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Iramon - Die Katze des Königs

Eine Pokemon Geschichte von Kanto
von

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Prolog

>>>Nerina<<<
 

"Vater! Da bist du ja endlich!" Mit langen Schritten rannte Nerina über den schwankenden Anlegesteiger auf das Fallreep zu, das ein paar Matrosen gerade an den wuchtigen Ringen der Anlegestelle befestigten. Einer von ihnen vertrat ihr den Weg und setzte zu einer groben Bemerkung an, doch Nerina machte einfach einen Sprung über das ausgestreckte Bein des Mannes hinweg und sprang stürmisch ihrem Vater in die Arme, der, bleich und scheinbar ziemlich übernächtigt, als erster von Bord des Schiffes stieg. Mit leicht zitternden Knien tat er einen Schritt zurück, um die plötzliche Attacke abzufangen und schloss gleichzeitig die Arme um seine Tochter. "Nerina", sagte er ein wenig überrumpelt, "Was tust du denn hier! Du solltest doch schon längst im Bett sein!" Doch das unmissverständliche Lächeln in seinen Augen strafte die Ermahnung Lügen. Nerina grinste nur noch breiter. "Ich konnte ja doch nicht schlafen", plapperte sie munter los, während sie neben ihm her den Landesteg entlang zurück zum Quai schlenderte, "Immerhin geht es morgen los und ich bin so froh, dass du noch rechtzeitig kommen konntest, um uns alles gute zu wünschen!" Vater gab ein abwehrendes Geräusch von sich, packte seinen Koffer etwas energischer und kratzte sich am linken Ohr, wie er es immer tat, wenn man etwas wirklich unvernünftiges gesagt hatte. "Aber ich würde doch nicht den wichtigsten Tag im Leben meiner Kinder vergessen!" Er grinste etwas schief und blieb an einer der zahlreichen, kleinen Buden stehen, die zu Ehren des morgigen Sommeranfangfestes am Hafen aufgestellt worden waren, um sich ein belegtes Fischbrötchen und Nerina eine heiße Waffel zu kaufen. Nerina strahlte. Alles war so viel einfacher, wenn Vater zu Hause war! "Und, bist du schon sehr aufgeregt?", fragte er beiläufig, doch Nerina spürte instinktiv, dass mehr hinter der Frage lauerte, als eine bloße Aufmerksamkeit. Ernst nickte sie. "Natürlich! Oh, ich bin ja so gespannt, was du und Professor Eich da so klamm heimlich ausgemacht habt", sagte sie bedeutungsvoll, "Willst du mir denn wirklich noch gar nichts verraten?" Nerina wusste nur zu gut, dass ihr Vater, der berühmteste Pokemonmediziner der Zinoberinsel und ein weitbereister Experte auf dem Gebiet der Pokemonforschung sich mit seinen alten Kameraden Professor Lind und Professor Eich zusammengetan hatte, um irgend etwas besonderes für die Trainerkarriere seiner Zwillinge auszuhecken. Schon vor gut und gerne einem Jahr hatte die Geheimnistuerei angefangen, nur wenige Monate, nachdem Gringo, der ehemalige Boss des berühmt, berüchtigten Team Rocket die Macht über sämtliche Pokemonaktivitäten des Landes übernommen hatte. Niemals würde Nerina Vaters entsetztes Gesicht vergessen, als sie damals zusammen im Wohnzimmer vor dem Fernseh gesessen und der Machtergreifung praktisch zugesehen hatten. Zuerst hatte es wie ein Showdown begonnen, eine groß angekündigte Herausforderung des obersten Ordensmitgliedes der Pokemonwelt, Siegfried, dem Drachentrainer. Die beiden Männer hatten erst eine Runde mächtig angegeben, soweit sie wusste. Keiner hatte der Sache so recht Aufmerksamkeit geschenkt. Mutter hatte Äpfel für ihren Kuchen geschnitten, Vater eine Fachzeitschrift gelesen, Neru und sie hatten auf dem Teppich gesessen und es wiedermal mit Schachspielen versucht, auch wenn Nerina die lustigen Figuren lieber als Kegel verwendet hätte. Dann hatte der Kampf begonnen. Sie hatte es über Nerus Schulter im Fernsehen gesehen, Siegfried förderte sein erstes Dragoran zum Vorschein, Gringo schickte ein Snobilikat. Nerina hatte über soviel Dummheit den Kopf geschüttelt. Jeder wusste schließlich, dass Snobilikat nur ein Normal-Typus war, nicht ganz übel, wenn man es richtig trainierte, aber völlig chancenlos gegen ein Dragoran! "Dame schlägt Turm", hatte Neru verkündet und sie einer weiteren Figur beraubt. Ärgerlich hatte sie sich wieder dem Spiel zugewandt, bis das Snobilikat sich plötzlich hoch auf die Hinterbeine erhob und gleißend zu leuchten begann. "Es entwickelt sich!", murmelte Nerina verdutzt, "Aber..." "Schach", sagte Neru ärgerlich und schubste eine Figur auf ein anderes Feld, "Oh Nerina! Kannst du denn nie bei der Sache bleiben?" Dann folgte er ihrem Blick - Seine Miene versteinerte und mit einer raschen Bewegung beförderte er das Spielbrett unter den Wohnzimmertisch. "Ein Snobilikat, das sich zu einem... Jugong entwickelt?", stieß er überrascht aus, "Aber, sowas kann es doch gar nicht geben!" Während er aufgeregt aufsprang, um den Fernseher lauter zu stellen, beobachtete Nerina mit klopfendem Herzen das bleiche Gesicht ihres Vaters. Er hatte die Zeitung beiseite geworfen, sodass sie nun, dem Spielbrett ähnlich, unter dem Tisch lag. Seine Augen zeigten eine Art faszinierter Furcht, wie wenn ein Kind einem Feuerwerkskörper beim Explodieren zusieht. "Vater?", fragte sie langsam, "Was passiert da?" Doch Vater hatte nicht geantwortet, seine Kinder nur geistesabwesend zu sich gewunken. So, alle drei auf ein Sofa gedrängt, hatten sie beobachtet, wie das mysteriöse Jugong sich angesichts von Dragorans Feueratem mit hellem Leuchten in ein Glurak verwandelte, dann in ein Elektek, dann in ein Tauros und schließlich wieder in das Jugong, das dann mit einem Eisstrahl die Sache fein und säuberlich beendet hatte, genau wie Siegfrieds nächstes und übernächstes Dragoran. Es wechselte einfach seine Form, als sei es ein überstarkes Ditto, das frei aus seinem Kopf sein Spiegelbild wählen konnte. Die ganze Pause lang hatten die Zwillinge ihren Vater gelöchert. "Ist es ein Ditto?" "Kann ein Ditto sowas überhaupt?" "Ist es ein Abra, das die ganze Zeit die Pokemon austauscht, ohne, dass es jemand sieht?" "Ist es vielleicht ein anderes Gestaltwandlerpokemon aus einem anderen Land?" "Hast du sowas je schon mal gesehen?" Doch er war ihnen die Antworten schuldig geblieben, hatte nur geradeaus an die Wand gestarrt, bis die Pause halb um gewesen war. Dann war er mit einem Male aufgesprungen, wie vom Ariados gebissen. "Ich muss Professor Eich anrufen", hatte er ausgerufen und war davongestürzt. Die Zwillinge brauchten bloß einen Blick zu wechseln, um die Kriegstaktik abzumachen und während Nerina einen großen Zirkus veranstaltend in die Küche lief, um Mutter abzulenken, schlich sich Neru in die kleine Besenkammer, von wo aus man recht passabel lauschen konnte, was in Vaters Büro gesprochen wurde. Erst nach dem unruhmreichen, zweiten Teil des Kampfes waren sie wieder alle im Wohnzimmer gewesen. Gringo hatte Siegfried haushoch besiegt und nicht nur das. Er hatte sich mit seinem komischen Snobilikat vor dem großen Drachentempel aufgebaut und die Fäuste in die Hüften gestemmt. "Und hiermit geht der Vorsitz des Ordens der Pokemonarenen, Tempel, Universitäten, Center und Ausbilder an Gringo und wer es nicht glaubt, der möge kommen und ihn herausfordern!" Von diesem Tag an hatte sich alles geändert. Viele hatten versucht, Gringo zu stürzen, praktisch jeden Abend berichtete das Fernsehen von neuen Vertretern der alten Liga, keine jungen Trainer, sondern erwachsene Männer und Frauen, die einst hohe Würdenträger der alten Liga gewesen und nun von Gringo entlassen und gegen Mitglieder des Team Rocket ersetzt worden waren, doch keinem von ihnen war jemals ein Sieg über Gringos seltsames Miezekätzchen geglückt und so hatte der selbstgekührte König der Pokemonwelt angefangen, sein Reich nach seinem Willen zu formen. Er hatte die Kampregeln der Arenen verschärft, Gelder für Pokemon-Center gestrichen und stattdessen in das Fangen weiterer, seltener Pokemon für seine private Sammlung investiert. Die zukünftigen Trainer durften nur noch mit Pflanzen- oder Wasserpokemon starten und das Fangen und Besitzen von Feuer-, Geist- oder Unlichtpokemon war unter Strafe verboten worden. Außerdem bestimmte Gringo nun höchstselbst darüber, welche Kinder eine Trainerkarriere starten durften und welche nicht, ein Gesetz, das den Zwillingen viele, schlaflose Nächte bereitet hatte, zumal Neru von Vaters Gespräch nicht einmal etwas Sinnvolles hatte aufschnappen können außer Wortfetzen wie 'Die alte Schrift aus Silver City' oder 'Evotation', die zwar prächtig klangen, sich aber allen Bemühungen widersetzt hatten, in Fachbüchern gefunden zu werden und ihr Geheimnis preiszugeben. Einige, lange Wochen hatten sie dumpf vor sich hingebrütet, bis eines Tages Professor Eich und sein Kollege Lind bei ihnen auf der Matte gestanden und sich mit Vater in das Büro zurückgezogen hatten. Natürlich hatten sie tatkräftig zu lauschen versucht und Neru behauptete steif und fest, gehört zu haben, dass die drei sich über die Trainerselektion hinwegzusetzen gedachten und, dass Vater nach Silver City gehen und "alles vorbereiten" sollte, da hatte seine Schwester warnend gepfiffen und kurz darauf waren sie vor Mutters wütend schwingenden Wischmopp davongelaufen. Mutter hatte die beiden schimpfend bis in den Garten und in ihr Baumhaus auf dem alten Nussbaum gejagt. "Was die drei zu besprechen haben, ist nichts für Kinderohren", hatte sie dann mahnend zu ihnen hinaufgerufen, "Habt ihr beiden denn gar kein Benehmen?" Nun, die Zwillinge hatten definitiv Benehmen, aber dennoch spionierten sie, sogut es ging, weiter hinter den Erwachsenen her, doch alle Bemühungen hatten keinen Zweck gezeigt. Vater wollte sein Geheimnis nicht preisgeben. Stattdessen hatte er ihnen nur zu ihrem zwölften Geburtstag je einen großen Wanderrucksack, einen Trainergürtel mit erstem Pokeball und einen Brief überreicht, der sie offiziell als werdende Trainer im Sinne des Königs auswies - und offensichtlich Eichs Handschrift trug. Das war letzten Monat gewesen und danach war Vater sofort wieder zurück zu seinen Forschungsarbeiten in Eden gefahren und die Zwillinge lediglich mit dem Versprechen zurückgelassen, sie persönlich am Tag des Sommeranfangs bei Professor Eich in Alabastia abzuliefern - morgen, um genau zu sein.

"Hm, das wäre deinem Bruder gegenüber aber ganz schön unfair", sagte Vater nun mit wichtiger Miene und biss in sein Brötchen, "Immerhin liegt der jetzt brav im Bett, während du allein um Mitternacht am Hafen herumtigerst. Das sollte man schon nicht grade belohnen!" "Ich wollte Neru ja mitnehmen", protestierte Nerina nun wahrheitsgemäß, "Aber er hat heute so lange mit seinem doofen Computer rumgespielt, bis Mama ihn geschnappt und mit zu ihrem Yoga-Club genommen hat, damit er sich abregt und da er ja nicht da war und Mama auch nicht, musste ich mich genau genommen noch nichtmal heimlich wegschleichen." "Yoga, so so", brummte Vater amüsiert, "Nun, die werden ihre Freude haben, da bin ich mir sicher." Nerina nickte ernst, ohne dem schalkhaften Lächeln in seinen Augen eine weitere Bedeutung beizumessen. "Also ist es gar nicht unfair, wenn du mir was sagst", schloss sie überzeugend, "Denn wir werden sie sowieso noch wach treffen und dann kann ich es ihm erzählen." Doch Vater schüttelte ernst den Kopf. "Eich und ich werden euch alles erzählen, wenn wir morgen dort sind, Nerina." Dann nahm er seine enttäuscht dreinblickende Tochter an der Schulter und gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg durch die sommerlich halbdunklen Gassen Zinobias. Überall wimmelte es von Leuten, die zum Hafenfest gingen oder zurückkehrten und Nerina sog die warme Nachtluft genüsslich in ihre Lungen. Sie schmeckte nach Abenteuer, nach Freiheit! Während sie gingen, erzählte Vater von seiner Reise nach Eden und, was er dort alles gesehen hatte und im Gegenzug berichtete Nerina von den glänzenden Abschlussnoten, die sie und Neru gerne gehabt hätten. "Aber aber", bremste Vater mit einem tadelnden Seitenblick, "Du bist doch gar nicht schlecht in Mathe!" "Das lag alles nur an der dummen Strafarbeit!", protestierte Nerina und berichtete von der dummen Geschichte, in der maßgeblich ein Schrank, eine Trompete und zwei schwarzhaarige Zwillinge die Hauptrolle spielten. Doch Vater schien ihr gar nicht richtig zuzuhören. Stattdessen musterte er sie interessiert von der Seite, während sie sprach und auch, als Nerina schon lang geendet hatte, hörte er nicht auf, sie zu betrachten, als studiere er die Angriffstaktik eines wilden Fukanos. Sie hatten ihr kleines, gemütliches Haus am Stadtrand schon beinahe erreicht, als er plötzlich stehen blieb, Nerinas Hand nahm und sie eindringlich ansah. "Nerina", sagte er völlig unerwartet, legte ihr eine Hand unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen, "Worum Eich und ich euch morgen bitten werden, ist sehr schwierig, anstrengend und auch zu einem gewissen Teil riskant und ich würde es nie von euch beiden verlangen, wenn ich eine Wahl hätte. Ich bin mir sicher, dass Neru und du das schaffen könnt. Ihr habt das Zeug dazu, das weiß ich! Du wirst sehr mutig sein und sein müssen, Nerina, aber bitte versprich mir, dass du auf dich aufpassen wirst." "Aber...", begann Nerina verstört, doch Vaters Blick kannte kein Erbarmen. "Bitte versprich es mir", wiederholte er eindringlich und Nerina nickte. "Ja", sagte sie leise und etwas überrumpelt. Vater nickte, ließ ihre Hand los und durchquerte mit langen Schritten die Hof, um die Tür aufzuschließen. Nachdenklich sah Nerina ihm nach. Was für eine Aufgabe mochte der nächste Tag nur bringen?

Kapitel 1

>>>Neru<<<
 

Große, grau-braune Schwingen, von einem Muster aus roten und goldenen Federn durchzogen, peitschten durch den frühen Morgenwind. Die langen Federn, die vom Kopf des Tauboss abstanden, wiegten sich im Wind und der Glanz seiner Augen war von solch einer Freiheit und von solch einem Bewegungsdrang erfüllt, dass Neru gar nicht anders konnte, als vor Staunen den Mund nur noch offen stehen zu lassen. Im nächsten Moment haute ihn die Druckwelle der gewaltigen Flügelschläge um und er blieb nach einigen Sekunden der sandsturmaufwirbelnden Orientierungslosigkeit auf seinem frisch gepackten Rucksack liegen. Wie hatte seine Mutter gesagt? "packe deinen Rucksack immer sorgfältig und gründlich und behandle ihn nicht, wie einen Boxsack, schließlich lebst du ab heute aus ihm." "Ja", hatte er es ihr fest versprochen, dabei aber vor Aufregung gar nicht richtig zugehört. Doch irgendwie packte ihn doch die Reue, wenn er daran dachte, mit wie viel Sorgfalt seine Mutter seine Hemden gefaltet hatte, und wie vorsichtig sie sie dann im Rucksack verstaut hatte. Er hatte zwar damit gerechnet, dass sie nicht mehr lange wie frisch gebügelt aussehen würden. Aber das er sie nach immerhin zwei Minuten im Freien schon komplett zerknüllen und seinen Rucksack von oben bis unten mit Staub übersähen würde, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Verstimmt ließ er sich von seiner Schwester in die Höhe ziehen, die ihn beglückt anstrahlte, und er musste selber anfangen zu lachen, als er an sich hinuntersah. "Sieh zu, dass Mama dich so nicht zu sehen bekommt", zischte sie ihm immernoch erheitert zu.

Eine harsche Strafpredigt und ein Abkehren mit dem Handfeger später saß Neru auch schon auf dem Rücken des Tauboss und wagte es nicht, zu atmen. Nach dem ersten dieser riesigen Flugpokemon war auch noch ein zweites erschienen. Vater hatte den Reiter wie einen alten Freund begrüßt und war hinter ihm auf das Flugpokemon gestiegen, während er und Nerina auf dem anderen platznahmen. Der Pokemonlenker riet ihnen noch, sich ruhig zu verhalten und sich gut an den Lederriemen, die auf Tauboss' Rücken befestigt worden waren, festzuhalten, wenn sie Eichs Labor heute noch erreichen wollten. Die Zwillinge hatten sich ehrfürchtig mit dem Pokemon bekannte gemacht, in dem sie ihm die Hände auf die Flanke legten und waren dann aufgestiegen. Mutter hatte noch einwenden wollen, dass ein Flug so ganz alleine doch viel zu gefährlich gewesen wäre, doch der Pokemonlenker hatte sie nur höflich angelächelt und das Zeichen zum Start gegeben.

Viel zu schnell war das alles gegangen, Nerina und Neru hatten noch nicht einmal die Zeit gehabt, sich von ihrer Mutter ein letztes Mal zu verabschieden. Natürlich hatten sie das auch schon vorher getan, mehrmals sogar, doch eigentlich hatten alle beteiligten auf den Weinkrampf ihrer Mutter gewartet, der am Ende kommen musste. So ging alles viel zu schnell. Nach dem Nerina und Neru ihr noch einmal zuwinkten, verschwand ihre Gestalt schneller als es sich einer der beiden hätte vorstellen können zwischen den grünen Tälern und Bergen der Zinoberinsel. Bald schon war die Insel hinter ihnen nicht mehr zu sehen und unter ihnen breitete sich das Blau des Meeres und über ihnen das des Himmels aus, nur hier und da von einer Schaumkrone oder einer Wolke unterbrochen. Kräftig schlug ihr Tauboss mit den Flügeln und hatte bald das andere, vorausfliegende Tier eingeholt. Neru spürte jeden Flügelschlag in den Rückenmuskeln des Pokemon und spürte, wie es sich auf jede neue Windböe einstellte, konnte sehen, wie es die Federn seiner Flügel spreizte und abknickte, um jeden Windhauch so gut wie Möglich zu verwenden. "Es ist großartig", hauchte er seiner Schwester, die vor ihm saß, ins Ohr und sie nickte heftig und schlug ihm dabei fast ihren Kopf ins Gesicht. Doch das war ihm egal, er konnte nichts anderes tun, als die Bewegungen des Tauboss zu bewundern. Nur wenige Stunden später, während derer die Zwillinge darüber diskutierten, welches der Starter-Pokemon sie wohl auswählen würden und welche überhaupt zur Wahl stehen könnten, erreichten sie das Labor von Professor Eich. Nerina hatte sich in Gedanken schon mit einem Schiggy oder einem Karnimani angefreundet, während Neru immer noch darüber grübelte, ob er sich seiner Schwester anschließen oder lieber auf die Pflanzen-Schiene wechseln sollte. Leider waren die Feuerpokemon als Starter abgeschafft worden und so standen Glumanda und Feuriegel, die den beiden natürlich am besten gefielen, nicht zur Debatte.

Ohne noch lange auf eine Aufforderung zu warten, kletterten die beiden von dem Rücken des Tauboss und ließen sich ins Gras plumpsen. Der große Moment war endlich gekommen. Vor ihnen erhob sich ein großes Gebäude, das von einer Glaskuppel überdacht wurde und dessen weiße Wände in der Sonne strahlten. Es lag in Mitten einer großen Waldlichtung und war umrundet von hohen und makellosen Bäumen, aus denen Vogelgezwitscher und die Rufe von Pokemon zu hören waren. Neru erkannte das Gebäude sofort wieder, er hatte es schon unzählige Male im Fernsehen gesehen, auch der Eigentümer dieser Forschungseinrichtung war in aller Munde. Professor Eich. Neru ließ seinen Blick über die Rasenfläche vor dem Labor wandern und konnte weitere Tauboss auf dem Rasen verteilt entdecken. Zwei weitere große Tiere pickten und hackten auf dem Boden herum, wie Hühner oder tranken Wasser aus einer großen Tränke, die mit dem Labor selbst verbunden war. Damit waren bestimmt die anderen Anfänger gekommen. Nerina stieß ihn an und murmelte: "Hoffentlich sind überhaupt noch Starter da." Er stockte und ein unangenehmes Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus, während es ihm wie Eiswasser den Rücken herunter lief. "Ich hoffe es doch sehr", erwiderte er seiner Schwester und laß auch in ihren Augen die Angst, am Ende doch gar nicht zum Pokemontrainer zu werden. Doch bevor sie weiter darüber nachgrübeln konnten, wurden sie auch schon von ihrem Vater in das Labor bugsiert. "Was steht ihr denn da und guckt wie ein Golbats?", meinte er nur lachend, "Ich dachte ihr wolltet Pokemontrainer werden." "Ja, aber..." Mehr konnte Nerina nicht sagen, denn als sie und Neru durch die Tür des Labors traten, stockte ihnen der Atem. Vor ihnen standen zwei weitere Kinder, die offenbar ebenfalls ihre Karriere als Trainer am heutigen Tag beginnen wollten. Eine Menge anderer Männer in weißen Kitteln standen ebenfalls herum und auch Vater tauschte seine Jacke gegen einen dieser weißen Kittel. In der Mitte standen zwei älter aussehende Männer. Bei dem einen handelte es sich um Professor Eich, den man hier, in seinem Labor auch erwartete, der andere hingegen sollte eigentlich gar nicht hier sein. Es handelte sich um Professor Lind. Was konnte nur so wichtig sein, dass sie beide hier anwesend waren? Als Eich und Lind die Neuankömmlinge entdeckten, sprangen sie sofort mit einer Energie auf, die man von ihrem Alter gar nicht erwartet hätte. Herzlich begrüßten sie Vater und schüttelten Hände. Neru nutzte die Gelegenheit, sich in dem Labor etwas genauer umzusehen. Dutzende von Computern mit großen Bildschirmen standen herum. Er konnte auch Glasflaschen und Reagenzgläser wie aus dem Chemieunterricht erkennen und überall lagen Pokemonbälle herum. Weiß gekleidete Männer hasteten von Computer zu Computer und verglichen Daten, diskutierten Ergebnisse und schienen die vier Kinder und die Professoren vollkommen vergessen zu haben. Lind war der erste, der zu realisieren schien, dass die Kinder immernoch anwesend waren. Mit schneeweißen Gesichtern starrten sie die Professoren an und konnten ein gelegentliches Zittern vor Aufregung und oder Angst nicht unterdrücken. Mit einem strahlenden Lächeln trat Lind vor und begann eine kleine Rede zu halten.

"Hallo neue Trainer", begann er,

"Wie ihr bestimmt schon mitbekommen habt, handelt es sich bei dem, was heute passieren wird, nicht um eine gewöhnliche Vergabe von Starterpokemon an neue junge Trainer. Wie ihr alle wisst, hat Gringo alle Pokemoneinrichtungen auf sich vereinigt und herrscht damit über alle Pokemon, die sich im Moment im Land befinden. Es ist sein Recht, nachdem er es geschafft hat, alle hohen Trainer und Arenaleiter zu bezwingen, dennoch kann dieser Zustand nicht toleriert werden." Er sah jeden der Kinder einen Augenblick durchdringend an.

"Wir, die Pokemonprofessoren, sind uns einig, dass Gringo bei dem Duell gegen Siegfried nicht fair gespielt hat und dass sein Snobilikat sich nicht so verhalten hat, wie es ein normales Pokemon tun sollte. Tatsache ist jedoch, dass kein Trainer ihm gewachsen ist. Sein Snobilikat nimmt immer die Gestalt von dem Pokemon an, das garantiert einen hohen Vorteil gegen das des Herausforderers hat. Somit ist er unbesiegbar. Wir wollen die Liga wieder zurück zu der Zeit führen, als die Kämpfe noch fair abliefen. Deswegen haben wir das ganze letzte Jahr an der so genannten Evotation geforscht." Bei diesen Worten sahen sich Neru und Nerina an. Würden sie nun endlich erfahren, worum es sich bei dieser Evotation handelte? "Der Vorgang der Evotation ist sehr kompliziert und ich denke, Professor Eich kann ihn besser erklären als ich es kann, da immerhin er auf die Spur dieses Mysteriums gekommen ist." Damit wandten sich alle Blicke von Professor Lind hinüber zu Professor Eich. Nerina warf Neru wieder einen vielsagenden Blick zu. Ihre Augen schienen zu sagen: "Ich wusste, hier steckt mehr dahinter." Doch Neru hatte keine Gelegenheit, ihr einen Kommentar zuzuwerfen. Er nickte nur. Dann begann Professor Eich:

"Nun, ihr kennt bestimmt alle das Pokemon Evoli oder?" Rundherum nickten alle werdenden Trainer. "Evoli ist als einziges Pokemon in der Lage, sich abhängig von seiner Umgebung zu unterschiedlichen Pokemon zu entwickeln. Seine Evolutionsbereitschaft dabei ist enorm. Doch nicht wirklich erklärbar. Ich habe lange Jahre an dieser Form der Evolution geforscht und es auf eine innstabile DNA zurückgeführt. Ich dachte mir, was wäre nun, wenn nicht nur Evoli über eine solch instabile DNA verfügen würde und was wäre, wenn man den innstabilen Zustand nach der Evolution beibehalten könnte, sodass Evoli sich wieder zurück zu seiner Grundform entwickeln konnte? Ich erzählte meinem Freund Dr. Taku von dieser Idee. Doch wir kamen auch mit gemeinsamer Arbeit nicht auf die Lösung des Problems." "Es gab noch keinerlei Forschung auf diesem Gebiet", antwortete Vater nach einem Blick von Professor Eich, "Dennoch war ich der Meinung, dass es bestimmt eine Möglichkeit geben müsste, dieses Ziel zu erreichen. Der Gedanke, wie man dieses Problem lösen konnte, kam mir bei dem Kampf von Gringo gegen Siegfried. Die Evolution von Snobilikat war in den normalen Pokemonreihen und auch in der DNA von Mauzi oder Snobilikat nicht vorgesehen. Also musste Gringo eine Möglichkeit gefunden haben, unseren Traum zu verwirklichen. Nun, wie gesagt, mir kam die Idee, wie die Lösung zu unserem Problem aussehen könnte. Nachdem ich mich mit Professor Eich abgesprochen hatte, brachen wir gemeinsam zu Professor Lind auf, wo wir es dann mit der Hilfe des Professors schafften, ein Serum herzustellen, dass den Pokemon ermöglicht, zwischen unterschiedlichen Evolutionen hin und her zu wechseln." Er hatte seine Stimme immer weiter gesenkt und flüsterte jetzt am Ende beinahe nur noch. "Jedoch sind nicht alle Pokemon in der Lage dazu. Wie ich mit der Hilfe von Professor Lind und einem geliehenen Snobilikat und einem Mauzi herausgefunden habe, ist es ausgerechnet dieser Reihe nicht möglich, auf das Serum anzusprechen. Die DNA der Pokemon muss bereits einige Ungereimtheiten aufweisen, damit das Serum wirken kann. Snobilikat hat jedoch eine so stabile DNA, dass das Serum einfach wirkungslos an ihm abprallt. Doch bei einigen Pokemon ist uns der Durchbruch gelungen. Das Serum ist jedoch nur bei sehr jungen Pokemon, um genau zu sein frisch geschlüpften, anwendbar, da nur in der Wachstumsphase die DNA veränderbar genug ist, um auf das Serum zu reagieren. Nun gut, ich will euch nicht langweilen. Fakt ist, dass wir es geschafft haben, vier evotationsfähige Pokemon zu impfen und ihnen damit die Möglichkeit der mehrfachen Evolution ermöglicht haben. Wir sind der Meinung, dass diese vier Pokemon die einzigen sind, die es schaffen können, Gringo zu besiegen, da sie als einzige in der Lage sind, gegen die Elementvorteile von Gringos Snobilikat zu kontern."

Damit schloss sich der Vortrag und die Projektionswand, an deren ihr Vater und Professor Eich ihre Entdeckung präsentiert hatten, wurde wieder zusammengerollt. Neru warf Nerina einen fragenden Blick zu und auch sie zuckte nur die Achseln. Es war ein bisschen viel Fachchinesisch gewesen um zu erwarten, dass die beiden alles davon verstanden hätten. "Ich sehe euren Gesichtern an, was ihr nun erwartet", meinte Eich und führte sie zu einem großen Tisch in der Mitte des Labors, auf dem feinsäuberlich vier Pokebälle aufgereiht lagen. "Wir haben hier die Pokemon Evoli, Nidoran, Taubsi und ... ähh... nun ja, eine Art Glumanda." "Was meinen sie mit einer Art Glumanda?", fragte nun Nerina, die ihre Ungeduld nicht mehr zügeln konnte. "Nun ja, da es uns nicht mehr gestattet ist, Feuer-Pokemon auszugeben und leider Glumanda das einzige Pokemon war, das wir noch hatten, das zu der Evotation fähig ist, ... nun also äh..." Lind mischte sich in das Gespräch ein. "Nun, wir haben Glumandas Element auf Wasser geändert. Es war leider die einzige Möglichkeit. Ein bisschen was von der DNA eines Karnimani, ein kurzes Aufleuchten und wir hatten sowohl eine instabile DNA, als auch ein Wasser/Feuer Glumanda."
 

>>>Nerina<<<
 

"Dann möchte ich bitte gerne das Evoli haben", sagte das fremde Mädchen schüchtern in die Stille, die Eichs Worten folgte und sah hilfesuchend zu dem Jungen, der neben ihr stand und ganz offensichtlich ebenfalls ihr Bruder war. Angespannt beobachtete Nerina ihre Gesichter. Sie hätte es schön gefunden, ihren beiden Konkurrenten - oder was auch immer sie waren - vorgestellt zu werden, ehe die drei Männer mit ihrem äußerst rätselhaften Vortrag begonnen hatten und so hatte sie immer wieder den Blick des Mädchens gesucht, ohne jedoch mehr als ein neutrales, reserviertes Lächeln zu ernten, während ihr Blick klar und aufmerksam an den Gesichtern der Professoren hing und trotz aller offensichtlichen Schüchternheit ein entschlossenes Funkeln innehatte. Ihr Bruder schien weniger an dem Vortrag interessiert. Rastlos geisterte sein Blick durch das Zimmer mit seinen vielen, blinkenden Lämpchen, Bildschirmen und Gläschen. Nun klebte er wie gebannt an den Pokebällen und gerade machte er Anstalten, seiner Schwester nachzueifern, als Eich lächelnd die Hand hob. "Das Serum, das wir diesen vier Pokemon, in unseren Aufzeichnungen nennen wir sie seit ihrer Impfung Iramon, verabreicht haben, hat aber nicht nur Auswirkungen auf ihre Evotationsbereitschaft", sagte er, offensichtlich mit selektiver Taubheit ob der Bitte des Mädchens geschlagen, "es beeinflusst auch das Wesen und die Intelligenz jener Iramon. Das bedeutet nicht nur, dass sie bereits jetzt wie Menschen sprechen können, sondern, dass sie nicht euer Eigentum sein können. Wir haben sie auf euch vier vorbereitet und alle vier sind bereit, einen von euch auf eurer langen Reise zu unterstützen, allerdings möchten sie euch erst kennen lernen und dann entscheiden, wer von euch ihr Partner sein wird. Das mag ein wenig unkonventionell sein, aber ich bin mir sicher, dass ihr dafür Verständnis habt." Sofort hob Nerina die Hand, um etwas einzuwerfen, doch Neru platzte wie gewöhnlich als erster mit dem Gedanken heraus. "Aber wenn sie so intelligent sind, dann können wir sie doch nicht einfach in Arenakämpfe schicken und ihnen Befehle geben! Das wäre doch sicher falsch!" "Und was sollen wir tun, wenn sie nicht tun wollen, was wir sagen?", führte Nerina den Gedanken weiter, "Wir können doch nicht vor jedem Kampf endlos diskutieren!" "Die vier Iramon wissen, was auf sie zukommt und, dass ihr als Menschen meistens besser wisst, was in einer Situation angemessen ist", mischte sich Lind nun ein, "Außerdem ist es notwendig, dass sie sich in Kämpfen wie normale Pokemon benehmen und auch das haben wir ihnen beigebracht und ihr müsst es unbedingt durchsetzen. Eure Mission, wenn ihr sie denn annehmen wollt, ist streng geheim. Sobald Gringo Wind von der Aktion bekommt, wird er euch aufhalten und uns aus dem Amt entlassen. Ich kann verstehen", fügte er mit einem ernsten Ausdruck in den Augen hinzu, "wenn ihr unsere Bitte abschlagt. Dort, auf dem Tisch, warten ein völlig normales Schiggy, Karnimani, Bisasam und Endivie auf vier motivierte Trainer und wir sind euch nicht böse, wenn ihr ablehnt. Sobald ihr jedoch eines dieser Iramon hier an eurer Seite habt, wird es euer Partner sein - unwiderruflich." "Was genau wird dann unsere Aufgabe sein?", fragte der fremde Junge, plötzlich mit einer Ernsthaftigkeit, die sein abwesendes Gesicht lügen strafte, "Ich meine, außer am Ende Gringo zu stürzen?" "Nun, definitiv könnt ihr Gringo nicht ohne eine reichhaltige Kampferfahrung besiegen", sagte nun Vater ernst und Nerina verstand zum ersten Mal, warum ihn viele Leute für respekteinflößend hielten, "Darum wird sich euer Weg kaum von dem anderer Trainer unterscheiden. Ihr werdet im Land herumziehen, Trainerkämpfe wahrnehmen und die Arenaleiter herausfordern. Sobald ihr jedoch eine Arena bezwungen habt, werdet ihr darum bitten, den obersten Vorsitzenden der Arena zu treffen und ihm den Brief zeigen, den wir euch mitgeben werden. Die obersten Arenaleiter sind über alles informiert. Sie werden euch einzeln trainieren und euch einen Stein geben, mit dem ihr die nächste Evotation eures Iramon auslösen könnt." "Das heißt, dass sie sich nur mit Steinen entwickeln?", fragte Nerina, diesmal, ohne die Hand zu heben. Vater nickte, fingerte an seiner Jackettasche herum und förderte vier glänzende, sternförmige Medaillen mit jeweils einer glänzenden Perle in der Mitte und einer Vertiefung auf jeder der fünf Zacken zu Tage. "Die sind aber hübsch", sagte das fremde Mädchen und streckte schüchtern eine Hand aus, um eine der Sternenbroschen zu berühren. Vater nickte. "Ja, sie sind aus Mithril, das, neben seiner Unzerstörbarkeit, auch noch wesentliche energetische Vorteile hat, aber ich will euch mit den physikalischen Eigenschaften verschonen. Wichtig ist, dass euer Iramon die Macht der Steine in eurer Brosche zur Evotation nutzen kann, allerdings nur mit eurer gedanklichen Erlaubnis." "Das verstehe ich nicht", protestierte nun Neru, "Heißt das, dass sie meine Gedanken lesen können?" Eich schüttelte heftig den Kopf. "Nein, das heißt es nicht", sagte er entschieden," Auch wenn sie zur Telepathie durchaus fähig sind, werden sie euch lediglich antworten, aber euch nicht hören können. Bei der Evotationsanfrage handelt es sich eher um eine Art gemeinsamen Kampfwillen. Ihr werdet es sehen, wenn es soweit ist." Herausfordernd sah er die verwirrten Kinder an und lächelte aufmunternd. "Es klingt alles komplizierter, als es ist." "Was ist mit dem Fangen?", fragte der andere Junge ein wenig verstört, "Sollen wir uns trotzdem Teams zusammenstellen?" "Ihr könnt Pokemon fangen, wenn ihr das wollt", sagte Lind großmütig, "Aber es ist wichtig, dass euer Iramon immer genügend gefördert bleibt. Ansonsten ist es aber dringend notwendig, dass ihr möglichst viele wilde Pokemon trefft und studiert. Eure Iramon werden stark werden, aber schlussendlich bleibt es euer Wissen, das ausschlaggebend für einen Sieg sein wird, nicht eure Kraft." Er räusperte sich geräuschvoll, dann fragte er in die Runde: "Werdet ihr uns helfen?" Keiner der vier antwortete sofort. Nerina sah die anderen beiden Geschwister hektische Blicke tauschen und griff instinktiv nach Nerus Hand, die sich genauso schwitzig anfühlte, wie ihre eigene. In seinem Gesicht las sie dieselben, unausgesprochenen Zweifel, die auch in ihrem Kopf herumspukten und die Macht der plötzlichen Verantwortung prasselte wie eine Eislawine auf sie hernieder. Würde sie es schaffen, ein intelligentes Wesen zu erziehen? Würde sie es trainieren und dann gegen einen der mächtigsten und bösartigsten Trainer der Welt hetzen können? Verstohlen sah sie zu Vater hinüber. Seine Miene war steinern und absolut ausdruckslos, doch sah sie deutlich die Hoffnung in seinem Blick, als er sie ansah. Vater glaubte an sie, das hatte er gestern gesagt und er hatte gesagt, dass sie mutig sein müsse... Nerina schluckte heftig, dann holte sie tief Luft, sah Eich direkt in die Augen und verkündete laut: "Ich nehme die Herausforderung an." "Ja, ihr könnt auf uns zählen!", fügte Neru hinzu, noch ehe sie den Mund richtig geschlossen hatte. Lind nickte nur anerkennend, doch Eich strahlte bis über beide Wangen und in Vaters Blick mischte sich Stolz und Wärme. "Wir werden jederzeit für euch da sein, wenn ihr Hilfe braucht", sagte er ernst. Kurz herrschte Schweigen, dann sagte der andere Junge entschlossen: "Ella und ich machen auch mit! Gemeinsam werden wir diesen Gringo schon verjagen!"

Keine fünf Minuten später saßen Neru und Nerina zusammen mit ihren beiden Mitstreitern, die sich als Ella und Sipho vorgestellt hatten, auf dem sauber gemähten Rasen des Labors beisammen, jeder einzelne mit der Vernichtung eines gigantischen Eisbechers aus Eichs Kühlschrank beschäftigt und beobachteten gebannt, wie die vier Iramon eines nach dem anderen durch die katzenklappenhafte Pokemontür aus dem Labor ins Freie schlüpften, um sich ihre zukünftigen Menschen anzusehen. Vorneweg stolzierte hoch erhobenen Hauptes ein prächtiges Evoli, sein braunes Fell glänzte herrlich im Sonnenschein und sein buschiger Schwanz zuckte aufgeregt, während es mit hochaufgestellten Ohren und gesträubtem Schnurrbart umherblickte. "Wau!", flüsterte Ella begeistert, "Seht doch, wie hübsch es ist!" "Pscht!", ärgerlich stieß Sipho ihr den Ellenbogen in die Rippen, "Es kann dich doch hören!" "Es ist aber wirklich schön", warf Nerina wahrheitsgemäß ein, während das Evoli mit langsamen, eleganten Bewegungen und äußerst katzenhaft näherschritt, "Was meinst du, Neru?" Doch ihr Bruder antwortete nicht und auf seinem Gesicht erschien wieder jener liebevolle, verträumte Ausdruck, den er immer mal wieder aufsetzte, wenn etwas ihn wirklich in Beschlag nahm, meistens zwar ein unbeseeltes Ding, wie sein geliebter Computer, gelegentlich aber auch ein junges Kätzchen oder Häslein, das sie im Garten gefunden hatten. Ohne ein Wort zu sagen stand er auf, ging langsam ein paar Schritte auf das Evoli zu und kniete sich dann in das weiche Gras. "Hallo!", sagte er leise und sanfter, als Nerina es von ihm gewöhnt war. Während das Evoli stehenblieb und neugierig seine ausgestreckte Hand beschnupperte, ergriff nun auch Ella das Wort, stand auf und trat neben die beiden. "Hallo Evoli!", sagte sie freudestrahlend, "Ich bin Ella und bin letzten Monat zwölf geworden! Mein Bruder und ich wollen auf eine lange Pokemonreise gehen und ich würde mich sehr freuen, wenn du mich begleiten würdest!" Evoli wandte den Kopf, blickte sie mit großen, braunen Augen einen Moment lang an, dann trottete es an den beiden vorbei, um erst Sipho, dann Nerina ausgiebig zu beschnuppern. "Ich freue mich, dich kennenzulernen", sagte Sipho steif, während Nerina überhaupt nichts sinnvolles herausbrachte, sondern nur verzückt das weiche Fell streichelte. Evoli betrachtete sie alle der Reihe nach, dann lief es zu einem nahen Kirschbaum, sprang geschickt auf den untersten Ast und rollte sich dort zusammen, offenbar wohl wissend, dass ihm keiner mehr Beachtung schenkte, denn in diesem Augenblick betraten das versprochene Nidoran und ein etwas zerzaustes Taubsi den Rasen. Auch sie machten ihre Runde, steckten die Köpfe zusammen und verschwanden schließlich ebenfalls in den Schatten des Baumes, dicht gefolgt von Sipho und Neru. Mit einem nervösen Lächeln beobachtete sie, wie Sipho in die Hocke ging und rasch auf das Taubsi einredete, während Neru einfach nur stumm am Stamm lehnte und zu Evoli hinaufsah. Nur Ella hockte noch neben ihr im Gras, den Blick wie gebannt auf die Klappe gerichtet. "Jetzt muss das Glumanda kommen", sagte sie leise und Nerina nickte. "Wie es wohl aussieht?", raunte sie zurück. Ella zuckte mit den Schultern. "Ich kann mir ein blaues Glumanda gar nicht vorstellen!", sagte sie, unterbrach sich jedoch abrupt, als sich ein merkwürdiger Kopf ins Freie schob, gefolgt von einem noch komischeren Körper. Mit einem Satz stand das Iramon auf seinen Hinterbeinen und schüttelte lebhaft die langen Ohren. Es sah keinem Pokemon ähnlich, das Nerina jemals gesehen hatte. Sein Gesicht war echsenhaft schmal, doch ragte ein kurzes, gerades Horn aus seiner Stirn und seine Ohren waren lang und trugen lilafarbene Spitzen. Sein Rumpf mochte eher dem eines Glutexo ähneln, allerdings erschien es recht mager und seine Arme und Beine waren viel zu lang für ein Glumanda, von dem es einzig den langen, kräftigen Schwanz geerbt haben musste. Von Karnimani stammte hingegen die leuchtende, blaue Färbung, die nur an seinem Bauch und seinen Wangen merkwürdigerweise gelben Schuppen wich. Aufrecht stehend reichte es Nerina sicher bis zur Brust und seine annähernd menschlichen Proportionen und die lebhaften, schwarzen Augen, die wie kleine, glühende Kohlen aus dem blauen Echsengesicht hervorsahen, ließen Ella, Sipho und Nerina unsicher zurückweichen. "Aber das ist doch kein Glumanda", rief Sipho überrascht aus und wandte sich von dem Taubsi ab, das völlig unbeeindruckt gegenüber seiner Mühe nach Würmern zu hacken schien und seine Schwester nickte skeptisch und bedachte das merkwürdige Iramon mit einem abschätzigen Blick. "Weder Karnimani noch Glumanda haben ein Horn oder irgendwas gelbes an sich!", sagte sie verwirrt und sah Nerina hilfesuchend an. Das Glumanda - oder was auch immer es sein mochte - erwiderte ihren Blick und eine tiefe Trauer verschleierte seine eben noch so lebhaften, schwarzen Augen. Dann wandte es beschämt das Gesicht ab. "Man weiß nie, was bei DNA-Mischmasch rauskommt!", sagte Nerina scharf. Die Ablehnung der anderen ärgerte sie. Das Wesen mochte ungewohnt aussehen und definitiv nicht nach einem Glumanda, doch verlieh das kleine Horn inmitten des Echsengesichts ihm einen seltsam vorwitzigen Zug und die Traurigkeit über die Kommentare der anderen in seinen Augen brach ihr beinahe das Herz. Entschlossen stand sie auf, überquerte den Rasen in ein paar wenigen, langen Schritten und stellte sich wie zufällig vor die Katzenklappe, um das Iramon daran zu hindern, wieder nach innen zu verschwinden. "Hey!", sagte sie leise und ging in die Hocke, um mit dem Iramon auf einer Augenhöhe zu sein. "Ich bin Nerina und wie heißt du?", fragte sie leise. Die Kohlenaugen blinzelten überrascht. "Die Menschen im Labor nennen mich Texomon, weil sie sagen, ich sehe einem Glutexo ähnlich... Aber das stimmt dann wohl gar nicht..." Mit gesenktem Kopf kam er näher und versuchte, sich an Nerina vorbei ins Innere zu mogeln. Für einen kurzen Moment streiften ihre Finger glatte, warme Schuppen. Sie überlegte, ob sie zupacken sollte, doch dann trat sie nur traurig einen Schritt zurück. "Schade", sagte sie und starrte zu Boden, "Und dabei hätte ich dich so gerne mitgenommen..." Überrascht hielt Texomon mitten in der Bewegung inne, was leider zur Folge hatte, dass er in der Katzenklappe hängenblieb, überrascht stolperte und rückwärts zurück auf den Rasen kullerte. Mit einem Schnauben sprang er wieder auf die Füße und sah Nerina durchdringend an. "Das sagst du jetzt nicht nur aus Mitleid, oder?", fragte er dann ein wenig verunsichert. "Nein, tue ich nicht!", entgegnete sie heftig, "Ich konnte mich mein Leben lang nicht zwischen Feuer- und Wasserpokemon entscheiden. Ich liebe Feuerpokemon über alles und fand Glumanda von allen Startpokemon immer am allerschönsten, aber andererseits gehe ich so schrecklich gerne baden und konnte mir nicht vorstellen, mein Pokemon draußen sitzen zu lassen, wenn ich im Wasser soviel Spaß habe! Du siehst, du bist perfekt!" Da lachte Texomon plötzlich, tat einen langen Schritt auf sie zu und legte seine schuppige Wange an ihren Bauch. "Ich kann sehr gut schwimmen!", sagte er glücklich und Nerina streichelte strahlend seinen blaugeschuppten Kopf. "Wir werden ein klasse Team abgeben!", sagte sie entschlossen, "Und was die anderen sagen, ist uns doch total egal!" "Die lassen wir einfach am Ufer stehen!", frohlockte Texomon, griff mit seiner Klauenpfote nach ihrer Hand und gemeinsam liefen sie über die Wiese auf den großen Baum zu, geradewegs Neru in die Arme. Das prächtige Evoli saß stolz auf seiner Schulter und in seinem Gesicht konnte sie deutlich lesen, dass er ebenso glücklich war, wie sie selbst. "Hauptgewinn?", fragte Nerina grinsend und Neru nickte selig. "Oh ja! Komm, Nerina! Lass uns gleich zu Professor Eich gehen und unseren Pokedex abholen! Ich kann es kaum erwarten, endlich loszuziehen!"
 

>>>Neru<<<
 

Stolz trug Neru sein kleines Evoli in Richtung des Labors davon. Immer wieder richtete er seinen Blick verstohlen auf das kleine Pokemon und bewunderte das plüschige, braune und ockerfarbene Fell und ihre leuchtenden Augen.

Schon vom ersten Augenblick an hatte ihm das Evoli gefallen. Wie es so stolz aus der Katzenklappe geklettert und dann über die Wiese stolziert war. Es hatte einfach etwas Würdevolles an sich. Im Gegensatz zu Ella stand seine Entscheidung zu dem Evoli fest. Er hatte gar nicht mehr auf die anderen Pokemon gewartet, sondern war Evoli direkt unter den Baum gefolgt. Das Evoli hatte sich in einer Astgabel zusammengerollt und ihm mit großen Augen entgegengeblickt. Neru wollte das kleine Pokemon nicht verschrecken, darum hatte er sich erstmal nur neben dem Baum aufgestellt und abgewartet. Irgendwann würde Evoli ihn ansprechen und dann war der richtige Zeitpunkt gekommen. Immerhin wollte er etwas von dem kleinen, pelzigen Geschöpf und nicht umgekehrt. Evoli hatte ihn einen Augenblick lang warten lassen, wohl, um seine Geduld auf die Probe zu stellen. Dann hatte es gefragt: "Magst du Karamell?" Verdutzt hatte er sich nach dem kleinen Pokemon umgesehen und im ersten Augenblick nicht gewusst, was er dazu nun sagen sollte. Das kleine Pokemon sah ihn nur fragend an und er besann sich zurück auf den Geschmack von Karamell. "Klar", sagte er, "aber ich mag auch Vanille." "Na dann", meinte das kleine Pokemon und sprang ihm auf die Schulter. "Ich glaub, ich mag dich", meinte sie schüchtern und rollte sich in seinen Armen zusammen, in die Neru das kleine pelzige Pokemon genommen hatte. Als er stolz sein Evoli in Richtung des Labors davontrug, traf er Nerina, die mit ebensoviel Stolz neben einem merkwürdig aussehenden Glutexo herlief und ihn anstrahlte.

Das Texomon seiner Schwester war in jedem Fall eine Kuriosität, man konnte es am ehesten zu der Familie der Glutexo zählen, wenn es auch ein sehr abgelegener Familienzweig sein musste. Zwar sah das Texomon sehr ungewöhnlich, aber auch stark und wohlproportioniert aus. Schon sein Aussehen ließ auf eine große, innere Kraft schließen, wobei Neru nicht wusste, ob das nun von den langen Klauen an seinen Händen oder von dem funkelnden Blick in seinen Augen kam. Jedenfalls wirkten die beiden als Team wie aus einem Guss. Neru konnte in Texomons Augen die selbe Energie und auch den Hang zum Schabernack erkennen, den er auch bei seiner Schwester so zu schätzen gelernt hatte. Als sie sich trafen fragte seine Schwester, die ohne Zweifel den Blick in seinen Augen gesehen hatte: "Hauptgewinn?" "Oh ja", antwortete er, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg ins Labor. Doch bevor sie auch nur die Tür erreichen konnten, kamen vier weitere Kinder aus dem Labor geeilt. Nachdem der eine Junge einen scheelen Blick auf Evoli geworfen hatte, stellte er sich Neru vor. "Hi, ich bin Natho, ich hab soeben mein erstes Pokemon gewählt und fordere dich nun zum Kampf." Neru hatte schon wieder das Gefühl, im Labor zu sitzen und einem Vortrag zu lauschen, bei dem er die Hälfte nicht verstand. Woher kam der Typ überhaupt? Und warum wollte er kämpfen. Doch es half alles nichts, offiziell war er jetzt Mitglied der Pokemonliga und so musste er die Herausforderung annehmen. Evoli bemerkte seinen Gesichtsausdruck, schmiegte sich noch einmal an seinen Arm und in seinem Kopf hörte er eine Stimme sagen: 'Der soll nur herkommen.' Neben dem Jungen hatte sich soeben ein Mädchen als Anara vorgestellt und Nerina ebenfalls mit ihrem neuen Karnimani zum Kampf gefordert. Das ging zwar schneller als die beiden erwartet hatten, aber dafür waren sie ja schließlich Trainer geworden. Nur, das Trainer sein etwas ganz anderes war, als Neru es sich vorgestellt hatte. Gerade hatte er dieses Evoli noch mühsam umworben und im nächsten Moment sollte sie schon für ihn Kämpfen?

Eine Stimme mischte sich in seinem Kopf in seine Gedanken ein. 'Lass mich nur machen!' und mit diesen Worten sprang Evoli vor ihm auf dem Boden, während der andere Trainer seinen Pokeball warf. Evoli war kaum auf dem Boden gelandet, als auch schon ein grünes Bisasam auf der Wiese vor ihr saß. Neru erinnerte sich an dieses Pokemon, gestern noch hatte er es sich auf dem Computer angesehen und er wusste auch die Vermerke, die es erhalten hatte. Sehr hart im nehmen und sehr starkes Pokemon. Na das konnte ja heiter werden, dachte er bei sich. 'Was soll ich machen?', fragte eine Stimme in seinem Kopf und er antwortete der Stimme instinktiv. "Versuch es erstmal mit einem Tackle!", rief er Evoli zu, "Vielleicht können wir so einen Überraschungseffekt landen." Neru hatte schon so viele Pokemonkämpfe im Fernsehen gesehen, nun war er wirklich gespannt, was das gebracht hatte. Evoli startete einen Frontalangriff, der das Bisasam aus dem Gleichgewicht brachte. "Setz gleich noch mal nach!", rief Neru seinem neuen Begleiter zu und Evoli warf sich ein zweites Mal auf das Bisasam. Doch ihr Gegner war nicht so dumm, sich zweimal mit dem selben Trick ködern zu lassen. Bisasam konterte ebenfalls mit einem Tackle und es knallte unangenehm, als die beiden Kontrahenten so aufeinander stießen. Der Schädel des Bisasam war, obwohl Evoli ihn vorher so gut getroffen hatte, ein wenig härter und Evoli taumelte zurück. 'Boah! Hat der Kerl einen Dickschädel!', hörte Neru wieder diese Stimme in seinem Kopf. Evoli taumelte noch ein wenig und Neru wollte sie nicht gleich wieder auf das stärkere Bisasam hetzen. Vielleicht konnte man die Schwerfälligkeit dieses Dickschädels gegen ihn ausnutzen. So hielt er Evoli erst einmal zurück und empfahl einen Sprung zum Ausweichen. Doch weder Neru noch sein Evoli hatten mit der Wildheit des Bisasam gerechnet, das nach seinem ersten Angriff gleich zu einem weiteren ansetzte und das noch im Sprung befindliche Evoli brutal traf. Evoli flog gut einen Meter durch die Luft und schlug dann hart auf dem Boden auf. Ängstlich wollte Neru seinem Partner zu Hilfe kommen, doch da rappelte sich Evoli auch schon mit zitternden Beinen auf und er hörte in seinem Kopf: 'Noch geht’s, wie machen wir weiter? Der Typ ist mir irgendwie zu brutal.' Neru überlegte fieberhaft, während das Bisasam sich umsah und seinen Gegner suchte. Schon hatte Natho einen weiteren Tackle befohlen und Bisasam ging in Angriff über. Neru kam eine Idee. "Sandwirbel!", rief er und Evoli legte sofort los. Ein gute Portion des feinen erdigen Untergrundes gelangte in Bisasams Augen und Evoli musste nur noch einen Schritt auf die Seite gehen und versehentlich ein Bein ausstrecken und schon lag Bisasam wieder auf dem Boden. "Jetzt auf ihn!", rief Neru und Evoli ging zu einem weiteren Tackle über, sodass sie auf den großen Samen, der von Bisasams Rücken aufragte, landete. Wild Schlug sie auf den Samen ein, doch der gewünschte Effekt blieb aus. Bisasam sprang erst ein paar Schritte nach vorn, die Evoli gut durchschüttelten und rollte sich dann auf den Rücken, wo Evoli von ihm dann auch noch gequetscht wurde. Während Evoli noch benommen von dem Schwergewicht seines Gegner auf dem Boden lag, startete Bisasam zur finalen Attacke und Evoli brach zusammen und gab sich damit geschlagen. Sofort eilte Neru zu seinem Pokemon und nahm es auf die Arme. Sein Evoli war nicht bewusstlos, aber sie sah auch nicht so gut aus, wie noch vor zehn Minuten. Ihr Fell war borstig und dreckig und stand in alle Richtungen ab. Die vorher noch so stolz aufgerichteten Ohren waren deprimiert nach unten geknickt und auch ihre Augen strahlten nicht mehr den Glanz aus wie noch vor kurzem. Er nahm seinen Partner auf die Arme und sah sich um. Auf dem ganzen Rasen wurde gekämpft. Nerina mit ihrem Texomon schlug sich gerade mit einem Karnimani, während Ella und ihr neues Taubsi versuchten, sich gegen die Attacken eines Endivie zu wehren. Sipho führte sein neues pinkfarbenes Nidoran ins Feld, das gerade einen kräftigen Hieb gegen ein Schiggy austeilte. 'Bist du jetzt enttäuscht?', fragte die Stimme in seinem Kopf, während Neru interessiert seiner Schwester und ihrem Texomon zusah, wie sie versuchten, möglichst geschickt auf die Attacken des Karnimani zu reagieren. "Nein, Evoli", flüsterte er dem kleinen zerstrubbelten Pokemon zu, "Ich finde, du hast deine Sache großartig gemacht. Der Sandwirbel war einsame Spitze und auch deine Attacken sahen gut aus." 'Trotzdem haben wir verloren', sagte die Stimme und die Ohren knickten noch weiter nach unten. "Hey", sagte nun Neru und hob Evoli so vor sein Gesicht, dass es ihm in die Augen sehen musste, "Es ist keine Schande, gegen einen solchen Brutalo zu verlieren. Bisasam wird als sehr, sehr stark beschrieben, das hab ich schon oft gelesen. Aber wenn wir das nächste Mal eines sehen, haben wir einen neuen Plan. Dann zahlen wir es ihm heim. Pfote drauf." 'Pfote drauf.', erscholl die Stimme in seinem Kopf. "Und nun lass uns sehen, wie die anderen kämpfen. Wir müssen lernen, wo wir nur können, damit wir das nächste Mal gewinnen." Und damit ließ er Evoli wieder auf seine Schulter klettern, denn von dort oben würde sie einen besseren Überblick haben.

Texomon schlug sich gar nicht schlecht. Dennoch war der Kampf, den er mit Karnimani ausfocht, ein kleiner Kampf der Titanen auf diesem Kampfplatz. Beides zweibeinige Drachenpokemon. Beide mit scharfen Krallen ausgerüstet und beide zum äußersten entschlossen. Man konnte beiden ansehen, dass jeder schon ein paar Schläge einstecken musste, doch soweit Neru es sehen konnte, lagen die beiden sich kräftemäßig in einem Patt und die Größe, die Texomon an den Tag legte, schien sich als Vorteil zu erweisen. Zwar wurde auch er müder, dennoch konnte er durch seine längeren Arme das kleinere Karnimani auf Abstand halten und so kurzzeitig wieder zu Atem kommen. Karnimani indessen hüpfte wie ein Gummiball um seinen Gegner herum und teilte von allen Seiten Hiebe aus, bis es Nerina und Texomon zu bunt wurde und die beiden einen Ausfall beschlossen. Wild rangelnd stürzten die beiden Pokemon in einem einzigen Knäuel aus Klauen und Schwänzen übereinander und man konnte in all dem Blau gar nicht mehr ausmachen, wer hier gerade wen vermöbelte. Staub wirbelte um die beiden Kämpfenden auf und als sich die Wolke dann schließlich lichtete, stand Texomon hoch erhobenen Hauptes über seinem Konkurrenten. Als er sicher war, dass Karnimani aufgegeben hatte, ging er mit stolz geschwellter Brust zurück zu Nerina, die ihn glücklich in die Arme schloss. 'Immer auf die kleinen', beschwerte sich Evoli in seinem Kopf, 'das ist doch echt unfair.' Aber auf der anderen Seite kämpften gerade Nidoran gegen Schiggy. Schiggy war von diesen beiden eindeutig das größere Pokemon, trotzdem verlor es immer mehr Boden gegen das kleinere Nidoran, das von seinem Horn Gebrauch machte und so den anderen immer weiter zurückdrängte. Am Ende jagten sich die beiden im Kreis herum und der Kampf wurde schließlich durch Nidorans größere Ausdauer gewonnen. "Siehst du", meinte Neru, "Auch kleinere können gewinnen." Evoli hatte aufmerksam zugesehen und ihr eines Ohr begann langsam, sich wieder aufzurichten. "Wir werden üben müssen", stellte sie fest und Neru nickte. Der letzte noch übrige Kampf verlief, wie der ihrige. Ellas Taubsi unterlag den Attacken des Endivie und konnte irgendwann dem viel laufenden Pokemon nicht mehr ausweichen. Da halfen auch alle Sandwirbel nichts, die die ganze Umgebung bereits einnebelten. Mitfühlend warf ihr Neru einen Blick zu und sie nickte nur und ging dann, um ihrem Taubsi beizustehen. Das Ergebnis unter den neuen Iramontrainern war damit gemischt und für ihren ersten Kampf war es auch gar nicht so schlecht gelaufen, sagten zumindest Eich und Lind und auch Vater klopfte beiden auf die Schulter und meinte, dass das Duell gar nicht so schlecht gelaufen war, wobei er Neru einen vielsagenden Blick zuwarf und dann Nerina zu ihrem Sieg gratulierte. Das Abschiedspicnic, dass die Professoren noch vor Eichs Labor abhielten, ließ alle Kräfte bei den Pokemon und ihren Trainern zurückkehren und mit Zuversicht und guten Vorsätzen starteten die neuen Iramontrainer zu ihrer großen Reise.
 

>>>Nerina<<<
 

"Hee, warte mal einen Augenblick!" Sipho zupfte Nerina am Ärmel, als sie sich gerade anschickte, frohgemuts ihrem Bruder hinaus in die große, weite Welt der Pokemon, Kämpfe und Siege zu folgen. Verdutzt wandte sie sich zu ihm um, immernoch strahlend ob ihres ersten Sieges über dieses kleine, plumpe Karnimani, das neben ihrem wunderbaren Gen-Mix ganz schön klein und schäbig ausgesehen hatte. "Was gibt’s denn?", fragte sie, während sie sich unterschwellig wunderte, dass Ella nicht bei ihm war. Sipho legte geheimnistuerisch den Kopf schief, dann zog er die Hand hinter dem Rücken hervor und hielt ihr ein kleines, flaches Gerät unter die Nase. Äußerlich sah es einem dieser Kommunikatoren ähnlich, an denen Neru nie vorbeigehen konnte und wegen denen sie schon viele, lange, langweilige Stunden in den Elektroabteilungen der Kaufhäuser verbracht hatte. Auch dieses Exemplar war etwa handgroß, platt und mit besaß einen übergroßen Bildschirm im Verhältnis zu seiner eher spärlichen Tastatur. Auf der Rückseite prangte eine Kameralinse. "Euer Pokedex", sagte Sipho, als sei das von Anfang an klar gewesen, "Leider gibt es nur zwei übrige, darum müsst ihr euch einen teilen. Eich meinte, ich sollte ihn dir noch schnell bringen." "Oh, das ist vielleicht wirklich eine gute Idee gewesen..." Verlegen druckste sie herum - so viel hatte sie schon über diese Dinger gehört und nun hätte sie ihn glatt vergessen. Viel merkwürdiger war allerdings, dass auch Neru nicht mehr daran gedacht hatte. Verstohlen warf sie einen Blick über die Schulter und erblickte ihn im Gespräch mit Ella, während Evoli krampfhaft versuchte, sich hinter seinen Beinen zu verstecken und Taubsi die kleinen Flügel hängen ließ. "Herzlichen Glückwunsch übrigens zum ersten Sieg!", sagte sie lächelnd und streckte Sipho die Hand hin, "Ihr wart echt gut!" "Danke!" Nun begann auch Sipho zu strahlen. "Nidoran hat mich echt überrascht." "Naja, wenn man zu denjenigen gehört, die keiner gerne mag, wird man mit der Zeit hart im Nehmen", sagte Texomon und schlackerte munter mit den Ohren. Nidoran nickte ernst. "Tja, das scheint unser Schicksal zu sein", sagte es mit zuckenden Schultern, "Ich wünsch dir auf jeden Fall alles gute, Texomon! Mach sie platt!" "Alle, die du übrig lässt!", erwiderte Texomon grinsend und die beiden tauschten einen recht niedlich aussehenden Pfotenschlag. Gerührt sahen ihre beiden Menschen auf die beiden hinunter. "Na, vielleicht sehen wir uns ja schon bald wieder", sagte Nerina tröstend und legte Texomon eine Hand auf den Kopf, "Immerhin müssen wir alle zu den gleichen Arenen..." "Fangt ihr mit der Felsenarena an?", fragte Sipho etwas sachlicher. Nerina nickte. "Ja, ich dachte, das wäre so vorgesehen." Sipho nickte. "Im Prinzip schon", sagte er langsam, "Allerdings überlegen wir, ob wir nicht die Altenativroute Richtung der Eisarena in Mahagonia einschlagen und erstmal Eis hinter uns bringen. Ella ist sehr traurig, dass Taubsi verloren hat und weder bei Gestein, noch bei Wasser oder Elektro wird sich das großartig ändern." "Woher wollt ihr das wissen?", fragte Nerina verblüfft, doch da winkte Ella ihren Bruder bereits ungeduldig zu sich und Sipho murmelte nur noch rasch: "Der Pokedex. Er kennt die Iramon. Richte ihn einfach auf Texomon und er zeigt dir alle möglichen Daten, auch die Evotationen. Na dann! Macht’s gut!" "Ihr auch!", rief Nerina ihm noch nach, während er mit langen Schritten quer über die Wiese zu Ella rannte, Nidoran auf den Fersen...

"Was wollte der von dir?", fragte Neru hitzig, als Nerina ihn wenig später am Waldrand eingeholt hatte. "Mir unseren Pokedex mitbringen, den wir vergessen haben", erwiderte Nerina mechanisch. Ihr Blick war auf Texomon gerichtet, der mit übermütig schwingenden Armen und zuckendem Schwanz neben ihr herlief und sie fragte sich, ob er wohl sehr traurig darüber war, nicht mit Nidoran zusammen zu reisen - doch falls Texomon etwas derartiges gedacht hatte, kam er äußerst schnell darüber hinweg. Sie hatten kaum den Wald betreten, da begann er schon, mit ausgelassenen Bocksprüngen über Baumstümpfe und Wurzeln zu hüpfen, jeden Blätterhaufen zu durchwühlen und in jede Baumhöhle zu spähen. Evoli schüttelte nur skeptisch die langen Ohren. "Er ist sehr übermütig", sagte sie mit vorsichtiger Zurückhaltung und schmiegte sich noch enger an Nerus Hals, bis sie wie ein lebendiger Schal aussah. Nerina lächelte sie freundlich an, trat näher und ließ sie an ihrer Hand schnuppern. "Freut mich, dass du dich für Neru entschieden hast", sagte sie ehrlich, "Er liebt Evolis!" "Wie lange kennt ihr Iramon einander denn schon?", fragte Neru nun selbst seinen pelzigen Begleiter. Evoli zuckte nur mit dem Schwanz. "Ein paar Wochen", sagte sie, "Ich war die erste von uns, die schlüpfte. Danach kam Nidoran, dann Taubsi und dann Texomon. Er ist der jüngste." "Tja, dann wird er sicher auch noch etwas ruhiger." Nerina grinste entschuldigend und warf Texomon einen skeptischen Blick zu, der die Krallen in einen Ast geschlagen hatte und sich daran hin und herschwingen ließ. Er bemerkte ihren Gesichtsausdruck und kehrte mit überraschter Miene zu ihr zurück. "Oh, du glaubst ja gar nicht, wie schön so ein Wald ist! Immerhin hat Eich uns nie weiter als bis auf den Rasen gelassen! Sind hier auch solche Pokemon wie das, gegen das Evoli verloren hat?" Er zwinkerte verschmitzt und Evoli warf ihm einen bitterbösen Blick zu. "Es war mehr als doppelt so schwer wie ich", brummte sie, "Und außerdem ist das alles nur Sache der Übung, sagt Neru. Immerhin habe ich zwei Attacken eingesetzt und es nicht nur mit meinen übergroßen Klauen zerfetzt!" "Das war fast 'n Schlitzer!", protestierte Texomon heiter, fügte dann aber noch kleinlaut hinzu: "Na, mindestens 'n Kratzer." "Trotzdem hat Evoli recht", bemerkte Nerina und tätschelte ihm den Kopf, "Eigentlich sollte ich dir die Attacken sagen." "Naja..." Texomon druckste herum, "Um ehrlich zu sein... Ich weiß gar nichts über Attacken. Welche kann ich eigentlich?" "Keine", sagte Evoli spitz, "Das ist ja das Problem." "Schluss jetzt, ihr beiden", verkündete Neru streng, nahm Nerina den Pokedex aus der Hand und richtete die Kameralinse auf Texomon. "Texomon", quäkte das Gerät sofort los, "Texomon ist ein extra für die Evotation gezüchteter Mischling aus Glumanda und Karnimani. Über sein Wesen ist noch nicht viel bekannt. Texomon erlernt die Attacken Kratzer, Heuler, Aquaknarre, Glut, Doppelkick, Eisenschweif, Flammenwurf, Hydropumpe und Drachenwut. Zusätzlich kann es außerdem unter anderem Schlitzer, Tackle, Schaufler, Agilität und Biss erlernen. Größe: 1,1m, Gewicht: 13,9kg. Ei-Gruppe: Monster. Typus: Drache. Spezialfähigkeit: Schattenschild. Evotationen noch unbekannt." "Evotationen unbekannt?", echote Nerina verdutzt, während Texomon ein ganz anderer Fakt umzutreiben schien. "Ich bin ein Drachen-Typus?", fragte er verdutzt, "Eich und Lind sagten immer, ich sei Typus Wasser!" "Hm. Höchst merkwürdig", seufzte Neru, dann richtete er den Pokedex auf Evoli. "Evomon", teilte das Gerät freimütig mit, "Ist ein aus Evoli entwickeltes Iramon. In Anlehnung an seine Herkunft wird sein Charakter als zurückhaltend, intelligent und anpassungsfähig beschrieben. Obwohl Evoli mutig ist, meidet es unnötigen Konflikt. Es erlernt die Attacken Sandwirbel, Tackle, Rutenschlag, Ruck-Zuckhieb, Biss und Body-Slam. Zusätzlich kann es außerdem unter anderem Agilität, Eisenschweif, Schaufler, Energie-Fokus und Doppelteam erlernen. Größe: 0,3m, Gewicht: 3kg, Ei-Gruppe: Boden, Typus: Normal. Spezialfähigkeit: Anpassung. Es evotiert zu Aquana, Blitza, Flamara, Nachtara und Psiana." "Evomon!" Evoli zuckte überrascht mit den Schnurrhaaren, "So nennen die mich also. Ist ja interessant. Aber Evoli gefällt mir trotzdem besser."

Sich munter weiterunterhaltend liefen sie weiter, folgten dem schmalen Pfad, der sich durch Unterholz und über kleine, sonnige Wiesen schlängelte. Nach seinem ersten Anfall von überschäumenden Freude blieb Texomon nun an Nerinas Seite und machte nur einen gelegentlichen Abstecher in den Wald hinein, um etwas Interessantes zu beschnuppern oder anzusehen. Bei einem dieser Ausflüge grub er aus Versehen ein armlanges Käferpokemon aus einem Blätterhaufen aus, das sich entnervt als "Raupi!" vorstellte und Texomon mit einem Gewirr von Fäden attackierte. Dieser schüttelte zunächst ein paar Mal verwirrt den Kopf, verhedderte sich und rollte lachend über den Waldboden. "Oh, das macht Spaß!", rief er, während Nerina nur die Stirn runzelte. "Das ist Fadenschuss! Du musst versuchen, es mit Kratzer zu besiegen!" "Ach so." Mit einem Sprung kam Texomon auf die Beine, hüpfte vorwärts und ließ sich bäuchlings auf Raupi fallen, dann zerteilte er die Fäden mit seinen Klauen. "Gut so?", fragte er eifrig. Nerina zögerte, während Evoli kritisch die Augen verdrehte. "Das war aber kein Kratzer! Das war ein Tackle!" "Aber den lern ich doch gar nicht", brummte Texomon und kehrte, das zischende Raupi ignorierend zu ihnen zurück.

Sie gingen den ganzen Tag, bis sie gegen Nachmittag auf einer Lichtung ihr Lager aufschlugen. Texomon stürzte sich gleich in den kleinen Bach, der an der Lichtung vorbeiführte, legte sich auf den Rücken und ließ das eiskalte Wasser über seinen Bauch rinnen. Dass dieses Gebiet offensichtlich einem Quaputzi gehörte, begann ihn erst zu stören, als das wesentlich stärkere Wasserpokemon ihn mit einem Duplexhieb zurück ans Ufer beförderte. "Na warte!", rief er ärgerlich, doch Nerina rief ihn scharf zurück. "Nein, Texomon! Komm her! Quapputzi ist sehr... ähem... ausgeruht und du bist schon den ganzen Tag gelaufen." "Hm ja... Vermutlich richtig", gab das Drachenpokemon versöhnlich zurück, dann lief es hinüber zu Neru und Evoli, die gerade Stöcke für ein Feuer sammelten. Nerina blieb nachdenklich mit der Aufgabe, ihr Swag aufzubauen, allein. Während sie das winzige Zelt von ihrem Rucksack löste, es auseinanderrollte und die beiden Stangen aufrichtete, fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, Texomon anzuschwindeln. Quaputzi war bedeutend stärker als ihr Begleiter, doch war sie sich ziemlich sicher, dass er den Kampf erst recht gesucht hätte, wenn sie es ihm so gesagt hätte. Ich muss aufpassen, dass er nicht zu selbstsicher wird, dachte sie seufzend, Er mag ein starkes Iramon sein, aber er ist auch sehr leichtsinnig und hört nicht besonders gut. Ich muss mir dringend was überlegen... Mit einigen, müden Hieben versenkte sie die Heringe im Boden, nahm ihren Kochtopf aus dem Rucksack und lief zum Bach, um Wasser zu holen. Quaputzi war immernoch dort. Es beobachtete sie aus großen, glupschigen Froschaugen. "Er hat’s nicht so gemeint", entschuldigte sie sich leise, ehe sie ihren Topf füllte und zurück zur Feuerstelle trug, wo Neru und Texomon gerade emsig mit Rinde und Zündhölzern beschäftigt waren, während Evoli etwas neidisch dabei zusah. "Lass sie nur", sagte Nerina seufzend, Jungs sind manchmal Spielkinder. Magst du mir helfen, ein paar reife Beeren zu finden?" "Kein Problem", sagte Evoli zufrieden und sprang gelenk in einen der wilden Himbeerbüsche am Rand der Lichtung. Gerade streckte es eine Pfote nach einer besonders schönen Beere aus, als ein Teil des Busches plötzlich ein mysteriöses Eigenleben entwickelte. "Myrapla! Myrapla!", tönte es erschrocken. Evoli blieb wie erstarrt hocken und starrte das kleine Pflanzenpokemon mit großen Augen an. Dann machte es auf dem Absatz kehrt und flitzte zurück zu Neru, der es rasch in die Arme nahm und Nerina böse anfunkelte. "Wenn du sie schon ausleihst, dann pass wenigstens auf sie auf! Nicht jeder ist ein Raufbold!" Nerina antwortete nicht. 'Was Texomon zu viel hat, hat Evoli offenbar zu wenig', dachte sie nur nachdenklich, während sie zurück zu ihrem Rucksack lief, um Reis und Soße für ihr Abendessen zu holen.
 

>>>Neru<<<
 

"Hey Neru! Aufwachen!" Benommen drehte sich Neru auf die Seite. "Wie? Was?", nuschelte er noch ganz verschlafen. "Aufstehen! Wir wollten doch früh trainieren, sodass Texomon nichts davon merkt." "Ach ja, richtig", erwiderte Neru, doch so ganz verstanden, dass die Konsequenz davon war, jetzt aufzustehen, hatte er noch nicht. Langsam rappelte er sich auf und sah sich in seinem Swag um. Vor ihm, um genau zu sein auf seinem Bauch, saß Evoli angespannt, wie eine Bogensehne. In fröhlicher Erwartung dem kommenden. Rasch zog sich Neru an und kletterte aus seinem Swag. Im Nachhinein hatte er sich noch gewundert, warum es noch so dunkel war, doch als er vor seinem kleinen Zelt stand, wusste er, warum. Über ihm blühten die Sterne noch in voller Blüte am Nachthimmel und ein großer, voller Mond zeigte sich von seiner schönsten Seite. "EVoli", stöhnte er, "Es ist noch mitten in der Nacht. Man sieht am Horizont noch nicht mal die Morgenröte." Evoli stand da mit stolzgeschwellter Brust. "Toll, nicht? So bekommt Texomon bestimmt nichts mit." Neru rollte nur noch mit den Augen. Normalerweise war er ein Langschläfer. Er hatte aber auch nichts dagegen, manchmal nicht so lange zu schlafen. Aber so früh wollte er nun auch wieder nicht aus dem Bett geworfen werden. "Hast ja recht", meinte er und lachte, "Ein alte Sprichwort sagt, nur das frühe Taubsi fängt den Wurm." "Was wollen wir den trainieren?", fragte nun Evoli ganz interessiert. Sie liefen ein paar Schritte vom Lager weg, um Nerina und Texomon bloß nicht zu wecken. "Ich hab mir überlegt", meinte Neru, "dass wir an deiner Geschwindigkeit arbeiten könnten. Der Ausweichsprung, den du gegen Bisasam eingesetzt hast, war gut, aber Bisasam ist mühelos nachgekommen, außerdem wäre es doch klasse, wenn er dich gar nicht mehr treffen kann, weil du schneller die Position änderst, als er angreifen kann." Evoli hörte seinem Plan begeistert zu. "Au ja, das klingt gut." So bauten sie einen Hürden- und Slalomparcour auf, den Evoli möglichst schnell durchlaufen sollte, während Neru die Zeiten mit dem Pokedex stoppte und dokumentierte, so wie Evoli bei manchen Durchgängen filmte, sodass sie bestimmte Situationen noch einmal besprechen konnten. "Das war bis jetzt dein bester Durchlauf", meinte Neru, als Evoli wieder einmal den Parcour bestritten hatte. Es war erstaunlich, wie schnell sich bei diesem kleinen Pokemon die Werte verbesserten. Es war nicht so, dass sie unbedingt die Muskeln entwickeln mussten, wie Neru es erwartet hatte, die Kraft schien schon in Evoli zu stecken, musste nur noch geweckt werden. "Hast du davon auch eine Aufnahme?", fragte das kleine, braune Pokemon. "Wir könnten die ja mal mit dem ersten Durchgang vergleichen. Wenn du möchtest", erwiderte Neru und teilte den Bildschirm des Pokedex. Evoli betrachtete atemlos ihre beiden Durchgänge und jubelte leise, aber herzlich, als das Evoli der zweiten Runde als erstes im Ziel ankam. Und das nicht nur knapp, sondern mit einem ganz schönen Abstand. "Das war richtig gut!", bemerkte Neru und streichelte Evoli dabei über den Rücken, "Morgen versuchen wir das gleich noch mal, oder?" "Au ja!", meinte nun auch Evoli und bevor auch nur die ersten Lebenszeichen aus dem anderen Swag ertönten, lagen die beiden auch schon wieder in Nerus, und freuten sich über ihren stillen Erfolg. Grinsend und mit unterdrücktem Lachen, warteten sie darauf, dass der Reisverschluss von Nerinas Swag sein reißendes Geräusch in den Morgen entließ und Neru und Evoli warteten noch ein kleines Bisschen und diskutierten im Flüsterton noch einmal ihr Training durch. "Schau, Evoli, hier könntest du ein wenig schneller reagieren!" Evoli besah sich interessiert die Aufnahme, die Neru ihr unter die Nase hielt. Einen kleinen Augenblick brauchte sie, um die Stelle zu erkennen, die Neru meinte, dann nickte sie. "Um die kümmern wir uns morgen", beschloss sie, "wie sehen eigentlich die Zeitenwerte aus?" "Eigentlich kontinuierlich steigernd", meinte Neru, und besah sich die Zahlentabelle auf seinem Block, "Gute Arbeit, Evoli!" Evoli sah sich die Tabelle durch und begann, fast vor Stolz zu erglühen. "Das sind schon fast fünf Sekunden", stellte sie fest. "Ja, das ist enorm!", meinte auch Neru und streichelte seinem kleinen Iramon stolz über den Rücken. Nachdem draußen das kleppern von Töpfen lauter geworden war, standen sie beide wieder auf, und versuchten sich nicht anmerken zu lassen, dass sie schon vor gut zweieinhalb Stunden aus dem Bett gewesen waren. Neru fühlte sich bester Laune. "Das sieht ja fabelhaft aus", meinte er zu seiner Schwester, als er über ihre Schulter den Haferbrei bewunderte. "Ich tu, was ich kann", meinte seine Schwester schüchtern, warf ihm aber einen strahlenden Blick zu. "Ging es dir heute morgen auch so, dass du glaubtest die Iramon wären nur ein Traum?" "Naja, um ehrlich zu sein", stotterte Neru und versuchte sich daran zu erinnern, ob er irgendetwas derartiges gedacht hatte, als er aufgewacht war, "Evoli hat mich heute morgen geweckt, da blieb nicht viel Zeit für Unglaube", meinte er dann. Lachend schüttelte Nerina den Kopf. "Dann ist dein Evoli bedeutend aktiver wie Texomon, den musste ich richtig wachrütteln!" Und tatsächlich sah Texomon noch ein bisschen brummelig aus, wie er da am Feuer hockte, die Augen nur halb geöffnet. "Na komm schon", meinte Evoli, "Du weißt doch, das frühe Taubsi fängt den Wurm." Einen Augenblick lang sah Texomon sie verständnislos an, dann bemerkte er: "Und ich fange dann später das Taubsi, dann passt´s doch!" Aber trotzdem rappelte er sich dann auf und ging zum Bach, um den Kopf einmal komplett im Nassen Element zu versenken. Nach dem Frühstück, das genauso gut schmeckte, wie es aussah, erörterten Neru und Nerina die Funktionen des Pokedex und brüteten über der Karte, wohin sie denn als erstes gehen wollten. Evoli rief noch mahnend in seine Gedanken hinein: "Verrat ihr bloß nichts!" und Neru schüttelte nur unmerklich den Kopf, was für Evoli offenbar ausreichend war, denn sie zog mit Texomon davon, um Beeren zu suchen, wie die beiden erklärten. Neru und Nerina waren in ihrer Erörterung kaum mit den Arenen fertig, als auch schon ein wildes Geschrei aus dem Wald ertönte. Kurz darauf rannten ein zu Tode erschrecktes Evoli und ein hinkendes Texomon aus dem Wald. Texomon sah so aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen, während Evolis Fell vor Angst beinahe weiß geworden war. "Was ist...?", setzte Neru an und er und Nerina rannten zu Texomon, um zu sehen, was mit ihm passiert war. Doch im nächsten Augenblick brach die Hölle über die Lichtung her. Dutzende von Habitak schossen aus dem Gehölz und machten Jagd auf sie. Evoli wurde noch ein bisschen weißer um die Schnurrbarthaare und im nächsten Augenblick rannten sie auch schon, so schnell sie konnten, den Waldpfad hinunter. Die nächste Stadt und ihr Pokemoncenter waren nicht weit entfernt und die Habitak in ihrem Rücken beschleunigten ihre Schritte ungemein. Nerina hatte ihr Texomon Huckepack genommen und rannte, wie Neru es von ihr noch nie gesehen hatte, während Neru der kein vierzehn Kilo Pokemon auf dem Rücken trug, Mühe hatte, ihr zu folgen. Neru hatte das Gefühl, seine Lungen würden zerreißen und er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon rannten, doch sie rannten und rannten, bis sie das Pokemoncenter der nächsten Stadt Vertania City erreichten. Die Habitak hatten sie hartnäckig und angriffslustig bis vor die Stadtgrenze verfolgt und im Pokemoncenter waren nicht nur die Pokemon dem Zusammenbruch nahe. Die Empfangsdame war sehr freundlich und besah sich mit kritischem Blick Texomons Verwundungen. "Das wird schon wieder", meinte sie zu Nerina und machte eine Operation bereit. Sie drückte ihr noch einmal die Schulter, verwies auf einen Teeautomaten und das Wartezimmer und war schon im Operationssaal verschwunden. "Jetzt erklär mal, Evoli, was ist da eigentlich genau passiert?", meinte nun Neru mit kritischer Stimme an sein Iramon gewandt, als sie alle im Wartesaal saßen, jeder mit einer großen Tasse Tee in der Hand und auf das Ergebnis der Operation warteten.

"Nun, das war so", begann Evoli und ihre kleine Stimme war immer noch vor Angst piepsig.
 

>>>Rückblick<<<
 

"Bist du dir da auch wirklich sicher?", fragte Texomon mit zweifelnder Stimme. "Ja! ich hab die Stelle mit eigenen Augen gesehen." "Na dann!" schulterzuckend lief Texomon hinter Evoli her. Das kleinere Pokemon war sich sicher, einen Baum mit ganz vielen leckeren Früchten gesehen zu haben, die es nun einzusammeln galt. Doch je weiter sie in den Wald vordrangen, desto beunruhigter wurde Evoli. Sie hielt sich immer näher an Texomon, der ja schließlich viel größer und stärker war als sie selbst. Langsam und vorsichtig schritt sie weiter durch den Wald, Texomon skeptisch auf den Fersen. Als der Baum endlich in Sicht kam, blieb Evoli zweifelnd stehen. Rund um den Baum konnte man hauchfeine Fäden sehen, die sich zwischen den Bäumen spannten. "Ich glaube, wir sollten lieber umkehren", meinte das kleine Pokemon, doch Texomon widersprach: "Jetzt sind wir schon so weit gekommen, da lassen wir uns von ein paar Raupy nicht das essen vermiesen." Entschlossen stampfte er mit dem Fuß auf und stapfte durch die ersten Fäden, die er sorgfältig mit seinen Klauen zerteilte. Plötzlich knackte hinter Evoli ein Zweig. Von einem plötzlichen Impuls getrieben, sprang Evoli vor und einen der Bäume, die die Lichtung umgaben, empor. Reine Panik hatte sie ergriffen, obwohl sie noch nicht einmal wusste, warum. Doch dann sah sie, das Spinnenpokemon, das hinter ihnen erschienen war. "Dasss issst mein Terrritorrrrium", fauchte es Texomon an, der seinerseits einen Schritt zurückwich, dann aber stehen blieb. "Wer sagt das?", fauchte er zurück, "Wir wollen nur ein paar Früchte holen." Das große Spinnenpokemon hörte ihm gar nicht richtig zu. "Duuu zerrrrstörrrst meine Neeetze", fauchte es, "Verrrrschwinde." Texomon ließ sich von dem Achtfüßler nicht beeindrucken, sondern konterte weiter, bis es zum Kampf kam. Evoli hatte so eine Angst, dass sie sich nicht rührte, sondern stumm und steif vor Angst in ihrer Astgabel sitzen blieb. Das kleinere Texomon verlor den Kampf gegen das Ariados und musste fliehen. Als Texomon die Lichtung hinkend verließ, wurde Evoli klar, dass, wenn Texomon jetzt ginge, sie alleine mit dem Ariados sein würde. Also sprang sie ebenfalls vom Baum und stürmte hinter Texomon her aus dem Wald hinaus. Leider verloren sie in dem Gewirr der Baumstämme die Richtung, und noch während sie liefen, prallten sie in ein paar Strohnester. Nur Sekunden Später war die Luft von Habitak erfüllt, die wutentbrannt über die zerstörten Nester, die sie wirklich nicht hatten beschädigen wollen, hinter ihnen herjagten. "Zu was bist du überhaupt nütze?", fauchte Texomon Evoli an, "Findest nicht mal den richtigen Weg." Doch Evoli war viel zu sehr mit rennen und wegfinden beschäftigt, um etwas zu erwidern, zumal sie einen wahren Kern in den Vorwürfen zu erkennen glaubte.
 

>>>Rückblick Ende<<<
 

"Nun ja", schloss Evoli, "und den Rest kennt ihr." Nach der Erzählung von Evoli herrschte erst einmal einen Augenblick lang Stille im Raum. Nerina war immer noch weiß vor Angst um ihr Texomon und Neru dachte über das, was ihm Evoli erzählt hatte nach. Furchtsam schaute Evoli von einem zum andern. "Was denkt ihr?", fragte sie nach einer Weile ängstlich. "Nun, das Texomon sich wiedermal überschätzt hat, steht ja außer Frage", meinte Nerina ärgerlich aber mit resigniertem Unterton. Evolis Ohren stellten sich freudig auf, bei der Chance, dass man das Geschehene auf diese Weise interpretieren könnte. "Aber du hast dich auch nicht eben mit Ruhm bekleckert", meinte nun Neru streng, "Warum bist du nur auf dem Baum sitzen geblieben? Du hättest Texomon helfen können, oder versuchen können den Streit zwischen den beiden zu schlichten." "Oder einen von uns beiden holen können", warf Nerina fast ein wenig zornig ein. Evolis gerade noch so schön aufgestellte Ohren fielen in sich zusammen. "Streng genommen ist es deine Schuld, dass es Texomon so schlecht geht", meinte nun Neru und ging fort um neue Tassen Tee zu holen. Evoli ließ die Ohren hängen und machte sich ganz klein. Ihr schienen vorher schon ähnliche Gedanken im Kopf herumgespukt zu haben. Nerina war zwar immer noch sauer, wollte aber etwas einwenden, doch Neru schüttelte den Kopf. "Sie kann sich ruhig mal Gedanken über ihr Verhalten machen", sagte er streng, "Feigheit ist nichts, worauf man stolz sein kann." Bei diesen Worten zuckte Evoli zusammen und ließ die Ohren noch weiter hängen. Besorgt schlich sie durch den Warteraum, vor die Tür des OP-Saals und schaute stumm das blinkende Signal an der Tür an. "Wenn du da wieder rauskommst, Texomon", sagte sie entschlossen, "verspreche ich, nie wieder so feige zu sein." Und dank der Stille im Wartesaal konnten Neru und Nerina diese Worte auch sehr gut verstehen.
 

>>>Nerina<<<
 

"Aber warum hat das denn sein müssen, Texomon?", fragte Nerina ihr kleines Drachen-Iramon mit einer Mischung aus Wut und Besorgnis, als sie es am Abend endlich wieder abholen durfte, "Warum hast du dich nicht einfach bei dem Ariados entschuldigt und bist selbst weggelaufen?" "Es sah nicht soviel stärker aus als ich", brummelte Texomon mit gesenktem Kopf und hängenden Ohren, "Und außerdem hat es mich angegriffen und nicht umgekehrt! Da läuft man doch nicht einfach feige weg!" "Aber Texomon, das ist viel zu gefährlich! Du bist noch jung und kannst keine einzige Attacke! Bitte mach sowas nicht nochmal, wenn ich nicht dabei bin! Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!" "Entschuldigung", murmelte Texomon nur zur Antwort und versuchte, die Ohren noch weiter hängen zu lassen, "Das wollte ich nicht." "Ist jetzt in Ordnung", erwiderte Nerina seufzend und streichelte ergeben über seinen schuppigen Rücken, "Zum Glück geht’s dir ja wieder gut. Trotzdem, sei bitte vorsichtig, wenn du das nächste Mal im Wald herumtobst! Man macht keine fremden Sachen kaputt!" "Ich hab das doofe Netz wirklich nicht erkannt", protestierte Texomon ärgerlich ob ihrer Beharrlichkeit, "und Evoli auch nicht! Sonst hätte sie mich doch gewarnt!" Nerina antwortete zunächst nichts und so legten sie die letzten paar Meter von der Rezeption des Pokemon-Centers bis zu der Terrasse schweigend zurück. Es dämmerte bereits als Nerina den Perlenvorhang auseinanderschlug und die kühle Nachtluft, die nun über ihre Gesichter streichelte, tat gut nach der hitzigen Diskussion. Seufzend ließ Nerina sich auf eine der Sonnenliegen fallen, legte den Arm so neben sich, dass Texomon sich bequem an ihre Seite kuscheln und den Kopf an ihre Schulter lehnen konnte und immernoch schweigend sahen sie einem jungen Trainer im Park vor ihnen dabei zu, wie er zwei junge, kräftige Quiekel über den Rasen traben, einander jagen, ausweichen und hohe Sprünge vollführen ließ, immer abwechselnd nach demselben Muster. Am Ende jedes Durchganges ließ er sie einen Pulverschnee in den Nachthimmel ausstoßen und in der Mitte des Parcours machten sie eine Steinhagel. Gute zehn Minuten sahen sie dem meditativen Treiben auf dem Rasen zu, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, dann fragte Nerina leise: "Bist du böse auf Evoli, weil sie dir nicht geholfen hat?" Texomon hob verdutzt den Kopf. "Böse?", fragte er verständnislos, "Warum denn? Sie hätte ja doch nichts tun können." Damit schien die Sache für ihn erledigt zu sein und Nerina war froh, dass er wenigstens nicht nachtragend war. Den ganzen Nachmittag, während sie stumm in der Empfangshalle des Centers auf und abgeschritten war, die Hände in den Hosentaschen und den Blick stoisch auf den Boden geheftet, hatte sie der Gedanke umgetrieben, was sie nur tun sollte, falls ihre beiden Iramon nach diesem Vorfall aufeinander wütend sein würden. Sie hätte es Texomon nicht verübeln, es ihm aber auch keinesfalls erlauben dürfen, wobei das wohl auch kaum eine Rolle gespielt hätte, dachte sie nun seufzend und streichelte gedankenverloren seine klauenbewehrte Pranke. Sie mochte das Drachen-Iramon gerade wegen seiner Stärke und Selbstständigkeit, doch hatte die leider auch zur Folge, dass man ihm nicht einfach sagen konnte, wo es lang ging auf der Welt. Gerade wollte sie sich zu einer philosophischen Bemerkung diesbezüglich hinreißen lassen, als Texomon seinerseits damit herausplatzte, was ihn umtrieb. "Sag mal, Nerina...", begann er mit einer zögerlichen Art, die sie von ihm noch gar nicht kannte, "Ist das, was der Junge und die Quiekel da machen... Training?" "Aber ja", erwiderte Nerina schmunzelnd, "Sie trainieren Schnelligkeit, Gewandtheit und eine Boden- und eine Eisattacke im Parcour und er sagt ihnen, was sie verbessern müssen." "Oh", machte Texomon nun ebenfalls seufzend, "Schade. Und dabei hatte ich mich so aufs Training gefreut." Zunächst verstand Nerina nicht ganz, was er meinte. "Aber, das ist doch gut", erwiderte sie stirnrunzelnd, doch Texomon ließ nur den Kopf hängen. "Es sieht schrecklich langweilig aus", sagte er niedergeschlagen, "Immer nur im Kreis laufen und über dieselben paar Wurzeln springen? Das trainiert vielleicht die Beine, aber nicht den Kopf! Und der ist doch das wichtigste! Sonst laufen die in der Arena auch nur im Kreis, weil ihre Beine sich so daran gewöhnt haben!" Nerina musste herzlich lachen bei dem Gedanken, drückte Texomon an sich und flüsterte: "Wir zwei machen spannenderes Training! Versprochen! Auch welches für den Kopf!"

In ihrem gemeinsamen Zimmer hatte Neru die beiden Swags, die sie bei ihrer Flucht im Wald zurückgelassen und die er und Evoli nach dem ersten Schrecken und als sich abgezeichnet hatte, dass Texomon wohl bis zum Abend im Krankensaal würde bleiben müssen, geholt hatten, lang auf dem Boden ausgebreitet. Er hatte sie im Garten geschruppt und von den Hinterlassenschaften der Habitak gereinigt. Nun brütete er über der Frage, was mit dem fingerlangen Klauen-Riss in Nerinas Zeltplane anzustellen sei. "Ich werde ihn einfach zunähen", beantwortete Nerina seine ungestellte Frage, kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, "Danke fürs holen und putzen, Neru. Geh nur ruhig ins Bett. Du siehst total müde aus." Zu ihrer Verwunderung protestierte ihr Bruder nicht sondern nickte nur dankbar. "So ein Pokemonabenteuer strengt doch bedeutend mehr an als eine Runde Rasenmähen bei Papa", entgegnete er gähnend und ließ sich der Länge lang auf sein Bett fallen, gerade noch darauf achtend, nicht Evoli zu zerquetschen, die sich bereits auf seinem Kopfkissen zusammengerollt hatte und verschüchtert Texomon beobachtete, der sie seinerseits nur fröhlich angrinste. "Oh, gut, dass dir nichts passiert ist", sagte er freimütig und ließ sich auf Nerinas Bett plumpsen, quer natürlich. "Hee! Rutsch mal ein bisschen! Du bist nicht allein auf Gottes Welt!" Selbst kichernd kitzelte Nerina seinen gelben Bauch und Texomon rollte sich glucksend zu einer schuppigen Kugel zusammen, sodass Nerina wenigstens genug Platz fand, sich auf die Bettkante zu setzen und ihr Nähzubehör aus dem Rucksack zu kramen. Etwas verzweifelt sah sie auf das viel zu enge Nadelöhr hinunter. Nähen war noch nie ihre Stärke gewesen, auch wenn Mutter es ihr in langen und geduldigen Winterabend-Beschäftigungen beizubringen versucht hatte. Neugierig schob Texomon den Kopf auf ihren Schoß und blinzelte zu dem seltsamen, silbrigen Ding in ihrer Hand hinauf. "Was tust du da?", fragte er überrascht. "Ich versuche, den Faden durch das Nadelöhr zu ziehen", erwiderte Nerina seufzend, "Aber er will einfach nicht..." "Oh, lass mich mal", erwiderte das Iramon begeistert, streckte eine klauenbewehrte Hand aus und packte zuversichtlich Nadel und Faden. "Fadenschuss!", rief er und ehe Nerina sichs versah, hatte eine seiner scharfen Klauenspitzen den Faden schon an Ort und Stelle befördert. "Danke!", strahlte sie, während Neru skeptisch die Stirn runzelte. "Bringst du ihm auch richtige Attacken bei?", fragte er kritisch. "Naja, aber es ist ein Anfang", erwiderte seine Schwester schulterzuckend und wandte sich nachdenklich dem Riss in der Plane zu... Texomon mochte ein großer Tollpatsch sein und nicht sonderlich viel von stupidem Parcourlaufen halten, doch wenn sie seine Talente richtig förderte...

Als Nerina am nächsten Morgen die Augen aufschlug, stellte sie verdutzt fest, dass Neru fehlte. Sein Bett sah zerwühlt aus wie immer, nachdem sein Besitzer es verlassen hatte, doch war er nicht nur mal eben zum Klo gegangen, denn sein Schlafanzug lag breit über dem Kopfkissen und seine Kleider fehlten. Wo er wohl hingegangen war? Und warum so früh? Schließlich war ihr Bruder doch ein bekennender Langschläfer und draußen ging gerade erst die Sonne wie eine zarte, rosane Kugel über den Dächern der Stadt auf. Kurz wunderte Nerina sich noch über diese neuerliche Merkwürdigkeit, dann schlüpfte sie ebenfalls aus dem Bett, warf sich Hose und T-Shirt über und stupste Texomon mit einem Finger gegen die weiche, schwarze Schnauze. "Aufstehen, du Schnarchnase!", rief sie gut gelaunt, "Neru und Evoli sind ausgeflogen und das wäre doch eine fabelhafte Gelegenheit für ein bisschen Spaß!" Sie wusste, dass sie Texomon mit Training und Attackenlernen nicht würde locken können. So sprang er begeistert mit einem Satz aus dem Bett! "Au ja!", rief er glücklich, "Spielen!" Ausgelassen und zu Texomons Verdruss schweigend schlenderten sie durch den vollen Frühstückssaal des Pokemon-Centers und Nerina sah sich verstohlen nach ihrem Bruder um, doch auch sein Magen hatte Neru offensichtlich nicht zum frühen Aufstehen verdonnert. Kopfschüttelnd verließen sie das Center. "Okay, Texomon", sagte Nerina dann grinsend und zeigte auf eine Straßenlaterne am Ende der Straße, "Machen wir ein Wettrennen?" "Aber du darfst nicht traurig sein, wenn du verlierst", erwiderte Texomon schon vor Eifer hin und hertänzelnd. Nerina schüttelte ernst den Kopf. "Oh, ich bin eine absolute High-Speed Kanone!", flunkerte sie, "Renn nur, so schnell du kannst! Achtung, Fertig, Looos!" Wie eine Kanonenkugel schoss Texomon davon die Straße hinunter. Heller Staub wirbelte meterhoch hinter seinem schlagenden Schwanz her, während Nerina seelenruhig die Stoppuhr aktivierte und dann ehrenhalber in dieselbe Richtung trabte, Texomon genau im Auge. Als er klirrend mit den Klauen an die Laterne stieß, sich daran festklammerte und von seinem eigenen Schwung einige Male im Kreis gewirbelt wurde, drückte sie lachend erneut die Stoppuhr. Er hatte eine sensationelle Zeit von dreizehn Sekunden gelaufen! "Bravo!", keuchte sie, als auch sie endlich bei ihm ankam, "Da bist du aber ganz schön abgegangen! Mann, das nächste Mal stelle ich eine Radarfalle auf!" Texomon kugelte sich vor lachen. "Ich bin gut im Laufen", sagte er stolz. Nerina nickte. "Perfekt - aber Texomon, bist du eigentlich auch gut im Springen? Schau mal, auf der Laterne da ist ein Habitak-Klecks. Meinst du nicht, Officer Rocky würde sich freuen, wenn wir den wegputzen würden? Sie ist doch so klein und bräuchte sicher eine Leiter..." Wie zufällig holte sie eine der Servietten aus dem Frühstückssaal aus der Tasche und reichte sie Texomon, der begeistert zu hüpfen begann. Er hopste auf der Stelle, wie ein Gummiball, doch die Laterne blieb weit über seinen ausgestreckten Klauen. Kurz überlegte Nerina, ob die Übung nicht zu schwierig für ihn war, doch Texomon schien mit soviel Enthusiasmus bei der Sache, dass sie ihn gewähren ließ. Wie ein Känguru hüpfte er um die Laterne herum, dann kam er irgendwann auf die Idee, Anlauf zu nehmen, raste die Straße entlang und sprang mit einem lauten Deung gegen den Pfosten. "Oh, Texomon!", rief Nerina erschrocken, doch Texomon hatte sich bereits mit den Hinterbeinen und dem Schwanz an das Rohr geklammert und streckte nun die Klauenhände nach dem dunklen Klecks aus - dann ließ er sich keuchend zu Boden sinken und zeigte ihr enttäuscht die zerfetzte Serviette. "Ich hab sie kaputt gemacht..." "Ich hab noch eine!", sagte Nerina froh, dass ihm nichts passiert war. "Versuchs nochmal, das war eine super Idee!" Es gingen noch viele Servietten zu Bruch, doch nach einer guten halben Stunde hatte Texomon gelernt, nicht mehr wie ein Relaxo gegen den Laternenpfahl zu rumsen, sondern elegant an dessen Spitze zu springen, sich festzuhalten und die Stelle sogar mit einer gewissen Vorsicht zu polieren und mit stolz geschwelgter Brust kehrte er an Nerinas Seite zum Pokemon-Center zurück, um sich nach dem witzigen Springspiel, wie er es nannte, erstmal ein paar anständige Pokeriegel zu gönnen.

Neru und Evoli waren da, als Nerina und Texomon ausgelassen plaudernd - Nerina lobte ihn in höchsten Tönen und Texomon antwortete, wie abgemacht, artig: "Texo...Texomon!" - in den Frühstückssaal stürmten. Er lehnte mit noch etwas müdem Gesicht am Tresen und redete mit Schwester Joy. Als Nerina sich zu ihm gesellte, strahlte die Krankenschwester Texomon an. "Es ist so schön, dass es dir wieder besser geht!", sagte sie ehrlich und ihr kleines Chaneira piepte zustimmend. "Stell dir vor", sagte Neru und stieß seiner Schwester begeistert den Ellenbogen in die Seite, "Schwester Joy hat eine Cousine in Azuria City." "Ja...?", entgegnete Nerina verdutzt. Dass es in jeder Stadt eine Schwester Joy gab, wusste jedes Kind! Was war die Sensation daran? "Meine Cousine hat im Pokemon-Center sehr viele Patienten", erklärte Schwester Joy weiter, "Und sie hat geschrieben, sie könnte dringend noch ein Chaneira brauchen. Wie es der Zufall so will, hat meines grade ein Ei gelegt. Leider kann ich es nicht einfach per Post nach Azuria schicken... Eier sind sehr empfindlich. Und leider geht auch niemand in die Richtung, weil alle erst nach Marmoria City zur Felsarena wollen..." "Aber ich dachte, wir könnten doch auch erst nach Azuria City gehen, oder?", fragte Neru aufgeregt, "Vielleicht entwickelt sich Evoli dort zu Aquana und dann hätten wir sogar eine Chance im Marmoria... Und sie würde uns sogar bezahlen!", fügte er leise hinzu. Nerina zögerte kurz, dann zuckte sie mit den Schultern. "Ist mir gleich!", sagte sie fröhlich, "Von mir aus können wir auch erst schwimmen gehen. Wir mögen das Wasser!"
 

>>>Neru<<<
 

Das Training war an diesem Morgen noch zwei Stunden nach vorn verlegt worden, da sie ja an diesem Tag früh in Richtung Azuria City aufbrechen wollten. Nachdem sie die letzten Tage grundlegende Bewegungen für das Ausweichen geübt und weiter an Evolis Geschwindigkeit und Ausdauer trainiert hatten, hatte Neru an diesem Tag etwas ganz besonderes vor. Den Parcour, den er Evoli heute stellte, war zwar nicht ganz so anspruchsvoll wie die letzten, doch wollte er heute die Reflexe seines Partners testen, und auch an diesen üben. Immerhin ging es nicht nur darum, schnell zu sein, sondern man musste auch über die nötigen Reflexe und Reaktionsschnelligkeit verfügen, um gegnerischen Attacken auszuweichen. Zu diesem Zweck hatte Neru in den letzten Tagen Tannenzapfen gesammelt, die er heute während den Parcourläufen von Evoli nach dieser werfen wollte, um Attacken zu simulieren. Evoli schien von dieser Idee nicht ganz so begeistert, wie von ihren vorherigen Trainings zu sein. "Das bringt doch gar nichts", meinte sie nur zähneknirschend, als ein Tannenzapfen genau auf ihrer Nase landete. "Es wird etwas bringen, wenn du es nur gut genug übst", erklärte Neru, "Den Tannenzapfen musst du dir wie eine Attacke, eine Aquaknarre oder einen Donnerblitz vorstellen, dem man ausweichen muss." "Na, ich weiß nicht", murrte Evoli, machte aber die Übung noch zwei weitere Male und wurde während dieser Durchläufe auch besser darin, auf mehr zu achten als ihre Hindernisse und ihre Füße. Dennoch murrte Evoli fast den ganzen Weg zurück zum Pokemoncenter, was Neru nicht eben als Erfolg verbuchen konnte. Es machte ihm zu schaffen, wie schnell Evoli die Lust an einem Training zu verlieren schien, das sie nicht für sinnvoll hielt. Noch immer über die Problematik nachgrübelnd erreichten die beiden das Pokemoncenter, wo sie auch prompt Nerina und Texomon über den Weg liefen, die ebenfalls früh aufgestanden waren und gerade beim Frühstück saßen. "Na, wo kommt ihr denn her?", fragte Nerina gut gelaunt und biss in ihr Marmeladenbrot. Wir waren spazieren", warf Evoli glücklich ein und sprang auf den Tisch. "Die Luft draußen ist herrlich", bekräftigte Neru und setzte sich ebenfalls zu den anderen. Nerina legte die Stirn in Falten und betrachtete ihn mit einem fragenden Ausdruck in den Augen. "Seit wann interessierst du dich denn für frische Luft?", fragte sie. "Naja, Evoli ist morgens sehr aktiv und da ich dann ja eh keine Ruhe mehr habe, da kommt man halt auf den Geschmack." Das war im Prinzip nicht ganz gelogen, aber auch nicht die ganze Wahrheit, wie sich Neru eingestehen musste. Aber gut, hier ging es ja schließlich um das Geheimnis von Evoli, das er nicht ausplaudern wollte. Evoli sollte sehen, dass sie sich auf ihren Trainer verlassen konnte. "Nun gut", meinte er gut gelaunt, "was gibt’s denn zum Frühstück?" Und während er alle Blicke auf sich ziehend Richtung des Buffets davonlief, entging ihm beim Zurückblicken nicht, dass Evoli versuchte, als Texomons Blick gerade abgelenkt war, ihm einen seiner Pokeriegel zu stibitzen. Lächelnd wendete er sich wieder dem Buffet zu. Evoli schien wirklich mutiger zu werden, so wie sie es versprochen hatte.

Kurze Zeit später erschien Evoli neben ihm, mit einem dicken Kratzer auf der Nase. "Was ist denn mit dir passiert?", fragte er das kleine Iramon. Evoli hielt sich zwar an das Sprechverbot, jedoch konnte er ihre Stimme in seinem Geist hören. 'Wurde erwischt', murrte sie nur verschnupft und verschwand hinter einem kleinen Schränkchen. Neru musste lachen. Evolis Kopf tauchte hinter dem Schränkchen auf und funkelte ihn an. 'Das ist nicht lustig.' "Das liegt im Auge des Betrachters", konterte Neru und wandte sich wieder den Spiegeleiern und dem Speck zu, den er sich gerade auf den Teller laden wollte.

Als Neru mit einem zum Bersten vollen Teller zurück zum Tisch kam, fand er seinen Platz belegt vor. Ein anderer Trainer hatte sich darauf niedergelassen und diskutierte mit Nerina die Route nach Azuria City. Neru war froh bei dem Gedanken,, jemanden gefunden zu haben der ihnen einen guten Weg empfehlen konnte, da er heute morgen noch nicht die Zeit gefunden hatte, in die Karten zu schauen. "Wenn ihr dalang geht, kommt ihr durch den Vertania Wald und in die Sinora Berge. Da müsst ihr gute Pokemon dabei haben", sagte der andere gerade und ließ den Blick vielsagend auf seinem Gürtel ruhen, "Als ich mit meinem Pikachu da entlanggewandert bin, wurden wir schon das ein oder andere Mal von wilden Pokemon angegriffen, aber nicht jedes Pokemon ist gleich stark, nur weil es einen Trainer hat." Abschätzend ließ er damit den Blick über Texomon schweifen. "A..Texo!", wandte Texomon ein, sich gerade noch daran erinnernd, dass er ja ein Pokemon war und deshalb nur seinen Namen sagen durfte, doch die Sache war auch ohne Texomons Eingreifen ins Rollen geraten. Zehn Minuten später hatten sich alle draußen versammelt und der Trainer, der sich als Roy vorgestellt hatte, zog seinen Pokeball, während Texomon ein paar Schritte nach vorn getreten war, um sich dem Trainerkampf zu stellen. Natürlich hatte Nerina die unterschwellige Beleidigung nicht auf sich sitzen lassen und die somit ausgesprochene Herausforderung von Roy angenommen. Roys Pikachu sah gut aus. Eine große gelbe Maus mit einem braunen Blitzmuster auf dem Fell und einem gelben, großen Blitz als Schwanz. Schnell zog Neru seinen Pokedex heraus, um die Daten von Pikachu einzusehen.

"Pikachu, das Blitz-Pokemon.

Pikachus harmloses Aussehen darf nicht unterschätzt werden. Die Stromschläge, die dieses kleine Pokemon aussenden kann, können bis 250.000 Volt stark werden. Seine Hauptattacke ist der Donnerblitz, der eine verheerende Wirkung auf Wasserpokemon hat."

"Oh jeh", stöhnte Neru auf und warf Texomon einen besorgten Blick zu. 'Was ist denn?', hörte er Evolis Stimme in seinen Gedanken und er zeigte ihr das Display des Pokedex.

'Man kann nicht bestreiten, dass er ein bisschen Wasser in sich hat', Meinte sie skeptisch und ließ sich auf ihren Hintern sinken, um dem Kampf zuzusehen.

Texomon stürzte auf das Pikachu zu, die Klauen zum Schlag erhoben, da begann Pikachu, gelb zu leuchten und im nächsten Augenblick zuckte ein Blitz, dem Texomon nur knapp ausweichen konnte, durch die Luft, und ließ einen Busch hinter dem Drachenpokemon in Flammen aufgehen. Schwerfällig rappelte sich Texomon wieder auf und ging diesmal mit mehr Bedacht zum Angriff über. Mit geschickten Sprüngen und Scheinausfällen kam er immer näher an Pikachu heran, das zwar noch zwei Donner nach Texomon abschoss, doch Texomon war gewarnt und seine Finten gut gesetzt. Texomon schien ein gutes, intuitives Gefühl für den Kampf zu haben, so konnte er Pikachu erreichen, ohne, dass er einen weiteren Beinahetreffer einstecken musste. Als Texomon ihn fast erreicht hatte, befahl Roy einen Ruckzuckhieb und Pikachu ging so schnell in den Angriff über, wie es Neru noch nie zuvor gesehen hatte. Ein brutaler Hieb traf Texomon in die Brust, dieser ließ sich von einer solchen kurzen Unterbrechung jedoch nicht beirren und zog auf Nerinas Kratzer-Befehl hin seine Klauen quer durch Pikachus Gesicht, sodass man die Spuren seiner Klauen wahrscheinlich noch ein paar Tage lang auf den Wangen des Blitzpokemons sehen konnte. Erschrocken von der Wirkungslosigkeit seines Ruckzuckhiebs und überrascht von der plötzlichen Stärke des Drachenpokemon, wich Pikachu zurück. Texomon zögerte nur einen Augenblick zu lange, als er die Verfolgung aufnahm, da traf ihn der aus der Flucht blindlings abgefeuerte Donnerblitz des Pikachu genau in die Brust. Stöhnend brach Texomon zusammen. Texomon war zwar nicht K.O gegangen, doch war sowohl ihm als auch Nerina klar, was passieren würde, wenn Texomon versuchen würde, aufzustehen. So ließen sie es bei der Aufgabe bewenden, bevor Texomon wirklich noch arge Verletzungen davontragen konnte.

"So wird das mit dem wandern nichts", meinte der Trainer überheblich, während sein Pikachu zu ihm zurückkehrte und Nerina zu Texomon eilte, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. "Und so, wie ich die Sache sehe, ist dein Fellknäul nicht nennenswert besser trainiert", meinte er an Neru gewandt. Neru, der sein Evoli vor einem ähnlichen Schicksal wie Texomon bewahren wollte, wollte zu einer Antwort ansetzen, als sich Evolis wütende Stimme in seine Gedanken mischte. 'Fellknäul? Diese kleine Leuchtmaus schaff ich!' "Das werden wir ja sehen", erwiderte Neru nur kühl, und beugte sich zu Evoli hinunter. "Denk an unsere Übung von heute morgen und lass dich nicht zu einem vorschnellen Angriff provozieren."

'Keine Sorge!', halte es in seinem Kopf, während Evoli mit dem arttypischen "Evo?", antwortete, 'Ich hab eine Idee.' Dann sprang Evoli ein paar Schritte nach vorn und der nächste Kampf begann. Pikachu begann sofort wieder gelb zu leuchten. "Sandwirbel", befahl Neru und eine dicker Schwall des staubigen Elements ergoss sich über den Kampfplatz und warf ganz kleine Dünen auf. Dem Konter, den das Pikachu los ließ, als es wieder freie Sicht hatte, konnte Evoli nur um Haaresbreite entgehen und er versengte ihr Rückenfell, als Evoli sich auf den Boden warf, um unter der Attacke hindurch zu tauchen. Evoli machte selbstständig mit den Sandwirbeln weiter und warf Düne um Düne auf, während sie versuchte, den Stromschlägen zu entgehen. Bald schon gab es auf der ganzen Wiese verteilt kleinere und größere Sanddünen, hinter denen sich Evoli verstecken konnte. Doch genau in dem Augenblick, als Evoli zu einem weiteren Sandwirbel ansetzte, zuckte auch ein Blitz von Pikachu über den Kampfplatz und die beiden Attacken trafen sich auf halbem Weg zwischen ihnen. Wie immer, wenn viele kleine Teile durch die Luft treiben und ein Funke dazwischen geht, begann die Mehlstaubexplosion sofort und ein greller Verbrennungsblitz zischte zwischen den beiden Kontrahenten auf. Neru und alle anderen Beteiligten mussten die Augen zukneifen und als sie wieder zum Kampfplatz sehen konnten, war Evoli verschwunden. Suchend rannte Pikachu von Düne zu Düne. "Evoli! Wo bist du?", rief Neru und in seinem Geist antwortete die Stimme des kleinen Iramon. 'Mir geht es gut!', meinte sie, 'Ich liege im Sand versteckt, drei Schritte hinter Pikachu.' Tatsächlich konnte Neru an dieser Stelle einen kleinen Schemen braunen Fells entdecken. 'Du musst nur noch einen Tackle befehlen', meinte Evoli schmunzelnd und der Sandhaufen wackelte, als sie sich zum Angriff bereit machte. "Evoli! Tackle", rief Neru und Evoli sprang aus dem Staub genau in den Rücken des ahnungslosen Pikachus...

Ruhig kehrte Evoli wieder in ihre Ausgangsstellung zurück, setzte sich auf ihren Hintern und legte ihren Schweif um ihre Beine, während sie Roy ruhig und gelassen in die Augen sah und sagte: "Evo-Evoli." 'Das hättest du nicht gedacht!', hörte Neru die Übersetzung in seinem Kopf und er musste bei diesen Worten grinsen. Roy war zwar nicht zum Grinsen zumute, aber er war auch nicht nachtragend. Begeistert diskutierte er mit Neru und Nerina über unterschiedliche Angriffstaktiken und den Möglichkeiten, wie man diesen entgehen konnte. Auch hatten sie es über unterschiedliche Trainingsmethoden, während sich Evoli und Texomon unauffällig abseilten und sich über den Vorrat an Pokeriegeln hermachten. Roy erklärte den beiden jungen Trainern auch, wie man wohl am schnellsten und besten in Richtung von Azuria City kommen könnte und zeichnete ihnen die schnellste und beste Wanderroute in eine Karte aus dem Pokemoncenter ein. Als sie sich gerade bereit machten, um die lange Wanderung zu beginnen, seilte sich Evoli von Neru ab und sprach Nerina an. Kurz darauf verschwanden die beiden um eine der Ecken des Pokemoncenters. "Weißt du, was mit denen los ist?", fragte ihn Texomon aufgebracht. "Wahrscheinlich Frauengeschäfte", antwortete Neru nur zweifelnd, dann kam ihm etwas anderes in den Sinn. "Du, Texomon? Wie war das eigentlich für dich gerade, ich meine als du von Pikachu getroffen wurdest?"

"Nun ja", meinte die kleine blaue Echse und kratzte sich mit einer Klaue an der Nase, "Besonders toll war es nicht, aber manchmal kann man nichts daran ändern. Ich habe früher schon häufig verloren, gegen Nidoran", meinte er, als sie gemeinsam die Parkanlage hinunter schritten und er erzählte Neru von seiner bewegten und zugegebenermaßen ziemlich zerrauften Kindheit. "Aber man darf nie aufgeben", meinte Texomon stolz, "Irgendwann war ich gut genug, mich zu wehren und auch Nidoran zu besiegen. Seit da waren wir gute Freunde. Ich denke jeder Gegner ist bezwingbar", stellte er sachlich fest und mit diesen Worten rannte er zurück zu Nerina und ließ einen nachdenklichen Neru zurück.
 

>>>Nerina<<<
 

"Herzlichen Glückwunsch", sagte Nerina mit einem breiten Lächeln zu Evoli und strich ihr mit einem Finger stolz das Fell über der Nase glatt, "Das mit der Mehlstaubexplosion war eine klasse Idee!" "Danke!" Das kleine Iramon kicherte ein wenig verlegen und legte geschmeichelt ein Ohr zurück. "Allerdings war das zugegebenerweise eher ein Zufall..." "Ja, aber trotzdem! Und auch den Sandwirbel hast du geschickt eingesetzt!", sprach Nerina begeistert weiter, "Ich muss Texomon echt auch mal ein paar vernünftige Attacken beibringen, aber noch sind wir beim Basistraining..." Sie hatte immernoch nicht wirklich eine Ahnung, warum Evoli sie beiseite genommen hatte, denn auf ihrem doch schon recht langen Spaziergang durch die Vorgärten des Pokemon-Centers hatte sie bis jetzt noch nichts von Bedeutung gesagt. Bei ihrem neuerlichen Kommentar begannen Evolis Schnurrhaare zu zucken und sie sah mit ernstem Blick zu Nerina auf. "Texomon hat gut gekämpft", sagte sie ohne Neid oder Sarkasmus in der Stimme, "und er war auch damals gegen das Webarak sehr mutig. Ich... ich wollte dich wegen damals um Verzeihung bitten", rückte sie nun endlich mit der Sprache heraus und obwohl ihr langer, buschiger Schwanz hundegleich an ihrem Bauch klebte, sodass die weiße Spitze unter ihrem Kinn hervorlugte, wandte sie den Blick nicht ab. "Es war unser beider Fehler und Texomon musste alles ausbaden. Das tut mir leid. Ich hätte ihm durchaus helfen können, aber ich hab mich nicht getraut..." Kurz überlegte Nerina, was sie antworten sollte. Die Sache war ausgestanden und Texomon war kein bisschen böse wegen Evolis Versäumnis, doch spürte sie, dass das kleine Iramon es ernst meinte und wollte es nicht mit einer laschen Bemerkung abspeisen. So blieb sie stehen, hockte sich hin, sodass sie Evoli besser in die schönen, blauen Augen sehen konnte und legte ihr eine Hand auf den Rückenpelz. "Es ist jetzt in Ordnung, Evoli", sagte sie so warm und ernst sie konnte, "Texomon ist ja wieder wohlauf und ab und zu tut ihm eine kleine Abreibung ganz gut. Er ist noch sehr übermütig und überschätzt sich gern. Aber auch du hast aus dem Vorfall lernen müssen und die Lektion hat dich hoffentlich ein wenig erwachsener gemacht." Verdutzt hörte Nerina sich selbst sprechen und bemerkte seufzend, dass es genau Mutters Worte waren, die da so locker aus ihr herauspurzelten. Hatte die Reise etwa schon jetzt auch sie erfahrener gemacht? "Ich habe meine Lektion gelernt", versprach Evoli, "Ich wollte nur noch einmal sagen, dass es mir leid tut, wenn Texomon ..." Sie brach ab und leckte sich nach Worten ringend die Schnauze. Nerina winkte ab. "Für mich ist die Sache bereinigt", sagte sie fest, "Aber warum sprichst du mit mir und nicht mit Texomon selbst?" "Der würde sowieso nicht zuhören", erwiderte Evoli, während sie langsam zum Pokemon-Center zurückgingen, "Er sagt immer nur, dass alles in Ordnung ist, aber das glaube ich ihm oft nicht. Ich glaube, man muss ihn sehr gut kennen, damit er einem verrät, was er wirklich denkt. Du musst wissen, dass früher viele Genforscher kamen, um ihn zu sehen und zu testen und sie haben ihn oft ziemlich auseinandergenommen. Er hat viel durchgemacht und fasst nicht schnell vertrauen zu anderen."

Sie brachen an diesem Morgen ohne weitere Verzögerungen auf, den schmalen und scheinbar kaum genutzten Waldpfad in Richtung des Gebirges entlang. Die Sonne schien vom makellos blauen Himmel und die dichter werdenden Nadelbäume spendeten angenehmen Schatten. An manchen Stellen, wo ihre Kronen etwas lichter waren, schimmerte das Sonnenlicht golden auf dem weichen Nadelnbett, auf dem sie gingen und überall duftete es nach frischem Harz. Texomon liebte den Tannenwald beinahe noch mehr, als er schon den Laubwald geliebt hatte und ausgelassen tollte er zwischen den Stämmen der Bäume herum und ließ sich bei jeder Gelegenheit in einen weiteren Haufen duftender Nadeln fallen. Sie schoben sich unter seine Schuppen, bis er irgendwann wie ein grüner Igel aussah. Einmal fand er sogar einen Tannenzapfen, den er mit seinen scharfen Klauen nach allen Regeln der Kunst zerlegte und alsbald in eine gelbe Wolken aus Pollen gehüllt war. Neru und Evoli lachten herzlich über seine Spirenzchen, plauderten munter über den gelungenen Kampf und das Wetter, den dunklen Wald und das Gebirge, in das sie bald kommen würden. Nerina hielt sich indes still hinter ihnen, lauschte ihren Gesprächen und warf ab und zu einen Kommentar ein. Die ganze Zeit über behielt sie jedoch Texomon im Auge. Evolis Worte hatten sie nachdenklich gemacht und während sie mit langen, mechanischen Schritten hinter ihrem Bruder dreinschritt, fragte sie sich, ob Texomons sonniges Gemüt womöglich nur eine dicke und äußerst reißfeste Hülle war, gemacht, um alle Welt darüber hinwegzutäuschen, was er wirklich dachte. Ob er ihr eines Tages genug vertrauen würde, um sich ihr gegenüber zu öffnen? Texomon schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte, jedenfalls warf er Nerina immer wieder fragende Blicke zu, kam trotz des aufregenden Tannenwaldes viel häufiger als sonst zum Weg zurückgelaufen und bemühte sich auch, diesen nicht weiter als ein paar Schritte zu verlassen.

Die Landschaft wurde zusehends bergiger und gegen Nachmittag schlugen sie ihr Lager an der Flanke eines sanftgeschwungenen Hügels auf, sodass der Berg ihnen Windschatten und die Höhe eine tolle Aussicht über das endlose Grün des Tannenwaldes bot. Während Neru und Evoli sofort zurück in den Wald liefen, um Feuerholz zu sammeln, machte Nerina sich mit ihrem Wasserkessel auf den Weg ins Tal, wo sie Wasser zwischen den Bäumen glitzern sah. Texomon folgte ihr mit langen Sätzen durchs Unterholz und stürzte sich prustend ins Wasser, sobald Nerina das moosbewachsene Ufer erreicht hatte. Tatsächlich handelte es sich um eine Art kleinen See. Ein umgestürzter Baumstamm hatte den kleinen Gebirgsbach an der Talsohle aufgestaut und nur ein schmales Rinnsal tröpfelte darüber hinweg, während der größte Teil des Wassers in seinem großen, flachen Tümpel dahinter verblieb. Seufzend setzte Nerina sich auf den Baumstamm und hielt ihren Kessel unter den natürlichen Wasserhahn, während Texomon prustend in der Mitte des Teichs auftauchte, auf einen der vielen, aus dem Wasser ragenden Felsen kletterte und den Kopf schüttelte, sodass Wassertropfen in alle Richtungen stoben. Unwillkürlich musste Nerina lachen. "Wenn du so aus dem Wasser springst, siehst du aus wie ein Seedraking", sagte sie lächelnd. Es war als harmloses Kompliment gemeint gewesen, doch Texomons Augen verengten sich zu verwunderten Schlitzen und mit einigen langen Sätzen von Stein zu Stein begann er, auf sie zuzulaufen. Die ersten paar Male klappte das ganz gut, aber irgendwann wurden die Steine zu glitschig und er hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, bis er mit Armen und Schwanz rudernd dahinhopste, wie ein äußerst engagierter Flamenco-Tänzer. Nerina lachte herzlich und applaudierte angetan, als ihr Iramon in ihre Arme tanzte, seinerseits die kurzen Arme um sie legte und sie mit seinem Schwung fast umriss. Neugierig sah er in ihr Gesicht hinauf und seine Ohren legten sich steif nach vorne, als er sie skeptisch musterte. "Schau mal, ich kann sogar schon auf den Steinen gehen", sagte er unvermittelt und in einer Heftigkeit, als habe jemand das angezweifelt. Verblüfft sah Nerina auf ihn hinunter. "Ja", sagte sie verwirrt, "Das stimmt! Das hast du toll gemacht!" "Aber es geht noch besser", beharrte Texomon in einer für ihn ganz und gar untypisch trotzigen Weise, "Und du könntest von hier aus mit Kieseln nach mir werfen, denen ich ausweichen muss..." Nun gänzlich verwundert sah sie auf sein ungewohnt ernstes Echsengesicht hinunter, seine schwarzen Augen leuchteten entschlossen auf, dann sank er plötzlich in sich zusammen und ließ den Kopf hängen. "Es ist, weil ich verloren habe, stimmt´s?", fragte er niedergeschlagen. Nerina zuckte zurück ob der plötzlichen Bitterkeit in seinen Worten. "Aber Texomon, das... Was meinst du?", fragte sie dann ratlos. Texomon schnaubte. "Du bist den ganzen Tag schon still und nachdenklich", sagte er leise, "Glaub ja nicht, ich hätte das nicht bemerkt." "Ja, schon", entgegnete Nerina ertappt, "Aber das... das..." "Das ist nur, weil ich verloren habe", unterbrach sie Texomon heftig. Sein Anfall von Resignation war so schlagartig verschwunden, wie er gekommen war. Nun ballte er grimmig die Fäuste und sein Schwanz begann wild gegen den Felsen zu schlagen. "Ich konnte Pikachu nicht besiegen und Roy sagte, so könnten wir nicht nach Azuria City kommen. Ich habe versagt. Ich konnte dich nicht beschützen und jetzt sind wir hier, mitten in der Wildnis und müssen uns einzig und allein auf Evoli verlassen! Was, wenn dir etwas passiert? Wenn ein wildes Pokemon angreift...?" "Hee, jetzt mach mal halblang!" Mit sanfter Entschlossenheit nahm sie ihn bei den Schultern, hob ihn hoch und setzte ihn auf ihren Schoß, um ihm liebevoll über die nassen Schuppen zu streicheln. Sie wartete eine Weile ab, bis er sich beruhigt hatte, dann sagte sie so entschlossen sie konnte: "Du hast toll gekämpft, Texomon! Komm, von dem bisschen Lauftraining, das wir gemacht haben, konntest du Pikachu doch schon super ausweichen und du hast ein natürliches Talent dafür, Angriffe vorherzusehen! Dein Kratzer war auch gut, der hat echt gesessen! - und dass Evoli am Ende gewonnen hat, war größtenteils Glück." "Wie auch immer sie es angestellt hat", versetzte Texomon bitter, "Sie hätte Neru beschützen können. Bitte, Nerina, wir müssen härter trainieren! Ich will mit dir nach Azuria City gehen und ich will nicht, dass du Angst haben musst! Ich weiß, dass ich es lernen kann! Jeder Gegner ist bezwingbar! Aber noch bin ich einfach nicht gut genug und das muss ich ändern! Du sollst nicht enttäuscht sein von deiner Wahl!" Er wollte aufstehen, doch Nerina hielt ihn heftig zurück, drehte ihn dabei halb zu sich um und zwang ihn, sie anzusehen. "Ich werde niemals enttäuscht sein mit meiner Wahl", sagte sie so hart, dass Texomon kurz die Augen niederschlug, "Und wie oft auch immer du verlieren magst! Ich hab dich nicht ausgewählt, weil ich eine Kampfmaschine haben wollte! Ich wollte, dass wir zusammen Spaß haben - und das haben wir doch! Bitte nimm dir das nicht so zu Herzen." "Gut", entgegnete Texomon leise, "Ich hatte schon geglaubt, ich muss zurück zu Professor Eich..." "Ich würde dich niemals wieder hergeben, du kleine, überdrehte Schuppennase!", sagte Nerina warm und stieß ihm vorsichtig einen Finger in den weichen Bauch. Tatsächlich stahl sich ein kleines Lächeln in Texomons Augen. "Schuppennase?", fragte er verdutzt, "Aber, wie soll sie denn sonst sein?" "Aber ein bisschen trainieren können wir trotzdem, damit wir es dem nächsten Pikachu zeigen können! Also, wie war das mit den Kieseln? Ich glaube, das ist wirklich eine gute Idee!"

