vorgesetzten gab.

„Oh.“
 

Schmunzelnd schüttelte Armin den Kopf.

„Du hast echt keine Berührungsängste. Schläfst einfach so mit deinem Vorgesetzten im selben Bett.“
 

„Was ist so schlimm daran?“, begann Eren sich angegriffen zu fühlen.
 

„Nicht schlimm“, erläuterte Armin schnell und grinste, „Nur ungewöhnlich und so typisch du, dass es weh tut.“
 

„Häh?“
 

„Eren“, schnaubte Armin geduldig, „Die meisten Menschen würden sich unwohl fühlen mit im Bett ihres Chefs zu schlafen.“
 

Eren legte den Kopf leicht schief.

„Levi hat sich auch schon gewundert, aber ich sehe ihn als Freund. Also warum sollte ich deswegen ein Theater machen? Das Bett ist echt bequem.“
 

„Moment“, hakte Armin nochmal ein, „Worüber genau hat sich Rivaille gewundert?“

Er hatte so eine Ahnung, aber er musste es hören, bevor er es glauben konnte oder wollte.
 

„Na ja“, fing Eren an und besaß tatsächlich die Dreistigkeit zu erröten, „Du weißt ja, dass ich zuweilen recht, uhm, distanzlos sein kann.“
 

„Distanzlos“, wiederholte Armin ungläubig und musste sich das Bild von einem sehr anhänglichen, ahnungslos schlafenden Eren vorstellen, der halb auf einem ziemlich angepissten Levi lag, der die Messer wetzte.
 

Armin sah in Erens bedröppeltes Gesicht und brach glatt in Gelächter aus.
 

Natürlich plusterte Eren sich sofort auf.

„Freut mich, wenn ich zu deiner Belustigung diene, aber du bewertest das mal wieder völlig falsch.“
 

„Ach ja?“, lachte Armin, „Wie bewerte ich es denn?“
 

„Ich weiß nicht, aber du machst da eine viel kompliziertere Sache draus als sie ist“, betonte Eren angesäuert, „Levi ist Soldat und hat bestimmt schon mit vielen Kameraden das Lager geteilt und… Warum lachst du schon wieder?“
 

Armin musste sich bei Erens Formulierung beinah die Lachtränen wegwischen und tief Luft holen.
 

„Bitte sag’ das sonst keinem, sonst machst du dich zum Gespött“, legte Armin seinem herrlich ahnungslosen Freund ans Herz, „Und es mag sein, dass du Recht hast und sich Rivaille nichts dabei denkt - ganz sicher sogar - aber trotz freundschaftlichem Umgang darfst du nicht vergessen, dass er dir nicht ebenbürtig ist. Er ist und bleibt dein Vorgesetzter und es gibt Grenzen, die du nicht überschreiten darfst, egal welche das sein mögen. Ansonsten bringst du dich und vor allem ihn noch in eine unangenehme Situation, die sich negativ auf eure freundschaftliche Beziehung auswirkt.“

Und am Ende womöglich noch auf die ganze Einheit und das konnte gefährlich werden.
 

Das Wort „Freundschaft“ kam Armin nicht über die Lippen.

Aus irgendeinem Grund hörte es sich falsch an. Doch Armin erklärte es mit ihrem beruflichen Verhältnis und der Tatsache, dass sowohl Levi als auch Eren Menschen waren, die schwer echtes Vertrauen zu anderen aufbauten.
 

Überrascht sah Armin, wie Eren bei seinen Worten innerlich zusammensackte und die Schultern hängen ließ.
 

„Ich weiß.“
 

Natürlich wusste er es, wieso also spiegelte sich so viel enttäuschte Ernüchterung in seinen Augen wider?
 

„Schau doch nicht so“, versuchte Armin ihn wieder aufzumuntern, „Von ein wenig mehr Professionalität ändert sich doch nichts an eurem Verhältnis.“
 

„Soll ich also besser wieder auf die Couch zurück?“, fragte Eren etwas ratlos und eindeutig unwillig.
 

„Ich denke, du weißt am besten, wann du zu viel von Rivaille verlangst.“
 

Verständnis blitzte durch Erens Augen. Er wusste es also ganz genau.
 

„Was hat er eigentlich zum Tee gesagt?“, wechselte Armin das Thema.
 

Erens Gesicht hellte sich auf.

„Er hat sich wahnsinnig gefreut“, strahlte Eren, „Aber er konnte es nicht richtig zeigen. Er war völlig verblüfft und sprachlos.“
 

„Echt?“ Armin blinzelte verwundert.
 

„Ja, er stand etwas hilflos da und wusste nicht, womit er das verdient hatte. Es hat mich sehr an die Geschichten deiner Oma erinnert, in denen sie immer davon gesprochen hat wie verschämt ich als Kind gewesen bin, wenn ich ein Geschenk von ihnen bekommen habe.“
 

Armin erinnerte sich. Auch er hatte noch ein Bild im Kopf, wie der sonst stürmische Eren sich plötzlich zierte und mit rot glühenden Wangen vor seiner Oma herumtänzelte, die ihm zum Geburtstag ein kleines Päckchen mit zwei Pullovern hinhielt.
 

„Aber dann ist das Geschenk gelungen?“, fragte er unnötigerweise.
 

Eren nickte ihm bloß zu und sah dabei so glücklich aus, dass Armin kurz stockte.

Eren strahlte oft, gerade Armin war gut und gern der Adressat von Erens Freude und trotzdem irritierte ihn etwas an diesem Bild.
 

„Schön“, lächelte Armin, während er Eren von der Seite musterte, der weiterhin vor sich hin lächelte.
 

Es mussten seine Augen sein, fiel Armin auf. Seine Augen waren anders. Der Ausdruck in ihnen.
 

Diese Entdeckung spornte Armins Ehrgeiz an, dem Grund dafür auf die Spur zu kommen. Obwohl es gefühlt vermutlich nicht sehr schwer werden würde ihn herauszufinden.
 

„Ich glaube jetzt müssen wir uns ernsthaft beeilen“, stellte Armin erschrocken fest, als er zufällig mit dem Blick über die nächste Wanduhr streifte.
 

„Fuck!“, fluchte Eren erschrocken und sie liefen los wie ungezogene Schulkinder, die zu spät zum Unterricht kamen.
 

*~*
 

„Das klingt ehrlich gesagt nicht sonderlich vielversprechend.“
 

Levi wandte sich Jean zu, der von der Anweisung am 02. Februar einen Einsatz aufgrund spärlicher Hinweise durchzuführen sichtlich wenig hielt.
 

„Seht es als Trainingseinsatz, wenn euch mein Bauchgefühl nicht überzeugt“, entgegnete Levi kühl.
 

„Und es gibt bisher keine konkreteren Informationen?“, wollte Annie wissen.
 

„Nichts für einen Einsatz.“
 

Ein tiefes Durchatmen ging durch den Raum. Sie schienen es alle zu fressen.
 

„Morgen läuft genauso wie heute, nur ohne Besprechung um 08:00 Uhr. Stattdessen wieder Mittagessen und Abendbesprechung um 18:00 Uhr. Gute Nacht.“
 

„Ja, Sir“, erwiderten sie brav einstimmig und schoben ihre Stühle zurück.
 

Schnurstracks ging Levi voraus in ihr Wohngebäude, zückte auf dem Weg sein Mobiltelefon und wählte Erwins Nummer.
 

Wieder das eigentümliche Klingeln, das eine sichere Leitung signalisierte, ehe die müde Stimme ertönte.

„Levi, was kann ich für dich tun.“

Es war keine Frage. Eine Frage wäre unnötig gewesen.
 

„Am 02. Februar werden wir einen Schiffstransport untersuchen. Ich will dein formelles „Okay“ dafür“. Immerhin war Erwin der Leiter der ESE. Levi führte die Einheit bloß.
 

„Untersuchen?“ Erwins Stimme verriet deutlich seine Verwunderung.
 

„Ich bin der Einzige, der eine Untersuchung in Betracht zieht.“
 

„Natürlich kriegst du mein Einverständnis“, erklärte Erwin, bevor er nachhakte, „Aber was glaubst du zu finden oder weißt du es selbst nicht?“
 

Levi zögerte einen Moment zu lang.
 

„Gleich. Halt mich auf dem Laufenden.“
 

„Danke, Erwin.“
 

„Pass auf dich auf.“ Damit legte er auf.
 

Tief durchatmend schloss Levi einen Moment die Augen.
 

Er hatte sich immer gut auf sein Bauchgefühl verlassen können.

Schlimmstenfalls fanden sie nichts und hatten eben einen weiteren Einsatz geübt.
 

Scheiß drauf, wenn die anderen Polizeieinheiten dann darauf herumreiten würden. So viel Größe und Selbstbewusstsein musste Levi eben aufbringen.
 

„Tch.“ Trotzdem schnaubte er wütend, als er die Tür aufsperrte.
 

Eren schloss gerade zu ihm auf, als er durch die Tür ging.
 

„Alles in Ordnung?“, fragte er noch bevor sich Levi die Schuhe ganz ausziehen konnte.
 

„Alles prima“, grollte Levi und wunderte sich im selben Atemzug über seinen Kontrollverlust.
 

„Wenn du dich auskotzen möchtest, tu es einfach.“
 

Levi hob ruckartig den Kopf und starrte Eren direkt in die ruhigen, entschlossenen Augen und Levi wurde jäh bewusst, wie sehr er mit Eren über seinen ganzen Frust reden wollte. Sich einfach abreagieren wollte. Sinnlos toben, um wieder runterzukommen.
 

Hin- und hergerissen hielt Levi Erens geduldigen Blick, dachte fieberhaft nach, was er sich erlauben konnte.
 

Er schnaubte und befahl: „Du. Ich. Schwimmbad. Sofort.“
 

Mit diesen Worten zog er sich seine Schuhe wieder an und stürmte zum Trainingsraum.

Als Leiter einer Einheit hatte er dort einen eigenen Spind mit Trainingsklamotten und Badeutensilien.
 

Er benahm sich zugegeben etwas manisch, als er sich in Rekordgeschwindigkeit duschte und in Windeseile ins Wasser sprang und bahnen schwamm, als hinge sein Leben davon ab.
 

Er war eindeutig übermüdet, überarbeitet und unausgeglichen wie sau.

Und dumm. So dumm, dass er Eren mit hineinzog.
 

Er bemerkte Erens Anwesenheit erst, als er ebenfalls ins Wasser sprang und sich warm schwamm.

Levi ignorierte ihn, bis er bemerkte, dass Eren am Ende der Bahn auf ihn zu warten schien.
 

Also hielt er inne und sah in ruhige, seegrüne Augen.

„Wettschwimmen über zehn Bahnen?“
 

Levi nickte bloß und drehte sich zum Beckenrand, um sich hinaus- und auf den Startblock zu hieven.
 

Sie nahmen ihre Positionen ein und zählten gleichzeitig von drei abwärts.

Sie hatten das schon so oft gemacht. Ihr Timing war perfekt.
 

***
 

Sie japsten beide nach Luft und lehnten am Beckenrand, als sie sich von ihrem kleinen Wettkampf erholten. Levi hatte mit einer halben Bahn Vorsprung gewonnen. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass Eren den ganzen Tag nichts anderes getan hatte als zu trainieren.

Vermutlich hielt er sich gerade so noch über Wasser und es war Levis Schuld, dass er einen seiner Gruppenführer aus purer Eigensucht um seine Erholung brachte.
 

„Tch.“
 

„Levi.“
 

Es war ein Automatismus, der ihn, obgleich widerstrebend, zu Eren sehen ließ.

Ein Wimpernschlag und Levis innere Mauer bröckelte.
 

„Ich bin Soldat. Ich musste viele schwierige Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben. Ich musste Menschen töten und dabei zusehen, wie andere getötet wurden. Ich habe verdammt viel Scheiße fressen müssen und jetzt bin ich hier, umringt von einem Haufen eingenässter Rotzlöffel, deren größtes Problem die nächste Fotze ist, die sie ficken, das nächste Auto, das sie kaufen, das nächste Diplom, die nächste Medaille, der schiefe Zinken des Kollegen oder irgendwelcher anderer trivialer Scheiß, der so so unglaublich unwichtig ist. Kleingeistige, versnobte… es gibt kein adäquates Schimpfwort für diese Menschen.“

Seine Stimme nahm eine zunehmend verzweifelte Note an.

„Sie sind so verdammt hilflos! Wie kann man so hilflos sein?! Und dann besitzen sie die Impertinenz mich zu belächeln, zu verarschen und sich hinter meinem Rücken die Mäuler zu zerreißen wie die feigen Waschweiber, die sie sind. Von denen hätte kein Einziger eine Woche in China überlebt.“
 

Kaum hatte Levi seiner Wut Luft gemacht, überkam ihn Scham, ob seines Kontrollverlusts.
 

Er würdigte Eren stur keines Blickes und stemmte sich aus dem Wasser.
 

„Levi. Levi, warte!“
 

Er hielt kurz inne.

„Tut mir leid, dass du dir das anhören musstest.“
 

Mit diesen Worten ging er zügig zu den Umkleiden. Ihm war übel und er wollte nur weg.
 

Wohin?
 

Er wusste es nicht.
 

Er trocknete sich dürftig ab und zog sich an, ehe Eren ihm nachsteigen konnte.
 

Er hätte seine scheiß Fresse halten sollen. Er musste ein Anführer sein. Kein kläffender Köter, der sich gehen ließ.
 

Für was?
 

Für was?
 

Im Appartement angekommen ging er sofort ins Schlafzimmer, zog sich um und warf sich ins Bett. Dabei wickelte er sich so fest in die Bettdecke ein als könne er mit ihr die Löcher in seiner inneren Mauer stopfen. Er fühlte sich auf einmal so einsam. So unsagbar einsam.
 

Er zog die Knie fast bis zu seiner Brust und kniff die Augen fest zusammen. Doch er konnte nicht verhindern, dass all diese Gefühle aus ihm herausquollen wie vergiftetes Blut. Er war blutbesudelt. Er suhlte sich im Blut all derer, die er getötet hatte, vermischte es mit seinem Eigenen.
 

Ein See aus rot.
 

Seine Gedanken waren so laut und tosend, dass er zutiefst erschrak, sich seine Augen gefühlt öffneten wie ein Paukenschlag.
 

Plötzlich war es still.
 

Ein Arm lag um ihn. Über dem ganzen Deckenwirrwarr. Der Ellenbogen ruhte auf seiner Taille, die Hand auf seiner Schulter.
 

Er konnte sich nicht bewegen.
 

„Ich verstehe dich“, flüsterte Eren direkt hinter Levis Kopf, „Es ist okay. Es ist okay so zu fühlen.“
 

Du verstehst gar nichts, schrie es in Levi, doch er verkrampfte sich nur noch mehr, blieb stumm.
 

Obwohl Eren seine Abneigung nicht übersehen konnte, ließ er nicht von ihm ab. Oh nein, er machte es schlimmer. Stürzte Levi in eine Mischung aus Abscheu und dem verzweifelten Wunsch sich seine Haut abzupellen und zu fliehen.
 

Wohin?
 

Die Perspektivlosigkeit ließ ihn verharren, als Eren seine andere Hand trotz Decke zwischen Hüfte und Rippen unter Levi durchwand und sich umständlich mit den Fingern in dem Stoff festkrallte.
 

Eren drückte seine Stirn in Levis Nacken und atmete tief durch.

„Du bist nicht allein.“
 

Nicht allein.
 

Du bist nicht allein.
 

Er war wie ein Bach. Er zerfloss. In diesem einen winzigen Augenblick konnte er sich nicht gedemütigt fühlen. Nicht schwach.
 

Er kauerte sich ein wenig mehr zusammen. Diesmal nicht aus Verzweiflung. Er war nicht allein. In diesem Moment war er nicht allein.
 

Er spürte, wie Eren kurz den Druck seiner Hände an Schulter und Taille verstärkte, hörte ihn leise seufzen.
 

„Soviel zu Grenzen“, wisperte Eren und atmete tief durch.
 

Ein aufgeregtes Kribbeln überzog Levis gesamten Körper.
 

Oh, die Grenzen verwischten. Sie verwischten viel zu sehr.
 

Und er schien nicht der Einzige zu sein.
 

*~*
 

Sein Bewusstsein löste sich Faser für Faser aus dem schwarz strahlenden Nichts des Schlafes und die erste greifbare Empfindung war ein unbeschreibliches Wohlgefühl.
 

Er atmete tief ein, ein schauderndes Gefühl im Bauch, als er leise ausatmete. Dieses Gefühl war elektrisierend in einer angenehm paralysierenden Weise, die ihn angetan verweilen ließ.
 

Es dauerte einige Sekunden bis sein Verstand sämtliche Sinneseindrücke verarbeitete.
 

Den bekannten Geruch.
 

Seine Körperhaltung.
 

Erinnerungen an den Abend zuvor.
 

Eren war schlagartig wach.
 

Er lag direkt hinter Levi, den Kopf zwischen seinen Schulterblättern ruhend und ihn in einer losen Umarmung haltend. Seine rechte Hand war von Levis Schulter hinab auf Brustbeinhöhe gerutscht, was trotz des Bettdeckenchaos, in das Levi sich gewickelt hatte, viel zu vertraut war.
 

Das fiel bestimmt nicht in die Kategorie der Dinge, die Armin im Sinn hatte, als sie über Grenzen im Umgang mit ihrem Vorgesetzten gesprochen hatten.
 

Doch als sich der erste Schreck gelegt hatte, realisierte Eren, dass Levi noch schlief. Er hatte sich im Schlaf ebensowenig von ihm wegbewegt und diese Unverschämtheit kommentarlos geduldet…
 

Diese Situation versetzte Eren in einen Gefühlstaumel, der ihm den Atem stocken und das Herz aufgeregt flattern ließ. Diese überwältigenden Empfindungen machten ihm Angst.
 

Er zuckte heftig zusammen als der Wecker klingelte. Eine kurze Melodie, die sich alle fünf Minuten ohne Zutun wiederholen würde.
 

Levi wachte mit einem tiefen Atemzug auf.
 

Eren spürte überdeutlich wie sich Levis Körper beinahe sofort anspannte, sobald sein Bewusstsein ihre Lage verarbeitete.
 

In einem kurzen Moment vermessener Zuneigung ertappte sich Eren dabei nicht loslassen zu wollen. Umso entschlossener zog er seine Arme sachte zurück, setzte sich fast bedächtig auf und bemühte sich darum nicht den Eindruck zu vermitteln irgendwie fliehen zu wollen.
 

Levi sollte spüren, dass er nicht alle Probleme ganz allein mit sich ausmachen musste und nicht den Eindruck gewinnen, dass Eren nicht schnell genug von ihm wegkommen konnte.
 

„Ich geh’ vor ins Bad, wenn’s okay ist“, flüsterte Eren mit vom Schlaf belegter Stimme.
 

„Hm“, murrte Levi, was so viel wie „Ja“ in Levinisch bedeutete.
 

Eren war über jede Reaktion froh. Er betete inständig, dass Levi sich nicht wieder vor ihm zurückzog. Irgendwie musste Eren dafür sorgen, dass es nicht unangenehm zwischen ihnen wurde.
 

Gemächlich schob er sich aus dem Bett und tapste ins Bad, ab unter die Dusche.
 

Erst als er unter dem warmen Wasserstrahl stand, nahm er sich ganz bewusst die Zeit über das Ziehen in seiner Brust nachzudenken.
 

Eigentlich war es mehr als ein Ziehen und nicht sonderlich unbekannt. Bisher hatte Eren allerdings nicht auf sich gehört, alles verdrängt und rationalisiert.
 

Auch jetzt wollte er es nicht wirklich wahrhaben, dass sich die Bewunderung für Levi mit etwas anderem vermischt haben könnte. Das hätte er doch merken müssen?
 

Eren hatte wiederum herzlich wenig Erfahrung in solchen Dingen.
 

Er hatte eine einzige Freundin und sonst nur wahrlich oberflächlich Erfahrungen gesammelt. Es hatte ihn nie sonderlich gereizt auf die Balz zu gehen und nie gefehlt. Nur sein Umfeld hatte ihn oft zu verunsichern gewusst, sodass er sich früher des öfteren gefragt hatte, ob etwas an ihm falsch wäre. Dieses Gefühl hatte sich nach seiner ersten Freundin verflüchtigt und war durch die Arbeit nicht wieder aufgekommen.
 

Er hatte nie den Eindruck, dass ihm etwas fehlte. Sicherlich half es, dass Armin seit kurz vor Beginn der ESE-Ausbildung wieder Single geworden war und durch die Abschottung der Ausbildung nicht großartig Pärchen vor seiner Nase herumgetanzt waren.

Oder vielleicht lag es auch nur daran, dass ihn einfach niemand interessiert hatte. Er hatte seine Aufgabe, er brannte für seine Arbeit und nicht nur aus Rachelust - das war ein bloßer Bonus.
 

Was brauchte er die Liebe? Er kannte sie nicht. Er war davon überzeugt niemals verliebt gewesen zu sein.
 

Warum zweifelte er nun gerade in diesem Moment an sich?

Weil er Levi trösten wollte? Das war lächerlich.

Er neigte von Haus aus zu viel Körperkontakt, wenn er jemanden mochte.

Das brauchte ihn nicht verwundern. Warum war er es also jetzt?
 

Ungehalten schnaufte Eren und schaltete schwungvoll die Dusche aus, als ob der Wasserhahn etwas für seine Verwirrung könnte.
 

Betrog er sich selbst?
 

Warum sollte er das tun?
 

Wieso fühlte er sich auf einmal so verletzlich?
 

Sollte er Armin um Rat fragen?

Irgendwie widerstrebte es ihm.
 

Vielleicht wurde er gaga.
 

Auf jeden Fall musste er seinen Arsch langsam aus der Dusche schwingen, was ihn zum nächsten - oder gleichbleibenden, wer wusste das schon - Problem führte.
 

Wie sollte Eren sich nun verhalten?
 

Er konnte Levis Wut nachvollziehen und sie war durchaus berechtigt.
 

Er konnte vermutlich nicht einmal erahnen, wie sich jemand fühlte, der einen Weltkrieg durchlebt, dabei eine monumentale Rolle gespielt hatte und nun mit einem vollkommen träge gewordenen Sicherheitsapparat im Genick zusehen musste Europa vor hochspezialisierten Terroristen zu schützen.
 

Eren konnte wahrscheinlich nicht mehr tun, als weiterhin sein Bestes zu geben und zu hoffen, dass er Levi nebenbei genug Freund sein konnte, um ihm auch den seelischen Halt zu geben, den er offensichtlich brauchte und vor allem verdiente.
 

Er musste Levi dazu kriegen, dass er genug Vertrauen in ihn fasste, um sich bei ihm ohne schlechtes Gewissen auszukotzen und zuzulassen, dass er von ihm aufgebaut wurde.
 

Levi war nicht perfekt. Und das war vollkommen in Ordnung.
 

Allmählich routiniert wischte Eren die Dusche trocken, ehe er sich anzog und die Haare föhnte. Er hatte im Badschrank ein Fach bekommen, wo er seine Kleidung und Waschutensilien aufbewahren durfte, sodass er nicht mehr splitterfasernackt - Handtücher waren seiner Meinung nach immerhin bloß zum Abtrocknen, nicht zum Bedecken gedacht - durch die Wohnung streifen musste.
 

Wie er erwartet hatte befand sich Levi nicht mehr im Schlafzimmer. Leider gab das Eren genug Zeit auf dem Weg zur Wohnzimmertür nervös zu werden. Richtig nervös. Mit trockenem Mund, klopfendem Herzen und schwitzigen Händen. Das ganze idiotische Programm.
 

Er atmete einmal tief durch, schalt sich einen Deppen und öffnete die Tür.
 

Levi war in der Küche. Es roch nach Essen.
 

Er stand mit dem Rücken zu ihm, doch Eren sah an der Art, wie sich die Schulterblätter unter dem T-Shirt abzeichneten, dass er ihn gehört hatte und vollkommen angespannt war.
 

Verdammt nochmal, er wollte Levi helfen und ihn nicht noch mehr belasten.
 

„Du kochst Reis zum Frühstück?“, fragte Eren mit neugieriger Stimme, „Und ich dachte, ich wäre der Einzige, der es mit dem Frühstück übertreibt.“
 

Eren setzte sich bemüht selbstbewusst an die Theke und beobachtete Levi mit einem Lächeln, als er sich mit kaum merklichem Zögern umdrehte.
 

„Das ist nicht übertrieben“, erwiderte Levi ruhig, doch Eren spürte geradezu wie sehr er sich um eine gleichgültige Ausstrahlung bemühte, „Reis und Gemüse wird in Thailand typischerweise zum Frühstück gegessen. Auch wenn das jetzt nur improvisiert ist, weil mir ein paar Gewürze fehlen.“
 

Eren begann ehrlich zu strahlen.

„Oh, wie cool! Dann kann ich mal was Essen, was du von Zuhause kennst!“
 

Levi schien von seinem freudigen Ausbruch verblüfft genug zu sein, um für einen Moment jegliche Anspannung zu vergessen.

„Nicht wirklich. Es ist nicht ganz korrekt zubereitet. Außerdem kann man da nicht von Zuhause sprechen, nur weil es landestypisch ist.“
 

„Aber du bist doch dort geboren?“, hakte Eren mit ungebrochenem Enthusiasmus nach.
 

„Ja. Und?“ Levi betrachtete ihn, als sei er schwer von Begriff.
 

„Dann hast du doch was gemacht, dass du von Zuhause kennst“, beharrte Eren allmählich irritiert.
 

„Du verstehst nicht“, Levis Augen schimmerten ein wenig amüsiert, „Ich störe mich an dem Wort „Zuhause“.“
 

Eren blinzelte verstehend.

„Ach so, ich gehe mit dem Wort immer sehr großzügig um. Für mich ist „Zuhause“ etwas, das es an vielen Orten gibt. Eigentlich überall, wo ich eine Verbindung zu hab. Na ja, eine etwas tiefere Verbindung vielleicht. Momentan sind das Berlin, Hamburg, Paris, Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo, weil wir da ganze drei Jahre verbracht haben und noch München.“
 

„Du fühlst dich also da wohl, wo du gerade bist oder länger warst“, fasste Levi zusammen, „Wie heißt es so schön: Wer überall Zuhause ist, ist nirgends daheim.“
 

„Für mich ist Heimat dort, wo mir wichtige Menschen leben oder Orte, die besondere Erinnerungen bereithalten. Ich verbinde es nicht mit Sesshaftigkeit.“
 

Levi stellte eine Schüssel mit Reis und Gemüse vor seine Nase und setzte sich ihm gegenüber an die Theke.

„Hm, ich denke, ich sehe es auch so.“
 

Eren seufzte genießerisch, als er von dem Gemüse probierte.

„Das ist echt lecker.“
 

„Hm.“
 

Eren sah kauend von seiner Schüssel auf und Levi an, der gerade ebenfalls auf seine Schüssel hinabsah. Er schien Erens Blick jedoch zu bemerken und erwiderte ihn, wobei der Ausdruck in den sturmgrauen Augen mit jeder Sekunde zurückhaltender, verschlossener wurde.
 

Lächelnd legte Eren den Kopf schief und schnaufte dann grinsend.

„Wir immer mit unseren tiefgründigen Gesprächen in aller Herrgottsfrühe.“
 

Levis Augen blitzten kurz belustigt auf.

„Es ist kurz vor halb acht. Das ist nicht mehr sonderlich früh.“
 

„Alles vor halb 9 ist saufrüh“, grinste Eren kopfschüttelnd, „Armin wäre stolz zu wissen, dass ich zu dieser Uhrzeit mehr als ein „Kaffee!“ maulen kann.“
 

„Oh.“ Levi blinzelte und sah auf seine Armbanduhr.
 

„Was?“
 

„Ich habe völlig vergessen einen Tee aufzusetzen. Oder sonst irgendwas.“ Dieser Umstand schien Levi irgendwie aus dem Konzept zu bringen.
 

„Das macht ja nix“, lächelte Eren mild, „Aber wenn du mal den Tee, den ich dir geschenkt habe, trinkst, dann sag’ mir Bescheid, ob er dir schmeckt.“
 

„Ich denke morgen daran.“
 

Eren lächelte ihn kurz an, ehe er sich wieder auf das Frühstück konzentrierte.

„Hättest du eigentlich Lust in den nächsten Tagen mal etwas thailändisches zu kochen oder so?“
 

Levi betrachtete ihn kurz.

„Meinetwegen. Ich muss allerdings Rezepte nachschlagen.“
 

„Klasse!“, strahlte Eren, „Dann lerne ich auch neue Rezepte.“
 

Levi hob, ob des Enthusiasmus kurz eine Augenbraue hoch, schwieg jedoch.
 

Eren fand, dass sie die angespannte Situation bisher gut umschifft hatten und atmete tief durch.

„Kann ich noch einen Nachschlag haben?“
 

„Hm“, summte Levi und streckte ihm die Hand hin, damit Eren ihm die Schüssel übergab, ehe er aufstand und beide Schüsseln nochmals füllte.
 

Sie aßen schweigend zu Ende. Es war kein unangenehmes Schweigen und dafür war Eren sehr dankbar.
 

„Kannst du bitte aufräumen? Ich muss noch ins Bad“, bat Levi ihn und stand auf, als Eren mit einem „Klar“ nickte.
 

Es war Eren ein Rätsel, wie Levi es schaffte sich innerhalb von sieben Minuten fertig zu machen und dabei ein blitzeblankes Bad zu hinterlassen. Jedenfalls war Eren kaum mit Aufräumen fertig, als Levi aus dem Schlafzimmer kam.
 

Er erkannte an seiner Körperhaltung, dass sich Levi wieder mehr stresste als zuvor.

Ob es an der bevorstehenden Arbeit oder an der gestrigen Nacht lag, konnte Eren nur erraten.
 

„Levi?“
 

Levi sah abwartend zu ihm. Er schien sich in diesem Augenblick nicht sonderlich wohl in seiner Haut zu fühlen.
 

„Was würdest du machen, wenn ich Sairam oder einen seiner Vollidioten verprügle?“
 

Für eine Sekunde starrte Levi ihn verständnislos an, dann floss geradezu jegliche Anspannung aus ihm heraus. Er verlagerte sein Gewicht auf eine Seite und verschränkte die Arme mit einem Schmunzeln auf den Lippen vor der Brust.

„Ich würde dir raten es nicht selbst du machen, sondern einen deiner Leute vorzuschicken.“
 

„Warum sollte ich mich drücken?“ Eren blinzelte irritiert.
 

„Du bist Gruppenführer, Eren. Es wirft ein schlechtes Licht auf mich, wenn du Kollegen den Arsch aufreißt.“
 

„Aber ansonsten würde es dir nichts ausmachen?“, grinste er belustigt.
 

„Offiziell verbiete ich mir so ein Verhalten“, betonte Levi knochentrocken.
 

„Und inoffiziell?“, hakte Eren wissend nach.
 

Levis Mundwinkel zuckten verräterisch und seine Augen blitzten schalkhaft auf.

„Inoffiziell bekommst du die Erlaubnis Arschtritte in Auftrag zu geben.“
 

Vorfreudig lachte Eren auf.

„Oh, ich will Shadis’ Gesicht sehen!“
 

„Ich auch“, schmunzelte Levi, warnte ihn jedoch, „Aber Shadis wird es durchschauen. Sei also umsichtig.“
 

Eren grinste ihn frech an.

„Warum klingt das so, als hätte er mit dir solche Aktionen schon mitgemacht?“
 

Levi zuckte nonchalant mit den Schultern und drehte sich um.

„Keine Ahnung.“
 

Eren lachte und folgte Levis Beispiel und zog sich seine Schuhe an. Es war kurz vor acht und ein langer Tag würde vor ihnen liegen.
 

Obwohl es unpassend sein mochte, rempelte Eren Levi freundschaftlich mit der Schulter an und begegnete seinem scharfen Blick mit amüsierten Augen.
 

Das war seine Art ihm einen guten Tag zu wünschen.
 

Levis genervt zuckende Augenbraue und sein Schweigen deuteten darauf hin, dass er es verstand.
 

*~*
 

Sasha beobachtete skeptisch wie eine Gruppe Polizisten in den Fitnessraum schlenderte. Es waren einige dabei, mit denen sie bisher kein Wort gewechselt hatten. Leute, an denen man einfach vorbei lebte. Leider war auch Sairam mit drei seiner Kollegen aus der Einheit dabei.
 

Sairam war ein gutaussehender junger Mann mit schwarzen Haaren und schönen Augen. Er war ein talentierter Judoka und arbeitete fleißig. Er war es gewohnt sich zu behaupten und zu führen.
 

Sasha konnte diese Eigenschaften schätzen. Sie verstand auch durchaus, dass er ihre Einheit nicht schätzte, immerhin hatten sie, trotz der mitgemachten Einsätze mit der GSG9 vor ihrer offiziellen Gründung, noch nicht beweisen können, dass sie sich als eine selbstständige Einheit neben der GSG9 lohnten.
 

Alle Akzeptanz endete für Sasha jedoch in dem Moment, in dem Sairam seine Abneigung offen zur Schau trug und seine Leute nicht von Gehässigkeiten und Belästigungen aller Art abhielt.

Es spielte keine Rolle, dass Sairam selbst sie nicht aktiv beschimpfte.

Als Anführer mit dem Anspruch auch Anführer zu sein, war er vollumfänglich für die Handlungen seiner Leute verantwortlich. Sei es aufgrund ihres Dienstverhältnisses, der Befehlskette oder freundschaftlicher Verbundenheit.
 

Diese erbärmlichen Versuche etwas an ihrer Rangfolge durch Mobbing zu ändern, machte Sasha nur wütend. Richtig, ehrlich wütend. Sie war kein Alphatier, bei aller Liebe nicht. Sie war dafür viel zu wenig daran interessiert zu führen. Ein Mitläufer war sie jedoch genauso wenig. Das hatte sich spätestens mit dem Ende ihrer ersten Beziehung herausgestellt.
 

Dementsprechend angriffslustig war sie, als Sairams Leute sofort herablassend pfiffen, als sie die Anwesenheit der ESE bemerkten. Umgehend gingen die Schmähungen los, die die unbeteiligten Polizisten mit gerunzelter Stirn und tatenlosem Unverständnis abtaten.
 

Es war demütigend sich das gefallen zu lassen.
 

Ein Blick in die Gesichter ihrer Kameraden verriet ihr, dass sie ebenso mit sich kämpfen mussten die Ruhe zu bewahren. Gestern erst waren sie zu dem stillschweigenden Einvernehmen gelangt alle dummen Sprüche zu ignorieren. Also atmete Sasha tief durch und blickte stur geradeaus.
 

Es wurde eine Geduldsprobe.
 

Sairam selber strafte sie bloß mit angewiderten Blicken, doch seine Leute schienen es darauf anzulegen eine Reaktion aus ihnen herauszukitzeln. Sie gaben ihnen verächtliche Namen, stellten sich zu ihren Geräten und kommentierten ihr Training. Sie benahmen sich verabscheuenswürdig.
 

Zunehmend zittrig vor unterdrückter Wut wandte sie den Blick zu ihrer Rechten, suchte nach Mylius, doch er war nicht mehr da. Vermutlich war er gerade auf dem Klo. Also suchte sie nach Eren und Jean. Beide waren gerade auf dem Rudergerät zugange, deutlich angepisst, wenn man nach den Zornesfalten zwischen Erens Augenbrauen und Jeans Stirn ging.
 

Ihr Blick traf den von Eren und er hielt inne. Er bemerkte sofort ihren Verdruss, schlang ein Handtuch um seinen Nacken und stand auf. Sasha war froh über seine Aufmerksamkeit; er war wiederum einer ihrer Gruppenführer und es war seine Pflicht scharfsinnig zu sein.
 

Jean sah Eren irritiert nach, reagierte jedoch sofort, als er Erens Handzeichen bemerkte, das ihn dazu aufforderte ihm zu folgen. Wenn sie nicht ihre Reviere absteckten, funktionierten die Beiden sehr gut miteinander.
 

Eren wandte sich an Connie, der gerade Gewichte stemmte und schien etwas mit ihm und Jean zu besprechen. Connies kurzem Aufstrahlen zufolge war es ein Plan, um Sairams Leute mundtot zu machen.
 

Das Gespräch war kurz und Eren ging mit Jean wieder zu den Rudergeräten, während Connie auf das Laufband neben Sasha trat.
 

Ein kurzer Seitenblick genügte, um ihr mitzuteilen, dass sie etwas planten.
 

Als Sasha nach zwanzig weiteren Minuten eine kurze Pause einlegte, tat Connie es ihr gleich und flüsterte ihr in einem unbeobachteten Moment zu.
 

„Wir dürfen ihnen die Fresse polieren, aber es muss spontan aussehen.“
 

Sasha erstarrte in ihrer Bewegung nach ihrer Trinkflasche zu greifen, riss sich dann jedoch schnell zusammen und versteckte ihr aufkommendes Grinsen hinterm Flaschenhals.
 

Oh, spontan konnte sie. Für diese Versager brauchte es keinen großen Plan, um sie zu ihren Gunsten zu provozieren.
 

Sie verlor keine Zeit und begab sich zur Flachbank. Eine Frau, die Gewichte hob, war ein zu verlockendes Ziel für Sairams Leute. Es dauerte auch keine drei Minuten, bevor sie gesehen und ihr Training kommentiert wurde.
 

„Schaut euch an, was das Mannsweib versucht zu stemmen!“
 

„Tu dir nicht weh, Püppi!“
 

Einer der Männer kam sogar an sie heran, starrte sie mit einem dreckigen Grinsen von oben herab an.
 

„Mit dir würden mir ganz andere Dinge einfallen“, dann beugte er sich zu ihr herab und raunte ihr mit widerlich heißem Atem laut ins Gesicht, damit es ja alle hörten, „Wann hattest du das letzte Mal einen richtigen Schwanz zwischen deinen Beinen, huh?“
 

Seine Kumpels lachten wie immer, wenn sie so derbe Sprüche von der Palette ließen. Doch diesmal ignorierten sie sie nicht.
 

„Hey! Was fällt dir ein so mit Sasha zu reden!“, begehrte Connie auf und kam drohend zu dem Sprücheklopfer, der den um fast zwei Köpfe kleineren Mann mit spöttischer Verachtung betrachtete.
 

„Hat Daddy vergessen seinen Schwanz rauszuziehen, als er deine Mutter rangenommen hat?“
 

„Entschuldige dich bei Sasha“, beharrte Connie mit gefassten, kalten Augen. Er plante bereits den Angriff und ließ sich nicht mehr provozieren.
 

Ein anderer der Kerle pfiff, während sein Nebenmann lachte.

„Oh, da will wohl einer die Corpsmatratze beschützen!“
 

Sasha legte die Hantel ab und setzte sich auf, während Connie die Typen mit seinem Blick durchbohrte.
 

„Lass es bleiben, Connie“, ermahnte ihn Eren präventiv.
 

„Ja, Connylein, lass es bleiben“, äffte einer nach, während der obszöne Kerl neben Sasha sich zu ihr beugte.
 

„Den fickst du also? Merkst du mit deiner ausgeleierten Fotze eigentlich was bei dem Wurm?“
 

Connie sprang dem Kerl in einer Geschwindigkeit in die Seite, die den Kerl auf den Boden krachen ließ, während seine zwei Kollegen ihre Augen dümmlich aufrissen.
 

Der Schockmoment war jedoch zu kurz, um sie zu fassen zu kriegen. Die kampferprobten Polizisten wichen Connies Schwinger geschickt aus und stürzten sich zu Zweit auf ihn.
 

„Lasst ihn in Ruhe!“, brüllte Sasha, als sie von der Flachbank aufstand und in das Gerangel eingriff.
 

Mit antrainierter Präzision schlug sie dem Kerl, der Connie festhielt, in den Solarplexus, sodass er sich keuchend krümmte. Adrenalin durchflutete sie wie ein ohrenbetäubender Rausch.
 