Als Neru kurz vor Sonnenuntergang aus dem Wald trat, um nach ihnen zu sehen, blieb ihm vor Staunen der Mund offen stehen. Elegant wie eine Ballerina tänzelte Texomon über die glitschigen Steine, mit weiten Bewegungen den kleinen Bachkieseln ausweichend, die Nerina ihm im Maschinengewehrtempo um die Ohren schleuderte. Nicht ohne Genugtuung beobachtete Nerina ihren Bruder aus den Augenwinkeln, wie sein Gesicht eine immer nachdenklichere Note annahm. Eine kleine Weile lang ließ sie ihn noch Staunen, dann warf sie die restlichen Steine weg und klatschte in die Hände. "Schluss für heute, Texomon! Ich glaube, es gibt Abendessen!" "Essen!", rief Texomon in alter Überschwänglichkeit, stürzte vorwärts, überschlug sich vom eigenen Schwung und schlug als kleine, kompakte Kugel ins Wasser, eine meterhohe Fontaine gen Himmel schickend. Neru fragte nicht, was sie getan hatten, aber diesmal war er es, der merkwürdig still hinter Nerina und Texomon herging, die munter darüber rätselten, was es wohl zum Abendbrot geben würde. Offenbar hatte er nicht geglaubt, dass Texomon überhaupt eine Art Training von seiner Schwester bekam...

Mitten in der Nacht wachte Nerina auf. Erschrocken richtete sie sich auf und lauschte hellwach in die Dunkelheit außerhalb des Swags hinaus. Etwas hatte gezischt! Ganz in ihrer Nähe! Rasch tastete sie nach Texomon, doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie das Echseniramon gestern Abend auf seinem Baumstamm am Feuer hatte liegen lassen, wo es nach dem Abendessen sofort eingeschlafen war. Plötzlich hämmerte ihr Herz wie wild gegen ihre Rippen. Was war da draußen los? Erneut ein zischen, wie von ersticktem Feuer, dann wildes Geraschel und Geknurre. "Neru!", flüsterte sie ängstlich zu ihrem Bruder hinüber, "Neru? Texomon?" Doch keiner der beiden antwortete ihr, stattdessen mischte sich das leise Fauchen einer Balgerei in das immerwährende Knurren. Mit einem Satz war Nerina aus dem Swag, stolperte barfuß durch den mondbeschienenen Wald hinaus auf die Lichtung, geradewegs in den Lichtkreis eines großen Feuers, um das sich Texomon mit einem anderen Pokemon jagte, einem echten Glutexo, wie es den Anschein hatte! "Glu...texo!", verkündete das Pokemon mit tiefer Stimme. Seine Schwanzspitze leuchtete wie ein Stern und weitere Flammen stoben aus seinem aufgerissenen Maul. Texomon fauchte wild zurück. Offensichtlich war er auf der Flucht, sprang eilends hin und her, doch konnten all seine Mühen nicht verhindern, dass seine schuppenbewehrte Brust bereits schwarz und versengt aussah. "Texomon!", rief Nerina ängstlich, "Komm zurück da! Er wird dich rösten, wie ein Grillhähnchen!" Doch Texomon hörte sie nicht. Beim Anblick seiner Trainerin hatte er die Fäuste geballt und kämpfte nur noch erbitterter gegen das träge, wenn auch wesentlich stärkere Glutexo. "Nein!", fauchte es erbittert, "Nein! Du wirst Nerina in Ruhe lassen, du elendiglicher, fetter Abklatsch einer Echse!" Doch auch all sein Gefluche konnte nicht verhindern, dass Glutexo ihn langsam und Stück für Stück zurückdrängte, bis er sich schützend vor Nerina aufbaute, Arme und Beine spreizte und die Ohren angriffslustig nach vorne legte. Die ganze Zeit war er dem stärkeren Gegner ausgewichen, nun saß er in der Falle. Mit einem tiefen Knurren hob Texomon die Hände, die Klauen gespreizt. "Komm keinen Schritt näher!", grollte er erdbebengleich. "Glu...", erwiderte Glutexo, zögerte einen Herzschlag lang, dann stürzte es sich vorwärts, die Klauen auf Texomons Brust gerichtet. Im nächsten Augenblick geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Nerina schrie gellend auf und stürzte vorwärts, um dem wilden Glutexo im Notfall mit bloßen Händen den Hals umzudrehen, während Texomon wie erstarrt stehen blieb. Wie in Zeitlupe sah Nerina ihn die Klauen sinken lassen, sah den goldenen Schein von Glutexos Schwanzspitze auf seinem gelben Bauch tanzen. Er stand ganz reglos da, als erwartete er etwas, etwas... "Aquaknarre", fauchte er dann plötzlich, hob die Hände und entließ eine kleine Wassersäule auf das zurückweichende Glutexo. Erschrocken quietschte es auf, als die schmale Fontaine seine empfindliche Schwanzspitze traf. Die Flamme geriet ordentlich ins Flackern. Glutexo starrte seinen Konkurrenten mit riesigen, verdutzten Augen an, dann warf es sich herum, rannte geradewegs durch das Feuer hindurch und verschwand hinkend im Wald. Texomon brach erschöpft in die Knie, dann ließ er sich müde rückwärts in Nerinas Arme sinken, die ihn überglücklich an sich drückte. "Du hast deine erste Attacke gelernt!", rief sie überglücklich, "Das war filmreif! Oh, Texomon, ich bin ja soo stolz!" "Ich hab ihn geschafft", entgegnete Texomon nur matt, offenbar war er sogar zum Angeben zu müde, "Jetzt können wir nach Azuria City..." Und mit diesen Worten schlief er in Nerinas Armen ein...

Kapitel 2

>>>Nerina<<<

"Ja! Super, Texomon! Und jetzt die Aquaknarre!", rief Nerina begeistert ihrem kleinen Dracheniramon zu und Texomon raffte all seine letzten Kräfte zusammen und spurtete ein weiteres Mal über den feinen, weißen Sand davon, bis er ihren symbolischen Gegner, einen großen, glatten, weißen Felsen erreichte und noch aus vollem Lauf eine vergleichsweise riesige Wassersäule heraufbeschwor, die, da war Nerina sich ganz sicher, ein weiteres Loch in den weichen Kalkstein spülte. "K.O.", sagte Texomon, wobei jedoch nicht ganz offensichtlich war, ob er nun den Stein oder sich selbst meinte, denn kaum hatte er die Attacke zuende geführt, als er sich auch schon der Länge lang in den warmen Sand fallen ließ, die Klauenhände unter dem Kopf verschränkte und den Schwanz lässig über seinen Bauch schlug. Als Nerina schliddernd neben ihm zum Halten kam, blinzelte er nur träge zu ihr auf. "Meinst du, das reicht für morgen?", fragte er hoffnungsvoll und Nerina musste zugeben, dass sie es heute möglicherweise mit dem Training übertrieben hatte. Noch nie hatte sie ihr vor Energie sprühendes Texomon so erschöpft gesehen und tröstend streichelte sie ihm den gelben Bauch. "Du hast sehr viel gelernt und gute Arbeit geleistet", sagte sie stolz, "Schlaf jetzt ein bisschen, damit du morgen früh fit bist!" "Okay", sagte Texomon nur ergeben, machte einen kraftlosen Versuch, sich zusammenzurollen und begnügte sich schließlich damit, den Kopf auf Nerinas Schoß zu betten und die Augen zu schließen, ehe er einschlief. Stolz streichelte Nerina seinen schuppigen Kopf. Zehn Tage war es nun schon her, seit sie ihr wildes Dracheniramon zum ersten Mal gesehen hatte - und wie sehr hatte sich Texomon in dieser Zeit entwickelt? War er am Anfang ihrer Reise noch ungestüm, tollpatschig und unwissend gewesen, begann er nun immer mehr, aus seinem eigenen Spieltrieb zu lernen und seinen Kopf einzusetzen und auch, wenn es mit seiner Geduld oft noch gründlich haperte, war er doch um einiges vernünftiger geworden und hatte die wesentlichen Lektionen seines Grundtrainings mit Bravur bestanden. Sie hatten rennen und springen, ausweichen und balancieren geübt, waren an den unmöglichsten Steilhängen herumgeklettert und einmal hatten sie sogar das Radschlagen geübt - nicht, weil Nerina es wirklich gebraucht hätte, sondern eher, weil sie in einem Steinbruch eine Herde Donfan beobachtet hatten, die sich mit leidenschaftlicher Freude den Berg hinunterrollen ließen. Ein anderes Mal hatte Nerina ein verlassenes Nest eines Porentas am Flussufer gefunden und Texomon ein Ei nach dem anderen auf den Kopf gelegt, bis er gelernt hatte, vorsichtiger zu gehen und nicht bei jeder Gelegenheit wild davonzuhüpfen. Aus praktisch jedem Baum, Felsen oder See hatten sie ein neues Spiel und ein neues Training gemacht und so waren die letzten Tage ihrer Wanderung ein einziger, bunter Traum aus Spiel, Spaß und duftenden Sommerblumen gewesen. So hatten sie gar nicht gemerkt, wie sie langsam, Stück für Stück, das Gebirge überquert hatten und dann war gestern Abend ganz plötzlich das Meer vor ihnen aufgetaucht. Sie waren hoch oben auf einem felsigen Grat gestanden, den lichten, wispernden Wald im Rücken, die glitzernden Wellen zu ihren Füßen. "Das ist aber ein großer See!", hatte Texomon gerufen und Nerina musste ihn an seinem Horn festhalten, um ihn davon abzuhalten, einfach die etwa hundert Meter tiefe Felswand hinabzukraxeln. Evoli hatte erschrocken die Halskrause gestellt und ihr Schweif war so buschig geworden, wie eine Flaschenbürste. "Müssen wir da etwa rüberschwimmen?", hatte sie entsetzt gefragt. Auch Neru hatte viel Zeit mit Evolis Training verbracht und dabei eine verantwortungsvolle Art entwickelt, die Nerina noch nie an ihrem Bruder gesehen hatte. Geduldig hatte ihr wasserscheuer Zwilling stundenlang in eisigen Gebirgsseen ausgeharrt, um Evoli mehr Vertrauen im Bezug auf das nasse Element zu geben und manchmal hatten sich die beiden auch ihren eigenen, verrückten Spielen angeschlossen, auch wenn die meisten für Evoli eher Zeitverschwendung schienen. Wo Texomon mühsam an einem Ast entlanghangelte, stolzierte sie hoch erhobenen Hauptes über einen dünneren, wo Texomon Räder schlug, rollte sie sich zusammen und kullerte wie eine pelzige Kugel davon. Bei anderen Dingen verwandte sie wesentlich mehr Zeit aufs Detail. Wenn Texomon sich einen Felsen schnappte, um ihn einige Meter über die Wiese zu tragen, konnte Evoli minutenlang davor sitzen, den Schwerpunkt des Felsen herausfinden und ihn dann mit ihrem neu gelernten Ruckzuckhieb davonschliddern lassen und wenn Texomon mit seinen scharfen Klauen mühelos Kokosnüsse knackte, schleppte Evoli sie vorsichtig auf einen Baumwipfel und schleuderte sie zielsicher auf einen Felsen. Doch trotz ihrer Verschiedenheiten hatten die beiden Iramon eine Art sportlicher Freundschaft entwickelt und stritten und eiferten nicht mehr um Lob oder Aufmerksamkeit, was heute morgen jedoch weder Texomon davon abgehalten hatte, seine beiden Menschen und Evoli schon vor Sonnenaufgang aus ihren Swags zu quengeln und den sandigen Pfad zum Strand hinabzustürmen, noch Evoli, darüber die kleine Nase zu rümpfen. "So viel Wasser", hatte sie missmutig gebrummt, "und das ganz ohne Frühstück!" Die Zwillinge hatten ihr seufzend zugestimmt, doch Texomon war nicht mehr zu halten gewesen. Rutschend und schliddernd war er zum Strand hinabgestürmt und kurz darauf hatten er und Nerina auch schon in der Brandung geplanscht, hatten einander in die höchsten Wellen geworfen, sich überschlagen und umherwerfen lassen. Bald schon hatte sich auch Neru zu ihnen gesellt, doch Evoli war nicht dazu zu bewegen gewesen, sich diesen Monstern aus schäumender Gischt zu nähern, sodass die beiden Zwillinge beschlossen hatten, das weitere Training getrennt voneinander abzuhalten. So hatte Neru sich ein Kanu geliehen und war mit Evoli ein Stückchen hinaus aufs Meer gefahren, wo sie in Ruhe ein bisschen Schwimmen und auf dem schwankenden Boot balancieren konnte. Nerina und Texomon waren derweil am Strand geblieben und Nerina hatte ihr Iramon etliche Male über den Sand rennen lassen, der, wie sie ganz genau wusste, an den Füßen sog und das Gehen ungemein schwieriger machte. Sie hatten sich gegenseitig mit Sand beworfen und Burgen gebaut, dann waren sie auf ein paar große Steine geklettert, um dort ihr Picknick zu essen, bevor Texomon erneut in den Felsspalten herumzuklettern, ins Wasser zu springen und in den engen Höhlen unter den Steinen zu tauchen begann, wodurch sein blauer Kopf an den unmöglichsten Stellen aufgetaucht war. Irgendwann musste er damit wohl ein Schiggy aufgeschreckt haben, denn es kam heraus, um den Eindringling zu vertreiben, was jedoch bald in einer furiosen Wasser-Felsen-Verfolgungsjagd endete, die einer Mischung auf Fangen und Verstecken ähnelte und Texomon noch einige Male zu seiner neu erlernten Aquaknarre genötigt hatte. Hier am Meer schien sie besser zu funktionieren als noch im Wald, vermutlich, dachte Nerina, weil die Luft feuchter war und er so mehr Wasser aus seiner Umgebung aufnehmen konnte, um die Wassersäule zu formen. Schiggy hatte sich unbeeindruckt gezeigt und einen sich drehenden Wasserball geblasen, woraufhin Texomon sich an einer Spirale, Schiggy an einem Kringel, Texomon an einem Pilz und schließlich an einem Weihnachtsbaum versuchte - Schiggy hatte mit einem Regenbogen gekontert und war dann zurück in seine Höhle geschwommen, während Texomon und Nerina noch ein Weilchen in der Brandung gespielt und schließlich einen finalen Hürdenlauf um ihre eigenen Burgen veranstaltet hatten. Es war also nur allzu gut zu verstehen, dass Texomon müde war. Nerina ging es kaum besser und gähnend beobachtete sie, wie Neru und Evoli von der kleinen Halbinsel zurückkehrten, auf der sie hoffentlich etwas zu Essen gekauft hatten, jedenfalls balancierte Evoli eine riesige Box auf dem Rücken, während Neru zwei Pizzakartons und eine Wassermelone schleppte. Lächelnd bemerkte sie, wie gesund und prächtig Evolis Fell in der Abendsonne glänzte, wie flüssiges Gold. Stolz und mühelos schritt sie über den Sand, ihre kleinen Pfoten hinterließen tiefe Abdrücke, doch sie wirkte kaum erschöpft. 'Er muss eine Menge an ihrer Ausdauer gearbeitet haben', dachte Nerina anerkennend, 'Nur wann? Das würde ich ja mal allzu gerne wissen.' Neru jedenfalls sah ordentlich verschwitzt aus, als er sich neben sie auf die Strandmatte fallen ließ. "Ist ein ordentlicher Weg bis da vor", sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, "Aber Evoli hat super durchgehalten und wir sind heute auch schon ordentlich weit geschwommen!" "Und sogar getaucht!", ergänzte Evoli stolz und stupste vorsichtig das schlafende Texomon an. "Aufstehen!", rief sie, "Abendessen!" Doch Texomon rollte sich nur brummend auf die andere Seite und Nerina zuckte mit den Schultern. "Lass ihn schlafen", sagte sie sanft, "Er hat sich heute ziemlich verausgabt. Ich glaube, er macht sich große Sorgen um Azuria." "Ich finde nicht, dass Texomon so aussieht, als würde er sich jemals Sorgen machen", erwiderte Neru gut gelaunt und reichte ihr ein Stück Pizza. "Außerdem kann er doch schwimmen!", ergänzte Evoli ratlos, "Und die Aquaknarre kann er auch! Ich werde da mehr Probleme kriegen..." "Du bist ein guter Springer und kannst vom Rand aus kämpfen", sagte Neru tröstlich, "Und dein Ruckzuckhieb ist mittlerweile ziemlich stark! Zusammen mit deinem Tackle solltest du so ein Sterndu schon versenken können!"

Sie schlugen ihr Lager in dieser Nacht am Strand auf, dicht in den Windschatten der Felsen gedrängt. Der weiche Sand war gemütlich und noch warm von der Hitze des Tages und Nerina hatte kaum die Leinen ihres Swags zwischen den Felsen gesichert, da kletterte sie auch schon hinein und die Augen fielen ihr zu. Als sie sie wieder öffnete, stand ein bleicher, voller Mond am dunklen Himmel und einige Sterne zwinkerten ihr zu. Es musste bereits nach Mitternacht sein. Einige Minuten lag sie ganz still, sah hinauf in das bleiche Mondgesicht und genoss den sanften, salzigen Wind auf ihrem Gesicht. Sie wusste nicht, was genau sie geweckt hatte, denn bis auf das gleichmäßige Rauschen der Wellen war die Nacht absolut still. Leise seufzend drehte sie sich auf die andere Seite und stellte fest, dass Texomon nicht wie üblich an ihren Füßen schlief. Sie hatte ihn zwar gestern Abend beim Feuer liegen lassen, doch normalerweise war er nicht zu schüchtern, auch noch nachträglich in ihr Swag zu kriechen, wenn er hochschreckte und sich alleine vorfand. Ob er immernoch dort schlief? Ob er sich wohl Sorgen machte, wegen morgen? Nerina selbst fieberte dem Arenakampf aus vollem Herzen entgegen. Texomon war für ein unentwickeltes Starterpokemon recht groß und stark und er schwamm geschickt genug, es mit den meisten Wasserpokemon aufzunehmen, doch hatte er bei seinem letzten offiziellen Trainerkampf gegen das Pikachu verloren und diese Niederlage setzte ihm immernoch ordentlich zu. Eine kleine Weile lang wälzte Nerina sich noch hin und her, dann stand sie schließlich auf, tappte auf nackten Füßen an Nerus Swag vorbei, aus dem nur friedliches Atmen zu hören war. Offenbar schliefen er und Evoli friedlich dem nächsten Tag entgegen... "Texomon!", wisperte Nerina leise, als sie um die Felsen schlich, "Texomon, bist du hier?" Doch Texomon gab keine Antwort und als Nerina schließlich den Platz erreichte, an dem er geschlafen hatte, fand sie nur noch einen eiligst aufgeschlitzten und leergegessenen Pizzakarton vor - Texomon musste schrecklich hungrig aufgewacht und wie ein Tyracroc über die letzten Pizzastücke hergefallen sein - aber wo war er? Ein leises Plätschern mischte sich plötzlich in das Geräusch der Wellen und als Nerina den Blick hob, sah sie Texomon still und friedlich in der Brandung stehen, wie eine Statue. Kurz zögerte sie - sie trug nur ihren Schlafanzug und wollte nicht nass werden - aber dann rannte sie doch hinab zu ihm. "Texomon!", rief sie leise, "Ist alles in Ordnung?" "Ich wollte nur noch einmal hinausschwimmen, ehe ich schlafen gehe", sagte er mit einer seltsamen Ruhe, "Das Wasser gibt mir Kraft und Mut, weißt du?" "Gut", erwiderte Nerina leise, "Willst du alleine gehen?" "Oh, komm doch mit", erwiderte Texomon eifrig, "Die Nacht ist klar und warm und ich kann dich vor allem beschützen, was dort herumschwimmen mag!" Also zog Nerina kurzerhand ihren Schlafanzug aus, breitete ihn über einem Felsen aus und watete ins Meer. Er hatte recht: Die Nacht war warm und sumpfig und das kühle Wasser fühlte sich gut an auf der Haut. Eine kleine Weile schwammen sie schweigend nebeneinander her, folgten der fernen Linie des Strandes, dann sagte Texomon plötzlich: "Wenn du dich an mir festhältst, können wir weiter raus!" und mit wenigen, kräftigen Schlägen seiner breiten Füße und seines mächtigen Schwanzes schossen sie nahezu durch das stille, schwarze Wasser dahin. Nerina jubelte, während sie sich fest an seinen breiten Rücken klammerte. "Du brauchst die Wasserarena nicht zu fürchten", sagte sie ernst, als sie endlich wieder in der Brandung am Strand standen und drückte seine Pfote, "Es ist dein Element und du bist stark und ausdauernd! Aber sei wie das Wasser, Texomon! Stark und geduldig. Die Macht des Wasser liegt in seiner Ausdauer." "Ich weiß", sagte Texomon ein wenig kleinlaut, "Aber ich habe zu viel von der Feuerseite in mir. Manchmal kann ich mich einfach nicht dagegen wehren." "Du bist besser darin geworden", tröstete Nerina ihn voller Überzeugung, "und auch die Feuerseite kann ein guter Verbündeter sein! Aber Feuer gilt es, zu kontrollieren. Pass also schön auf deine Flammen auf und die Arena wird ein Kinderspiel!" "Ich werde es versuchen", erwiderte Texomon ernst, dann kehrten sie in stummem Einverständnis zu ihrem Lager zurück. Der morgige Tag würde bald anbrechen.
 

>>>Neru<<<
 

"Nervös?", fragte Neru sein kleines Iramon. Evoli schaute ihn mit großen Augen an und sagte trotzig: "Evo." 'Schon ein bisschen', klang es in seinem Kopf und er konnte Evoli gut verstehen. Auch Nerus Herz klopfte heftig. Sie waren schon früh heute morgen in Azuria City angekommen, keiner konnte länger schlafen, oder sich noch mal gemütlich auf die Seite drehen, wenn ein so wichtiger Kampf bevorstand. Immerhin würde heute der erste Arenakampf für die beiden Iramon und ihre Trainer beginnen. Sinnend dachte Neru zurück an all die harten Trainings, an all die Zeit, die er zusammen mit Evoli verbracht hatte, und nun war der Augenblick gekommen, an dem sie beweisen wollten, dass sie gut genug waren, ihre erste Evotation zu erhalten. Zitternd standen sie vor den Flügeln der großen Eichentore, die in die Arena führten. Die Gedanken von Texomon, Nerina, Evoli und auch ihm selbst, Neru, waren auf die Horden von Wasserpokemon gerichtet, die sich im Inneren der Arena tummeln mochten. "Es hilft nichts, wenn wir nur rumstehen", meinte Nerina und mit einem entschlossenen Schritt trat sie nach vorn und stieß die großen Torflügel zu der Arena weit auf. Die Arena war ein riesiges Gebäude mit einer Glaskuppel, das in Blautönen angemalt und mit Wellenmustern verziert worden war. Kleine Bilder von Wasserpokemon waren auf der Außenseite zu sehen und man konnte klar Sterndus und Starmies, Schiggys und Turtoks erkennen, die sich im Wasser jagten, spielten oder angriffen. Was würde Neru und Evoli wohl erwarten, wenn sie hinter Texomon und Nerina durch das Portal schritten? Auch Evoli schien gespannt, sah ihn mit einem fragenden Blick an und er zuckte die Achseln und auch sie traten ein in die große Arena.

Zwei große Brunnen entsprangen direkt hinter dem Eingang und ließen das Wasser in kleinen Kaskaden rechts und links neben dem Weg fließen, bevor sie an ihrem tiefsten Punkt in ein großes, rechteckiges Becken mündeten. Das Becken war annähernd so groß, wie ein Fußballfeld und drei große Holzplatten schwammen in dem Wasser, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war. Evoli schauderte und betrachtete sich die Brunnen näher. Es waren gemeißelte Figuren von Lahmus, die einen langen Wasserstrahl in das erste Becken schickten, von wo aus sich die Kaskade bis zu dem Becken fortsetzte. Das Licht, das durch die große Glaskuppel fiel, erhellte die Arena hell und angenehm, auch wenn Neru einen blauen Stich in dem Glas über ihm erkennen konnte, sodass alle Farben leicht ins Bläuliche verzerrt waren und die Dampf- und Dunstschwaden, die neben den Becken aufwallten, wurden durch das Licht in einen blauen Schimmer gehüllt, sodass es Neru schien, sie wären selbst unter Wasser. Als sie unten bei den Becken ankamen, meinte Evoli: "Das Wasser sieht irgendwie gefährlich aus!", während sich ihr Fell sträubte. Er nickte seiner Begleiterin nur vielsagend zu, während er zusammen mit ihr, Nerina und Texomon hinüber ans andere Ende der Halle spähten, wo ein Schemen im Wasserdampf auszumachen war. "Was wollt ihr hier, in der Wasserpokemon Arena von Azuria City?", schallte es mit kräftiger aber weiblicher Stimme vom anderen Ende der Halle herüber. Neru versuchte, durch den Schleier aus Wassertropfen mehr zu erkennen. Die Stimme war eindeutig weiblich gewesen, dennoch konnte er die Urheberin der Worte nicht deutlich genug erkennen, um näheres auszumachen. Neru konnte nur einen rötlichen Schimmer am Kopf des unbekannten ausmachen. Nerina ließ sich von der kräftigen Stimme nicht einschüchtern und Texomons Wangenknochen traten angespannt hervor, als er einen Schritt nach vorne trat und Nerina mit fester Stimme, die ihre Unsicherheit perfekt versteckte, laut entgegnete: "Wir sind hier, um den Arenaleiter von Azuria City herauszufordern." "Na dann los!", meinte die Frauenstimme und ein plötzlicher Wind erfasste die Nebelschwaden und ließ sie der Decke entgegentreiben und entschwinden. Vor ihnen stand ein Mädchen mit flammendroten Haaren und einem abenteuerlustigen Ausdruck in den Augen. "Ich bin Misty, die Arenaleiterin der Wasserpokemon! Wer von euch will anfangen?" Texomon trat noch einen Schritt vor und machte: "Texo!" "Ich!", sagte Nerina immer noch gefasst. Neru zog sich zusammen mit Evoli an den Rand des Rings zurück. Kleine Bänke waren an den Seiten des Beckens mit den Holzplatten eingelassen, sodass Zuschauer das Spektakel eines Arenakampfes genießen konnten. Auch er und Evoli ließen sich nun auf den Bänken nieder, nur waren sie nicht halb so entspannt, wie die normalen Besucher es sein könnten. Angespannt und aufgeregt beobachteten sie, wie Texomon übermütig ins Wasser sprang und auf die erste der drei breiten Holzplatten kletterte. Die Platte neigte sich sichtbar unter seinem Gewicht, doch Texomon gelang es problemlos, das Gleichgewicht zu halten und er warf Nerina einen Blick zu. Auch Misty auf der anderen Seite des Beckens war nicht untätig gewesen. Sie hatte Nerina einer eingehenden Musterung unterzogen. "Du trittst mit nur einem Pokemon an?", fragte sie und Nerina bestätigte. "Dann bist du dran, Starmie!", rief Misty und warf einen ihrer sechs Pokebälle, die sie am Gürtel trug. Mit einer flammenden Entladung schleuderte der Pokeball, seiner selbst von Misty in das Becken geworfen, einen annähernd anderthalb Meter großen Seestern mit violetter Mitte in den Ring. Der Seestern begann sofort, in atemberaubender Geschwindigkeit in dem Becken auf und ab zu kreiseln, hob sich für einen Augenblick kurz komplett aus dem Wasser und wackelte dann arrogant mit seinen Zacken, so, als wollte er sagen: "Komm doch, wenn du dich traust." Texomon seinerseits hatte seit ihrem letzten Kampf gegen Pikachu viel dazugelernt und ging nun nicht so schnell auf die Drohgebärden seines Gegenübers ein, sondern bedachte diesen nur mit einem kühlen und abschätzenden Blick. "Das wird ein schönes Duell geben", meinte nun Evoli, "Wasser gegen Wasser." "Ja!" Neru nickte, "Das wird für beide Seiten nicht leicht werden. Wasser ist nunmal nicht effektiv gegen Wasser." Evoli sah ihn fragend an und er musste die unterschiedlichen Elementklassen erklären, während sich die beiden Kontrahenten in der Arena Mühe gaben, möglichst nicht beeindruckt voneinander zu sein.

Der Kampf begann, nachdem die Regeln, ein K.O. entscheidet, Verlassen der Arena disqualifiziert und noch einige weitere Banalitäten über Zerlegung des Aterieurs, mit der ersten Attacke von Misty, die ihrem Starmie eine Aquaknarre befahl. Eine wahre Wand aus Wasser flog auf Texomon zu und Neru hielt im Stillen die Luft an. Eine solche Aquaknarre hatte er noch nie gesehen. Es schien so, als hätte das gesamte Wasser der Arena beschlossen, sich in einer großen Fontäne zu sammeln und Texomon ins Gesicht zu fliegen. Noch bevor Neru die Augen zusammenkneifen konnte, um das Auftreffen der Flutwelle auf Texomon nicht mit ansehen zu müssen, riss Texomon die Arme empor und formte den Trichter mit seinen Händen, den Neru schon häufiger bei ihm gesehen hatte. Texomon konterte mit gleicher Münze und die beiden Attacken trafen sich auf halbem Weg über die Arena, keiner der beiden gewaltigen und kräftezehrenden Attacken war es möglich, auch nur einen Zentimeter mehr Boden zu gewinnen und so fauchte die enorme wucht der Attacke durch die Arena und bespritzte, Neru, Evoli und einen guten Teil der Stühle mit einem leichten Sprühregen, während das Wasser zwischen den beiden Kontrahenten eine runde Wand zu bilden schien und mit einem lauten Tosen in das Becken stürzte. Neru war zutiefst beeindruckt und auch Evoli schwenkte anerkennend ihre Ohren, wobei das auch dem Zweck dienen könnte, das lästige Wasser abzuschütteln. Nerina schien mit ihrem blauen Freund gut trainiert zu haben, jedenfalls hatte Neru die Attacke bedeutend schwächer in Erinnerung. Misty legte verblüfft den Kopf schief und maß Texomon mit einem prüfenden Blick. Doch dann schien ihr ein neuer Gedanke gekommen zu sein. Sie rief ihrem Starmie etwas zu, das Neru über das Getöse des Wassers nicht verstehen konnte und Starmie gab ihre Attacke auf und tauchte unter der immensen Aquaknarre von Texomon davon, unterwasser. 'Was hat sie jetzt wieder vor?', fragte Evoli in Nerus Kopf, doch Neru schüttelte nur den selbigen. "Ich hab keine Ahnung", erwiderte er. Auch Texomon starrte abwartend in die Wellen, die Starmies Abgang ausgelöst hatte. Die Wellen kräuselten sich ungewöhnlich und schienen zu wachsen. Auch begann sich Texomons Brett ganz langsam zu senken. Neru starrte verblüfft auf Texomons Rand. Das Wasser unter ihm schien sich einfach aufzulösen. Ein wenig unsicher tänzelte Texomon auf seinem Brett auf und ab. Auf der anderen Seite des Beckens war der gegenteilige Effekt zu sehen. Das andere Brett stieg in den Fluten empor und eine gigantische Welle schien sich nun auf Starmies Seite zu erheben. Eine Flutwelle, die, falls sie losbrechen sollte, einen Tsunami in den Schatten stellen konnte. Starmie hatte nahezu alles Wasser auf seine Seite gebracht. Evoli ließ die Ohren hängen. 'Das sieht böse aus', erklärte sie geknickt, 'Wie soll ich bloß gegen solche Mengen an Wasser ankämpfen?' Neru streichelte ihr beruhigend den Rücken, doch hatte auch er keine Idee, was sein kleines Iramon im Falle einer solchen Attacke unternehmen sollte. 'Könnte man sich nicht auf dem Brett festkrallen?', fragte sie, doch Neru wollte gerade antworten, als die Flutwelle über Texomon hereinbrach. Texomons Brett hatte auf dem Boden aufgesetzt und das kleine Dracheniramon war von Nerinas Kratzer-Befehl angetrieben, wie ein wahnsinniger nach vorne gestürzt, geradewegs auf die Welle zu, die sich als großer, steiler Berg vor ihm erhob. Evoli klappte ihre Ohren nach vorne und bedeckte ihre Augen damit, um nicht dabei zusehen zu müssen, wie Texomon von der Welle zerquetscht wurde. Texomon schien genau zu wissen, was er tat. Mit einem eleganten Kopfsprung sprang er in die sich auf ihn zubewegenden Wand aus Wasser und war dann verschwunden. Tosend brach die Welle in ihr Becken zurück. Ein Getöse wie von einem Bombeneinschlag ertönte, als die Wassermassen gegen die gegenüberliegende Wand schlugen, nun war das Wasser auf Starmies Seite komplett verdrängt, doch sowohl von Texomon, als auch von Starmie konnte man sowohl auf dem Boden, als auch im Wasser nichts entdecken. Die beiden Kontrahenten mussten sich irgendwo inmitten der brutalen Welle aufhalten. Selbst, als das Wasser wieder auf beiden Beckenseiten den selben Pegel angenommen hatte, blieben die beiden verschwunden. 'Das Wasser hat sie beide gefressen!', erklärte Evoli zutiefst erschüttert. Doch auf Neru hatte diese Aussage keine Wirkung. "War das Wasser vorhin nicht noch blau?", fragte er zurück und Evoli legte den Kopf schief. 'Doch', ertönte es nun in seinem Kopf. "Dann..." setzte Neru an, doch sollte er den Satz nie vollenden. Prustend und schnaubend tauchte Texomons Kopf an der Wasseroberfläche auf, dicht gefolgt von Starmies Zacken. Wellenschlagend, schreiend, fauchend und prustend schlugen sich die beiden Kontrahenten im Wasser. Nachdem Texomon Starmie einen finalen Tritt verpasst hatte, der das Wasserpokemon erneut auf Abstand gebracht hatte, kletterte er, sichtlich erschöpft auf das Brett in der Mitte. Sofort begann Starmie wild entschlossen, das Brett zu umkreisen und auf den hitzigen Befehl von Misty hin, leuchtete das Wasserpokemon rund um seine Mitte hin gelb auf und ein riesiger Blitz schoss aus dem leuchtend, roten Stein im Zentrum des Seesterns auf Texomon zu. Nur mit Mühe konnte Texomon ausweichen. Das Brett schwankte sichtlich unter seinem Gewicht und die Enden sprangen ab und an sogar aus dem Wasser. Nach drei weiteren gleißendhellen und rasch abgefeuerten Blitzen und einem verblüffend schnellen Texomon, der noch immer auf dem Brett stand, tauchte Starmie auf einen Zuruf von Misty hin ab. Die Wellen glätteten sich. "Wo ist es hin?", quietschte Evoli auf, die sichtlich vom Kampf mitgenommen schien. Neru warf ihr einen überraschten Blick zu, sie hatte seit sie die Arena betreten hatten nicht mehr richtig gesprochen. Doch zu sehr mit dem Kampf beschäftigt, um sich lange um Evolis Versehen zu kümmern, antwortete er: "Keine Ahnung. Vielleicht..." 'Da ist es', rief Evoli nun wieder in seinen Gedanken, 'Dort unter dem Brett!' und tatsächlich konnte Neru erkennen, das sich dort die kleine, lilane Zacke eines bekannten Seesterns aus dem Wasser zog. Doch auch Nerina und Texomon hatten sie gesehen. "Kratzer!", befahl Nerina, doch Texomon lief erst einmal in die entgegengesetzte Richtung und das Starmie tauchte weiter auf. Dann sprang Texomon in die Höhe, und der Spalt der gerade noch unter dem Brett gewesen war, und in dessen Schatten sich starmie versteckt hatte, wurde vom Schlag des Holzes getroffen. Taumelnd und vom Schlag und dem vorherigen Kampf anscheinend mächtig mitgenommen, kam Starmie darunter hervor und Texomon nutzte die Gelegenheit zu einer extrem brutalen, aber nichts desto trotz eleganten Kombination aus Kopfsprung und Kratzer-Attacke, die Starmie auf den Grund des Beckens beförderte und somit den Kampf beendete.
 

>>>Nerina<<<
 

"Das habt ihr sehr gut gemacht", sagte Misty lächelnd, als sie zum ersten Mal um das große Becken herumlief, um Nerina die Hand zu schütteln. Ihre Wangen waren gerötet von der Hitze des Gefechts und neugierig blickte sie auf Texomon hinunter, der müde neben Nerina am Boden saß und sich schwer gegen ihr Bein lehnte, Nerinas Hand auf seiner warmen Stirn. "Ihr habt bewiesen, dass ihr mit dem Element Wasser umgehen könnt und auch mit dessen größtem Feind, dem Donner. Darum werde ich euch den Quellorden verleihen." Förmlich nahm sie eine Schatulle aus der Tasche ihres Kimonos, öffnete den Deckel und nahm eine kleine, glitzernde Brosche heraus. Grob war sie wie ein großer Tropfen geformt, doch war das blaue Glas so geschliffen, dass sich das Sonnenlicht darin brach und immer andere Schattierungen von Blau auf seiner Oberfläche spielten, als sei er tatsächlich aus eingefangenem Wasser. "Wau! Der ist aber schön!", rief Nerina begeistert aus, als sie ihn im Licht hin und herdrehte und dann dem neugierig zu ihr hinaufblinzelndem Texomon in die Klauenpfoten legte. Misty lächelte. "Ihr habt ihn verdient", sagte sie fest, dann ging sie in die Hocke und musterte Texomon eingehender. "Darf ihr fragen, was für ein Pokemon das ist? Es ist mir nämlich noch nie untergekommen!" Rasch verstärkte Nerina den Griff um Texomons Kopf um ihn davon abzuhalten, eifrig loszuplappern, während sie selbst ratlos auf ihn hinabstarrte. Dann entsann sie sich der Ausrede, die sie sich zurechtgelegt hatte, als sie Texomon in dem Pokemon-Center in Vertania abgeliefert hatte. "Es heißt Texomon und ist ein Drachenpokemon aus Eden", erklärte sie so überzeugt wie möglich, "Mein Vater ist Pokemon-Forscher und hat es mir von dort mitgebracht." "Oh, das ist ja spannend", sagte Misty ehrlich beeindruckt, "Also ein Drachen-Typ. Na das erklärt, warum es Starmies Aquaknarre standhalten konnte. Ein Wasserpokemon auf seinem Level hätte mehr Schwierigkeiten gehabt." "Auf welchem Level ist es denn?", fragte Nerina verdutzt. Misty zuckte die Schultern. "Das sagt dir der Pokedex, wenn du es in seinen Pokeball nimmst und den scannen lässt. Aber ich würde schätzen, es ist auf Level zehn. Etwa am Kipppunkt von Karnimani zu Tyracroc. Nun gut, dann wollen wir uns doch mal um deinen Begleiter kümmern. Hast du nur Evoli?", fragte sie Neru unvermittelt, der inzwischen nähergetreten war. Nerina konnte ihm ansehen, dass die Frage ihn schlucken ließ. "Ja", erwiderte er dann aber tapfer, "Aber es kann gut schwimmen!" Mistys Gesicht war anzusehen, dass sie nicht eben überzeugt war, doch sie zuckte mit den Schultern. "Wenn es das Element Wasser meistert", sagte sie schulterzuckend, "Dann kann es von mir aus auch ein Sandan sein. Allerdings hat Starmies Tintenstrahl das Wasser ziemlich verdreckt. Ich werde es erst rasch reinigen müssen. Bitte wartet solange noch einmal hier." Damit lief sie mit großen Schritten davon, umrundete erneut das Becken und verschwand in einer schmalen Tür auf der anderen Seite. "Herzlichen Glückwunsch ihr beiden!" Glücklich aber auch ein wenig nervös schubste Neru seine Schwester gegen die Rippen und klopfte Texomon anerkennend auf die Schulter, "Denen hast du's aber gegeben!" "Das sah echt toll aus", bestätigte Evoli etwas widerwillig, "Du... bist ja tatsächlich noch ein guter Kämpfer geworden!" "Nun, man tut, was man kann", erwiderte Texomon mit der selben hochnäsigen Arroganz, für die Evoli eigentlich nach gewonnenen Schlachten bekannt war und ließ stolz seinen Quellorden vor ihrer Nase baumeln, "Damit werde ich jetzt bestimmt ein Turtok oder ein Lahmus oder ein ein... Mantax!" "Jedenfalls nichts mit Schale", sagte Evoli spitz, "da drinnen würdest du eingehen vor Langeweile... Sag mal, Texomon, wie sind diese Platten, kann man da gut drauf rennen und landen?" Während die beiden Iramon in wilde Taktikhantiererei verfielen, zupfte Neru Nerina am Ärmel. "Du musst nur darauf achten, Texomon mehr Befehle zu geben", sagte er leise, "Auch wenn er dir schon gesagt hat, was er vorhat." Nerina sah ihn verständnislos an. "Was meinst du?", fragte sie verwundert, "Texomon ist sehr selbstständig. Er macht das einfach, ohne zu fragen und ich glaube immer, ihn mehr zu verwirren, wenn ich zu viel rede." "Dann spricht er nicht zu dir, während er kämpft?", fragte Neru ebenso erstaunt, "Evoli tut das sehr oft." "Nein", erwiderte Nerina mit gesenktem Blick, "Nein, um genau zu sein habe ich ihn noch sogut wie nie in meinem Kopf reden hören, nur damals beim Pokemon-Center einmal, als es ihm wirklich schlecht ging. Vielleicht vertraut er mir noch nicht genug..." Sie seufzte und Neru drückte tröstend ihre Hand. "Bestimmt will er dich nur beeindrucken, damit, dass er so selbstständig ist", sagte er tröstend, "Evoli ist da, denke ich, eher auf Anhänglichkeit aus, aber Texomon ist..." Kurz rang er nach Worten und Nerina ergänzte grinsend: "eben ein echter Mann. Gibt an allen Ecken und Enden an." "Er will dich beeindrucken", wiederholte Neru fest, "und beschützen... Ich hoffe nur, Evoli hat eine Chance da drinnen..." Nun war es an Nerina, ihm tröstend die Hände zu drücken. "Sie ist selbstbewusst und kennt ihre Fehler", sagte sie fest, "ich bin mir sicher, sie wird nicht zu eitel sein, auszuweichen und ihre Vorteile zu nutzen - und wer weiß - vielleicht funktioniert der Sandwirbel ja auch auf dem Wasser." "Auf jedenfall darf sie nicht hineinfallen", brummte Neru durch zusammengebissene Zähne, "Sonst ist gut' Nacht um sieben." In diesem Augenblick schwang die Tür auf der anderen Seite geräuschvoll auf und Misty erschien mit wehendem, flammendrotem Haar, einen Eimer Pulver in den Händen, das sie ins Wasser schüttete und das es augenblicklich wieder klar werden ließ. "Ich bin bereit", rief sie Neru zu, "Du auch?" "Bereiter!", erwiderte Neru und trat hoch erhobenen Hauptes vor, Evoli an seiner Seite. Misty warf einen Pokeball und der Kampf begann.

Mit dem wohlbekannten Lichtblitz gab der Ball ein Krabby frei, das erst ein wenig verwirrt um sich blickte, sich dann aber auf der gegenüberliegenden Plattform in Position brachte, halb auf seine vier hinteren Beine aufgerichtet, wippten seine Scheren angriffslustig vor und zurück. Während Evoli sich duckte und dann mit einem gezielten Sprung auf ihre eigene Plattform setzte, ließen Nerina und Texomon Neru mit einem letzten, aufmunternden Blick allein und ließen sich schweigend auf den Sitzen nieder, von wo aus Neru auch ihren Kampf beobachtet hatte. "Ah, sie setzt ein Krabby ein", sagte Nerina halblaut, "Warum sie das wohl macht?" Ihr kurzes Gespräch mit Neru hatte sie nachdenklich gemacht und nun versuchte sie, Texomon aus der Reserve zu locken, doch ein paar Gedanken mit ihr zu teilen, doch Texomon sah sie nur schulterzuckend an und sagte gedehnt: "Te-Xo!" "Ja, ich glaube auch, dass sie es macht, weil Krabby schnell und beweglich ist und auch an Land gehen kann", brummte Nerina verstimmt und wandte sich wieder dem Ring zu, wo Krabby derweil ins Wasser geglitten war und langsam um Evolis Plattform herumschwamm, doch immer, wenn es seinem Kontrahenten nahe genug zu kommen schien, um Evoli zu packen und mit sich in die Tiefe zu reißen, langte Evoli mit seinem neu erlernten Ruckzuckhieb aus und drückte es zurück unter Wasser. Einige Male tänzelten sie auf diese Weise am Rand der Plattform entlang, dann schien es Misty zu bunt zu werden. "Krabby", rief sie, "Setz Blubber ein, damit es nicht sieht, wo du bist!" Krabby gehorchte und alsbald wogte ein schäumender Blasenteppich an der wasserwärts gelegenen Kante der Plattform. Verwirrt starrte Evoli in das aufgeschäumte Nass, bis Krabby daraus hervorschoss. Seine Scheren schnappten klickend zu und Evoli schrie leise auf, als sie ein gutes Bündel Haare einbüßte. Sie war der Giliutine um Haaresbreite entkommen, doch dafür hockte Krabby nun auf der Plattform und begann, sie auf dem kleinen Floß zu verfolgen. "Pack es!", rief Misty, "Und setz umklammerer ein!" Panisch hüpfte Evoli um Krabby herum, wich seinen Scheren aus, tauchte unter seinen Fühlern hindurch und entkam zweimal nur knapp Krabbys peitschendem Schwanz. Doch nach einigen Minuten wurde auch das Misty zu viel. "Krabby - Stampfer!", befahl sie und Krabby stampfte so heftig auf die Platte auf, dass Evoli in hohem Bogen davongeschleudert wurde und mit einem verzweifelten "Evooooo-liiii!" mitten im Schwimmbecken landete. Verzweifelt begann sie zu paddeln, doch Krabby setzte elegant hinterher. Mit nur zwei Schlägen seiner Schwanzflosse hatte er das zappelnde Evoli eingeholt. "Ruckzuckhieb!", rief Neru und der Rückstoß der Attacke ließ Evoli zur mittleren der beiden Plattformen treiben, die sie erklimmen konnte, ehe Krabby sie erneut eingeholt hatte. "Dann eben nochmal", brummte Misty seufzend, "Krabby, Blubber!" "Evoli! Setz Sandwirbel ein, sodass Krabby nicht sieht, wo sein Blubber aufhört!", rief Neru hitzig. Seine Wangen hatten zu glühen begonnen und mit wilden Gesten bedeutete er Evoli, was er meinte. Evoli verstand. Kaum hatte Krabby den Blasenteppich geblasen, als sie rasch den Schweif hindurchzog und die Blasen in alle Richtungen verteilte. Krabby, der auf den Rand der schäumenden Fläche gezielt hatte, sprang in nutzlosem Angriff zwei Meter zu weit rechts aus dem Becken und schlug erfolglos zurück ins Wasser. Auf Mistys Gesicht begann sich Ungeduld abzuzeichnen. "Na fein", rief sie, "Dann eben anders! Krabby! Setz Surfer ein!" Nerina spürte, wie ihr das Blut in den Adern gefror, als Krabby alles Wasser des Beckens auf Mistys Seite pumpte und zu einer gigantischen Flutwelle formierte. Donnernd rauschten die Wassermassen auf Evoli zu, das zitternd auf seiner Platte hockte und ihnen wie hypnotisiert entgegenstarrte. "Evoli! Schnell!", brüllte Neru, "Du musst darunter durchtauchen, wie Texomon!" Doch Evoli reagierte nicht. Zitternd wich sie an den hintersten Rand der Plattform zurück. Sie zögerte einen Augenblick zu lange. Die Welle erfasste das kleine Floß und trug es in die Höhe. Kurz thronte Evolis kleine Gestalt auf dem Kamm der Welle, hoch aufgerichtet und mit wehendem Schweif. Wie in Zeitlupe sah Nerina sie niederkauern ... springen. Wie ein kleiner, pelziger Ball flog Evoli über die Welle hinweg, landete auf dem steinernen Boden des Beckens hinter der tosenden Wasserwand sicher auf allen vier Pfoten und rannte... rannte zu Krabby, das verdutzt seinem Gegner entgegensah und nagelte es mit einem Tackle auf den Beton. "Krabby!", rief es überrascht und Misty erwiderte aufgebracht: "Schnell! Umklammerer!" Diesmal wich Evoli den ausgestreckten Armen des Wasserpokemon nicht aus, nein, sie rannte sogar darauf zu, presste sich an Krabbys Bauch und machte sich ganz klein. Im nächsten Augenblick brach Krabbys Welle in sich zusammen und die Wucht des zurückströmenden Wassers schleuderte die beiden mit panzerzerbrechender Wucht an den jenseitigen Beckenrand. Mit einem schmerzvollen Ächzen krümmte Krabby sich zusammen und ließ damit Evoli los, das seinen Körper wohlweislich als Schutzschild benutzt hatte und kaum zu Schaden gekommen war. Mit einem letzten Tackle verwies sie das feindliche Krabby endgültig auf den Grund des Beckens und richtete sich mit stolz aufgeplustertem Schweif über ihrem besiegten Kontrahenten auf. "Evoli!", stieß sie stolz hervor, dann kroch sie zu Neru, sprang in seine Arme und blinzelte müde auf den Pokeball Mistys, der ihr Krabby gerade zurück in Sicherheit holte.

"Ich bin wirklich schwer beeindruckt von euch beiden!" Anerkennend schüttelte Misty Neru die Hand und Evoli die kleine, nasse Pfote. "Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass die Wasserarena mit einem Evoli zu schaffen ist. Nunja, so lernt man täglich dazu. Hier ist euer Quellorden!" Neru nahm den kleinen, glitzernden Tropfen entgegen und legte ihn stolz in Evolis Pfoten. "Das hast du klasse gemacht", flüsterte er, offenbar selbst noch am meisten beeindruckt von Evolis Leistung und streichelte bewundernd ihr glänzendes Fell. "Evo...", seufzte Evoli schläfrig und schloss die Augen, noch ehe auch Nerina Zeit gefunden hätte, ihr zu ihrem Sieg zu gratulieren. "Jetzt, wo wir den Quellorden haben", wandte sie sich stattdessen an Misty, nachdem sie ihrem Bruder stolz auf die Schulter geklopft hatte, "Könnten wir dann wohl mit dem Vorsitzenden der Wasserarena sprechen?" Misty sah verwundert zu ihr hinüber. Plötzlich spielte ein etwas nervöser Ausdruck um ihre Mundwinkel. "Mit Vater...? Ja, sicher... Worum geht es denn?" "Oh, wir haben eine Nachricht für ihn von Professor Eich dabei", erklärte Nerina offenbar freimütig, "Aber wir sollen ihm den Brief selber geben." Kurz zögerte Misty, dann zuckte sie mit den Schultern. "Ihr habt den Quellorden erhalten und somit zu allen Ressourcen der Arena Zugriff", sagte sie scheinbar, ohne der Sache viel Bedeutung zumessen zu wollen, "Und Vater ist wohl auch so eine Art Ressource. Kommt mit, ich bringe euch zu ihm..."
 

>>>Neru<<<
 

"Hier entlang", sagte Misty und führte Nerina, hinter der ein stolzes Texomon hertrabte, und Neru, der sein immer noch schlafendes Evoli auf der Hand trug, durch die Gänge der Arena. Die Gänge der Pokemonarena von Azuria City, schlängelten sich viel höher und weiter, als es Neru erwartet hätte. Er hatte eigentlich gedacht, dass in der Arena hauptsächlich das Becken enthalten war, doch da sollte er sich irren. Viele Türen zweigten von den Gängen ab, wo laut Misty Forscher wohnten, die die Wasserpokemon näher untersuchen wollten. Misty warf ihnen, während sie die Gänge entlang liefen, immer wieder misstrauische Blicke zu. "Was sie wohl hat?", raunte Neru Nerina in einem unbeobachteten Augenblick zu, doch Nerina zuckte nur mit den Schultern, doch auch sie hatte die merkwürdigen Blicke Mistys bemerkt. Ganz im Gegensatz zu Texomon und Evoli, beide zeigten sich mehr mit ihrer Situation beschäftigt als sich Gedanken über irgendetwas machen zu wollen. In Evolis Fall war das auch noch gut verständlich. Immerhin schlief sie, wie ein Stein in Nerus Armen, während Texomon völlig mit seinem ruhmreichen Sieg beschäftigt war. Neru gratulierte dem kleinen, blauen Drachen im Stillen. Er hatte eine unglaubliche Leistung abgeliefert und das Starmie in jeder Disziplin geschlagen. Stolz ließ er seinen Blick auf Evoli sinken. Auch sie hatte hervorragend gekämpft und es war immer noch überraschend, dass sie die Wasserarena auf Anhieb geschafft hatte, trotz der Tatsache, dass Evoli nicht sonderlich gut schwimmen konnte. Jetzt mussten sie nur noch diese Prüfung bestehen, oder besser gesagt, vielleicht würde ihnen der Kampf ja als Prüfung angerechnet werden. Was könnte der Meister der Wasserpokemon denn noch von ihnen verlangen, als das, was sie bereits geleistet hatten? "Hier sind wir", erklärte Misty und klopfte an eine Tür. Im nächsten Augenblick erklang auch schon die Stimme eines älteren Mannes. "Herein." Wie auf ein Kommando traten Nerina und Neru gemeinsam vor und traten ein, während Misty draußen zurückblieb, ihnen immernoch fragende Blicke zuwerfend. Sie betraten einen offenen und hellen Raum, in dem es wenig außer einem Schreibtisch und einem großen Aquarium gab. Kleine Wasserpokemon und Fische schwammen in diesem auf und ab, und gaben zusammen mit den bunten Steinen, die auf dem Grund dieses Aquariums auslagen, ein sehr schönes Bild ab, das bei schnellen Bewegungen der Pokemon schon fast zu einem Feuerwerk werden konnte. "Na, was haben wir denn da?", gluckste der Mann, der etwa in dem Alter von Vater war, als Nerina ihm den Brief von Professor Eich in die Hände drückte. "Dann hat der alte Professor es tatsächlich geschafft", meinte er und unterzog Nerina und Neru einer eingehenderen Musterung. Neru war sich nicht ganz sicher, ob er den Meister der Wasserpokemon leiden konnte. "Aber entschuldigt", meinte er nun und stand hinter dem Schreibtisch, hinter dem er die ganze Zeit gesessen hatte, auf, "Mein Name ist Dew." "Ich bin Nerina", antwortete Nerina zufrieden und auch Neru stellte sich vor. Dann besah sich Dew die Iramon genauer. "Und wer seid ihr?", fragte er sie dann lächelnd, doch Texomon ließ sich nicht so leicht ködern, sondern antwortete nur gereizt: "Texo, Texo!" und Evoli erwiderte gar nichts, sondern ließ nur einen langen Schnarcher hören. Mit einem misstrauischen Blick besah er sich Evoli. "Eure Poke-, nein, Iramon sind erschöpft", meinte er dann, "Und heute ist es für die Prüfung ohnehin schon viel zu spät. Ich würde sagen, ihr lasst euch im Pokemoncenter erst mal richtig aufpäppeln und dann sehen wir weiter. Sagen wir, wir treffen uns morgen vor der Arena, so gegen acht?"

Als Nerina und Neru die Arena verließen, sprach Neru ein Thema an, was ihm schon seit der Erwähnung des Pokemoncenters im Kopf herumspukte. "Du, Nerina, wir haben das Ei vergessen." "Ich hab’s nicht vergessen", erwiderte sie spitz, "Ich wollte es nur absichtlich nach der Arena abgeben." "Klar", lachte Neru und boxte sie in die Seite, "Und Evoli wird noch zum Tauross." Fröhlich lachend und sich gegenseitig zu ihrem Sieg gratulierend machten sich die beiden auf den Weg zum Pokemoncenter, den ebenso glücklichen Texomon im Schlepptau. Im Pokemoncenter bekam Texomon erstmal eine große Portion Pokemon-Kraftfutter und Evoli, die bei dem Geruch ihrer Lieblingsriegel wieder aufgewacht war, eine große Portion frisches Obst und natürlich ihre Riegel. Auch war das Team des Pokemoncenters überglücklich darüber, das Ei in Empfang zu nehmen und war dafür nur zu gerne bereit, das Quartet zu bewirten und ihnen ein großes Zimmer für die Übernachtungen bereit zu stellen. Die Bezahlung bestand aus ein paar Heiltränken und Beeren. Von der großzügigen Bezahlung war hier nicht mehr so viel zu hören, wie noch in Vertania City. Dennoch bezogen die Zwillinge glücklich ihr Zimmer und Evoli freute sich überglücklich über ihren errungenen Orden. Nachdem Texomon und Evoli schon früh eingeschlafen waren, diskutierten Nerina und Neru noch eine kurze Weile über die morgen anstehende Prüfung und Nerina vertraute Neru an, dass Texomon so gut wie nie mit ihr in Gedanken sprach. Sie hatte so etwas auch schon mal in der Arena angesprochen, doch jetzt war endlich die Zeit und Ruhe, es ausführlich zu besprechen. "Ich glaube nicht, dass es an Vertrauen liegt", meinte Neru nachdenklich, "Ich glaube eher, er will dich beeindrucken, er will zeigen, wie unnahbar er ist. Oder er will etwas anderes vor dir verbergen." "Aber ist das dann nicht mangelndes Vertrauen?", hakte Nerina nach und Neru musste sich geschlagen geben. "Irgendwie schon, aber..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich kann es mir nur bei ihm nicht vorstellen. So, wie ihr euch behandelt, kann er dir doch nur vertrauen, oder?" Nerina schwieg und auch Neru hielt inne, um die Sache zu überdenken. Warum redete Texomon nicht mit ihr? Was hatte das kleine, blaue Drachenpokemon zu verbergen? Oder hatte es überhaupt nichts zu verbergen und wollte nur besonders cool erscheinen? Neru wusste es nicht. Doch konnte er sich nicht vorstellen, dass Texomon Nerina nicht vertraute. Das blaue, übermütige Pokemon war ganz vernarrt in seine Trainerin, warum also sollte er etwas vor ihr verbergen? Andererseits hatte Nerina schon recht. Sie beide wussten nicht viel über die Geschichte von Texomon. Evoli hatte ihm zwar ein wenig erzählt, doch dabei war es dann geblieben und auch, als er, Neru, einmal nachgehakt hatte, hatte Texomon nichts weiter von sich preis geben wollen. "Ich bin mir sicher, dass Texomon dich sehr gerne hat", meinte er nun, "Ich würde ihm nicht misstrauen, nur weil er dir keinen Einblick in seine Gedanken gibt." Nerina schaute ihn unentschlossen an. "Er vertraut dir, sonst könntest du ihn zu den ganzen Spielen nicht überreden", erklärte Neru, "Und ich finde, du kannst auch ihm vertrauen. Immerhin tun die Iramon all das Kämpfen nur, um uns zu helfen." Nerina nickte und Neru löschte die Lichter. Der morgige Tag würde noch anstrengender werden, als der heutige. Sonst hätte Dew sie nicht nochmal zum ausruhen geschickt.
 


 

>>>Nerina<<<
 

"Und wir sollen jetzt einfach nur da durch?", fragte Texomon ein wenig ratlos. Nerina seufzte tief und ließ sich resigniert auf einen der schroffen Felsen sinken. "'Nur' ist gut", erwiderte sie und sah ratlos um sich, doch das Tal, in dem sie sich befanden, hätte trostloser nicht sein können. Rund herum umstanden es hohe Berge, die keine Lücke oder Pass erkennen ließen und so steil aufragten, wie die Wände eines Vulkankraters. Pflanzen gab es kaum, dafür war es hier oben zu kalt. Stattdessen hingen gewaltige Eiszapfen an den schroffen Klippen und Eis überzog die meisten der brusthohen Findlinge, die überall in der kiesigen Wüste der Talsohle herumlagen. Nur an einer einzigen Stelle fehlte das Eis, dort nämlich, wo der dünne Strahl einer heißen Quelle gute zehn Meter über dem Boden aus einer Felsspalte in der Wand austrat und hinab in ein kleines Becken stürzte, wo das Wasser wild um die eigene Achse wirbelte und dann auf mysteriöse Art und Weise zwischen den Felsen des Talbodens versickerte. "Die Wand hinter der heißen Quelle", hatte Dew ihnen erklärt, nachdem er sie mit seinem Mantax hier abgeliefert hatte, "Versperrt einen unterirdischen Gang, der euch durch den Berg und bis hinunter zur Jurob-Halbinsel führen wird. Dort werden wir auf euch warten." Im Prinzip hatte die Aufgabe recht simpel geklungen, doch die Wand war hart wie Beton und zeigte nicht den winzigsten Spalt. Eine geschlagene Stunde lang waren sie nun schon davor herumgeklettert, hatten Finger und Klauen in jede noch so kleine Ritze gesteckt, gedrückt und gezogen, Steinchen wie Knöpfe oder Hebel zu benutzen versucht oder wenigstens den Mechanismus gesucht, der die Wand bewegen sollte, doch es gab ihn nicht. Die Wand war schlichtweg eine Wand, nicht mehr und nicht weniger. Texomon knurrte unwillig und trat wütend mit dem Fuß dagegen. "Wir sollen eine Steinwand aufknacken!", brummte er verdrießlich, "Und das soll nun eine Wasseraufgabe sein?" "Vielleicht geht sie ja mit deiner Aquaknarre kaputt?", fragte Nerina ungläubig. Texomon versuchte es, doch seine Attacke prallte in einer meterhohen Fontaine nutzlos an dem Granit ab und spritzte in alle Richtungen. Einige Tropfen fielen außerhalb des wärmenden Einzugsgebietes der Quelle auf einen Felsen und gefroren sofort zu kleinen Eiskristallen. Verzweiflung begann in Nerina aufzusteigen. Wenn uns nicht bald etwas einfällt, werden wir schlichtweg erfrieren! Es ist so furchtbar kalt hier!, dachte sie und kroch noch ein Stückchen näher an den heißen Tümpel heran. Texomon kam mit hängenden Schultern zu ihr herüber. "Ich bin nicht stark genug", sagte er traurig, ließ sich neben ihr zu Boden fallen und sie kuschelten sich eng aneinander, teils, um der nagenden Kälte zu entgehen, teils, um sich gegenseitig Mut zu machen. müde kraulte Nerina ihn hinter den herabhängenden Ohren. "Und dabei hast du in der Wasserarena so tapfer gekämpft..." Texomon zuckte mit dem Schwanz. "Trotzdem ist meine Aquaknarre nicht stark genug... Oder nein, eigentlich ist die verdammte Wand nur zu glatt. Hätte sie nur einen einzigen Sprung..." Mit neuem Mut sprang er auf, nahm einen faustgroßen Stein vom Boden und begann damit, auf die Wand einzuhacken. Rasch sprang Nerina ihm zur Seite und verzweifelt hackten und hämmerten sie auf den Stein ein, bis ihre Hände bluteten, doch alles war vergebens. Bis auf einen winzigen Riss hatten sie nichts erreicht und der war zu klein, um Texomons Aquaknarre eine Angriffsfläche zu bieten. Mutlos hockten sie sich wieder an den Rand des Tümpels, schwer atmend und mit hängenden Köpfen. Dews Aufgabe schien nahezu unlösbar. Traurig starrte Nerina vor sich hin, beobachtete das Sonnenlicht, das sich in den Eiskristallen brach und sie schimmern ließen wie Diamanten. Texomon hatte recht. Was sollte diese Aufgabe nur mit Wasser zu tun haben? Sie hätte eher in die Felsenarena gepasst - oder war das Wasser etwa der Schlüssel zu dem Geheimnis? "Ihr habt bewiesen, dass ihr mit dem Element Wasser umgehen könnt", hatte Misty gestern noch stolz verkündet. Ob die ganze Angelegenheit womöglich nicht ihre Kräfte, sondern ihr Verständnis des Elementes Wasser prüfen sollte? Nerina blinzelte nachdenklich und betrachtete die funkelnden Eiskristalle nun mit neuen Augen. Sie strahlten wie Diamant und sie konnten auch ebenso hart sein! Im Fernsehen hatte sie einmal verfolgt, wie Wasser in einem Schlagloch auf der Straße gefror und das Eis den ganzen Beton aufgesprengt hatte. Viel würde es nicht sein, was sie dadurch freisprengen konnten, aber vielleicht würde es ja ausreichen... "Texomon?", fragte sie betont langsam, um ihn nicht zu sehr zu begeistern, "Meinst du, wir könnten das heiße Wasser umleiten?" "Warum soll das gut sein?", fragte Texomon überrascht, "Sie stört uns doch nicht weiter." "Vielleicht schon", entgegnete Nerina nachdenklich und musterte die Wand ein weiteres Mal aufmerksam. In etwa fünf Metern Höhe war ein kleiner Felssims zu erkennen, etwa einen Meter breit und vom Wasser zu einer sauberen Rille geformt, durch die es ablaufen konnte. Wenn sie es schaffen würden, diese Rille zu verstopfen... "Wie meinst du?", fragte Texomon ungeduldig, als Nerina bereits gedankenverloren aufstand und das Tal nach einem geeigneten Werkzeug abzusuchen begann, folgte ihr dann aber ratlos. Tatsächlich brauchten sie nicht lange zu suchen. Hinter dem Felsen mit dem Diamanteneis entdeckte Nerina eine große, beinahe bogenförmig ausgehöhlte Steinplatte. Probehalber hob sie sie auf und stellte fest, dass sie aus leichtem Lavastein bestand, einfach zu tragen also. "Texomon", wandte sie sich an ihren Begleiter, "Meinst du, du kannst damit auf den Felssims klettern und versuchen, die Platte so festzuklemmen, dass sie den Wasserstrahl umlenkt?" "Ich kann es versuchen", entgegnete Texomon eifrig, nahm Nerina die Platte aus den Händen und begann, zu klettern. Einige Male schleiften seine Klauen mit markerschütterndem Kreischen über den Granit, aber endlich stand er breitbeinig und mit zur Siegerpose erhobenen Händen auf dem schmalen Grat und schaute sich neugierig um. "Hey! Du hast recht!", rief er verblüfft zu der atemlos wartenden Nerina hinunter, "Man kann sie hier wirklich in eine Felsspalte einklemmen! Wie dafür gemacht! Ha! Schau!" Und mit einem mächtigen Knirschen schob er die Platte unter den Wasserstrahl. Kurz wackelte sie bedenklich unter dem Ansturm, doch dann schien sie auf eine eigenartige Weise einzurasten und das Wasser perlte nun nicht mehr nur über den Felsvorsprung hinweg, sondern floss an ihm entlang, um etliche Meter weiter links in eine Felsspalte zu stürzen. Neugierig beobachtete Nerina die noch nasse Wand dahinter. Nur langsam kühlte der Stein aus und sie befürchtete schon, dass nicht mehr genug Wasser darin sein würde, um den Granit zu sprengen, doch Texomons Aquaknarre hatte das Wasser wohl auch in die entlegensten Ritzchen gepumpt und kaum hatte Texomon zum dritten Mal "und... jetzt?" gefragt, als beinahe ein Quadratmeter Granit knirschend von dem Eis auseinandergesprengt wurde und viele, kleine Steinsplitter zu Boden stürzten. Das Loch war nicht besonders tief, doch als nerina jubelnd hinlief, um nachzusehen, entdeckte sie tatsächlich eine fingerbreite Öffnung in eine dunkle Höhle. "Oh! Wir haben ihn, Texomon!", rief sie glücklich und tanzte begeistert durch die Splitter, "Das Eis hat den Stein für uns gesprengt! Jetzt müssen wir ihn nur noch restlos freilegen!" "Vielleicht kann das auch das Wasser für uns tun!", entgegnete Texomon, der vor lauter Begeisterung beinahe von seinem Sims gestürzt wäre, "Schau mal, Nerina! Dort liegt noch so eine Platte, am Boden des Tümpels, wo die ganze Zeit das Wasser draufgelaufen ist. Wenn du die zwischen die beiden Steine da klemmst, fällt das Wasser genau darauf und prallt ab, wie vorhin meine Aquaknarre. Dann spritzt es genau auf das Loch und kann es für uns Freiräumen!" "Beim dicksten Relaxo! Du hast recht!" Eifrig rannte Nerina zu dem nun verwaisten Steinbecken, nahm die Lavaplatte heraus und klemmte sie schräg in eine Felsspalte ein. Gleichzeitig löste Texomon seine Platte oben aus ihrer Verankerung und das Wasser stürzte hinab auf Nerinas Platte, die es wie ein schräger Spiegel gegen die Wand schleuderte. Sie konnten förmlich zusehen, wie das Wasser den zerbröselten, weißlichen Felsen aufzulösen schien und als Nerina neugierig hinlief und einen Finger darüber gleiten ließ, schmeckte er salzig. "Salzstein!", rief sie Texomon zu, der gerade mit seiner Platte zu ihr hinabkletterte, "Hinter der Granitschicht war Salzstein! Schau! Das Wasser löst ihn auf! Wir haben es geschafft!" Glücklich fassten sie sich an den Händen und tanzten im warmen Sprühregen des Wasserstrahls herum, bis die Quelle den Eingang komplett freigelegt hatte und nun in einem schmalen, etwa knietiefen Strom hindurch ins Innere des Berges strömte. "Jetzt müssen wir nur noch dem Wasser folgen", sagte Texomon und drückte stolz ihre Hand, "Denn die Jurob-Halbinsel liegt so weit unten, wie das Meer und wir sind furchtbar weit oben. Das Wasser wird den schnellsten Weg durch den Berg finden, da bin ich mir sicher!" Entschlossen schulterte er seine Lavaplatte und stapfte los, geradewegs hinein in die Dunkelheit...

Sie folgten dem schmalen Bächlein eine zeitlang stetig bergab. Der Gang war eng und niedrig, doch sein Boden eben und das Gehen fiel ihnen leicht. Außerdem tat die Wärme des heißen Wassers und sein Dampf ihren ausgekühlten Gliedern gut und ehe sie sichs versahen trafen sie auf einen breiten Seitengang, der ebenfalls Wasser führte. Die beiden Bäche vereinigten sich zu einem größeren Strom, angenehm warm und tief genug, darin zu schwimmen. Mit einem entspannten Seufzen legte Texomon sich rücklings auf die merkwürdige Lavaplatte, die leicht genug schien, auf dem Wasser zu schwimmen und Nerina hielt sich an seinen ausgestreckten Füßen fest, machte sich ganz lang und sie ließen sich gemütlich vom warmen Wasser in die Tiefe tragen. Von Zeit zu Zeit gesellten sich andere Ströme zu dem ihrigen, bis sie schließlich in einer art Labyrinth landeten. Das Gelände schien hier weniger abschüssig, dafür verzweigte sich der Gang dauernd in kleinere oder größere Seitenarme, die manchmal im Kreis herum und wieder zurück führten, manchmal in stillen Tümpeln und Seen landeten. "Hoffentlich verirren wir uns hier nicht", gab Nerina zu bedenken, während Texomon munter Abzweigung um Abzweigung wählte, sich lachend hier und dorthin treiben oder von einem Strudel im Kreis drehen ließ. "Hee! immer mit der Ruhe, Nerina!", erklärte er lachend, "Wir können uns gar nicht verirren! Schau! Alles Wasser will strömen. Wenn ein Arm keine Strömung hat, ist er eine Sackgasse. Wenn ein Arm strömt, dann strömt er immer nach unten. Solange wir uns treiben lassen, kommen wir irgendwo am Meer heraus und das ist alles, was zählt. Genieß also die Fahrt!" Sein Argument leuchtete ein und so begann auch Nerina, erst verhalten, dann immer ausgelassener, durch das lustige Labyrinth zu toben, sich von den Wasserströmen hierhin und dorthin reißen zu lassen, sich mit voller Fahrt durch Stalaktitenwälder zu schlängeln oder unter herabhängenden Felsen hindurchzutauchen. Lachend überkugelten sie sich an solchen Plätzen, wo das Wasser von vielen Richtungen zusammenlief und Strudel bildete und schossen im Slalom in links und rechts abgehende Gänge. Nerina wusste nicht, wie lange sie so im Herzen des Berges herumgetobt hatten, bis plötzlich ein leises Dröhnen an ihre Ohren drang. Erschrocken hielt sie inne. "Was ist das?", rief sie Texomon zu, der munter auf seinem Wellenbrett vornewegschoss. Das Dracheniramon hielt inne, steckte die Schwanzspitze ins Wasser und schien die Strömungen zu fühlen. "Ein großer Strudel", sagte er dann, "Vermutlich eine Art Trichter..." Kurz zögerte er, dann fügte er hinzu: "Halt dich kurz an den Steinen hier fest. Ich will ihn mir ansehen." Noch ehe sie protestieren konnte war er vorneweggeschossen und verschwand alsbald in der dämmrigen Ferne. Als er zurückkam, sah sein Gesicht nachdenklich aus. "Er ist recht tief", sagte er, "und ich kann nicht sehen, wo er endet, aber viel Wasser stürzt hinunter und ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht gefährlich ist. Wahrscheinlich landet man in einer Art See. Trotzdem solltest du dich an meinem Rücken festhalten." "Aber Texomon...", widersprach Nerina ängstlich, doch Texomon hatte sich bereits ihre Arme um den Hals gelegt, sein Wellenbrett davongestoßen und war losgepaddelt, dem dröhnenden Strudel entgegen. "Ich werde dir wehtun", protestierte Nerina, doch Texomon schüttelte den Kopf. "Ich bin ein Iramon und halte viel aus", sagte er tapfer, "In der Arena werde ich mit Felsen beworfen, mit Flammen massakriert und von Rasiermessern zerlegt. Ich kann den Sturz problemlos wegstecken und du bist da oben sicherer als irgendwo sonst." "Aber wenn wir nun gar nicht dort hinunter sollen?", fragte Nerina verzweifelt. Sie befanden sich nun keine zehn Meter mehr entfernt von dem furchtbaren Strudel, der durch ein drei Meter breites Loch in die Tiefe sauste, schäumend und wirbelnd in ein Schwarzes Nichts. Ächzend schlang Texomon den Schwanz um eine Stalakmite, sodass sie stillstanden. Das Wasser zerrte mit einer Gewalt an Nerinas Körper, die ihr beinahe die Sinne raubte. Nur schleierhaft nahm sie Texomons Gesicht wahr, als er sich zu ihr umwandte. "Ich suche uns auch einen anderen Weg, wenn du willst", sagte er sanft, "Aber ich bin mir fast sicher, dass es keinen gibt. Alles Wasser findet früher oder später zum tiefsten Punkt des Labyrinthes - und der ist nunmal hier." Kurz zögerte er und als Nerina nicht antwortete, fragte er: "Nerina, vertraust du mir?" Kurz rangen Furcht und Entschlossenheit in Nerinas Brust, dann biss sie die Zähne zusammen und nickte. "Ja, Texomon, ich vertraue dir." "Gut", erwiderte der kleine Drache, ließ seinen Stalagmiten los und mit einem gemeinsamen Aufschrei rasten sie hinab in die Tiefe. Alles in allem war das Gefühl weniger schlimm als erwartet. Zwar drehte sie das Wasser um und um, während sie stürzten, doch ehe Nerina auch nur Zeit fand, sich zu fürchten, war es auch schon vorbei und auf einer eiligen, aber nicht gerade furchteinflösenden Wasserrutsche glitten sie erneut in die Tiefe. Nun mündeten keine anderen Gänge mehr in den ihren ein und die Wände waren glatt und gerade. Sie mussten die Zielgerade erreicht haben. Von hier führte der Fluss sie unentwegt auf sein Ende zu, tiefer und immer tiefer hinab. Durch Risse in der Decke schimmerte goldenes Sonnenlicht und das immernoch leicht warme Wasser umfing angenehm ihre Körper. Keiner von ihnen sprach ein Wort, während sie so in die Tiefe glitten, doch Nerina sah, dass Texomon strahlte.

Hinterher vermochten sie nicht zu sagen, wie lange der Fluss sie mit sich getragen hatte, bis der Gang sich plötzlich zu einer gewaltigen, kuppelförmigen und annähernd runden Höhle öffnete. Das Wasser überflutete ihren Boden etwa brusthoch, ehe es auf der anderen Seite durch ein engmaschiges Metallgitter abfloss. Ratlos musterten sie den versperrten Durchgang. "Er sieht von Menschen gemacht aus", sagte Nerina in die plätschernde Stille, "Also sind wir entweder am Ziel oder in einer Sackgasse..." "Oder man muss es öffnen", beharrte Texomon und wollte schon die Klauen hineinschlagen, als Nerina aufgeregt nach oben deutete. "Dort! Texomon! Sieh mal!" Durch ein kleines, kreisrundes Loch an der höchsten Stelle der Kuppel fiel Sonnenlicht zu ihnen herunter und das Geräusch von Wellen drang leise an ihre Ohren. "Das muss der Ausgang sein!", frohlockte Texomon glücklich, "Ein Blow-Hole! Aber wie kommen wir da hinauf? Die Wände sehen zu steil zum klettern aus..." "Mithilfe des Wassers", entgegnete Nerina fest, paddelte zu Texomons Wellenbrett hinüber, das ihnen notgedrungen durch den Strudel gefolgt war und schob es vor sich her zu dem Gitter. Mit einem leichten Druck stellte sie es quer, sodass es nicht länger platt auf dem Wasser lag, sondern vielmehr darin zu schweben begann. Sofort erfasste es die Strömung und presste es wie einen Korken auf das Gitter. Es passte perfekt und augenblicklich begann das Wasser, zu steigen. "Hoffen wir, dass es hält", bemerkte Nerina, während sie und Texomon bereits wie zwei kleine Korken auf der steigenden Oberfläche der Höhlendecke zustrebten, "Wenn nicht wird der Wasserdruck uns an das Gitter nageln." Doch das merkwürdige Wellenbrett hielt tapfer stand, sodass Nerina schon bald Kopf voran aus dem Blowhole getragen wurde, sich rasch aus dem ihr folgenden Sturzbach abrollte und auf warmem, flachen Felsen zu liegen kam. Die Wellen des Meeres brandeten gute dreißig Meter unter ihr an die sanft auslaufenden Klippen der Jurob-Halbinsel.

"Herzlichen Glückwunsch!", sagte Dew und stand von dem Felsen auf, auf dem er offensichtlich die ganze Zeit gewartet hatte, "Ihr hattet eure Startschwierigkeiten, aber das Labyrinth habt ihr mit Bravur gelöst. Ihr beiden habt nicht nur gelernt gegen das Wasser zu kämpfen, ihr habt es in all seinen Facetten verstanden. Streng genommen qualifiziert dich das zu einer Arenaleiterin der Wasserarena, Nerina... Aber ich glaube, euch ist das hier lieber..." Lächelnd streckte er Nerina einen funkelnden Saphir entgegen. Mit zitternden Fingern nahm sie ihn aus Dews großer Hand und schob ihn in die noch leere Blumenbrosche, die sie seit ihrem allerersten Treffen mit Texomon an ihrer Brust trug. Mit einem leisen Klicken rastete der Stein in den vorgesehenen Platz ein und augenblicklich begann Texomon, blau zu leuchten. "Was... Was geschieht mit mir!", rief er erschrocken aus, ehe er sich erinnerte, dass er in Gegenwart anderer zu Schweigen hatte, doch Dew lächelte nur. "Das kann man nie so genau sagen", sagte er nur, "Lass deine Gedanken treiben, Texomon, wie du vorhin durch das Labyrinth getrieben bist. Das Wasser wird dich führen..." "In Ordnung...", entgegnete Texomon und schloss konzentriert die Augen. Im nächsten Augenblick schien sein Körper in einen blauen Vorhang aus perlendem Licht gehüllt und als dieser sich lichtete, lag ein großes, blaues Seedraking mit hoch erhobenem Kopf vor ihnen auf den Steinen. Das Sonnenlicht schimmerte leuchtendblau auf seinen großen, glatten Schuppen und stolz warf es den Kopf zurück. "Und? Was bin ich?", fragte es mit einer Stimme, die eindeutig an die von Texomon erinnerte, dabei jedoch viel tiefer und mächtiger klang. Endlich löste sich Nerina aus ihrer Starre, rannte zu ihm und schlang die Arme um seinen Hals. "Wunderschön!", rief sie.

Auch Dew staunte nicht schlecht über Texomons Entwicklung. Angetan ging er um Seedraking herum, betrachtete es von allen Seiten und wandte sich dann wieder an Nerina. "Wenn es euch beiden nichts ausmacht, würde ich Seedraking ja allzu gerne einmal schwimmen und ein paar Attacken ausprobieren sehen", sagte er eifrig, "Ich habe noch nicht besonders oft überhaupt eines gesehen und noch nie eines auf einem so niedrigen Level! Das wäre ein bedeutender Schritt in meiner Forschungsarbeit über Seeper." "Kein Problem", donnerte Texomons ungewohnte Drachenstimme, "Soll ich gleich loslegen?" Dew hob lachend die Hände. "Morgen in der Arena, wo ich meine Messinstrumente habe", erwiderte er rasch, "Außerdem müssen wir ja jetzt noch deinen Bruder versorgen, Nerina... Könntet ihr beiden mir da einen anderen Gefallen tun?" Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er einen kleinen, goldenen Schlüssel aus der Brusttasche seines Jacketts und reichte ihn Nerina. "Er öffnet das Gitter, das ihr vorhin blockiert habt", erklärte er weiter, "Ihr müsstet nur hinuntertauchen und die Lavaplatte entfernen, sodass das Wasser abfließen kann. Danach kannst du Seedraking damit das Gitter aufschließen, dass er hinaus ins offene Meer schwimmen kann. Mach das Gitter grade von außen zu, dann schwimmt um die Halbinsel herum, bis zu dem kleinen Strand dort hinten. Von dort aus geht ein Fußweg wieder hier herauf, sofern ihr mit mir zusammen Nerus Prüfung am Bildschirm verfolgen wollt. Er hat schon eingewilligt, dass ihr das dürft, wenn ihr wollt." "Au ja!", röhrte Seedraking begeistert und schlug so heftig mit dem Schwanz auf, dass einige faustgroße Steine sich von der Klippe lösten und hinab ins Wasser fielen, "Das wird lustig! Komm, Nerina!" und mit einem übermütigen Drachenruf stürzte er sich kopfüber durch das Blow-Hole zurück ins Innere der Höhle. Kurz zögerte Nerina, ehe sie sich kräftig abstieß und so weit wie möglich in die Tiefe tauchte. Sofort begann das Wasser, sie wieder nach oben zu tragen, doch dann spürte sie Seedrakings mächtigen Körper neben sich, schwang sich rittlings auf seinen Nacken, kurz vor seinen Flügelchen und schlang einen Arm um seinen Hals, um sich festzuhalten. Hoffnungsvoll schielte sie an seinem Drachenkamm vorbei nach oben, denn schon jetzt fühlten sich ihre Lungen so an, als wollten sie wieder Atem schöpfen, doch Seedraking stieß mit mächtigen Schlangenbewegungen seines Körpers abwärts, bis es den versperrten Ausgang erreicht hatte und die Platte mühelos mit seinem Schwanz fortwischte. 'Niemand hat gesagt, dass wir sie behalten sollen, oder?' Nerina fuhr zusammen, als sie zum ersten Mal seit Vertania wieder Texomons Stimme in ihrem Kopf vernahm. Stolz und Freude durchflutete sie und, unfähig in Worten zu antworten, presste sie ihre Wange an seinen glatten Hinterkopf, ehe sie gemeinsam von der Wucht des Wassers gegen die Felswand getragen wurden. Nerina konnte gerade noch so ihr Bein einziehen, ehe Seedrakings schwerer Körper sich mit knochenbrechender Gewalt an den Felsen schmiegte. Das Wasser zerrte schrecklich an ihr, presste ihr auch nach das letzte bisschen Luft aus den Lungen und verzweifelt begann sie, zu zappeln. 'Oh, tut dir was weh?', fragte Seedraking besorgt und rollte seinen Körper schützend um sie zusammen, doch da war es auch schon wieder vorbei und Nerinas Kopf kam endlich über Wasser. Mit gewaltigen Atemzügen pumpte sie Luft in ihre Lungen. Seedrakings Augen glommen meergrün in der Dunkelheit, als er sich ihr besorgt zuwandte. "Stimmt ja", bemerkte er bestürzt, "Ich kann ja jetzt unter Wasser atmen..." "Aber du hast mit mir gesprochen", rief Nerina begeistert, sobald sie wieder zu Atem gekommen war. Seedraking legte den Kopf schief. "Warum verwundert dich das?", fragte er überrascht, "Das tue ich doch oft, nur hörst du mir nie richtig zu..."

Seine Worte hatten Nerina sehr nachdenklich gemacht und lange grübelte sie darüber nach, während sie die Höhle verließen und Nerina ihr Seeungeheuer von einem Seepferdchen durch die schäumende Gischt ritt. Zu ihrer Verwunderung schwamm Seedraking gleichmäßig und sanft und machte kaum übermütige Sprünge oder Tauchausflüge. Am Strand angekommen rätselten sie eine gute Viertelstunde an dem Problem herum, wie Seedraking nun wieder zu Texomon werden würde, bis dieser endlich genug Willenskraft aufbrachte, die Augen zu schließen und sich ganz fest vorzustellen, wieder in Texomons Körper zu stecken. Erneut hüllte sein Körper sich in blaues Licht, dann hockte Texomon mit müdem Gesicht vor ihr im flachen Wasser. "Meine Güte, strengt das an", ächzte er, als Nerina ihm auf die Füße half, "Aber Spaß macht die Form schon! Ich hatte das Gefühl, ewig schwimmen zu können! Aber Laufen ist durchaus auch eine feine Sache..." Damit machten sie sich müde auf den kurzen aber steilen Fußmarsch zurück auf den Felsen, auf dem Dew sie erwarten wollte. Wie sich herausstellte, entsprach eben dies nicht den Tatsachen. Dew war verschwunden und an seiner statt wartete eine mit dem Logo der Wasserarena bestickte Picknickdecke, ein großer Picknickkorb mit Sandwichs, Obst, Süßigkeiten und jeder Menge Pokemonmüsli, Biskuits und Riegeln und ein großer, flacher Bildschirm auf sie, auf dem gerade Misty zu sehen war, die eine neue, identisch geformte Lavaplatte hinter dem Stein versteckte, hinter dem auch Nerina sie gefunden hatte. Die heiße Quelle gurgelte wieder unverändert in ihr Felsbecken und die Granitwand sah so unbeschädigt aus wie eh und je. Kurz betrachtete Misty zufrieden ihr Werk, dann entließ sie ein großes Mantax aus einem Pokeball und flog davon. Keine zwei Sandwiches später tauchte erneut ein Mantax im Tal auf, diesmal trug es Dew, Neru und Evoli auf dem Rücken. Mit leiser, mikrofonverzerrter Stimme begann er, Neru seine Instruktionen zu geben. Texomon kicherte und rollte sich wohlig schnurrend auf den Rücken, als Neru und Evoli ebenso ratlos aus der Wäsche guckten, wie sie selbst. Kaum, dass Dew verschwunden war, begannen sie, wie schon zuvor Nerina und Texomon, die Wand abzusuchen, pressten Finger und Pfoten in alle Spalten und Risse und stellten fest, dass sie keine Chance hatten. "Man müsste sie einreißen!", brummte Neru nach einer Weile ärgerlich, "Aber wie? Wir können ja schließlich kein Erdbeben machen!" "Der Ruckzuckhieb reicht dafür kaum", ergänzte Evoli seufzend, dann richtete sie begeistert die Ohren auf. "Aber die Aufgabe muss schließlich lösbar sein! Komm, Neru, wir sehen uns mal um! Vielleicht gibt es ja eine Brechstange oder ein bisschen Dyna-Dings hier irgendwo..." "Oder eine Spielanleitung", seufzte Neru ironisch, folgte seinem kleinen Iramon aber dann doch hinaus in die Steinwüste. Er hatte Mühe zu folgen, denn das schlanke und geschickte Iramon schlängelte sich durch jede Ritze, sprang behände auf und über Felsen und lugte in jede noch so kleine Höhle. Die Lavaplatte fand sie schnell, schnupperte daran und ging weiter, was Texomon mit einem "ooouufff" kommentierte. Die Zeit, die Nerina und er damit verbracht hatten, die Wand mit bloßen Händen zu malträtieren, verwendeten Neru und Evoli aufs Herumwandern und Suchen, bis Evoli sich schließlich in einem Schneehaufen zusammenrollte. Neru verdrehte die Augen. "Warum können wir nicht irgendwo Pause machen, wo es warm ist?", fragte er resigniert, die Tatsache ihres Misserfolgs schien ihn ebenso zu verärgern, wie zuvor seine Schwester, "Hier frieren wir uns nur die Ohren ab!" "Mir macht der Schnee nichts aus", entgegnete Evoli unbeeindruckt, "Trotzdem komisch, dass er da ist... Mitten im Sommer... Sag mal, Neru?", fragte sie, während sie sich wieder aufsetzte, "Kannst du nicht mal in deinem Pokedex schauen, was gegen Gestein effektiv ist?" "Wenn du meinst, dass das was hilft..." Er überprüfte es, dann machte er seinen Zuschauern große, runde Augen. "Eis!", rief er, "Eis, Pflanze und Wasser... Zwei davon haben wir!" Im folgenden brauchten sie nicht mehr lange rätseln. Auch Neru hatte den Film der Eissprengung gesehen und Evoli erinnerte sich an die Felsplatte zum Wasserumlenken. Sie knoteten sie an ein altes Hanfseil, das Evoli in einer Felsritze gefunden hatte und Evoli kletterte mit dem anderen Ende auf den Felssims, legte das Seil um einen Felsvorsprung und warf das Ende zurück zu Neru, der so die Platte hinauf zu Evoli ziehen konnte. Im Handumdrehen hatten sie das erste Loch in die Wand gesprengt und Nerina musste lächeln, als sie sah, wie Neru strahlte und sein kleines Evoli in die Arme nahm, ehe auch sie die zweite Platte entdeckten und das Wasser den Weg freiräumen ließen. Allerdings entfernten sie die Platte wieder, als Evoli anmerkte, sie wolle nur ungern im Wasser laufen, das ihr immerhin bis knapp unter die Schnauze stand. "Ob das einen Unterschied macht?", fragte Texomon schulterzuckend, während sie den beiden mit Kameraaugen hinab in den Felsen folgten. Nerina machte ein unwilliges Geräusch. "Irgendwie schon", sagte sie gequält, "Immerhin sind sie nicht auf die Idee gekommen, den Strömungen zu folgen. Ich hoffe, darauf kommen sie noch, sonst haben sie in dem Labyrinth ihren Spaß..." Bald gesellten sich die kalten Nebenbäche zum Hauptgang und Neru musste Evoli aufheben und in den Armen tragen, je höher das Wasser stieg. Er schwamm nicht, wie Nerina, sondern watete den immer tiefer gefluteten Gang hinunter, bis das Wasser ihm bis über die Hüften reichte. "Die Strömung zerrt immer heftiger und außerdem ist es schrecklich kalt", verkündete er müde, "Und der Gang verzweigt sich dauernd. Wir müssen schauen, dass wir uns nicht verirren." "Wir könnten immer die linke Abzweigung gehen", schlug Evoli vor, doch Neru schüttelte den Kopf. "Damit gehen wir höchstwahrscheinlich im Kreis", sagte er nachdenklich, "Wir sollten immer einmal links und einmal rechts gehen..." Sie versuchten es, kämpften sich durch Strömung und an den Stalakmitenwäldern vorbei und gerieten alsbald an einen Strudel, in den gleich vier Gänge einmündeten. Ratlos wählten sie den aller linkesten, kletterten durch schroffe Steine und landeten schließlich in einem großen, dunklen See. Neru seufzte. "Wie sollen wir aus diesem Labyrinth wieder rauskommen, ohne Karte und Kompass?", fragte er verzweifelt, "Und ohne die Sonne! Ich hab gar keine Ahnung mehr, wo wir sind! Oh, vielleicht..." Rasch fingerte er wieder den Pokedex hervor und hielt ihn flach vor sich. Evoli lachte begeistert. "Ein Kompass!", rief sie, "Na dann müssen wir uns ja immer nur Richtung Osten halten, denn im Osten liegt das Meer." "Die machen es sich aber auch kompliziert", kommentierte Texomon, als Neru und Evoli sich erneut gehend und mühsam durch das Labyrinth zu schlagen begannen. "Warum schwimmt er nicht?" Nerina zuckte mit den Schultern. Sie wusste nur allzu gut, dass ihr Bruder es hasste, sich inspirieren, mitreißen oder eben treiben zu lassen. Er wollte immer die Kontrolle darüber haben, was geschah, wollte einen Plan, eine mathematische Lehrbuchlösung. Improvisieren, spielen, ausprobieren war immer eher ihr Ressort gewesen. "Er traut dem Wasser nicht", sagte Texomon, als Nerina nicht antwortete und es klang, wie als sei dies ein persönlicher Angriff. Das Wasser stieg höher und höher, bis Neru schließlich kaum noch gegen den Strom ankämpfen konnte und als er endlich erschöpft nachgab und dem Wasser folgte, den Kommentar: "Vielleicht landen wir wenigstens irgendwo, wo man die Sonne sieht" auf den Lippen, stand besagter Himmelskörper bereits im Westen über dem hohen Gipfel seines Berges. Texomon rollte sich auf der Picknickdecke zusammen, legte den Kopf auf Nerinas Schoß und murmelte schlaftrunken: "Na, jetzt sollte es ja schnell gehen..." Doch weit gefehlt. Kaum hatten Evolis scharfe Augen den reißenden Strudel ausgemacht und sie einen spitzen Alarmschrei ausgestoßen, als Neru sich schon sofort an eine Stalaktite klammerte. "Da können wir nie im Leben runter!", rief sie panisch, "Wer weiß, wo wir da landen!" Neru teilte ihre Meinung und mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte er sich zurück, den Strom hinauf, um einen anderen Weg zu suchen. Es tat förmlich weh, sein entkräftetes, blaugefrorenes und immer verzweifelteres Gesicht zu sehen, während sie Stunde um Stunde durch den Berg krochen. Die Sonne war bereits im Untergehen begriffen, als Neru schließlich entkräftet in die Knie brach und sich zitternd an einer Stalaktite festhielt. "Ich kann nicht mehr, Evoli", stieß er seufzend aus, "Wir müssen das Notrufsignal senden, sonst..." Er führte den Satz nicht zu Ende. Das Wasser riss ihn von den Füßen und willenlos vor Ermüdung ließ er sich entlangtreiben. Manchmal griff er noch nach einem Stein oder einer Säule, doch seine Finger glitten kraftlos daran ab. Evoli paddelte panisch neben seinem Kopf her, versuchte, ihm Mut zu machen. Als der Strudel kam, krallte sie sich an der Wand fest, versuchte, Neru zu halten, doch sein viel größeres Gewicht riss sie beide los und mit einem Aufschrei schossen sie voran, in den wirbelnden Strudel. Kurz wurde der Bildschirm dunkel, als das Programm die Kameras wechselte, dann erschien Nerus prustender Kopf in einer Fontaine aus Wasser, das klitschnasse Evoli auf der Schulter. "Wo sind wir?", fragte er verdutzt, stand auf und nahm den Pokedex hervor, "Oh wau! Der Gang führt direkt nach Osten! Wir könnten..." Auch diesen Gang legte er akribischerweise zu Fuß zurück, doch wenigstens trug ihn das Wasser in die richtige Richtung bis sie endlich den Kuppelsaal und den See erreichten. Die letzten Strahlen der Abendsonne fielen in das Blowhole und Evoli stieß einen verzückten Ruf aus. "Oh! Dort, Neru! Dort ist der Ausgang! Wir haben es geschafft!" "Aber wie sollen wir da hochkommen?", fragte Neru müde und auch Nerina fiel nun mit Schrecken auf, dass sie die Lavaplatte nicht mitgebracht hatten. Eine Weile beobachtete sie mit wachsender Verzweiflung, wie sie die Höhle absuchten, bis schließlich am Bildschirmrand ein kleiner Schriftzug: "Aktiviere Holzbrett" erschien und nur wenige Sekunden später ein solches in die Höhle geschwemmt wurde. Der Rest war ein Heimspiel für Neru. Mit einem einzigen Griff packte er es und versperrte das Gitter mit den Worten: "Was für ein Glück!" Wenige Minuten später erschien sein hochroter Kopf in dem Blow-Hole keine zehn Meter entfernt. "Ach du liebes Bisschen!", stieß er aus, als er sah, dass es dämmerte. Dann fiel sein Blick auf seine Schwester, die Popcorn knabbernd vor dem Bildschirm saß und seine Augen verengten sich zu frustrierten Schlitzen. "Das ist doch nicht fair!", brummte er, ehe Dew von seinem Wachposten aufstand und ihm die Hand reichte. "Du hast bewiesen, dass du im Element Wasser zurechtkommst", sagte er lächelnd und Nerina hielt Texomon die Schnauze zu, sodass er nicht damit herausplatzen konnte, was Dew zu ihnen gesagt hatte. "Dafür verdient ihr den Saphir des Wassers!" "Gut...", sagte Neru nur völlig ausgelaugt, "Danke..." "Wollt ihr ihn nicht gleich ausprobieren?", fragte Nerina überrascht, als Neru den Stein einsteckte, doch dieser schüttelte den Kopf. "Wir sind beide total müde und ich hab gelesen, dass es nicht gut ist, die erste Evotation mit wenig Energie zu vollführen", erklärte er, "Evoli soll erst was essen und ein wenig schlafen. Morgen früh wird das ganze einfacher sein." "Also, ich versteh dich nicht", sagte Texomon zu Evoli, die sich gleich komplett in den Picknickkorb fallen ließ, "Bist du nicht neugierig, was du wirst?" "Mit hoher Wahrscheinlichkeit Aquana", entgegnete Evoli, zu müde, um spitz zu klingen, "Und wie das sich anfühlt, möchte ich lieber wissen, wenn ich nicht nur an Pokeriegel und weiche, trockene Betten denken kann."
 

>>>Neru<<<
 

Mitten in der Nacht wachte Neru schweißgebadet auf. Noch schlaftrunken sah er sich um. Alles war so, wie er es noch von vor dem schlafengehen kannte. Das kleine Zimmer, das ihnen in der Wasserarena zum Schlafen gegeben worden war, war in der Tat ziemlich klein, doch es reichte für sie aus. Es gab sogar neben den zwei klappbaren Feldbetten einen Schreibtisch mit einem Stuhl davor. Gedankenverloren sah Neru zu, wie der silbrige Schein des Mondes auf die Papiere auf dem Schreibtisch fiel und wie das silbrige Licht den Schatten des Stuhles an die Wand hinter ihm warf. Was war heute eigentlich geschehen?, dachte er bei sich. Er und Nerina hatten heute ihre Wasserprüfungen absolviert, doch warum konnte er damit nur nicht zufrieden sein? Weil ihr versagt habt, zwitscherte eine süße, kleine Stimme in seinem Kopf, Nerina und Texomon haben auf voller Linie abgeräumt und den Parcour in nur drei Stunden bewältigt, während du mit Evoli fast sieben Stunden in dem Labyrinth herumgeirrt bist. Ja von dieser Seite aus betrachtet konnte man in der Tat nicht wirklich zufrieden sein. Aber auf der anderen Seite hatten sie immerhin bestanden. Ja, aber gerade so, mischte sich seine innere Stimme wieder ein. Neru seufzte und sah auf sein kleines Evoli hinunter. Warum hatte er nicht auch so einen großen und starken Begleiter wie Texomon? Texomon hatte sich in der Prüfung nicht beirren lassen. Er war, zusammen mit Nerina, wie ein Team vorgegangen und hatte die Prüfung, wie Neru mittlerweile wusste, mit Bravour bestanden. Nerina war damit sogar zur Wasserarenaleiterin befördert worden. Während er, Neru, gerade so mit Ach und Krach die Prüfung bestanden hatte. Wieder hallten in ihm die Worte wieder: Ihr habt bewiesen, dass ihr im Element Wasser klarkommt. Das war wohl das geringste, was möglich war. Texomon war so viel stärker als Evoli. Neru sah hinüber zu dem kleinen Drachen und dann wieder auf seinen eigenen, plüschigen Begleiter und Zweifel begannen, sich in ihm zu regen. War es fair, so von Evoli zu denken? Hatte sie nicht auch in der Wasserarena alles für ihn gegeben? Hatte sie nicht das Unmögliche möglich gemacht, um den Quellorden zu erringen? Wasser war nicht Evolis Element und, dass sie dieses Element nicht in seinen Grundfesten verstand, war wohl nur zu verständlich. Hatte nicht er bei der Aufgabe versagt und nicht sein Begleiter? Neru holte tief Luft und setzte sich vollends auf. Mit Schlaf, das spürte er, war es für den Moment erstmal vorbei. Langsam und vorsichtig, um niemanden, ganz besonders nicht Evoli, zu wecken, ging er hinüber zum Schreibtisch und setzte sich auf den, von Mondlicht umtränkten Stuhl. Dann sah er aus dem Fenster hinaus auf das Wasser des Meeres, dessen Wellen ruhig und sanft schaukelten und das Mondlicht in immer neuen Mustern zu ihm zurückwarfen. Eine solche Stärke ging von ihm aus, dass Neru für einen Moment glaubte, wieder in den Strudeln von heute zu versinken, drohte, wieder im Wasser die Kraft zu verlieren und einfach unterzugehen. Doch dieser Moment verschwand wieder und Neru konnte wieder einfach nur die Wellen vor sich schaukeln sehen. Er dachte zurück an vor zwei Tagen, als er zusammen mit Evoli auf dem Kajak die Wellen durchbrochen hatte. Hatte er sich dabei Zeit genommen, das Wasser zu verstehen, oder wollte er einfach nur Evoli schwimmen beibringen? Eigentlich war das keine Frage. Er hatte nur an das Training gedacht, anstatt die wirkliche Botschaft, das wirklich Lernenswerte am Wasser zu verstehen. Wie unüberwindlich hatte das Wasser auf Evoli gewirkt und wie Recht hatte sie doch gehabt. Neru erinnerte sich zurück an eine Dokumentation, in der er gesehen hatte, wie das Meer im Laufe der Zeit Felsen aushöhlen und Inseln zerbrechen lassen konnte. Zerbrechen und Aushöhlen, so wie das Wasser heute auch ihn gebrochen hatte. Er hatte das kleine Kajak den Wellen zum Trotz durch die Brandung gefahren, ohne die Unüberwindlichkeit des Wassers zu sehen, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, was Evoli wohl dabei empfand. War er nicht rücksichtslos voran gegangen, um Evoli zu helfen? Zu helfen für ihn Siege zu erringen, wie ihn seine Stimme erneut erinnerte. War er rücksichtslos? Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. Sie musste ja kämpfen, um Gringo zu besiegen. Aber möglicherweise hatte er es mit dem Training übertrieben. All sein Denken war auf diesen Kampf ausgerichtet, das wurde ihm nun mit einem Schlag klar. Gab es denn nichts mehr anderes als das Kämpfen? Früher hatte er noch ab und an gerne gelacht, aber jetzt war er gefangen in den Routinen des Trainings und auch mit seiner Zwillingsschwester, mit der er früher so viel Spaß gehabt hatte, sprach er kaum noch. Warum eigentlich nicht? Allmählich begann sich Ärger in ihm anzustauen. Nicht die Art Ärger oder Verzweiflung, den er noch auf Evoli gehabt hatte, sondern ein Ärger über ihn selbst. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, mit Evoli allein hinaus aufs Meer zu fahren? Hätte er nicht mit Texomon und Nerina zusammen trainieren können? Hätte er nicht mit beiden großen Spaß haben können und dann mit ihnen zusammen rausfahren und schwimmen können? Er ärgerte sich immer mehr über sich. Warum hatte er es denn dann gemacht? Weil er eifersüchtig auf Texomons Aquaknarre und seinen Erfolg gewesen war. Eifersüchtig darauf, dass Texomon so viel besser als Evoli war. Deswegen hatte er auch allein mit ihr trainieren wollen, ohne Nerina.

Man konnte eben keinen Blumentopf bei den Pokemon gewinnen, wenn man sie anging, wie Schulaufgaben, die gelöst gehörten. Es tat ihm selbst weh, so über sich zu denken, gleichzeitig steigerte es allerdings auch seinen Ärger. Er war komisch geworden, doch würde er das ändern. Man konnte auch mit Spaß siegen, das hatten Nerina und Texomon heute bewiesen, im Gegenteil! Man war damit sogar viel erfolgreicher. Neru spürte die Sehnsucht nach den alten Tagen und nach dem alten Neru in sich und er spürte, dass in ihm eine Barriere gefallen war, eine Barriere, die er sich zukünftig Mühe geben wollte, nie wieder zu errichten. Und was das mit der Stärke von Evoli an ging: Er schämte sich, so von seinem Begleiter gedacht zu haben und das, obwohl er allein für die Fehler verantwortlich war. Er kannte sich doch viel besser mit Wasser aus als das kleine Iramon. Nicht das kleine Evoli war dafür zu verurteilen, sondern er selbst. Zweifelnd sah er den Wasserstein an, der ihm für Evoli gegeben worden war. Wollte er jetzt überhaupt noch von Evoli verlangen, größer und stärker zu werden? War sie nicht genau so, wie sie war, richtig? Er würde sie nicht unter Druck setzen. Wenn sie die Verwandlung nicht wollte oder auch nur geringste Zweifel hatte, würde sie sich nie zu Aquana verwandeln müssen. Das stand nun für Neru fest. Sollten sich Eich und Konsorten doch auf den Kopf stellen und mit den Beinen wackeln. Wenn es sein musste, würden sie Gringo auch so besiegen, ohne Evolutionen und ohne, dass Evoli sich verwandeln müssen würde. Er würde Evoli nicht mal an den Stein erinnern. Entschlossen öffnete er die Schublade des Schreibtischs und legte den Wasserstein hinein. Er hatte diese Auszeichnung ohnehin nicht verdient und er würde es nicht noch schlimmer machen, in dem er Evoli in eine Verwandlung zwang, die sie gar nicht wollte. Entschlossen, das Thema nie von sich aus an Evoli gewandt anzusprechen, schob er die Schreibtischschublade zu und legte sich wieder zurück zu seinem so schönen und warmen Begleiter und nahm sich vor, nie wieder schlecht von einem so wunderbaren Wesen wie seinem Evoli zu denken. Mit diesem Gedanken und der Zuversicht der gefallenen Barriere des Trainingswahns schlief er ein.

Nerus Vorsätze wurden schon früh am nächsten Morgen auf eine harte Probe gestellt. Evoli weckte ihn zum allmorgendlichen Training, so wie sie es immer gemacht hatte. Zuerst wollte er aufstehen, doch dann hielt er inne und dachte an die letzte Nacht zurück. Er besah sich nun, da sich sein Blick langsam klärte, Evoli genauer und konnte erkennen, dass auch sie müde war. "Du bist müde", flüsterte er ihr feststellend zu. "Bin ich immer", flüsterte sie zurück. "Dann lass uns uns noch mal hinlegen", meinte Neru und hielt die Decke hoch, sodass sie drunter schlüpfen konnte. Evoli legte den Kopf schief. "Ist das nun ein Trick?" "Nein, keine Spur", lachte er, "Lass uns ausschlafen und dann mit ganzer Kraft den Tag beginnen." Er benutzte absichtlich das Wort 'Trainieren', das ihm auf der Zunge lag, nicht und wedelte auffordernd mit der Bettdecke. Evoli war ganz hin und weg, normalerweise lag sie immer auf der Decke, doch heute kuschelte sie sich in die Wärme darunter, ein leiser, schnurrender Laut war zu hören, als Neru die Bettdecke über ihrer Schulter ablegte und seine Arme um die pelzige Brust schloss. "Bis später", nuschelte Evoli noch, dann war sie eingeschlafen und er kuschelte sich ebenfalls wieder zurück in seine Kissen und bevor er auch nur darüber nachdenken konnte, wie schön er diesen Morgen fand, war auch er schon weg hinabgeglitten in das Land der Träume.

Als er und Evoli wieder aus dem Schlaf hochschreckten, waren Nerina und Texomon schon verschwunden. Wie von der Tarantel gestochen sprangen die beiden aus dem Bett. Mit einem verschwitzten Grinsen und der Bemerkung: "Wir haben verpennt!" schlüpfte Neru in seine Klamotten, während Evoli, seinem Beispiel folgend, versuchte, ihr Fell glattzulecken. Als sie kurz darauf in die eigentliche Arena stürmten, mussten sie feststellen, dass das Frühstück ohne sie stattgefunden hatte und, dass Nerina schon mit ihrem neuen Seedraking in der Arena herumtobte. Aus dem Frühstückskorb nahmen sich Neru und Evoli ihr Frühstück mit, dann setzten sie sich auf die Tribüne, um Texomons neue Form zu bewundern und seine unheimliche Kraft zu bestaunen. Die Aquaknarren, die er nun in die Luft schleuderte, schlugen all das, was sie noch am Vortag von Starmie und Texomon gesehen hatten. Dew hatte ein Turtok gegen ihn eingesetzt, das den Attacken zwar noch mühelos standhalten konnte, aber dennoch war es erstaunlich, was für Attacken Texomon in Form von Seedraking da losließ. Nicht nur Nerina schien erstaunt darüber zu sein, auch Dew fing nach jeder Attacke eifrig an zu kritzeln und bestaunte seine Messgeräte, die er überall rund um das Becken aufgebaut hatten. "Wozu dienen die alle?", fragte Evoli und Neru schüttelte den Kopf. "Wir können runtergehen und uns die Geräte anschauen, wenn du magst!" Mit leicht schlechtem Gewissen musste Neru feststellen, wie sehr Evoli sich freute. Warum hatte er die ganze Zeit so wenig auf seine Partnerin geachtet? Aber er war immernoch fest entschlossen, etwas zu ändern und so stieg er mit Evoli hinab, um die vielen Geräte in Augenschein zu nehmen und die vielen bunten Lichter und die Kurven, die die Geräte zeichneten, in Augenschein zu nehmen. Nachdem Texomon seine letzte Attacke abgefeuert und die letzte Welle hinaufgeglitten war, ohne auch nur in irgendeiner Form verletzt worden zu sein, befand Dew, dass er nun alle Daten gesammelt hatte. Nerina lief sogleich zu ihrem Bruder. Er konnte ihr schon, während sie auf ihn zulief, ansehen, wie stolz sie war. "Texomons Wasserform ist klasse!", rief sie ihm zu und Neru nickte nur ehrlich beeindruckt. "Er ist unglaublich", bestätigte er, "Er kann die Surferattacken einfach emporschwimmen." "Ja, und seine Aquaknarre! Habt ihr die gesehen?", fragte Nerina, immer noch ganz happy über ihre neue Entwicklung. Neru konnte nicht anders, als sich mit ihr zu freuen. Warum sollte er auch eifersüchtig sein? Texomon war ein Wasserwesen, nur verständlich, dass seine Wasserform so stark war. Auch Dew bestätigte diesen Eindruck. "Wir hatten noch nie ein Seedraking auf so einem niedrigen Level hier. Du bist beeindruckend!", erklärte er dem hinter ihm im Becken treibenden Seedraking, "Deine Attackenstärke übertrifft meine Erwartungen bei weitem. Gut gemacht." Man konnte sehen, dass sich die Farbe von Seedraking von dem kräftigen Blau in ein leichtes Violett veränderte, doch er fragte nur rund heraus und mit einer tiefen und ehrwürdigen Stimme: "Welches Level bin ich denn?" "Nun, ich würde sagen, so zwischen zwölf und dreizehn. Genaueres kann der Pokemonanalyser sagen, wenn du in deinem Pokeball bist." "Och, zwölf bis dreizehn reicht mir. Lern ich da dann was neues?", fragte Seedraking an Nerina gewandt. Irgendwie war es komisch, der neuen Stimme von Texomon zuzuhören, sie klang so erwachsen und so ungewohnt. Aber sie passte perfekt zu dem Aussehen des ehemals kleinen Drachenpokemon. Evoli indessen beschnupperte skeptisch das Wasser. "Ich glaub, ich will meine Form jetzt auch mal ausprobieren." Neru sah sie skeptisch an. "Wenn du das wirklich willst, dann machen wir das." Evoli sah ihn mit großen Augen an, so als wollte sie sagen: "Was beschäftigt dich noch?", doch dann sagte sie: "Ja, ich will." "Dann komm!", meinte Neru und geleitete sein Iramon wieder hinauf in ihren Raum, wo, wie er wusste, der blaue Kristall in der Schreibtischschublade auf sie wartete. Eigentlich hatte Neru Evoli noch sagen wollen, dass sie sich nicht entwickeln musste, wenn sie nicht wollte, doch irgendwie hörten sich alle Sätze, die er in seinem Kopf ausprobierte, komisch an und so, als wolle er selbst nicht, dass Evoli sich entwickelte. Außerdem hatte sie selbst diese Entscheidung gefällt. Als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, holte Neru den Kristall aus dem Schreibtisch und hielt ihn neben das Amulett, in das er eingesetzt werden musste. "Willst du das wirklich tun?", fragte er Evoli nun mit einem feierlichen Ton, als er und sein kleiner Begleiter mit dem Stein wieder in der Arena waren und Evoli nickte begeistert. "Ich bin gespannt, ob das Wasser dann anders riecht." Neru hob die Augenbrauen, erstaunt über diese Gedanken, doch dann gab er sich einen Ruck und setzte den blauen Kristall in die Brosche ein. "Seht! Es beginnt zu leuchten!", rief Seedraking mit seiner tiefen Bassstimme, "Hab ich das auch gemacht?" Nerina nickte und Dew zeigte überhaupt keine Regung, sondern hatte seinen Blick gebannt auf Evoli geheftet. Immer heller und immer greller glühte das Blau auf. "Du musst dich treiben lassen", sagte Dew, "Lass dich treiben, so, wie du dich im Wasser treiben lassen würdest. Du findest von alleine zu deiner Entwicklung." Doch das Glühen verstärkte sich nur noch kaum merklich und zog sich in die Länge. "Es könnte gefährlich werden, wenn sie zu lange braucht", zischte Dew ihm zu. "Können wir den Stein...?", fragte Neru, doch Dews Gesicht verzerrte sich. "Bloß nicht, wer weiß, was dann von Evoli übrig bleiben würde. Sie steckt mitten in der Evolution." Zwar hatte Evoli die Augen konzentriert verschlossen, doch gelang es ihr nicht, sich zu entspannen, wie Neru auffiel. Was konnten sie nur tun, um es ihr leichter zu machen? Doch dann hatte er eine Idee. Rasch zog er einen Pokeriegel aus der Tasche und hielt ihn Evoli unter die Nase. Das gab den Ausschlag. Beim Geruch des Pokeriegels entspannte sich Evolis Fell und auch ihr angespannter Körper gab langsam der Entspannung nach. Das Glühen verstärkte sich und blendete sie alle. Dann stand plötzlich ein viel größeres, blaues Evoli mit langen Ohren und komplett blauer Haut vor ihnen. Der Schwanz war lang, dick und kräftig geworden und wurde am Ende von einer Flosse gekrönt. Aus Evoli war ein großes und wunderschönes Aquana geworden. Neru konnte nicht anders. Mit Tränen in den Augen umarmte er das hüfthohe Tier und bestaunte es in aller Ausgiebigkeit. Evoli ließ sich davon anstecken und bewunderte sich selbst ebenso ausgiebig. "Ihr seid alle geschrumpft", stellte sie fest und die ganze Runde musste herzhaft lachen, während Evoli zum Wasser ging und skeptisch daran roch. "Es riecht noch genau so, wie vorher, nur... jetzt mag ich den Geruch!", erklärte sie und dann ließ sie sich kopfüber in das nasse Element gleiten und jetzt schien es so, als wäre sie tatsächlich in diesem Element Zuhause.
 

>>>Nerina<<<
 

Lächelnd beobachtete Nerina, wie Nerus frisch gebackenes Aquana vorsichtig ihre ersten Schwimmzüge durch das große Becken vollführte. Wie auch Texomon schien sie instinktiv zu wissen, wofür ihre mächtige Schwanzflosse und die Schwimmhäute zwischen ihren Zehen gut waren, aber dennoch brauchte sie einige Minuten, bis sie sich an die neue Länge ihrer Gliedmaßen gewöhnt hatte und ihre Bewegungen weniger schlaksig und eleganter aussahen. "Wau! Sie ist sehr schön!", lobte sie leise ihren Bruder, doch Neru schien hin und hergerissen zwischen dem offensichtlichen Stolz und einer anderen Emotion, die sich immer wieder wie ein flüchtiger Schatten über seine Züge legte. Ohne eine Antwort wandte er sich an Dew. "Sie hat keine Halskrause", sagte er besorgt, "Ich meine, nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, aber..." Dew kniff nachdenklich die Augen zusammen und studierte die beiden Iramon erneut gründlich, die mittlerweile begonnen hatten, im Becken zu spielen, indem Seedraking das kleinere Aquana immer wieder mit der Nase unter Wasser drückte oder diese auf seinen Rücken kletterte, um seinen Kopf als Sprungbrett zu missbrauchen. Lachend bäumte Seedraking sich auf und sein aufpeitschender Schwanz ließ Aquana einige Meter durch die Luft segeln, ehe sie kopfvoran zurück ins Wasser glitt und keinen Herzschlag später wieder auf seinem Rücken saß. Dew nickte geistesabwesend zu ihrem Spiel, dann sagte er leise: "Ich fürchte, die Evotation und ihr Ergebnis richtet sich nach der Liebe des Iramon für das jeweilige Element. Als ich vorgestern Abend mit Eich telefoniert habe, hat er die Vermutung geäußert, dass Texomon zu Impergator werden würde, denn schließlich ist es eine Kreuzung aus Glumanda und Karnimani und Eich vermutete, dass die natürliche Entwicklung ihm am leichtesten fallen würde. Aber Texomon liebt das Wasser so sehr, dass es über Impergator hinaus evotiert ist. Evoli hingegen kann sich mit dem Wasser arrangieren, daher war die natürliche Entwicklung zu Aquana möglich, auch wenn sie schwierig war. Möglich, dass Aquana dadurch auch ihre Halskrause und ihren Seehundkopf eingebüßt hat. Sieh nur ihr Gesicht!" Er hatte recht, wie Nerina zugeben musste: Aquanas Gesicht ähnelte immernoch eher dem eines Evolis mit langer Schnauze. Rasch trat sie neben Neru und legte ihm eine Hand auf den Arm. Doch statt sie wie sonst abzuschütteln, nahm er sie in die seine und lächelte nur. "Das ist gut so", sagte er an Dew gewandt, "Sie ist genauso hübsch, wie sie ist! Ich wollte nur sichergehen, dass ihr nichts fehlt."

Dew gab ihnen die Erlaubnis, die beiden Iramon noch so lange in der Arena spielen zu lassen, bis der erste Herausforderer anklopfte und so setzten sie sich auf die Zuschauerränge und sahen den beiden energiegeladenen Schwimmern eine Weile lang zu, bis Neru leise sagte: "Einerseits freue ich mich ja, dass sie evotiert ist, aber andererseits habe ich auch irgendwie ein schlechtes Gewissen." Verwundert hob Nerina den Blick und sah ihn an. "Warum das denn?", fragte sie überrascht, "Komm! Evoli ist aus dem gröbsten raus! Mit dieser neuen Gestalt kann sie Boden, Gestein und Feuer mühelos besiegen und braucht sich nie wieder so viele Sorgen zu machen! Der Wasserkampf, den sie da hingelegt hat, war erste Sahne, aber ich glaub schon, dass sie jetzt sehr froh ist, nicht mehr auf diese Weise kämpfen zu müssen!" Neru nickte abwehrend. "Ja, sicher! Von dem Standpunkt aus hast du recht! Es ist nur... Ich habe sie immer so hart trainieren lassen und hab immer nur an diesen Kampf gedacht und... ich will sie einfach nie wieder zu etwas zwingen." "Aber Neru!", rief Nerina erschrocken aus, "Was redest du da? Sie ist ein intelligentes Wesen, das bei dir bleibt, weil es dich mag. Glaubst du ernsthaft, sie würde für dich kämpfen, wenn sie nicht wollte? Iramon mögen den Kampf, egal, was sie manchmal sagen. Unten im Strudel hat Texomon mir sowas in der Art erzählt und sie wollen stärker werden. Euer Training war vielleicht ein bisschen steif und freudlos, aber das heißt nicht, dass du Evoli zu irgendetwas gezwungen hättest!" Neru starrte sie eine Weile lang stumm an, dann boxte er ihr den Ellenbogen in die Seite. "Woher weißt du sowas eigentlich immer?", fragte er zähneknirschend, "Das ist ja nicht zum Aushalten!" Nerina lachte und drehte ihm eine lange Nase. "Ich hab mich sowieso schon oft gefragt, warum ihr nicht mit uns trainiert", sagte sie, "Ich bin mir sicher, das wäre lustig! Und du, hör auf, dich dauernd in deinen Pokedex zu vergraben! Das macht einen nämlich wahnsinnig!" Ärgerlich schnappte sie ihm das Gerät aus den Händen, mit dem er die ganze Zeit über herumgespielt hatte. Neru verdrehte genervt die Augen. "Es war aus!" "War dein Computer daheim auch immer!", entgegnete Nerina ironisch und Neru schnitt ihr eine Grimasse. "Dann musst du aber aufhören, dauernd in die Sterne oder ins Feuer oder Wasser zu starren, von Bäumen oder aus Fenstern zu fallen, alles besser zu wissen und Leute zu nerven!" "Das ist aber 'n hoher Preis!", erwiderte Nerina gespielt beleidigt, streckte in alter Gewohnheit die Hände aus und kitzelte seinen Bauch. "Ah! Du sollst aufhören, zu nerven!", schrie Neru auf, sprang auf die Füße und wandte sich zur Flucht. Lachend rannten sie einige Male um die Sitzreihen, dann um den Beckenrand, bis Nerina ihn schließlich zu fassen kriegte, sie beide den Halt verloren und mit einem gemeinsamen Aufschrei und lautem Platschen ins Wasser stürzten. "Alles klar?", rief Seedraking besorgt, während Aquana schon den Kopf neben ihnen aus dem Wasser streckte. "Ich hab mal geguckt, ob dein Trainer noch lachen kann!", erwiderte Nerina ausgelassen, "Der Knopf klemmt ein bisschen, aber mit etwas Nachdruck..." Dann schlang sie Aquana rasch die Arme um den Leib und dieses flitzte mit ihr im Schlepptau davon, bevor Neru Gelegenheit fand, ihre kitzeligen Füße zu erreichen. "Hee! Du Fremdschwimmer!", meckerte er Aquana an, doch die schwamm nur noch schneller. Aus dem Augenwinkel sah Nerina, wie Seedraking neben ihm den Kopf aus dem Wasser streckte. "Komm!", donnerte seine Drachenstimme Neru zu, "Kletter auf meinen Rücken. Wir Männer müssen doch schließlich zusammenhalten!" Zuerst wirkte Neru etwas unsicher auf Seedrakings kräftigen Schultern, doch bald schon schoss das Monsterseepferd wie eh und je durchs Wasser und Aquana geriet außer Puste. Besorgt beugte Nerina sich an ihr Ohr. "Er ist ganz schlecht mit plötzlichem Abtauchen!", flüsterte sie, "Im Zweifelsfall tauchst du einfach unter seinen Bauch." "Hee! Das ist gemein! Keine Kriegsgeheimnisse ausplaudern!", dröhnte Seedraking, als Aquana schon zum dritten Mal munter auf ihn zuschwamm, unter seiner Brust verschwand und Nerina seinen empfindlichen Bauch kitzelte, bis sein Beben beinahe Neru von seinem Rücken warf. "Na warte!", rief der, packte Aquana am Schwanz und Seedraking tauchte soweit ab, dass er das Iramon quer über seinen Schos legen konnte. Triumphierend richtete Seedraking sich wieder auf und Aquanas Schwanz und Pfoten spritzten nur noch nutzlos Wasser auf. "Gefangen!", dröhnte er, doch Aquana lachte nur. "Von wegen!", rief sie, schloss die Augen - und glitt als kleines, braunes Evoli durch Nerus Hände zurück ins Wasser, um dort sofort wieder zu Aquana zu werden und davonzuschießen. "Hey!", rief Seedraking erschrocken, "Das ist Hexerei! Hilfe!" und rasch pustete er einen riesigen Blubberblasenteppich um sich herum. Neru zuckte nur mit den Schultern. "Versuch mal 'nen Pudding an die Wand zu nageln", seufzte er. In diesem Moment klingelte ein winziges Glöckchen im Dach der Arena und jemand rief: "Hallo! Wir suchen nach dem Arenaleiter!" "Ich gehe Dew bescheid sagen!", rief Nerina rasch, kletterte aus dem Wasser und lief den schmalen Gang zu seinem Büro hinunter, Evoli auf den Fersen. Im Laufen sah sie verwundert zu Nerina auf. "Was hast du mit ihm gemacht?", fragte sie, "Er ist so... anders heute!" "Auch mein Bruder ist lernfähig", seufzte Nerina erleichtert, "Aber er macht sich viele Gedanken um dich." Evoli antwortete nicht, dafür stürmte Misty ihnen entgegen. "Ist jemand da?", fragte sie atemlos. Nerina nickte und gemeinsam hasteten sie in die Arena zurück, wo Neru tropfnass am Beckenrand stand und mit zwei wohlbekannten Jungen diskutierte, einer hatte ein Bisasam, der andere ein Endivie bei sich. "Hee!", rief Nerina überrascht dazwischen und fühlte sich mit Schrecken an Texomons Zügellosigkeit erinnert, "Euch kenne ich doch! Ihr seid doch gleichzeitig mit uns gestartet! Wo habt ihr denn eure beiden Mädchen gelassen?" "Die sind noch bei der Felsenarena", antwortete der Blondschopf mit seinem Bisasam hochmütig, "Aber wir wollten schonmal vor, damit's endlich interessant wird. Gestein und Wasser sind nicht weiter anstrengend für Bisasam und Endivie..." Misty verdrehte genervt die Augen. "Ihr könnt ja gegen Nerina kämpfen, wenn ich euch nicht gut genug bin", fauchte sie und deutete vielsagend auf Seedraking, das immernoch friedlich im Becken dümpelte, mit sich und der Welt zufrieden. Der rothaarige Endivienbesitzer schluckte, stieß seinen Freund an und flüsterte etwas, das wie: "Wo hat die denn jetzt ein Seedraking her?", doch der andere zuckte nur abfällig die Schultern, sein Erfolg war ihm offenbar zu Kopf gestiegen. "Wir möchten schon gerne auch einen Orden bekommen", sagte er hochnäsig. Nun war es an Nerina, hochmütig mit den Schultern zu zucken. "Um genau zu sein", sagte sie so gelangweilt sie konnte, "Bin ich seit gestern Arenaleiterin hier, aber für zwei aufgeblasene Heringe braucht Seedraking nicht seine Kraft verschwenden, stimmt´s?" Lächelnd legte sie Seedraking eine Hand auf den Kopf und er ließ sein gefährlichstes Grollen hören. Dann warf sie zum ersten Mal einen Pokeball nach ihm, machte auf dem Absatz kehrt und lief hinauf in ihr Zimmer, ehe sie Texomon wieder herausließ. "Na die tragen die Nase aber hoch in den Wolken", brummte sie, ließ sich auf ihr Bett fallen und streckte Texomon den Arm hin, sodass er sich hineinkuscheln konnte. "Du, Nerina?", fragte er zögernd, "Ich hab da was nicht verstanden... Als du gegangen warst, um Misty zu holen, da sagte Neru was sehr komisches..." "Was denn?", fragte Nerina verblüfft und alarmiert, doch Texomon schüttelte rasch den Kopf. "Nichts schlimmes", sagte er zögernd, "Nur er... er hat sich entschuldigt und als ich fragte, wofür, da sagte er, dafür, dass er nie mit uns gespielt hat, und dass er mich nie für die Aquaknarre gelobt hat... Aber was hat er damit gemeint?" Kurz dachte Nerina über seine Worte nach, dann erwiderte sie lächelnd: "Ich glaube, er war zwischendurch ein bisschen neidisch auf deine Kraft, aber er hat kapiert, dass das nicht richtig war." Texomon sah sie mit großen Augen an. "Ach so ist das!", rief er belustigt, "Und ich dachte dauernd, auf Evoli aufpassen zu müssen, weil sie doch so klein und schwach ist! Vielleicht sollten wir sie auch mal vorpreschen lassen! Ich meine, im Notfall kann ich sie ja immernoch retten..." "Du bist aber auch nicht wenig eingebildet!", tadelte Nerina lachend, doch in diesem Augenblick gab der gestohlene Pokedex in ihrer Brusttasche ein gequältes Summen von sich und rasch fingerte sie ihn zu Tage. Es dauerte eine Weile, bis sie die Email anzeigen lassen konnte und reumütig stellte sie fest, dass sie sich kaum mit diesem elektronischen Dingsbums beschäftigt hatte. Als der Text endlich auf dem Bildschirm erschien, vergaß sie allerdings alle Selbstvorwürfe...

"Lieber Neru, Liebe Nerina", stand da mit großen, fetten, roten Buchstaben geschrieben, "Von Dew habe ich erfahren, dass ihr klugerweise in der Wasserarena begonnen und überragende Resultate errungen habt. Dafür gratulieren Professor Lind und ich euch herzlichst! Leider gibt es aber auch schlechte Nachrichten. Gringo hat in seinem nächsten Schritt der Limitierung die Unlichtarena unter Beobachtung gestellt und die Feuerarena geschlossen. Ella teilte mir mit, dass sie so schnell wie möglich zur Unlichtarena aufbrechen werden, damit muss ich euch bitten, den Feuerstein zu retten, ehe es zu spät ist. Nach Auflösung der Arena wurde Blaze, der oberste des Feuerordens, verhaftet und in der Schwarzen Zitadelle festgesetzt (Karte im Anhang). Nur er weiß, wo ihr den Stein finden und wie ihr ihn bekommen könnt. Ihr müsst ihn erreichen, ehe er in dunkle Kanäle verschwindet! Eile ist also das Gebot der Stunde. Findet Blaze und rettet den Feuerstein! Wir zählen auf euch! Professor Eich." Nerinas Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den Pokedex fortlegte und Texomon schmiegte sich ganz nah an sie, auch seine Brust bebte. "Das ist nicht gut, nicht wahr?", fragte er leise und Nerina nickte düster. "Nein", murmelte sie, "Gar nicht gut..." Dann drückte sie Texomon noch einmal an sich und sprang auf, um Neru zu suchen. Sie würden so bald als möglich aufbrechen müssen.
 


 

>>>Neru<<<
 

"So sieht man sich wieder", meinte Natho und sah Neru mit einem spöttischen Gesichtsausdruck an. "In der Tat", erwiderte Neru und versuchte, einen ebenso spöttischen Blick zurückzuwerfen. "Wie es scheint warst du erfolgreich?", fragte Neru und zeigte auf den Quellorden, den Natho, wie die größte Trophäe in der Hand hielt. "Tja, ich hab noch nie verloren", erwiderte er immernoch mit spöttischem Blick. 'Na, dem Großmaul zeigen wir´s!', hörte Neru die vertraute Stimme von Evoli in seinem Kopf schallen. Er nickte mit einem lächeln. "Ich will für dein Ego hoffen, dass es so bleibt", lächelte er Natho zu und Natho griff zu seinem Pokeball. "Eins gegen eins", meinte Neru mit einem Blick auf seinen Gürtel und Nathos Hand zögerte, griff dann jedoch bestimmt nach dem ersten Ball. Evoli spannte ihre Muskeln an und trat einen Schritt nach vorn. "Oh, du wählst Evoli wieder?", fragte Natho, "Hast du aus dem letzten Mal nichts gelernt?" 'Na warte', meinte Evoli schweigend. "Ich glaube, dass man aus alten Fehlern lernen kann", erwiderte Neru. "Bisasam! Benutz deine Egelsamen!", rief Natho und Neru konterte mit: "Ausweichen, Evoli und dann Sandwirbel." Aus Bisasams Samen auf seinem Rücken kamen kleine, grüne Dinger, die eine Art grünen Staub hinter sich her zogen. Wo sie den Boden berührten, fingen sofort kleine und höchst giftig aussehende Pflanzen an zu sprießen. Neru wollte schon seinen Pokedex zu diesem Thema befragen, doch er war nicht in seiner Tasche. Nerina musste ihn immer noch bei sich haben. Wo war sie überhaupt? Nun ja egal. Evoli war den Samen weit ausgewichen und schleuderte nun einen wahren Sandsturm in Bisasams Gesicht. Das Pflanzenpokemon war davon nicht besonders angetan und rieb sich die Augen. "Ruckzuckhieb!", ließ Neru vernehmen und noch bevor sich der Sandsturm vollkommen gelichtet hatte, ließ der Schlag, den Evoli flink und zielsicher in Bisasams Gesicht gelenkt hatte, das Pflanzenpokemon einen Schritt nach hinten machen. "Bisasam, Wickel!" Als hätte das Pflanzenpokemon nur darauf gewartet, schnellten seitlich von seinem Samen lange Tentakel hervor. Evoli konnte nur dem Ersten der beiden ausweichen, die zweite der Ranken umschloss fest ihren Körper und umwickelte sie ein paar Mal. Die zweite Tentakel verstärkte diesen Griff. 'Boah! Dieser Typ erdrückt mich noch. Immer noch der selbe Brutalo!', echote Evoli in Nerus Kopf und Neru musste trotz der schwierigen Situation grinsen. Evoli konnte sich nicht mehr rühren und langsam zog Bisasam sie auf sich zu. Evoli wartete auf den richtigen Moment. Bisasam war zu schwach, um Evoli auf diese Entfernung hochzuheben, also zog er sie näher heran, um sie dann anzugreifen, für den Angriff jedoch musste Bisasam die Ranken lockern und das war ihre Chance. In knappen Worten versuchte Neru, Evoli davon zu überzeugen, nicht zu kämpfen, sondern abzuwarten und obwohl ihn Evoli verstehen ließ, dass sie keine Ahnung hatte, warum, verharrte sie und ließ sich von dem großen Pflanzenpokemon über den Boden schleifen. "Neru!", rief Nerina über den Kampfplatz vor der Arena hinweg und Neru sah auf, "Neru! Ich hab Neuigkeiten." "Sehr schön", antwortete Neru, "Ich hab hier noch was zu erledigen." Nerina erkannte erst jetzt, dass sich ihr Bruder in einem Kampf befand. Noch während sie bestürzt auf Evoli sah, wurde auch sie schon von dem anderen Jungen herausgefordert. Neru hatte keine Zeit, auf die beiden zu achten. Der kritische Moment kam jetzt. "Evoli, du kannst deinen Schwanz immer noch bewegen!", rief er ihr zu, als sie Bisasam schon ganz nah gekommen war, "Sandwirbel!" und Evoli schlug ihren Schweif auf den Boden und wedelte so schnell sie konnte. Der Sandwirbel war nicht so groß wie ihr letzter, doch trafen die Sandkörner wieder Bisasams Gesicht. Der Sicht beraubt taumelte Bisasam zurück und rieb sich mit den Vorderbeinen die Augen, lockerte allerdings auch seinen Wickel um Evoli. Mit einem entschlossenen Satz befreite sich Evoli aus den Ranken und wich einem weiteren Rankenhieb aus, der nun Bisasam befohlen wurde. 'Der Kerl ist immernoch derselbe Brutalo', meinte sie, 'Wie gehen wir weiter vor? Ich will nicht wieder von ihm begraben werden.' Neru versuchte, seiner Partnerin einen beruhigenden Blick zuzuwerfen und damit zu sagen: Keine Angst. Doch er konnte leider nicht in Gedanken sprechen. Es war wirklich zu schade, dass diese Verbindung nur in die eine Richtung funktionierte. So konnte er nur versuchen, möglichst zuversichtlich auszusehen, um seiner Partnerin Mut zu machen. Bisasam war indessen nicht untätig gewesen. Er ließ einen weiteren Hagel aus Rankenhieben auf Evoli sausen, sodass das kleine Iramon nur noch ausweichen, aber nicht mehr selbst in die Position zu einem Angriff kommen konnte. Mit rasender Geschwindigkeit flogen die Ranken und Evoli förmlich über den Boden und Neru stellte mit Erschrecken fest, dass die Attackenserie Bisasam bedeutend weniger auspowerte wie Evoli. Schon hing dem kleinen, fuchsähnlichen Iramon die Zunge aus dem Maul und sie hechelte. 'Ich kann bald nicht mehr', ließ sie in seinem Kopf vernehmen und ihre Stimme wurde immer verzweifelter, 'Lass dir was einfallen! Ich will nicht wieder gegen diesen Samen verlieren.' "Gleich haben wir sie!", rief Natho und tatsächlich wurde Evoli von einem Rankenhieb getroffen und über den Kampfplatz geschleudert. Neru wusste nicht, was er tun sollte. Alles war so ideal verlaufen, doch dann hatte sich das Blatt gewendet. Nerus Kopf fühlte sich seltsam leer an und er war unfähig, irgendeinen Befehl zu erteilen. Bisasam ging zu einem finalen Bodycheck über, doch Evoli kam wieder auf die Beine und sprang hoch in die Luft. Wie bei ihrem ersten Kampf landete Evoli nun auf dem großen, grünen Samen des Bisasam. In Neru begann sich ein echtes Dejavue abzuzeichnen. Es war genau wie das erste Mal, nur dauerte es viel länger. In seinem Geist begann Evoli wieder den Samen zu attackieren und das Bisasam legte sich daraufhin auf den Rücken, um Evoli zu zerquetschen. Diesmal durfte das nicht passieren. "Pass auf, Evoli!", rief Neru ihr zu, doch Evoli schien bereits einen Plan zu haben. Elegant ließ sie einen machtvollen Ruckzuckhieb auf den Samen krachen und wurde von ihrer eigenen Attacke durch die Luft geschleudert. Bisasam drehte sich, wie das erste Mal, auf den Rücken, doch Evoli war von der Gewalt ihres eigenen Schlages über Bisasams Kopf geflogen und als Evoli einen weiteren Ruckzuckhieb, diesmal auf seinen Bauch gezielt, vollendet hatte, brach das Bisasam zusammen und Evoli stand mit zitternden Beinen über ihrem Erzrivalen. Beiläufig schnippte sie mit der Hinterpfote ein wenig Sand in Richtung des Bisasam und Neru konnte hören: 'Das ist für dich, du Brutalo!' und lief dann langsam und ehrwürdig zu Neru zurück, das erschöpfte Bisasam und einen sprachlosen Natho hinter sich zurücklassend. Neru wollte noch eine spöttische Bemerkung gegenüber Nathos Statistik loslassen, als eine große Flammenzunge ihm die Worte im Mund stecken bleiben ließ. Erschrocken sahen sowohl Natho als auch Neru und Evoli sich um und entdeckten Texomon in mitten des Feuers, ein ziemlich verbrannt und schwarz aussehendes Endivie gegenüber. "Wir haben keine Zeit für so was!", ließ Nerina vernehmen und schob ihrem Bruder, der immernoch sprachlos Texomon anstarrte und auch die Reaktion, nämlich das Umfallen von Endivie beobachtete, den Pokedex unter die Nase. Die E-Mail, die von Eich gekommen war, hatte nur wenige Zeilen. Trotzdem musste Neru sie mehrmals durchlesen, dann hielt er den Pokedex Evoli hin, während er noch Gedanken sortierte. Im nächsten Augenblick waren sie auch schon unterwegs zu Dew. Noch auf dem Weg suchte Neru in dem Pokedex die schwarze Zitadelle aus den Karten heraus, und zeigte Nerina, wo der entsprechende Ort zu finden war. Texomon und Evoli rannten hinter den beiden her, obwohl Evoli noch nicht recht verstand, was passiert war. Er hörte eine Frage nach der andere in seinen Gedanken aufkeimen, doch er hatte keine Zeit, darauf einzugehen. "Wir sollten uns noch schnell verabschieden", meinte er, "und dann nichts wie runter zum Bahnhof. Papa hat uns einen Bonus für die Fahrkarten überwiesen. Das Wassertaxi nach Anemonia wäre natürlich bequemer, aber wie es scheint, fährt das bis Ende der Woche nicht. Die haben Garados-Alarm." "Was ist denn ein Zug?", fragte Texomon, doch auch Nerina achtete nicht auf ihn. Jetzt wurde es den beiden Iramon zu bunt. Entschlossen überholten sie das eingespielte Team aus Neru und Nerina und bauten sich in der nächsten Biegung der Wasserarena auf. Neru stolperte über Evolis Rücken, während Texomon Nerina an einem Arm festhielt, sodass sie im Kreis um ihn herumgeschleudert wurde. "Was ist passiert?", fragte Evoli. "Und was ist ein Zug?", fragte Texomon und Neru und Nerina gaben lachend die Auskünfte. Neru hatte sich wieder wie früher gefühlt. Es war nicht nötig gewesen, ihr weiteres Handeln abzustimmen. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Das hatten sie in all den Schul-Coups, die sie schon bestritten hatten, gelernt. "Die Feuerarena wurde geschlossen", erklärte Nerina, "und der oberste Meister des Feuers wurde gefangengenommen. Wir müssen so schnell wie möglich versuchen, mit ihm zu sprechen, sonst ist der Feuerstein verloren." "Etwas Ähnliches passiert auch bei der Unlichtarena, Ella und Sipho sind auf dem Weg dorthin", erklärte Neru, "Wir wollen jetzt so schnell wie möglich zum Bahnhof, um einen Zug, das ist ein sehr schnelles Transportmittel", erklärte sie auf Texomons Seitenblick hin, "zu erreichen." "Wir werden mindestens fünf Stunden fahren müssen", fügte Neru hinzu, "Da können wir uns dann alles weitere überlegen." Trotz des vorherigen Sturms betraten sie Dews Arbeitszimmer langsam und der Arenaleiter sah auf. "Wollt ihr weiterziehen?", fragte er sie nach einem forschenden Blick in ihre Gesichter. "Ja", erwiderte Neru, "Wir müssen zur Feuerarena." Dew nickte und sah dann Nerina an. "Mein Angebot gilt noch! Ich würde mich über eine baldige Entscheidung freuen." "Entscheidung?", fragte Nerina verständnislos. "Ob du Wasserarenaleiterin werden möchtest", erinnerte sie Dew, "Ich erwarte innerhalb der nächsten Woche eine Mail von dir auf diese Adresse." Damit steckte er Nerina ein Kärtchen zu und sie verabschiedeten sich so schnell sie konnten, ohne unhöflich zu sein. Nerina starrte dabei unentwegt die Karte an. Kurze Zeit später hatten sie den Bahnhof mit all ihrem Gepäck erreicht und Neru löste zwei Karten. "Der Zug geht in fünf Minuten", erklärte er, "Wir sollten uns beeilen."

Kapitel 3

>>>Nerina<<<
 

"Ist das da jetzt ein Zug?" Aufgeregt hüpfte Texomon auf und ab und deutete mit seiner Klauenpfote auf etwas Rotes am anderen Ende des Bahnsteigs. "Quatsch!" Empört riss Nerina ihn an den Schultern zurück, ehe er losstürmen konnte, "Das ist bloß ein Reisebus! Die Leute steigen hier aus und dann in den Zug wieder ein." "Warum fahren sie nicht mit dem Bus dahin, wo sie hinwollen? Ist ja unlogisch!", maulte Texomon, während der Reisebus die Türen öffnete und sich eine ganze Flut von Menschen mit schweren Reisekoffern über den verlassenen Bahnsteig ergoss. Nervös tauschten Neru und Nerina einen Blick. Sie wussten beide sehr genau, dass Pokemon in geschlossenen Fahrzeugen verboten waren, weil manche Menschen Angst vor ihnen hatten und außerdem niemand so recht wusste, ab welcher Größe ein Pokemon zuviel wertvollen Raum einnahm, doch sowohl Evoli als auch Texomon verabscheuten ihre Pokebälle abgrundtief und noch hatte keiner von ihnen es über sich gebracht, die frohe Botschaft zu verkünden. "Nerina?" Erschrocken wandte sie sich wieder Texomon zu, der immernoch ungeduldig neben ihr herumtänzelte. "Weil die Busse nunmal nicht dahin fahren, wo jeder einzelne hinwill. Darum fahren sie immer feste Strecken und halten ab und an und jeder kann umsteigen, wohin er eben grade muss." "Aber der Zug fährt doch auch direkt dahin, wo wir hinwollen!", quengelte Texomon weiter. Die vordersten Mitglieder der Reisegruppe waren bereits bis auf fünfzig Schritt herangekommen, sodass Nerina ihm rasch eine Hand auf den Kopf legte. "Es ist eben so", sagte sie unwirsch, "Schluss jetzt! Texomon! Solang andere Leute da sind, sollst du gar nichts reden!" "Hmpf!", machte Texomon beleidigt, stapfte ein paar Schritte fort und hockte sich auf eine der Wartebänke. Hoffnungsvoll kreuzte Nerina die Finger, während Menschen und Rollkoffer an ihnen vorbeizogen. Sie wollte schon aufatmen, als Texomon aufsprang und aufgeregt auf eine der Anzeigetafeln deutete. "Schau mal da, Nerina!", rief er. Eine Frau blieb verwundert stehen und starrte ihn an, doch zum Glück kam Neru ihr zu Hilfe, in dem er rasch mit verstellter Stimme fortfuhr: "Da steht, dass der Zug ausfällt! Wir werden wohl warten müssen..." "Oh, vielen Dank", lächelte die Frau und die schlechte Nachricht schien ihr Misstrauen zu verdrängen. Im allgemeinen, unwilligen Gemurmel der Gruppe fiel es glücklicherweise auch nicht weiter auf, dass Nerina zu Texomon huschte und ihm ungeduldig zuflüsterte: "Das wär fast schiefgegangen! Texomon! Du musst leise sein! Oder sprich halt in meinem Kopf!" 'Tschuldigung!', entgegnete Texomons Stimme leise und metallen in ihren Gedanken, mehr eine Ahnung denn ein wirklicher Gedanke, 'Aber da hat etwas geleuchtet!' Seufzend nahm Nerina ihn bei der Krallenhand und gemeinsam folgten sie Neru zurück ins Bahnhofsgebäude. In einer stilleren Ecke hinter dem Zeitschriften-Kiosk blieb er stehen und funkelte seine Schwester böse an. "Pass besser auf ihn auf", sagte er gereizt, "Wenn er so weiterplappert, wartet Gringo schon mit einem Empfangskomitee, wenn wir aussteigen." Texomon stieß ein erschreckend tiefes Knurren aus, doch noch ehe es zu einem ernstlichen Streit kommen konnte, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. "Hey hallo!", sagte der Junge, der urplötzlich neben dem Zeitschriftenständer aufgetaucht war, als sei er geradewegs aus dem Boden gewachsen. Er trug kurze, schlichte Wanderkleidung und einen großen Rucksack, der reichlich mitgenommen aussah. An seinem Gürtel hingen drei Pokebälle. "Entschuldigt die Störung", sagte er höflich und mit neutraler Miene, doch Nerina sah das neugierige Glitzern in seinen dunklen Augen, "Ich habe euch nur vorhin gegen diese Angeber mit dem Bisasam und dem Endivie kämpfen sehen und wollte gratulieren! Das sah echt professionell aus!" "Danke!", strahlte Neru stolz und streichelte Evoli über das seidige Fell, "Wir sind ihnen schon mehrfach begegnet und es wurde Zeit, ihnen eine Lektion zu erteilen!" Pluster dich nicht so auf!, dachte Nerina, noch immer genervt von seinen Anschuldigungen Texomon gegenüber. Der Fremde lächelte ein wenig, was irgendwie nicht so recht zu seinem ernsten, dunkelhäutigen Gesicht passen wollte. "Mein eigener Starter ist ein Pflanzenpokemon und ich weiß, dass sie meistens eine harte Nuss sind! Natürlich nicht gegen eine Glutattacke!" Nun warf er Texomon einen offen neugierigen Blick zu und Nerina hörte Neru beleidigt scharf die Luft einziehen, was der andere jedoch ignorierte. Langsam trat er näher und betrachtete das mit trotzig verschränkten Armen dastehende Texomon. "Darf ich fragen, was für ein Pokemon das ist? Es ist mir nämlich noch nie untergekommen und Aquaknarre und Glut klingt nach einer ziemlich ... tödlichen Mischung!" "Oh, es heißt Texomon und ist ein Drachenpokemon aus Eden", wiederholte Nerina geschmeichelt ihre auswendiggelernte Geschichte, "Mein Vater ist Pokemonforscher und hat es mir von dort mitgebracht!" Zu ihrer Verwunderung wurden die dunklen Augen groß und rund. "Eden?", fragte der Fremde und fügte zu Nerinas Horror hinzu: "Ich habe meinen Starter dort erhalten und bin zwei Jahre lang kreuz und quer durchs Land gezogen. Keinen verdammten Wald, Berg oder gottverlassene Wüste habe ich ausgelassen und jeden Trainerkampf angenommen, aber noch kein Trainer hatte ein Texomon bei sich. Gut", fuhr er fort, während Nerina vor Schreck das Blut in den Adern gefror, "Es mag durchaus ein paar seltene, legendäre Pokemon geben, von denen ich noch nicht gehört habe, aber ich wage zu behaupten, dass dein Vater dir da ein exklusives Geschenk gemacht hat." "Tja, ich hab leider auch keine Ahnung, wo er 's herhat!", nuschelte Nerina rasch und griff nach Texomons Pfote, "Jedenfalls müssen wir jetzt ganz dringend zum Zug. War nett, dich kennengelernt zu haben!" "Der Zug nach Anemonia ist ausgefallen, falls du den meinst", entgegnete der andere hilfsbereit. Verzweifelt blickte Nerina um sich, dann entdeckte sie vor dem Fenster wieder den roten Reisebus, der gerade die Türen schloss. 'Vertania-Linie', las sie in großen, blauen Buchstaben auf seiner Flanke, 'Alle Halte'. "Wir müssen nach Eichholzheim im Vertania-Wald!", rief sie rasch und stürzte in Richtung der Tür davon, Neru schaffte es gerade noch, ihr zu folgen...

"Na der Typ hat vielleicht genervt!", presste Neru durch zusammengebissene Zähne, als sie sich wenige Minuten später keuchend an einen der kaugummi-verschmierten Tische des Bahnhofs-MacDonalds setzten. "Kann man wohl sagen", brummte Texomon und befingerte peinlich berührt sein markantes, rotes Horn. Seinen Zorn auf Neru schien er bereits wieder vergessen zu haben, leider nebst seines Schweigegelübdes, wie es schien, doch in dem vollgestopften Fastfood-Restaurant achtete glücklicherweise niemand auf sie. Nerina starrte nur nachdenklich vor sich hin. Der Zwischenfall war weniger nervig denn beschämend gewesen und immernoch klopfte ihr das Herz bis zum Hals. "Finde ich gar nicht", verkündete Evoli in diesem Augenblick mit leiser Stimme, dafür jeden thronte sie hoch erhobenen Hauptes und mit gebauschtem Schwanz auf dem Tisch in ihrer Mitte, "Ich meine, er kann doch nichts dafür, dass er aus Eden ist! Du an seiner Stelle wärst sicher auch sehr neugierig, Neru!" "Dann soll er in Eden bleiben", brummte Neru gereizt, stand auf und reihte sich in die Schlange der wartenden ein. Zu Nerinas Verwunderung folgte Evoli ihm diesmal nicht, sondern blieb ungerührt hocken und starrte erwartungsvoll in Nerinas Gesicht. Diese nickte seufzend. "Ich fürchte, du hast recht", sagte sie leise, "Er wirkte einfach nur ehrlich interessiert. Trotzdem ist es schlecht, dass das passiert ist. Wenn er es herumerzählt... Definitiv brauchen wir eine neue Story für dich, Texomon... Vielleicht kann ich ja sagen, ich hätte dich einfach so verlassen im Hafen von Zinobia rumsträunern sehen und hätte keine Ahnung, wo der herkommst." "Klingt nicht unbedingt stichhaltiger", brummte Neru, stellte sein Tablett vor ihr ab und ließ sich seufzend auf seinen Stuhl sinken, "Jedenfalls müssen wir hyper-vorsichtig sein, bis wir in Anemonia sind, habt ihr das verstanden! Nicht, dass wir dem nochmal über den Weg laufen!" "Versprochen!", riefen Texomon und Evoli wie aus einem Mund, ehe sie sich über das duftende Essen hermachten. Evoli war mit ihren kleinen Pfoten äußerst gewitzt darin, Neru die Pommes unter den Fingern wegzuklauen und Texomon bließ begeistert Luftblasen durch den Strohhalm des Kola-Bechers, bis ihm eine kleine Stichflamme herausrutschte, die Strohhalm und Deckel kurzerhand schmelzen ließ und die Kola selbst zum Kochen brachte. Heißer Dampf stieg ihm in die Nüstern und hustend schreckte er zurück, wobei er den qualmenden Becher umstieß und das kochende Zeug sich in einem Sturzbach über den Boden ergoss. "Tschuldige!", rief er und schlug erschrocken die Hände vor die Augen, "Ich hatte das mit der Glut total vergessen!" Seufzend, jedoch ohne ein weiteres Wort stand Nerina auf, um Servietten zu holen... Sie hoffte, die beiden Iramon hätten aus der Panne gelernt, doch das Gegenteil war der Fall. Kaum hatten sie die Einkaufspassage hinter dem Bahnhof betreten, um ihre Reisevorräte aufzustocken und sich noch ein wenig die Zeit zu vertreiben, als das Gequengel schon wieder einsetzte. Texomon wollte unbedingt die strahlenden Postkartenbilder ansehen, die ein Geschäft ausstellte. "Was ist da drauf!", piepte Evoli ärgerlich, doch Texomon streckte ihr nur die schwarze Zunge heraus. "Kannst ja die unterste Reihe durchsehen, dann muss ich mich nicht bücken", neckte er. Evoli fauchte ärgerlich und sprang eifrig an Nerus Bein hoch, doch als er sie nicht aufhob, begann ihr Fell unheilvoll blau zu glimmen und im nächsten Augenblick stand das große, hüfthohe Aquana zwischen ihnen. "Na warte, du halbe Portion", schnurrte es zufrieden und Texomon flitzte davon, geradewegs zwischen einige, drehbaren Stände mit nobel aussehenden T-Shirts. Nerina schloss ergeben die Augen und Neru stöhnte auf, als alles, was Texomons Klauen verschont hatten, Aquanas wild peitschendem Fischschwanz zum Opfer fiel. "Aquana!", rief er zornig, "Komm her!" Wenigstens besaß Aquana genug Anstand, nicht mit einem lauten "Okay!" zu antworten. Stattdessen machte sie einen grazilen Bocksprung über ein brusthohes Bücherregal. Ihre Schwanzflosse ließ die etwa hundert Werke des obersten Brettes wie Dominosteine zu Boden klatschen, während Texomon sich in einen dicken Wollpulli verkrochen hatte, der nun mit langen Sprüngen und wild hinter ihm herwedelnden Ärmeln im Slalom davonhüpfte, erst von der Theke der Bäckerei gestoppt wurde, sich quietschend überkugelte und sein unglückseliger Träger der Länge lang in Nusshörnchen und Puddingbrezeln landete. Nerina wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte...

Sie war heilfroh, als der langersehnte Zug endlich vorfuhr und sie und Neru mit müden Gesichtern das struppige Evoli und das in der Damentoilette unter dem Wasserhahn geduschte Texomon, das immernoch über Seife in den Augen jammerte, in ein ruhiges Abteil bugsierten. "Oh mann!", ächzte sie, als sich die Abteiltür endlich hinter ihnen schloss und drückte Texomon unsanft auf den Platz am Fenster, nur um sich entkräftet neben ihn fallen zu lassen, "Ihr zwei habt echt die Manieren des Dschungels! Wie soll man euch denn so mit unter Menschen nehmen?" "Tschuldigung", murmelten beide wie aus einem Mund und tatsächlich schienen sie für einige Minuten friedlich zu sein, sodass Nerina Gelegenheit fand, die Augen zu schließen. Sie erwachte von einem lauten Knacken über ihr, gefolgt von Texomons erschrockenen Aufschrei. Im nächsten Augenblick landete er schwer auf ihrem Schoß und schnüffelte besorgt an dem Stückchen Holz in seinen Krallen. "Texomon!", fuhr Nerina ihn erschrocken an, "Was hast du denn nun schon wieder angestellt?" "Er wollte in die Gepäckablage klettern", brummte Neru missbilligend von der anderen Seite, "Dummerweise hat die Leiste nachgegeben..." "Och Texomon!", brummte Nerina verdrießlich, während der kleine Drache protestierend hinaufsah. "Evoli liegt schon seit Stunden da oben!", meckerte er, "Und sie sagt, dass sie dann nicht in den Ball muss, wenn der Schaffner kommt, weil er sie da oben nicht sieht!" "Tja, ich kann ja schließlich nichts dafür, dass du so groß und fett bist", entgegnete Evoli frech und ließ ein Ohr über die Kante lugen. "Das reicht Evoli!", rief Neru zornig, "Auch du kommst da runter! Gleiches recht für alle!" Maulend gehorchte Evoli, doch Nerina hatte kaum einen ihrer neuerstandenen Äpfel ausgepackt, als Texomon neben ihr zu Knurren begann. "Du bist ja schon wieder da oben!", rief er wütend. "Was denn? Ich bin hier!", fauchte Evoli unter Nerus Sitz hervor, "Du hast doch gehört, dass ich wegen deiner Tollpatschigkeit jetzt unten bleiben muss!" "Aber wer ist dann...", begannen Nerina und Texomon, wie aus einem Munde. Das Evoli über ihren Köpfen wackelte mit den Ohren, streckte genüsslich die Glieder und rollte sich dann bequem auf die Seite. Neru runzelte die Stirn. "Na, das würd ich auch mal gerne wissen. Vielleicht ein fremdes Evoli? Hee, du? Wem gehörst du?" Langsam stand er auf und streckte die Hände nach dem kleinen, pelzigen Wesen aus, als es sich in einem Rauchwölkchen auflöste und gleich darauf auf dem Tisch unter dem Fenster wieder erschien. "Verrückt!", stieß Nerina verblüfft aus, "Es kann Teleport!" "Nein, es kann Doppelteam", sagte jemand von der Tür her und eine wohlvertraute Gestalt betrat das Abteil. Der Junge aus Eden war genauso plötzlich aufgetaucht, wie vorhin und mit einem ebenso höflichen Lächeln setzte er sich auf den freien Platz neben Neru. "Es projiziert einen Doppelgänger von sich selbst an einen anderen Punkt des Raumes. Wenn du die Attacke noch nicht bei ihm gesehen hast, muss es sehr talentiert sein, gleich beim ersten Mal eine so echte Kopie zu erzeugen! Mein Sengo hat fast eine Woche geübt, bis es ein Ding hingekriegt hat, das auch nur annähernd wie ein Zweibeiner aussah!" "Doppelteam!", sagte Neru, zu verdutzt über die neue Fähigkeit seines kleinen Iramon, um sich über das Erscheinen des anderen Jungen wundern zu können, "Na, das wird mal noch praktisch werden im Kampf!"

Nun, da die Basis des Gespräches nicht das unglückliche Texomon war, stellte sich der Junge als recht nett heraus. Er hieß Mando, stammte aus einem kleinen Dorf im Vertania-Wald und war vor zwei Jahren von Zuhause weggegangen, um seine Trainerkarriere in Eden zu beginnen. "Mein Vater wollte nicht, dass ich Trainer werde", erzählte er schulterzuckend, "Also hab ich fast ein halbes Jahr bei den Flößern geholfen und mir die Schiffskarte nach Eden gekauft. Jetzt, wo die Liga rum ist, wollte ich aber doch die alte Heimat mal wieder sehen..." Er erzählte auch, dass er die meisten seiner Pokemon in Eden zurückgelassen hatte, nur seinen Starter, Reptain, hatte er natürlich mit sich nehmen wollen. Wie um seine Worte zu unterstreichen, löste sich aus einem der Pokebälle plötzlich ein Lichtblitz und ein zweibeiniges Pflanzenpokemon mit blättergeschmückten Armen und einer langen Blattklinge am Kopf erschien zwischen ihnen. Neugierig schnupperte es an Nerinas ausgestreckter Hand. "Reptain!", rief es und schickte sich an, dem Apfelgeruch folgend, auf ihren Schoß zu klettern, um den leckerriechenden Rucksack zu erreichen. Es kam allerdings nicht weit. "Lass sie in Ruhe!", fauchte Texomon erbost und stieß das fremde Pokemon eiligst zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Schweigen, dann schoss Evoli vor und schnappte ärgerlich nach seiner Schwanzspitze. "Wir sollen nicht reden! Das ist zu gefährlich", quäkte sie, bevor sie selbst erschrocken zur Salzsäule erstarrte. Nerina hätte vor Scham in ihrem Sitz versinken mögen und während sie noch zu sehr damit beschäftigt war, knallrot zu werden, stammelte Neru bereits eine Entschuldigung nach der anderen. Mando jedoch lächelte nur. "Ich hatte mir schon gedacht, dass mit euren beiden Pokemon was nicht stimmt", sagte er ruhig und weniger überrascht, als es Nerina lieb gewesen wäre, "Drüben in Eden habe ich mal ein Mauzi gesehen, das sprechen konnte... und sie sehen doch beide recht auffällig aus, besonders Texomon." "Wie meinst du das?", fragte Neru perplex und presste Evoli instinktiv an sich, "Sie ist ein ganz normales Evoli..." "Naja", erwiderte Mando schulterzuckend, drückte Reptain auf den Sitz neben sich und ging selbst vor Evoli in die Hocke, um sie genauer zu mustern, "Im Prinzip schon, wenn man mal von den weißen Pfoten absieht, aber Farbfehler passieren häufig, vor allem bei Pokemon mit so anpassungsfähiger DNA... Ihre Mähne ist kräftiger und sie ist insgesamt recht groß für ein Evoli, aber das ist es nicht, was ich meinte. Ich hab einfach gesehen, wie sie dich ansieht, wie aufmerksam sie ist..." "Zugegeben...", murmelte Neru mit gesenktem Blick, offenbar hatte er Evolis Farbfehler selbst noch gar nicht bemerkt. Eine peinliche Stille entstand, nachdem Mando sich wieder auf seinen Platz gesetzt hatte. Nerina begann in Gedanken bereits, eine panische Email an Professor Eich zu formulieren: 'Wir sind aufgeflogen! Hilfe! Gringo wird bestimmt nach uns suchen lassen!' Doch dann zuckte Mando nur mit den Schultern. "Aber ich wollte euch gar nicht schon wieder nerven", sagte er wohl selbst etwas verlegen, "Eigentlich wollte ich nur fragen, ob ihr noch 'nen Pokeriegel für Reptain übrig hättet. Dummerweise hatte ich in Azuria keine Zeit mehr, zum Pokemon-Center zu gehen..." "Dass Texomon und Evoli... naja... sprechen können", begann Nerina zögernd, während sie dem hungrigen Reptain ihren kompletten Vorrat an Pokeriegeln in den Rachen stopfte, "Das sollte eigentlich keiner wissen... und, dass Texomons in Eden nicht bekannt sind, lieber auch nicht. Unser Vater ist wirklich Pokemonforscher und die zwei sind seine Züchtung, aber er möchte nicht, dass das bekannt wird, weil..." "weil er sonst Züchtergebühren zahlen müsste", sprang Neru rasch ein, "Und die bezahlt er nur für Endivies, Kanimarnis und Schiggies. Die beiden waren... 'n Unfall." Mandos Augen blitzten amüsiert auf. "Keine Sorge", sagte er ehrlich überrascht ob ihrer Sorge, "Euer Geheimnis ist bei mir sicher. Ich fand die zwei lediglich interessant... Hee, wollen wir nicht zusammen in das Anemonia-Hafen-Center gehen? Ich hab gehört, dass sie da für Trainer kostenlose Zimmer haben und sogar richtige Computer mit Internet!"
 

>>>Neru<<<
 

"Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?", fauchte Neru Evoli an, "Wir sind komplett aufgeflogen. Das wir noch nicht von Gringos Leuten verhaftet wurden, ist ein wahrer Glücksgriff!" Bekümmert machte sich Evoli ganz klein. "Mir tut das ganze schrecklich leid!", murmelte Texomon, der schon ganz klein war und versuchte, sich wieder mit Nerina zu versöhnen, doch die war ebenso genervt wie Neru und warf nur ein Kissen nach ihm. Texomon fing es ohne Probleme auf, doch warf er es nicht zurück. Zu arg hatte die beiden Iramon die Kritik getroffen, die ihre Trainer an ihnen übten. "Ich werd mir mehr Mühe geben!", versprach Evoli, "Kein Wort mehr, wenn wir nicht alleine sind! Versprochen!" "Ach, versprich nicht Sachen, die du nicht halten kannst", murrte Neru und ließ sich ein wenig besänftigt aufs Bett fallen. Er ließ zu, dass sich Evoli auf seinem Knie zusammenrollte. "Aber keine Fangenspiele mehr in Einkaufszentren, okay?" Dabei sah er sowohl Evoli als auch Texomon an. "Nie wieder!", schworen die beiden und Neru seufzte zufrieden, wohl wissend, dass er gerade dem Meer das Versprechen abgenommen hatte, keine Wellen mehr zu schlagen. "Also gut, wir haben noch eine Stunde Zeit, bis Mando zurück kommt. Wir können nicht mit Eich telefonieren oder einen Plan machen, wenn diese Klette in der Nähe ist." "Also, ich finde ihn nett", widersprach Nerina und Neru funkelte sie an, weil sie ihn unterbrochen hatte. "Ja, er ist ja ganz nett", gab er zu und wandte sich wieder dem Pokedex zu. Nerina knuffte Evoli in den Bauch. "Guck mal, wie er sich aufbläst, wie ein Feldwebel." Neru wurde rot im Gesicht und gab Nerina den Pokedex. "Da, Miss Superschlau, wenn du glaubst, du kannst das besser als ich." Texomon und Evoli sahen belustigt vom einen zum andern. "Guck mal, die streiten auch!", gluckste Texomon. "Statt uns zu freuen, sollten wir lieber schauen, dass sie sich wieder vertragen", meinte Evoli. Doch Nerina schüttelte nur lachend den Kopf. "Das ist in Ordnung, der braucht das manchmal." "Braucht er gar nicht", murrte Neru und streckte sich der Länge lang auf dem Bett aus, "Also, rufst du nun Eich an oder nicht?" "Bin dir schon einen Schritt voraus", sagte Nerina, während das Tuten des Telefons aus dem Pokedex drang. Nach dem sie Eich begrüßt hatten, zeigte sich dieser nicht sonderlich beunruhigt bei dem Gedanken, dass sie aufgeflogen sein könnten. "Man kann nicht verhindern, dass man die beiden erkennt", meinte er, "Aber ihr müsst versuchen, diesen Zeitpunkt so lange wie möglich hinauszuzögern. Man wird euch suchen, wenn erstmal bekannt ist, dass ihr keine normalen Pokemon dabei habt. Dafür haben wir auch, wenn sie auch nicht unbedingt gut sind, Nachrichten für euch. Wir wissen nun mit Gewissheit, dass sich der Feuermeister in der Schwarzen Zitadelle aufhält." "Was ist das eigentlich für ein Ort?", fragte Nerina. "Ich glaube, ein gutes Gefängnis", meinte Neru, "Es soll auf den Strudelinseln liegen." "Richtig", sagte Eich, "Das unterseeische Gefängnis der Strudelinseln. Komplett ausbruchsicher, wenn du keine Wasserpokemon hast. Aber auch mit Wasserpokemon sollte es schwierig werden, da unten einzudringen." "Wie sollen wir das anstellen?", fragte Nerina. "Ich kann euch leider keinen Rat geben. Ihr müsst alleine klarkommen", meinte Eich, "Ich hab im Internet schon versucht, ein paar Pläne zu bekommen, doch das ist schwieriger als gedacht. Den Bauplan eines Gefängnisses bekommt man nicht bei der Google Bilder suche, aber ich und meine Spezialisten bleiben dran. Vielleicht könnt ihr ja in den Bibliotheken von Anemonia City was herausfinden. Wenn wir irgendetwas herausfinden, werden wir es euch wissen lassen."

"Na, das ist ja überragend viel Neues", meinte Neru, als sie das Gespräch beendet hatten, "Das Gefängnis liegt unterwasser. Wie es aussieht, wissen wir nicht, wie wir runterkommen, auch nicht und, wo dieser Feuermeister ist, erst recht nicht." "Naja, wir haben immerhin Wasserpokemon. Die können runter, aber unterwasser atmen kann ich leider auch nicht", erwiderte Nerina hoffnungsvoll. Die beiden Iramon sahen sich ratlos an. "Vielleicht sollten wir wirklich erstmal in diese Bibliothek gehen. Das muss ein toller Ort sein", meinte Texomon begeistert.

"Boah, das ist aber groß!", sagte Evoli und fing sich damit einen bitterbösen Blick von Neru ein. "Komm schon, Evoli, auch du kannst die Klappe halten!", sprang Nerina schnell dazwischen. Neru brummte nur etwas Unverständliches. Er war immer noch ein wenig grantig, während Nerina anfing, den beiden Iramon von der Bibliothek zu erzählen. "In einer Bibliothek werden Bücher und alte Pläne und Dokumentationen aufbewahrt", erklärte sie, "Man kann sie dort dann einsehen und in ihr lernen." "Das klingt super spannend. Vielleicht finden wir ja hier etwas heraus." Texomon tänzelte begeistert einmal um die Gruppe herum, während Evoli ihm einen Skeptischen Blick zuwarf. "Und wie sollen wir das anstellen?" fragte sie schnippisch. "Du kannst noch nicht mal lesen und ich komm nicht an die Regale." "Was?", Neru hielt inne und vergaß völlig, böse darüber zu sein, dass die beiden wieder in der Öffentlichkeit sprachen. "Neru", zischte ihn Nerina an, "Die Leute gucken schon." "Jaja!" Neru ging hastig weiter, die Iramon und seine Schwester auf den Fersen. "Wow! Das sind aber viele Bücher!", murmelte Texomon und hielt sich dann selbst die Schnauze zu, ehe Neru ihm wieder einen bösen Blick zuwerfen konnte. Neru rollte nur mit den Augen. Allmählich bekam er das Gefühl, dass die Iramon sich absichtlich verplapperten. Das war natürlich Unsinn, aber dennoch konnte er sich nicht gegen den Gedanken wehren, wenn man die Häufigkeit bedachte, mit der die beiden redeten. Andererseits musste man natürlich auch bedenken, wie aufregend diese Stadt für die beiden sein musste. Sie hatten immerhin bis jetzt nur das Labor, die Pokemon-Center und Arena und ansonsten nur die schöne und weite Natur gesehen. Woher sollten sie also wissen, wie man sich in einer Stadt verhielt. Und wo sollten sie gelernt haben, leise zu sein, wenn es doch so viele spannende Dinge zu entdecken gab. Neru hoffte lediglich, dass die Iramon ruhiger werden würden, wenn sie erstmal vertrauter mit der Stadt sein würden. Das Beste würde also sein, ihnen möglichst viele Fragen schon zu beantworten, bevor sie sie stellten. Sogleich begann Neru, einen Vortrag über die Bibliothek, über die unterschiedlichen Kategorien, in denen man suchen konnte, dass man auch Computer zu Hilfe nehmen konnte, um das richtige Buch zu finden und so weiter. Die Iramon lauschten gebannt seinen Ausführungen, bis sie selbst bei einem solchen Computer angekommen waren und Neru und Nerina mit Stirnrunzeln einen Suchbegriff nach dem anderen ausprobierten und sich hin und wieder auf einem der Bibliothekszettel Notizen machten. Eine Zeile, die der Computer ihnen ausgespuckt hatte, schien den beiden besonders zu gefallen, denn Neru zeigte darauf und Nerina warf erst einen Blick auf die Iramon und dann nickte sie. Kurz darauf waren die beiden Iramon mit Kopfhörern ausgestattet und vor einen abgelegenen Computerbildschirm gesetzt worden, um sich eine Dokumentation über die Strudelinseln und ihre Rätsel anzusehen, während Nerina und Neru die Pläne der Inseln und ihrer größeren Bauwerke im Speziellen durchgingen. "Hast du schon was?", fragte Neru seine Schwester über den Tisch hinweg. Sie waren jetzt seit bestimmt schon zwei Stunden am Suchen und hatten noch immer nichts gefunden. Die Iramon waren schon bei ihrer dritten Dokumentation angekommen, in der es viel mehr um Wassersport, als um die Strudelinseln ging, obwohl der Titel etwas anderes verhießen hatte. Neru ließ den Blick über den Tisch wandern. Dutzende von Büchern und Pergamentrollen, große Atlanten und Karten waren auf ihm ausgebreitet und noch in keinem der Bücher hatten sie auch nur eine Andeutung auf das Gefängnis, geschweige denn eine genaue Beschreibung nebst Bauplan gefunden. Nerina blätterte mit roten Augen und gelangweilter Miene ein Buch über die größten Bauwerke des 20. Jahrhunderts durch. "Nein, leider noch nichts. Aber wenn du was über die Freiheitsstatue wissen willst, oder über die London Bridge, oder hier wie wäre es mit der Brücke von San Francisco?" Neru lachte und machte sich selbst auch wieder an die Arbeit. Er hatte gerade einen Bericht in einer Zeitung über die Eindämmung des Fährverkehrs wegen des Baus des Gefängnisses, da stieß er auf den ersten Hinweis. Es hieß dort, dass der Fährverkehr wegen des Baus eingedämmt werden musste, weil sich genau unter der Hafenausfahrt der Strudelinseln das Gefängnis befand. Gerade wollte Neru Nerina über seine Entdeckung aufklären, als auch sie ausrief: "Ich hab was. Hier schau mal", strahlte sie ihn an und hielt ihm einen dicken Wälzer über Architektur unter die Nase. 'Unterseeische Gebäude Einer der größten Menschheitsträume beschäftigt sich damit, wie es möglich ist, ein Gebäude komplett unter Wasser zu bauen. Schon viele Architekten haben sich mit dieser Problemstellung auseinandergesetzt und viele Bauwerke sind schon in katastrophalen Unfällen zerstört worden. Eines der Hauptprobleme bei der Errichtung von Gebäuden unter Wasser liegt, nicht wie man annehmen sollte in den unterschiedlichen Druckverhältnissen und den daraus resultierenden mathematischen und statischen Problemen, sondern viel mehr, wie man ohne Taucherausrüstung in ein solches Gebäude kommen soll. Auch die Sauerstoffversorgung ist ein nicht eben leicht zu lösendes Problem, an dessen Lösung Spezialisten auf der ganzen Welt forschen. Im Augenblick scheint ein Konzept eines schlauchartigen Fahrstuhls, der sich so dem Wellen- und Seegang, sowie den Gezeiten anpassen kann, am sinnvollsten, wenn auch ein unterseeisches Gebäude nie komplett autonom von der Oberfläche agieren kann, da es immernoch auf eine Sauerstoffversorgung angewiesen ist. Führende Forscher gehen davon aus, dass das Überleben auf dem Meeresgrund für die Menschheit in Zukunft...'

"Das ist echt interessant", staunte Neru, "Kannst du davon schnell eine kleine Abschrift machen? Ich hab hier auch eine Kleinigkeit gefunden." und er zeigte Nerina den Artikel, den er in der Zeitung von vor zehn Jahren gefunden hatte. "Kein Wunder, dass ich nichts über das Gebäude gefunden habe", murrte sie, "Ich hab in der falschen Epoche gesucht." "Mach dir nichts draus", versuchte Neru, sie zu trösten, während er die ganzen Bücher auf einen der Bibliothekswagen lud und die Iramon von den Kopfhörern erlöste. Es hatte wirklich perfekt geklappt. Während sie nur zuhören konnten, konnten sie sich nicht unterhalten und abgelenkt waren sie auch noch gewesen. So hatten sie wenigstens, bis auf ein paar Bücher, die Texomon mit seinem Schwanz heruntergewischt hatte, keinen Schaden in der Bibliothek angerichtet. "Mir brummt der Schädel", meinte Nerina, die nach dem ganzen Lesen wirklich ziemlich fertig aussah. "Ich hab Hunger", beschwerte sich Texomon. Neru war bester Laune. Sie hatten immerhin etwas herausgefunden. "Wir treffen uns in einer Viertelstunde unten am Strand. Ich geb eine Runde Fisch mit Pommes aus. Dann können wir in Ruhe besprechen, was wir herausgefunden haben", meinte Neru mit einem Blick auf die schon tiefstehende Sonne, "Ein Abendessen dürfte uns allen nicht schaden. Kommst du Evoli?" Begeistert sprang Evoli ihm auf den Arm und kletterte auf seine Schulter, während er schon in Richtung des Fischladens davon joggte.
 

>>>Nerina<<<
 

"Diese Filme waren wirklich interessant!", erzählte Texomon überschäumend vor Energie, während er neben Nerina her die breite Hafenstraße entlangtrottete, "Wusstest du, dass es insgesamt 64 Strudelinseln gibt, von denen aber nur sieben wirklich bewohnt sind? Also, von Menschen, nehme ich an, denn auf den anderen Inseln wimmelte es von Taubsi, Habitak und allen möglichen Wasserpokemon..." "Ja, das ist spannend", entgegnete Nerina, ohne wirklich zuzuhören. Ihr Kopf schwirrte noch von den vielen Fakten und Bauplänen in dem Architekturbuch, die so viel und gleichzeitig gar nichts aussagten. Alles in allem ließ sich sagen, dass die sogenannte Zitadelle wohl ein einziger, kompakter Würfel aus Panzerstahl war, dessen einziger Eingang der bewegliche Fahrstuhlschacht darstellte. Natürlich gab es noch einige Luftschächte, doch auch die waren zumeist gut gesichert. Die Aufgabe, ungesehen in diesen Klotz hineinzukommen, erschien ihr nahezu unmöglich zu sein. Müde ließ sie ihren Blick über den Quai und die kleinen Sportboote gleiten, die munter vor ihnen im Hafenbecken schaukelten. Weiter hinten entdeckte sie einen großen, leeren Anlegesteg. "Ob da drüben wohl die Fähre auf die Inseln ablegt?", fragte sie gedankenverloren. Texomon sah sie ein wenig beleidigt an, brummte dann aber ein "wahrscheinlich", während er ihr missmutig durch die Menschenmenge auf dem Quai folgte. Der Eingangsbereich des Steigers war durch eine Eisenkette abgesperrt, an einem der Pfosten, die sie hielten, fand Nerina ein großes, blaues Schild. "Anlegestelle der 'Blauer Stern', Fahrten nach Safira: Zwischen 9 und 17 Uhr alle 30 Minuten, von 17 bis 21 Uhr alle 60 Minuten. Ticketverkauf im Hafenkiosk. Hinweis: Des Einführen von Pokemon sämtlicher Art, ob frei oder in ihren Bällen ist untersagt. Strafen bis zu 10000 Dollar." "Na, was ist das denn für ein Unfug!", fauchte Texomon aufgebracht, "Warum sind Pokemon da drüben verboten! Das ist ungerecht!" "Vielleicht, damit die Inseln für Trainer uninteressant werden?", mutmaßte Nerina schulternzuckend, "Ich meine, ohne deine eigenen Pokemon kannst du immerhin auch keine dort fangen!" "Oder ist es wegen dieser Zitadelle?" Texomon legte nachdenklich die Stirn in Falten, was bei ihm reichlich merkwürdig aussah, "Vielleicht fürchten sie sich ja vor Wasserpokemon!" "Eher unwahrscheinlich", entgegnete Nerina seufzend, "Ich meine, auf den Strudelinseln leben so viele wilde Jurob, Lahmus, Flegmon, Seemon und Karpador. Wie sollen sie verhindern, dass die dort in die Nähe kommen." "Wilde Pokemon sind ja nicht weiter gefährlich", widersprach Texomon eifrig, "Ist nur die Frage, wie sie verhindern wollen, dass Trainer einfach auf ihren zahmen Pokemon dort hinüberreiten..." "Gar nicht, solange ihr nicht nach Safira wollt", sagte jemand plötzlich und wieder trat Mando einfach so aus den Schatten der Hafenmauer, "Der Hafen dort wird mit Unterwasserkameras überwacht und sie haben eine ganze Herde an Schillok dort, die jedes Pokemon sofort vertreiben." Nerina warf ihm einen finsteren Blick zu. "Sag mal, schleichst du uns eigentlich nach? Ich hab seltenst Leute so häufig zufällig getroffen!" Mando druckste ein wenig herum. "Naja, nein, also nicht so richtig. Nur hatten wir uns doch um fünf im Hafen-Center verabredet und als ihr um halb sechs immer noch nicht da wart, habe ich gedacht, ich schau mal hier unten nach ... und dann hab ich dich und Texomon nur vorhin durch den Hafen laufen sehen." Erschrocken sah Nerina zur Uhr. "Oh verdammt! Du hast ja recht! Oh Gott, das müssen wir total vergessen haben!" "Ist ja nicht schlimm", sagte Mando lächelnd, während sie zu dritt die Promenade entlang in Richtung Strand schlenderten, "Ihr wollt also auf die Strudelinseln?" Nerina nickte. "Naja, wir wollten sie uns mal ansehen, wo wir schonmal in der Ecke sind. Außerdem wussten wir nicht, dass man wohl keine Wasserpokemon mehr dort fangen kann." Mando warf ihr einen fragenden Blick zu. "Darfst du schon, wie gesagt", erwiderte er, "Bloß eben nicht auf der Hauptinsel selber. Du musst also entweder schon Wasserpokemon haben, um dorthin zu kommen oder eins von den Wassertaxis bezahlen. Nur Safira ist totales Sperrgebiet. Ich hab vorhin im Kiosk gefragt, weil ich mir ja zu gerne ein Sterndu oder wenigstens Krabby gefangen hätte." Texomon hielt sich stumm an Nerinas Seite, bis sie den vereinbarten Punkt am Strand erreicht hatten, wo Neru schon ungeduldig auf sie wartete. Als er Mando sah, verengten sich seine Augen zu Schlitzen, doch rasch hatte er sich wieder unter Kontrolle und während die beiden Jungen rasch in eine Fachsimpelei über die unterschiedliche Programmierung ihrer Pokedexe verfielen, zupfte Texomon Nerina am Ärmel. 'Komm mal mit', hörte sie das zischelnde Flüstern in ihren Gedanken und mit einer gemurmelten Entschuldigung stand sie auf und folgte ihm hinab an die Brandung, wo das Rauschen der Wellen ihre Worte überlagerte. "In der Doku haben sie gesagt, dass es Höhlen geben soll", sagte er hastig, "Höhlen im Gestein der Inseln selbst, mächtige Labyrinthe und sogar unterirdische Flüsse. Vielleicht gibt es die ja auch auf Safira, dann könnten wir uns sozusagen unterirdisch an diesen Hafen anschleichen. Ich denke, wenn wir erstmal dort sind und uns ein Bild der Lage machen können, ist es leichter, einen Schlachtplan zu machen." "Meinst du nicht, wir könnten einfach auf eine der anderen Inseln gehen?", fragte Nerina, nicht ganz sicher, worauf er hinauswollte, doch Texomon schüttelte den Kopf. "Safira liegt ziemlich abgeschieden von den anderen Gruppen. Wir würden jeden Tag mehr als zehn Kilometer schwimmen müssen und das auch noch ungesehen - nein, das Risiko gehen wir lieber nur einmal ein!" "Dann meinst du, wir könnten nachts rüberschwimmen, uns eine geeignete Höhle suchen und dort unser Lager aufschlagen?" Texomon nickte. "Ja genau", sagte er begeistert, "Ich dachte, ich könnte heute Nacht mal rüberschwimmen - im weiten Bogen um Safira herum, natürlich", warf er rasch ein, als Nerina ihm einen ermahnenden Blick zuwarf, "Vielleicht kann ich eins der wilden Jurob oder Karpador fragen, ob die eine geeignete Höhle kennen. Immerhin haben sie früher mal auf Safira gelebt. Dann könnte ich euch morgen Abend führen - und wenn's nicht klappt, können die Wasserpokemon auch nichts verraten. Was meinst du?" "Klingt vernünftig...", gab Nerina gezwungenermaßen zu, griff aber gleichzeitig nach Texomons Hand, "Aber was, wenn dich jemand erwischt? Wenn dir etwas passiert? Vielleicht sollte ich lieber mitgehen!" "Nein nein", erwiderte Texomon tapfer, "Wenn ich alleine schwimme, kann ich tief tauchen und keiner wird mich sehen! Keine Angst, Nerina! Ich suche keinen Streit und werde mich von allem fernhalten, was Ärger macht." "Na, ich weiß nicht", entgegnete Nerina, noch nicht sonderlich überzeugt, "So, wie du gestern im Bahnhof draufwarst..." Texomon zuckte zurück, als habe sie ihm in den Bauch getreten. "Das tut mir schrecklich leid", sagte er kleinlaut, "Aber diesmal werd ich es besser machen! Versprochen, Nerina! Vertrau mir! Ich werde nicht kämpfen und niemanden ärgern und auch kein Wort sagen, wenn ich jemanden sehe!" "Wie willst du sie dann befragen?" Texomon boxte ihr ärgerlich eine Faust in die Seite. "Du weißt doch, wie ich das meine!", brummte er, "Nur mit Wasserpokemon, wenn ganz bestimmt keine Menschen da sind! Gibst du mir die Kraft zur Evotation?" Nerina seufzte tief, dann legte sie zwei Finger an den Stein, genau, wie Dew es ihr erklärt hatte und konzentrierte sich auf das feine Pochen, dass durch ihre Fingerspitzen prickelte. Sie fühlte die Schwingungen, fühlte sie, wie die Wellen des Wassers. Ja, sie sah sie vor sich, große, grüne Berge aus gläsernem Wasser, wie sie sich auftürmten und wieder verebbten, auftürmten... und wie ein Sturm schob Nerinas Willen die Brecher aufeinander zu, vereinigte sie zu einer gigantischen Flutwelle... Als sie die Augen wieder öffnete, lag Seedraking ruhig vor ihr im knietiefen Wasser, seine meerblauen Augen glitzerten geheimnisvoll im Licht des aufgehenden Mondes. "Danke, Nerina", sagte das Drachenpokemon mit seiner mächtigen Stimme, "Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein und schnell und tief schwimmen werde." "Wann bist du jeder zurück?", fragte Nerina ängstlich, lief zu ihm und presste die Wange an seine kühlen, glatten Schuppen. Ein mächtiges Schnurren durchlief Seedrakings gewaltigen Körper und es wand sich beschützend um sie. "Wenn der Mond versinkt", sagte er dann, "Wirst du auf mich warten?" "Natürlich - und bitte, pass auf dich auf!"

"Wo hast du Texomon gelassen?", fragte Neru verblüfft, als Nerina mit traurig hängenden Schultern über die Düne zu ihm und Mando zurückgestapft kam. Sie zuckte die Schultern. "Er wollte noch eine Runde schwimmen gehen", erwiderte sie ausweichend, "Ich glaube, er hatte gestern und heute nicht genug Bewegung."

"Frechheit, dass er das einfach allein durchzieht, ohne mir bescheid zu sagen!", beschwerte sich Evoli erbost, als sie wenig später wieder unter sich in ihrem Zimmer hockten und tigerte ruhelos zwischen dem Stockbett und dem Fenster auf und ab, "Ich meine, wir hätten doch zusammen rausschwimmen können! Warum muss er sich eigentlich dauernd eine Extrawurst braten?" "Vielleicht, weil du Vegetarier bist?", fragte Nerina bissig. Texomons Ausflug machte ihr mehr Sorge, als sie zugeben mochte. Was, wenn ihm etwas zustieß? Wenn jemand ihn fangen wollte oder er sich doch verplapperte? "Nerina!", rief Neru scharf und seine Schwester zuckte zurück. "Tut mir leid", nuschelte sie seufzend, "Ich finde die Idee durchaus vernünftig und auch, dass du bei uns geblieben bist, Evoli. Du könntest da draußen vermutlich kaum viel mehr ausrichten als Seedraking und so kannst du immerhin auf uns aufpassen, wenn irgendwas ist. Trotzdem mach' ich mir sorgen", fügte sie noch leise hinzu, während Evoli sich schon stolz in die Brust warf und gleich zwei Doppelgänger erzeugte, die in akkurater Geistermanier hinter ihr herschritten. Neru nickte seufzend. "Er ist sehr selbstständig, dein Drache", sagte er leise, "Und der Plan ist durchaus nicht übel. Wenn wir in einer dieser Höhlen unser Lager aufschlagen, kriegen wir sicher mehr heraus, als wenn wir nur hier herumsitzen und uns von dieser Klette nerven lassen. Wo hat der dich eigentlich vorhin schon wieder aufgegabelt?" "Am Fährensteiger", erzählte Nerina hilflos, "Ich finde ihn echt okay, aber er scheint ziemlich verzweifelt nach Anschluss zu suchen. Wenn wir einfach eine normale Tour machen würden..." "Machen wir aber nicht", schnappte Neru, "Wir haben einen höchst gefährlichen und illegalen Streich vor und da braucht der uns nicht auf die Finger gucken. Ich finde sowieso, wir sollten so schnell wie möglich verschwinden. Komm, schreiben wir doch mal alles auf, was wir für eine Woche Belagerung so brauchen könnten! Bis Texomon sich ausschläft und du auf ihn aufpasst, gehen Evoli und ich los und kaufen das Zeug. Dann versuchen wir unser Glück nochmal in der Bibliothek und sobald es morgen dunkel ist, soll Seedraking uns rübertragen." "Ich kann euch auch rübertragen!", protestierte Evoli gekränkt, doch Neru schüttelte heftig den Kopf. "Du bist klein und beweglich genug, im Umkreis nach Gefahr Ausschau zu halten und uns zu warnen, falls sich was nähert", bestimmte er, "Das wird eine ziemlich heikle Sache morgen und wenn ich es mir recht überlege, haben wir wohl nur diesen einen Versuch..."
 

>>>Neru<<<
 

"Was? Ist es schon Aufstehenszeit?", nuschelte Neru und Evoli rollte sich auf seiner Brust zu einem undurchdringlichen Fellknäul zusammen, in dem man nur mit Mühe die Arme und Beine zwischen den braunen Haaren erkennen konnte, während ihr Kopf komplett unter dem buschigen Schwanz verschwand. Nerina und Texomon standen schon fast angezogen vor ihnen. "Wollt ihr den ganzen Tag verschlafen, ihr Schnarchnasen? Ich dachte schon, du hättest dich gebessert!", tadelte Nerina ihren Bruder, der mühsam in das noch junge Licht des Tages linste. Es handelte sich dabei um die Deckenbeleuchtung. Er bedachte sie mit einem verwirrten Blick, bis sich die Erkenntnis langsam in sein noch viel zu müdes Gehirn schlich. Er und Evoli hatten die morgendlichen Trainings bis auf unbestimmte Zeit ausgesetzt und genossen es nun beide, morgens lang auszuschlafen. So hatten sie auch an diesem Morgen den Wecker geflissentlich überhört und einfach weitergedöst, während Texomon und Nerina voller Tatendrang aus dem Bett gehüpft waren und seitdem mit kleinen Gemeinheiten wie Decke wegziehen oder anstupsen versuchten, die beiden wach zu bekommen. "Ich hab großartige Neuigkeiten!", verkündete Texomon in seiner üblichen leisen und zurückhaltenden Art, sodass Neru glaubte, selbst draußen auf der Straße müssten seine Worte zu vernehmen sein. Doch das brachte Leben in die beiden Schlafmützen und mit einem Ruck setzte sich Neru auf, nun überhaupt nicht mehr schlaftrunken, während Evoli den Schwanz von ihrem Gesicht nahm und Texomon neugierig musterte. "Dann hast du eine Höhle gefunden?", fragte sie. "Und ob!", meinte Texomon begeistert, "Sie ist einfach perfekt. Man muss etwa drei Meter tief tauchen, dann kommt man an einen kleinen Eingang. Die Höhle im Inneren ist riesig und komplett mit Sand gefüllt. Wenn man den Gerüchten der Lahmus trauen darf, gibt es in ihrem Inneren sogar einen Zugang zur Oberfläche der Insel." Texomon war sichtlich aufgeregt und fing wieder an, im Raum auf und ab zu tänzeln, während Nerina nicht minder stolz ihr Iramon musterte. "Und ich hab mich nicht erwischen lassen und bin ganz unauffällig gewesen. Es ist ganz einfach, wenn wir um die Insel herumschwimmen, können uns die Leute vom Gefängnis nicht mal sehen und auch die Schillok nicht." Neru ließ versonnen den Blick durch den Raum gleiten. Die Tat begann, sich zu entwickeln. Sein Herz begann, heftig zu schlagen und schlug beim Anblick der großen Wanduhr noch heftiger. "Hey! Was ist das denn?", fragte er Nerina, "Es ist erst drei Uhr morgens?" "Ja!" Texomon war immernoch dabei, durch den Raum zu tänzeln. "Je eher wir aufbrechen, desto geringer sind die Chancen, entdeckt zu werden." "Wann bist du eigentlich zurückgekommen?", fragte Neru. "So etwa vor zwei Stunden", antwortete Nerina, "Wir haben auch noch mal kurz geschlafen und dachten, es wäre vielleicht am besten, wenn wir versuchen, noch in dieser Nacht rüber zu kommen. Am Tag könnte es schwieriger werden, unentdeckt in die Nähe der Insel zu kommen." Neru seufzte ergeben. Was die beiden da sagten klang logisch. "Komm, Evoli", meinte er nur ergeben und stupste das kleine Pokemon an, das wieder eingeschlafen war, "Diesen beiden Abenteurern ist nichts heilig, da müssen wir halt doch zu dieser unchristlichen Stunde aufstehen." "Was ist christlich?", fragte Evoli verpeilt, doch Neru antwortete nicht, sondern zog sich stattdessen an.

Eine halbe Stunde später saßen sie alle auf Seedrakings Rücken. Evoli hatte sich ebenfalls zu Aquana entwickelt und paddelte nun vergnügt um sie herum. Nachdem Evoli schon im Zug so arg aufgefallen war, hatte Neru sich die Bilder im Pokedex von Aquana genauer angesehen und er konnte nur hoffen, dass Mando sie so schnell nicht zu Gesicht bekommen würde, denn Aquana war nur noch sehr schwer als Aquana zu identifizieren. Das einzige, was noch stimmte, war die Körperform und die Farbe, doch nahezu alles andere hatte sich doch sehr verändert. Eine Halskrause hatte dieses Aquana nicht, auch das Gesicht war noch eher an Evoli angelehnt, als an das fischähnliche Gesicht von Aquana. Auch an der Körpergröße konnte man meckern und da half es auch nichts, dass man sagen konnte, sie wäre halt noch jung. Aquana war eindeutig zu klein. Es könnte daran liegen, dass Evoli sich im Wasser nicht so arg wohlgefühlt hat, hatte Nerina gemeint und Neru leuchtete diese Theorie durchaus ein. Was, wenn die Iramon sich je nach Vorliebe für das Element mal besser, mal schlechter in ihre Entwicklungsformen fanden? Doch bevor Neru länger darüber nachdenken konnte, schossen sie auch schon auf Seedrakings Rücken über den Ozean. Die Wolken verdeckten den Mond und die Dunkelheit um sie herum war perfekt und nachdem sie die Laternen des Ufers hinter sich gelassen hatten, konnte Neru nicht einmal mehr Nerina erkennen, die doch direkt vor ihm saß und an der er sich festkrallte, um nicht von Seedrakings Rücken zu rutschen. Von Aquana hörte er nur das gelegentliche Plätschern im Wasser neben sich. Völlig lautlos glitten sie über das Wasser. Neru konnte nur über die Fähigkeiten von Texomons Wasserentwicklung staunen. Seedraking war ein so großes Seepferd und doch glitt es völlig lautlos durch das Wasser, als wären die Wellen und der Ozean ein Teil von ihm selbst. Auch legte Texomon ein hohes Maß an Disziplin an den Tag, mehr als Neru es von dem immer albernden Iramon erwartet hätte. Texomon kam nicht einmal vom Kurs ab. Genauso, wie er gesagt hatte, umrundeten sie die Insel, deren Lichter Neru in der Dunkelheit gut erkennen konnte. Seedraking schwamm schnell und gleichmäßig, während Aquana ihn umrundete und nach anderen Wasserpokemon, Schiffen oder feindlichen Pokemon Ausschau hielt. Einmal mussten sie sich hinter einem Felsen verstecken, weil sie ein Schiff bemerkten, doch als das Boot sie passierte, handelte es sich dabei nur um einen harmlosen Fischer, der seine Fänge der letzten Nacht nach Hause bringen wollte. "Jetzt wird es unangenehm", flüsterte ihm Nerina zu, "Halt dich gut fest und hol tief Luft." Neru starrte sie für einen Augenblick lang verwirrt an, doch sie konnte seinen Gesichtsausdruck durch die Dunkelheit nicht erkennen und bevor Neru auch nur eines der beiden Dinge getan hatte, klopfte sie Seedraking auf die Flanke und das Wasserpokemon verschwand augenblicklich unter Wasser. Neru hatte das Detail: 'Der Eingang befindet sich drei Meter unter der Wasseroberfläche!' glatt vergessen. Panisch klammerte er sich an Nerinas Rücken fest, während er versuchte, mit dem restlichen Sauerstoff, der ihm geblieben war, auszukommen. Texomon schoss wie ein geölter Blitz durch die Finsternis. Das Wasser war eiskalt und Neru hatte es fast die Luft aus den Lungen gepresst, als er in der kalten Gischt versunken war und das Wasser mit enormem Druck auf seinen Brustkorb drückte. Gerade war er versucht, aus Luftmangel einfach nach oben zu schwimmen, da durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche und gierig sog er die kalte Luft ein. Es roch ein bisschen modrig, doch das war alles, was er in der Dunkelheit ausmachen konnte. Im nächsten Augenblick füllte sich die Höhle für einen kurzen Augenblick mit einem blauen Leuchten und dann erklang das glückliche Seufzen von Texomon neben ihnen im Wasser. Neru dachte, vor Kälte zitternd, daran zurück, dass er jetzt hätte immernoch im Bett liegen können und fragte: "Kann jemand etwas Licht machen?" "Klar, ich!", erwiderte Texomon prompt und schickte einen Feuerstrahl seiner Glut in die Luft. Der Strahl traf einen Haufen Treibholz und entfachte ihn. "Ich hab die Bretter gestern Abend schon zurecht gelegt", erklärte er nach einem fragenden Blick von Nerina. Als sie sich gerade anschickten, aus dem kalten Wasser zu klettern, erschien Aquana hinter ihnen. "Uns ist niemand gefolgt", erklärte sie und wurde im Bruchteil einer Sekunde wieder zu Evoli, nicht aber, ohne vor der Verwandlung ans Ufer geklettert zu sein. "Eine schöne Höhle hast du da gefunden", sagte sie anerkennend zu Texomon, dem das Lob sichtlich Freude bereitete. Neru ließ den Blick schweifen. Die Höhle war in der Tat sehr schön. Eine wunderschöne, große Grotte, in deren einer Ecke der Weg ins Wasser, an der anderen Seite jedoch in einem dunklen Gang mündete. Der gesamte Boden war trocken und sandig und Neru konnte, abgesehen von ein paar kleinen Krabby, nichts erkennen, was in der Höhle lebte. Es gab keinen schleimigen Seetag an den Wänden, wie er erwartet hatte. Die Wände bestanden aus einer Art Granit-Sandstein-Gemisch und reflektierten in Grau- und Rottönen mit kleinen, weißen Elementen dazwischen. Auch Neru schlug Texomon nun anerkennend auf die Schulter. "Diese Höhle ist absolut perfekt. Wenn dieser Gang jetzt noch nach oben führt, könnte es besser gar nicht laufen." Er sagte absichtlich nichts über seine nasse Kleidung oder darüber, dass er immernoch fror. Stattdessen schlug er vor, alles weitere morgen zu besprechen und erstmal richtig auszuschlafen. Nerina und Texomon begannen sofort, schallend zu lachen, ein Lachen, das die ganze Höhle ausfüllte, doch Neru kümmerte sich gar nicht darum, rollte sein Swag auseinander, legte seine nassen Klamotten in der Nähe des Feuers zum trocknen aus und verschwand zusammen mit Evoli, die wundersamerweise trocken und warm war, in seinem Swag.
 

>>>Nerina<<<
 

"Worüber denkst du nach, Nerina?" Neugierig schob Texomon seine lange Echsenschnauze über den Rand des Kochtopfes, in dem Nerina gerade gerührt hatte. Er hing an einer etwas abenteuerlichen Konstruktion aus einigen rostigen Stangen und einer langen Kette, die Nerina während der letzten zwei Stunden in dem weitverzweigten Tunnelsystem unterhalb der Safira-Insel zusammengesucht hatte über einem prasselnden aber wenig wärmenden Feuer aus Seetang und altem Treibholz. Die Zwillinge hatten beschlossen, zunächst nicht beide gemeinsam hinauf in die Stadt zu gehen, sondern stets eine Wache zurückzulassen für den Fall, dass ihr Geheimversteck doch nicht ganz so geheim war, wie angenommen. So hatte Nerina die Morgentour übernommen, war zwei Stunden lang am Hafen herumgestreunert und hatte nebenbei auch noch ihre dringendsten Lebensmittel eingekauft. Als sie gegen Mittag hierher zurückgekehrt war, war Neru dann gestartet und Nerina hatte sich dem Erkunden der Gänge, dem aufwendigen Bohneneintopf und einigen ihrer düsteren Gedanken hingegeben. "Riecht lecker", fuhr Texomon etwas unsicher fort, als sie nicht gleich antwortete, "Was wird das?" "Bohnen", sagte Nerina lächelnd, "Aber sie sind noch nicht fertig..." Kurz schwiegen sie beide und starrten abwechselnd in das blubbernde Suppenwasser oder die tanzenden Flammen des Feuers, dann fragte Texomon: "Glaubst du nicht, dass wir es schaffen?" Nerina zuckte unwillkürlich mit den Schultern. "In ein Hochsicherheitsgefängnis einzubrechen? Nein, nicht wirklich, Texomon, aber darüber hab ich gar nicht nachgedacht... Weißt du noch: Dew hat uns angeboten, Arenaleiter für die Wasserarena zu werden. Aber meine Frist ist bald um und ich weiß nicht, was ich tun soll... Es würde mir Spaß machen, denke ich, soviel mit Wasserpokemon zu arbeiten und über sie zu lernen, aber ich... Vielleicht kriegen wir ja noch einen viel besseren Platz und wenn ich mich jetzt verpflichte..." "Was könnte besser sein, als Wasser?", fragte Texomon aufmunternd, doch Nerina zuckte abwehrend mit den Schultern. "Feuer vielleicht... oder sogar Drache. Immerhin bist du ja ein Drachentyp..." "Hmmm", machte Texomon nachdenklich und starrte in das blubbernde Wasser, dann griff er blitzschnell hinein und fing eine der herumtanzenden Bohnen heraus, die unmittelbar zwischen seinen Kiefern verschwand. "Ja...", nuschelte er kauend, "Ich bin ein Drachentyp, vermutlich, weil sie nicht wussten, ob ich mehr Feuer oder Wasser in mir habe, aber ich glaube trotzdem nicht, dass Drache unser Weg wäre. Überleg mal, da gibt es nur Dragoran und Seedraking zu erforschen und Seedraking bin ich schließlich selbst." Nerina nickte langsam. "Ja, vermutlich hast du recht", erwiderte sie gedehnt und probierte selbst eine Bohne, allerdings unter Zurhilfenahme des Rührlöffels, "Drache hat sehr viel Ruhm und Ehre und so, aber es ist wohl tatsächlich etwas einseitig..." "Ja und ich würde mich dauernd mit Seedraking und Dragoran messen müssen", versetzte Texomon prompt, "Das klingt nicht lustig! Am Ende kommst du noch auf die Idee, dass einer von denen stärker ist! Nein, kein Drache - und auch kein Feuer, denke ich. Ich meine, wir hätten sicher auch das Zeug zu Feuer, aber Feuer ist... Es macht unglaublichen Spaß und man fühlt sich sehr mächtig..." "Und Feuerpokemon sind sehr interessant", pflichtete Nerina bei. Texomon nickte. "Ja, schon. Aber... Ich kann es nicht so richtig erklären, Wasser ist einfach besser! Wasser ist friedlich, Wasser ist Freude und das ganze Meer ist dein Spielplatz, eine vollkommen andere Welt! - und es gibt auch viele spannende Meereswesen! Also ich glaube, ich wäre mit dem Wasser glücklich. Weißt du, als ich vorgestern Nacht als Seedraking hier herausgeschwommen bin, da hab ich mich richtig wohl gefühlt, wie ein Teil des Meeres und es gibt mir seine Ruhe und Geduld. Manchmal finde ich es leichter, Seedraking zu sein, besonders, wenn ich an diese Sache im Einkaufscenter denke. Das war mir wirklich peinlich und es wäre Seedraking bestimmt nicht passiert..." "Nein, wohl eher nicht..." Nerina musste schmunzeln bei der Vorstellung, wie sich ein fünf Meter langer Koloss von einem Seepferd durch die Klamottenabteilung wälzte... "Aber wir müssten uns dann auch auf Eis einlassen, denn es gibt sehr viele Wasser-Eis-Mischtypen - und das magst du doch sicher gar nicht", warf Nerina seufzend ein. Texomon blies eine nachdenkliche Flammenzunge ins Feuer, sodass die Flammen hoch herausschlugen. "Ich sagte doch, ich bin ein Drachentyp, weil sie nicht wussten, ob ich mehr Feuer oder Wasser bin", versetzte er schwanzzuckend, "Ich glaube nicht, dass Eis mir viel ausmacht, solange ich Feuerspeien kann - und wenn, dann zieh ich mir halt 'ne Mütze und 'nen Schal an..." "Danke, das freut mich zu hören", setzte Nerina vorsichtig an und rückte dann mit ihren letzten Bedenken heraus, "Aber da ist noch was, Texomon, wir... ich würde andere Pokemon fangen und trainieren müssen, damit ich eine große Auswahl habe, für jeden Herausforderer etwas angemessenes... und unsere Aufgabe wäre auch, über Wasserpokemon zu lernen, sie zu erforschen und viel Zeit mit ihnen zu verbringen, sie Teil unseres Lebens werden zu lassen, wie du ein Teil meines Lebens geworden bist, denn wie könnten wir über Wesen lernen, die wir nicht in unserer Nähe haben wollen? Wir könnten dann nicht länger immer nur zu zweit sein und du würdest dir so manches teilen müssen..." Sie bemerkte das gefährliche Glitzern in Texomons Augen, als er nachdachte. Einige Male zuckte seine Schwanzspitze und seine Krallenfinger gruben sich knirschend in das Stückchen Treibholz, das er gerade aufgelesen hatte.

Doch noch ehe er etwas erwidern konnte, fuhren sie beide erschrocken herum, als Aquana mit einem leisen Plätschern den Kopf aus dem Wasser streckte und prüfend schnupperte. "Hmm! Das richt ja mal interessant", sagte sie, trat geschmeidig aus dem Wasser, streckte sich und rollte sich dann auf dem feinen Sandboden der Höhle zusammen, die Schwanzflosse über dem Gesicht. "Das war ganz schön anstrengend!", verkündete sie, "Und, hast du was rausgefunden, Texomon?" Noch während sie sprach durchfuhr ein leichtes Zittern ihren Körper und sie verwandelte sich in Evoli zurück. Keinen Herzschlag später kam Neru müde und mit hängenden Schultern in die Höhle getreten, einen nagelneuen Laptop unter dem Arm. "Der ist zum planen!", erklärte er gleich verteidigend, als Nerina ihn fragend ansah, "Damit wir Evoli und Texomon die Bilder zeigen können!" Mit einem entschiedenen Tritt beförderte er seinen Rucksack in die Ecke, hockte sich in sein offenes Swag und schaltete den Laptop ein, den er irgendwo an der Oberfläche geladen haben musste. Nerina beachtete ihn nicht weiter. Nachdenklich starrte sie weiter auf ihre köchelnden Bohnen, warf ab und an eine gewürfelte Karotte oder eine handvoll Suppenkräuter hinein. Sie schreckte erst hoch, als sie Texomon sagen hörte: "Der sieht nicht besonders stabil aus! Ich denke, ich könnte ein Loch hineinbrennen!" Verdutzt sah sie über die Schulter. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie Texomon jede Dummheit, inklusive des anbrennens eines Laptops zutraute, pflegte er doch nicht oft, eine solche vorher anzukündigen. Doch dann sah sie, dass er nur mit einem kralligen Finger auf den Schlauchartigen Fahrstuhlschacht der Zitadelle deutete, den sie heute im Hafen fotografiert hatte. Neru schüttelte heftig den Kopf. "Ausgeschlossen!", sagte er streng, "Das ganze Hafenbecken wird von Kameras überwacht! Ich hab ihre Bildübertragungen im Besucherzentrum gesehen, schau! Sie erfassen wirklich alles!" Doch zu Nerinas großem Erstaunen war es diesmal Evoli, die widersprach: "Schau, den kleinen Bereich hier erfassen sie nicht, weil dieses Schiff im Bild hängt!" "Wir können uns nicht auf den Sichtschutz eines Schiffes verlassen, um vier Leute da runter zu mogeln", wetterte Neru, "Und überhaupt, das ist der Fahrstuhlschacht! Glaubt ihr nicht, es würde auffallen, wenn wir uns einfach durch den Haupteingang reinbrennen würden?" "Es wäre aber auch nicht gut, wenn wir in pulverisierter Form ankommen!", protestierte Evoli und Texomon ergänzte: "Wir haben alle Meerespokemon befragt und sie sagen, die Lüftungsschächte, die es gibt, die haben schnelldrehende Räder drinnen, um Wind zu machen." "Ja, sicher..." Neru rieb sich die Schläfen, "Dass ich darauf nicht früher gekommen bin! Sie brauchen Pumpen, um die Luft hinunterzusaugen. Da kommen wir wohl tatsächlich nicht hindurch... Aber wir können auch unmöglich alle durch den Fahrstuhlschacht!" "Aber müssen wir eigentlich alle hinunter?", fragte Nerina plötzlich, während sie die Bohnensuppe endlich vom Feuer nahm und vorsichtig ihren Inhalt auf vier Schälchen verteilte, "Ich meine, im Prinzip müssen wir diesen Blaze doch gar nicht befreien, nur mit ihm reden... und das können wir schließlich alle..." "Genau!", stimmte Texomon begeistert zu, während Neru noch perplex auf seine Bohnen guckte, "Als ich als wildes Seedraking unterwegs war, hat auch keiner Verdacht geschöpft! Wenn unser Evoli runter ginge... Ich meine, sie fällt nicht mal als Iramon auf und keiner würde glauben, dass sie reden kann!" "Halt! Nein! Stopp! Veto!" Aufgeregt stellte Evoli ihre Halskrause, "Ich will da nicht alleine runter! Ich meine, was soll ich diesem Blaze sagen und was, wenn er schwierige Fragen stellt?" "Wir könnten dir ja eine Kamera mitgeben", fiel Neru nachdenklich ein, "Und einen Pokedex, den kannst du Blaze bringen und er könnte mit uns telefonieren!" "Und Texomon macht oben im Hafen so viel Unfug, dass keiner auf das Loch achtet!", schloss Nerina, "Das sollte sich ja schließlich machen lassen!" "Das muss ich mir erst nochmal überlegen!", brummte Evoli, wandte sich ihrer Schale zu und begann, mit immernoch aufgestellter Halskrause, langsam an den Bohnen zu knabbern. Neru nickte rasch. "Ja, das sollten wir uns alle nochmal überlegen und morgen früh drüber sprechen!", warf er ein, "Die Idee klingt toll und verrückt und über sowas sollte man immermal noch 'ne Nacht schlafen!"

Sie beendeten ihr Abendessen unter munterem Geplauder über den Tag, wuschen die Schalen im Meerwasser und kletterten in ihre Swags, doch keiner fand so recht Ruhe. Neru spielte an seinem Laptop herum, Evoli streunte ruhelos in der Höhle auf und ab und Texomon war sogar noch einmal schwimmen gegangen, während Nerina nur reglos dalag und an die Decke starrte. Irgendwann holte sie sich den Pokedex aus Nerus Rucksack und begann, die Daten von Schiggys, Lahmus und Quapsels anzuschauen, ihre Bilder und, was man schon über sie wusste. Sie erfuhr, dass Wasserpokemon die artenreichste Pokemongruppe waren, dass man sie allgemein für friedfertig und geduldig hielt, viele jedoch über geheimnisvolle Fähigkeiten verfügten, wie Flegmon, Enton oder Starmie, andere mächtige Waffen besaßen, wie Lampi. Gerade war sie dabei, sich Karpadors rätselhafte Entwicklung zu Garados näher anzusehen, als Texomon klitschnass neben sie trat und sich zu ihrem Missfallen neben dem Swag in den Sand sinken ließ. "Ich hab nochmal drüber nachgedacht, was wir vorhin geredet haben", begann er fest, doch sie sah an seinen zitternden Ohren, dass das Thema ihn immernoch sehr bewegte, "Wenn wir andere Wasserpokemon fangen... Wirst du die dann lieber mögen als mich?" Vor Schreck ließ Nerina den Pokedex fallen. "Aber Texomon", rief sie empört, "Wie kommst du darauf, dass ich irgendein Pokemon lieber mögen könnte als dich?" "Naja..." Texomon druckste ein wenig herum und grub verlegen die Klauen in den Sand, "Manche von ihnen sind sehr groß, stark und weise, andere sind witzig und sehr... anhänglich... und ich ... ich bin ein verkorxtes Glumanda." "Jetzt hör aber auf!" Eilig beugte Nerina sich zu ihm herüber und schlang ungeachtet seiner nassen Haut die Arme um ihn, "Du bist das allerbeste blaue Glumanda, das je jemand verkorxt hat! Nein, auf gar keinen Fall würde ich dich eintauschen." "Na, wenn du dir da ganz, ganz sicher bist und es mir versprichst...", begann Texomon langsam, dann hob er den Blick und sah ihr direkt ins Gesicht, "Wenn ich immer etwas besonderes für dich bleibe ... dann kannst du auch mit anderen Pokemon arbeiten. Schließlich wollen auch die ja stärker werden und sie zu fangen ist, schätze ich, die einzig anerkannte Möglichkeit, sie zu trainieren. Achso - und ich werde Meistertrainer Seedraking sein und jeder, der aufmuckt, den darf ich versenken!" "Natürlich!", rief Nerina, überrascht, dass Texomon in diesem Punkt so weitaus weniger besorgt war wie Evoli, die Neru schon bei einem Blick auf andere Pokemon an die Kehle ging. "Also, von mir aus", fuhr er großzügig fort, "können wir Dews Angebot annehmen, wenn du willst."
 

>>>Neru<<<
 

"Hmmm", brummte Neru und besah sich die Bilder auf seinem Laptop ein weiteres Mal. Hier und da machte er Notizen und Markierungen, während er die Aufzeichnungen durchging, die er sich über die Zitadelle gemacht hatte. Es war schon praktisch, dass er nun alle Fotos und alles, was sie bisher herausgefunden hatten, auf dem Laptop einsehen konnte und langsam begann der Plan, den sie noch so scherzhaft beim Abendessen ausgedacht hatten, in seinem Kopf Form anzunehmen. Evolis Einwand hatte ihn nachdenklich gemacht und er hatte sich wirklich Mühe gegeben, einen anderen Weg zu finden, doch die Idee, die Nerina und Texomon da gekommen war, war einfach zu gut. Evoli betrachtete den Laptop mit verschnupfter Miene und tigerte immernoch in der Höhle auf und ab. Ihr schien es gar nicht zu passen, dass sie unter Umständen alleine auf diese Mission geschickt werden würde. Im Stillen konnte Neru sie verstehen. Andererseits gingen ihm immernoch die Erkenntnisse der Wasserarena nach. Natürlich konnte er Evoli bitten, es zu tun, doch wollte er das? Wollte er wirklich, dass sein Iramon Dinge für ihn tat, die es nicht tun wollte? Nein, das wollte er nicht. Seufzend legte sich Neru seine Hände aufs Gesicht und rieb sich die müden Augen. Es musste eine andere Möglichkeit geben. "Und? Weißt du schon, wie ihr mich da runter bringt?", fragte Evoli in bissigem Tonfall und Neru hob seine Hände wieder vom Gesicht und sah sie offen an. "Ich habe in der Tat eine solche Möglichkeit gefunden", erwiderte er vorsichtig, doch Evolis Fell begann sich schon bei dem Satz vor Ärger zu sträuben. "Ich weiß, was du sagen willst", versuchte Neru hastig, zu erklären, "Aber ich hab wirklich nach anderen Möglichkeiten gesucht." "Warum kann er nicht gehen?", fragte Evoli wenig besänftigt und warf einen Blick in Richtung von Nerinas Schlafsack, "Ich meine, wer weiß, was da unten lauert und er ist viel stärker als ich." "Dafür fällt Texomon viel zu sehr auf. Es gibt ihn nur einmal. Wenn er gesehen wird, können sie die Spur zu uns zurückverfolgen." "Dann soll er sich halt nicht sehen lassen. Ich kann auch im Hafen Tumult machen!", erwiderte sie trotzig und setzte sich auf ihren Hintern. Ihr Fell war immernoch gesträubt. "Du weißt genau wie ich, dass Texomon mit den Wasserpokemon besser fertig wird wie du", meinte Neru, "Ich will nicht, dass du im Kampf mit denen verletzt wirst." "Aber mich unter die Wasseroberfläche inmitten des Ozeans schicken, das willst du?" Neru hob hilflos die Hände. "Nein, das will ich auch nicht. Oh Evoli, die Sache ist schwierig. Wir müssen Blaze kontaktieren und ich hab keine Ahnung, wie wir das machen sollen." Evoli sah ihn durch zusammengekniffene Augen an, als ob sie einen Trick vermuten würde. Doch Neru spielte nicht mit Tricks. Er wusste wirklich nicht mehr weiter. "Wenn du da wirklich absolut nicht runter willst", sagte er, "Dann musst du auch nicht." Evolis Fell legte sich langsam wieder an und der ärgerliche Ausdruck in ihren Augen verschwand. Langsam erhob sie sich und kam zu ihm herüber. "Was denkst du eigentlich wirklich über die Sache?", fragte sie, "Über den Einbruch?" "Nun, die Sache ist im höchsten Maße illegal", sagte Neru, "Ich meine, wir haben früher in der Schule schon nicht viel auf Regeln gegeben, aber diesmal handelt es sich um einen Einbruch im Gefängnis, nicht um ein Lauschen an einer Zimmertür. Irgendwie gefällt mir die ganze Sache nicht besonders." Evoli sah ihn mit überraschter Miene an. "Wie jetzt? Du willst das eigentlich auch nicht tun?" Neru sah sie an, sagte jedoch nichts. "Das spielt keine Rolle", meinte er dann nur, "Um Gringo aufzuhalten, muss es sein. Wenn ich könnte, würde ich selber runtergehen. Aber es gibt in diesem ganzen verhexten Bau keinen Durchlass, der groß genug für mich wäre. Ich habe alles, was wir bisher fotografiert haben, durchsucht. Hast du unter Wasser noch etwas gesehen?", fragte er Evoli. "Ich war noch nicht so nahe dran", gab Evoli zu und ließ sich neben ihn sinken, den Blick auf die Bilder auf dem Laptop gerichtet. "Wir bräuchten auch von unten noch ein paar Aufnahmen. Was stört dich eigentlich wirklich, wenn du da alleine runtergehen würdest?", fragte Neru langsam und sehr vorsichtig. Evolis Schwanz machte schon wieder Anstalten, sich zu sträuben, doch sie blieb ruhig. "Nun ja, eben das. Das alleine sein. Das Gefühl, dass niemand bei mir wäre, wenn etwas passieren würde." Neru nickte zustimmend. "Und außerdem weiß niemand wirklich, was mich da unten erwarten würde. Mit wem würde ich wohl alles kämpfen müssen? Würde ich wieder zurück finden? Müsste ich vielleicht bis in alle Ewigkeit dort unten bleiben?" Neru verstand sie und nahm sie fest in den Arm. "Egal, was passiert", meinte er, "Wir lassen dich hier nicht zurück." Evoli wand den Schwanz so weit es ging um ihn herum. "Können wir denn nicht noch Fotos von unten machen?", fragte Evoli. Neru ging seine Aufzeichnungen durch. "Es dürfte schwierig werden", begann er vorsichtig, "Schau, hier! Sobald etwas, das größer ist, als ein Fisch durch die Hafeneinfahrt durchschwimmt, wird gleich Großalarm ausgelöst. Wie sollst du denn unter Verfolgung unbemerkt Fotos schießen? Wenn einer der Wachen oder der Kameras den Foto sieht, schöpfen die doch sofort Verdacht." Evoli winkelte nachdenklich ein Ohr an. "Die Lüftungsschächte gehen auch nicht", meinte sie nachdenklich, "Der einzige Zugang geht über den Aufzugsschacht. Du und Nerina, ihr könnten euch ja verkleiden, zum Beispiel als Wärter." "Die werden bestimmt gefilzt werden. Wir wissen ja nicht mal, was für Uniformen die haben und auch nicht, wie die die Identität überprüfen." "Und wie wäre es als Gefangene?" "Wir wären die ersten Gefangenen, die freiwillig zu einem Gefängnis kommen und selbst, wenn wir drinnen wären. Ein Gefängnis ist schließlich dazu da, die Gefangenen am rauskommen zu hindern, sonst könnte Blaze ja einfach zu uns kommen." "Da ist was dran", meinte Evoli, "Bleibt nur noch Texomon, das grüne Pikachu." Verdutzt sah Neru sie an. "Das ist nur so 'ne Redewendung, wenn einer ganz besonders auffällt", erklärte Evoli. "Wir könnten aber trotzdem in Kontakt bleiben", erklärte Neru aufgeregt. Ihm war gerade eine Idee gekommen. "Was hälst du von folgender Idee?" Er begann mit Evoli zu verhandeln. "Dann wäre es fast so, als wäre ich da, zumindest kann ich dich dann beraten, was du tun sollst und wenn etwas schiefgeht, weiß ich ungefähr, wo du bist und Texomon startet einen Großangriff." Grübelnd ging Evoli den Plan noch einmal durch. "Wenn es nicht anders geht", meinte sie schließlich, "Und du dich auch keine Sekunde weg vom Computer begibst, dann mach ich's", erklärte sie und Neru merkte, dass es sie wirklich Überwindung kostete. "Und ich mach es auch nur mit der Ausstattung." Neru nickte. "Ich bleibe hier und wir stehen morgen ganz früh auf und besorgen die Sachen", erklärte er, "Du wirst danach wie ein echter Geheimagent aussehen." "Ich? Ein Geheimagent?", fragte Evoli und sah dabei ein wenig stolz aus, während Neru den Laptop herunterfuhr und sich in seinen Schlafsack legte.

Noch bevor Texomon und Nerina auf waren, schlich sich Neru den Gang hinauf zur Oberfläche. Noch die halbe Nacht hatten er und Evoli weiter über den Plan diskutiert und Neru hatte in dieser Nacht nur wenig geschlafen. Doch er fühlte sich überhaupt nicht müde. Jetzt würde der Plan gelingen. Als er eine Stunde später mit einer großen Kiste voller Sachen zurückkam, sah ihn Nerina entgeistert an. "Was ist das jetzt?", fragte sie, "Ein Tower und noch dazu eine Modelleisenbahn oder was?" "Der Laptop war wirklich wichtig", erwiderte Neru verbissen, "Und diese Sachen brauchen wir. Das hier ist für dich", rief er Nerina zu und warf ihr ein braunes Paket in die Arme, sodass sie überrascht ihre Schüssel mit Müsli auf den sandigen Boden fallen ließ. Evoli war schon ganz gespannt auf ihn zu gerannt. "Hast du alles bekommen?", fragte sie. "Ja, so ziemlich", erwiderte Neru ganz in Gedanken, während er Gummibänder und Klarsichthüllen, Klebstoff, diverse Folien und Kabel aus der Kiste auspackte. "Ich geh hoch und observier nochmal", erklärte Nerina kopfschüttelnd und sah ihren Bruder stirnrunzelnd an. Als auch sie mit einer großen Tüte Lebensmittel etwa zwei Stunden später zurück kam, fand sie den Höhlenboden in komplettem Chaos vor. Überall lagen Folien und Kabelreste herum und Neru und ein verwandelt aussehendes Evoli lagen über dem Laptop. Evoli hatte jetzt dunkle Streifen bekommen und es sah so aus, als hätte das kleine Pokemon jetzt eine Beule auf dem Kopf. Im gleichen Augenblick kam Texomon, der mit Nerina zusammen eine Runde im Wasser gedreht hatte, zurück und steckte den Kopf aus dem Wasser. "Was ist denn das?" fragten beide wie aus einem Munde. "Das ist meine Agentenausrüstung", erklärte Evoli stolz und präsentierte die Kamera auf ihrem Kopf, "Jetzt können wir in Kontakt bleiben, wenn ich da runter geh." "Über die Kamera kann ich immer sehen, was Evoli sieht", erklärte Neru und zeigte dabei auf den Laptop, "Außerdem hat sie einen Kopfhörer dabei, mit dem ich mit ihr reden kann. An ihrem Bauch befindet sich unser Pokedex, der stellt die Verbindung her und über den können wir dann auch mit Blaze telefonieren." Nerina packte unterdessen das braune Paket, das sie achtlos auf dem Höhlenboden gelassen hatte, aus. "Ein Handy?", fragte sie verdutzt. "Ja", begann Neru, doch er wurde von Evoli unterbrochen. "Das brauchst du für das Infocenter." "Infocenter?" Nerina schien nichts zu verstehen. Bevor Texomon noch etwas einwenden konnte, meinte Neru: "Für dich haben wir auch einen Kopfhörer, damit Nerina mit dir sprechen kann." und zeigte dabei auf eine kleine Knopfzelle. "Wie? Ich versteh gar nichts mehr", meinte Texomon und ließ sich auf den Hintern plumpsen. "Also gut", meinte Neru, "Ich hab mir folgendes überlegt: Evoli geht mit ihrer Ausstattung in die Zitadelle rein. Über die Kamera kann ich verfolgen, was passiert. Wenn sie Blaze dann erreicht hat, kann sie ihm den Pokedex geben und wir können zu dritt, über dein Handy Nerina, dann mit ihm reden und von ihm dann die Infos für den Feuerstein bekommen. Du, Nerina, müsstest oben im Infocenter sein. Soweit ich herausgefunden habe, ist das Hauptquartier der Wachleute in dem Gebäude. Du müsstest dich dort drinnen verstecken und mithören, was sie vorhaben, damit du Texomon vorwarnen kannst. Außerdem könntest du von dort drinnen vielleicht die Lichtschranke deaktivieren. Mit dem Handy kannst du nicht nur mit Texomon, sondern auch mit mir Kontakt aufnehmen, das Ding hat auch eine Kamera. Texomon schließlich, du wirst, wenn du von Nerina und mir das Startsignal bekommst, in den Hafen schwimmen und so schnell wie möglich Evoli in den Schacht bringen. Dann kannst du anfangen, den Hafen zu verunstalten. Nerina kann dich dann warnen, wenn etwas gegen dich unternommen wird. Wenn ich Blaze dann in der Leitung habe, schalte ich ihn dann auf Konferenz zu dir und wir können zu dritt mit ihm reden. Wenn dann alles geklappt hat, kommt Evoli wieder zu dem Aufzugsschacht raus und schwimmt direkt zu dem Kohlekahn. Ich hab heute morgen herausgefunden, das der morgen in aller Frühe zur Nachbarinsel fährt. Texomon kann dann ebenfalls, nachdem er eine falsche Fährte gelegt hat, auf den Kohlekahn klettern. Wir beide können Wassertaxis nehmen und treffen uns dann alle zusammen morgen Mittag in Haven City, drüben auf Dirima." Nachdem Neru seinen Plan auf dem Laptop verdeutlich hatte, schloss er: "Und ich bin jetzt müde und will schlafen." Damit zog er seinen Swag zu, nachdem Evoli zu ihm ins Innere geschlüpft war und ließ Nerina und Texomon draußen stehen, die sich immernoch mit überraschter und fragender Miene anstarrten.
 

>>>Nerina<<<
 

"Tja... Dann geht’s jetzt wohl los", sagte Texomon in die angespannte Stille, griff nach Nerinas Hand und drückte sie so fest, dass seine Krallen tiefe Abdrücke darauf hinterließen. Nerina achtete nicht darauf. Stattdessen schlang sie einen Arm um ihr Iramon und drückte es fest an sich. Stumm starrten sie hinaus auf die dunklen Wellen des Meeres. In wenigen Minuten, eben dann, wenn Evoli fertig angekleidet war, würde es losgehen, doch diese ließ sich offenbar Zeit. Ob sie auch Angst hatte? Wahrscheinlich sogar! Nerina konnte sie verstehen. Auch sie hatte Angst - Angst, dass sie die Lichtschranke nicht würde deaktivieren können, Angst, dass sie im Besucherzentrum erwischt würde, Angst, dass jemand ihr Texomon wegnehmen würde. Nerus Plan war gut, gut vorbereitet und gut durchdacht und wahrscheinlich die einzige Lösung ihres Problems, dennoch wurde Nerina das Gefühl nicht los, nicht Teil dieses Plans zu sein. Er hatte ihn alleine entwickelt, hatte alle Sachen gekauft, noch ehe Nerina davon wusste, hatte sie nicht gefragt, ob sie das alles schaffen würde. Nerina holte tief Luft, kniff die Augen fest zu und zählte bis sieben, um sich zu beruhigen. Jetzt mit Neru darüber herumzustreiten wäre den Iramon gegenüber nicht fair und schließlich hatten auch sie Aufgaben bekommen, die sie alleine lösen mussten. "Also, ein bisschen mulmig ist mir schon...", gab Texomon unvermittelt leise zu, seine Stimme war nur ein seltsam leises Zischeln in der Brandung, "Passt du auch gut auf mich auf?" "Natürlich", erwiderte Nerina selbstbewusster, als sie sich fühlte, "Wenn alles schiefgeht, dann laufe ich einfach runter zum Hafen und fange dich mit deinem Pokeball. Vielleicht muss ich ihnen dann Rede und Antwort stehen, aber immerhin bist du nicht ... weg", endete sie ein wenig unbeholfen, dann beugte sie sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen. Es würde eine lange, lange Nacht werden...

Mit einem leisen Plätschern erschien Evoli im aufgepeitschten Wasser. Das ungewohnte Gewicht der Kamera und des Pokedex' zerrten an ihrem kleinen Körper und sie hatte noch größere Probleme wie sonst, sich durch die Brandung auf den Felsen zu kämpfen, auf dem Nerina und Texomon warteten. "Hallo", sagte sie leise, während sie mit triefendem Schweif und herabhängender Mähne zu ihnen kletterte, "Da bin ich..." "Fein", sagte Nerina und streichelte auch ihr das nasse Fell, "Geht's dir gut?" "Fabelhaft!", fauchte Evoli gereizt und stellte die Nackenmähne, doch dann sank sie auf ihr Hinterteil und sah Nerina mit großen, blauen Augen an. Ihre Pupillen leuchteten im Dunkeln, wie die einer Katze. "Darf ich dich mal was fragen?" "Sicher", entgegnete Nerina, obwohl sie sich im höchsten Maße unsicher fühlte. Evoli zögerte kurz, dann fuhr sie fort: "Wenn ich dein Iramon wäre... Würdest du mich dann auch runterschicken?" Erschrocken fuhr Nerina hoch und legte ihr eine schwere Hand auf den Rücken. "Neru hat dich sehr, sehr gern, Evoli", sagte sie fest, "Wahrscheinlich lieber als mich. Er würde das nicht von dir verlangen, wenn es anders ginge." "Ich weiß, ich weiß!", versetzte Evoli bissig, "Aber würdest du?" Nerina zuckte hilflos die Achseln. "Ich weiß es nicht", gestand sie leise, "Ich weiß nicht, ob ich insgesamt den Mut dafür habe." "Auch du musst stärker sein, als du dich fühlst, nicht wahr?" Für einige Sekunden saßen sie Aug in Aug da, dann pflückte Nerina das kleine Iramon von den Felsen und drückte sie an ihre Brust. "Ja, Evoli", sagte sie leise, "Das muss ich. Oft sogar." "Du siehst nie so aus, als ob du Angst hättest", nuschelte Evoli in ihr Hemd. Nerina lachte trocken. "Ich habe gelernt, es nicht zu zeigen", sagte sie leise, "Als Neru und ich klein waren, haben wir fast immer mit anderen Jungs gespielt und als das einzige Mädchen darfst du nicht zeigen, dass dir etwas Angst macht. Darauf warten sie doch alle... Aber Evoli, wenn es dir heute Abend etwas hilft... Ich glaube, wenn du es dort unten nicht schaffst, dann schafft es keiner. Du bist klein, flink und stark und wenn trotz allem etwas schiefgeht, kommst du einfach wieder rauf. Spring in diesen Aufzugschacht, schlag mit deinem Ruckzuckhieb ein Loch hinein und komm ins Hafenbecken. Ich habe einen Pokeball und im Notfall werde ich dich einfach fangen, noch ehe es jemand bemerkt." "Gut...", sagte Evoli langsam, "Dann ist es entschieden... Komm, Texomon, gehen wir..." "Erst musst du aber in deinen Ball", sagte Texomon sanft, der dem Gespräch mit einigem Interesse gelauscht hatte, "Das Meer ist aufgewühlt und ich werde lange tauchen müssen. Wir wollen doch nicht, dass dir zwischendurch die Luft ausgeht?" Schweigend brachte Evoli sich in Positur, offenbar hatte sie beschlossen, ohne Rücksicht auf Verluste das Unvermeidbare zu akzeptieren. Kaum war sie in ihrem Pokeball verschwunden, als Texomon Nerina einen nachdenklichen und beinahe schuldbewussten Blick zuwarf. "Du hast davon niemals gesprochen", sagte er leise, rückte näher an sie und legte Arme und Schwanz um sie, "Warum hast du mir nicht erzählt, wenn es dir zu viel wird? Ich bin stark und ich möchte dich beschützen!" "Eben darum", murmelte Nerina leise, "Du bist stark, mutig und stolz und ich will dich nicht enttäuschen, dich nicht, Neru nicht, Vater nicht... Ich muss allein damit fertig werden." "Musst du nicht!", beharrte Texomon hitzig, "Ich bin dein Partner! Ich ziehe all das durch, weil die Menschen gesagt haben, dass ich Gringo besiegen soll, aber was du sagst, das ist mir viel wichtiger und wenn du willst, schwimme ich mit dir über den ganzen Ozean nach Eden, wo wir unsere Ruhe haben!" Kurz verharrten sie, eng aneinandergekuschelt, dann fuhr er leise fort: "Mir ging es früher auch oft so. Ich war nur eine komische Genmischung, viele Forscher kamen, mich zu begaffen. Sie stellten uns Iramon blöde Fragen, um unsere Intelligenz zu testen. Bei mir war's aber besonders schlimm. Dauernd machten sie Tests, ließen mich kämpfen, diskutierten über meine Lebens- und Einsatzfähigkeit. Die anderen Iramon mochten mich nicht, weil sich immer alles um mich drehte... Dabei habe ich mich so wertlos gefühlt. Erst, als du kamst, als du mich von allen vier Iramon ausgewählt hast, da habe ich mich zum ersten Mal stark gefühlt und mir vorgenommen, dich zu beschützen, vor was auch immer. Darum hat es mir soviel ausgemacht, gegen Pikachu zu verlieren, darum habe ich immer gegen alles gekämpft, was uns begegnet ist..." "Wirklich, Texomon?", fragte Nerina leise, der die Tränen in den Augen standen, "Aber das hätte ich doch nie verlangt..." "Und ich hätte nie verlangt, dass du für mich stark bist... Vielleicht sollten wir in Zukunft offener über sowas sprechen?" Nerina nickte stumm und wischte sich die Tränen fort. Texomon drückte noch einmal fest ihre Hand, dann sprang er ins Wasser und die Evotation begann... "Viel Glück!", flüsterte Nerina ihrem großen Seedrachen zu, als sie ihm Evolis Pokeball zwischen die Zähne klemmte und Nerus Kopfhörerhalfter über den Kopf zog, Kabel und Funksender zwischen Seedrakings Zacken klemmte und das ganze mit etwas Seegras touchierte, "Pass auf dich auf!" "Pass du auf dich auf!", grollte Seedraking mit der Sanftheit einer Sturmflut, "Es ist mir gar nicht recht, dich allein dort zu lassen!" "Wird schon schiefgehen!" Damit beugte sie sich vor, gab ihm einen Kuss auf die nasse Stirn und lief mit raschen Schritten den felsigen Berghang hinauf.

Kaum war sie außer Sichtweite, verlangsamte sie ihre Schritte. Seedraking würde einen weiten Bogen um die Insel schwimmen müssen, was ihr sicher eine Stunde Zeit verschaffen würde. Flink und lautlos wie ein kleiner Berggeist schlüpfte sie durch das Unterholz, bis sie auf der Bergkuppe auf den breiten, betonierten Touristenweg stieß. Kurz ging sie in die öffentliche Toilette, ordnete ihr Haar vor dem Spiegel und richtete ihr halbtrockenes Hemd, dann schritt sie als ganz normale Touristin hinab in die Stadt, schlenderte ohne große Eile durch die breiten Straßen, bis sie die Hafenpromenade erreicht hatte. "Wo bist du?", sagte sie wie beifällig in ihr Handy. "Grade die südliche Spitze passiert", erscholl Seedrakings Stimme aus dem Lautsprecher. "Okay", erwiderte sie lächelnd, als ginge es um das Date mit einem werdenden Freund, "Ich warte am Hafen auf dich!"

Das Besucherzentrum war gerade dabei, eine großartige Lasershow der Hauptattraktionen der Insel auf eine riesige Leinwand zu projizieren, wie es das wohl jeden Mittwochabend tat und im dichten Gewühl der Menschen fiel Nerina nicht weiter auf. Mit sanfter Gewalt drängelte sie sich in den großen, von Kartentischen und Ständern dominierten Empfangsraum und zupfte eine der beamersteuernden Damen am Ärmel. "Entschuldigen sie", sagte sie mit der unschuldigsten Mädchenmiene, die sie zu Stande brachte, "Ich müsste mal ganz dringend... na, sie wissen schon." "Unsere Toiletten sind geschlossen!", erwiderte die Frau, ohne sie richtig anzusehen, "Versuch's doch mal im Hafenrestaurant." "Aber meine Eltern wollen nicht, dass ich ohne zu fragen weggehe und ich kann sie nirgends finden und... oh bitte!" Die Frau warf ihr einen genervten Blick zu, griff aber unter ihr Pult und zog einen Schlüssel hervor. "Da", sagte sie grob, "Geh grad durch!" "Danke!" Mit dankbarem Lächeln huschte Nerina davon, schloss die Tür zum hinteren Teil des Gebäudes auf und fand sich in einem langen, dunklen Gang wieder. Vorsichtig leuchtete sie sich mit ihrem Handy den Weg bis zu dem wohlbekannten Raum mit den Hafenkameras, den sie sich heute morgen näher angeschaut hatte. Mit klopfendem Herzen friemelte sie eine Haarnadel aus der Tasche und schob sie ins Schloss. Ihre zittrigen Finger brauchten einige Sekunden, bis sie den richtigen Winkel fand, aber dann klickte das Schloss artig und die Tür schwang auf. Schwarze Bildschirme empfingen sie. Die Kameras waren nur für die Besucher gedacht und zur Nachtzeit abgeschaltet worden. Fieberhaft suchte sie die Wände nach einem Hauptschalter ab, entdeckte schließlich eine Steckdosenleiste und schaltete sie ein. Die Computer erwachten mit unnatürlich lautem Summen zum Leben, kryptische Zeichen tanzten auf den Schirmen. Mit einem Lächeln wandte sie sich ab, zog die Tür hinter sich zu, natürlich nicht, ohne ein Stückchen Papier ins Schloss zu klemmen, sodass es nicht einrasten konnte und huschte den Gang entlang zurück zur Haupttür. Auch diese präparierte sie mit einem Kaugummipapierchen, ehe sie der Frau freudestrahlend ihren Schlüssel zurückgab und eine gute Viertelstunde im Hafen auf und abschlenderte, ehe sie sich zurück ins Zentrum begab und prospektelesend und Beamerbilder bestaunend der Tür immer näher kam. Als der Beamer gerade das Highlight der Show, das wunderbare Grand-Hotel L'emperor präsentierte und die wunderbaren, goldvertäfelten Zimmer und prächtigen Buffets alle Blicke wie magisch anzogen, lehnte sie sich unauffällig gegen die Tür und noch ehe jemand das herumstreunende, heruntergekommene Mädchen beachten konnte, war sie schon wieder im Inneren des Ganges verschwunden, diesmal ohne Schlüssel und ohne dem Wissen der freundlichen, genervten Dame...

Ihr Handy fiepte, kaum, dass sie das richtige Kamera-Programm gestartet und die vier verschiedenen Bilder auf dem großen Plasma-Screen koordiniert hatte. "Bin jetzt im Toten Winkel der Hafeneinfahrt", verkündete Seedraking, "Das Meer ist sehr stürmisch heute Nacht." "Kein Problem", erwiderte Nerina leise, ihre Stimme schallte unangenehm in dem leeren Raum, "Bin auch grade erst angekommen. Warte kurz..." Mit zitternden Fingern begann sie, die Tastatur zu malträtieren, bis sie es geschafft hatte, den Infrarot-Strahl der Lichtschranke auf der Wärmebildkamera sichtbar zu machen. "Ich hab keine Ahnung, wie man diesen Strahl deaktiviert", sprach sie dann weiter, "Außerdem bewegt er sich immer auf und ab, aber wenn du auf mein Zeichen wartest, dich sehr lang machst und direkt über den Boden rutschst und die Flügelchen einziehst, solltest du drunter durchkommen." "Alles klar", verkündete Seedraking und Nerina sah, wie sich sein roter Kopf ins Bild der Infrarotkamera schob. "Tiefer, Seedraking", rief sie aufgeregt, "Tiefer und warte... Jetzt! Gib Gas!" Mit wild pochendem Herzen beobachtete sie, wie der Strahl langsam nach oben wanderte, während sich eine verwischte, rote Schlange auf ihn zu bewegte, doch Seedraking war zu langsam, der Strahl würde seinen Rücken treffen... "Schneller!", zischte Nerina ängstlich und das Wasserpokemon warf den Kopf herum und stieß einen gewaltigen Wasserstrahl aus dem Maul, der es wie ein Raketenantrieb schräg über den steinigen Boden rutschen ließ. "Dein Schwanz!", rief Nerina, "Zieh den Schwanz ein!" Doch Seedraking hatte den Kopf bereits wieder vom Boden gehoben und glitt grazil davon, die Lichtschranke verpasste seine Schwanzflosse um Zentimeter. Aufgeregt verfolgte Nerina, wie ihr tapferes Seeungeheuer wie ein langer Schatten unter den verankerten Schiffen hindurchglitt und schließlich im Schatten des Kohlekahns verschwand. "Beiß einfach ein kleines Loch in den Schacht", flüsterte Nerina hastig, "Über der Wasseroberfläche! ... Seedraking?", fragte sie ängstlich, "Alles klar?" Auf den Kameras war er nun vollständig verschwunden! Was tat er nur! Bange Minuten vergingen, dann tauchte sein Kopf am Heck des Kohlekahns wieder auf und er riss das Maul auf um zu zeigen, dass Evolis Pokeball nun nichtmehr darin war. Offensichtlich war alles glatt gegangen! "Dann tauch jetzt auf!", schlug Nerina vor, "Mach ein paar große Wellen und lass dich nicht fangen! Ich bleibe bei dir und warne dich!" Das Riesenseepferd nickte knapp, glitt unter einigen weiteren Schiffen hindurch und sprang dann in einer riesigen Fontäne aus Schaum und Spritzwasser gen Himmel. Irgendwo hinter den beiden halbverschlossenen Türen drang ein dumpfer Schreckensschrei an Nerinas Ohren und rasch lief sie zum Fenster, um zu verfolgen, wie die Menschen am Quai erschrocken die Hände vor die Gesichter rissen, als Seedraking einen Sprung nach dem anderen vollführte, mit seinem Schwanz aufs Wasser schlug und meterhohe Wellen gegen die Flanken der Schiffe schleuderte. Keine halbe Minute später eilten Sicherheitskräfte in knallorangefarbenen Westen heran, Schillok durchpflügten das Wasser und versuchten, den Eindringling mit Eisstrahlen zu verjagen, doch Seedraking war sehr geschickt darin, ihnen auszuweichen, zumal Nerina all seine Angreifer klar und deutlich auf dem Schirm hatte. "Eins kommt von schräg rechts unten!", flüsterte sie ihm zu, "Vorsicht! Ein Blizzard von hinten! Tauch ab!" Wie in einem grotesken Ballett tanzten Jäger und Beute um die Schiffe, erstere ängstlich darauf bedacht, nichts zu zerstören, während zweitere mit seinem Schwanz mächtige Hiebe austeilte und einmal sogar versehentlich den Aufzugsschacht traf. "Perfekt!", jubelte Nerina, "So wird jeder denken, das Loch kommt daher!" Die Menschen am Quai gerieten in Aufruhr und bald verfolgte niemand mehr die Lasershow, stattdessen drängten sie sich in der heller erleuchteten Zone vor dem Besucherzentrum, sogar die genervte Dame erkannte Nerina unter ihnen. Die Menge raunte, stieß sich gegenseitig an und Nerina war erstaunt, niemanden Popcorn knuspern zu sehen ob des tollen Schauspieles. Nur die Sicherheitskräfte wurden immer panischer. Nerina sah einen ein Funkgerät zücken, im nächsten Moment blinkte in der Ecke des Bildschirms ein Telefonhörer und mit einem raschen Klick nahm sie ab. "... kriegen es nicht unter Kontrolle!", drang eine kratzige Stimme aus einem Lautsprecher, "Es ist zu schnell für die Schillok!" "Dann setzten Sie eben Turtok ein!", rief eine andere Stimme dazwischen. Die erste schnaubte blechern. "Es ist zu schnell für Schillok! Was soll da bitte ein Turtok helfen? Ich brauche ein Netz! Sie müssen es einwickeln!" "Okay... Netz ist startklar! Die Schillok müssen es an den Ecken rausziehen!" "Weiß ich selber! Over!" Die Verbindung erstarb mit einem Knacken, doch Nerina achtete nicht weiter darauf. Aufmerksam verfolgte sie auf dem Bildschirm, wie sechs Schillok zum Hafengrund hinabstießen und eine große, faserige Seetangmatte aufhoben... Nein, keine Matte! Das Netz! "Seedraking!", rief sie erschrocken, "Sie holen ein Netz! Es kommt von unten, hinter dir! Dreh dich um! Ja und jetzt... Spring!" Gerade, als die Schillok um ihren Feind herumschwammen, um das Netz um ihn zu schlangen, schnellte Seedraking in einer gewaltigen Welle aus dem Wasser. Kurz hing er in seiner ganzen Pracht im Schein der Hafenbeleuchtung in der Luft, dann klatschte er zwischen zwei Segelbooten zurück ins Wasser, seine Welle riss die Schillok mitsamt Netz nach unten. Verzweifelt zappelten sie umeinander, doch die Welle hatte das Netz über ihre eigenen Köpfe gespült und zwei hatten sich verfangen. Hilflos ruderten sie mit ihren Beinchen, während die anderen Schillok das Netz fortzuziehen versuchten. Begeistert klatschte Nerina in die Hände, als erneut ihr Handy vibrierte. "Nerina!", rief Nerus Stimme aufgeregt in ihr Ohr, "Wir sind soweit! Ich habe Blaze dran!"
 

>>>Neru<<<
 

"Findest du nicht, dass wir sie hätten mitentscheiden lassen sollen?", fragte Evoli mit zweifelnder Stimme. "Naja..." Unruhig ließ Neru den Blick schweifen. Evoli hatte da nicht ganz unrecht. Eigentlich wollten sie den Plan ja gemeinsam Entwickeln, doch nun hatte er - Neru - ja alles schon alleine ausgetüftelt. "Sie haben doch mit entschieden", erklärte er halbherzig, "Immerhin haben Nerina und Texomon ja den Vorschlag gemacht - wir haben ihn nur noch ausgearbeitet." Evoli stellte den Kopf schief und Neru wusste, dass er in dieser Diskussion verloren hatte. Sie hatten alle noch mal darüber nachdenken wollen, aber er hatte ja alles auf eigene Faust erledigen wollen. "Wenn du meinst", erwiderte das kleine, plüschigbraune Iramon, dann schmiegte sie ihren Körper an den seinen. "Ich wünsch dir viel Glück", meinte Neru, nachdem er kurz ihr pelziges Fell gestreichelt hatte, "Danke, dass du das tust, ich bin stolz auf dich und auf deinen Mut." Evoli sagte nichts mehr, schnappte sich ihren Pokeball und mit hoch erhobenem Schweif verschwand sie im Wasser, um zu Nerina hinauf zu schwimmen. Neru wartete noch einen Augenblick, dann schaltete er den Computer ein. Es würde noch eine ganze Zeit dauern, bis die Kamera von Evoli sich aktivieren würde, das wusste er, doch er konnte nicht länger warten. Was war eigentlich mit ihm los gewesen? Warum hatte er ohne auf andere Meinungen zu warten seinen Plan durchgezogen? War es nicht falsch, die anderen in dieser Weise in einen Plan stolpern zu lassen, den sie vielleicht gar nicht unterstützten? Neru seufzte und ließ den Blick schweifen. Diese Gedanken waren ihm doch schon mal in ähnlicher Form gekommen, und zwar in der Wasserarena. Diesmal hatte er jedoch nicht, wie er sich auch vorgenommen hatte, über Evolis Kopf hinweg gesetzt und sie zu etwas gezwungen, was sie nicht wollte, sondern seine eigene Schwester. Neru starrte auf den Bildschirm. Verlangte er von seiner Schwester Dinge, die er nicht bereit war zu tun? Immerhin war der Plan von ihm, doch er war der einzige, der keine brandgefährliche Mission dabei übernahm. Noch vor zwei Stunden war es ihm als das beste vorgekommen, einfach hier unten zu bleiben und die Dinge, die da kommen sollten, abzuwarten und als Schaltzentrale alles zu verwalten, doch war das nicht falsch? Er kam sich räudig und feige vor, weil alle anderen für seinen Plan ein solches Risiko eingingen und nur er allein hier unten saß und so zu sagen keiner Gefahr ausgesetzt war. Evoli würde den Einbruch übernehmen, Nerina würde ebenso in das Informationscenter einbrechen und Texomon sich dem Angriff dutzender von Wasserpokemon aussetzen, nur er, Neru, der Superplaner, wie er sich selbst anschnaubte, saß hier unten in der Höhle in Sicherheit ohne ein Risiko und konnte die mutige Vorstellung seiner Freunde wie im Kino genießen. Er begann, sich vor sich selbst zu ekeln und bevor er etwas anderes denken oder tun konnte, klappte er den Laptop zusammen, schnappte sich seinen Rucksack und befand sich schon auf dem Weg in die Stadt. Wenn er schon nicht direkt helfen konnte, so konnte er immerhin im Falle eines Falles in der Nähe sein, wenn etwas passieren würde. Von dort oben konnte er immerhin direkt etwas tun, anstatt nur wie ein Lehrer Ratschläge zu geben. Am Hafen wäre er wahrscheinlich am besten aufgehoben, dachte er bei sich und machte sich dann auch sogleich auf den Weg an den Kai. In einer ruhigen Ecke baute Neru den Laptop wieder auf. Er wollte gerade eine Meldung an Nerina rausschicken, als die Kamera von Evoli zum Leben erwachte. "Neru? Bist du da?", fragte Evoli zaghaft und Neru stöpselte schnell sein Mikrofon an den Laptop und dankte dem Himmel, dass Evoli nicht schon vor ein paar Minuten aus ihrem Pokeball geschlüpft war. Nach einer kurzen Pause, in der Neru noch mit den Steckern und Kabeln kämpfte und sich immer mehr wie ein Idiot vorkam, gab er beruhigend durch, dass auch er da war und alles sehr gut sehen konnte. Sie befanden sich in der Aufzugsröhre, beziehungsweise Evolis Kopf, der Rest des Iramons musste noch abwartend draußen hängen. "Wo ist der Aufzug?", fragte Neru in sein Mikrofon hinein und die Kamera begann herum zu schwenken und den Aufzug zu suchen. Es war irgendwie komisch durch fremde Augen zu sehen, doch nach nicht langer Zeit fokussierte sich die Kamera auf eine große Metallplatte über ihnen. Evoli sagte nichts, sondern nickte nur leicht. "Scheint so, als würde der nicht runterkommen, kannst du hineingelangen?" Evoli nickte wieder, sie wusste, dass jedes Geräusch sie verraten konnte und so blieb sie so still wie möglich. Kurz darauf rutschte Evoli den langen Schacht des Aufzuges hinunter. Da zur Zeit Ebbe war, war der Aufzugsschacht nicht so steil, wie er hätte sein können und bot eine schöne Rutsche, doch Neru vor seinem Computer wurde weiß. Er hatte noch nie aus der Sicht von Evoli gesehen und die Geschwindigkeit, mit der das Iramon reagierte, beeindruckte ihn zu tiefst, dennoch bekam er Angst, Angst davor, Evoli zu viel zugemutet zu haben. Ging es Nerina eventuell auch so? Hatte er zu viel von ihr verlangt? Immerhin hatte er selbst ja auch keine Ahnung, wie sie den Laser deaktivieren sollte, doch hatte sie es anscheinend geschafft. Er verspürte stolz auf seine mutige Schwester, aber zugleich auch Scham. Er schämte sich, ihr so viel zuzumuten. Als Evoli unten am Aufzugsschacht ankam, fanden sie nur eine, mit Gittern verriegelte Tür vor. Durch die ging es nicht. Die Kamera auf Evolis Kopf gab durch die schnellen Bewegungen von Evoli kein klares Bild ab und Neru wurde klar, dass Evoli diese Sache trotzdem, dass er dabei war, alleine durchziehen musste. Er konnte nicht schnell genug erkennen, was geschah. "Da ist ein Lüftungsgitter, ich werde es aufbrechen müssen", erklärte Evoli im Flüsterton, doch im selben Augenblick gesellte sich ein anderer Laut zu ihrem Flüstern hinzu. Über ihrem Kopf hatte sich der Aufzug in Bewegung gesetzt, das konnte Neru durch die Kamera erkennen als Evoli nach oben sah. Viel zu schnell kam die Metallplatte herunter und Evoli drehte sich wieder dem kleinen und schmalen Lüftungsgitter rechts unter der Tür zu. Im nächsten Augenblick hatte Neru das Gefühl, dass die Kamera eine Fehlfunktion haben müsste. Sie zog nur noch Schlieren und Schleier und als er wieder klar sehen konnte, sah er vor sich nur ein schwarzes nichts. "Lebst du noch Evoli?", fragte er zaghaft durchs Mikrofon. Als keine Antwort ertönte, begann er schon, sich die schlimmsten Vorwürfe zu machen. Doch dann erkannte er, dass die Kamera noch sendete, ein schmaler Lichtstreifen war zu entdecken. Evoli zischte ein kaum verständliches und wie ein Lufthauch klingendes "Jah!" in ihr Mikrofon und setzte langsam ihren Weg fort. Nerus Herz raste, er würde nie wieder so einen Plan ersinnen. Wenn etwas schiefging, das wurde ihm nun mit einem Mal klar, war auch er alleine Schuld daran. Er musste unbedingt sein möglichstes tun, um zu helfen. Rasch sah er sich um. Texomon war auf dem Wasser offenbar erfolgreich, denn im ganzen Hafen war schon ein riesiger Tumult im Gange und da er noch nicht geschnappt war, war auch Nerina bei ihrer Aufgabe bis jetzt erfolgreich gewesen. Evoli kämpfte sich weiter durch die Lüftungsschächte des Gefängnisses vor. Den beiden Iramon konnte er nicht helfen, so viel stand fest. Aber Nerina könnte unter Umständen ein kleines Ablenkungsmanöver beim Ausbruch gebrauchen. Rasch versuchte er, sich ein paar Szenarien auszudenken, wie er ihr wohl am besten helfen könnte, doch so wirklich fiel ihm nichts ein. Da half wohl nur abwarten und sehen, was man tun konnte. Er kam sich immer mehr wie ein Depp vor. Das wurde auch dadurch nicht besser, als Evoli fragte: "Hier gibt es Abzweigungen, welche soll ich nehmen?" Auf der Kamera konnte Neru nichts erkennen und helfen konnte er ihr leider auch nicht wirklich. Als er nicht antwortete, weil er immernoch überlegte, was er sagen sollte, schnaubte sie nur empört und wählte den mittleren der drei Gänge aus. Neru am Computer atmete tief durch. Wo war er eigentlich mit seinen Gedanken? Ja, er hatte Fehler gemacht, aber der Plan war gut und das Gelingen seines Plans hing davon ab, dass er jetzt hier nicht schlapp machte. Was würde Nerina...? Nein! STOP! Verbot er sich in Gedanken und konzentrierte sich wieder auf den Computer. Hatte er nicht irgendwo etwas Sinniges über das Gefängnis herausgefunden, irgendeine Information, wo sie die Gefangenen hielten? Was wäre denn sinnvoll? "Die mittlere Abzweigung war richtig", erklärte er Evoli, "Versuch weiter, so weit es geht in den Komplex vorzustoßen. Im vorderen Bereich werden die Räumlichkeiten für Verwaltung und die Wärter sein, die Zellen dürften dann weiter hinten kommen." Evoli nickte wieder und Neru hoffte inständig, dass seine kleine Freundin ihm auch vertraute. Während Evoli weiterlief versuchte er, ihr möglichst viele Informationen zu geben, die sie, wie er wusste, schon längst kannte. "Da kommen Gitter", sagte Neru, um Evoli diesen Satz vorweg zu nehmen, "Vielleicht befinden sich darunter schon die ersten Gefangenen, vielleicht kannst du ja mal ganz vorsichtig hinunter linsen?" Die Kamera senkte sich in Richtung der Gitter und unten konnte er einen Raum erkennen mit Waschbecken, einer Toilette und einem Bett, auf dem ein unrasierter Mann schlief. Offenbar gab es nur einen Zugang. "Das ist eine der Zellen", jubelte Neru, "Lauf weiter, Evoli." Doch sie waren noch nicht weit gekommen, als Evoli erstarrte. "Da bewegt sich was", erklärte sie, obwohl sie doch eigentlich überhaupt nicht sprechen sollte, doch Neru konnte auf der Kamera nichts erkennen. "Was ist es?", fragte er, "Kannst du ihm ausweichen?" Evoli schüttelte den Kopf, sodass Neru, der die Bilder verfolgte, ganz schwindelig wurde. "Ein Rattfratz", erklang es dann. "Mach es schnell und möglichst lautlos platt!" Doch weder das Erste, noch das Zweite gelang und kurze Zeit später hallte das Geschrei des Rattfratzes die Gänge entlang. Weitere Schemen tauchten auf. "Versteck dich, Evoli!", schrie Neru, ungeachtet der Tatsache, dass er am Hafen saß. Verschreckt blickte er auf, doch es war niemand in der Nähe. Weiter aus seiner Gasse hinaus konnte er einen großen Menschenauflauf sehen, der schreiend am Hafen versammelt stand und dem, wahrhaft gigantischen Wellen und Fontänen in die Luft werfenden Seedraking zusahen. Gerade eben veranstaltete Seedraking ein Höllenspektakel und sprang dabei aus dem Wasser auf. So, als würde er über etwas hinweg springen. Doch Neru hatte keine Zeit, die Szenerie weiter zu verfolgen und wandte sich wieder seinem Computer zu. Evoli befand sich unter einer der Bodenplatten im Gang in einer Art Spalt voller Kabel. Das Rattfratz veranstaltete immernoch ein Spektakel, als hätte man versucht, ihm die Schneidezähne zu ziehen. "Alles klar bei dir?", fragte Neru und Evoli nickte langsam. Man musste abwarten, ob die wachenden Pokemon auch Evoli entdecken würden. Neru hoffte nur inständig, dass Nerina und Texomon lange genug durchhalten würden. Nach einer Weile schlüpfte Evoli wieder in den Gang empor. Von dem Ratfratz war nichts mehr zu sehen und weiter ging die nervenaufreibende Suche. Neru starb fast vor dem Computer vor Anspannung und er bedauerte immer mehr, dass er Evoli auf eine solche Mission geschickt hatte. Andererseits gab es keine andere Möglichkeit. Sie mussten Blaze befragen und ein anderer Plan war ihm nunmal nicht eingefallen. Da mussten sie jetzt alle durch. Nach einer endlosen Suche und dem Ausweichen von zwei weiteren Rattfratz fanden sie endlich Blaze Zelle. Neru identifizierte ihn genau an dem Bild, das ihm Professor Eich geschickt hatte. Jetzt kam der richtig knifflige Part. Wie sollten sie die Kamera in Blaze' Zelle austricksen? Neru hatte sich mehrere Ideen zurechtgelegt, doch diesmal war es Evoli, die eine Idee hatte. Mit einer raschen Bewegung hob sie eine der Platten an. "Wie lange brauchen wir?", zischte sie ins Mikrofon. "So etwa zwei bis drei Minuten." "So lange, wie die Wachen brauchen könnten, um hierher zu kommen?", zischte Evoli eine weitere Frage durch ihr Mikrofon. "Ja, schon möglich", meinte Neru und Evoli hob eine Pfote, schob eine einzelne Kralle heraus und kappte gezielt eines der Kabel. "Dieses Kabel gehört zur Kamera", erklärte sie, während sie das Lüftungsgitter aus den Angeln beförderte, "Bis die da sind, wissen wir schon alles." Neru beobachtete staunend, wie Evoli einen aufwärts gerichteten Tackle dazu benutzte, das Gitter aus den Angeln zu heben und in den Raum hinauf sprang. Verdutzt schreckte der, in schwarz angezogene Mann auf dem Bett auf. "Was?", fragte er. "Iramonmission", erklärte Evoli und bot ihm ihren Bauch an. Neru wusste, dass sie nicht viel Zeit hatten und so stellte er sofort die Verbindung zu Nerina her. "Hallo, Iramontrainer!, erklärte Blaze, "Ich weiß nicht, wie ihr das geschafft habt, aber hier kommt die Botschaft. Passt nur gut auf euch auf, die Sache ist gefährlich." Neru fand, dass Blaze unglaublich schnell reagierte, so als hätte er erwartet, dass die Iramon bei ihm auftauchen würden. Hat er wahrscheinlich auch. Auch er hat vorgeplant, mischte sich die wohl bekannte Stimme in seinem Kopf ein. Doch für weitere Diskussion mit sich selbst blieb keine Zeit, denn schon begann Blaze, ein Lied zu singen.
 