Mit ihr hatte dieser Schwachkopf nicht gerechnet und das sollte beiden ziemlich leid tun.
 

Connie befreite sich und fiel mit dem Hintern zu Boden, während der noch unverletzte Kerl versuchte Sasha an ihrem Oberteil zu packen.

„Verfluchte Bitch!“
 

Sie duckte sich rechtzeitig, packte die auf sie zukommende Faust, nutze das Momentum der Schlagrichtung zu ihrem Vorteil und brachte den Kerl mit einem kräftigen Zug aus dem Gleichgewicht und trieb sein Gesicht damit in ihre andere Faust. Ein ekelhaft dumpf knackendes Geräusch und Stöhnen ließ Sasha zufrieden von ihm ablassen. Der Mann stürzte zu Boden und hielt sich mit beiden Händen die stark blutende Nase.
 

Der Solarplexus-Kerl hatte sich soweit erholt und schlug nach ihrem Kopf, was Sasha mit böse funkelnden Augen zur Kenntnis nahm und die Scheu davor verlieren ließ bestimmte Aktionen außen vor zu lassen.
 

Geschickt trat sie in der Enge zwischen den Trainingsgeräten zur Seite und schlug dem Kerl mit der Handkante schnell und exakt seitlich an den Hals. Der Mann sackte schneller bewusstlos zu Boden, als er den Angriff spüren konnte.
 

Indessen hatte sich der obszöne Kerl hinter ihr aufgebaut und schlang seine Arme schmerzhaft fest um ihren Oberkörper, fixierte so ihre Arme. Doch er hatte keine Ahnung, dass Sasha gerade diese Aktion unzählige Male mit ihrem General-Leutnant durchexerziert hatte und nichts mehr von der ursprünglichen Befremdung übrig geblieben war.
 

Ohne einen Augenblick zu zögern, ließ sich Sasha fallen und hakte ihre Fußgelenke in den Kniekehlen des Mannes ein, der sie immer noch eisern festhielt. Sie brachte ihn aus dem Gleichgewicht, es reichte jedoch nicht, um ihn zu Sturz zu bringen. Trotzdem ließ er mit einem Arm von ihr ab, um sich an einer der Flachbänke abzustützen, und das reichte Sasha, um sich aus seinem Griff zu wenden und sich im Fall umzudrehen und mit einem Bein auszuschlagen, ehe sie mit dem Rücken auf dem Boden aufkam. Sie trat ihm mit der Schuhspitze direkt in die Hoden und damit war die Sache erledigt.
 

Einer bewusstlos, einer jaulend auf dem Boden und der andere blutend zwei Meter vor ihr stehend, aber trotz mörderischem Ausdruck in seinen Augen rührte er sich keinen Millimeter, als Sasha seinen Blick suchte.
 

Erst jetzt drang durch das Geräusch ihres Atems und dem Rauschen ihres Blutes das aufgeregte Gebrülle ihrer Kameraden und Sairams.
 

Irritiert wandte sie ihren Blick zu dem schwarzhaarigen, halbnackten Mann, der anscheinend gerade aus der Sauna gekommen war und von Reiner, Thomas und Jean festgehalten wurde, wobei letzterer auf ihn einredete sich herauszuhalten.
 

Sowie sie bemerkten, dass Sasha fertig war, verstummte der Streit und Sairam riss sich los, verharrte jedoch an Ort und Stelle.

„Das wird ein Nachspiel haben!“, versprach Sairam erzürnt und deutete mit drohendem Finger auf Sasha.
 

„Ich schlage vor wir gehen jetzt alle zu Shadis und Rivaille. Klären das Ganze ein für alle mal“, grollte Jean und warf Eren einen Blick zu, der das abnickte.
 

„Sairam“, begann Eren mit ungewohnt monotoner Stimmlage und Augen ruhig wie ein Bergsee, „Nimm' deine Leute und zieht euch um. Wir warten auf euch am Ausgang. Sasha, Connie, Mylius, und Jean kommen mit mir. Und du“ Eren zeigte auf einen der unbeteiligten Polizisten, der das Spektakel beobachtet hatte. Sie kannten ihn aus einem der Einsätze, die sie begleitet hatten. Er führte eine der anderen Einheiten an, „Bitte bezeuge die Ereignisse als objektiver Zuschauer.“
 

Der Mann, Boris Feulner, zuckte mit den Schultern und nickte unverbindlich.
 

Sasha war sehr gespannt auf Erens Plan und hoffte, dass er Levis Verhalten gut genug einschätzen konnte und es keine nennenswerten Konsequenzen für einen ihrer Einheit geben würde. Nun ja, immerhin stand Eren ihrem Vorgesetzten faszinierend nah, wohnte zur Zeit mit ihm zusammen und schien gut genug mit ihm auszukommen.
 

Sasha vertraute auf Erens Urteil.
 

*~*
 

Eren war ziemlich von sich überzeugt, trotzdem wurde ihm ein wenig unwohl, als Keith Shadis dicht gefolgt von Levi eine halbe Stunde später in den sterilen Besprechungsraum der GSG9-Einheit von Flagon Turret trat, welcher als direkter Vorgesetzter von Sairam und noch drei Einheiten ebenfalls anwesend sein musste.
 

Flagon war ein sehr strenger, konservativer Mann mit blonden Haaren und so etwas wie einem Ziegenbärtchen am Kinn. Mit ihm war schlecht Kirschen essen, aber er schien zumindest wert auf die Einhaltung der Befehlskette zu legen. Zumindest blockte er jeden Versuch Sairams ab die Situation zu erklären, bevor Shadis und Levi eintrafen.
 

Shadis durchbohrte alle Anwesenden mit seinen analytischen honigfarbenen Augen, sichtlich wenig davon begeistert sich mit einer Auseinandersetzung zwischen Elitepolizisten befassen zu müssen.
 

Levis Blick fiel ungerührt auf die blutige Nase eines der Männer und die anderen beiden blassen, etwas gebückt stehenden Polizisten, ehe er seine eigene Einheit musterte und einen kurzen Moment an Erens Augen hängen blieb.
 

In den sturmgrauen Augen fand sich nicht die geringste Emotion, Levi verströmte mit jeder Pore geduldslose Langweile. Eren konnte nicht umhin kurz erstaunt zu blinzeln.
 

Levi wusste ganz genau, was vor sich ging und dennoch reagierte er mit so viel Leidenschaft wie ein Stein. Zwar war seine Ausdruckslosigkeit nicht neu, Eren konnte jedoch nicht vermeiden eine gewisse Sorge zu verspüren, ob dieser Plan auch tatsächlich aufging.
 

Vielleicht trug Levi ihm doch noch sein distanzloses Verhalten der gestrigen Nacht nach und hatte sich mit dem räumlichen Abstand über den Vormittag hinweg dazu entschieden ihm eine Lektion zu erteilen - oder ihn wieder wegzustoßen.
 

Dieser Gedanke verunsicherte Eren plötzlich zutiefst.

Nicht wegen den disziplinarischen Konsequenzen der Prügelei, sondern den unmittelbar persönlichen. In diesem unpassenden Moment wurde Eren einmal mehr bewusst, wie sehr er sein Gefühlsleben von Levis Verhalten abhängig machte.
 

„Flagon“, begehrte Shadis eine Erklärung über diese unschöne Zusammenkunft.
 

„Im Fitnessraum kam es vor etwa einer Dreiviertelstunde zum Eklat zwischen diesen Mitgliedern von Sairams Einheit und diesen beiden hier.“ Er zeigte auf Connie und Sasha, die ungerührt mit geradem Rücken und im Rücken verschränkten Armen zwischen Eren und Mylius standen.
 

Shadis wandte seinen Blick zu Sasha und Connie, die beide etwas gestresst die Lippen aufeinander pressten und mit großen Augen stur geradeaus starrten. Eren fand Shadis auch auf gewisse Weise einschüchternd, trotzdem empfand er nur sture Beharrlichkeit im Angesicht des hageren Mannes.
 

„Wer ist für diese Zwei verantwortlich?“, verlangte Shadis zu wissen.
 

„Ich, Sir“, meldete sich Mylius zu Wort, „Sasha Braus untersteht meinem Kommando als Gruppenführer des Präzisionsschützenkommandos.“
 

„Connie Springer untersteht mir als Gruppenführer des zweiten Zugriffskommandos, Sir“, erklärte Eren ruhig.
 

Shadis nickte.

„Was machen dann Boris Feulner und Sie hier?“, sprach er Jean an, der neben Boris bei Mylius stand.
 

„Mylius war zur Zeit des Streits abwesend und ich war als Gruppenführer des ersten Zugriffskommandos Zeuge der Auseinandersetzung“, erläuterte Jean sachlich, doch seine Augen verrieten leidenschaftliche Abscheu, „Boris Feulner ist als unbeteiligter Zeuge anwesend.“
 

„So, so“, sinnierte Shadis, „Dann erzähle mir kurz und prägnant, was sich zugetragen hat, Boris.“
 

Boris reckte das Kinn und betrachtete die Beteiligten, über die er sprach mit leidenschaftslosen Augen.

„Fast die gesamte ESE befand sich mit Leuten meiner und anderer Einheiten zum Training im Fitnessraum, als Sairam mit seinen Leuten eintraf. Diese Drei hier begannen sofort derb und herablassend über die ESE-Einheit zu sprechen und richteten ihre beleidigenden Worte auch an einzelne Personen.

„Die ESE-Leute ignorierten die Beschimpfungen zuerst komplett, bis diese Frau, Sasha, ihr Training an der Flachbank fortsetzte. Dieser hier, Herold, hat sich über Sasha gebeugt und sie gut verständlich - selbst für mich fünf Geräte weiter - mit sehr derben sexistischen Kommentaren beleidigt, sodass diesmal ihr Kollege einschritt und eine Entschuldigung forderte.

„Zwar versuchte Jäger seinen Mann verbal zurückzupfeifen, aber die Beleidigungen ihm und Sasha gegenüber ließen ihn die Worte seines Führers ignorieren und Herold attackieren, woraufhin Matt und Miguel eingriffen, den Mann packten und Matt ihm in den Bauch schlug. Das hat Sasha animiert ihrem Kollegen zu helfen, Miguel in den Solarplexus zu schlagen und Matt, nachdem er sie angegriffen hat, die Nase zu brechen. Als Miguel nach ihr schlug, setzte sie ihn mit einem Handkantenschlag außer Gefecht und Herold, der sie von hinten gepackt hat, versetzte sie einen effektiven Tiefschlag.

„Sairam selbst befand sich am Anfang der Auseinandersetzung in der Sauna und wurde von Kirschstein und zwei weiteren ESE-Leuten an einem Eingreifen gehindert. So habe ich die Ereignisse wahrgenommen.“
 

Shadis nickte.

„Sairam.“
 

„Ich wollte mich nicht an der Schlägerei beteiligen, sondern sie verhindern“, verteidigte er sich angepisst.
 

„So wie du verhindert hast, dass deine Leute die unseren unentwegt mobben?“, grollte Jean bitterböse, wurde jedoch von Shadis gehobener Hand zur Räson gerufen.
 

„Sasha Braus, verstehe ich richtig, dass Sie alle drei Männer niedergestreckt haben, um ihren Kollegen zu schützen?“
 

„Connie braucht keinen Schutz, er wäre auch selbst mit denen fertig geworden“, brachte Sasha zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
 

Shadis Mundwinkel zuckten verwundert.

„Warum haben Sie sich dann eingemischt? Wissen Sie denn nicht, dass körperliche Auseinandersetzungen außerhalb einer Kampftrainingseinheit untersagt sind?“
 

„Dieser Mann, Herold, hat mich als Mannsweib und Corpsmatratze bezeichnet, mich gefragt, wann ich das letzte Mal einen Schwanz zwischen den Beinen hatte, sich selbst dafür angeboten und Connie übel beleidigt, als er dieses Gerede unterbinden wollte. Als Herold“, sie spukte den Namen aus wie das schlimmste Gift, „dann gesagt hat, ob ich meine ausgeleierte Fotze von seinem Wurm ficken lasse, ist Connie endgültig der Geduldsfaden geplatzt und ich war selbst verletzt und wütend und konnte nicht dabei zusehen, wie mein Kamerad für meine Ehre allein einsteht.“
 

Sashas unverblümte Worte ließ sie alle, selbst Shadis und Levi verdutzt dreinschauen.

Die nachfolgende Stille im Raum ließ Sasha das Blut in den Kopf schießen und so rot werden, dass Eren ihr die Hand bekräftigend auf die Schulter legte.
 

Diese Bewegung erregte Shadis Aufmerksamkeit und ließ sich zu ihm wenden, doch Eren ließ nicht von Sasha ab, die sich unter seiner Berührung etwas beruhigte.
 

„Eren Jäger, Sie haben also versucht ihren Mann davon abzuhalten Frau Braus gegen die Beleidigungen in Schutz zu nehmen“, es war keine Frage, doch Eren nickte dennoch, „Warum?“
 

„Seit wir in Paris eingetroffen sind, werden wir gemobbt, Sir“, begann Eren wohl wissend, dass das die einzige Chance war seinen Standpunkt endgültig darzustellen, „Mit Mobben meine ich keine Sticheleien und Scherze unter die Gürtellinie, sondern unmissverständliche, herabwürdigende, verletzende, moralisch verwerfliche Diffamierungen auf dem Niveau dessen, was Sasha gerade rezitiert hat. Besonders beharrlich sind fünf Leute aus Sairams Einheit, die ihr Führer kein einziges Mal ermahnt hat. Selbst hat Sairam zwar keine direkten Beleidigungen ausgesprochen, doch seine Untätigkeit hat die Situation in keiner Weise entschärft.

„Um Eskalationen zu vermeiden haben wir uns als Einheit geeinigt die Schmähungen zu ignorieren und auszusitzen. Das ist es, was ich auch heute wollte. Ich wollte eine Eskalation in dieser Form vermeiden. Ich wollte wenigstens unsere Professionalität bewahren. Doch nun sind wir hier und ich kann nicht genug zum Ausdruck bringen wie unhaltbar ich das Verhalten einiger Kollegen uns gegenüber finde. Ich empfinde es als peinlich hier zu stehen und Petzen zu müssen, aber so kann es nicht weitergehen. Selbst wenn der ESE sämtlicher Nutzen abgesprochen wird, wir haben einen Job zu erledigen und für jeden GSG9-Polizisten sollte es dringlichere Aufgaben geben, als Kollegen einer anderen Einheit zu diffamieren.“
 

Eren hielt Shadis Blick eisern bis zum letzten Satz, den er an Flagon richtete. Natürlich hätte er auch Sairam ansehen können, doch als Vorgesetzter sollte sich Flagon für das Betragen seiner Leute schämen. So schämen, dass er etwas unternahm, um sich dieses Schamgefühl zu ersparen.
 

Erst dann richtete Eren seinen Blick wieder auf Shadis, der ihn mit einer Mischung verstehender Akzeptanz und Skepsis betrachtete. Vermutlich hatte Eren etwas zu dick aufgetragen, war zu pathetisch geworden, aber verdammt nochmal, es war wirklich kein Zustand mehr und Shadis war nun gezwungen etwas zu unternehmen.
 

„Was sagen Sie, Levi?“, wandte sich Shadis plötzlich an ihren bisher völlig unbeteiligten Vorgesetzten.
 

„Gut, dass ich nicht anwesend war, sonst gäbe es mehr zu beklagen als eine gebrochene Nase oder geprellte Eier“, erwiderte Levi mit angewiderter Stimme, verschränkten Armen und erschreckend gleichgültigem Blick auf Sairam und seine Leute, die bei der kalten Musterung unwillkürlich zuckten und nervös herumnestelten.
 

Shadis warf den Kopf hoch und begann dröhnend zu lachen. Es war keine direkt beruhigende Reaktion, doch Eren entspannte sich und nahm seine Hand von Sashas Schulter.
 

„Ihr habt es gehört, Männer. Wenn etwas derartiges noch einmal vorkommt, dürfen sich die Beteiligten mit General-Leutnant Rivaille allein auseinandersetzen“, scherzte Shadis, was Levi ein abfälliges „Tch“ entlockte.
 

Dann wurde Shadis wieder ernst.

„Hat noch jemand etwas zu den Ereignissen hervorzubringen?“
 

Als keiner reagierte, fuhr Shadis fort.

„Die Ereignisse, wie vorgetragen, sind sehr bedenklich. Ich verurteile dieses unwürdige Verhalten auf das Schärfste. Sairam und seine gesamte Einheit werden für zwei Wochen von ihren Aufgaben entbunden und dem Reinigungs- und Küchendienst zugeteilt. Wären es andere Zeiten würde ich euch Vier suspendieren“, betonte Shadis scharf, „Flagon, ich mache dich dafür verantwortlich Sorge zu tragen, dass sämtliche Diffamierungen unterbleiben. Ich kann an der ESE-Einheit keine Verhaltensmängel erkennen, aber verlange, dass ich bei weiteren Diffamierungen genannter Art unverzüglich unterrichtet werde. Es ist in der Tat peinlich, dass Staatspolizisten in diesen schwierigen Zeiten keine sinnvollere Beschäftigung wissen, als sich unnötigerweise zu streiten wie Grundschüler. Sollte es nochmals zu so einer Eskalation kommen“, damit wandte er sich an Sairam und seine drei Männer, „werden die Sanktionen von dauerhafter Natur sein.“
 

Sairam und seine Männer nickten zerknirscht und Flagon strafte sie zusätzlich mit einem vernichtenden Blick.
 

„In Ordnung. Zurück an die Arbeit. Wir haben genug Zeit mit diesem Kindergarten verbracht“, beendete Shadis das Gespräch und drehte sich zum Gehen. Ohne einen weiteren Blick auf sie schnaubte Levi und folgte dem hageren Mann.
 

Als auch die anderen den Raum verließen, seufzten Eren und seine Kameraden erleichtert auf.

Das war ein Erfolg auf ganzer Linie.
 

„Es hat echt gut getan zu sehen, wie du diesen Wichsern den Arsch aufgerissen hast“, grinste Jean und klopfte Sasha anerkennend auf die Schulter, was sie tief durchatmen und triumphierend grinsen ließ.
 

„Die werden es sich nun zweimal überlegen, ob sie uns blöd anmachen“, stimmte sie Jean zu und Connie lachte.
 

„Hast du gesehen wie fertig die waren?! Geschieht diesen Arschlöchern recht!“
 

„Und ich hab nichts gesehen“, jammerte Mylius.
 

„Ach“, Jean klopfte ihm tröstend auf die Schulter, „Vielleicht hat es ja jemand gefilmt.“
 

„Das wär cool“, erstrahlte Mylius.
 

Eren beobachtete das fröhliche hin und her noch ein wenig, ehe er in die Hände klatschte.

„So Leute, ich denke wir müssen jetzt weitermachen, sonst reißt uns der Boss doch noch den Arsch auf.“
 

„Als wenn dir das was ausmachen würde“, grinste Jean ihn schalkhaft an.
 

Erens Hirn schaltete in dem Moment jedoch ab.

„Was?“
 

„Na, du stehst doch drauf, wenn du dich mit dem Boss prügeln kannst, du selbstmörderischer Bastard“, stichelte Jean weiter, sichtlich eine aufbrausende Erwiderung erhoffend.
 

Er wurde jedoch enttäuscht. Eren atmete bloß tief durch, seltsam beruhigt, und schüttelte mit dem Kopf.

„Auf geht's! Jetzt hauen wir erst recht rein. Wir haben noch eine Stunde bis zum Mittagessen.“
 

Gut gelaunt, aber ruhig ab Verlassen des Besprechungsraums, gingen sie zurück zum Fitnessraum, wo sie unter den inquisitorischen Blicken von ihren Kameraden in die Sauna komplimentiert wurden, wo sie unter sich waren und frei von dem Gespräch erzählen konnten.
 

Es war von da an ein sehr friedlicher, heiterer Trainingstag.
 

***
 

Levi hatte sich vor dem Mittagessen gedrückt und die Abendbesprechung ausfallen lassen. Stattdessen hatte er Historia und Hannah vorgeschickt, um Ihnen zu erklären, dass er arbeitete und am nächsten Morgen um 8:00 Uhr eine Besprechung stattfinden würde.

Beide Frauen hatten ihnen versichert, dass Levi in die Spionagedokumente vertieft war und ohne Unterbrechung arbeiten wollte.
 

Vermutlich hielt Eren zu viel von sich, wenn er mit dem Gedanken spielte, ob Levi sie nicht bewusst zumindest auch wegen der Aktion von heute Mittag mied und er Eren einfach nicht sehen wollte. Ihn mied.
 

Wenn er ernsthaft über Levis Einverständnis in der Früh nachdachte, musste Eren einsehen, dass er sich keine Sorgen wegen der Abreibung Sairams machen musste. Levi hatte dem Vorschlag amüsiert positiv gegenübergestanden, ihm erlaubt auf den Streit mit den Polizisten einzugehen.
 

Also blieb nur noch die Möglichkeit, dass Levi tatsächlich einen Schwung Arbeit hinter sich bringen wollte oder Eren mied. Vielleicht auch beides gleichzeitig. Und nein, Eren nahm sich unter Umständen zu wichtig, doch paranoid war er nicht. Levi hatte ihm immerhin schonmal lang genug die kalte Schulter gezeigt und darüber schien er einfach nicht hinweg zu kommen.
 

Vielleicht war er doch paranoid.
 

Jedenfalls war er an diesem Abend ziemlich nervös, als er zu Levis Appartement lief und zögerlich mit dem Ersatzschlüssel aufsperrte.
 

Der Geruch von gebratenen Nudeln und Gemüse schlug ihm entgegen.
 

„Du bist schon da?“, brachte Eren überrascht heraus und starrte Levi an wie ein Reh das Scheinwerferlicht.
 

„Ich wohne hier“, erwiderte Levi trocken von der Theke aus ohne von seinem Tablet aufzusehen, auf dem er herum tippte.
 

Blinzelnd versuchte sich Eren zu beruhigen. Levi reagierte auf ihn, also war alles okay.
 

Auf einmal durchflutete Eren ein unerwarteter Schwall Entschlossenheit.

Scheiß egal, ob Levi ihn ignorierte oder nicht, Eren würde einfach dafür sorgen, dass er nicht ignoriert werden konnte!
 

Der Mann schätzte doch Ehrlichkeit, also würde Eren ihn mit seiner ehrlichen Schnauze schon knacken. Mehr als eine Tracht Prügel konnte er nicht kassieren und verdammt, Levi sollte es nur versuchen. Ganz ohne blaue Flecken würde er auch nicht davonkommen.
 

Er glaubte nicht, dass er Konsequenzen für seinen Job zu fürchten hatte. Eren wollte Levi schließlich nichts Böses und das musste Levi bewusst sein.
 

Mit neuem Selbstbewusstsein zog sich Eren die Schuhe aus und ging ins Schlafzimmer, um sich seine Schlafhose und ein frisches, schlicht schiefergraues langärmeliges Shirt anzuziehen. Er hatte nach dem Training geduscht, also bestand keine Notwendigkeit Levis Dusche putzen zu müssen.
 

Als Eren zurück ins Wohnzimmer ging, stand Levi gerade mit dem Rücken zu ihm und hob den Wok vom Feuer. Das Tablet lag auf der Theke und soweit Eren erkannte, zeigte es irgendwelche Textauszüge an.
 

„An was arbeitest du? Immer noch Abhörprotokolle?“
 

Levi warf ihm einen kurzen Blick über die Schulter zu, bevor er sich darauf konzentrierte die Nudeln ohne zu spritzen in ihre Teller zu füllen.

„Ja. Die anderen Polizisten sind nutzlos und verstehen einfach nicht auf was es mir ankommt. Ich muss alles kontrollieren.“
 

„Und Historia und Hannah?“
 

„Wie durch ein Wunder haben sie sofort begriffen, worum es mir geht. Erwin scheint tatsächlich die einzigen Polizisten mit Hirn für die ESE-Ausbildung aufgetrieben zu haben“, spuckte Levi den letzten Satz verächtlich aus.
 

Er hatte eindeutig die Schnauze voll und Eren versuchte einzuordnen, ob Levi sich mit diesen Worten endlich öffnete, auskotzte oder das Thema bloß ihren gewöhnlichen Gesprächen über unfähige Kollegen zuzuordnen war.
 

Nein, wurde Eren bewusst, Levi versuchte nur angestrengt normale Konversation zu betreiben. Er war und blieb innerlich zusammengeschnürt.
 

Eren sah es in Levis spiegelnden Augen. Es war derselbe steinige Ausdruck von heute Mittag.
 

Wie eine Puppe servierte er ihm die gebratenen Nudeln mit Gemüse und sie setzten sich zum Essen, nachdem Levi das Tablet zur Seite gelegt hatte.
 

„Das riecht wieder mal ganz fantastisch! Danke fürs Kochen“, lächelte Eren und nahm das Besteck zur Hand.
 

„Erst probieren. Ich habe das noch nie gekocht“, warnte ihn Levi mit gelangweilter Stimme.
 

Eren wickelte gekonnt Nudeln auf seine Gabel und seufzte unwillkürlich auf, als der Geschmack verschiedener Gewürze auf seiner Zunge explodierte. Verdammt, Levi konnte kochen. Selbst dieses einfache Gericht war eine Wonne nach dem objektiv nicht schlechtem Kantinenessen.
 

Als er seine Augen wieder öffnete, begegnete er sturmgrauen Augen, die ihn mit einem seltsamen Ausdruck betrachteten. Es war eine Mischung aus zurückhaltender Vorsicht, neugieriger Faszination und unterschwelliger Belustigung. Aus irgendeinem Grund ließ dieser Anblick Erens Wangen heiß werden.
 

Er musste unbedingt die Kurve kratzen.

„Das ist der reinste Food Porn“, grinste Eren schelmisch und leckte sich über die Lippen. Es war eine unbewusste Handlung, doch das verunsicherte Blitzen in Levis Augen ließ Eren innehalten.
 

Hatte er gerade richtig gesehen und Levi wurde von Erens Reaktion auf sein Essen tatsächlich verlegen?
 

Das musste Eren unbedingt weiter austesten.
 

Er verpasste den Moment jedoch, zu schnell fasste sich Levi wieder, verdeckte jegliche Emotionen mit müder Belustigung.
 

„Wenn du von meinem Essen kommst, werde ich nie wieder für dich kochen.“
 

„Wäre doch ein großes Kompliment“, ging Eren darauf ein und grinste frech.
 

„Widerlich.“ Levi spitzte angeekelt die Lippen.
 

„Erzähl' mir von deiner Abneigung gegenüber Orgasmen. Betrifft das nur Orgasmen Dritter oder auch deine eigenen? Welches Trauma könnte sich bloß dahinter verstecken?“ Eren imitierte bewusst übertrieben Hanjis Stimme und Intonation, hoffte, dass Levi ihn für diese Impertinenz nicht bestrafte. Aber hey, es hatte sich angeboten auf diesen Zug aufzuspringen.
 

Levi bedachte ihn mit einem Blick, der deutlich seine Geistestätigkeit in Frage stellte, ansonsten schwieg er jedoch und aß unbeeindruckt weiter.
 

Eren war nicht von dem Mangel an Reaktion enttäuscht. Im Gegenteil. Er war froh, dass Levi gelassen blieb und seine Idiotie hinnahm.
 

Gut gelaunt widmete sich Eren wieder der köstlichen Mahlzeit und grinste vor sich hin wie der Idiot, der er war.
 

Als er fertig war, suchte er erneut das Gespräch.

„Wie fandest du eigentlich die Aktion von heute Mittag?“
 

Erens neugierige Worte schienen Levi aus seinen Gedanken zu reißen. Etwas irritiert schaute er zu ihm, ehe die Frage in sein Bewusstsein zu sickern schien.
 

So emotionslos die sturmgrauen Augen am Mittag waren, so sehr trieften sie nun vor schadenfrohem Amüsement.

„Gelungen. Diese Wichser hatten es verdient von Sasha eine auf die Fresse zu kriegen. War das so geplant?“
 

Eren blühte bei Levis Interesse regelrecht auf.

„Sasha hatte etwas hilfesuchend zu uns geschaut, da habe ich Jean und Connie gesagt, dass wir denen eine Abreibung verpassen dürfen. Das hat Connie Sasha mitgeteilt und dann hat es auch nicht mehr lange gedauert, bis sich die Gelegenheit ergeben hat. Den Rest der Geschichte kennst du ja. Wir haben echt perfekt zusammengearbeitet. Da konnte selbst Shadis nichts mehr sagen.“
 

„Du hast Sasha also nicht absichtlich ausgewählt, sondern es hat sich so ergeben?“
 

Levi stellte die Frage neutral, dennoch legte Eren mit gerunzelter Stirn den Kopf schief, etwas verunsichert, was die „richtige“ Antwort wäre. Es gab sie nicht. Nur eine Ehrliche.
 

„Hm, sagen wir so, ich wollte, dass jemand aktiv wird, dem man eher eine Opferrolle zugestehen würde. Von den Frauen kamen da nur Mina, Historia und Sasha in Betracht und bei den Männern Thomas, Franz, Connie und Armin. Zwar wäre Berthold auch friedfertig genug, aber seine Körpergröße ist nicht hilfreich. Idealerweise hätten Mina oder Armin die Typen vermöbelt, aber so hat das auch gepasst. Ich bin froh, dass es Sasha im Endeffekt war, die diesen chauvinistischen Arschlöchern das Maul gestopft hat.“
 

Levi nickte.

„Es ist nur bedauerlich, dass sie nicht gleich die ganze Einheit auseinandergenommen hat.“
 

„Deine Reaktion war herrlich“, schmunzelte Eren, „Hat Shadis noch etwas zu dir gesagt?“
 

„Er sagte soviel wie: „Wenigstens was gelernt, der Kindergarten.“ Ich denke nicht, dass er glaubt, dass das Spiel abgekartet war. Obwohl du etwas zu hochtrabend geworden bist.“
 

„Ich weiß.“ Eren senkte zerknirscht das Haupt.
 

Levi stand auf und nahm die Teller.

„Möchtest du Ingwer-Kräutertee?“
 

„Gerne“, lächelte Eren, „Kann ich dir mit den Dokumenten helfen?“
 

„Nein, ich habe davon nicht mehr viel zu erledigen. Genieß den Feierabend. Morgen wird es anstrengend.“
 

Diebische Neugier überkam Eren, ließ ihn schalkhaft zu Levi hochschielen.

„Was hast du denn morgen mit uns vor?“
 

„Das wirst du schon sehen.“
 

„Och, warum denn so geheimnisvoll?“, schmollte Eren.
 

„Weil ich es kann“, erwiderte Levi mit einem belustigten Aufblitzen in den Augen.
 

Mit einem tiefen Seufzer erhob sich Eren.
 

„Dann geh' ich ins Bett“, dann fügte er kurzentschlossen schelmisch hinzu, „Gute Nacht, Schatz!“
 

Albern schoss er durch das Wohnzimmer und machte schnell die Schlafzimmertür zu. Natürlich war er heiß darauf zu wissen, wie Levi reagiert hatte, aber dafür fehlte ihm im Moment der Mut.
 

Also begann er sich mit übersprudelnder Fröhlichkeit im Bad fertig zu machen und legte sich ins Bett. Davon, Ruhe zu finden, war er jedoch meilenweit entfernt.
 

Je länger er in der Stille des dunklen Schlafzimmers lag, desto bewusster wurde ihm sein dämliches Verhalten und desto mehr schämte er sich.
 

Gute Nacht, Schatz!
 

Was hatte er sich nur dabei gedacht? Nichts, anscheinend.

Es war wohl eine Übersprungreaktion, weil ihn die Nervosität bei dem Gedanken an das geteilte Bett überkommen hatte.
 

Nun lag er da also und seine Probleme hatten sich noch nicht in Luft aufgelöst. Er würde im Schlaf vermutlich wieder unbewusst an Levi heranrücken und er wollte nicht herausfinden, wann dem der Geduldsfaden riss. Eren griff zu sehr in seine Privatsphäre ein, überspannte den Bogen. Es war bereits jetzt ein Wunder, dass er noch nicht gebrochen war.
 

Unzufrieden schnaufend drehte sich Eren auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit. Schwarzviolette Punkte tanzten vor seinen Augen umher, als ihm eine Idee kam.
 

*~*
 

Eine gute Stunde später hatte er endlich alle noch ausstehenden Dokumente durchgelesen. Der Erkenntnisgewinn hielt sich in Grenzen.
 

Die Leute, die sie abhörten, waren zwar größtenteils Arschlöcher, aber sie brachten ihre Ermittlungen nicht weiter.
 

Der ein oder andere beging Viagrastraftaten wie Betrug, aber bis auf ein paar Fälle organisierter Drogenkriminalität war noch keinem Verdächtigen etwas nachzuweisen. Keine Hinweise auf Waffen- oder Menschenhandel. Nichts. Es war frustrierend.
 

Levi konnte sich nur an sein Bauchgefühl klammern und hoffen, dass der Einsatz in ein paar Tagen nicht völlig umsonst sein würde.
 

Seufzend legte er sein Tablet beiseite und schaltete alle Lichter aus, ehe er zum Schlafzimmer tapste. Alles war dunkel, also schien Eren bereits zu schlafen.
 

Er ging ins Bad und machte sich fertig, ehe er das Fenster kippte und die Badtür offen ließ, sodass ein wenig Licht von den Straßenlaternen ins Schlafzimmer schien.
 

Kurz bevor er auf das Bett kroch, fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte.

Irritiert kniff er die Augen zusammen, als könne er so besser den Fehler im Bild erkennen.
 

Nach einem kurzen Moment begriff er, dass Eren sich mit seinem Bettzeug auf Levis Seite an die Wand gelegt hatte. Er hatte einfach die Seiten getauscht und das ging Levi gegen den Strich. Es war als nähme man ihm das Essen auf halbem Weg zum Mund weg. Es war ein unverschämter Eingriff in seine Privatsphäre.
 

Trotzdem schob sich Levi ins Bett und blieb auf der „falschen“ Seite liegen. Er hatte keine Lust auf etwaige Diskussionen. Er konnte Eren morgen zur Rede stellen.
 

Etwas erschauderte in ihm, als er spürte wie sich Eren umdrehte und tief durchatmete.
 

Er wollte es nicht, dennoch drehte Levi sich auf die andere Seite, begegnete dunklen halbgeschlossenen Augen.
 

„Warum schläfst du noch nicht?“ Soviel zu Zurechtweisungen. Levi wollte sich am liebsten selbst zusammenknüllen und wegschmeißen.
 

„Hmm“, seufzte Eren, „Ich war zu aufgedreht zum Schlafen.“
 

„Warum hast du die Plätze getauscht?“
 

„Ich dachte, dass ich dich vielleicht weniger bedränge, wenn ich an der Wand schlafe“, erklärte Eren und lächelte dann, „Dann kann ich mich an die Wand kuscheln.“
 

„Wenn du mich rausdrängst, tret' ich dir in den Arsch“, versprach Levi ernst.
 

Eren grinste schief.

„Diese Drohung verliert allmählich an Wirkung.“
 

„Ich kann dich jederzeit gerne daran erinnern, wie viel Spaß ein Arschtritt von mir macht“, drohte Levi halbherzig.
 

„Danke, ich versuche ohne auszukommen“, zwinkerte Eren ihm frech zu.
 

Levi atmete tief durch.

„Hast du überhaupt noch ein Quäntchen Respekt vor mir?“
 

Es war eine rein rhetorische Frage, kein bisschen ernst gemeint. Umso weniger hatte Levi mit einer ernst gemeinten Reaktion von Eren gerechnet, der die Augenbrauen zusammenzog und die Augen nun gänzlich öffnete.
 

„Es gibt wohl nichts, was du tun könntest, was mir den Respekt vor dir nehmen könnte.“
 

Die leise gesprochenen Worte waren so ehrlich und inbrünstig, dass Levi ganz warm wurde und sein schnell schlagendes Herz schwer.
 

„Idiot.“
 

„Es tut mir leid, wenn ich dir mit meinem Verhalten einen anderen Eindruck gegeben habe- Autsch!“
 

Jammernd kauerte sich Eren zusammen und rieb über sein Schienbein, das mit Levis Fuß Bekanntschaft gemacht hatte.

„Verdammt nochmal, warst du im letzten Leben ein Pferd?“
 

„Hör' auf dich für Scheiß zu entschuldigen. Es gibt nichts zu entschuldigen. Ich weiß, dass du mich respektierst“, etwas dunkler fügte Levi hinzu, „Andernfalls würde ich dich schon den nötigen Respekt lehren.“
 

Gespielt beleidigt legte sich Eren wieder ausgestreckt seitlich hin, wickelte sich in die Decke und vergrub sich darunter, sodass nur noch sein Gesicht herausschaute. Vorwurfsvoll und mit schmollenden Lippen starrte er Levi an.
 

„Du bist so ein Kind.“
 

Postwendend streckte Eren ihm die Zunge heraus, unterstrich seine Aussage. Es brachte Levi zum Schmunzeln.
 

Erens Mimik entspannte sich, er lächelte und Levi musste sich daran erinnern weiter zu atmen.
 

Verdammt hatte es ihn erwischt. Wie konnte sein Körper bloß so stark auf diesen jungen Mann anspringen? Gehirnwindung verrutscht, vermutlich.
 

„Was denkst du?“
 

Das ich dich am liebsten... Levi brach den Gedanken ab, als er spürte, wie aufgeregte Hitze in seinen Unterbauch floss. Sich vorzustellen, wie er Eren packte und sich auf ihn legte, reichte schon, um ihn zu erregen, auch ohne noch genauere Handlungen in seinem Kopf durchzuspielen.
 

In diesem Moment war Levi über die Dunkelheit froh. So selten er auch errötete, diese Vorstellung ließ seine Wangen kribbeln.
 

Er musste sich zur Ordnung rufen.

Denken, Levi, denken.

Eren hatte ihn etwas gefragt und seinen neugierigen Augen nach zu urteilen, vertuschte er sein Gedankenchaos nicht sonderlich gekonnt. Es würde gerade noch fehlen, dass Eren herausfand, dass sein Vorgesetzter ihm am liebsten an die Wäsche gehen wollte. Während sie im selben Bett schliefen. Unangenehmer konnte es kaum werden.
 

„Ich frage mich gerade, ob du immer deine Finger nicht von deinen Freunden lassen kannst.“
 

Wo kam denn dieser hirnverbrannte Satz her?

Egal. Eren reagierte herrlich verschämt darauf.

Peinlich berührt senkte er den Kopf und rieb sich über die Nase.
 

Zumindest hatte sich Levi nicht auf so offensichtliche Weise verraten.
 

„Ich hatte bisher nur zwei gute Freunde und die sind mein Getouche gewöhnt.“
 

„Armin und Mikasa?“
 

Eren nickte.
 

„Es ist mir nie aufgefallen, dass du Armin ständig anfasst.“
 

„Fasse ich dich etwa ständig an?“
 

„Gefühlt schon.“
 

„Ha ha. Du kannst Armin ja fragen.“
 

„Richtig. Bei der nächsten Besprechung: Nächster Tagesordnungspunkt: Armin, wie oft langt Eren eigentlich dich an?“
 

Eren lachte leise.

„Er würde das schon richtig einordnen.“
 

Levi schnaubte bei der Vorstellung.
 

„Früher war ich völlig anders. Ich habe es nicht ausstehen können, wenn man mich angefasst hat. Meine Mutter konnte höchstens mal durch meine Haare wuscheln, ansonsten war es schwierig mit mir. Im Nachhinein denke ich, dass ich meinen Eltern gegenüber auf diese Weise trotzig reagiert habe. Ich war ständig beleidigt und eifersüchtig, weil ihnen ihre Arbeit immer das wichtigste auf der Welt schien.“
 

Nachdenklich zog Eren die Augenbrauen zusammen.
 

„Klingt plausibel.“
 

„Hm hm“, summte Eren zustimmend, „Ich hatte auch nie Freunde. Ich habe mich ständig nur gerauft, weil ich auf meiner Meinung beharrt habe und nicht mit den anderen Jungs mitgelaufen bin. Mein Vater sagte immer, ich solle nicht so stur und unflexibel auf andere Kinder reagieren, aber wenn ich jemanden nicht mochte, wollte ich auch keine Kompromisse eingehen.“
 

„Wenn ich daran zurückdenke, wie du dich am ersten Trainingstag verhalten hast, liegen Welten dazwischen.“
 

Belustigt zuckten Erens Mundwinkel, während er verlegen blinzelte.

„Ich war zugegebenermaßen etwas verschreckt von deiner unkonventionellen Art.“
 

„Dank meiner unkonventionellen Art bin ich in deinen sturen Schädel vorgedrungen und habe dir was beibringen können“, bemerkte Levi tonlos, innerlich amüsiert.
 

„Dafür bin ich auch sehr dankbar“, lächelte Eren ehrlich. Selbst im Dämmerlicht konnte man das Strahlen seiner Augen erahnen. Es war ein fesselnder Anblick.
 

„Wann bist du dann so anhänglich geworden?“, lenkte Levi von sich ab. Sein Puls raste, aber dieser Zustand wurde zunehmend zur Sucht.
 

Eren ging problemlos darauf ein.

„Ich hab mich mit Mikasa angefreundet, als ihre Eltern mich unterrichtet haben. Nachdem ihre Eltern ermordet worden waren und sie zu uns gekommen ist, hat sich unsere Freundschaft in ein geschwisterliches Verhältnis gewandelt. Als dann meine Eltern auch ermordet worden sind, ist das Verhältnis entsprechend innig geworden.“
 

„Die Kinder des Todes.“
 

Eren verharrte mit offenem Mund. Ob von der Erzählung oder Levis geschmacklosen Äußerung konnte man nicht sagen. Levis leises Lachen machte den Fauxpas nicht gerade ungeschehen.
 

Er fasste sich mit einem empörten Blinzeln.

„Das war… echt… Auf jeden Fall hat sich dann diese Anhänglichkeit gegenüber Menschen entwickelt, denen ich emotional nahestehe. Was ich im Schlaf mache, kann ich trotzdem nicht beeinflussen.“
 

„Du stehst mir also emotional nahe?“, schaufelte Levi munter sein eigenes Grab, „Wie soll ich denn das verstehen?“
 

Zunehmend geduldslos schnaubte Eren.

„Wie ich es gesagt habe.“
 

„Was verstehst du darunter? Und warum ich, wenn es sonst nur Armin und Mikasa sind?“
 

„Warum magst du jemanden? Warum findet man jemanden unsympathisch? Warum verliebt man sich?“, begehrte Eren entnervt auf.
 

„Dafür gibt es eine ganze Palette an Gründen. Biochemischer und psychologischer Natur“, zeigte Levi ihm auf und fand ein untypisches Vergnügen daran Eren um den Verstand zu bringen.

Vermutlich seine unwillkürliche Rache für das Gefühlschaos, das er ihm bescherte.
 

Eren betrachtete ihn mit aufgebrachter Unentschlossenheit. Von der Wut blieb nur ein schnaubendes Knurren übrig.

„Was du machst, nennt man fishing for compliments.“
 

Levi musste zugeben, der Konter war gelungen.
 

„Ich bin nur neugierig“, Levi ließ sich zu einem Zwinkern hinreißen und brachte Eren prompt aus dem Konzept, „Außerdem lässt du dich herrlich schön ärgern.“
 

Eren seufzte tief.

„Das Kompliment kann ich zuweilen zurückgeben“, auf einmal grinste Eren ihn gewinnend an, beinahe verführerisch, wenn seine durchscheinende Überschwänglichkeit nicht gewesen wäre, und zwinkerte ihm ebenfalls zu.
 

Levi sah mit eiserner Miene zurück.
 

Erens Grinsen hielt dem nicht lange stand und er sah seufzend runter.

„Was hast du eigentlich für eine Auffassung von Körperkontakt? Ich meine, wie viel ist für dich in Ordnung und ab wann wird es zu viel?“
 

„Gut, dass Polizisten nicht viel reden müssen. Deine Rhetorik ist scheiße.“
 

„Ich lerne nur von den Besten“, erwiderte Eren unbeeindruckt und wartete sichtlich auf eine Antwort.
 

Der Bumerang kam stets zurück.

Es war okay.
 

„Es kommt immer darauf an“, begann Levi ernüchtert, „Es ist sehr personenabhängig. Im Grunde mag ich es nicht angefasst zu werden. Die meisten Menschen sind schmutzig.“
 

„Schmutzig“, wiederholte Eren als sei es ein Wort aus einer unbekannten Sprache, „Du hast kein Problem mit einem Eingriff in deine körperliche Nahsphäre, sondern mit der mangelnden Hygiene, die sowas mit sich bringen kann?“
 

„Ich hab überhaupt kein Problem, sondern derjenige, der sich ohne Erlaubnis an mich heranmacht“, stellte Levi klar und erntete ein belustigtes Schnaufen, „Ich mag Körperkontakt allgemein nicht sonderlich.“
 

„Weil es schmutzig ist oder warum? Und überhaupt, woher kommt dieses Sauberkeitsempfinden bei dir?“
 

„Ich bin in keiner sehr sauberen Gegend aufgewachsen und habe früh gelernt, dass Krankheit und Schmutz oft Hand in Hand gehen.“
 

„Und was hat das mit deiner Auffassung von Körperkontakt zu tun?“
 

„Einiges“, erwiderte Levi mit zunehmender Zurückhaltung. Der innere Widerwille bei dem Thema schlug sich allmählich durch, „Es gibt natürlich auch andere Gründe, aber ich möchte nicht darüber reden.“
 

Levi beglückwünschte sich dafür, dass er seinen Unwillen über das Thema weitergehend zu sprechen, mitgeteilt hatte, statt gleich die Schotten dicht zu machen und Eren im Regen stehen zu lassen.
 

„Wie alt warst du eigentlich, als du deine Jungfräulichkeit verloren hast?“
 

Es war ein Automatismus.
 

Eren stöhnte unterdrückt auf, als Levi ihm mit der Hand einen groben, aber keineswegs schmerzhaften Kinnhaken von unten her verpasste. Es war eigentlich mehr ein rabiates hochdrücken des Kinns als ein Kinnhaken.
 

Levi ließ so schnell von Eren ab, wie er ihn mit dieser Aktion überrumpelt hatte.
 

Noch bevor Eren sich grunzend beschweren konnte, starrte Levi ihn in Grund und Boden.

„Was zum Teufel?“
 

Eren rieb sich indigniert übers Kinn.

„Kinder des Todes, ja? Und du „beschwerst“ dich, weil ich eine persönliche Frage stelle?“
 

Levis Augen verengten sich zu schlitzen. Er war weder wütend noch peinlich berührt. Es war ja nicht einmal unbedingt seine Absicht gewesen so zu reagieren. Es war ein eingeübter Abwehrmechanismus.
 

„Mein Humor mag zuweilen zweifelhaft sein.“
 

Eren schnaubte spöttisch.
 

Levi ließ sich davon nicht irritieren.

„Ich war jünger als du - was kein großes Kunststück ist - aber mehr wirst du darüber auch nicht erfahren. Generell mag ich, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, nicht sonderlich gerne über so intime Dinge sprechen.“
 

„Wann fängt bei dir Intimität an? Denn ganz generell scheinst du kein Problem zu haben über sowas zu reden.“
 

„Ich will nicht mit dir über mein Sex- und Liebesleben reden. Generell mit niemanden. Gott weiß wie oft Hanji schon versucht hat, was aus mir raus zu kitzeln.“
 

Erneut schnaubte Eren. Diesmal unleugbar belustigt.
 

„Was du von dir preisgibst ist deine Sache“, fuhr Levi unbeirrt weiter.
 

Eren starrte ihn ohne mit der Wimper zu zucken an.
 

Mit der Zeit irritierte ihn das.

„Was?“
 

Endlich wandte Eren seufzend den Blick ab, nur um im nächsten Moment wieder seinen Blickkontakt zu suchen und leicht zu lächeln.

„Ich wollte dich nicht in Bedrängnis bringen, nur ärgern.“
 

„Warum? Ich dachte, du hättest Bedenken mich zu vertreiben, wenn du zu sehr bohrst?“, fragte Levi ihn mit ehrlicher Neugier.
 

„Ich habe beschlossen darauf zu vertrauen, dass unsere Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruht.“
 

Eine schlichte Wahrheit. Doch ausgesprochen…

„Einfach so?“ Levi hoffte, dass er nur in seinen Ohren so atemlos klang.
 

„Ich bin ein impulsiver Mensch“, lächelte Eren mit verlegen zusammengekniffenen Augen.
 

Levi atmete tief durch und schloss die Augen.

„Wie sind wir wieder hier gelandet.“
 

Er hörte Eren leise Lachen und das Rascheln seiner Decke.
 

Das aufgeregte Flattern in seiner Brust ermüdete seinen Geist zunehmend.
 

„Levi.“
 

„Hm?“, summte er erschöpft.
 

„Danke.“
 

Verwunderung ließ ihn seine Augen aufschlagen.

„Wofür?“
 

Der Ausdruck in Erens Augen ließ ihn vergessen zu atmen. Seine Augen schimmerten sanft und geheimnisvoll. Er konnte in ihnen Gefühle erkennen, war jedoch nicht imstande sie zu deuten.
 

„Dass du bist wie du bist. Dass du mir so viel beigebracht hast. Dass du die Geduld hast dich mit mir auch außerhalb der Arbeitszeiten zu befassen“, dann fügte Eren murmelnd hinzu, „Okay, momentan hast du nicht die große Wahl, aber-“

Eren schnaufte überrascht auf.
 

Levi wuschelte ihm freundschaftlich durchs Haar. Ein Lächeln zog seine Lippen auseinander, als Eren seine Augen wieder aufschlug und ihn verdutzt ansah.
 

„Balg.“
 

„Häh?“ Eren betrachtete ihn mit großen Augen, als könne er nicht begreifen, was gerade geschah.
 

Levi zog seine Hand bedächtig zurück, immer noch lächelnd.

„Jetzt schlaf. Morgen wird anstrengend.“
 

Eren fasste sich und schmollte prompt.

„Was so anstrengend wird, rückst du immer noch nicht raus, oder?“
 

„Natürlich nicht“, schmunzelte Levi und drehte sich um.
 

Er hörte Eren theatralisch seufzen.
 

Und nach einer Pause.
 

„Gute Nacht, Levi.“
 

„Raa-dtree sàwàt, Eren.“
 

*~*
 

Als Eren am nächsten Morgen aufwachte war Levi bereits aufgestanden.

Ein Blick auf den Wecker verriet, dass er noch drei Minuten liegen bleiben konnte. Darauf verzichtete er und schob sich verschlafen aus dem Bett und trottete ins Bad.
 

Nach Klo, kühler Dusche und dem nervigen Putzen, zog er sich einen dunkelblauen Pulli und graue Jeans an.
 

Er hörte Levi in der Küche. Die Geräusche waren seltsam familiär. Er gewöhnte sich zusehends an die Anwesenheit des anderen.
 

„Guten Morgen“, grüßte Eren Levis Rücken freundlich, „Eigentlich bin ich heute mit Frühstück machen dran.“
 

„Ich weiß, aber ich war schon wach“, erwiderte Levi und drehte sich mit der Teekanne in der Hand um. Seine Körperhaltung wirkte zurückhaltend, während ihn seine Augen aufmerksam musterten.
 

„Hab ich was im Gesicht?“, fragte Eren frech nach und deutete auf sich.
 

Levis Mimik blieb steinern.

„Nein. Wo sollte ich denn sonst hinsehen?“
 

Eren winkte ab und setzte sich gemütlich an den Tresen.

„Schon gut. Was gibt es denn zu essen?“
 

„Milchreis mit Bananen und Ahornsirup.“
 

„Auch ein interessantes Frühstück.“
 

„Ich hatte Lust drauf“, meinte Levi lapidar und schenkte Eren eine Tasse Tee ein, ehe er zwei Schüsseln zur Hand nahm und den Milchreis servierte.
 

„Wow, vielen Dank“, lächelte Eren, was abgenickt wurde.
 

Natürlich schmeckte sogar das gut, obwohl Eren Milchreis als Kind nicht hatte ausstehen können.

Das glibberige Zeug im Waisenhaus konnte auch schwerlich mit Levis Kochkunst mithalten.
 

Er schielte zu Levi herüber, der auf diese verdrehte Art seine Teetasse hielt und mit genießerisch geschlossenen Augen trank.
 

„Ist das der Tee von mir?“
 

„Hm hm“, summte Levi, „Du hast dich gut beraten lassen.“
 

Eren lachte erleichtert und probierte selber. Er mochte schwarzen Tee, allerdings konnte er keine großen Unterschiede herausschmecken.
 

„Und? Was machen wir heute?“
 

Levi senkte die Teetasse soweit, dass Eren ein unheilvolles Lächeln in den sturmgrauen Augen erkennen konnte.

„Zu meiner Belustigung beitragen.“
 

***
 

Sie fanden sich schneller in Kampfsportkleidung in einer der gut ausgerüsteten Hallen zum Selbstverteidigungstraining wider, als ihnen lieb war.
 

Levi war besonders guter Laune. So gut, dass ihnen allen etwas ungut wurde.
 

„Bevor wir in den Einsatz gehen, möchte ich unsere Selbstverteidigungstechnicken auffrischen“, hatte er nach der kurzen Besprechung in der Früh verlautbart, was so viel hieß wie: „Ich will euer Blut sehen.“
 

Alle vorangegangen Trainings mit Levi waren sehr lehrreich gewesen, aber im direkten Vergleich versagten sie kläglich. Er war zu schnell, zu wendig, zu gemein.
 

Dass mit dem „Blut sehen“ war keine Übertreibung.
 

Levi stellte sich in die Mitte des auf den Trainingsmatten aufgezeichneten Kreises. Sie hielten sich nicht an die Linien, aber es war ein guter Ausgangspunkt und sie versuchten Überschreitungen so gut es ging zu vermeiden.
 

Alle außer Hannah - sie hatte sich einen Gymnastikball zum Sitzen geschnappt - knieten am Rand auf den Matten und keiner sah wirklich erpicht darauf aus hier zu sein.
 

„Wer möchte anfangen?“, fragte Levi teilnahmslos in die Runde, doch seine Augen verrieten sein Amüsement.
 

„Ich.“
 

Alle Blicke richteten sich auf die todesmutige Person. Im nächsten Moment ging ein Seufzen durch ihre Reihe, abgelöst von neugieriger Spannung.
 

Annie schritt in den Kreis, stellte sich Levi mit stoischem Gesichtsausdruck entgegen.
 

Levi nickte und zog Handschellen aus seinem Oberteil.

„Beendet ist der Kampf, wenn du es schaffst mir diese anzulegen und mich zehn Sekunden am Boden zu fixieren.“
 

Er warf Annie die Handschellen zu, die sie einsatzbereit in der linken Hand hielt, während sie die Fäuste hob und sich kampfbereit hinstellte.
 

Levi verlor keine Zeit.
 

Er stürmte auf sie zu, Annie schlug nach ihm, doch Levi wich geschickt aus, stellte ihr ein Bein und schwang seine Faust nach ihrem Solarplexus.
 

Annie sprang rechtzeitig davon, parierte seinen Schlag, aber Levi gewährte ihr keine Verschnaufpause. Er drang immerzu auf sie ein, zwang Annie stets zur Verteidigung.
 

Wenigstens war Annie schnell. Trotzdem konnte sie sich nur vor ihm schützen und hoffen, dass er vor ihr müde wurde. Leider ließ es Levi nicht darauf ankommen.
 

Geschickt entriss er Annie die Handschellen, was ihr eine Gelegenheit zum Angriff gab.

Ein Fehler.

Im nächsten Moment lag eine Handschelle um ihr Handgelenk und Levi zog mit einem Sprung zurück an ihr, brachte Annie lang genug aus dem Gleichgewicht, um sich in ihren Rücken zu drehen.
 

Mit mehr Glück als Können packte er ihr anderes Handgelenk, schellte es an und stieß Annie mit roher Gewalt zu Boden.
 

Schwer atmend saß er auf Annies Oberschenkeln und hielt bis zum Ablauf der Zeit ihre Hände in ihr Kreuz gedrückt. Sie lag bäuchlings auf dem Boden und versuchte sich gar nicht mehr zu wehren.
 

Früher gab sie nicht so schnell auf, was zu farbenprächtigen Prellungen und blutige Nasen auf beiden Seiten geführt hatte. Und demselben Ergebnis.

Annie schien sich das nun ersparen zu wollen.
 

Levi ließ sie laufen.

„Du musst versuchen den ersten Angriff zu vollführen, wenn du gegen mich kämpfst.“

Das sagte er ihr jedes Mal.
 

„Wenn ich meinen Gegner nicht kenne, würde ich ihn erst einschätzen wollen“, erwiderte Annie ebenso wie jedes Mal.
 

Levi ging nicht weiter darauf ein und nickte zu den Handschellen in ihrer Hand.

„Such dir jemanden aus, der als nächstes drankommen soll.“
 

Annie warf die Handschellen in Reiners Schoß.

„Viel Spaß.“
 

Der stöhnte bloß, ehe er sich entschlossen Levi entgegenstellte.
 

Reiner war verdammt kräftig, konnte mit Levis Geschwindigkeit allerdings nicht mithalten. Zudem war Reiner im Kampf mit Bekannten ungewollt etwas gutmütiger als es sinnvoll war. Er lag ziemlich schnell am Boden.
 

Sasha war eine größere Herausforderung. Sie war stur, wendig und sich nicht zu schade für unkonventionelle Vorgehensweisen. Levi vergalt die geprellten Eier mit einer blutigen Nase, aber immerhin waren alle Knochen ganz geblieben.
 

Der Rest wurde ziemlich zügig abgefertigt. Bedauerlicherweise waren die meisten nur halbherzig dabei, weil es um nichts ging. Sie waren nicht mehr in der Ausbildung, wo sie jederzeit fliegen konnten. Sie standen vor einem Einsatz und wollten sich nicht verletzen.
 

Zum Ende hin wurde es ziemlich lächerlich.
 

Armin ließ sich beinahe widerstandslos festnehmen, obwohl er sich ziemlich hartnäckig wehren konnte, wenn er denn nur wollte.
 

„Du sollst doch nicht Jungfrau in Nöten spielen“, zog Eren seinen Freund mit theatralisch enttäuschter Stimme auf.
 

„Mach es besser“, kam es angesäuert zurück, sowie Armin ihm die Handschellen auf den Schoß schmiss.
 

Eren lachte und sah vorfreudig zu Levi, der scheinbar unbeteiligt auf ihn wartete.
 

„Jetzt, wo wir den Boss müde gemacht haben, ist das ja wohl kein großes Kunststück“, grinste Connie und zuckte überheblich mit den Schultern.
 

„Ja du hast den Boss wohl kaum müde gemacht“, lachte Reiner schallend und klopfte mit seiner Pranke auf Connies Schulter, sodass der kleinere Mann fast umgeschmissen wurde.
 

Eren grinste selbstsicher, als er sich das Gewand richtete.

„Versucht euch eure Unfähigkeit nur schön zu reden.“
 

„Große Klappe, Jäger“, provozierte ihn Jean, „Das letzte Mal wurde dir auch der Arsch versohlt.“
 

Eren zuckte gleichgültig mit den Schultern.
 

„Spart euer Imponiergehabe für den Affenstall auf“, grollte Levi, ehe Eren etwas erwidern konnte, „Beweg dich, Jäger!“
 

Ohne weitere Umschweife trat Eren in den Kreis, atmete tief durch.

Er würde es Levi nicht so leicht machen, schwor er sich, er konnte ihn bezwingen.
 

Eren steckte sich die Handschellen in den Gürtel, um beide Hände frei zu haben. Für ihn hatte es Priorität Levi überhaupt erst einmal zu packen. Wie er ihm die Handschellen anlegen konnte, fragte er sich später.
 

Levi beobachtete ihn mit Argusaugen, blieb jedoch entspannt stehen als hätte er alle Zeit der Welt.
 

Abwarten nützte Eren herzlich wenig, dementsprechend abrupt stürzte er sich auf Levi der prompt abtauchte. Das hatte Eren erwartet. Schnell wirbelte er herum und trat Levi gegen den Oberschenkel. Das brachte ihn zwar weder zum Taumeln noch verursachte es störende Schmerzen, es verzögerte Levis Manöver allerdings gerade lange genug, um Eren Gelegenheit zum Ausweichen und nächsten Angriff zu geben.
 

Eren drehte sich in Levis Rücken, schlug jedoch nicht sofort nach ihm. Er wartete auf die Millisekunde, die Levi brauchte, um zu realisieren, was er vorhatte.

Sowie Levi sich mit erhobener Faust umdrehte, sprang Eren auf ihn zu und schubste ihn mit voller Wucht gegen die Brust nach hinten.
 

Geschickt fing Levi den Stoß ab, indem er sich nach hinten fallen ließ und abrollte.
 

Das war der Moment, in dem Eren die Handschellen nahm, vorpreschte und Levi grob mit der Schulter rammte, um die Handschelle um sein linkes Handgelenk zu legen.
 

Sowie der Verschluss zuschnappte, schlug ihm Levi in den Solarplexus und stieß Eren von sich. Geistesgegenwärtig hielt Eren die Handschelle fest, doch in einer weniger durchdachten Aktion ließ er den anderen Verschluss um sein eigenes rechtes Handgelenk schnappen.
 

Nun hingen Eren und Levi aneinander, was letzterer mit einem genervten Schnauben zur Kenntnis nahm, als er von Eren durch den Stoß mitgezogen wurde.
 

Eren ließ sich keine Zeit, um sich von dem Schlag in den Solarplexus zu erholen oder darüber zu ärgern, dass er schon wieder intuitiv gehandelt und sich in Teufelsküche gebracht hatte.
 

Nach Luft japsend taxierte er Levi, der ihn zunehmend angepisst anstarrte.
 

Es war eine interessante Situation.
 

Eren musste es gelingen dem nächsten Angriff standzuhalten, sonst ging ihm der Arsch auf Grundeis und es würde schwer werden das Blatt zu wenden, wenn Levi ihn erstmal zu fassen bekam. Zumindest konnte er ihm die Handschellen nicht mehr wegnehmen...
 

Der Angriff kam plötzlich. Eren duckte sich unter Levis Schlag weg und drehte sich in seinen Rücken, nutzte ihre Verbindung durch die Handschellen, um Levi unter Kontrolle zu bringen.
 

Es gelang ihm Levi von hinten zu umgreifen, die linke Hand mittels Handschelle in dessen Rücken zu fixieren und seinen rechten Arm fest an seinen Körper zu pressen.
 

Für einen Atemzug erstarrte Levi in seiner unnachgiebigen Umarmung, die ihn den Boden unter den Füßen verlieren ließ. Hätten Erens Ohren nicht vor Anstrengung gerauscht, wäre ihm das überraschte, ungläubige Schnaufen ihrer Kameraden aufgefallen, ob der kurzen Überlegenheit.
 

Er konnte spüren, wie Levi das Erstaunen über seine eigene Lage überwand, sich die Rückenmuskeln, die sich gegen Erens Brust pressten, zum Zerreißen anspannten.
 

Merde, fluchte Eren innerlich, als Levi seine Beine um Erens schlang, die Füße in seine Kniekehlen drückte und ihn aus dem Gleichgewicht brachte.
 

Er stürzte mit Levi zusammen zu Boden. Ein normaler Mensch hätte versucht sich abzufangen, aber Eren war stur. Er plumpste mit einem schmerzerfüllten Keuchen mit der linken Schulter wie ein Mehlsack auf die Matten, Levi immer noch fest im Griff, der sich versuchte herauszuwinden.
 

Dummerweise spielte die Schwerkraft Levi in dieser Position in die Hände und es gelang ihm Eren mit dem Hinterkopf ans Kinn zu stoßen, sodass sich seine Umklammerung gerade lang genug lockerte, um es Levi zu ermöglichen sich zu befreien.
 

Zwar versuchte sich Eren schnell wieder aufzurichten, Levi versuchte aber gar nicht erst aufzustehen, sondern warf sich regelrecht wie eine Mischung aus Wrestler und Judoka auf ihn und versuchte ihn ebenfalls mithilfe der Handschellen zu fixieren.
 

Eren drehte sich geschickt unter Levi davon, doch verdammt, er war zu langsam. Levi wusste ganz genau wie er sein Körpergewicht sinnvoll einsetzen konnte und schaffte es den auf dem Bauch liegenden Eren festzuhalten.
 

Verblüfft fand sich Eren hilflos röchelnd unter Levi wieder, der direkt unterhalb seines Arsches auf seinen Oberschenkeln saß, beide Beine um Erens gehakt. Ärgerlicher war, dass es Levi gelungen war Erens rechten Arm mittels der Handschelle so um seinen eigenen Hals zu ziehen, dass er sich nur unter Schmerzen rühren konnte und gleichzeitig sein linkes Handgelenk zu umfassen, das Levi sich schön passend auf Erens Rücken gezogen hatte.

Kurzum: Eren lag verpackt wie ein schwitzendes Paket auf der Matte.
 

„Und was machst du jetzt?“, fragte Levi ihn mit schwerem Atem und griff in seine Haare, um seinen Kopf grob hochzureißen. Dadurch wurde Erens Rücken schmerzhaft durchgebogen, abgesehen davon, dass seine Kopfhaut brannte.
 

Eren wusste, dass Levi dazu neigte seinen Verdruss auf sehr eindrückliche Art auszudrücken, immerhin hatte er es oft genug am eigenen Leib erfahren dürfen.
 

Es machte Eren nur nicht minder wütend.
 

„Was machst du?“, grollte er erstickt und wurde prompt noch stärker verbogen, bis Eren kaum noch Luft bekam. Das Rauschen in seinen Ohren wurde unerträglich laut.
 

„Ähm? Stopp?“
 

Der zögerliche Vorschlag von Hannah stieß auf taube Ohren, doch kurz darauf bemerkte Eren Armin neben ihnen stehen. Levi wohl auch, denn seine Haare wurden losgelassen und er bekam plötzlich wieder Luft. Er musste husten, als er gierig nach Luft schnappte.
 

Verdammt, payback’s a bitch.
 

„Ihr könnt so nicht gewinnen“, sprach Armin sie mit erhobenen Händen an, als stünde er vor zwei angriffsbereiten Raubtieren - lag bestimmt nicht so fern, „Ohne dem anderen Handschellen anlegen zu können, kann keiner gewinnen. Ihr solltet es als Unentschieden werten.“
 

Unentschieden? Von we-
 

„My ass“, spuckte Levi aus, „Hätte ich es ernst gemeint, läge das Balg mit gebrochenem Genick hier.“
 

Bevor Armin etwas darauf erwidern konnte, grollte Eren: „Runter von mir!“
 

Levi ließ es zu, dass Eren sich aus dem nun lockeren Griff löste und erhob sich dankbarer Weise von seinen Beinen, sodass Eren sich mit dem Oberkörper hochstemmen und aufstehen konnte.
 

*~*
 

Eren wirbelte herum und durchbohrte ihn mit einem zornigen Blick.
 

Levi hatte diesen Ausdruck nicht oft in den seegrünen Augen gesehen und nie gegen sich gerichtet. Jetzt konnte er nachvollziehen, warum Eren von anderen als gefährlich empfunden werden konnte. Ihm selbst stellten sich bei diesem Anblick die Nackenhaare in gespannter Erwartung auf.
 

In diesem Moment erinnerte Eren ihn an einen Puma. Schnell, kräftig und unterschätzt von jedem, der sie nur von Bildern oder aus Geschichten kannte.
 

„Es ist noch nicht vorbei“, knurrte Eren gefährlich, jede Faser in seinem Körper angespannt, „Solange ich bei Bewusstsein oder nicht gefesselt bin, geht es weiter.“
 

Levi betrachtete ihn abschätzend. Er konnte nicht leugnen, dass sich Erens Kampfwille auf ihn übertrug, er geradezu kribbelnde Vorfreude auf eine weitere Runde empfand.

„Masochistisch?“
 

„Glaubst du, du bist der Einzige, der sich hier zurückgenommen hat?“, verlangte Eren provokativ zu wissen und reckte den Hals wie ein wütender Stier.
 

„Tch“, schnaubte Levi, „Mal sehen, ob du mehr kannst als Sprüche klopfen.“

Levi hörte selber wie seine Stimme mit jedem Wort härter und dunkler klang.

Er musste sich zusammenreißen.

Er durfte Eren nicht verletzen. Das würde nur ihren Einsatz gefährden und das konnte Levi dann selbst ausbaden und darauf hatte er keine Lust.
 

Aber irgendwann würde er diesem Bengel schon die Leviten lesen.
 

Wenig einfallsreich stürmte Eren auf ihn zu, als wolle er ihn erwürgen. Flink wich Levi aus, duckte sich seitlich links raus. Und wurde von Erens Körper begraben.
 

Es war lächerlich.
 

Levi fühlte sich wie ein Käfer auf dem Rücken. Eine ganze Ladung Mist auf sich.
 

Eren hatte sein Ausweichmanöver vorhergesehen und ihre Verbindung dazu genutzt, an der Kette zu ziehen, um sein Momentum etwas umzuleiten und Levi zu blockieren, sodass Eren in seine Seite geprallt ist und sie zu Boden geworfen hat.
 

Nicht unbedingt dumm. Aber ein Tölpel hätte das noch eleganter gelöst.
 

Bevor Levi sich befreien konnte, saß Eren schon auf seiner Hüfte, klemmte ihn zwischen seinen Beinen ein wie ein Schraubstock das Brett. Levi wurde schmerzlich bewusst, wie kräftig Erens Oberschenkel waren.
 

Als Eren keine Sekunde später die Hände um Levis Hals legte - wohl um zu veranschaulichen, dass er am längeren Hebel saß - verpasste er dem dreisten Balg mit der freien Hand einen saftigen Kinnhaken, der seine Zähne laut aufeinanderschlagen ließ.
 

Eren grunzte schmerzerfüllt und war lange genug abgelenkt, um sich aus seiner Umklammerung winden zu können.
 

Sowie Levi wieder auf den Beinen stand, versuchte Eren sie unter ihm wegzufegen.

Oh, wenn er nur könnte wie er wollte.
 

Levi sprang nach hinten und zog Eren erbarmungslos an der Kette mit sich. Natürlich wollte sich der Bengel nicht herumschleifen lassen und griff ihn erneut direkt an. Kraftvoll sprang Levi zurück, drehte sich und nutzte das Drehmoment, um Eren aus dem Gleichgewicht zu bringen.
 

Obwohl sich Eren in bewundernswerter Geschwindigkeit fing, gelang es Levi nah an ihn heranzutreten und mit beiden Handkanten an seinen Hals zu schlagen.
 

Die seegrünen Augen sahen ihn nicht überrascht an, bevor sie in seinen Augenhöhlen verschwanden und Eren bewusstlos zusammenbrach.
 

Levi fing ihn auf und legte ihn bäuchlings auf dem Boden ab, kramte nach dem Schlüssel, entriegelte seine Schelle und zog Erens Hände auf dessen Rücken. Das Klicken des Schlosses klang unnatürlich laut in der totenstille Halle.
 

Als Levi genervt aufschaute, blickte er in große Augen und offene Münder. Gut, Annie beobachtete ihn neugierig und Ymir grinste gehässig, aber der Rest machte sich zum Affen.
 

Armin fasste sich und zeigte auf Erens leblose Gestalt, die Levi immer noch mit einem Knie im Kreuz fixierte.

„Lebt er noch?“
 

Just in diesem Moment stöhnte Eren auf und begann sich zu regen.
 

Levi ließ von ihm ab. Ein seltenes Gefühl des Triumphes erfüllte seine Brust.
 

Sogleich kam Armin heran und drehte Eren auf die Seite.

„Hey, alles o.k.?“
 

So fest hatte Levi wirklich nicht zugeschlagen. Es war nur kurz. Er würde so eine gefährliche Technik nicht unpräzise einsetzen. Natürlich war er okay.
 

Eren schlug blinzelnd die Augen auf, bemerkte seine fixierten Handgelenke und erstarrte.
 

Sein Blick schweifte zu Armin, dann zur Seite und fand ihn sofort.
 

Wenn Levi geglaubt hatte, er fände Trotz in den seegrünen Augen, wurde er enttäuscht.
 

Eren funkelte ihn feurig an, ein Versprechen in den entschlossenen Augen.
 

Es ließ Levi die Härchen im Nacken und auf den Armen hochstehen.
 

„Na, Prinzessin! Gut geschlafen“, pöbelte Jean, was ihren Blickkontakt unterbrach und Eren wütend zu seinem Lieblingsrivalen sehen ließ.
 

Ein guter Moment für Levi sich zusammenzureißen und das Training abzuschließen.

Jegliches Gepöbel verstummte, als Levi die Stimme erhob.
 

„Alle außer Annie, Sasha und Eren werden heute noch drei Stunden ins Fitnessstudio gehen und eine Stunde schwimmen. Danach habt ihr frei.“
 

„Und wir haben gleich frei?“, fragte Sasha verdattert.
 

Levi nickte und betrachtete die anderen vielsagend. Sie schienen unter seinem Blick zu schrumpfen.

Gut so.
 

***
 

Als Levi aus dem Bad kam, fand er Eren in Trainingsklamotten mit dem Handy in der Hand auf dem Bett sitzend vor.
 

„Schwing deinen dreckigen Arsch von den Laken. Hast du eine Ahnung wie dreckig der Boden ist, auf dem du dich herumgewälzt hast?“
 

Eren sah mit großen Augen auf, gestikulierte ausladend, als er antwortete:

„Es ist egal wo ich mich in dieser Wohnung aufhalte. Selbst den Boden würde ich schmutzig machen, wenn ich mich darauf setze.“
 

„Du kannst stehen.“
 

„Eine halbe Stunde lang?“
 

„Wenn du auch mal die Waschmaschine einräumen und die Fließen putzen würdest, hätte ich nicht so lange gebraucht.“
 

Aufgebracht warf Eren die Hände hoch, den Mund weit zu einer Entgegnung aufgerissen, als ein Scheppern sie beide erst irritiert zur Decke und dann zum Boden sehen ließ, wo Erens Handy gerade über das Parkett neben Levi schlitterte.
 

„Ah, scheiße!“, fluchte Eren laut und raufte sich die Haare, während Levi die Augen verdrehte.
 

„Idiot.“ Er bückte sich nach dem Handy und begutachtete es. Immerhin war es nicht beschädigt. Die Teile hielten zwar eine Menge aus, aber man konnte Erens Handy ansehen, das es mehr als nur ein paar Jahre auf dem Buckel hatte. Die Seiten waren völlig zerkratzt und der Lack an den Ecken abgewetzt.
 

Eine große Hand fischte es aus seinen neugierigen Fingern.
 

Unvermittelt griff Levi nach Erens Unterarm. Nur am Rande hörte er Erens Atem stocken, konzentrierte sich zu sehr auf die aufgeschürfte Haut am Handgelenk.
 

„Du bist ziemlich empfindlich“, stellte Levi überrascht fest und fuhr mit dem Zeigefinger neben der von der Handschelle malträtierten Stelle entlang.
 

Sachte entzog ihm Eren seine Hand und Levi erstarrte.
 

Dennoch sahen seine Augen hoch als unterläge er einem Zwang Erens Reaktion zu erforschen.
 

Er lächelte.

„Danke.“
 

„Hn“, Levi nickte knapp und trat an Eren vorbei, „Häng die Wäsche auf, wenn du fertig bist.“
 

Er hörte Erens Schnauben.

„Ja ja.“
 

„Wie war das?“
 

„Sir! Yes, Sir!“, rief Eren und sperrte sich geschwind im Bad ein, ehe Levi sich umdrehte, um ihm einen Arschtritt zu verpassen.
 

*~*
 

Vielleicht sollte es ihm zu denken geben, dass er eben keinen Gedanken daran verschwendete, wie Levi ihn bewusstlos geschlagen hatte und ihn wegen Banalitäten anpflaumte. Das einzige Bild vor seinem inneren Auge war ein ungewöhnlich jung aussehender Mann, der mit sanften Fingern über die Spuren der Handschelle strich und wie ertappt er angesehen worden war, als Eren seine Hand zurückzog.
 

Warum hatte er seine Hand zurückziehen müssen?
 

Eren hatte sich in diesem Moment geschämt. Trotz seiner Wildheit und Raufereien war seine Haut immer besonders empfindlich gewesen. Was war es für ein Theater gewesen ihn an eng anliegende Kleidung zu gewöhnen, als er in das Waisenhaus in Deutschland gebracht worden war. Die rauen Materialien und Nähte hatten seine Beine, Schultern und den Kragenbereich wundgerieben.

Er war deswegen oft gehänselt worden und die verständnislosen Blicke und das Kopfschütteln der Erzieherinnen taten ihr übriges.
 

Die alte, dämliche Scham für etwas, das er nicht beeinflussen konnte, hatte ihn in diesem Moment ergriffen. Er wollte nicht vor Levi wie eine zerbrechliche Puppe wirken.
 

Er hätte sein Gehirn einschalten sollen.

Obwohl…
 

Hirn, wo bist du? Jemand Zuhause?
 

Die Tatsache, dass ihn Levis Reaktion so zappelig und ruhelos werden ließ, sollte ihn innehalten lassen, doch stattdessen fetzte er durchs Bad, erledigte alles - natürlich - und konnte es kaum erwarten herauszufinden, ob er Levi noch auf andere Art dazu brachte ihn so anzusehen.
 

Sein Herz klopfte aufgeregt, als er aus dem Schlafzimmer kam.
 

Levi saß ganz unspektakulär an der Küchentheke und tippte auf seinem Tablet herum.
 

Mit wenig Selbsterhaltungstrieb und bemüht leger schlenderte Eren um die Theke herum und trat hinter Levi, um ihm über die Schulter zu schauen.

„Was machst du?“
 

Levi sah ihn aus den Augenwinkeln an und Gott, wenn Blicke töten könnten wäre Eren auf der Stelle zu Stein erstarrt. Es wirkte.
 

Als Eren einen Schritt zurückgetreten war, erklärte Levi:

„Ich plane den Einsatz.“
 

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Eren enthusiastisch.
 

Levi schien kurz zu überlegen, ob er sarkastisch oder sachlich antworten wollte.

„Ja, morgen. Wir werden den Plan in der Früh mit Jean und Mylius durchgehen, bevor wir die ganze Einheit einbinden.“
 

Etwas schmollend seufzte Eren.

„Und vorher kann ich nichts machen?“
 

„Doch“, meinte Levi ernst und Eren begann sich schon zu freuen, „Mir von der Pelle rücken zum Beispiel.“
 

„Argh!“ Theatralisch warf Eren die Hände hoch und zog sich in die Küche zurück.

„Dann koche ich eben etwas“, schmollte er.
 

„Aber leise, sonst schmeiß ich dich raus.“
 

Eren streckte ihm die Zunge raus. Vermutlich zu seinem Glück hatte es Levi nicht mehr gesehen.
 

Schweigend schnitt Eren das Gemüse und erhaschte immer wieder einen Blick auf Levi, der hochkonzentriert auf sein Tablet starrte, beiden Augenbrauen genervt zusammengezogen.
 

Mal sehen, wie lange er mich komplett ausblenden kann, dachte sich Eren und schmunzelte still vor sich hin.
 

Tatsächlich nahm Levi erst Notiz von ihm, als der Essengeruch zu ihm durchdrang.
 

„Was kochst du?“
 

Bewusst mit seiner Antwort zögernd, um nicht zu wirken, als hätte er seit einer halben Stunde genau auf diese Frage gewartet, wusch Eren erst das Schneidebrett fertig ab, ehe sich lächelnd zu Levi umdrehte.
 