"In finstrer Nacht, da warte ich,

in Felsen hart und schwer,

der Mond, der schien einst hell auf mich,

nun ist der Himmel leer.

Steinern ruht mein Himmelszelt,

in ewger Einsamkeit,

denn Feuer trennt mich von der Welt,

und ach - der Weg ist weit.

Ein Gang führt in mein stilles Heim,

schmal und voller Tück'

durch Feuerwalzen, Flammenpain

der Gang führt nie zurück.

Er endet, so entsinn' ich mich,

im Herzen des Vulkan,

ich sah ein neblig, silbrig Land,

zu meinen Füßen an.

Es war so reich, voll goldnen Lichts,

voll kleiner Feuerwesen,

nur ein Schandfleck schien erpicht,

wo Menschen bös' gewesen.

So komme nun und rette mich,

der nach dem Feuer tracht'

sei mutig, stark und finde mich,

wenn's sei in deiner Macht.

Am Tag, an dem des Sommers Flamm,

beendet ihren Gang,

da soll dir offenstehn das Lamm,

Es wird nicht sein für lang."

>>>Nerina<<<
 

"Und was heißt das jetzt?" Verwirrt starrte Nerina auf den kleinen Handy-Bildschirm, auf dem einige, rote Zahlen um die Wette blinkten. Mit einem Mal erschienen sie völlig bedeutungslos. Sie war in einen fremden Computerraum eingebrochen, Texomon kämpfte da draußen gegen eine Übermacht an Schillok und lief jede Sekunde Gefahr, gefangen oder verwundet zu werden und die arme Evoli war dort, bis tief in den stählernen Bauch des Gefängnisses vorgedrungen - und alles nur für ein dummes Gedicht!? "Keine Ahnung", beantwortete Neru ihre Frage atemlos und mit einiger Verspätung, "Wir haben auch keine Zeit, es herauszufinden! Evoli muss schnell fliehen..." Ein Klicken in der Leitung war sein einziger Abschied. Einige Herzschläge lang blieb Nerina noch bewegungslos sitzen, starrte auf das Handy in ihrer Hand und ließ es schließlich wieder achtlos auf die Tischplatte fallen. Egal ob Blaze's Nachricht nun Sinn machte oder nicht, sie mussten die Sache durchziehen. Rasch wandte sie sich wieder Seedraking zu, der müde auf der Seite paddelte, sein Schwanz trieb von einem Blizzard gelähmt hinter ihm. "Seedraking!", rief sie erschrocken, "Oh Nein!" Beim Klang ihrer Stimme hob Seedraking den Kopf, schnaubte eine kleine Aquaknarre und duckte sich unter den Rumpf eines Schiffes, um den fliegenden Pokebällen auszuweichen, die es einzufangen suchten. Besorgt beobachtete sie seine Ausweichmanöver, rief ihm Warnungen zu, wenn eins der Schillok zu nahe kam und berichtete ihm auch von den Tauen, die bereit gemacht wurden, um sein Tempo zu verringern, doch ihr Herz wurde immer schwere und sie fühlte sich schrecklich mutlos. Sie hatten hoch gepokert - und der Gewinn war doch so gering ausgefallen. Die Minuten zogen sie wie Gummibänder in die Länge, während Seedrakings Bewegungen immer matter wurden. "Gib auf!", flüsterte sie schließlich heiser, "Schwimm aufs offene Meer und ich werde Evoli fangen, wenn sie rauskommt!" Doch Seedraking warf stolz den Kopf zurück und schwamm weiter, erneut hinein in die Meute der Schillok, eine dünne Blutspur hinter sich herziehend. "Seedraking...", flüsterte sie heiser und schloss die Augen, als eins der Schillok Seedraking seine Schädelwumme auf den Kopf knallte, sodass ein Zittern durch seinen mächtigen Körper lief und heiße Tränen brannten auf ihren Wangen, da fiepte endlich das Handy. "Evoli ist raus", sagte Nerus Stimme hastig, "Sie klettert grade hoch auf den Kohlekahn. Kann Texomon...?" "Nein!", erwiderte Nerina mit rauer Stimme, "Nein, wird er nicht!" Damit unterbrach sie die Verbindung und rief erleichtert auf Seedrakings Frequenz: "Seedraking! Sie ist draußen! Rückzug!" Mit einer letzten, gewaltigen Anstrengung bäumte Seedraking sich auf, schlug wild mit seinen Flügelchen und brüllte, dann ließ es sich zurück unter Wasser gleiten. Auf der Wärmebildkamera konnte sie sehen, wie er davonschoss, kurzerhand ein Loch in das Fangnetz an der Hafenausfahrt biss und im Dunkel der See verblasste, als sei es nie da gewesen. Sofort setzten die Schillok zur Verfolgung an, eins nach dem anderen sah Nerina sie hinaus ins offene Meer schwimmen, dann lag der Hafen so still und verlassen da wie eh und je... "Seedraking?", flüsterte sie ängstlich in ihr Handy, "Geht’s dir gut? Wo bist du?" Doch für eine lange, lange Zeit antwortete ihr nur das Rauschen der Wellen und Nerina machte sich schweren Herzens daran, ihren eigenen Rückzug vorzubereiten. Mit zitternden Händen schaltete sie die Computer aus, schob alle Gegenstände in ihren alten Zustand zur8ck und löschte das Licht. Mit einem Mal umfing sie nichts als bleierne, schwere Finsternis... "Der Mond, der schien einst hell auf mich, nun ist der Himmel leer", murmelte sie gedankenverloren die Reime von Blazes merkwürdigem Gedicht nach, ohne sich überhaupt richtig darüber bewusst zu sein, dass sie sprach. Sie lauschte unentwegt auf das Geräusch des Wassers in ihrem Kopfhörer, bis sich ein zweiter Laut dazugesellte, der Laut hastender Schritte und diesmal war er nicht nur aus dem Lautsprecher, sondern real! Mehrere Menschen stürmten den verlassenen Gang hinunter, Türen knallten, ganz in ihrer Nähe und dann redeten viele Stimmen durcheinander. Nerina fühlte keine Angst, nicht um sich. Wie betäubt ließ sie sich vom Stuhl gleiten, schlüpfte unter den Schreibtisch, doch niemand öffnete ihre Tür. Stattdessen kehrten die Stimmen zurück in Richtung des Besucherzentrums. Die Tür fiel mit einem metallischen Klicken ins Schloss und Nerina begriff, dass dieser Ausgang nun nicht mehr passierbar war. Dennoch blieb sie reglos hocken, nichts als den rhythmischen Schlag ihres Pulses in den Ohren, bis ein leises Ploppen sie so heftig aufschrecken ließ, dass sie mit dem Kopf an die Schreibtischplatte knallte. "Nerina?", fragte Texomons Stimme. Sie war verzerrt vom Rauschen der Wellen, doch Nerina erkannte, dass sie müde war, so schrecklich müde. "Texomon!", rief sie leise, "Oh, du lebst!" "Mir... geht ... es gut", erwiderte Texomon mit einer Stimme, die seine Worte lügen strafte, "Ich hänge an dem Steuerblatt eines Tankkahns in Richtung Azuria. Keine Ahnung, wie weit das noch ist, aber immerhin kenne ich mich da etwas aus. Wenn wir nah genug sind, werde ich einfach loslassen und zu den Strand schwimmen, wo wir am Abend vor der Wasserarena geschlafen haben. Ich denke, da kann ich den Rest der Nacht sicher schlafen und sobald es hell wird, verstecke ich mich irgendwo im Wald. Wir treffen uns morgen, bei Sonnenuntergang am Strand. Pass auf dich auf..." Damit erstarb seine Stimme im immergleichen Rauschen des Meeres, doch Nerina hatte genug gehört. Mit neu erwachtem Mut rappelte sie sich wieder auf, schlich zur Tür und linste hinaus. Durch die große Eingangstür des Besucherzentrums sickerte Licht und gedämpfte Stimmen schienen dahinter zu streiten. Sie musste einen anderen Weg finden. So leise sie konnte ließ sie die schwere Computersaaltür ins Schloss fallen, huschte katzengleich den Korridor entlang und zurück zu den Toiletten, doch das Fenster darin war viel zu klein, als dass sie hätte hinausklettern können. Mit wachsender Verzweiflung lief sie weiter, fand eine schmale Holztreppe und stürmte, immer zwei Stufen aufeinmal nehmend hinauf. Auch im zweiten Stock erwartete sie ein Korridor voller verschlossener Türen. Probehalber fingerte sie mit der Haarnadel in einigen Schlössern herum, doch die gaben ihr Geheimnis nicht so leicht preis und unverrichteter Dinge lief sie weiter, ängstlich nach allen Seiten sichernd. Es war mehr zufällig, als wirklich gewollt, dass sie plötzlich durch die nur angelehnte Tür der Besenkammer stolperte, ausglitt und verdutzt auf einem umgestülpten Eimer zum Sitzen kam, der fahle Schein des vollen Mondes glitzerte auf den Scherben eines zerbrochenen Spiegels zu ihren Füßen. Fassungslos ob ihres Glücks wandte Nerina den Blick nach oben und sah auf einen beinahe makellosen Sternenhimmel. Mit einem Satz war sie wieder auf den Beinen, trat die knarzende Tür zu und angelte nach dem rostigen Fenstergriff - er ließ sich bewegen. Unerwartet leicht schwang das Fenster auf, ein Schwall kühler Nachtluft streifte ihr Gesicht. Kurz zögerte Nerina, ehe sie sich mit einem Klimmzug hinauf aufs Fenstersims wuchtete und vorsichtig einen Fuß auf die Ziegel des Daches setzte. Z1m Glück waren sie trocken und das Dach hatte kaum Gefälle, sodass sie langsam hinauskroch, auf Händen und Knien über das vogeldreckige Ziegeldach kroch. Im Westen grenzte das Gebäude an den Bau der Hafenanlage an, das wusste sie, aber nach Süden hin stand ein weiteres Haus, eine Art alten Prunkbaus mit vielen Giebelchen und entsetzlich steilem Dach. Kurz zögerte sie, doch ihr blieb keine andere Wahl, wenn sie nicht hier oben liegen bleiben wollte, bis die Sonne aufging und allem Zauber ein jähes Ende bereiten würde. Mit wild klopfendem Herzen griff sie nach der Regenrinne, zog sich bäuchlings hinauf und krallte die Finger schmerzhaft in die Ritzen der viel zu steilen Ziegel. Schnaufend zog sie sich empor, kroch langsam hinauf zum Dachgiebel und dann, schneller, als es ihr lieb war, drüben wieder hinunter. Ihren mehr oder weniger unkontrollierten Rutsch gerade noch umlenkend glitt sie über den Dachkantel, kam schmerzhaft auf dem zwei Meter darunter gelegenen Wellblechdach eines Schuppens zum Stehen und lief auf dessen andere Seite, nur, um zu erkennen, dass sie mehr denn je in der Falle saß. Zu ihren Füßen lag ein kleiner, dreckiger Innenhof, zu allen Seiten umstellt von hohen, modernen Häusern. Keins der umliegenden Dächer war auch nur annähernd in Reichweite des kleinen Schuppens. Mit einem leisen Fluch hockte Nerina sich auf den Rand des Daches, packte den Dachkantel und ließ sich die knappen drei Meter hinab in ein weiches Blumenbeet gleiten, ehe sie hastig den Hof zu umrunden begann, immer auf der Suche nach einem winzigen Durchschlupf, doch da war keiner. Verzweiflung machte sich in ihr breit, wie sollte sie Texomon denn holen, wenn sie hier festsaß? Er verließ sich doch auf sie! Warum hatte sie nicht sorgfältiger recherchiert? "Weil ich keine Zeit hatte", fauchte sie die Antwort halblaut, "Weil mein Bruder es ja mal wieder so schrecklich eilig hatte!" "Nerina?", erscholl da plötzlich eine vertraute Stimme über ihr, "Hee! Ich bin hier oben! Pass auf! Ich hab ein Seil!" und mit einem peitschenden Geräusch sauste das Ende des starken Taus durch die Luft. Nerina fing es in den Händen und begann sofort, zu klettern. Das faserige Hanf schnitt schmerzhaft in ihre Handflächen, doch ächzend und hin und herschwankend hielt es stand, bis Nerus Hände über ihr in Sicht kamen und er ihr über den nächsten Dachkantel hinaufhalf. Keuchend blieben sie eine kleine Weile so hocken, dann bedeutete Neru ihr schweigend, ihm zu folgen und geduckt liefen sie über ein weiteres Dach bis auf dessen jenseitige Seite. Mit geübten Griffen knotete Neru das Seil um den Schornstein, dann ließ er erst sich selbst und dann Nerina daran heruntergleiten. Geschmeidig wie zwei Katzen landeten sie auf dem groben Kopfsteinpflaster der engen Nebengasse. Wie zufällig hob Neru seinen Rucksack vom Boden auf, dann gingen sie schweigend davon, das Seil blieb dünn und leise schwingend hinter ihnen zurück.

"Danke, Neru", seufzte Nerina endlich erleichtert, als sie die breite Hauptstraße erreicht hatten und sich dem Strom der Passanten in Richtung ihres Berges anschlossen, "Das war Rettung in letzter Sekunde! Sag mal, wie zum Henker hast du mich gefunden und was machst du überhaupt hier oben?" Neru seufzte und strich sich müde das dunkle Haar aus der Stirn. "Na, ich kam mir irgendwie ziemlich gemein vor, als einziger dort unten in der Höhle zu sitzen, während ihr alle den Kopf für meinen Plan hinhalten müsst. Da bin ich rauf zum Hafen gekommen, um wenigstens im Notfall noch zu helfen und als du so plötzlich aufgelegt hast, da habe ich deine GPS-Koordinaten ausgelesen und gesehen, wohin du gelaufen bist. So konnte ich auf dem Stadtplan die beste Fluchtmöglichkeit raussuchen und dich abholen..." "Du bist ein Genie", seufzte Nerina, ebenso müde, "Und, ist mit Evoli alles klar?" "Ja, ihr geht’s gut", erwiderte Neru schulterzuckend, "Sie meckert über den Kohlestaub, aber ansonsten ist alles klar. Wenn das Schiff nach Plan fährt, können wir sie morgen Mittag in Kiyoshi abholen. Wo steckt Texomon, ist er...?" "Er ist wohlauf", erwiderte Nerina rasch, "Allerdings wartet er am Festland, keinen Schimmer, was da schiefgegangen ist, aber ich wollte nicht fragen. Er war... verletzt..." "Er hat tapfer gekämpft!", sagte Neru fest und legte ihr eine zitternde Hand auf die Schulter, "Ich habe gesehen, wie er gegen all diese Schillok gekämpft hat..." "Ja, aber es war zu viel für ihn", entgegnete Nerina leise, "Er war total fertig und ... ich würde ihn wirklich ungern nochmal einer solchen Gefahr aussetzen..." "Nein!", entgegnete Neru fest, "Wir werden weder Evoli, noch Texomon, noch dich je wieder in solche Gefahr bringen, das verspreche ich dir! Soweit soll es nicht mehr kommen!"

Kapitel 4

>>>Neru<<<
 

"Ich möchte mich bei euch allen entschuldigen. Der Plan, den ich ersonnen habe, hat euch alle viel mehr in Gefahr gebracht, als ich das beabsichtigt hatte, vor allem hatte ich nicht beabsichtigt, euch alle bei der Entwicklung so zu übergehen. So gut meine Motive auch immer gewesen sein könnten, habe ich doch mehr von euch verlangt, als ich selber zu geben bereit gewesen wäre." Voller Enthusiasmus warf Neru sich in die Brust. "Mir tut es schrecklich leid, deine Verletzungen, Texomon, dich überfordert zu haben, Nerina, und auch deine Feigheit Evoli... äääähhh..." Neru stockte und die Möwe vor ihm legte den Kopf schief. "Wollt ihr meine Entschuldigung annehmen, mit dem Vorsatz, nie wieder so über eure Köpfe hinweg zu entscheiden?" Die Möwe ließ einen heiseren Schrei hören, der eher wie ein Lachen klang und Neru wurde rot. "Ja, das könnte man so sagen", erwiderte er tonlos. Die Möwe breitete ihre Schwingen aus und flog davon. "Ja, das finde ich auch", murmelte Neru vor sich hin, "Zum davonlaufen. Was soll ich den anderen nur sagen?" Schon zu Anfang der Schiffsreise hatte Neru sich auf das verlassene, im Schatten liegende Deck des Wassertaxis von Anemonia nach Azuria City zurückgezogen, während Nerina und eine stolze Evoli ganz oben den Fahrtwind und die Sonne genossen. Tatsächlich schienen die beiden komplett zufrieden mit sich zu sein, nur Neru war das eben nicht. Er hatte Evoli, als er sie abholen kam, kaum in die Augen sehen können, so schämte er sich für das, was er ihr zugemutet hatte und so ähnlich ging es ihm auch mit Nerina. Wie sollten sie ihm je wieder vertrauen? Ein lautes, dröhnendes Hupen riss ihn unsanft aus seinen Gedanken. Erschrocken wirbelte er herum und sah die Hafeneinfahrt von Azuria City vor sich liegen. Hatte er etwa tatsächlich die ganze Fahrt mit Grübeln verbracht? Nerina und Evoli machten sich bestimmt schon Sorgen um ihn, immerhin war er nur verschwunden, um, wie er es gesagt hatte, sich auf dem interessanten Schiff umzusehen und aufs Klo zu gehen. Doch jetzt musste er schon seit einer guten Stunde verschwunden sein. Er hoffte nur inständig, dass Evoli - Ach was hatte die Kleine doch einen guten Kern! Kein Laut des Vorwurfs war über ihre Lippen gekommen - noch nicht angefangen hatte, nach ihm zu suchen. Rasch schnappte er sich seinen Rucksack mit dem kleinen, weiße Netbook darin und rannte, hier und da Leute anrempelnd, über das Schiff wieder hinauf zu den anderen. "Bist du ins Klo gefallen?", fragte Nerina mit verschmitztem Grinsen und Evoli kugelte sich bei der Vorstellung vor unterdrückter Heiterkeit auf dem Boden. Das mit dem Sprechverbot hatte sie gut heraus und auch das Lachen, das in ihr aufkeimte, konnte sie gekonnt unterdrücken, dennoch sah man ihr die Heiterkeit deutlich an. Offenbar hatten die beiden sich einen Spaß daraus gemacht, sich Geschichten darüber auszudenken, wo er denn stecken könnte. Liebevoll und dabei seine Scham vergessend fing er an, ihren Bauch zu kitzeln, was Evoli allerdings noch viel mehr zum Lachen brachte. Die meisten Gäste waren schon verschwunden, so hörte niemand, wie Evoli irgendwann tatsächlich erst zu glucksen und dann zu lachen anfing und Neru lachte mit ihr und das, obwohl er doch noch vor Minuten selber so besorgt gewesen war. Als sie das Ufer erreichten, brachen sie sofort in Richtung des Strandes auf, an dem sie die Nacht vor ihrem ersten Arenakampf geschlafen und trainiert hatten. Sinnend dachte Neru darüber nach und irgendwann platzte es aus ihm heraus. "Ist schon Wahnsinn, was, seit dem wir das letzte Mal hier waren, alles passiert ist, oder?" Nerina lächelte ihn an. "Ja, das ist es", meinte sie, "Und wie anders wir damals noch gewesen sind." "Wieso?" Neru starrte sie verdutzt an. "Inwiefern denn anders?" "Naja, ich weiß noch, wie verbissen du hier mit Evoli trainiert hast und, wie du damals mit dem Kanu rausgefahren bist. Ich weiß auch noch, wie unbeherrscht damals Texomon gewesen ist. Wenn ich mir überlege, wie er jetzt herumläuft, kommt es mir vor, als lägen schon Jahre zwischen heute und damals." "Hab ich mich eigentlich auch verändert?", fragte Evoli in die sinnierende Stille. Lachend hob Nerina das kleine Pokemon vom Boden auf und streichelte ihr den Rücken. "Wenn ich daran denke, wie viel Angst du damals noch vor dem Wasser hattest, glaubst du dann nicht, dass auch du dich verändert hast?" "Stimmt wohl", meinte Evoli und sprang von ihrem Arm aus auf Nerus Schulter. Neru dachte nach. Irgendwie hatte Nerina schon Recht, es war nicht nur viel passiert, sie hatten sich auch verändert und waren nicht mehr, wie sie früher einmal gewesen waren. Oder doch? Hatten sie sich wieder mehr angenähert? War er nicht zwischendurch anders gewesen und hatte sich jetzt wieder auf seine richtigen Wurzeln zurückbesonnen? Er spürte, wie die Botschaft, die er auf dem Boot schon hatte senden wollen, jetzt an die Oberfläche kam und heraus musste. Er spürte, dass er seine Worte nicht mehr länger zurückhalten konnte und so brachen sie aus seinem Mund, noch bevor er ein weiteres Mal darüber nachgedacht hatte. "Evoli, es tut mir leid, dass ich dich so in Gefahr gebracht hab." Evoli sah ihn mit großen Augen an, sprang von seiner Schulter und blieb stehen. Auch Neru und Nerina blieben stehen, dann sagte sie mit dem Brustton der Überzeugung: "Ich hab es gerne getan. Nur, wer seine Angst überwindet, ist wirklich mutig und ich wollte mutig sein. Außerdem hab ich es doch geschafft, wofür entschuldigst du dich dann eigentlich?" Neru war sprachlos. Er hätte alles von seiner Begleiterin erwartet, aber nicht, dass sie seine Entschuldigung so zurückwies. "Aber..." "Kein Aber, Neru", lachte Nerina, "Du hättest uns am Anfang schon ein bisschen mehr einbeziehen können. Aber dein Plan hat funktioniert, also war es richtig." "Und Texomon?" "Wenn du dich bei Texomon entschuldigen möchtest", fuhr sie ihn an, "Dann mach das heute Abend mit ihm aus und nicht mit mir." Neru sah ein, dass er hier und jetzt nicht mehr erreichen konnte und verfiel wieder in Schweigen. Nerina hatte recht. Sie alle hatten sich sehr verändert, doch was ihr vielleicht nicht auffiel: Auch sie selbst hatte sich verändert. Früher war sie nur auf den Spaß aus gewesen, doch mittlerweile schlich sich in ihre Art ab und an eine sehr ernste Note, in der sie den Späßen von Texomon nicht mehr so leicht nachgab. Sie hatte sie sozusagen synchron mit Texomon entwickelt. Schon erstaunlich, dachte Neru, wie die Iramon sich und uns verändern, obwohl ich mir sicher bin, dass keiner von ihnen das wollte.

Als er es am Abend bei einer großen Portion Fish and Chips, die er zur Feier ihres Sieges mit Evoli noch aus der Stadt besorgt hatte, bei Texomon mit einer Entschuldigung versuchte, wehrte dieser genauso ab, wie es Nerina und Evoli am Nachmittag getan hatten. Er war nicht so schwer verwundet worden, wie er und Nerina gefürchtet hatten und hatte den ganzen Tag durchgeschlafen. Jetzt brüstete er sich damit, der Held der ganzen Aktion gewesen zu sein. "Jetzt komm, Neru", meinte er, "Entschuldige dich nicht lange und red nicht so lange um den heißen Brei herum, sondern erzähl, was Blaze gesagt hat." Neru schluckte seine Bemerkung hinunter. Normalerweise wurden seine Entschuldigungen nicht so mir nichts dir nichts hinweg gewischt, doch die anderen schienen offenbar mit dem Gelingen der Mission und damit mit der ganzen Mission zufrieden zu sein. "Also gut", begann er feierlich, doch er wurde von Evoli unterbrochen, die just in diesem Moment damit begann, ihre eigene Heldentat neben der von Texomon in der abendlichen Salzluft auszubreiten. Eine ganze Weile diskutierten die beiden darüber, wer von ihnen denn nun die wichtigere Rolle gehabt hätte. "Ich hab Blaze immerhin erreicht", erklärte Evoli von sich selbst komplett überzeugt. "Ja, aber ohne mich hättest du das nie geschafft." "Ihr wart beide sehr wichtig", erklärte Nerina, die sich schnell einschaltete, denn Evoli begann vor lauter Aufregung, schon blau zu glühen. Offenbar wollte sie ihre größere Gestalt annehmen, um damit mehr Gewicht im wahrsten Sinne des Wortes in dieser Diskussion zu haben. "...und als wir Blaze erreicht hatten...", erklärte Aquana. "Sang der ein Lied", beendete Nerina ihren angefangenen Satz und Texomon starrte mit offenem Maul vom einen zum andern. "Wie jetzt?", fragte er verdutzt, "Ein Lied? Keine Karte? Kein Feuerstein?" "Nein, nur das Lied, und das schlimmste daran ist", erklärte Neru, "Dass uns sogar eine Strophe fehlt, wie gesagt, Blaze hat schnell reagiert und bis ich wusste, dass das Lied wichtig ist, war die erste Strophe auch schon vorbei. Den Rest konnte ich aufnehmen, aber die erste Strophe haben wir verloren." Nerina begann, sich im Schein des Lagerfeuers hin und her zu wiegen und zu summen. Dann sang sie:
 

"In finstrer Nacht, da warte ich,

in Felsen hart und schwer,

der Mond, der schien einst hell auf mich,

nun ist der Himmel leer."


 

Texomon hörte begeistert den Noten und Zeilen zu. "Und was bedeutet das?", fragte er begeistert und Nerina warf Neru eine ratlosen Blick zu. Neru ließ sich die Zeilen durch den Kopf gehen, doch Evoli antwortete an seiner statt. "In finstrer Nacht da warte ich, in Felsen hart und schwer... Das klingt, wenn ihr mich fragt, nach einer Höhle, aber was die Anspielung mit dem Mond sein soll, versteh ich nicht." "Vielleicht will der Stein damit sagen, dass er nicht immer in der Höhle war oder, dass er den Mond jetzt nicht mehr sehen kann", erwiderte Neru. "Wäre ja auch logisch. In einer Höhle scheint kein Mond", schnaubte Texomon. "Aber das sagt ja noch gar nichts aus. Wir haben auch noch den Rest", erklärte Neru und schaltete den Computer ein.
 

"Steinern ruht mein Himmelszelt,

in ewger Einsamkeit,

denn Feuer trennt mich von der Welt,

und ach - der Weg ist weit.

Ein Gang führt in mein stilles Heim,

schmal und voller Tück'

durch Feuerwalzen, Flammenpain

der Gang führt nie zurück.

Er endet, so entsinn' ich mich,

im Herzen des Vulkan,

ich sah ein neblig, silbrig Land,

zu meinen Füßen an.

Es war so reich, voll goldnen Lichts,

voll kleiner Feuerwesen,

nur ein Schandfleck schien erpicht,

wo Menschen bös' gewesen.

So komme nun und rette mich,

der nach dem Feuer tracht'

sei mutig, stark und finde mich,

wenn's sei in deiner Macht.

Am Tag, an dem des Sommers Flamm,

beendet ihren Gang,

da soll dir offenstehn das Lamm,

es wird nicht sein für lang",


 

klang blechern Blaze' Stimme aus den Lautsprechern. Nerina hatte sich währenddessen ein Blatt und einen Stift geschnappt und die Strophen aufgeschrieben. Neben der ersten hatte sie sich schon die Notizen gemacht, die ihnen schon gekommen waren. "Der Stein liegt in einer Höhle, in der er nicht schon immer gewesen ist. Die nächste Strophe beweist unsere Vermutung", erklärte Neru, "Steinern ruht mein Himmelszelt." "Was ist denn ein Himmelszelt?", fragte Texomon verwirrt. "Wenn man sich den Himmel anschaut und die Sterne darauf sieht, dann könnte man sich auch vorstellen, man stünde in einem unendlich großen Zelt, von dem man nur die Plane sehen kann, verstehst du?", erklärte Nerina und Texomon nickte, sah dabei aber immernoch nicht viel überzeugter aus. "Aber was meint der Stein mit der ewigen Einsamkeit?", fragte Evoli in die Stille hinein. "Wohl, dass er nicht viel Besuch bekommt?", erwiderte Texomon in Gedanken. "Was wiederum an dem Feuer liegt, das im Weg ist", sagte Nerina, "Und der Weg durch das Feuer muss schwierig oder weit sein, sonst würde die letzte Zeile anders lauten." Neru nickte. "Ja, das muss es sein. Diese Strophe ist genau so zu verstehen, wie sie da steht, nur Nerina, du hast Recht, weit kann in diesem Fall mehrdeutig sein." "Wie war denn nochmal die nächste Strophe?", fragte Evoli an Neru gewandt und Nerina boxte ihren Bruder lachend in die Seite. "Na komm, sing doch mal, Brüderchen!" "Ich... äh, ich kann nicht so gut singen", erwiderte Neru, der auf einmal ganz klein und rot wurde. "Jetzt hab dich nicht so", gluckste Texomon, "Sing uns doch mal was vor." "Na gut, auf eigene Gefahr", lachte Neru und begann wie er fand, längst nicht so schön wie Nerina, die Zeilen vom Blatt ablesend, den Vers zu singen:
 

"Ein Gang führt in mein stilles Heim,

schmal und voller Tück'

durch Feuerwalzen, Flammenpain,

der Gang führt nie zurück."


 

"Was für ein Gang?", fragte Texomon aufgeregt, "Er erzählt, dass es einen Zugang zu ihm gibt!" "Ja, das wussten wir aber schon von dem weiten Weg", erklärte Evoli verächtlich. Ihr schien es sichtlich Spaß zu machen, einmal etwas besser zu wissen wie Texomon. "Ja, aber es scheint kein angenehmer Weg zu sein", wandte Nerina ein, "Schmal und voller tück. Das "schmal" ist, glaube ich, auch wieder mehrdeutig, da ist nicht ganz klar, ob er wirklich eng ist oder, ob es nur ein schmaler Grad ist. Und auch die Feuerwalzen und Flammenpain klingen nicht sonderlich schön", meinte Neru, "Aber was meinen die damit, dass der Gang nie zurückführt?" Diesmal war es Texomon, dem die Idee kam. "Wahrscheinlich, dass man nicht umkehren darf, welchen Weg man auch eingeschlagen hat." "Für mich klingt das Ganze ziemlich gefährlich", meinte Evoli und Neru und Nerina nickten beide. Nerina begann wieder, die nächste Strophe zu singen:
 

"Er endet, so entsinn' ich mich,

im Herzen des Vulkan,

ich sah ein neblig, silbrig Land,

zu meinen Füßen an."


 

"Da ist der Zugang", frohlockte Texomon und begann vor lauter Aufregung, im Kreis herum zu hüpfen. "Jetzt müssen wir nur noch den Vulkan finden", sagte Evoli, "Aber so viele kann es davon ja auch nicht geben." "Es gibt schon ein paar", warf Neru ein und warf einen Blick auf die Landkarte. "Hier oben -" Er deutete auf eine Gebirgskette, "- soll es zum Beispiel von Vulkanen wimmeln." "Ja, aber wir haben ja noch mehr Hinweise", warf Nerina ein, "Ich sah ein neblig, silbrig Land zu meinen Füßen an." "Ein Land kann doch nicht silbrig sein. Vielleicht enthält es viel Metall?", überlegte Neru. "Oder es ist nur Dichtersprache, um es schöner klingen zu lassen", erwiderte Evoli. Nerina und Texomon sahen auf das Meer hinaus und der Zufall wollte es, dass just in diesem Augenblick eine Wolke vor dem Mond verschwand und die Wellen in ein silbriges Licht tauchten. "Hey, wie wäre es denn damit?", rief Nerina beglückt aus und deutete auf die Wellen, die vor ihr, so wie es im Gedicht hieß, tatsächlich ein silbriges Land bildeten. "Dann kann es nur das Meer sein", sagte Neru und ging schon die Karten durch, "Auf der Zinoberinsel gibt es Vulkane und rund herum auch Wasser, das könnte gemeint sein." "Das ist eine gewagte Theorie", warf Evoli ein. "Vielleicht löst die nächste Strophe das auch wieder auf", meinte Neru und begann zu singen:
 

"Es war so reich, voll goldnen Lichts,

voll kleiner Feuerwesen,

nur ein Schandfleck schien erpicht,

wo Menschen bös' gewesen."


 

"Feuerwesen! Da haben wir es doch!", erklärte Nerina, "Die Zinoberinsel ist bekannt für sie." "Aber was meint der Stein mit dem "goldenen Licht"?", warf Neru ein, "Waren wir nicht gerade eben noch bei Nacht und dem Mond im Meer. Auch der Schandfleck, wo Menschen bös' gewesen, leuchtet mir nicht ein." Doch Nerina hatte die Stirn gerunzelt. "Mach mal eine Glut", forderte sie Texomon auf und Texomon spie einen gelbroten Strahl Feuer in die Luft. "Das nenn ich goldenes Licht", rief Evoli, "Also noch eine Anspielung auf die Feuerpokemon." "Und der Schandfleck, wo könnte der denn sein?", fragte Nerina mit übertriebener Stimme ihren Bruder. Der wiederum zuckte nur mit den Achseln. "Naja, vielleicht das Labor?" "Genau", erwiderte sie. "Was denn für ein Labor?", fragte Texomon und Nerina begann, die Geschichte zu erzählen, dass ein paar Forscher versucht hatten, ein Mew aus alten Skeletten zu klonen und dabei Mewtwo erschaffen hatten und, dass sie versucht hatten, Mewtwo für ihre Zwecke zu missbrauchen und das übermächtige Psychopokemon dann das Labor komplett in die Luft gejagt hatte. "Man sieht die Trümmer und das Höllenfeuer von damals noch heute", erklärte sie begeistert.
 

"So komme nun und rette mich,

der nach dem Feuer tracht'

sei mutig, stark und finde mich,

wenn's sei in deiner Macht",


 

verkündete Neru, als niemand mehr Einwände hatte.

"Das ist wieder eindeutig", meinte Texomon, "Da stecken keine Botschaften drin, aber ich denke, das wir uns die Leitsätze: Mutig und stark zu eigen machen sollten, bevor wir da reingehen, sonst liegt's vielleicht nicht in unserer Macht." "Aber wir wissen immer noch nicht genau, welcher Vulkan, und wir können doch nicht blindlings in Vulkankrater klettern in der Hoffnung, irgendwo mal einen Tunnel zu finden", begehrte Neru auf. "Das Tunnelfinden ist nicht schwer", erwiderte Nerina. "Ich bin früher oft auf ihnen rumgeklettert, auch wenn ich das nicht durfte", erklärte sie, "Da drinnen gibt es massenhaft Tunnel, die Frage ist nur, welche der richtige ist." "Was haben wir noch?", fragte Texomon und Neru sang die letzte Strophe:
 

"Am Tag, an dem des Sommers Flamm,

beendet ihren Gang,

da soll dir offenstehn das Lamm,

es wird nicht sein für lang."


 

"Oh jeh", brummte Texomon, "Das klingt irgendwie kompliziert." "Wir sind nicht geschaffen für so was", pflichtete ihm Nerina bei und streichelte ihm den Bauch. "Was ist denn "des Sommers Flamm"?", fragte Evoli. "Naja, im Sommer brennt die Sonne herunter, das könnte also die Sonne sein, nur... "beendet ihren Gang"? Beendet die Sonne nicht jeden Abend ihren Gang?", fragte Neru. "Ja, aber da ist noch was", sagte Nerina, "Es gibt doch lange und kurze Tage, vielleicht ist damit ja die Sommersonnenwende gemeint." "Ja, das könnte sein." Begeistert klatschte Neru in die Hände. "Aber beim Letzten hab ich keine Ahnung. Was zur Hölle für ein Lamm? Ein Opferlamm? Aber das kann nicht offenstehen." Nerina wurde ganz still. "Als ich einmal in einem der Krater war, du weißt schon, der in der Nähe vom Labor, hab ich an einer Felswand die Zeichnung eines Lammes gesehen. Vielleicht ist das ja gemeint." Schweigen breitete sich in der Gruppe aus. "Es wird nicht sein für lang", brummte Texomon, "Das heißt, der Tunnel ist nach einer gewissen Zeit wieder verriegelt." "Na, das kann ja heiter werden", meinte Neru, "Wir müssen in einen Tunnel voll Feuer und Pain, um einen Stein zu suchen und das Ganze auch noch unter Zeitdruck und ohne die Möglichkeit, abzubrechen. Das wird ja lustig."
 

>>>Nerina<<<
 

"Dann gehen wir also wieder nach Hause", sinnierte Neru und stocherte mit einem Stock im Feuer herum, "Hättest du gedacht, dass wir unsere Eltern so schnell wiedersehen?" Inzwischen hatte der Mond bereits sein Zenit überschritten und befand sich auf dem Weg in die fernen, westlichen Berge. Die beiden Iramon schliefen bereits, immernoch erschöpft von den Strapazen der vergangenen Tage, Evoli eng zusammengerollt auf Nerus Schoß, während Texomon sich ganz dicht neben dem Feuer ausgestreckt hatte. Nur sein Kopf ruhte in Nerinas ausgestreckter Hand und seine weiche Echsenhaut rieb sacht an ihrer Handfläche, wenn er sich im Schlaf bewegte. Doch die beiden Menschen fanden keinen Schlaf. Zu aufregend war diese ganze, lange Aktion gewesen, zu aufregend würde werden, was ihnen noch bevorstand. Nerina seufzte schwer. "Irgendwie war mir klar gewesen, dass unsere Reise anders als gewöhnlich verlaufen würde, sobald Eich mit diesem Spezialauftrag kam, aber dass sie dann tatsächlich so anders wird... Ist Feuer nicht normalerweise eine der Endprüfungen?" Neru schaute es auf dem Pokedex nach. "In Kanto kommt zuerst Felsen", las er langsam vor, "Dann Wasser, dann Elektro, Pflanze, Psycho und Gift, also nur noch sechs, seit die Feuerarena geschlossen wurde und die Normal-Arena ja nur noch für Mitglieder des Team Rocket zugänglich ist. Aber soweit ich mich erinnern kann, kam Feuer doch auch direkt nach Gift, oder?" "Soviel hat sich verändert, seit es Gringo gibt", erwiderte Nerina traurig, "Und soviel wird sich noch ändern. Auch Unlicht will er schließen und wer weiß was noch alles. Es ist, glaube ich, wichtiger, als wir früher so geglaubt haben, dass wir erfolgreich sind." "Jaaa", machte Neru gedehnt und streichelte vorsichtig Evolis Wange, "Und wir haben erst eine einzige Prüfung geschafft und sind noch so schwach..." "Wir sind in ein Hochsicherheitsgefängnis eingebrochen!", protestierte Nerina, "Ich finde das gar nicht schwach!" "Nun, Seedraking ist auch nicht schwach", versetzte Neru mit einer Mischung aus Schärfe und leisem Zweifel, "Er hat diesen ganzen Hafen aufgerieben!" "Und Evoli war alleine dort unten!", entgegnete Nerina nicht minder scharf, "Das war sehr mutig, Neru!" "Ja, ich weiß!", versetzte Neru ärgerlich, "Aber mit herumschleichen, ducken und ausweichen können wir Gringo nicht besiegen! Evoli ist sehr, sehr mutig, aber das wird ihr nichts helfen im Kampf gegen dieses Snobilikat! Sie kann ja schließlich kaum in es hineinschleichen!" "Na wenn du dir da mal nicht zu sicher bist", brummte Nerina, eher protesthalber, ließ es dann aber dabei bewenden, beugte sich zu ihm herüber und legte eine Hand auf die seine. "Aquana ist ein sehr starkes Pokemon", sagte sie eindringlich, "Der Traum somanchen Trainers! Du solltest ihre Fähigkeiten stärker nutzen und ausbauen! Sie ist nunmal kein so selbstständiger Drauf-los-Stürmer wie Texomon, der schon von sich aus stärker werden will. Du musst sie ermutigen, mehr Zeit in ihrer neuen Form zu verbringen und sich mit dem Wasser anzufreunden!" "Aber Evoli mag das Wasser nicht", murrte Neru, "Und ich hab mir nunmal geschworen, dass ich nie etwas von ihr verlangen werde, was sie nicht will!" "Der Trick ist", antwortete seine Schwester und beugte sich verschwörerisch noch weiter zu ihm herüber, "Dass du sie ermutigen sollst, es selbst zu wollen." "Und wie genau soll ich das anstellen?", fragte Neru schulterzuckend, "Wenn ich sie hier trainieren oder auch nur spielen lasse, wo dein Seeungetüm herumplanscht, ist sie ja erstrecht frustriert! Nichts gegen dein Iramon - Er ist sehr stark und dabei gar nicht mal ein zu schlimmer Angeber, aber mich würde es auch nerven, ständig in seinem Schatten zu stehen!" Betroffen ließ Nerina sich zurück auf ihren Platz sinken und starrte nachdenklich in die Flammen. Sie selbst war immer einfach nur stolz auf Texomons Leistungen und vor allem Seedraking gewesen, hatte geglaubt, diese wahnsinnige Errungenschaft zum Wohl ihrer ganzen Gruppe und Mission erobert zu haben. Nie hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, dass Seedrakings Auftreten zu Aquanas Nachteil gereichen würde... "Nerina?", fragte Neru etwas unsicher von der Seite und stupste sie vorsichtig an, "Hee, Nerina! Ich hab’s nicht so gemeint..." "Hast du doch", erwiderte Nerina, riss sich vom Anblick des Feuers los und sah ihn an, "Und du hast recht. Seedraking ist bereits groß und selbstständig. Ich muss ihn nicht weiter trainieren, zumal ich ihn in der Arena ja doch nicht einsetzen kann, denn wer kauft mir ein Seedraking mit Level 16 ab. Nein, es ist essenziell, dass ich Texomon trainiere und du Aquana, hörst du?" "Aber wie soll das gehen? Du kannst ihn nicht davon abhalten zu schwimmen, wenn wir am Meer sind? Und ohne Meer kann Aquana auch schlecht Freude daran entwickeln... Es sei denn..." Rasch nahm er wieder den Pokedex zur Hand und begann, in den Karten zu blättern. "Es sei denn, wir folgen der Küste nur bis Wala hier unten und dann dem Lauf dem Kimbara bis hier rauf in die Berge. Bei Tula biegen wir dann rechts ab, diesen gestrichelten Pfad da hinunter bis Azulon. Von da können wir die Fähre nehmen bis zur Zinoberinsel und beinahe den ganzen Weg hätten wir einen Fluss neben uns, sodass Aquana gut schwimmen kann..." "Seedraking aber zu groß ist", ergänzte Nerina, sah einen Augenblick auf Texomons Gesicht hinunter, das im Schlaf so friedlich wirkte und nickte. "Ja, so sollten wir es machen", sagte sie fest, "Texomon liebt seine Wasserentwicklung, aber genau deswegen will ich ihn eigentlich sowieso dazu bringen, endlich seine Glut auszubauen. Er mag Feuer nicht sonderlich gern, ich glaube, er fürchtet sich etwas vor seiner eigenen Wildheit. Aber wie sollen wir einen Feuerparcour schaffen, ohne uns mit dem Feuer beschäftigt zu haben - und Texomons Glut könnte durchaus noch ein bisschen eindrucksvoller aussehen, wenn wir den Feuerstein beeindrucken wollen!" Für einen Augenblick sah Neru so aus, als wolle er sie darauf hinweisen, dass Evoli nicht einmal eine Glutattacke hatte, doch dann ließ er es dabei bewenden und rief stattdessen den Kalender im Pokedex auf. "Sommersonnenwende ist in drei Wochen", erklärte er nachdenklich, "Und der Weg bis Azulon ist nur etwas weiter als der nach Vertania. Wenn wir uns also ranhalten, könnten wir Ende nächster Woche dort sein und haben dann zu Hause noch zehn Tage Zeit, dein mysteriöses Lamm zu finden und unsere Vermutung zu überprüfen." "Klingt perfekt", erwiderte Nerina begeistert, "Dann lass uns also nach Azulon gehen! Ich kann es kaum erwarten, es wiederzusehen." "Du warst schonmal dort?", fragte Neru verwundert, als Nerina sich bereits neben Texomon in den Sand legte, sich eng an seinen warmen Körper schmiegte und die Augen schloss. Sie nickte träge. "Vater hat mich doch mal mitgenommen, zum Trost dafür, dass du mit dieser Computer-Freizeit in Viola warst. Das war ein voll schöner Urlaub!" "Merkwürdig, dass ich von so vielen deiner Ausflüge gar nichts weiß", brummte Neru nachdenklich, legte ihr vorsichtig Evoli auf den Bauch und begann, sein Swag zu entrollen, "Auch von deinen Vulkanwanderungen hast du nie erzählt!" Nun hob Nerina doch den Kopf, um ihn anzusehen. "Es war Maleas, Siluras, Inolas und mein Geheimversteck", versetzte sie scharf, "Damit du und die anderen Chaoten uns nicht dauernd ärgert! Auch wenn ich dir davon hätte erzählen wollen, wäre das den anderen gegenüber kaum fair gewesen, meinst du nicht?" "Aber Nerina! Das ist verbotenes, gefährliches Gebiet! Ihr könnt da doch nicht einfach euer Geheimversteck hinbauen!", protestierte Neru mit heftigem Kopfschütteln. Nerina schnitt ihm eine Grimasse. "Was soll da schon passieren?", fragte sie gereizt ob der längst verjährten Missetat, "Wenn dieser dumme Vulkan ausbricht, fliegen euch auch in Zinobia Innenstadt die Köpfe weg und vor ein paar Feurigel und Magby fürchte ich mich nicht." "Unverbesserlich", brummte Neru, nahm Evoli von ihrem Bauch und kroch mit ihr im Arm in sein Swag, "Gute Nacht, du verrücktes Huhn."

Das Flussdelta des Kimbara war das reinste Paradies eines jeden Pokemon-Trainers. In zahlreichen großen und kleinen Verästelungen wälzte sich der mächtige, braune Fluss hinab ins türkisblaue Meer, unterbrochen von unzähligen kleineren und größeren Inselchen, Schilf und jeder Menge kleinerer Wasser- und Flugpokemon, die hier zuflucht vor ihren größeren Verwandten und außerdem ein reiches Nahrungsangebot gefunden hatten. "Na das wäre doch ein großartiger Ort, um eine Runde fangen zu spielen, findet ihr nicht?", rief Nerina überschwänglich aus, als das riesige, sandig-matschige Gebiet hinter der Kuppe eines der immergleichen, grünen Hügel auftauchte, über die sie nun schon seit Stunden wanderten, statt, zu Texomons Enttäuschung, einfach dem Strand zu folgen. Nun richtete er begeistert die Ohren auf. "Au ja! Das wird total lustig! Komm, Evoli!" Doch Evoli warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu. "Scherzkeks", brummte sie verärgert, "Wie willst du denn da reinpassen? Du wirst dir ständig den Bauch aufschürfen!" "So ein Quatsch!", entgegnete Texomon kopfschüttelnd und stürmte los, geradewegs hinein ins kühle Nass. Übermütig planschte er im ersten der kleinen Bäche herum, dessen Wasser ihm gerademal bis zu den Schultern reichte. "Komm schon!", rief er begeistert, "Der Boden ist aus reinem Sand! Besser geht’s nicht!" "Meine Beine sind ja doch zu kurz", entgegnete Evoli und betrachtete angewidert das trübe Wasser, doch Neru schubste sie verschwörerisch an. "Hee", flüsterte er aufmunternd, "Aber wenn Texomon gar nicht zu Seedraking werden kann, du aber zu Aquana... Meinst du nicht, Nerinas kleiner Angeber hat mal 'ne Lektion verdient?" Bei dem Gedanken hellte sich Evolis Miene schlagartig auf und ihr Fell begann blau zu leuchten. "Ich komme, Texomon!", flötete Aquana mit ihrer süßesten Stimme, dann stürmte auch sie los, nicht ganz so flink wie Evoli, doch auf ihren langen Beinen immernoch um einiges flinker, als Texomon sie erwartet hatte. Kurz zögerte sie noch am Ufer, doch dann sprang sie ebenfalls in das warme Wasser, schlug zweimal kräftig mit der Schwanzflosse und riss Texomon von den Füßen, der sich einige male überkugelnd im Schilfdickicht landete. "Hee du alte Dampfwalze!", rief er aufgeregt, "Das kann ja richtig lustig werden!" "Freu dich nicht zu früh!", rief Aquana, schoss auf ihn zu und Texomon konnte sich nur noch mit einem Bocksprung über ihren schlagenden Schwanz retten, der ihn allerdings den Boden unter den Füßen kostete und als Aquana herumschnellte, drückte sie ihn mühelos unter Wasser. Dann verschwanden die beiden in einem Wirbel aus Blubberblasen und Nerina legte amüsiert den Kopf schief. "Siehst du?", fragte sie leise, während sie ihre Rucksäcke ablegten und sich anschickten, ein Mittagessen vorzubereiten, "Jetzt ist Texomon derjenige, der ausweichen und springen muss. Wird ihm gut tun!" Dennoch quälte sie ein leicht angeschwärztes Gewissen, ihren treuen Freund auf so heimtückische Weise seiner Schande zu überlassen. Doch allen Bedenken zum trotz schien Texomon einen riesigen Spaß im Delta zu entwickeln. Mal sah sie ihn sich in die Binsen ducken und das suchend vorbeischwimmende Aquana mit einem riesigen Sprung tunkend, mal ritt er sogar auf ihrem Rücken, riss dabei die Arme hoch und johlte, als sei sie ein überschnelles Motorrad mit automatischer Lenkung. Die vielen Male, die Aquana ihn unter Wasser drückte oder ihre stärkere Aquaknarre die seine beiseite schob, nahm er scheinbar gelassen auf und als sie gemeinsam ein aufdringliches Quaputzi aus ihrem Teil des Deltas verjagten, klatschte er triumphierend in die Hände. "So macht das bedeutend mehr Spaß, mit ihr zu spielen", erzählte er Nerina stolz, als diese vor dem Mittagessen darauf bestand, mit ihm zum Strand zu gehen und seine schlammverkrusteten Schuppen sauberzuwaschen, "Jetzt ist sie endlich mal nicht mehr so ein zerbrechliches Ding!" "Macht es dir denn nichts aus, dass sie stärker ist?", fragte Nerina besorgt, doch Texomon sah sie nur mit großen, schwarzen Kulleraugen an. "Nein", sagte er dann im Brustton der Überzeugung, "Gar nicht. Ich weiß ja, dass ich im Notfall nur zu Seedraking werden muss und es ist gut, gegen stärkere Pokemon zu trainieren, da lerne ich bedeutend mehr! Trotzdem ist es komisch, immer ausweichen zu müssen, vor allem, wenn ich mir vorstelle, dass ich nicht zu Seedraking werden könnte. Evoli muss eine harte Zeit hinter sich haben..." "Aus diesem Grund dachten Neru und ich ja auch, dass es gut wäre, wenn Aquana ein bisschen mit dir spielen würde", vertraute sie Texomon dann doch ihr Geheimnis an, "Damit sie selbstbewusster wird für die Feuerprüfung." "Ach so ist das!" Zu ihrer Verwunderung lachte er herzlich, "Darum mussten wir auch auf den Dünen laufen und ab hier diesem Fluss folgen. Mach dir keine Sorgen, Nerina! Bis wir dein Zuhause erreichen, wird Aquana genauso viel Freude am Wasser haben, wie ich! Wenn ich auch sonst nicht besonders viel kann, aber das krieg ich hin!" "Und wir beide üben weiter an deiner Glut, damit du diesen Feuerwalzen auch ordentlich sagen kannst, wo's lang geht!", rief Nerina begeistert, "Evoli kann zwar Wasser, aber Feuer ist es, was den Feuerstein rettet, wenigstens, wenn die Prüfung so ist, wie in der Wasserarena. Wir zählen also auf dich!" "Ihr könnt euch auf mich verlassen!", rief Texomon begeistert, "Und jetzt lass uns endlich essen gehen! Die letzten zehn Minuten hat Aquana mich dauernd gefunden, nur, weil mein Magen so laut geknurrt hat!"
 

>>>Neru<<<
 

"Na, hast du dem Angeber eine Lektion erteilt?", fragte Neru, als sich Aquana mühevoll aus dem Wasser zog. Das Wasser perlte von ihrer blauen Haut und ihre Schwanzflosse hob sie grazil in die Luft und spritzte damit noch mehr Wasser durch die Gegend. Neru war gar nicht aufgefallen, wie lang der Schwanz von Aquana war, doch nun, wo sie sich direkt vor ihm aus dem Wasser stemmte, sah sie unheimlich groß aus. Evoli hatte ihre Wasserform bis jetzt nun angenommen, wenn es unbedingt sein musste und sich dann auch sofort bei der erstbesten Gelegenheit wieder zurückverwandelt. Doch diesmal trottete sie in Aquanas Form auf ihn zu und stupste ihm glücklich die noch immer nasse Schnauze in den Bauch. "Ich hab ihm eine Lektion erteilt", erklärte sie, doch ihre Stimme hörte sich dabei nicht ganz so glücklich an, wie Neru es eigentlich erwartet hatte. Er ließ sich zu ihr auf den Boden sinken. "Hat es dir denn keinen Spaß gemacht?", fragte er ehrlich verwundert, doch Aquana schüttelte den Kopf. "Nein, es hat mir sogar sehr viel Spaß gemacht", widersprach sie, "Aber..." Sie brach ab und ließ den Blick über ihr kleines Lager schweifen. Nerina war gerade damit fertig geworden, Texomon den Schlamm von den Schuppen zu bürsten und ging mit ihm zusammen in Richtung des Feuers. "Wir sind gleich wieder da", rief ihr Neru zu und zusammen mit Aquana, die sich immernoch nicht wieder zurückverwandelt hatte, gingen sie ein Stück aus dem Lager hinaus. "Was ist denn los?", fragte Neru, immernoch verwundert über die Stimmung seines Iramons. "Ist es das Wasser?" wagte er noch einen Vorstoß. "Das ist noch so was", erklärte sie, "Da stimmt sowieso was nicht mit mir." Sie stockte, dann sagte sie sehr zögernd und so, als müsste sie jedes Wort noch einmal auf der Zunge umdrehen, bevor sie es hervorwürgte: "Ich mag Wasser." "Was?" Neru sah sie entgeistert an. "Ja, richtig", erklärte sie, "Ich mag das Wasser, mit mir ist wirklich was kaputt. Aber weißt du, was das schlimmste ist? Ich schäme mich nicht mal dafür." Neru war für einen Augenblick zu perplex, um etwas sagen zu können. Dann erwiderte er: "Dafür brauchst du dich auch nicht zu schämen. Du bist ein Wasserpokemon, warum solltest du dich dafür schämen?" Einen Augenblick lang sah Aquana ihm tief in die Augen, dann brachen sie beide in schallendes Gelächter aus, bei dem Aquana versehentlich mit ihrer Aquaknarre sich selbst, Neru und auch einen Großteil des Bodens mit Wasser besprühte. "Hey!" Neru sprang einen Schritt zurück, "Pass auf, wo die hinspritzt! Ich will jetzt nicht baden!" Doch dann überkam ihn der Lachanfall aufs Neue und bei Aquana kam immer noch mehr Wasser. "Das muss ich wohl noch üben", erklärte sie immernoch erheitert, "Aber das Schwimmen ist total klasse." "Da hat Texomon aber Augen gemacht, oder?", fragte Neru begeistert weiter. Doch jetzt wurde Aquana mit einem Schlag ernst. "Das ist es, was mich wundert", erklärte sie, "Versteh doch, Neru, seitdem Texomon und die anderen Iramon existieren, waren sie immer stärker als ich und das, obwohl ich viel älter bin", fügte sie trotzig hinzu, "Das fand ich schon immer unfair, aber warum hat Texomon sich nicht auf Seedraking entwickelt? Ich meine, das wäre trotz des flachen Wassers möglich gewesen." Neru hielt inne. "Vielleicht hat es ihm ja Spaß gemacht, so mit dir zu spielen?", fragte er zurück, "Meiner Meinung nach sah er nicht danach aus, als würdest du ihn in Bedrängnis bringen." Aquana legte den Kopf schief und dachte nach. "Da ist auch wieder was dran." Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen fügte Neru noch hinzu: "Außerdem haben Nerina und ich absichtlich diese Route gewählt, damit du ein bisschen mit Texomon trainieren kannst. Er ist es gewöhnt, stark zu sein, da kann ein bisschen Ausweichtraining für ihn nicht schaden. Immerhin kannst du so ungestört deine Wasserform ausprobieren, ohne gleich von Texomon in Grund und Boden gerannt zu werden." Aquana nickte. "Das Wasser macht auf jeden Fall viel mehr Spaß, als ich es gedacht habe und Texomon... Er ist heute so anders gewesen." "Anders?", fragte Neru verdutzt. Er hatte die beiden Iramon beobachtet, während sie im Wasser unterwegs gewesen waren, und ihm war nicht aufgefallen, dass Texomon sich in irgendeiner Form anders verhalten hätte. "Naja..." Aquana trippelte von einem Bein aufs andere und Neru fiel wieder auf, wie sehr ihn diese Bewegung an Evoli erinnerte. Bei Aquana jedoch sah sie schon ein wenig komisch aus, doch er hielt sich zurück. "Texomon war immer viel stärker als ich", erklärte sie, "Er ist zum Teil völlig unberechenbar. Es ist irgendwie komisch, sich nicht mehr vor ihm vorsehen zu müssen und nicht mehr so arg aufpassen zu müssen." Auf dem Rückweg erzählte sie ihm ganz begeistert, wie sie und Texomon sich durchs Schilf gejagt hatten und, wie sie ihn mit einer Aquaknarre von hinten in den dicken Flussschlamm befördert hatte, und, wie er als braunes Texomon wieder aufgestanden war und Neru lachte herzlich auf, als er versuchte, sich Texomons Gesicht vorzustellen. Nerinas Plan war in allen Belangen aufgegangen. Es schien, als hätte seine Schwester, trotzdem, dass sie nicht so verbissen mit ihrem Iramon trainiert hatte wie er, doch einiges mehr verstanden als er. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie nicht so verbissen trainiert hat, dachte er weiter. Wie auch immer sie zu ihren Erkenntnissen gelangt war, sie funktionierten auf jeden Fall besser, als er es erwartet hatte.

Evoli legte ihre Scheu vor dem Wasser tatsächlich ab und man konnte sie immer häufiger in der Form von Aquana neben dem Weg im Fluss schwimmen sehen, wo sie sich mit Texomon Wasserschlachten lieferte oder mit ihm auf ihrem Rücken das Flussbett erkundete. Es freute Neru sehr, sein kleines Iramon nun endlich auch einmal so aktiv zu sehen. Schließlich war sie früher kaum von seiner Seite gewichen und hatte sich auch erst in der letzten Zeit mit Texomon zusammen auf Streifzüge begeben. Die Art und Weise, wie Nerina sich immer wieder kleine Spiele für die beiden ausdachte, war bewundernswert und mehr als einmal klopfte er seiner Schwester anerkennend auf die Schulter, wenn sie den beiden zusah, wie sie sich abrackerten, Äpfel auf ihren Wasserstrahlen ins Ziel zu balancieren, oder ein Wettrennen um Fackeln starteten, bei dem es Texomons Ziel war, eine komplette Reihe zu entzünden, während Aquana alles daran setzte, eben dies zu verhindern und die Fackeln mit Wasser zu füllen. Texomon hatte auch die Aufgabe übernehmen müssen, jeden Abend das Feuer zu entzünden, was den beiden Zwillingen viel Arbeit abnahm. Wie Neru feststellen musste, blieben auch die Erfolge dieser unkonventionellen Trainigsweise nicht verborgen. Bald schon war Aquanas Aquaknarre zu doppelter Größe angeschwollen und Texomon schoss mittlerweile schon beachtliche Flammenzungen in die abendliche Feuerstelle. Aber auch das Verhältnis der beiden Iramon besserte sich stetig. Hatte Evoli am Anfang schon immerhin keine Angst mehr vor Texomon gehabt, nahm sie jetzt einen erschreckend großen Teil in seinen Plänen ein und sie selbst genoss das natürlich sehr. Mehr als einmal konnte Neru sehen, wie Texomon auf Aquanas Schulter stand, die sich wiederum an einen Baum gelehnt stellte, um ihm den Griff zum Apfel zu erleichtern. Eines morgens jedoch, Nerina und Neru hatten gerade ihr Lager zusammengebaut und sich zum Aufbruch bereit gemacht, kamen zwei andere Trainer den Weg entlang. Aquana und Texomon schalteten schnell, kamen zu Nerina und Neru zurück und verhielten sich genau so, wie man es von zwei Pokemon erwarten würde. "Wohin seit ihr denn unterwegs?", fragte der eine Junge in harschem Tonfall. Neru war nicht wirklich in der Stimmung, von dahergelaufenen Trainern in dieser Weise ausgefragt zu werden, so erwiderte er: "Hinüber auf die andere Seite des Waldes und ihr?" "Der Kerl will uns wohl für dumm verkaufen", protestierte der andere Junge und der erste erwiderte mit einem süffisanten Grinsen: "Das wird er sich schon nochmal überlegen." Wie in einer Bewegung griffen die beiden zu ihren Pokebällen und ein Ibitak und ein Lorblatt erschienen. "Doppelkampf!", rief der eine der Trainer ihnen noch zu, dann rief er seinem Lorblatt auch schon eine Attacke zu. Bevor die beiden Iramon noch reagieren konnten, schossen ihnen die Giftsporen um die Ohren. Als Ibitak dann als nächstes seinen Sandwirbel startete, um die beiden Angreifer in einer Sandwolke zu verdecken, machten sich die Iramon zum Gegenangriff bereit. Nerina verzog erschrocken das Gesicht, dann nickte sie, doch Neru hatte nicht die Zeit zu fragen, was denn passiert sei. Er rief Aquana zu: "Aquana! Schieß diesen Sandwirbel aus der Luft, damit wir die beiden Feiglinge wenigstens sehen können!" Aquana tat ihm den Gefallen. Ihr ganzer Körper wurde lang und in einer einzigen, fließenden Bewegung, von der Schwanzspitze bis hin zum Kopf schoss sie einen enormen Wasserstrahl auf die beiden ab. Zwar traf sie keinen der Gegner, doch die Sicht hatte sich ernorm verbessert. Im selben Moment jedoch wurde der Wasserstrahl von Aquana von einem guten Dutzend Rasierblätter durchschnitten und Nerina reagierte schneller, als Neru erwartet hatte und ein großer Feuerball verschlang die Blätter, noch bevor sie bei Texomon oder bei Aquana schaden anrichten konnten. Nerina machte wieder ein verdutztes Gesicht, dann rief sie Neru etwas zu und Neru nickte nur. Im nächsten Augenblick preschte Aquana mit Texomon auf dem Rücken vor. Texomon als feuerspeiende Bestie nahm Lorblatt aufs Korn, während Aquana mit ihrer Wasserattacke das Ibitak am Wegfliegen hinderte. Nachdem das Lorblatt zu einem kleinen, schwarzen Häufchen Elend zusammengesackt war, machten Texomon und Aquana auch mit dem Ibitak kurzen Prozess. "Ey, Freddy!", stieß der eine Junge verblüfft hervor, "Das Ding war 'n Feuertyp!" "Das seh ich auch", fuhr ihn der angesprochene an, "Wir machen uns lieber aus dem Staub!" Neru, Nerina und ihre beiden Iramon blieben glücklich zurück. "Das war spitze", rief Neru Aquana zu. "Die waren uns nicht gewachsen!", gluckste Texomon stolz. "Man sollte nie die Kombination von Feuer und Wasser unterschätzen", sprang Aquana mit auf denselben Zug auf und glücklich machte sich die Gruppe auf den Weg weiter in Richtung Azulon.
 

>>>Nerina<<<
 

"Und dort unten ist Azulon?", fragte Evoli verträumt, als sie von Nerus Schulter aus über die hohe Brüstung des Aussichtsturmes linste, den die Einwohner der Hafenstadt hier oben als Stützpunkt ihrer Lufthandelsroute errichtet hatten und der auch ansonsten allen Pokemontrainern als Unterschlupf vor Regen, Schnee und Stürmen diente, von denen die hohen, mit Kiefernwald bedeckten Berge in Azulons Rücken auch im Sommer regelmäßig heimgesucht wurden. "Ja, genau", erwiderte Neru versonnen, "Und dort hinten, hinter dem Meer, liegt unser Zuhause, die Zinoberinsel." "Wo? Wo?" Aufgeregt hopste Texomon in die Luft, um auch einen Blick über die Mauer werfen zu können, bekam schließlich deren Kante zu fassen und kletterte ganz hinauf, nur, um seine Beine provokativ auf der jenseitigen Seite über dem Abgrund baumeln zu lassen. Rasch legte Nerina einen schweren Arm um ihr zappeliges Iramon, um ihn davon abzuhalten, vor lauter Unvorsicht auch noch abzurutschen. "Man sieht sie von hier aus noch nicht", sagte sie streng, als Texomons Blick den Horizont absuchte, "Aber von Azulon aus werdet ihr sie sehen, vor allem nachts, wenn die großen Signalfeuer an den Türmen vom Zinoberhafen entzündet werden und auch den Roten Reißer sieht man vor sich hin glühen - Das ist der größte, noch immer aktive Vulkan auf unserer Insel, dort, wo einst auch die Feuerarena stand." "Die war mal bei euch?", fragte Evoli und sträubte ihren buschigen Schwanz, "Warum habt ihr dann so lange rumgerätselt, wo der Stein liegt? Ist doch klar, dass Blaze sich in seiner alten Heimat am besten auskennt!" "Da ist was dran", seufzte Texomon, doch Neru schüttelte den Kopf. "Die alte Feuerarena stand auf der Zinoberinsel", erklärte er, "Aber nachdem Mewtwo das Labor gesprengt hat, wurde sie vollständig zerstört. Darum wurde die neue Feuerarena in Lavandia im Norden errichtet, wo auch viele Feuerpokemon leben. Blaze muss den größten Teil seines Lebens dort verbracht haben, wenigstens, wenn er so alt ist, wie ich ihn schätze." "Trotzdem scheint die Zinoberinsel das natürliche Gebiet der Feuerpokemon zu sein", erwiderte Nerina nachdenklich, "Nirgendwo sonst laufen so viele Glumanda, Magmar und Vulpix herum und wer von unseren Freunden hatte nicht als Kind ein Fukano zum Spielen oder und Ponita zum reiten? Wahrscheinlich war auch Blaze lange dort unterwegs." "Ja und er hat sich sicher was höllisch schweres überlegt, um den Feuerstein zu schützen", murmelte Evoli, "Immerhin ersetzt es Arena-Kampf und Prüfung." "Ihn zu befragen war Arenakampf genug", protestierte Texomon, doch diesmal war es Neru, der nachdenklich die Stirn in Falten legte. "Ich glaube allerdings auch", sagte er langsam, "Dass das Labyrinth nicht einfach wird. Schließlich soll es den Stein vor Gringos Leuten schützen. Wir werden verdammt vorsichtig sein müssen." Texomon hob den Kopf bei seinen Worten und warf ihm einen seltsamen Blick zu. "Du machst es schon wieder", brummte er, "Genau wie bei der Wasserprüfung!" "Er hat recht, Neru", ergänzte Nerina düster, als Neru verletzt die Augen verengte, "Wir müssen nicht vorsichtig sein. Wir müssen feurig sein. Nur wer das Feuer versteht, kann es für sich nutzen." "Wozu aber auch Vorsicht gehört!", protestierte Evoli, "Sonst passiert das gleiche, wie letzte Nacht!" Vielsagend deutete sie auf Texomons immernoch angekohlten Arme und dieser leckte wehmütig über die dunklen Stellen. "Ja, ich hätte wohl doch nicht mit dem Bratöl mogeln sollen, um es leichter anzukriegen", gestand er nachdenklich, "Dabei war es eine so hübsche Stichflamme und ganz in blau!" "Naja..." Nerina zuckte mit den Schultern, pflückte ihr inzwischen ordentlich schweres Iramon von der Mauer und warf ihn sich wie einen Kartoffelsack über die Schulter, "Darüber können wir uns immernoch den Kopf zerbrechen, wenn wir drüben sind. Kommt, lasst uns runter gehen und schlafen! Dann geht es umso schneller!"

Doch trotz aller guten Vorsätze fand Nerina keine Ruhe. Rastlos wälzte sie sich in ihrem Schlafsack hin und her, starrte an die Backsteindecke und dachte an Morgen. Nun, da das Wiedersehen mit ihren Eltern so kurz bevorstand, war sie doch aufgeregter, als sie zugeben mochte. Was würde Mutter zu Texomon sagen? Würde Vater mit ihrem Training zufrieden sein? Würde er stolz sein - oder sie eher dafür schelten, nur mit ihrem Iramon zu spielen, anstatt es anständig zu trainieren? Sicher, Texomons Aquaknarre und Glut waren über die letzten zehn Tage stärker geworden, sein Atem ausdauernd und gleichmäßig und gestern hatte er es sogar geschafft, eine winzige Flamme fast zehn Minuten lang auf der Schnauzenspitze zu balancieren, so lange er eben gebraucht hatte, um vom Lager aus bis auf die andere Seite des Baches und um die Brombeerhecken zu laufen, wo Nerina mit der Kerze gewartet hatte, um die Flamme entgegenzunehmen. Sogar Teekochen hatte sie ihm beigebracht, als kleine Überraschung für ihre Mutter: Sie hielt einen feuerfesten Eisenbecher aus einer zurechtgeschmirgelten Konservendose hoch und legte zwei Blätter wilder Pfefferminze hinein. Dann schoss Texomon mit einer sanften Aquaknarre Wasser in den Becher, nahm diesen entgegen und erhitzte die Außenseite so lange mit kleinstem Feuer, bis das Wasser zu kochen begann. An guten Tagen schaffte er es sogar, das Etikett nicht abzukokeln. Andererseits fürchtete sie sich aber auch ein bisschen, ihr wildes Iramon auf ihr gemütliches Wohnzimmer mit den antiken Möbeln und kostbaren Bildern an den Wänden loszulassen. Sie hatte keineswegs vergessen, wie Texomon bei ihrem Besuch im Einkaufszentrum verrückt gespielt hatte und auch zu Hause gab es jede Menge Dinge, die nicht Wasser-, Feuer- und Kletterfest waren. Ob sie ihn wenigstens in ihr Zimmer bringen durfte? Sie war sehr neugierig darauf, wie Texomon ihr Zuhause gefiel, ihr wunderbar weiches Bett, ihre vielen, schlechten Kinderzeichnungen von feuerspeienden Glurak und Lavados an den Wänden, ihre kitschige Schreibtischunterlage mit lauter kleinen Pixis und Knuddeluffs darauf und all die anderen Überbleibsel ihrer Kindheit. Seufzend richtete sie sich halb auf, um auf die Uhr des Pokedex zu sehen. Es war bereits Mitternacht. Wie sollte sie denn nur ausgeschlafen sein, für das große Wiedersehen morgen? Mit einem erschrockenen Laut fuhr Texomon neben ihr hoch, riss den Kopf in die Höhe und spie eine Stichflamme, die den ganzen Raum taghell erleuchtete. Genervt murrte Neru im Schlaf und Evoli stellte die Ohren. "Was ist?", zischte sie alarmiert. Texomon jedoch schüttelte nur den Kopf. "Ich hab mich nur erschreckt. Entschuldige", sagte er leise und mit einem undeutlichen, jedoch leicht zu interpretierenden Murmeln legte Evoli sich zurück auf Nerus Brust und schloss die Augen. "Entschuldigung", flüsterte Nerina seufzend, "Ich muss dich gestoßen haben." "Kannst du nicht schlafen?", fragte Texomon in besorgtem Flüsterzischeln. Nerina nickte. "Ich bin so schrecklich aufgeregt vor morgen", gestand sie. Texomon rieb sich noch einmal schlaftrunken die Augen und stand auf. "Komm!", sagte er schlicht und als Nerina ihm nur einen verwirrten Blick zuwarf, wiederholte er eindringlicher: "Komm! Gehen wir nach draußen! Ich will dir was zeigen!" Kurz überlegte Nerina, ob es klug war, die Halbruhe ihres Schlafsackes aufzugeben, doch dann stand sie dennoch auf und folgte ihm barfuß nach draußen, zum Ufer des inzwischen schmalen Baches, den sie morgen verlassen würden. "Schau mal!", flüsterte er aufgeregt, nahm vor einem dünnen Weidenbaum Position ein und sprang wie ein Knallteufel in die Luft, um dem Stamm mit beiden Füßen einen heftigen Kampfkick zu verpassen. Knarzend knickte das Bäumchen zur Seite weg und blieb bebend quer über den Bachlauf liegen. Erstaunt musterte Nerina ihr Iramon, das stolz darauf gesprungen war und die Hände in Siegerpose hochhielt. "Das sah ja aus, wie ein Doppelkick", kommentierte sie erstaunt, "Woher kannst du denn das so plötzlich?" "Naja..." Nun begann Texomon doch, etwas herumzudrucksen. "Ich hab es bei dem Quaputzi im Delta neulich gesehen und dann noch ein paar Mal an Quaputzi und Quappo im Wasser und als Aquana mich gestern angesprungen hat, hab ich ausprobiert, ob der Trick auch bei mir wirkt... Nachdem sie sich furchtbar beschwert hat, hab ich es dann mal an einem Baum versucht. Meinst du wirklich, das ist eine Attacke?" Nerina nickte langsam, während sie sich Texomons Daten in Erinnerung zu rufen versuchte. "Jaaa, doch...", sagte sie dann zögerlich, "Ich glaube, du lernst ihn sogar regulär ... allerdings würde das bedeuten, dass du schon auf Level 20 bist!" "Ist das viel?", fragte Texomon ein wenig enttäuscht, sprang von seinem Baumstamm und trottete zu ihr herüber. Nerina nickte. "Du verlässt damit eindeutig die Anfänger", erklärte sie, bemüht, die zuvorige Panne wieder gutzumachen, "Level 20 bis 30 beschreibt die Mittelklasse. Ab 30 bist du dann schon einer der Großen." "Klingt gut", brummte Texomon, immernoch etwas unzufrieden, "Werde ich auch brauchen, für Feuer... Aber jetzt freu ich mich erst einmal wieder auf die Küste. Im Wasser hier herumzuplanschen macht schon Spaß ... aber schwimmen ist was anderes und ich glaube, ich muss mal wieder ein bisschen Territorium markieren, sonst wird Aquana noch frech." Aquana hatte über die letzten Tage tatsächlich mächtig an Kraft, Ausdauer und Gewandtheit zugelegt und Texomon des öfteren ziemlich in Bedrängnis gebracht, sodass sie seine leicht gereizte Laune gut nachvollziehen konnte. "Morgen Abend, wenn wir Zuhause sind, dann gehen wir eine richtig große Runde schwimmen!", versprach sie ihm fest, "Nur wir beide von einer geheimen Felsenbucht aus, die nichtmal Neru kennt! Ach, aber Texomon? Versprich mir bitte, dass du dich bei uns Zuhause gut benimmst. Ich meine... Da stehen sehr viele zerbrechliche Dinge herum und..." "Und du willst nicht, dass ich sie kaputtmache... Schon klar...", brummte Texomon beleidigt, "Mach dir keine Sorgen! Ich kann auch draußen schlafen!" Damit wandte er sich ab und sprang in das klare Bachwasser. Noch ehe Nerina ihn zurückhalten konnte, verschwand seine schmale Gestalt in der Dunkelheit. "Texomon?", rief sie leise und besorgt, "Hee, du alter Dickkopf! Ich hab’s nicht so gemeint! Komm zurück!" Doch Texomon antwortete nicht, sodass sie es schließlich aufgab und traurig in den Schutz des Turmes zurückkehrte. Was war nur plötzlich mit ihm los? Was beschäftigte ihn so sehr? Hatte sie ihn mit dem Training überfordert? Mochte er sie und ihre Ideen am Ende gar nicht mehr? Oder hatte ihn ihre Reaktion auf seine neue Attacke wirklich so sehr verletzt? Aber warum? Auch bei der Glut war sie schließlich nicht ausgeflippt vor Überraschung. Es war klar gewesen, dass er die Attacke lernen würde und das hatte er auch gewusst? Oder bereitete das Feuer selbst ihm Schwierigkeiten? Er hatte ihr gegenüber schon oft angedeutet, dass er es fürchtete. Natürlich hatte sie alles versucht, um ihn mit dem Feuer vertrauter zu machen, doch hatte sie es am Ende übertrieben? Glaubte er, dass sie unbedingt ein Feuerpokemon aus ihm machen wollte? Wollte sie denn unbedingt ein Feuerpokemon? Mit einem schmerzhaften Stich erinnerte sie sich wieder an die Glurak und Lavados an ihren Zimmerwänden und an all die abgenommenen Bilder von Hunduster, Arkani und Galoppa in ihren Schreibtischschubladen. Das große Vulnona, das als Kuscheltier auf ihrem Bett lag und das Tornuptu auf dem Deckblatt ihres Tagebuches... Ja, sie hatte immer ein Feuerpokemontrainer sein wollen und kein Wassertrainer... Hatte sie Texomon unbewusst übervorteilt, indem sie ihm seine Wasserform genommen und ihn zum Feuertraining gezwungen hatte? Unruhig wälzte sie sich einige Male hin und her, dann stand sie erneut auf und tappte auf nackten Sohlen erneut hinauf zur Aussichtsplattform des Turmes. Reine Finsternis breitete sich wie ein schwarzes Tuch um sie herum aus, sogar die meisten Lichter Azulons waren bereits gelöscht worden... und irgendwo inmitten dieser ewigen Dunkelheit steckte nun Texomon, verärgert, verletzt - und dabei so angreifbar! "Texomon...", murmelte sie und Tränen standen plötzlich in ihren Augen, "Oh Texomon, wo steckst du nur?"

"Hee! Alle aufwachen!", plärrte Texomons aufgeregte Stimme in ihren unruhigen Traum voller schwarzer Schatten und greller Flammenzungen. Nach langen, bangen Stunden des Suchens, Wartens und Hoffens, hatte Nerina doch noch der Schlaf übermannt und als sie nun aufgeregt hochfuhr, stand die Sonne bereits hoch über dem glitzernden Wasser des Meeres. "Texomon!", rief sie begeistert, sprang auf die Füße und lief auf ihn zu, "Oh, wo warst du denn? Ich hab mir solche Sorgen gemacht!" "In Azulon!", verkündete Texomon, immernoch aufgeregt, ließ aber zu, dass sie die Arme um ihn schlang und ihn fest an sich drückte, "Und da hab ich gleich zwei tolle Sachen gesehen! Stellt euch vor! Da sind riesige Bilder von mir gedruckt worden, wie ich den Hafen demoliere! Ich wusste gar nicht, dass ich sooo cool ausgesehen habe!" "Is ja toll!", rief Nerina gleich, erpicht darauf, ihn nicht schon wieder zu enttäuschen, während Neru ihnen beiden eine Grimasse schnitt. "Toll?", fragte er zweifelnd, "Ihr tickt wohl nicht mehr richtig! Das ist hypergefährlich! Du darfst dich auf gar keinen Fall in Seedraking verwandeln, solange sie dich suchen, hörst du?" "Das sagst du doch nur, damit Aquana weiter der bessere von uns ist!", fauchte Texomon und spreizte angriffslustig die Klauen. Perplex starrten Neru und Evoli ihn an und Nerina sprang schnell dazwischen: "Und, was ist das zweite?", fragte sie rasch, "Was hast du noch gesehen?" "Da ist ein Wasser-Ski-Wettbewerb in zwei Tagen", sagte Texomon gepresst, "Wasserpokemon, die ihre Trainer auf Brettern hinter sich herziehen und so versuchen, ein Rennen zur Zinoberinsel zu gewinnen. Ich hab ein Plakat am Hafen gesehen und ein Mauzi hat es mir erklärt. Sie starten in zwei Tagen. Ich dachte, wir könnten mitmachen..."
 

>>>Neru<<<
 

"Jetzt erzähl schon", drängte Aquana, "Was hast du vor?" "Verrate ich nicht", erwiderte Neru mit einem Lächeln im Gesicht. "Und ich verrate es dir auch nicht", sagte er nun mit strengerem Tonfall, "Du solltest überhaupt nicht reden, wenn wir unter Leuten sind." Aquana schmollte nur kurz, dann kam per Gedankenübertragung: "Und wohin gehen wir und warum soll ich Aquanas Gestalt beibehalten?" Und Neru musste lachen. Sein kleines Iramon versuchte es doch mit allen Tricks. Er würde Aquana nicht verraten, wohin sie unterwegs waren oder, was er vor hatte, er wollte sie und Texomon überraschen. Als er um die Ecke bog und der Verleihshop für Wassersportartikel direkt vor ihnen lag, bekam Aquana leuchtende Augen und als sie den Laden dann tatsächlich betraten, trippelte sie ganz aufgeregt auf und ab. Doch ihre Aufregung legte sich schnell, als sie mit dem Geschirr vertraut gemacht wurde, das es Neru ermöglichen sollte, von ihr durchs Wasser gezogen zu werden. Nach einigem Probieren hatten sie das richtige gefunden und stolz zeigte Aquana ihre, wie einen Rucksack aufgeschnallte Seilhalterung. Wie ein großer Rucksack lag der Lederlappen, an dem das Seil befestigt wurde, auf ihrem Rücken, während sich die Haltegurte über ihre kräftigen Schultern zogen und somit für Halt sorgten. "Passt dieses Geschirr auch anderen Pokemon?", fragte Neru ganz unschuldig, während Aquana noch ihr Ebenbild im Spiegel bewunderte. "Das Geschirr ist ganz universal anpassbar. Sie bekommen es sogar an einem Dragonir befestigt, wenn es sein müsste." "Wir wollen zwei davon ausleihen", erklärte Neru selbstbewusst, während er Aquana das Geschirr wieder abnahm. Nachdem Neru bezahlt hatte, machten sie sich schwer beladen mit zwei Surfbrettern, den über 20 Meter langen Seilen und zwei Geschirren auf den Weg zurück zu Texomon und Nerina. Neru hatte mit seiner Schwester dieses Vorgehen geplant, ja, es war gefährlich Texomon in seiner Wasserform zu zeigen, doch wie sollte jemand darauf kommen, dass ausgerechnet er das Seedraking war, das vor dem Gefängnis in den Strudelinseln so einen Rabatz veranstaltet hatte? Immerhin sah es ja aus, wie ein ganz normales Seedraking. Dennoch war Neru nicht ganz wohl bei dem Gedanken. Das Rennen hatte nicht nur den Zweck, dass beide Iramon Spaß hatten. Zwischen Texomon und Aquana war allmählich so etwas wie eine gereizte Stimmung gekommen und Neru war sich sicher, dass, wenn er Seedraking keine friedliche Möglichkeit zur Revanche gab, es eventuell zu unschönen Auseinandersetzungen kommen konnte. Seufzend sah Neru auf sein mittlerweile so starkes Aquana herunter. Es war nicht schön, sie so demütigen zu müssen, doch hatte er eine andere Wahl? Das, was Texomon an jenem Morgen gesagt hatte, ließ nur den Schluss zu, dass er auf Aquanas Stärke eifersüchtig war. Das passte zwar nicht wirklich zu ihm, andererseits gab es keine Gründe, warum er Aquana, die in letzter Zeit ziemlich aufsässig geworden war, nicht beweisen sollte, wer der Stärkere war. Texomon hatte sich die ganze Zeit mit seiner Wasserentwicklung zurückgehalten und Aquana war daraufhin ein bisschen - Wie sollte man es sagen? - etwas zu aufdringlich geworden. Das Wettrennen schien jedenfalls eine gute Möglichkeit zu sein, den Streit unblutig zu vermeiden, zumal Nerina sich nicht sicher war, ob sie Texomon im Zweifelsfall zurückhalten konnte. Zwischen den beiden, das hatte Neru schon längst bemerkt, war das Verhältnis auch nicht mehr so locker, wie es schien, und die Anspannung war spürbar. Deswegen war Neru auch nicht alleine zum Geschirrbesorgen gegangen. Auch Evoli hielt sich mit Provokationen nicht zurück. Man konnte die beiden einfach nicht auf einem Platz lassen. Seufzend spähte Neru wieder den Berg empor, hinter dessen Felsen sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wie hatte die ganze Situation nur so kompliziert werden können? Noch vor zehn Tagen sah die Welt so einfach aus.

Am Nachmittag war es dann endlich so weit, Neru und Nerina hatten sich für ihr Training eine ruhige Bucht ausgesucht und beiden war schon etwas mulmig zumute, als sie ihren beiden Iramon die Geschirre anlegten. Schon komisch, dachte sich Neru, die ganze Zeit haben wir die Iramon trainiert und jetzt trainieren sie uns. Aquana musterte das Surfbrett, auf dem Neru sich gerade festschnallte, mit skeptischen Blicken. "Das wird bestimmt lustig", meinte sie aufgeregt. "Jetzt wird sich zeigen, wer von uns besser schwimmen kann", neckte sie Seedraking zu, doch Seedraking schnaubte nur abfällig und ignorierte seine Konkurrentin. Neru warf Nerina einen unsicheren Blick zu und sie schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Zwischen den Iramon stand es nicht besonders gut. Nerina hatte Neru von ihrem und Texomons Streit erzählt und Neru musste zugeben, dass die Situation nicht eben leicht war. Vorallem nicht, wenn Texomon wirklich Nerinas Zimmer voll mit kitschigen Feuerpokemon zu Gesicht bekommen sollte. "Bist du so weit?", fragte Aquana und weckte ihn damit aus seinen Gedanken. Neru sah an sich herunter. Er stand auf dem Surfbrett im halb tiefen Wasser und hielt sich an der Leine mit dem Querholz fest, die auf Aquanas Rücken befestigt worden war. "Wir gehen es langsam an", erklärte er, doch es schien so, als würde Aquana ihn nicht richtig verstehen, jedenfalls schossen sie und Seedraking im gleichen Augenblick nach vorn und Neru hatte Mühe, sich an dem Seil festzuhalten. "Langsamer!", schrie er nach vorne, doch die beiden Iramon schienen ihn komplett zu ignorieren. Schreiend klammerte sich auch Nerina an ihr Seil und ohne richtig zu wissen, was vor sich ging, wurden sie hinter den Iramon durchs Wasser geschleift. Schon bei der ersten kleinen Kurve, die die Iramon machten, war es um die beiden geschehen. Neru, der überhaupt keine Übersicht mehr hatte, flog aus der Kurve und prallte schmerzhaft mit Nerina zusammen und sie beide verloren ihre Seile aus den Händen, während sie in einem Kuddelmuddel aus Armen und Beinen im Meer versanken. "Jetzt sieh mal, was du gemacht hast", murrte Seedraking mit seiner dröhnenden Stimme. "Als ob du besser gewesen wärst", schoss Aquana zurück. "Hee, ihr beiden!", rief Nerina dazwischen, "Ihr könnt euch später streiten, aber mit diesem Brett kann man nur sehr schlecht schwimmen, könntet ihr also eure Trainer vor dem Absaufen retten, bevor ihr euch prügelt?" Damit war der Streit fürs erste erledigt und nach ein paar weiteren Runden in der Bucht hatten Nerina und Neru den Dreh raus, wie man sich in die Kurve legte und, wie man das Brett zumindest ein bisschen steuern konnte. Vorsichtshalber waren sie nicht mehr gleichzeitig gestartet, sondern waren, nachdem Neru erklärt hatte, er habe von dem Sturz Rückenschmerzen, nur noch abwechselnd gestartet. Nicht mehr von Konkurrenzfragen bedrückt, konnten sie nun auch langsamer schwimmen und auch wieder auf Neru und Nerina hören. "Na, das kann ja heiter werden", murmelte Neru, nachdem sie am Abend am Lagerfeuer zusammensaßen, "Das ist schwerer, als ich gedacht hab." "In der Tat", brummte Nerina und massierte sich ihre brennenden Oberschenkel. Auch Neru verspürte heftigen Muskelkater. Doch für den ersten Tag und für das erste Mal Wasserski konnten sie mit sich doch zufrieden sein.

Die nächsten Tage des Trainings verliefen reibungslos, was wahrscheinlich zum Großteil daran lag, dass Neru und Nerina getrennt trainierten. Den Iramon schien es überhaupt nichts auszumachen, lange Zeiten zu schwimmen. Sie beschwerten sich eher darüber, dass sie nicht so schnell schwimmen durften, wie sie wollten. Doch der Muskelkater, der schon am ersten Abend heftig gewesen war, wurde immer schlimmer. Am Abend des zweiten Traingingstages konnte Neru fast nicht mehr laufen und an Nerinas schmerzverzerrtem Gesicht konnte er ablesen, dass es ihr nicht viel besser ging. Doch jetzt den Iramon zu sagen, dass das Training für sie zu hart war, nachdem sie selbst die Iramon so hart kämpfen und trainieren hatten lassen, erschien ihnen beiden falsch. So schluckten sie ihre Bemerkungen hinunter und versuchten nach Kräften, so zu tun, als würde auch ihnen das Training einen heiden Spaß machen. "Bin ich froh, wenn das Rennen gelaufen ist", ächzte Nerina, als sie und Neru einmal für einen Moment alleine waren. "Ich auch", murmelte er zurück, "Kannst du mir mal die Wasserflasche reichen, ich kann mich nicht weit genug strecken." Lachend reichte sie ihm das Gewünschte. "Wenn wir so weitermachen, müssen sie uns auch zum Rennen hinziehen." Neru ließ ein Lächeln von der Sorte: 'Hoffentlich nicht' sehen, dann verschwanden sie beide in ihren Swags, um sich noch etwas auszuruhen. Schließlich war morgen der große Tag.

Schon um sechs Uhr am morgen wurden Neru und Nerina von ihren Iramon geweckt und da es jetzt sowieso mit der Nachtruhe vorbei war, machten sie noch eine frühe Aufwärmfahrt, bei der den beiden Trainern die kalte Morgenluft ziemlich zusetzte, aber ihren Muskelkater vergessen ließ und nach dem Frühstück, das für die beiden Iramon natürlich viel zu lang gedauert hatte, machten sie sich auf den Weg zum Hafen. Nachdem sie sich in die Reihe eingereiht hatten, um sich für den Wettbewerb anzumelden, zuckte Nerina erschrocken zusammen und deutete in Richtung des Büros. Neru folgte ihrem ausgestreckten Arm und entdeckte ein Schild. "Teilnahmebedingung: Pokemon bis Level 25. Mindestalter der Trainer 12 Jahre. Mindestgröße der Pokemon 1,4 Meter. Nur ein Pokemon ist zugelassen. Wechseln von Pokemon ist strengstens verboten. Zuwiderhandlungen werden mit dem Ausschluss aus dem Rennen geahndet." Neru hatte das Schild noch nicht richtig durchgelesen, geschweige denn die Botschaft darin verstanden, da waren auch schon er und Aquana an der Reihe. Aquana wurde gescannt und ihr Level auf 21 festgelegt, während Neru seinen Trainerausweis vorlegen musste. Als er sich nach Nerina umsah und sie auf die Levelbeschränkung aufmerksam machen wollte, konnte er sie in der Reihe nicht mehr entdecken. Sie stand abseits und rief ihm zu: "Wir drücken euch die Daumen! Ihr packt das!" "Wir sind im ersten Beiboot dabei und sehen euch zu", rief Texomon, der zumindest versuchte, fröhlich auszusehen, aber den Kopf und die Schultern dabei hängen ließ, was seine Bemühungen lügen strafte.
 

>>>Nerina<<<
 

"Warum nehmen wir nicht teil?", fragte Texomon mit einem Tonfall, der Nerinas Nacken prickeln ließ und seine Klauen gruben sich knirschend in die Holzbank des Beibootes, auf der sie sich niedergelassen hatten, auf den zuständigen Bootsführer zu warten, der wohl noch damit beschäftigt war, mit etwa fünfzig Kollegen die Teilnehmer auf ihre Startplätze zu verweisen. Unsicher legte Nerina eine Hand auf Texomons Rücken und spürte voller Unbehagen, dass all seine Muskeln darunter gespannt waren. "Weil du zu stark bist", versuchte sie rasch, ihn zu beschwichtigen, "Sie nehmen nur schwächere Wasserpokemon, damit die kleinen eine Chance haben." Nachdenklich und mit erschreckendem Ernst erwiderte Texomon ihren Blick, dann schüttelte er heftig ihre Hand ab. "Aquana ist auf dem selben Level wie ich", sagte er fest, "Und dort schwimmt ein Lapras! Das ist ja wohl kaum schwächer!" "Aber normalerweise entwickelt sich Seedraking eben erst auf Level 30 oder höher. Ich weiß nicht, wie ich ihnen verkaufen soll, dass sich mein Seeper zu Seedraking entwickelt hat, ohne es vorher überhaupt auf Seemon geschafft zu haben!" "Ja ja...", brummte Texomon unglücklich und für eine ganze Weile beobachteten sie schweigend, wie Neru und Aquana zwischen einem schlaksigen Jurob und einem kleinen, etwas mitgenommen aussehenden Azumarill eingeordnet wurden. Nerus Gesicht war bleich und er krallte sich stärker als nötig an das Halteseil, das aus Aquanas Geschirr entspross. Immer wieder warf er ihr verzweifelte Blicke zu. Sie wusste, dass er diesem ganzen, verrückten Rennen nur zugestimmt hatte, um Texomon und Evoli ein friedliches Ventil für ihre Unstimmigkeiten zu schaffen, doch der Plan war nach hinten losgegangen. "Ihm ist nicht ganz wohl dabei", sagte sie eher zu sich, als zu Texomon und dieser zuckte nur mit den Ohren und gab keine Antwort. Plötzlich spürte Nerina Tränen in ihren Augen brennen. Was war bloß in ihn gefahren? Noch vor nicht einmal einer Woche war doch alles gut gewesen - und nun hatte sich ihr fröhliches, gutmütiges Iramon in ein solch streitlustiges Monster verwandelt. Zitternd ballte sie die Hände zu Fäusten, da kam mit einem langen Satz ein junger Mann in ihr Boot gesprungen. "Ich bin Jef", sagte er außer Atem, "Und ihr seid...?" "Nerina", sagte Nerina, ohne aufzublicken, "und das ist -" "Glutexo", fiel Texomon ihr ins Wort. Verdutzt sah sie zu ihm hinüber und auch Jef bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick. "Ganz schön blau für ein Glutexo", bemerkte er dann jedoch nur kopfschüttelnd, offenbar zu beschäftigt mit seiner Aufgabe, um näher auf das ungewöhnliche Pokemon einzugehen. Mit einem lauten Aufheulen ließ er den Motor starten und das kleine Boot setzte sich problemlos an die Spitze der startenden Karawane, Neru und Aquana im guten Mittelfeld, seine Knie zitterten ein wenig und er hielt seinen Blick nun starr auf Aquanas Rücken gerichtet, die ihrerseits mit weitausgreifenden, leichtfertigen Bewegungen dahinglitt. Offenbar hatte Neru ihr geraten, sich ihre Kräfte gut einzuteilen. "Warum hast du Glutexo gesagt?", zischte Nerina Texomon zu, als das Boot drehte und der Wind den Motorenlärm in ihre Richtung trieb, sodass Jef sie nicht hören konnte, doch Texomon erwiderte ihren Blick nur aus ausdruckslosen, schwarzen Augen und antwortete stur: "Glu-Glutexo!" "Oh, du alter Dickkopf!", fauchte sie, während ihre Verzweiflung zunehmend in Wut überschlug, "Ich möchte wirklich wissen, was seit ein paar Tagen mit dir los ist! Hast du irgendwas falsches gegessen oder ist dir jemand auf den Schwanz getreten? So bist du doch sonst nicht!" "Glu-Tex-Xo!", erwiderte Texomon nur nachdrücklich und deutete auf Aquana, die gerade ein winziges Seeper scheinbar achtlos aus der Bahn wischte und dann ihren Körper ganz lang machte. Mit elegant schlagender Schwanzflosse holte sie zu dem Tyracroc vor ihr auf, versetzte einem Sterndu einen Klaps, der es untergehen ließ und drängelte sich zwischen dem Tyracroc und einem Goldini hindurch in die erste Reihe des Pulks, nur, um erneut in ihr langsameres, ausdauerndes Tempo zu verfallen. Der arme Neru hatte derweil auf dem rasch hin und herschlingernden Brett heftige Probleme, sich auf den Beinen zu halten und mehrere Male sah Nerina ihn stolpern, in die Knie gehen und sich gerade so fangen. Aquana linste über die Schulter, doch falls Neru ihr etwas zurief, ignorierte sie ihn geflissentlich. Auch Aquana schien sich verändert zu haben, dachte Nerina traurig, während sie das stolze, blaue Wasserpokemon weiter beobachtete. Sie war selbstständiger und ehrgeiziger geworden und nicht mehr ganz so sehr auf Nerus Schutz bedacht, wie das noch am Anfang der Fall gewesen war. Sie seufzte schwermütig. Irgendetwas war mit den beiden kaputt gegangen und sie hätte nur allzugerne gewusst, was es war...

"Gluuu", sagte Texomon plötzlich aufgeregt und riss Nerina aus ihren Gedanken. Die ersten paar Jurobs, die immernoch die Kolonne führten, legten sich in eine steile Linkskurve. Offenbar hatten sie das weite, offene Meer zwischen Azulon und der Zinoberinsel bereits überquert und näherten sich nun den weitläufigen, flacheren Korallenriffen, die die Westseite der Insel umwucherten. Bis hierher hatten die größeren Pokemon eindeutige Vorteile aufgewiesen, doch hier, im flacheren Wasser, stockten sie oftmals und ihre Trainer ruderten wild mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Einigen von ihnen gelang es nicht und sie mussten von den Beibooten aus dem aufgewühlten Meer gezogen werden, ehe ihre Verfolger sie schlichtweg über den Haufen schwammen. Aquana jedoch witterte ihre große Stunde. Sie war es gewöhnt, in flachem Wasser zu schwimmen, hatte sie doch schließlich ihre Wasserform erst im seichten Kimbara richtig zu lieben gelernt und durch ihre dauernden Rangeleien mit Texomon war sie ungemein wendig. Ohne viel Federlesens schoss sie hin und her, wich den spitzen Korallengebirgen aus, die sich unter der Wasseroberfläche abzeichneten und brachte Neru auf seinem Brett förmlich zum tanzen, während sie immer weiter an Tempo zulegte. "Sie wird es schaffen!", rief Nerina aufgeregt über den Motorlärm Jef zu, "Aquana und mein Bruder dort! Oh, sie sind besser, als ich dachte!" Auf Jefs Gesicht bildete sich ein Grinsen ab und vielsagend deutete er auf die weißen Flaggen, keine fünfhundert Meter entfernt, die die Ziellinie markierten. Auch Aquana schien sie zu sehen. Nerina sah sie halb aus dem Wasser schnellen, um kurzerhand das konkurrierende Jurob zu überschwimmen, was leider zur Folge hatte, dass Nerus Brett mit lautem Klappern gegen das des Jurob-Trainers knallte, die beiden Jungen schwankend aufeinander zutaumelten und sich in die Arme fielen, bevor das Brett des anderen kenterte und Neru sich geistesgegenwärtig auf die Knie fallen ließ und eine Hand in die Flanke des Brettes verkrallte, während Aquana ohne sich umzusehen weiterflitzte. "Texo!", meldete sich Texomon mit rauer Stimme zu Wort und deutete abfällig auf sie. Nerina verdrehte die Augen. "Wenn du was zu sagen hast, sprich anständig!", brummte sie. Texomon legte die Ohren an. "Also ich würde besser auf meinen Trainer achtgeben", sagte er dann kalt, "Neru lässt sie schließlich auch nie gegen Äste knallen, wenn sie sich wiedermal tragen lässt!" "Sie ist wahrscheinlich furchtbar aufgeregt", warf Nerina ein und Texomon biss sich auf die Zungenspitze. "Glutexo", sagte er grob und wandte sich wieder Aquana zu, die gerade mit hoch erhobener Schwanzflosse durch die Ziellinie sauste, zu bremsen vergaß und in voller Fahrt auf den weichen Sandstrand auflief. Nerus Brett stoppte so abrupt, dass es ihn nun endgültig von den Füßen riss und er über Aquana stürzte, woraufhin sie beide in einem Gewirr aus Seilen über den Strand kugelten. "Tollpatsch", brummte Texomon, doch Nerina war bereits aufgestanden und applaudierte.

"Hee! Ihr wart klasse!", begrüßte Nerina ihren arg mitgenommenen Bruder und sein vor Stolz fast platzendes Aquana, als sie sie eine gute halbe Stunde später im Gedränge an der Hafenpromenade wiedertrafen. Neru ächzte nur und hielt ein kleines, grünes Fläschchen in die Höhe. "Hilft gegen Paralyse", stöhnte er, "Das war alles, was uns der Höllentrip eingebracht hat. Kommt, lass uns nach Hause gehen - ich sterbe gleich vor Müdigkeit und eine heiße Badewanne könnte auch nicht schaden!" "Aber wir haben gewonnen!", rief Aquana stolz, die mit hüpfenden Schritten und hoch aufgerichteter Schwanzflosse vor ihnen herstolzierte, "Aber das waren auch alles Waschlappen, stimmt´s, Neru?" "Und der größte davon läuft gerade vor mir", knurrte Texomon erbost, sprang einen Schritt nach vorn und kniff ihr warnend in die Schwanzflosse, "Du hättest deinen Trainer fast umgebracht!" "Ach, du bist ja nur eifersüchtig, weil ich teilnehmen durfte und du wieder mal zu groß warst", schnappte Aquana zurück. Neru sog scharf die Luft ein. "Aquaa", begann er ernst, doch Texomon ließ ein leises, so tiefes Grollen vernehmen, dass beide Geschwister zu Eis erstarrten. "Lass gut sein, Neru", sagte er mit unheilvoller Ruhe in der Stimme, "Aquana ist ihre Kraft offenbar zu Kopf gestiegen. Das passiert Pokemon oft, besonders, wenn sie vorher kleine, schwache Dinger waren und sich nach der Entwicklung an ihren eigenen Muskeln nicht sattsehen können. Sie hält sich für stark... Testen wir, wie lange." Damit sah er prüfend die Bucht auf und ab, deren Strand sie gerade passierten und von der aus der schmale Weg hinauf zum Hintereingang ihres Grundstückes führte. Dormalerweise war der weiche Sand und die warmen Lavafelsen an ihren Seiten ein beliebtes Ziel für Trainer, Schwimmer und Sonnenanbeter, doch heute war der lange, weiße Strand wie leergefegt. Alles, was Beine besaß, hatte sich offensichtlich an die Ziellinie des Rennens begeben. Noch gelähmt vor Schreck starrte Nerina ihr Iramon an, das mit langsamen, schweren Schritten zum Wasser lief und im nächsten Augenblick spürte sie das altbekannte Ziehen in ihren Gedanken, das jedes Mal Texomons Evotationen ankündigte. "Nein!", flüsterte sie, schon fast unter Tränen, "Nein!" Doch dieses eine Mal fragte Texomon nicht um Erlaubnis. Ein greller Lichtblitz zuckte durch Nerinas Bewusstsein und ein höllischer Schmerz explodierte hinter ihren Augen, sodass sie keuchend in die Knie brach und sich in den weichen Sand sinken ließ. "Nerina!", rief Neru erschrocken aus und beugte sich über sie, doch Nerina hob rasch den Kopf, um über seinen hilfreich ausgestreckten Arm sehen zu können. Durch den Tränenschleier in ihren Augen sah sie Seedraking im flachen Wasser treiben, seine Flügelchen abgespreizt und die Zähne gebleckt. "Komm her!", donnerte er mit mächtiger Drachenstimme, "Zeig uns, was du kannst, kleine Kaulquappe!" "Das kannst du haben, du alte, eifersüchtige, aufgeblasene Klapperschlange!", fauchte Aquana, dann sprang sie ihm mit ebenfalls gebleckten Zähnen und gespreizten Klauen entgegen.

"Aquana!" Neru ließ abrupt von seiner Schwester ab, sprang auf und rannte auf die Kämpfenden zu, doch eine gigantische Flutwelle traf ihn frontal vor die Brust und mit einem Aufkeuchen taumelte er zurück und landete schwer im Sand neben Nerina. "Was... Was ist nur mit ihnen los?", fragte er verzweifelt, doch Nerina gab ihm keine Antwort. Stumm und mit den Gefühl des unvermeidlichen Eintretens des größtmöglichen, absoluten Super-GAUs beobachtete sie, wie das flinkere Aquana um Seedraking herumflitzte, während sie tunlichst vermied in die Schussbahn seiner meterhohen Aquaknarren zu geraten. "Du magst stark sein, du Seeungeheuer!", hörte Nerina sie rufen, "Aber beim Rennen hättest du doch nicht gewonnen, so lahm wie du bist!" "Oh Aquana", heulte Neru schmerzerfüllt auf, "Du musst doch nicht auch noch Öl ins Feuer gießen!" Doch Seedraking ging auf die Sticheleien nicht weiter ein. Mit einem seltsamen, dröhnenden Geräusch wie von stürzendem Wasser schnellte er herum, sein langer Schwanz peitschte durch die Luft, wand sich Aquana um den Bauch und drückte zu. Mit einem Aufschrei begann diese zu zappeln, hieb mit ihrer eigenen Schwanzflosse und ihren klauenbewehrten Pranken auf ihn ein, doch seine glatten, starken Schuppen fingen ihre Schläge ab, ohne auch nur Schaden zu nehmen, während er langsam den Wickel enger zog. "Gibst du auf?", dröhnte Seedraking mühelos über Aquanas schrille Schmerzensschreie, doch sie spie ihm nur eine weitere Aquaknarre ins Gesicht. Neru schlug die Hände vor die Augen. "Oh, Aquana", jammerte er, "Nerina, ich fürchte, das Wetter bekommt ihr nicht! Sie ist ja völlig abgedreht!" Seedraking grollte, zog den Wickel noch etwas enger und streckte gleichzeitig den Schwanz aus dem Wasser, sodass die wild zappelnde Aquana in der freien Luft hing, außer Reichweite seines empfindlicheren Kopfes. Wild warf sie sich hin und her, doch der Wickel hielt sie unerbittlich gefangen, sodass sie schließlich aufgab, den Kopf sinken ließ und zu Evoli zurückevotierte. Mit einem Satz löste sie sich aus der nun viel zu weiten Schlinge, erreichte mit wenigen, hektischen Schwimmzügen den nächsten Felsen und kam mit triefendem Fell und Flaschenbürstenschwanz darauf zum Stehen. "Oh, Glückwunsch, du alter Brutalo!", fauchte sie in die aufgepeitschte See, "Wenn du nicht fair kämpfen kannst..." Im nächsten Augenblick explodierte Nerinas Gesichtsfeld in blauem Nebel, als eine gigantische, ja, schon beinahe hydropumpenhafte Wassersäule auf Evolis Felsen zuschoss, ihn umspülte und ungebremst in die größeren Randfelsen der Bucht schleuderte. Evoli schrie spitz auf, dann herrschte absolute Ruhe. Nur Seedraking trieb zitternd im aufgewühlten Wasser. "Sie hat es so gewollt", verkündete er kühl, während Neru bereits auf die Felsen gelaufen war, um sein klitschnasses Evoli aufzusammeln. Schlaff hing sie kurz darauf in seinen Armen, die Augen geschlossen und Blut rann aus ihrem halb offenstehenden Maul. Als Neru sich zu Seedraking umwandte, war sein Gesicht wie aus Stein. "Und das hat jetzt sein müssen?", fauchte er, selbst Tränen in den Augen, "Hast du sie gleich umbringen müssen, du eitles Biest von einem Iramon? Wem sind seine Muskeln hier zu Kopf gestiegen, he?" Doch Seedraking musterte ihn nur aus friedlichen, tiefblauen Augen und erwiderte nichts. "Seedraking!", hob Nerina gerade zu einer ungläubigen, zornigen Rede an, da legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter und als sie herumfuhr, sah sie in Vaters besorgtes Gesicht. "Nicht! Nerina", sagte er leise und mit einer eindringlichen Sanftheit, die Nerina augenblicklich in sich zusammensinken ließ. Dann richtete er sich auf und warf Neru einen strengen Blick zu. "Komm da runter, Neru", rief er zu ihm hinüber, "Evoli ist nicht tot. Sie ist allenfalls bewusstlos. Hast du denn gar nichts über Pokemonkämpfe gelernt in deinem Leben? Bring sie ins Pokemon-Center in Zinobia und lass ihr ein paar Aufbauspritzen geben." "Ist gut, Vater", knurrte Neru, immernoch außer sich vor Sorge und trottete wortlos über den Strand davon in Richtung Stadt. Vater beachtete ihn nicht weiter. Mit langen Schritten ging er auf Seedraking zu, das neugierig nähergeschwommen war. "Yamato!", begrüßte er Vater mit einem Mal sehr ehrfürchtig, "Schön, Sie wiederzusehen!" "Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Texomon", entgegnete Vater ehrlich, "Oder besser gesagt Seedraking. Du hast uns mit dieser Entwicklung wirklich alle sehr überrascht. Nun komm aus dem Wasser. Wir wollen nach Hause gehen, in mein und Nerinas Zuhause. Es wird Zeit, dir einige, wichtige Dinge über dich zu erklären."
 

>>>Texomon<<<
 

Gehorsam folgte Texomon der Aufforderung des Menschenmannes, den er, gleichwohl wie Nerina einen Vater nennen konnte. Yamato und die anderen Doktoren hatten ihn entwickelt und ihre Gesichter waren es gewesen, an die er denken musste, wenn er versuchte, sich an früher zu erinnern, an ganz früher, als er selbst noch kaum größer gewesen war, als das blaue Reagenzglas, aus dem er gekrochen war. Doch im Gegensatz zu all den anderen, alten Professoren, die ihn immer eher mit kritischen Blicken bedacht und stundenlange, langweilige Versuche an ihm durchgeführt hatten, war Yamato anders gewesen. Texomon konnte sich noch gut daran erinnern, wie viele lange Stunden Yamato mit ihm durch die großen Parkanlagen des Labors gewandert war, seiner ewigen Unruhe gelassen begegnend und ihm erklärt hatte, wie die Dinge auf dieser Welt standen, warum er und die anderen Iramon hier waren und, dass sie einmal groß und stark werden würden und er war es auch gewesen, dem Texomon seine einzige, große Sorge anvertraut hatte, nämlich die, von keinem der vier jungen Trainer gewählt zu werden. 'Weil ich doch gar kein richtiges Pokemon bin und weil ich so unruhig und tollpatschig bin', hatte er besorgt erklärt, 'Und weil niemand weiß, was mal aus mir werden wird. Bei Evoli ist das ja schließlich klar und jedes Menschenkind will sofort sie oder Taubsi. Nidoran geht vielleicht noch als Trostpflaster durch, aber mich starren sie immer nur komisch an und laufen weg, wenn ich an den Zaun komme.' Damals hatte Yamato nur gelächelt und ihm eine schwere Hand auf den Kopf gelegt. 'Es sind nicht irgendwelche Kinder, die kommen werden', hatte er geantwortet, 'Es sind Ella und Sipho, Professor Linds Enkelkinder und Neru und Nerina, meine eigenen Zwillinge. Sie sind alle vier sehr verschieden und sehr besonders in ihrer Weise und ich bin mir sicher, dass einer von ihnen für dich genau der richtige ist.' Das hatte nicht sonderlich vertrauenserweckend geklungen und Texomon hatte weiter gezittert. Doch dann war der große Tag gekommen und Yamato hatte recht behalten. Tatsächlich war er ausgewählt worden, von der besten Trainerin, die er sich nur wünschen konnte. Nerina hatte ihn akzeptiert, wie er war, hatte nie mit ihm geschimpft, auch wenn er zu Beginn ihrer Reise so viel Unfug gemacht, Dinge zerstört oder sie in Verlegenheit gebracht hatte. Sogar die peinliche Szene in dem großen Gebäude, das sie Einkaufs-Zentrum nannte, hatte sie ihm schneller vergeben, als er zu hoffen gewagt hatte. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass er trotz allem sein bestes gab, dass er einmal stark sein würde - wirklich stark. Er hatte ihr erzählt, wie stolz er auf seine Wasserevotation gewesen war, wie sehr er das Wasser liebte, ja, hatte sogar eingewilligt, sie sich mit anderen Wasserpokemon zu teilen, damit sie Wasserarenaleiterin werden konnte. Nerina schien das alles gutzufinden, stolz zu sein auf Seedraking und die tollen Wassersäulen, die er hervorbrachte. Endlich hatte Texomon geglaubt, am Ziel angekommen zu sein, am Ziel seiner ewigen Suche nach sich selbst, nach der Basis seiner Kraft und sein Herz war fast übergegangen vor Freude, eine so verständnisvolle Partnerin bekommen zu haben. Doch dann musste irgendetwas mit ihr geschehen sein. Von einem Tag auf den anderen hatte sie dem Meer den Rücken gekehrt, ja, sie schien Seedraking völlig vergessen zu haben. Plötzlich wollte sie ständig, dass er Feuer spie, immer größere, heißere Flammen. Texomon hatte es für sie getan, schließlich würde er immer alles tun, was Nerina sich nur wünschte, doch der gewaltige Stolz in ihrem Blick, wenn er eine Glutattacke benutzte, hatte sein Herz immer weiter sinken lassen. Er war doch so glücklich gewesen, ein Wasserwesen zu sein und das Meer hatte ihm endlich die lang ersehnte Ruhe und Stärke geschenkt. Er mochte das Feuer nicht, mochte nicht, wie seine heiße, ungebändigte Energie seinen Körper durchfuhr, wie es ihn wild machte und aufgeregt. Manchmal, wenn Nerina ein neues Feuerspiel ersonnen hatte, hatte er danach stundenlang keine Ruhe gefunden, war unruhig durch ihr Lager gewandert und hatte viele, leichtsinnige Dinge getan, die vor Nerina einzugestehen er sich meistens nicht getraut hatte - und nun hatten sie sich auch noch gestritten und das einzige Ereignis, das Texomon schon so lange gefürchtet hatte, war eingetreten. Er hatte Nerina enttäuscht, sie verletzt und traurig gemacht, den einzigen Wesen, dem er jemals so sehr vertraut hatte.

Das alles ging Texomon durch den Kopf, während er seine eigene Gestalt annahm und stumm hinter Yamato her über den Strand ging. Er sah, wie Nerina sich mühsam hochstemmte und sich ihnen anschloss, ihr Gesicht war so weiß wie das Salz, das langsam an seinen Schuppen trocknete und das heute keine vorsichtigen Menschenhände von seinem Körper wuschen und ihre Augen sahen verschleiert aus, als wolle sie nicht, dass er in ihr inneres sah. Sie sprach kein Wort und auch, als Texomon einen vorsichtigen Vorstoß in ihre Gedanken unternahm, fand er dort nichts als Finsternis. Nerinas innere Ohren waren taub für seine Worte und plötzlich beschlich Texomon eine tiefe, nie dagewesene Betroffenheit. Noch nie, nicht einmal nach seinem unruhmreichen Kampf mit Pikachu hatte er sich so elend gefühlt. Vorsichtig streckte er eine Klaue aus, um nach ihrer Hand zu greifen, doch Nerina zuckte zurück und schmerzhaft wurde Texomon sich der Tatsache bewusst, dass seine scharfen Krallen kam etwas sein konnten, was ein empfindlicher Mensch gerne in die Hand nahm. 'Wäre ich nur so klein wie Evoli und hätte ihr weiches Fell', dachte er niedergeschlagen und ließ die Ohren hängen, 'Dann würde mich jeder in den Arm nehmen und beschützen. Aber so bin ich groß und stark und muss selbst auf mich aufpassen...' Doch plötzlich war der alte Traum nichts weiter als ein düsterer, bedrohlicher Schatten geworden.

Nerinas und Yamatos Haus lag auf einem kleinen Hügel am Rand der Stadt und ein langer Garten erstreckte sich von dem großen, weißen Gebäude aus bis fast hinab zum Strand, sodass sie schon bald das Grundstück erreichten. Yamato schloss das Gartentor für sie auf, doch Texomon sprang dennoch über den Zaun, ohne wirklich darauf zu achten. Es erschien ihm einfach mühsamer, die Richtung seiner schweren, müden Schritte zu verändern, als diesen winzigen Hopser in Kauf zu nehmen. Doch niemand tadelte ihn. Schweigend folgten sie weiter Yamato, einen breiten und gepflegten Gartenweg aus weißen Steinfließen entlang und einige, hölzerne Stufen hinauf auf eine Art niedrigen Balkons. Noch einmal warf Texomon einen Blick zurück auf den großen Garten mit all den vielen, duftenden Obstbäumen darauf, der ihn so sehr an Linds Parkanlagen erinnerte, in denen er und Nidoran so oft gespielt hatten, dann öffnete sich mit einem merkwürdigen Geräusch die durchsichtige Tür vor ihnen und eine Menschenfrau trat heraus. Sie war eher klein, sofern Texomon das sagen konnte, und auch ein wenig dicker als Nerina, doch sie hatte die gleichen, warmen, meergrünen Augen und selbst ihre Stimme klang der von Nerina ein wenig ähnlich, auch wenn sie tiefer, rauer und ruhiger schien als die ihre. "Nerina!", sagte die Frau mit einer seltsamen Mischung aus Freude und Sorge und Nerina stürmte wortlos vor, um sich von ihr in die Arme schließen zu lassen. Ein heftiger Stich fuhr durch Texomons Brust, als er hörte, wie sie schluchzte. Er hatte Nerina erst ein einziges Mal weinen sehen, damals, im Pokemon-Center nach seinem Kampf gegen Webarak, als sie an seiner Liege darauf gewartet hatte, dass er endlich aufwachte. Damals hatte es ihm schrecklich leid getan, dass sie wegen ihm weinen musste, schließlich war ihm ja gar nichts geschehen. Doch nun begriff er, dass um jemanden weinen etwas ganz anderes war, als wegen jemandem weinen - wegen einem verwirrten, heißblütigen Jemand, der für die Macht des Feuers nicht geboren war und einmal mehr verfluchte Texomon seine Reptilienaugen, die völlig ohne Tränendrüsen auskamen. Dabei war doch auch ihm so sehr zum weinen zumute.

Wie durch eine dicke Watteschicht drangen Yamatos leisen Worte an seine Ohren: "Geh schonmal mit ihr nach drinnen, Silena. Ich glaube, sie hat einen Schock. Ich werde mit Texomon zum Büro gehen. Ich muss ihm etwas zeigen." "Wo ist Neru?", fragte Silena, ebenso leise, während sie unablässig Nerinas salzverkrustetes Haar streichelte. Yamato machte eine beschwichtigende Geste. "In der Stadt im Pokemon-Center. Ich glaube zwar nicht, dass eine gute Mütze Schlaf und ein paar Pokeriegel nicht ausreichen sollten, um Evoli wieder auf die Pfoten zu bringen, aber dort hat er Zeit, nachzudenken und hier fände er ja doch keine Ruhe." Silena nickte stumm, dann legte sie erneut einen Arm um Nerina und beide verschwanden im Dunkel hinter der Tür. Ungeduldig scharrte Texomon mit den Klauen über die Fließen. Es gefiel ihm gar nicht, Nerina fortgehen zu sehen, doch Yamatos Blick nagelte ihn förmlich an das hölzerne Geländer in seinem Rücken. "Komm mit, Texomon", sagte er leise aber mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, "Ich weiß, dass du bei Nerina bleiben möchtest, aber du brauchst dir keine Sorgen machen. Hier ist sie sicher." "Sie ist böse auf mich", erwiderte Texomon gepresst, während er Yamato unwillig über den Gartenweg zurück in Richtung Meer folgte, "Sie will immer, dass ich Feuer mache und nicht mehr zu Seedraking werde und -" "- und sie kann nicht verstehen, warum du gegen Aquana gekämpft hast", sagte Yamato eindringlich, "Bei euch Pokemon mag das die normale Art und Weise sein, Konflikte zu lösen. Ihr seid stark und unempfindlich und der Kampf steckt in euren Genen. Wir Menschen lösen unsere Probleme anders. Wir streiten, diskutieren und verhandeln. Wenn wir uns körperlich schlagen, ist das ein Zeichen allergrößter Wut." "Oh, wirklich?" Erstaunt sah Texomon zu ihm auf. "Dann ist es nur dieser Kampf gewesen? Aber der musste sein, Yamato und ich bin mir sicher, Evoli wusste ganz genau, dass es sein musste." "Nerina nicht", erwiderte Yamato ruhig, "Sie ist verwirrt und erschrocken und vielleicht schämt sie sich auch dafür, dich nicht zurückgehalten zu haben. Aber hab keine Angst. Silena wird ihr alles erklären. Gib ihr einfach Zeit, in Ruhe nachzudenken." Texomon nickte stumm.

Sie erreichten ein winziges, strohgedecktes Häuschen am Rand des Grundstücks, dessen kleine Fenster direkt hinab aufs Meer sahen und das Texomon eher an die Unterkünfte der größeren Pokemon auf Eichs Grundstück denn an ein Menschenhaus erinnerte. Yamato entriegelte die Tür und sie betraten ein kleines aber vollgestopftes Zimmer, das in seiner Beschaffenheit sehr an Eichs Labor erinnerte, mit Tischen, filigranen Regalen, um die Texomon lieber einen gehörigen Bogen schlug und diesen lustigen, drehbaren Stühlen, auf denen er immer Karussell gefahren war. Doch heute ließ Yamato sich schwer auf den interessantesten Kandidaten fallen und gab Texomon ein Zeichen, es sich auf der Kante des kleineren Schreibtisches bequem zu machen. Eine kleine Weile herrschte Schweigen, während Yamato seinen Computer zum Leben erweckte und scheinbar sinnlos Papiere ordnete, dann bedachte er Texomon mit einem langen, nachdenklichen Blick und begann:

"Nun, Texomon, ich - wir - haben dich in deiner Vergangenheit sehr oft untersucht, wie du dich sicher noch erinnern kannst - spar dir deinen Protest, es ist mir durchaus bewusst, dass du diese Untersuchungen ... nun sagen wir... oftmals nicht sehr angenehm fandest. Wir waren da ganz deiner Meinung, das kannst du mir glauben..." Er lachte bitter und strich sich beiläufig über eine dunkle Narbe an seinem Handgelenk, an deren Ursprung Texomon sich in der Tat düster zu erinnern glaubte. "Damals, wieauch später noch, habe ich dich oft sagen hören, du seist ein halbes Glumanda oder eine 'schräge Mischung' und Nerina hat mir geschrieben, dass du überrascht warst, dem Drachentypus zugeordnet worden zu sein... Du sollst gesagt haben, dass das wohl nur davon kommt, dass wir uns nicht zwischen Feuer und Wasser für dich entscheiden könnten..." Erwartungsvoll sah er Texomon an, der langsam nickte. "Und genau so ist es doch", erwiderte er mit rauer Stimme, "Ich war ein ganz normales Glumanda-Ei, irgendwo aus der Wildnis der Vulkane dieser Insel. Doch ihr habt meine DNA verändert, mir etwas eingepflanzt, das mich für immer geteilt hat. Ich habe die Evotation, die Attacke und die blaue Farbe eines Wasserpokemons und als ich endlich das Meer sah, wusste ich, dass es meine Heimat ist - und doch stecke ich im Körper eines Feuerwesens, eines Pokemon, das der gegenteiligen Elementkategorie angehört und dessen Körper seinem Willen so oft im Weg steht. Ich fühle ich zweigeteilt, Yamato, wie von zwei Dingen getrieben, die sich abstoßen wie Licht und Schatten. Ich bin wie ein Tauboss im Körper eines Digda - oder wie das Digda, das mit Tauboss' Schwingen zu graben versucht." Überrascht lauschte Texomon der plötzlichen Rede, die da aus ihm heraussprudelte, ohne, dass er sie wirklich hatte sagen wollen. Yamato ließ ihn ausreden, doch dann lächelte er nur mild zur Antwort. "Was du sagst, ist nicht ganz falsch", räumte er ein, fügte jedoch eindringlich hinzu: "Aber auch nicht ganz richtig. Texomon, mein Leben lang habe ich Drachenpokemon untersucht, jene faszinierende Kategorie, die sich keinem Element zuordnen lässt. Sie alle sind Wesen von Luft und Erde, Feuer und Wasser und sie alle tragen diesen Konflikt in sich, den du da beschreibst." "Ja", versetzte Texomon hitzig, "Das mag ja alles sein. Aber ein Drache ist nunmal ein Drache. Er ist dafür geboren, alle Elemente zu beherrschen. Ich bin bloß ein Gen-Mix. Ich habe nicht die Willenskraft eines Dragonir!" "Wirst du nicht zu Seedraking?", erwiderte Yamato scharf und Texomon grub ertappt die Klauen in die Schreibtischplatte. "Seine Form gibt mir Ruhe und Kraft!", versetzte er dennoch unbeirrt, "Seedraking hat genug Willenskraft in sich, auch das mit der Telepathie zu Nerina richtig hinzukriegen. Ich mag seine Form, aber ich bin nicht er!" Yamato bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick, dann rief er ein Bild auf den Computerbildschirm. Es zeigte die handgezeichnete Skizze eines zweibeinigen Echsenpokemons neben einem entsprechenden Skelett. "Das ist die Rekonstruktion von Gluvapo, aus dem Museum prähistorischer Pokemon in Eden", verkündete Yamato gewichtig, "Man nahm an, dass es sich um ein, mit Glumanda verwandtes Drachenpokemon aus der Zeit vor der letzten Eiszeit handelte. Gluvapo entwickelte sich demnach aus Glumanda, wenn dieses in Kontakt mit einem Wasserkristall kam - Das ist ein mächtiger Wasserstein, der heute nur in großen Tiefen gefunden wird, früher aber wohl auch an den Küstengebieten vorkam. Ich hatte von Gluvapo auf meinen Reisen gehört, doch mich nie weiter mit ihm beschäftigt. Es gab zu viele aktuelle Sorgen. Erst, als wir dir die DNA des Karnimani einimpften, fielen mir die Geschichten über ihn wieder ein und als du schlüpftest, da hast du uns alle gelinde gesagt sehr überrascht. Deine Statur ist weder mit der von Glumanda noch von Karnimani vergleichbar und besonders dein Horn konnten wir uns nicht erklären. Auch deine DNA gab uns Rätsel auf. So oft wir sie auch auf die Probe stellten, jedes Mal deuteten alle Hinweise auf einen Drachentypus hin, nicht ein einziges Mal auf Feuer oder Wasser, wie das bei Mischtypen der Fall sein sollte. Wir hatten keine Ahnung, wie du dich entwickeln würdest, also reiste ich, wie du weißt, nach Eden, um das Museum um eine DNA-Probe von Gluvapo zu bitten. Leider konnte ich sie erst auswerten, nachdem ihr schon unterwegs wart..." Mit fliegenden Fingern rief Yamato eine weitere Datei auf, viele bunte Zeichen und Teilchen huschten auf dem Bildschirm durcheinander, bis sie sich zu zwei langen, farbigen Strängen vereinigten. "Was ist das?", fragte Texomon unbehaglich und bemerkte erst zu spät, dass sich seine Klauen wie von selbst in das Holz des Schreibtisches gegraben hatten. Yamato lächelte aufgeregt. "Das hier ist deine DNA und die dort oben gehörte Gluvapo", erklärte er, "Wie du sehen kannst, sind sie fast identisch. Einzig die Teile, die wir allen Iramon einpflanzen mussten, um eure Evotationen, sowie eure Sprachfähigkeit zu ermöglichen, sind grundlegend neu. Du bist also kein schräger Gen-Mix, Texomon. Ich vermute viel mehr, dass unser Eingriff in deine Entwicklung deine natürliche Evolution auf Gluvapo ausgelöst hat, jedenfalls eher, als Karnimanis DNA anzunehmen." "Dann... bin ich also ein vollständiges Pokemon?", fragte Texomon zweifelnd. Yamato nickte. "Ja!", sagte er fest, "Ja und nicht nur irgendeins. Du gehörst einer uralten und mächtigen Spezies von Drachenpokemon an." Das Zimmer vor Texomons Augen begann unheilvoll zu schwanken und mit einem Mal war ihm speiübel. Ein echtes Pokemon? Er sollte tatsächlich ein ganz normales, echtes Pokemon sein? "Dann... Dann bin ich also ein Gluvapo...", rekapitulierte er lahm, während sein Schwanz unruhig über die Schreibtischplatte wischte und Büroklammern, Tacker, Locher und Stifte gleichmäßig über den Zimmerboden verteilte, "Dann habe ich auch eine natürliche Entwicklung? Echte Messwerte und Attackenstandards?" Yamato hob beschwichtigend die Hand. "Wir sind noch nicht weit genug, echte Artenstandards aus der alten DNA zu kitzeln", erklärte er bedauernd, "Das wird noch ein bisschen dauern. Aber eine natürliche Entwicklung habe ich ausfindig machen können..." Die bunten DNA-Stränge auf dem Bildschirm wichen der handgezeichneten Skizze eines mächtigen, vierbeinigen Drachen, Glurak nicht unähnlich, doch kleiner, schlanker und mit größeren, stärkeren Schwingen. "Das ist Glutaro", stellte Yamato das faszinierende Wesen vor, "Und wenn man den Überlieferungen trauen darf, war es ein sehr mächtiges Wesen von Feuer, Wasser, Luft und Erde. Du solltest stolz sein!" "Und sowas werd ich mal?" Aufgeregt rutschte Texomon von der Schreibtischkante, lief zum Bildschirm und presste die Schnauze an das warme Plastik, um auch wirklich keine einzelne der gezeichneten Schuppen des Pokemon zu übersehen. Yamato jedoch stieß ein schweres Seufzen aus. "Vielleicht", sagte er und enttäuscht ließ Texomon wieder den Kopf sinken. "Warum nicht?", fragte er trotzig, "Es ist doch meine natürliche Entwicklung und ich bin stark und werde schon bald ein hohes Level erreichen!" "Stärke alleine genügt nicht", erwiderte Yamato ruhig, "Glutaro ist kein Wasserpokemon, Texomon. Es ist, wie ich sagte, auch ein Geschöpf des Feuers und solange du nicht zu dieser Seite deinerselbst stehst, dich vor ihr fürchtest und dich ins Wasser flüchtest, wirst du niemals ein vollständiger Drache sein und nie zu dem finden, der du wirklich bist." Er hatte ganz ruhig gesprochen und ohne jeglichen Vorwurf, doch auch ein Doppelkick in den Bauch hätte Texomon kaum mehr treffen können. Erschrocken stieß er ein Fauchen aus, ballte die Klauenfäuste - und ließ sich dann kraftlos vor Yamatos Füßen auf den Boden fallen. Wie ein verletztes Tier kauerte er sich zusammen und schlug den Schwanz um sich, als könne er ihm Schutz bieten. Eine Weile starrte er trübsinnig und verletzt auf das silberne Drehkreuz des Karussell-Stuhls, dann fragte er gedämpft: "Das heißt, ich kann erst dann Frieden finden, wenn ich das Feuer ebenso kontrollieren kann, wie das Wasser und ebensogut fliegen kann wie laufen? Aber ich komme mit dem Feuer nicht zurecht! Ich bin zu schwach, Yamato! Es ... es macht mich streitlustig, aggressiv und unruhig und ich hasse es selbst, wenn ich so wild bin und anderen wehtue, vor allem Nerina. Sie wollte, dass ich mit dem Feuer Spaß habe. Sie hat die ganze Zeit versucht, mich davon zu begeistern. Hätte ich nur auf sie gehört... Aber stattdessen musste ich ihr ja unrecht tun, glauben, dass sie viel lieber ein Glutexo gehabt hätte. Es tut mir so schrecklich leid, Yamato, aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Sicher kann sie mich jetzt tatsächlich nicht mehr leiden, weil ich so streitlustig und patzig war..." Tröstend streckte Yamato erneut die Hand aus, um sie ihm auf den Kopf zu legen, wie er das früher immer getan hatte. "Das Feuer macht dich aggressiv, weil du es fürchtest", sagte er ruhig, "Jedes Pokemon kann auf Furcht mit Kampf oder Flucht reagieren und da du nicht fliehen konntest, hast du gekämpft. Du musst versuchen, deine Angst zu überwinden, das Feuer als Teil deinerselbst zu akzeptieren und Nerina wird dir dabei helfen. Es ist kein Geheimnis, dass sie ein Glumanda wollte. Seit sie sprechen kann, liegt sie mir damit in den Ohren und als Feuerpokemon verboten wurden, ging für sie, wie übrigens auch für Neru, eine Welt unter. Ich schätze, als sie deine Glut sah, da dachte sie, ihr großer Traum sei doch noch wahrgeworden. Vergib ihr, dass sie dich damit überfordert hat, Texomon. Sie mag ein Mensch sein, aber auch sie muss noch viel lernen." "Sie hatte ja recht", murmelte Texomon durch zusammengebissene Zähne, "Aber ich wollte ja nicht hören. Aber Yamato... Irgendwie hab ich sie vermisst, obwohl sie da war... Meinst du, dass alles wieder wie früher wird?" Zu seiner Verwunderung lächelte Yamato rätselhaft. "Es war nie anders, Texomon und wenn ich meine kleine Nerina richtig einschätze, vermisst sie dich genauso und fürchtet sich davor, dass du ihr verloren gehst." "Oh, dann werde ich gleich gehen und ihr sagen, dass sie recht hatte und ich mich dämlich angestellt habe", rief Texomon, begeistert ob einer solch einfachen Lösung und sprang auf, "Und, dass ich mir mit dem Feuer mehr Mühe geben will und ich sie sehr, sehr vermissen würde, wenn ... Nein, das sag ich lieber nicht, sonst wird es peinlich. Aber dass ich Evoli gar nicht getötet habe, bloß gequetscht und dass das sein musste, damit sie nicht aufsässig wird und ... nein, das lieber auch nicht, sonst streiten wir wieder. Ach, ich sag einfach, dass alles wieder gut ist."

Doch als Texomon zum ersten Mal seit Tagen wieder fröhlich durch den Garten tollte - und dabei die Gelegenheit zu ein paar Bocksprüngen über die Gartenmöbel nicht auslassen konnte - es kostete zu viel Willenskraft, sich allein schon vom Teich fernzuhalten - da dämmerte es bereits und im Wohnzimmer brannte ein leises, wärmendes Kaminfeuer. Silena saß davor auf einem Sessel. Sie lächelte, als sie ihn sah. "Hallo Texomon", sagte sie freundlich, "Wie schön, dass ich dich auch einmal kennenlerne, nachdem Nerina so viel von dir schreibt." "Oh, mich freut es auch", erwiderte Texomon etwas unbeholfen, "Aber wo ist sie denn? Ich muss mich nämlich ganz dringend noch entschuldigen..." "Sie schläft schon", sagte Silena leise, "Aber wir haben dir was vom Abendessen aufgehoben. Seezunge mit Süßkartoffeln. Nerina meinte, du liebst Fisch?" "Oh, das stimmt!", entgegnete Texomon begeistert davon, dass seine Trainerin trotz des bösen Streites an ihn gedacht hatte und verputzte die komplette Portion mit einem Mal mit großem Appetit - sogar von einem echten Menschenteller, den er ganz vorsichtig anfasste, um ihn nicht zu zerbrechen. 'Du bist lieb, Nerina', dachte er, während sein Blick anschließend in die prasselnde Glut des Kaminfeuers schweifte und in seiner Brust wurde es ganz warm, 'Vielleicht ist Feuer ja auch das. Richtige Wärme, Leben, Energie...' Und während er das Spiel der Flammen beobachtete, wie sie über die Holzscheite flackerten, verspürte er beinahe dieselbe Ruhe, wie beim Anblick der Wellen des Meeres. 'Yamato hatte recht, Nerina und du auch', dachte er, 'Ich bin auch ein Wesen des Feuers...' Und als er schließlich in Nerinas Zimmer schlüpfte, da weckte er sie nicht mehr auf. Stattdessen kletterte er so vorsichtig er konnte auf ihr Bett und rollte sich an ihren Füßen zusammen. "Schlaf gut, Nerina", murmelte er, dann fielen ihm selbst die Augen zu.

Kapitel 5

>>>Neru<<<
 

"Wo bin ich?", fragte eine zitternde Stimme. Nerus Lebensgeister erwachten mit einem Schlag. Die ganze Nacht hatte Neru neben Evolis Bett gesessen und über sie gewacht. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, viel Zeit, um das Geschehene zu überdenken und sich die Frage zu stellen, wie es zu dieser Entwicklung hatte kommen können. Zweifellos hatte er einen großen Teil der Schuld auf sich zu nehmen, war er es nicht gewesen, der Nerina den Vorwurf, sein Evoli könne sich nicht entwickeln, weil Seedraking zu stark sei, an den Kopf geworfen hatte? War er damit nicht die Ursache dafür gewesen, dass sie den Plan entworfen hatten? Andererseits hatte er nur zu Evolis Bestem handeln wollen, hatte ihr Selbstvertrauen geben wollen und er wollte ihr die Angst vor dem Wasser nehmen. Doch so, wie die Dinge jetzt standen, war sein Plan nach hinten losgegangen. Er hatte keine Ahnung, wie er Evoli jeh wieder ins Wasser bringen sollte, ob er das nun wollte oder nicht. Die ganze Nacht hatte er, obwohl er nach dem Rennen schon todmüde gewesen war, damit verbracht, sich auszumalen, was Evoli wohl sagen könnte, wie sie auf die Situation reagieren könnte. Ein Vorwurf ihm gegenüber wäre nur fair gewesen. Doch Evoli hatte keine Anstalten gemacht, ihm auch nur ein Wort gegenüber auszusprechen. Sie hatte einfach geschlafen. Geschlafen und sich von der üblen Attacke von Texomon erholt. Neru war immernoch geschockt, was für Attacken die beiden aufeinander abschießen konnten. Natürlich hatte er gewusst, dass Seedraking eine starke Form war, doch hatte er mit einer solchen Power nicht gerechnet. Evoli war den Urgewalten, die Texomon entfesselt hatte, wie ein Schilfbötchen in der Brandung ausgeliefert gewesen. Warum hatte sie sich überhaupt auf einen solchen Kampf eingelassen? Fragen über Fragen - und leider keiner da, der antworten konnte. So ging es Neru die ganze Nacht, während er den Puls von Evoli, über eine Maschine hörbar gemacht, gleichmäßig piepsen hörte. Nach dem Angriff hatte Neru im ersten Augenblick geglaubt, Evoli sei tot, einen solchen Angriff konnte ein Körper dieser Größe doch unmöglich überstehen. Doch Evoli hatte nur eine Prellung an der Brust und ihr Bewusstsein eingebüßt dafür, dass sie sich mit einem solchen Seeungeheuer angelegt hatte, zu dem der kleine und liebe Texomon werden konnte. "Bin ich im Himmel?", fragte Evolis piepsige Stimme und Neru erwachte aus seinen Gedanken. "Nein, aber viel hat nicht mehr gefehlt", erwiderte er kühl, Evolis Verletzungen dabei weit übertreibend, "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?" Evoli wandte ihm den Kopf zu und ihre blauen Augen fokussierten sich langsam auf Nerus Gesicht. "Ich bin nicht schwach. Das wollte ich...", lautete ihre zitternde Antwort, dann war sie auch schon mitten im Satz wieder eingeschlafen. Neru fragte sie nicht weiter aus, als sie zum zweiten Mal erwachte. Er wollte mit einem klärenden Gespräch warten, bis sie wieder komplett gesund und bei Verstand war und nicht unter dem Einfluss von diversen Schlaf- und Schmerzmitteln. Ohne es zu wollen nickte er neben Evolis Bett ein und als er am Morgen erwachte, lag er auf demselben Bett wie sie, während sie sich eng an ihn gekuschelt hatte. Verwirrt sah Neru sich um und blickte in das Gesicht eines Arztes. "Wir haben dich zu ihr gelegt, nachdem du eingeschlafen bist. Evoli ist wieder voll auf dem Damm und ihr könnt gehen, wann immer ihr wollt", erklärte er mit einem entschuldigenden Lächeln, dann wandte er sich zum Gehen. Neru sah wieder auf seine Begleiterin, auf sein Iramon hinunter, doch diesmal erwiderten die blauen Augen seinen Blick und der übliche intelligente, leicht schelmische Blick sah ihn an. "Ich habe verloren", stellte Evoli fest. "Ja, du hast verloren", seufzte Neru. Er war mit den Nerven am Ende. Nicht nur, dass er und Nerina es nicht fertig gebracht hatten, ihre beiden Iramon zurückzuhalten und sie davon abbringen konnten, diesen sinnlosen Kampf zu kämpfen. Vater hatte auch noch alles mit angesehen und war sicherlich schrecklich enttäuscht. "Warum hat das sein müssen?", fragte er hilflos und wider Willen standen ihm Tränen in den Augen, "Warum hast du diesen sinnlosen Kampf ausgefochten?" "Moment!", fuhr Evoli auf und ihr Fell sträubte sich vor Ärger, "Warum sollte das bitteschön sinnlos gewesen sein?" Neru kratzte sich am Kopf. "Naja", erwiderte er schulterzuckend. "Der Kampf war überhaupt nicht sinnlos! Hast du nicht gesehen, wie lange ich gegen ihn durchgehalten habe? Wie ich seinen Attacken ausweichen konnte?" "Wie er dich ins Pokemoncenter gebracht hat!", erwiderte Neru nicht minder aufgebracht, "Der Typ hätte dich fast erledigt!" "Red keinen Quatsch", fuhr ihm Evoli über den Mund, "Das Töten eines Iramon oder Pokemon ist eine sehr schwere Sache. Man stirbt von solchen Lappalien nicht." Neru öffnete den Mund, um etwas zu sagen - und schloss ihn wieder. Er öffnete ihn nochmal und wusste doch immernoch nicht, was er sagen sollte. "Ich wollte beweisen, dass ich auch stark bin!", erklärte Evoli mit hocherhobenem Kopf, "Und ich war nicht feige!" "Ja, aber dumm!" Neru konnte sich nicht mehr beherrschen und sprang auf. Er war zornig, zornig darüber, dass Evoli so wenig Verstand besaß. Evoli blieb ruhig sitzen und sah ihn mit ebenso ruhigen aber aufmerksamen Augen an. "Man muss einsehen, wenn man verloren hat", wechselte er das Thema, "Und es war schon von Anfang an klar, wer den Kampf verlieren würde, das weißt du! Es tut mir Leid, das klingt vielleicht jetzt hart. Ich glaube an dich. Aber wir wissen beide, dass Texomon viel stärker ist und, dass auch seine Wasserform ein wahres Ungeheuer sein kann. Warum musstest du dich mit ihm anlegen?" Evolis Ohren verloren an Spannkraft und fielen dann ganz langsam in sich zusammen. "Texomon hat mich herausgefordert!", erwiderte sie fest, "Da kann ich nicht anders, als darauf zu reagieren. Und ich hab bewiesen, dass ich kein Feigling bin." "Ja, das hast du", musste Neru zugeben, "Aber warum hat Texomon dich denn herausgefordert?" Evoli begann, leicht vor und zurück zu schaukeln. "Naja", erwiderte sie stockend. "Vielleicht hatte er ja recht", schoss Neru weiter, "Vielleicht ist dir deine stärkere Form wirklich zu Kopf gestiegen." Evolis Ohren hingen endgültig herunter. "Ich hab ihn provoziert", gab sie zu. "Und er hat dir dafür eine Lektion erteilt", erwiderte Neru fest. Sein Ärger war verraucht. "Ich weiß, dass ich verloren hab", erwiderte sie zickig, "Aber auch ich werde noch stärker und dann kann er was erleben." Beleidigt zog sie ihren Schwanz um sich herum und versteckte ihren Kopf unter dem plüschigen Fell. Nach einer Weile nahm Neru sie in den Arm und ging mit ihr hinaus. Evoli ließ ihn gewähren ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, ja sie schmiegte sich sogar an ihn. Doch hob sie ihren Schwanz keinen Millimeter und sah ihn somit auch nicht an.

Als Neru das Pokemoncenter verließ, stand draußen schon sein Vater, der auf ihn zu warten schien. Neru atmete tief durch. Mit einem Schlag wurde er sich bewusst, was für eine jämmerliche Figur er vor seinem Vater abgeben musste. Yamato und Eich hatten Nerina und ihn losgeschickt, um mit ihren entwickelten Iramon Gringo zu besiegen und nun kehrten sie nach Hause zurück und Evoli beherrschte gerade eine ihrer vielen Evolutionen und selbst mit der schien sie nicht zu wissen, wie sie umzugehen hatte. Neru hatte als Trainer auf ganzer Linie versagt, das wurde ihm nun mit einem Schlag klar. Er hatte viel über den Ton seines Vaters von gestern nachgedacht. Es war erst Yamatos Stimme gewesen, die ihn wieder aus dem Trauma gerettet hatte und er hatte in einer solchen Schärfe gesprochen, dass Neru nicht wusste, wie er ihm nun unter die Augen treten sollte. Evoli hob den Schwanz einen winzigen Spalt weit und ließ ihn dann erschrocken fallen. "Yamato!", zischte sie und mit einem Satz war sie von Nerus Armen gesprungen und mit einem ziemlich bedrückten Neru im Schlepptau ging sie ehrfürchtig zu Nerus Vater hinüber. Yamato grüßte Evoli fröhlich und Neru wunderte sich noch für eine Sekunde, woher sie ihren Vater wohl kannte. "Evoli!" Yamato sah sie für ein paar Sekunden mit Bedacht an. "Gut siehst du aus", sagte er dann und Evoli reckte sich stolz zu voller Größe. "Hallo Vater", sagte Neru ziemlich kleinlaut. "Hallo Neru", begrüßte sein Vater ihn mit freundlicher Stimme. "Gutes Rennen", sagte er dann anerkennend und Neru hob den immernoch beschämt gesenkten Blick. "Du hast deine Sache wirklich gut gemacht. Ich hab das ganze Rennen im Fernsehen gesehen." Neru starrte ihn an und sagte nichts, während Evoli noch ein paar Zentimeter zu wachsen schien. Ein lockeres Gespräch über das Rennen entspann sich zwischen den dreien, während sich in Richtung nach Hause liefen. Neru wunderte sich. War sein Vater gestern nicht noch so sauer auf ihn gewesen? Hätte er nicht furchtbar enttäuscht von ihm und Evoli sein sollen? Doch nun plauderte er über das Rennen, als wäre es eine wirklich tolle Sache und, als ob er wirklich stolz darauf wäre, dass er mit Evoli gewonnen hatte. "Ich will noch viel stärker werden", erklärte Evoli stolz, doch die von ihr offenbar gewünschte Antwort blieb aus. Stattdessen zog Yamato seine Stirn in Falten. "Inwiefern?", fragte er zurück. Seine Stimme war immernoch ruhig, dennoch konnte man sich den Eindruck nicht verkneifen, dass noch mehr dahinter steckte. "Ich hab viel trainiert und irgendwann bin ich stärker als Texomon", erklärte Evoli mit stolz geschwellter Brust weiter. "Und was hast du dann davon?", fragte Yamato weiter und brachte Neru, der etwas hatte einwerfen wollen, mit einem Blick zum Schweigen. "Dann kann mich niemand mehr rumschubsen. Du weißt, wie das früher gewesen ist", fuhr Evoli ein wenig gekränkt fort. Yamato nickte. "aber ich erinnere mich auch, was ich dir damals schon einmal gesagt habe." Evoli legte den Kopf schief. "Dass ich stärker werden würde?", fragte sie. "Ich sagte damals, dass du auf deine Weise stärker werden würdest wie die anderen. Aber Kraft ist nicht die Stärke die ich gemeint habe." Sie gingen eine Weile schweigend weiter. Die Worte seines Vaters gaben nicht nur Evoli, die sich ein wenig zurückfallen ließ, zu denken. Sondern auch Neru, der jetzt neben ihr lief. 'Was für eine Stärke könnte er denn meinen?', fragte sie Neru in Gedanken, ihren vorherigen Streit vergessend. "Man kann auch mit dem Kopf stark sein", flüsterte Neru ihr zu. "Oder schnell", erwiderte Evoli und sie warfen sich einen schnellen Blick zu, in dem viel mehr Wärme lag als die ganze Zeit. "Das sind genau die Sachen, die ich hören wollte", erwiderte Yamato feierlich, "Ich bedaure, dir das sagen zu müssen", erklärte Yamato mit ernstem Ton, "Du wirst nie so stark werden können wie Texomon, es sei denn, du legst ihn schlafen und verhinderst, dass auch er stärker wird. Eine solche Entwicklung liegt überhaupt nicht in euren Genen." "Aber jedes Pokemon kann stark werden", protestierte Neru. "Ja, kann es, aber glaubst du wirklich, dass ein Rattfratz so stark werden kann wie ein Despotar?" "Naja..." Neru zuckte die Achseln. "Also. Evoli hat andere Stärken, so, wie auch ein Rattfratz Stärken hat. Rattfratz kann seine Talente so weit ausbauen, dass er ein Despotar besiegen kann, doch wird das niemals an seiner tatsächlichen Muskelkraft liegen." "Sondern an Taktik", erwiderte Neru hoffnungsvoll. "Oder Agilität!", erklärte Evoli. "Eben an der Nutzung von seinen Talenten. Und jetzt will ich nichts mehr von dem Unfug hören, von wegen so stark werden zu wollen wie Texomon. Sieh ein, wo dein Platz ist." Damit schloss Yamato das Gespräch und schweigend und grübelnd gingen sie nach Hause.

"Weißt du was, Evoli?", sagte Neru am nächsten Morgen, "Ich glaube, mein Vater ist wirklich stolz darauf, dass wir dieses Rennen gewonnen haben." Evoli legte wieder mal auf ihre ganz spezielle Weise den Kopf schief, während sie das nagelneue Geschirr umrundete und es von allen Seiten in Augenschein nahm. "Auf jeden Fall ist es von besserer Qualität als das, was wir geliehen haben", stellte sie fest, "Das ist sehr freundlich von Yamato." Neru zuckte die Achseln. "Ja, das ist es", erwiderte er und streckte sich im Sand aus. Sie lagen draußen in der kleinen Bucht vor ihrem Haus. Hohe Felsen schlossen die kleine Bucht von den Seiten ein, doch darin befand sich ein wunderschöner, weißer Sandstrand mit Kokospalmen, zwischen denen Neru schon häufig Hängematten aufgespannt hatte. Doch noch vor gar nicht langer Zeit war dieser Ort Schauplatz eines schrecklichen Kampfes gewesen. Als Neru die Augen schloss, sah er wieder die beiden kämpfenden Meerespokemon vor sich. Kaum zu glauben, dass diese beiden Freunde gewesen sein sollten. "Wollen wir ein paar Schritte gehen?", fragte Neru und versuchte angestrengt, an dem Surfbrett vorbeizusehen, das ihm Vater geschenkt hatte. Auf der Unterseite gab es, wie Neru gleich gesehen hatte, mehrere Schrauben, an denen man, laut Nerus Vater, Rollen befestigen und das Surfbrett so in ein Skateboard verwandeln konnte. Doch das letzte Mal, das Neru auf einem solchen Brett gestanden hatte, war noch keine 24 Stunden her und die Schmerzen, die er im ganzen Körper verspürt hatte, als das Rennen endlich vorbei gewesen war, hatten, wenn auch nicht direkt Spuren, so zumindest das Gefühl hinterlassen, so bald nicht mehr auf ein Surfbrett steigen zu wollen. Evoli schloss ihre Untersuchung der Surfausrüstung ab und ging mit ihm hinunter zum Wasser. Stumm schaute Neru auf das Meer hinaus. Die Wellen waren seicht und der Wind nicht besonders stark. Die Sonne schien fröhlich von einem blauen Himmel herunter, alles in allem also ein wunderschöner Tag. "Warum hast du den Kampf eigentlich wirklich ausgefochten?", fragte Neru mit einem Seufzen, während er den Blick nicht von der Weite des Meeres abwenden konnte. Auch Evoli seufzte, sie hatten diese Debatte schon ein paar Mal begonnen, doch diesmal hatte sich Neru in den Kopf gesetzt, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Auch Evoli hatte dieselben Antworten inzwischen satt, so fragte sie: "Was ist denn eigentlich so schlimm daran? Wir kämpfen doch dauernd in irgendwelchen Arenen gegen irgendwelche Pokemon." "Ja, aber ihr seid Freunde! Wie kann man sich unter Freunden so etwas antun?" Evoli legte den Kopf schief. "Es muss sein", erklärte sie in versöhnlichem Tonfall. "Ich glaube, du hast da ein falsches Bild von uns Pokemon", stellte sie fest, "Es ist nichts schlimmes, zu kämpfen. Wie, wenn nicht so, sollten wir unsere Rudelstruktur festlegen?" Neru starrte sie an. "Rudelstruktur?" Das klang eher nach Wölfen oder ähnlichem als nach, ja, als nach was eigentlich? "Wir sind Pokemon", stellte Evoli fest, "In unserem Fall Iramon, doch das ändert nichts daran, dass wir uns ganz normal verhalten und auch ganz normal unsere Rangstreitigkeiten ausfechten. Ich geb ja zu, ich hätte ihn nicht anstacheln und damit herausfordern sollen, aber der Kampf an sich war eine vollkommen logische und normale Sache, auch wenn ich wünschte, er hätte mir nicht ganz so arg die Leviten gelesen." Damit ließ sie ihren Kopf zu ihrem Schwanz herumschwenken, an dem seit der fürchterlichen Aquaknarre ein paar Haare fehlten. "Aber..." Neru stand der Mund offen. So hatte er über die Sache noch gar nicht nachgedacht. Was hatte sein Vater gesagt? 'Du hast noch überhaupt nichts verstanden?' - Und vielleicht hatte er damit Recht, nur Recht in anderer Hinsicht. Wieder ließ Neru den Blick über das Meer schweifen. Schon irgendwie merkwürdig, dachte er bei sich, Immer dann, wenn ich etwas falsch mache, sitze ich am Meer und grüble darüber nach. Das war damals in der Wasserarena auch nicht anders.

Evoli spürte, dass er ihre Worte verstanden hatte. "Was sind das eigentlich für komische Steine", fragte sie und beschnüffelte ein besonders merkwürdig geformtes Exemplar, das vor ihnen im Sand lag. Neru beugte sich zu ihr hinunter und hob es auf. "Das ist eine Koralle", erklärte er, "Sag bloß, du hast bei deinen Reisen als Aquana keine gesehen? Wir sind doch über eine ganze Korallenbank hinweggerast, als wir das Rennen gefahren sind." Bei der Erwähnung des Rennens glühten Evolis Augen auf. Die Tatsache, dass sie das Rennen gewonnen hatte, machte ihr immernoch großen Spaß und seitdem ließ sie praktisch keine Gelegenheit aus, danach zu fragen, wann sie denn wieder hinausfahren würden. "Ich hab die Steine gesehen", erklärte sie, "Aber die waren viel zu schnell vorbei, alsdass ich sie hätte näher sehen können." Neru bedachte sie mit einem Seitenblick. "Du bist gefahren wie eine gesengte Sau", kommentierte er trocken und fing sich dafür eine Ladung Sand ein, die er mit gleicher Münze konterte. Schon bald tobten die beiden ausgelassen über den Strand, bewarfen sich mit Sand oder spritzen sich gegenseitig mit dem salzigen Meerwasser nass. Irgendwie war es gut, dass er heute einmal Zeit mit seinem Iramon alleine hatte, dachte Neru irgendwann zwischen einer Ladung Sand und einer gut gezielten Spritzattacke. Nerina war heute morgen schon früh mir ihrem, von Vater gegebenen Geschenk - Neru wusste nicht, was sie da für ein Bündel mit sich davon getragen hatte - in die Berge gegangen, angeblich um den Weg zur Höhle zu finden. Neru hatte es vorgezogen, sich nach der langen Nacht erst einmal richtig auszuruhen und dann Evoli nach dem Kampf vom gestrigen Tag eine kleine Erholung zu gönnen. "Du hast also noch nie Korallen gesehen?", fragte Neru wieder und Evoli nickte bestätigend. "Wenn du magst, können wir hinausfahren und sie uns ansehen", erklärte er begeistert, "Natürlich nur, wenn du nicht wieder wie eine gesengte..." Bei diesen Worten stockte er, denn Evolis Schwanz zuckte schon wieder unheilverkündend. "Ich werde ganz vorsichtig sein, Zuckerpüppchen", erwiderte sie mit einem leisen Keckern und dann fing auch schon ihr Fell an, blau zu leuchten. Keine Sekunde später stand Aquana mit ihrem langen Schwanz und ihrer ebenmäßigen blauen Haut vor ihm und reckte ihre Glieder zufrieden in der Sonne. "Ich mag zwar nicht so stark sein wie Texomon", erklärte sie, "Aber Spaß macht es doch, nicht mehr so klein zu sein." Neru konnte sie nur zu gut verstehen. Laut dem, was er erfahren hatte, wurde sie in Evolis Gestalt von den anderen nur herumgescheucht und herumgeschubst. "Solange sie dir nicht zu Kopf steigt", erklärte er. Doch Aquana schüttelte das Argument schon mit einer Bewegung ihrer Schwanzflosse ab. "Glaubst du, ich will noch mal zerquetscht werden?", fragte sie bissig und Neru schluckte hastig seine Argumente hinunter. Evoli schien ihre Sache daraus gelernt zu haben, auch wenn sie versuchte, wo sie nur konnte, darüber hinweg zu täuschen.

Nachdem Neru seine Kleider gegen Badesachen eingetauscht und Aquana ihr Geschirr angelegt hatte, fuhren sie zusammen hinaus. Das Brett, das ihm sein Vater geschenkt hatte, war in der Tat viel besser als das, das er zuvor benutzt hatte. Wie Butter glitt er nun durch die Wellen hindurch, konnte problemlos das Gleichgewicht halten und er begann, richtigen Spaß am Fahren zu entwickeln, was vielleicht nicht nur an der tollen Ausrüstung, sondern vielmehr an der Tatsache lag, dass Aquana sich diesmal wirklich, wie sie versprochen hatte, mit dem Tempo zurückhielt. Es dauerte nicht lange, da war die schöne Fahrt schon wieder zu Ende und das erste Mal mit einem leichten Bedauern ließ sich Neru in das kühle Wasser gleiten und setzte seine Taucherbrille auf. "Wozu ist das denn gut?", fragte Aquana verdutzt, als sie die übergroße Brille musterte, während Neru ihre Bauchriemen löste, so dass sie aus dem Geschirr herausschwimmen konnte. "Das ist eine Brille, mit der ich auch unter Wasser sehen kann." "Du klingst komisch", gluckste Aquana und Neru kitzelte in gespieltem Ärger ihren Bauch. Lachend schoss sie davon und Neru wurde zum ersten Mal bewusst, wie viel schneller ein Pokemon gegenüber einem Menschen im Wasser war, während er verzweifelt versuchte, sie einzuholen. Während er hinter ihr her schwamm, warf er noch schnell die Seile des Brettes über einen Felsen, um ihr dann zu folgen. Schon kurze Zeit später schwammen sie Seite an Seite und genossen den Ausblick auf die vielen unterschiedlichen Formen und Farben der Korallen. Kleine Fische schwammen zwischen den einzelnen Korallen, die mal wie ein Teppich aus Tentakeln, dann wieder wie große Kissen aussahen. Sie waren viel härter und stabiler als sie aussahen. Zwischen ihnen konnte man in tiefe Spalten blicken, in denen sich blaue Seesterne verbargen und die Reste von abgestorbenen Ästen herumlagen. Große Seegurken lagen an den Rändern des Riffes auf dem sandigen Boden herum und wirkten wie unförmige Baumstämme, die irgendjemand hier vergessen hatte. "Es ist wunderschön", erklang es in Nerus Kopf und Neru nickte. Nach einer Weile hielt er sich an Aquana fest und gemeinsam trieben sie wie Flugzeuge über die fremden Welt hinweg, in der man auf diese Weise Büsche und Bäume, große Täler und tiefe Schluchten erkennen konnten. Natürlich war er mit Nerina schon häufiger hier gewesen und war mit ihr über den Korallen geschnorchelt. Das blieb nicht aus, wenn man direkt am Strand wohnte, doch fühlte Neru eine große Freude dabei, seinem kleinen Iramon - Obwohl Aquana gar nicht mehr klein war - diese Schönheit der Natur zu zeigen. "Was ist denn das?", hörte Neru wieder eine Frage in seinem Kopf. Er sah in die Richtung, in die Aquanas Schwanflosse deutete und tauchte auf. "Das ist ein altes Schiffswrack", erklärte er geheimnisvoll, "Es sank vor über 30 Jahren hier vor der Küste." "Und seitdem liegt es dort unten?", fragte Aquana fasziniert. "Ja, seitdem liegt es hier. Wer weiß, aus welchem Grund es damals sank", fuhr Neru fort, "Vielleicht hatte es ja schätze geladen." "Schätze?" Aquana wurde ganz aufgeregt und begann, mit ihrer Schwanzflosse zu wedeln. "Vielleicht liegen ja immernoch Schätze darin?", fragte sie aufgeregt, "Komm Neru, lass uns runtertauchen." "Langsam, langsam!" Die Sache lief eindeutig in eine Richtung, die Neru gar nicht so gut fand. Er war auch schon mit Nerina über dem Schiff geschwommen und sie hatten sich Geschichten darüber ausgedacht, was wohl in seinem Inneren verborgen sein könnte, doch hatten sie nie den Mut besessen, wirklich einmal hinunter oder sogar hinein zu tauchen. "Ich war noch nie dort unten", erklärte er zurückhaltend. "Dann wird es Zeit", entgegnete Aquana. "Ich kann unter Wasser nicht atmen", erklärte Neru, "Länger als zwei Minuten kann ich nicht tauchen." "Dann müssen wir nur immer nach zwei Minuten wieder hier oben sein", erwiderte Aquana, "Ich bring dich in nur zehn Sekunden ins Innere." "Das müssen wir erstmal langsam ausprobieren", erwiderte Neru. Doch es klang verlockend. Vielleicht fanden sie in dem alten Schiffswrack wirklich noch etwas besonderes. "Am besten hälst du dich auf meinem Rücken fest", erklärte sie. Gesagt, getan - und schon starteten sie zu ihrem ersten Tauchgang. Zunächst schwammen sie nur einmal um das Schiffswrack herum und Neru war überrascht, wie schnell sie nach unten und wieder nach oben kamen. Er fühlte sich wie auf dem Rücken eines Vogels, der durch die Lüfte schoss, nur befanden sie sich etwa sechs Meter unter der Wasseroberfläche. Neru vergaß vor lauter Staunen völlig, dass er auch noch atmen musste und stellte erst fest, dass etwas nicht stimmte, als er schon fast Wasser einatmete. Rasch kniff er der ebenso beeindruckt aussehenden Aquana in die Flanke und sie schossen wie der Korken aus einer Sektflasche nach oben. Neru holte röchelnd Luft. "Das war klasse", erklärte er immernoch nach Atem ringend, "So nah bin ich dem Wrack noch nie gewesen." "Hast du den Riss im Rumpf gesehen?" "Ja", erwiderte Neru aufgeregt, "Da können wir rein schwimmen. Meinst du, du bringst mich genauso schnell wieder daraus, wie gerade eben hier hoch?" "Ich werd mein bestes tun, auch wenn du mir ein bisschen Vorwarnung geben solltest." Neru nickte. "Es ist riskant", erklärte er, "Normalerweise soll man so etwas nur mit kompletter Taucherausrüstung oder ähnlichem machen." "Aber ich bin doch sowas wie deine Taucherausrüstung", erklärte sie stolz, "Keine Sorge, ich passe auf dich auf." "Na gut..." Neru biss die Zähne zusammen und versuchte, das Kribbeln in seiner Magengegend zu ignorieren. Was würden sie wohl im Inneren des Schiffes finden? Doch es hatte keinen Zweck, lange darüber nachzudenken. Neru hielt sich wieder an Aquanas kräftigen Schultern fest und nach wenigen Sekunden sollte er die Antwort auf seine Fragen bekommen.

Das Innere des Schiffes war sehr interessant. In der Nähe des Risses in der Außenwand hatten sich Korallen breitgemacht und waren in das Schiffsinnere vorgedrungen, doch im Inneren war alles immernoch so, wie es zu der Zeit gewesen hatte sein müssen, als das alte Schiff sank. Es handelte sich dabei um eine Ketsch, deren zwei Hauptmasten schon vor langer Zeit gebrochen waren. Fische lebten jetzt in ihre Inneren und Neru konnte Plankton erkennen. "Schon beeindruckend, oder?", fragte Aquana, die auch unter Wasser reden konnte und Neru nickte, dann deutete er einen der Gänge hinunter und sie schwammen zu einer der Türen, die sie Mühsam öffneten. Auch hier im Inneren hatte sich nicht viel verändert. Klar hatten das Salz und die Fische ihren Teil dazu beigetragen, doch konnte man trotzdem noch erkennen, dass es sich um einen Lagerraum gehandelt haben musste. Große, halb vermoderte Kisten standen herum, hier und da mit Korallen und Seegras bewachsen. Sie brauchten einige Tauchgänge, um das Innere des Schiffes zu erkunden, doch im Laderaum fanden sie nichts mehr, das es sich gelohnt hätte, mitzunehmen. Wahrscheinlich waren Plünderer hier, schon kurz, nachdem das Schiff sank und hatten alles von Wert mitgenommen, doch Aquana ließ sich nicht entmutigen. "Vielleicht haben sie nicht überall nachgesehen", erwiderte sie und sie tauchten wieder hinab. In einer Kammer, die wie Neru vermutete einst vom Kapitän des Schiffes bewohnt worden war, denn sie war mit Abstand die prächtigste, fanden sie unter dem ehemaligen Bett eine kleine, rostige Truhe. Neru konnte sie kaum bewegen und sie brauchten drei weitere Tauchgänge, weil Neru bei Anstrengung einfach viel zu schnell die Luft ausging. Doch unter Zuhilfenahme des Geschirrs gelang es ihnen, die Truhe zu bergen und unter Aquanas Bauch festzubinden. "Es ist schon Wahnsinn, wie unangetastet das Schiff aussieht", stellte Neru fest. Die letzte Stunde waren sie immer nur kurz zum Luftholen an die Oberfläche gekommen und Neru hatte nicht oft die Möglichkeit gehabt, zu sprechen, so schnell wollten sie wieder hinunter in das Innere des Schiffes. "Ich meine, manche Räume sehen aus, als könnten sie noch immer bewohnt sein und der betreffende Besitzer könnte jeden Moment wieder hereinkommen." Aquana nickte zustimmend. "Aber manche Sachen sehen auch schon ziemlich verfault aus", erwiderte sie. "Ja, aber nicht so sehr, wie ich es nach 30 Jahren erwarten würde", erwiderte Neru, "Ich hab mich tierisch vor dem Krabby erschreckt, weißt du noch?" "Da sind ganz viele Blubberblasen aus dir rausgekommen und wir mussten schnell auftauchen, gell?", keckernd warf sie sich auf die Seite, sodass Neru die Truhe an ihrem Bauch befestigen konnte. "Wir sollten unseren Schatz so schnell wir können ans Ufer bringen", meinte er, "Sonst geht er am Ende noch verloren." Aquana nickte und kurz darauf waren sie auch wieder auf dem Weg zurück zum Strand.

Während sie fuhren, erklärte Aquana ihm, wie sie gedachte, die Truhe, die ihr offenbar gut zu gefallen schien, zu putzen und zu polieren. "Da können wir dann unsere Orden reintun", meinte sie stolz. Neru verkniff sich die Antwort, dass man Orden ja eigentlich tragen sollte, und freute sich stattdessen mit ihr über diesen schönen Fund. Es dämmerte bereits, als sie ziemlich müde den Strand erreichten und Neru die kleine Kiste - Sie war kaum so lang wie sein Unterarm - von Aquanas Bauch löste und sie wieder von dem Geschirr befreite. Aquana leuchtete wieder blau auf und es stand wieder Evoli da, die ganz aufgeregt um ihren Fund herumlief. "Ist sie nicht wunderschön?", fragte sie ganz hingebungsvoll, "Morgen müssen wir sie putzen! Das bisschen Rost kriegen wir schon runter, oder?" "Schauen wir mal", erwiderte Neru, "Ich muss mich auf jeden Fall bei Vater für das tolle Brett bedanken. Es geht viel leichter und macht viel mehr spaß", fügte er noch hinzu und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach Hause.
 

>>>Nerina<<<
 

"Unglaublich", stellte Texomon fasziniert fest, "Das ganze Land sieht aus, wie diese furchtbar leckeren Kekse von deiner Mutter, als sie noch im Ofen waren! Oh, das macht hungrig! Könnte ich noch einen davon haben?" "Du bist schon den ganzen Tag am Mampfen", protestierte Nerina und kniff ihm warnend in die Seite, "Pass auf, dass du nicht zu dick wirst, sonst müssen wir dich ja bald Pikachu nennen!" "Ich stocke nur meine Fettschicht auf, damit ich die Eisarena besser schaffe", murrte er grinsend und griff geräuschvoll in die offene Keksdose, die Nerina ihm unter die Nase hielt. Während er kaute, ließ sie den Blick schweifen. Trotz seiner offenkundigen Bemühungen, möglichst alles Spritzteiggebäck alleine aufzuessen, bis Evoli dahinterkam, wie gut es schmeckte, hatte Texomon recht. Die Landschaft am Fuß des zerklüfteten Lavahaufens, auf dem sie nun saßen, sah tatsächlich irgendwie geschmolzen aus. Dutzende von Vulkane hatten es im Laufe der Zeit immer und immer wieder mit roter, glühender Lava überflutet und die Gesteinsschichten so oft neu aufgeschmolzen, dass sie mit der Zeit begonnen hatten, glatt und verlaufen auszusehen. Kein Hälmchen Grün war darauf zu sehen, kein Leben, abgesehen von ein paar Feurigel, die sich faul auf den warmen Steinen sonnten. "Es ist Lavagestein", erklärte sie nachdenklich und kostete nun selbst einen von Mutters berühmten Keksen, "Weißt du, die Erde ist nur hier oben fest und kalt, aber tief unter unseren Füßen ist sie heiß und flüssig und manchmal bricht ein Stückchen ihrer Haut auf und dann kommt heißes, flüssiges Gestein heraus und bildet all diese lustigen Formen, bevor es erkaltet." "Das heißt, wenn ein Vulkan ausbricht, blutet die Erde", sinnierte Texomon, "Und das dort unten ist der Schorf..." "Ja", entgegnete Nerina verblüfft ob dieser Analogie, "Aber es kann jeder Zeit wieder flüssig werden, wenn man es heiß macht." "Echt, Stein kann schmelzen?" Begeistert sprang Texomon auf die Füße und visierte gefährlich einen mittelgroßen Findling. Nerina hielt ihn mit einer raschen Geste zurück. "Schon, aber dazu braucht man sehr, sehr viel Hitze... Ein Glurak könnte das vielleicht schaffen, aber..." Rasch biss sie sich auf die Zunge. Mutter hatte ihr eingeschärft, den Kampf zwischen den beiden Iramon fürs Erste nicht anzusprechen und Texomon war heute morgen plötzlich wieder wie früher gewesen. Ausgelassen hatte er durch ihren Garten getobt, gleich drei Frühstückseier verdrückt und war genauso lebensfroh und ausgeglichen gewesen, wie eh und je. Es hatte Nerina gewundert, ihn so zu sehen, doch natürlich hatte sie sich gefreut und bis jetzt tunlichst vermieden, das Feuer-Thema anzuschneiden. Doch Texomon zuckte nur gut gelaunt mit den Ohren. "Naja, ist vielleicht wirklich ein bisschen groß, der Felsen... Aber guck mal, was ich für einen Feuertrick gelernt habe!" Aufgeregt schlug er den Schwanz über die Schulter und bließ eine winzige, goldene Flamme auf dessen Spitze. "Sieht doch fast aus, wie bei Glutexo, oder?", fragte er aufgeregt und die Flamme erlosch. Nerina wusste nicht, ob sie lachen oder sich schämen sollte. Sie hatte gestern rasch alle Bilder von den Wänden genommen und auch sonst die Spuren ihres Feuerwahns zu verwischen versucht, aber als sie heute morgen aufgewacht war, hatte sie auf unergründliche Weise das unter dem Bett versteckte Plüsch-Vulnona in ihrem Arm wieder gefunden und Texomon hatte sogar darauf bestanden, das abgewetzte Plüschtier hierher mitzunehmen. "Du, Texomon", begann sie langsam, "Also, dass ich dich mit dem Feuer immer so sehr gestriezt habe, das tut mir leid. Ich war nur so unglaublich stolz darauf, dass du Feuerspeien kannst - naja, weil niemand mehr ein Pokemon hat, das das kann und ich wollte dir ein bisschen die Angst davor nehmen. Aber das war falsch und ich hätte dich nicht so sehr drängen sollen. Aber ich will kein Feuerpokemon, Texomon! Kein Glumanda oder Feurigel oder all das. Ich hab schon das beste Pokemon, das man sich wünschen kann. Bitte vergib mir, dass ich das nicht so gesehen habe. Aber ab jetzt musst du kein Feuer mehr machen, wenn du nicht willst. Ich..." "Nerina?" Verblüfft sah Nerina zu ihm auf und stockte. Aus einem kleinen Bröckchen Vulkanasche in seinen Krallen tropfte flüssiges Metall auf eine Steintafel in seiner anderen Hand. Gebannt beobachtete sie, wie Texomon das Bröckchen vorsichtig hin und her bewegte, wie ein Kind, das mit dem tropfenden Wachs einer Kerze malte. Als ihm das Metall ausging, warf er den Brocken weg, nahm einen anderen in die Hand und bließ eine lange, starke aber gleichzeitig sanfte Flamme darauf, bis auch aus diesem Brocken kleine Metalltropfen zu fließen begannen und er langsam seine Arbeit fortsetzte. Dann warf er erneut den Brocken fort und spie eine kleine Aquaknarre auf die Steintafel, die sofort in einer zischenden Dampfsäule zerstob. Texomon lachte, ja, es schüttelte seinen ganzen, schlanken Körper vor Lachen, bis Nerina unwillkürlich mit einfallen musste. "Hups!", prustete er schließlich, "Na, das ging vielleicht ab! Hee, so funktioniert das also! Das ist ja lustig! Oh, das nächste Mal, wenn wir in einer Höhle sind, mach ich uns ein Dampfbad! Ungefähr so, schau!" und begeistert formte er eine weitere, selbst für seine Verhältnisse hohe Wassersäule und pustete eine Stichflamme hinein, sodass die Säule sich unnatürlich in die Länge zog und ihr unteres Ende über den Boden davonlief, während das obere verdampfte und als kleines Wölkchen dem makellos blauen Himmel über Zinobia zustrebte. "Du kannst ja Wolken machen!", kicherte Nerina amüsiert, "Na, wenn wir wieder mal 'nen Regenschauer brauchen..." "Dann steigt heißes Wasser also auf", sinnierte Texomon nachdenklich und Nerina nickte. "Alles, was heiß wird, wird leicht. So funktionieren auch Heißluftballons. Man macht die Luft in ihnen heiß und dann kann man fliegen." "Echt!" Aufgeregt hüpfte Texomon auf der Stelle, "Dann lass uns ganz schnell einen Ballon bauen! Dann können wir uns unten dran hängen und fliegen! Da würden Neru und Evoli aber ganz schön dumm aus der Wäsche gucken!" "Die würden vor Neid platzen!", sprang Nerina auf den Zug mit auf, "Stell dir vor, wir könnten über alle Täler einfach so wegfliegen und könnten schonmal 'ne Runde Kekse essen, bis sie kommen!" "Kekse!", rief Texomon begeistert aus, "Oh, euch hätte ich fast vergessen..." Übermütig griff er erneut in die Box. "Weischt du", fuhr er mit vollem Mund fort, "Auch Keksche macht man mit Feuer! Ich glaub, man kann viel, viel mehr mit Feuer machen, als ich dachte! Gute Sachen! Ach a propos... Schau mal, der ist für dich!" Mit einem stolzen Zwinkern hob er endlich seine bemalte Steintafel in die Höhe. Das Wasser der Aquaknarre hatte das noch halbflüssige Metall verwaschen und rund und glatt geschmirgelt, sodass das Bild darauf tatsächlich äußerst professionell aussah. Vorsichtig nahm Nerina es entgegen und hielt es ins Licht. "Ein Glutexo!", stieß sie überrascht aus, "Den hast du aber super getroffen! Ich wusste ja gar nicht, dass du so gut malen kannst! Aber wieso...?" "Nur, um dir zu sagen, dass ich das Feuer jetzt mag, Nerina", entgegnete Texomon feierlich, "Und, um uns beide daran zu erinnern, dass wir uns nie wieder wegen sowas streiten wollen!" "Oh Texomon", rief Nerina gerührt aus und schlang die Arme um ihn, "Nein, nie, nie wieder wollen wir uns so sehr streiten! Ich hatte solche Angst, du würdest..." "Ich hab mich überfordert gefühlt", nuschelte Texomon in ihr T-Shirt, "Aber das ist kein Grund, so patzig zu werden oder das Feuer komplett abzulehnen. Das war irgendwie feige." "Na, dann komm, du alte Pflaume! Gehen wir die Welt erobern!" Aufmunternd drückte sie ihn noch einmal an sich, dann steckte sie das Glutexo-Bild vorsichtig in die Seitentasche ihres Rucksackes und gemeinsam gingen sie weiter, geradewegs hinab ins Herz der Vulkanebene...

"Dann ist das also dieses besagte Lamm?", fragte Texomon enttäuscht, als sie nach schier endlosem Klettern endlich auf einem kleinen Felsvorsprung am Rande eines halb eingestürzten Kraters standen. Die Vulkanebene war schwer zu durchqueren gewesen und stundenlang waren sie zwischen brusthohen, rauen Felsen herumgeklettert, bis Nerina sich endlich wieder der Richtung entsonnen hatte, in der sie das gezeichnete Lamm vermutete. "Es muss irgendwo sein, wo wir selten waren", hatte sie gegrübelt, "Und an einem Ort, der mir irgendwie interessant erschienen sein muss..." Instinktiv hatte sie den Weg zum Meer eingeschlagen, war über weitere gefühlte zehntausend Felsen gestiegen, während der Wind ihr um die Ohren geheult hatte. Zunächst war Texomon wie ein übermütiges Fukano um sie herumgesprungen, hatte komplizierte, weite Sprünge von Felsspitze auf Felsspitze ausprobiert und dabei immer wieder übermütig Feuer gespieen, sodass er manchmal wie ein äußerst tieffliegender Komet ausgesehen hatte. Ein, zweimal hatte er ein paar Feurigel verjagt, die Nerina zu nahe gekommen waren und einmal sogar ein ganzes Wasserloch in Dampf verwandelt. Aber mit den Stunden war auch er müde geworden und immer braver neben ihr hergetrottet. Nun ließ er sich erschöpft auf den harten Boden sinken. "Sieht ja nicht so eindrucksvoll aus..." "Naja... Irgendwie hatte ich es auch etwas prächtiger in Erinnerung", gestand Nerina seufzend, hockte sich neben ihn und leerte in einem einzigen Schluck ihre Trinkflasche, "Damals war es gerade morgen, denke ich und die Sonne fiel darauf. Aber es ist doch ein Lamm, oder?" "Hmpf", machte Texomon skeptisch. Nun, in der hereinbrechenden Dämmerung, wirkten die Zeichnungen an der gegenüberliegenden Kraterwand verwaschen und unscharf. Um ehrlich zu sein, hätten sie beinahe jedes, vierbeinige Tier darstellen können. "Aber der Rest käme hin", versuchte Texomon rasch, sie zu trösten, "Wenn man da drüben steht, fällt in den Morgenstunden im Sommer Licht darauf und es ist an einer Kraterwand, also im Herzen des Vulkans. Auch von kleinen Feuerpokemon dürfte es da unten nur so wimmeln und auch das Meer kann man sehen." "Nur wo ist nur dieses Labor...", warf Nerina seufzend ein und suchte angestrengt die dämmrige Landschaft ab, "Wenn man das Labor nicht sehen kann, ist alles für die Katz gewesen..." "Vielleicht sieht man es ja nur von dort aus?", fragte Texomon eifrig, "Komm, lass uns hingehen!" Müde standen sie erneut auf und auf Händen und Knien rutschte Nerina langsam den steilen Berghang hinab. Einige Male musste Texomon sie sogar auffangen und seine scharfen Klauen hinterließen schmerzhafte Punkte auf ihren nackten Armen. Zu allem Unglück löste sich etwa auf halbem Weg eine Gerölllawine unter ihren Füßen, sodass Nerina und Texomon in einem einzigen Knäuel aus Armen und Beinen zu Tal kullerten. Eine kleine Gruppe Magby stob schnatternd auseinander, als Nerina mit einem Aufschrei in ihre Mitte plumpste, Texomon auf ihrer Brust landete und sie beide in eine erschrockene Wasserwolke hüllte. "Puh... Unten!", kommentierte er, während Nerina mühsam aufstand und sich den schmerzenden Rücken rieb. "Autsch. Na das war ja mal 'ne Bruchlandung." Texomon machte ein kleinlautes Geräusch. "Wie gut, dass Evoli nicht hier ist", murmelte er gespielt verlegen, "Sonst würde die noch völlig zu Unrecht behaupten, ich würde genauso schlecht auf dich aufpassen, wie sie auf Neru..." "Naja... Halb so wild. Was zählt, ist die Mission - wobei ich auch gegen ein paar trockene Kleider nichts einzuwenden hätte..."

Inzwischen war es am Grund des Kraters vollends dunkel geworden und so beschlossen sie, den Aufstieg lieber erst am nächsten Tag zu riskieren. Nerina fand zwischen ein paar größeren Lavafelsen eine vielversprechende Höhle, in der sie ihr Swag aufschlug und Texomon erhitzte einen anderen Felsbrocken sanft auf ein paar Dutzend Grad, sodass Nerina ihre nassen Kleider ausziehen und darüber trocknen konnte. Dann füllte er ihren Topf mit Aquaknarrenwasser, zertrümmerte einen Felsen mit seinem Doppelkick und schichtete daraus einen natürlichen Ofen auf, den er so lange von außen anpustete, bis das Wasser im Topf zu blubbern begann. 'Oh, du bist ja richtig nützlich', wollte Nerina gerade sagen, da ertönte plötzlich ein ohrenbetäubender Knall und als sich der Staub gelegt hatte, musste sie stirnrunzelnd feststellen, dass zwei der Ofensteine kurzerhand explodiert waren. Erschrocken starrte Texomon auf die handvoll Kieselsteine. "Uups, was war denn das? Ist ja komisch", brummte er verdrießlich. Nerina zuckte mit den Schultern. "Ich glaub, ich hab mal gehört, dass sie explodieren, wenn man sie zu stark erhitzt... Wegen irgendwelchen Gasen. Also, welche Geschmacksrichtung von Staubsuppe magst du?"

"Nerina! Nerina! Dort!", rief Texomon ihr aufgeregt entgegen und fuchtelte wild mit den Armen. Genervt stieß Nerina ein wildes Knurren aus. Sie hatte gerade erst die ersten paar Meter des Aufstiegs hinter sich gebracht, während ihr Iramon sich seiner Verwandtschaft zu den kleinen, flinken Eidechsen erinnert zu haben schien und behände über die schroffen Felsen hinaufgeklettert war. Nun hockte er bereits seit einer gefühlten Ewigkeit auf dem schmalen Felssims an den Füßen des Lammes, die Arme um die Knie geschlungen und mit aufgeregt zuckendem Schwanz. Ärgerlich stemmte Nerina sich weiter in die Höhe, hangelte mit schmerzenden Händen über die scharfkantigen Steine und kam schließlich keuchend neben ihm zu sitzen. "Ufff... Das... war... steil", stöhnte sie außer Atem, doch Texomon ließ ihr keine Zeit zum Entspannen. "Dort drüben, Nerina! Schau doch!" Nun selbst aufgeregt folgte sie seinem Blick auf ein kleines, unnatürlich in der Morgensonne glänzendes, zerschmolzenes Etwas. Es lag auf der jenseitigen Seite des Kraters, versteckt unter einigen, hervorragenden Felsbrocken, die es von oben vor neugierigen Blicken schützten. "Es ist nicht direkt das Labor", begann Nerina langsam, "Soweit ich weiß liegt das ein Stückchen weiter südlich. Aber es ist definitiv aus Metall und es sieht wie ein von Menschen gemachtes Ding aus..." "Das sollten wir uns angucken!", rief Texomon und sprang begeistert auf. Noch ehe Nerina ihn zurückhalten konnte, war er bereits im Schatten des Kraters verschwunden. Kopfschüttelnd warf Nerina ihm einen Blick hinterher. "Ich hoffe wirklich", brummte sie, während sie ihm mühsam folgte, "Deine nächste Evotation kann fliegen! Das Geklettere macht mich noch wahnsinnig!"

Doch auch bei näherer Betrachtung wollte der geschmolzene Metallklotz sein Geheimnis nicht preisgeben. Rätselhaft und auf übelkeitserregende Weise missgebildet ruhte er zwischen den grauen Felsen und glänzte munter in der Sonne. "Ich kann keinen Eingang finden", verkündete Texomon nachdenklich, nachdem er einige Male darum herum gewandert, darunter hindurchgekrochen und sogar darauf geklettert war, um, Nerinas mahnenden Blick zum Trotz, die Klauen in jede Ritze zu schieben. Doch all seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. "Wir sollten am besten ein paar Photos schießen", schlug Nerina nach einer weiteren Weile der Tatlosigkeit schulterzuckend vor, "Und die dann Vater und Neru zeigen. Vielleicht haben die ja eine Ahnung, was wir da gefunden haben..."
 

>>>Neru<<<
 

"Aufwachen, Evoli!" Mit einem Kraulen hinter ihren langen, braunen Ohren weckte Neru sein Iramon aus dem Tiefschlaf. Es war vollkommen untypisch für Evoli, so lange zu schlafen, doch die Aufregung des vorherigen Tages und die Folgen der Rangstreitigkeiten forderten doch ihren Tribut und Evoli hob verschlafen den Kopf. "Ist es schon morgen?", fragte sie mit perplexem Ton, während sie in das helle Sonnenlicht, das durch Nerus Fenster schien, blinzelte. Sie war am Abend beim Abendessen, als sie und Neru eigentlich ganz aufgeregt von ihrem Fund im Schiffswrack erzählen wollten, eingeschlafen. Neru war auch müde gewesen nach dem langen Schwimmen und der zuvor durchnächtigten Nacht, so hatte er sich zu ihr gelegt. Verwirrt sah Evoli sich in dem Zimmer um. "Wo bin ich?", fragte sie schon ein wenig mutiger. Neru sah sich ebenso verwirrt um. Am Fenster stand sein Schreibtisch mit dem Computer darauf, einige Pokemonmagazine über die Starter lagen noch auf ihm verstreut. An den Wänden hingen Bilder von Duellen und unterschiedlichen Pokemon. Unter Anderem ein Glurak im Flug, eine schemenhafte Zeichnung eines Mew, die wahrscheinlich nicht von einem echten Foto, sondern eher aus einer kreativen Feder stammte. Der Boden war mit einem Teppich belegt, dessen Farbe man durch vieles mit dreckigen Schuhen darüber laufen nur noch erahnen konnte. "In meinem Zimmer", erklärte er, "Du bist gestern am Tisch eingeschlafen." Evoli sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an und schaffte es dabei, ein wenig beschämt auszusehen. "Komm", rief Neru, um die peinliche Stimmung zu vertreiben, "Lass uns frühstücken gehen!"

Evoli genoss das Frühstück, die Kekse, die Nerus Mutter gebacken hatte, mundeten ihr anscheinend sehr gut und Neru konnte gar nicht so schnell zusehen, wie die Kekse aus der Dose verschwanden. Der Vormittag verflog schnell, da sie angestrengt versuchten, die erbeutete Schatzkiste des gestrigen Tages zu reinigen und zu öffnen. Nachdem sie eine ganze Weile geschrubbt hatten, hatte Neru eine Inschrift auf der Kiste entdeckt. 'Die Sonne der Hoffnung', stand in verwischten Lettern auf dem Deckel der Kiste und so sehr Neru sich auch anstrengte, er konnte die Kiste nicht öffnen. Nachdem über Nacht das Wasser aus ihr herausgesickert war, war sie nun bedeutend leichter, doch als Neru mit Brechstangen zu Werke gehen wollte, um den widerspenstigen Deckel zu lösen, legte Evoli Veto ein. "Mir gefällt sie so, wie sie ist", erklärte sie und sah mit Stolz auf die Kiste hinab, "Du machst sie so nur kaputt." "Auch wieder wahr", gab Neru kleinbei. Die Kiste war wirklich schön anzusehen. Goldene und bronzefarbene Verzierungen zierten sie, wenn der Rost ihnen nicht schon zu Leibe gerückt war. Eine kleine Ecke war abgeplatzt. Aber im Gesamten sah sie sehr schön aus und Neru verstand Evolis Erhaltungstrieb. Immerhin war es ihre Kiste. Ohne ihre Hilfe hätte er sie nie bergen können. Als am Nachmittag Nerina zurückkehrte, war ihre Miene versteinert. "Übermorgen ist es soweit", erklärte sie, "Und das Lamm, das ich gefunden habe, befindet sich nicht in der Nähe des Labors." Neru sah sie bestürzt an. Sie hatten sich im Garten auf die Liegen gelegt und Mutter hatte ihnen einen großen Krug Limonade mit Eiswürfeln herausgebracht. Wenn diese Sorgen nicht wären, dachte Neru, wären das bestimmt die schönsten Ferien meines Lebens. "Das einzige, was ich gefunden habe, ist dieser Metallklotz." Sie gab Neru die Kamera. Stirnrunzelnd betrachtete er das unförmige, metallene Gebilde. "Es gibt keinen Eingang darin", erklärte Texomon, der zusammen mit Evoli gerade dabei war, einen Weg zum Boden des Limonadenkruges zu erschließen. "Es muss ja nur ein Ort sein, an dem Menschen böse gewesen sind", erklärte er, "Vielleicht gibt es mehrere Orte von der Sorte, wir hätten auch ewig am Labor suchen können." "Habt ihr etwas herausgefunden?", fragte eine Stimme und Neru und Nerina wirbelten herum. Ihr Vater stand hinter ihnen. "Wir haben das hier", erklärte Neru und gab ihm die Kamera. Yamato runzelte die Stirn und beugte sich über die Fotografie. "Das hab ich schon mal gesehen", murmelte er und ohne ein weiteres Wort begann er, in Richtung des Hauses davonzulaufen. Neru und Nerina folgten ihm aufgeregt und auch die beiden Iramon lösten sich widerstrebend von ihrer Mission Limonadenkrug und folgten ihnen ins Haus. In Vaters Arbeitszimmer angekommen begann Vater, einige seiner Bücher durchzublättern. Auf den Titeln standen vielversprechende Namen wie: 'Die Geschichte der Zinoberinseln'. Alle sahen gespannt zu Nerus Vater auf, sodass niemand bemerkte, wie Tabsel, die Hauskatze, erschien. Freudig schmiegte sie sich an Evoli, die leider überhaupt keinen Sinn für Schmusen in dem Sinne zeigte und sie mehrfach wegschubste - Beim letzten Mal offensichtlich mit ein wenig mehr Nachdruck, denn die Katze fuhr herum, fauchte und sträubte ihr Fell und verpasste Evoli dann einen Kratzer quer über die Nase. Neru hob Evoli auf, die sich ziemlich über das kleine, pelzige Ding beschwerte. "Man darf sie eben nicht ärgern", erklärte Neru gut gelaunt, während er Evolis Nase vorsichtig mit einem Taschentuch abtupfte. "Wenn, dann hat sie mich geärgert!" "Nun, dann sollte man erstrecht vorsichtig sein." "Sie mag zwar kein Pokemon sein, aber Krallen hat sie dennoch", fügte Yamato hinzu, während Texomon sein Lachen hinter Nerinas Rücken versteckte, die ebenfalls belustigt drein sah. Evoli hob verschnupft den Kopf und ignorierte die beiden hochmütig. "Hast du was gefunden?", fragte Neru seinen Vater und schüttelte gegenüber dem Verhalten der anderen den Kopf. Yamato nickte. "Wisst ihr, vor langer Zeit, als die Insel hier noch nicht bewohnt war, sind häufig Pokemontrainer hier herübergekommen, um hier besonders seltene Feuerpokemon zu jagen. Nun, wie das immer ist, einige von ihnen übertrieben es. Sie errichteten einen Stützpunkt, von dem aus sie Pokemon jagten, einfingen und verschifften. Moralisch war das natürlich nicht haltbar. Nun, eine Legende erzählt davon, dass Lavados, der legendäre Vogel des Feuers, herabgestoßen sei, und ihre schönen Gebäude, sie bestanden sogar schon aus Metall, damit die Feuerpokemon sie nicht angreifen konnten, komplett vernichtet und zusammengeschmolzen hätte. Der Legende nach war das die Rache für rücksichtsloses Jagen und Verschleppen von Pokemon. Könnte das der Ort sein, nach dem ihr sucht?" Neru und Nerina sahen sich an. "Du bist spitze, Nerina", rief er dann aus und riss die Arme in die Höhe, "Ihr habt es geschafft, ihr habt den Ort gefunden." "Scheint zumindest so", erklärte Yamato, "Was ist mit dem Lamm, von dem das Lied erzählt?" "Ich hab es gesehen", bestätigte Nerina. "Übermorgen gegen Mittag müsste es sich dann öffnen", erklärte Neru und Yamato nickte. Als Nerina und Neru wenig später wieder draußen auf ihren Liegen lagen, erzählte Neru ihr voller Stolz, wie er und Aquana das Schiffswrack erkundet hatten. "Und du warst tatsächlich drinnen?", vergewisserte sich Nerina, die den beiden Iramon zusah, wie sie sich im Garten jagten. "Nicht nur das", erklärte Neru, "Wir haben sogar das hier gefunden." Neru zog die Truhe unter seiner Liege hervor und reichte sie Nerina. "Was ist darin?", fragte Nerina und besah die Truhe ein wenig ausführlicher, "Die Sonne der Hoffnung?" "Ich hab keine Ahnung", erklärte Neru, "Wir haben sie bisher noch nicht aufbekommen." Nerina nickte. "Evoli hat einen ziemlichen Narren an ihr gefressen." "So?", fragte sie halb lachend, "Evoli mag Truhen?" "Es tut mir leid, was ich damals gesagt habe", griff Neru nach einiger Zeit ein Thema auf, das ihm schon länger auf der Seele lag. Zwar sah es so aus, als würden sich alle wieder gut miteinander verstehen. Auch die beiden Iramon zeigten keine Spur von Wut oder Verletztheit und spielten ausgelassener als je zuvor miteinander, doch hatte Neru immernoch das Gefühl mitverantwortlich dafür gewesen zu sein, dass sie vor ein paar Tagen aufeinander losgegegangen waren. "Was genau meinst du?", fragte Nerina verwirrt. "Weißt du noch, dass ich gesagt habe, dass Evoli sich nicht richtig entwickelt, weil Texomon zu stark ist?" Nerina nickte. "Wahrscheinlich war ich einfach nur eifersüchtig. Eifersüchtig darauf, dass ihr beide ein so gutes und erfolgreiches Team seid." Nerina strahlte ihn an. "Das hab ich mir schon damals gedacht", erklärte sie großmütig, "Schön, dass du es auch endlich einsiehst." Neru klappte der Mund auf. Er war es gewöhnt, von seiner Schwester übertrumpft zu werden. Auch, dass sie vor allen anderen spürte, was ihn beschäftigte, kannte er bereits, aber dass sie ihn so leicht durchschaut hatte, noch dazu vor ihm selbst... "Komm schon, Bruderherz", erklärte sie immernoch lachend. "Vergiss die Sache. Es ist alles wieder in bester Ordnung. Texomon ist wie immer, Evoli wird immer selbstbewusster. Das Rätsel ist gelöst. Besser kann es doch gar nicht laufen." Neru nickte und lächelte dankbar.

'Besser kann es doch gar nicht laufen?' Ein wenig irritiert dachte er an diesen Ausspruch zurück. Sie wanderten jetzt schon seit Stunden durch Geröll und an messerscharfen Felsklippen vorbei, kletterten Vorsprünge hinauf und enge Schluchten wieder hinunter. Texomon schien den Ausflug zu genießen. Freudig sprang er vorneweg von einem Stein zum anderen und auch die schwierigsten Aufstiege waren für ihn kein Problem. Er saß immer schon oben, wenn sie sich schnaufend über die Kante zogen. Evoli tat sich auch sichtlich leichter als die Menschen, doch sie eilte nicht so weit voraus, sondern hielt sich bei Neru, was jedoch nicht an Neru selbst zu liegen schien. Neru hegte insgeheim den Verdacht, dass sie nur auf ihre Truhe aufpassen wollte. Irgendwie konnte sie sich überhaupt nicht mehr von ihrem Anblick lösen, ganz so, als zöge diese Truhe sie magisch an. Nach einer Ewigkeit, so kam es Neru vor, erreichten sie tatsächlich die Höhle und im schwachen Licht der untergehenden Sonne konnte er das Lamm an der Felswand ausmachen. Gestern hatte er noch so schön im Garten bei einem Glas Limo gelegen. Jetzt taten ihm die Schultern und der Rücken weh. Die beiden Iramon schienen gar nicht müde zu sein. "Was glaubst du denn, was du wirst?", hörte Neru die interessierte Stimme von Evoli. "Och, keine Ahnung. Vielleicht ein großer Drache, ein Glurak, vielleicht." Evoli besah ihn prüfend. "Das könnte hinkommen." Neru hörte nicht mehr länger zu. Er streckte seine Glieder am Feuer aus und sah Nerina zu, die in ihrem Reisbrei herumrührte. "Ich bin ganz schön geschafft", brummte er ein wenig verstimmt und Nerina sah ihn mit einem mitfühlenden Blick an. Natürlich musste es ihr genauso gehen, hatte sie nicht dieselbe Kletterpartie hinter sich wie er?

Der nächste Tag begann spät. Erst um zehn Uhr schien das Licht der Sonne in ihre kleine Höhle und aufgeregt beobachteten alle, wie die Sonne ihre Strahlen langsam weiter über die Felswand gleiten ließ. "Es ist schon halb zwölf", erklärte Neru irgendwann. "Wann geht denn das blöde Ding endlich auf?", fragte Texomon, "Ich meine, wir warten hier schon seit Stunden." "Erst seit einer Stunde", versetzte Neru und Nerina versuchte, Texomon zur Geduld zu überreden. Doch die Tür bewegte sich auch in der nächsten Stunde nicht und irgendwann begann ihr Hunger über die Anspannung zu siegen. Texomon hatte schon gestern das Feuer entfacht und seine Flamme war lang und kräftig, als er auch an diesem Tag ihr Lagerfeuer wieder neu entfachte. Doch ein ruhiges Essen wurde es leider nicht. Immer wieder starrten sie angespannt zum Lamm hinüber. Keiner sprach die Frage laut aus, doch in den Gesichtern konnte man sie deutlich erkennen: 'Sind wir zu spät gekommen? Sind wir am falschen Lamm?' Um zwei Uhr schließlich begann es, unheilverkündend im Stein zu knacken. Texomon, der vor der Wand ein Nickerchen gemacht hatte, sprang erschrocken auf und Evoli wich von ihrer Truhe zurück. Einige Steine in der Wand lösten sich und fielen zu Boden. "Na, wer sagt's denn?", erklang eine Stimme hinter Neru. Doch es war kein Iramon oder Nerina gewesen, die die Worte ausgesprochen hatte. Erschrocken fuhr er wie die anderen herum. Hinter ihnen standen zwei Pokemontrainer. Sie waren an ihren Gürteln mit Pokebällen eindeutig zu identifizieren. Der Mann - Er hatte ein gelangweiltes Gesicht. - hob einen Stein vom Boden auf und betrachtete ihn prüfend. "Ihr wart schlau, Kinderchen", erklärte er, als handelte es sich dabei um seine feste Überzeugung, "Doch Gringo will nicht, dass ein Feuerstein gefunden wird. Deswegen können wir es nicht zulassen, dass ihr dort hineingeht." Der Tunnel, der sich am Lamm gebildet hatte, stand jetzt wie ein schwarzes Loch offen, doch die Sonne wanderte unerbittlich weiter. Eine ganze Weile starrten alle das Loch an. Texomon wurde ganz unruhig und begab sich in Kampfstellung. Neru wusste nicht, was er sagen sollte. War denn jetzt alles für die Katz gewesen? Würden Gringos Leute sie hier so nahe am Ziel noch aufhalten? "Nerina!", rief er, "Evoli und ich halten sie auf. Geh." Nerina schaute ihrem Bruder fassungslos ins Gesicht, doch seine Miene war steinhart. Die beiden unbekannten Trainer schienen von der Entwicklung der Ereignisse nicht eben erbaut und griffen zu ihren Pokebällen, doch noch bevor sie sie warfen hatte Nerina eine Entscheidung gefällt und war mit Texomon in der Höhle verschwunden, während Evoli blau zu leuchten anfing.
 

>>>Nerina<<<
 

"Hoffentlich werden sie da draußen alleine klarkommen", murmelte Texomon düster, während er Nerina half, die schwere Steinplatte, die den Eingang verborgen hatte, wieder an Ort und Stelle zu schieben, damit keiner der Angreifer ihnen versehentlich folgte, "Es gefällt mir gar nicht, sie mit diesen zwei Typen allein zu lassen!" "Mir auch nicht", gab Nerina durch zusammengebissene Zähne zurück, "Aber es muss sein! Wenn wir diesen Augenblick verpassen, waren all unsere Bemühungen umsonst! Dann kriegen wir den Feuerstein frühestens nächstes Jahr und jetzt, wo diese zwei Typen aufgetaucht sind und uns sicher allesamt an Gringo verpetzen werden, haben wir kein Jahr mehr Zeit, da bin ich mir sicher!" Texomon zögerte immernoch am Türspalt und versuchte, im aufgewirbelten Aschestaub draußen etwas zu erkennen. Sanft aber bestimmt nahm Nerina ihn bei der Krallenhand. "Neru und Evoli kämpfen da draußen für uns, Texomon", sagte sie eindringlich, "Sie kämpfen, weil sie glauben, dass wir es schaffen können! Lass uns sie nicht enttäuschen." Kurz wackelte Texomon nachdenklich mit den Ohren, dann nickte er entschlossen. "Ja, du hast recht, Nerina", sagte er fest, "Lass uns gehen und den Stein retten - Für uns, für sie und für die Welt!" Damit wandte er sich endlich vom Eingang ab und Hand in Hand liefen sie in die Dunkelheit des breiten Korridors hinein, der sich bis in die ewige Finsternis zu erstrecken schien. Es roch nach Asche, heißen Steinen und den schwefeligen Hinterlassenschaften von Feuerpokemon und eine seltsame Wärme waberte um sie herum, körperlos, kaum zu greifen, zu beschreiben oder gar richtig zu spüren. Es war mehr ein Gefühl, das Gefühl, von heißem Dunst umgeben zu sein, als wandere man an einem warmen Sommertag durch hohes Gras. Doch hier unten schien der Dunst auf merkwürdige Weise lebendig, beinahe so, als habe die Hitze selbst Gestalt angenommen. Nerina schauderte. Die Höhle war ihr unheimlich, vor allem, weil sie so riesig war. Ihr Boden war annähernd eben, übersäht mit hüfthohen, scharfkantigen Lavafelsen, und darüber spannte sich ein annähernd perfektes Halbrund, als habe man eine Röhre in den Berg getrieben und dann in der Mitte den Boden eingezogen. Was eigentlich jedoch ein prächtiger Anblick hätte sein sollen, wirkte auf Nerina eher feindlich. Wände und Decke waren rau und zerklüftet, als habe jemand ziellos Steine daraus hervorgeschlagen und in den entstandenen Nischen und Spalten tanzten kleine, boshafte Schatten, die immer näher und näher rückten, bis das wenige Licht vom Türspalt völlig versiegte. Seufzend kramte Nerina nun doch eine ihrer fünf Kerzen aus dem Rucksack, die sie mitgebracht hatte und Texomon entzündete sie mit einer nervösen Stichflamme,, die beinahe ihren Ärmel verkohlt hätte. "Tschuldige", murmelte er verlegen, "Dieser Ort, er ist..." "Er macht einem Angst, nicht wahr?", fragte Nerina leise und eine Gänsehaut kroch ihr über den Rücken, "Er sieht so unwirklich aus, so, als... als sei er nicht für Menschen bestimmt." "Ich bin mir sicher, dass er das auch nicht ist", entgegnete Texomon ungewohnt leise zischelnd, während sie im Licht der Kerze weiterwanderten, "Es ist eine Vulkanhöhle. Magmar und Glurak sollen sich hier wohlfühlen... Ich ja eigentlich auch", fügte er rasch und eher kleinlaut hinzu, "Aber sie wäre mir dennoch bedeutend lieber, wenn sie mit Wasser gefüllt wäre..." Irgendwo in der Dunkelheit knackte etwas, dann erscholl das Geräusch trippelnder Füße. Erschrocken blieb Nerina stehen, spähte alarmiert in die betreffende Richtung, doch der flackernde Kerzenschein reichte nicht bis hin zur fernen Tunnelwand und was auch immer dort gekrabbelt war, blieb unsichtbar. "Nun, es war nicht sehr groß, denke ich", versuchte Texomon ihr Mut zu machen, "Sicher bloß ein Feurigel. Die kriechen hier schließlich in allen Ritzen herum..." Dennoch versuchten alle beide, noch leiser aufzutreten und zu verhindern, dass ihre Schritte zu laut in dem riesenhaften Tunnel nachhallten. Immer wieder hielt Nerina Ausschau nach den versprochenen Flammenstößen und Feuerwalzen, doch nichts dergleichen geschah. Die Höhle schien zu warten... Atemlos und voller höhnischer Geduld, wie die angespannte Feder einer Mäusefalle...

"Da kommen wir nicht weiter", flüsterte Texomon plötzlich und blieb so abrupt stehen, dass Nerina beinahe mit ihm zusammengeprallt wäre. Wortlos deutete er nach vorn. Am zitternden, äußeren Ende des Lichtkreises ragte eine Mauer vor ihnen auf, glatt, ebenmäßig und scheinbar von Menschenhand errichtet, denn sie bestand aus großen, dunklen und ebenmäßig behauenen Steinquadern. Erschrocken starrten sie auf die glatten Steine. Wenn sie ein Eigenleben besessen hätten, dachte Nerina zornig, hätten sie sicher hämisch gegrinst. "Eine Sackgasse", sagte sie stattdessen laut, "Wir müssen irgendwo falsch gelaufen sein. Schließlich habe ich auch nichts von Feuerwalzen und so gesehen. Vielleicht gibt es ja irgendwo eine Abzweigung..." Doch Texomon schüttelte entschieden die langen Ohren. "Nein", sagte er mit einer Stimme, die Nerina einen Schritt zurückweichen ließ, "Nein, es gab keine Abzweigung, Nerina und wenn, dann ist sie für uns unerreichbar." "Wie kommst du darauf?", fragte Nerina überrascht, während Texomon bereits damit begonnen hatte, die gigantischen Felsen nach einem verborgenen Hebel oder losen Stein abzuklopfen. "Nun, weil Blaze es gesagt hat", entgegnete das Dracheniramon mit seltsamer Bestimmtheit und dafür ohne aufzusehen, "In dem Gedicht heißt es doch: 'Der Weg führt nie zurück.' Hier gibt es keine geheimen Abzweigungen. Man muss immer geradeaus hindurchlaufen. Außerdem erinnert mich die Mauer sehr an die in Dews Eistal. Auch da mussten wir eine Wand öffnen." "Ja, du hast recht", entgegnete Nerina nachdenklich nach einem Augenblick des Schweigens, "Und auch dort war sie nicht mit herkömmlichen Mitteln zu öffnen..." Während Texomon fortfuhr, an Steinen zu rütteln oder die Klauen in Spalten zu bohren, schritt sie langsam an dem seltsamen Bauwerk entlang, betrachtete jedes Detail sorgfältig im Licht der Kerze. Irgendwo hier, das sagte ihr ihr Gefühl ganz eindeutig, musste ein Durchgang sein, das Stück Wand, das man aufbrechen konnte, wenn... wenn man die Macht des Feuers verstand, genau wie man die Felsen mit der Macht des Wassers hatte sprengen können. Aufgeregt hielt Nerina den Atem an, während die Kerzenflamme über schwarzen Felsen wanderte, schwarzer, harter, unnachgiebiger Fels, den seine Erbauer von weit her geholt haben mussten, denn im Land der Vulkane waren Steine grau - grau und porös, genau wie... "Texomon!", stieß sie plötzlich leise aber aufgeregt hervor, "Texomon, welche Farbe hat der Stein, dort wo du stehst?" "Grau", erwiderte Texomon verwundert vom anderen Ende der Mauer, "Wie überall." "Nein, eben nicht wie überall!" Aufgeregt wandte sie sich um und rannte, so schnell sie ihre Beine tragen konnten, hinüber zu ihrem Iramon, das sie verwundert anstarrte. "Aber...", begann er, während Nerina aufgeregt den Kerzenschein über die Mauer wandern ließ. "Ein grauer Kreis!", rief sie begeistert, "Na, wer sagt’s denn! Schau, Texomon, er reicht nicht bis auf den Boden und er ist perfekt rund! Der ganze Rest der Mauer ist schwarz! Das kann kein Zufall sein!" "Tatsache Du hast recht!" Nun trat auch Texomon näher, schnüffelte an den unterschiedlichen Steinen und nickte. "Ja, das ist der Eingang", sagte er dann zögernd, "Aber wie sollen wir ihn öffnen? Bei Dew gab es einen Wasserstrahl, aber wir haben bloß eine Kerze..." "Es geht hier nicht um die Feuerstärke", vermutete Nerina langsam, "Wenigstens nicht so sehr. Man muss etwas wissen, um ihn zu öffnen, irgendwas über Feuer und Stein. Vielleicht kann man ihn ja aufschmelzen..." "Oder explodieren lassen!", fiel Texomon aufgeregt mit ein, "Wie den einen Stein, den ich neulich unten im Krater zerlegt habe! Beim Suppekochen, weißt du noch?" "Wäre gut möglich", erwiderte Nerina langsam, "Immerhin war es dieselbe Art Stein und warum sollte es nicht auch hier funktionieren." "Im Zweifelsfall geht sicher auch nicht viel kaputt...", entgegnete Texomon entschlossen und brachte sich in Positur, "Geh mal ein paar Schritte zurück, Nerina!" Rasch gehorchte sie ihrem Iramon und hielt angespannt die Luft an, während sie wartete. Texomon holte tief Luft, fixierte einen für Nerina unsichtbaren Punkt in der Mitte des Kreises und bließ eine gigantische Flammenzunge in die Dunkelheit. Die Steine schienen zu ächzen, zu stöhnen und auf unheilvolle Weise zu flüstern, doch nichts geschah. "Na sowas", brummte Texomon, schoss eine weitere Flammenzunge und eine nächste, bis der ganze Steinkreis rot zu glühen schien, doch immernoch wollte er nicht nachgeben. Vielleicht ist der Stein einfach zu dick, dachte Nerina verzweifelt, vielleicht braucht man den Flammenwurf eines Glurak, um sie zu sprengen! Doch dann erinnerte sie sich abermals an die Felswand in Dews Tal. Nicht die tatsächliche Stärke des Wassers war es gewesen, die sie aufgesprengt hatte, sondern die Temperaturunterschiede und plötzlich wusste sie, was zu tun war. "Texomon!", rief sie eilig über das Prasseln seiner Flammen, "Ziele immer auf den gleichen Punkt! Du musst die Steine unregelmäßig erhitzen, das wird sie brechen!" Texomon zögerte kurz, dann formte er mit den Händen einen Trichter vor der Schnauze und schickte eine einzelne, glühendrote Stichflamme auf einen Punkt in der Mitte des Kreises. Einige Herzschläge lang schien alles in Zeitlupe zu gehen. Ganz langsam griff die Flamme nach dem ächzenden Felsen und eine einzelne Stelle darauf glühte strahlendrot auf. Dann schien die Szenerie für einen langen, quälenden Augenblick erstarrt, bevor eine mächtige Explosion sie beide von den Füßen riss. Mit einem Aufschrei kullerte Nerina über rassiermesserscharfe Felsen, Texomon instinktiv an die Brust gepresst, während glühendheiße Asche auf sie hinabregnete und dutzende qualmender Löcher in ihre Kleidung brannte. Texomon schüttelte verdutzt die Ohren. "Puh, na das ging ja mal ab", murmelte er überrascht von seiner eigenen, durchschlagenden Wirkung und half Nerina wieder auf die Füße. Vorsichtig schlichen sie sich wieder näher. Der graue Kreis war komplett verschwunden, stattdessen lag nur noch ein großer Haufen qualmender Kieselsteine am Fuß des Durchgangs und von dahinter fiel helles, rotes Licht in die große, schwarze Höhle um sie herum, ergoss sich in einem hellen, wabernden Streifen über den Boden des Tunnels und beleuchtete den Weg, den sie gekommen waren. "Na, wer sagt’s denn!", rief Nerina begeistert, während Texomon argwöhnisch die Ohren stellte. "Irgendetwas ist aber trotzdem anders", murmelte er vor sich hin, "Ich höre ein fernes Rumpeln, wie von diesen Dingern, die ihr Zug nennt... Vielleicht schickt er uns ja einen fahrbaren Untersatz?", fragte Texomon hoffnungsvoll. "Oder er fährt die Vorrichtung für die Feuerwalzen hoch", brummte Nerina finster, "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie immer brennen!" Wie zur Bestätigung ihrer Worte sprang plötzlich eine grelle Stichflamme aus dem Boden, keine zwei Schritte jenseits des Durchganges. Kurz wogte sie hin und her, wie eine Blume im leichten Wind, dann begann sie, im hypnotisierenden Rhythmus eines unhörbaren Herzens hin und her zu schwanken, sodass sie mal die eine, mal die andere Seite des nun eher schmalen Ganges versperrte. Hinter ihr tauchten weitere Flammensäulen auf, alle wogten hin und her, wie im Takt einer unhörbaren Musik. "Wie zum Henker sollen wir da durch kommen?", wisperte Nerina nach einer kleinen Weile, in der sie nur stumm dagestanden und den Tanz der Flammensäulen beobachtet hatten, "Es sind so viele und sie scheinen keine Lücke freizulassen. Ein kleines Feurigel kann sicher zwischen ihnen hindurchschlüpfen, aber wir beiden sind viel zu leicht angreifbar." "Vielleicht kann man sie löschen?", fragte Texomon hoffnungsvoll, doch seine Aquaknarre verdampfte nur wirkungslos, während die Feuersäule nicht einmal flackerte. "Sie müssen schrecklich heiß sein", stieß er erschrocken hervor und wich einen Schritt zurück. Nerina überlegte. Wasser war das Element der Freude gewesen, das Element, in dem man sich treiben ließ, wie Texomon gesagt hatte. Neru hatte die Prüfung erst nach zähem Ringen bestanden, weil er versucht hatte, dem Wasser seinen eigenen Willen aufzuzwingen, statt sich in ihm treiben zu lassen. Texomons intuitives Wissen hatte ihn und Nerina vor einem solchen Schicksal bewahrt, doch nun schien auch er ratlos zu sein... "Was macht das Feuer aus...?", murmelte sie geistesabwesend, während sie in die tanzenden Flammen starrte, "Es kann nicht das Treibenlassen sein, wie beim Wasser. Feuer muss man bezwingen, es kontrollieren..." "Aber bezwungenes Feuer ist kaltes Feuer", erwiderte Texomon scharf, "Und kaltes Feuer, das ist der Blitz. Er ist emotionslos, zielt genau und kennt keine Abweichungen von seiner Bahn. Feuer ist anders. Feuer lebt und atmet. Es..." "Es braucht Emotion", fuhr Nerina nachdenklich fort, "Mut, Freude, Energie... Feuer ist mehr als blindwütige Zerstörung! Es ist Freude, Tatendrang! Leben! Und es kann wunderschön sein!" Vorsichtig trat sie einen Schritt näher an die prasselnde Feuersäule heran. Beißende Hitze schlug ihr ins Gesicht, doch es war kaum schlimmer, als an einem kühlen Wintertag zu nahe an den Ofen gerutscht zu sein. Kurz verharrte sie reglos, dann streckte sie blitzschnell eine Hand an der Hauptflamme vorbei. Es war warm, ja, aber sie verbrannte sich nicht. Wie sie als kleines Kind durch die Flamme einer Kerze gegriffen hatte. "Ich glaube, wir müssen nur den unmittelbaren Hauptflammen ausweichen", sagte sie begeistert, "Die anderen Feuerschlieren um sie herum sind dünn, wie eine Kerzenflamme. Aber wir müssen sehr, sehr schnell sein... Texomon?" Verblüfft stellte Nerina fest, dass ihr Iramon ihr gar nicht zusah. Stattdessen starrte er immernoch auf die Flammen, wippte selbst im Takt mit, als lausche er der unhörbaren Sinfonie ihres Tanzes. Fasziniert beobachtete sie, wie er beinahe von selbst zu tanzen begann. "Was ist los...?", fragte sie unsicher, doch Texomon presste rasch einen Finger auf die Schnauze. "Pscht!", zischte er aufgeregt, "Konzentrier dich auf die roten Flammensäulen, nur auf die roten, dann kannst du es spüren..." Gebannt folgte Nerina seinem Rat, betrachtete den stummen Reigen und fühlte plötzlich, wie eine Art reiner Begeisterung sie durchfloss, reiner Freude und Energie... Vorsichtig griff sie nach Texomons Hand und begann ebenfalls, sich im intuitiven Rhythmus zu wiegen. Es war nicht so, dass sie die Melodie hören konnte, sie spürte sie mehr, spürte sie wie eine Erinnerung, die sie zuvor noch nie gehabt hatte. "Lass uns hindurchtanzen!", sagte sie schließlich leise, "Wenn wir in ihrem Takt tanzen, wird uns nichts geschehen!"

Es war ein komisches Gefühl, durch einen wogenden Wald aus lodernden Feuersäulen zu tanzen, die einen jederzeit verschlingen konnten, doch Angst, das hatte Nerina bereits nach den ersten unsicheren Schritten durch die dünnen Flammenwände festgestellt, verschloss die inneren Ohren und die stumme Musik erstarb, sodass sie ihre Furcht niederrang. Fr1nde war der Schlüssel, dachte sie, Begeisterung! So verdrängte Nerina all das, was sie über Vernunft gelernt hatte, griff fester nach Texomons warmer Krallenhand und begann leise mitzusummen. Sie bewegten sich schnell, schnell genug, um durch die dünnen Kerzenflammen zu gehen und doch bekam ihr zunächst plumper Tanz mit der Zeit eine unerwartete Grazie, schien sich selbstständig zu machen, bis sie ausgelassen und lachend durch die Höhle tollten, hin und herwogten, wie die Flammen selbst, ein Teil von ihnen wurden, wie zwei kleine Feuergeister. Nerina spürte, wie die Flammen an ihren Ohren zu knistern begannen, freundliche Worte zu raunen schienen und ihre Energie durchflutete ihren Körper, verhalf ihr zu ungewöhnlicher Schnelligkeit und sie war beinahe enttäuscht, als das Flammenmeer sie unbeschadet an seinem jenseitigen Ufer ausspie... Ganz plötzlich traten die Wände zurück und Nerina und Texomon stolperten eine etwa hüfthohe Stufe hinunter und fanden sich in weichem, warmem Sand. Für eine ganze Weile blieben sie stumm liegen, lauschten dem Klang des eigenen Herzens, das langsam den Rhythmus der Flammen verlor und wieder in normaler Geschwindigkeit zu klopfen begann. Im gleichen Maße schwand auch die seltsame, fremde Energie aus ihren Körpern, als zwängten sich die freien Feuergeister zurück in ihre engen, plumpen Hüllen aus Fleisch und Blut. "Das war... schön!", hauchte Nerina wie verzaubert und Texomon nickte. Seine Augen reflektierten immernoch den fernen Feuerschein und hätte Nerina nicht gewusst, dass ihr Iramon nicht weinen konnte, sie hätte schwören mögen, dass sie glänzten. "Feuer ist nicht nur Kampf und Macht und praktische Dinge", sagte Texomon leise, "Es ist vorallem eines... Leben. Es ist genauso Leben wie das Wasser - oh und man kann in ihm genauso gut frei sein. Es ist nicht Ruhe, wie das Meer, aber es ist die Wärme der Sonne, die einen stark macht." Glücklich legte Nerina einen Arm um ihn und drückte ihn ganz fest an sich. "Und es ist Freundschaft und Liebe, ebenso sehr wie Mut und Kraft. Komm, Texomon! Lass uns schnell gehen, damit wir Neru und Evoli an unserem Feuer teilhaben lassen können!"

Sie folgten dem Gang eine Weile lang unbehelligt, bis sie an eine neuerliche Wand stießen, eine andersartige diesmal, nicht glatt und undurchdringlich, sondern eher natürlichen Ursprungs, so, als sei an dieser Stelle einst die Decke eingestürzt. Der Gang selbst wand sich an den großen Felsbrocken vorbei steil in die Tiefe und durch ein großes Loch in der Decke fiel schwaches Licht. "Ob wir wohl rauf müssen... oder runter?", fragte Nerina zögernd. Texomon zuckte mit dem Schwanz. "Der Gang führt nach unten", kommentierte er nachdenklich, ging einige Schritte in den Tunnel hinein und hielt dann inne. "Es riecht merkwürdig", kommentierte er zögernd, "Aber das kommt vielleicht von dem Fukano..." "Welchem Fukano?", fragte Nerina alarmiert und trat rasch hinter ihn. Im schwachen Licht erkannte sie tatsächlich ein Fukano. Zusammengerollt lag es am Boden der Höhle und schien zu schlafen. Als Texomon vorsichtig näher trat, hob es nicht einmal den Kopf. "Ob es tot ist...?", fragte er zweifelnd, beugte sich vor und stupste das reglose Wesen mit einem Krallenfinger an, "Es scheint nicht verwundet zu sein oder so... Oh... Entschuldige...", fügte er noch rasch hinzu, als er aus Versehen ein kleines Büschel Fell herausriss in der Bemühung, es auf den Rücken zu drehen. Fukano regte sich immernoch nicht, doch nichts an seinem Körper sah tot oder verfault aus. Es schien lediglich zu schlafen, ja, sogar sein Brustkorb hob und senkte sich ganz leicht. Texomon gähnte und hockte sich neben es. "Ach, irgendwie kann ich dich verstehen", murmelte er und ließ den Kopf auf Fukanos Brust sinken. Nerina hatte das Gefühl, dass das Blut in ihren Adern gefror. "Texomon!", rief sie eindringlich, "Texomon, steh auf! Es muss Giftgas dort unten sein! Bei Vulkanen ist das manchmal! Komm her!" Doch Texomons Augen sahen nur müde und friedlich zu ihr auf. "Giftgas?", fragte er abwesend, "Ja... Ja, schon möglich..." "Texomon! Komm weg da!" Verzweifelt lief sie zu ihm, versuchte, ihn hochzuheben, doch Texomon war einfach zu schwer. Schlaff hing sein weicher Körper in ihren Armen und unwillige Augen sahen sie an. "Warum kannst du mich nicht schlafen lassen?" "Mach eine Flamme!", verlangte Nerina scharf. Texomon gähnte. Aufgebracht packte Nerina ihn an den Schultern und schüttelte ihn. "Mach eine Flamme! Los!" "Mhm", machte Texomon, ohne zu reagieren. Zorn flammte in Nerina auf, der Zorn der Verzweiflung und instinktiv griff sie auf etwas zurück, dass Vater ihr einst beigebracht hatte, eine vage Erinnerung ihrer Kindheit. Pokemon haben einen Urinstinkt, den Befehlen ihres Trainers zu gehorchen, hatte er gesagt, die Namen der Attacken schlafen in ihren Genen... "Texomon! Glut!", befahl sie fest und tatsächlich hob Texomon den Kopf und bließ eine winzige Flamme. Sie löste sich von seiner Schnauze, stieg bis auf Brusthöhe auf und flackerte dann völlig unbeeindruckt von ihrem Erzeuger vor Nerinas Gesicht. Verblüfft riss Texomon die Augen auf. "Wie... kann.... das sein?", fragte er und richtete sich schwerfällig auf. "Geh dorthin, wo sie wieder normal brennen!", zischte Nerina, "Schnell! Ich hole Fukano!" Während Texomon davonwankte, holte sie tief Luft, beugte sich zu dem reglosen Fukano hinunter und packte es an den Flanken. Mehr schleifte sie es über den rauen Boden, als es zu tragen und einige Male musste sie innehalten und nach Luft schnappen, ehe sie den schweren Körper schließlich neben Texomon auf dem Boden ablegte. Der kleine Drache lehnte schwer atmend an der Felswand, die Augen halb geschlossen. "Was zur Hölle", stieß er müde hervor. Nerina hockte sich neben ihn und streichelte beruhigend über seinen Kopf, bis sich sein Atem beruhigte. "Giftgas", sagte sie erneut, "Es ist schwerer als Luft, darum hab ich es nicht abgekriegt und Feuer brennt in ihm nicht." "Es macht müde", murmelte Texomon, als erwache er aus einem langen Schlaf, "Wie wenn man Blei in den Gliedern hätte..." Nerina nickte schwer. Blaze' Fallen waren in der Tat nicht nur dafür gemacht, Unbefugte zu verjagen. Offensichtlich waren sie durchaus auch dafür entwickelt worden, um zu töten...
 

>>>Neru<<<
 

Neru und Aquana bauten sich schützend vor dem Eingang zur Höhle auf. "Das wird hart", flüsterte Neru seinem Iramon zu, "Versuch nicht, sie zu besiegen. Wir müssen nur irgendwie diesen Eingang verteidigen." Aquana nickte kaum merklich und ließ dabei ihre Gegner nicht aus dem Auge. Ein großes Schillok stand vor ihr und als ob das noch nicht genug wäre, stand neben ihm ein Bisaknosp. "Zwei gegen einen ist aber nicht gerade fair", erklärte Neru hochmütig. Es ging nicht darum, irgendwelche Kampfbedinungen auszuhandeln, doch je länger er sie ablenken konnte, desto besser. Viel Glück, Nerina!, schickte er ihr einen letzten gedanklichen Gruß hinterher. Dann fokussierte er die beiden Trainer gegenüber. "Och je! Bekommen wir jetzt etwa doch noch Angst, Kleiner?" "Ich hab keine Angst", erwiderte Neru sofort. "Und ich heiße Neru, wie heißt ihr denn?" Er versuchte, so viel Freundlichkeit in seine Stimme zu legen wie möglich, auch wenn er innerlich eine Heidenangst hatte. Aquana saß neben ihm, gespannt wie eine Feder, ihren langen Schwanz mit der Flosse hoch erhoben, so, als könne sie jeden Augenblick losschlagen. "Ich bin Rita", erklärte die Frau hochmütig. "Und mein Name ist Augusto", erklärte der Mann. Allmählich gingen Neru die Ideen aus. "Und wie seit ihr uns auf die Schliche gekommen?" Rita sah ihn verwirrt an, doch Neru hatte sich Mühe gegeben, so zu klingen, als würde ihn diese Frage wirklich beschäftigen. "Nun ja..." Sie stockte und sah sich nach ihrem Partner um. Aus den Augenwinkeln konnte Neru die Sonnenstrahlen sehen. Sie schoben sich langsam immer höher über das Lamm hinweg. "Wir haben unsere Spione überall", erklärte der Mann langsam, "Aber jetzt geh zur Seite! Wir müssen das Mädchen erwischen, bevor es den Feuerstein erreicht." Neru war unsicher. Er musste den Kampf unter allen Umständen so lange wie möglich hinauszögern. Bitte, Sonne! Zieh weiter!, flehte er innerlich. "Seid ihr denn sicher, dass ihr sie noch erwischen könnt?", fragte er und trat mit großer Geste einen Schritt auf die Seite und machte damit den Zugang frei. Sie starrten ihn an. "Was wisst ihr denn über diesen Ort?", fragte er. Vielleicht hatten sie das Lied und die Legende ja gar nicht gehört. "Naja, nun..." Der Mann schien nun ebenfalls verwirrt. Damit, dass Neru den Zugang jetzt so bereitwillig öffnete, hatte er nicht gerechnet. Doch Aquana ebenso wenig. 'Was denkst du dir denn?', fragte sie, 'Warum gibst du ihnen den Weg frei?' Neru winkte unauffällig mit einer Hand hinter dem Rücken und versuchte, ihre Worte zu ignorieren. Noch waren die beiden abgelenkt. "Habt ihr das Lied gehört?", fragte er, "Ich würde da nicht reingehen, ohne die ganzen Verse zu kennen." In Nerus Kopf stellte er sich einen großen Fleischbrocken vor, den er einem Krokodil hinhielt. Er war es nicht gewöhnt, mit Leuten auf diese Weise zu verfahren, eine klare Aussage war ihm normalerweise lieber. Doch er hatte keine Ahnung, was die beiden noch alles für Pokemon im Petto hatten, da war es besser, Nerina so viel Zeit wie möglich zu beschaffen. Rita, das Krokodil in Nerus Vorstellungen, schnappte unüberhörbar nach dem Köder. "Erzähl uns die Verse", fuhr sie Neru an. Offenbar war es ihr auch nicht recht, so lange vor dem Eingang zu warten. Doch Nerus Worte hatten eine leichte Furcht in ihr geweckt, das hörte er an ihrer Stimme. Der Mann schien jedoch enthaltsamer zu sein oder schon gefrühstückt zu haben, denn er erwiderte: "Kinder müssen sich da vielleicht davor fürchten. Ich sage, wir räumen ihn aus der Bahn und schnappen uns die Göre." "Der Tunnel wurde von Blaze, dem Feuerarenaleiter entworfen", erklärte Neru mit hoch erhobenem Kopf, "Er wurde dazu entworfen, nicht Eingeweihte davon abzuhalten, ihn zu betreten. Man erzählt sich, schon viele große Trainer wären auf dem Weg zum Feuerstein verschwunden und keiner von ihnen hätte je das Tageslicht wiedergesehen." Er sprach langsam und versuchte, so viel Dramatik in seine Rede zu legen, wie möglich. Aquana starrte ihn an, auch Rita und Augusto wussten nicht, was sie sagen sollten. "Kindermärchen!", winkte Augusto ab. "Aber was, wenn er doch Recht hat?", fragte Rita ein wenig ängstlicher. Neru war Rita eindeutig sympatischer als Augusto. "Nun, das Lied darf eigentlich nicht weitererzählt werden, aber wenn das richtige Angebot käme, könnten wir ja einen Handel abschließen." "Einen Handel?" Augusto lachte höhnisch auf. "Wie wäre es mit: Wir zerquetschen dich wie eine Fliege, wenn du das Lied nicht sofort ausspuckst?" Neru wurde ganz weiß im Gesicht und sein Puls, der schon die ganze Zeit raste, drohte ihm die Brust zu zerreißen. "Wenn ihr mich zerquetscht, kann ich aber nichts mehr sagen", erklärte er und er sprach dabei viel mutiger, als er sich fühlte. Augusto schien nicht auf solche Argumente gefasst zu sein. Wenn er normalerweise vor Leuten erschien, waren die angemessen beeindruckt und oder verängstigt und hatten keine Probleme mehr damit, von dem überzeugt zu werden, was Augusto wollte. Neru wechselte das Schema, damit konnte man immer gut Lehrer aus der Reserve bringen. "Kommt schon", sagte er fast mit weinerlichem Tonfall, "Ich bin doch noch ein Kind, ich hab nicht vor, an diesem Berg hier zu verenden." Rita sah Augusto mitfühlend an. "Können wir ihn nicht gehen lassen? Unser Auftrag lautete nur, sie von dem Feuerstein abzuhalten." Augusto legte die Stirn in Falten und schüttelte unmerklich den Kopf. Er sagte jedoch: "Na klar. Wie wäre es damit, Junge: Wenn du uns das Lied vorsingst, erklären wir uns bereit, dich und dein Iramon gehen zu lassen. Das einzige, was wir wollen, ist der schöne Anhänger, den du um den Hals hängen hast." Neru schluckte. Dass die beiden so schnell auf einen Handel eingehen würden, hatte er nicht erwartet. "Aber der ist von meiner verstorbenen Großmutter. Ich würde ihn nur ungern weggeben." "Nun, unter anderen Umständen", erwiderte Rita und sie klang dabei überhaupt nicht mehr mitfühlend, "Werden wir wohl das mit der Fliege wieder aufgreifen müssen." "Okay, Okay." Neru holte tief Luft und versuchte, so viel an Kreativität aufzubringen wie er konnte. "Oh, Gedächtnis!", stieß er aus und bedachte dabei Aquana mit einem hilfesuchenden Blick, "Lass mich nicht im Stich!" Dann begann er stockend und langsam, als müsse er sich an jede Zeile erinnern: "Der Stein des Feuers werd ich genannt - doch hat sich schon mancher die Finger... ääh..." 'Verbrannt', hörte er in seinem Kopf. "Verbrannt", sagte Neru stolz und fuhr dann fort: "Auf der fernen Insel liege ich versteckt - dessen Feuer ..." Oh Mann, wie mache ich weiter?, überlegte er fieberhaft. "... wurden schon einmal geweckt." In diesem Sinne ackerte er sich durch die nächsten Strophen seines selbst erfundenen Gedichts. Aquana half ihm, wann immer er mit seinen Reimen ins Stocken kam. Schweiß rann Neru von der Stirn und er begann, am ganzen Leib zu zittern. Wie lange würde es wohl dauern, bis die beiden den Betrug herausgefunden hatten? Doch noch schrieb Rita die Zeilen mit fliegenden Fingern auf ihrem Pokedex mit. "Dort oben, wo die Sonne trohnt - der Ort, an dem das Pokemon geklont - In einer Höhle voll von Bitterkeit - sich der Zugang zu dem Labyrinth verschweigt. In der Sonne stärkster Kraft - ist auch dieses Rätsel geschafft - denn im Zyklus von zwei Mal im Jahr - Sieht man den Zugang in der Höhle klar. Die Höhle liegt versteckt im Berg - geschaffen hier in diesem Zwerg, - der dreien kleiner Bruder im Ring - der die Sterne am Eingang einfing. Geschützt von einem Flammenmeer - und Feuerrädern und sehr viel mehr - liege ich im Dunst von Rauch verborgen - Bald werde ich aus dem Loch gehoben. Ist des Kriegers Herzen gut - Und seine Taten auch voll Mut - Findet er den rechten Weg - und kommt sich selbst nicht ins Geheg. Der Weg ist steinig bis zum End - doch du, Krieger, bist behend - brichst nicht ab den Weg zum Stein - wird er auch bald bei dir sein. Der Weg, der führet nur nach vorn - denn sonst schürst du nur den Zorn - Der Berg selbst erkennt die Herzen - und kann dir bereiten große Schmerzen."

'Das klang gar nicht schlecht', vernahm er Aquanas bewundernde Worte in seinem Geist. Stirnrunzelnd steckten die beiden die Köpfe zusammen. Eine enorme Zeitspanne war schon vergangen und Schillok wie auch Bisaknosp hatten es sich auf dem Boden gemütlich gemacht. Unauffällig versuchte Neru, hinter sich zu schielen, um zu sehen, wie weit die Sonne schon wäre und entdeckte zu seiner unendlichen Freude, dass sie nur noch mit ein paar kleinen Strahlen das Lamm berührte. Es war jetzt nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis sich der Zugang schließen würde, jedenfalls hoffte Neru das. Was würde nur geschehen, wenn der Zugang offen blieb? Nicht aufgeben!, ermahnte er sich im Stillen. "Was bedeuten diese Zeilen?", rief ihm Rita zu, die in all dem, was Neru sich nun aus den Fingern gesaugt hatte, versuchte, irgendetwas zu finden, mit dem sie weiterkommen konnten. Neru dachte nach. "An welcher Stelle hängt ihr denn?", fragte er stockend. "Naja, das mit dem geklonten Pokemon zum Beispiel?", fragte sie und Neru atmete erleichtert auf. In der Schule hatte er einmal ein Referat zu dem geheimen Labor in dem Mewtwo geklont worden war, halten müssen. So räusperte er sich und stellte sich vor, er stünde wieder in seiner Klasse. "Nun ja, vor langer Zeit..." Er warf sich dabei in die Brust, doch dann stockte er. Hinter ihm grollte es und langsam begann sich der Zugang, zu schließen. "Der Kerl wollte uns nur ablenken!", grollte Rita, "Bisaknosp! Rankenhieb!" Der Zugang hatte sich hinter Nerus Rücken schon fast verschlossen. "Weg hier!", schrie er Aquana zu, die versuchte, so schnell wie möglich den Ranken zu entkommen. "Schillok! Aquaknarre!", befahl Augusto und der Wasserstoß traf Neru frontal in die Brust, "Das büßt du uns!" In ihren Augen lag ein Ausdruck voller Hass und Zorn. Neru wusste, was ihnen blühen würde, wenn sie diesen Irren in die Hände geraten würden. Aquana sprang hinter ihn und fing ihn auf, bevor er an der Wand hinter ihm aufschlagen konnte, während das Bisaknosp alles, was es konnte, hinter ihnen her schickte. Ein Rasierblatt streifte Nerus Gesicht und er spürte einen heftigen Schmerz in seiner Backe auflodern. "Wir müssen hier raus!", keuchte er, während er sich das Blut, das ihm über die Wange lief, abwischte. Aquana leuchtete wieder blau auf und Evoli duckte sich unter einem weiteren Hagel von Rasierblättern weg. "Renn! Neru!", erklärte sie, während sie kurz verharrte und sich konzentrierte. Aus ihr heraus sprangen fünf weitere Evolis, die in unterschiedliche Richtungen davonrannten, zwei davon begleiteten Neru, während die andern Scheinangriffe auf die beiden Pokemon abfeuerten. Schon fast hatte Neru die Kannte erreicht und damit begonnen, hinauf zu klettern, als sich eine Hand um seinen Knöchel schloss. Evoli hing knapp über ihm und gab mit einem Seufzen ihre Trugbilder auf. Neru begann, sich Vorwürfe darüber zu machen, dass er diese Fähigkeit nicht länger mit ihr trainiert hatte, doch nun hatte er dringendere Probleme. "Lass mich los!", keifte er den Mann an und trat mit aller Kraft mit seinem anderen Fuß auf dessen Hand. Ein Schmerzensschrei war zu hören und dann kletterten Neru und Evoli so schnell sie konnten die Felswand empor. "Wir müssen Kämpfen!", erklärte Evoli fest, während sie sich hinter einen Felsen duckten. "Kämpfen?", fragte Neru und sah sich um.. Das Plateau, über das sie gestern noch geklettert waren, war zwar felsig und rau, doch konnte man auf ihm nicht entkommen, vorallem dann nicht, wenn eine Horde Pokemon hinter einem her war. Ein Tauboss stieg aus dem Vulkankrater auf und Neru konnte erkennen, dass Rita und Augusto auf dessen Rücken saßen und ihn von dort oben feindselig beobachteten. "Keine Chance auf Flucht!", erklärte er, "Hoffentlich kommt Nerina bald. Dann können wir es diesen Großmäulern zeigen."
 

>>>Nerina<<<
 

"Tja, dann bleibt uns wohl nur der Weg durch die Decke", seufzte Texomon nach einer Weile und stand vorsichtig auf. Er wankte immernoch leicht und nach der Bewegung zu schließen, mit der er seine Stirn massierte, hatte er ziemliche Kopfschmerzen. "Geht's dir gut?", fragte Nerina besorgt, doch Texomon schnaubte nur abwehrend. "Es geht schon wieder", brummte er, "So ein Schlag auf den Kopf ist nichts, was mich lange schlafenlegt..." Allein der Protest in seinen Worten verriet, dass das Giftgas ihm immernoch mehr zu schaffen machte, als ihm lieb war, doch Nerina ließ es fürs Erste dabei bewenden. Texomon hielt als Pokemon viele, schwere Verletzungen, Verbrennungen und Vergiftungen ohne nennenswerten Schaden aus und er selbst würde wohl wissen, was er sich zumuten konnte. Also richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die schroffen Felsen vor ihnen. "Sie sehen nicht aus, als ob man da hochklettern könnte", überlegte sie laut, "Und außerdem haben wir auch noch Fukano dabei. Das kann ich unmöglich bei sowas tragen. Ich meine, mit einem Seil vielleicht, aber wie sollen wir das da hochbringen?" "Haben wir denn eins?", fragte Texomon, nun wieder mit etwas mehr Enthusiasmus. Nerina nickte und zerrte die starke Leine aus ihrem Rucksack. "Ich könnte versuchen, sie zu werfen", schlug sie vor, doch das Ende der Leine erwies sich als überaus schlechtes Wurfgeschoss und selbst, als sie es um einen faustgroßen Lavastein knoteten, erreichte es nicht einmal die Hälfte der erforderlichen Höhe. "Ich kann versuchen, da rauf zu klettern und es mitnehmen!", schlug Texomon vor und knotete sich das Seil um den Bauch. Doch nach zwei Metern gab auch er auf. Zuviel Geröll löste sich unter seinen Klauen und schlussendlich rollte er in einer enormen Lawine aus Staub und Sand auf den Boden zurück. "Hm... So geht es nicht", meinte er gedehnt, blieb am Boden hocken und starrte die Wand an, ohne sie zu sehen, "Man müsste fliegen... Ja, fliegen!" Begeistert stellte er die Ohren auf. "Hast du nicht gesagt, mit heißer Luft könnte man fliegen, Nerina?" Nerina runzelte die Stirn. "Ja, schon, aber... Man bräuchte einen Heißluftballon, einen ziemlich großen, um..." "Was ist das hier?", unterbrach sie Texomon eifrig und kramte in ihrem offenen Rucksack. Einige Male ertönte das alarmierende Geräusch von zerreißendem Stoff, dann zerrte er die große, wasserdichte Plane hervor, auf der Nerina sonst immer ihr Swag aufbaute und die sie als Notfall-Wetterschutz mitgebracht hatte. "Die ist doch sicher groß und luftdicht genug, ich meine, sie muss schließlich nur mein Gewicht tragen... Wie geht das mit dem Ballon?" Neugierig geworden hockte Nerina sich neben ihn und betrachtete die Plane nachdenklich. "Sie ist aus Plastik", sagte sie langsam, "Wir könnten sie an zwei Seiten zusammenkleben, sodass eine Art Ballon entsteht. Wenn du ganz vorsichtig das Plastik hier anschmelzen könntest..." Es wurde ein gutes Stück Arbeit, bis Texomons schwächer werdendes Feuer die Ränder der Plane einigermaßen zufriedenstellend verschweißt hatten, doch als er schließlich den Kopf hineinsteckte und vorsichtig die Luft zu erhitzen begann, bekam das merkwürdige Gefährt tatsächlich Auftrieb, entschlüpfte seinem Kopf und machte einen sanften Sprung in die Höhe, ehe es schlaff vor seine Füße plumpste. Texomon schnalzte mit einem seltsamen Doppelklicken mit der gespaltenen Zunge. "Super", sagte er stolz, "Dann binden wir mich am besten gut daran fest. Ich bringe das Ding nach oben, mach die Schnur los und werf dir ein Ende runter. Du bindest es Fukano um den Bauch und ich versuche, ihn hochzuziehen. Wenn das geklappt hat, kommst du, einverstanden?" "Bist du nicht schon etwas zu müde für soviel Feuer?", fragte Nerina besorgt und Texomon ließ schicksalsergeben die Arme sinken. "Ich fürchte, danach bin ich erstmal fertig mit Feuer, aber es muss ja schließlich nochmal sein!" Mit zitternden Fingern band Nerina ihm erneut die Leine um die Brust und befestigte sie in den Ösen am Rand der Plane, dann sah sie ängstlich dabei zu, wie Texomon tatsächlich schwankend vom Boden abhob, winzige Feuerschübe aus den Nüstern blasend. Für einige schreckliche Sekunden schien es, als gäbe der Ballon unter seinem Gewicht nach, doch dann schwebte er sanft dem hellen Fleck an der Decke entgegen. "Ich fliege!", rief er zwischen zwei Flammenstößen und riskierte einen Sturz von einem knappen Meter, ehe er sich wieder fing. Nerina kicherte nervös. "Ist ungewohnt, dich so weit oben zu sehen!", rief sie zu ihm hinauf, "Wie ein Engelchen!" Texomons Flamme schlug Funken vor Empörung und er hustete, doch er ließ sich nicht dazu verleiten, zu antworten. Kurze Zeit später verschwanden seine Füße über dem Rand des Loches. Für einige Minuten herrschte Schweigen, dann tauchte sein Kopf über dem Rand auf, eingerahmt von warmem, goldenen Licht. "Ich hab das Seil um einen Felsen gewickelt!", rief er zu ihr hinab, "Hier! Fang!" Rasch wickelte Nerina das Ende der Leine um den immernoch schlafenden Leib des Fukano, dann gab sie Texomon bescheid, zu ziehen. Mit einem erstickten Laut schlug er die Krallen in den Boden, doch Fukano war zu schwer. "Binde einen Stein an das andere Ende!", rief Nerina ihrem Iramon zu, "Dann kann der Fukano hochziehen!" "Okay!", machte Texomon schlicht. Sein Kopf verschwand hinter der Kante und kurz darauf erschien ein Lavabrocken von der Größe eines Fußballes. Ohne weitere Vorwarnung glitt er in die Tiefe und mit einem erstickten Jaulen hob Fukano vom Boden ab, sauste ungebremst nach oben und stolperte dort in Texomons ausgestreckte Arme. Nerina hörte, wie Fukano ihm das Gesicht abschleckte. "Äh! Lass das!", zischelte Texomons gequälte Stimme wie zur Bestätigung, "Geh zu deinem Rudel! Ich muss Nerina retten!" Doch als Nerina einige Minuten später mit zerschrammten Händen und zerrissenen Hosen ebenfalls bei im ankam, stand Fukano immernoch hinter ihm, wedelte mit dem Schwanz und kläffte freudig, als es sie wiedererkannte. "Schon gut, schon gut!", lachte sie nervös, als es auf sie zulief, "Du brauchst mich nicht gleich wieder über die Kante werfen!" Mit zittrigen Fingern löste sie das Seil von ihrem Bauch, das sie beim Klettern mithilfe eines weiteren Gegenzug-Steins unterstützt hatte und knotete es an einer Felsnase fest - für den Fall, dass sie den Weg doch noch einmal zurückkehren mussten. "Kommt... Endspurt - wenigstens hoffe ich das..."

Der Gang, dem sie nun folgten, lag scheinbar dichter unter der Erdoberfläche, denn immerwieder war seine Decke von winzigen Spalten und Rissen durchzogen, durch die das goldene Licht der Sonne fiel und auch die Luft war deutlich angenehmer und der Boden schien geebnet worden zu sein. Alles deutete also darauf hin, dass sie sich dem Ende ihrer Suche näherten. Fukano trottete mit noch immer benommen gesenktem Kopf hinter Nerina her und winselte jedes Mal kläglich, wenn Texomon es mit einem strengen Blick bedachte. Doch auch ihr Iramon sah nicht gut aus. Müde schleifte sein Schwanz hinter ihm her, er ließ die langen Ohren hängen und die sonst so frische, gelbe Zeichnung in seinem Gesicht wirkte fahl und ungesund zitronenfarben. Tröstend drückte sie seine Schulter. "Ich bin mir sicher, es ist nicht mehr weit!", sagte sie gerade leise, da hob Fukano plötzlich witternd die Schnauze, zwängte sich an ihnen vorbei und trabte mit wedelndem Schwanz vorneweg, ein schlanker, vierbeiniger Schatten strebte ihm aus der Dunkelheit entgegen. "Noch ein Fukano", flüsterte Texomon, als er und Nerina gleichzeitig stehenblieben, "Und da kommen noch mehr!" Inzwischen hatte sich ein ganzes Rudel der Feuerhunde jaulend und bellend am Ende des Ganges postiert, Köpfe und Schwänze hoch erhoben und ihre Zähne glänzten weiß im schummrigen Halbdunkel. "Sie sehen nicht aus, als ob sie uns durchlassen würden", murmelte Texomon grimmig, "Ob wir sie bekämpfen müssen?" "Ich weiß nicht..." Nerina machte eine hilflose Geste, "Sie sehen nicht aggressiv aus, solange wir dort nicht hineingehen und das da hinten könnte ihre Höhle sein. Es wäre nicht richtig, sie in ihrem eigenen Revier zu schlagen..." "Aber wohin sollen wir sonst?", wisperte Texomon zurück und trat vorsichtig einige Schritte näher an die Verteidiger heran. Das Jaulen der Fukano ging in warnendes Knurren über. "Hee! Was soll das, ihr Fukano?", rief er ihnen zu, "Wir wollen doch nur den Stein, mehr nicht!" Eins der Fukano, Nerina glaubte dasjenige zu erkennen, das sie gerettet hatten, trat vor, knurrte einige Male seinen Namen und trottete dann zu einer Nische in der Wand. Als Nerina und Texomon ihm folgten, sahen sie, dass diese hinaus in eine gewaltige Halle führte, einen Kuppelsaal von bizarrer Schönheit, von dem überall breite Gänge und Korridore abzweigten. "Fukano sagt, dass das hier früher mal ihr Revier war", flüsterte Texomon in ihr Ohr, "Aber ein Magmar hat sie hierher vertrieben. Sie würden gerne wieder nach Hause, aber es ist zu stark..." "Ist in ihrem Revier denn der Feuerstein?", fragte Nerina hastig, "Irgendein Ding von hohem Wert, das ein Mensch dort versteckt hat." "Ja", übersetzte Texomon kurz darauf Fukanos knappe Antwort, "Auf einer Insel im glühenden Tal, am Ende einer Brücke. Wenn wir für sie Magmar besiegen, bringen sie uns hin."

"Ich hoffe, du übernimmst dich nicht", brummte Nerina besorgt, als Texomon kurz darauf hinaus in den Kuppelsaal trat und einen furchterregenden Brüller ausstieß, der zweifelsohne Magmar auf den Plan rufen würde. Texomon warf ihr nur einen hilflosen Blick zu. "Ich hatte mir fast gedacht, dass Blaze seinen Arena-Kampf nachholt", seufzte er, "Aber mit einem großen, plumpen Magmar werde ich schon fertig, ich muss nur... Oh uaaaarg!" Mitten im Satz wurde er von zwei mächtigen Pranken von den Beinen gerissen. Mit einem erschrockenen Aufschrei sauste er durch die Luft, überkugelte sich einige Male und kam knurrend wieder auf die Beine. Magmar stand inmitten der Halle und grinste, soweit sein Entengesicht einen solchen Ausdruck zuließ. Dampf strömte aus seinen Stacheln und seine kleinen Augen zwinkerten voller Boshaftigkeit. Langsam schritt es auf Texomon zu, der ihm gerade einmal bis zur Hüfte reichte. "Pah! Komm nur her!", fauchte Texomon zornig, dann rannte er selbst Magmar entgegen, holte aus und rammte ihm seinen Doppelkick in die Magengegend. Magmar hustete Stichflammen, doch Texomon gelang es, sich darunter wegzuducken. Im nächsten Augenblick sprang er, schlug die Klauen in Magmars Schultern und spie ihm seine Aquaknarre ins Gesicht. Magmar stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus und mit einem einzigen Schlag seines mächtigen Armes beförderte er Texomon ohne Federlesens bis ans gegenüberliegende Ende der Halle, wo er mit einem unguten Klatschen an die Wand knallte. Benommen richtete er sich auf und hustete scheppernd. "Texomon!", schrie Nerina ängstlich, "Geht es dir gut?" "Hab mich schon besser gefühlt", brummte Texomon, während er mit langen, etwas wackeligen Sätzen näherkam, "Aber jetzt kann er was erleben!" "Willst du Seedraking werden?", rief Nerina und umklammerte das Amulett, "Du könntest den Hallenboden fluten und -" "Zu gefährlich!", versetzte Texomon düster, "Bin müde." Ohne weitere Erklärung sprang er wieder auf Magmar zu, machte aber im letzten Moment einen Sprung zur Seite, sodass er dessen schlagenden Klauen auswich und begann stattdessen, wie wild um Magmar herumzurennen. Das Feuerpokemon knurrte unheilverkündend und spie ihm eine Flammenzunge nach der anderen nach, bis es schließlich aussah, als renne Texomon an einer feurigen Longe. "Texomon!", rief Nerina, als er an ihr vorbeihastete, "Bleib stehen und spring ihn von hinten an!" Texomon nickte unmerklich, dann duckte er sich, wirbelte mitten im Lauf herum und schoss auf Magmar zu, das sich träge noch einige Schritte weiter drehte, ehe es sein Gewicht zum Stillstand brachte. Mit einem wilden Fauchen sprang Texomon auf Magmars Rücken und grub die Klauen in die ungeschützte Stelle zwischen seinen Schulterstacheln. Für kurze Zeit verschwand er in Dampfschwaden, dann perlte Wasser über Magmars Kopf - viel Wasser. Es sah aus, als trage er einen kleinen Springbrunnen mit sich spazieren. Brüllend wedelte Magmar mit den Ärmchen, versuchte das Wasser fortzuwischen und ging langsam in die Knie, als das feindliche Element an seinen Kräften zehrte. Nerina wollte schon jubeln, da schien in Magmars Kopf ein seltsamer Notfall-Prozess stattzufinden. Mit dem Ausdruck des Denkers grinste er, dann ließ er sich auf den Rücken fallen. Texomon quietschte schmerzhaft auf, als sich die Stacheln in seinen Bauch bohrten. Kurz verschwand er vollends unter dem Körper des größeren Pokemon, dann war er plötzlich wieder da. Tiefe Kratzer glänzten rot auf seiner blauen und gelben Haut und er sah insgesamt recht schwarz und verkohlt aus, doch seine Augen glühten wie schwarze Diamanten. "Doppelkick!", rief er, holte aus und trat Magmar mit beiden Füßen ins Gesicht. Mit einem schmerzhaften Grunzen sank das Feuerpokemon zurück, rollte sich aus Texomons Reichweite und wandte sich zur Flucht. Kaum war es hinter dem nächsten, großen Torbogen verschwunden, als Texomon zusammenbrach...