Er verbuchte es als Sieg, dass Levi derweil nicht weggeschaut hatte.
 

„Hähnchen an Moambe.“
 

Levis Blick forderte ihn zu einer weiteren Erklärung auf.
 

„Ein Gericht aus Kinshasa. Wir haben es dort jede Woche gegessen. Allerdings habe ich keine Palmnüsse gekriegt, Palmnut Cream muss genügen.“
 

„Hm“, machte Levi und konzentrierte sich wieder auf sein Tablet.
 

Echt jetzt?
 

„Riecht es wenigstens gut?“, murrte Eren.
 

„Mhm“, summte Levi zustimmend.
 

Eren schnaubte leise und bewachte das Essen.
 

Erst als er begann den Tisch zu decken legte Levi sein Tablet weg.
 

„Stellen wir uns jetzt gegenseitig die Küchen unserer Heimatländer vor?“
 

„Warum nicht?“ Eren zuckte mit den Schultern und konnte nicht umhin Levi fragend, ob seines angestrengten Tonfalls, anzublicken.
 

Levi schien es zu bemerken und griff nach dem Besteck, dass Eren provisorisch in die Tischmitte gelegt hatte, um es feinsäuberlich neben ihre Teller zu legen.

Wäre der Gedanke nicht beinahe absurd, würde Eren annehmen, dass Levi ihm mit dieser Handlung ausweichen wollte.
 

„Ich hoffe, dass es dir schmeckt. Wie gesagt, es ist nicht originalgetreu und ohne afrikanische Luft schmeckt es sowieso ganz anders.“
 

Levi sah ihn so abrupt an, dass Eren erstarrte. Dann bildete sich ein leichtes Lächeln auf Levis Lippen.
 

„Ich weiß genau was du meinst.“
 

***
 

Eren erinnerte sich nicht mehr daran, wann Levi in jener Nacht ins Bett kam oder ob überhaupt.

Auf jeden Fall stand das Frühstück am nächsten Morgen bereits auf dem Tisch und sie verbrachten den restlichen Tag im Besprechungsraum und tüftelten mit der ganzen Einheit rege an einem adäquaten Einsatzplan, bis sie keinen vernünftigen Gedanken mehr formulieren konnten.
 

In dieser Nacht schlief Eren nicht ein. Zum einen wirbelte der Einsatzplan mit allen möglichen und unmöglichen Eventualitäten in seinem Kopf herum, zum anderen kam er nicht zur Ruhe, solange er nicht wusste, warum Levi auch um Mitternacht noch wach war.
 

Schlaftrunken und unzufrieden schälte sich Eren stöhnend aus der Decke und wälzte sich elegant wie ein Walross am Strand aus dem Bett.
 

Als er die Schlafzimmertüre leise öffnete, fand er Levi immer noch an der Küchentheke sitzend und auf sein Tablet starrend vor.
 

Ein Gähnen unterdrückend, öffnete Eren die Tür vollends und schlurfte gemächlich zur Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.
 

Natürlich hatte ihn Levi sofort bemerkt und beobachtete ihn fragend.

„Was ist los?“
 

„Durst.“
 

„Warum trinkst du nicht im Bad wie sonst immer?“
 

Eren schnaubte und wandte ihm fahrig sein Gesicht zu.

„Sonst beschwerst du dich, wenn ich mich „wie ein unzivilisiertes Balg“ an den Wasserhahn hänge.“
 

„Ah, du merkst dir den Tadel also doch“, stellte Levi mit trockenem Amüsement fest, „Dann hörst du absichtlich nicht auf mich.“
 

Er legte den Kopf schief und tat so als müsse er angestrengt nachdenken.

„Das kommt drauf an.“
 

„Darauf, ob dich gerade Trotz oder Dummheit leitet?“
 

„Gut geraten, aber falsch“, sang Eren spöttisch, „Eher darauf, ob der Tadel gerechtfertigt ist oder nicht.“
 

„Und nach welchem Maßstab bemisst du die Rechtfertigung?“
 

„Nach Zweckmäßigkeit und Angemessenheit.“
 

„Also frei Schnauze.“
 

„Unter Berücksichtigung anderer Schnauzen.“
 

„Mitläufer.“
 

„Apropos Mittläufer, was arbeitest du jetzt noch? Bist du überhaupt noch produktiv?“
 

„Ich bin immer produktiv.“
 

„Selbst im Schlaf?“
 

„Erst recht im Schlaf.“
 

„Wenn ich das in der Schule gewusst hätte, dann hätte ich Herrn Seewald was erzählen können, wenn er mich wegen unpassendem Benehmen wieder nachsitzen gelassen hätte.“
 

„Nur weil ich im Schlaf produktiv bin, musst du es noch lange nicht sein.“
 

„Müssen nicht, aber das macht mein Gehirn schon von selbst.“
 

„Apropos von selbst, wolltest du dir nicht was zu trinken holen?“
 

„Stimmt!“ Eren klatschte in die Hände und machte sich daran ein Glas aus dem Hängekabinett zu fischen.
 

„Was für ein Scheiß“, seufzte Levi und barg das Gesicht in den Händen.
 

„Was?“
 

„Alles.“
 

Eren summte und setzte sich Levi gegenüber, nachdem er sich das Glas gefüllt hatte. Als er sonst nichts sagte, ließ Levi seine Hände wieder sinken und sah ihm in die Augen. Wieder spiegelten sich seine Augen so stark im Licht, das sie eher hellgrau wirkten, keine Spur von dem dunklen blau, das Eren erst so selten ungestört erkennen konnte.
 

Obwohl Eren spürte, dass Levi ihn mit seinem Blick zum Reden bringen wollte, schwieg er weiterhin und begann leicht zu lächeln, als keiner das Blickduell gewann.
 

Levi atmete tief durch und schaltete das Tablet auf Ruhezustand. Er sah in diesem Moment unglaublich müde aus.
 

Aus einem Impuls heraus wanderte Erens Hand über die Theke. Daumen und Zeigefinger zupften zögerlich an Levis Ärmel.
 

Ihre Blicke trafen sich. Eren fühlte sich kurz unsicher, doch dann überkam ihn eine Woge der Zuversicht und er zog frech an dem Ärmel.

Der Ausdruck in seinen Augen musste sich geändert haben, denn die sturmgrauen Augen blitzten geheimnisvoll auf.
 

Dieser Blick ließ ihm heiß werden.
 

Eren war es als befände er sich urplötzlich in einem Vakuum. Sein Herz begann zu rasen, ihm wurde schwindlig.
 

Er hielt Blickkontakt.
 

Der Ausdruck in Levis Augen veränderte sich, doch noch ehe Eren versuchen konnte in ihnen zu lesen, änderte er sich wieder und er atmete langsam durch den Mund aus. Levis Lippen schienen trocken.
 

„Ich gehe mich fertig machen“, erklärte Levi leise, als dürfe man die Stille zwischen ihnen nicht stören, „Heute habe ich tatsächlich keine vernünftigen Gedanken mehr.“
 

Nur heute nicht? Doch es blieb bei einer gedanklichen Hänselei. Es war dumm und falsch, also zog Eren bloß seine Lippen zu einem Lächeln auseinander.
 

Sachte zog Levi seinen Ärmel aus Erens Fingern, der wie erstarrt zurückblieb, und stand tiefdurchatmend auf.
 

Als Levi im Schlafzimmer verschwunden war, ließ Eren den Kopf seufzend auf seine verschränkten Arme sinken.
 

Oh. Mein. Gott.
 

Eren fühlte sich überwältigt von diesen... diesen Zuständen!
 

Woher kam das so plötzlich?
 

Und wieder konnte er nicht leugnen, dass es nicht ach so plötzlich gekommen war.

Doch verstehen konnte er es dadurch auch nicht besser.
 

Resignierend trank Eren sein Wasserglas leer und ließ es stehen. Wenn er es abwusch, musste er es danach abtrocknen, aufräumen und die Spüle trocken wischen... Da holte er sich am Morgen lieber einen Rüffel.
 

Etwas hektisch ging er ins Schlafzimmer, warf sich ins Bett und deckte sich zu, ehe Levi aus dem Bad kam.
 

Stur mit dem Gesicht zur Wand lauschte er den Geräuschen im Bad und schluckte trocken, als sich Levi schließlich neben ihn legte.
 

Der Platztausch hatte sich bewährt. Zumindest rückte er Levi nicht allzu sehr auf die Pelle.

Zumindest nicht unfreiwillig.
 

Es war beinahe wie ein körperlicher Zwang. Er konnte nicht anders, als sich nach unendlich anmutenden Minuten und innerem Für und Wider umzudrehen und mit jeder weiteren dahinfließenden Sekunde zerfloss sein innerer Widerstand - die letzte Festung der Vernunft an diesem seltsamen Abend - und er gab seinem törichten Wunsch nach.
 

Mit angehaltenem Atem rutschte er an Levis Rücken heran, sodass er zusammengerollt wie eine Katze direkt hinter ihm lag und mit seiner Stirn die Stelle zwischen Levis Schulterblättern berührte.
 

Er hörte über sein dumpf pochendes Herz hinweg Levis leisen Atem kurz stocken. Doch als nichts geschah, entspannte sich Eren mit einem lautlosen Seufzer. Er atmete tief durch und ließ sich von Levis Geruch einlullen.
 

Am nächsten Morgen war Levi bereits aufgestanden und das Glas aufgeräumt im Schrank.
 

*~*
 

Den Tag vor dem Einsatz verbrachten sie damit den konkreten Einsatzplan und nochmal alle möglichen Manöver einzustudieren.
 

Eines musste man ihrem Vorgesetzten lassen, er konnte ganz hervorragend Einsätze planen und diskutierte einzelne Punkte gründlich mit ihnen.
 

Armin hatte in seiner beruflichen Laufbahn zu viele selbstvoreingenommene Chefs gehabt, um Levis Kritikfähigkeit nicht wertzuschätzen. Obwohl er mit seiner schnörkellosen Ausdrucksweise und seinen sarkastischen Bemerkungen nicht dem Idealbild entsprechen mochte, genoss es Armin ihn zu beobachten und von ihm zu lernen.

Es ging nur schwer in seinen Kopf, dass dieser kleine, immerzu grantig dreinblickende Mann der Kriegsheld sein sollte. Derjenige, der Long Wang zur Strecke gebracht haben soll.
 

Man hörte lebendiger Geschichte zu, wenn sie sprach.
 

„Was ist so schwer daran zu begreifen, dass du von dieser verfickten Plattform nicht runter klettern kannst?“
 

Und man akzeptierte ihre Unzulänglichkeiten als Nachweis ihrer Authentizität.
 

Eingeschnappt schob Connie die Unterlippe vor und starrte mit verschränkten Armen auf die dreidimensionale Projektion des Hafengeländes, von dem aus sie den Frachter mit der etwaigen Waffenlieferung erreichen sollten.
 

„Sonst noch jemand Vorschläge oder Anmerkungen? Nein? Gut. Es geht morgen um 4:00 Uhr los.“ Mit diesen Worten stand Levi auf und schaltete sein Tablet aus. Die realitätsgetreue Projektion verschwand und das Licht ging an.
 

Armin blinzelte ein paar Mal geblendet, bevor sein Blick zu Eren schweifte. Doch sein Freund bemerkte ihn nicht. Stattdessen sah er ihrem Vorgesetzten nach und ließ sich nebenbei etwas von Reiner erzählen.
 

Er konnte nicht leugnen, dass er von Erens Fixierung auf ihren Vorgesetzten irritiert war.

Armin wollte es als dumme Eifersucht abtun, weil er es nicht gewohnt war, dass es außer ihm und Mikasa andere Menschen gab, denen Eren nah stand. Armin war es gewohnt Erens einziger Freund zu sein. Alle anderen waren bloße Bekannte, die Eren zwar schätzte und freundschaftlich behandelte, aber nicht näher an sich heranließ.

Eren war äußerst wählerisch bei der Auswahl der Menschen, denen er außerhalb des sozialadäquaten Solls seine Aufmerksamkeit schenkte. Besonders als Jugendlicher wirkte Eren dadurch schroff und distanziert, hatte sich mit den Jahren jedoch besser unter einem unverbindlichen Lächeln und hitzigem Gemüt verbergen lassen.
 

Und nun hatte sich Eren Levi ausgesucht?
 

Armin verstand, warum Eren ihn schätzte. Levi hatte ihn gefördert und gefordert wie Eren es gebraucht hatte. Tat es immer noch und war sich nicht zu fein, um mit Eren auf Augenhöhe zu kommunizieren. Levi war genau die richtige Dosis unüblich, um Erens Interesse zu gewinnen.

Abgesehen davon hatte Eren einen Faible für Menschen, die eine gewisse Macht oder Kompetenz ausstrahlten.

Wiederum erging es so den meisten Menschen…

Dass Levi von Erens Ausstrahlung fasziniert war, nahm Armin einfach an, um die Gegenseitigkeit dieser Sympathie zu erklären. Eren war außerordentlich charismatisch, wenn er für ein Vorhaben eintrat. Seine Entschlossenheit war fesselnd und Erwin Smiths gar nicht so unähnlich. Man konnte ihn nicht ignorieren.
 

Warum störte es Armin dann an seiner Interpretation, dass er sich wegen Erens und Levis Freundschaft eifersüchtig fühlte, festzuhalten?

Was störte ihn an dem Bild, das sich ihm darbot?
 

„Armin, kommst du?“
 

Annies Frage ließ ihn hochschrecken. Sie sah ihn abwartend an, während sich die anderen ebenfalls erhoben.
 

„Ja, ich komme“, lächelte er sie an. Obwohl er sie etwas schwer zugänglich fand, hatte er sich in den Wochen des Zusammenlebens mit ihr und Mina gut arrangiert. Es half wohl, dass er bereitwillig im Haushalt half und sich um die Besorgung der Lebensmittel kümmerte.
 

Annie erwiderte das Lächeln leicht und nickte zum Ausgang, ehe sie voranging.
 

Wer weiß, wenn sie nicht aufpassten, freundeten sie sich sogar an.
 

*~*
 

„Salat mit Putenstreifen?“, fragte Eren als er den zurechtgemachten Salat in zwei Schüsseln auf der Theke vorfand.
 

Levi trat aus dem Schlafzimmer.

„Wir müssen immerhin in acht Stunden wieder aufstehen und fit sein.“
 

„Ich beschwere mich nicht, ich habe nur eine Suppe erwartet.“ Sie hatten noch Reste von gestern übrig.
 

„Das wäre zu wenig gewesen.“
 

„O.k.“, lächelnd setzte sich Eren an die Theke.
 

„Hast du dir die Hände gewaschen?“
 

„Nein, Mama“, erwiderte Eren mit frech verstellter Stimme, „Aber ich habe auch nichts ekliges angefasst und esse brav mit der Gabel und fasse kein Essen mit meinen sündigen Händchen an.“
 

Wenn Blicke töten könnten...
 

Sie starrten sich einen Moment lang in angespannter Stille an wie zwei Raubtiere kurz vor dem Angriff.
 

Dann ging alles ganz schnell.
 

Levi stob auf ihn zu, Eren sprang mit einem „Whaa!“ vom Barstuhl und stolperte Richtung Wohnzimmer. Mit mehr Glück als Können entzog er sich Levis Griff und wirbelte herum.
 

Oh man, Levi war vielleicht angepisst. Das sah nicht gut für ihn aus.
 

Nichtsdestotrotz strahlte Eren übers ganze Gesicht und lauerte kampfbereit auf Levis nächsten Schritt. Der schien jedoch etwas mit sich zu hadern. Vermutlich überlegte er sich, ob es diese Albernheit wert war, um ihm eine Lektion zu erteilen.
 

Also nahm Eren ihm die Entscheidung ab und stürzte sich unvermittelt auf ihn.
 

Levi riss überrascht die Augen auf und konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Zumindest nicht völlig. Impulsiv wie Eren zuweilen handelte, ließ er sich im Versuch Levi zu packen ohne zu zögern auf den Boden krachen, bekam knapp ein Bein zu fassen und brachte ihn kurz aus dem Gleichgewicht.
 

Von da an ging's nur noch aufwärts.
 

Während er einen Arm um Levis Kniekehle schlang, krallte er sich mit der anderen Hand in seinen Hosenbund. Mit einem Schnaufen und halben Fluch auf den Lippen fiel Levi zu Boden.
 

Natürlich hätte Levi ihn treten und sich aus seinem Griff strampeln können. Das wussten sie beide, aber genauso wussten sie, dass sie es sich nicht leisten konnten einander vor einem Einsatz zu verletzen.
 

Also musste sich Levi etwas anderes einfallen lassen und Eren nutzte die Gelegenheit.
 

Flink fiel er über Levi her, setzte sich auf seine Oberschenkel, drückte mit aller Kraft die starken Beine mit den seinen herunter und presste seinen Oberkörper eng an Levis, um möglichst keine Angriffsfläche zu bieten.
 

Allerdings war es schwieriger Levis Hände zu fassen und auch diese festzupinnen.
 

Postwendend kassierte er einen erbarmungslosen Schlag auf den Kopf, während sich eine andere Hand in Erens Haare krallte und äußerst schmerzhaft daran zog.
 

Stöhnend ließ Eren locker und sich halb von Levi herunterziehen und schon drehte der den Spieß um und Eren unter sich.
 

Mit roher Gewalt kam Eren bei Levi nicht weiter. Der kleine Mann war ein einziges Kraftbündel.
 

Los, nachdenken! Wie konnte er sich aus der Affäre ziehen?
 

Da fiel ihm sein ohnehin geplantes Vorhaben wieder ein und er grinste schalkhaft.
 

Noch ehe Levi seine Arme herunterdrücken konnte, hörte Eren auf, seine Hände gegen Levis Brust zu stemmen, um ihn auf Abstand zu halten. Er machte das genaue Gegenteil.
 

Die Natur von Erens Berührungen änderte sich so abrupt und deutlich, dass Levi unwillkürlich innehielt. Er musste wirklich ermüdet sein.
 

Erens Hände wanderten in einer fließenden Bewegung von Levis Brust zu seinen Schultern hinauf.

Er erstarrte.

Weiter zu seinem Hals, in sein Genick.

Seine Augen weiteten sich.

Eine Hand umfasste sanft sein Genick, die andere fuhr sacht durch das schwarze, überraschend weiche Haar.

Ein spürbarer Schauder durchfuhr Levi.
 

Oh, wie Eren diese Reaktionen genoss!

Er fühlte sich wie ein Voyeur, der etwas Verbotenes beobachtete.
 

Im nächsten Sekundenbruchteil explodierte ein dumpf-metallener Schmerz an seiner Stirn und schoss wie ein Stromschlag seine Wirbelsäule hinab, bohrte sich in seinen Schädel und ließ seine Ohren betäubend rauschen.
 

Ihm wurde schwarz vor Augen.
 

Wie durch Watte hörte er ein Stöhnen, erkannte am Rande, dass er es selbst sein musste, als er sich vor Schmerz krümmte.
 

Er wusste nicht wie lange es dauerte bis er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, jedenfalls war es für Levi lange genug, um aufzustehen.
 

Gequält blinzelte Eren und rieb sich über den Kopf.
 

„Stell' dich nicht so an. So schlimm kann es nicht gewesen sein“, kam es nüchtern von seiner Linken und er spürte wie sich eine Hand auf seine Schulter legte.
 

Fuchsteufelswild schlug er in Levis Richtung und verfehlte ihn bei weitem. Das tat allerdings nichts zur Sache, es ging mehr um die Botschaft dahinter.
 

Dieser Mistkerl. Wenn er ihn eines Tages in die Finger bekam, dann gnade ihm Gott!
 

Murrend setzte Eren sich auf und rieb sich über die Schläfen. Das war mit Abstand die schlimmste Kopfnuss, die ihm je verpasst worden war.

Warum zum Teufel konnte Levi so tun als wäre nichts gewesen?

Was für einen Sturschädel hatte der denn eigentlich? Den eines Triceratops?
 

Jedenfalls schien mit Levis Kopf - zumindest der Oberfläche - bis auf eine kleine Rötung alles in bester Ordnung zu sein. Er setzte sich völlig entspannt an die Theke und begann sich dem Salat zu widmen.

Dieses Arschloch.
 

Stinksauer und mit einer nicht unerheblichen Portion Scham stand Eren auf, ignorierte das wacklige Gefühl in seinen Beinen und stakste auf die Theke zu, nahm die für ihn bereitgestellte Schüssel und Gabel an sich und stürmte mit einem nicht minder mörderischen Blick davon ins Schlafzimmer.
 

„Pass auf, dass du nicht kleckerst“, rief ihm Levi belehrend hinterher.
 

Eren antwortete mit einer zugeschlagenen Türe und dem dolus directus 1. Grades dafür zu sorgen, dass Levi morgen früh ein Stück Putenbrust unter seinem Kissen fand.
 

***
 

Nachdem sich Eren beruhigt hatte und der Schmerz zu einem dumpfen Pochen hinter seiner Stirn abgeebbt war, kam er nicht umhin sich ehrlich zu schämen.
 

Trotz der gemeinen Schmerzen hätte er sich doch nicht wie ein trotziges Kind im Schlafzimmer verkriechen müssen.
 

Schnaubend schüttelte Eren den Kopf und kaute lustlos auf einem Salatblatt herum.
 

Der Salat war wenigstens lecker. Natürlich.
 

Eine gefühlte Ewigkeit später hörte er das herunterdrücken der Klinke und Levi öffnete die Tür. Der Bastard betrachtete ihn mit unleugbarer Neugier. Der Ausdruck in seinen mandelförmigen Augen erinnerte Eren in diesem Moment ungemein an Hanji. Was Levi wohl von diesem Vergleich halten würde?

Der Gedanke brachte ihn fast zum Schmunzeln, doch er verkniff es sich in Anbetracht der Umstände.

Statt dessen hob er seine Hand und zeigte Levi den Mittelfinger.

Sicherlich nicht die feine Englische, aber von ihm aus konnte ihn Levi mal gern haben.

Scheiß auf die Konsequenzen.
 

Diesmal schien sich Levi nicht an der Respektlosigkeit zu stören, im Gegenteil, es amüsierte ihn.

„Bist du so nachtragend?“
 

„Das ist dein Spezialgebiet.“
 

„Du bist nachtragend.“
 

Eren biss sich auf die Zunge, bevor er sich noch mehr zum Deppen machte und sie herausstreckte.
 

„Du weißt, dass ich rabiat reagiere, wenn ich etwas nicht mag“, meinte Levi nonchalant, „Du bist selber Schuld.“
 

Auf Levinisch war das soviel wie eine Entschuldigung. Eren wusste, dass er nicht mehr kriegen würde und es an einem Wunder grenzte überhaupt adressiert zu werden.
 

Er entschied sich zu schweigen, bevor er noch etwas Dummes tat oder sagte.
 

„Und nun strafst du mich mit schweigen.“
 

Eren schmunzelte unwillkürlich.

„Nein. Tue ich nicht. Ich habe bloß nichts sinnvolles von mir zu geben.“
 

„Das hält dich doch sonst auch nicht ab.“
 

Entnervt stöhnte Eren und stand vom Bett auf, um die Salatschüssel wegzubringen.

Levi stand blöd in der Tür herum und machte keinerlei Anstalten aus dem Weg zu gehen. Abwartend blieb er vor ihm stehen und starrte irritiert in viel zu belustigte Augen.
 

„Wärst du so freundlich?“
 

„Nein.“
 

Eren atmete tief ein... und zwängte sich grob an Levi vorbei, der ihm ein Bein stellte.
 

Mit einer Mischung aus Knurren und überraschtem „Whaa“ strauchelte Eren zwei, drei Schritte, fing sich und ignorierte die Aktion gekonnt.
 

Er hörte ein leises Schmunzeln hinter sich und konnte nicht wirklich böse sein.
 

*~*
 

Levi schalt sich für seine Albernheit und Überreaktion von zuvor. Er wollte Eren keine größeren Schmerzen zufügen und sich auch nicht zum Affen machen. Doch irgendwie...
 

Die Erinnerung an ein Zelt.

Heiteres Gelächter.

Der Geruch von Erde, Hitze und...
 

Er riss die Augen auf und starrte ins Dämmerlicht.

Eren war im Bad und nur das Licht unter der Tür erhellte das Zimmer, ließ die Schwärze wie Staubkörner vor seinen Augen tanzen.
 

Die Leere hatte ihn wieder eingeholt, drückte sein Innerstes nach außen wie unnachgiebige Hände, die eine dicke Baumwolljacke umdrehten.
 

Das Geräusch der Badtür riss ihn aus dem Moor seiner Vergangenheit heraus, ehe er darin versank. Er schloss wieder die Augen und rührte sich keinen Millimeter, als Eren ins Bett krabbelte und sich eine bequeme Schlafposition suchte wie ein unzufriedener Hund, der sich in seinem Korb drehte und drehte und drehte, bis er sich schnaufend hinfallen ließ wie ein nasser Sack.

Eren war nicht gar so theatralisch, nervig war es trotzdem.
 

Obwohl sich Eren danach nicht wie üblich herumwälzte oder ihm auf die Pelle rückte, sondern regungslos liegen blieb, fand er keine Ruhe. Als wenn er auf etwas wartete, das heute nicht geschehen würde.
 

Stattdessen drehte er sich mit einer umständlichen Bewegung um. Der Umriss von Erens Schulter hob sich deutlich von dem Deckenwust um ihn herum an. Die Kontur lud zum Nachfahren mit den Fingern ein, doch es war verboten. Genauso wie es verboten war die Linien einer Marmorstatue im Louvre nachzufahren, zu überprüfen, ob sie sich genauso glatt anfühlte wie sie aussah.
 

Seine Gedanken drifteten wieder ab und es kotzte ihn an mit welchem Schrott er sich befasste. Er hatte ganz andere Probleme. Morgen früh hatten sie einen Einsatz, dessen politische Bedeutung Levis geistige Kapazitäten überschritt. Er musste sich zusammenreißen, fit sein, sein Bestes geben. Wie immer.
 

Er drehte sich frustriert wieder um und wickelte sich fester in die Decke.
 

Das tiefe Einatmen hinter ihm ließ darauf schließen, dass Eren auch noch nicht eingeschlafen war. Wunderbar. Dann lagen sie zu Zweit wach herum. Vor einem Einsatz.
 

Levi ging dazu über an jeden Menschen zu denken, den er heute getroffen hatte. Versuchte sich ihre Gesichter vorzustellen und verglich sie mit Tieren, die zu ihrem Aussehen passten. Das beschäftigte seinen Geist lang genug, um ihn zur Ruhe kommen zu lassen.
 

Unterschwellig bemerkte er, wie sich die Matratze bewegte.
 

Plötzlich schoss ein Schmerz in sein Kreuz und ein Ruck schob ihn nach vorne. Er wand sich dagegen, doch er stürzte hart zu Boden, bevor er sich aus der eng gewickelten Decke befreien konnte.
 

Perplex blieb er einen Moment lang liegen, die Situation längst realisiert, doch...

Eren hatte ihn tatsächlich aus dem Bett getreten!
 

„Na, warte“, knurrte Levi mehr als es verständliche Worte waren.
 

Leider war das sich befreien aus der dicken Bettdecke nicht so dramatisch wie erhofft, trotzdem schien es nach Erens verängstigtem Quietschen zu urteilen bedrohlich genug zu wirken.
 

Das Balg hatte sich unter der Decke versteckt und zusammengerollt. Als wenn ihn das bewahren würde.
 

Kompromisslos griff Levi in die Decke, tastete sich auf Hüfthöhe und umschlang mit den Armen Erens Mitte samt Decke und zog. Und zog.

Der Wichser krallte sich schnaufend an die Ecke der Matratze, gurgelte etwas von Rache und bei allen Göttern, warum konnte der sich so festkrallen?!
 

Levi stützte sich mit dem Fuß an der Bettkante ab und versuchte den unhandlichen Haufen vom Bett zu zerren. Leider ließ der sture Bock kein bisschen locker, sodass er die Matratze an der Ecke hochzog und absehbar wurde, dass er das eine nicht ohne das andere aus dem Bett werfen können würde.
 

„Fuck!“, fluchte Levi, ließ los und änderte seine Taktik.
 

Ziemlich grob riss er an der Decke herum, packte an einem herausschauenden Fußgelenkt und bekam schneller fast eine in die Fresse getreten als es tauglich war.
 

Gut, hielt Levi aufgebracht inne. Mit moderater Gewalt kam er nicht weiter und er konnte schlecht einen seiner Gruppenfrüher - was hatte er sich eigentlich dabei gedacht? - vor einem Einsatz krankenhausreif prügeln.
 

Ein Schwall Schabernack überkam ihn, spülte sämtliche Empörung fort und ließ seine Augenbraue zucken.
 

Unzeremoniell warf er sich auf das Deckenknäuel und begann sich zu Erens Seiten vorzutasten. Für einen Moment schien der die Luft anzuhalten, ehe seine Rezeptoren den Reiz weiterleiteten und er anfing zu gackern wie ein aufgescheuchtes Huhn und lachend herumzappelte.
 

Eigentlich hätte Levi Erens lachbedingte Schwäche ausnutzen und ihn nun rausschmeißen können. Doch irgendwie... Irgendwie war es gut genug ihn mit dieser vollkommen unreifen, albernen Kitzelattacke außer Atem und zum Betteln zu bringen und schlussendlich nach Luft japsend und ausgelaugt auf dem Bett liegen zu lassen.
 

Trotz Levis allgemeinem Unbehagen in Situationen wie diesen fand er nur überquellende Belustigung in sich und nutzte den kurzen Moment schweigender Gedanken, um den hilflos schnaufenden Eren an die Wand zu schieben und sich selbst wieder ins Bett zu legen.
 

„Freu dich auf morgen Nacht nach dem Einsatz. Wenn ich dir sämtliche Knochen brechen kann“, versprach Levi unheilvoll mit grantiger Stimme.
 

„Pfft“, prustete Eren, räusperte sich und wurde abrupt todernst, „Wer wird denn so nachtragend sein?“
 

Levi gab sich diesmal keine Mühe sein genervtes Seufzen zu unterdrücken, was Eren mit einem überdrehten Glucksen kommentierte. Wie ein heiteres Kind. Unmöglich.
 

*~*
 

„Oh, wie geil! Geil! Geil! Geil!“, wiederholte Connie unentwegt und strahlte wie ein kleiner Junge im Spielzeugparadies.
 

„Das ist bloß Ausrüstung“, meinte Mina verständnislos, während sie sich ihre nagelneue Schutzweste überzog.
 

„Das is tsu früh für das“, murrte Ymir kaum verständlich und legte sich wie in Trance die gepanzerten Handschuhe an.
 

Historia warf ihr einen mitleidigen Blick zu, ehe sie in die schwarzen Stiefel stieg.
 

Die Ausrüstung war schwarz und das Emblem auf der Seite zeigte das Wappen der ESE, zwei überkreuzende Schwingen, eine blau, die andere weiß. Die Flügel der Freiheit.

Alles auf dem neuesten Stand und maßgeschneidert.
 

Sie konnten alle Connies Euphorie nachempfinden. Von so einer Qualität konnten so junge Polizisten wie sie nur träumen. Damit musste einfach alles hinhauen.
 

„Schaut mich an, ihr Versager! Hier kommt der Master of Desaster! Yeah, man!“
 

„Boo ja!“, grölte Reiner und schlug mit Connie ein, als habe die Welt nur auf sie gewartet.
 

„Hört auf herumzualbern und kommt“, rief sie Levi zur Ordnung und ließ den Blick prüfend über ihren Chaotenhaufen schweifen, „Auf geht's!“
 

„Ja, Sir!“, erscholl es unisono und bestimmt etwas lauter und inbrünstiger als es der Notwendigkeit entsprach.
 

Der General-Leutnant rümpfte kaum merklich die Nase und drehte sich zum Gehen.

Sie folgten ihm grinsend.

Komme was wolle.

Sie waren davon überzeugt, dass ihr erster Einsatz ein voller Erfolg werden würde.
 

*~*
 

Die Ware machte den Unterschied. Nach welchen Kriterien? Nun, das war ein weites Feld.
 

+++

Sirenengeschrei

Es roch nach alter rostiger Farbe und Getriebeöl. Sasha rümpfte wiederholt die Nase, während sie durch die Containerschluchten im Hamburger Hafen schlichen. Dank des Schutzhelms konnte sie sich leider nicht über die Nase reiben, was sie mit kleinen Seufzern kommentierte, die Mylius sich nach einer gewissen Zeit betont langsam umdrehen ließen. Daraufhin war erst einmal Ruhe, ehe sie wieder unbewusst damit anfing. So sehr sie Mylius als ihren Gruppenführer schätzte, einen bleibenden Eindruck von Autorität hinterließ er bei ihr anscheinend nicht. Und so lange die Kollegen sich nicht beschwerten, konnte die Belästigung via Funk nicht so arg sein.
 

Flink und leise blieb Sasha hinter Mylius in der Nähe von Team Beta und wie es sich eingebürgert hatte begleitete Annie auf der anderen Seite des Hafens Team Alpha.
 

Solche Containerhafen machten ihnen als Scharfschützen keinen sonderlichen Spaß. Es war unübersichtlich und sie konnten sich kein geeignetes Nest suchen und von dort aus in Position bringen. Stattdessen liefen sie nun wie Ratten durchs Labyrinth und versuchten die beiden Gruppen von hinten zu sichern.
 

Schade, dass sie nicht, wie Connie vorgeschlagen hatte, auf die Container klettern und sich so langsam an den Frachter herantasten konnten. Dafür wäre Kletterausrüstung von Nöten gewesen und ja, sie hätten die Container womöglich beschädigt, aber immerhin hätten sie sich hinter den Fassaden verstecken können und nicht auf dem Präsentierteller serviert.
 

Sie konnten sehen, wie die Arbeiter im Scheinwerferlicht die Kräne erklommen und hören, wie die Schiffsbesatzung irgendwelche Befehle und Obszönitäten den Leuten am Land zubrüllten.

Sasha verstand leider kein Wort und nahm einfach an, dass sie in irgendeinen Dialekt sprachen, der ihr nicht geläufig war. Ihr Sprachtalent hielt sich im Gegensatz zu Mina in Grenzen. Sie konnte nur drei Sprachen fließend und verstand ein paar skandinavische Dialekte, ansonsten war sie ziemlich untalentiert.
 

„Team Beta hier. Wir sind auf Position“, kam Erens Durchsage.
 

„Verstanden. Team Alpha ist auch auf Position“, erwiderte Jean.
 

„Auf mein Kommando vorrücken“, befahl Levi.
 

Sie warteten nun darauf, dass die Beladung des Frachters begann, um im Lärm der Kräne näher heranzukommen und die Ablenkung der Arbeiter zu nutzen, um ein Schlupfloch auf den Frachter zu nutzen.
 

Das Geräusch der Krangetriebe ließ Sasha innerlich zusammenzucken. Trotz der an sich leisen Motoren wurde der Hafen nun peu à peu vom Arbeitslärm der Maschinen erfüllt.

Adrenalin schoss durch Sashas Adern noch ehe Levi das Kommando erteilte.
 

Wie sie es schon hunderte Male geübt hatten, rückten sie leise und zügig vor und waren in keiner Zeit auf der Höhe der zu verschiffenden Baumaterialien.
 

Alle bis auf Levi lagen mit den Gewehren im Anschlag auf dem Bauch, während der sich geschmeidig zwischen zwei Paletten mit etwas, das aussah wie Bestandteile von Brückenpfeilern, durchbewegte.
 

„Team Alpha hier. Wir haben ein Problem. Der Frachter wird am Heck von bewaffneten Männern bewacht. Wir kommen nicht unauffällig näher heran, geschweige denn, dass wir eine der Zugänge aufs Schiff nutzen könnten“, berichtete Jean ernüchtert.
 

„Dann wissen wir nun wenigstens, dass etwas faul ist“, funkte Eren dazwischen.
 

Mit etwas scharfer Stimme - eindeutig wegen Erens unnötigem Kommentar - meldete sich Levi zu Wort: „Annie, kannst du die Männer ausschalten?“
 

„Nicht ohne Aufmerksamkeit zu erregen“, antwortete Annie und führte ihre Beobachtungen vorbeugend weiter aus, „Sie stehen in zivil im Abstand von 15 m am gesamten Frachter entlang.“
 

Sie hörten Levi daraufhin hörbar angepisst mit der Zunge schnalzen.
 

Der Frachter war knapp 300 m lang und so viele Menschen konnten sie zu dritt nicht ausschalten, geschweige denn unauffällig genug, um eine Lücke zu schaffen, die zumindest den schnellsten von ihnen Zugang auf den Frachter ermöglichte.
 

„Plan B“, befahl Levi nach kurzer Bedenkzeit, „Beeilung!“
 

Sofern ihr erster Einsatzplan nicht funktionierte, sie keinen direkten Zugang auf das Schiff fanden, sollten sie sich mit der Fracht reinschmuggeln. Zweifellos der schwieriger umzusetzende Plan, doch keineswegs außerhalb dessen, was ihnen bereits abverlangt worden war.
 

Im Schneckentempo tasteten sie sich weiter voran und suchten nach geeigneten Baumaterialien, die ihnen Sichtschutz bieten und mit denen sie auf den Frachter gehoben werden konnten.
 

Sie mussten sich ranhalten, damit der Beladungsvorgang nicht abgeschlossen wurde, ehe sie etwas gefunden hatten.
 

„Vorsicht, Leute!“, warnte Marco, „Hunde! Da hat einer zwei Bluthunde!“
 

„Scheiße!“, fluchte Jean, „Zurück! Wir müssen eine andere Route finden. Team Beta kommen. Alles klar bei euch?“
 

„Team Beta hier. Weder Menschen noch Tiere in unmittelbarer Umgebung“, gab Eren durch.
 

„In 50 m liegen lange Betonrohre aufgetürmt übereinander. Darin könnten wir uns verstecken“, erklärte Levi, der wieder vorgegangen war.
 

„Bei uns sieht's schlecht aus, Sir“, meldete sich Jean wieder, „Wir müssen einen ziemlichen Umweg gehen und der Kran hier lädt nur Container aufs Schiff.“
 

„Handelt nach eurem Ermessen, Kirschstein“, ließ Levi ihnen freie Hand.
 

„Wenn wir die Wärmebild-Masken hätten, würden wir uns leichter tun“, murmelte Armin.
 

Viele schnaubten und summten zustimmend.
 

Mit den Wärmebild-Masken könnten sie sich schneller fortbewegen, denn nur hochspezialisierte Kräfte besaßen Kleidung, die ihre thermische Strahlung nach außen hin abschirmte, was diese Technologie nutzlos machte.

Die Hafenarbeiter und deren Hunde hatten sowas bestimmt nicht an.
 

Leider waren die Wärmebild-Masken personalisiert, konnten also nicht ausgeliehen werden, weil sie sehr teuer waren und dummerweise war der Hersteller aufgrund Insolvenz nicht in der Lage gewesen ihren Satz rechtzeitig zu fertigen. Der Staat hatte wie so oft verpasst einen neuen Hersteller zu finden, der die Teile zu einem vertretbaren Preis lieferte.
 

Plötzlich ertönte zu ihrer Rechten ein entferntes, aufgebrachtes Gebell und synchron dazu das Gefluche von Team Alpha.
 

„Rückzug!“, befahl Jean dringlich, „Die Hunde haben unsere Witterung aufgenommen. Team Beta kommen. Wir kehren zum Checkpoint zurück.“
 

„Fuck!“, fluchte es unisono in ihren Ohren.
 

„Annie, kommen“, meldete sich Mylius, „Kannst du zu uns aufschließen?“
 

„Annie hier. Unmöglich. Es sind fünf Hunde. Drei Männer verfolgen uns. Keine Bewachungslücke.“
 

„Der Kahn ist verdammt schwer bewacht“, kommentierte Ymir ihre Beobachtungen unnötigerweise, „Warum zum Henker ist das bisher niemandem aufgefallen?“
 

„Weil es halb sechs Uhr morgens und stockdunkel ist?“, schlug Sasha vor, „Außerdem werden sie sich schon genug offizielle Gründe dafür zurechtgelegt haben.“
 

Ymir summte zustimmend, während Levi sie anschnauzte.

„Vorwärts!“
 

Nun kamen die Rohre in Sicht, von denen Levi gesprochen hatte. Als riesiges Dreieck ragten sie empor und boten in ihrem Durchmesser sicherlich genug Platz für eine sitzende Person.
 

Sasha hatte keine Ahnung worin diese massiven Betonrohre verbaut werden sollten. Vielleicht bei einer Brücke?
 

Das Hundegebell rückte näher.
 

„Sasha, wir laufen den Hunden entgegen und lenken ihre Route um“, befahl Mylius und da keine Einwände von Levi kamen, wandten sie sich von der Gruppe ab und schritten langsam an den Containern entlang in Richtung Gebell.
 

Es wäre schon ein Erfolg, wenn sie die Hunde davon abbrachten auch noch Team Beta zu behindern.
 

Obwohl sie sich leise und routiniert fortbewegten, könnten sie die scharfen Sinne der Hunde nicht täuschen. Sowie sie drei Containerreihen zwischen sich und Team Beta gebracht hatten, schoss der erste Hund um die Ecke.
 

Mit mehr Glück als Verstand gelang es Sasha sich rechtzeitig außer Sichtweite zu ducken und sprintete los, Mylius direkt neben ihr.
 

Alarmiertes, wütendes Gebell erscholl hinter ihnen und ließ Sasha kalten Schweiß die Schläfe unter ihrem Helm hinab rinnen. Sie würde es nie zeigen oder gar laut aussprechen, doch sie hatte Angst.

Angst vor Reißzähnen, die sich in ihr Fleisch gruben.
 

Wie auf ein unsichtbares Signal hin bog Mylius in eine andere Containerreihe ein, während Sasha geradeaus weiter hetzte.
 

Das Bellen endete so plötzlich, dass es schmerzte. Als wäre der Laut von einem schwarzen Loch verschluckt worden. Sasha musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Mylius das Tier erschossen hatte, sowie es die Abzweigung betrat.
 

„Du Idiot!“, entfuhr es Sasha, „Wie kannst du den Hund erschießen?! Die sollen uns doch nicht bemerken! Wenn die den toten Hund finden, können wir den Frachter vergessen! Die räumen doch alles aus!“
 

„Ups.“
 

Sasha rannte zurück zum toten Hund und winkte Mylius herbei, der etwas betreten heran eilte.

„Und nun?“
 

„Hinhocken“, befahl Sasha und gestikulierte Mylius unwirsch sich herumzudrehen. Der gehorchte irritiert. Die anderen Hunde konnten jeden Augenblick auftauchen.
 

Zügig zog sie ein Seil aus einer Seitentasche und warf es Mylius um die Brust, wickelte es um seine Schultern und packte dann den großen braunen Hund. Mit brachialer Gewalt hievte sie das Tier auf Mylius’ Rücken, der überrascht schnaufte und beinahe nach vorn kippte.
 

„Halt die Pfoten fest.“
 

Behände schlang sie das Seil um das Tier und fixierte es um Mylius’ Becken, dann zog sie Kabelbinder aus einer Hosentasche und befestigte damit die Pfoten am Seil. Zwar war Mylius groß und kräftig, dennoch ächzte er unter der Last des kräftigen Hundes, der sicherlich 40 kg wog.
 

„Gut. Fertig. Jetzt kannst du weiter. Ich lenke die Hunde ab.“ Aufmunternd klopfte sie Mylius seitlich an den Arm.
 

„Hat Sasha ihm gerade den Köter auf den Rücken geschnallt?“, ertönte Jeans Stimme ungläubig in ihren Ohren.
 

„Den toten Köter…“, betonte Connie mit angewiderter Fassungslosigkeit.
 

„Ich glaube schon…“, überlegte Reiner zurückhaltend.
 

„Da bekommt die Wendung „doggy bag“ eine völlig neue Bedeutung“, scherzte Ymir.
 

Verhaltenes Schmunzeln ertönte in ihren Ohren.
 

„Ich brauch’ echt ein Foto! Hey, Sasha! Mach ein Foto!“

Erneut ertönte leises Gelächter.
 

„Schnauze!“, herrschte Levi sie alle an.

Nach einer kurzen Pause fügte er dann mit gewohnt ruhiger Tonlage hinzu:

„Historia, hast du das gespeichert?“
 

„Ja, Sir! Ich hab gleich die Speicherfunktion der Kamera aktiviert, als Sasha zu Mylius zurückgerannt ist.“
 

Sie hatten die Videokameras in den Schutzhelmen schließlich nicht nur um den Einsatz live mitverfolgen zu können, sondern auch um wichtige Entwicklungen während dem Einsatz festzuhalten. Natürlich brauchte man jemanden wie Historia, der abschätzen konnte, welche Situationen eine Speicherung der Aufnahmen empfahlen.

Daneben konnte jeder Polizist natürlich selbst die Speicherfunktion seiner Kameras aktivieren, wenn er es für Angebracht hielt.
 

„Los lauf!“, feuerte Sasha Mylius an, der schnaufend um Gleichgewicht rang und schweren Schrittes davon sprintete. Bei jedem Schritt warf es den Hund auf seinem Rücken wie eine Puppe hin und her. Sasha kam nicht umhin amüsiert zu schnauben. Der Anblick war einfach zu komisch.
 

Ohne weiter Zeit zu verlieren lief sie in die Richtung der Hunde, klopfte einmal sachte an eine Containerwand und rannte anschließend so schnell sie konnte von Mylius und Team Beta davon.
 

Sie hörte wie die Hunde die Verfolgung aufnahmen.
 

Jetzt durfte sie nur keinem Menschen in die Arme laufen, sonst wäre der Einsatz ebenso für die Katz’.
 

Schwer atmend und mit brennenden Muskeln sprintete sie durch die Containerschluchten raus aus dem Hafen.
 

Gemächlich trat ein massiger brauner Hund mit gefletschten Zähnen mitten in ihren Weg.
 

*~*
 

Beinahe lautlos schlichen sie sich an die Betonrohre heran.
 

Innerlich fluchte Eren über die verpasste Gelegenheit direkt auf den Frachter zu gelangen. Der Grad der Bewachung war in der Tat außergewöhnlich. Leider hatten sie wegen Levis bloßer Intuition, was die Relevanz dieser Fracht anging, keine große Auswahl an Einsatzmitteln bewilligt bekommen, sodass sie beispielsweise nicht auf Taucherausrüstung zurückgreifen konnten, um von der anderen Seite des Frachters unauffälliger einen Zugang suchen zu können.
 

Voller Bewunderung blickte Eren in Levis Richtung, der bereits um die nächste Ecke gebogen war.

Er hatte mit seiner Ahnung recht behalten.
 

Mit äußerster Vorsicht versuchte Eren seine Gruppe möglichst schnell zu diesen dämlichen Rohren zu führen, die zwischen Kran und Frachter aufgetürmt lagen, was ein unbemerktes Vorankommen erschwerte.

Glücklicherweise befand sich der Kran noch im Beladungsvorgang, ansonsten hätten sie den Einsatz abbrechen und zu einem weiteren Zugriff im Zielhafen ansetzen müssen.
 

Sowie Eren ebenfalls um die Ecke bog, entdeckte er Levi am Rand der Containerschlucht kauern. Er wartete diesmal auf sie, sodass Eren zu ihm aufschloss, während Reiner, Berthold, Connie und Armin in den anschließenden Containergängen in Position gingen.
 

„Sollen wir alle in die Rohre kriechen?“, fragte Eren skeptisch. Die Rohre waren zwar lang, aber auf diese Weise sechs Leute auf den Frachter zu schleusen, schien ihm ziemlich gewagt.

Abgesehen davon mussten sie die freie Fläche zwischen Containerreihe und Rohrturm überbrücken und hoffen, dass man sie in dem schummrigen Licht der Betriebsbeleuchtung nicht entdeckte.
 

„Nein“, erwiderte Levi, „Nur du, Connie, Armin und ich. Reiner, Berthold, teilt euch auf und sichert uns ab.“
 

„Verstanden, Sir“, ertönte es unisono.
 

Nach kurzer Zeit gaben Reiner und Berthold durch, dass sie ihre Positionen eingenommen hatten und die Luft rein war.
 

Eren spannte seine Muskeln an, um auf Levis Befehl hin die gut 10 m bis zu den Rohren zu sprinten, als das mechanische Geräusch des Krans ihn nach oben blicken ließ.
 

Der Kran schwenkte in ihre Richtung und Eren hörte in diesem Moment auf zu denken.
 

*~*
 

Armin sah Eren bereits aus der Containerschlucht treten, als der Befehl kam vorzurücken. Beinahe gleichzeitig brüllte Reiner, dass sich Männer näherten.
 

Er erstarrte, ob der widersprüchlichen Informationen. Er sah wie Eren geschickt hochsprang und in eines der Rohre kroch, dicht gefolgt von ihrem Vorgesetzten.

Armin war davon überzeugt, dass sie ihnen nicht mehr folgen können würden.
 

Aus dem Augenwinkel bemerkte er wie Connie nach vorne preschte.

„Stopp! Connie! Zurück! Wir schaffen das nicht mehr!“
 

Connie verharrte kurz in der Bewegung, dann erscholl auch schon Levis Befehl.
 

„Rückzug!“
 

Schwungvoll drehte sich Connie um und gab Gas zurück in die Containerschluchten.
 

„Begebt euch zurück zum Checkpoint und berichtet den Leuten in Dover, dass sie sich bereit halten sollen. Und natürlich den anderen Wichsern von der GSG9 und GEG. Historia weiß schon, wen ich meine.“
 

„Verstanden, Sir“, brachte Armin unisono mit den anderen heraus und rannte die Containerschluchten entlang hinaus, betete, dass er ungesehen zum Checkpoint gelangte.
 

Seine Gedanken überschlugen sich.
 

Hoffentlich wurden Eren und Levi nicht entdeckt.

Wenn es zwei schafften sich heil und erfolgreich aus dieser Situation zu lavieren, dann zweifellos diese Beiden.
 

Der Gedanke beruhigte Armin ungemein.
 

*~*
 

Das Rohr bot gerade so genug Platz um sich gebeugt auf den Knien rutschend voran zu bewegen. Glücklicherweise waren die Rohre so lang, ansonsten wäre es unmöglich gewesen auch nur ernsthaft in Erwägung zu ziehen sich hier zu verbergen.
 

Eren hatte sich bereits seitlich gesetzt, um einen der Rohrausgänge mit dem Gewehr im Anschlag zu bewachen. Durch den Schutzhelm konnte er sein Gesicht leider nicht sehen, aber er hoffte, dass das Arschloch angemessen zerknirscht dreinschaute.
 

„Was sollte das, Jäger“, knurrte Levi mit eisiger Stimme.
 

„Es tut mir sehr leid“, sprudelte es aus Eren heraus, „Ich weiß, ich hätte auf den Befehl warten müssen, aber als sich der Kran anfing zu bewegen, hab ich einfach gehandelt...“
 

„Kein „Aber“, Jäger. Du hast zu warten bis du einen Befehl bekommst“, grollte Levi wütend, „Ich hätte den Befehl zum Rückzug geben können und was hättest du dann getan? Wie ein verdammtes Reh zum Abschuss auf dem Platz stehen?“
 

„Ich war-“
 

„Halt dein verdammtes Maul“, zischte Levi mit einer Wut im Bauch, wie er sie gegenüber Eren noch nicht empfunden hatte, „Sei froh, dass es hier so eng ist, sonst würdest du eine Tracht Prügel kriegen. Befehlsketten sind nicht dazu da, um dich zu schikanieren, sondern um Leben zu bewahren!
 

Sowie die Worte seinen Mund verlassen hatten, zuckte Levi innerlich zusammen.
 

Er sah einen strahlend jungen Erwin Smith vor sich Knien, der eben jene Worte eindringlich an ihn wandte, während er im Dreck vor einem Zuber saß und die stinkenden Klamotten der ganzen Truppe mit einer Bürste sauber schrubbte bis ihm die Hände bluteten.

Auch er hatte sich nicht an die Befehlskette gehalten, obwohl er eine vollkommen korrekte Entscheidung getroffen und einen „Aufständischen“ hatte fassen können. Dafür ist er drakonisch bestraft worden, nachdem solcherlei Ungehorsam wiederholt bei ihm aufgetreten war.

Früher hatte er Erwin einen mörderischen Blick zugeworfen und trotzig geschwiegen.

Heute gab er denselben Stuss von sich.
 

Er war damals keine 20 Jahre alt gewesen und hatte den Wahrheitsgehalt dieser Worte erst nach und nach erkannt.

Eren war zwar viel älter und ein erfahrener Polizist, doch wie ihm damals fehlte ihm die Einsicht und das Vertrauen sich in Situationen wie diesen auf seinen Vorgesetzten zu verlassen und gegen sein Naturell passiv zu bleiben.
 

Diese Parallele zwischen ihnen verblüffte Levi auf eigenartige Weise, wusste er doch um Erens Impulsivität und Handlungsweise. Nicht zuletzt hatte er ihn schließlich wegen seiner herausragenden Instinkte im Einsatz zum Gruppenführer bestimmt.
 

Er hatte wohl seinen eigenen Einfluss auf Eren überschätzt. Er schien ihm nicht vollends zu vertrauen, denn Levi wusste, dass Eren ihn respektierte.
 

Ausgerechnet mangelndes Vertrauen?

Diese Erkenntnis versetzte ihm erschreckenderweise einen unangenehmen Stich.
 

Die Gelegenheit sich wegen diesem unpassenden Gefühl zu schelten verstrich mit Erens Erwiderung.

„Ich weiß. Ich habe nicht nachgedacht. Es tut mir leid.“
 

„Das wird seine Konsequenzen haben, wenn wir zurück sind.“
 

Eren neigte den Kopf in einer für ihn typischen betretenen Geste.

„Ja, natürlich.“
 

„Oh, Jäger“, seufzte es grottentief via Funkgerät, „Wann denkst du denn schon mal nach?“
 

„Fresse, Pferdefresse“, schoss Eren zurück.
 

„Beide Fresse“, befahl Levi, ehe Kirschstein zu einer Erwiderung ansetzen konnte, „Team Alpha Statusbericht.“
 

„Wir sind gerade beim Checkpoint angekommen“, berichtete Jean.
 

„Team Beta ist auch gleich dort“, meldete sich Reiner zu Wort, „Der Rückzug verlief ohne Komplikationen, wenn man von Mylius absieht, der einen blutenden Kadaver mit sich herumschleppt.“
 

Einhelliges Schmunzeln und ein genervtes Schnaufen drang zu ihnen durch.
 

„Das ist noch kein Kadaver“, keuchte Sasha plötzlich erschöpft.
 

„Braus, Statusbericht.“
 

Ein theatralisches Seufzen ertönte am anderen Ende der Leitung, doch sie begann zu reden, bevor sich Levi genötigt fühlte sie zurechtzuweisen.
 

„Ich bin in ca. zwölf Minuten beim Checkpoint. Ich musste einen Umweg machen und über Hunde springen. Keine nennenswerten körperlichen oder sonstigen Beeinträchtigungen.“
 

„Gut. Ihr kennt eure Befehle.“
 

„Ja, Sir!“, kam es unisono zurück.
 

„Wir schon“, fügte Kirschstein hinzu und erntete ein aufgebrachtes Schnauben von Eren. Glücklicherweise nicht mehr, sonst hätte Levi ihn treten müssen.
 

Die Stimmen der Hafenarbeiter ließ sie sich wieder ausschließlich auf die Rohrausgänge konzentrieren.
 

Trotz des Tumultes mit den Hunden schienen die Arbeiter, die die Rohre frachtbereit machten, nichts zu ahnen. Sie sprachen irgendeinen furchtbaren Dialekt, den Levi kaum verstand.
 

Zwar konnte Levi hören, wie welche auf die Betonrohre geklettert waren und der Kran wieder in die Gänge kam, doch zu keiner Zeit fühlte er sich bedroht. Wenn alles gut ging, würden sie mit dem Rohr auf das Schiff gehoben werden und dann zusehen, dass sie sich einen Zugang zu der Ladung suchten, um diese auf illegale Gegenstände zu untersuchen oder zumindest das Personal zu beobachten.
 

Erst als die Rohre über ihnen Stück für Stück mit einem donnerartigen Krachen hochgehoben wurden, ergriff Levi wieder das Wort ohne auch nur einen Moment den Blick vom Ausgang abzuwenden.
 

„Konntest du verstehen, wovon die gesprochen haben?“ Immerhin hatte Eren seine Jugend in Hamburg verbracht.
 

„Ja, klar.“
 

„Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?“, knurrte Levi ungeduldig.
 

„Sie denken, dass wieder irgendwelche Sprayer auf dem Gelände waren. Ansonsten haben sie nur von der Arbeit, der Reeperbahn und schlecht kochenden Ehefrauen gesprochen. Hast du nichts verstanden?“
 

„Hätte ich sonst gefragt?“, Levi schnalzte verärgert mit der Zunge, „Was ist das für ein abgefuckter Dialekt?“
 

„Der ist nicht abgefuckt“, echauffierte sich Eren, „Das war Plattdeutsch und es ist gut, dass manche diesen Dialekt überhaupt noch sprechen. Dialekte werden ja allgemein leider eine Seltenheit.“
 

Levi konnte daran nichts schlimmes finden, aber er hatte keine Lust auf eine Diskussion über das Kulturgut regionaler Sprachgepflogenheiten und wollte Eren gar nicht erst animieren.
 

Sie hörten wie die Männerstimmen immer näher kamen und schließlich das Betonrohr direkt über ihnen hochgehoben wurde. Anschließend begannen die Arbeiter Gurte und Ketten um ihr Rohr zu schlingen und am Haken der Hebevorrichtung des Krans zu befestigen. Zumindest schloss Levi dieses Vorgehen aus den Geräuschen um sie herum. Glücklicherweise kam keiner auf die Idee in das Rohr zu schauen.
 

Dann begann sich das Rohr zu bewegen und Levi spannte umgehend jeden Muskel an, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand.
 

Erens Schnaufen ließ ihn zu ihm blicken.
 

Auch er stemmte sich gegen die Rohrwand, doch bei genauerem Hinsehen bemerkte er ein leichtes Zittern in Erens Beinen.
 

Ein Ruck ging durchs Rohr und sie wurden hochgehoben.
 

„Steck die Waffe ein“, befahl ihm Levi und schob seine eigene zurück ins Halfter an seinem Bein.
 

Eren gehorchte und nutzte prompt die freien Hände um sich ebenfalls abzustützen.
 

Levi machte das Schwanken und die leichte Schieflage des Rohrs nicht wirklich was aus. Der glatten Wände zum Trotz fühlte er sich sicher genug. Anders so Eren, der zunehmend hektisch atmete und begann nun sichtbar zu zittern.
 

„Eren“, flüsterte Levi eindringlich, „Du musst dich beruhigen. Du hast genug Kraft, um dich abzustützen.“
 

Stockend atmete Eren aus.

„Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was los ist.“
 

Das war schlecht. Wenn Eren den Halt verlor, würde er vermutlich zu Tode stürzen. Er musste ihm unbedingt die Angst nehmen.

Kurzentschlossen öffnete er sein Visier, sodass Eren seine Mimik sehen konnte.
 

„Mach dein Visier auf“, flüsterte er. Mit geöffnetem Helm funktionierte die Schallisolierung natürlich nicht mehr und sie liefen mit jedem Wort Gefahr gehört zu werden.
 

Fahrig fuhr Eren mit den Fingern den Helm entlang bis er den richtigen Knopf ertastet hatte. Das Visier öffnete sich und machte Levis Blick auf ein ungewöhnlich blasses Gesicht frei.
 

Noch ehe er ein weiteres Wort an ihn richten konnte, schwang das Rohr plötzlich zur Seite.

Erschrocken stemmte sich Levi gegen die Wände und beobachtete wie Eren sich zitternd ebenfalls abstützte und glücklicherweise sicheren Halt fand.
 

Dann kippte das Rohr beinahe senkrecht nach unten und Eren begann langsam abzurutschen. Hinab zu dem vom Scheinwerferlicht grell erhellten Ende.
 

*~*
 

Der junge Mann stand auf dem Dach des Hochhauses, in dem sich sein Büro wie viele hundert andere befand.
 

Er kam stets dort hinauf, wenn er nachdenken musste und sich wenige Minuten Ruhe stahl. Er war sehr müde. Die Arbeit forderte bereits ihren Tribut, raubte ihm den Schlaf und jegliche Zeit für die Kleinigkeiten im Leben, die ihm noch Freude bereiteten.
 

Jetzt zehrten auch noch familiäre Sorgen an seinen Nerven.
 

Sein kleines dummes Brüderchen. Er wusste es doch nicht besser. Er würde dieses Jahr nicht überleben. Er musste ihn irgendwie retten.
 

Nur wie?
 

Verzweifelt rieb er sich über das Gesicht.

Da stand er also mit seinen knapp 30 Jahren und seinem 1.600 €-Anzug und fühlte sich, als hätte er in seinem Leben bereits jetzt unwiderruflich versagt.
 

Er hob den Kopf und sah über die Dächer der Stadt und die vereinzelten Lichter in den angrenzenden Bürotürmen. Es dämmerte bereits. Er war nicht der einzige, der sich die Nacht um die Ohren geschlagen hatte.
 

Für was?

Noch mehr Geld?

Seinen Vater?
 

Für sich tat er das jedenfalls nicht mehr.
 

*~*
 

Levis Gedanken rissen abrupt ab und sein Körper bewegte sich wie von selbst.
 

Von dem einen auf den anderen Moment fand er sich an Eren gepresst wieder, um sich mit ihm zusammen in diesem Rohr zu verkeilen. Und es funktionierte. Eren rutschte nicht weiter hinab in Richtung sicheren Tod.
 

Nach der ersten Überraschung passte sich Eren an die neue Situation an, streckte das rechte Bein, auf dem Levi quasi saß, durch, sodass er sich auf der gegenüberliegenden Wand abstützte und wand seinen rechten Arm unter Levis Achsel durch und presste die Handfläche gegen den Beton, um auch ihn zumindest mit einem Körperteil vorm freien Absturz zu bewahren.
 

Nun konnte Levi auch spüren, wie stark Eren zitterte und drückte sich unwillkürlich noch ein wenig näher. Er bildete sich ein zu bemerken wie Eren sich unter ihm ein wenig beruhigte.
 

Plötzlich hielt der Kran in der Bewegung inne und ließ das Rohr in die andere Richtung kippen. Mit viel Kraft mussten sie sich gegen die unpraktisch runden Wände drücken, um nicht doch noch den Halt zu verlieren. Levi hatte nicht mit einer solch rauen Verladung gerechnet und war im Moment froh, dass er sich nicht um Armin und Connie sorgen musste.
 

Glücklicherweise pendelte sich das Rohr in der Horizontalen ein und wurde langsam wieder heruntergelassen und von den Schiffsarbeitern in Empfang genommen. Auch diese interessierten sich nur dafür die Halterungen zu lösen und auf das nächste Rohr zu warten.

Obwohl der ganze Verladevorgang keine fünf Minuten gedauert hatte, fühlte sich Levi als hätten sie bereits Stunden hier drin gesessen.
 

Eren atmete tief durch und entspannte sich mit einem Mal, was Levi auf ihn runter blicken ließ. Ihre Gesichter trennte knapp zwei Handbreit; eine Tatsache, die Levi auf einmal unpassend bewusst wurde.
 

Doch erst als sie hörten und spürten wie die Arbeiter das nächste Rohr über ihnen abluden, flüsterte Levi ihm zu.

„Wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich meinen, du hättest Höhenangst.“
 

Erschöpft begegnete Eren seinen Augen.

„Tut mir leid“, wisperte er betreten, „Ich weiß nicht, warum mir das plötzlich so eine Angst gemacht hat.“
 

„Anscheinend muss ich dich wie einen Hund durch solche Röhren schicken.“ Zugegeben, selbst in Levis Ohren klang dieser Satz vorwurfsvoll und kühl, umso überraschter war er über das leichte Schmunzeln auf Erens Lippen.
 

„Wenn diese Röhren gute 30 m überm Boden so furchtbar hin- und herschaukeln, könnte es sogar etwas bringen“, entgegnete Eren mit neckisch funkelnden Augen, doch Levi stimmten seine Worte nachdenklich.
 

Er musste Erens Schwächen kennen, wenn er ihn richtig einsetzen können wollte. Und bis heute hatte er gedacht auch alle relevanten Schwachstellen erkannt und ausgelotet zu haben.
 

Was war also der Auslöser für Erens unerwartete Angst?

Er hatte weder Höhen- noch Platzangst und lebensgefährliche Situationen stets mutig gemeistert...
 

„Warst du je in einer ähnlichen Situation?“, hakte er darum nach.
 

Eren überlegte mit gerunzelter Stirn kurz, ehe er den Kopf bedauernd schüttelte.

„Vermutlich ist es die Hilflosigkeit und mangelnde Kontrolle.“
 

„Du bist weder das eine noch fehlt dir das andere. Du stützt dich doch ab.“
 

„Die glatten Wände…“, versuchte Eren sichtlich ratlos seine Reaktion zu erklären.
 

Es nützte nichts weiter darüber zu reden. Sie waren auf dem Schiff, das Rohr würde vorerst nicht mehr bewegt werden. Sie mussten sich um das Hier und Jetzt kümmern und das hieß sich wieder auf ihre eigene Verteidigung zu konzentrieren.
 

Langsam begann sich Levi von Eren zu lösen, der sich sofort zurückzog. Dennoch blieben sie direkt gegenüber voreinander sitzen und mit ihren Beinen leicht verkeilt.
 

Auf der einen Seite war der Ausgang dunkel, schien von den Containern versperrt.

„Bewach den Ausgang.“
 

Levi kroch zu dem dunklen Ende und fand seine Vermutung bestätigt. Eine Containerreihe schloss einen halben Meter von den Betonrohren entfernt an. Zwar konnte sich da einer mit viel Mühe durchdrücken, es war aber eher unwahrscheinlich, dass sich das jemand antat, solange sie nicht entdeckt wurden. Und selbst dann war diese Enge ungünstig für einen Zugriff.
 

Beruhigt robbte er zurück und setzte sich wieder direkt vor Eren, der bereits seine Waffe in den Händen hielt.

„Es dürfte reichen nur den vorderen Ausgang im Auge zu behalten.“
 

Eren nickte mit einem für diese Situation lächerlich entschlossenen Blick. Im Moment geschah nicht viel. Die Arbeiter beluden noch das Schiff und bevor sie die Anker gelichtet und eine gute halbe Stunde auf See waren, würden sie bloß dumm aus dem Rohr schauen.

Vermutlich wollte Eren mit seinem übertrieben anmutenden Ernst bloß seine vorherige Schwäche wett machen.

So oder so konnte es Levi gleich sein. Hauptsache sie wurden nicht entdeckt und konnten sich später etwas umsehen.
 

Mit einem Handzeichen bedeutete er Eren, dass sie vorgehen sollten und kroch Richtung Ausgang.

Etwa fünf Meter vorm Ende blieb er liegen und zog seine Waffe, um wie ein Scharfschütze auf der Lauer auf die Dinge zu warten, die da kommen mochten.
 

Eren hielt leicht hinter ihm an, was Levi genervt dazu veranlasste neben sich zu tippen. Umgehend gehorchte Eren, sodass sie press an press nebeneinander lagen. Bei Erens ständiger Distanzlosigkeit konnte Levi nicht anders als sich leicht über seine jetzigen Allüren zu ärgern.
 

Es dauerte noch eine geschlagene Stunde bis die Anker gelichtet wurden. Sie verweilten regungslos, während in der Zwischenzeit eine weiße Plane über die Betonrohre gelegt und am Schiffsboden mit Haken befestigt wurde. Dadurch waren sie nun vollkommen vor den Augen der Besatzung verborgen, sodass sie die Waffen vorerst griffbereit wegstecken konnten.
 

Von Historia und den anderen erhielten sie lediglich kurze Statusberichte.

Immerhin konnten sie den Einsatz für einen gehörigen Empfang im Hafen von Dover zügig in die Wege leiten, es fehlte nur noch der Startschuss. An der Genehmigung für einen Luftzugriff waren sie zwar noch dran, aber allzu lange konnte auch das nicht mehr dauern.

Erwin würde den Vorgang schon zu beschleunigen wissen.

Wenn sie den Wisch hatten, würde sich Levi um einiges wohler fühlen aus diesem verflixten Rohr zu kriechen und sich auf dem Kahn umzusehen. Ohne Aussicht auf eine Luftrettung überlegte er es sich zweimal, ob er sich mit Eren, in der Gewissheit keinen Fluchtweg im Notfall parat zu haben, hinaus wagte. Es war schweinekalt und sollten sie ins Meer springen müssen, würden sie bei den kalten Temperaturen nicht lange durchhalten; erfrieren oder ertrinken.
 

Ein erneutes Zittern durchfuhr Eren und riss Levi aus seinen Gedanken. Er warf einen verdrossenen Blick zu ihm, betrachtete sein stoisch geradeaus gerichtetes Profil.

„Was?“
 

„Kalt“, nuschelte er, was Levi mit einem ungehaltenen Schnauben zur Kenntnis nahm.

„Ich kann auch nichts dafür“, verteidigte sich Eren murrend.
 

„Wie ein Hundebaby“, flüsterte Levi, dennoch hörte er leises Schmunzeln von ihrem Team, das jedes ihrer Worte über Funk mitverfolgen konnte. Allein die Tatsache, dass die Kameras ausgeschaltet waren, ließ ihnen ein Quäntchen Privatsphäre.
 

Eren fühlte sich sichtlich gedemütigt und versuchte vergeblich ein wenig von ihm wegzurücken. Die runden Wände ließen kaum Raum zum Ausweichen, sodass er prompt wieder an Levis Seite rutschte.
 

Erens Benehmen amüsierte ihn klammheimlich.
 

Levi konnte jedoch nicht abstreiten, dass es trotz der Plane eisig durch das Rohr zog und der Beton, auf dem sie bäuchlings lagen, widerlich kalt war und auch seine Glieder immer schwerer zu werden schienen. Mit der Zeit hatte ihre isolierende Einsatzkleidung versagt, da diese nicht für so lange Bewegungslosigkeit konzipiert worden war. Für solche Situationen wurden typischerweise nur die Scharfschützen entsprechend ausgerüstet.
 

Unwillkürlich fragte er sich, ob er Erens anerzogene Unsicherheit durch seine Kommentare nicht befeuerte. Läge einer seiner anderen Untergebenen hier, würde er das Zittern ignorieren oder versuchen ihre Situation irgendwie zu verbessern. Er durfte Eren nicht mehr oder weniger abverlangen und schon gar nicht aufgrund seines „Sonderwissens“ in Wunden bohren.
 

Resignierend fasste Levi einen Entschluss und drehte sich auf die Seite.

„Komm. Noch müssen wir warten.“
 

Eren schielte befremdet zu ihm. Er schien den Wink mit dem Zaunpfahl nicht zu verstehen, sodass Levi ihn etwas grob an der Schulter packte und ihn zu sich zog. Zwar lag Eren noch auf dem Bauch und konnte deswegen kaum von ihm herumgezogen werden, jedoch begriff er immerhin, was Levi von ihm wollte und drehte sich ebenfalls auf die Seite.
 

Kaum hatte er den linken Arm gehoben, schmiegte sich Eren an ihn als sei diese Geste vollkommen alltäglich. Trotz der Nähe, die in den letzten Wochen zwischen ihnen entstanden war, kam das so überraschend, dass Levi der Atem stockte und ihm kurz schwindlig vor kribbelnder Aufregung wurde.
 

Fuck. Das war schlecht.
 

Plötzlich nahm er den Körper an seinem überdeutlich wahr.

Erens Kopf lag direkt unter seinem Kinn und durch ihre Schutzhelme war es etwas unbequem, viel weniger intim, dafür hielt Eren ihn allerdings mit beiden Armen fest, hatte tatsächlich einen Arm unter ihm durchgezwängt und wenn Levi so zurückdachte, stellte er erschüttert fest, dass er seine Hüfte automatisch angehoben hatte, um es ihm zu erleichtern.
 

Levi wusste nicht wohin mit sich und merkte wie sein rechter Arm unentschlossen über Eren schwebte. Ausatmend ließ er den Arm sinken und umfasste Erens Schulter, ließ seine flache Hand zwischen seinen Schulterblättern ruhen.
 

War es gefährlich hier so zu liegen?
 

Nein, war es nicht, konstatierte er. Beide kämen sie sofort an ihre Maschinengewehre heran, die auf ihren Oberschenkeln seitlich im Halfter steckten. Levi wusste, dass sein Reaktionsvermögen ausreichte und hatte genug Erfahrung mit Eren, um davon überzeugt zu sein, dass auch er schnell genug einsatzbereit sein würde.
 

Wenn er sich nur nicht zu sehr ablenken ließ.
 

Levi musste sich arg zusammenreißen.

Wieso hatte er diesen Unsinn nochmal angeleiert? Weil sie froren, Eren zitterte?

Levi zumindest wurde allmählich sehr warm und er bemerkte wie der Körper in seinen Armen langsam aufhörte zu zittern.
 

Der Einsatzkleidung zum Trotz empfand er diese Umarmung als viel zu intensiv. Er wollte sich gar nicht ausmalen wie er in dieser Situation mit weniger Kleidungsschichten auf Eren reagieren würde.
 

Das nächste Mal sollte er sein Hirn einschalten, bevor er auf so eine Idee kam. Vor allem nachdem er keine Minute zuvor beschlossen hatte Eren nicht anders zu behandeln als die anderen.
 

Hätte er einen anderen Untergebenen in den Arm genommen, um sich wieder aufzuwärmen?

Sicherlich. In der Arktis. Kurz vorm Kältetod.
 

Innerlich seufzend schloss Levi kurz die Augen, sammelte sich und reckte den Hals wieder zum Ausgang. Die weiße Plane flatterte im Wind und bis auf das Dröhnen der Schiffsmotoren drang kein Laut zu ihnen.
 

Und heute früh hatte er sich noch vorgenommen sich von Eren emotional fernzuhalten, um sein unpassendes Verhalten von gestern mit anderen Taten möglichst ungeschehen zu machen.
 

Oh, wie dumm und naiv das von ihm gewesen war.
 

*~*
 

Allmählich kehrte die Wärme in seine steifen Glieder zurück und machte die unsägliche Wartezeit erträglich.

Obwohl er sich für seine bisherige Leistung bei diesem Einsatz in Grund und Boden schämen sollte, waren im Augenblick dennoch sämtliche selbstkritischen Gedanken verstummt. Zurück blieb die Entschlossenheit Levi nicht weiter zur Last zu fallen und die Leistung zu erbringen, für die er eingestellt worden war.
 

Zuversichtlich hob Eren vorsichtig den Kopf und löste sich leicht von Levi, sodass er sich mit dem Ellenbogen abstützten konnte ohne seine Hände vollkommen von ihm zu lösen. Überdeutlich bemerkte er wie Levis Finger nur nachlässig an seiner Seite herab rutschten.
 

Als sich ihre Augen begegneten, fühlte er sich auf irritierende Art und Weise wie elektrisiert oder eher magnetisiert. Er hörte seine Umgebung - alles - sah jedoch nur Levis Augen, die ihm bis auf die Seele zu blicken schienen. Es war einer der seltenen Momente, in denen sich das Licht nicht in seinen Augen spiegelte und er ganz genau erkennen konnte, dass sie nicht grau, sondern tiefblau waren. Dunkel wie die Tiefsee und genauso undurchschaubar; zumindest war Eren unfähig eine einzelne Emotion herauszulesen.
 

Wie von selbst bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen und er hauchte Levi ein stummes „Danke“ entgegen.
 

Warum sprach er den Dank nicht laut aus?

Weil die Situation zu privat und unprofessionell für die Ohren ihrer Kameraden war?
 

Levis Ausdruck veränderte sich und obwohl Eren weit davon entfernt war Levis Gedanken zu erraten, beschleunigte sich sein Herzschlag. Überschäumender Wagemut überkam ihn und der Wunsch Levi verschiedene Reaktionen zu entlocken ließ ihn tief durchatmen.
 

Dieser alberne Impuls war vollkommen fehl am Platz.

„Wann sollen wir uns umsehen?“, wisperte Eren, um seine Gedanken wieder zu ordnen.
 

Levi kniff die Augen leicht zusammen. Ein sanfter Atemzug streifte Erens Wange.

„Komm.“
 

Sie lösten sich voneinander und drehten sich wieder auf den Bauch, als wäre es völlig normal sich in die Arme seines Vorgesetzten zu werfen, um sich zu wärmen. Eren konnte sich nur wundern, warum Levi es ihm angeboten hatte, nahm jedoch an, dass der Zweck schlicht die Mittel heiligte und zwei Eiszapfen nicht mit Agilität glänzen konnten.
 

Langsam krochen sie auf den Ellenbogen und Knien bis zur Plane vor. Sie war ungefähr zwei Meter unterhalb ihres Rohrs am Boden verhakt worden, was sie nur dank der schrägen Abspannung erkennen konnten. Nach oben und zu den Seiten hin konnten sie leider bloß schätzen, wie viele Rohre über und neben ihrem aufgestapelt lagen.
 

Levi warf ihm einen unmissverständlichen Blick zu, der Eren nicken ließ, bevor er das Visier wieder schloss und ein mattschwarzes Spezialglas sein Gesicht vollkommen verbarg.
 

Eren tat es ihm gleich und stellte die Frage, die wohl beide gleichermaßen interessierte.

„Historia, kommen. Wurde der Luftzugriff genehmigt?“
 

„Marco ist noch am Verhandeln. Sie stellen sich stur, weil sie Angst haben, dass die Presse Wind bekommen könnte und bei einem Fehlschlag die Bevölkerung nur weiter verunsichert. Aber Marco scheint sie allmählich weich zu kochen. General Smith ist ebenfalls dran.“
 

„Scheiß Bürokraten“, fluchte Levi neben ihm, „Historia, wie lange dauert es bis wir in Dover ankommen?“
 

„Die berechnete Fahrtdauer beträgt ohne Zwischenfälle noch 76 Minuten.“
 

„Verstanden. Wir werden uns auf dem Schiff umsehen. Schickt uns den Heli, sobald ihr die Genehmigung habt.“
 

„Verstanden, Sir.“
 

Levi nickte ihm zu und sie überbrückten den letzten Meter bis zur Kante.
 

*~*
 

Genervt schnalzte Jean mit der Zunge und verschränkte missgelaunt die Arme vor der Brust.

„Was heißt da, wir können nicht auf die Satellitendaten zugreifen? Unsere Leute sind auf diesem Schiff und-“
 

„Nur weil euer Schirmherr so auf die Kacke haut, heißt das nicht, dass ihr unser Spielzeug bei jedem Fingerschnippen mitverwenden könnt, “, unterbrach ihn der Geheimdienstmitarbeiter schroff, „Die Polizei und das Militär haben genug eigene Aufklärungstechnologie und was habt ihr schon vorzuweisen?“
 

„Muss ich die Sachlage für Sie etwa buchstabieren?“, knurrte Jean und musste sich fest an seinen Geduldsfaden klammern.
 

„Die GEG unterstützt eure Einheit bereits zu Genüge und ich kann euch nicht einfach den Zugriff auf hochsensibles Datenmaterial gestatten. Das geht einfach nicht.“
 

„Und was, wenn auf dem Schiff Waffen für die nächsten Anschläge transportiert werden? Wollen Sie verantwortlich für weitere hunderte Tote sein?“
 

„Ich bitte Sie, Herr Kirschstein. Was ist das denn für eine Argumentation? Der Frachter wird von uns überwacht und in Dover mit uns und der GSG9 gefilzt. Dafür braucht ihr nicht auch noch Zugriff auf unsere Satelliten.“
 

Jean kam nicht weiter. Er konnte nicht von der GEG verlangen ihnen die Zugriffsschlüssel zu geben und stand schön doof da, wenn er zugeben musste, dass die Polizei mit veralteter Technologie arbeitete und der Militärsatellit zu ungünstig stand, um die Bildqualität zu liefern, die sie im Moment in der geografischen Region brauchten.
 