Die Brücke lag tief im Herzen eines schier endlosen Systems aus Tunnels und Höhlen, Grotten und Hallen und nach einer Weile begann Nerina, sich zu fragen, ob sie inzwischen unter einem ganz anderen Teil der Zinoberinsel wanderten. Andererseits spielte es keine Rolle. Müde grub sie die Finger in das Nackenfell des Fukano, auf dessen Rücken sie saß und ließ zu, dass es sie trug, wohin auch immer es wollte. Sie war müde. Sie konnte nicht weitergehen und Texomon war nach dem harten Kampf zu müde gewesen, aufzustehen. Nun lag er quer über dem Rücken eines anderen Fukano, hob gelegentlich den Kopf und blinzelte müde in die Finsternis. Sie hatten es in stummem Einvernehmen aufgegeben, sich den Weg zu merken und starrten mit müden, blicklosen Augen auf schroffe Felsen, Säulen, Ärker und Nischen. Längst hatte Nerina jegliches Zeitgefühl verloren, als die Fukano plötzlich stehen blieben. "In der nächsten Halle beginnt die Brücke", übersetzte Texomon, während er träge zu Boden krabbelte, "Die Brücke über glühendes Gestein. Die Fukano glauben, dass sie einstürzen wird, sobald wir drüben sind." "Verstehe...", murmelte Nerina seufzend, "Dann hoffe ich, dass du ein großes Feuerpokemon wirst..." "Im Moment fühl ich mich eher nach Feurigel", seufzte Texomon, bevor sie sich bei den Fukano bedankten und dicht beisammen durch den schattigen Durchgang auf die Brücke traten. Sie war schmal und aus einem seltsamen, glatten Material gefertigt worden, auf dem Nerinas Füße immer wieder abglitten. Der Stein viele Meter unter ihnen leuchtete rot und gewaltige Hitze strahlte von ihm ab, umschloss sie vollständig und machte das Atmen beinahe unmöglich. Texomon schien die Temperaturen besser wegzustecken, doch Nerina geriet immer häufiger ins Husten. Heiße Luft biss in ihre Lunge und mehrere Male wurde ihr kurz schwarz vor Augen. Das letzte Stück der Brücke ließ sie sich schlichtweg hinabrutschen, landete schmerzhaft mit den Knien auf hartem Stein und blinzelte in das grelle, rotgoldene Licht. In der Mitte der Insel stand eine Art steinernen Altars und darauf ruhte eine steinerne Kugel, in deren Mitte etwas hell leuchtete, wie ein Stück gefangener Glut. Im selben Augenblick ertönte hinter ihr ein Knirschen und als sie erschrocken herumfuhr, sah sie, wie die merkwürdige Brücke in sich zusammenstürzte. Die Trümmer schlugen auf dem harten Stein auf, begannen zu brodeln - und schmolzen davon, wie Butter auf Toastbrot. "Die wäre hin", murmelte Nerina, inzwischen schon jenseits von Furcht oder Verzweiflung. Texomon nickte stumm, trat zum Altar und berührte vorsichtig die Kugel. "Sie ist von allen Seiten verschlossen", sagte er düster, "Wir müssen sie irgendwie aufbrechen..." Entnervt warf er die Kugel auf den Boden, doch nichts geschah. Gerade wollte er ihr mit einem kleinen Felsen zu Leibe rücken, als Nerina schwach nach oben deutete. "Texomon, schau mal", flüsterte sie müde, "Dort an der Decke, ist das nicht ein Spiegel?" Texomon folgte ihrem Blick und prallte erschrocken zurück. "Da bin ich", keuchte er heiser, "Aber ich sehe aus, wie ein Geist... Ganz weiß und grau..." "Es ist ein Mondspiegel", versetzte Nerina kraftlos, "Und weißt du noch, wie es in dem Gedicht hieß? 'Der Mond, der schien einst hell auf mich, nun ist der Himmel leer'?" "Das heißt, dass wir den Spiegel zum scheinen bringen müssen...", stellte Texomon resigniert fest. Nerina nickte. "Oh, Texomon, könntest du noch eine Flamme machen? Eine einzige?" "Ich werd's versuchen." Langsam hob Texomon die Kugel auf, trat unten den Spiegel und schloss die Augen. Eine einzelne, klägliche Flamme flackerte aus seinen Nüstern, ihr Schein kaum heller als das dumpfe, wummernde Rot. "Kräftiger, Texomon!", rief Nerina hoffnungsvoll, "Du schaffst es!" Texomon holte erneut Luft, erbebte kurz und nieste. Die Stichflamme war kurz, aber hell und der Spiegel schickte einen leuchtenden, silbernen Mond zurück. Die steinerne Kugel zersprang in tausend Fetzen und der Feuerstein rollte träge davon und blieb genau vor Nerinas Füßen liegen. Langsam hob sie ihn auf. "Bist du bereit?" Texomon nickte mit zusammengebissenen Zähnen und Nerina setzte den Stein in ihre Brosche. Im nächsten Augenblick entwuchs der Mitte der Brosche eine Woge goldenen Lichts. Sie erfasste Texomon, schien ihn vollkommen zu verschlingen - und als sich das goldene Licht in einem Feuerwerk roter Sterne verlor, da stand nicht mehr ihr Iramon vor ihr, sondern ein großes, stattliches Geschöpf, mit flammender Mähne und großen, treuen, braunen Augen. "Und? Was bin ich?", fragte es und versuchte irritiert, sich aufzurichten, doch die Erde zog es unweigerlich auf seine vier Pfoten zurück. "Bin ich ein Glurak? Aber wo sind meine Flügel?" "Du bist kein Glurak", erwiderte Nerina, immernoch stumm vor Staunen, dann lief sie auf es zu und grub voller unbändiger Freude ihre Hände in sein weiches, rotes Fell. "Lass uns gehen - Arkani!"

Arkani stieß ein zustimmendes Heulen aus und kauerte sich nieder, bis Nerina auf seinen Rücken geklettert war, dann trabte es los. Den glühenden Stein überwand es in nur wenigen, federnden Sätzen und ließ die Fukanos auseinanderspritzen, als es wie ein leuchtender Komet auf sie zugeschossen kam. Die nächsten Minuten vergingen wie im Traum. Mit langen, mächtigen Schritten jagte Arkani durch die Dunkelheit, seine langen Beine trugen es problemlos über Steine und Stufen. Als sie den Saal erreichten, in dem Texomon gegen Magmar gekämpft hatte, stieß Arkani eine kräftige Flammenzunge aus und ein Teil des Daches stürzte ein. Ohne zu zögern sprang Arkani über die Trümmer, hinein ins helle, silbrige Licht des Vollmonds. Wie ein geisterhafter Feuerreiter flog Nerina über die nächtlichen Vulkanebenen dahin, eine Gruppe kleiner Schatten folgte ihnen.
 

>>>Neru<<<
 

"Das war's!" Neru ließ sich auf den Boden sinken. "Egal, wohin wir auch gehen, sie finden uns." Evoli ließ für einen Moment die Ohren hängen. "Aber wir geben nicht auf", erwiderte sie trotzig und ließ ihren Blick über die zerklüftete Ebene schweifen, die so wenig Schutz und Versteckmöglichkeiten bot, wie es ein Landstrich nur tun konnte. Dann ließ sie den Blick hinauf zum Himmel gleiten. Über ihnen flog Tauboss mit Augusto und Rita auf dem Rücken und ging langsam tiefer. Keine zehn Sekunden später standen die beiden auf dem Boden und blickten höhnisch zu Neru und Evoli hinüber. Augusto rieb sich das Handgelenk. "Das Spiel ist aus", erklärte Rita mit eiskalter Stimme. Neru schluckte. Was sollte er jetzt auch noch sagen? Seine List, die beiden davon abzuhalten, Nerina in den Tunnel zum Feuerstein zu folgen, war erfolgreich gewesen. Doch jetzt war der ganze Schwindel aufgeflogen und die beiden schienen nicht unbedingt gute Verlierer zu sein. "Gringo wird sich über einen Gefangenen freuen", meinte Augusto mit einem Lächeln und Rita lachte herzlich auf. "Das gibt eine Gehaltserhöhung." Im selben Moment griffen die beiden zu ihren Pokebällen und das Bisaknosp und das Schillok erschienen wieder. Evoli besah sich ihre beiden Gegner aus zusammengekniffenen Augen und spähte auch zu dem Tauboss hinüber, das wie unbeteiligt hinter Rita und Augusto auf dem Boden saß und sein Gefieder putzte. "Ich hasse diese Momente der Ruhe vor dem Sturm", ließ Augusto vernehmen und Neru musste innerlich zugeben, dass es ihm genauso ging. Doch machte es keinen Spaß, auf einen solchen Kampf zu warten. Als Augusto Schillok eine erste Attacke befahl, glühte Evoli für einen Moment blau auf und fing die Attacke, die auf Neru gezielt war, geschickt mit ihrem Körper ab. Noch im Sprung wandte sie den Kopf zu den beiden um und schoss ebenfalls einen Strahl komprimierten Wassers auf die beiden ab, dem sie erschrocken auswichen. Die nächste Attacke kam von Bisaknosp, das seine Rasierblätter wie Klingen durch die Luft sausen ließ und Neru spürte den Schnitt auf seiner Wange wieder heftig pochen. Rasch gingen sie hinter einem Felsen in Deckung. 'Das kann ja heiter werden', flüsterte er. Doch im nächsten Moment durchflutete ihn Zorn. Es konnte doch nicht sein, dass diese Typen ihn hier auf diesem Plateau nun erwischten. "Wir müssen versuchen, zwischen den Felsen zu entkommen!", raunte er, "Vielleicht könntest du wieder ein paar Doppelgänger von dir erzeugen?" Aquana verwandelte sich wieder zurück in Evoli und schickte ihre Doppelgänger aus, während sie und Neru versuchten, sich hinter den Felsen von den beiden wegzutasten. Ganz vorsichtig, um ja keinen überflüssigen Laut von sich zu geben oder zu erzeugen, schlichen sie von Felsen zu Felsen und von Schlucht zu Schlucht. "Das sind alles nur Doppelgänger", schrie da Rita, "Los, Habitak! Such die beiden, die können noch nicht weit sein." Das war für Neru und Evoli das Stichwort. So schnell und leise sie konnten, rannten sie zwischen den Felsen hindurch, doch es war alles vergebens. Nach nur wenigen Sekunden hatte Habitak sie gefunden und ging in den Angriff über. Evoli wurde wieder zu Aquana. Nur um Haaresbreite verfehlte Habitak sie und erhob sich erneut in die Lüfte, um einen weiteren Angriff zu starten. "Wir müssen ihn da runter holen", erklärte Neru, "Bevor er die anderen holen kann." Diesmal hatte Habitak es auf ihn abgesehen und mit einem Schrei wie von einer riesigen Krähe stürzte es sich auf Neru. Neru hob schützend die Arme vors Gesicht und sprang zur Seite, doch kurz bevor Habitak ihn erreichen konnte, traf es eine mächtige Wassersäule und schmetterte es gegen die nächste Felswand. "Da seid ihr ja!" Ritas Stimme klang viel näher und bevor Neru sich auch nur richtig nach ihr umsehen konnte, zischten schon wieder die Rasierblätter zwischen den Felsen hindurch. So schnell er konnte warf er sich hinter einen Felsen, während Aquana mit einem Ruckzuckhieb in den Frontalangriff überging. Als Wassertyp hatte sie keine Chance gegen das Pflanzenpokemon, doch schaffte sie es, es aus dem Gleichgewicht zu bringen und als Evoli zu Neru zurückzukehren. Ein blutiger Schnitt zog sich über ihre Seite und sie keuchte. Langsam spähte Neru um den Felsen herum, doch sowohl das Bisaknosp als auch Rita waren verschwunden. "Sie sind weg", erklärte Neru verwundert. "Sind sie nicht", erklang genau hinter ihm die Stimme von Augusto. Ein Wasserstrahl schleuderte Neru gegen den Felsen und Schmerz zuckte seine Wirbelsäule empor. Schützend warf sich Evoli über ihn und versuchte, sie beide in einem Sandwirbel verschwinden zu lassen, doch eine leichte Aquaknarre, die schon eher wie ein Sprühnebel aussah, ließ den ganzen aufgewühlten Staub zu Boden gleiten. Wo sind wir da nur hineingeraten?, fragte sich Neru. Es war einfach nicht fair, zwei gegen einen und dann auch noch Elementvorteil. "Tja, das Leben ist nicht fair", erklärte Augusto, als ob er Nerus Gedanken gelesen hätte und Schillok begab sich in Kampfpositur. Als es seinen Körper durchstreckte, um eine weitere Attacke abzufeuern, duckte sich Neru darunter durch und zusammen mit Evoli sprang er so schnell er konnte um den Felsen herum, wo ihn schon ein Hagel von Rankenhieben erwartete. Das letzte, was Neru sehen konnte, waren die grünen Ranken, die überall um sie herum auf sie einschlugen und ein großes Netz, das sich wie in Zeitlupe über sie niedersenkte.

Als Neru wieder zu sich kam - Ein merkwürdiges, nasses Objekt wischte ihm über die Nase - fand er sich auf dem Boden zusammengekauert wieder. Es war bitterkalt und sein ganzer Körper fühlte sich an, als bestünde er aus einem einzigen blauen Flecken. Evoli kauerte neben ihm und schleckte ihm das Gesicht ab. 'Endlich bist du wach, aber lass dir nichts anmerken', hörte er ihre Stimme in seinem Geist. Der Mond stand bereits hoch am Himmel und Neru verstand im ersten Moment gar nicht, wie der da hin gekommen war. "Wie lange war ich weg?", raunte er, so leise er konnte. 'Ein paar Stunden, die Sonne ist gerade erst untergegangen', erklärte Evoli, 'Wie geht es dir?' "Prachtvoll", wisperte Neru zurück mit einem unüberhörbar sarkastischen Unterton, "Was ist passiert?" 'Sie haben uns matt gesetzt.' Erst jetzt bemerkte Neru das Netz, das sie komplett umschloss und somit jede Bewegung unmöglich machte. In der Nähe brannte ein Feuer und Rita und Augusto saßen in seiner Nähe, wärmten sich die Finger und bedachten das Netz immer wieder mit prüfenden Blicken. Allmählich kehrten Nerus Lebensgeister zurück. "Warum sind wir noch hier?", fragte er und stellte sich weiter schlafend. 'Ich glaube, sie warten noch auf Nerina, obwohl sie schon längst hätte erscheinen müssen.' "Was? Sie war noch nicht hier?", erschrocken wollte Neru sich schon aufrichten, besann sich dann jedoch eines besseren. "Wir müssen hier raus", erklärte er. Evoli nickte. 'Das Seil ist zu hart, ich habe die ganze Zeit versucht, einen Faden zu zerschneiden oder zu zerbeißen, aber sie gehen und gehen nicht durch.' Neru nickte unauffällig. Um nichts in der Welt wollte er die Entführer darauf aufmerksam machen, dass er wieder bei Bewusstsein war. Ganz langsam wanderte seine Hand in die Hosentasche und zog sein Taschenmesser hervor. "Versuchen wir es mal damit." Evoli legte sich so in Positur, dass Neru mit einem Arm damit beginnen konnte, an den Fäden herumzusägen. Doch hatte er nicht den richtigen Winkel und all seine Muskeln brannten wie Feuer. Dennoch gaben sie nicht auf. Faden um Faden wurde gekappt. Evoli verharrte ganz still und als Neru die Fäden nicht mehr erreichen konnte, gab er ihr mit seinem Körper Deckung, während sie damit begann, die Fäden über das Messer zu rubbeln, das sie mit den Hinterbeinen festhielt. Neru hatte jedes Zeitgefühl verloren. Während er wartete und nicht sehen konnte, was Evoli hinter seinem Rücken tat, machte er sich Sorgen um Nerina. Was, wenn ihr etwas zugestoßen war? Wie konnte es denn möglich sein, dass sie immernoch nicht wieder da war? War ihr etwas passiert? Oder war sie an einem ganz anderen Ort der Zinoberinsel herausgekommen? 'Ich hab’s!', vernahm Neru die freudige und feierliche Stimme in seinem Kopf. "Es kommt jetzt vorallem darauf an, dass wir schnell sind", wisperte er ihr zu, "Wenn sie gerade nicht hinsehen, schaffen wir uns durch das Loch und verstecken uns hinter einem der Felsen. In der Dunkelheit sollte es viel schwerer sein, uns zu finden und anzugreifen." Evoli nickte. Langsam und ohne Verdacht zu erwecken, schoben sie sich auf das Loch im Netz zu.

"Ich werde mal nach unserem Gefangenen sehen", erklärte da Augusto und Neru sah panikerfüllt, wie er aufstand. 'Tu so, als wärst du ohnmächtig', hörte er die Stimme von Evoli in seinem Kopf, während sie sich leise wie ein Windhauch auf das Loch im Netz fallen ließ und es so gut wie möglich unter ihrem Körper verbarg. Neru schloss die Augen und wartete. Er hörte die Schritte von Augusto, als er zum Netz herüberkam. Neru spürte einen leichten Tritt gegen seine Beine. "Der ist immer noch weg. Dein Bisaknosp hat ihn fast erledigt", beschwerte er sich, während er zurück zu Rita ging. "Ach, der schläft nur. Morgen ist der wieder quietschfidel, wirst sehen. Wo bleibt nur diese Göre?" "Vielleicht ist sie ja im Labyrinth draufgegangen?", mutmaßte Augusto. Neru und Evoli machten sich, sobald sich Augusto wieder gesetzt hatte, wieder an ihren Ausbruch. 'Jetzt!', rief Evoli in seinen Gedanken und so schnell er konnte schob sich Neru zwischen den Fäden durch. Doch in eben diesem Augenblick sah Rita zu ihm hinüber. "Hast du nicht gesagt, der schläft noch? Bisaknosp! Rasierblatt!" Neru riss seinen Rucksack vor den Körper, bevor die gefährlichen Blätter ihn erreichen konnten und wie durch Zufall glitt die Schatzkiste, die er und Evoli vor wenigen Tagen im Schiffswrack gefunden hatten, aus dem Seitennetz hervor und wurde frontal von einem der Blätter getroffen. In einem Regen aus Splittern zerbarst sie und ein kleiner, grüner Stein fiel zu Boden. "Evoli!", rief Neru. 'Hab ihn schon!', erklang die Antwort in seinem Kopf, während ein dunkler Schatten vor ihm zwischen den Felsen hindurchsauste. Kurz darauf befanden sie sich wieder auf der Flucht. "So geht es nicht!", rief Augusto, "Aquaknarre, los!" Eine Wassersäule traf Evolis Rücken. Zuerst dachte Neru, er könne denselben Schmerz sehen, den Evoli fühlte, doch dann bemerkte er, dass nicht rote Blitze, sondern grüne vor seinen Augen aufloderten. Doch das Licht kam nicht vom Schmerz, sondern Evoli begann, grün zu leuchten. Sprachlos starrten alle auf das Pokemon, das in eben diesem Moment eine Evolution vollzog und sogar Rita und Augusto stellten die Angriffe ein. Neru konnte in dem grünen Licht zwar die Umrisse seines Evolis erkennen, doch war es größer und seine Beine viel länger. Sein Schwanz sah auf einmal viel dünner und zugleich dicker aus, bis Neru aufging, dass Evoli sowohl an den Beinen als auch am Schwan und auf dem Kopf Blätter gewachsen waren. Der grüne Schein lichtete sich und im nächsten Augenblick schossen Rasierblätter genau auf Schillok zu. Dieses fiel, zu verdutzt, um auszuweichen. Es wurde frontal getroffen, förmlich von den Blättern massakriert und brach zusammen. Noch während es zu Boden ging, hörten sie ein langes Heulen, das von vielen weiteren helleren, heulenden Stimmen begleitet wurde. Ein riesiger Wolf oder Hund sprang in einer roten Feuersäule über einen der Felsen und er wurde von einem guten Dutzend weiterer Schemen begleitet. Auf seinem Rücken konnte Neru eine Gestalt ausmachen, doch er erkannte Nerina erst, als sie neben dem Feuer vom Rücken des gigantischen Hundes stieg. Das ist kein Hund!, schoss es Neru plötzlich durch den Kopf, während er die lange Mähne und das orange-schwarz gestreifte Fell genauer in Augenschein nahm. Der Kopf des Wesens war stolz erhoben und der lange, buschige Schwanz ließ keinen Zweifel mehr daran zu. Vor Neru stand ein riesiges und wunderschönes Arkani, das just in diesem Augenblick damit begann, Bisaknosp aufs Korn zu nehmen und ihm gigantische Flammensäulen entgegenwarf.
 

>>>Nerina<<<
 

Gedämpftes Sonnenlicht fiel durch die zugezogenen Gardinen und irgendwo draußen sangen Vögel. Verschlafen streckte Nerina sich auf der weichen Matratze aus, rollte sich behaglich auf den Rücken und zuckte zusammen, als ihre Schulter reklamierte. Überrascht hob sie nun doch den Kopf, blinzelte müde um sich und ließ sich beruhigt zurück in die Kissen sinken. Dann war es also doch kein Traum gewesen, dachte sie noch halb im Schlaf, dann haben wir es doch noch geschafft - nur wie? Alle Erinnerungen seit jenem Augenblick, da sie auf Arkanis Rücken geklettert war, waren verwischt wie lang vergangene Erinnerungen oder ein Traum. Düster erinnerte sie sich daran, wie Arkani mit ihr auf dem Rücken durch das unterirdische Gebiet der Fukano gelaufen war, wie sie ausgebrochen und endlich wieder ins Freie gelangt waren. Arkani war gerannt, ja, beinahe geflogen, so schnell, dass Nerina nicht einmal mehr seine Beine hatte erkennen können. Er hatte Neru und Evoli schon von weitem gewittert und wie ein feuriger Komet waren Arkani und das Fukano-Rudel, das ihm blindlings zu folgen schien, in das Lager der Entführer gerast. Nerina hatte kaum genug Zeit gehabt, die Szene zu begreifen, da hatte Arkani auch schon das Wache haltende Bisaknosp zu Asche verbrannt. Neru hatte ihnen begeistert zugewinkt, ein Wesen an seiner Seite, das Nerina noch nie zuvor gesehen hatte. Doch die Entführer hatten nicht so einfach aufgegeben. In Sekundenschnelle hatten sie acht weitere Pokemon auf Arkani und Nerus seltsamen Begleiter losgelassen. Von Arkanis Rücken aus hatte Nerina ein Sandan erkannt und ein Rettan, zwei Knofensa und ein Sterndu. Mit dem Geheul eines jagenden Wolfsrudels hatten die Fukano sich positioniert, während Arkani mit feurig peitschendem Schweif in die Gruppe der Feinde gefahren war. Wie es ihm gelungen war, Sterndu und Sandan vom Rest zu trennen, war Nerina ein Rätsel geblieben, doch dann war plötzlich alles ganz schnell gegangen. "Mach Rasierblatt!", hatte Neru dem seltsamen Pokemon zugerufen und im Handumdrehen hatte das Pflanzen-Evoli, denn um ein solches schien es sich zu handeln, das Wasserpokemon niedergemäht und rang mit dem Sandan, während die Fukano die übrigen Feinde attackiert, sie auseinandergetrieben und irgendwo im felsigen Gelände in Einzelkämpfe verwickelt hatten. Sie hatten perfekt zusammengearbeitet und bald schon hatten die beiden Trainer die Übersicht verloren. Als Arkani sich ihnen mit finalistischem Knurren zugewandt hatte, da hatte sie wohl die Panik gepackt und sie hatten ihren letzten Trumpf ausgespielt: Ein Tauboss, auf dessen Rücken sie geflüchtet waren, ihre Pokemon im Stich lassend. "Bist du in Ordnung?", hatte Nerina ihren Bruder gefragt, nachdem auch das letzte Geheul in der Ferne verstummt war, "Und wen hast du da dabei?" "Erklär ich dir später", hatte Neru geächzt und das Pflanzen-Evoli angestoßen. "Werd wieder Evoli, dann kann Arkani uns leichter tragen!" Doch das Pflanzenwesen hatte nicht reagiert, sodass er es schlussendlich einfach gepackt und quer über Arkanis breiten Rücken geworfen hatte, ehe er selbst zu ihnen heraufgeklettert war. Arkanis Schritte waren immer langsamer und schwerfälliger geworden, während er mit seiner schweren Fracht durch das nächtliche Vulkanland getrottet war und Nerina fand es höchst erstaunlich, dass er bis zum Grundstück ihrer Eltern durchgehalten hatte, ehe er schwer geseufzt und sich ins weiche Gras hatte fallen lassen. Wenigstens hatte er noch den Anstand besessen, wieder zu Texomon zu werden, ehe er das Bewusstsein verloren hatte, sodass Nerina ihn mit Mutters Hilfe hier herauftragen und auf das Bett legen konnte. An diesem Punkt riss Nerinas Erinnerung jäh ab. Vermutlich hatte sie sich gerade daneben fallen lassen und war auf der Stelle eingeschlafen...

Unten klirrte Frühstücksgeschirr und Nerinas Magen meldete mit einer solchen Heftigkeit sein Interesse an, dass sie sich nur noch einmal räkelte und dann aufstand. Ganz leise tappte sie durch das dunkle Zimmer zum Schrank, warf sich Trainingshosen und ein frisches Hemd über und schlich nach draußen, um den schlafenden Texomon nicht zu wecken. Auf leisen Sohlen huschte sie ins Bad, warf ihrem Spiegelbild einen erschrockenen Blick zu und beschloss spontan, dass das Frühstück sicher schon vorbei wäre, bis sie all den Ruß aus ihrem zerzausten Haar gebürstet hatte.

"Guten Morgen!", rief sie ausgelassen, als sie auf die Veranda gelaufen kam, blieb dann aber überrascht stehen. Am anderen Ende des großen Tisches saßen zwei Gäste, der Junge lächelte Nerina freundlich wennauch distanziert zu, das Mädchen hob nur kurz den Blick von der Zeitung, die sie gerade las. Auf den Fließen hinter ihnen dösten ein Nidoran und ein Taubsi im warmen Sonnenschein. "Oh, hallo Sipho und Ella", begrüßte Nerina ihre beiden Trainerkollegen mit einem müden Lächeln und fügte etwas plump hinzu: "Wie geht's? Was macht ihr hier?" "Schlechte Neuigkeiten", erwiderte Ella düster, als Nerina sich auf ihren altvertrauten Stuhl hatte fallen lassen und reichte ihr die Zeitung herüber. Nerinas Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und ihr wurde ganz schwindelig vor Schrecken. Das Bild auf der Titelseite zeigte sie selbst mit Texomon, offenbar eine Fotografie vor der Arena von Azuria. Daneben prangte Neru, wie er mit Aquana durch die Ziellinie des Wasserski-Wettbewerbes sauste. Außerdem entdeckte sie ein weiteres Bild von ihm mit Evoli, sowie eine riesige Aufnahme von Seedraking in Dews Arena. Auch Ella mit einem gewaltigen, überdimensionierten Kramurx und Sipho mit Nidoran waren abgedruckt worden. Darüber standen in dicken, kursiven Buchstaben ihre Namen mit dem Vermerk: 'Dringend gesucht.' "Was hat das zu bedeuten?", rief sie aus, nachdem sich der erste Schrecken gelegt hatte, "Ob Dew uns verraten hat - oder Misty? Aber wieso...?" "Offenbar sind es ein paar Trainer gewesen, die uns verpetzt haben", sagte Sipho schulternzuckend, "Womit genau es angefangen hat, wissen wir nicht, aber dann kamen immer mehr und mehr Hinweise dazu. Gestern schon lief hier in Zinobia eine riesige Suchaktion nach euch, um zu verhindern, dass ihr den Feuerstein bekommt." "Gringo hat sofort das Notfall-Programm aufgerufen", erzählte Ella weiter und begann mit fliegenden Fingern, eine der Orangen zu massakrieren, "Stell dir vor, er hat die Psycho und Drachenarena in Kanto und Johto schließen lassen, zusammen mit Eis, Stahl, Geist und Unlicht, versteht sich. Hier in dem Artikel schreibt er, dass ab so fort in Kanto nur die fünf Grundarenen Felsen, Wasser, Elektro, Pflanze und Gift und in Johto die zusätzlichen Arenen für Käfer, Flug und Kampf zur Verfügung stehen. Diese insgesamt acht Arenen sollen zukünftig für die Vereinigte Liga qualifizieren." "Aber...", hauchte Nerina entsetzt, "Aber die Arenaleiter, die sind doch noch..." Sipho ließ traurig die Schultern hängen. "Niemand weiß, wo sie sind", sagte er leise, "Wie vom Erdboden verschluckt..." "Aber ... Aber Texomon hat sich nur durch diese elende Feuerprüfung gekämpft, um seine natürliche Entwicklung bei Drache zu bekommen ... und ohne Psiana sind wir auch geliefert!", protestierte Nerina kraftlos. Sipho und Ella tauschten einen langen Blick, dann sagte Ella scharf: "Nun, wie es aussieht, hat sich die Debatte mit Psiana sowieso erledigt." "Was soll das heißen?", rief Nerina erschrocken und sprang auf, "Was ist denn mit Neru, wo steckt der überhaupt?" "Morgen Nerina", entgegnete ihr Bruder müde und löste sich von der Ecke, an der er so reglos gelehnt hatte, dass Nerina ihn gar nicht bemerkt hatte. Er sah furchtbar mitgenommen aus. Große, blaue und grüne Flecken pflasterten seine Arme und Beine und unter einem frischen Pflaster an seiner Wange rann immernoch Blut hervor. Erschrocken lief sie ihm entgegen, doch Neru wich zurück und senkte kraftlos den Kopf. "Wir sind raus", sagte er müde und ohne ihren Blick zu erwidern, "Evoli hat im Eifer des Gefechts einen Blattstein verschluckt und ist zu Folipurba geworden. Vater sagt, er kennt so eine Entwicklung aus Eden. Jetzt kann sie sich nicht mehr zurückverwandeln und auch Aquana klappt nicht mehr... Wir haben es den ganzen Morgen versucht, aber..." "Oh Neru, das... das ist ja schrecklich!", stieß Nerina schockiert hervor, "Aber wie... Was sagt Vater dazu? Kann man da gar nichts machen?" Müde schüttelte Neru den Kopf. "Er hat ihr ein Mittel gegeben, bei dem sie normalerweise Steine wieder ausspucken, aber es hat nicht gewirkt. Er sagt zwar, es besteht die Chance, dass Evoli wieder sie selbst wird, wenn wir die Pflanzen-Prüfung schaffen, aber ich soll mir keine zu großen Hoffnungen machen... Oh, wer hätte denn ahnen können, dass sie bei einem Blattstein so reagiert? Ich hatte noch nie von einer Pflanzen-Entwicklung bei Evoli gehört!" Tränen verschleierten plötzlich seinen Blick und ruckartig wandte er sich ab und stapfte durch den Garten davon.

Nerina folgte ihm, Ella und Sipho zurücklassend. Schweigend liefen sie zwischen den hohen Walnussbäumen hindurch, in denen sie als Kinder ihre Baumhäuser gebaut hatten bis an den Rand des Gartenteiches, in dem die Quapsel spielten. Erschöpft ließ Neru sich ins weiche Gras fallen und schweigend setzte Nerina sich neben ihn. Eine ganze Weile lang beobachteten sie die spielenden Quapsel, dann sagte Neru leise: "Ich hätte so gerne weiter mitgemacht - aber ich hab es versiebt - und mein Evoli sehe ich vielleicht nie wieder..." Tröstend legte Nerina ihm eine Hand auf den Arm. "Auch wenn sie jetzt ein bisschen blättrig ist", sagte sie sanft, "Sie ist immernoch dein Evoli, Neru! Und wer weiß, vielleicht klappt es ja doch noch mit der Pflanzen-Arena! Wir sollten so schnell wie möglich hingehen und es herausfinden!" Doch Neru ließ nur die Schultern hängen. "Wie gesagt", begann er langsam, "Vater meinte, ich soll mir bei Pflanze nicht zu viele Hoffnungen machen. Das Problem ist, dass es für Folipurba ja nicht mehr darum geht, ein Pflanzenpokemon zu werden, denn das ist sie ja schon. Eigentlich müsste sie stattdessen eine Normal-Prüfung ablegen, damit sie sich mit viel Glück wieder an Evoli erinnert... Und die einzige Arena, die Normal-Pokemon behandelt, ist nur für Mitglieder des Team Rocket reserviert..." "Aber warum kann Vater dir den Stein denn nicht einfach geben?", fragte Nerina aufgebracht, "Er, Lind und Eich haben sie doch entwickelt!" "Weil ein Iramon auch für die Evotation bereit sein muss", entgegnete Neru hitzig, "Weil sie sterben können, wenn man sie in eine Form zwingt, die ihrem Wesen zu sehr widerspricht. Darum ja auch all die Prüfungen..." Eine Weile lang starrten sie beide stumm auf den kleinen Gartenteich, dann fuhr Neru düster fort: "Und es gibt noch weitere, schlechte Neuigkeiten. Bevor du gekommen bist, hat Vater uns erzählt, dass Eich, Lind und er noch etwas über die Iramon herausgefunden haben. Weißt du, sie... Sie schaffen doch nicht mehr als drei Evotationen. Da jeder von uns - euch - schon zwei hat, müssen wir uns gut überlegen, welche dritte Form am praktischsten wäre... Außerdem sind wir ja jetzt gesucht und stehen außerdem unter Zeitdruck. Offenbar hat Gringo Mews Aufenthaltsort herausgefunden und plant Ende Juli eine Expedition dorthin. Vater und die Professoren meinen, wir müssen Gringo vorher besiegen - und das lässt uns nur noch vier Wochen. Jetzt müssen wir gut geplant vorgehen... Aber er wollte auf dich warten, ehe wir das alles besprechen. Er holt grade nochmal Brötchen." "Ich kann es einfach nicht fassen", stieß Nerina resigniert aus, griff nach Nerus Hand und drückte sie so fest, dass er schmerzhaft die Luft einsog, "Nur noch eine einzige freie Evotation, keine Drachen- oder Psychoarena mehr, Verfolger und dann auch noch Zeitdruck? Und ich dachte schon, wir hätten gestern was geleistet!" "Oh, das hast du auch", sagte Neru mit einem bitteren Lächeln, "Dein Arkani ist wunderschön und ziemlich stark!" Nerina nickte, doch sie konnte sich kaum noch über ihren Erfolg freuen angesichts der Misere, in der ihr Bruder nun steckte. "Es ging nur, weil ihr uns den Rücken freigehalten habt", sagte sie leise und voller Bedauern, "Es tut mir ja so leid, Neru, ich..." Sie stockte abrupt, als Neru einen Finger an die Lippen hob. Gebannt folgte sie seinem Blick zum anderen Ufer des Teiches. Etwas regte sich im hohen Schilf auf der anderen Seite, ein schemenhafter Schatten... Mit einem einzigen Blick wussten die Zwillinge, was zu tun war. Zu oft hatten sie nervige Klassenkameraden, spionierende Schülerpaten oder lauschende Eltern mit demselben Trick in die Flucht geschlagen. Laut fuhr Nerina fort: "Tja, das ist wirklich zu bitter, Neru! Aber ich bin mir sicher, wir kriegen genug Geld zusammen für ein Neues..." "Es ist aber nicht wie das Alte!", fauchte Neru sofort zurück und sprang hitzig auf, "Und es ist deine Schuld!" "Aber es war doch keine Absicht..." Während sie stritten, waren sie nun beide aufgestanden und hatten sich langsam voneinander entfernt, bis sie genau die richtigen Positionen am Ufer bezogen hatten. Nun wechselten sie einen raschen Blick. Neru hob einen Stein vom Boden auf und schüttelte ihn drohend. "Ich hätte gute Lust, zu werfen!", verkündete er harsch. Nerina bleckte angriffslustig die Zähne und hob einen langen Ast auf. "Komm doch her, wenn du dich traust!", rief sie. Neru nickte. "Kannste haben!" Dann rannten sie los, stürzten beide in einer einzigen, simultanen Bewegung auf die Stelle zu, wo sich der Schatten bewegt hatte. Krachend zerbrach das Schilf, dann ertönte ein gedämpfter Aufschrei, als Nerina dem Lauscher auf den Rücken sprang, während Neru ihm drohend den Stein unter die Nase hielt. "Wer zum Teufel bist du und was hast du hier verloren?", herrschte er den Jungen an und Zornesröte schoss ihm in die Wangen, als dieser den Kopf hob, um seinen Blick zu erwidern. "Mando!", fauchte er, "Nicht genug, dass du uns an sie verpetzt hast! Jetzt wolltest du uns auch noch selbst gefangen nehmen oder was? Woher wusstest du, wo wir wohnen?" "Ist kaum ein Geheimnis, dass ihr Yamatos Kinder seid", sagte Mando niedergeschlagen, "Vor allem nicht, wenn man Zugriff auf die Datenbank von Team Rocket hat." Mit blankgewischter Miene fingerte er einen eleganten, silberblauen Pokedex mit Gringos Siegel aus der Brusttasche und hielt ihn Neru unter die Nase. Nerina schluckte hart. "Du... Du bist vom Team Rocket?", stieß sie außer Atem vor Schrecken hervor, "Dann hast also wirklich du uns verraten?" Eine ganze Weile lang sah Mando sie einfach nur an, dann schüttelte er ernst den Kopf, befreite sich aus ihren kraftlos gewordenen Händen und richtete sich vollends auf. "Ja, ich bin vom Team Rocket", sagte er, ohne nennenswerte Begeisterung, "Ist sozusagen Geburtsrecht... Gringo ist mein Vater."

Schockiert wichen Neru und Nerina vor ihm zurück, plötzlich nicht sicher, was sie tun sollten. Seine Worte hatten beide getroffen, wie ein gut platzierter Tritt in den Magen. Alles war schief gegangen. Sie waren entdeckt, sie waren alle hier - und Gringos Sturmtruppen warteten bestimmt schon überall in den Hecken entlang der Grundstücksgrenze. Für einen Augenblick überkam Nerina der Wunsch, Mando einfach rückwärts in den Gartenteich zu stoßen, doch resigniert entspannte sie ihre Muskeln wieder. Was sollte es bringen, ihn nun noch einmal zu demütigen? Sie wollte lieber in Würde verlieren... "Aber ich hab euch nicht verraten", sagte Mando nach einigen Augenblicken des dumpfen Schweigens, "Weil... Nunja, was ich euch damals erzählt habe, wisst ihr, das war nicht gelogen. Es gab wirklich eine Menge Streit zwischen mir und Gringo. Natürlich wollte er, dass ich ein Trainer werde, aber nach seinen Prinzipien. Darum bin ich weggelaufen. Ich bin nach Eden gegangen, unter falschem Namen, natürlich und habe dort mein Geckarbor bekommen. Als die Liga dann vorüber war, da dachte ich, ich schaue mal wieder hier vorbei. Ich hatte seit damals vor zwei Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen und ich dachte... naja, dass sich vielleicht die Dinge zum besseren gewendet hätten, dass jemand ihn besiegt hätte. Aber ich musste feststellen, dass dem nicht so war. Als ich euch dann traf, da begriff ich, dass die Forscher es geschafft haben mussten, neue Iramon zu entwickeln und ich hoffte inständig, dass ihr es schaffen würdet, diesen Wahnsinn zu beenden - und Snobilikat zu befreien. Ich weiß, es muss für euch sehr seltsam klingen, aber sie war mein Mauzi. Ich hab sie mit der Flasche großgezogen. Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich im Fernsehen mit ansehen muss, wie er sie zu Grunde richtet..." Er brach ab, sah hilfesuchend zwischen ihren versteinerten Gesichtern hin und her und fuhr hastig fort: "Dann sah ich im Fernsehen, dass sie euch hier vermuten, auf Zinobia und dass ihr tatsächlich Iramon besitzt. Ich wollte unbedingt helfen, also loggte ich mich wieder in die Zentrale ein. Den Pokedex hatte ich ja noch und ich war selbst verwundert, dass Gringo ihn nicht gesperrt hat. Jedenfalls konnte ich auf ihre Daten zugreifen und auch die ein oder andere falsche Fährte legen. Grade suchen sie euch zum Beispiel bei eurem Onkel an der Nordnebelbucht. Aber das wird sie kaum lange beschäftigen. Ich bin gekommen, um euch zu warnen..." "Und dazu kriechst du im Gebüsch herum?", fragte Neru skeptisch. Mando zuckte die Schultern. "Das hatte ich gar nicht vor", beteuerte er, "Aber dann hab ich euch reden gehört und wollte nicht reinplatzen..." "Und das Gartentor hast du auch nicht gefunden?", fragte Nerina sarkastisch. Mando sah sie mit großen, dunklen Augen hilflos an. "Die Stadtseite war zu gefährlich", erklärte er, "Und die Strandseite... Nun, Yamato hat eine ganze Truppe Pokemon da unten postiert und ich glaube nicht, dass die nur als Alarmanlage gedacht waren... Wie auch immer, ich bin gekommen, um euch zu helfen! Ich kann ihre Datenbank auslesen und euch sagen, wo sie sich aufhalten. Ich hab Zugang zu praktisch jeder von ihren Einrichtungen - und ich will Gringo genauso besiegen, wie ihr." "Und woher sollen wir wissen, dass du wirklich auf unserer Seite bist?", fragte Nerina scharf. Zum ersten Mal an diesem Tag schlich sich wieder ein winziges Lächeln in Mandos Augen. "Hätte ich euch verpetzt", sagte er fest, "Hätten sie euch nicht erst gestern gejagt. Ich wusste, dass ihr nach Safira wolltet - mit euren Iramon und ich habe sie lange genug gesehen, um ein Fahndungsplakat zu malen." Neru gab ein unwilliges Brummen von sich, während es nun an Nerina war, hilfesuchend zu ihrem Bruder hinüberzusehen. "Wo er recht hat, hat er recht", knurrte sie durch zusammengebissene Zähne, "Und vielleicht könnte er dir tatsächlich weiterhelfen." Eine Weile lang starrte Neru auf den schlammigen Boden, verschiedene Emotionen rangen auf seinem Gesicht miteinander, dann zuckte er mit den Schultern, warf endlich den Stein fort und drehte Mando im Polizeigriff die Arme auf den Rücken. "Wir bringen dich zum Haus", verkündete er kühl, "Vater soll entscheiden, ob wir dir trauen sollten oder nicht."

Kapitel 6

>>>Neru<<<
 

"Können wir ihm vertrauen?", fragte Nerina mit tonloser Stimme. Nachdem ihr Vater zurückgekehrt war, hatte dieser ein langes Gespräch unter vier Augen mit Mando geführt, während die anderen Iramontrainer mit Spannung auf dessen Entscheidung gewartet hatten. "Er ist eine Gefahr für uns", hatte Ella gesagt und Neru konnte ihre Worte verstehen. Dennoch, wenn Mando sich wirklich als Verbündeter herausstellen würde, konnte er nicht nur der ganzen Mission, sondern vielleicht sogar Neru helfen. Seitdem sie Mando draußen am See getroffen hatten, hatte sich ein leichtes Gefühl der Hoffnung in Neru breitgemacht, Hoffnung, die es zuvor nicht mehr zu geben schien. Wer hatte auch ahnen können, dass die Evolution, die Evoli da ohne Zweifel gemacht hatte, keine normale Evotation war, sondern von dauerhafter Natur sein würde? Bei dem Gedanken daran seufzte er und sah hinunter auf seinen neuen Begleiter. Folipurba, das war ihr Name, wie er mittlerweile wusste, saß an seinen Füßen, den langen Schwanz um seine Beine gelegt und blickte interessiert zwischen Mando und Yamato hin und her. "Ich denke schon", antwortete Yamato zögernd und Mando trat hinter ihm aus dem Schatten. "Ich will alles tun", erklärte er, "Um den Wahnsinn, den mein Vater heraufbeschworen hat, zu beenden. Ich hab genauso viele, wenn nicht sogar mehr Gründe wie ihr, mich auf das Ende seiner Herrschaft zu freuen." "Schönes Gerede", erwiderte Ella, "Aber Worte beweisen nichts." Damit drehte sie sich um und stolzierte zurück in die Küche. "Willkommen im Team", erwiderte Neru trocken und streckte Mando die Hand entgegen. Dieser sah verwirrt von der hinweg stolzierenden Ella zu Neru hinüber, lächelte und ergriff seine Hand. "Nun gut...", Nerus Vater hatte wieder seine Stimme erhoben, "Wenn Mando recht hat, haben wir nur noch wenig Zeit. Wir sollten uns beeilen." Als sie sich wenig später in der Küche eingefunden hatten, begann Yamato: "Gut, nun fassen wir doch mal zusammen, welche Iramon wir schon haben. Ella warf Mando einen giftigen Blick zu und sagte dann: "Wir haben ein Kramurx und ein Botogel." "Damit also Unlicht und Eis", nickte Yamato und hakte die beiden auf seiner Liste ab. "Und ich hab ein Nidoking und ein Rossana", ergänzte Sipho. "Ein Gestein-Gift und ein Eis-Psycho Typ", nickte Yamato anerkennend, "Immerhin schonmal ein Psycho-Mischtyp, wenn wir schon keinen Psychotyp mehr bekommen können." "Das wäre doch eine Aufgabe für unseren neuen Mitstreiter", mischte sich Sipho ein, "Vielleicht kann er uns die Arenen ja wieder öffnen." Mando nickte ihm nur höflich zu. "Würde ich gerne tun", erklärte er offen, "Doch ich fürchte, da sind mir die Hände gebunden. Das Verhältnis zu meinem Vater ist von ähnlicher Natur, wie das Element von Botogel." Damit nickte er auch Ella freundlich zu, die nur die Augen verdrehte. "Wir haben noch Pflanze", mischte sich Nerina ein und Neru spürte Wärme durch seinen Bauch gleiten. Immerhin seine Schwester glaubte noch an ihn, wenn ihn die anderen schon nur noch als überflüssigen Ballast sahen. "Und dann noch Drache-Wasser und Feuer", sagte Yamato, "Das ist doch schon mal etwas. Dann fehlen uns noch die Elektro-, Flug-, Käfer- und Kampfarena." "Ich mach Elektro", sagte Sipho mit fester Stimme, "Nidoran ist schon ganz wild darauf." "Ich würde trotzallem gerne Felsen machen", erklärte Ella, "Die Unlichtmeisterin meinte, ich könne damit ganz gute Chancen auf ein Panzaeron haben. Die beiden Arenen gehören ja doch irgendwie zusammen, so wie Wasser und Eis." "Das wäre ja auch was", nickte Yamato, "Nerina, du könntest es so ähnlich machen, wie Ella und es mit Texomon bei der Flugarena in Viola in Johto probieren. Immerhin ist Glutaro auch ein fliegender Drache. Vielleicht können wir Texomons höchste Entwicklung damit auslösen." Nerina nickte begeistert. Yamato pochte auf den Tisch. "Gut, dann wäre das ja geklärt. Es wird das Beste sein, wenn ihr, Ella, Sipho und Nerina, zusammenbleibt und eure Arenen nacheinander bestreitet. Lasst euch nicht dazu verleiten, euch zu trennen, die ganze Angelegenheit ist heikel genug. Wenn Mando recht hat, solltet ihr euch so schnell es geht ein neues Äußeres zulegen und euch dann so schnell wie möglich auf den Weg machen. Ihr könnt euch dann bei der Elektroarena mit Neru und Mando wiedertreffen. Wenn Folipurba sich wieder zurückentwickelt, wäre Elektro auch eine gute Option für dich, Neru, zumal wir einen Gestein-Gift-Mischtypen ja schon mit Nidoking haben." Neru nickte und sah zu Boden. Wenn es jemals so weit kommt, dachte er bei sich. Die drei nickten. "Mando, Neru, mit euch beiden möchte ich noch etwas besprechen." Damit stand Yamato auf. Mando und Neru begleiteten ihn, gefolgt von einem lautlosen Schatten mit einem Blatt am Ende ihres grünen Schwanzes, als sie in Richtung von Yamatos Arbeitszimmer davonging.

Neru fühlte sich leer und irgendwie teilnahmslos. Schon komisch, dachte er bei sich, als er seinem Vater folgte, gestern noch hätte es mir Spaß gemacht bei all dem mit zu planen. Nun steht auf der Kippe, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, weiterzumachen. Mitfühlend rieb Folipurba ihren Kopf an seinem Bein. Neru bückte sich und streichelte ihr den hellbraunen Rücken. Er fühlte sich weich an, auch wenn das Fell viel kürzer als das von Evoli war. Evoli hatte in der Evolution ihre Mähne und ihren buschigen Schwanz verloren. Stattdessen waren ihr an den Beinen und auf dem Kopf Blätter gewachsen. Auch ihre Ohren erinnerten jetzt mehr an Blätter als an die Plüschpinsel, die sie einst gewesen waren. Evolis Schwanz hatte sich verlängert, sah dabei jedoch wie eine Liane aus, aus der immer wieder Blätter gewachsen waren, bis der lange Schwanz schließlich in einem großen, fünffingrigen Blatt endete. Evolis Pflanzenentwicklung sah alles in allem sehr schön aus. Ihre Statur mit den kurzen Beinen hatte sich zu einem eleganten Körper gemausert und ihr Blick strahlte Ruhe aus. Neru seufzte. Wäre die ganze Angelegenheit nicht so aus der Bahn geraten, hätte er sich über diese Evotation gefreut. So aber hatten sie mit ihr alle enttäuscht. Die Situation hatte sich so weit verfahren, dass er sich sogar von Nerina trennen musste, um seinen Fehler wieder auszubügeln. Ausgerechnet mit Ella musste sie gehen und das, wo er sie doch so viel lieber an seiner Seite gewusst hatte. Sie war immerhin die einzige, die ihm noch das Gefühl gab, gebraucht zu werden und den glauben an sie nicht aufgab. Er unterdrückte einen weiteren Seufzer. Das erste Mal, seit dem sie die Iramon bekommen und damit ihre Mission gestartet hatten, würde er ohne sie reisen und Prüfungen bestehen. Er konnte sich noch gar nicht vorstellen, wie es wäre, ohne sie unterwegs zu sein. Ihren Eintopf am Abend nicht zu probieren, ihre fröhlichen Gespräche mit Texomon nicht mehr zu hören. Klingt ja fast so, als ob sie gestorben wäre!, schalt er sich selbst. Doch ein Gefühl von Trauer blieb zurück und setzte sich wie ein Kloß in seinen Hals. "So", sagte Yamato, während er seinen Computer einschaltete und sie alle in seinem Büro platznahmen. Mando sah sich interessiert um, während Neru nur beschämt zu Boden starrte und sich Folipurba an seine Seite kuschelte. "Jetzt hör auf, so aus der Wäsche zu gucken", sagte Yamato mit vollem Ernst in der Stimme zu Neru, "Es war richtig, was ihr getan habt. Dass die Sache so ausgeht, hat ja keiner wissen können." Interessiert hörte Mando zu, doch selbst wenn er sich einen Reim auf die Sache machen konnte, was Neru nicht glaubte, so behielt er seine Fragen und Kommentare für sich. "Die Angelegenheit ist kompliziert", erklärte Yamato, "Je mehr ich darüber nachdenke, desto eher bin ich der Meinung, dass wir die natürliche Evolution von Evoli am ehesten mit einem Normal-Stein ausgleichen können." Mando sah ihn erstaunt an. "Wir müssen dazu die Normal-Prüfung absolvieren", erklärte Neru, der wieder ein wenig an Mut gefasst hatte, "Glaubst du, du kannst uns da reinbringen?" Mando sah von Yamato zu Neru und dann wieder zurück und schien angestrengt nachzudenken. "Es wird nicht leicht", erwiderte er vorsichtig. "Damit hat keiner gerechnet", erklärte Yamato freundlich. "Es könnte eine Chance geben", bejahte Mando die Frage. "Gut!" Yamato warf Neru ein aufmunterndes Lächeln zu. "So, wie die Dinge stehen, sind geringe Chancen besser als gar keine." Neru nickte. "Ich habe für dich und Nerina frische Ausrüstung bereitstellen lassen", sagte Yamato, "Eure anderen Sachen hattet ihr ja ganz schön zerlegt." Neru dachte halb belustigt, halb beschämt an seinen Rucksack zurück, der gestern von den Rasierblattattacken des Bisaknosp in Fetzen zerrissen worden war. Damit stand Yamato auf und entließ die beiden Jungen aus dem Arbeitszimmer.

"Jetzt erzähl doch mal", fragte Mando, "Was ist eigentlich mit Evoli passiert? Und was ist seit dem letzten Mal, da ich euch gesehen habe, insgesamt passiert?" Neru seufzte und lehnte sich im Fahrtwind, der um seinen Kopf pfiff, zurück. "Na gut..." Neru seufzte erneut und begann dann, zu erzählen. Die Überfahrt würde noch gut zwei Stunden dauern, dementsprechend hatte er viel Zeit. Er erzählte Mando davon, dass sie Blaze, den Feuerarenaleiter hatten finden müssen und, dass er im Gefängnis auf Saphira eingesperrt gewesen war. In kurzen Worten fasste er die Ereignisse und Pläne zusammen, bis zu dem Punkt, an dem Evoli Blaze den Pokedex überreicht und sie das Lied von ihm bekommen hatten. "Und ihr seid rausgekommen, ohne, dass ihr erwischt worden seid?", fragte Mando zweifelnd. "Uns ist niemand gefolgt. Sie scheinen das Lied abgehört zu haben, aber unsere Höhle hat niemand entdeckt." Mando nickte. "Das war ein Mega-Coup", sagte er bewundernd, "Und konntet ihr mit dem Lied etwas anfangen, das Blaze euch gesungen hat?" Ihn schien die Geschichte mächtig zu interessieren und auch Reptain legte den Kopf schief. Auch Fulipurba wirkte höchst interessiert. "Ja, haben wir", mischte sie sich ein, "Wir konnten die Zeilen entschlüsseln und herausfinden, dass der Stein auf der Zinoberinsel liegt." "Nach ein bisschen Training zwischen Texomon und Evoli erreichten wir dann auch die Küste..." Er stockte. Sollte er von dem Kampf der beiden erzählen? Aber dann spürte er innerlich, dass jetzt, wo er begonnen hatte, zu erzählen, er gar nicht mehr anders konnte. So erzählte er von den Streitigkeiten der Iramon und dem Rennen und auch von ihrem anschließenden Kampf. Nerina fand die Höhle mit dem Lamm und das unbekannte Labor ein zweites Mal und sie brachen auch noch einmal zu den Vulkanen auf. Mando hörte mit Spannung zu. "Nun, nachdem wir die Höhle erreicht hatten", fuhr Neru fort, "Und sich der Spalt auch tatsächlich öffnete, tauchten zwei Mitglieder von Team Rocket auf, um uns aufzuhalten." "Wusstet ihr eigentlich, wo das Lamm zu finden ist? Das einzige, was ich gesehen habe", sagte Mando, runzelte dabei die Stirn und sah gedankenverloren in die Finsternis, die sich vor dem Boot erstreckte, "War, dass ihr vermutlich in Zinobia seid. Wie die darauf kamen, weiß ich nicht. Vielleicht hatte man Vermutungen wegen deines Aquanas. Ich denke, Rita und Augusto haben euch trotzdem mehr durch Zufall gefunden." Neru seufzte. "Nun gut, ob Zufall oder nicht. Ich hielt Nerina den Rücken frei, während sie zur Feuerprüfung ging - oder besser gesagt, wir." Damit gab er einem ziemlich stolzen Folipurba ein liebevolles Klopfen auf den Rücken. "Als sie angriffen, haben wir so lange gekämpft, wie es ging", erläuterte sie weiter, "Sie haben uns zwischendurch sogar eingefangen, doch wir sind wieder entkommen und dann kam die Sache mit dem Stein." Auch sie sah nun zu Boden. "Dann kam die Sache mit dem Stein", fuhr Neru fort, "In einer Kiste, die wir in einem Schiffswrack vor der Küste gefunden hatten, befand sich ein Blattstein. Als die beiden uns erneut angriffen, wurde die Kiste zerstört und Evoli fing den Stein auf." "Und was ist dann passiert?", Die Geschichte schien Mando mehr zu interessieren, als Neru erwartet hatte. Er fühlte sich die ganze Zeit so, als würde er sich bei jemandem ausweinen und demjenigen damit garantiert ziemlich auf die Nerven gehen. "Ich hab ihn verschluckt", entgegnete Folipurba trocken, "Es war wirklich nur ein Versehen, jedenfalls hab ich mich dann zu Folipurba entwickelt. Aber ich muss sagen, dass der Stein sehr schön war und ich den Geruch auch während er in der Kiste lag, sehr gemocht habe, auch wenn ich noch nicht wusste, dass es sich um den Blattstein handelt." "Naja, den Rest kennst du. Folipurba konnte sich nicht zurückentwickeln, damit haben wir alle enttäuscht und die Iramonmission fast zum Scheitern gebracht." Mando runzelte wieder die Stirn, dann sagte er: "Das, was ihr da erlebt habt, ist die beste Abenteuergeschichte, die ich seit langem gehört habe. Ihr habt mutig gekämpft! Ihr könnt stolz auf euch sein." "Stolz?", Neru ließ ein heiseres Lachen hören, "Hast du die Reaktionen der anderen und die von Vater gesehen? Das eine sag ich dir, darauf kann man nicht stolz sein." Mando hob beschwichtigend die Arme. "Also, um ganz ehrlich zu sein", sagte er ruhig und brachte damit Nerus Nerven wieder auf ein normaleres Level, "Verstehe ich nicht ganz dein Problem. Folipurba ist ein wunderschönes und seltenes Pokemon." Folipurba stellte dabei stolz ihr Blatt auf dem Kopf auf. "Und dafür, dass sie die Rückevolution nicht mehr kann, könnt ihr nichts. Den Blattstein zurückzulassen wäre die größere Torheit gewesen. Pflanze ist kein schlechter Typ", fügte Mando hinzu, "Ich hab immerhin ein Pflanzenpokemon als Starter gewählt." Neru dachte darüber nach. "Früher wollte ich immer Bisasam haben", erklärte er offen, "Aber du siehst tausendmal schöner aus wie Bisasam." Damit nahm er Folipurba in den Arm und Tränen rannen über seine Wange. "Es tut mir leid", flüsterte er ihr zu, "Ich will nicht, dass du anders bist. Du bist und bleibst mein Evoli." Der lange Blätterschwanz schlang sich um Nerus Rücken und Mando wandte den Blick ab hinaus aufs Meer, wo in der Ferne im Licht des nahenden Sonnenaufgangs bereits das Festland zu sehen war.
 

>>>Nerina<<<
 

"Warum wollte Yamato bloß, dass du zur Flugarena gehst?", fragte Ella seufzend, "Ich meine, sowohl Kramurx als auch Botogel sind Flugtypen und ein starker Pflanzentyp wäre viel effektiver." Nerina betrachtete ihr schmales, blasses Gesicht unter den nun knallrot gefärbten Haaren nachdenklich. Im Schein des Feuers zeichneten sich tiefe Schatten darauf ab und Ellas Augen schienen auf ungute Weise eisblau zu glühen. Leise seufzend warf sie einen weiteren Stock ins Feuer und streichelte Arkanis Kopf, der auf ihrem Schoß ruhte, während der Rest des monströsen Hundes wie ein Schutzwall um sie und ihre wenigen Habseligkeiten zusammengerollt war. Seit sie vorgestern Mittag eiligst vom Haus ihrer Eltern aufgebrochen waren, hatte Ella ihr mit Fragen dieser Art in den Ohren gelegen, den ganzen, langen Weg am Strand entlang, wo das Meerwasser ihre Fährte verwischen würde, dann den Sandelbach hinauf und in die kleine Höhle an seiner Biegung, wo Nerina und Neru sich immer schon versteckt hatten, wenn jemand hinter ihnen her war. Sie hatten sich auf den feuchten, sandigen Boden gekauert und versucht, zu schlafen, abwechselnd Wache haltend. Bei Einbruch der Dunkelheit waren sie zurück zum Meer gewatet und auf Seedrakings Rücken bis hinüber an die Küste geschwommen, an keine bekannte Küste, sondern einfach irgendeinen Strand, von wo aus sie sich querfeldein in den Wald geschlagen hatten. Immer wieder hatte Kramurx die Umgebung überflogen und wies ihnen den Weg oder warnte sie vor nahen Pfaden und Reisenden. Ansonsten hatten sie nichts als den Kompass, um ihren Weg nach Marmoria zu finden und das lag mitten im Gebirge, sodass die Landschaft bergig und das Gehen anstrengend waren. Nerina hatte angeboten, dass sie nachts auf Arkani reiten konnten, aber Ella hatte dies kategorisch abgelehnt, sodass Nerina sich zunehmend gefügt hatte. Ella schien genaue Vorstellungen davon zu haben, was welchem Mitglied ihrer Gruppe gestattet war und was nicht und Nerina fühlte sich nicht danach, zu streiten, doch Texomon war angespannt und nervös und nahm häufiger als notwendig Arkanis große Gestalt an, vermutlich, weil er dann nicht mehr zu den beiden neuen Menschen ihrer Gruppe hochsehen musste. "Nerina?", hakte Ella nach und Nerina hob den Blick. "Weil Glutaro seine natürliche Entwicklung ist und Texomon sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich zu sich selbst zu finden. Dafür hat er sogar die Feuerprüfung hinter sich gebracht, obwohl er das Feuer gar nicht mochte", erklärte sie leichthin. Ella machte eine wegwerfende Geste. "Aber es geht nicht darum, was man mag", sagte sie abfällig, "Wir machen doch auch keine Evotation zu Tauboss! Panzaeron ist viel effektiver!" "Mag sein", erwiderte Nerina friedfertig, "Aber Glutaro ist das effektivste, was wir haben. Immerhin ist es ein vollblütiger Drache." "Und was machst du, wenn er zu Ibitak wird oder Smettbo oder so?", fragte Ella angespannt. Nerina zuckte mit den Schultern. "Ihm gratulieren", sagte sie schlicht, "Jede Prüfung, die wir bis jetzt geschafft haben, war sehr, sehr schwer und jede Form, die Texomon bis jetzt angenommen hat, war wunderschön. Ich vertraue da seinem guten Geschmack." "Wir können Gringo nicht mit Schönheit besiegen", schnappte Ella, "Ach und wenn wir schon dabei sind, Nerina... Dein Texomon ist noch auf einem viel zu niedrigen Level! Arkani konnte Kramurx nicht besiegen, obwohl er im Elementvorteil war! Ich hab da ein paar Übungen für dich zusammengestellt..." Rasch griff sie in ihren Rucksack und zog eine lange Liste hervor, die sie Nerina reichte. Neugierig hob nun auch Arkani den Kopf und grollte: "Was steht da?" Ella warf ihm einen strengen Blick zu. "Schlaf!", sagte sie mahnend, "Morgen musst du fit sein und dieses Menschengerede interessiert dich sowieso nicht." Mit einem leisen Knurren richtete Arkani sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf, ehe er kurz rot aufglühte und wieder zu Texomon wurde, der nun aufrecht neben Nerina saß und Ella feindselig anstarrte. "Hälst du mich für unterbelichtet oder so?", fragte er bedrohlich leise und Nerina legte rasch einen Arm um ihn. "Texomon ist ein ebenso wichtiges Mitglied der Gruppe wie ich", sagte sie fest, "Er ist intelligenter als so mancher Mensch und er ist mein Freund, nicht mein Hund. Wenn er schlafen möchte, wird er das alleine entscheiden können", sagte sie scharf. Ella bedachte sie beide mit einem finsteren Blick. "Vergiss aber nicht, dass er ein Pokemon ist", gab sie ebenso harsch zurück, "Mir ist schon oft aufgefallen, dass du anfängst, ihn wie einen Menschen zu behandeln. Das ist nicht gut! Wie soll er auf dich hören, wenn er sich genauso wichtig fühlt, wie du? Wenn er dich nicht mehr als Herr akzeptiert, wird er machen, worauf er Lust hat!" Nerina war so erschrocken, dass sie im ersten Moment keine Worte fand, sodass Ella kühl hinzufügte: "Darum klappt das mit eurem Training auch so schlecht. Das ist wie bei Hunden, Nerina! Wenn sie dich nicht mehr als ihren Herren akzeptieren, dann werden sie nachlässig und eigensinnig..." "In der Sekunde", entgegnete Nerina ebenso frostig, als sie endlich ihre Sprache wiederfand, "In der Sekunde, da ich mich für Texomons Herrin halte, wünsche ich mir, dass Arkani mich mit Haut und Haaren auffrisst. Ella, du magst deine Methoden haben, Taubsi zu trainieren. Es hat offenbar funktioniert, denn sie ist stark, auch wenn da kein Glanz mehr ist in ihren Augen und sie nur wie eine Maschine ausführt, was du ihr befiehlst. Aber das ist nicht meine Art, mit Texomon umzugehen. Er mag noch auf keinem so hohen Level sein, aber er hat ganz andere Stärken. Er ist mutig, kreativ und selbstständig und das hat uns mehr als einmal schon das Leben gerettet. Nein, Texomon und ich kämpfen zusammen in diesem verrückten Krieg und keiner ist des anderen Untertan." Ohne eine Antwort abzuwarten stand sie auf und schritt hinüber zum Waldrand. "Was hast du vor?", fragte Ella ein wenig kleinlaut, als auch Texomon aufstand und wieder zu Arkani wurde. "Arkani und ich werden ein bisschen spazierengehen", verkündete sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, während sie auf Arkanis Rücken kletterte, "Die Nacht ist noch jung und es wird ihm guttun, sich die Beine zu vertreten." "Ihr wisst schon, dass ihr gesehen werden könnt?", fragte Ella scharf, "Und außerdem ist das Herumgerenne nutzlos. Er sollte lieber schlafen und morgen wieder gegen Kramurx und Nidoking trainieren, davon hätte er mehr..." "Vielen Dank für deine Sorge, Ella", erwiderte Nerina glatt, "Aber ich trainiere Arkani so, wie ich es für richtig halte und dein verrücktes Kampftraining wird er nur noch dann mitmachen, wenn er selbst es will." Damit streichelte sie Arkanis pelzigen Kopf und mit der Grazie des Raubtiers, das es war, schlüpfte das Feuerpokemon durch die tiefhängenden Zweige davon, um schon nach wenigen Schritten ganz mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Ella stützte seufzend den Kopf in die Hände und sah ihnen nach. Der Feuerschein brach sich in glitzernden Tränen auf ihren Wangen, doch Ella rührte sich nicht. Stumm kämpfte sie das leise Schluchzen zurück, ehe es sie verraten konnte und nach einigen Minuten blinzelte sie auch die Tränen fort. Nerina sollte tun, was sie wollte. Ella hatte beide Zwillinge ohnehin schon vor langer Zeit abgeschrieben. Ihr Bruder und sie würden den Kampf schon bewältigen, ob mit Nerinas Hilfe oder ohne sie und wenn sie so verrückt sein wollte, sich fangen zu lassen, nur zu! Schnaubend pfefferte sie einen weiteren Holzbrocken ins Feuer, dann kroch sie in ihren Schlafsack, nahm ihren Pokedex heraus und begann Eibes große Enzyklopädie der Attacken zu lesen. Es gab noch viel zu tun.

"Worüber denkst du nach?", fragte Nerina leise, nachdem sie gute zehn Minuten lang schweigend durch den dichten Nadelwald gelaufen waren. Die engen Baumstämme gaben Arkanis langen Beinen nicht genügend platz für seine üblichen, eleganten Sätze, doch er trabte immernoch mit derselben Leichtigkeit zwischen ihnen hindurch, die er auch schon auf den Lavafelsen an den Tag gelegt hatte, doch Nerina spürte dennoch, dass etwas ihn beschäftigte. "Ist es, weil Ella gesagt hat, du wärst zu schwach?", fragte sie vorsichtig weiter. Zu ihrer Verwunderung gab Arkani ein schnaubendes Lachen von sich. "Das? Oh nein, Nerina. Das macht mir nichts aus. Taubsi und Nidoran sind stärker als ich und gegen stärkere zu verlieren, das ist nur fair. Davon abgesehen wäre ich lieber ein Raupy bei dir als ein Lavados bei Ella. Die zwei sind stark, aber sie haben es teuer erkauft. Heute morgen", fuhr er fort, als Nerina nicht gleich antwortete, "hab ich mich auch nicht wirklich angestrengt, Kramurx oder Nidoking zu besiegen. Nicht, dass das einen großen Unterschied gemacht hätte, aber ich wollte nicht mit ihnen kämpfen." "Warum nicht?", fragte Nerina vorsichtig. Mutter hatte ihr erklärt, dass Rangkämpfe unter Pokemon normal und keine besondere Sache waren, ebensowenig wie Trainingskämpfe und Texomon hatte schon mehr als einmal bewiesen, dass er den Kampf nicht scheute. Arkani wischte mit dem Schweif durch die Zweige und Nadeln stoben in alle Richtungen. "Weil sie mir leid tun", sagte er schlicht, "Ich meine, Stärke ist alles, was sie noch haben, alles, worauf sie stolz sein können. Das ist ein schwacher Ersatz für einen eigenen Willen."

Eine Weile lang trottete er schweigend vor sich hin und auch Nerina blieb stumm. Sie wusste, was Arkani meinte, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie das volle Ausmaß seiner Grübeleien begreifen konnte. Neru und sie waren instinktiv anders an die Aufgabe herangegangen, ihre Iramon zu trainieren, hatten sie eher wie Spielkameraden und gleichwertige Freunde behandelt. Für Texomon musste es eine völlig neue Erfahrung sein, zu sehen, dass die Dinge nicht überall so gehandhabt wurden. "Aber eigentlich denke ich eher über Nidoran nach", durchbrach Arkanis knurrende Stimme die Stille des nächtlichen Waldes, "Weißt du, früher haben wir viel miteinander gespielt und irgendwie kann man sagen, dass wir Freunde waren, damals, bevor ihr gekommen seid. Während wir dann unterwegs waren, habe ich kaum noch an ihn gedacht, ich meine... Wir haben so viele spannende Dinge erlebt und ich glaubte einfach, Nidoran müsste es genauso gut gehen, wie mir. Als wir dann vorgestern zusammen loszogen, hab ich mich gefreut - naja, ich meine, weil ich dachte, wir könnten wieder genauso spielen wie früher. Aber er ist so anders. So ... stumpfsinnig. Dauernd spricht er nur vom Training und davon, dass er stärker werden muss, dass ich stärker werden muss und immer, wenn ich versuche, mit ihm zu spielen, sagt er, dass ich lieber vernünftig trainieren soll. Ich hab ihn gefragt, ob Sipho ihm das erzählt und weißt du, da hat er ganz komisch reagiert. Er hat nur weggesehen und auf Ella gezeigt, als wollte er sagen, dass sie das alles verlangt. Aber warum tut er denn, was sie will? Er gehört doch zu Sipho..." Beruhigend streichelte Nerina seine weichen Ohren. "Ich glaube, Sipho kann sich nicht so richtig durchsetzen gegen seine Schwester", sagte sie leise und Trauer schlich sich in ihr Herz, als sie den hilflosen Ausdruck in Arkanis großen, braunen Augen sah, "Er ist insgesamt sehr ruhig und scheint alles zu tun, was sie vorschlägt. Ich glaube, Sipho selbst ist schwach, deshalb muss Nidoran stärker werden." Arkani leckte sich nachdenklich die Lippen, während er ohne größere Anstrengungen einen flachen Fluss überquerte, indem er in langen Sätzen von Stein zu Stein sprang. "Sipho hat vielleicht selbst keine Ahnung, wie er Nidoran richtig trainieren soll und Ella hat einen verdammt starken Willen und dazu nimmt sie einem das Denken ab. Wenn man es sich bequem macht, tanzt man bald nach ihrer Pfeife", fügte sie nachdenklich hinzu, als Arkani gerade die Uferböschung hinaufsprang. Dieser schüttelte missbilligend die Ohren. "Aber warum gehen Sipho und Nidoran dann nicht einfach weg? Es ist nicht richtig von Sipho, von Nidoran zu verlangen, so zu sein, nur, weil er selbst bequem ist! Ich hätte mir das nicht bieten lassen!" "Aber nicht jeder ist so stark und selbstständig wie du", erwiderte Nerina seufzend, "Vielleicht sind sie beide nicht besonders glücklich..." "Kannst du nicht mal mit ihm reden?", fragte Arkani und blieb so ruckartig stehen, dass Nerina fast von seinem Rücken gerutscht wäre. Seufzend ließ sie sich ganz zu Boden gleiten, ging zu seinem Kopf und schlang die Arme um seinen Hals. "Ich kann es versuchen, Arkani", sagte sie leise in sein Ohr, "Aber ich weiß nicht, ob er mir etwas sagen wird. Ich kenne ihn doch kaum und wenn schon Nidoran nicht mehr mit dir reden mag..." Arkanis warmer Atem strich angenehm über ihren Rücken, dann stupste seine Schnauze kühl in ihren Nacken und Nerina wich kichernd zurück. "Vermutlich kann man nicht viel ändern", seufzte Arkani schwer, "Aber es macht traurig, ihn so zu sehen und noch eingebildeter wie Taubsi kann man gar nicht mehr werden. Ich wünschte bloß, Evoli wäre hier. Ich meine, sie kann manchmal schon ziemlich nerven, aber immerhin lacht sie auch mal und man kommt sich nicht vor, wie in Despotars Höhle." "Ist das so eine Art Sprichwort bei euch?", fragte Nerina lachend. Arkani nickte. "Ja, ist aber selbsterklärend, oder?" Nerina nickte und kraulte ihm tröstend die Wangen. "Ich vermisse sie auch", sagte sie leise, "Alle beide. Aber sicher sehen wir sie bald schon wieder, sobald Neru diese Normalprüfung hinter sich hat. Er war schon ganz schön durcheinander wegen der Geschichte mit Folipurba." "Wärst du auch so, wenn ich immer Arkani bleiben würde?", fragte Arkani plötzlich mit einem neugierigen Glitzern in den Augen. Nerina nickte. "Klar." "Warum?", fragte das mächtige Feuerpokemon und ließ sich in die Hocke sinken, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. Nerina schnaubte. "Naja, immerhin hätte ich dann versagt", sagte sie bitter, "Alle wären enttäuscht, weil du als Iramon für uns verloren gegangen bist und Vater und Neru zu enttäuschen und hinterher dabei zuzusehen, wie Sipho und Ella und er die Welt retten, das fände ich auch ganz schön schrecklich, zumal ich mich schuldig fühlen würde, falls es nicht klappt und ich es hätte verhindern können. Außerdem... außerdem mag ich Texomon so gerne und Seedraking auch. Aber ich würde lieber auf all deine Evotationen verzichten, wie auf Texomon selbst. Nie wieder könnte ich durch den Wald laufen, ohne daran zu denken, wie Texomon in Blätterhaufen wühlt oder an Ästen herumhangelt und nie wieder könnte ich schwimmen gehen, ohne daran zu denken, wie viel Spaß Texomon im Wasser hätte und jedes Mal, wenn ich eine Höhle oder einen zerklüfteten Vulkan sehe, müsste ich daran denken, wie Texomon mit mir durch die Feuerprüfung gegangen ist. Sicher, du wärst ja immernoch bei mir, aber trotzdem bist du anders, wenn du Arkani bist. Viel stärker, eleganter und ernster und das ist toll! Aber das ist nicht die ganze Wahrheit an meinem Texomon." Arkani gab ein leises, schnurrendes Geräusch von sich, ehe er ihr die Nasenspitze abschleckte. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie es mich freut, dass du das sagst", sagte er leise, "Na komm! Lass uns zurückgehen! Gemeinsam halten wir auch diese Prüfung durch!" "Und Neru und Evoli können wir morgen ja mal anrufen", schlug Nerina freudig vor.

Eine gute halbe Stunde später hob Ella alarmiert den Kopf von ihrem Pokedex, als jemand das Lager betrat. Mit gerunzelter Stirn beobachtete sie, wie Nerina zu ihrem Swag ging, Texomon neben ihr. Dann war er also immer noch auf? Es mochte schon beinahe Mitternacht sein! Nerina kroch so leise sie konnte unter die Zeltplane, Texomon folgte und zog von innen den Reißverschluss zu. "Er schläft doch nicht ernsthaft mit dir im Swag?", fragte sie leise in das nächtliche Seufzen des Waldes, schüttelte ungläubig den Kopf und legte den Pokedex beiseite. Auch sie musste schließlich mindestens sechseinhalb Stunden schlafen, sonst wäre sie morgen nicht konzentriert genug - und morgen würde Botogels Training in die finale Runde gehen!
 

>>>Neru<<<
 

"Wie? Ich darf nicht mit rein?" "Naja..." Skeptisch ließ Neru den Blick von seinem Swag zu seinem, jetzt viel größeren Begleiter schweifen. Folipurba ließ verschnupft den Blick auf dem kleinen Swag ruhen. "Guck nicht so", murrte sie, "Ich seh auch, dass das ganz schön eng wird. Ich war nur immer bei dir." Neru streichelte ihr behutsam über den braungestreiften Rücken. "Ich weiß", sagte er mit bedächtiger Stimme. "Du kannst bestimmt bald wieder mit rein", flüsterte Neru und nahm sein Iramon nun vollends in den Arm. Folipurba sah immernoch ziemlich verschnupft aus. "Ich dachte, es hat Vorteile, wenn man größer ist, so wie Texomon." Neru seufzte. "Texomon hat auch nur selten drinnen bei Nerina geschlafen", erklärte er, "Die Swags sind einfach nur für eine Person gebaut." "Ja, ja..." Immernoch murrend kehrte Folipurba ihm den Rücken zu und legte ihren Blätterrankenschwanz ganz eng um ihren Körper. "Wär ich doch bloß wieder Evoli", murmelte sie verbittert vor sich hin.

Doch Folipurbas Ärger war schon am nächsten Morgen verflogen. Interessiert streunte sie in den nahen Büschen und Bäumen herum und probierte ihre neue Gewandtheit und Stärke tatkräftig aus. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie die Blätter an ihrem Schwanz lösen und mit ihrer Schwanzspitze katapultartig dorthin schleudern, wohin auch immer sie sie haben wollte. Ihr beweglicher, handähnlicher Schwanz schien ihr dabei von großer Hilfe zu sein, wie auch dabei, Kekse aus der Keksdose zu stibitzen oder Beeren zu pflücken. Folipurba ist eine sehr schöne Form!, dachte sich Neru, während er seiner neuen Begleiterin dabei zusah, wie sie mit Hilfe ihres Schwanzes einen Baum erklomm und sich dann kopfüber an einem Ast hängen ließ. Reptain war natürlich ebenfalls zu allen Späßen bereit und gemeinsam machten die beiden den Wald unsicher, während Neru von Mando in die unterschiedlichen Pflanzenattacken eingeführt wurde. Das Frühstück war an diesem Morgen eher karg ausgefallen und Neru wunderte sich immer mehr, wie Nerina diese vielen Gerichte hatte zubereiten können. Mando war ein durchaus interessanter Gesprächspartner, aber er war kein Ersatz für Nerinas Späße und Reptain konnte es an Kreativität auch lange nicht mit Texomon aufnehmen, selbst wenn man davon absah, dass Reptain nicht zu einem annähernd zwei Meter großen Hund oder zu einem Seeungeheuer werden konnte. Neru seufzte, als er an all die vielen Male dachte, die sie gemeinsam durch den Wald gegangen, Texomon und Evoli beim Spielen zugesehen und einfach nur geredet hatten. Hoffentlich würde die Normalprüfung gut ausgehen und er somit wieder zum Rest der Gruppe stoßen können. Folipurba schien zu spüren, dass mit Neru etwas nicht stimmte, denn sie kam zurück und stupste ihm ihre weiche Schnauze in die Seite. "Worüber grübelst du nach?", fragte sie. "Oh, ich hab an Nerina und Texomon gedacht", erklärte er. Folipurba hielt inne und sah ihn aus ernsten Augen an. "Ich denke auch viel an Texomon", erklärte sie, "Ob ihm seine Feuerform wohl gefällt?" Neru sah in die Ferne und konnte vor sich wieder den riesigen Feuerhund im Dunkeln erkennen. "Weißt du noch, wie groß er war?", fragte Folipurba, "Ich meine, für mich sieht jetzt alles kleiner aus, du bist kleiner wie zuvor und alles andere auch. Aber Arkani war immernoch ein Gigant. Ich bin richtig froh, ihm in einer größeren Form begegnet zu sein." Neru konnte sein Iramon durchaus verstehen. Es war nicht so das man sich vor Arkani fürchtete, dennoch schaffte seine Größe, die Muskeln, die sich über seine Brust zogen und die Augen, die von Energie und Tatenkraft glänzten, in einem den Eindruck zu erwecken, man wäre selbst ganz klein. Eine solche Erhabenheit und Macht strahlte Arkani aus, dass man ihm gar nicht widersprechen wollte. "Er hat eine wirklich wunderschöne Entwicklung gemacht", antwortete Neru immernoch von der wunderschönen Gestalt von Arkani in seinen Gedanken betört.

Am nächsten Tag erreichten sie einen Fluss, den Folipurba mit großem Interesse musterte. Auch Neru fühlte sich bei seinem Anblick an das Surfbrett erinnert, das er schon die ganze Zeit auf seinem Rücken trug und an das Geschirr, das in seinem Rucksack ruhte. Er hatte Muskelkater gehabt und war froh gewesen, als sie das Rennen endlich überstanden hatten, doch er musste zugeben, dass es ihm Spaß gemacht hatte, über das Wasser zu gleiten. Er konnte dieselbe Sehnsucht auch in Folipurbas Augen sehen. Doch dann sah sie an ihrer blättrigen Brust hinab, ließ den Kopf und den Schwanz sinken und trottete nur hinunter, um zu trinken. Es war wirklich zu schade. Neru konnte den traurigen Ausdruck in Folipurbas Augen nicht mehr ertragen. Mit einem schnellen Griff löste er das Brett von seinem Rücken und besah sich die Gewinde für die Schrauben der Räder genauer. Vater hatte die Räder in seinen Rucksack gepackt und nach nur wenigen Handgriffen hatte er die beiden gefederten, beweglichen Achsen mit den großen Rädern befestigt. "Lust auf eine Runde surfen Folipurba?", fragte Neru mit siegesgewisser Stimme. "Das ist ja eine coole Sache", rief Mando aus und besah sich das Brett genauer. "Mein Vater hat es mir geschenkt", erklärte Neru, der einer freudestrahlenden Folipurba das Geschirr anlegte und versuchte, dabei so wenig Blätter wie möglich zu knicken, "Ich hab die Räder noch nie ausprobiert, weil wir bis jetzt immer im Wasser gefahren sind, aber heute scheint ein guter Tag dafür zu sein." Reptain besah sich die Konstruktion aus Gurten und Seilen, während Neru probehalber auf das Brett aufstieg. Man konnte fast wie im Wasser das Gewicht verteilen und an den Bewegungen der Räder konnte er sehen, dass er so sogar passabel steuern konnte. "Wir gehen es langsam an", erklärte er Folipurba, die mit Feuer in den Augen vor ihm stand, "Der Boden hier ist anders wie das Meer, es kann sein, dass ich hier viel mehr Probleme habe." Doch dann ging die Fahrt los. Das Fahren auf dem festen Untergrund mit all den vorstehenden Wurzeln, Steinchen und Ästen war viel schwieriger, als er erwartet hatte und mehr als einmal musste er vom Brett springen, um einen Sturz zu vermeiden. "So habt ihr also das Rennen gewonnen?", fragte Mando, der sich, als sie von ihrer kleinen Fahrt zurückkehrten, das Geschirr genauer besah. Der letzte Sturz, den Neru gebaut hatte, war gegen einen Baum gegangen und ihm war für den Tag die Lust vergangen. "Willst du es mal probieren?", fragte er und Folipurba nickte zustimmend. "Es macht total Spaß,", erklärte sie begeistert. "Na gut." Unsicher stand Mando auf und stellte sich auf das Brett. Mühsam versuchte er, auf den Federn das Gleichgewicht zu halten. "Bitte gaaanz langsam!", rief er unsicher aus. Folipurba tat ihm den Gefallen und langsam trottete sie einmal um ihr Lager herum. Nach einer Weile wurde sie langsam schneller und Mando jubelte, während er auf dem Brett um das Lager gezogen wurde. Dabei verlor er jedoch das Gleichgewicht und in einem Kuddelmuddel aus Seilen und herumschlagenden Armen landete er auf seinem Hinterteil. "Ich schätze, das müssen wir noch üben", erwiderte er lachend, "Aber das Ding ist eine coole Sache." "Du solltest erst mal erleben, wie es im Wasser abgeht", schwärmte Folipurba, "Wenn ich erst wieder Aquanas Form annehmen kann, dann zeigen wir dir, wie richtiges Surfen geht. Mando hob beschwichtigend die Arme. "Aber auch das bitte gaaanz langsam!", entgegnete er und alle Anwesenden brachen in Gelächter aus, wobei es bei Reptain eher nach einem kichernden 'taaaiiiiin' klang. Folipurbas Lachen war viel höher, als Neru es erwartet hatte und klang irgendwie melodisch. Neru hörte auf zu lachen und besah sich sein neues Pokemon interessiert. Auch Mando schien zu überlegen, was er von dem melodischen Klang halten sollte. "Ich hab sowas schon mal in Eden gesehen, beziehungsweise gehört", erklärte er atemlos, "Wenn meine Vermutung richtig ist, kann Folipurba die Grasflöte." "Grasflöte?" Folipurba sah ihn mit skeptischem Blick an. "Was soll das denn sein?" "Es ist eine Attacke aus Eden", erklärte Mando, während sie sich wieder um das Feuer niederließen, "Wie könnte man es am ehesten erklären. Ihr kennt doch alle Pummeluff, oder?" Folipurba schnappte empört nach Luft. "Also, so schlimm seh ich nun wirklich nicht aus!" Neru legte ihr beruhigend den Arm auf die Schulter. "Nein, Nein, keine Spur", entschuldigte sich Mando, "Aber die Fähigkeit kommt dem Singen von Pummeluff gleich. Du kannst mit deinen Stimmbändern eine wunderschöne Melodie erzeugen, das klingt dann ähnlich wie bei einer Flöte, deswegen nennt man es so. Jedenfalls schlafen alle, die nicht genug Willenskraft besitzen, sofort ein." Folipurba blickte nachdenklich ins Feuer. Ein paar Töne rannen aus ihrer Kehle. "Ja, genau so!", bestätigte Mando. "Fühlt sich an, als würde man Aquaknarre machen", erklärte sie. Die einzelnen Töne wurden immer stärker und schwollen an, bis alles in ihnen zu ertrinken schien. Es war vielleicht noch nicht die schönste Melodie, doch sie erfüllte ihren Zweck. Jedenfalls war sich Neru darüber ziemlich sicher, als er die Augen wieder aufschlug und die Nacht schon hereingebrochen war. Auch Mando und Reptain hoben den Kopf. "Uups!" Folipurba sah beschämt zu Boden, "So war das aber nicht geplant." Mando lachte und nach einem Moment fiel auch Neru in sein Lachen ein. "Das können wir auf jeden Fall brauchen", erklärte Neru, "Wusste gar nicht, dass du so musikalisch bist." Ein Hauch von Stolz huschte über Folipurbas Miene und ihre Brust schwoll ein wenig an. "Ich hab viele verborgene Talente", erklärte sie mit ein wenig Eitelkeit in der Stimme. Die die Umstehenden noch viel mehr zum Lachen brachte. "...Und nach dem Frühstück folgt das Abendessen", erklärte Mando gut gelaunt.

Die folgenden Tage verstrichen damit, die neuen Attacken von Folipurba weiter auszubauen. Sie konnte zwar schon ziemlich gut mit den Rasierblättern umgehen und es bereitete ihr keine Mühe, sie hinfort zu schleudern, doch an der Präzision konnte durchaus noch gearbeitet werden. "Ja, versuch den Apfel dort zu treffen", rief Neru und deutete auf einen Apfel, der ganz hoch oben am Baum hing. "Und wenn er fällt, kannst du ihn vielleicht auch noch fangen." Folipurbas Augen verengten sich zu Schlitzen, während sie zielte. Ein einzelnes Blatt an ihrem Schwanz verfärbte sich von hellgrün zu dunkelgrün und rutschte ihn hinunter. Wie im Spiel nahm sie das Blatt in dem größeren an ihrem Schwanzende auf, wog es wie ein Steinewerfer probend in ihrer "Hand", holte dann mit ihrem Schwanz kräftig aus und schleuderte das Blatt, das sich wie eine Kreissäge um sich selbst zu drehen schien, in die Luft. Der Apfel wurde genau am Stiel getroffen und noch bevor eine Sekunde verstrichen war, stand Folipurba stolz unter dem Baum mit einem ein wenig zerdrückten Apfel in ihrem Schwanz. "Das sah echt cool aus", bestätigte Mando, "Du könntest noch versuchen, die Blätter horizontal kreisen zu lassen. Das ist zwar schwieriger, aber dadurch, dass sie dann gleiten können, kommen sie weiter und es ist leichter, zu zielen." Folipurba nickte und sah Reptain zu, wie er mit einem Blatt ihre Übung wiederholte. Tatsächlich kreiselte das Blatt horizontal und zerschnitt beim Auftreffen auf den Apfel denselbigen nicht zwangsläufig. "Es ist eine Übungssache", übersetzte sie sein aufgeregtes Schnattern für Neru. Ein Klingeln ertönte aus Nerus Rucksack, den er auf sein Surfbrett gebunden hatte. Es war viel leichter zu wandern, wenn Folipurba den Rucksack hinter sich her zog und Neru ihn nicht mehr zu tragen brauchte. Leider hatte es auch den Nachteil, dass er somit nicht mehr so gut an seine Sachen kam. So dauerte es einen Augenblick, bis er das klingelnde Handy gefunden hatte. Folipurba kam interessiert näher und als die Verbindung stand, konnten sie in das Gesicht eines großen Arkanis sehen. "Mann, der sieht ja klasse aus", rief Mando und betrachtete anerkennend Arkanis beeindruckende Gestalt. "Ich hab schon einige gesehen", erklärte er entschuldigend, "Aber das da ist einfach nur perfekt." Er verneigte sich, während sich Nerinas Stimme bedankte und Arkani zu noch gewaltigerer Größe anschwoll. "Wie geht es euch?", fragte Nerina. "So weit ganz gut", erklärte Neru, "Wir machen Fortschritte mit Folipurbas Attacken. Mando ist dabei eine echt große Hilfe, er erkennt die Attacken aus Eden." "Gestern hab ich alle schlafengelegt", rief Folipurba begeistert, während Arkani rot aufleuchtete und zu Texomon wurde. "Wie das denn?", fragte er verdutzt. "Ich kann jetzt Grasflöte", erklärte sie nicht ohne Stolz, "Und ich kann Äpfelpflücken, ohne den Baum erklettern zu müssen." "Ich kann die Äpfel zu Bratäpfeln machen." "Wie sind die anderen so drauf?", fragte Neru. Er freute sich, Nerinas Stimme zu hören. "Och, naja Ella ist ziemlich versessen auf ihr Training", erklärte Nerina und Neru konnte deutlich eine Spur von Bitterkeit in ihrer Stimme erkennen, "Taubsi und Nidoran benehmen sich wie Kampfmaschinen und man erwartet von mir dasselbe." "Geh auf Abstand", kommentierte Neru, "Und wenn sie dir krumm kommen, kann Arkani ihnen ja mal zeigen, wer hier wirklich stärker ist." "Du glaubst gar nicht, wie gut die trainiert sind", erwiderte Nerina, "Sie sind zwar unselbstständig und können nur auf Befehl agieren aber..." Sie beendete den Satz nicht und Neru verstand. "Lasst euch bloß nicht unterbuttern." "Taubsi ist total aufgeblasen", erklärte Texomon immernoch aufgeregt. "Das war sie schon immer!", warf Folipurba ein. "Ja, schon..." Texomon zögerte. "Aber jetzt lässt sie auf der Waldlichtung gar keinen Platz mehr. Du wirst von ihrem Ego erdrückt, wie in der Höhle eines Despotar." "Ist ja ekelhaft!" Angewidert zog Folipurba die Stirn kraus. "Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man seine Form nicht mehr verändern kann?", fragte Texomon und Nerina presste ihm rasch die Hand auf die Schnauze. Neru fühlte sich getroffen. In den letzten Tagen hatte er die Schuld, die er auf seinen und Folipurbas Rücken geladen hatte, ein wenig verdrängen können, doch jetzt brach die Welle wieder über ihn herein. Doch diesmal spürte er in sich eine Kraft, die gegen die negativen Gedanken ankämpfte. Folipurba sah unsicher zu ihm empor, doch dann lächelte er. Ermutigt antwortete sie: "Nun ja, ich hab mir eigentlich immer gewünscht, so groß und stark zu sein und oft ist es ziemlich cool, aber..." "Ich weiß, ich weiß", fügte Texomon hinzu, "Manchmal wäre man auch einfach mal gerne klein und kuschelig, das war das, worum ich dich immer beneidet habe, weißt du das?" Nerus Blick fiel auf seinen Pokedex, der blinkte. "Du, Nerina!", erklärte er, "Ich glaube, Papa hat uns eine E-Mail geschickt. Ich leite sie dir aufs Telefon weiter." Nerina nickte und Neru begann die Übertragung. Folipurba starrte sprachlos auf das Gesicht von Texomon, das durch das Handy übertragen wurde. "Du warst neidisch?", fragte sie stockend. Texomon kicherte in sich hinein und dann erschien Nerina wieder auf dem Display. "Ich glaube, wir müssen schlussmachen. Dort hinten kommt Sipho."
 

>>>Nerina<<<
 

"Sieht schon ganz schön blättrig aus, unser Evoli", kommentierte Texomon mit schiefgelegtem Kopf und schnaubte eine winzige Stichflamme in den rosigen Morgenhimmel, "Also, ich weiß nicht, mir wär das ja nicht ganz grün." Nerina strafte ihn mit einem mahnenden Blick. "Ich finde, sie sieht toll aus", erwiderte sie beschwichtigend und rief den Screenshot wieder auf ihr Display, den sie von Neru und Folipurba gemacht hatte, um sie endlich genauer zu betrachten. Zu Hause war Folipurba kaum zu sehen gewesen und dann war alles so schrecklich schnell gegangen. Als sie das Pflanzen-Iramon nun aber näher betrachtete, entdeckte sie immer mehr Ähnlichkeiten zu ihrer Ursprungsform. "Im Gesicht hat sie sich kaum verändert", stellte sie schließlich fest. "Ja", brummte Texomon, "Wenn man sich das Blatt auf ihrem Kopf wegdenkt und sich vorstellt, dass ihre Ohren nicht grün sind..." Nerina schnitt ihm eine Grimasse. "Jetzt sei nicht so! Weißt du, wie ein Myrapla aussieht? Wie 'ne Mirabelle mit Füßen! Und der Schwanz ist sicher total praktisch! Hast du gesehen, wie sie damit das Sterndu zerlegt hat?" "Ja!" Texomon nickte begeistert und sprang auf. "Ungefähr so! Beng!" Gut gelaunt nahm er Siegerpose an, rannte auf einen Felsen zu und ließ seinen eigenen Schwanz dagegenkrachen. Es klirrte, dann taumelte Texomon getrieben von seinem eigenen Schwung wieder zu Nerina zurück. "Huch!", stieß er außer Atem aus, "Was war das denn?" "Eine absolut schwachsinnige Aktion?", schlug Nerina vor und untersuchte seinen Schwanz auf Verletzungen, doch sie fand keine. Texomon schüttelte nachdenklich den Kopf. "Nee, das meine ich gar nicht. Es... Es hat überhaupt nicht wehgetan, eher so, als würde der Stein federn... Hm..." Erneut stürmte er auf den Felsen los und gab ihm einen harten Schlag. Diesmal sah Nerina, wie sein Schwanz für den Bruchteil einer Sekunde silbern aufleuchtete. "Ich hab eine Rille in den Stein geschlagen!", rief Texomon aufgeregt, "Sieh doch!" Rasch sprang Nerina auf die Füße und lief zu ihm. "Ja! Stimmt!", bemerkte sie aufgeregt und strich mit den Fingern über die feine aber deutlich sichtbare Ritze, die er geschlagen hatte. "Könnte das eine neue Attacke sein?", fragte Texomon und hüpfte aufgeregt neben ihr auf und ab, "Erinnerst du dich, ob ich sowas lerne, Nerina?" "Nunja..." Nerina kratzte sich verlegen am Kopf und fuhr herum, als jemand sich räusperte. "Sieht für mich wie Eisenschweif aus", sagte Sipho zurückhaltend und lächelte höflich. Für einige Sekunden starrte Nerina ihn fassungslos an. Sie hatte ihn vorhin beim Gespräch mit Neru an der Bergflanke an der anderen Seite des Tals auf sie zukommen sehen, ihn über all der Aufregung aber vollkommen vergessen. Doch dann siegte doch ihre Neugier über ihre Verlegenheit und sie trat rasch neben ihn, um auf seinen Pokedex zu schauen. Es war nicht der spezielle Pokedex, in den die Iramon eingetragen waren, den gab Ella vermutlich genauso ungerne aus der Hand wie Neru, sondern ein altes und verblichenes Exemplar, das er vermutlich aus irgendeiner Mülltonne gefischt hatte. Eine gute Idee eigentlich, dachte Nerina schuldbewusst und musterte verstohlen ihr am Boden liegendes Handy. "Eisenschweif", las sie dann laut vor, "Eine Stahl-Attacke! Sie ist besonders effektiv gegen Eis, Gestein, Pflanze und Drache. Normalerweise erlernen sie nur recht wenige Pokemon ohne gezieltes Training eines Experten und lange Übung." "Tja, ich wohl schon", kommentierte Texomon und sah auf seinen nun wieder ganz normal blauen Schwanz mit dem gelben Streifen darauf hinunter, "Auch wenn es schwachsinnig ist, dass ich eine Attacke lerne, die gegen mich selbst effektiv ist! Was, wenn ich mal schlafwandle?" "Auch Drachenattacken sind gegen Drachen effektiv", sagte Sipho und ließ sich auf einem Stein nieder. Nidoran trabte aus einem Gebüsch am Waldrand hervor und hockte sich stumm an seine Füße. Texomon legte den Kopf schief. "Eis, Stahl und andere Drachen", brummte er, "Das klingt nach einem äußerst starken Typus. Nun gut, aber immerhin kann ich Folipurba damit mal so richtig das Unkraut jäten." Nerina warf ihm einen verwunderten Blick zu. "Was hast du denn auf einmal gegen Pflanzen?", fragte sie aufgebracht, "Wir hätten um ein Haar selbst eine Pflanzen-Evotation gemacht!" "Das ist schwierig zu erklären", gab Texomon verschnupft zurück, "Ein Teil von mir hält sie für schrecklich gefährlich. Der andere nimmt sie nicht ernst. Das bringt mich immer durcheinander." Sipho bedachte Nerina mit eines skeptischen Blick. "Sollte es aber nicht trotzdem so sein, dass du Texomon die Attacken beibringst, statt dass ihr sie irgendwann einfach so entdeckt? Also, Ella und ich schauen immer nach, ob unsere Iramon auf den nächsten Leveln bestimmte Attacken lernen können und machen dann gezielte Übungen dazu." "Tja, so sollte es wohl sein", gab Nerina ein wenig beschämt zurück, "Es ist nur, naja... Texomon hat all seine Attacken von ganz allein gelernt. Ich weiß auch nicht, er kommt einfach irgendwann drauf. Weißt du noch, wie du deine Glut gelernt hast? Im Trainerkampf gegen dieses Lorblatt? Mann, hat der Typ dumm geguckt!" Lachend ließ Nerina sich ins weiche Gras sinken, rollte sich auf die Seite und Texomon lehnte sich gegen ihren Bauch und nickte stolz. Sipho zog die Nase kraus, während Nidoran schüchtern näher kam und sich an sein Bein lehnte. Verstohlen legte er ihm eine Hand auf den Rücken. "Ella meint, es ist nicht gut, sie zu sehr anzufassen", sagte er nach einer Weile in die Stille, "Damit sie nicht zu verwöhnt werden. Ihr beide habt unseren Alltag ganz schön durcheinander gebracht." Nerina zog die Nase kraus. "Ich halte nicht viel von zu vielen Regeln", erklärte sie barsch, "Das habe ich noch nie. Ich war immer der Meinung, dass man einfach auf sein Gefühl vertrauen muss. Vielleicht wird man damit nicht so stark wie Taubsi oder Nidoran, aber wir hatten doch eine Menge Spaß." "Dann trainiert ihr also gar nicht für eure Prüfungen?", fragte Nidoran leise. Texomon schüttelte heftig den Kopf. "Doch, sicher!", sagte er aufmunternd, "Aber ganz anders! Wir haben nie gegeneinander gekämpft - na gut, einmal", räumte er ein, als Nerina sich räusperte, "Aber das war was anderes. Da ging es um die Rangfolge." "Hat Evoli versucht, dir den ersten Platz abzujagen?" Nidoran kicherte, offenbar mutiger geworden, als Sipho nicht dazwischenging. Texomon schnaubte. "Die hat mittlerweile ganz schön aufgeholt", verkündete er zu Nerinas Überraschung sofort, "Jedenfalls ist sie verdammt schnell." "Wie trainiert ihr sie denn dann, wenn nicht im Kampf?", mischte sich nun Sipho wieder ein. Nerina seufzte, richtete sich halb auf und machte eine ausladende Geste an dem kahlen, von großen Felsen übersäten Hang des Hügels hinunter. "Heute Morgen haben wir uns ein paar Parcours zwischen den Steinen da überlegt", erzählte sie schulterzuckend, "Zum Beispiel werfe ich einen Apfel und Arkani muss ihn fangen, ehe er von allein liegenbleibt und darf dabei keinen der Steine berühren - oder nur Steine und nicht den Boden. So Rennspiele machen wir oft und ich denke schon, dass es ihn schneller und wendiger macht." "Hmmm", Sipho kratzte sich nachdenklich das Kinn, "Und es bereitet ihn wohl auch recht gut auf Agilität vor. Hast du Lust, das auch mal zu probieren, Nidoran?" "Klar!" Aufgeregt sprang Nidoran auf, "Was soll ich werden?" "Am besten Nidoking", schlug Sipho vor. Nerina warf ihm einen verwunderten Blick zu. "Nidoking ist doch ein Gesteinstyp! Der ist nicht dafür gemacht, um flink zu sein!" "Aber Rosana schmilzt in der Sonne!", versetzte Sipho hitzig. Nerina machte eine abwehrende Geste und deutete dann auf Nidoran und Texomon. "Warum schicken wir sie nicht so?", fragte sie, "Sie gehen beide auf zwei Beinen und Texomon ist nur etwas größer. Das Wettrennen wäre fair!" Sipho legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Nidoran? Na, ich weiß nicht, Nerina! Wir haben nie die Grundformen trainiert..." "Was? Warum nicht?", rief Texomon und stupste Nidoran neckisch mit seinem Horn, was Nidoran nach einem schüchternen Blick auf Sipho auch erwiderte. "Wir haben festgestellt, dass sie dieselben Techniken auch in ihren Evotationen beherrschen, wenn sie sie in der Grundform gelernt haben", erklärte Nerina etwas geduldiger, "Umgekehrt klappt es allerdings nicht immer so gut, darum haben wir bei generellen Dingen eigentlich hauptsächlich in der Grundform ... trainiert", beendete sie etwas unbeholfen ihren Satz. "Und außerdem wirst du Nidoran doch auch für die Elektroprüfung brauchen!", ergänzte Texomon altklug. Sipho schüttelte den Kopf. "Warum?", fragte er nun doch ein wenig genervt von so viel Besserwisserei, "Nidoking ist ein Gesteintyp. Der sollte bestens geeignet sein." "Für den Kampf, ja", entgegnete Nerina so beschwichtigend sie konnte, "Aber in der eigentlichen Prüfung sollst du Elektro ja verstehen und nicht nur meistern. Das war jedenfalls bei uns so. Mit einem Wassertyp hätten wir die Feuerprüfung kaum hingekriegt..." "Also, Unlicht hat mit Rosana ganz gut geklappt", widersprach Sipho und verschränkte trotzig die Arme, "Wir haben die Prüfung geschafft." "Aber trotzdem bin ich zu Nidoking geworden", warf Nidoran schüchtern ein. "Ja, wegen deinen Genen!", versetzte Sipho harsch, "Ich hätte wissen sollen, dass ein Mondstein dich zu Nidoking machen muss!" "Das glaube ich nicht einmal", sagte Texomon so ungewohnt ernst, dass sogar Sipho vergaß, beleidigt dreinzuschauen, "Ginge es nur um die Gene, wäre ich bei Wasser zu Impergator und bei Feuer zu Glurak geworden. Es muss also irgendwas anderes sein." "Da muss man ihm recht geben", piepte Nidoran aufgeregt, "Und ich hab mich als Rosana gar nicht wohl gefühlt mit Unlicht. Ich habe es gemacht und geschafft, aber ich hab immer gespürt, dass ich es nicht in mir drinnen haben will." "Weil Rosana zur Hälfte Psycho ist", ergänzte Nerina seufzend, "Das wäre eine Erklärung." "Dann meint ihr, ich soll die Elektro-Prüfung lieber mit Nidoran versuchen, weil er noch nicht spezialisiert ist..." Sipho seufzte tief und massierte seine Schläfen. "Ella wird das gar nicht gefallen! Was war eigentlich los gestern Abend? Ich hab euch streiten hören..." Nerina seufzte, stand auf und pflückte einen weiteren der halbreifen Äpfel von dem kleinen Bäumchen in dessen Schatten sie lag. Bedächtig wog sie ihn in der Hand. "Ihr dürft nur solchen Boden berühren, auf dem Gras wächst", erklärte sie den beiden angespannt wartenden Iramon, "Wer ihn als erster fängt, hat gewonnen! Also! Los!" Mit einem gewaltigen Wurf schleuderte sie die kleine, rote Frucht in den Abgrund. Mit einem sanften Schmatzen sprang sie an einem Felsen ab und kullerte weiter. Einen Herzschlag lang standen Texomon und Nidoran stocksteif, dann schossen beide los, hüpften in komplizierten Zickzackmustern gen Tal, einerseits bemüht, schneller als der jeweils andere zu sein, andererseits um das eigene Gleichgewicht kämpfend, denn die Grasflecken waren klein und oft weit auseinander und einige Male überkugelte sich einer von ihnen, bis sie hinter einem Felsen aus Nerinas Blickfeld verschwanden. "Ella wollte mir sagen, dass ich falsch mit Texomon umgehe und so", beantwortete sie dann Siphos Frage, "Weil er noch nicht so stark ist. Aber dann kamen wir irgendwann an den Punkt, dass ich Texomons Herrin wäre und da bin ich dann, denke ich, sauer geworden. Was hälst du von dieser ganzen Sache, Sipho?" Sie bemerkte, dass er sich verstohlen nach allen Seiten umsah, dann zuckte er mit den Schultern. "Ich weiß nicht", sagte er leise, "Ella hat immer alles richtig gemacht. In der Schule war das so und auch daheim und sie weiß viel mehr über Pokemon als ich. Sie hat schon mit vier die Raupy in unserem Garten trainiert... und auch Opa hat ihre Methoden immer gutgeheißen. Irgendwas wird also dran sein." Nerina nickte gequält und seufzte tief. "Tja, vielleicht sind wir auch einfach immer zu nachlässig gewesen", räumte sie ein, während irgendwo im Tal Fels auf Fels knallte, offenbar war die Eroberung des Apfels heftiger geworden als angenommen, "Wir sind beide keine Experten auf dem Gebiet. Vater wollte es nie. Er sagte immer, wir würden das schon richtig machen, wenn es soweit ist... Und Texomon ist wirklich der beste Freund, den man sich wünschen kann", fügte sie noch warm hinzu, als Nidoran außer Atem angeflitzt kam, den Apfel stolz auf der Spitze seines Hornes gespießt, während Texomon hinter ihm herstürmte und den Apfel mit gewaltigen Flammenstößen zu treffen versuchte. "Jep! Bratapfel am Spieß", kicherte er, als eine Attacke traf und sie beide sich überschlagend zum Halten kamen. Nerina warf ihm einen neckischen Blick zu. "Hee! Was war los? Da warst du doch sonst immer so gut!" "Er ist kurz vorm Schluss in einen Stein gelaufen, weil er dauernd nach hinten zu mir geguckt hat", kicherte Nidoran und kassierte dafür einen spielerischen Eisenschweif in die Flanke. "Egal! Nächstes Mal! Also, diesmal tretet ihr nur auf solche Stellen mit Gänseblümchen", schlug Sipho unsicher vor und warf selbst einen Apfel. Sofort stürzten die beiden wieder los. Nachdenklich sah Sipho den beiden Iramon nach. "Ella ist sehr ehrgeizig", sagte er nach einer Weile eher zu sich als zu Nerina, "Sie macht sich sehr große Sorgen, ob wir es schaffen können. Das zerfrisst sie und es steckt ganz schön an, das kannst du mir glauben. Glaubst du denn, dass wir es schaffen?" Kurz zögerte Nerina, dann sagte sie leise: "Ich weiß es nicht, Sipho. Aber wir werden es versuchen und bis jetzt gab es doch auch immer einen Weg. Ich glaube nur, dass Ella sich zu sehr verkrampft. Angst vor einer Sache kann schlimmer sein als die Sache selbst." "Sie meint, es hilft ihr", erwiderte Sipho leise, "So war es schon immer, sagt sie." "Aber Taubsi und Nidoran hilft es nicht, Sipho! Die zwei müssen nicht nur ihren Körper trainieren, sondern auch ihren Geist - und sie müssen wissen, wofür sie kämpfen!" Kurz starrte Sipho sie an, als sei sie ein Geist, dann stand er hastig auf und pfiff Nidoran zu sich, der diesmal hinter Texomon her den Hügel erklomm. "Wir müssen gehen", sagte er hastig, "Bevor Ella zurück ist. Sie hat zwei wilde Rihorn zum üben gefunden, aber die werden sie kaum lange aufhalten. Sei gegen Mittag wieder beim Lager, damit wir Marmoria noch heute erreichen!" Damit wandte er sich ab und schritt eiligst davon, ein verwirrtes Nidoran auf den Fersen. Traurig sah Texomon ihnen nach. "Und dabei war's grade so lustig", brummte er, doch Nerina lächelte nur beschwichtigend. "Lass sie", sagte sie leise, "Sipho hat über einige, wichtige Dinge nachzudenken..."
 

>>>Neru<<<
 

"Also gut", seufzte Mando, "Fassen wir nochmal zusammen. Du bist ein Trainerkollege aus Eden und möchtest als Zweigstelle für Team Rocket dort eine Normalarena gründen. Dafür müssen wir dich selbstverständlich auf die Probe stellen und dich der Normal-Prüfung unterziehen." Neru nickte. "Dein Name ist Karu und dein Folipurba war ursprünglich dein Evoli-Starter, der sich im Ewigwald entwickelt hat." Neru nickte und schlug den Ewigwald mit zitternden Fingern auf seinem Pokedex nach. Der Plan, den Mando hatte, war so einfach wie genial. Allein sein Name und sein Ausweis würden ausreichen, um für sie alle Pforten und Tore zu öffnen, es blieb nur zu hoffen, dass Mandos Vater Gringo nichts bemerkte und keiner der Mitglieder von Team Rocket auf den Gedanken kam, ihn um Erlaubnis zu fragen. Der gesamte Plan war höchst riskant. Wenn sie entdeckt werden würden, saßen sie buchstäblich in der Falle. Die ganze Arena hatte eher die Form eines mittelalterlichen Bollwerks als die eines normalen Gebäudes. Wenn sie sich so auslieferten und entdeckt werden würden, hatten sie kaum eine Chance, wieder herauszukommen. Neru strich sich eine Strähne des blonden Haares aus dem Gesicht, dem sie mit dem Färbemittel aus der Stadt einen neuen Teint verpasst hatten. Dazu trug Neru lange Kleider in grellen Farben, die die Aufmerksamkeit der Mitglieder von Team Rocket von seinem Gesicht auf seine Kleider ziehen sollte. Zusätzlich hatten sie Neru noch einen leichten Bart-Flaum, für den er normalerweise noch viel zu jung war, verpasst. Die Kostümverleihe waren wirklich das Beste, was ihnen hatte passieren können. Eine Sonnenbrille vervollständigte das Bild und nicht mal Nerus Mutter hätte ihn wiedererkennen können. "Ich hab deinen Namen und all deine Daten in die Datenbank hineingeladen", erklärte Mando mit ernster Miene, "Hier ist dein Ausweis als Team Rocket Mitglied und dein Trainerpass aus Eden. Ich hab meinen ein wenig modifiziert." Staunend nahm Neru die beiden Pässe entgegen. "Wenn alles gut geht, sollten die meine nicht auch noch sehen wollen. Nicht, wenn sie Probleme mit meinem Vater wollen." "Die Verkleidung sieht gut aus", bemerkte Folipurba mit einem belustigten Unterton, "Da muss ich aufpassen, dass ich dich auch wiedererkenne." Neru nickte nervös. "Ich hoffe nur, das geht auch glatt." "Wird schon", antwortete Mando zuversichtlich, "Versuch nur, so selbstbewusst wie möglich rüberzukommen, immerhin willst du Arenaleiter in Eden werden." Neru schluckte. Ich fühle mich gar nicht wie ein Arenaleiter, dachte er im Stillen, eher wie ein Feigling, der ganz schön Angst hat, seine Rolle zu spielen. Doch er schluckte seine Zweifel hinunter. Das war eine der letzten Chancen, die Iramonmission zu retten und er wollte seine Freunde nicht im Stich lassen und auch sein Evoli wieder in den Arm schließen und mit Aquana durch die Wellen reiten. Folipurba sah ihn mit großen, ernsten Augen an. 'Wir schaffen das', erklang die betonte Stimme in seinem Kopf. "Für dich", wandte Mando sich nun an sie, "Gilt absolutes Sprechverbot. Wenn auch nur ein einziger Laut, der nichts mit dem Namen Folipurba zu tun hat, über deine Lippen kommt, fliegen wir mit höchster Wahrscheinlichkeit auf. Team Rocket weiß, das die Iramon sprechen können und die Anzahl der sprechenden Pokemon ist stark begrenzt." Folipurba warf ihm einen verdrießlichen Blick zu, ließ sich auf ihr Hinterteil fallen und sagte dann: "Foli-Purba!", wobei sie es schaffte, dass selbst dieses eine Wort beleidigt klang.

Wenige Minuten später standen sie am Portal der Arena. Große, eichene Tore mit großen Schlössern und das Siegel von Team Rocket verriegelten das Tor auf beunruhigende Weise. Neru schluckte und schob sich die Sonnenbrille auf der Nase zu Recht. Auch wenn er Folipurba durch die getönte Brille nur schwer erkennen konnte, glaubte er doch, dass auch Folipurba ein wenig blasser aussah, als noch vor ein paar Minuten. Nur Mando strahlte unverhohlene, ruhige Gelassenheit aus. "Das wird schon", sagte er zu Neru, während er den großen, bronzenen Türklopfer, mit dem man laut Nerus Meinung unleidige Mitmenschen erschlagen konnte, und klopfte. Die Tür wurde von einem grimmigen Mann geöffnet. "Ausweise!", blaffte er in die Runde und musterte dann die beiden Jungen und das Pokemon vor der Tür. Mando sagte nichts und der Mann betrachtete ihn genauer. Erkennen spiegelte sich auf seinem Gesicht. "Mando, der Sohn des Chefs", keuchte er und Mando lächelte immernoch unscheinbar. "Willst du wirklich meinen Ausweis kontrollieren?", fragte er mit gerunzelter Stirn, "Mein Vater..." "Nein Nein, nicht nötig, junger Herr!" Der noch vor Sekunden so grimmige Türwächter verbeugte sich tief und stieß dabei die Flügel der großen Eichentür weit auf. "Das hier ist ein Freund aus Eden", erklärte Mando mit einer lässigen Handbewegung zu Neru, "Er ist erst seit kurzem Mitglied bei uns." Der Türwächter nickte nur und winkte sie herein. "Ich würde gern den Arenaleiter sprechen", sagte Mando und ein befehlender Unterton lag in seiner Stimme, als sie die Arena betraten. "Der Herr Arenaleiter ist im Augenblick außer Haus." "Außer Haus?" Mando drehte sich nach dem Türwächter um, der bereits wieder dabei war, das Tor zu verschließen, "Was soll das heißen?" "Ich weiß nicht, junger Herr", erklärte der Türwächter, "Aber ich denke, er hat einen Stellvertreter da gelassen, "Soll ich weitere Erkundigung einziehen?" "Nein, danke." Mando lächelte sein süffisantes Lächeln, "Ich glaube, ich besuche diesen Stellvertreter mal." Mit diesen Worten schritt er weiter die Gänge der Arena entlang, einen sprachlosen Neru auf den Fersen. 'Mando war klasse, telepathierte ihm Folipurba, die ihrerseits Mando mit großen Augen musterte. Da musste Neru ihr auf jeden Fall recht geben. Mit was für einer Selbstverständlichkeit er den Diener herumgescheucht und ihn damit davon abgehalten hatte, ihre Ausweise zu kontrollieren. Vor diesem Jungen musste man sich wirklich vorsehen. "Hoffen wir, dass er nur den Leuten hier etwas vorspielt", flüsterte Neru ihr zu und sie sah ihn erst mit fragendem, dann mit skeptischem Blick an. "Ich behalt ihn im Auge", Erklärte sie. Mando führte sie einen Gang hinunter und zog sie dann in eine kleine Abstellkammer. "Die Arena ist nahezu leer", erklärte er, "Das ist sehr, sehr ungewöhnlich. Normalerweise wimmelt es hier geradezu von Team Rocket Mitgliedern." Mit gerunzelter Stirn zog er seinen Pokedex aus der Tasche und loggte sich ins Netzwerk ein. "Vielleicht ist es etwas wichtiges", erklärte er entschuldigend, während er sich durch die Post und die Mitteilungen der letzten Zeit klickte. Er brauchte nicht lange, um den entscheidenden Eintrag zu finden. Mandos Miene wurde weiß. "Sie sind auf dem Weg nach Marmoria, man hat die Iramontrainer dort gesichtet." Neru verschlug es die Sprache. Mando sah aus wie ein Gespenst und das Fell von Folipurba sträubte sich. "Was können wir tun?", fragte Neru und dachte fieberhaft nach. "Laut dem, was ich weiß, können sie noch nicht lange dort sein. Vielleicht können wir die anderen warnen." Neru nickte und schrieb mit fliegenden Fingern eine Nachricht an Nerina. "Ich hoffe nur, sie bekommt sie rechtzeitig. Nach Marmoria ist es viel zu weit", sagte Neru verzweifelt, "Wir können ihnen nicht helfen." "Vielleicht doch. Hast du deinen Laptop dabei?", fragte Mando, "Vielleicht können wir ihr Kommunikationsnetz ein wenig verrückt spielen lassen. Meinst du vielleicht falsche Fährten legen?", fragte Neru, während er sein Netbook hochfuhr. Mando grinste ihn an. Mit verstellter Stimme sprachen sie ein paar Nachrichten auf Band. Ein kleines Programm würde während der nächsten drei Stunden eine Nachricht nach der anderen senden und somit falsche Hinweise und Aufenthaltsorte, so wie Sichtungen bekanntgeben und zwar auf allen Team Rocket Frequenzen. "Das kostet mich meine Lizenz", erklärte Mando, "Dafür sperren die meinen Account." "Nerina und die anderen sind das einzige, was zählt", sagte Neru mit fester Stimme. "Es klingt vielleicht jetzt ein bisschen pietätlos", erklärte Mando, "Aber solange die größten Köpfe von Team Rocket in Marmoria beschäftigt sind, kannst du hier in aller Ruhe die Prüfung machen." Neru sah ihn für einen Moment fassungslos an. Er wollte Nerina unter allen Umständen helfen. "Du hast recht", sagte er mit Überwindung nach einer kurzen Pause, in der er mit sich gerungen hatte, "Lass uns diesen Verwalter suchen, vielleicht bringen wir die Sache schnell hinter uns. Diesmal hält uns Nerina den Rücken frei, dachte er, Sie hat das zwar nicht beabsichtigt, aber ich will mein Bestes geben und die Prüfung schaffen.

"So? Du willst also eine Arena eröffnen?", fragte Minto, der Arenaleitervertreter. So, wie er es aussprach, klang es skeptisch. Neru und Mando sahen sich kurz an und Neru versuchte, selbstbewusst auszusehen, doch bevor noch irgendjemand etwas sagen konnte, sagte Minto, während er ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch hob: "Ich glaube eher, du bist ziemlich dumm, hier aufzutauchen, Neru von Zinobia." Damit drehte er das Blatt um und zeigte ein hochauflösendes Foto von ihm und Evoli. "Dass dein Evoli eine weitere Entwicklung gemacht hat und, dass deine Haare eine neue Farbe haben, ändert daran rein gar nichts. Von dir, Mando -" Damit drehte er ihm das Gesicht zu - "Hätte ich mir mehr erwartet. Dein Vater wird die Meldung eurer Gefangenname gar nicht gut auffassen. Schlurp! Tauross! Macht sie platt!" Damit warf er zwei Pokebälle auf einmal und Mando warf seinen Pokeball mit Reptain. Folipurba spannte all ihre Muskeln und legte ihre Blätter an. 'Uääh! Was ist denn das!', rief sie aus, als das Schlurp sich vor ihr materialisierte. "Das ist ein Schlurp!", erklärte Neru mit einem Lächeln im Gesicht, das so gar nicht zur Situation passen wollte. 'Es sieht unhygienisch aus!', erklärte Folipurba, während sich ihre Blätter wieder vor Ekel abspreizten. Schlurp ließ unheilverkündend seine Zunge wackeln und wiegte seinen fetten, unförmigen Körper im Takt einer unhörbaren Musik. Direkt neben ihm war ein riesiges Tauros erschienen, das nun damit begann, mit gesenktem Kopf auf Reptain loszugehen. Reptain konnte den Attacken mühelos ausweichen, doch Neru hatte nun keine Zeit mehr, auf den Kampf zu achten, denn im selben Augenblick schnellte Schlurps Zunge vor und packte das immernoch vor Ekel wie angewurzelt dastehende Folipurba. Langsam hob das fette, rosane Pokemon das kleinere Pflanzenpokemon in die Luft und Folipurba ließ einen ganzen Hagel von Beschimpfungen, sowohl tatsächlich als auch geistig los, während sie sich gegen die überdimensionale Zunge sträubte. Ein Schlag ihres Schwanzes traf Schlurp genau ins Gesicht, im nächsten Augenblick fiel Folipurba aus dem Griff der Zunge heraus und ihre Augen glühten angriffslustig auf. "Das bezahlst du mir!", stieß sie langsam, leise und sehr bedrohlich aus. Neru kam es vor, als wären ihre Worte von einem leisen Knurren unterlegt. Dann schossen auf einmal Dutzende von Blättern durch die Luft und trafen das Schlurp. Schlurp bäumte sich auf, als einige der blättrigen Geschosse seine Zunge trafen und ging mit einer Pfundattacke in den Gegenangriff über. Der Schlag ließ Folipurba über den Boden schlittern, hielt sie jedoch nicht davon ab, weitere Blätter nach dem Pokemon mit der Zunge abzufeuern. Neru konnte gar keinen klaren Gedanken mehr fassen, so sehr wüteten die Beschimpfungen und Flüche, die Folipurba geistig auf ihren Kontrahenten abfeuerte. Immer wieder wurde Folipurba von den Attacken des Schlurp getroffen. Es muss ziemlich stark sein, überlegte Neru in einem kurzen Augenblick der Ruhe. "Versuch es mal mit Ruckzuckhieb!", riet er Folipurba. Diese schaute ihn für einen Moment verdutzt an, doch dann nickte sie. So schnell sie konnte umrundete sie das langsamere Pokemon und verpasste ihm einen Ruckzuckhieb genau in den Allerwertesten, der es über den Hallenboden taumeln ließ. Neru besah sich das Schlurp, das sich gerade wieder langsam aufrichtete und wusste, dass sie nur noch eine Chance auf den Sieg hatten. Mando war mit seinem Reptain ziemlich in Bedrängnis geraten und die Feuerattacken, die das Tauross auf sein Pokemon abfeuerte, würden wohl über kurz oder lang den Kampf entscheiden. "Folipurba! Grasflöte!", rief Neru und hielt sich gleichzeitig die Ohren zu. Auch Mando hatte den Ruf gehört und ein lächeln umspielte seine Lippen, als auch er sich die Handflächen auf die Ohren presste. Es dauerte nur etwa zwei Minuten, dann lagen sowohl Schlurp, als auch Tauross und Minto schlafend auf dem Boden. "Coole Sache", sagte Mando bewundernd, "Ich würde sagen, das können wir als Orden anerkennen lassen." Mit diesen Worten nahm er Minto einen der Normalorden ab und legte ihn Neru in die Hand. "Und jetzt komm, lass uns diesen Loser hier aus dem Weg räumen, bevor er wieder Schaden anrichten kann."

Nachdem sie Minto gefesselt in einer Abstellkammer zurückgelassen hatten, folgte Neru Mando auf dem Weg zum Prüfungsraum und damit zur Normalprüfung.
 

>>>Nerina<<<
 

Die Erdarena war ein großer wennauch auf prunkvolle Weise grimmiger Bau mit dicken Wänden, winzigen Fenstern und einem hohen Wachturm in der Mitte. Eine Art Burgmauer umgab sie und schirmte sie vom Rest der kleinen Bergstadt Marmoria wirkungsvoll ab und als ob das noch nicht genug wäre, entdeckte Nerina sogar einige Wachposten auf der wehrgangartigen Krone der Mauer. Nervös strich sie sich eine Strähne ihres nun engelblonden Haares aus der Stirn und klopfte vorsichtig gegen Texomons Papp-Masche-Kopf. "Alles klar, Tyracroc?" "Tyra-Tyra!", entgegnete Texomon beinahe melodisch, während seine Stimme in ihrem Kopf zischte: 'Ich stolpere dauernd über diese gigantischen Schwimmfüße und weiß nicht, wie ich laufen soll, ohne die Beine zu bewegen! Außerdem rutscht das Kissen dauernd!' Tyracroc schien sich schmerzhaft den Bauch zu halten. "Oh, das wird schon!", verkündete Nerina laut und zwickte ihn aufmunternd in seinen wabbeligen Kissenspeck, während sie hinter vorgehaltener Hand die Leine um seine Taille enger zu ziehen versuchte, "Du brauchst nicht aufgeregt sein! Hee, du kannst doch sogar schon die Aquaknarre! Damit kriegen wir sicher den Erdorden!" "Ty-Ty!", machte Texomon und ein amüsiertes Kichern drang unter dem Papp-Masche hervor. Ella warf Nerina einen eisigen Blick zu. "Ist ja fabelhaft, dass euch das soviel Spaß macht", schnappte sie, "Trotzdem verstehe ich nicht, warum Tyracroc nicht in seinem Pokeball sein kann!" "Ty-Ty-Ty!", protestierte Texomon aufgebracht und Nerina übersetzte: "Es hat so furchtbar Platzangst seit dieser dummen Geschichte mit dem Garados..." Ella schnitt ihr eine Grimasse, doch da wandte sich der Torwächter endlich ihnen zu. "Name?", fragte er grob. Ella hob tapfer den Blick. "Liliana", sagte sie fest, "Von Dukatia. Ich möchte den Erdorden erlangen!" "Und mit welchen Pokemon trittst du an, Liliana?", fragte der Wächter, während er hektisch auf sein Klemmbrett kritzelte. "Botogel", sagte Ella rasch. Kurz entstand eine kleine Pause, dann sagte Nerina leise: "Und dein Kramurx?" "Und Kramurx", wiederholte der Wächter und notierte auch dies. Ella warf Nerina einen Blick zu, der gute Chancen gehabt hätte, einen Vulkan einzufrieren. "Ich werde nur mit Botogel antreten", sagte sie scharf, "Verzeihen sie bitte. Meine Freundin ist manchmal ein wenig durcheinander. Sie ist aus Azalea und hat sicher mal einen Sonnenstich abbekommen." "Nur ein Pokemon tritt an", übersetzte der Wächter, der unter chronifizierter, selektiver Taubheit zu leiden schien, "Fein, dann geht grade durch und wartet im Hof oder auf den Zuschauerbänken, bis jemand euch aufruft." Gehorsam trotteten Ella, Sipho und Nerina an ihm vorbei auf einen großen, kopfsteingepflasterten Burghof. Kaum hatten sie eine ruhige Ecke erreicht, als Ella sich zornesrot im Gesicht an Nerina wandte. "Was sollte das?", fragte sie außer sich, "Bist du denn bescheuert? Um ein Haar hätte Taubsi zweimal antreten müssen! Wage es ja nicht nochmal, in meinen Angelegenheiten rumzupfuschen!" "Tschuldige..." Nerina seufzte und lehnte sich schwer gegen die Wand, "Ich hab mich nur so gewundert, dass du Botogel setzt, obwohl Kramurx viel stärker ist." "Ich hab Botogel seit Wochen auf diese Prüfung trainiert", sagte Ella kühl, "Flug ist absolut immun gegen Bodenattacken und Eis ist gut gegen Gestein. Sie ist die perfekte Wahl." "Liliana aus Dukatia?", rief in dem Augenblick eine Stimme aus dem inneren der Halle und Ella machte auf dem Absatz kehrt und stürmte hinein, Sipho und Nerina auf den Fersen, die es sich in den fast leeren Zuschauerbänken bequem machten. "Tyracroc", sagte Texomon, vermutlich nur, um irgendwas zu sagen und grub die Krallen in das Geländer, während er verzweifelt versuchte, die großen Stufen hinaufzuhopsen. Sipho sah sich nervös um. "Ich hoffe, sie zieht das schnell und sauber durch", sagte er durch zusammengebissene Zähne, "Ich möchte hier keine Minute länger bleiben als notwendig..." Unten in der Arena schüttelte Ella die Hand einer breitschultrigen, jungen Frau. "Ich bin Opal", stellte die Arenaleiterin sich vor und fuhr fort, Ella die Regeln zu erläutern. Dann schritt sie auf die jenseitige Seite des Ringes, bedachte das Zettelchen, das der Wächter ihr gebracht hatte, argwöhnisch und wählte einen Pokeball. "Ich wähle dich - Stahlos!" Ein Dröhnen erklang, wie von einem Erdbeben, als sich der sechs Meter lange Stahlkoloss in den Ring schob. Nerina hielt die Luft an und auch Texomon quietschte erschrocken. Noch nie zuvor hatten sie solch ein gigantisches Pokemon aus der Nähe gesehen. Auch Ella schien durcheinander. Alle Farbe wich aus ihren Wangen und sie taumelte einen Schritt zurück. "Das... Das ist doch kein Boden-Typ!", protestierte sie, doch Opal lächelte nur. "Auch Stahl ist eine Form der Erde, Liliana. Man sollte immer auf alles vorbereitet sein." "Sie muss Kramurx nehmen!", zischte Nerina Sipho zu, "Stahl ist doch effektiv gegen Eis!" Sipho nickte, schluckte hart und rief dann laut: "Nimm Kramurx, Lily!" Ella warf ihm einen glühenden Blick zu, dann schloss sie vollkommen die Augen. Sie hatte Kramurx nicht für diesen Kampf vorbereitet, wie Nerina wusste, hatte sich ganz und gar auf Botogel verlassen. Doch das leise mahlen, das von Stahlos gewaltigem Körper ausging, verriet unzweifelhaft, dass das Stahlpokemon mit Botogel kurzen Prozess machen würde. "Ich wähle dich, Kramurx", rief sie dann mit dem Mut der Verzweiflung und warf einen Pokeball. In einer Woge aus schwarzen Schatten erschien Kramurx - offenbar hatte sie Taubsi beigebracht, sich zu verwandeln, ehe es richtig materialisiert war. "Kramurx! Flieg über ihn hinweg und probier's mit Finte!", rief sie ein wenig unsicher und der Kampf begann.