„Euer Satellit ist der Einzige, der momentan die Bilder liefern kann, die wir zur Beobachtung brauchen“, erklärte Jean und blickte dem dunkelhaarigen Mann nachdrücklich in die braunen, sturen Augen.
 

„So viel Vertrauen müssen Sie der GEG schon entgegen bringen, Herr Kirschstein. Wir haben ein Auge auf den Frachter und eure Leute, sollten sie sich im Freien aufhalten“, sprach der Mann mit etwas milderem Ton beschwichtigend.
 

Jean hasste es die Kontrolle abgeben zu müssen. Er hasste es blind zu sein. Historia und Hannah beobachteten den Einsatz zwar zumindest über die BodyCams, sollten Eren und Rivaille die Rohre verlassen, aber sie konnten sie nicht vor Gefahren warnen, die ihnen Satellitenbilder offenbaren könnten.

Der GEG vertraute Jean in diesem Fall herzlich wenig.

Der Geheimdienst stand in ungeheuerer Kritik wegen der nicht vorhergesehenen Anschläge und ihrer schlechten Aufklärungsarbeit, da kam eine umstrittene Einheit wie die ESE ihnen wie eine Ohrfeige vom Verteidigungsminister höchstpersönlich vor. Sie hatten sicherlich noch viele eigene Kriegsschauplätze, die der ESE verborgen blieben und die für die GEG sicherlich wichtiger erschienen, als ein suspekter Frachter mit einem klaren Zielhafen.

Von den internen Konkurrenzkämpfen ganz zu schweigen.
 

Der Sicherheitsapparat musste definitiv reformiert werden, doch diese Erkenntnis brachte Jean in dieser Situation natürlich nicht weiter.
 

„Jean! Wir haben die Freigabe für den Helikopter und können jetzt mit dem Jet nach Dover fliegen“, rief ihm Marco zu, der zuvor am Telefon gehangen und mit Gott weiß wem herumdiskutiert hatte.
 

Aufatmend strich sich Jean durch die Haare.

„Immerhin etwas.“
 

„Wir passen schon auf eure Leute auf“, versprach der Geheimdienstmitarbeiter versöhnlich.
 

„Sie tun es nicht und Ihren Kollegen sind die meinen wohl kaum wichtig genug“, erwiderte Jean hart und ließ den indignierten Mann in dem modrigen Keller der baufälligen Bar auf der Reeperbahn stehen.
 

Wenn man wollte, dass etwas erledigt wurde, musste man es selbst tun. Und sie taten nichts.
 

*~*
 

Die Nachricht, dass sie die Freigabe für den Luftzugriff bekommen hatten, beruhigte Eren ein wenig, während er mit Levi durch die Containerreihen schlich.
 

So gut die Überwachung des Schiffes im Hafen gewesen war, so nachlässig wurde sie nun gehandhabt. Es gab weder Überwachungskameras noch Wachleute auf der Ladefläche, sehr zu ihrer Erleichterung. Natürlich würde es schwieriger werden, sobald sie das Schiffsinnere betraten, daran hatte Eren keinen Zweifel.
 

Sie hatten die Qual der Wahl. Bei dieser Unmenge an Containern schien selbst Levi unschlüssig, welchen sie als erstes öffnen sollten.
 

„Lass uns halt einfach irgendwo anfangen“, schlug Eren vor und deutete auf einen schmutzigroten Container direkt neben ihnen. Er erntete daraufhin ein resignierendes Schnauben und einen mit Sicherheit genervt dreinschauenden Levi, der Dietrich und ein Mini-Decodiergerät hervorzog.
 

„Dann lass uns mal nach der Büchse der Pandora suchen.“
 

***
 

Nach einer knappen halben Stunde hatten sie 24 Container geöffnet und lediglich gewöhnliche Waren gefunden. Die Zeit lief ihnen davon und sie wollten sich zum Ende der Fahrt noch in das Schiffsinnere wagen.
 

Levi verschloss sorgfältig einen zuvor inspizierten Container mit verpackten Metallwaren, ehe er sich an Eren wandte.

„Wir sollten uns einen Eingang zu den unteren Decks suchen. Das hier ist uferlos.“
 

„Verstanden.“
 

Hintereinander schlichen sie die Containerreihe entlang Richtung Achtern, wo sich die Steuerzentrale und die Türen ins Schiffsinnere befanden.
 

Ein Geräusch, wie aus einem Radio ließ Eren innehalten.

„Stopp.“
 

Levi erstarrte alarmiert.
 

„Ich höre etwas“, erklärte Eren schnell, „Es könnte aus diesem Container kommen.“
 

Eren senkte seine Waffe und trat direkt vor den Container, lauschte.
 

Da war es wieder!

Wie Gemurmel drangen Laute aus diesem Container.
 

Levi trat neben ihn.

„Ich höre es auch. Sind das...?“ Eine rhythmisches Raunen drang aus dem Container und jagte ihnen eine Gänsehaut ein.
 

„Gelächter?“, beendete Eren Levis Gedanken und starrte auf die rostigblaue Farbe der Containerwand.
 

Da waren Menschen drin.
 

„Den Lauten nach zu urteilen handelt es sich nicht um den üblichen Menschenhandel.“
 

„Es könnten illegale Arbeiter sein.“ Solche wurden oft genug aufgegriffen und Eren wusste nicht ob er hoffen oder befürchten wollte oder sollte, dass sie eine größere Entdeckung gemacht hatten.
 

„Diese Container kommen von überall her und werden im Zweifel bis an den Arsch der Welt transportiert“, wandte Levi ein, „Da kann alles drin sein, aber bis Dover ist es zu riskant reinzusehen.“
 

„Ja.“ Eren nahm eine kugelschreiberähnliche Sprühflasche aus einer der Beckengürteltaschen und markierte den Container mit einem transparenten Schaum, der von Wärmebildkameras als tiefroten Fleck erkannt werden würde.
 

Wortlos wandten sie sich von dem Container ab und setzten ihren Weg bedächtig fort. Sie brauchten ihre Entdeckung nicht zusätzlich zu kommunizieren, sowohl die BodyCam als auch die in ihrem Schutzhelm war aktiviert. Historia und Hannah wussten wie sie die neuen Informationen auszuwerten hatten.
 

Sie gelangen problemlos bis zu der letzten Containerreihe vor den Aufbauten und den einzigen Zugängen, die sie ohne weitere Ausrüstung verwenden konnten. Connie hätte Seile und Haken mit sich geführt, mit denen sie sich von der Reling aus seitlich am Schiff einen Zugang hätten suchen können. Eren war hingegen mit mehr Waffen ausgestattet. Ein Gewehr, zwei Pistolen und fünf verschiedene Messer, die er hoffentlich nicht einsetzen musste.
 

Gemeinsam schlichen sie möglichst weit nach rechts, so dass sie zwar noch Schutz zwischen den eng stehenden Containern fanden, jedoch nicht sofort von der Kommandobrücke aus zu entdecken waren.
 

„Warum zögerst du?“, rutschte es Eren heraus, als er Levis abwartende Haltung sah und zuckte peinlich berührt zusammen, wie ihm seine unqualifizierte Bemerkung bewusst wurde. So durfte er nicht mit seinem Vorgesetzten sprechen. So konnte er nur mit seinem Freund sprechen.
 

Levi überging diesen Fehltritt glücklicherweise und blieb sachlich.

„Wenn wir durch diese Tür gehen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns Kameras oder Wachleute entdecken. Wir könnten warten und den Kahn im Hafen mit Unterstützung filzen.“
 

Er war also tatsächlich unentschlossen.

„Wozu haben wir das Schiff denn sonst betreten?“
 

„Weil du nicht gehorcht hast“, erwiderte Levi scharf.
 

„Und wo läge der Unterschied, wenn wir Connie und Armin noch dabei hätten?“

Gut, das gehörte sicherlich auch nicht zu den Einwänden, die man seinem Vorgesetzten gegenüber während eines Einsatzes entgegenbringen sollte.
 

„Eren“, warnte Levi ihn und rollte das „R“ dabei auf seine eigentümliche Weise, die Eren jedesmal eine Gänsehaut bescherte. Meistens vor Angst.
 

Kurz spielte Eren mit dem Gedanken sich zu entschuldigen, verwarf ihn jedoch schnell wieder. Es hätte seinen Fauxpas bloß zementiert. Also schwieg er betreten.
 

„Historia, wie schnell kann der Helikopter hier sein?“
 

„Ähm, bei eurer jetzigen Position bräuchte er 16 Minuten, aber mit jeder Seemeile, die ihr zurücklegt, sind es 30 Sekunden weniger.“
 

„Warum braucht der solange?“
 

„Der Helikopter steht noch in Kingston bei London.“
 

„Wer auch immer dieses Drecksteil steuert, soll seinen Arsch reinschwingen und nach Dover fliegen. Wir gehen rein und brauchen einen Heli der gottverdammt nochmal in unter zehn Minuten unsere Ärsche einsammeln kann.“
 

„Verstanden, Sir.“, bestätigte Historia ein wenig atemlos.
 

Dann wandte sich Levi ihm zu.

„Wie wir es geübt haben.“
 

„Ja, Sir“, nickte Eren entschlossen. Solche Einsätze hatten sie in ihrer Ausbildung bis zum Kotzen durchexerziert.
 

*~*
 

Fließend und schnell wie der fliegende Schatten eines Raubvogels rückte Levi vorwärts, gedeckt von Eren und schlüpfte im Licht der Schiffsbeleuchtung zu einer der seitlichen Türen.
 

Unverschlossen und unbewacht. Weder Wachleute waren auszumachen noch begann der in seiner Brusttasche installierte CamDetector zu vibrieren. Natürlich konnte das Gerät nicht alle Signale von versteckten Kameras empfangen, da die Kräfte der Polizei selten so fix arbeiteten wie ihre kriminellen Gegenspieler.

Wer etwas wollte, bekam es in der Regel auch.

Ihre Ausrüstung war nichtsdestotrotz geeignet ungefähr 95% der Kamerasignale auf der Welt zu empfangen und dem Träger rechtzeitig mittels verschiedenen Vibrationsmustern die Entfernung zu der nächsten Kamera anzugeben.
 

Schritt für Schritt tastete sich Levi in dem spärlich beleuchteten Korridor vorwärts, wohl wissend, dass sich Eren fünf Schritte rechts hinter ihm befand.
 

Das Bauchgefühl sagte Levi, dass sie im Unterdeck mit ihrer Suche beginnen sollten und suchte schnurstracks den Weg über eine schmale Treppe hinab.
 

Brr Brr Brr
 

Als der CamDetector anschlug, fühlte er sich in seiner Ahnung bestätigt und ließ den Zugang zum Zwischendeck hinter sich. Außer dem eintönigen Dröhnen der Schiffsmotoren war kein einziges Geräusch zu vernehmen.
 

Brrr Brrr Brrr
 

Sie kamen dem überwachten Abschnitt immer näher und als Levi am Treppenabsatz zum Eingang des Unterdecks standen, atmete er tief durch.
 

Ohne Aufforderung überreichte Eren ihm eine kleine transparente Kugel. Dieses unscheinbare Miststück brauchte Levi sich bloß auf Höhe des CamDetectors an die Brust zu halten und sie speicherte in ihrem Inneren bis zu zwölf verschiedene Signale, wandelte diese um und störte das Bild der Kameras für drei bis sechs Sekunden - die am weitesten entfernte Kamera am längsten.

Dumm wurde es bloß, wenn mehr als zwölf Kameras einen bestimmten Raum überwachten, das war jedoch sehr selten und nur ein Problem in Banken, Museen oder Regierungssitzen. Orte, an denen sich viele Menschen aufhielten und einige davon mit der falschen Intention.
 

Sowie Levi die Türe zum Unterdeck öffnete, wurde die Warnung des CamDetectors noch nachdrücklicher, verstummte einen Moment später jedoch, als die Kugel schwungvoll und leise wie eine Acrylglasmurmel den Gang entlang rollte.
 

Zügig drang er mit Eren in den Gang vor und hielten nach den Kameras Ausschau, fand auf die Schnelle jedoch nichts und hastete zu der nächstgelegenen Türe, bei der der CamDetector nicht anschlug. Eren öffnete diese und fand einen Abstellraum vor. Doch ihnen blieb keine Zeit woanders hinzurennen, bevor die Störung aufhörte, also biss Levi die Zähne zusammen und schob sich mit Eren in den kleinen dunklen Raum.
 

Keine Sekunde zu spät, wie sie die Dauervibration ihrer Detektoren wissen ließ, als sie wie die gepanzerten Sardinen aneinandergequetscht in diesem Witz von einer Kammer standen.
 

Wortlos kramte Eren eine weitere Kugel, die intern liebevoll als Mätressenbooster bezeichnet wurde, heraus und drückte sie Levi in die Hand.
 

„Kannst du das nicht selber machen?“
 

„Ich dachte, du willst wieder?“
 

„Tch.“
 

„Soweit ich mich erinnere führt der rechte Gang zu zwei größeren Räumen.“
 

So wusste es Levi auch. Er nahm wohlwollend zur Kenntnis, dass sich Eren den Bauplan des Schiffes gut gemerkt zu haben schien. Während der Ausbildung hatte es ihm stets große Mühe bereitet sich Pläne detailliert einzuprägen.
 

„Ja, wir gehen dorthin“, Levi hielt sich die Kugel an die Brust, „Los geht’s.“
 

Wieder öffnete Levi die Türe einen Spalt breit und ließ die daumennagelgroße Kugel den Gang hinunterrollen. Die Vibrationen hörten auf und sie liefen zügig und vorsichtig weiter, sammelten die beiden Kugeln flink auf, bogen rechts ab und schlugen den Mann nieder, der ihnen entgegenkam.
 

*~*
 

„Wie läuft’s?“, erkundigte sich Jean bei Historia, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass sich jeder von seiner und Erens Gruppe einen Müsliriegel zwischen die Kiemen geschoben hatte. Sie flogen mit ihrem Jet gerade nach Dover und wer wusste schon, wann der heutige Tag endete.
 

Sie sah nicht von ihren Monitoren auf, als sie trocken erwiderte:

„Gut, sie haben gerade zwei Männer bewusstlos geschlagen und es wohl rechtzeitig in einen unbewachten Lagerraum geschafft.“
 

„Was?!“ Entsetzt und mit großen Augen stellte sich Jean neben Historia und blickte auf die Monitorwand, auf der vier Bildschirme gerade aktiv waren. Levis und Erens Körper- und Helmkameras zeigten einen schlecht belichteten Raum mit Lagerregalen, Paletten und Metallkisten.
 

„Du hast die Action eben verpasst“, grinste Historia hämisch.
 

„Du bist der Teufel“, erkannte Jean ungläubig, „Wie kannst du hier so regungslos sitzen, wenn dort die Hölle losbricht?“
 

Historia warf ihm kurz einen verständnislosen Blick zu.

„Es ist alles in bester Ordnung.“
 

„Hn.“
 

Hart klopfte ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter und Ymir lachte ihm ins Ohr.

„Das ist halt kein Job für schwache Nerven, Kirschstein.“
 

„Was-!“
 

„Ruhe!“, raunte ihnen Historia streng zu, „Ich muss mich konzentrieren.“
 

Peinlich berührt zuckte Jean zusammen und auch Ymir ließ mit einem betretenen Grinsen von ihm ab und setzte sich still neben Historia.

Zu dritt starrten sie nun auf die Monitore und beobachteten ihren Boss und Eren dabei, wie sie sich wohl auf die zweite Ebene eines der Lageregale hievten. Jean fand es schwer ihren Bewegungen mittels der Kameras zu folgen und verstand, warum sich Historia konzentrieren musste. Ihm wurde nach zwei Minuten bereits leicht schummrig und war dankbar, dass er außer bei seiner SEK-Ausbildung nie länger diesen Job machen musste.
 

„Kannst du für uns laut schalten?“, flüsterte Ymir und bekam, mit einem Knopfdruck und mahnenden Blick still zu sein, was sie wollte.
 

Eren und der Boss waren gerade dabei eine dieser Metallkisten zu knacken und schienen ziemlich ungemütlich auf den Balken des Lagerregals zu hocken.

Man hörte nur ihren etwas angestrengten Atem, was der ganzen Sache den Eindruck eines Videogames verlieh.
 

Der Deckel sprang auf und sie hörten simultan ein Schnauben und ein scharfes Lufteinziehen.
 

Jean kniff die Augen zusammen, um in diesem miserablen Licht etwas erkennen zu können und stockte überrascht.

„Sind das-?“
 

„Historia, kommen“, ertönte Levis Stimme, „Standen Handgranaten und Maschinengewehre auf der Warenliste unseres rechtschaffenen Bauunternehmers?“
 

„Nein, Sir. Ich gebe die Informationen weiter. Laut Satellit hat sich eure Fahrtgeschwindigkeit verringert. Es sind dadurch noch ungefähr 38 Minuten bis zur Ankunft.“
 

„Verstanden. Wir machen uns auf den Weg hier raus.“
 

„Ja. Sir.“ Daraufhin begann Historia etwas frenetisch in das vor ihr liegende Tablet zu tippen.
 

Ymir schaute ihr mit neugierig zusammengezogenen Augenbrauen über die Schulter.

„Menschenschmuggel?“
 

„Was?“, fragte Jean leise nach und starrte mit kugelrunden Augen zu den beiden Frauen.
 

„In einem der Container waren Menschen zu hören“, erklärte Historia kurz angebunden.
 

Jean sparte sich eine Erwiderung und wandte sich wieder den Monitoren zu, als sich in dem Moment ihre restlichen Kameraden zu ihnen gesellten und sich von Jean im Flüsterton erzählen ließen, was bisher geschehen war.
 

Inzwischen flohen Levi und Eren in fließender Professionalität durch die Gänge Richtung Oberdeck.
 

*~*
 

Bis auf die zwei Wachmänner, die sie niedergeschlagen, geknebelt und im letzten Eck des Lagerraumes hingelegt hatten, kamen sie ohne Zwischenfälle voran. Zwar konnten sie nicht sagen, ob es sich bei den geschmuggelten Waren und Menschen bisher um die übliche Kriminalität handelte oder sie dem Terrorismus dienen sollten, dennoch war der Einsatz ein Erfolg. Man fand nicht jeden Tag, nicht einmal monatlich eine illegale Lieferung diesen Kalibers, geschweige denn im Frachter eines wohlhabenden Bauunternehmers.
 

Eren konnte nicht anders als Levi bewundernd zu betrachten, als sie vor der Türe zum Außendeck standen. Mit diesen spärlichen Hinweisen hätte keiner sonst gearbeitet. Levis Intuition war einzigartig.
 

Ganz langsam drückte Levi den Hebel herunter und die schwere Türe auf, Eren deckte ihn von der Seite, da sah er eine Menschenansammlung auf dem Platz zwischen ihnen und den Containern und ließ sie postwendend wieder zufallen.
 

Sie wandten sich zueinander. Auch ohne Levis Gesicht erkennen zu können, sah er den angepisst-nüchternen Blick vor seinem inneren Auge.
 

„Ich glaube, es waren mehr als zwanzig“, flüsterte Eren.
 

„Es waren auch mehr als dreißig. Auf der anderen Seite standen auch noch welche.“
 

„Wir sollten uns hier irgendwo verstecken.“
 

„Ja“, nickte Levi und ging voraus den Korridor entlang, als es auf einmal metallisch knallte und laute Stimmen vor ihnen erschollen.
 

Sie erstarrten, sich wohl bewusst, dass sie nicht zur nächsten Türe gelangen würden, ohne ihrer Gesellschaft in die Arme zu laufen, die jeden Augenblick um die Ecke kommen und sie entdecken würde.
 

Eren entriegelte simultan mit Levi seine Pistole und schritt auf die Leuten zu, die um die Ecke kamen.
 

„Historia, Luftzugriff.“
 

„Ja, Sir!“
 

Als die Leute um die Ecke bogen, verstummten die Gespräche abrupt, Verständnislosigkeit und Verwirrung schlug ihnen entgegen. Dieser winzige Moment, in dem man eine Stecknadel hätte fallen hören können, reichte Levi um vorzustürmen und einen der Männer niederzuschlagen.
 

„Auf den Boden!“, brüllte Eren, „Auf den Boden oder ich schieße!“
 

Es waren sechs. Sechs hochgewachsene, kräftige Männer, denen der Befehl scheißegal war und ebenfalls ihre Handfeuerwaffen zückten.
 

Levi schlug einen weiteren Mann bewusstlos, entwaffnete den Dritten, doch dann musste Eren schießen. Der Mann jaulte auf, als die Patrone sein Handgelenk durchdrang, ehe Levi ihn mit einem Handkantenschlag an die Halsschlagader zum Schweigen brachte.
 

Nummer Vier zielte unterdessen auf Eren, verfehlte jedoch knapp, da er sich rechtzeitig duckte und ebenfalls nach vorne stürmte. Gekonnt schoss Eren Nummer Fünf in den Unterarm, sodass dieser die Waffe fallen ließ, bevor er ihn mit einem saftigen Kinnhaken bewusstlos schlug. Während dessen verpasste Levi dem Kerl, der auf Eren geschossen hatte, einen Fausthieb in den Solar Plexus und an die Schläfe, sodass Eren ungestört den Letzten entwaffnen und niederstrecken konnte.
 

Soweit so gut.
 

Plötzlich ließ sie der ohrenbetäubende Lärm einer Sirene zusammenzucken und den Gang hinunter starren, wo ein junger Mann den Daumen an einen roten Notknopf gedrückt hielt und ihnen mit offenem Mund und großen, verängstigten Augen entgegenblickte.
 

Eren schoss ihm ohne zu zögern in den Unterschenkel und Levi schlug ihn wie die anderen mit einem Tritt in den Magen und Fausthieb K.O..
 

Weitere, gehetzte Stimmen erfüllten daraufhin den Gang wie eine Scharr aufgescheuchter Gänse und kamen ihnen zweifellos näher, vereitelten somit jeglichen Versuch sich einen Weg ins Schiffsinnere zu bahnen und dort verborgen auszuharren.
 

Postwendend machten sie kehrt, tauschten ihre Pistolen mit Maschinengewehren aus und sprinteten bereit zum Kampf hinaus auf das Deck, wo sie sofort entdeckt und in Empfang genommen wurden.
 

*~*
 

Sie brodelte innerlich vor Wut. Schon wieder wurde sie eingespannt, musste sich quasi nackt ausziehen und Drecksarbeit für einen Mann erledigen, den sie verabscheute. Doch er war ihr Vater, hatte ihr Studium bezahlt und für ihre erste Anstellung gesorgt. Sie hatte tun und lassen können was sie wollte und nun war die Zeit gekommen die Schulden zu begleichen.

Sie konnte nicht anders als ihm gehorchen, denn sie wusste ganz genau, dass ihn nur die Tatsache, dass sie seine Tochter war, davon abhielt ihr die gleiche Behandlung zuteil werden zu lassen wie jenen, die gewöhnlich seine Aufträge ausführten und versagten.
 

Sie wollte nicht herausfinden, wie lange sie die Blutsverwandtschaft vor seinem Jähzorn bewahrte, sollte sie nicht bald Ergebnisse präsentieren.
 

*~*
 

Blei lag in der Luft.
 

Zwar war das Zeitalter der Bleikugeln lange vorüber, doch das umschrieb den einzigen Eindruck, den Eren gewinnen konnte, noch ehe sein Verstand, allein auf Überleben getrimmt, ihn in gut eingeübte Handlungsmuster zurückfallen ließ.
 

Er hielt das Maschinengewehr mit einer antrainierten Gelassenheit und schoss ohne zu zögern und zielsicher jedem, der ihm zugewandt war, direkt in die Brust. Gemeinsam mit Levi versuchte er zu den Containern zu gelangen als böte ihnen dieses Labyrinth den nötigen Schutz.
 

Eren bemerkte nur am Rande wie Levi einem Schützen nach dem Anderen in den Kopf oder Hals schoss und ihm folgte, sprintete hingegen zielgerichtet die letzten Meter bis in eine der Containergassen und hechtete aus der direkten Schusslinie.
 

Er rannte zwischen die Containertürme und bog ein paar Mal ab, bevor er es wagte hinter sich zu blicken. In dem Moment wirbelte Levi herum, drehte ihm den Rücken zu, deckte ihn.
 

Schwer atmend und Rücken an Rücken stehend lauschte Eren und beobachtete ihre Umgebung. Keiner von ihnen schien wie durch ein Wunder verletzt worden zu sein und falls Levi angeschossen worden war, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.
 

„Eckstein! Eckstein! Alles muss versteckt sein!“, brüllte es plötzlich aus einem Megafon und ließ Eren jäh schaudern.
 

Levi bemerkte seine Reaktion.

„Hast du genug Munition?“
 

„Ja.“
 

„Reling und baden. Wenn wir nicht so weit kommen, werden wir uns durchkämpfen.“ Levis Stimme klang völlig ruhig und eben.
 

Eren schluckte.

„Verstanden.“
 

„Eckstein! Eckstein! Alles muss versteckt sein! Wir kommen!“
 

Eren biss die Zähne zusammen, knirschte ob des bösartigen Singsangs der jungenhaften Männerstimme und stellte beiläufig fest, dass das Sirenengeheul aufgehört hatte.
 

Keine Sekunde später rannte Levi in Richtung Bordaußenwand, fest entschlossen mit der schweren Ausrüstung in die eisige Nordsee zu springen, als ein Schuss ihn nur knapp am Kopf verfehlte und sie schlitternd zum Stehen kamen.
 

Eine mit schwarzen Tüchern vermummte Gestalt mit bösen kleinen Augen durchbohrte sie, hielt den Finger am Abzug der Pistole und schrie erstickt, als Eren ihr in die Schulter schoss.
 

Er war Sasha nie dankbarer für die Extrastunden bei den Schießständen gewesen.
 

Ohne weiter Zeit zu verlieren sprintete Levi los. Beinahe hatten sie die Steuerbordseite erreicht, nur noch bis zum Ende dieser Containerreihe!
 

Auf einmal strauchelte Levi. Eren konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und stürzte über ihn, fing sich zwar schnell wieder, doch es war zu spät.
 

Zwei schwer bewaffnete Männer versperrten ihnen den letzten Fluchtweg. Man hatte sie von beiden Seiten zwischen den Containern gestellt.
 

„Was seid denn ihr für Arschlöcher?“
 

„Der Chef will sie lebend.“
 

„Sind das kack Polypen?“
 

„Zumindest von der Ausrüstung her.“
 

„Was is’n das für'n Symbol?“
 

Eren hörte Levi sehr schwer atmen, hatte jedoch keine Zeit gehabt seinen Zustand zu überprüfen, bevor sie sich wieder Rücken an Rücken stellten, um sich zumindest ein wenig schützen zu können. Vermutlich wurde er von einer Kugel in die Schutzweste getroffen. Nicht tödlich, aber nichtsdestotrotz ziemlich schmerzhaft.
 

„Los! Gewehre fallen lassen!“, befahl einer der Männer und fuchtelte mit der Waffe herum, „Oder wollt ihr ein paar Löcher in den Beinen haben?“
 

Levi drückte sich fester an Erens Rücken. Er war etwas unschlüssig, ob es das Signal zum Angriff oder einstweiligen Aufgabe war. Daher erwiderte er den Druck. Eine Frage. Levi reagierte nicht, also ließ er das Maschinengewehr sinken.
 

„So ist's brav. Los! Fallenlassen!“
 

Unwillig ließ er die Waffe auf den Boden klacken und kickte sie mit dem Fuß von sich weg.
 

„Gut. Und nun die anderen Waffen.“
 

Eren entfernte wohlweislich nur, was von außen problemlos erkennbar war und behielt zwei Messer für sich. Eines im Stiefel und ein kleines Mehrzweckmesser in der verborgenen Ärmeltasche seiner Einsatzkleidung.

Sollten sie ihn ruhig untersuchen und seine Kleidung zerschneiden.
 

„Los vorwärts!“ Mit den Gewehren im Anschlag drängten die Männer sie den Gang zurück auf den Platz vor den Aufbauten.
 

Eren schielte zu Levi, der nun neben ihm ging und immer noch schwer atmete. Die Kugel musste ihn an einer sehr ungünstigen Stelle erwischt haben, um ihm so zu schaffen zu machen.
 

„Der Helikopter ist in neun Minuten da“, flüsterte Historia dringlich, als seien die Schutzhelme nicht fast schalldicht und ihre Stimme in ihren Ohren ohnehin nicht von außen zu vernehmen.
 

Neun Minuten war viel zu lang. Es musste etwas schief gelaufen sein. Nachfragen brachte sie in dieser prekären Situation allerdings kein Stück weiter, also schwiegen sie und ließen sich in eine im Kreis stehende Gruppe führen.
 

„Willkommen! Willkommen!“, erscholl eine androgyne Stimme im Singsang, wurde dann tödlich ernst, „Ich kann mich nicht erinnern euch Zwei eingeladen zu haben.“
 

Vor ihnen stand ein elegant gekleideter schlanker Mann mit einer weiß-goldenen venezianischen Maske. Mit einer wischenden Handbewegung gab er seinen Leuten einen Befehl.
 

„Runter mit den Helmen“, forderte einer der Männer sie barsch auf und kam drohend auf sie zu.
 

Levi fasste nach dem Verschluss seines Helms und Eren tat es ihm gleich. Die Schutzhelme saßen fest wie die an den Raumanzügen und ließen sich etwas umständlich öffnen. Mit einem Klack entriegelten sie sich und sie zogen sie von ihren Köpfen.
 

„Wen haben wir denn da“, raunte der mutmaßliche Anführer, „Den Drachentöter und einen Schönling. Ich habe gehört, dass sich der Drachentöter neuerdings Sozialprojekten annimmt.“

Dann wandte er sich mit ausladender Geste seinen Leuten zu.

„Darf ich vorstellen? Die Europäische Spezialeinheit. Bestehend aus zwei Wichsern auf einem Schiff und x Wichsern am anderen Ende der Audio- und Videoüberwachung.“

Seine Männer lachten.

„Sagt“, fuhr er mit widerlich süßlicher Stimme fort, „Seid ihr die Einzigen an Bord oder treiben sich noch mehr von euch hier herum wie dreckige kleine Ratten?“
 

„Wir sind allein“, erwiderte Levi ruhig als spräche er über das Wetter.
 

Der Anführer nickte.

„Ich glaube dir. Meine Männer durchsuchen trotzdem das Schiff.“
 

Plötzlich ertönte das Geräusch von mehreren Außenbordmotoren, die sich allmählich entfernten. Eren hoffte, dass sie via Satellit herausfanden, was es damit auf sich hatte.
 

„Woher wusstet ihr, dass es sich bei diesem Schiff nicht um einen üblichen Handelsfrachter handelt?“
 

„Intuition.“
 

Diese Antwort schien den Anführer zu erzürnen.

„Ich wiederhole mich: Woher wusstet ihr von diesem Frachter?“
 

„Intuition“, beharrte Levi scheinbar gelassen, „Wenn du von mir weißt, sind dir sicherlich auch meine Methoden bekannt.“
 

Der Anführer taxierte Levi schweigend. Man hätte die Anspannung in diesem Moment mit einem Messer schneiden können.
 

Sie zerbröselte wie trockener Sand, als der Anführer hörbar ausatmete und schmunzelte.

„Dem kann ich nicht widersprechen. Trotzdem wird eure Anwesenheit für einige Menschen fatal enden. Wie fühlt sich frisches Blut an deinen Händen an, hm Drachentöter?“
 

Levis Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen.

„Vielversprechend.“
 

Der Anführer brach in schallendes Gelächter aus.
 

Ein Seitenblick von Levi gepaart mit der Verlagerung seines Körpergewichts auf sein linkes Bein gab Eren das Signal loszuschlagen.
 

Unerwartet, kraftvoll und schnell schlugen sie ihre unmittelbaren „Geiselnehmer“ brutal bewusstlos, nahmen ihre Maschinenpistolen an sich, deckten sich gegenseitig und begannen wahllos um sich zu schießen, noch bevor die wenigen, überrascht-ungenauen Gegenschüsse einen von ihnen verletzen konnten.
 

Eren sah nicht wie Menschen starben, nur wie sich ihre Gegner dezimierten. Mit jedem, der fiel, wurde es ein Stück sicherer für sie, stiegen ihre Überlebenschancen.
 

Erst als keiner mehr stand und alles andere aus der Schusslinie gesprungen war, hielten sie mit dem Beschuss inne.
 

Der Anführer hatte sich ebenfalls verkrochen und obwohl alles den Atem anzuhalten schien, konnte die Situation nicht gefährlicher werden. Ihre Helme lagen auf dem Boden, die Köpfe waren ungeschützt, die Patronen gingen ihnen aus und sie standen mitten auf dem Deck, Flucht unmöglich. In den Containerschluchten verbargen sich ihre Gegner.
 

Eren schob seine Ferse ein wenig nach hinten bis er Levis berührte, der den Druck erwiderte.

„Helm“, zischte Levi und Eren ließ buchstäblich die Waffe fallen, um ihre Helme aufzusammeln, erst seinen aufzusetzen und Levis vor dessen Füße abzulegen.

Dann tauschten sie die Rollen, sodass wenigstens ihre Köpfe wieder vor einfachem Beschuss geschützt war.
 

„Erschießt sie“, kreischte der Anführer keine Sekunde später wie ein betrunkener Papagei und die Hölle brach ein weiteres Mal los.
 

Rücken an Rücken drehten sie sich langsam im Kreis Richtung der Container, schützten sich durch gezielte Schüsse, doch ihre Munition ging rasant zur Neige.
 

Dann hörte er das leere Klacken von Levis Maschinengewehr, wusste, dass er sie beide lange genug decken musste, um Levi den Zugang zu einer anderen Waffe zu ermöglichen.
 

Eren konnte mit keinem besseren Mann in dieser Zwickmühle stecken. Levi bewegte sich schnell und präzise, fand eine Pistole neben einem erschossenen Mann und nutzte diese sofort, um ihre Gegner an gezielten Schüssen zu hindern.
 

„Container!“, befahl Levi und Eren versuchte zielstrebig Schritt für Schritt zurückzuweichen.
 

Es waren bewaffnete Männer in den Containerschluchten, doch deren Angriff war leichter einzuschätzen.
 

Eren deckte Levi von hinten, aber seine Munition war am Ende.

„Ich habe nur noch zwei Schuss!“
 

Ohne Vorwarnung hechtete Levi an seine Seite und prallte mit dem Rücken hart gegen das Wellblech eines Containers.

„Fuck!“
 

Gemeinsam liefen sie in einen der Gänge, Levi schwerfällig.
 

„Wurdest du angeschossen?“
 

„Streifschuss in die Wade. Kein Problem.“
 

Eren beließ es dabei und ließ die Maschinenpistole fallen.

„Ich habe nur noch zwei Messer.“
 

„Nutzlos. Wir müssen uns Waffen besorgen.“ Leider war an ihre nicht heranzukommen gewesen, immerhin hatte Levi es versucht.
 

Sie eilten den Gang entlang. Hörten Gebrüll und gezischte Befehle, schwere Stiefel auf dem Deck und den Containerdächern.
 

„Knapp vier Minuten“, informierte sie Historia mit kühler Professionalität.
 

Wenn sie es doch nur schafften von diesem Frachter zu springen oder zumindest so lange durch die Gänge zu fliehen bis sie Unterstützung bekamen.
 

Wie konnten sie in diese beschissene Situation geraten, ärgerte sich Eren und biss knirschend die Zähne zusammen.
 

Levi folgte ihm tapfer als sei er unverletzt, doch als sie an einer Ecke kurz inne hielten, sah Eren wie das Blut aus einer tiefen Wunde unterhalb von Levis rechtem Knie quoll und schluckte besorgt.
 

Zwischen all der gehetzten Angst und notwendigen Gefühlskälte, verkrampfte sich Erens Magen in brennender Entschlossenheit Levi zu beschützen. Er verließ sich zu sehr auf seine Fähigkeiten, nun war Eren dran zu zeigen, dass er verdammt nochmal eine Kraft war, mit der gerechnet werden musste.
 

*~*
 

Levi hatte bereits unzählige Situationen wie diese hinter sich und wusste ihr Glück zu schätzen. Ein angeschossenes Bein war lächerlich in Anbetracht des Kreuzfeuers, aus dem sie entkommen waren.

Es war immer wieder erstaunlich wie lähmend der Überraschungseffekt auf einen Menschen wirken konnte und natürlich die augenscheinliche Unerfahrenheit der Schützen.
 

Das waren nicht die Terroristen, die sie suchten. Das waren bezahlte Bodyguards und sonstige Handlanger, die schmutzige Geschäfte gewöhnt waren. Normale Kriminelle und nicht die hochkarätigen Wichser, die Europa in Angst und Schrecken versetzten.

Die Maske war eindeutig für die Geschehnisse auf dem Kahn verantwortlich, doch Levi kannte Männer wie ihn. Männer, die eine Show um ihre Person machten. Kein respektabler Terrorist hätte das nötig.

Das hatte zwei Dinge zur Folge, doch um die konnte sich Levi zu einem anderen Zeitpunkt Gedanken machen. Vorzugsweise an einem Besprechungstisch mit einer heißen Tasse Tee in der Hand und das beruhigende Gewusel seiner bei ihm sitzenden Kameraden um ihn herum.
 

Levi konnte sich in den Arsch beißen, dass er es nicht geschafft hatte an noch mehr Waffen zu kommen. Nun trugen sie umsonst Magazine bei sich und Levis angeeignete Pistole hatte noch einen einzigen Schuss übrig. Lächerlich.
 

Eine Patrone schlug unweit von Levis Kopf ein und brachte sie dazu weiter zu rennen. Eren ließ sie wie ein Hase Haken schlagen, doch ihre Route zur Reling war trotzdem zu offensichtlich. Männer standen auf den Containern am Rande des Kahns und warteten auf sie. Ihnen blieb nichts anderes übrig als weiter Haken zu schlagen.
 

„Da sind sie!“, brüllte einer und sogleich wurde ihr Fluchtweg mit einigen Schüssen bestimmt.
 

Beiden war bewusst, dass sie nun zielgerichtet die Gänge entlanggetrieben wurden, doch was sollten sie schon dagegen unternehmen?

Mit ihren verbliebenen Messern auf sie werfen?

Levi konnte mit der Pistole einem vielleicht die Nase brechen, aber mehr Schaden konnte er damit nicht nach Abgabe des letzten Schusses anrichten.

Und letzte Schüsse hob man sich auf. Das wusste er aus eigener, schmerzvoller Erfahrung nur zu gut.
 

Sie sahen das Ende des Ganges vor sich und bald würden sie wieder auf dem Präsentierteller stehen.

Ein Plan musste her. Leider war Levi in solchen Situationen unglaublich unkreativ. Er handelte nach Gefühl und mit brachialer Gewalt, wenn zurechtgelegte Pläne ausliefen oder scheiterten. In akuter Lebensgefahr Strategien entwickeln zu können, gehörte nicht zu seinen Stärken und war Genies wie Erwin oder Hanji vorbehalten. Vielleicht konnte Armin eines Tages ihrem Beispiel folgen. Vielleicht.
 

„Wir brauchen Waffen“, keuchte Eren überflüssigerweise als könne Levi sich welche aus der Nase ziehen.
 

Plötzlich tauchte ein Mann vor ihnen auf dem Containerdach auf und zielte mit seiner Maschinenpistole auf ihn. Kaum hatte er erfolglos drei Schüsse auf sie abgefeuert, sackte er Tod zusammen und stürzte vor ihnen in den Gang.
 

Dafür hatte Levi also den letzten Schuss aufgehoben.
 

Mit abgeklärter Zielstrebigkeit nahm Eren die Maschinenpistole an sich und Levi fand zwei Reihenfeuerpistolen in Gürtel- und Wadenhalfter. Lucky motherfucker.
 

„Der Helikopter ist fast da. Zwischen den Containern kann er euch nicht aufgabeln!“, informierte sie Historia.
 

„Why the fuck not?“, Levi hatte die schlechte Angewohnheit bei Stress ins Englische zurückzufallen. Es war seine erste Fremdsprache und mittlerweile beherrschte er sie besser als seine Muttersprache.
 

„Es ist zu eng und unübersichtlich.“
 

„Was für ein Relikt holt uns denn?“, zischte Levi wütend.
 

„Ein Rettungshubschrauber mit einem Sanitäter und zwei GSG9’lern.“
 

Levi sparte sich die Frage, warum zur Hölle kein Polizei- oder Militärhubschrauber auf dem Weg zu ihnen war.
 

Er hörte Eren aufgebracht schnaufen.
 

Selten zornig knirschte Levi mit den Zähnen. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Gebrüll und Schüsse ließ sie mit den Waffen im Anschlag aus dem Containergang sprinten, hinaus aufs Deck.
 

Sie wurden erwartet. Levi spürte wie ihn Kugeln in der Brust und am Rücken trafen, die ihn ohne kugelsichere Rumpfbekleidung sofort getötet hätten. Er stolperte ein paar Schritte und brach in einen Hustenanfall aus, doch selbst mit tränenden Augen machte er den gegnerischen Schützen zu schaffen. Den Rest hielt Eren erfolgreich auf Abstand.
 

Mitten auf dem Deck, nicht weit von ihrer vorherigen Ausgangsposition vor den Aufbauten, hielten sie Rücken an Rücken inne.
 

Sie waren umzingelt, doch keiner traute sich als erstes das Feuer zu eröffnen.
 

„Worauf wartet ihr?“, kreischte die Maske, „Erschießt sie!“
 

Keuchend versuchte Levi die Schmerzen in Brust und Rücken zu verdrängen und hoffte, dass Eren mehr Glück gehabt hatte.
 

Eine erneute Feuersalve brach über sie ein. Diesmal wurde auf ihre Köpfe und Beine gezielt, sodass sie sich gezwungen sahen auszuweichen und einzeln gegen die Schützen vorzugehen.
 

Levi traf zielsicher, tötete nicht jeden, doch schaltete sie aus. Er betete, dass Eren sich ebensogut wehren konnte und knurrte bedrohlich bei jedem Gegner, der ihn davon abhielt Erens Wohlbefinden zu überprüfen.
 

Ich muss ihm vertrauen, schallte es durch Levis Kopf, du musst ihm vertrauen.
 

Vor seinem inneren Auge blitzte das Bild auf, wie Eren sich in diesem elendigen Rohr zitternd an ihn presste. Unvorhergesehen, ja. Trotzdem. Vertraue ihm!
 

Durch die Ablenkung reagierte Levi einen Bruchteil zu langsam und kassierte einen Kopfschuss, der im Helm steckenblieb und einen Kurzschluss auslöste. Mit einem wütenden Schrei löste er den Helm und schmiss ihn mit voller Wucht nach dem Schützen, der sich sichtlich erschrocken duckte. Dass Levi dabei kurz unbewaffnet war, weil er beide Hände zum Abnehmen des Helmes brauchte, gereichte ihm glücklicherweise nicht zum Nachteil. Doch nun war sein Kopf die Zielscheibe Nr. 1 und die scheiß Munition ging schon wieder aus.
 

Eine weitere Kugel streifte ihn - diesmal am linken Oberschenkel - und brachte ihn zum Einknicken. Auf einem Knie hockte er auf dem Deck und wunderte sich wie lange dieser verfickte Heli noch brauchen würde, um sie aus diesem Shitfest herauszuholen. Levi konnte nicht ewig einen auf James Bond machen.
 

Ein unbarmherziges Klacken ließ ihn die eine Pistole wegschmeißen und seinen Herzschlag bis in den Hals spüren. Wo war dieser Heli? Vermutlich würde er ihn nicht einmal hören, wenn er über seinem Kopf kreiste, so dröhnend rauschte das Blut in seinen Ohren. Er war praktisch taub und sah nur den nächsten Menschen, den er töten musste, um zu überleben.
 

Dieser Tunnelblick war es, der ihn den einen Scharfschützen übersehen ließ.
 

Ein gewaltiger Ruck von seitlich hinten, ließ ihn zu Boden stürzen und schmerzhaft seitlich mit dem Kopf aufschlagen. Noch ehe er sich aufraffen und die Benommenheit wegblinzeln konnte, vernahm er einen Schrei, der ihm durch Mark und Bein ging.
 

*~*
 

Ihre ganze Einheit zog scharf die Luft ein, als Eren wie ein wildes Tier vor Schmerz aufbrüllte und sie durch die BodyCams sahen, wie er sich am Boden wand.
 

Armin hatte sich die Hände vor den Mund geschlagen und starrte schockiert auf die sich abspielenden Ereignisse, denen er gänzlich machtlos gegenüberstand.
 

Levi war sofort aufgesprungen und vor Eren geeilt, um ihn vor weiteren Angriffen zu schützen. Wie ein Berserker schoss er um sich und hatte doch keine Chance. Wenn Armin richtig mitgezählt hatte - und das tat er so gut wie immer - hatte Levi nur noch vier Schuss.
 

Er fand den mutmaßlichen Scharfschützen und traf ihn an der Schutzmaske.

Drei.

Ein weiterer Schuss, um einen weiteren Schützen auf Abstand zu halten.

Zwei.

Ein Mann sackte in sich zusammen.

Eins.

Ein weiterer, um Eren vor einem Angreifer von hinten zu beschützen.

Ein Klacken ließ Levi fluchen und sie hart schlucken.
 

Bitte Gott, bitte, betete Armin inständig und musste sich zusammenreißen die Augen nicht panisch zu schließen. Hart schlug ihm das Herz bis zum Hals.
 

„Der Helikopter ist da“, durchbrach Historia mit lauter und klarer Stimme die ungläubige Stille und tatsächlich. Sie hörten dumpf das Geräusch der Rotoren.
 

Die GSG9'ler schienen von dem Helikopter aus zu schießen und verschafften Levi damit genug Zeit, um sich Eren zuzuwenden. Er trug immer noch seine Schutzmaske, doch das Visier war offen, die Maske seitlich von einem Streifschuss beschädigt. Er schien bewusstlos geworden zu sein. Kein gutes Zeichen.
 

Dann verstanden sie auch warum.
 

Durch die Kamera sahen sie fassungslos, wie sich Schutzkleidung und Haut zu einer schwarzbraunen, schmierigen Masse vermengt hatten.
 

Mina schluchzte entsetzt auf. Es war das Letzte, das Armin hörte. Er verfiel in eine jähe Angststarre. Nur ein Gedanke schallte glasklar durch seinen Kopf, verschlang jegliche Sinneswahrnehmung wie ein schwarzes Loch.
 

Er durfte Eren nicht verlieren. Eren musste leben. Er konnte nicht alle Beide verlieren. Mikasas komatöser Zustand war bereits kaum zu ertragen, doch Eren? Armin wusste, dass er daran zerbrechen würde.
 

Erst Jeans Zischen neben ihm ließ Armin aufschrecken und wieder die Entwicklungen auf den Bildschirmen mitverfolgen.
 

Levi hatte Erens Weste aufgeschnitten und die verflüssigten Kleidungsfetzen entfernt. Erens Brustkorb war auf der linken Seite von einer aggressiven Substanz zerfressen worden, der tatsächliche Schaden nicht abzuschätzen. Als Levi kurz seine Hände hochhielt, sahen sie, dass sich die Substanz selbst bei der kurzen Berührung durch seine Handschuhe gefressen hatte.
 

Mit was auch immer der Scharfschütze geschossen hatte, es hatte Alptraumcharakter.
 

Dann sahen sie wie der Sanitäter eine Liege herunterließ und Levi sich beeilte Eren darauf zu heben und zu fixieren, ehe er selbst in eine Schlaufe schlüpfte, die an der Liege hing.

Sowie Eren und Levi in der Luft waren, schwenkte der Helikopter nach Backbord und flog übers Meer aus Schussweite. Erst dann wurden Eren und Levi hochgezogen.
 

Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
 

Bitte lass Eren leben!
 

*~*
 

Als Hanjis Mobiltelefon wenig später klingelte und sie den Namen des Anrufers auf dem Display sah, wusste sie, dass etwas schreckliches passiert sein musste.
 

*~*
 

Der Polizeihubschrauber, der sie ursprünglich abholen sollte, war 34 Minuten später vor Ort. Der Frachter wurde von einer GSG9-Einheit und Team Alpha gestürmt und die Besatzung dingfest gemacht. Der Mann mit der venezianischen Maske und der Scharfschütze mit dem unbekannten Geschoss waren nicht auffindbar. Die Rettungsboote fehlten genauso wie die Menschen in den Containern. Nur die Waffen befanden sich im Lagerraum.
 

Zumindest berichtete Historia pflichtbewusst davon via Ohrmikro und hielt Stellung, während Team Beta und ihre Präzisionsschützen im Gang des Brüssler Militärkrankenhauses saßen und auf Neuigkeiten zu Erens Gesundheitszustand warteten.
 

Levi lehnte gefühlt seit Stunden an der kahlen Wand und harrte stoisch aus. Er hatte sämtliche Gefühle beiseite geschoben und versuchte sich nicht zu sehr auf seine brennenden Hände und das Schwindelgefühl zu konzentrieren. Die Substanz musste giftig gewesen sein, doch ohne genaue Analyse konnte kein Gegengift generiert werden. Eigentlich müsste er allein schon wegen der Streifschüsse und Hämatome an Brust und Rücken in einem Krankenbett liegen und sich behandeln lassen.
 

„Sir?“
 

Benommen merkte Levi auf und sah in Sashas besorgtes Gesicht.

„Sie sollten etwas trinken“, erklärte sie und hielt ihm ein Wasserflasche vor die Nase.
 

Er fasste nach der Flasche, bemerkte, wie träge seine Bewegung war. Er konnte die Flasche kaum halten, als er ein paar Schlucke trank und gab sie ihr zurück, bevor er das Zittern seiner Finger nicht mehr unterdrücken konnte.

„Wie geht es deinem Arm?“
 

„Das sind nur kleine Kratzer, alles in Ordnung“, grinste sie etwas verlegen und kratze sich an der Wange.
 

Levi nickte. Es war typisch Sasha so nonchalant zu reagieren, nachdem sie von einem über 50 kg schweren Hund angefallen worden war.
 

„Die Pressverbände müssten gewechselt werden“, flüsterte sie kleinlaut und betrachtete beunruhigt, wie sich der Stoff allmählich mit Blut vollsog.
 

Sie wollte ihn genauso wie der Rest seiner Einheit in ein Krankenbett komplimentieren. Doch wider jedweder Vernunft blieb Levi wie angewurzelt stehen.

„Das kann warten.“
 

Sasha nickte und ließ mit einem verunsicherten Lächeln von ihm ab. Er wusste, dass sie sich niemals gegen seine Befehle richten würde, egal was sie von ihnen hielt. Das hieß jedoch nicht, dass sie mit allem einverstanden war, was er von sich gab und sich ihren Widerwillen nicht anmerken ließ.
 

Armin saß wie eine Statue auf einem der gepolsterten Edelstahlstühle, die Fäuste in die Hose gekrallt und apathisch vor sich hinstarrend. Levi konnte nur erahnen, welche Gedanken in seinem Kopf herumwirbelten und spürte, wie sich sein Magen erneut schmerzhaft zusammenzog und ein neuer Schwall Übelkeit über ihn hereinbrach.
 

Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
 

Sie zuckten alle zusammen, als sich die elektronische Flügeltüre vor ihnen öffnete und sprangen alarmiert auf.
 

Verängstigt hielten sie die Luft an, als Hanji in grünem OP-Kittel dahinter erschien und atmeten erleichtert aus, als sie ihr breites Grinsen sahen.
 

Noch ehe jemand einen Ton hervorbrachte, hob sie ihre Hände hoch.

„Lasst mich erzählen“, begann sie mit strenger Stimme und blickte durch ihre Reihe, Levi mit scheltend erhobener Augenbraue und Verständnis in den Augen, „Eren ist auf der Intensivstation und noch bewusstlos. Die Substanz hat sich in seine Haut gefressen, sodass wir ein gutes Stück davon transplantieren mussten. Vor eine größere Herausforderung hat uns die Vergiftung gestellt. Bei der Substanz handelt sich um ein Fluorwasserstoffsäure-Derivat, dass so noch nicht bekannt war. Glücklicherweise wirken dieselben Gegenmaßnahmen, sodass ich zuversichtlich bin, dass es bald bergauf geht. Die nächsten 24 Stunden werden uns zeigen, ob die Transplantation erfolgreich war und ob Eren wie erhofft auf die Entgiftung anspricht.“
 

„Kann er sterben?“, fragte Armin wie ein hilfloses Kind.
 

Hanji legte ihre Hand beruhigend auf seine Schulter.

„Wir haben Experten, die die Substanz weiterhin analysieren, doch bereits jetzt haben sie uns grünes Licht gegeben. Eren wird Zeit brauchen, aber es ist nicht zu erwarten, dass er an der Vergiftung stirbt. Es sieht soweit gut aus. Wir konnten ihn während der OP nicht in Vollnarkose versetzen, sodass er nun viel Ruhe braucht, um sich zu erholen.“
 

„Warum keine Vollnarkose?“, hakte Reiner verständnislos nach.
 

„Bei Fluorwasserstoffsäurevergiftungen kann das zum Tode führen. Wir haben ihn lokal anästhesiert, aber er war ohnehin die meiste Zeit bewusstlos.“
 

„Was für eine Tierquälerei“, flüsterte Connie mit leidend verzogenem Gesicht.
 

„Fluorwasserstoffsäure ist doch Flusssäure, oder?“, fragte Berthold.
 

„Richtig“, nickte Hanji mit einem Lächeln, dann wandte sie ihre volle Aufmerksamkeit Levi zu, „Und du kommst jetzt mit mir mit.“
 

Sie nahm ihre Hand von einem sichtlich erleichterten, aber völlig erschöpften Armin und stand schneller vor ihm, als Levi schauen konnte.
 

„Du bist ebenfalls vergiftet und ohne Behandlung stirbst du davon“, warf sie ihm streng vor, als verstünde er ihre Worte nur so plump.
 

Er starrte böse zurück. Sie wusste ganz genau, dass er sich nicht gegen sie wehren würde. Jetzt konnte er gehen.
 

Er wandte sich nochmal an seine Einheit.

„Geht in die Militärpension vis à vis und erholt euch. Team Alpha und Historia sollen sich ebenfalls dort einquartieren. In meiner Abwesenheit leiten Jean, Mylius und Reiner die Einheit.“
 

„Ja, Sir“, ertönte es simultan.
 

***
 

Hanji führte ihn in ein Behandlungszimmer und zog sich vor seinen Augen um. Wäre Levi in einer besseren Verfassung gewesen, hätte er sich über Hanjis unnatürliche Stille ausgelassen.
 

Sie bedeutete ihm sich auf die Behandlungsliege zu setzen und schob ein Wägelchen vor ihn, setzte sich auf einen Hocker, desinfizierte sich die Hände und begann zwei Schälchen mit verschiedenen Lösungen aus den seitlichen Halterungen zu füllen.

Anschließend zog sie sich Handschuhe über und hielt ihre Hände auffordernd vor ihn.
 

„Was ist das?“, rümpfte Levi die Nase.
 

„Lösungen, die deine Hände vor einer Hauttransplantation bewahren.“
 

Ohne weiter zu zögern hielt er seine Hände hin und ließ sie von Hanji in die Lösung tauchen. Levi zischte schmerzerfüllt und ärgerte sich über seine Empfindlichkeit. Er trug noch die Einsatzhandschuhe und erst als Hanji seine Hände mit professioneller Umsicht vollumfänglich mit der Lösung getränkt hatte, suchte sie Augenkontakt.
 

„Ich werde mit einer Pinzette vorsichtig die Stofffetzen lösen un-“
 

„Mach einfach.“ Sein Ton war nicht unfreundlich, nur erschöpft.
 

Hanji löste behutsam die Stofffetzen von der Wunde und zerschnitt danach seine Handschuhe. Sowie seine Hände frei waren, nahm sie die zweite Schüssel und tauchte seine Hände in die Flüssigkeit. Obschon Levi mit dem schlimmsten gerechnet hatte, prickelte es lediglich leicht brennend auf der Haut als befände sie sich in etwas zu heißem Wasser.
 

„Lass die Hände ein paar Minuten da drin, ich hole derweil die Infusionen, um dich gegen die Vergiftung zu behandeln.“ Mit diesen Worten stand Hanji auf und entschwand für eine gefühlte Stunde. Erst schwere Rollen auf dem Boden kündigten ihre Rückkehr an.
 

„Tauchst du mich in die Infusionen?“ Skeptisch beäugte Levi das große, inkubatorähnliche Gerät, das Hanji neben ihn gerollt hatte.
 

„Damit sorgen wir dafür, dass sich deine Haut nicht weiter ablöst und schneller regeneriert.“

Sie nahm den großen Infusionsbeutel zur Hand, den sie über die Maschine gelegt hatte, befestigte ihn an einem Ständer und legte Levi einen Zugang im Arm. Er spürte das Piksen der Nadel kaum und war auch ansonsten zufrieden mit Hanjis Behandlung.
 

Nachdem sie ihn an den Tropf gehängt hatte, desinfizierte sie die kleine Platzwunde an seinem Kopf, cremte seine verätzten Hände mit irgendeiner weißen, seltsam riechenden Pampe ein und steckte sie in den „Inkubator“.

„Deine Hände müssen jetzt eine Stunde lang da drin bleiben, damit sich das tote Gewebe ablöst und sich eine Schicht neue Haut bilden kann.“
 

„Die Wunden heilen auch ohne dieses Ding“, rümpfte Levi die Nase. So lange hier festzusitzen schien ihm im Moment unerträglich.
 

Hanji drückte einen Knopf, woraufhin sich das Behältnis mit einer schäumenden Flüssigkeit füllte.

„Durch die Salbe und die Flüssigkeit wird deine Wundheilung gefördert, sodass du morgen mit Arbeitshandschuhen wieder ganz normal arbeiten kannst und übermorgen selbst feinmotorisch höchst anspruchsvolle Aufgaben erfüllen könntest. Modellsegelschiffe bauen oder Bomben entschärfen zum Beispiel.“
 

„Tch“, das war natürlich praktisch, „Wurde Eren auch in sowas gesteckt?“
 

„Nein, weil wir transplantieren mussten. Wenn er stabil ist, hat er aber auch noch das Vergnügen. Wenn alles gut läuft, ist er in sieben bis zehn Tagen wieder vollkommen einsatzbereit.“
 

„Wenn wir damals diese Technologien gehabt hätten…“
 

„Das ist immer so. In der Not beneidet man selbst die Person, die ein scharfes Messer bei sich trägt.“
 

„Ich habe dir immer gesagt, du sollst ein Schleifmesser mitnehmen.“
 

„Wenn ich all die Dinge mitnehmen würde, die du mir immer vorhältst, bräuchte ich fünf Lakaien oder drei Esel.“
 

„Zwei Esel könnten problemlos tragen, was fünf Menschen-“
 

„Oh nein!“, unterbrach ihn Hanji mit erhobenen Händen und einem Kopfschütteln, „Ich will drei Esel. Da kann ich das mit der Gewichtsverteilung besser managen.“
 

„Die Menschen dürfen schleppen, aber die Tiere müssen geschont werden?“
 

„Die Tiere beschweren sich nicht bei Überladung“, erwiderte sie todernst.
 

„Hmph.“ Er hatte dieses verrückte Weib vermisst.
 

„Hosen runter.“
 

„Das Thema hatten wir schon.“
 

„Ich muss deine Schusswunden behandeln.“
 

„Während ich mit den Händen in diesem Ding festsitze?“, schnalzte Levi genervt mit der Zunge.
 

„Erst recht, wenn du mit den Händen festsitzt“, grinste sie diabolisch.
 

„Soll ich mir die Hose mit Gedankenkraft abstreifen?“
 

Hanji starrte ihn mit großen Augen und zu einem stummen „Oh“ geformten Lippen an.

„Ich bin dir behilflich“, strahlte sie keinen Moment später wie ein Honigkuchenpferd und sprang voller Tatendrang auf.
 

„Nein“, raunte Levi kompromisslos.
 

„Ich kann sie dir auch vom Leib schneiden“, grinste sie und zog eine Schere aus ihrem Kittel hervor, wie ein Straßengauner die gestohlenen Uhren.
 

„Nein“, wiederholte Levi vehement.
 

„Du hast doch Klamotten zum wechseln. Ich werde sie dir sogar bringen“, versuchte sie ihn zu bezirzen.
 

„Nein.“
 

Hanji kam näher, die Schere erhoben, das Grinsen entschlossen und ignorant.
 

„Tu es und ich trete dir so fest in den Arsch, dass du zehn Tage nicht mehr sitzen kannst.“ Hanji wusste aus leidlicher Erfahrung, dass Levi ihr nicht nur drohte.
 

„Sei brav. Das ist nur zu deinem Besten“, fing sie etwas versöhnlicher an. Levi wusste in diesem Augenblick, dass sie nicht abzuhalten sein würde. Natürlich könnte er die Hände aus der Lösung reißen, doch letztlich wollte Hanji ihm nur Gutes.
 

Eine halbe Stunde und einiges Gepöbel später saß Levi mit nackten Beinen und bis zu seinen Shorts hochgeschnittener Hose da.
 

„Aww, Grumpy Cat“, erheiterte sich Hanji und verkniff sich sichtlich schallend aufzulachen.
 

Levi versuchte Hanji mental zu erschlagen.
 

„Ich hole jetzt deine Klamotten. Wenn ich wieder zurück bin, dürften deine Hände auch soweit sein“, versprach sie ihm mit einem aufmunternden Nicken und stakste mit laut knallender Türe davon.
 

Hanji war wie ein Sturm, der vor dem Fenster tobte und Zweige und unbefestigte Gegenstände gegen die Fassade krachen ließ. Sobald sie fort und sich der Sturm gelegt hatte, blieb eine unnatürliche Stille und viel Unrat zurück.
 

Levi stierte auf die zerschnittenen Überreste seiner Hose bis seine Sicht verschwamm. Die plötzliche Ruhe dröhnte in seinen Ohren und ließ Raum für jene Gedanken, die Hanjis Präsenz zuvor außer Reichweite geweht hatte.
 

Angst war für Levi etwas, das stets unter der Oberfläche lauerte. Er war kein ängstlicher Mensch per se, doch ihm war wohl bewusst, wo Gefahren lauern konnten und welche davon ihm zum Nachteil gereichen konnten. Er verabscheute das Gefühl an sich. Wie sich die Angst um sein Innerstes schlang, hinein krallte und verbiss.
 

Erinnerungen und Befürchtungen vermischten sich zu einem emotionalen Gewirr, das ihm die Luft abschnürte.
 

Es kostete ihn viel Kraft mit rationalen Gedanken eine Struktur zu schaffen, die es zuließ, dass er den eisernen Griff der Angst lockerte.
 

Der Einsatz war gut verlaufen. Sie hatten den Schmuggel von Waffen vereitelt, keiner seiner Leute war nachhaltig verletzt worden und ihre Einheit hatte gezeigt, dass sie in der Lage war ihren Beitrag zur Terrorismusbekämpfung zu leisten. Keiner hatte dieses Containerschiff auf dem Schirm gehabt, nur Levi hatte Lunte gerochen.
 

So sehr Levi sich, das Schicksal und seine Leute auch lobte, Bilder gefallener Kameraden und das markerschütternde Schreien von Eren ließen ihm übel werden und zittrig durchatmen.

Kein Wunder, dass der Junge so geschrien hatte, wenn sich diese Säure durch seine Haut ins Fleisch fraß. Allein Levis Hände hatten schrecklich geschmerzt und er war ziemlich abgehärtet.
 

Eren hatte ihm das Leben gerettet. Er hätte den Scharfschützen nicht übersehen dürfen. Seine Unaufmerksamkeit hätte Eren beinahe getötet. Es war sein Fehler, sein Versagen gewesen. So etwas durfte ihm nicht passieren.
 

„Yo!“, platze Hanji herein und schreckte Levi sichtlich aus seinen selbstzerstörerischen Gedanken auf, „Die Kleinen sind echt süß. Sie hatten deine Sachen bereits griffbereit und sitzen alle im Gastraum, um auf Neuigkeiten zu warten. Historia war bei ihnen und meinte Team Alpha sei auf dem Weg. Ich bin richtig stolz.“
 

„Dass sie meinen Befehl sich zu erholen missachten?“
 

„Nach den Jahren in München qualifiziert ein Bier vor der Nase den dortigen Aufenthalt als Erholung. Außerdem haben sie sich umgezogen.“ Hanji legte einen Stapel frischer Kleidung neben Levi und begutachtete den Zustand seiner Hände durch das Glas des „Inkubators“.
 

Sie desinfizierte ihre Hände und zog sich Handschuhe an, ehe sie den „Inkubator“ öffnete.
 

„Was ist das eigentlich für ein Gerät?“
 

„Eine Mischung aus Druckkammer und Inkubator - nur für Unterarme“, lächelte Hanji.
 

„Klingt teuer, dafür, dass da nur Hände reinkommen.“
 

„Du machst dir ja keine Vorstellungen wie oft sich die Menschen an den Händen verbrennen oder eben wie du verätzen!“, begehrte sie auf, „Das Ding ist ganz und gar ausgelastet.“
 

Behutsam nahm Hanji Levis rechte Hand in die ihre und begutachtete sie von allen Seiten genau. Die Berührung schmerzte nicht mehr, aber sie war unangenehm.

„Tut’s weh?“
 

„Nein, aber die Haut fühlt sich dünn und empfindlich an.“
 

Sie nickte und untersuchte vorsichtig die andere Hand.

„Deine Selbstheilungskräfte sind gut wie immer“, lächelte sie ihn an und ließ seine Hände los, „Fass nichts an, auch dich nicht. Ich muss deine Hände nochmal eincremen und bandagieren. Du wirst aussehen wie eine Mumie und dich nicht sonderlich wohl fühlen, aber wenn du brav bist, bist du die Verbände morgen um die Zeit weitestgehend los.“
 

„Und wenn nicht?“
 

„Dann fällt dir die Haut ab wie einer sich häutenden Eidechse mit dem Unterschied, dass bei dir nur rohes Fleisch übrig bleibt.“
 

„Ernsthaft?“, hakte er mit überraschtem Blick nach.
 

„Japp“, summte sie fröhlich und begann eine braune, stark riechende Creme einzumassieren.
 

Er hasste Krankenhäuser.
 

***
 

Schlussendlich musste Hanji ihm doch noch die Hosen ausziehen und ihm beim Waschen und Anziehen helfen.
 

Seine Hände waren so gründlich eingepackt, dass er kaum den Daumen bewegen konnte, dementsprechend sehr schlecht greifen oder etwas festhalten konnte. Eine Geduldsprobe und eine verfickte Scheiße, aber er wollte es nicht darauf ankommen lassen und fügte sich zähneknirschend dem ärztlichen Rat. Er musste dankbar sein, dass er ohnehin schnell kurierte.

In Bangkok hätte so eine Verletzung verhängnisvoll geendet. Sei es wegen der Wunde an sich oder dem Arschloch, das immer will, was ein anderer hat und wenn’s bloß das Leben ist.
 

„Sodala“, flötete Hanji zufrieden, „Jetzt darfst du dich entweder in einem Krankenbett oder in der Pension ausruhen. Hauptsache du bist morgen um spätestens 9:00 Uhr da, um die Verbände an deinen Beinen zu wechseln und dir eine Ladung Infusionen zu geben.“
 

„Ich will Eren sehen.“
 

Missbilligend runzelte Hanji die Stirn.

„Levi, er liegt auf der Intensivstation und schläft“, erklärte sie ihm sanft als sei er ein Kind, das nicht verstand, warum es seine schwerkranke Mama nicht sehen durfte.
 

„Ich will zu Eren. Bring mich zu ihm.“
 

Hanji rang sichtlich mit sich, versuchte abzuwägen wie sein Wunsch und ihre medizinische Meinung in Ausgleich zu bringen waren und vor allem warum sie das tun sollte. Er starrte sie einfach abwartend, entschlossen an.
 

Als sie tief einatmete und seufzte, wusste er, dass er seinen Willen bekommen hatte.

„Halt aber den Ball flach. Ich kann nicht die ganze Einheit durchschleusen.“
 

Er hatte nicht den Plan seiner Einheit heute noch zu begegnen, aber das musste Hanji nicht wissen.
 

*~*
 

Die Intensivstation war groß und jeder Patient hatte ein eigenes, hochmodern ausgestattetes Krankenzimmer, das von einem Intensivkrankenpfleger überwacht wurde, der nie mehr als drei Patienten gleichzeitig betreuen durfte. Eine solch rigorose Versorgung ließ sich der Staat einiges kosten, profitierte allerdings auch an der großen Zahl rehabilitierter Soldaten, die ihren regulären Dienst wieder antreten konnten oder zumindest anderweitig sinnvoll einsetzbar waren.
 

Hanji gefiel ihre Arbeit im Militärkrankenhaus, obwohl ihre Position oft nicht die Zeit ließ die Dinge anzupacken, die ihr Spaß machten. Es war eines der wenigen Krankenhäuser, in dem der Mensch an vorderster Stelle stand und nicht das Geld, das mit ihm verdient werden konnte. Selbstverständlich sah es der Staat und das Management etwas anders, doch die Ärzte und Krankenpfleger machten ihren Job, weil sie Philanthropen waren oder sich in dieser Rolle gefielen.
 

Nun stand sie im leeren Krankenzimmer von Eren und beobachtete wie Levi sich einen schlichten Edelstahlstuhl so zurecht zog, dass er in den Raum sah, sobald Eren zurückgebracht wurde, bevor er sich darauf niederließ. Levis Verhalten und seine große Klappe täuschten in diesem Moment nicht über seine Erschöpfung und innere Unruhe hinweg, die unterschwellige Angst, die er mit aller Macht verdrängte. Am liebsten hätte Hanji ihn umarmt und wünschte sich Umarmungen hätten einen heilenderen Effekt auf Levi, der oftmals schlicht untröstlich war.
 

Sie wollte ihm nicht verwehren sich mit eigenen Augen zu vergewissern, dass Hanjis Worte der Wahrheit entsprachen, Eren lebte und genesen würde. Vorschriften hin oder her. Der Junge war ohnehin alleine, ein Waise und Armin hatte vergessen eine beglaubigte Kopie der Betreuungs- und Patientenverfügung mitzunehmen, die ihm Eren nach Mikasas Koma gegeben hatte. Rein rechtlich durfte Hanji im Moment demnach niemanden zu ihm lassen.
 

„Er hat mir das Leben gerettet“, erfüllte Levis Stimme plötzlich leise den sterilen Raum, „Der Schütze hatte auf meinen ungeschützten Kopf gezielt, ich habe es nicht bemerkt und Eren hat mich zur Seite gestoßen.“
 

„Dann muss ich Eren wohl meine Dankbarkeit ausdrücken, dass er mir dich Miesepeter erhalten hat“, grinste Hanji aufmunternd, „Gut, dass du ihn damals unter deine Fittiche genommen hast und ich mich nicht gezwungen sah ihn rauszuwerfen.“
 

Levi drehte den Kopf langsam zu ihr, seine Augen schmal und voller Vorwurf. Er gab sich selbst die Schuld an Erens Verletzung, fühlte sich verantwortlich. Hanji kannte dieses Gefühl natürlich und meistens war es für eine Führungsperson in Ordnung so zu empfinden, doch Levi neigte dazu viel zu hart zu sich zu sein. Er versteckte es gut und wusste auch, dass er sich selbst nicht so arg für Handlungen und Ereignisse geißeln musste, auf die er keinen oder maximal kaum einen Einfluss hatte.
 

„Das muss wahrlich die Hölle gewesen sein, wenn du etwas übersehen konntest“, meinte Hanji nachdenklich und erwiderte Levis durchdringenden Blick mit einem anerkennenden, „Ich bin froh, dass der Einsatz trotzdem so glimpflich abgelaufen ist und du meinem Erste-Hilfe-Kursus gut gelauscht und genau richtig bei dieser Verätzung gehandelt hast.“
 

„Hm“, summte Levi desinteressiert und wandte den Kopf ab. Lob konnte er schwer annehmen, aber genau das musste er nun hören. Er war ein außerordentlicher Soldat und emotional intelligenter Mann, der so viel mehr verdiente als er bekam.
 

Ein Schwall Zuneigung überkam sie.

„Du kannst hier bleiben. Eren ist gerade in der Druckkammer und dürfte laut Anzeige in ca. 10 Minuten zurück gebracht werden.“
 

Levi nickte und betrachtete sie kurz.

„Danke, Hanji.“
 

Sie lächelte ihn kurz an und drehte sich schwungvoll um.

„Sei brav und ruf mich an, bevor du jemandem in den Arsch trittst und vice versa!“
 

Sie hörte ein leises Schnaufen und das genügte auch.
 

Kaum war sie aus der Tür getreten, ertönte bereits ihr Pieper. Ungeduldig blickte sie auf das Gerät an ihrer Hüfte. Mike rief sie in die Kantine. Na, das waren mal Notfälle, wie sie sie mochte.
 

Mit etwas leichterem Gemüt stolzierte sie durch die Gänge zur Cafeteria und überlegte bereits, welchen Muffin sie sich gönnen könnte, als sie Mike mit Armin an einem der Tische entdeckte und ihr Lächeln erstarb.
 

Mike bemerkte sie als erstes, sodass sie sich mit einem tiefen Atemzug auf den Weg machte und ein erneutes Lächeln auf ihre Lippen setzte.
 

„Pass auf, dass Sie Levi nicht hier findet, Herr Alert“, grinste sie, woraufhin Armin aufschreckte und sie mit seinen schönen großen Augen durchdringend betrachtete.
 

„Ich habe die Vollmachten!“ Erwartungsvoll hielt er sein Tablet hoch, auf dem sich die entsprechenden Dokumente befanden.
 

„Ich habe gerade keinen Leser dabei“, erklärte Hanji entschuldigend und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
 

„Ich hab einen, dann kann ich sie dir schicken“, bot Mike an und setzte seine Kaffeetasse ab.
 

„Ja, super!“, nickte Hanji und bedeutete Armin Mike das Tablet zu reichen. Ärzte untereinander durften sich die Dokumente über den Krankenhausserver mailen.
 

Mike nahm ein längliches Gerät mit Display heraus, das vorne einen Sensor hatte und die Informationen auf Armins Tablet ablas, die mit einem speziellen Code gesichert waren. Auf diese Weise erhielt Mike die Dokumente, konnte sie im Mini-Format auf dem Leser prüfen oder wenn die Zeit es zuließ, sie erst auf sein Tablet übertragen und dort begutachten.

Es war die gewöhnliche Vorgehensweise, wenn es um die Übertragung wichtiger Dokumente ging, die sonst nur auf Papier „sicher“ wären. Und wann benötigte man schon noch Papier außer vielleicht am Arsch der Welt?
 

Mike nickte und wandte sich ihr zu: „Ich schicke sie dir gleich rüber.“
 

„Danke“, sang Hanji und klopfte Mike auf die Schulter, da piepte es auch schon und er seufzte grottentief.
 

„Ich muss gleich in den OP. Ich komme am späten Abend nochmal in deinem Büro vorbei.“
 

„Klar, mach das“, lächelte sie, „Was für eine OP ist es denn?“
 

„So ein junger Depp, der in einer Übung auf eine Mine getreten ist. Ich flicke ihm neue Beine an.“
 

„Sonst geht’s ihm gut?“, platze es ungläubig aus Armin heraus.
 

„Hatte Glück, der Kleine.“
 

„Na ja, mit den Prothesen kann er beim Militär immerhin noch in den Innendienst.“
 

„Besser ist es. Der Junge ist dumm und vorlaut. Von denen haben wir schon zu viele.“
 

Hanji nickte ernst, ehe sie amüsiert kicherte und Mike die Faust hinhielt, der mit einem Grinsen einschlug.
 

„Hach, jetzt wäre ein Muffin toll.“
 

Armin sprang prompt darauf an.

„Ich könnte Ihnen einen bringen.“
 

„Gerne“, grinste sie, „Und einen großen türkischen Kaffee, bitte. Du brauchst nur auf mich zu deuten, dann ziehen sie die Summe von meinem Persokonto.“
 

Dienstbeflissen tat Armin wie ihm geheißen und saß kurz darauf schweigend mit ihr am Tisch. Es war deutlich, dass er mit ihr sprechen wollte und sie ließ ihm die Zeit die richtigen Worte zu finden.
 

„Generalstabsarzt Zacharias war heute sehr wortkarg, ich hoffe, ich habe ihn nicht belästigt.“
 

„Quatsch, der ist bloß seit 13 Stunden im Dienst und müde. Außerdem macht er sich wie ich Gedanken um unsere Babys“, erklärte Hanji und funkelte Armin spitzbübisch an.
 

„Wie geht es Eren?“
 

„Unverändert; er ist in der Druckkammer. Levi wartet auf ihn.“
 

Diese Nachricht schien Armin zu erleichtern.

„Wie geht es General-Leutnant Rivaille?“
 

„Er ist erschöpft und ich hoffe, dass ich ihn am Abend in ein Bett bekomme. Die Vergiftung kriegen wir mit drei weiteren Infusionen in den Griff.“
 

„Es war unglaublich wie sie sich gegen diese Übermacht behauptet haben. Sie haben insgesamt 14 Leute erschossen und 47 verletzt. Es ist ein Wunder, dass sie selbst nicht mehrere Schusswunden erlitten haben.“
 

„Levi hatte schon immer Leben wie eine Katze.“
 

„Eines davon hat Eren ihm erspart.“
 

„Hm hm“, summte Hanji wissend, woraufhin Armin ihr einen analysierenden Blick zuwarf.
 

„Fühlt er sich verantwortlich?“
 

„Levi fühlt sich immer verantwortlich.“
 

Nachdenklich blickte Armin auf seine auf dem Tisch gefalteten Hände hinab.

„Es war unmöglich den Scharfschützen in dieser Situation aus diesem Blickwinkel rechtzeitig zu bemerken. Dass Eren ihn sah, war großes Glück und seiner Position geschuldet. Wie gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass sie erschossen werden, war höher als der tatsächliche Ausgang des Einsatzes.“
 

„Wir hatten im Krieg oft sehr viel Glück. Es mag zwar unfair erscheinen, aber Glück und Zufall sind Konstanten im Leben, ohne die man oft nicht sehr weit kommt.“
 

„Wie unser Wasserrohrbruch.“
 

„Hm? Wie meinen?“
 

„Oh“, hielt Armin inne und lächelte Hanji leicht an, „Wir hatten einen Wasserrohrbruch, sodass vier von uns umquartiert werden mussten. Wegen Platzmangel und weil ich schneller war, ist Eren beim General-Leutnant gelandet. Durch diese forcierte Wohngemeinschaft sind sie sich näher gekommen und ich denke nicht, dass der Einsatz so glimpflich abgelaufen wäre, wenn sie sich nicht in den letzten Wochen besser kennengelernt hätten.“
 

Als Hanji sprachlos verharrte, musterte Armin sie fragend.
 