Es war ein zähes Ringen der beiden so unterschiedlichen Wesen und lange wogte der Kampf hin und her. Nerina sah, wie Ella ins Stocken geriet, umständlich versuchte, Kramurx Angriffsstrategien zu erklären, das ohne ihren Befehl vollkommen teilnahmslos in der Luft stand. Sipho ächzte leise. "Oh nein!", murmelte er aus dem Mundwinkel, "Das totale Desaster! Warum setzt sie ausgerechnet Stahl!" "Vielleicht, weil Lily mit einer zu effektiven Wahl aufwahrten konnte?", fragte Nerina schulterzuckend. Der Kampf zog sich dahin, er ähnelte eher einem Ausbluten, doch Ella und Kramurx gaben nicht auf, auch, als Stahlos das Flugpokemon zu fassen kriegte und in seinen finalen Wickel umschloss, hörte Kramurx nicht auf, seinen Bauch mit Finten zu attackieren und sich dabei so heftig zu winden, dass es freikam. Völlig erschöpft flatterte es an die Decke, hielt kurz inne und ließ sich dann mit gespreizten Klauen auf Stahlos' Kopf fallen. Das Stahlpokemon ging besiegt zu Boden und Opal überreichte Ella lächelnd den Erdorden. "Das war zwar ein gutes Stück Arbeit", sagte sie freundlich, "Aber du hast meine harte Nuss geknackt." Ella nickte. Sie war ganz bleich im Gesicht, aber dennoch kam sie gleich zum wichtigen Teil der Veranstaltung. "Könnte ich wohl jetzt bitte mit Sandy sprechen, der obersten Arenaleiterin? Ich habe eine Nachricht für sie von Moony aus der Unlichtarena..."

"Ufff... Das war eng", murmelte Sipho immernoch beeindruckt, als er und Nerina einige Minuten später durch die schmalen Gassen Marmorias bummelten, jeder eine üppig ausgestattete Eiswaffel in der Hand, "Ich hätte zwischendurch echt gedacht, es wäre alles zu spät." Nachdenklich zuckte Nerina die Schultern. "Sie hat äußerste Zähigkeit bewiesen", sagte sie nicht ganz ohne Bewunderung, "Und, dass sie die Erdprüfung trotz allem gleich durchziehen will, da gehört schon echt ein starker Wille dazu. Ich war nach meinem Wasserkampf viel zu müde und Tyracroc auch..." "Croc-cy!", machte Texomon vielsagend und gähnte. Sipho musste leise lachen. "Habe noch nie ein Tyracroc mit soviel Humor gesehen", bemerkte er stirnrunzelnd, wurde dann aber gleich wieder ernst. "Nunja... Schließlich wäre es aber auch nicht gut, zu lange in derselben Stadt zu bleiben. Wir könnten... teuer bezahlen. Also, das Hotel und so..." Nerina unterdrückte ein Kichern. Ella und Sipho hatten darauf bestanden, zu allen Zeiten, während sie in Marmoria waren, ihre falschen Namen zu benutzen und nie ein Wort über die eigentliche Mission zu verlieren. Also nickte Nerina nur vielsagend. "Ja und dann haben wir ja auch noch unsere Verabredung in Viola... Trotzdem schade. Die Stadt ist recht hübsch, findest du nicht?" Verträumt ließ sie den Blick über die vielen, kleinen Häuser rund um den Marktplatz herum schweifen, über den sie gerade gingen. Marmoria wirkte auf seltsame Weise gedrängt und heimelig zugleich, als kuschelten sich die Häuser gegen die Kälte zusammen. Ihre roten Ziegeldächer berührten sich beinahe immer, manchmal überdachten sie sogar die engen Kopfsteinpflastergassen. "Tyracroc!", rief Texomon plötzlich begeistert aus und deutete eine lange Gasse hinunter, an deren Ende Nerina eine Art Schiff zu erkennen glaubte. "Vielleicht geht's da zum Fluss!", schlug sie vor, "In Marmoria gibt's doch einen..." 'Lass uns nachsehen!', zischelte Texomon in ihren Gedanken und so bogen sie in die Gasse ein, zwängten sich zwischen den nahen Wänden hindurch, bis sie eine Art Park erreichten, der von zwei Seiten vom Fluss begrenzt wurde. An seiner dritten Seite ragte das Pokemon-Center als große, prunkvolle Villa auf, die auf merkwürdige Weise nicht zu den anderen Häuschen passen wollte, ganz so, als habe sie sich hierher verlaufen. Der Park war bis auf eine kleine Gruppe Trainer verlassen, die im Rasen am Flussufer saßen und gerade einer handvoll Wasserpokemon dabei zusah, wie sie im Fluss herumpaddelten. "Hee! Du hast doch ein Tyracroc!", rief ein Mädchen lachend Nerina zu, "Lust auf einen Probekampf?" Doch Nerina winkte lächelnd ab. "Heute nicht", sagte sie beiläufig, "Er muss noch durch die Bodenarena und da sollte er ausgeruht sein... Vielleicht beim nächsten Mal." "Meinst du wirklich, mit einem Tyracroc schafft man das?", fragte ein anderes, jüngeres Mädchen besorgt. Die ältere lachte auf. "Mit einem Tyracroc schon, Twyla, aber nicht mit einem Pummeluff..." Die anderen lachten, doch Twyla sah unvermittelt Nerina an, kleine Tränen glitzerten in ihren Augen. Rasch lief Nerina zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Pummeluff ist ein starkes Pokemon!", sagte sie ernst, "Normaltypen sind äußerst zäh und grade die kleinen sind sehr einfallsreich. Weißt du, dass mein Bruder mit einem Evoli den Quellorden geholt hat?" Anerkennendes Raunen brach in der Gruppe aus, sodass Nerina sich genötigt sah, die ganze, lange Geschichte von Nerus fabelhaften Sieg in allen Farben zu erzählen, natürlich peinlich genau darauf achtend, kein Detail über die Iramon preiszugeben. Twylas Wangen glühten, als sie fertig war und entschlossen stand sie auf. "Dann werde ich jetzt gehen und den Erdorden holen!", verkündete sie fest, "Ich werde es euch allen zeigen! Komm, Nyana! Gehen wir doch grade zusammen!" Da es ja doch keinen Sinn hatte, sie abzuschütteln, begleiteten Nerina und Sipho sie zurück in die Innenstadt. Während Twyla aufgeregt neben ihnen herhüpfte und Texomon damit vollwertige Konkurrenz machte, fiel Nerina jedoch auf, dass die Straßen ruhiger geworden waren. Plötzlich schlenderten keine Menschen mehr zwischen den Gebäuden umher, die munteren Gespräche waren verstummt und die meisten Läden hatten geschlossen. Überrascht sah sie auf ihre Uhr, doch ihr Gefühl hatte sie nicht betrogen. Es war gerade einmal Mittag. Die meisten Menschen, denen sie begegneten, schienen plötzlich in großer Eile zu sein, ihre Häuser zu erreichen und viele Fensterläden schlossen sich scheppernd, während sie daran vorbeikamen. Es war, als bereite Marmoria sich auf einen Sturm vor... Doch es war perfekter Sonnenschein! Unbeeindruckt von dem Schauspiel hockten einige Jugendlichen in den Straßenecken zusammen. Alle trugen sie dieselben, blauen Trainingsanzüge und dieselben, desinteressierten Gesichter. Manche rauchten, andere spielten auf Dingern herum, die sie stark an Nerus Gameboy erinnerten. Nerina schauderte. Die Luft schien zu knistern. Irgendetwas ging hier schief! "Ob das so eine Art Gang ist?", fragte sie ihre Begleiter leise, doch sowohl Sipho als auch Twyla schienen zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt zu sein. Nur Texomon gab ein leises Zischeln von sich, kickte übermütig eine Kola-Dose, schien zu stürzen - und rempelte einen der jungen Männer hart an. "Hee!", versetzte er schneidend, wollte Texomon packen, doch der entschlüpfte seinem Griff und hüpfte zu Nerina zurück. Der andere schenkte ihr einen tödlichen Blick. "Pass besser auf dein Pokemon auf", schnarrte er, "Ich könnte sonst am Ende noch böse werden!" Die Gruppe lachte gackernd und sofort legte Nerina Texomon mahnend eine Hand auf den Kopf. "Du unartiges Monster von einem Starter!", schimpfte sie, "Wenn du nicht sofort bei Fuß gehen kannst, kriegst du drei Wochen Ball-Arrest!" Die Gruppe klatschte zynischen Beifall - und ließ sie entkommen.

"Wau, das war cool!", kicherte Twyla aufgeregt, doch Texomons Augen unter dem Papp-Masche-Kopf waren groß und schwarz vor Sorge. 'Sie haben dieselben Pokedexe wie Mando', sagte er düster in Nerinas Kopf, 'Es gehören zu Team Rocket...' In diesem Augenblick gab Nerinas Handy ein leises Surren von sich und als sie es mit schwitzigen Fingern aus der Tasche nahm, las sie auf dem Display die Bestätigung ihres übelsten Verdachtes. "Team Rocket plant einen Großangriff auf Marmoria", las sie halblaut vor, "Geht nicht dorthin und wenn ihr schon dort seid, verschwindet." "Wir müssen Ella warnen!", rief Sipho aus, sein eigenes Schweigegebot bezüglich der Namen vergessend und ohne ein weiteres Wort rannten sie los, die langen, leeren Gassen entlang, die nur immer wieder von Grüppchen in blauen Trainingsanzügen bevölkert wurden...

"Oh nein, das ... das ist ja entsetzlich!", stieß Opal aus, nachdem Nerina geendet hatte - und tatsächlich standen die Dinge im Augenblick eher schlecht. Kaum, dass Nerina, Sipho und Twyla die Erdarena betreten hatten, hatte irgendein zuständiger Kopf des Team Rocket offenbar zum Angriff geblasen und plötzlich war Leben in die blaugekleideten Gestalten gekommen. Wie die Bienen ein offenes Honigglas umschwärmten sie nun die Erdarena und nach dem Geräusch von Stimmen, Rufen, berstenden Möbeln und schlagenden Türen zu urteilen, das bereits dumpf durch die Eingeweide der stattlichen Arena schallte, hatten ihre Sturmtruppen die äußere Mauer bereits erobert. Durch das Klirren zerspringenden Glases drang leise Opals Schluchzen. "So hat es bei Moony auch angefangen, oder Sandy?" Sandy seufzte schwer und legte einen Arm um Opal. Sie war eine ältere Frau mit grauem Haar und einem feingeschnittenen Gesicht, in dem ruhige wennauch wachsame graue Augen leuchteten. "Ich fürchte, wir können sie kaum mehr draußen halten", sagte sie mit ruhiger wenngleich verzweifelter Stimme. Nerina ballte die Hände zu Fäusten. "Sie sind nur wegen uns da, dafür verwette ich meine rechte Hand", knurrte sie zornig, "Sobald wir von hier verschwinden, werden sie euch sicher in Ruhe lassen, aber wir können unmöglich gehen ohne Ella. Kann sie denn nicht die Erdprüfung unterbrechen und später zu Ende machen?" Doch Sandy schüttelte finster den Kopf. "Eine abgebrochene Arenaprüfung kann niemals mehr wiederholt werden", sagte sie freundlich aber bestimmt, "Sonst könnte Ella sich geistig darauf vorbereiten und das kann nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Sie wäre schlichtweg nichtig." "Und wie lange braucht sie noch?" Mit einem Ruck löste Sandy sich von Opal und ließ ihren Drehsessel zu dem Computerbildschirm herumfahren, auf dem schon seit einigen Minuten eine ganze Horde Sandan zur Melodie von 'Oh du Fröhliche' tanzten. Mit einem raschen Klicken verjagte Sandy den Bildschirmschoner. Nun zeigte das Bild Ella, wie sie müde und mit hängendem Kopf vor einem gigantischen Haufen Steine hockte. "Sie ist erst im Mienenfeld", stellte Sandy stirnrunzelnd fest, "Wenn sie so weitermacht, kommt sie nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück." "Und jetzt ist es gerade Mal zwei... Tja..." Eine Weile lang starrte Nerina auf die riesige Wanduhr über Sandys Schreibtisch, dann holte sie tief Luft und fragte lauernd: "Wenn wir es schaffen, Team Rocket vor die Außenmauern der Arena zu locken, könnten eure Erdarenaleiter das Gebäude dann halten?" Sandy nickte, ohne lange zu überlegen. "Die Anlage wurde einst zu genau diesem Zwecken gebaut", sagte sie zögernd, "Wir haben sogar ein Netz, mit dem wir den Hof gegen Luftangriffe schützen können - Was hast du vor?" Kurz rangen Zweifel und Entschlossenheit in Nerinas Brust, doch sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und verkündete: "Dann werden Arkani und ich sie ablenken. Wir werden einfach durch ihre Reihen nach draußen preschen. Ich bin mir sicher, dass sie nicht widerstehen können, uns zu folgen. Sobald alle draußen sind verrammelt ihr das Tor und haltet die Arena, bis Ella zurück kommt..." Kurz herrschte Schweigen, dann redeten plötzlich alle Durcheinander. "Du spinnst doch!", rief Sipho aus, "Das ist viel zu gefährlich!" "Sie werden nicht alle gehen, solange sie nur dich fliehen sehen", warf Opal ein und die kleine Twyla hüpfte emsig auf und ab. "Ich will auch helfen!" Nerina wartete, bis der Sturm sich ein wenig gelegt hatte, dann hob sie beschwichtigend die Hände. "Arkani läuft schnell wie der Wind", entgegnete sie überzeugter, als sie sich fühlte, "Und wir haben es nicht weit. Wir müssen bloß runter zum Fluss. Von dort aus können wir bis hinter die Stadtmauern schwimmen und mein Seedraking fängt keiner!" "Trotzdem sollte wenigstens ich mitgehen", beharrte Sipho, "Zum einen, damit ich dir den Rücken freihalte und zum anderen, damit sie möglichst viele von uns türmen sehen." "Aber wenn sie uns beide fangen ist das viel, viel gefährlicher", versetzte Nerina hitzig, "Nein, du solltest hierbleiben und mit Nidoking helfen, die Arena zu verteidigen." "Dann komme ich mit!", rief Twyla mit einem wilden Funkeln in den Augen, "Ich kann auch kämpfen - und wenn sie mich fangen, bin ich für sie wertlos!" "Ich werde auch mitkommen", ergänzte eine ruhige Stimme von hinter Nerinas Rücken. Erschrocken fuhr sie herum und sah in das verschwitzte Gesicht eines der Erdarenaleiter. Blut lief aus seiner Nase und eins seiner Augen tränte, doch auch er schien wild entschlossen. "Wenn zwei Mädchen und ein Junge fliehen und sie unsere Gesichter nicht gut erkennen können, sollten sie uns einen großen Teil ihrer Leute nachschicken. Dann könnt ihr den Rest sicher verjagen!" Kurz zögerte Sandy, doch dann krachten weitere, dumpfe Schläge durch die Arena, als bearbeite jemand das gewaltige Tor mit einer handvoll Streitäxte und Sandy nickte düster. "Wir werden es versuchen müssen", sagte sie unglücklich, "Aber Nerina... Pass gut auf dich auf und komm so schnell wie möglich wieder zurück. Vom Keller des Pokemon-Centers aus gibt es einen Geheimgang bis hierher. Ich glaube, Rocko kennt ihn sehr gut..." Damit warf sie dem jungen Trainer einen scharfen Blick zu und dieser errötete unter seiner Blässe. "Ich werde auf sie aufpassen, Sandy!", versprach er feierlich. Nerina nickte Sipho kurz zu, dann sagte sie bedrohlich leise: "Alle Mal bitte ein paar Schritte beiseite gehen... Texomon?" "Na endlich!" Mit einem gezielten Feuerstoß aus seinen Nüstern ließ Texomon das verhasste Kostüm in Flammen aufgehen, schüttelte die Asche ab und sah stolz in die überraschten Gesichter. Auch wenn bereits zu Twyla, Opal und Rocko durchgedrungen sein mochte, dass es sich bei Nerina, Sipho und Ella nicht um gewöhnliche Trainer handelte, hatten sie wohl auch nicht damit gerechnet, dass Nerinas tollpatschiges Tyracroc in Wahrheit eins der vier berühmtesten Pokemon des Kontinents sein mochte. "Du... Du bist ja...", stieß Twyla aufgeregt hervor, da schwemmte auch schon die übliche Woge aus rotgoldenem Licht aus Nerinas Brosche, überflutete seine kleine Gestalt, bis er dahinter kaum mehr zu erkennen war. Als das Licht in seinem majestätischen Feuerwerk auseinanderstob, stand Arkani zwischen ihnen und knurrte angriffslustig. Nerina schluckte. Was im Wald schon beeindruckend groß wirkte, schien in Sandys engem Büro geradezu erschlagend. Arkani war so groß, dass er mit dem Kopf an die Lampe stieß und so lang, dass er seine Hinterbeine mühsam in die schmale Nische neben Sandys Schreibtisch zwängen musste, um nicht mit der Schnauze an die Tür zu stoßen. Twyla und die Erdtrainer gaben halb bewundernde, halb erschrockene Laute von sich, während Nerina erst auf ihren Stuhl stieg und sich von dort aus auf Arkanis breiten Rücken zog. Mit einem stolzen Grinsen streckte sie die Hand nach Twylas aus. "Na dann los mit uns", rief sie aufgeregt und fügte im Versuch einen Scherz zu machen hinzu: "Sieht so aus, als müssten wir ziemlich die Köpfe einziehen!"
 

>>>Neru<<<
 

"Wir sollten uns beeilen, dass wir hier fertig werden, bevor Team Rocket von seinem Ausflug nach Marmoria zurückkehrt", erklärte Mando, "Wenn der Typ da oben zu sich kommt, wird er uns alles auf den Hals hetzen, was geht." Neru nickte und besah sich skeptisch Folipurbas geschundenen Körper. "Mir fehlt nichts", entgegnete sie leichthin, "Das schaffen wir schon." Neru nickte. "Okay", sage er dann, "Was müssen wir tun?" Mando nickte beifällig und drückte Neru einen kleinen Gegenstand in die Hand. "Ihr müsst das hier herstellen und zwar so schnell wie möglich", erklärte er. Damit öffnete er eine große Stahltür und schob sie hindurch, ohne, dass Neru oder Folipurba noch hatten ein Wort sagen können. Sie befanden sich jetzt in einer nur sehr spärlich erleuchteten Halle. "Was sollte das denn jetzt?", entrüstete sich Neru. "Keine Ahnung", antwortete ihm Folipurba, "Vielleicht gehört das ja zur Prüfung." Neru seufzte. "Ja, vielleicht." "Was hat er dir da überhaupt gegeben?", fragte Folipurba weiter. "Eine Statue", antwortete Neru und hob die kleine Figur aus Bronze hoch, "Die Statue eines Mauzi." Folipurba sah ihn für einen Moment lang skeptisch an. "Nun denn", sagte sie dann, "Dann wollen wir uns mal beeilen." Mit ihren Worten drehte Neru sich um und ließ den Blick durch die große Halle, die sie nun betreten hatten, wandern. Durch ein rechteckiges Loch an der gegenüberliegenden Seite der Halle fiel Licht. Unsicher sah er zu Folipurba hinunter. "Na dann los", erklärte er und gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch die große, dunkle Halle. Auf dem Weg zu dem Lichtstrahl kamen sie an Fließbändern und Kabelsträngen, an Maschinen und Zahnrädern vorbei, doch Neru konnte sich zu all dem keinen Reim machen. "Das sieht aus, wie eine Art Fabrik", erklärte er, "Aber sie wirkt so inaktiv, wie eine Fabrik nur sein kann." Folipurba nickte, während sie leichtfüßig über eines der Fließbänder hinweghüpfte und sie an der Treppe ankamen, die zu der Lichtquelle hinauf führte. Als sie die kleine, eiserne Treppe empor gegangen waren, erreichten sie einen kleinen Raum, der von hellem Maunzen erfüllt war. Der Raum war an den Wänden voller Kontrollen und kleiner, blinkender Lichter, doch die Snobilikat, die dort herumlagen, schienen sich nicht für sie zu interessieren. Sie lagen oder saßen in den Ecken oder der Mitte des Raumes herum und betrachteten Neru mit einem desinteressierten Blick. "Bin ich jetzt verrückt oder ist es diese Prüfung?", fragte Neru zweifelnd und ließ seinen Blick über die Szenerie schweifen. "Naja, ääähh..." Folipurba sah zweifelnd zwischen den Snobilikat und Neru hin und her. "Du brauchst keine Antwort zu geben", schnitt ihr Neru das Wort ab und machte sich daran, die Schaltkästen genauer zu inspizieren. "Ob man damit wohl was machen kann?", fragte Neru laut. Folipurba legte den Kopf schief. "Es scheint so", erklärte sie, "Immerhin ist das eine Art Fabrik, oder? Von irgendwo muss die ja gesteuert werden." Neru nickte, ignorierte ihren sarkastischen Unterton und drückte probehalber auf einen Knopf. Wie, als wäre ein Zauber gebrochen, sprangen die Snobilikat auf. "Snobilikat!", fauchte eine. Neru legte den Kopf schief und hob die Hand wieder von den Kontrollen. "Offenbar dürfen wir die Kontrollen nicht bedienen", stellte Neru fest und Folipurba nickte. "Sie sagen, dass die Kontrollen ihnen gehören", erklärte Folipurba. "Was machen sie denn?", fragte Neru und das Snobilikat antwortete versöhnlicher: "Snobi bili li kat." "Sie kümmern sich um das Transportsystem", erklärte Folipurba zweifelnd. Neru wandte sich nun wieder an das Snobilikat. "Könnt ihr es einschalten?", fragte er, doch Snobilikat schüttelte den Kopf. "Der Stromgenerator arbeitet nicht", erklärte Folipurba. "Nun, das ist natürlich ein Argument." Neru nickte. "Wie kommen wir denn zum Stromgenerator? Wir haben es nämlich ziemlich eilig." Das Snobilikat nickte, als würde es den Grund für seine Eile verstehen. "Wenn wir aus der Tür rausgehen, sollen wir uns rechts halten und bis zum Ende der Halle laufen. Dort würden wir den Generator dann finden", übersetzte Folipurba. Sofort wandten sich die beiden wieder um und eilten wieder durch die stockdunkle Halle. Mehrfach stieß sich Neru die Zehen oder das Knie an herumliegenden Metallteilen, Kabeln oder Rampen an, deren Zweck sich ihm nicht erschließen wollte. Aber wie sollte er auch genaueres herausfinden, immerhin war es so dunkel, dass er kaum den Boden vor seinen Füßen erkennen konnte. "Irgendwie ist das Ganze hier merkwürdig", teilte Neru seine Gedanken mit Folipurba. Diese nickte. "Die ganze Fabrik ist irgendwie komisch. Aber es hat ja auch keiner gesagt, dass alle Prüfungen aussehen müssen, wie ein Labyrinth, in dem man von Wasser ersäuft wird." Neru nickte langsam und ließ es dann dabei bewenden. Schon bald darauf erreichten sie den Generator, der, wie es schien, von einer krabbelnden und wogenden Masse umgeben war. Vorsichtig tasteten sie sich näher an den Generator heran. "Kannst du schon was erkennen?", fragte Neru nach ein paar Sekunden und Folipurbas Augen verengten sich zu Schlitzen. "Das sind Pokemon", sagte sie dann. "Ziemlich viele... Das sind Rattfratz!", rief sie plötzlich aus und nun konnte auch Neru die Umrisse der einzelnen Körper erkennen. "Was machen die denn hier." "Vielleicht haben sie die Kabel des Generators angefressen", mutmaßte er. "Zutrauen würde ich es den kleinen Biestern", entgegnete Folipurba angewidert. Neru ging ein paar Schritte näher auf den Generator zu und entdeckte ein riesiges Rad aus Metall, das über irgendwelche Stangen mit dem Generator verbunden war. "Schau mal", rief Folipurba aus, "Da ist ja ein Laufrad, wie in dem Käfig in Professor Eichs Labor." Neru nickte sprachlos. Ein so großes Laufrad hatte er ja noch nie gesehen. "Vielleicht treiben ja die Rattfratz es an", mutmaßte er vorsichtig, "Vielleicht sollten wir sie mal befragen." Langsam näherten sie sich den kleinen, quirligen Pokemon. "Geht es dir gut?", fragte er behutsam. Das Rattfratz keckerte ihn in Form seines Namens an. "Sie haben zu viel Energie", erklärte Folipurba mit zweifelndem Ton, "Sie wollen laufen." Neru sah das Rattfratz skeptisch an. "Dann benutzt doch das Laufrad", schlug er nun vor. "Tut weh!", übersetzte Folipurba das Rattfratz, das quiekte und dann weiter auf und ab rannte. "Was tut weh?", rief Folipurba dem kleinen, wuseligen Pokemon noch hinterher, doch es hörte nicht mehr zu, sondern rannte wieder mit den anderen um die Wette. "Etwas komisch ist das schon...", brummte sie. Langsam und vorsichtig gingen sie zu dem Laufrad hinüber und inspizierten es von allen Seiten. Es war über eine Achse mit dem Generator verbunden, der selbst wie ein riesiger Berg voller Kabel und Zahnräder vor ihnen aufragte. "Na, wenn da was kaputt ist, dann gute Nacht", seufzte Neru. Skeptisch betrachtete sich Folipurba das Laufrad. "Wir können es ja vielleicht mal ausprobieren..." "Und herausfinden, warum den Rattfratz was wehtut?", fragte Neru zurück. Doch dann dachte er noch einmal über die Situation nach. Team Rocket konnte jeden Augenblick die Prüfung stürmen und Nerina könnte noch in Gefahr sein. "Wir machen's", erklärte er und trat zögerlich in das Laufrad. Folipurba sah ihm mit teils belustigter, teils sorgenvoller Miene hinterher und betrat nach ihm den gigantischen Eisenkäfig. "Etwas mulmig ist mir dabei schon", erklärte Neru, "Versuchen wir, den Generator im Auge zu behalten, vielleicht finden wir etwas heraus." Langsam setzten sie einen Fuß vor den anderen und das Laufrad begann, sich ganz langsam zu drehen. Neru zuckte heftig zusammen, als ein Blitz oben an der Spitze des Generators aufleuchtete und Folipurba im selben Moment mit einem Schmerzensschrei in seine Arme sprang. Dann entlud sich die statische Entladung auch auf ihn und Arm in Arm stürzten sie beide aus dem Laufrad. Neru landete hart auf dem Boden und Folipurba besah sich mit vorwurfsvollem Blick ihr Hinterteil, auf das Neru sie fallen gelassen hatte. "Da oben hat es geblitzt", erklärte sie dann und Neru nickte. "Wie sollen wir nur da hochkommen?", fragte er verzweifelt und betrachtete sich das glatte Metall. Folipurba trat prüfend zur Wand hinüber und besah sie sich genauer. "Da sind immer wieder Ritzen und Spalten drin", erklärte sie. Neru war gar nicht wohl bei dem Gedanken, einen hohen Turm aus Metall zu erklimmen, auf dem irgendwo elektrische Blitze zucken konnten, doch was blieb ihm schon anderes übrig. Ganz langsam und vorsichtig begannen sie zu klettern und versuchten, jedes Kabel und jede Ritze auszunutzen, um den Generator emporzuklettern. Nerus Hände begannen zu schwitzen und seine Arme und Finger beschwerten sich schmerzhaft schon nach nur wenigen Handgriffen. Es war immernoch stockdunkel und Neru musste sich die Vorsprünge zum Teil ertasten, weil er die Wand über sich nicht mehr erkennen konnte. Er hangelte beinahe ausschließlich mit den Händen, denn für die Füße gab es häufig nicht genügend Halt. Als Neru über sich eine Spalte in einer bronzenen Metallplatte entdeckte, streckte er seine Hand aus, um hineinzugreifen. Doch ein brutaler Schlag, wie als würde jemand eine Faust in seine Finger schlagen, ließ ihn zurückweichen. Er schrie schmerzerfüllt auf, hielt sich jetzt nur noch mit einer Hand fest und der Griff seiner Finger löste sich ganz allmählich auf. Folipurba sah mit Schrecken, wie Nerus Finger immer weiter von der Spalte abglitten und plötzlich schossen Ranken an ihren Seiten hervor und hielten Neru fest. Als dieser sich keuchend wieder gefangen hatte, schaute er sein Iramon ungläubig an. "Seit wann kannst du denn Ranken?", fragte er verdutzt. Folipurba schaute ihn ebenso verdutzt an. "Es passierte einfach. Ich wollte dich festhalten und dann sind sie mir gewachsen." "Aha..." Neru zog sich an einer anderen Strebe weiter in die Höhe und umging dabei die bronzene Platte weiträumig.

Schweißgebadet und erschöpft zog sich Neru über den Rand und blieb atemlos liegen. "Das war heftig", stieß er keuchend aus, während auch Folipurba über die Kante sprang. Ihre Krallen hatten weniger Probleme damit gehabt, sich die Wand emporzukämpfen, doch sie sagte nichts, sondern wartete nur, bis Neru wieder zu Kräften gekommen war. Es dauerte nicht lange, bis Neru den Grund für den Blitz gefunden hatte. Ein beinahe armdickes Kabel mit einem gigantischen Stecker an seinem Ende war offensichtlich aus seiner Buchse gerutscht und die Seitenwand hinunter gefallen. Wie das Pendel einer gigantischen Uhr hing es nun bis auf etwa halbe Höhe auf der anderen Seite des Generators hinunter. Das Kabel war dick und sehr schwer. "Wie bekommen wir das Teil nur hier herauf?" Folipurba zog mit ihren neu entdeckten Ranken probehalber am Kabel. Die dicken Adern bewegten sich nicht einmal. Neru setzte sich neben dem Kabel auf den Boden. Langsam pendelte der Stecker unter ihnen hin und her, wie eine große, überdimensionale Schaukel. "Schaukel! Das ist es!", rief er aus, "Wenn ich unten auf dem Stecker sitze, kann ich das Kabel vielleicht aufschaukeln, so, dass du es am höchsten Punkt nur noch herüberziehen musst." Folipurba nickte begeistert. "Mit den Ranken könnten wir das schaffen." Doch die Umsetzung ihrer ach so tollen Idee stellte einige Herausforderungen dar. Das Kabel war zwar sehr dick, aber auch glatt und rutschig und Neru wollte nicht riskieren, an ihm abzugleiten, wenn er sich an ihm hinunterließ. "Wenn ich den Halt verliere, sehe ich heute Abend wie ein Pfannkuchen aus", beschwerte er sich, als er mit zitternden Knien am Abgrund stand, mit beiden Armen das Kabel gepackt. Folipurba lenkte ihre Ranken zu ihm hinüber. "Ich helfe dir", erwiderte sie aufmunternd, "Du schaffst das schon." Neru biss die Zähne zusammen und versuchte, seine Angst zu verdrängen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und ein aufgeregtes Kribbeln hatte sich in seiner Magengrube breitgemacht, als er damit begann, sich mit um das Kabel geschlungenen Beinen und Armen langsam in den Abgrund hinunterzulassen. Das Rutschen ging sehr viel schneller, als er es erwartet hatte und wenige Augenblicke später stand er schon sicher auf dem Stecker. Der Stecker war breit und bot viel Möglichkeit, den Halt zu behalten. Langsam begann Neru damit, sein Gewicht vor und zurück zu legen, bis das Kabel begann, in seinem Rhythmus zu schwingen. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, wie lang dieses Kabel war. Langsam schaukelte er das Kabel immer mehr und mehr auf, bis er fast waagerecht an der oberen Kante ankam. Der Fahrtwind presste ihm die Luft aus den Lungen und jedes Mal, wenn sich die Flugbahn des Pendels änderte, musste er fürchten, gegen die Wand geschleudert zu werden. "Beim nächsten Mal zieh ich!", hörte er Folipurbas Stimme ganz schwach zu sich durchdringen. Neru hatte längst vergessen, wo oben und unten war und ihm war mittlerweile so schlecht, dass ihm auch der Aufprall auf dem Generator nichts mehr ausmachte. Er legte in den letzten Schwinger so viel Schwung, wie er konnte. Dann spürte er, wie die Flugbewegung des Pendels jäh unterbrochen wurde und er wurde ruckartig und ziemlich unsanft auf den Boden befördert. Sein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre er gerädert worden und die Welt um ihn herum wollte einfach nicht aufhören, zu wackeln. Nur mühsam konnte er den Reiz unterdrücken, sich jetzt hier an Ort und Stelle einfach zu übergeben. "Geht es dir gut?", fragte Folipurba, während sie ihn mit skeptischem Blick musterte. Neru richtete sich mit weißem Gesicht und leicht schwankend auf. "Es muss gehen", erklärte er, während er sich auf ihrem Rücken abstützte. Langsam besah er sich den Stecker, den Folipurba mit ihren Ranken auf die Oberseite des Generators gezogen hatte. Er lag gar nicht weit entfernt von der Buchse, sie mussten ihn nur noch dort hinein bugsieren. Folipurbas Ranken erwiesen sich als extrem praktische Hebel und langsam aber stetig rutschten sie den Stecker in Richtung Buchse. Neru fühlte sich noch immer wackelig auf den Beinen, aber er musste auch einfach nur sein Gewicht gegen das Kabel stemmen und schon rollte das ganze über die stählerne Außenhaut des Generators. Mit vereinten Kräften und unter Ächzen und Flüchen, hoben sie den Stecker an und versenkten ihn in der Buchse. "Und?", fragte Folipurba erwartungsvoll und auch Neru hielt die Luft an. Was würde wohl jetzt passieren? Es kann gar nichts passieren, schoss es Neru durch den Kopf, weil niemand das Laufrad bewegt. Als er Folipurba auf diesen Umstand aufmerksam gemacht hatte, schlug sie in schwerer Geste mit ihrem Blatt am Schwanzende auf ihren Kopf und rief: "Die Rattfratz!"

Es dauerte ein wenig, bis sie die kleinen, wuseligen Pokemon dazu überzeugt hatte, wieder in das Laufrad zu klettern, doch die Wirkung, als die vielen, kleinen Pokemon zu laufen anfingen, war erstaunlich. Langsam wurde es heller. Tausende von Lampen und Lichtern begannen zu glühen und enthüllten damit das wahre Ausmaß und die wahre Größe der Werkshalle. Sie war gigantisch - Mindestens dreimal so groß, wie ein Fußballfeld. Sie befanden sich, soweit Neru es erkennen konnte, an einem Ende. Die Lichter wurden immer stärker und er konnte das weitverzweigte Netz von Loren und Fließbändern erkennen, das auf allerlei Maschinen und Roboter zu führte. Die Snobilikat schienen verstanden zu haben, dass nun alles wieder funktionierte, denn langsam begannen die vielen, verschiedenen Loren und Fließbänder, ihren Dienst aufzunehmen und glitten auf unterschiedlichen, kreuz und quer angelegten Bahnen durch die Halle. "Es läuft wieder!", jubelte Neru, "Jetzt haben wir bestimmt die Prüfung geschafft." Folipurba sah nur interessiert in die Tiefe. "In den Wägen ist nichts drin", erklärte sie verdutzt, "Wie soll hier etwas hergestellt werden, wenn gar nichts rein kommt?" Nerus Euphorie fühlte sich, als wäre sie mit einem Hammer bearbeitet und das Klo hinuntergespült worden. "Stimmt", rief er aus. "Wo kommen die Loren eigentlich her?", fragte Folipurba, doch Neru zuckte nur mit den Achseln. "Das müssen wir herausfinden, aber zuerst müssen wir wieder runter von dieser Höllenmaschine." Als Neru sich weiter umsah, entdeckte er eine schmale Leiter, die auf einer Seite des Generators in die Tiefe hinunter führte. "So ein Mist! Hätten wir die nur früher entdeckt", entfuhr es ihm, während er die ersten Sprossen hinunter nahm. Folipurba keckerte belustigt vor sich hin, als sie ihm folgte.
 

>>>Nerina<<<
 

Arkani stieß ein furchterregendes Brüllen aus, als er mit seinen drei Reitern auf dem Rücken durch die große Kampfhalle und den Innenhof der Arena stürmte. Kleine Flammen schlugen beim Rennen aus den eleganten Pelzfahnen an seinen Beinen und aus seinem wild hin und herpeitschendem Schweif, sodass ihm niemand zu nahe kam. Arkanis Brüller hatte diese Wirkung offensichtlich nicht nur auf die wilden Schneckmag und Ibitak, an denen Nerina und er ihn in den letzten Tagen geprobt hatten. Menschen wie Pokemon stoben aus seiner Bahn, nur, um sich gleich wieder hinter ihm zu einer gigantischen Traube von Verfolgern zu formieren. "Sie türmen!", schrie jemand. "Ihnen nach", ein anderer. "Haltet sie auf!", ein dritter und Arkani hatte kaum die Straße erreicht, als er sich auch schon in einem Wirbelwind aus Flammenstößen, Rassierblättern und Aquaknarren wiederfand. Das große Feuerwesen jaulte schmerzhaft auf, als eine Wasserfontäne ihm frontal ins Gesicht schlug, doch hier auf der Straße hatte er endlich den erforderlichen Platz, seine langen Beine auszustrecken und knurrend duckte er sich zum Sprint. Über die Schulter sah Nerina, wie ein Igelavar versehentlich das Sarzenia seines Vordermannes zu Asche verbrannte und irgendwo trampelten zwei Tauros alles platt, was nicht schnell genug beiseite springen konnte. Sie sind viele, dachte Nerina mit geballten Fäusten, aber das macht sie langsam. Sie haben keinen disziplinierten Plan für so etwas und stehen sich gegenseitig auf den Füßen herum! Mit einem wilden Heulen wich Arkani der Hydropumpe eines Impegators auf, ehe es sich vom Boden abstieß und mit einem gewaltigen Satz über den Kopf des Wasserpokemons hinwegsetzte. Twyla und Rocko schrien auf, doch Nerina hielt nur die Zähne gebleckt und starrte nach vorn. Gassen, der Marktplatz, Häuser und Geschäfte flogen nur so in einem Wirbel an ihnen vorbei. Bald würden sie den Fluss erreichen... Bald... "Geht’s dir gut, Arkani?", fragte sie atemlos, doch Arkani knurrte nur. "Ihr seid ziemlich schwer", versetzte er durch zusammengebissene Zähne, "Ich kann euch zum Fluss tragen, aber mit euch da oben kämpfen wird schwierig." Nerina nickte stumm, auch wenn er das natürlich nicht sehen konnte, und streichelte beruhigend seinen Kopf. Allmählich blieben die Verfolger zurück. Die meisten von ihnen besaßen große und langsame Pokemon und diejenigen, die sich mit Galoppas oder ähnlich flinken Wesen schmücken konnten, hatten diese kaum gut genug im Griff, um auf ihnen zu reiten. Dennoch würde ihr Vorsprung von kurzer Dauer sein. Wahrscheinlich postierte Team Rocket in diesem Augenblick seine Truppen neu und konzentrierte sich vermehrt auf die Überwachung der Stadttore und des Flusses. Schnaufend schleuderte Arkani ein letztes Snobilicat aus dem Weg, dann erreichte er schnaufend und funkenstiebend den Park am Flussufer - nur, um wie versteinert stehen zu bleiben. Eine weitere, kleinere Abteilung von Team Rocket hatte das Pokemon-Center umstellt und Schwester Joy stand bibbernd und an den Händen gefesselt als Geisel zwischen ihnen. "Gebt auf!", brüllte ihr Anführer und vertrat Arkani mutig den Weg. In ihrem rücken spürte sie, wie Twyla die Fäuste ballte. "Den mach ich!", flüsterte sie Nerina ins Ohr und diese nickte. Spätestens hier würde der Schwindel sowieso auffliegen und wenigstens hatte sie der Arena einige kampffreie Minuten beschert. Mit einem Aufschrei ließ sich Twyla von Arkanis rücken gleiten. "Schwester Joy!", rief sie, scheinbar außer sich vor Sorge und lief direkt auf die Besatzer zu. Der Anführer grinste. "Braves Mädchen!", lobte er höhnisch, als er und zwei weitere sie an den Schultern packten, "Und jetzt dein Iramon, bitte!" "Na gut...", machte Twyla mit gesenktem Kopf, zückte ihren Pokeball und warf. "Los!", schrie sie, während ihre Verfolger noch dabei waren, dumme Gesichter zu ziehen, "Sing, Puffy! Sing!" Das Pummeluff hob begeistert sein Mikrofon an die Lippen. "A-ha-ha-ha-ha Pummeluhuhuhuff", begann es und sofort hielt Nerina Arkani die Ohren zu, während Rocko ihr denselben Dienst erwies. Irgendwann spürte sie seine Finger erschlaffen, fuhr herum und versetzte ihm eine schmerzhafte Ohrfeige, ehe er von Arkanis Rücken rutschen konnte. Pummeluff hatte aufgehört zu singen. Das war aber auch gar nicht mehr notwendig. Beinahe alle Angreifer lagen schlafend im weichen Gras des Parks. Nur ihr Anführer war geistesgegenwärtig genug gewesen, sich die Finger in die Ohren zu stecken. "Das büßt ihr mir!", schrie er und entließ ein riesiges Georock aus seinem Pokeball. Rocko grinste. "Überlass den mir", rief er, sprang ebenfalls zu Boden und konterte mit einem Onix. Stein krachte auf Stein, während Twyla grinsend zu Nerina zurückkehrte. "Alle schlafen!", rief sie und drückte ihr Pummeluff glücklich an sich, "Oh Puffy! Du bist die beste!" "Das habt ihr toll gemacht!", lobte Nerina das jüngere Mädchen stolz, dann deutete sie hinüber zum Pokemon-Center. "Lauf nach dort drinnen und hol alle Trainer, die du finden kannst", wies sie Twyla dann an, "Sie sollen diese Kerle einsammeln, ihnen ihre Pokedexe und Pokebälle abnehmen und sie irgendwo einsperren. Anschließend schnappt ihr euch alles, was laufen kann und flieht durch den Gang in die Erdarena, klar?" "Klar!", bestätigte Twyla fest und versuchte dabei nicht zu zeigen, dass ihre Unterlippe zitterte, "Aber du...?" "Wir schwimmen den Fluss runter", erwiderte Nerina hastig, "Sie werden sonst misstrauisch. Mach dir keine Sorgen!" Damit stürmte Arkani erneut los. Mit zwei federnden Sätzen war er am Flussufer, dann erfasste sie die übliche Woge blauen Lichtes und Nerina spürte, wie sein Körper sich unter ihren Händen veränderte. Entsetzt schrie sie auf - noch nie war sie Texomon berührt, während er evotierte. Doch dann war es auch schon wieder vorbei und ehe Nerina sichs versah, schoss sie auf Seedrakings Rücken durchs kühle Wasser des Flusses.

'Das war knapp!', dröhnte Seedrakings Drachenstimme in ihrem Kopf, während sie das Pokemon-Center hinter sich ließen und schnurstracks auf die Stadtmauer zustrebten, 'Wo kommen die nur alle her? Wie die Ratfratz! Echt widerlich!' "Ich hoffe nur, dass sie es geschafft haben, die Erdarena zu halten", gab Nerina seufzend zurück. Seedraking brummte optimistisch. "Sie haben ja Nidoking", erwiderte er, nun auch laut, "Der ist doch ach-so-gut-trainiert." Ein lautes Platschen brachte ihn jäh zum verstummen. Auf der anderen Seite des Flusses hatten sich einige Schillock, zwei Sterndu und sogar ein Jugong materialisiert. Seedraking gab ein kampfeslustiges Schnauben von sich, doch Nerina hielt ihn zurück. "Jugong ist ein Eistyp", sagte sie dringlich, "Du kannst ihn nicht besiegen! Los! Lass uns abhauen!" Nun flog auch das Ufer unnatürlich schnell an ihnen vorbei und bald schon sahen sie die Blockade vor sich, die an jener Stelle Aufstellung bezogen hatte, wo der Fluss die Stadtmauern verließ - und diesmal handelte es sich nicht nur um kleine Fische, wie Nerina entsetzt feststellen musste. "Da ist ja ein Garados!", rief sie entsetzt aus. Seedraking grollte unheilschwer und wurde langsamer. "Wir müssen uns einem stellen", sagte er düster, "Wen hälst du für sinniger?" Die Frage schien sich jedoch zu erübrigen, als Jugong siegessicher nach vorne schoss, den Eisstrahl im Anschlag. Mit einem Schrei wich Seedraking zurück und im nächsten Augenblick hätte die gewaltige Welle von Garados Hydropumpe Nerina beinahe von Seedrakings Rücken geschleudert. Brüllend richtete Seedraking sich im Wasser auf, fuhr herum und packte Jugong mit seinem Schwanz. Beide kreischten um die Wette, als der Wickel sich enger zog. Verblüfft stellte Nerina fest, dass ihre eigene Stimme sich dazugesellt hatte. Im hohen Bogen schleuderte Seedrakings Schwung sie von seinem Rücken, dann umfasste sie eisige Schwärze. Im nächsten Augenblick schlossen sich mächtige Kiefer um sie. In einem Wirbel aus Blasen und spritzendem Wasser riss Seedraking den Kopf hoch, sodass sie zu Atem kommen konnte. Jugong zappelte immernoch in seinem Wickel und Garados war bedenklich nahe gekommen. 'Luft anhalten!' befahl Seedraking in ihrem Geist und instinktiv gehorchte sie. Im nächsten Augenblick stand die Welt Kopf, als Seedraking sich auf den Rücken warf und Jugong wie ein Geschütz durch die Luft schleuderte. "Gooooong!", schrie es weissagend, ehe es hart gegen Garados' hervorgestreckten Kopf klatschte und ihn erschrocken mit einem Blizzard überzog. Mit einem überirdischen Kreischen packten Garados mächtige Kiefer zu, das zappelnde Jugong zu Sülze zermatschend. Seedraking ließ sich herumfallen, beförderte Nerina zurück in seinen Nacken und tauchte. Pfeilschnell schoss er unter den kämpfenden Seeungeheuern hindurch, brach durch die atemlos zuschauenden Reihen der kleineren Wasserpokemon und schoss davon, weiter, immer weiter den Flusslauf hinab, bis die Schreie der Kämpfenden verklungen waren. Dann jedoch schienen seine Kräfte nachzulassen und müde senkte er den Kopf aufs Wasser. "Sie hatten wohl zu viele schwere Geschütze", keuchte er, während Nerina damit anhob, ihn für seinen Geistesblitz zu loben, "Aber jetzt bin ich müde, Nerina..."

Sie rasteten auf einer kleinen, von hohen Brombeerhecken umstellten Lichtung nahe des Flusses, wo Nerina Texomon einige ihrer durchweichten Pokeriegel zu essen gab und etwas von Nerus Allzweck-Heiler auf seinen Wunden verteilte, den sich die Zwillinge glücklicherweise aufgeteilt hatten. Texomon schnurrte wohlig, aber dennoch sahen er und Nerina immer wieder besorgt über die Schulter. Der Wald hallte wieder von den Stimmen von Menschen und Pokemon. Team Rocket hatte ihre Spur verloren, doch würden sie kaum aufgeben. Verzweifelt sah Nerina zur Sonne hinauf, die unbarmherzig langsam ihren Weg über den Himmel fortsetzte. Sie hatten der Erdarena eine Atempause verschafft, doch würden noch Stunden vergehen, ehe sie endgültig fliehen durften... "Hörst du das?" Überrascht stellte Texomon die Ohren auf und auch Nerina vernahm nun ganz deutlich ein Heulen, das sich in das Geschrei ihrer Verfolger mischte. "Wilde Fukano!", stieß sie hervor, "Team Rocket muss sie aufgescheucht haben! Könnten die uns nicht helfen?" Kurz sah Texomon noch wehmütig zu den Brombeeren, an denen er sich die ganze Zeit schon bedient hatte, dann nickte er. "Sie hören auf Arkanis Geheul", sagte er schulterzuckend, "Ist ein Urinstinkt. Mit ihnen dürfte es ein leichtes sein, auch den Rest von Team Rocket in der Stadt auseinander zu treiben. Komm, lass es uns versuchen!"

Tatsächlich schienen die wilden Pokemon auf Arkanis Rufe zu reagieren, denn während sie noch warteten, kam ihr Geheul immer näher. Doch als das Rudel schließlich aus dem Unterholz brach, schlug Nerina erschrocken die Hände vors Gesicht. Was da vor ihr aus dem Unterholz auftauchte, waren keine hübschen, welpenhaften Fukano, sondern große, magere Hundemon, mit rotglühenden Augen und unzähligen Kletten in ihrem zerzausten Fell. Auch Arkani stockte kurz, doch dann baute er sich so eindrucksvoll er konnte vor der Gruppe auf. "Ob Fukano oder Hundemon", verkündete er feierlich, "Team Rocket hat euch von der Obhut durch Menschen ausgeschlossen und verjagt und geächtet und nun zerstören sie auf der Jagd nach ihrer Beute auch noch euren Wald. Aber wir können sie aufhalten! Wir können euren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft zurückerobern! Seid ihr dabei, Freunde?" Zustimmendes Gejaule antwortete ihm und wenige Herzschläge später waren sie bereits wieder auf dem Weg, ein Rudel von Feuerhunden folgte ihnen.

Als sie die großen Stadttore beinahe erreicht hatten, hielt Nerina Arkani an. "Du darfst auf keinen Fall im Inneren der Mauern gesehen werden und auch nicht dabei, wie du durch das Tor kommst", flüsterte sie ihm zu. Arkani grollte unwillig. "Ich muss doch aber die Hundemon rufen!", versetzte er, doch Nerina schüttelte den Kopf. "Lass sie hier warten", sprach sie rasch weiter, "Ich habe einen Plan..." Arkani tat, wie ihm geheißen und wies sein Gefolge an, sich in die Büsche zu ducken und abzuwarten. Mit Nerina auf dem Rücken trabte er dann eine geraume Weile nach Süden davon, grob dem Verlauf der Stadtmauer folgend. "Was hast du vor?", fragte er, als sie deutlich außer Hörweite waren. Mit einem verschmitzen Lachen sprang Nerina von seinem Rücken auf den Waldboden und hielt ihm ihr Handy unter die Nase. "Bitte heul mal so, als ob du die Hundemon rufen würdest", bat sie ihn, "Ich werde dich aufzeichnen und dann klettern wir einfach als wir selbst über die Stadtmauer, schleichen uns bis dicht hinter das Stadttor und spielen den Ruf ab. Auf diese Weise sieht dich niemand innerhalb der Mauern und für Menschen klingt das Heulen sowieso immer gleich." "Super Idee!", rief Arkani lachend aus, dann heulte er so ohrenbetäubend in ihr Handymikrofon, dass Nerina schon fürchtete, die Membran würde zerreißen.

"Komm schon!", rief Texomon ihr wenig später von der Krone der Mauer aus zu, "Es ist gar nicht so schwer!" "Nicht jeder hat Krallen", brummte Nerina missmutig und griff nach seiner Hand. Die Mauer war alt und an einigen Stellen verfallen. Dennoch stellte sie für einen Menschen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Keuchend schwang Nerina endlich ein Bein über die Mauerkrone und spähte hinüber auf das Dach eines alten Häuschens, das sich schwer an die Stadtmauer lehnte, als fürchte es, umzufallen. "Komm, Texomon", murmelte sie seufzend, "Wir können auf den Dächern laufen. Es wird sicher anstrengend, aber dort oben sind wir einigermaßen sicher..." Hand in Hand machten sie sich auf den beschwerlichen Weg. Nerina vermochte später kaum zu sagen, wie sie es geschafft hatten, beinahe die halbe Stadt zu durchqueren, ohne jemals den Boden berührt zu haben. Doch die engen Gassen ließen kaum armlange Spalten zwischen den einzelnen Dächern zu, wenn sie nicht komplett miteinander verwachsen waren, sodass man hier oben beinahe unbeschwert hätte gehen können, wenn man nicht gerade auf schlüpfrigem Moos ausglitt und eine steile Dachschräge hinunterkullerte. "Als Arkani wäre das total einfach", maulte Texomon, als sie sich ein weiteres Mal auf allen Vieren zu einem Giebel hinaufkämpften, "Hoffentlich sind die Hundemon nicht schon eingeschlafen!" Doch als Nerina es sich kurze Zeit später im Schutz einer Gaube bequem machte, das Handy auf das von unzähligen Team Rocket Mitgliedern bewachte Stadttor richtete und Arkanis Geheule abspielte, da verfehlte der Plan seine Wirkung nicht. Wie Furien stürzten die Hundemon aus den Büschen, rannten die vollkommen überrumpelten Feinde zu Boden oder ließen sie auseinanderstürzen. Sie fanden Arkani nicht, doch das spielte auch keine Rolle. Furienhaft fuhren die schwarzen Feuerwesen durch die Straßen. Blanker Hass glühte in ihren roten Augen. Wo auch immer sie auf Menschen oder Pokemon trafen, hüllten sie sie in Flammenstöße, verfolgten und verjagten sie und Nerina musste nur noch gelegentlich von einem Dach aus Arkanis Ruf erschallen lassen, um ihre Sturmtruppe in eine neue Richtung zu lenken. Die Hundemon kämpften unermüdlich und Nerina und Texomon ließen nicht zu, dass das versprengte Team Rocket genug Luft fand, sich neu zu sammeln. Als die Sonne endlich wie ein blutroter Ball im Westen hinter den Bergen versank, waren die Straßen wie leergefegt und müde und erschöpft machten sich die mageren Hundemon über die Mülltonnen der Anwohner her, ehe sie langsam, einer nach dem anderen, wieder zurück in den Wald trotteten...

"Nerina! Um Himmels Willen, wo hast du gesteckt?" Ella kam ihr mit riesigen Eulenaugen in ihrem bleichen Gesicht entgegengelaufen, als Nerina und Texomon endlich den Hof der Arena betraten. Ihre Augen waren gerötet als habe sie geweint und sie wirkte völlig aufgelöst. "Sipho hat erzählt, dass sie uns angegriffen haben!", sprudelte sie los, "Dass die ganze Stadt voll war von ihnen und dass du rausgegangen bist, damit ich die Erdprüfung machen kann! Oh, wie soll ich dir das jemals ..." "Hat es denn wenigstens geklappt?", fragte Nerina und ließ sich todmüde auf die warmen Pflastersteine sinken. Ella nickte eifrig. "Ja! Wir haben jetzt ein Panzaeron! Ein ziemlich großes... Taubsi ist zwar sehr, sehr müde, aber ich denke, sie könnte uns hier raus bringen, wenigstens bis nach Breckenstein, dem Dorf im nächsten Tal. Dort hat Sandy eine Freundin mit einer Tauboss-Zucht. Sie hat schon mit ihr telefoniert und sie wird uns direkt zu Professor Eich bringen..." Nerina nickte nur noch müde. Der lange, anstrengende Tag hatte seinen Tribut gefordert und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass auch Twyla, Rocko, Opal und Sandy wohl auf waren, kletterte sie stumm auf Panzaerons harten Rücken, Texomon schmiegte sich eng unter den dicken Mantel, den Sandy ihr zum Abschied geschenkt hatte. Mit langsamen, müden Flügelschlägen schwang Panzaeron sich aus dem engen Hof in die Lüfte und bald schon glitten sie über den nächtlichen Wald dahin, in dem an unzähligen Stellen kleine Feuer entzündet worden waren. Team Rocket war zerstreut worden, doch sie würden sich neu sammeln, keine Frage. "Nerina?", wandte Ella sich nach einer Ewigkeit des Schweigens noch einmal zu ihr um. Kurz sahen sich die beiden Mädchen einfach nur an, dann sagte Ella leise und voller Ernst: "Nach dem, was heute geschehen ist, muss ich wohl zugeben, dass du recht hattest. Bloße Stärke ist nicht alles, was einen Kampf entscheidet. Texomon und du, ihr habt gewonnen, weil ihr mutig wart, kreativ und flexibel. Nicht so eingefahren auf Routinen und antrainierte Fähigkeiten. Ich muss mich bei euch beiden entschuldigen." "Entschuldige dich lieber bei Taubsi", sagte Texomon beinahe sanft, während Nerina noch nach Worten rang. Ella nickte. "Ich verspreche, sie in Zukunft nicht mehr nur wie eine Kampfmaschine zu behandeln", gelobte sie feierlich und streckte Texomon die Hand hin. Nerina ergriff ihre zweite. "Und wir können noch einiges von dir lernen, Ella", sagte sie warm, "Lass uns unser Wissen teilen, statt uns damit gegenseitig das Leben schwer zu machen..." "Ja, das wollen wir", erwiderte Ella feierlich, ehe sie sich an Panzaeron wandte. "Dort unten liegt das Dorf. Bitte lande vor Kaguras Haus - du weißt ja, wie es aussehen muss..."
 

>>>Neru<<<
 

Das Lorennetz war sehr viel länger, als Neru erwartet hatte. Sie folgten den Loren in rückwärtiger Richtung. Irgendwo mussten diese Wägen ja herkommen und dort mussten sie gefüllt werden. "Vielleicht müssen wir sie füllen", mutmaßte Folipurba und Neru nickte. "Diese ganze Prüfung ist komisch", beschwerte er sich auf ein Neues, doch diesmal nickte Folipurba ihm nur zu und weiter ging es, die endlosen Wege entlang. Irgendwann, Neru hatte schon längst jedes Zeitgefühl verloren und die Angst, von Team Rocket erwischt zu werden, versank allmählich in einer erschöpften Gleichgültigkeit, erreichten sie eine Passage in dem Tunnel der Loren, der für sie unpassierbar war. Die Wände des Tunnels schlossen sich so perfekt um die Gleise und Wägen der Lore, dass es verrückt gewesen wäre, hindurch zu kommen, zumal in dem Tunnel die absolute Finsternis auf sie wartete. Wie sollten sie dort nur auf die andere Seite kommen? "Wenn wir da reingehen, erwischt uns früher oder später eine der Loren und befördert uns, nachdem sie uns zerquetscht hat, wieder hier her", erklärte Neru verdrossen. "Nicht, wenn wir schnell genug sind", erklärte Folipurba, "Wir müssen nur so schnell wir können hindurchlaufen. Die Taktrate der Wägen ist nicht besonders hoch." Nerus Puls begann, wieder unangenehm zu steigen, bei der Vorstellung, in ein Loch zu steigen und dann völlig unerwartet eine Lore in voller Geschwindigkeit gegen die Brust zu bekommen. "Wir könnten auch die Wand absuchen", erklärte er lahm. "Wir haben keine Zeit", erklärte ihm Folipurba, "Manchmal muss man tun, was getan werden muss." Die nächste Lore, die aus der Wand kam, verfehlte sie nur um Haaresbreite und nachdem das unheimliche Geschoss vorüber war, sprang Folipurba voran, während Neru einen Fluch unterdrückte und ihr folgte. So schnell sie konnten, eilten sie über die Gleise. "Ich kann gar nichts sehen!", beschwerte sich Neru und Folipurba antwortete: "Der Gang geht immer geradeaus, nur... Halt den Kopf unten und beeil dich." Neru wollte erneut fluchen, doch in der Ferne hörte er schon das unheilvolle Geräusch von Metallrädern auf Schienen und er schluckte wiedermal seine Angst hinunter und rannte, so schnell er konnte, den Gang entlang. Ein Stein, etwa so groß wie eine Faust, lag auf dem Boden herum und Nerus Fuß schlug unangenehm heftig dagegen. Bei seiner unbequemen Körperhaltung - Er musste ja geduckt rennen - brachte ihn dieser Zusammenstoß aus dem Gleichgewicht und mit einem Schrei und einem heftigen Schmerz in seinem Bein, schlug er auf dem Boden auf. Das Geräusch der Räder war beängstigend näher gekommen und Neru versuchte, sich in der vollkommenen Schwärze wieder aufzurichten. Dann packten ihn plötzlich große Fangarme oder etwas ähnliches und zogen ihn nach links. Damit stürzte er zum zweiten Mal schmerzhaft auf die Knie und die Lore schoss rechts an ihm vorbei. "Hier ist es wieder breiter", erläuterte ihm Folipurba, von der Neru nicht ein einziges Blatt oder einen einzigen Quadratzentimeter Fell erkennen konnte. "Komm!", hörte er ihre Stimme vor sich in der Finsternis und langsam richtete sich Neru wieder auf und tastete sich an der Wand entlang. Nachdem sie um eine Kurve gebogen waren, konnte er vor sich wieder das wahrhaftige Licht am Ende des Tunnels erkennen und er atmete erleichtert auf, als sie endlich den Tunnel verließen.

Ein weiches, rötliches Licht erfüllte die ganze Höhle und die Luft war heiß. "Oh Mann!", ächzte er, während ihm schon die ersten Schweißtropfen über die Stirn liefen, "So muss es Nerina in der Feuerprüfung gegangen sein." Folipurba sah gar nicht gut aus. Ihre Blätter sahen ganz welk aus und hingen schlaff an ihr hinunter. "Hier ist es zu heiß!", ächzte sie. Neru nickte. Klar! Evoli war jetzt ein Pflanzenpokemon, das bedeutete auch, dass sie das Feuer und seine Hitze nun gar nicht mehr gut vertrug. "Geht es dir gut?", fragte er besorgt und sie nickte langsam. "Wird schon gehen", erklärte sie, "Lass uns nur versuchen, hier so schnell es geht rauszukommen." Ein wütendes Schnauben ließ Neru herumfahren. Hinter ihm standen zwei Magmar und ein Glutexo, von dem das Schnauben offensichtlich gekommen war. "Texo?", fragte das Glutexo und Folipurba übersetzte: "Sie fragen uns, was wir hier suchen." Dann erklärte sie ihm etwas in der Pokemonsprache. Er antwortete darauf mit einem bösartigen Schreien und Schnauben. Die Magmar sahen sich verstohlen an. "Er sagt, sie befinden sich im Streik, weil die Glumanda und Fukano nicht richtig arbeiten." "Nicht richtig arbeiten?", fragte Neru zweifelnd. Die Feuerpokmon machten ihm schon ganz schön Angst. Die Magmar sahen aus, als würden sie bereits brennen, und Glutexos Blick verriet, dass er jeden, der ihm widersprach, zu einer helleren Fackel machen würde, als die Magmar. Folipurba schien die Hitze immernoch ziemlich zuzusetzen und er wusste, dass er hier an dieser Stelle keinen Kampf provozieren durfte. "Was tun sie denn oder besser gesagt, was machen sie nicht?" Glutexo wies nur mit einem wütenden Schnauben in eine andere Ecke der Grotte. Langsam setzte sich Folipurba in Bewegung und Neru folgte ihr. Nachdem sie mit einem der Glumanda gesprochen hatte, erklärte sie: "Hier liegen Rangstreitigkeiten und Ungerechtigkeit vor. Anscheinend ist das Glurak, das sie normalerweise anführt, und vor dem alle Respekt haben, verschwunden und nun wollen die Glumanda abwarten, während die Glutexos offenbar ihre Chance wittern und hier den höchsten Rang übernehmen wollen." "Aha..." Neru nickte, verstand aber kein Wort. Folipurba seufzte. "Wenn nur Texomon mit seiner Arkani-Form hier wäre, dann wäre die Debatte in Sekundenschnelle erledigt. So läuft alles auf Rangkämpfe und Streit hinaus und alle müssen zusammenarbeiten, damit die Loren gefüllt werden." "Was können wir tun?", fragte Neru. "Nun, die eine Möglichkeit besteht darin, selbst das Alpha-Tier zu werden", erklärte Folipurba, "Aber ich fürchte, um Glutexo zu besiegen, fehlen uns die Mittel." Neru nickte wieder. "Das ist ausgeschlossen." Folipurba nickte. "Ich versuch, Näheres herauszufinden", erklärte sie, "Auch, wenn ich als Pflanzenpokemon in ihrer Hierarchie nichtmal Erwähnung finden dürfte." Neru nickte und setzte sich auf einen Stein. Wenn Folipurba keine Möglichkeit fand, den Streit zu beenden, würden sie hier nicht weiterkommen und wahrscheinlich hier herumsitzen, bis Team Rocket hier auftauchen und sie schnappen würde. Neru versuchte, seine düsteren Gedanken zu verdrängen und sah stattdessen Folipurba zu, die wild mit den Glumanda herumstritt und diskutierte und einmal fast eine Flammenzunge von einem von ihnen zu spüren bekam. Doch sie schien sich Respekt unter den Flammenpokemon zu verschaffen und nach einer Weile kehrte sie zurück. "Die Glumanda haben zugestimmt, dich als ihren Anführer zu betrachten, wenn du da hineingehst -" Damit verwies sie auf einen kleinen, rötlichen Tunnel am Ende der Grotte. "- und diesen Lavastein hier -" Damit verwies sie auf Glumanda, das fröhlich einen rötlichbraunen Stein in der Hand hielt. "- dort hinten in die Lava wirfst." Neru schluckte. "Passiert dann was?" Folipurba sah zu Boden. "Die Lava wird überkochen", erklärte sie, "Die Fontäne wird ihnen zeigen, dass wir es geschafft haben." Neru schluckte erneut. "Sie sagen, wir hätten genügend Zeit, wieder rauszukommen, aber es gehöre sehr viel Mut dazu, es zu tun." Neru nickte und versuchte, sein Lächeln gegenüber den Glumanda beizubehalten. Innerlich verzerrte sich schon wieder alles. Oh Nerina, dachte er innerlich, dich und Texomon könnten wir hier sehr sehr gut gebrauchen. Doch auch Nerina hatte die Feuerprüfung bestanden, sehr verrußt und mit ziemlich verbrannten Haaren, aber immerhin. "Es wird uns schon nicht so schlimm ergehen, wie Texomon und Nerina", erklärte Neru mit fester Stimme, nahm den Stein vorsichtig aus Glumandas Klauen und trat auf den Tunnel zu. Ein enormer Lufschwall heißer Luft quoll aus dem Loch und die Hitze war so extrem, dass es Neru den Atem verschlug. Folipurba trat mit zitternden Beinen näher. "Ich weiß auch nicht, warum ich so eine Angst habe", antwortete sie auf Nerus fragenden Blick, "Ich fürchte mich vor diesem Tunnel, mehr, als vor Gringo." "Es ist genau das Element, das dir am meisten ausmacht", erklärte Neru, "Obwohl du immernoch mein kleines Evoli bist, bist du jetzt ein Pflanzenpokemon. Du musst das Feuer fürchten. Willst du hier auf mich warten?" Folipurba stellte ihr Kopfblatt vorwitzig ab und auch alle anderen Blätter stellten sich hochmütig auf. "Ich habe gesagt, dass ich nie wieder so ängstlich sein würde", erklärte sie feierlich, "Ich lasse dich nicht allein." Neru ließ den Glutstein in seiner Hand hüpfen und sagte dann: "Na dann los. Gehen wir's an."

Neru hatte gedacht, er müsste schon wissen, was heiß bedeutete. Aber das Brennen, das auf seinem ganzen Körper anfing, war so beißend, dass er sich fühlte, als würde er gebacken. Folipurba sah nicht viel besser aus. "Lass es uns so schnell es geht hinter uns bringen", erklärte Neru. Es wurde mit jedem Schritt heißer und sie begannen, so schnell vorwärts zu schreiten, wie es möglich war, und hielten sich von den glühenden Wänden fern. Neru fühlte sich, wie in einem Backofen. Noch bevor er das Ende des Ganges erreichte, spürte er, wie sein Haar anfing, zu kokeln. "Wir sollten das nicht tun", machte er jetzt seiner Verzweiflung Luft. "Wir müssen", antwortete Folipurba, obwohl ihre Blätter schon eine ungesunde, schwarze Tönung bekamen. Neru musste all seinen Mut zusammennehmen, um weiterzugehen. 'Tu es für Nerina', hörte er Folipurbas Stimme in seinem Kopf, 'Wirf, Neru! Wirf!' Neru hatte das Ende des Ganges gar nicht mehr kommen sehen. In seinen Augen brannte der Schweiß und er fühlte sich wie eine Weihnachtsganz. Es wird noch heißer werden, wenn du den Stein da hinein wirfst, erklärte ihm eine Stimme in seinem Kopf. Neru seufzte und biss die Zähne zusammen. Mit einer unendlichen Willensanstrengung ließ er den Stein fallen. Der Stein glitt aus seiner Hand, wurde von einer Böe gepackt und fiel knapp neben Nerus Füßen zu Boden. "Ich muss hier raus!", schrie er. Folipurba schoss ein halb kokelndes, halb brennendes Blatt auf den Stein ab und er fiel über die Kante. "Laaaauuufff!", schrie sie und Neru fiel in den Schrei ein, während sie, so schnell sie konnten, den Gang zurückrannten. Als sie das Ende erreichten, brach Neru zusammen und ein heißes, verbranntes Etwas schmiegte sich an ihn. Neru konnte erst nach ein paar Minuten wieder den Kopf heben und als er nun verdutzt um sich blickte, arbeiteten die Glumanda Hand in Hand mit den Glutexo und Magmar und Eisen wurde geschmolzen und gegossen und anschließend in die Fuhrwerke eingeladen. "Sie haben uns anerkannt!", jubelte Folipurba und versuchte, den Ruß von ihrem Schwanzblatt zu wischen. "Ja!" Nerus Kehle fühlte sich beim Antworten ganz verkratzt und kaputt an. "Wir haben es geschafft. Jetzt müssen wir aber nochmal zurück", jammerte Neru, doch Folipurba hatte eine Idee und ein schelmisches Glitzern machte sich in ihren Augen bemerkbar, was in merkwürdigen Kontrast zu ihrem sonst so verbrannten Körper stand. Bevor Neru wusste, wie ihm geschah, hatten ihn die Magmar mit ihren heißen Fingern gepackt und Folipurba war zu ihm in die Lore gesprungen. "Jetzt geht es im Eiltempo zurück!", erklärte sie stolz, während die Lore Fahrt aufnahm. Der Schwarze Tunnel der vorhin noch so groß und lang gewesen war, war nun in wenigen Sekund passiert und weiter ging ihre Fahrt durch die Werkhalle. Kurz, bevor sie wieder auf Höhe der Snobilikat-Station waren, sprangen sie ab. "Das war cool", stieß Neru aus und Folipurba ließ ihren Brust anschwellen, während ihr dabei ein paar Rußflocken vom Fell rieselten. Doch Neru wollte nicht in Euphorie ausbrechen. "Sieh doch", erklärte er, "Die Roboterarme bewegen sich nicht." Etwas verschnupft nickte Folipurba. "Mir war irgendwie schon klar, dass dieses Irrenhaus noch weitergeht", erklärte sie.

"Och nö." Neru ließ die Schultern sinken, "Ich dachte, jetzt haben wir's geschafft." "Offenbar noch nicht!", damit lief sein Iramon los, "Komm Neru! Ich hab da hinten was gesehen." Neru sah an seinem Körper hinunter. An den Kleidern, die halb verbrannt waren, zu seinen Hosen, die eine schöne Sicht auf seine blutigen Knie offenbarten und seufzte. "Bin schon auf dem Weg", rief er seinem Iramon hinterher, die jetzt, da sie dem Feuer entkommen war, wieder voller Lebenskraft steckte. Neru hatte Mühe, sie einzuholen und schaffte es erst, als sie in einem Kreis von Mauzi standen. Die Mauzi saßen mit griesgrämigen Gesichtern auf dem Boden herum. "Was ist denn mit euch los?", fragte Neru, wieder mal vergessend, dass nicht alle Pokemon sprechen konnten. Umso verdutzter war er, als das Mauzi antwortete. "Wir haben Hunger", erklärte es, "Ich hab sogar so viel Hunger, dass ich nicht mal die Roboter bedienen kann." Neru sah von dem so griesgrämigen und bedauernswerten Gesicht zu dem dicken Bauch des Mauzi hinunter. 'So unterernährt sieht es gar nicht aus', kam es in dem Moment auch von Folipurba und er musste ein Lachen unterdrücken. "Könntest du es nicht noch einmal für uns tun?", fragte Neru in unschuldigem Ton. Das Mauzi legte den Kopf schief und musterte ihn scharf. "Ich könnte es tun", erklärte es, "Aber meine Kollegen sind auch so hungrig und ohne sie geht es nunmal nicht." Neru seufzte. "Gibt es hier eine Küche?", fragte er resigniert. Die Miene des Mauzi hellte sich mit einem Schlag auf. "Klar!", rief es begeistert aus, "Dort unten am Ende der Halle ist die Küche." Damit wies es in die Richtung des Endes der Halle. Notgedrungen machten Neru und Folipurba sich wieder auf den Weg.

"Na, das nenn ich mal Küche!", stieß Neru aus, als er den riesigen Raum betrat. "Mein Gott, die haben Töpfe hier, da könnte man mich drin braten!", stieß Folipurba bewundernd aus und Neru nickte. "Wüsste zu gern, wie du schmeckst", erklärte er, "Vielleicht wie etwas zwischen Kartoffel und Aubergine?" Folipuba stellte empört die Blätter. "Wag es ja nicht!", zischte sie und wackelte unheilverkündend mit dem Schwanz. "Nun, wenn kein Pflanzeneintopf... -" Folipurba warf ihm noch einen giftigen Blick zu, "- was haben wir denn dann hier?" Neru wanderte ein bisschen in der Küche herum. "Kannst du uns mal den Topf dort aufs Feuer schwenken?", fragte er dann, während Folipurba ihn beobachtete, "Wir machen Pudding." Nachdem sie etwa 20 Liter Milch in den Topf versenkt hatten und das Puddingpulver, das es hier in rauen Mengen zu geben schien, hinzugemischt hatten, ließen sie die Mischung aufkochen. "Du kannst schonmal die halb verhungerten Mauzi holen", erklärte Neru, "Gleich gibt es was zu essen." Folipurba lachte. "Verhungert? Ich verhungere gleich." "Ich auch", erwiderte Neru, während er in dem Pudding herumrührte und die Flamme unter dem Gasherd löschte. Nach einer regelrechten Puddingschlacht machten sich die Mauzi an die Arbeit und nach weiteren zehn Minuten hielt Neru die fertige Bronzestatue eines Mauzi in der Hand.

"Du hast es geschafft!", schrie Mando, der nun durch das große Tor in die Halle stürzte, "Lass uns so schnell es geht abhauen. Ich hab ein Tauboss bereitgemacht." Neru nickte nur noch. Seitdem die Mauzi angefangen hatten zu arbeiten, hatte ihn eine solche Müdigkeit überfallen, dass ihm eigentlich alles egal war. Er spürte kaum noch, wie er sich auf dem Rücken des Tauboss niederließ und von ihm in die Höhe getragen wurde. Es war ihm auch völlig egal, wohin es ging. Folipurba hatte sich warm an seine Brust gekuschelt und Neru glitt in einen leichten Schlaf hinüber.
 

>>>Nerina<<<
 

Obwohl Nerina der nächtliche Flug auf Tauboss' Rücken wie eine Ewigkeit vorgekommen war, hatte es sich offenbar höchstens um eine halbe Stunde gehandelt, denn als das große und friedliche Vogelpokemon sanft wie eine Schneeflocke auf dem großen, von unzähligen Generationen von Tauross, Miltank und anderen Pokemon ordentlich gemähten Rasen aufsetzte, da ging gerade erst der Mond über der sanften Hügelkette im Osten auf. "Vielen Dank, Kagura", brachte sie gerade noch gähnend heraus, dann ließ sie sich von Tauboss' Rücken ins weiche Gras gleiten, Texomon machte sich nicht einmal mehr die Mühe, vollends aufzuwachen, obwohl er den Flug anfangs in vollen Zügen genossen hatte. Ella zögerte kurz, ehe sie sich streckte und Nerinas Beispiel folgte. Nur Sipho brachte genug Anstand auf, der älteren Dame die Hand zu schütteln. Kagura lächelte milde auf sie herab. "War mir ein Vergnügen, Iramon-Trainer", sagte sie herzlich, "Und ihr sollt mir immer willkommen sein, wenn ich euch helfen kann." Damit gab sie ihrem Tauboss ein Zeichen und kraftvoll stieß es sich vom Boden ab, sein Kamerad, auf dem Ella und Sipho geritten hatten, folgte. Kaum waren die mächtigen Flügelschläge verklungen, als die große Labortür des Professors aufschwang. Ein Schwall goldenen Lichtes fiel über die Wiese und ließ Texomon alarmiert den Kopf heben. "Wo...? Was...?", fragte er verwirrt, da stürzten sich auch schon zwei Gestalten a-s dem Labor und rannten ihnen mit langen Schritten entgegen. "Nerina!", rief Neru offenkundig erleichtert, während ein ungut großer Schatten ihn mühelos überholte und mit wenigen Sätzen die Distanz hinter sich brachte. "Ach, ihr seid es!", rief Folipurba und ließ auf den letzten Meter den zum Angriff erhobenen Schwanz sinken, "Ihr habt uns vielleicht erschreckt! Wir dachten schon, sie hätten uns eingeholt..." "Wer hat euch eingeholt?", fragte Texomon, nun wieder hellwach und sah sich interessiert in Professor Eichs Garten um, "Die Zeiten, als die Snobilikat dich herumgejagt haben, sind doch sicher vorbei - und warum bist du überhaupt hier, wenn du noch so grün bist?" Erschrocken dämmerte Nerina, dass er recht hatte. Der Plan hatte vorgesehen, dass Neru nach dem Bestehen der Normal-Prüfung hierher zurückkehrte, um sich von Professor Eich einen Normal-Stein geben zu lassen. Die Tatsache, dass Folipurba immernoch in ihrer vollen Blättrigkeit vor ihnen stand, konnte nur bedeuten, dass sie entweder die Normal-Prüfung nicht bestanden - oder die Rückverwandlung nicht funktioniert hatte... Folipurba schien ihren Blick zu spüren. Betreten senkte sie den Kopf. "Die Prüfung war ziemlich anstrengend", erzählte sie ausweichend, "Wir mussten Stromgeneratoren reparieren und Laufrad laufen und dann waren da ganz viele Glumanda und Glutexo... Sei froh, dass du kein normales Glutexo bist, Texomon! Sie sind ja so hohlköpfig!" "Habe ich mir von dir auch schon des öfteren angehört", erwiderte Texomon und umrundete sie vorsichtig, "Aber was ist jetzt mit deinem Stein? Es macht mich irgendwie nervös, mit einem Kopfsalat zu reden!" Folipurba stellte alle Blätter und fauchte verärgert, ehe sie sie wieder schlaff herunterhängen ließ. "Wirst dich wohl dran gewöhnen müssen. Leider... hat der Stein keinerlei Wirkung gezeigt." "Oh...", machte Texomon, offenbar ehrlich betroffen und ließ die Ohren hängen. Nerina spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust und ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals, als sie Neru ansah. Ihr Bruder sah furchtbar aus. Der kaum verheilte Schnitt an seiner Wange war offenbar wieder aufgeplatzt, seine Haare waren verrußt und seine Jeans hing in Fetzen. Gerade wollte sie anheben, ihn zu trösten, ihm zu sagen, dass sie ihn vermisst hatte und, dass er bitte trotzdem wieder mitkommen sollte, da bemerkte sie den seltsam verschleierten Ausdruck in seinen Augen und ballte hinter dem Rücken die Hände zu Fäusten. "Komm her, Texomon", sagte sie sanft und scheinbar schrecklich traurig, "Lass Folipurba zufrieden... Bitte zeig ihr doch lieber mal deine neue Attacke! Das macht sie sicher munter." Folipurbas Gesicht formte ein einziges Fragezeichen und Unsicherheit flammte in ihren Augen auf, während Texomon Nerina erst verdutzt, dann begeistert ansah. "Oh ja! Ich kann nämlich jetzt eine Stahlattacke!", rief er aufgeregt und nahm Anlauf, "Die soll ganz toll wirken gegen Pflanzen! Schau! Die geht so! Eisenschweif!" Folipurbas Augen wurden groß und rund, während Texomon Anlauf nahm, dann warf sie sich herum und sprang auf Neru zu - noch im Flug glühte sie golden auf. Texomon stolperte vor Überraschung über den eigenen Schwanz. "Evoli!", rief er erbost vom Boden, "Du hast uns angeschmiert!" Doch Evoli leckte sich nur gönnerhaft die kleine Nase, sah ihn mit ihren großen, blauen Augen friedlich an und kuschelte sich noch ein wenig enger in Nerus Arme. Dieser lächelte zaghaft. "Woher wusstest du, dass wir schwindeln?", fragte er überrascht, doch Nerina streckte ihm nur die Zunge heraus, sprang über den frustriert liegengebliebenen Texomon auf ihn zu und schlang die Arme um beide, Evolis warmem Fell kitzelte an ihrer Wange, als sie sich halb auf ihre Schulter schob und den Kopf an Nerinas Ohr rieb. "Ich weiß, wenn mein Zwilling mich anflunkert", flüsterte sie nur leise, "Wer hat schließlich mit dir für die Schule trainiert?" "Auch wieder wahr", entgegnete Neru lachend und erwiderte die Umarmung, "Hey, wir haben euch echt vermisst - Vor allem in dieser verdammten Prüfung. Oh, wie hast du das nur bei Feuer ausgehalten?"

Inzwischen waren auch Ella, Sipho und Mando näher gekommen und umstanden sie mit etwas hilflosen Gesichtern. "Dann, dann bist du also wieder dabei, Neru?", fragte Sipho ein wenig unbeholfen und Neru nickte strahlend. "Ja! Evoli kann wieder ihre eigene, Folipurbas und Aquanas Form annehmen und als nächstes kümmern wir uns um Elektro!" "Glückwunsch!", sagte nun auch Ella und schüttelte ihm förmlich die Hand. Nerina seufzte nur kopfschüttelnd und wollte gerade etwas erwidern, als Professor Eich im Nachthemd hinaus auf die Terrasse trat. Als er sie erkannte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. "Ah! Taubsi, Nidoran und Texomon! Wie schön, euch wiederzusehen!" "Professor Eich!", riefen alle drei Iramon wie aus einem Munde und stürmten ihm aufgeregt entgegen, um sich in abwechselnder Reihenfolge besehen zu lassen und den Professor mit Fragen zu bestürmen. "Geht es Ihnen gut?", fragte Nidoran höflich. "Hat nochmal jemand nach mir gefragt?", rief Taubsi aufgeregt und Texomon ergänzte stürmisch: "Was ist mit dem Gartenteich geworden, den ich gegraben habe - und, haben Sie meine Hängematte noch? Ich würde sie Nerina so gerne zeigen!" "Eins nach dem anderen!", entgegnete Eich lachend und machte eine Geste in Richtung Hauseingang, "Geht doch bitte erstmal hinein! Wenn ich mich recht entsinne, werdet ihr ja gleich von zwei Sturmtruppen des Team Rocket verfolgt! Die müssen euch nicht ausgerechnet auf meinem Rasen sehen! Außerdem hab ich für euch den Whirlpool im Keller heißgemacht. Wäre ein Jammer, ihn wieder abkühlen zu lassen!"

"Wie habt ihr es geschafft, in die Normal-Arena reinzukommen?", fragte Ella neugierig, als sie allesamt einige Minuten später im heißen Wasser saßen und wohlig die schmerzenden Glieder reckten. Taubsi, Nidoran und Evoli hatten es vorgezogen, sich auf dem dicken Teppich vor dem Holzofen zusammenzurollen, nur Texomon war natürlich nicht davon abzubringen gewesen, den sechsten Platz im Whirlpool für sich zu beanspruchen. Nun räkelte er sich behaglich auf Nerinas Schoß und ließ es über sich ergehen, dass sie seinen staubigen und dreckigen Schuppen mit der laprasförmigen Badebürste eine Abreibung verpasste. Schnurrend wälzte er sich nun auf die Seite und hob die Schnauze gerade soweit aus dem Wasser, dass er sprechen konnte. "Mmmm! Heißes Wasser ist viel besser als kaltes! Wir sollten uns auch so einen See zulegen, Nerina! Oh ja! Da oben ist noch ganz viel unter meinen Schuppen und da! hinter dem Ohr..." "Pass auf, dass du nicht zu verwöhnt wirst", kommentierte Evoli spitz vom Teppich, "Wenn du dich noch weiter aufplusterst, passt du bald nicht mehr da rein!" Doch Nerina hob nur beschwichtigend die Hand. "Er hat einen ziemlich harten Tag hinter sich", sagte sie verteidigend, ließ es dann aber dabei bewenden. Ihr war nicht danach, von ihrem Kampf zu erzählen. Zu anstrengend war er gewesen - und zu groß die Zerstörung auf Marmorias Straßen. Die Einwohner waren ihnen dankbar, zumindest hieß es so in dem hastig verfassten Brief des Bürgermeisters, den Sandy ihr mitgegeben und den sie im schwachen Dämmerlicht auf Tauboss' Rücken überflogen hatte. Sie hätten die Stadt von einer Plage befreit und Marmoria stünde ihnen stets zu Diensten... Doch Nerina fühlte sich kaum, wie eine Heldin - wenigstens nicht, falls man dabei an Stärke oder Stolz dachte. In Wahrheit war sie einfach nur müde und so verdrehte sie einfach nur die Augen, als Neru zu einer Frage anhob. "Wir erzählen es euch alles morgen", sagte sie nur dumpf und pustete ein Quietsche-Turtok über den Pool gegen seine Brust, "Heute war für uns alle ein harter Tag. Wusstet ihr schon, Ella hat ihre Erdprüfung! Damit haben wir jetzt schon ein vollständig entwickeltes Iramon!" "Oh, wirklich? Und was bist du geworden?", fragte Evoli skeptisch. Taubsi hob stolz den Kopf. "Panzaeron!", sagte sie artig. Evoli machte große Augen. "Oh und wie ist es, so blechern zu sein?" Texomon stieß einige belustigte Blubberblasen aus den Nüstern, während Taubsi nachdenklich damit begann, ihre Federn zu putzen. "Man schneidet sich dauernd, wenn man sich putzt", erwiderte sie ohne zu lachen, "Und die Flügel wiegen plötzlich Tonnen. Aber dafür ist alles andere ganz leicht." "Also, wie war das jetzt mit deiner Normal-Arena", hakte Nerina schließlich nach, als eine kleine Pause entstand. Neru zuckte mit den Schultern. "Mando hat uns reingebracht. Er hat gesagt, ich wäre ein Trainer aus Eden und er wollte mich prüfen. Bis zum Arenaleiter hat’s geklappt." "Und dann?", fragte Ella perplex weiter. Nun war es Mando selbst, der eine müde Handbewegung machte. "Dann ist die Sache aufgeflogen. Ich konnte ihn ruhighalten, bis Neru aus der Prüfung war, aber der Rückflug war ziemlich anstrengend. Wir hatten echt Glück, das die meisten von ihnen bei euch in Marmoria beschäftigt waren..." Kurz entstand eine Pause, in der er Nerina mit undurchdringlichen Augen musterte. Kurz machte er den Anschein, etwas sagen zu wollen, dann ließ er jedoch resigniert den Blick sinken und fuhr fort, dem Quietsche-Turtok Badeschaumkrönchen auf den Kopf zu malen. Kurz fragte Nerina sich, was mit ihm los war. Den ganzen Abend schon hatte er kaum ein Wort gesprochen, doch dann beschloss sie seufzend, dass es ihm vielleicht nicht großartig anders ging, als ihr selbst und verdrängte den Gedanken. Morgen würden sie Geschichten austauschen, wenn sie ausgeschlafen und wieder bei Kräften waren. Kurz gab sie sich der traumhaften Vorstellung hin, sie könnten ein paar Tage bei Professor Eich bleiben. Nerina hatte das Grundstück von je her fasziniert und zu gerne hätte sie mit den vielen Pokemon in seinem Garten gespielt, abends vor dem Kaminfeuer über Trainingsmethoden diskutiert und sich von Texomon sein Zuhause zeigen lassen, von dem er zwar selten, doch immer wieder voller Eifer gesprochen hatte. Doch dann fuhren ihre Finger über einen von Texomons verschorften Kratzern und schmerzhaft wurde ihr klar, dass sie nicht hier bleiben konnten, nicht bei Eich und auch nicht in Marmoria. Sie waren dringlicher gesucht als jemals zuvor und jeder, der ihnen Unterschlupf bot, lief Gefahr, vom Team Rocket angegriffen zu werden. Sie würden wieder gehen müssen, zurück in den Schutz des Waldes und weiterkämpfen, bis Gringo besiegt war, denn spätestens nach ihrem Kampf heute, das begriff sie nun, gab es kein Zurück mehr auf ihrem Weg. Sie würden Gringo stürzen - oder bei dem Versuch dabei gefangen oder getötet werden. Mit einem leisen Seufzen schlang sie die Arme um Texomon und drückte ihn vorsichtig an sich. Wir schaffen das schon!, dachte sie fest, und eines Tages kann ich mit dir in Frieden im Park spielen oder ins Schwimmbad gehen. Eines Tages wird der Kampf vorüber sein und wir werden wir frei sein, du und ich und Neru und Evoli - und dieses ganze, große Land, frei, zu gehen, wohin wir wollen, frei zu tun, wonach uns der Sinn steht. Eines Tages...

Kapitel 7

>>>Neru<<<
 

"Das ist ja eine Mühle." Neru hielt sich die Hand über die Augen und schirmte sie so von dem Fahrtwind ab. Es war zu gefährlich geworden, länger als unbedingt nötig bei Professor Eich zu bleiben. Dementsprechend hatte der Professor ihnen ein altes Versteck auf einer Landkarte gezeigt und ihnen gleichzeitig zwei Tauboss zur Verfügung gestellt. Der Flug hatte sich mehr in die Länge gezogen als erwartet, da die Iramon, und dabei vorallem Texomon, immer wieder Gegner in der Ferne ausgemacht hatten. Suchtruppen Gringos, die vorallem mit großen Ibitak unterwegs waren und dementsprechend nicht an die Geschwindigkeit von den Tauboss herankamen. Evoli hatte der Flugwind weniger gefallen und so hatte sie sich tief in die Falten von Nerus Jacke zurückgezogen und linste nur ab und an heraus, um nachzufragen, wie lange sie denn wohl noch unterwegs sein würden. "Du könntest auch nach Feinden Ausschau halten", hatte Neru ihr nur einmal geraten, doch Evoli hatte diese Bemerkung nur mit einem Schwanzzucken, das er an seinem Bauch gespürt hatte, abgetan und erwidert: "Fliegen ist halt nichts für mich!" und dabei war es geblieben. Nidoran schien auch nicht sonderlich glücklich über den langen Flug zu sein, wobei er das Fliegen doch von Kramurx gewöhnt sein müsste. Taubsi und Texomon hingegen genossen das Fliegen. Texomon saß breitbeinig vor Nerina auf dem Hals des Tauboss und an seinem gut gelaunten Gesicht konnte man nur zu deutlich ablesen, dass er das Gefühl von Freiheit zutiefst genoss und wenn Tauboss über ein Luftloch flog, war es Texomons unterdrückter Freudenschrei, der die allgemeine Angst überschallte. "Eine Mühle", fragte Evoli verschlafen und hob wieder mal den Kopf aus den Falten der Jacke. "Ja", erwiderte Neru aufgeregt, "Schau! Da vorne kann man sie schon sehen." "Och, die ist ja noch weit weg", erwiderte Evoli, doch ihre Ohren stellten sich langsam auf. Offenbar war sie doch ein wenig interessierter, als sie zugeben wollte. Wenige Minuten später gingen die Tauboss auf der Lichtung vor der Mühle nieder. Sie befanden sich nun in einem kleinen, grünen Tal, das sich zu einem See hin öffnete. Ein kleiner Bach schlängelte sich träge dahin und trieb das große Mühlrad an, das so verfallen aussah, als könne jede weitere Drehung es auseinanderfallen lassen. "Na, das nenn ich mal ein cooles Versteck", erklärte Ella, während sie immernoch ein wenig verstimmt von Tauboss Rücken stieg. Sie hatten mit Mehrheit und gegen Ellas Willen beschlossen, dass es zu gefährlich war, sie auf Kramurx reiten zu lassen. Immerhin gab es im ganzen Land kein anderes Kramurx, das so groß war. Neru hatte im Stillen die Vermutung, dass eine gute Portion Tauboss darin steckte, doch das ließ er Ella lieber nicht hören, immerhin war sie richtig stolz auf ihr Unlichtpokemon. Neru konnte ihr diesen Stolz nicht verübeln. Auch er war stolz auf sein schnelles Aquana und sein starkes Folipurba. Doch hatte er in den letzten Wochen gelernt, dass Stärke einfach nicht alles war. Während er sich in dem Tal umsah, dachte er mit einem leisen Schauer daran zurück, wie furchtbar es gewesen war, als Evoli nicht mehr ihre normale Gestalt annehmen konnte, wie traurig sie ausgesehen hatte, und er musste sich eingestehen, dass er die Nächte ohne sie auf keinen Fall genossen hatte. Das Tal selbst jedoch gab keinen Grund für Schauer, es sei denn, man erschauere vor der Schönheit. Saftige Weiden und grüne Bäume ragten an den Seiten des Baches auf und Blumen blühten auf den großen Weiden rund um die Mühle. Es war ein schöner Ort, kaum zu glauben, dass sie sich hier verstecken und nicht einfach nur Urlaub machen sollten. "Ist sie nicht wunderschön?", stieß auch Nerina aus und Neru folgte ihrem Blick hinüber zu der alten Mühle. Sie war komplett aus Holz gebaut und an ihrer Seite drehte sich das große Mühlrad langsam und majestätisch. Sie sah zwar alt, aber immernoch gut in Schuss aus und Neru war sich beinahe sicher, dass man sie immernoch zum Mahlen von Getreide verwenden konnte. "Hey! Da ist ein Bach! Wer hat Lust auf Schwimmen?", fragte Texomon gutgelaunt. 'War ja klar', erwiderte Evoli verschnupft in Nerus Gedanken. Neru verkniff sich ein Schmunzeln. Evoli hatte da nicht ganz unrecht. Wenn Texomon irgendwo Wasser sah, war er einfach nicht mehr zu halten. Seine verspielte Art hatte schon auf dem Weg vom Gefängnis-Coup zurück nach Hause eine große Rolle bei Aquanas Training gespielt, doch war es kaum zu glauben, dass aus dem so verspielten Texomon plötzlich ein riesiges Seeungeheuer werden konnte, das einen ganzen Hafen in Schutt und Asche legen und dabei dutzende von Pokemon bekämpfen konnte. Mit einem erneuten, leichten Erschauern erinnerte sich Neru zurück an die Fernseh-Spezials, die zu Arkanis Ehren auf allen Kanälen abgespielt wurden und in denen ein riesiges Feuer-Hundepokemon sowie eine ganze Schar Hundemon die Hauptrolle spielten und die Anhänger von Team Rocket aus Marmoria hinaustrieben. Auch in der Feuerprüfung hatte Texomon sich hervorragend geschlagen und seine Schwester nur leicht angesengt, aber dennoch heil, wieder zurückgebracht und auch Neru danach noch aus der Gefangenschaft von Rita und Augusto befreit. Mit einem leichten Schuldgefühl wurde Neru nun klar, dass er Texomon noch gar nicht dafür gedankt hatte. Er war einfach zu sehr von Folipurbas Problem abgelenkt gewesen, um sich ausführlicher mit dem kleinen, blauen Drachen zu beschäftigen. Nachdem keiner der Anderen große Lust zeigte, mit Texomon schwimmen zu gehen, und dieser schon ein wenig frustriert allein den Weg unternehmen wollte, rief Neru: "Warte! Ich komme mit. Ein kleines Erfrischungsbad kann doch nicht schaden!", erwiderte er auf Nerinas verdutzten Blick hin. "Wenn ihr beiden Eiszapfen fertig seid, könnt ihr ja nachkommen", entgegnete Ella, die sich schon mit Sipho, Nidoran und Taubsi auf den Fersen in Richtung des Eingangs der alten Mühle aufmachte. Nerina stand einen Moment unentschlossen in der Landschaft herum, bis sie sich ebenfalls einen inneren Ruck zu geben schien und ihnen hinab zum Bach folgte. Zögerlich steckte Neru einen Zeh in das Wasser. Es war wirklich eiskalt und er überlegte, ob er wohl mit Texomon, der schon fröhlich im Wasser herumplanschte, auch vom Land aus reden konnte, als ihn von hinten ein kräftiger Schubs traf und er über Evolis Rücken - Komisch, dachte er noch bei sich, war sie nicht eben noch bei Ella? - mit einem leisen Aufschrei ins eiskalte Wasser fiel. "Na, bist du jetzt erfrischt?", fragte Nerina ihren Bruder mit einem schalkhaften Lächeln und Evolis Ohren und Schwanz waren hoch erhoben und sie keckerte belustigt. "Na wartet", rief Neru. "Texomon!", rief er dem kleinen Drachen zu, "Könntest du mir mal deine Aquaknarre leihen? Ich muss mich kurz revanchieren." "Iiih!" Eilig sprangen Nerina und Evoli ein paar Schritte zurück, während Neru versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, wie kalt das Wasser war, und eine kleine Wasserschlacht mit Texomon auszufechten begann. Doch irgendwann wurde es auch Neru zu kalt. Nerina und Evoli hatten sich in die Mühle zurückgezogen, um ihre Kleider oder ihr nasses Fell zu trocknen, und die Kindsköpfe, wie sie es sagten, würden bestimmt bald nachkommen. Bibbernd zog er eine letzte Bahn, wobei Texomon ihn fragend ansah. Dann schien ihm ein Licht aufzugehen und er tauchte ab. Blubberblasen stiegen rund um Neru auf und wohlige Wärme begann, sich in seinen Zehenspitzen auszubreiten, bis das heiße Wasser auch den Rest seines Körpers erreichte. "Wow! Texomon, du bist echt super praktisch!", gratulierte ihm Neru, als Texomons prustender Kopf wieder neben ihm zum Vorschein kam. "Und ich bin dir zu Dank verpflichtet", sprach Neru nun das schwierige Thema an. Texomon legte skeptisch den Kopf schief. "Komm schon", erwiderte er dann, "Das Bisschen Glut ist doch kein Problem." Neru lachte auf. "Nein, nein", meinte er dann wieder ernst, "Das meinte ich nicht. Ich danke dir, dass du auf meine Schwester so gut aufgepasst hast. Du hast sie heil aus dieser Flammenglut herausgebracht und auch in Marmoria hast du super gekämpft." Texomon sah aus, als wisse er für einen Moment nicht, was er sagen sollte. Ernst sah er Neru in die Augen, doch Neru hatte das Gefühl, dass seine Schuppen ein wenig bleicher waren, als noch Momente zuvor. "Ich tu für Nerina, was ich kann", erklärte Texomon dann zurückhaltend. "Sie bedeutet mir sehr viel", sagte er dann mit ganz leiser Stimme. Neru nickte. "Mir auch", erklärte er, "Deswegen bin ich dir ja so dankbar." "Nerina war die Erste, die mich einfach so mochte, wie ich war", erklärte Texomon, "Deswegen war ich auch so enttäuscht, als ich glaubte, sie wollte nur ein Glutexo haben." Neru sah ihn mit großen Augen an und auch Texomon schien von sich selbst überrascht zu sein, so viel von sich preisgegeben zu haben. "Sie mag dich mehr, als alles Andere", erwiderte nun Neru, "Und sie ist es wert, dass man auf sie aufpasst." Texomon nickte ernst, damit tauchte Neru ab, um noch einmal das herrliche, warme Wasser zu genießen, und zog sich dann aus dem Wasser. "Ich glaube, wir sollten uns beeilen", rief er Texomon über die Schulter zu, "Sonst kommen wir noch zu spät zum Essen." "Essen?", fragte Texomon und sprang mit einem langen Satz aus dem Wasser, "Das dürfen wir auf keinen Fall verpassen!"
 

>>>Nerina<<<
 

"Was gibt es denn zu essen?", fragte Texomon, als er, Wassertropfen in alle Richtungen schüttelnd, um die Ecke der alten Mühle geflitzt kam, einen ziemlich außer Puste wirkenden Neru auf den Fersen. Nerina legte skeptisch den Kopf schief. Als sie mit Evoli vor ein paar Minuten zu Ella, Sipho und Mando aufgeschlossen war, hatten die das Untergeschoss des alten Gebäudes bereits in Augenschein genommen und hatten alle ein wenig ratlos an dem großen Mühlstein gelehnt, der das Einzige war, was noch von der Einrichtung übrig geblieben zu sein schien, einmal abgesehen von einem eher klapprig wirkenden Regal an der Rückwand des großen Raumes mit einigen altmodischen Werkzeugen darin, einer handvoll mottenzerfressener Teppiche und ein paar schmutzigen Eimern, alten Stricken und Sackleinen. Mit einem Schulternzucken hatten Ella und sie sich zunächst zwei Bürsten aus dem Regal geschnappt und begonnen, den gröbsten Schmutz nach draußen zu kehren, während Mando und Sipho sich stillschweigend nach draußen verzogen hatten, um Feuerholz zu beschaffen. Nun ließ sie sich schulternzuckend auf den Mühlstein sinken. "Im Moment noch nicht allzu viel, fürchte ich", versetzte sie mit einer hilflosen Geste, "Wir müssen wohl erst noch ein bisschen aufräumen..." Damit wies sie auf all den Staub und die vielen Spinnenweben, die sich in den Deckenbalken eingenistet hatten. Kurz folgte Texomon ihrem Blick, dann hob er die Hände über die Schnauze. "Alle Mal aus der Bahn", rief er warnend, ehe er einen gebündelten Wasserstrahl an die Decke schoss. Ella sprang mit einem ganz und gar ungewohnten Quietschen zur Seite. "Was machst du da!", rief sie, "Dann wird ja alles nass!" "Ist aber eigentlich keine dumme Idee, erstmal den Hochdruckreiniger anzuwerfen", hielt Neru dagegen, "Los, Evoli! Hilf ihm!" "Wird gemacht!", entgegnete Evoli munter, sprang von dem Balken, auf dem sie gekauert hatte zu Boden und glühte blau auf. Im nächsten Augenblick spritzten sie beide um die Wette und Neru nahm Ella die Bürste aus der Hand, um seiner Schwester dabei zu helfen, das Wasser nach draußen zu wischen. "Immerhin wird so auch der Boden sauber", beantwortete Nerina Ellas fragenden Blick. Nach nicht einmal fünf Minuten war das Innere des Raumes auf Hochglanz poliert und Texomon schickte mit vorsichtigen Feuerstößen Dampfschwaden von den triefenden Wänden in die Luft, die träge durch die offenen Fenster hinauszogen. Ella besah sich das Werk der Iramon kritisch, schien sich dann aber einen Ruck zu geben. "Taubsi!", wandte sie sich an ihr eigenes Iramon, "Wenn du Kramurx wirst und den Windstoß einsetzt, kannst du ihm vielleicht helfen, die Balken wieder zu trocknen!" "Und wir anderen wischen mit ein bisschen von dem Sackleinen da den Boden ab, komm, Evoli!", ergänzte Neru. Als Sipho und Mando zurückkehrten, trauten sie zunächst ihren Augen nicht. Texomon hockte im Schneidersitz auf dem inzwischen schon beinahe trockenen Mühlstein und schickte Flammenzunge um Flammenzunge in die Höhe, während Kramurx' Windstöße den Dampf hinfort trieben und die Mühle in mysteriösen Nebel hüllten. "Jetzt bräuchten wir nur noch ein paar Möbel!", schlug Nerina vor, als die Balken allenfalls noch etwas feucht glänzten. Die Sache begann allmählich, ihr Spaß zu machen. "Komm, Texomon! Wir gehen raus in den Wald und schauen, ob wir mit deinem Eisenschweif ein paar Hocker machen können! Den Mühlstein können wir, denke ich, als Tisch benutzen!" "Au ja!" Begeistert folgte Texomon ihr bis hinter das Mühlgebäude, wo ein dicker, umgestürzter Baumstamm im hohen Gras lag. "Meinst du, du kannst ihn in kleine Stücke hacken, sodass man darauf sitzen kann?", fragte Nerina eifrig. Texomon besah sich den Stamm kurz, dann nahm er Anlauf. Erneut glühte sein Schwanz silbern auf, als er zuschlug und tatsächlich schnitt er eine nicht zu verachtende Kerbe in das Holz. Zwei Schläge später war der erste Hocker abgetrennt und Nerina probierte ihn gleich aus. "Sitzt sich nicht schlecht", wandte sie sich an Sipho, der ihnen gefolgt war und die Szenerie skeptisch von der Ecke aus beobachtet hatte, "Nur noch ein bisschen rauh..." "So trainierst du also seinen Eisenschweif, verstehe", erwiderte Sipho nachdenklich, während Texomon bereits erneut auf den Stamm eindrosch, "Nun ... Rauh, das können wir ändern! Nidoran! Glaubst du, du könntest den Hocker nochmal mit deinem Sandsturm glattschmirgeln?" "Sicher!", erwiderte Nidoran und hüllte sich noch beim Sprechen in rosane Evotationsblasen. Nerina schaffte es gerade noch, aus der Bahn zu springen, bevor Nidoking mit den Füßen über den Boden scharrte und den Baumstumpf-Hocker mit Sand beschoss. Als er ihn kurze Zeit später wieder aus der neuentstandenen Sanddüne ausgrub, hatte der Sand die morsche Rinde heruntergeschliffen und alle Ecken und Kanten wirkten weich und angenehm. "Super Arbeit, ihr zwei!", lobte Nerina ausgelassen, "So kriegen wir schonmal schöne, handliche Stühle!" "Macht ihr mir eine Sitzstange?", fiepte Taubsi begeistert von der Regenrinne und Evoli, die neben sie geklettert war, ergänzte: "Und mir einen höheren, damit ich an alles rankomme?" "Hmmm, schwierig", entgegnete Texomon und versuchte, mit den Klauen die Umrisse einer Sitzstange in die Oberfläche eines der längeren Holzstücke zu zeichnen, "Aber wenn ich ganz vorsichtig..." "Was können eigentlich wir tun?", fragte Evoli nach einer Weile, als er nicht weitersprach und Nerina stellte peinlich berührt fest, dass sich alle Blicke auf sie richteten. Offenbar hielten ihre Kameraden ihre ganzen, spontanen Einfälle für ausgeklügelte Trainingseinheiten. Belustigt schmunzelte sie in sich hinein. Na umso besser! "Du und Neru könntet Mando suchen und ihm mit dem Feuerholz helfen", schlug sie vor, "Und wenn ihr fertig seid, könnt ihr mit euren Rasierblättern vor dem Haus den Rasen mähen, damit wir nicht immer mit der Machete losmüssen, wenn wir zum Bach wollen..."

Als sie sich bei Anbruch der Dämmerung erneut in dem großen Raum mit dem Mühlstein wiedertrafen, war die alte Mühle kaum wiederzuerkennen. Ella hatte die Feuerstelle in Ordnung gebracht und ein munteres Feuer prasselte im Kamin. Der Boden war blitzblank und Ella hatte mit Kramurx Hilfe sogar einige der alten Teppiche vom Jahrelangen Staub befreit und möglichst weiträumig darin verteilt. Um den Mühlstein stand eine kuriose Sammlung verschiedenster Sitzgelegenheiten, in die Nidoran mit seinem Horn sogar die Namen ihrer zukünftigen Besitzer geritzt hatte und vor der Tür erstreckte sich ein breiter Streifen ordentlich gestutzten Rasens bis hinab zum Bachufer. "Na, wenn wir so weitermachen, wird das ein Palast, bis wir ausziehen!", kommentierte Nerina. Ella schürzte die Lippen. "Für die nächsten Tage sollten wir am besten tatsächlich hierbleiben", meinte sie, "Auch wenn wir es ein bisschen eilig haben, aber unser Auftritt in Marmoria hat ein bisschen zuviel Staub aufgewirbelt. Am besten, wir warten erstmal ab, bis sich die Wogen geglättet haben - und ein bisschen Training schadet zwischendurch ja auch nicht." Bei ihren Worten zogen die Iramon lange Gesichter. "Mein Eisenschweif ist schon viel stärker geworden", versuchte Texomon einen Vorstoß und Nidoran ergänzte: "Und der Sandsturm macht viel mehr Spaß, wenn man ein Ergebnis sieht!" Hilfesuchend sah Ella zu Nerina hinüber, die allerdings nur unschuldig lächelte. "Oh, es gibt noch jede Menge Aufgaben im Haushalt", überlegte sie eifrig, "Wir könnten uns eine Wasserleitung vom Bach her bauen und auch noch ein paar weitere Möbel wären nicht schlecht!" "Und wir könnten uns einen heißen See graben, wie Eich einen hat!", rief Texomon aufgeregt, "Wir könnten ihn mit Bachwasser auffüllen und dann machen wir außenrum Feuer, dass er heiß wird!" "Oder darunter!", ergänzte Mando und fügte gleich noch hinzu: "Und wir könnten einen Wagen bauen und drüben auf der anderen Seite des Tals Steine holen für einen Weg bis zum See!" "Und einen Gartenzaun bauen!", rief Sipho. "Und aus den Leinensäcken Matratzen nähen und sie mit dem Heu füllen, das ihr gemäht habt", wagte Ella einen Vorstoß. "Und das Mühlrad reparieren und damit unser Wasser vom Bach raufpumpen!", schlug Neru vor. Erstaunt hielten sie inne und sahen sich verwundert an, dann brachen sie alle in Gelächter aus. "Aber zuerst sollten wir trotzdem erstmal was essen, sonst knabbert Texomon heute Nacht den Mühlstein an", kicherte Nidoran und kassierte einen scheelen Blick von seinem immernoch um einige Köpfe größeren Iramon-Freund. "Oder kleine, rosane Fleischbällchen", versetzte er und ließ genüsslich die Klauen klacken. "In diesem Fall", entgegnete Nidoran schnell und lief zu der großen Tasche mit Lebensmitteln, die Professor Eich ihnen mitgegeben hatte, "Sollten kleine, rosane Lebewesen lieber schnell für Ersatz sorgen..." Als er jedoch die Tasche aufklappte, fanden sie darin wenig Erfreuliches. "Reis", kommentierte Ella trocken, als sie ihm über die Schulter blickte, "Jede Menge Reis, ein Bund Karotten, Müsli, Milchtüten, Eier, Mehl und Trockenhefe... und ein bisschen Dosenfutter. Na, damit kommen wir ja nicht grade weit..." "Könnten wir nicht Kekse draus machen?", fragte Evoli hoffnungsvoll, "Silena hat die auch aus Mehl gemacht..." "Für Kekse braucht man aber noch mehr wie nur Mehl", entgegnete Neru beschwichtigend, hob dann jedoch begeistert den Blick. "Hey, wir könnten Pizza machen! Mehl, Trockenhefe und Wasser haben wir ja und aus den Dosen lässt sich sicher was machen!" "Und wo sollen wir die backen?", fragte Ella mit gerunzelter Stirn. "Auf dem Mühlstein", entgegnete Mando schulternzuckend, "Ich hab in Eden gesehen, wie ein Lohgock auf die Weise ein ganzes Restaurant geschmissen hat. Arkani bringt das Ding sicher zum Glühen..." "Wie genau war eigentlich die Feuerprüfung?", fragte Ella nach einer kleinen Weile leise, während sie von irgendwo aus ihrer Ausrüstung eine ziemlich ledierte Schüssel zauberte, Mehl und Hefe darin vermischte und dann soviel von dem Wasser aus Nerinas Eimer darüberschüttete, bis das ganze zu einer herrlichen Matschepampe verlief. Begeistert stellte Nerina den Eimer beiseite und die beiden begannen, zu kneten, indem sie den werdenden Teig gründlich durchwühlten. "Naja...", beantwortete Nerina die Frage schulterzuckend, "Ziemlich abwechslungsreich. Das schönste waren eigentlich die Feuersäulen..." und sie erzählte Ella und alsbald auch den anderen, wie sie damals mit Texomon durch die Feuersäulen getanzt war. "Es war Texomons Idee", schloss sie gedankenversunken, "Und er hatte recht! Es war klasse! Wie wenn ich selbst ein Feuerwesen wäre, eigentlich mehr ein Feuergeist... Ach, das ist so schwer zu beschreiben..." Neru und Mando wechselten einen seltsamen Blick, dessen Bedeutung sich Nerina nicht vollkommen erschließen wollte, doch Ella unterbrach ihre Gedanken. "Das ist total anders, als bei meinen Prüfungen", sagte sie leise und betrachtete schwermütig ihre Brosche, "Unlicht war so gruselig. Dauernd kamen irgendwelche Schatten aus den Winkeln dieser Höhle und schlichen um uns herum. Moony hat hinterher gemeint, man hätte selbst zum Schatten werden müssen - aber das konnten wir einfach nicht. Wir haben sie ferngehalten..." "Ihr habt bewiesen, dass ihr mit dem Element Wasser zurechtkommt", zitierte Neru gedankenversunken, was Dew ihm und Evoli einst mitgeteilt hatte, als sie müde und erschöpft aus seiner Prüfung gekrochen waren, "Tja... Und auch damals hatte Nerina einfach nur Spaß - und dabei war es dieselbe Prüfung... Sie kam nicht nur mit dem Wasser zurecht - Texomon ist darin buchstäblich aufgegangen. Darum hat er dann wohl auch Seedraking bekommen..." "Ich glaube, die Iramon können die Prüfungen einfach besser als wir..." Peinlich berührt lächelte Nerina in die Runde. "Naja... Die meisten, tollen Ideen kamen von Texomon. Ich hab ihm einfach nur vertraut..." Auch dieser Kommentar löste betretenes Schweigen aus und Nerina spürte, wie sie rot anlief. "Naja... So hat halt jeder seine Methoden...", versuchte sie, die unangenehme Situation loszuwerden, trug die Schüssel zum glühendheißen Mühlstein und verscheuchte das flammenspeiende Arkani mit einem Stups auf die Schnauze, bevor sie die Schüssel umdrehte und der weiche Teig sich über den Stein ergoss. Mit einer Art Eisenkelle drückte Mando ihn platt, dann warfen er, Neru und Sipho wild alles darauf, was sie als Belag auserkoren hatten und alle nahmen sie auf ihren seltsamen Hockern platz und sahen gespannt dabei zu, wie der heiße Stein den Pizzaboden goldenbraun buk. "Wir müssen uns dringend Spielkarten oder ein Monopoly besorgen", schlug Neru lachend vor, als sie die Pizza direkt vom Stein gegessen und mit einer kleinen Aquaknarre und einem Leinenlumpen die Oberfläche poliert hatten. "Oder eine Flasche", grinste Sipho, "Für Flaschendrehen..." "Aber erstmal schauen wir uns an, wo wir schlafen können!", rief Ella vehement dazwischen und Nerina stellte verblüfft fest, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg. Offenbar spielte sie Flaschendrehen überhaupt nicht gerne...

Der Heuboden der Mühle war ebenfalls staubig und alt und das Stroh, das darin lag, wirkte wenig vertrauenerweckend, sodass sie beschlossen, es bei nächster Gelegenheit durch neues zu ersetzen. "Außerdem sollten wir uns eine Öllampe machen", brummte Mando, als er sich schon zum dritten Mal den Kopf an einem der niedrigen Deckenbalken anstieß, "Beim Steinbruch hab ich Tonerde gesehen und Fett sollte ja irgendwo aufzutreiben sein." "Wir haben noch jede Menge vor", sinnierte Neru und schlug kurzerhand sein ramponiertes Swag an der nördlichen Stirnseite der Dachkammer auf und legte sich gähnend hinein. "Ja - und wenn uns trotzdem langweilig wird, fahren wir wieder Wasserski - auf dem See im Tal!", träumte Evoli und sprang glücklich auf seine Brust. "Wir könnten ja eine Art Wasser-Handball draus machen!", schlug Sipho eifrig vor, "Aquana und Seedraking könnten ja Rosana und Botogel ziehen - oder so in der Art." "Und ich versuch mal diese ominöse Windhosen-Attacke", verkündete Texomon verträumt und kletterte wie selbstverständlich in Nerinas Swag, das sie unter einem der Dachfenster ausgerollt hatte. Nidoran sah verstohlen zu Sipho hinüber, der ihm offenbar nur einen Heuhaufen neben seiner Luftmatratze zugestehen wollte. Ein wenig verlegen blickte dieser nun zwischen Nidoran, dem, auf einem Deckenbalken schlafenden Taubsi über Ellas Kopf und dem friedlich in Nerus Arme gekuschelten Evoli hin und her - und rückte schließlich seufzend auf die Seite, um seinem Iramon Platz zu machen. "Schlaf gut, Nidoran", murmelte er und ein Lächeln stahl sich auf Nerinas Gesicht, als sie bemerkte, wie Nidoran wie zufällig eine Pfote hob und die Krallen in Siegerpose spreizte, worauf Texomon anerkennend nickte. Offenbar hatte er dem kleineren Gift-Iramon den Floh ins Ohr gesetzt und mit wohlwollendem Tadel stupste sie ihm einen Finger auf die Schnauze. "Du kleiner Racker", flüsterte sie und streichelte ihm stolz den weichen Echsenbauch, "Ich bin froh, dass ich dich habe!" "Und ich bin auch froh, dass ich mich wiederhabe", erwiderte Evoli schnurrend von Nerus Bauch und Neru, Nerina und Texomon brachen in leises Lachen aus. Es war einfach nur schön, Neru und Evoli wieder dabei zu haben - und eine Ella und einen Sipho, die nicht mehr ganz so verbissen an ihrem Training festhielten. Eigentlich sollten wir Team Rocket dafür danken, dass sie uns mit Marmoria so eine tolle Zeit ermöglicht haben, dachte Nerina noch mit einem Schmunzeln, dann schlief sie ein.
 

>>>Neru<<<
 

"Was machst du da?", fragte Nidoran interessiert und Neru sah auf. Das kleine, rosafarbene Pokemon war wie ausgewechselt. Die Nähe zu Texomon schien ihm offensichtlich gut zu tun. "Ich überlege, wie wir hier fließendes Wasser hinbekommen können", erklärte Neru. Nidoran legte den Kopf schief. "Wofür braucht man denn fließendes Wasser?" "Naja..." Neru überlegte kurz, wie er dieses Projekt plausibel erklären konnte, immerhin konnten Texomon und Aquana ja selbst Wasser produzieren. "Wir planen diese Mühle hier als langfristigen Stützpunkt", sagte er geheimnisvoll und senkte dabei die Stimme, "Nun stell dir mal vor, wenn Taubsi und du mal alleine hier seid, dann müsstet ihr für alles, wofür man Wasser braucht, ja hinunter zum See laufen und es holen. Wenn wir uns aber eine Wasserleitung bauen, umgehen wir das Problem." Nidoran legte den Kopf schief. "Das ist auch von Vorteil, wenn wir angegriffen werden würden, oder?" Neru nickte begeistert, dass Nidoran jetzt auf den Zug mit aufgesprungen war. "Was hast du dir denn überlegt?", schallte eine Stimme von dem Deckenbalken herunter, und Evoli ließ sich selbstbewusst neben ihm ins Heu fallen, während sie nach dem Blatt Papier, auf dem Neru begonnen hatte, seine Ideen festzuhalten, interessiert Ausschau hielt. "Och, noch nicht all zu viel", erklärte Neru in unschuldigem Ton. "Na dann, lass mal hören", mischte sich nun auch Texomon ein, der wie zufällig gerade die Leiter nach oben kam und der offenbar alles schon mitangehört hatte und die Iramon bildeten einen kleinen Halbkreis rund um Neru und sein Blatt Papier. "Nun...", Neru stockte. Eigentlich hatte er sich noch keine wirklichen Notizen gemacht. "Nachdem wir gestern Abend mit der Idee kamen, hab ich mir gedacht, wieso das alte Mühlrad nicht ausnutzen und uns eine kleine Wasserleitung nach hier drinnen legen? Wir könnten zum Beispiel Eimer oder etwas ähnliches außen am Mühlrad befestigen. Wenn der Eimer unten ist, läuft Wasser hinein und wird dann von dem Mühlrad nach oben transportiert. An einer Stelle entleert sich der Eimer dann wieder." "Und wir können es auffangen und für uns nutzen!", stellte Texomon fest. "Genau", Neru nickte. "Wir müssten nur überlegen, wie." "Nun, die Eimer könnte man aus Kokosnüssen machen!", erklärte Evoli, "Sie sind zwar klein, aber Zeit hat man dabei ja immens." "Nicht unbedingt", widersprach Nidoran, "Stell dir mal vor, wie lange es dauern würde, ein schönes Bad einzulassen, wenn das in Nussschalengeschwindigkeit ginge." "Nun ja, zugegeben..." Evoli legte ein Ohr schief und schien angestrengt nachzudenken. Texomon besah sich nun ebenfalls die Zeichnung, die Neru von dem Mühlrad angefertigt hatte. "Wir bräuchten etwas, das das Wasser auffängt", erklärte er, "Vielleicht so etwas wie ein großes Fass." "Genau!" Evolis Ohren stellten sich aufgeregt auf. "Wenn wir das Wasser erst sammeln, kann man es flüssig ablassen." "Das ist eine gute Idee. Bleibt nur noch die Frage, wie das Wasser dann von draußen hereinkommt." "Nun, wir bräuchten innen vielleicht auch so eine Wanne", mutmaßte Nidoran, "Dann kann man die beiden vielleicht verbinden?" "Oder ein Loch machen und es verstopfen." Die Iramon schienen in Fahrt zu kommen. "Ich hab bei Neru zu Hause Wasserhähne gesehen", erklärte nun Evoli stolz. "Aber wir haben hier keine Wasserhähne!", fuhr ihr Texomon über die Schnauze, "Aber wir könnten das Becken hier drinnen groß genug machen zum drinnen schwimmen." Evoli zog angeekelt die Nase kraus. "Und dann aus dem Wasser trinken, in dem du geschwommen bist? Wie eklig!" Kurzum, die Diskussion begann, sich mit handfesten Argumenten zu tragen. "Wie wäre es mit einem kurzen Rohrstück, bevor das Wasser in den Bottich kommt?", erklang nun eine Stimme von oben. Neru sah auf. Taubsi saß auf einem der Dachbalken und ließ sich nun elegant neben den anderen Iramon im Stroh nieder. "Dann hat man immer Frischwasser, wenn man es braucht." "Aber läuft dann nicht alles über?", wollte Evoli wissen, "Man kann die Höhe des Wasserstandes nicht mehr regulieren." "Wir bräuchten einen Abfluss!", ereiferte sich Texomon, "Wenn das Wasser abfließen würde, bevor der Bottich voll wäre..." "Das kann man vielleicht mit einem weiteren Rohrstück machen!", erwiderte Evoli, "Eines, das dann halt wieder nach draußen geht." Bestätigendes Gemurmel machte die Runde. Neru hatte ein wenig mitgezeichnet und jetzt lag vor ihnen die Skizze eines Wasserrades mit Kokosschalen, deren Wasser dann in einen großen Bottich umgeleitet wurde. Unten am Bottich kam ein kleines Röhrchen heraus, welches ins Zimmer kam und dort wie ein kleiner Brunnen dann einen weiteren Bottich füllte. Von dort aus ging ein weiteres Röhrchen kurz unterhalb dem Rand des Bottichs wieder nach draußen. "Was macht ihr denn da?" Nerina steckte den Kopf durch die Bodenluke und sah interessiert nach oben zu Neru und der Versammlung von Iramon. "Wir haben einen Bauplan gemacht", erklärte Nidoran mit stolz geschwellter Brust. "Für eine Wasserleitung", erläuterte Evoli. "Damit man hier schwimmen kann", erweiterte Texomon. "Und, damit man immer Trinkwasser hat", schloss Taubsi. Nerina sah skeptisch zu ihrem Bruder hinüber. "Na, das müsst ihr uns unten mal zeigen." Begeistert sprangen oder flogen die Iramon die Leiter hinunter, Texomon rutschte auf der Seite hinab und als Neru endlich die Leiter hinter sich gelassen hatte, waren die Iramon schon dabei, den anderen Menschen ihren Plan zu erläutern. Neru legte die Skizze auf die große Steinplatte, während er die Ausführungen der Iramon um ein paar logische Punkte erweiterte, sodass auch die anderen verstanden, um was es ging. "Das klingt echt cool", bemerkte Sipho und Mando nickte zustimmend. "Das klingt nach einer ziemlichen Sauerei, wenn ihr mich fragt", widersprach Ella skeptisch. "Aber wenn ihr alle glaubt, dass es klappt, können wir es versuchen", erwiderte sie auf die Blicke der anderen Menschen hin. "Ich weiß, wo wir Ton finden können, für die Schalen", erklärte Mando, "Weiter oben im Steinbruch hab ich welchen gesehen." Neru nickte. "Ich könnte dir helfen ein wenig davon hervorzukratzen, aber es wird ewig dauern, den Ton hier herunterzutransportieren." "Ich kann ihn ja liefern", warf Taubsi ein und Ella warf ihr einen verstörten Blick zu. "Das trainiert dann...", Taubsi stockte." Ausdauer", warf Texomon ein. "Genau! Ausdauer", Taubsi schien erleichtert. "Ich kann Kokosnüsse holen gehen", meldete sich Sipho zu Wort. "Und vielleicht ein wenig von dem Bambus", warf Neru ein, "Ich hab gesehen, hier wächst ein wenig davon. Das können wir als Rohre benutzen." "Ich denke, Reptain kann dir dabei helfen", warf Mando ein und Reptain nickte. "Reptaain", erklang es. Texomon und Nidoran wurden wieder für die Holzbearbeitung für das Herstellen von Stützpfeilern und das Brennen von Ton eingeteilt und in Windeseile verstreuten sich alle. Als Neru nach ein paar Stunden des Ton- und Erdekratzens wieder mit Mando zurück zur Mühle kam, sah er die ganze Ebene von Geschäftigen umwuselt. Texomon und Nidoran waren gerade dabei, neben der Mühle einen halben Baum im Boden zu versenken, um ihn als Stützpfeiler zu verwenden, während die Mädchen dabei waren, zwei riesige Bottiche aus Holz mit Ton auszukleiden. Folipurba und Reptain übten sich daran, Kokosnüsse zu knacken, das Fleisch und den Saft zu sammeln und dabei in Schalen zu verwahren. Ein kleiner Stapel von geborstenen Schalen zeugte von einigen Misserfolgen. Doch einige der Gefäße waren auch schon fertig und Taubsi flog am Mühlrad auf und ab und versuchte, sie zu befestigen. Neru und Mando machten sich sofort an die Arbeit und versuchten zu helfen, wo man helfen konnte. Während Neru dabei half, die Lehmschalen unter Zuhilfenahme von Texomons Glut zu brennen - Sie mussten gut zusammengepresst werden - beschäftigten sich Mando und Sipho mit dem Bohren der Löcher und dem Einpassen der Bambusrohre. Nidorans Nidoking-Form eignete sich dafür perfekt. Wenig später konnten sie auch schon damit anfangen, die gigantischen Schalen nach drinnen zu schleppen und oben auf dem, von Texomon und Nidoran geschaffenen Holzsockel zu stellen. Die letzten Kokosnussschalen wurden befestigt und alle halfen mit, schiebend, ziehend flügelschlagend und rankendrückend, die äußere Schale an ihren Platz zu bringen. Mit ein bisschen Ton wurde auch diese befestigt und alle ächzten und schwitzten, während sie versuchten, die Schale an Ort und Stelle zu halten, während Texomon den Ton brannte. Als Neru in das Innere der Mühle schaute, sah er sofort die große, verzierte Wanne an einer Seite des großen Raumes stehen. Nerina und Ella hatten sich die Mühe gemacht, kleine Verzierungen an ihrer Seite anzubringen. Gebannt versammelten sich alle um die Schale und als Texomon den Stöpsel aus dem Bambusrohr, ihrem neuen Wasserhahn, zog, plätscherte das Wasser fröhlich nach drinnen. Jubelnd und ziemlich erschöpft fielen sich alle in die Arme. "Das wäre geschafft", brummte Texomon, "Dann steht einem Bad ja nichts mehr im Wege!" Skeptisch betrachtete er die noch kleine Pfütze in der großen Wanne, die er zusammen mit Ella und Nerina aus drei dicken Baumstammstücken gefertigt hatte. "Ich geh runter zum See." Damit verschwand sein blauer Rücken und auch der von Aquana aus der Mühle. Neru ließ sich zufrieden auf einem der Hocker am Mühlstein nieder. "Ich hätte nie gedacht, dass das so ein Aufwand werden würde", brummte er. "Aber es hat sich gelohnt", erwiderte Ella und Nerina pflichtete ihr bei. "Heute Abend gibt es Suppe aus dem neuen Wasserhahn."