„Das kann ich mir vorstellen“, brachte sie schließlich heraus, „Aber ich war bereits seit dem ersten Weihnachtsfest während der Ausbildung der Meinung, dass die Beiden sich allgemein gut tun.“
 

„Ja, es ist wirklich faszinierend“, gab Armin zu, „Eren hat sich sonst immer schwer mit anderen Menschen getan. Er hat nur Mikasa und mir je richtig vertraut.“
 

Hanji bezweifelte, dass Levi momentan jemanden hatte, dem er derart vertraute. Alle waren ihm weggestorben. Sie bedauerte zutiefst, dass sie nicht in der Lage war Levi eine bessere Stütze sein zu können. Ihr Verhältnis war nach dem Krieg zwar viel besser geworden als sie es sich je hätte ausmalen können, aber es genügte nicht.
 

„Aber noch überraschender finde ich, dass der General-Leutnant einen unkonventionellen Charakter wie Eren so nah an sich heranlässt, wohl wissend, welchem Sog er sich aussetzt“, sprach Armin nachdenklich weiter.
 

Hanji sah ihn erstaunt an, begegnete einem zurückhaltenden Blick.

„Sog“, wiederholte sie das Wort, als sei es befremdlich.
 

Armins scharfem Verstand und achtsamen Augen war nicht entgangen, was Hanji in ihrer geistigen Eitelkeit als überflüssig hinfortgewischt hatte.
 

Hanji hatte Levi mit viel Überzeugungsarbeit dazu gebracht mit ihr befreundet zu sein und er hatte ihr gegenüber stets mit dieser selbstschützenden Distanz, diesem unwillkürlichen, anerzogenen und erlernten Misstrauen einen emotionalen Sicherheitsabstand eingehalten.
 

Als Levi sich auf eine Freundschaft mit Eren einließ, hatte er sich bewusst in einen Orkan gestürzt, der jegliche Distanzen überbrückte und alle Hindernisse wie müdes Herbstlaub vom letzten Winter wegblies.
 

Erst jetzt verstand Hanji vollumfänglich, was Armin verwundert auf seine Finger starren ließ.
 

*~*
 

Eren schlief.
 

Nachdem sie ihn wieder ins Zimmer geschoben hatten, versorgten die Krankenpflegerinnen ihn mit Infusionen und erklärten ihm, dass Eren zwar nicht narkotisiert oder komatös war, dennoch vermutlich die nächsten 15 bis 20 Stunden durchschlafen würde.
 

Levi nickte alles ab und ignorierte sämtliche Ratschläge sich in ein eigenes Zimmer zu legen und zu erholen. Er fand keine Ruhe. Er würde kein Auge zu tun, ehe Eren aufgewacht und blöd dahergeredet hatte.
 

Natürlich wusste er, dass er für Erens Verletzungen nicht verantwortlich war. Zumindest nicht verantwortlicher als er es als Leiter der Einheit ohnehin war.
 

Trotzdem fühlte er sich schuldig. Er konnte die Ereignisse rationalisieren so viel er wollte, das Gefühl verschwand nicht.
 

Früher konnte er sich besser distanzieren, obschon er nie einer der Soldaten gewesen war, die ihre Untergebenen als lebendiges Werkzeug betrachteten, es pflegten und hegten, aber nie eine echte emotionale Bindung aufbauten. War es kaputt oder zu beschädigt, musste es ersetzt werden.
 

Levi wirkte zwar nie so, doch er hatte seine Untergebenen stets beobachtet, auf diese Weise kennengelernt und eine emotionale Bindung zu ihnen aufgebaut, die ihm letztlich zwar schadete, aber er konnte und wollte nicht aus seiner Haut.
 

Vielleicht litt Levi einfach gern.

Jedenfalls warf er sich das oft genug vor.
 

So intensiv war das Gefühl der Schuld selten gewesen. Er wusste warum und hatte es aufgegeben sich darüber innerlich zu echauffieren. Die Zuneigung zu Eren hatte ihn bereits verändert. Er sah es an dem geteilten Bett, seiner Geduld, den ausführlichen Gesprächen, der zunehmenden Bereitschaft sich fallen zu lassen - und Unsinn zu machen - und selbstverständlich an seiner besonders tiefgreifenden Sorge um Erens Wohlbefinden.
 

Seine komplette linke Brusthälfte bis auf Höhe des Zwerchfells musste mit aus Stammzellen gezüchteter Haut wiederhergestellt werden und war entsprechend dick bandagiert. Das zu sehen, ließ Levis Magen verkrampfen und Übelkeit in ihm aufsteigen.
 

Tatsächlich musste er keine Minute später aufspringen und sich im angrenzenden Bad übergeben. Viel war es nicht. Die letzte Mahlzeit mit Eren… Sie schien eine Ewigkeit her.
 

Er wusste nicht wie lange er röchelnd vor sich hin würgte bis sich sein Magen beruhigt hatte, aber spätestens als ihn Schwindel überkam und ihm erst recht der Schweiß ausbrach, wurde Levi klar, dass er körperlich am Ende war und er sich ernsthaft ausruhen musste. Er hatte den Blutverlust und womöglich die Vergiftung unterschätzt.
 

Schwerfällig betätigte er die Toilettenspülung und hievte sich zittrig auf.
 

„Levi?“, fragte Hanji gerade, als er aus dem Bad trat und musterte ihn kritisch, sowie sie seiner desolaten Erscheinung gewahr wurde.
 

„Ja“, brachte er mürrisch heraus.
 

„Ich habe einen bequemeren Stuhl besorgt“, erklärte sie und deutete dabei auf das Edelstahlgestell mit Polster auf der Liegefläche.
 

„Ein Balkonstuhl.“
 

„Ein Balkonstuhl“, nickte Hanji, „Mit komfortabler Kopf- und Fußablage.“
 

Levi betrachtete das Teil argwöhnisch, musste jedoch eingestehen, dass die Aussicht, sich darauf ausruhen zu können, im Moment äußerst verlockend war.
 

„Ich werde dir gleich noch eine Infusion bringen, dann lasse ich dich bis morgen in Ruhe.“
 

„Ich dachte, die ist erst morgen fällig.“
 

Hanji zog vielsagend eine Augenbraue hoch.

„Fällig, ja. Sie wird dir allerdings gut tun.“
 

Sie wusste ganz genau wie miserabel es ihm ging, sagte allerdings nichts weiter und dafür war er ihr sehr dankbar.
 

Er nickte und lag wenig später mit Decke und Infusionsständer neben dran auf dem Stuhl und ließ sich von dem steten Piepen des Herzmonitors einlullen bis sich sein Magen beruhigte. Er schlief nicht, doch seine Unruhe ließ mit der Erschöpfung und dem Wissen nach, dass Eren mit Hanji nicht in besseren Händen sein konnte. Alles würde gut werden.
 

***
 

Am nächsten Morgen wurde Levi in einen Behandlungsraum gebracht, um die Verbände zu wechseln und eine weitere Infusion zu erhalten.
 

Wieder schwieg Hanji über seinen schlechten Zustand und erzählte ihm lieber von einem seltsamen Essens-Pinkel-Traum und dass Armin seine Vollmachten nachgewiesen hatte und Eren besuchen durfte.
 

Diese Information nahm Levi zum Anlass sich mit seiner Einheit in Verbindung zu setzen und ihnen den Befehl zu erteilen sich weiterhin auszuruhen. Anschließend schrieb er Erwin eine Nachricht - er hatte Levi ganze 17 Mal versucht anzurufen und ein paar dringende E-Mails geschickt -, in der er erklärte, dass er Historia beauftragt hatte ihn über den Einsatz zu informieren, seine Einheit ansonsten allerdings in den nächsten zwei Tagen frei hatte.

Erwin war der Big Boss und Levi der Ansicht, dass er auch ohne seinen Input genug Material hatte, um der ESE einen größeren Spielraum a.k.a. eine vorbehaltlose Zusammenarbeit mit den anderen Behörden zu verschaffen.
 

Der Waffenfund allein musste nicht unbedingt auf eine terroristische Vereinigung hindeuten; eine Abgrenzung zur gewöhnlichen Waffenkriminalität war nur nach Analyse der Geschosse möglich. Je ausgefallener, desto eher dienten sie einem höheren Zweck als dem Alltagsgauner und Mörder von nebenan.

Die neuartige Munition, mit der Eren verletzt worden war, genügte den Anforderungen, davon war Levi überzeugt.

Abgesehen davon hatte seine Einheit nun genug Selbstbewusstsein getankt, um richtig gemeine Kopfschmerzen zu bereiten, sollte jemand an ihrer Existenzberechtigung zweifeln. Nicht einmal der ach so geniale Geheimdienst hatte vergleichbare Ergebnisse erzielen können. Alle stocherten im Dunkel, nur sie fanden irgendetwas. Selbst wenn es keine Terroristen gewesen sein sollten, waren sie in der Zeit nicht untätig auf ihren Ärschen gesessen.
 

Gerade als er sein Handy auf lautlos in die Tasche schob, kam ihm Armin auf dem Gang vor der Intensivstation entgegen.
 

„Guten Morgen, Sir“, grüßte er ihn freundlich, „Wie geht es Ihnen?“
 

Levi verstand, warum Eren dieser ständige Wechsel vom Siezen und Duzen nervte.

„Ich dachte wir duzen uns, Alert.“
 

„Entschuldigung“, lächelte Armin zögerlich, „Nach so vielen Jahren der Gewohnheit fällt es mir schwer bestimmte formelle Distanzen zu überwinden.“
 

„Ein Problem, von dem ich immer nur gehört habe.“
 

Armin warf ihm einen durchdringenden Blick zu.

„Mir scheint manche Menschen warten nur darauf jeden auf ihre Ebene ziehen zu können.“
 

„Das klingt so negativ.“
 

„Auslegungssache“, zuckte Armin mit den Schultern, „Meiner Ansicht nach wünschen sich die meisten Menschen eine Verbindung, die nicht durch formelle Grenzen behindert oder sogar tabuisiert wird.“
 

„Und du gehörst nicht dazu?“
 

„Ich gehöre eher zu denjenigen, die in der formellen Struktur und Distanz Sicherheit finden“, erklärte er offen, „Und ich denke, dass die meisten auch so empfinden, sich aber nicht trauen es zuzugeben und sich in idealistischen Phantasien verlieren.“
 

„Und wo ordnest du mich ein?“
 

„Als jemanden, der jeden Menschen nimmt, wie er ist und auf Augenhöhe kommuniziert“, räumte Armin ein und fügte nach kurzer Abwägung hinzu, „Genau wie Eren.“
 

Innerlich fuhr Levi zusammen. Es war keineswegs verwunderlich, dass Armin ganz genau beobachtete, was ihn und Eren so gut miteinander auskommen ließ. Ihre direkte und ehrlich-forsche Art war offensichtlich, aber was Eren für Levi bedeutete?

Er hoffte, dass Armin nicht auf die Idee kam, dass sein Vorgesetzter mehr als nur Sympathie für seinen besten Freund empfinden könnte. Es war immerhin eine Idee, an die sich Levi selbst erst gewöhnen musste und er wusste ganz genau, dass er für die meisten Menschen ein Buch mit sieben Siegeln war.

Selbst für einen hochintelligenten Mann wie Armin wäre es eine zeitaufwändige Herausforderung ihn zu knacken und ob er sich der stellen mochte, blieb abzuwarten.

Levi konnte sich höchstens Eifersucht als Motivation vorstellen, bemerkte bei Armin allerdings keinerlei Tendenzen diesbezüglich und sobald der Wasserrohrschaden behoben war, gäbe es sicherlich keinen Anlass mehr Levis Verhältnis zu Eren großartig zu hinterfragen.
 

Apropos…
 

„Wie geht es Eren?“
 

„Ich dachte, das müsste ich dich fragen“, meinte Armin dankbar, „Ich bin froh, dass sie dich nicht rausschmeißen konnten.“
 

Levi schnaubte stur.
 

„Eren schläft noch, aber die Transplantation war erfolgreich“, fuhr Armin erleichtert fort, „Dr. Natantes meinte, dass Eren jederzeit aufwachen müsste und diese lange Ruhephase nicht mal ungewöhnlich sei.“
 

„Wer ist Dr. Natantes?“
 

„Der Transplantationsarzt und Chefarzt der Dermatologie und Stammzellenforschung - soweit ich das verstanden habe“, seufzte Armin.
 

„Warum gehst du schon, wenn Eren jederzeit aufwachen könnte?“, fragte Levi ohne jeden Vorwurf, „Wenn jemand das Recht hat bei ihm zu sein, dann du.“
 

„Mag sein“, erwiderte er und faltete unsicher die Hände, „Aber ich brauche in solchen Situationen die Arbeit. Mich macht es ganz krank hier zu sein und nachdem ich weiß, dass Eren nicht alleine ist…“
 

Mikasa. Natürlich. Levi konnte verstehen, dass Armin sich mit Arbeit ablenken wollte und fühlte sich unwillkürlich geschmeichelt, weil er ihn als würdigen Ersatz ansah über Eren zu wachen. Armins Vertrauen nach diesem Einsatz vermochte seine Schuldgefühle ein wenig zu mindern.
 

„Historia wird deine Hilfe sicherlich zu schätzen wissen.“
 

Armin nickte und sah kurz auf den Boden.
 

„Nichtsdestotrotz möchte ich, dass ihr euch alle etwas erholt.“
 

„Das wird schwierig. Draußen tummeln sich die Journalisten und alle sitzen wie auf Kohlen. Für uns war der Einsatz schließlich nicht sonderlich strapazierend.“ Sie sind ziemlich viel untätig rumgesessen.
 

„Der ganze Monat zuvor allerdings schon. Wir müssen jede Gelegenheit zur Pause nutzen, wir wissen nicht, wann wir wieder welche haben.“
 

„Machen wir“, lächelte Armin und bedachte ihn mit einem musternden Blick, „Vielen Dank und gute Besserung.“
 

Levi nickte zum Abschied und kam sich grundlos ziemlich bescheuert vor. Er hörte sich an wie Nanaba, eine Soldatin und herausragende Chirurgin, die es sich mit ihrer ruhigen Art oft zur Aufgabe gemacht hatte ihre Kameraden zu bremsen und zur Ruhe zu rufen, wenn sie mal verschnaufen konnten. Im Krieg musste man jede friedliche Minute auskosten, das hatte Levi von ihr gelernt.
 

Er kam sich vor wie ein Vater, der die Parolen seiner Vorväter wiederholte, obwohl er sich geschworen hatte ganz anders zu werden.
 

Manchmal musste man wohl zugeben, dass die Dinge, die einem eingebläut worden waren, durchaus ihre Berechtigung hatten. Levi konnte sich nun nur noch fragen, warum er sich erst jetzt so fühlte. Er hatte zuvor schon Soldaten befehligt. Vielleicht lag es am Altersunterschied. Oder auch an ihrem unterschiedlichen Wissensstand. Mit Kriegsveteranen konnten wenige Menschen in bestimmten Punkten mithalten.
 

„Oh, Sir!“, rief eine Krankenpflegerin, „Herr Jäger wurde auf die Station 45 in den dritten Stock verlegt.“
 

Levi drehte sich um und erkannte die brünette Krankenpflegerin, die stets freundlich zu ihm gewesen war und die jüngeren Kolleginnen ermahnt hatte, sich nicht weiter über seine Anwesenheit auf der Intensivstation zu echauffieren.
 

Er nickte.

„Wo muss ich hin?“
 

„Wieder zum Lift und dann nach links, einfach der Beschilderung folgen“, lächelte sie ihn gütig an.
 

„Danke.“ Er hatte selten so freundliche Krankenpflegerinnen erlebt. Die meisten reagierten auf seine kurz angebundene Art schroff und wenig humorvoll. Er hatte absolut kein Talent für den Umgang mit Leuten, die sich seiner annehmen mussten.
 

***
 

Das Zimmer war blau. Es wirkte wie ein gewöhnliches Schlafzimmer und er bewunderte die Mühe, die sich die Innenarchitekten und die Krankenhausleitung gemacht hatten.
 

Erschöpft ließ sich Levi auf dem gepolsterten Holzstuhl nieder, der neben Erens Bett an einem kleinen Tisch stand.
 

Seine Hände waren zwar noch empfindlich, doch durfte er bei gehöriger Umsicht die Verbände weglassen. Anders sah es mit diesen dämlichen Schusswunden aus, die weiterhin mit Gelverbänden eingewickelt werden mussten.

Hanji wusste nur zu gut, dass er auf seine Hände mehr Rücksicht nehmen würde als auf die Schrammen an seinen Beinen.

Zu allem Übel hatte sie darauf bestanden seine Hämatome an Brust und Rücken mit einer intensiv riechenden Salbe einzucremen, um auch an dieser Stelle die Heilung zu fördern - Levi unterstellte ihr gutmütig, dass sie es lediglich genoss seinen Oberkörper anzufassen. Würde ihm die Salbe nicht so arg stinken, wäre er sicherlich dankbarer für ihre Bemühungen gewesen.
 

Müde lehnte er sich zurück und betrachtete Erens ruhendes Gesicht. Die Decke reichte ihm bis knapp über den Bauchnabel, sodass man deutlich die Verbände unter dem weißen Kittel erkennen konnte. Er hoffte, dass Eren nicht leiden musste, sobald er erwachte oder er zumindest bald eine Infusion bekam, die seine Schmerzen linderte.
 

Er wirkte nicht mehr so fragil wie zuvor. Er schien friedlich zu schlafen. Die gute Variante Schlaf. Die, bei der sich der Körper erholen konnte.
 

Beruhigt lehnte sich Levi nach vorne und verschränkte die Arme auf dem Tisch, um seinen Kopf darauf betten zu können. Er atmete tief durch und versank in einem von wirren Träumen und Erinnerungsfetzen durchzogenen Dämmerzustand.
 

Das Gefühl aus dem Betonrohr zu rutschen, ließ Levi schaudernd zusammenzucken und aus dem Halbschlaf hochschrecken. Er setzte sich mit einem unterdrückten Gähnen auf und wischte sich über die kratzigen Augen. Er fühlte sich wie überfahrener Müll auf den drauf gekotzt wurde.
 

Sein Blick wanderte zu Erens schlafender Gestalt. Zwei seegrüne Augen sahen ihm entgegen und er erstarrte.
 

Ein leichtes Lächeln formte sich auf Erens Lippen und er funkelte ihn an.

„Hallo“, krächzte er leise, die Stimme rau und heiser.
 

Als wäre ein Damm gebrochen, fand sich Levi in der nächsten Sekunde neben Erens Bett wieder.
 

„Eren.“

Er sprach den Namen aus wie in Trance, stand leicht vorgebeugt und unbeholfen eine Hand über Erens Unterarm haltend vor ihm.
 

Der Schmerz der ruckartigen Bewegung brannte sich zurück in sein Bewusstsein und war fast gleichzeitig vergessen. Zögerlich verhakte er Daumen und Zeigefinger in Erens Ärmel. Er brauchte dieses bisschen Körperkontakt wie die Luft zum atmen.
 

Sowie er den Stoff zwischen seinen Fingern spürte und Erens Handgelenk streifte, überkam ihn ein Gefühl purer Erleichterung, zog ihm regelrecht den Boden unter den Füßen weg.
 

„Was ist passiert?“
 

„Woran erinnerst du dich?“
 

„Ich wurde angeschossen.“
 

Levi nickte.

„Wir sind mit dem Heli nach Brüssel ins Militärkrankenhaus geflogen worden. Hanji und ihre Kollegen haben dich behandelt. Sie mussten großflächig Haut an deiner Brust transplantieren und dich entgiften, aber es sieht soweit alles gut aus. Du bist bald wieder fit. Den anderen geht es gut. Sie sind in einer Pension gegenüber. Sie haben heute und morgen frei. Armin war vorhin bei dir.“
 

Er ratterte die Geschehnisse runter wie ein Grundschüler, der von seinem Wochenende erzählen musste.
 

„Wie lange habe ich geschlafen?“, stellte Eren die nächste Frage, ehe Levi sich für seine unbeholfene Erzählung schelten konnte. Jedes Wort schien ihn anzustrengen.
 

„Ungefähr 28 Stunden.“
 

„Wie geht es deinen Verletzungen?“
 

„Sehr munter und penetrant, aber harmlos.“
 

Erens Mundwinkel zuckten.

„Ich bin froh.“
 

„Hanji sagt, dass die Substanz eine Art Flusssäure war, die sich durch deine Schutzweste gefressen und dadurch so viel Haut zerstört hat.“
 

Eren summte verstehend, den Blick unentwegt auf ihn gerichtet. Levis Magen zog sich schaudernd zusammen.
 

„Danke.“
 

„Wofür?“ Die Frage klang selbst in seinen Ohren selbstverachtend.
 

Er zuckte beinahe zusammen, als Eren nach seiner Hand fasste und sie locker, aber unnachgiebig hielt.
 

„Dafür, dass es dich gibt.“

Den Worten folgte ein freches Grinsen als befänden sie sich zurück in der L’École Militaire und nicht im Brüssler Militärkrankenhaus.
 

Levi stockte der Atem.

„Das ist das kitschigste, das ich jemals gehört habe.“
 

„Wie schade.“
 

Eren beobachtete ihn mit einem undurchdringlichen Ausdruck in den Augen, der Levi mit jeder vergehenden Sekunde heißer werden ließ. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, in seinem Bauch kribbelte und zog es, raubte ihm den Atem.
 

Als Eren ihn erneut anlächelte, erkannte er Verständnis und eine unerklärliche, für ihn so typische Entschlossenheit in den seegrünen Augen aufblitzen. Es machte Levi nur noch weichere Knie und Erens nachdrücklicher Griff um seine empfindliche Hand, sein zärtlich streichelnder Daumen verbannte auch noch den letzten vernünftigen Gedanken.
 

Er schäumte vor Zuneigung über.
 

Und in diesem Moment wurde Levi auf einmal bewusst, dass er nicht der Einzige war.
 

*~*
 

Es war im Großen und Ganzen ein kaum nennenswerter Rückschlag, doch das Tröpfchen Blut hatte die Jagdhunde auf sie aufmerksam gemacht. Dagegen mussten sie etwas unternehmen, ehe dieser Umstand zum Ärgernis wurde.
 

+++


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war das erste Kapitel.
Für Levi und die Rekruten war es ein Aufeinanderprallen zweier Welten.
Ich weiß, dass Levi mit Nachnamen nicht Rivaille heißt. Ich verwende den Namen aus zwei Gründen:
1. Als ich das Kapitel geschrieben habe, war nur sein Vorname bekannt;
2. Ich brauche den Namen Rivaille für meinen Plot.
Ich hoffe, es stört sich niemand zu sehr daran.

Im nächsten Kapitel wird Eren unfreiwillig noch mehr mit dem grimmigen Ausbilder konfrontiert und darf sich um seine Laufbahn sorgen.

Über Kommentare würde ich mich sehr freuen!

Bye

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war also das zweite Kapitel. Es ist das bisher kürzeste, selbst das unfertige Fünfte ist bereits länger. Obwohl nichts besonders ereignisreich war, hoffe ich, dass es trotzdem Anklang findet(((o(*゚▽゚*)o))) Es ist mehr zwischen den Zeilen geschehen.

Im dritten Kapitel wird Eren mit den vier Militärs auf eine Weise konfrontiert, von der er nie
zu träumen gewagt hätte. Ob das gut oder schlecht ist?
Jedenfalls kommt er seinem Ziel, mehr über Levi zu erfahren, ein klitzekleines Stück näher;-)

FRAGE an meine lieben Leser: Im nächsten Kapitel ist es Weihnachten und Silvester. Soll ich das Kapitel dann lieber erst zu Weihnachten hochladen oder meinem dreimonatigen Rhythmus folgend Ende November?

An alle, die sich die Mühe machen zu kommentieren, möchte ich ein ganz großes Danke richten! Ihr seid die Besten! (*_*)
Ich weiß, wie nervig und zeitaufwendig es sein kann. Ich hoffe, dass diese Geschichte auch denjenigen, die ohne zu kommentieren mitlesen, gefällt.
Dennoch würde ich mich auch über den noch so kleinsten Kommentar freuen^_^ Es ist die einzige Resonanz, die ich bekommen kann und ich möchte mich gerne verbessern. Also immer her mit Kritik!

Ich wünsche allen einen schönen Spätsommer und viel Erfolg in Schule/Uni/Job!
(Ich schreibe gerade zwei Hausarbeiten, hatte zwei Praktika und am 9.9. geht die Examensvorbereitung los, also hoffe ich, dass es bei euch weniger turbulent zugeht:-3)

Bye

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war nun das 3. Kapitel. Es ist ziemlich viel geschehen.
Es hat mir viel Spaß gemacht Hanji zu schreiben. Ich liebe sie und es gibt bisher kein Kapitel, in dem es keine Szene mit ihr gibt:)
Da Sasha auch viele mögen (ich ja auch^^), versuche ich sie zukünftig etwas öfter zu erwähnen. Im Großen und Ganzen bin ich mir noch nicht ganz schlüssig, wie intensiv ich die Sicht anderer Charaktere ins Spiel bringe. Wahrscheinlich wird es keine isolierten Szenen nur mit ihnen geben, da es ansonsten zu unübersichtlich wird. Aber mal sehen, die Musen werfen vorüberlegte Handlungsstränge gerne über den Haufen:D
Anfang/Mitte Januar wird diese FF schon ein Jahr alt. Ich habe im Zug von München nach Stuttgart einfach angefangen zu schreiben (deswegen auch die Zugszene mit Levi) und schaffe bis Silvester wohl das 6. Kapitel zu beenden. Deswegen werde ich den dreimonatigen Veröffentlichungsrhythmus beibehalten. Da ich März 2016 das 1. Juristische Staatsexamen ablegen werde und ein Jahr durchgehend Lernstress herrscht, werde ich garantiert nicht schneller schreiben können als bisher. Aber die nächsten Kapitel werden dafür lang sein;-)

Im 4. Kapitel rückt Hanji den Rekruten zu Leibe und macht ihnen das Leben so richtig schön schwer. Selbst Levi kann sich ihr nicht erwehren;-) Und mit der Zeit scheint es noch jemanden zu geben, dessen Existenz zu aufdringlich wird, um sie zu ignorieren... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war das fünfte Kapitel. Ich würde mich sehr für eure Meinungen dazu interessieren!
Ich bin extrem gespannt, was ihr zu den Charakteren sagen werdet:3

Die Ausbildung ist nun also beendet und langsam wird es ernst. Im nächsten Kapitel kommen unsere Grünschnäbel in eine andere Stadt und dürfen sich mit missgünstigen Polizeikollegen herumärgern.
Mehr oder weniger durch Zufall erfahren sie etwas mehr über Levis Vergangenheit, was ihnen - wenn möglich - noch mehr Respekt einflößt.

Das 6. Kapitel ist das Längste und deckt ein halbes Jahr ab. Ich werde es Anfang September hochladen.

Vielen Dank fürs Lesen und schönen Sommer!

Bye

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe das Kapitel am 05.01.15 beendet und nach dem schrecklichen Anschlag auf Charlie Hebdo am 07.01.15 habe ich überlegt das Kapitel umzuschreiben und die Bande in eine andere Stadt zu setzen.
Wie man sieht habe ich nichts verändert, aus zwei Gründen:
- Der Anschlag ist nun einige Monate her, sodass ich mich nicht mehr genötigt sah das Kapitel umzuschreiben.
- Ich wollte eine Stadt nehmen, die ich selber kenne. Da ich noch nicht viel von den europäischen Städten gesehen habe, aber 3x in Paris war, ist es nunmal diese Stadt geworden.

Ich weiß, es ist ein Cliffhanger. Das ist fies. Ein anderes Ende kam leider nicht in Betracht. Ihr werdet im nächsten Kapitel sehen, dass ich es leider nicht anders splitten konnte.
Ich freue mich auf eure Kritik zu diesem Mammutkapitel!

Nun fängt für unsere ESE jedenfalls die Arbeit an. Was für ein Einstand...

Bye

Minerva Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wollte ein längeres Kapitel schreiben, aber es sollte einfach nicht sein.
Ihr habt mich nun quasi "eingeholt". Trotz dem langen Update-Zyklus schreibe ich momentan erst am 8. Kapitel. Es hat aber bereits 14.280 Worte und da kommen schätzungsweise nochmal 2.000-5.000 Worte dazu.
Das 7. Kapitel ist mir wirklich schwer gefallen und es würde mich interessieren, ob euch das aufgefallen ist?
Ich hatte eine fast dreimonatige Schreibblockade nach Rhasgards Auftritt und Reiners Vernehmung. Sein Fluch sprach mir in diesem Fall aus der Seele xD
Die Szenen mit Eren und Levi wollen mir leichter gelingen, aber es soll ja nicht "bloß" eine Romanze sein.
Apropos, es war überhaupt nicht geplant, dass Levi sich so "schnell" verguckt. Aber manchmal machen die Charaktere eben was sie wollen xD Anfangs fand ich es etwas störend, aber mittlerweile passt das schon:D

Ich würde mich wirklich sehr über Feedback freuen!

35 Leute haben diese Geschichte als Favorit eingetragen. Davon kommentiert nur ein Bruchteil die Kapitel, deswegen wüsste ich gerne, wer dieses Kapitel wirklich liest und wer die Geschichte für einen späteren Zeitpunkt vermerkt hat.
Der Kommentar kann gerne auch ein Einzeiler sein! Es muss nichts besonderes drin stehen, ich freue mich auch über ein "Hi, das Kapitel gefällt mir/gefällt mir nicht/ist mittelmäßig, bye".
Ich möchte nicht "ins Leere" schreiben. Dafür muss ich keine Geschichte veröffentlichen und mich um regelmäßige Updates bemühen. Dafür reicht es auch nur für mich zu schreiben, ohne dass es jemand anderes liest.
Kommentare sind eine immense Motivation, denn dann weiß ich, dass es jemanden gibt, der sich über ein neues Kapitel freut und bemühe mich darum schneller zu schreiben - eben gerade auch wenn ich eigentlich keine Zeit dafür habe.
Aber gut, genug davon:) Das 8. Kapitel will ich bis März fertig haben, um es rechtzeitig im gewohnten Rhythmus hochladen zu können:)

Ich wünsche euch schöne Feiertage und einen guten Rutsch! Auf ein glückliches, erfolgreiches und gesundes Jahr 2016!

Bye

Minerva Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Kursivschrift bringt mich noch mal um den Verstand, boah ey! xD

Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel gefallen hat:)

Es war zeitweilig wirklich hart für mich zu schreiben.
Es tut mir leid, dass ich dieses Klischee mit dem geteilten Bett bediene, aber es war schon zu spät, um eine neue Idee einzubauen (auf die ich erst kürzlich gekommen bin^^°).
Also bleibt das nun so und ich hoffe, dass euch die Bettszenen genauso viel Spaß gemacht haben wie mir beim Korrekturlesen:)
Eigentlich sollte das Kapitel gar nicht so enden, sondern noch mehr Dialoge folgen, aber Erens Empfindung kam so plötzlich und war so passend, dass ich an dieser Stelle zum Schluss kommen musste. Dafür geht es im 9. Kapitel nahtlos weiter:)

Im nächsten Kapitel wird der ein oder andere Charakter noch ein wenig mehr beleuchtet, ehe es zum ersten offiziellen Einsatz der ESE kommt.
Bisher hat das 9. Kapitel 15.000 Wörter und es wird wahrscheinlich länger als die vorherigen Kapitel - vermutlich zwischen 20.000 bis 25.000 Wörter:)

Wie immer bin ich gespannt wie ein Bogen, was ihr zu diesem Kapitel zu sagen habt! Ich freue mich darauf:)

Ich wünsche euch schöne Feiertage und alles Gute bis zum nächsten Kapitel im Juni!

Bye

Minerva Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich hätte jetzt noch der gesamte Einsatz anschließen sollen, aber nachdem ich im Juni an der letzten Kampftraining-Szene so arg hängen geblieben bin und über Wochen keinen Satz herausgebracht habe, musste ich wider Willen aufteilen. Es tut nicht allzu weh, aber nun ist das Kapitel halt extrem gefühlsastig. Ich hoffe, dass es trotzdem gut ankommt.

Ich schreibe im September Examen, deswegen werde ich erst danach weiterschreiben und das nächste Kapitel kann ich nicht vor Weihnachten versprechen. Ihr könnt mich ja anfeuern, das hilft wirklich;)

In diesem Sinne vielen Dank fürs Lesen und schönen Sommer^^!
Wer mit mir über diese Geschichte oder SNK generell diskutieren möchte, kann mich jederzeit gerne anschreiben:)

Bye

Minerva Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hanjis klingelndes Telefon nach Erens Verletzung wäre ein schöner Cliffhanger gewesen. Ich habe schwer überlegt, ob ich das nicht machen soll, aber meinen Lesern zuliebe darauf verzichtet;)
Im nächsten Kapitel geht es also richtig mit dem Gefühlschaos für den armen Levi los. Es ist eine Sache etwas unerreichbares haben zu wollen und eine ganz andere, sich etwas erreichbares zu verbieten. Ich weiß noch nicht, wie weit Eren kommen wird, aber er ist definitiv nicht blöd und wird seine Grenzen gegenüber Levi nun erst recht austesten wollen. Mal sehen, wie schnell sich das entwickeln wird:D
Die Kursivpassagen waren schrecklich zu übertragen... Die nicht kursiv geschriebenen Gespräche beim Einsatz sollen unmittelbare Nähe zum Gesprächspartner signalisieren (leider etwas inkonsequent, nachdem ich beschlossen habe, dass die sich durch ihre Helme nicht hören können, wenn sie ohne Funkverbindung reden, aber ich wollte es jetzt nicht mehr ändern).
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen und ich würde mich wie immer sehr über Kommentare freuen!

Bye

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Kommentare zu dieser Fanfic (46)
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Von:  Maiun
2024-01-03T17:29:40+00:00 03.01.2024 18:29
Das ist die beste Fanfiktion, die ich je gelesen habe. Auch sechs Jahre, nachdem das letzte Kapitel hochgeladen wurde, komme ich noch gerne auf sie zurück und lese sie aktuell auch wieder. Schade, dass sie wohl nie fortgeführt wird, aber vielen Dank für diese tollen ersten elf Kapitel, liebe Minerva_Noctua! :)
Von:  Rentierchan
2019-08-15T21:04:57+00:00 15.08.2019 23:04
Ich bin über diese Story gestolpert und absolut überwältigt!
Leider sehe ich das sie schon lange nicht weiter geführt wurden ist. Das ist sehr schade, aber vielleicht hast du ja doch noch einmal Lust sie fortzuführen.
Ich bin von deinem schreibstil begeistert und der tollen Story!

Von:  Lianaa
2018-02-18T17:13:30+00:00 18.02.2018 18:13
Ich freue mich schon extrem auf das neue Kapitel! ich hab fast ein Jahr darauf gewartet und kann es kaum erwarten!!
Ich bin mir sicher, dass das neue KApitel soo gut werden wird, dass diese lange Wartezeit sich gelohnt haben wird!

Von:  Carolinschen
2018-01-27T13:03:45+00:00 27.01.2018 14:03
Halli Hallo,

eine Freundin von mir hat mir diese Fanfiktion empfohlen, und ich war zunächst skeptisch, da ich normalerweise nur englische und vollständige Geschichten lese, aber auf ihr Drängeln hin hab ich hier dann doch reingeguckt.

Was soll ich sagen? Einerseits hatte ich recht, ich hätte hier nicht reingucken sollen, jetzt kann ich nie wieder ohne diese Story und brauche unbedingt ein neues Kapitel, und andererseits hatte sie recht denn das hier ist wirklich einer der, wenn nicht sogar die beste Fanfiktion die ich je gelesen hab.

Nicht nur vom Schreibstil her, der wirklich sehr angenehm und aufregend zu lesen ist, sondern auch von der Story her.
Was mich an vielen Geschichten oft stört, ist die Tatsache, dass durch die Beziehung der Story Part vernachlässigt wird, aber das ist hier absolut nicht der Fall! Ich bin total gefesselt und das Setting ist wirklich gut!

Ich kann es kaum erwarten das neue Kapitel zu lesen und hoffe dass es wirklich bald kommt!

Vielen Dank für diese Story,

Caro ^^
Von:  Lin_Uchiha
2017-12-10T19:06:53+00:00 10.12.2017 20:06
So wo fange ich an,
Ich VERGÖTTERE diese Geschichte. Von den Charakteren, die du so gut schreibst als würdest du nichts anderes machen im Leben, bis zu dieser herrlich präzisen Storyline, die dich wahrscheinlich ordentlich Gedankenstärke gekostet hat.
Ich freue mich schon rießig wenn es weiter geht, aber fühl dich nicht gestresst, für diese ff würde ich Jahre warten <3
Liebe Grüße Lynn~
Antwort von:  Minerva_Noctua
11.12.2017 16:56
Hi!

Vielen Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich immer riesig, wenn ich Feedback bekomme, da es sich sonst anfühlt, als würde ich in die Leere schreiben.
Vielen Dank für das Lob! Ich hoffe, dass ich den Plot hinbekomme. Allmählich wird es kompliziert.
Das nächste Kapitel kommt zu den Feiertagen. Bis dahin muss ich schauen, dass ich beim nächsten Kapitel weiterkomme, damit die Wartezeit nicht zu schlimm wird...
Ich wünsche dir eine schöne Weihnachtszeit und hoffe, dass dir auch die nächsten Kapitel gefallen werden!

Liebe Grüße,

Minerva
2017-10-26T16:30:30+00:00 26.10.2017 18:30
Hammer Schreibstil
Freue mich schon total auf das nächste Kapitel
2017-10-26T16:28:49+00:00 26.10.2017 18:28
Freue mich schon total auf das nächste Kapitel
Von:  Akaashi
2017-06-02T18:46:51+00:00 02.06.2017 20:46
Erstmal großes Lob an den Schreibstil, ich habe mich schon in den ersten Sätzen komplett darin verloren und konnte es genau vor Augen sehen. Mir gefällt die Art wie du die Charaktere interagieren lässt, was ich gar nicht mal so einfach finde, wenn man bedenkt, dass man sich da in mehrere hinein versetzen muss und deren verschiedene Standpunkte vertreten muss als EINE Person.

Es ist zwar ein AU aber es ist so schön und glaubhaft geschrieben, dass dieser Punkt überhaupt kein Problem darstellt, man merkt richtig, dass du die Charaktere nicht einfach gepackt und irgendwo rein geschoben hast, sondern dass du dir da wirklich Gedanken drüber gemacht hast und weißt was du da schreibst. Und vorallem wie. Ich finde es ja Interessant wie die Charaktere miteinander umgehen und bin gespannt wie die Beziehungen sich entwickeln werden und vorallem die Charaktere selbst. Ich finde super, dass Levi seiner Ausdrucksweise treu geblieben ist, das kann er sich auch ruhig erlauben, haha :D

Ich werde es aufjedenfall weiter verfolgen und lesen, danke, dass du diese Geschichte mit uns allen teilst! <3

Liebe Grüße!
Von:  kleinYugi5000
2017-05-11T19:28:49+00:00 11.05.2017 21:28
hallo, sorry das ich das Kapitel erst jetzt lese. Hatte etwas stress ;D

Total cool. Der Einsatz ist super spannend und ich finde es so total genial wie den beiden immer ganz plötzlich ihre Gefühle füreinander merken. Und das Ende ist soooo zucker.
Freue mich schon total auf das nächste Kapitel.
Gibt es schon Pläne wann das kommt?

Weiter so

LG Soph-chan
Antwort von:  Minerva_Noctua
12.05.2017 15:50
Hi!

Vielen Dank für deinen Kommentar!
Freut mich, dass du weiter liest.
Nein, ich versuche es bis Ende Juli zu schaffen.

Liebe Grüße,

Minerva
Von:  Ookami-no-Tenshi
2017-04-28T15:15:45+00:00 28.04.2017 17:15
Wow wie du es nur schaffst immer so lange Kapitel zu schreiben. Echt unglaublich. O.O Ich finde deine Geschichte super, besonders da sie in der Zukunft spielt und werde sie auf jeden Fall weiterlesen. Freue mich schon auf das nächste Kapi. Hoffe es kommt bald.

Lg. Ookami-chan


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