Neru hatte sich gerade wieder gemütlich im Stroh ausgestreckt, als von draußen ein ohrenbetäubendes Getöse an sein Ohr drang. "Was zum...", rief er aus und folgte den anderen, die nach draußen rannten. Zuerst sah sich Neru nach der Konstruktion des heutigen Tages um. Es war immerhin möglich, dass irgendetwas davon nicht gehalten hatte, doch das Wasser plätscherte fröhlich vor sich hin und nichts wies auf die Quelle des Lärms hin. Doch der Lärm kam gar nicht von der Mühle, sondern vom See. Langsam ließ Neru den Blick hinunter zum See gleiten und erstarrte. Vor ihm erstreckte sich eine gewaltige Wassersäule mindestens zehn Meter in die Höhe. Am Boden konnte er etwas unglaublich schnell rotieren sehen. "Was ist das?", rief Nerina aus. "Sieht aus, wie eine Windhose", erwiderte Ella skeptisch und besah sich die Wassermassen, die sich in den Himmel schraubten, genauer. Schon hatte sie ihren Pokedex in der Hand und schlug die Attacke nach. "Ja", rief sie aus, "Das ist die Drachenattacke 'Windhose', genau so, wie sie beschrieben gehört. Nur noch ein wenig klein." "Das nennst du klein?", fragte Sipho seine Schwester mit vom Staunen geöffneten Mund, "Ich will gar nicht wissen, wie stark die ist." Ein Lächeln blitzte um Ellas Mundwinkel auf. "Die Stärke können wir in einem kleinen Schaukampf herausfinden." Nerina sah sie skeptisch an. "Nur zum Test", erwiderte Ella beruhigend, "Wir könnten Kramurx' Stärke dagegen ausprobieren." Bei diesen Worten brach die gigantische Wassersäule in sich zusammen und gab den Blick auf ein jubelndes Seedraking frei. "Ich hab´s geschafft!", rief es den Menschen zu, die, weil sie zum See hinunter gegangen waren, die Flutwelle fast von den Beinen gewischt hätte. "Wir würden gerne herausfinden, wie stark deine Attacke ist", rief Ella ihm zu, während sie sich den Schlamm von der Hose wischte, "Wir dachten an einen Probekampf gegen Kramurx." Seedraking neigte sich vor und zurück. "Nun, wenn es denn sein muss", rief er aus und bei diesen Worten schraubte sich ein riesiger, schwarzer Rabe in die Luft. Seedraking begann, langsam wieder im Kreis zu rotieren, während Neru seinen Pokedex zog. Hatte er nicht letztens erst ein Programm entdeckt zur Levelmessung von Attackenstärken? Der Kampf begann aktiongeladen. Die Massen aus Wasser und Wind schraubten sich noch höher als zuvor in den Himmel empor und wischten dabei fast Kramurx aus seiner Flugbahn. "Kramurx, Finte!", rief ihr Ella zu und Kramurx nickte. Ruckartig ging sie tiefer und begann zu taumeln. Für einen Moment sah es fast so aus, als würde sie abstürzen, dann fing sie sich wieder und kam mit ein paar Flügelschlägen wieder an ihre Ursprungsposition heran. Ella versuchte es mit ein paar weiteren Attackenserien. "Streng dich an, Kramurx", rief sie dem schwarzen Vogel-Unlicht-Pokemon zu, "Er ist levelmäßig unter dir! Du kannst ihn schlagen!" Kramurx legte sich mächtig ins Zeug, während Neru abwechselnd den Ladebalken seines Pokedexprogrammes und dann Kramurx erfolglose Versuche, Seedraking näher zu kommen, beobachtete. Egal, was das Unlichtpokemon auch tat, es schien nicht an Seedraking heranzukommen. Selbst ein direkter Sturzflug mit angelegten Flügeln endete irgendwann in den schnell rotierenden Wassermassen. "Ich versteh das nicht", ließ Ella ihrer Frustration freien Lauf, während Nerus Programm die Berechnung durch ein paar Leveldaten von Kramurx vervollständigte. "Kramurx hat doch ein viel höheres Level", pflichtete Sipho seiner Schwester bei. "Nein", brachte Neru außer Atem hervor, "Die Attacke von Texomon liegt im Bereich von Level 48, das heißt zwei Level über der von Kramurx." "Das ist unmöglich", widersprach Ella, "Seedraking hat erst Level 38! Wie sollte er eine solche Attacke herausbringen?" Neru überprüfte die Daten erneut. "Das Programm ist von Professor Eich", widersprach er, "Die Angriffswerte der Attacke liegen auf astronomischer Höhe." Staunend besahen sich die anderen Trainer die Tabelle, die Neru auf seinem Pokedex anzeigte. "Hey! Was ist das?", fragte Texomons Stimme. Er schwankte ein wenig, als er aus dem Wasser kam. "War ich nicht gut?" Er hielt ein ziemlich zerrupft aussehendes und nebenbei klitschnasses Taubsi in den Klauen.
 

>>>Nerina<<<
 

"So macht man also Tornados", gähnte Texomon und räkelte sich müde auf dem Teppichfetzen vor dem Feuer, den Kopf wie üblich auf Nerinas Schoß gebettet, "Hätte gar nicht gedacht, dass das so gut funktioniert!" "Wir auch nicht", entgegnete Nerina leise und streichelte ihm den inzwischen schon wieder warmen, gelben Bauch, "Du hast uns alle wirklich überrascht!" Träge öffnete Texomon ein Auge, um zu ihr aufzublicken. "Warum eigentlich?", sprach er nun offenbar endlich aus, was ihm seit seiner Rückverwandlung auf der Seele brannte, "Ihr habt alle so verdutzte Gesichter gemacht!" Nerina grinste frech. "Die Jungs waren der Meinung, dass du so stark gar nicht sein dürftest - aber die haben dich ja auch nicht gegen dieses Magmar kämpfen sehen!" "Aber gegen Jugong und Garados", mischte Mando sich ein, als er mit einer Tasse Tee in jeder Hand zu ihnen trat und sich neben sie auf den Boden hockte. Reptain versuchte, Texomons bequeme Pose einzunehmen, doch schien er mit seinem Doppelschwanz nicht sorecht wohin zu wissen. Nerina warf ihm einen fragenden Blick zu und bekam eine der Teetassen zur Antwort. "Das mit Jugong und Garados war doch bloß ein billiger Trick", ereiferte sich Texomon schnaubend, "Ich hab nicht wirklich gekämpft - und auch die Hundemon hab ich nicht besiegt, höchstens überredet - und das kann man auch schon auf Level eins." "Ja und nein", entgegnete Mando nachdenklich, zog seinen blausilbernen Pokedex heraus und hielt ihn so, dass auch Nerina und Texomon das Display sehen konnten. Er zeigte noch einmal die Szene, wie Arkani durch die Reihen seiner Angreifer gebrochen war, kleinere Normalpokemon mit seinen Pfoten aus der Bahn wischend und den Angriffen der größeren ausweichend. "Siehst du?", sagte Texomon nach einer kleinen Weile, "Kein einziger, richtiger Kampf." Mando legte den Kopf schief. "Aber viele kleine Kämpfe und mehr Treffer auf deine Hinterbeine, als gesund gewesen wäre", entgegnete er ruhig, "Laut den Messungen von Team Rocket solltest du etwa auf Level 35 sein und das ist, denke ich, realistisch. Interessant ist, dass du in deinen Evotationsformen über galaktische Kampfwerte verfügen musst. Zum Beispiel kannst du wesentlich mehr Treffer einstecken als ein normales Arkani und das, was du Glut nennst, sieht schon fast aus wie ein Feuersturm... Ella glaubt, dass Nerus Analyse der Windhose heute Abend falsch ist und, dass Kramurx nur einen schlechten Tag hatte, aber ich bin mir sicher, dass die Attacke so stark ist, weil es eine Drachenattacke ist und schließlich bist du ein Drache." "Werden die arteigenen Attacken nicht immer verstärkt?", fragte Nerina zögernd. Mando nickte. "Schon", sagte er hitzig, "Aber, um wieviel sie verstärkt werden, hängt von sehr vielen Faktoren ab, die man auch wieder in einem Kampfwert zusammenfasst. Seedrakings Verstärkungsfaktor auf Drachenattacken muss enorm sein." "Aber warum?", mischte sich nun wieder Texomon ein. Mando zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung", gestand er, "Normale Seedrakings verstärken Drachenattacken zwar auch, aber laut meinen Daten wesentlich schwächer." "Vielleicht ist es, weil wir die Wasserprüfung so gut gemacht haben?", schlug Nerina vor, "Dew hat doch gemeint, dass möglicherweise eine Iramon-Entwicklung nicht immer gleich aussehen muss. Aquana sieht zum Beispiel Evoli ähnlicher, weil sie mit dem Wasser nicht so warm geworden ist." "Und darum verstärkt Seedraking Wasser- und Drachenattacken und Arkani Feuerattacken", schloss Mando begeistert, "Ja! Das könnte sein!" "Verstärke ich auch irgendwelche Attacken?", fragte Texomon mit einer Stimme, als traue er dieser unerwarteten Wendung der Ereignisse nicht so recht. Nerina zuckte mit den Schultern. "Vielleicht Drachenattacken?", schlug sie vor, "Immerhin bist du ein Drachentyp." Texomon schnaubte winzige Flammen aus den Nüstern. "Wie witzlos, wenn man keine einzige kann." Gerade hob Nerina an, seine eigenen Daten auf ihrem Handy abzurufen, auf das Vater sie ihr mit seiner letzten Email gesendet hatte, als am anderen Ende des Raumes Stimmen laut wurden. Neru, Ella und Sipho hatten sich bereit erklärt, heute Abend das Essen zu kochen und waren schon seit geraumer Zeit an der Vorbereitung von Reis, Karotten, Kokosnussfleisch und einigen anderen Dingen, die entweder aus dem Wald oder Eichs Dosen stammten. "Morgen früh, bei Sonnenaufgang!", scholl plötzlich Evolis helle Stimme über das allgemeine Stimmengewühl, dann sah Nerina Neru und sie auf sich zukommen. "Alles in Ordnung?", fragte sie besorgt, doch Neru ignorierte sie, zog sich nur einen Hocker ans Feuer und ließ sich schwer darauf nieder. "Was zum Henker hast du dir dabei gedacht?", meckerte er und kraulte halb mahnend halb besorgt Evolis kleinen Kopf, "Nidoran ist mindestens zehn Level über dir und hat vermutlich jede Menge Kampferfahrung! Der macht Kleinholz aus dir!" "Was ist denn passiert?", fragte Nerina erneut, diesmal eindringlicher. Evoli legte trotzig die Ohren zurück. "Nachdem Texomon heute Taubsi besiegt hat, ist für Nidoran und sie die Rangfolge verrutscht", entgegnete sie düster, "Darum hat Nidoran mich herausgefordert..." "Und du hast angenommen", bemerkte Texomon trocken. Neru nickte seufzend. "Hat sie", bestätigte er resigniert, "Auch wenn ich keine Ahnung habe, was sie gegen den Hornbohrer oder einen Sandsturm oder Steinhagel tun soll - und wenn sie Folipurba wird, wird er Rosana. Du wirst dir nur wehtun!" Texomon schnaubte erneut, diesmal ringelten die Stichflammen sich schon fast bis zu Nerinas Haaransatz. "Sie ist ein Iramon, Neru! Kein Plüschtier", sagte er grob, "Willst du für sie gegen Gringos Armee kämpfen? Sie wird das schon aushalten und wenn nicht, wird sie daraus lernen." Nicht nur Neru sah verdutzt auf ihn hinunter und kurz entstand eine kleine Pause, dann tappte Evoli vorsichtig zu ihm, bis sie ihm direkt ins Gesicht sehen konnte. "Ich denke, dass ich es schaffen kann", sagte sie langsam, "Nidoking ist anfällig gegen Pflanzen- und Wasserattacken und Rosana ist nicht sehr beweglich... Außerdem glaube ich, dass er recht langsam evotiert." "Das stimmt", warf Nerina ein, "Also, besser gesagt, evotierst du auffällig schnell, Evoli. Ich hatte immer gedacht, dass da jedes Iramon verschieden ist, aber auch Nidoran und Taubsi brauchen genauso lange, wie Texomon, etwa dreieinhalb Sekunden. Nur du bist schneller." "Ja", ergänzte Texomon nachdenklich, "Sie läuft schneller und sie evotiert schneller als jeder andere von uns." "Und ihr Doppelteam ist echt beeindruckend", warf Mando ein, "Ich wollte es ja eigentlich nicht sagen, aber normalerweise können sich die einzelnen Doppelgänger nicht in verschiedene Richtungen bewegen, wie hier..." Mit fliegenden Fingern rief er einen weiteren Film auf dem Display des Pokedexes auf, diesmal zeigte es Neru und Evoli im Vulkangestein vor Rita und Augusto fliehen, wenigsten schob sich Augustos fleischiges Gesicht immer mal wieder ins Bild. Fasziniert beobachtete Nerina, wie plötzlich fünf Evolis in verschiedene Richtungen davonflitzten, jedes einzelne sah täuschend echt aus. Sie schwebten nicht einfach ein paar Millimeter über dem Boden, nein, sie liefen, sprangen über Unebenheiten, duckten sich um Felsen herum, jede Pfote berührte den Boden, jeder Muskel zeichnete sich unter dem braunen Fell ab und sogar die Schatten stimmten hundertprozentig. "Das ist in der Tat phänomenal", kommentierte sie beeindruckt. Neru rückte ein wenig verlegen auf seinem Hocker herum. "Trotzdem werden ein paar Trugbilder und schnelle Beine nicht ausreichen, um Nidoran zu besiegen!", beharrte er, "Du hast sie schließlich fast nie zum Kämpfen eingesetzt!" "Was meinst du?", wandte sich Evoli erneut an Texomon, "Ich meine, du weißt mehr darüber, wie Nidoran und ich kämpfen..." Kurz musterte Texomon sie nachdenklich, dann zuckte er mit den Ohren. "Könnte klappen, wenn du heute Abend nochmal eine ordentliche Runde trainierst..." Kurz entstand eine Pause, dann fragte Evoli leise: "Würdest du mir dabei helfen...?"

"Los, Rosana! Setz deinen Blizzard gegen sie ein!", rief Sipho begeistert und das merkwürdige, rosafarbene Pokemon, das Nerina am ehesten mit dem Weihnachtsmann in Verbindung gebracht hätte, hüllte Folipurba in eine Wolke aus kleinsten Eiskristallen. Erschrocken schmiegte Texomon sich noch etwas enger in ihre Arme. "Es ist so kalt!", flüsterte er und unterdrückte ein Gähnen, "Und das am frühen Morgen..." Nerina musste lächeln, auch wenn sie sehr genau wusste, was er meinte. Bis spät in die Nacht hatten Mando, Neru und sie selbst am Ufer des Sees gesessen und Reptain und Texomon hatten die arme Evoli mit allen Regeln der Kunst herausgefordert. Mal hatten sie sie zusammen gejagt, um ihre Wendigkeit zu perfektionieren, dann hatten sie alle zusammen "Doppelteam-Ich-rate-das-Original" gespielt und schließlich hatten die beiden anderen sie in ein Kreuzfeuer aus Glut, Aquaknarre, Rankenhieb, Rasierblatt, Doppelkick, Eisenschweif und Tackle genommen, für die sie jedes Mal in Sekundenbruchteilen die richtige Gestalt hatte finden müssen. Erst weit nach Mitternacht waren sie todmüde in ihre Swags gekrochen und alle außer Neru und Evoli selbst sahen heute Morgen mächtig übernächtigt aus. "Folipurba mag Eis auch nicht sonderlich", murmelte Nerina zurück, "Wollen wir doch mal sehen, was sie gelernt hat..." Im nächsten Augenblick schnappten sowohl Sipho als auch Ella erschrocken nach Luft, als die Eiskristalle von einer riesigen Flutwelle in die Höhe gewirbelt wurden. Die Welle schwoll an, bis ihre schaumige Krone auf Höhe des Scheunendaches in der Luft verharrte, dann brach sie mit einem ohrenbetäubenden Rauschen über Rosanas Kopf zusammen. Prustend paddelte das Eispokemon rückwärts, überschlug sich einige Male und schlug schließlich die Krallen in den bedenklich knarrenden Stamm einer jungen Eiche. "Heute schon geduscht?", fragte Aquana neckisch, wenn auch etwas außer Atem von der anderen Seite der Lichtung. Sipho runzelte die Stirn. "War sie eben nicht noch Folipurba?", fragte er verdutzt, wartete aber keine Antwort ab. "Rosana, Psychokinese!" "Okay!", machte Rosana, ließ sich zurück auf den Boden fallen und breitete die Arme aus. Weißlichgrünes Licht waberte aus seinen Handflächen. Aquana trat unsicher einen Schritt zur Seite, dann glühte sie golden auf und Evoli erschien an ihrer statt, die mit atemberaubender Geschwindigkeit jedem einzelnen der ungesund aussehenden Lichtstrahlen auswich, alsbald begleitet von einer Heerschar an Doppelgängern, die so schnell vor Rosanas Füßen herumflitzten, dass ihm ganz schwindelig zu werden schien. "Sie setzt Agilität ein", erläuterte Neru, offenkundig etwas schuldbewusst, dass Evoli den Kampf alleine zu bestreiten schien, "Und Doppelteam." "Ja - und auch noch gleichzeitig..." Sipho ballte die Fäuste. "Rosana", rief er, "Du musst Nidoking werden! Los!" Jäh rissen die Lichtangriffe ab und eine Woge silbergrauen Mondlichtes verschlang Rosana, um kurze Zeit später Nidoking auszuspucken. Evoli sprang immernoch gelenk um ihn herum, offenkundig wollte sie kein zu direktes Angriffsziel bieten, doch die Schar ihrer Double war merklich geschrumpft. Nicht nur Nidoran schien Gefahr zu laufen, sich zu überanstrengen. "Los, Nidoking! Setz deinen Steinhagel ein!" Mit unheilverkündendem Grollen schwang Nidoking die kräftigen Arme und übersäte die Lichtung so lückenlos mit Felsbrocken, dass auch Evoli der Attacke nicht entgehen konnte. Einer der Felsen traf sie in die Flanke und mit einem schmerzhaften Fauchen sprang sie in die Höhe. Ihre Doppelgänger verpufften wie die Trugbilder, die sie waren, dann blitzte ihr Fell grün auf und im nächsten Augenblick schossen Ranken aus ihren Vorderbeinen, lange, kräftige Lianen, mit denen sie die herankommenden Steine wie Tennisbälle von sich fort und zu Nidoking zurückschleuderte. Kaum ließ der Steinhagel nach, begann ihr Schweif zu glühen. "Und Rasierblatt!", rief sie außer Atem. Die Wolke aus Rasierblättern umgab Nidoking völlig. Sie hackten in seinen steinernen Brustpanzer, schnitten in die ledrige Haut seines Gesichtes und brachten ihn zur Weißglut. Mit einem Hornbohrer stürzte er sich vorwärts, doch Folipurba zerschmolz unter dem Angriff einfach und Evoli schlüpfte zwischen Nidokings Beinen hindurch in die Freiheit, während Nidoking hornvorran im Waldboden steckenblieb. "Das war nicht fair!", kreischte Sipho auf und rannte seinem Nidoran zur Hilfe, das frustriert am Boden hockte, "Wie kann es sein, dass sie so schnell evotieren kann?" "Haben wir halt geübt", versetzte Neru schmunzelnd, hob sein erschöpftes Evoli vom Boden auf und kraulte ihr stolz das goldenbraune Fell, "Ich bin stolz auf dich!", flüsterte er ihr zu, "Das war echt stark!" "Danke!", fiepste Evoli und leckte sich müde die Pfote, "Hat mal jemand ein paar Pokeriegel für einen frischgebackenen Gewinner? Ich sterbe gleich vor Hunger!"
 

>>>Neru<<<
 

"Wie habt ihr das gemacht?", fragte Sipho nun wieder ein wenig ruhiger. "Ja, das würde mich auch mal interessieren", schnappte Ella dazwischen. Neru sah immernoch gedankenverloren auf sein Iramon, auf sein Evoli hinab, das gerade eben Nidoran besiegt hatte. Evoli war am Ende ihrer Kräfte keine Frage, aber sie hatte es geschafft und Neru kamen wieder die Worte von Texomon in den Sinn: 'Sie ist ein Iramon, sie wird es schon schaffen, oder willst du an ihrer statt gegen Gringo kämpfen?' Immer wieder spukten diese Worte in Nerus Geist auf und ab, während er seinem Iramon dabei zusah, wie es einen Pokeriegel nach dem anderen verschlang. Langsam sah er zu Sipho und Ella auf, die ihn immernoch mit fragendem Blick musterten. "Wir haben es geübt", erwiderte Neru trocken. "Man kann das nicht trainieren", erwiderte Ella, "Sipho und ich haben es wochenlang probiert! Die Evotation dauert immer 3,452 Sekunden - und zwar bei jeder Evotation immer zu." Neru starrte sie an. "Und wie zur Hölle schaffst du es, ihr so viel Kraft zu geben und deinen Geist so diszipliniert zu halten?", fragte Sipho in noch aufgeregterem Tonfall. "Was?", Neru sah ihn an, "Welche Kraft?" Ella sah ihn an, als habe er den Verstand verloren. Auch Evoli sah nun auf und blickte in das verdrießliche Gesicht eines ziemlich müden Nidorans und in die verdutzten Gesichter von Ella und Sipho. "Soll das heißen, du gibst Evoli keine Kraft? Musst dich nicht auf ihre Evotationen konzentrieren und ihr so helfen, die Form anzunehmen?" Langsam schüttelte Neru den Kopf. "Fühlst du dich nicht, wie mit einem riesigen, geistigen Staubsauger malträtiert, wenn sie sich entwickelt?", fragte nun Nerina dazwischen, während sie vom Kochtopf aufblickte. Neru schüttelte wieder langsam den Kopf. "Das kann doch gar nicht sein", verkündete Ella. "Ich hab Evoli nie Kraft geben müssen, damit sie evotiert", erklärte Neru nun, "Sie konnte es schon immer einfach so. Auch an der Geschwindigkeit mussten wir kaum arbeiten, sie war da schon immer recht schnell." Ella sah ihn mit einem nachdenklichen Gesicht an und kratzte sich das Kinn. "Das ist vielleicht eine Fähigkeit, die wir nutzen können", erklärte sie mit gerunzelter Stirn. Neru nickte wie in Trance. War es wirklich möglich, dass sie auf eine spezielle Fähigkeit von Evoli gestoßen waren? "Mir ist schon immer aufgefallen, dass Texomon sich langsam entwickelt", erklärte Evoli, "Aber ich hab das immer darauf zurückgeführt, dass seine Formen viel komplizierter und größer sind als meine." "Vielleicht kann sie deswegen so leicht evotieren", fügte Neru hinzu, "Ihre Formen ähneln sich alle stark." Ella runzelte immer mehr die Stirn. "Evoli, das Evolutionspokemon", murmelte sie vor sich hin. Dann rief sie den Eintrag im Pokedex auf.

"Evoli, das Evolutionspokemon", spuckte das kleine Gerät mit blecherner Stimme aus, "Evoli ist ein Mysterium in der Pokemonwelt, da es in der Lage ist, seine DNA den äußeren Umständen, mit denen es konfrontiert wird, anzupassen. So kann es sich abhängig von einem Elementstein oder aus der Umgebung heraus zu Aquana (Wasser), Flamara (Feuer), Blitza (Elektro), Folipurba (Pflanze), Glaziola (Eis), Nachtara (Unlicht) und Psiana (Psycho) entwickeln. Über weitere Evolutionen ist noch nichts bekannt, wenn auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass, abhängig von der Umgebung, weitere Evolutionen möglich sind." "Das ist es", rief Ella aus, "Evoli ist das Evolutionspokemon! Vielleicht kann sie dadurch freier auf die Steine zugreifen, da die Kraft zur Evolution bereits in ihren Genen enthalten ist." "Das könnte sein", erwiderte Nerina, "Immerhin ist Evoli auch das älteste der Iramon, da die Professoren ihr Iramonserum zuerst an ihr ausprobiert haben." Ella nickte. "Weil ihre DNA immernoch veränderbar ist, ist sie also in der Lage, den Evotationsvorgang selbst zu steuern. Das ist höchst interessant." Neru nickte. "Das könnte vielleicht noch mal nützlich werden", erklärte er. In seinem Geist flimmerte alles. Fragen und Antworten jagten sich in seinem Geist und ließen keinen Platz für geordnete Gedanken und vernünftige Strukturen. "Nützlich?", Ella lachte auf, "Die Fähigkeit ist so nützlich, dass ich sagen würde, dass ihr zukünftig nur noch das trainieren solltet. Wie genau, finden wir noch heraus." Damit drehte sie sich um und verschwand im Heuspeicher, wahrscheinlich, um noch ein paar Seiten darüber nachzulesen. Neru blieb nachdenklich unten zurück und streichelte seinem Iramon den Rücken. Die Worte von Texomon spukten ihm immernoch im Kopf herum. War es tatsächlich so, dass er Evoli zu arg bemutterte? Kümmerte er sich vielleicht zu sehr um sie? Texomon hatte mit seinen Worten nicht ganz unrecht gehabt, Evoli war eines der vier Iramon. Eines der vier Wesen, die Gringo stürzen sollten. Es kam auf die Iramon an und nicht darauf, was die Menschen leisteten. Die Trainer waren letztendlich nur dafür da, die Iramon auf ihren finalen Kampf vorzubereiten, so, wie das auch bei normalen Pokemon der Fall war. Doch Neru hatte sein Evoli viel zu gern, als dass er mitansehen wollte, wie sie sich verletzte. Neru seufzte. Auf der anderen Seite sprach ja auch nichts dagegen, sich um sein Iramon zu kümmern. Nerus Blick schweifte hinüber zum Feuer und er erinnerte sich wieder an das zurück, was Nerina von Texomons Feuerprüfung erzählt hatte. Texomon hatte sie durch die Flammen geführt und Nerina hatte sich selbst wie ein Feuerwesen gefühlt. Auch erinnerte sich Neru an ihre eigene Normalprüfung zurück, bei der er mehr der ausführende Teil gewesen war - und er erinnerte sich auch an die Worte, die Dew gesagt hatte: 'Ihr kommt mit dem Wasser zurecht!' und genau das war es, was Aquana widerspiegelte. Sie kam mit dem Wasser zurecht, aber sie ging nicht darin auf. Vielleicht war das ja der Fehler gewesen. Es ging gar nicht darum, die Prüfungen zu bestehen, sondern nur darum, wie sehr das Iramon mit dem Element, in dem es geprüft wurde, eins wurde. 'Die Prüfungen dienen als Vorbereitung', hatte sein Vater gesagt. Vielleicht ging diese Vorbereitung weiter, als Neru es gedacht hatte. Vielleicht - nein, ganz sicher sogar, Nerina und Texomon waren der beste Beweis dafür - hing die Stärke der Iramon davon ab, wie sehr sie mit dem Element, in dem sie geprüft wurden, eins wurden. "Neru, Evoli", schallte da plötzlich Texomons Stimme von draußen herein, "Kommt ihr auch mit runter zum See?" Neru sah auf und sah, dass Texomon seinen blauen Echsenkopf zur Tür hereinsteckte und ziemlich aufgeregt aussah. Evoli sah ebenfalls auf. "Was ist denn am See?", fragte sie gut gelaunt. Ihr Sieg schien sie richtig aufgebaut zu haben und ihr Fell glänzte, was ein gutes Indiz dafür war, dass Evoli mit sich und der Welt im Besonderen zufrieden war. "Nerina hat sich ein neues Wasserspiel ausgedacht und wir brauchen noch einen Mitspieler", rief Texomon begeistert. "Oh, da mach ich mit", rief nun auch Evoli und ein blauer Lichtblitz durchflutete die Küche. Dann rannten die beiden blauen Pokemon die Wiese hinunter zum See, dicht gefolgt von Neru.

Nerina war in der Tat kreativ gewesen. An zwei Stellen im See ragten hohe Pfosten auf, an deren Spitzen Bretter mit Ringen davor befestigt worden waren. Zwei weitere Bretter trieben träge im Wasser vor sich hin. Auf dem einen konnte man ein Taubsi mühsam das Gleichgewicht zu halten versuchen sehen. Auf dem anderen hielt sich ein Nidoran mühsam fest. Aquana und Texomon sprangen vergnügt ins Wasser, während Texomon ganz aufgeregt erklärte, worum es bei dem Spiel ging, und dabei seine äußere Gestalt, wie Neru bei genauer Beobachtung nun sehen konnte mit Nerinas Hilfe, auf Seedraking änderte. Die beiden Iramon auf den Brettern sollten sich eine Kokosnuss so zuwerfen, dass sie sie immer fangen konnten und dabei trotzdem versuchen, den Weg zum jeweils gegnerischen Tor zu finden, während die beiden Wasserpokemon, in dem Fall Seedraking und Aquana, versuchten, die Bretter immer so hinzuschieben, dass der jeweils andere die Nuss leicht fangen konnte. Erreichte eines der Bretter eines der Tore, konnte das Wasserpokemon des Teams versuchen, die Kokosnuss mit einer gezielten Aquaknarre ins Ziel zu befördern. Bewundernd sah Neru zu seiner Schwester hinüber. Sie war enorm kreativ, was das Erfinden von neuen Trainings oder Spielen anging. In diesem Fall wurde die Koordination und das Einschätzen von Kräften bei allen und das Zielschießen bei Aquana und Seedraking trainiert. Das Spiel begann spannungsgeladen. Seedraking spielte zusammen mit Nidoran und Aquana zusammen mit Taubsi. Nicht selten fiel die Nuss und auch einer der beiden Fänger ins Wasser, bei einem Fall sogar beide, sodass eine wilde Wasserschlacht zwischen den Pokemon nicht zu vermeiden war. Nidoran ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er der Niederlage von heute morgen keine weitere hinzufügen wollte, und das größere Engagement zeigte nach einiger Zeit auch seine Wirkung, als am Ende das 'Seedoran-Team', wie sie es spaßhalber nun nannten, in Führung ging und das 'Aquabsi-Team' immer weiter in Rückstand ging. Neru, Ella, Sipho und Nerina ließen natürlich keine Gelegenheit offen, ihre Iramon anzufeuern, doch nach ein paar weiteren Runden stand das Ergebnis fest und Team Seedoran hatte je einen weiteren Pokeriegel fürs Abendessen gewonnen. Gerade, als sie in Richtung des Hauses aufbrechen wollten, rannte ihnen Mando mit schneeweißem Gesicht vom Haus aus entgegen. "Was ist denn los?", fragte Neru gut gelaunt. Doch Mando sah gar nicht so gut gelaunt aus. "Etwas Furchtbares ist passiert", erwiderte er, "Ich hab vorhin nochmal versucht, mich in das Netzwerk von Team Rocket einzuhäcken..." Er hob seinen Pokedex in die Höhe. "Ein Angriff auf Orania ist geplant und zwar schon für Übermorgen. Ziel ist es, die Elektroarena zu übernehmen und euch eine Falle zu stellen. Ich hab eine Mail abgefangen, die an meinen Vater adressiert war." Damit laß er deren Inhalt vor und auch die Gesichter der Iramontrainer wurden weiß und die Iramon ließen die Ohren und Federn hängen. Ella schlug sich mit der Faust in die Hand. "Wenn die glauben, dass die eine weitere Stadt einnehmen können, haben sie sich aber geschnitten." Neru besah sich Mando noch einmal scharf. "Bist du sicher?" "Vollkommen", erwiderte Mando, "Eine Falle ist ausgeschlossen, da ich mich über einen anderen Account, von dem sie nicht wissen, dass ich den Zugang habe, eingeloggt habe." Neru nickte. "Nun gut", rief nun auch Nerina, "Dann sollten wir uns bereit machen, Orania morgen zur Hilfe zu kommen." "Oder wir können Elektro endgültig abschreiben", fügte Neru noch in Gedanken hinzu und schluckte.

>>>Nerina<<<
 

Im Gegensatz zu den anderen Arenen, in denen Nerina bis jetzt gewesen war, wirkte die Elektro-Arena eher klein. Ein einzelner, runder Flecken Sand, keine zehn Meter im Durchmesser, erstreckte sich in ihrer Mitte, umgeben von mehrere Zentimeter dicken Gummimatten, auf denen auch die Trainer standen. "Wofür ist der Boden so weich?", hatte Texomon beunruhigt gefragt, als seine Klauen mit ungutem Quietschen bei jedem Schritt in dem für ihn unbekannten Material versunken waren. Die Elektro-Arena hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass man sie erkannte. Sofort waren Anweisungen gegeben worden, alle fremden auf die Straße zu schaffen und die Tore zu verriegeln, sodass die Iramon nach wie vor sprechen und wie sie selbst aussehen durften, was wenigstens Texomon sehr begrüßt und das lästige Kostüm eines Sandamer abgestreift hatte, an dem Nerina die halbe Nacht gebastelt hatte. "Es ist Gummi", hatte sie ihm erklärt, "Gummi leitet keinen Strom. Es ist sozusagen ein Schutzschild gegen Attacken, die aus Versehen in den Boden abgegeben werden." "Das heißt, so eine Elektro-Attacke kann einfach so wieder aus dem Boden kommen?", fragte Taubsi und plusterte die Federn in einer Art, die Nerina stark an eine Gänsehaut erinnerte, "Das ist unheimlich!" "Bei Blitzeinschlägen ist es so ähnlich", versuchte Ella, zu entkräftigen, "Auch da überträgt sich die Energie über den Boden. Elektro-Attacken sind nichts übernatürliches." Doch Taubsi schien wenig überzeugt. Mit einigen Flügelschlägen hüpfte sie auf Ellas Schulter und steckte den Kopf unten den Flügel. Hilfesuchend sah Ella zu Nerina und Mando, die es sich gerade auf den gummi-isolierten Sitzen neben ihr bequem machten, um Siphos und Nerus Kampf aus der ersten Reihe aus zuzusehen. "Es wundert mich nicht, dass sie Elektro wenig mag", entgegnete Mando mit einem verzeihenden Lächeln, während er Reptain auf den Stuhl neben ihm half, "Flugpokemon sind von Natur aus anfällig gegen Blitze." "Und sie sind auch sehr unangenehm!", pflichtete Texomon ihm bei, hüpfte ebenfalls auf einen Stuhl und kuschelte sich fest in die entstehende Ecke zwischen der Lehne und Nerinas Schulter, den breiten Echsenschwanz um sich ringelnd, "Ich hab mal gegen ein Pikachu gekämpft..." "Was da unten gleich auftaucht, wird mehr sein, als ein Pikachu", orakelte Ella düster. Gebannt beobachteten sie, wie Neru und Sipho von einem hochgewachsenen Mann Mitte vierzig begrüßt wurden. "Ich bin Spark", stellte er sich vor, "Und ich bin der oberste der Elektroarena. Ich halte nicht viel von dem Zauber, euch erstmal mit einem meiner Mitarbeiter aufzuhalten. Wenn ich euch beiden einen Donnerstein geben soll, muss ich wissen, wie ihr kämpft. Wer möchte anfangen?" "Er ist ganz schön resolut", flüsterte Nerina und ihre beiden Begleiter nickten. Noch nie hatte der oberste eines Arenaordens einen von ihnen erwartet oder eigenhändig geprüft - doch Spark schien sich auch sonst gründlich von den angegrauten Arenaleitern zu unterscheiden, auf die sie bis her gestoßen waren. Er wirkte sportlich, ganz so, als trainiere er jeden Morgen eigenhändig seine Elektro-Pokemon und der Blick seiner wachsamen, blauen Augen strahlte eine Energie aus, die die Luft zum Prickeln zu bringen schien. "Ich fange an", verkündete Sipho nach einem Augenblick des unsicheren Schweigens, "Ich setze ..." "Nicht so hastig, junger Mann", unterbrach Spark ihn scharf, "Du bist ein Iramon-Trainer, also setzt du dein Iramon. Ich werde mit ebenso vielen Pokemon kontern, wie du besitzt. Also, dein Nidoran entwickelt sich zu Nidoking und Rosana, wenn ich das richtig sehe?" Sipho nickte gehorsam. Spark nickte ebenfalls. "Sehr schön. Du wirst dann also gegen diese drei antreten..." Mit einigen, langen Schritten durchquerte er die Arena, nahm seine Position ein und warf drei Pokebälle. In einem flirrenden Blitzlichtgewitter materialisierten sich ein Voltilamm und zwei Magneton. Sipho schluckte heftig, Nidoran dicht an sein Bein gedrängt. "Doch sicher nicht gegen alle auf einmal?", fragte er kleinlaut. Spark zog kritisch die Augenbrauen zusammen. "Du bist ein Iramon-Trainer", sagte er hart, "Und als solcher musst du auch lernen, mit all deinen Formen umzugehen und gegen ein gleich starkes Pokemon-Team zu kämpfen. Was wäre sonst der Sinn eines Iramon? Ich kann nicht verstehen, warum keiner meiner Kollegen bis jetzt Anstalten gezeigt hat, euch Iramon vernünftig auszubilden, aber in der Elektro-Arena sollt ihr zeigen, was ihr könnt! Also, bist du bereit?" "Aber warum drei?", versuchte Sipho einen weiteren Vorstoß, "Nidoran hat doch nur zwei Entwicklungsformen..." "Und sich selbst", entgegnete Spark erbarmungslos, "Ich habe schon Pichus Raichus besiegen sehen und werde sicher nicht so unvernünftig sein, dein Nidoran zu unterschätzen, nur, weil es klein ist. Das selbe gilt übrigens auch für dein Evoli, um uns nachher die Diskussion zu ersparen!", wandte er sich mit einem Seitenblick an Neru, der bereits in einer heftigen Diskussion mit ebenjener zu sein schien. Er nickte nur düster. Kurz entstand eine Pause, dann nickte Sipho schwer und der Kampf begann.

"Los, Nidoran, werde Rosana und zeig es diesem Voltilamm mit deiner Psychokinese!", rief Sipho eilig und noch ehe der Befehl vollendet war, stürzte Rosana sich schon vorwärts. Spark kniff die Augen zusammen und grinste raubtierhaft. "Deckt es, Magneton", befahl er knapp und die beiden Magneton vertraten Rosana den Weg. "Und Metallschlag!" Eines der Magneton wurde durch Rosanas Psychokinese aus der Bahn gewischt, doch das andere rammte Rosana seinen stählernen Rumpf in die Seite und das Eispokemon taumelte getroffen zurück. Nerina hörte Ella scharf die Luft einziehen. "Stahl ist gut gegen Eis", wiederholte sie die leidvolle Erfahrung ihrer eigenen Bodenprüfung, "Dieser Fuchs!" "Rosana! Versuch es nochmal mit Psychokinese!", rief Sipho verzweifelt und Rosana rappelte sich mühsam auf die Füße. Dieses Mal erwischte sein Psychostrahl beide Magneton und schleuderte sie zurück. "Voltilamm, Donnerblitz", befahl Spark eisig und Voltilamm flitze geschickt an seinen Kameraden vorbei und ein greller Blitz zuckte durch die Luft. Rosana schrie auf, ließ die Magneton fallen und hüllte sich in Evotationsblasen. "Als Nidoking ist er unempfindlich gegen Strom", murmelte Nerina, "Dass er darauf nicht von Anfang an gesetzt hat..." Doch Mando schüttelte düster den Kopf. "Sinnlos", murmelte er und deutete stumm auf die beiden Magneton, die sich dem Gesteinspokemon flinker als erwartet näherten. "Stahlklinge!", befahl Spark kühl und auch diesmal rammten die beiden Stahlpokemon Nidoking zu Boden. Mit einem Heulen rappelte er sich wieder auf die Füße und wurde zu Nidoran, um schnell zwischen ihrem erneuten Angriff hindurchzuschlüpfen. Prompt ließen die Magneton von ihm ab und Voltilamm galoppierte vorwärts. Mit seinen längeren Beinen und seinem schlanken Körper war es ihm ein leichtes, Nidoran einzuholen. "Hornattacke!", befahl Sipho und das Voltilamm blökte getroffen auf, was es aber nicht davon abhielt, Nidoran mit einem Donnerblitz alle Muskeln zittern zu lassen. Spark schien nicht gewillt zu sein, den Donnerorden leichtfertig aus der Hand zu geben. Nerina sah, wie Ella in bitterer Frustration die Hände zu Fäusten ballte. "Er nimmt ihn total auseinander!", zischte sie wütend, "Das ist doch nicht fair!" Niemand widersprach ihr, doch Nerina fühlte, wie ihr das Herz in die Hose sank. Einen solchen Kampf hatten sie noch niemals durchgestanden... Sie sah, wie Sipho die Zähne fletschte. Nidoran war bereits fast besiegt und nur noch widerwillig rappelte er sich auf die Beine. "Werd wieder Nidoking!", rief Sipho eindringlich, "Und schnapp dir dieses verfluchte Voltilamm! Los! Steinhagel!" Mit einigen, wenigen und recht wackeligen Hopsern brachte Nidoran sich hinter den Magneton in Sicherheit, ehe er ein weiteres Mal evotierte und die Arena mit einem Steinhagel überzog. Sofort wandten die Magneton sich wieder gegen ihn, doch Sipho befahl einen Sandsturm, der sie auf Abstand hielt, bis einer von Nidokings Steinen endlich Voltilamm traf und blökend zu Boden schickte. Danach nahm er Anlauf und rammte einem der verdutzt blinzelnden Magneton den Hornbohrer in den Leib, was auch diesen Gegner unschädlich machte. Dafür fiel ihm das andere Magneton mit einem Metallschlag in die Seite. Nidoking stürzte, verwandelte sich in Nidoran zurück. "Und Donnerschock!", befahl Spark ungerührt. Sipho ballte die Fäuste so fest, dass die Knöchel weiß wurden. "Vergrab dich, Nidoran!", flehte er, "Verscharr dich im Sand..." Doch Nidoran rollte nur geschlagen auf die Seite und blieb ergeben liegen, als das größere Magneton sich über ihn beugte, zum letzten Schlag bereit. Dann, schneller als ein Gedanke, schnellte es in die Höhe und rammte Magneton eine Hornattacke ins Gesicht. Aus dem Gleichgewicht gebracht kippte es nach hinten über und krachte in den bewegungslosen Körper seines Kameraden. Kurz zuckten seine metallischen Glieder, dann lag es still, Nidoran saß schwer atmend auf seinem Bauch. "Ich habe Sie besiegt", rief Sipho, selbst ganz verdutzt vor Freude, "Was sagen Sie jetzt?" Doch Spark lächelte nur zufrieden, während er etwas auf seinem Taschencomputer vermerkte, dann rief er seine drei Pokemon zurück und nickte. "Nun, du hattest einen schweren Start, aber du hast die Kurve gekriegt. Na dann, setz dich zu deinen Freunden und gib Nidoran ein paar Pokeriegel. Nur, weil ich dich im Kampf härter rangenommen habe, werde ich euch die Prüfung nicht schenken... Bist du bereit?", wandte er sich dann an Neru, ohne Siphos Antwort abzuwarten. Nerina fiel auf, dass ihr Bruder ganz bleich um die Nase war, aber dennoch trat er vor, ohne zu zögern. "Wir sind bereit", sagte er fest und Evoli schritt erhobenen Schwanzes vorwärts. Spark nickte erneut in seiner militärisch knappen Weise und zog drei weitere Pokebälle. "Evoli, Folipurba und Aquana", resümierte er mit blitzenden Augen, "Nun, das sollte interessant werden. Los geht’s, Pikachu, Raichu - und Lampi."

"Wau! Was ist denn das für ein Pokemon?", fragte Texomon laut und deutete begeistert auf Lampi, "Sieht ja aus, als könnte es schwimmen!" "Kann es auch", erwiderte Nerina lächelnd, "Es ist ein Wasser-Elektro-Typ! Sehr wertvoll und selten! Es lebt nur in der Tiefsee!" "Wahrscheinlich der Konter zu Aquana", murmelte Mando nachdenklich, während er Reptain von dem Platz neben sich hochhob und auf den Schoß nahm, um Sipho Platz zu machen. Seine Wangen glühten immernoch vor Aufregung und seine Augen brannten wie kleine Flammen vor Zorn. "Was für ein widerwärtiges Raubtier!", zischte er ärgerlich, "Wie wenn die Prüfungen nicht schon schwer genug wären!" "Er will euch doch nur auf den Kampf gegen Gringo vorbereiten", entgegnete Mando scharf, "Wie oft habt ihr schließlich Gelegenheit, gegen einen solchen Trainer eure Kräfte zu testen! Ihr solltet ihm dankbar sein!" Sipho schnitt dem dunkelhäutigen Jungen eine ärgerliche Grimasse. "Du musstest ja nicht kämpfen", schnappte er, "Was machst du überhaupt, außer alles besser zu wissen?" Nerina spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten und Texomon in ihrem Arm spannte die Muskeln an, doch Ella ging mit mahnend erhobenem Zeigefinger dazwischen. "Andere Leute wollen zuhören", fauchte sie, "Streitet euch gefälligst wann anders!" Gebannt verfolgten sie, wie Evoli nachdenklich um die drei Gegner herumhopste. Sie schien zu überlegen, welcher von ihnen am ehesten in welcher Form zu schlagen war, doch die drei ließen ihr keine Zeit dazu. Sofort heftete das flinke Pikachu sich an ihre Fersen. Evoli fuhr herum und versuchte einen Tackle, doch Pikachu wich aus. Evolis Schweif sträubte sich, dann glühte sie grün auf und lange, starke Ranken packten Pikachu, das hilflos zappelnd in der Luft hing. Spark runzelte die Stirn, offenkundig überrascht von Evolis Schnellevolution, doch ließ er sich keinesfalls aus der Ruhe bringen. "Raichu! Doppelkick!", befahl er kühl und Raichu beförderte Folipurba mit einem gezielten Kick in den Sand. Sie glühte golden auf und floh als Evoli unter dem zweiten Tritt hinweg. Pikachu fiel auf die eigenen Füße zurück. "Pikachu, Agilität!", befahl Spark ruhig. Neru schien zu grinsen. "Das soll eine Agilität sein?", fragte er halblaut, "Evoli! Fang ihn!" Im nächsten Augenblick flitzten beide kleinen Pokemon in irrwitzigem Tempo durch die Arena, mal attackierte Evoli Pikachu mit ihrem Ruckzuckhieb, mal schoss Pikachu einen Donnerblitz nach ihr, doch die meisten Attacken verpufften sinnlos im Sand. Doch Spark schien auch diese Entwicklung der Dinge wenig zu beunruhigen. "Pikachu! Nach rechts außen! Raichu? Donnerblitz", befahl er scharf, als Evoli Pikachu im Eifer des Gefechts zwischen Lampi und Raichu hindurch folgte. Der Donnerblitz riss sie von den Pfoten und mehrmals überkugelte sie sich zitternd im Sand, ehe sie aufsprang und eine ganze Flut von Evolis mit ihr. Sie rannten und sprangen um Raichus Füße, bis dieser sich wie ein gewaltiger Kreisel um die eigene Achse drehte. Eine andere Gruppe stürzte von allen Seiten auf Pikachu zu, das panikerfüllt über sie hinwegsauste, genau einem kleinen, reglosen Schatten in die Pfoten, der, still wie ein Geist aus der Gruppe um Raichu ausgeschert war. Der Schatten glühte grün, dann packten erneut Ranken nach Pikachu, hoben es hoch und schleuderten es aus der Arena. Zuckend blieb es zu Starks Füßen liegen. Texomon klatschte begeistert in die Pfoten. "Ja!", rief er, "Gib's ihm! Gib's ihm!" "Warum denn so überschwänglich?" Neugierig schielte Taubsi durch ihre Schwungfedern zu ihm hinüber, "Ich dachte, du hättest auch schon mit Pikachu gekämpft?" "Ja, aber er hat verloren", kicherte Nerina und Texomon zog in gespielt beleidigter Haltung eine Grimasse. "Anbetracht der gewaltigen, zahlenmäßigen Übermacht des Pikachu musste ich leider - oh, was macht es denn da?" Aufgeregt beobachtete er, wie das Lampi sich in Position brachte und mit einer gewaltigen Surfer-Attacke die ganze Arena überflutete. Evoli wurde von den Füßen gerissen, die Trugbilder zerplatzten. "Jetzt! Donnerblitz!", rief Spark und im nächsten Augenblick zuckten blaue Entladungen durch den feuchten Sand. Mit einem schrillen Schrei sprang Evoli in die Luft, überkugelte sich und nahm noch im Sprung Folipurbas Gestalt an, die mit gespreizten Klauen auf Lampis Rücken krachte und das Wasserwesen in eine Wolke von Rasierblättern tauchte. "Donnerblitz!", rief Spark und Raichu stürzte sich auf Folipurba, doch diese zerschmolz unter seinem Angriff zu Evoli und der Donnerblitz schickte statt ihrer das angeschlagene Lampi in den Sand. Nerina hörte, wie Sipho leise knurrte. "Er ist so ein Betrüger!", zischte er, "Feigling!" Wütend wollte sie etwas erwidern, doch in diesem Augenblick traf Raichus Doppelkick Evoli frontal vor die Brust und mit einem Schmerzensschrei ging sie zu Boden. Gegen das stärkere Raichu schien selbst ihre Schnellevotation nicht mehr viel ausrichten zu können. Nerina ballte die Hände zu Fäusten! Es konnte nicht vorbei sein, durfte nicht... Ein letztes, blaues Leuchten umgab Evolis geschundenen Körper und Sipho schnaubte. "Aquana?", fragte er abfällig und auch Nerina runzelte verblüfft die Stirn. Wenn jemand gegen Elektro anfällig war, dann ja wohl am ehesten Aquana! Auch Spark schien das so zu sehen. Sofort befahl er einen weiteren Donnerblitz, doch Aquana war schneller. Mit ihrer gewaltigen Schwanzflosse begann sie, Sand über Raichus Kopf zu schleudern, Sand und immer mehr Sand, bis das Elektropokemon in einer kleinen und schwankenden Düne festzustecken schien. Dann sprang sie auf es los. Erneut wechselte sie im Sprung noch die Gestalt und Folipurbas scharfen Krallen schlugen sich in Raichus Gesicht. Für eine nervenzerreißende Sekunde geschah nichts. Raichus Elektroattacken waren durch den Sand blockiert, ebenso wie sein Doppelkick und so blieb ihm nichts anderes übrig, als wild nach den Ranken zu beißen, die sich stetig enger um seinen Kopf wanden. Endlich und unendlich langsam sank die Düne in sich zusammen. Raichu war besiegt.

"Das war klasse!" Begeistert stürmte Nerina auf ihren Bruder zu, Texomon, Ella und Mando auf den Fersen. Sogar Sipho gratulierte Neru widerwillig zu seinem Sieg und Spark schüttelte beiden anerkennend die Hand. "Ihr habt euch in der Prüfung bewiesen", sagte er feierlich, "Nun zu euren Prüfungen. Sipho, du kämpfst, wie ich es von einem Anwärter auf die Elektroprüfung erwarten würde, energievoll und effizient. Wenn du möchtest, kannst du gleich mit der Prüfung beginnen. Neru..." Kurz hielt er inne und musterte Neru nachdenklich von Kopf bis Fuß, ehe er fortfuhr: "Auch dir steht die Prüfung selbstverständlich offen, wenn du sie machen möchtest. In deinem Kampfstil sehe ich Schnelligkeit und Schläue, auch gute Voraussetzungen für einen Donnerstein. Trotzdem glaube ich nicht, dass du gehen solltest." "Warum nicht?", fragte Nerina aufgebracht, "Er hat gegen Sie gewonnen, er -" "Sachte, sachte", sagte Spark und wischte den Einwand wie ein lästiges Insekt beiseite, "Aber jeder, der Evolis Agilität und ihr überragendes Doppelteam sieht, muss zu der Ansicht kommen, dass es eine Schande wäre, ein solches Talent in einem Blitza zu vergeuden. Hee, Junge!" Und damit stieß er Neru grob wennauch freundlich in die Seite, "Was zum Donnerwetter tust du hier? Du hast noch eine Entwicklung offen! Geh zu Sunny und hol dir, was deinem Evoli gebührt." "Sunny?" Verblüfft starrte Neru in die blauleuchtenden Augen des Elektroarenaleiters. "Wer soll das sein - und was meinen Sie, was Evoli gebührt? Blitza ist eine sehr starke Form!" "Nichts im Vergleich zu einem talentierten Psiana", erwiderte Spark und ein amüsiertes Lächeln schlich sich auf seine Züge, als er in fünf verdutzte Gesichter sah. Ella fand als erste ihre Sprache wieder. "Die Psychoarena wurde geschlossen", sagte sie mit rauer Stimme. Spark nickte ungeduldig. "Trotzdem ist Sunny schließlich nicht vom Erdboden verschluckt", entgegnete er schroff, "Das heißt, eigentlich schon, in mancherlei Hinsicht. Ich weiß allerdings, wo man graben muss, um sie zu finden... Na, was ist? Willst du es riskieren?"
 

>>>Neru<<<
 

Neru wusste erst einmal überhaupt nicht, was er sagen sollte. Spark und die anderen Iramontrainer starrten ihn an und auch Evoli bedachte ihn mit einem fragenden Ausdruck in den Augen. "Überlegt es euch in Ruhe", verkündete Spark mit ruhigem Tonfall und er führte Sipho mit den üblichen, harschen Worten hinüber zu einer Tür an der Seite der Arena und beide verschwanden. Neru wusste gar nicht, was er sagen oder denken sollte. Nicht nur, dass sie alle die starken Psychoeigenschaften von Evoli ignoriert hatten, jetzt rückte Spark auch noch damit heraus, wo man Sunny, die Arenaleiterin der Psychoarena, finden konnte. "Ich glaube, ich brauch' erstmal ein paar Minuten", verkündete er und schnitt damit Ella, die schon den Mund geöffnet hatte, das Wort ab und sie klappte den Mund wieder zu, ohne auch nur einen Ton gesagt zu haben. Nerina nickte. Damit drehte sich Neru wie in Trance um und machte sich in Richtung des Arenaeingangs auf. Er wollte raus hier, raus aus der Arena und frische Luft atmen. Wieder zu Besinnung kommen und dann die Fakten ganz langsam überdenken. Evoli folgte ihm auf dem Fuße. Nachdem Neru draußen angekommen war und ein paar tiefe Atemzüge getan hatte, sah er hinunter auf sein kleines Iramon. Evoli erwiderte seinen Blick mit großen Augen. "Wollen wir es riskieren?", fragte sie, dabei die Frage von Spark wiederholend und Neru starrte weiter in ihr fragendes Gesicht. "Möchtest du es denn versuchen?" Evolis Schwanz zuckte, ein untrügliches Zeichen für Unsicherheit. "Psycho scheint sehr stark zu sein", erklärte sie kleinlaut, doch Neru wischte den Einwand beiseite und setzte sich zu ihr auf den Boden. "Weißt du", erklärte Neru, "Ich glaube, ich habe herausgefunden, wie Texomon zu seinen starken Evotationen kommt. Es geht nicht darum, ob wir die Prüfung bestehen oder nicht!" Evoli legte den Kopf schief. "Sondern darum", erwiderte sie, "Wie sehr man das Element, in dem man geprüft wird, verkörpert." Neru nickte. "Genau! Jetzt ist nur die Frage, welches Element du bevorzugen würdest." Evolis Schwanz peitschte jetzt unruhig von einer Seite auf die andere. "Blitza ist ebenfalls sehr stark und schnell, oder?", fragte sie. Neru nickte, gespannt darauf, wie Evoli sich nun entscheiden würde. "Aber auch Psiana ist schnell und stark." Neru nickte wieder. Hilfesuchend sah sie zu ihm auf. "Egal, wie du dich entscheidest, ich bin stolz auf dich", erklärte Neru. Evoli nickte. Hinter ihnen hörte Neru die Scharniere der großen Stahltür knarren und Nerina und Ella traten zu ihm hinaus auf die Straße. "Und? Wie habt ihr euch entschieden?", fragte Ella in ungeduldigem Tonfall. Dann geschahen plötzlich viele Dinge gleichzeitig. Ein lauter Ruf überdeckte alle anderen Geräusche auf der Straße und als Neru herumfuhr, konnte er einen Mann mit einem Pummeluff direkt in seiner Nähe erkennen. Auf seiner Brust prangte das Logo von Team Rocket. Das Pummeluff hatte bereits ein Mikrofon in der Hand und die ersten Töne hatten eine heftige Wirkung auf die Trainer. Mühsam steckten sie sich ihre Finger in die Ohren, während ihre Pokemon schon wegdämmerten. Doch dann sprangen weitere Mitglieder von Team Rocket vor und zerrten ihre Hände und Arme von ihren Ohren weg. Neru konnte die Situation gar nicht so schnell fassen. Er sah, wie Nerina den Mund zu einem Schrei öffnete, einem der Team Rocket Leute einen Tritt ans Schienbein verpasste und sich dann zur Flucht wandte. Dann hörte auch er die zarten Töne von Pummeluffs Gesang und er versank sofort in einer Wolke aus Schwärze.

Das erste, was Neru spürte, als er die Augen wieder aufschlug, war, dass er sich nicht bewegen konnte. Seine Arme und Beine waren gefesselt und er lag in einem kleinen Raum, der von Dämmerlicht erfüllt war. Neben ihm lagen Nerina und Ella, ebenso verschnürt wie er selbst, die gerade langsam wieder zu sich kamen. Evoli und Taubsi waren nicht gefesselt, dafür saßen sie in kleinen Eisenkäfigen, während Texomon neben ihnen lag. "Wo sind wir?", fragte Ella verdutzt. "Es ist vorbei", erwiderte Neru, "Team Rocket hat uns geschnappt." "Oh, diese verdammten..." Nerina fing an zu fluchen wie ein Rohrspatz und sie alle stemmten sich in ihre Fesseln. "Ich will hier raus", protestierte Taubsi, "Ich bin doch kein Kanarienvogel!" Auch Evoli schien von ihrer Lage nicht eben begeistert zu sein und sie führte einen Ruckzuckhieb, der aufgrund der räumlichen Begrenzung ihres Käfigs sehr schwach ausfiel, gegen die Eisenstäbe des Käfigs. Polternd rollte er durch den Raum und drehte Evoli dabei, wie in einer Waschmaschine. "Die Falle war perfekt", erklärte Neru, "Sie mussten nur warten, bis wir herauskommen würden." Kurz darauf öffnete sich die Tür und zwei Männer warfen einen selig schlafenden und verschnürten Mando herein. Seinen Pokeball verwahrten sie vorsichtshalber vorne in dem Lieferwagen, als den Neru nun ihr Gefängnis erkannte. "Das ist zwecklos" erklärte er. "Warum kann ich nicht evotieren?", mischte sich nun Texomons Stimme ein und auch er begann, sich gegen die Fesseln zu sträuben. Seine Stimme klang dumpf unter einem eisernen Maulkorb hervor, der wohl verhindern sollte, dass Texomon Feuer spie. Nerina sah an ihrer Brust hinunter. "Sie haben die Broschen!", rief sie aus und Neru spürte, wie Panik ihn überkam. Natürlich hatten sie die Broschen. Die Iramon würden sich nicht entwickeln können und sie würden hier herumliegen, bis sie auch noch Sipho geschnappt haben würden. Schweiß perlte auf seiner Stirn. "Sie haben den ganzen Platz umstellt", erklärte Ella, die sich halb aufgerichtet hatte und aus dem getönten Fenster hinaussah, "Sieht gar nicht gut für uns aus." Ihre Stimme zitterte und Neru spürte, dass ihre gelassene, berechnende Art nur aufgesetzt war. "Wo sind die Broschen?", fragte Neru und bemühte sich, ihrem Beispiel zu folgen und sich zu beruhigen. "Vermutlich auch da, wo sie den Pokeball von Mando verstaut haben", erwiderte Nerina, die ebenso zu Ruhe und Ausgeglichenheit zurückgefunden hatte und sich nun ebenfalls aufsetzte und ihren Rücken gegen die Wand lehnte. Texomon folgte ihrem Beispiel und ein Feuer begann in seinen Augen zu glühen. "Wie können wir da rankommen?", fragte er dumpf unter dem Maulkorb hervor. Sein fragender Blick wanderte durch den Raum und sowohl Nerina als auch Neru und Ella senkten betreten die Blicke. "Ich weiß es nicht", erklärte Nerina nach einer Weile des Schweigens, "Wir können ja noch nichtmal einen Finger bewegen, geschweige denn die Türen des Lieferwagens öffnen." Texomon nickte und schien nachzudenken. In Nerus Geist wirbelten nur noch die Angst vor dem, was Gringo ihnen antun würde, und die Ausweglosigkeit ihrer Lage herum. Wütend trat er gegen die Wand. Es musste doch eine Möglichkeit geben. "Rasierblätter wären gut", meinte Ella. Nerina nickte. "Damit könnten wir die Fesseln loswerden." "Aber ohne Brosche keine Verwandlung", seufzte Neru, doch Texomon schüttelte den Kopf. "Falsch", erwiderte er, als wäre er ein Lehrer in der Schule. Im Gegensatz zu ihnen allen anderen schien der Verstand von Texomon noch einwandfrei zu arbeiten. Er wechselte einen Blick mit Evoli. "Ohne Brosche sind nur die Rückverwandlungen möglich", erklärte er. Evoli begann, aufgeregt in ihrem Käfig auf und ab zu wandern und schaltete sich mit in das Gespräch ein, "Und da ich den Stein verschluckt habe, ist meine neue Grundform..." Damit begann sie nun, grün zu leuchten, und Neru spürte, wie sich etwas in seinen Geist tastete. Wie ein langer Arm fuhr es ihm durch die Gedanken und betastete viele seiner Erinnerungen nur zart. Dann schien es etwas Interessantes zu packen zu bekommen und Neru spürte einen schmerzhaften Stich, der ihm alle Kraft zu rauben drohte. Wie ein gigantischer Staubsauger saugte es an ihm und er spürte, wie sein Herz nun noch schneller schlug und er in Schweiß ausbrach. Die Welt vor seinen Augen verschwamm, dann plötzlich war es vorbei und in dem Käfig saß ein ziemlich zerknautscht aussehendes Folipurba, das nur mühsam in den Käfig passte. Kleine Blätter fielen aus den Zwischenräumen der Gitterstäbe und die anderen hatten schon damit begonnen, sich gegenseitig die Fesseln durchzuschneiden. Die Rasierblätter waren tatsächlich so scharf wie Rasierklingen und als auch der letzte von ihnen befreit war, stand Texomon auf, seine Augen glühten vor innerem Feuer und sein Schwanz leuchtete silbern auf. "Jetzt holen wir dich da raus", rief er, dann nahm er Anlauf und zwei schnelle Attacken später waren Taubsi und Folipurba befreit. Texomon stieß eine Glutattacke aus und schmolz einfach das Fenster zwischen Fahrerbereich und Laderaum auf. Glücklich hängte Nerina wieder ihr Amulett um und die anderen Trainer taten es ihr gleich. Sofort war die Luft von Evotationslicht erfüllt und eine riesige Wassersäule von Aquana ließ die Türen des Laderaums aus den Angeln fliegen. Heraus sprang ein riesiges Arkani, das sich sofort auf das zum Singen oder Kämpfen zu sehr überraschte Pummeluff stürzte. Der Kampf, wenn es denn einer war, war nach Sekunden beendet und Arkani sah sich langsam auf dem Vorplatz der Arena um nach weiteren Gegnern, die verrückt genug waren, sich mit ihm anzulegen.
 

>>>Nerina<<<
 

Im Nachhinein war es Nerina unmöglich zu sagen, wie genau der Kampf begonnen hatte. Plötzlich zerbarst ihre Welt in Feuer, Licht und Scherben, als Arkani die Windschutzscheibe des großen Transporters kurzerhand in einen handlichen Klumpen zusammenschmolz. Dick hing der Gestank von geschmolzenem Glas und Plastik in der Luft und Arkanis mächtiger Körper presste sich gegen sie in seiner Bemühung, sich durch die Scheibentrümmer nach draußen zu schieben. Dann war plötzlich Ella hinter ihr. Sie schrie etwas, doch Nerina konnte sie nicht verstehen. Nun erst fiel der schreckliche Lärm ihr auf, der schon die ganze Zeit an ihre Ohren gebrandet haben musste, Schreie, Pfiffe und rennende Füße, vermischt mit den Rufen von Pokemon. Als sie nicht reagierte, schubste Ella sie kurzerhand beiseite, sprang an ihnen vorbei ins Freie, Taubsi flatterte über ihrem Kopf, ihre kleine Gestalt bereits in Evotationsblasen gehüllt. Während Arkani mit furchterregendem Geheul in eine Gruppe von Team Rocket-Mitgliedern fuhr, landete mit einem gewaltigen Rums Panzaeron auf dem glühenden Pflaster. Mit einem gelenken Sprung saß Ella auf seinem Rücken und winkte hektisch Neru zu, der sich mit Folipurba ebenfalls aus dem nun brennenden Fahrzeug befreit haben musste. Nerina sah ihren Bruder kurz zögern, doch dann rannte er mit langen Schritten zu Ella hinüber und im nächsten Augenblick war Panzaeron zurück in der Luft, Aquana balancierte auf ihren Schultern und entsandte einen gebündelten Wasserstrahl nach dem anderen auf die schreienden Menschen und Pokemon, die in panischer Hast den Platz zu räumen begannen. Arkani flitzte wie ein Hütehund zwischen ihnen umher, knurrte und brüllte wie wild und schlug furchteinflößend mit seinem langen Schwanz. 'Komm Nerina!', hörte sie seine mächtige Stimme in ihrem Geist, 'Kletter auf meinen Rücken! Dort unten ist es viel zu gefährlich!' "Ich kann nicht!", brüllte sie über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg, "Mando ist noch da drinnen!" Als sei sie aus einer Art Trance erwacht, wirbelte sie herum, wich einem herabtropfenden Deckenteil aus und stolperte halb blind vor Qualm in den zerstörten Laderaum zurück. "Mando!", rief sie drängend, "Wo steckst du?" Doch Mando antwortete nicht. Pummeluffs Schlafattacke schien ihn erst kürzlich betäubt zu haben, dazu kamen noch die sicher nicht gerade gesunden Dämpfe des brennenden Autos. Mit einem unterdrückten Fluch stolperte Nerina durch den Laderaum, die Hand über Mund und Nase gepresst. Lange konnte sie nicht mehr in dem Wrack bleiben, soviel stand fest. Schon jetzt tanzten grellbunte Punkte vor ihren Netzhäuten. "Mando! Wenn du nicht sofort -", hob sie an, dann trat sie mit dem Fuß auf etwas weiches und bückte sich hastig. Mandos Gesicht war leichenblass, seine Augen aufgerissen in blankem Horror. Offenbar musste er kurz aufgewacht sein, nur, um sofort von den Dämpfen betäubt das Bewusstsein zu verlieren. Nerina biss die Zähne zusammen, als sie den schweren Körper so gut sie konnte hochzerrte und hinter sich her zurück in das zerstörte Fahrerhaus schleifte. "Arkani!", brüllte sie über das Brausen der Flammen, die mittlerweile aus beinahe allen Fahrzeugen des Platzes brachen, "Arkani! Komm her! Schnell!" Undeutlich sah sie einen Schemen auf sich zu jagen, dann erschien Arkanis Kopf über der qualmenden Motorhaube. "Schnell! Nimm Mando!", rief sie. Kurz zögerte Arkani. "Sollte ich nicht lieber..." Doch Nerina nahm all ihre Kräfte zusammen, stemmte den leblosen Körper in die Höhe und entblößte Mandos Gürtel. "Schnell!", rief sie und Arkani grub seine gewaltigen Fangzähne in das Leder und trug Mando davon, als sei er eine Stoffpuppe. Etwas kochend heißes tropfte auf Nerinas bloßen Arm und schmerzerfüllt schrie sie auf. Sie versuchte, auf die Motorhaube zu springen, doch das glühende Metall versengte ihre Hände und ließ sie zurücktaumeln. Verzweifelt sah sie sich nach einem anderen Fluchtweg um, da wand sich plötzlich eine starke Ranke um ihre Brust. Im nächsten Augenblick fühlte sie sich von den Füßen gehoben, baumelte wie an einer langen Schaukel über dem brennenden Fahrzeug und kam nur Herzschläge später hinter Ella auf Panzaerons hartem Rücken zu sitzen. "Geht es dir gut?", rief Neru besorgt zu ihr nach hinten. Nerina nickte, auch wenn sie sich ganz schwindelig fühlte vor Schreck, Qualm und Adrenalin. "Wo ist Arkani?", fragte sie nur schwach zurück, "Mando ist bewusstlos, ich denke, er muss dringend ins Krankenhaus..." Ein letzter, kollektiver Aufschrei erhob sich wie eine Wolke vom Platz, als eine mächtige Feuerwand die verbliebenen Menschen in zwei Lager zerteilte. Arkani hatte es irgendwie fertiggebracht, Mando über seinen Rücken zu werfen und pflügte nun ohne Rücksicht auf Verluste auf die Elektroarena zu. "Landet auf dem Dach und holt uns!", brüllte er zu ihnen hinauf und augenblicklich folgte Panzaeron der Anweisung. So sanft, wie man es von einem drei Meter langen Stahlvogel nun einmal erwarten konnte, ging Panzaeron auf dem bedenklich knarzenden Dach der Elektroarena nieder, im nächsten Moment schossen Folipurbas Ranken erneut hinab, schlangen sich zuerst um Mandos, dann um Texomons Hüften und zerrten beide zu ihnen hinauf in Sicherheit.

"Wau! Das war knapp", keuchte Ella, als die beiden endlich neben ihnen auf den Ziegeln lagen und Panzaeron zu Kramurx evotiert war, um im Tiefflug über den zerstörten Platz zu kreisen, doch es gab nicht viel zu sehen. Die Zerstörung war nahezu perfekt. An manchen Läden fehlten Schaufenster und Spielzeuge, Orangen und einzelne Schuhe kullerten noch immer über das heiße Pflaster, während die Autowracks friedlich in sich zusammengeschmort waren. Kein einziger Mensch und nur noch ein paar verstörte Ratfratz waren zu sehen. Neben Nerina stöhnte Neru schmerzhaft auf. "Mando sieht aber gar nicht gut aus", kommentierte er düster und drehte ihren verletzten Freund vorsichtig auf den Rücken, "Wir sollten ihn so schnell es geht zu Spark bringen..." Kurz sahen sie sich unentschlossen an, dann schlug Texomon kurzerhand eine der Dachluken mit seinem Eisenschweif ein und Taubsi flatterte durch das Loch in die schwarze Tiefe. Nach einer kleinen Weile kehrte sie zu ihnen zurück, gefolgt vom rostigen Kopf einer Leiter und Sparks verschwitzten Gesichts. "Ah, da steckt ihr also", keuchte er, als er sich über den zersplitterten Rand der Luke in die Höhe stemmte, "Hab euch schon überall gesucht." "Wie geht es Sipho?", rief Ella gleich besorgt, während Spark mit gerunzelter Stirn auf Mando hinunterblickte. Der Elektroarenaleiter warf ihr einen abwesenden Blick zu. "Ihm geht’s gut", sagte er grob, "Hat ein Raichu bekommen, ein wahres Prachtexemplar. Hilft an der Südseite, die Arena verteidigen. Hmmm. Was machen wir nur mit dir?" "Können wir ihn nicht einfach ins Krankenhaus bringen?", fragte Nerina aufgebracht. Sie zitterte immernoch vor Aufregung, Schrecken und Anstrengung und nur Texomons Wärme an ihrer Seite spendete ihr ein wenig Trost. Sparks Stirn warf beunruhigende Falten. "Im Prinzip schon", erwiderte er, während er ein Erfrischungstuch aus der Jackentasche fingerte und Mando damit über die Stirn wischte, "Aber er ist nach wie vor gesucht. Sie würden ihn einfach einkassieren." "Dann sollten wir ihn nach Mammoria bringen!", schlug Neru rasch vor, "Wir haben Team Rocket doch aus ihrer Stadt verjagt und wie es den Anschein hat, scheinen sie die Stadt gut zu halten. Sicher haben sie dort auch ein Krankenhaus!" Spark benötigte nicht einmal zwei Wimpernschläge, um seine Entscheidung zu fällen, dann nickte er. "Ja, bringt ihn nach Marmoria und zwar so schnell wie möglich. Am besten du, Ella. Dein Panzaeron ist ein starker Flieger und sollte Marmoria sicher erreichen. Außerdem solltet ihr Sipho mitnehmen. Sein Raichu kann euch mit seinem Donnerblitz gegen andere Flugpokemon verteidigen." "Was ist mit uns?", fragte Nerina, während sie Ella half, den immernoch bewusstlosen Mando auf Panzaerons Rücken zu betten und ihn, sogut wie möglich mit seinem eigenen und Ellas Gürtel festzuschnallen. Spark beachtete sie gar nicht. "Er ist auf der Stadtmauer, Ella", sprach er stattdessen weiter, "Wenn du im flachen Winkel darüber fliegst, solltest du ihn aufladen können. Viel Glück!" Kurz zögerte Ella, dann hob sie die Hand zum Gruß und Panzaeron erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen in den roten Abendhimmel. Kurz sahen sie es über der nahen Verteidigungsmauer tiefer gehen, dann schraubte es sich wieder in die Höhe und war bald nur noch ein kleiner, silberner Fleck am dunkler werdenden Himmel. Erst, als Panzaeron außer Sichtweite war, wandte Spark sich wieder Nerina und Neru zu und zu ihrer Verwunderung sah sie, wie er sich den Schweiß von der Stirn wischte. "Das war knapp, Freunde", brummte er seufzend, "Ich hatte keine Ahnung, dass sie bereits vor der Arena lauerten. Um ein Haar wäre es vorbei gewesen und ich konnte nichts tun, um euch zu helfen." Eine plötzliche und reichlich unerwartete Reue lag in seinen Worten, die Nerina verlegen wegsehen ließ. "Wir haben uns selbst geholfen", entgegnete Evoli versöhnlich. Spark musterte sie mit einem nachdenklichen Blick, dann fragte er leise: "Und, hast du dich entschieden, Evoli?" Evoli legte verärgert die Ohren zurück, als vier Augenpaare sich auf sie richteten und ihr Schwanz zuckte angespannt, als Spark fortfuhr: "Die Elektroprüfung ist frei und wir haben Nerina und Texomon, um dir den Rücken freizuhalten. Genausogut habe ich Sunnys Koordinaten und mit eurem Tauboss könnt ihr leicht dorthin kommen." Kurz entstand eine haarsträubende Stille, dann sinnierte Evoli leise: "Wäre ich vorhin Psiana gewesen, hätte ich Mando einfach aufs Dach fliegen lassen können, stimmt´s?" Neru nickte eifrig. "Und ich hätte die anderen wegfliegen lassen können? Vielleicht auf das Dach der Kirche da und ihre Pokebälle unten lassen?", fragte sie weiter. Neru nickte erneut. "Schon, mit ein bisschen Training", sagte er langsam, "Aber..." "Dann möchte ich, denke ich, lieber Sunnys Koordinaten haben", wandte sich Evoli entschlossen an Spark, "Ich habe einfach das Gefühl, dass Psycho die friedlichere Art ist, Streit zu beenden - und die lustigere!" Neben sich konnte Nerina hören, wie Texomon scharf die Luft einsog. 'Na das wird ja ein Spaß', brummelte er in ihren Gedanken, 'Demnächst hängt man kopfüber vom höchsten Ast eines Baumes, wenn man nicht macht, was sie will und je nach Bedarf macht sie Fallobst!' Nerina kicherte bei dem Gedanken und fing sich einen scheelen Blick von Evoli ein. Auch Neru runzelte skeptisch die Stirn, vergaß jedoch, seine Schwester für ihr unpassendes Verhalten zurechtzuweisen, als Spark einen kleinen Chip aus der Brusttasche seines Hemdes nahm und ihn in Nerus bereitgehaltenen Pokedex einbaute. Kurz gab das Gerät merkwürdige Laute von sich als habe es sich an dem Chip verschluckt - oder glaube selbst nicht, was es da lese, dann erschien die wohlbekannte Karte Kantos und weit, weit im äußersten Südwesten blinkte ein kleiner, blauer Punkt hektisch vor sich hin. "Das ist ja die Regenbogenwüste!", stieß Nerina halb begeistert, halb beunruhigt aus, "Jenseits der Kuppelberge. Ich kenne niemanden, der sich jemals dorthin verirrt hat - Ist es nicht... nutzloses Land?" Sparks Gesicht verzog sich zu einem süffisanten Grinsen. "Hättest du sie als Zeitungsverkäuferin in Azalea erwartet?", fragte er kühl, dann wandte er sich wieder an Neru. "Das Programm wird euch zu ihr führen. Aber seid auf der Hut. Reist niemals am Tag und haltet euch von den Städten fern. Wenn das Wetter mit euch ist, solltet ihr die Regenbogenwüste in drei Tagen erreichen. Sucht Sunny dort, wo die Weisen schlafen. Wenn sie euch keinen anderen Auftrag gibt, kehrt hierher zurück. Ich werde versuchen, in Kontakt mit euren Freunden zu bleiben, sodass ihr sie leicht wiederfinden solltet - und Orania soll eine freie Stadt sein, bis ihr zurück seid. Wünschen wir uns allen eine gute Portion Glück."
 

>>>Neru<<<
 

"Sucht Sunny dort, wo die Weisen schlafen", brummte Neru vor sich hin und ließ den Blick über die endlose Wüste schweifen. Die letzten drei Tage hatten sie damit verbracht, sich mit dem Pokedex so gut es ging bei Nacht zurecht zu finden und in Richtung der Regenbogenwüste zu navigieren. Nun, beim Morgengrauen, wusste Neru, warum man sie die Regenbogenwüste nannte. Der Sand schimmerte tatsächlich in allen Farben des Regenbogens und ließ verschlungene Muster auf den Dünen entstehen, die sich bei jeder Windböe veränderten. "Ich kann keinen Ort zum schlafen entdecken", erklärte Folipurba, die wachsam neben ihm stand und ihr Kopfblatt gegen die Sonne hochgeklappt hatte. "Es sollten auch noch ein paar Kilometer bis zu dem Punkt sein", erklärte Nerina, die prüfend die Daten auf dem Pokedex betrachtete, "Dürften noch ein paar Stunden Flug werden bis da hin." Neru nickte und sah sich nach ihrem Reittier um. Das Tauboss wartete lammfromm hinter ihnen und pickte im letzten Grün, das sich vom regenbogengefärbten Boden abhob. Prüfend nahm Texomon eine klauevoll des schimmernden Sandes. "Es ist durchscheinend", rief er verblüfft aus und auch Neru nahm nun eine Hand von dem Sand auf. Tatsächlich konnte er seine Finger hindurchschimmern sehen. "Es muss das Licht selbst sein", mutmaßte Neru, "Es bricht sich innerhalb der durchscheinenden Sandkristalle und schimmert dann, so ähnlich, wie bei einem echten Regenbogen." Texomon betrachtete noch einmal interessiert die Sandkörner, dann ließ er sie zu Boden rieseln und beobachtete, wie sie wieder ein kleines Regenbogenmuster formten. "Komisch", stieß er dann aus, "Erde, die sich wie Wasser verhält. Deine Trainerin hat sich einen komischen Ort zum Leben ausgesucht!" Damit schubste er Folipurba an. Folipurba zuckte nur mit den Schultern und tat so, als würde sie angestrengt in eine andere Richtung sehen, doch Neru konnte sehen, wie sie ganz langsam ihre Tentakeln an ihren Füßen in Texomons Richtung streckte. "Wir haben keine Zeit für Kabbeleien", erklärte Neru streng und die Tentakeln verschwanden wieder in ihren Pfoten. Langsam wurde Neru nervös. Wie sollten sie Sunny in dieser Einöde, so farbenfroh sie auch immer war, nur finden? Nerina legte ihm einen Arm um die Schultern, wie immer blieb es seiner Schwester nicht verborgen, wenn es ihm schlecht ging. "Wir schaffen das schon", erwiderte sie und hielt ihm den Pokedex unter die Nase. "Bis zu dem Punkt sind es noch ein paar Kilometer, dort wird sich alles aufklären." Neru schluckte und nickte. Nerina hatte Recht, wenn sie die Punkte erst erreichen würden, würde sich alles aufklären. Er fasste sich ein Herz und drückte Nerina liebevoll den Arm. "Du hast Recht. Alle Aufsitzen", rief er dann und beobachtete, wie die Iramon an Bord sprangen und Nerina und Texomon wieder die Zügel des Tauboss übernahmen, während er Evoli zwischen sich und Nerinas Rücken einschloss, damit sie nicht herunterfiel.

Nachdem sie gestartet waren, zogen sich die Minute für Neru wie Stunden in die Länge. Was würde nur geschehen, wenn sie Sunny erreichten? Würden sie die Psychoprüfung bestehen können? Zwar hatte Spark keinen Zweifel daran gelassen, dass Evoli am besten im Psychoelement aufgehoben wäre, doch ein wenig Sorge hatte Neru schon, dass sie am Ende den Kriterien nicht entsprechen würden. Außerdem gab es da ja noch die Blattstein-Sache. Es sah zwar alles so aus, als wäre Evoli wieder ganz die Alte, doch hatten auch die Professoren nicht vorhersagen können, was passieren würde, wenn sie noch einen Stein in die Brosche eingesetzt bekommen würde. 'Alles klar?', fragte die wohlbekannte Stimme in seinem Kopf und Neru nickte und streichelte Evolis Fell beruhigend. "Alles in Ordnung", murmelte er und sah auf den Pokedex. "Nerina, haltet euch ein paar Grad mehr nach Osten", rief er, "Sonst verfehlen wir sie." Neru konnte nur Nerinas ruckenden Kopf erkennen, der Fahrtwind kam von vorne und auch wenn seine Schwester etwas gesagt hätte, hätte das Brüllen des Sturmes es garantiert verschluckt. Moment! - Neru schien, wie aus einer Art Trance zu erwachen - Wieso eigentlich Sturm? Fieberhaft sah er nach unten und sah in ein Meer aus wirbelnden Farben und grauem Dunst. Der ganze Boden schien in Bewegung geraten zu sein. Nerina drehte sich zu ihm um. "Es wird kritisch", rief sie über das Brüllen des Sturms hinweg, "Haltet euch gut fest!" Schon im nächsten Moment wurde Tauboss von einer Woge hoch aufgewirbelten Sandes getroffen. Der Sand war überall. Immer höher wirbelten die einzelnen Wogen und immer mehr begann Tauboss zu rucken und zu zucken, als würde es von brutalen Schlägen getroffen - was wohl auch stimmte. Neru hatte allergrößte Mühe, sich und Evoli auf dem Rücken des Flugpokemons zu halten und die Welt um ihn herum versank in grauen Schlieren.

Als Neru wieder erwachte, fühlte er sich bewegungsunfähig. Ruckartig setzte er sich auf, schon halb erwartend, dass ihn Team Rocket wieder geschnappt hatte, doch nur Sand rann von seinen Gliedern. Rund um ihn herum lagen die anderen im, in allen Farben des Regenbogens leuchtenden Sand. Nur etwas fehlte. Neru sah sich noch einmal um. Evoli lag direkt neben ihm. Texomon neben Nerina. Doch Neru wurde das Gefühl nicht los, dass etwas fehlte. Langsam sah er sich um und sah hinauf zum Himmel. Richtig! Sie waren geflogen und anscheinend abgestürzt. Wo ist Tauboss?, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und vor lauter Überraschung rief er seine Frage laut in die Unendlichkeit der Wüste hinaus. Die anderen schlugen die Augen auf und sahen sich bedröppelt um. "Keine Ahnung", kam es als erstes von Texomon. "Sind wir da?", fragte Evoli etwas verplant. "Es muss fortgeflogen sein", sagte Nerina. Alle sahen sich an. "Wo sind wir überhaupt?", fragte Neru ein wenig versöhnlicher, teils an die anderen, teils aber auch an sich selbst gerichtet. Langsam zog er den Pokedex mit der Karte hervor. Das Material war außen vom Sand zerkratzt worden, doch zeigte es immernoch einen blinkenden Punkt etwa 20 Kilometer von ihnen entfernt an. "Wie sollen wir nur da hinkommen?", stöhnte er auf und Nerina warf über seine Schulter einen Blick auf die Karte. Evoli sah sich in der Wüste um. Der Sturm hatte nicht nur ihre eigenen Sachen, sondern auch eine ganze Ladung an Gerümpel, darunter sogar einen kompletten Holzkarren neben ihnen abgeladen. "Ein Glück, dass uns das Ding nicht erschlagen hat", erwiderte Texomon, während er sich aufrappelte und den Karren einer genaueren Inspektion unterzog. Evoli nickte und begleitete ihn auf seiner Exkursion, während Nerina und Neru sich mit Lösungsmöglichkeiten beschäftigten und ihre Ausrüstung durchgingen. "Jetzt hab ich aber mal eine total verrückte Idee!", rief Neru aus und hielt triumphierend das Surfbrett von seinem Vater in die Luft. Nerina sah ihn zweifelnd an. "Glaubst du, das funktioniert?" "Wir könnten es versuchen!", stieß er aus, "Sand sollte nicht so anders sein wie Wasser, du bräuchtest nur auch eins." Die beiden Iramon warfen ihnen interessierte Blicke zu. "Au ja!", rief Texomon, "Ich wollte das schon ewig mal ausprobieren, Evoli hat nämlich erzählt, dass Neru das auch mal an Land gemacht hat." "Na, ich weiß nicht", skeptisch rümpfte Nerina die Nase, "Wenn wir fallen, können wir uns alle Gräten brechen... Andererseits -" Sie schien nochmal über die Sache nachzudenken. "- Probieren könnten wir es, bis wir die 20 Kilometer gelaufen sind, sind bestimmt ein paar Tage vergangen." Neru nickte triumphierend und sofort machten sich alle an die Arbeit. Die Stunden, in denen sie ihre Mühle auf Vordermann gebracht hatten, zeigten nun Wirkung. In Windeseile hatte Texomon nach dem Muster von Nerus Brett eines der Bretter des Wagens zugeschnitten und Evoli und Texomon bearbeiteten es mit Wasser und Sandwirbeln und gelegentlichen Einsätzen von Rasierblättern und Flammenstößen, bis am Ende ein wunderschönes, aus ebenmäßigem Holz gefertigtes und geflammtes Surfbrett vor ihnen lag. Mit einem begehrenden Blick betrachtete Neru, wie Nerina ihr neues Surfbrett entgegennahm. "Das sieht ja besser aus wie meins", sagte er neidisch. Texomon hatte es auf einmal ganz eilig, nach etwas im Wagen zu suchen und Evoli tat so, als wäre der Sandhaufen direkt vor ihr unheimlich interessant. Wenige Minuten später waren sie auch schon auf dem Weg. Der Sand war nach dem Sandsturm sehr locker und Neru war nun im Nachhinein stolz auf seine Idee, denn Arkani hatte trotzdem, dass er so lange und kräftige Beine hatte, genug mit seinem eigenen Körpergewicht zu tun, und es wäre wohl schwer geworden, ihn noch weiter mit Gewicht zu belasten. Schon jetzt sanken seine kräftigen Pfoten bei jedem Schritt tief in den Sand ein und so kam es, dass Folipurba, die kleiner, aber auch erheblich leichter war als er, doch gut mit ihm Schritthalten konnte. Die Hitze schien Arkani nicht zu lähmen, sondern eher noch zu beflügeln und Folipurba begann, fast in der grellen Sonne zu leuchten und reckte all ihre Blätter um ihrem Schein so nah wie möglich zu sein. Den ganzen Tag eilten sie in dieser Weise voran, bis sich am Abend ein großer Umriss am Horizont abzuzeichnen begann. "Kommt dorthin, wo die Weisen schlafen", flüsterte Neru vor sich hin. "Nerina!", rief er über das laute 'Wscht' des Sandes unter den Brettern hinweg, "Gib mir mal Nachhilfe in Geschichte! Wessen Pyramiden waren das nochmal?" Nerina sah ihn mit großen Augen an. "Ich glaube, die des Emeritophos", erwiderte sie, "Er war berühmt für seine gerechten und weisen Urteile. Nach ihm haben sich viele weitere in dieser Pyramide beerdigen lassen." "Das ist es", rief Folipurba begeistert und Arkani dröhnte mit seiner Donnerstimme: "Das ist der Ort, an dem die Weisen schlafen." "Na dann, nichts wie hin!", rief Nerina fröhlich und sie setzten ihre Fahrt in erwartungsvoller Spannung fort, bis sie die Pyramiden längst nach Sonnenuntergang erreichten. Die mächtigen Bauwerke hoben sich nun mächtig und dunkel vor dem blass blauen Himmel mit seinen Abermillionen von Sternen ab.

Der nächste Morgen begann früh und kalt. Es hatte über die Nacht immer weiter abgekühlt und Neru hatte sich irgendwann sogar seinen Winterschlafsack genommen, um der Kälte zu entgehen. Jetzt ragten die Pyramiden wie gigantische Hügel aus rotem Sand über ihnen auf. Ihre Größe war für Neru nur zu schätzen und es dauerte gut zwei Stunden, bis sie den Eingang in die Pyramide gefunden hatten und das, obwohl sie wieder auf die Surfbretter und Folipurbas und Arkanis Geschwindigkeit zurückgegriffen hatten. Nun standen sie auf einer hohen Düne und besahen sich das große, rechteckige Loch in der Pyramide. "Das sieht irgendwie gruselig aus", meinte Evoli. Nerina nickte, doch ihre Miene war entschlossen. "Wir finden Sunny", erwiderte sie fest. Neru war wieder mal von der Stärke seiner Schwester beeindruckt. Sie selbst hielt sich manchmal für schwach, doch war das, was sie unter schwach verstand, immernoch mehr als das, was er zu leisten in der Lage gewesen wäre. Er drückte ihre Schulter. "Ich bin froh, dass ihr hier seid", erwiderte er. Nerina wandte den Kopf und schenkte ihm einen wärmenden Blick, doch wurde sie jäh von einem Schrei unterbrochen. Texomon hatte sich das schöne Holzsurfbrett genommen und damit versucht, die Düne hinunterzusurfen. Da es jedoch sein erster Versuch mit einem Surfbrett unter den Klauen war und die Düne noch dazu sehr steil war, hatte es ihn schon nach ein paar Metern von dem kippeligen Stück Holz geworfen und dem Surfbrett hinterher kugelte er nun die Düne hinunter. Munter kichernd erreichte er den Fuß der Düne und winkte ihnen nur beruhigend zu. Als sie ihn dann erreichten, meinte er nur: "Man wird doch wohl mal experimentieren dürfen!" und Neru musste unwillkürlich lachen.

Das innere der Pyramide hingegen war weniger zum Lachen. Alles in ihm war von einem düsteren Licht erhellt und die Wände sahen alles andere als freundlich aus. Es gab Dutzende von Abzweigungen und Kreuzungen, die sowohl nach rechts und links, als auch nach oben und unten abzweigten. Manche waren schmal, andere breit wie Straßen. "Das ist ein Labyrinth", stieß er aus und sprang sofort wieder in Richtung des Eingangs zurück. "Wir müssen unseren Weg markieren", riet Nerina und sie holte aus ihrem Rucksack das Nähgarn heraus, das sie nun am Ausgang befestigten und sich langsam aufmachten, das Labyrinth zu erkunden.

"Es ist unmöglich!", stieß Neru irgendwann aus und Texomon ließ sich frustriert gegen eine Wand sinken. Gerade eben waren sie wohl zum hundertsten Mal in einer Sackgasse gelandet und Neru hob den Faden, der sie wieder zurück führen würde. "Das kann doch gar nicht sein", stieß Texomon aus, "Wir haben jetzt schon so viele Wege versucht." "Kein wunder, dass Sunny sich hier versteckt", erwiderte Nerina. "Versteckt", fragte Evoli, "Oder gar nicht erst wieder herausfindet?" Darauf wollten sie lieber keine Antwort finden und Neru führte sie entlang des Garns den Weg zurück. Als er jedoch um eine Biegung bog, stellte er etwas Merkwürdiges fest. Das Garn verschwand in einer Wand. "Was soll das denn?", rief er aus. Die anderen traten näher und untersuchten die Wand. Nerina und Texomon gingen sogar ein kleines Stück in den Gang hinein, um zu sehen, ob auf der anderen Seite der Wand das Garn wieder zum Vorschein käme. Doch im nächsten Augenblick passierte das Unglück. Die Wand rechts von Neru begann, sich plötzlich zu bewegen und schnitt Nerina und Texomon von ihm ab. Der Druck ließ gleichzeitig das feine Garn reißen und nutzlos hielt Neru nun ein Ende in der Luft. "Oh nein!" Evoli begann sofort zu leuchten, erst grün, dann blau, dann sackte sie auf dem Boden zusammen. "Ich kann nicht evotieren", rief sie verzweifelt und kratzte mit ihren Klauen an der Wand. Neru versuchte, seine Panik herunterzukämpfen. Das konnte ja noch heiter werden.

>>>Nerina<<<
 

"Wo sind wir?" Erschrocken hob Texomon den Kopf aus dem feinen, regenbogenfarbenen Sand, blinzelte kurz um sich und sprang auf, "Hee, Nerina! Wir sind wieder draußen - aber die Pyramide ist weg!" "Wie kann sie weg sein?" Benommen hab nun auch Nerina das Gesicht von seinem weichen Kissen, rieb sich den Sand aus den Augen und setzte sich auf. Der Himmel über ihnen war makellos blau, die Sonne brannte erbarmungslos auf ein Meer aus regenbogenfarbenem Sand. Texomon stand völlig verwirrt neben ihr und auf dem Kamm der nächsten Düne konnte sie ein halb vergrabenes Bündel erkennen, das sie vage an ihren Rucksack erinnerte. Ansonsten sah sie nichts. Die Wüste war so leer, wie eine Wüste nur sein konnte, als habe sie die riesigen Pyramiden mit ihrem unheimlichen Inhalt und nebst ihres Bruders und Evoli verschluckt. "Aber das kann doch nicht sein!", stieß Texomon ungläubig aus und lief mit langen Schritten zum Kamm ihrer eigenen Düne hinauf. Seine Füße sanken bis über die Knöchel in den weichen Sand ein und Nerina brauchte ihm gar nicht erst zu folgen, um zu wissen, dass das Gehen kraftraubender denn je sein würde. "Sie sind doch so groß!", protestierte er weiter, "Sowas kann doch nicht einfach verschwinden!" "Vielleicht sind nicht die Pyramiden verschwunden, sondern wir?", mutmaßte Nerina, während trotz der Hitze eine Gänsehaut über ihren Rücken kroch, "Alte Pyramiden sollen voller Fallen sein und diese gehört auch noch einer Psychoarenaleiterin! Vielleicht sind wir ja auf einen Teleporter getreten und sonstwo in der Wüste gelandet..." "Einen was?", fragte Texomon und Nerina bemerkte, dass seine sonst so gesunde, blaue Gesichtsfärbung zu einem blassen Hellblau wurde. Dann konnte Texomon tatsächlich blass werden? "Ein Teleporter ist ein psycho-Gegenstand, der dich an einen festgelegten Ort versetzt", erklärte sie, kam nun selbst mühsam auf die Beine und stapfte mit steifen Beinen zu ihm, "Allerdings sind sie alt und sehr wertvoll. Ich habe noch nie einen gesehen." "Und wie kommen wir wieder zurück?", fragte Texomon und malte mit der Schwanzspitze nervöse Zickzackmuster in den Sand. Nerina seufzte. "Wenn der Teleporter dazu bestimmt war, uns loszuwerden", entgegnete sie düster, "Dann kommen wir gar nicht zurück. Wir könnten auf einem ganz anderen Kontinent sein! Für Psychopokemon spielen Entfernungen weniger eine Rolle. Für sie ist es, wie ein kleiner Sprung - erzählt man sich wenigstens." "Na fabelhaft", brummte Texomon grimmig, legte erneut eine Krallenhand über die Augen und spähte blinzelnd in die glitzernde Ferne, "Der Sand ist jedenfalls immernoch der gleiche", stellte er nach einer kleinen Weile fest, "Und es gibt schrecklich viel davon!" "Wie es aussieht, hat man uns unsere Sachen mitgeliefert", ergänzte Nerina und deutete auf das graue Bündel im sonst so farbenfrohen Sand, "Lass uns nachsehen gehen, was wir in Sachen Orientierung, Wasser und Essen noch haben..." Hoffnungsvoll machten sie sich auf den unnatürlich kräftezehrenden Weg hinab ins nächste Dünental und dann den steilen Hang wieder hinauf. Der Sand glühte unter Nerinas Sohlen und ihr Kopf schmerzte schon jetzt vor Hitze und Durst. Doch als sie den Rucksack erreichten, war die Enttäuschung groß. "Wie es aussieht, haben wir nur noch das Swag, die Schlafsäcke und das Sandbrett", bemerkte Nerina seufzend, nachdem sie hineingeschaut hatte, "Kein einziger Tropfen Wasser oder handvoll Rosinen und den Pokedex hat Neru offenbar auch bei sich." "Was ist mit dem Handy?", fragte Texomon verzweifelt. Nerina zerrte es aus seiner Halterung und versuchte, es einzuschalten, doch das kleine Gerät machte keinerlei Anstalten, zum Leben zu erwachen. "Entweder ist der Akku leer", schlussfolgerte Nerina, "Oder wir haben Sand im Getriebe. Das hilft uns also auch nicht weiter." "Dann sollten wir trotzdem versuchen, etwas zu essen aufzutreiben", sagte Texomon wild entschlossen und sah gen Himmel. "Wenn es jetzt etwa Mittag ist, dann steht die Sonne im Süden", überlegte er, "Und die Kuppelberge sind doch nördlich von hier. Egal, wie groß diese Wüste ist, wenn wir immer nach Norden gehen, müssen wir sie irgendwann erreichen!" Nerina nickte. "Schon", entgegnete sie, "Aber ohne Wasser kommen wir nicht weit. Ich bin jetzt schon am Verdursten!" "Halte die Hände auf", sagte Texomon rasch, "Ich mach einfach eine Aquaknarre und du fängst soviel Wasser, wie möglich auf!" Doch als er siegessicher die Hände hob, erschien kein Wasser zwischen seinen Fingern, kein einziges Tröpfchen. Verdutzt starrte Texomon auf die flirrende Luft zwischen seinen Fingern. "Aber das kann doch gar nicht sein!", protestierte er entsetzt, "Die Aquaknarre ist kaputt!" Nerina seufzte schwer. "Ich hatte es fast befürchtet", murmelte sie und als Texomon sie fragend ansah, ergänzte sie leise: "Sie zieht doch Wasser aus der Luft. Hier muss die Luft so furchtbar trocken sein, dass kein Wasser rauskommt. Nein, wir müssen eine Oase finden und zwar so schnell wie möglich."

Nerina wusste nicht zu sagen, wie viele Stunden sie schwindelig und erschöpft auf dem Sandbrett gestanden hatte, bis sie in die Knie brach und schließlich auf dem Bauch zu liegen kam und immernoch trabte Arkani mit verbissenem Überlebenswillen durch die gleißenden Dünen. Sand schlug Nerina ins Gesicht, rieb über ihre Haut und hinterließ schmerzhafte Schleifspuren. Ihr Kopf fühlte sich ganz leicht an und schien voller bunter Zuckerwatte. Ihre Zunge fühlte sich bereits wie ein Fremdkörper in ihrem Mund an und hinter ihrer Stirn hämmerten Kopfschmerzen. Als Arkani endlich stehenblieb, versank die Sonne bereits als riesiger, roter Feuerball in den endlosen Dünen und erste, erfrischende Kühle legte sich über das Land. Doch weder Wasser, noch die geringste Spur eines bekannten Ortes hatten sie gefunden und Arkani war zu erschöpft, um weiterzugehen. Mit einem müden Evotationsschein verwandelte er sich in Texomon zurück und kroch kraftlos zu ihr, um sich in ihre Arme zu kuscheln. "Es ist alles meine Schuld", murmelte er trübsinnig, "Wenn ich nur fliegen könnte, wären wir schon längst in Sicherheit." "Du kannst doch nichts dafür, dass du nicht fliegen kannst!", widersprach Nerina ihm müde und rieb sich zum tausendsten Mal die tränenden Augen, "Du bist lange gelaufen und morgen werden wir sicher die Berge erreichen!" Sie versuchte, möglichst viel Optimismus in ihre Worte zu legen, doch es gelang ihr nicht, sodass sie lahm hinzusetzte: "Und vielleicht finden uns ja auch Neru und Evoli." "Wenn sie nicht selbst irgendwo hier herumirren", entgegnete Texomon seufzend und kaute in Ermangelung einer Mahlzeit an seiner Krallenspitze herum, "Wo steckt nur das verfluchte Tauboss? Es hätte sich wirklich mal wieder -" Er brach jäh ab, als der Boden um sie herum zum Leben erwachte. In einem gigantischen Wirbel aus buntem Sand tauchte ein Kreis massiger Köpfe aus dem Boden auf, jeder einzelne so hart und steinern, als habe der Boden selbst ein Gesicht bekommen. "Was zum großen Ei ist das?", fragte Texomon alarmiert und versuchte aufzustehen, doch seine Beine zitterten und abermals fanden seine Füße keinen Halt auf dem sandigen Hang, sodass er matt zurück auf den Boden plumpste. "Sandamer!", beantwortete einer der Steinköpfe seine Frage grimmig, dann schob sich auch sein Körper aus dem Sand, gefolgt von denen seiner Begleiter. Die Bodenpokemon waren allesamt nicht größer als Texomon, doch schienen sie mindestens das vierfache zu wiegen und ihre breiten Füße trugen sie scheinbar mühelos über den weichen Boden. "Sandamer! Sanda! San!", verkündete ihr Anführer und schritt mit drohend gehobenen Pranken auf sie zu. "Er sagt, wir sind in ihrem Territorium", übersetzte Texomon unbehaglich, "Jetzt sind wir ihre Gefangenen." "Aber wir wollten euch wirklich gar nichts tun!", protestierte Nerina verzweifelt, "Wir waren auf der Suche nach Sunny, der Psychoarenaleiterin in der Pyramide des Emeritophos, als wir auf einen Teleporter getreten und hier aufgewacht sind! Wir suchen nichts weiter als Wasser und Essen und einen Weg hinaus, wir -" "Sanda!", knurrte Sandamer und Nerina begriff auch ohne Texomons Übersetzung, dass sie schweigen sollte. Unbarmherzig rückten die Sandamer näher, eines packte Nerina um die Hüften. "Lass sie los, du komisches Pokemon!", fauchte Texomon und spie Feuer, doch seine Flammen prallten wirkungslos von der steinernen Haut des Bodenpokemons ab. "Oh verdammt!", fauchte er, als zwei weitere Pranken nach ihm griffen, holte aus und verpasste dem einen einen Doppelkick. Seine Krallen knirschten auf Stein und Texomon heulte schmerzhaft auf und hüpfte auf einem Fuß rückwärts, bevor er herumfuhr und einen Eisenschweif versuchte, doch auch den fingen die Sandamer mit stoischer Gelassenheit. Einzig Texomons Aquaknarre hätte sie aufhalten können, doch die hatte schon den ganzen Tag nicht funktioniert. "Kannst du nicht zu Seedraking werden?", rief Nerina verzweifelt. Texomon versuchte es, doch die Evotationsblasen verpufften wirkungslos. "Ich bin viel zu müde und durstig, um zu evotieren", stellte er mit hängenden Ohren fest. Dann packten ihn harte Pfoten, hoben ihn von den Füßen und stopften ihn in einen groben Leinensack, dessen Ursprung Nerina schleierhaft blieb. Das Texomon-Bündel strampelte wild, doch die Sandamer schnürten ihn kurzerhand auf das Sandbrett, dann wandte sich ihr Anführer Nerina zu. Sanda...", sagte er beinahe sanft, dann stürmte er auf sie zu, schlug hart gegen ihren Körper und riss sie zu Boden. Kurz zappelte Nerina noch unter seinem Gewicht, dann sauste etwas auf ihre Stirn zu und Nerinas Welt versank in wohltuender Schwärze.

Als Nerina die Augen aufschlug, stand ein großer, bleicher Mond am samtschwarzen Wüstenhimmel und Abermilliarden Sterne funkelten, wie kleine Diamanten. Wohlig drehte sie sich auf die Seite, streckte sich genüsslich - und stellte verblüfft fest, dass sie sich ganz und gar ausgeschlafen fühlte, nicht so, als sei sie gerade ohnmächtig geschlagen und dann halb verdurstet durch den Wüstensand geschleift worden. Hatte sie am Ende ihre ganze, schreckliche Suche nur geträumt? "Nein, sie war real", beantwortete eine glockenhelle Stimme ihre ungestellte Frage und als Nerina sich ruckartig aufsetzte, um in die Richtung zu blicken, aus der die Stimme gekommen war, sah sie in zwei unnatürlich große, hypnotisch blaue Augen. Die Augen gehörten zu dem hübschen, wenn auch eher fremdartig anmutenden Gesicht einer jungen Frau, die im Schneidersitz neben Nerina im Wüstensand hockte, ein Abra an ihrer einen und ein elegantes, hochbeiniges Psiana an ihrer anderen Seite. "Die Sandamer haben mir erzählt, dass du mich gesucht hast", sprach die melodische Stimme weiter, "Tut mir wirklich leid, dass ihr diese Unannehmlichkeiten hattet. Weißt du, die alte Pyramide prüft von ganz alleine, ob man die Voraussetzungen für einen Psycho-Arenaleiter hat oder nicht und zweitere sammeln dann die Sandamer in der Wüste ein und bringen sie zu mir." "Warum -", setzte Nerina an, doch wieder beantwortete Sunny die Frage, ehe sie Gelegenheit fand, sie zu stellen. "Weil du genausogut eine Feindin hättest sein können", sagte sie ruhig, "In diesem Fall wäre es gefährlich gewesen, dir zu sagen, dass du zu mir gelangen würdest." Nerina schluckte. Es war nicht leicht, mit einem Menschen zu reden, der einem die Gedanken lesen konnte. "Mein Bruder sucht Sie", brachte sie schließlich heraus, "Er und Evoli -" "Sind schon beinahe hier", entgegnete Sunny lächelnd und rückte ein Stück beiseite, sodass Nerina erkennen konnte, dass sie eine große Schale mit klarem Wasser neben sich aufgestellt hatte. Das Spiegelbild zeigte Neru, der gerade mit irrwitziger Geschwindigkeit durch einen riesigen Raum segelte. "Der Schwerelos-Test", sagte Sunny glucksend, "Der ist immer der lustigste Teil." "Dann ist er also schon in der Prüfung?", fragte Nerina erleichtert und Sunny nickte. "Ja. Er weiß es nur noch nicht." Kurz entstand eine Pause, während sie beobachteten, wie Neru sich in schwindelerregender Geschwindigkeit um die eigene Achse zu drehen begann. "Sie macht ihre Sache gut", sagte Sunny ruhig, "Es wird eine Freude sein, sie zu unterrichten." "Dann wirst du sie ausbilden?", fragte Nerina begeistert. Sunny nickte. "Sie und euch", sagte sie prompt. "Wieso uns?", fragte Nerina nach einer Weile zögernd, "Texomon und ich, wir haben die Prüfung doch gar nicht geschafft." Sunny machte eine wegwerfende Handbewegung. "Nein, Psycho steht euch beiden nicht", protestierte sie grob, "Ihr seid beide viel zu unkonzentriert und zappelig und dein Gluvapo lässt zu gerne die Muskeln spielen." "Ich heiße Texomon", protestierte Texomon neben Nerina und mit einem raschen Blick in sein Gesicht stellte sie fest, dass er ebenfalls ausgeruht aussah. Sunny legte den Kopf schräg und musterte ihn, als sehe sie ihn gerade zum ersten Mal. "Apropos...", fuhr sie ungerührt fort, "Zeig mir doch bitte mal deinen Flammenwurf, Gluvapo." "Ich kann keinen Flammenwurf", brummte Texomon erbost. Sunny schien ihm ganz schön auf die Nerven zu gehen, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte, denn Sunny gähnte ungeduldig. "Mach Feuer!", befahl sie grob und Texomon spie eine helle Stichflamme in den Nachthimmel. Sunny nickte. "Kann man gelten lassen", sagte sie ruhig, "Und wie steht es in Sachen Wasser?" Diesmal gehorchte Texomon ohne Widerspruch und schoss einen armdicken Wasserstrahl mit einer Wucht gegen den Stamm der nächsten Palme, dass sie umknickte wie ein Streichholz. Sunny zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. "An der Hydropumpe wirst du noch arbeiten, aber dazu hast du ja nun genug Gelegenheit." "Was soll das heißen?", fragte Nerina, in der nun doch die Wut aufkeimte, "Texomon kann weder Flammenwurf noch Hydropumpe, er -" "Konnte Glut und Aquaknarre", sagte Sunny kühl, "Ist dir nie aufgefallen, dass das, was er da tut, für eine solche Attacke viel zu stark ist? Attacken sind bloß eine Illusion, Nerina, nichts weiter als komplizierte Namen für einfache Dinge! Kein Kind, das einen Kiesel wirft, käme auf die Idee, das dann Steinwurf zu nennen, oder?" Geschlagen senkte Nerina den Blick und Sunny fuhr fort: "Davon abgesehen wollte Siegfried, dass ich mir dein Gluvapo anschaue, ehe ich euch zu ihm schicke." Texomon vergaß schlagartig, beleidigt dreinzublicken und seine Ohren stellten sich auf. "Zu Siegfried?", fragte er begeistert, "Heißt das, ich kann doch noch zu Glutaro werden?" "Er erwartet euch", entgegnete Sunny lächelnd, "Wenn ihr wollt, bringe ich euch zu ihm." "Mal langsam", entgegnete Nerina verwirrt, "Texomon ist sicher noch sehr erschöpft und wir sollten auch auf Neru warten!" Erneut legte Sunny auf ihre unverwechselbare Weise den Kopf schräg. "Die Vitalglocke sollte euch beide taufit gemacht haben und Neru wirst du kaum verpassen. Das Gras wird nicht wachsen unter euren Füßen, bis ihr zurück seid - ach und Nerina? Hier, nimm Sandys dicken Mantel mit. Du könntest ihn brauchen!"
 

>>>Neru<<<
 

Kraftlos ließ sich Neru an der Wand zu Boden sinken. "Was machen wir denn jetzt?", stieß er aus. Evoli kratzte noch immer verzweifelt an der Wand herum. "Das kann doch gar nicht sein", rief sie mit schriller Stimme, "Geh weg, du blödes Teil von einer Wand!" Neru sah ihr mitleidig zu. Ein Knirschen ließ ihn zusammenfahren und er wirbelte herum. Der vorherige Gang hatte sich schon in eine Sackgasse verwandelt und jetzt schien es so, als würden sie komplett eingeschossen. Knapp neben ihm setzte sich eine weitere Wand in Bewegung. "Neiiin!", schrie Evoli und Neru und sie warfen sich mit aller Macht auf den immer kleiner werdenden Spalt. "DAS DARF JETZT NICHT SEIN!", knurrte Evoli zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch und so, als hätte die Wand sie gehört, wich sie ein paar Zentimeter zurück. Verdutzt hielt Neru inne und auch Evoli war zu überrascht von der Wirkung ihrer Worte. Die Wand setzte sich langsam wieder in Bewegung. "Geh weg, du blöde Wand!", rief sie wieder aus und die Wand verharrte wieder in ihrer Bewegung. Evolis Blick wurde geradezu hypnotisch und sie fokussierte die Wand, wie ihren schlimmsten Erzfeind. Langsam glitt die massive Wand aus jahrtausende altem Gestein zurück und öffnete den Zugang. Sobald der Spalt groß genug war, drückten sich Neru und Evoli hindurch. "Sag mal, spinn ich jetzt oder diese Pyramide?", fragte Neru, während Evoli sich erschöpft auf den Boden sinken ließ. "Die ganze Pyramide spinnt!", stieß sie erschöpft aus, "Hier gibt es Wände, die auf das hören, was man sagt." Neru wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. "Wie meinst du das?" "Na, ich meine", erwiderte sie, "Es war so, als müsse ich mich nur auf die Wand konzentrieren und dann würde sie sich bewegen, so wie ich das wollte." Neru sah sie stirnrunzelnd an. Was Evoli da sagte, kam ihm vor wie das, was er über die Fähigkeiten der Psychopokemon gehört hatte. "Das ist es", rief er, "Psycho. Das hier ist eine Psychopyramide." "Ja! Psycho sind wir alle gerade", murmelte Evoli. "Nein, nein", rief Neru, "Vielleicht richten sich die Wände wirklich nach deinem Willen." "Wegen der Psycho-Ausstrahlung hier?" Evoli richtete sich nachdenklich auf. "Du meinst, das ganze Labyrinth könnte nach dem Prinzip funktionieren?", fragte sie. Neru runzelte die Stirn. "Könnte schon sein." Begeistert sprang sein kleines Iramon auf. "Das probieren wir aus!", rief sie begeistert. Langsam machten sie sich auf den Weg. Schon nach wenigen Biegungen des Ganges kamen sie wieder an eine Sackgasse. Evoli spannte ihren ganzen Körper an und fokussierte die Wand. Wie von Geisterhand wich sie zurück und die eben noch vorhandene Sackgasse wurde zu einem breiten Gang. "Es klappt!", rief sie aus. "Das beste wird es sein", überlegte Neru, "Wenn wir versuchen, Sunny zu finden. Dann können wir Nerina und Texomon am besten helfen. Wer weiß schon, wo sie hier zu finden sind." "Ich versuche es mal", meinte Evoli und ihre ganze Körperhaltung drückte größte Konzentration aus. Die Wände vor ihnen veränderten sich. Die Biegungen des Ganges änderten sich und Zugänge wurden verschlossen. Langsam und immernoch hoch konzentriert machte sich Evoli auf den Weg.

Die Wände vor ihnen schienen sich nun über ihren weiteren Weg einig zu sein. Es gab keine einzige Abzweigung mehr und sie konnten nur noch einem Pfad folgen. "Oh, ist das anstrengend", rief Evoli aus und öffnete die Augen. Neru hatte sie die letzten Meter getragen, um ihr zu helfen, ihre Konzentration nicht zu verlieren. Sofort setzten sich die Wände um sie herum wieder in Bewegung. Zugänge öffneten sich und Wände erschienen wieder dort, wo vorher keine waren. "Wir sollten erst mal eine Pause machen", riet Neru. Damit ließ er seinen Blick in den Rucksack gleiten und zog ihre Lebensmittel und Wasserrationen heraus. "Die arme Nerina", entfuhr es ihm, "Die haben gar nichts mehr an Verpflegung dabei." Nach einer Mahlzeit und einer kurzen Pause machten sie sich wieder auf den Weg. Diesmal nahm Neru Evoli gleich in die Arme und Evoli sagte: "Es ist genauso, als würde man versuchen, Doppelgänger von sich zu erzeugen, nur, dass die Doppelgänger der Weg zu Sunny sind." Neru nickte, ohne wirklich zu verstehen, doch Evoli schloss wieder die Augen und wieder begannen sich die vielen Wände zu bewegen. Nach vielen weiteren, quälenden Minuten endete der Gang vor ihnen an einer glatten Wand. Eine leichte Maserung in hellerem Stein war darauf abgebildet. Evoli öffnete die Augen und sofort verschlossen die widerspenstigen Wände den Weg zurück. "Also, allmählich wird mir die Sache doch unheimlich", erklärte Neru, während er sich umsah. Sie waren nun in einem etwa quadratischen Raum mit drei Metern Seitenfläche eingeschlossen. Evoli nickte geistesabwesend, während sie die Wand vor ihnen genau inspizierte. "Schon komisch", erklärte sie, "Alle Wände wollten, dass wir hierher kommen, aber warum hat sich diese dann nicht geöffnet?" Interessiert schnüffelte sie an einer im Stein schimmernden Spalte. "Vielleicht wissen die Wände nicht, wo wir hinwollen?", fragte Neru und befühlte nun den glänzenden Spalt. "Da ist eine Tür drin", rief er aus, als er die rechteckige Form vorsichtig mit den Fingern nachgefahren war, "Nur, wie öffnen wir sie?" Evoli setzte sich auf ihren Hintern und starrte die Wand an. "Vielleicht mit einem Code-Wort, sowas wie 'Sesam öffne dich'?", schlug Neru nach einer Weile vor. "Vielleicht müssen wir uns beide konzentrieren?", schlug sie vor, "Vielleicht bin ich ja zu schwach." "Nerina hat erzählt, dass sie Texomon für die Evotation immer Kraft geben muss. Vielleicht kann ich dir ja Kraft geben?", schlug Neru vor. Evoli schien zu überlegen. "Das muss dann ja irgendwie telepathisch gehen." Damit begann sie wieder, sich zu konzentrieren und Neru spürte, wie etwas auf seinen Kopf oder besser gesagt auf seine Gedanken drückte. Evolis Präsenz schob sich so stark, wie noch nie in seine Gedanken und schien in ihnen mehr, wie nur eine Stimme zu werden. Sie schien geradezu greifbar zu werden. "Konzentrier dich", sagte die Stimme von Evoli und Neru gab sich alle Mühe. Er versuchte, sich vor seinem inneren Auge vorzustellen, wie sich die Wand bewegte. Im selben Moment spürte er, wie etwas seine Kraft aufsog, wie ein Schwamm. Zuerst hatte Neru dasselbe Gefühl, wie damals im Transporter von Team Rocket, als Folipurba sich entwickelte. Nur diesmal war das Gefühl von gebender Kraft viel harmonischer und schmerzfrei. Im nächsten Moment erzitterte die Wand vor ihnen und ein kleiner, rechteckiger Zugang öffnete sich. Kaum das der Spalt groß genug war, schnappte Neru sich das immernoch mit geschlossenen Augen vor der Wand sitzende Evoli und sprang durch den kleinen und schmalen Zugang.

Der Sprung, den Neru gemacht hatte, schien gar kein Ende zu nehmen. Langsam sah er sich um. Er fühlte sich so leicht, so absolut schwerelos. Was war nur los mit ihm? Langsam ließ er den Blick weiter schweifen. Sie befanden sich in einem großen Raum, der an die 20 Meter lang, breit und hoch war. Doch das war es nicht, was Neru den Schweiß auf die Stirn trieb und ihn sich ganz unwohl fühlen ließ. Das Problem lag viel mehr darin, dass er sich fünf Meter über dem Boden befand. Evoli schwebte staunend etwa anderthalb Meter über ihm in der Luft. "So muss sich ein Tauboss fühlen!", rief sie begeistert aus und besah sich die Welt aus der, für sie völlig unbekannten Perspektive. "Also mir wäre es lieber, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren", erwiderte Neru und er konnte spüren, wie sich Angst in ihm breit machte und ihm langsam und Gänsehaut erregend über den Rücken kroch. Alles in ihm erklärte ihm, dass das, was hier gerade geschah, völlig unmöglich sei. "Das ist unmöglich", stieß er aus. "Das Unmögliche ist nur ein Grenzfall des Möglichen", erklärte sein kleines Iramon und Neru starrte sie fassungslos an. "Woher weißt du denn sowas?", fragte er verdutzt. "Och, das haben die Professoren immer mal wieder gesagt, wenn es bei Texomons Formel nicht weiterging", erklärte sie. Sie begann nun, mit ihren kurzen Beinen in der Luft herumzurudern und schaffte es auch tatsächlich, eine Art Driftbewegung nach vorne zu erreichen. "Da hinten ist eine Tür", rief sie fröhlich aus und nun konnte auch Neru die kleine, metallene Tür an einer Seite des Raumes erkennen. Sie war schief angebracht worden und war etwa drei Meter vom Boden und einen von der rechten Wand entfernt, so, als hätte sie jemand angebracht, der nur entfernt eine Ahnung davon zu haben schien, wo eine Tür normalerweise zu sein hatte. Wie ein Schwimmer legte er sich Evolis Beispiel folgend nach vorne und begann, wild mit den Armen und Beinen zu paddeln. Es funktionierte, wenn auch langsam. Er und Evoli drifteten in etwa fünf Metern Höhe durch den Raum, bis sie irgendwann gegen die Tür prallten. Hastig klammerte sich Neru an den Türknauf, um nicht wieder abzutreiben. "Wie kriegen wir sie auf?", fragte Neru und Evoli paddelte ein wenig unsicher nach unten. "Da ist ein Schlüsselloch", erklärte sie und als ihre Nase daran stieß, schoss ein silbernes Etwas genau vor ihr durch die Luft. "Und da ist der Schlüssel!", erklärte sie nun triumphierend. Neru sah dem durch die Luft sausenden Schlüssel nach. Er war schnell wie ein Fisch im Wasser und er selbst kam sich vor, als würde er wie eine Schnecke langsam vor sich hin glitschen. "Und wie sollen wir ihn bekommen?" "Wir müssen ihn wahrscheinlich fangen", erklärte Evoli zaghaft und Neru atmete tief durch. Dann hielt er sich wie ein Schwimmer am Beckenrand am Türknauf fest und stieß sich kräftig mit den Beinen ab. Wie ein Pfeil schoss er nun durch den Raum, verfehlte den Schlüssel, der längst die Richtung geändert hatte und in einer ganz anderen Ecke des Raumes war, und knallte unangenehm gegen eine Seite des Raumes. "So wird es nichts", rief er seinen Iramon zu. Evoli schien wieder zu überlegen. Allmählich kam Neru sich wie ein Idiot vor. Langsam kraulte er wieder auf sein Iramon zu, als er sich plötzlich von einer unwiderstehlichen Kraft gepackt fühlte und in die Höhe gehoben wurde. "Es klappt", rief Evolis Stimme aus. Neru fühlte, wie Erleichterung ihn durchflutete, dann war die monströse Kraft also nichts anderes als Evolis Gedankenkraft. "Okay", rief er ihr zu, vielleicht musste man sich ja einfach auf den Wahnsinn einlassen, um hier wieder heil raus zu kommen. "Du könntest mich ja versuchsweise mal zu dir rüberschweben lassen", erklärte er. Evoli nickte und wieder spürte er, wie die Kraft ihn packte. Langsam driftete er über den Raum hinweg, bis er sanft neben Evoli zum stehen kam. "Wir müssen den Schlüssel fangen", erklärte sie aufgeregt und Neru konnte den silbernen Lichtblitz vor sich durch die Halle rasen sehen. "Könntest du nicht gedanklich den Schlüssel fangen", fragte er, während sich wieder Angst in ihm breit zu machen begann. Daran, dass er ein paar Meter über dem Boden schwebte, hatte er sich schon langsam gewöhnt, doch zu einem Geschoss in diesem Raum werden, wollte er dann doch nicht. "Vertraust du mir?", fragte Evoli. Neru sah sein Iramon an. Bis jetzt hatte er immer die Situationen entschieden und ihr geholfen. Doch in dieser Pyramide schienen andere Gesetze zu gelten. Ergeben senkte er den Kopf. "Ich vertraue dir." Evoli schloss die Augen und Nerus Magen krampfte sich zusammen. Dann spürte er sich von der unwiderstehlichen Kraft gepackt und er spürte, wie er beschleunigte. Immer schneller wurde er, wirbelte in der Halle herum, machte so scharfe Kurven, dass ihm beinahe selbst davon schwindelig wurde. Der einzige Punkt um ihn herum, der sich nicht so rasend schnell bewegte, war der Schlüssel. Neru richtete seinen Blick auf ihn und fokussierte ihn. Er streckte die Hand nach ihm aus und spürte, wie er ihm immer näher kam. Er versuchte zu vergessen, dass der Fahrtwind ihm die Luft aus den Lungen presste und versuchte auch nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn Evoli die Konzentration verlor und ihn gegen eine Wand fliegen ließ. Er musste sich voll und ganz auf sein kleines Iramon verlassen - sich darauf verlassen, dass die, die er immer versucht hatte zu schützen, nun ihn beschützte. Neru streckte die Hand aus und fühlte den Schlüssel zwischen den Fingern. Mit einem triumphierenden Schrei schloss er die Faust um das kleine, längliche, metallene Ding und spürte sofort, wie er abgebremst wurde. Neru war so schwindelig, dass er drei Türen und drei Evolis vor sich auftauchen sah, als er wieder an der Tür ankam. Nachdem er sich ein paar Mal geschüttelt hatte, schob er, nach ein paarmaligem Probieren, jedoch den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Die Tür schwang auf und zog sowohl ihn als auch Evoli hinaus. Sofort spürte Neru, wie seine Eingeweide wieder nach unten sackten und er von der Schwerkraft gepackt nach unten gesogen wurde. Hart landete er auf einem steinernen Korridor, in den seltsamerweise die Tür völlig gerade eingelassen war. "Also war der Raum schief", meinte er mehr zu sich selbst. "Oder der Korridor ist es", erklärte Evoli. "Ja, aber die Schwerkraft...", protestierte Neru, doch ihm ging mit einem Male auf, dass die Schwerkraft anscheinend genauso real oder unreal war, wie die Wände, die sie vorhin bewegt hatten oder wie die ganze Pyramide. "Unten hängt nur von der Perspektive ab", erklärte Evoli und sie machten sich weiter auf den Weg.

Der Gang schlängelte sich, doch hier gab es keine Abzweigungen und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als den verschlungenen Korridoren zu folgen. Als sie um eine Biegung bogen, lag vor ihnen ein riesiger Felsklotz. Er war komplett schwarz und seine Oberfläche mit Stacheln überzogen. Grünliche Flüssigkeit tropfte von ihnen herunter. "Wenn wir den berühren, sind wir hinüber", stieß Neru aus, "Kannst du ihn nicht wegschieben?" Evoli besah sich den Felsklotz mit überlegender Miene und schloss die Augen. Verdutzt zuckte sie zusammen, öffnete die Augen und schloss sie wieder. "Ich finde ihn gar nicht", erklärte sie. "Wie kann es sein, dass du den Felsen nicht findest?", stieß Neru aus, "Er ist etwa fünf Meter hoch, drei Meter breit und Giftstacheln ragen aus ihm hervor." Evoli schloss wieder die Augen. "Er ist nicht da", erklärte sie, "Zumindest nicht in einer Form, die ich bewegen könnte. Die Wände, alles kann ich spüren und eindrücken." Damit ließ sie eine Wand neben sich wackeln. "Doch dieser Felsen da ist nicht vorhanden." Neru schluckte, als ihm die Bedeutung der Worte von Evoli gewahr wurde. "Wollen wir nicht lieber zurück und einen anderen weg suchen?", fragte er schüchtern. Evoli schüttelte den Kopf. "Der Felsen ist nicht da!", wiederholte sie. "Du meinst er ist, ist nur Illusion?" Evoli nickte unsicher. "Er sieht aus, wie eine meiner Doppelgänger." Neru atmete tief durch und besah sich den Stein mit der giftigen, ätzenden Flüssigkeit darauf genauer. Doch er konnte kein Indiz für eine Täuschung erkennen. "Wir können einfach hindurchlaufen", erklärte Evoli mit geschlossenen Augen. Neru schnappte nach Luft. "Bist du verrückt?", rief er aus. Evoli sah ihn gekränkt an und er besann sich eines Besseren. "Bist du sicher?", stieß er außer Atem aus. Sein Puls beschleunigte sich und er brach in Schweiß aus. "Ich bin mir sicher", erklärte sie immernoch ein wenig verschnupft. "Mach einfach die Augen zu und halt dich an meinem Schwanz fest", meinte sie dann versöhnlicher, "Ich mach das schon." Nerus Hände zitterten und mit schweißnassen und eiskalten Fingern nahm er Evolis Schwanz in die Hand. Dann ging ein Ruck durch den Schwanz und fast schon widerwillig und mit zitternden Knien folgte er Evoli. Sie waren etwa drei Schritte von dem Stein entfernt. Neru zählte still im Kopf mit. Eins... Zwei... Er atmete tief durch, darauf gefasst, gleich ätzende Flüssigkeit um sich herum spritzen zu spüren. Als er bei Nummer fünf ankam, öffnete er ungläubig die Augen. Er konnte vor sich auf dem Boden noch eine lilafarbene Bodenplatte erkennen, auf die Evoli gerade ihre Vorderpfoten setzte, dann verschwand alles in bunten Lichterschlieren.

Kapitel 8

>>>Nerina<<<
 

"Wir sollen also ein Schiff segeln, ja?", fragte Texomon ein wenig ungläubig, als er und Nerina von der Quaimauer aus auf das kleine und schon ziemlich mitgenommen aussehende Fahrzeug hinunterblickten. Zwei Rasaff turnten in den Takelagen und vom Krähennest aus hielt ein Nokchan skeptisch Ausschau nach dem fremden Mädchen und dem Iramon, die nun schon seit guten zehn Minuten unschlüssig den Quai auf und abstreiften. Instinktiv wich Nerina seinem Blick aus. Sie wusste natürlich, dass Nokchan, genau wie Sniebel oder Pantimos nur menschenähnliche Pokemon waren, doch fiel es ihr jedes Mal aufs Neue schwer, in ihre Gesichter zu blicken und etwas anderes als Menschen in ihnen zu sehen - seltsame Menschen zugegeben, mit übertriebenen Muskelkräften und einer enormen Ausdauer - aber trotzallem Menschen. "Tja, wie es aussieht, sollen wir diese zwölf Kampfpokemon auf die Walross-Insel zu einer Fischfang-Station transportieren", entgegnete sie, ebenso ratlos, wie ihr Iramon, während sie noch einmal Sunnys Notizen und die sorgsam laminierte Seekarte überflog, die das einzige waren, womit Sunny noch herausgerückt hatte, bevor sie und Abra, das sie herteleportiert hatte, sich erneut in kalte, graue Schneeluft aufgelöst hatten, "Im Austausch gegen sie bekommen wir dann in der Station den Aufenthaltsort von Siegfried genannt..." "Hm... Warum teleportiert sie sie nicht einfach? Klingt ansich schon, wie eine Art Prüfung", murmelte Texomon und starrte misstrauisch auf die hangelnden Rasaff. Nerina zuckte mit den Schultern. "Sunny ist alles zuzutrauen", brummte sie seufzend. Sunnys nebulöse Tipps und Andeutungen hatten ihr mehr Fragen als Antworten beschert und außerdem ging ihr die gesamte Entwicklung der Ereignisse ein wenig schnell. Laut der Seekarte befanden sie sich in Glaza, einer winzigen Hafenstadt im äußersten Norden Kantos, von der Nerina noch nie zuvor gehört hatte. Noch viel merkwürdiger war allerdings, dass an diesem seltsamen Ort irgendwie die Tageszeiten verrutscht zu sein schienen, denn statt dem Mond stand nun eine trübe Wintersonne am Himmel. Es mochte gerade erst Mittag sein. "Ich dachte eher an Siegfried", sagte Texomon und riss sie jäh aus ihren Gedanken, "Ob er uns testen will?" "Er will vielleicht einfach nicht, dass ihn jeder findet", entgegnete sie so optimistisch sie konnte, "Und laut der Karte ist es auch gar nicht so schrecklich weit. Wir müssen nur immer weiter nach Norden bis wir diese kleine Inselgruppe hier erreichen. Von dort aus fahren wir dann nach Nordwesten weiter, bis wir da sind. Das einzige Problem ist... Ich hab keine Ahnung, wie man ein Schiff segelt", gestand sie ein wenig kleinlaut. Texomon kaute beunruhigt auf einer Krallenspitze - eine ungute Angewohnheit, die er in letzter Zeit immer häufiger zeigte. "Ich könnte uns ja ziehen", schlug er ein wenig halbherzig vor, "Auch wenn es hier wirklich ziemlich kalt ist..." Mit fröstelnd eingezogenen Schultern lief er zu der breiten Treppe, die am Ende des Quais hinab ins Wasser führte und steckte mit ungewohnter Vorsicht einen Fuß in das dunkle, graue Wasser der nördlichen See. Nerina musterte ihn stirnrunzelnd. Texomon hatte schon seit geraumer Zeit nicht mehr soviel Wasser aufeinmal gesehen und eigentlich hatte sie erwartet, dass er sich ohne zu zögern hineinstürzen würde, sodass seine Vorsicht sie einigermaßen verwunderte. Ob ihre Abenteuer in der Wüste ihn wohl ein wenig erwachsener gemacht hatten oder setzte ihm einfach nur die schneidende Kälte des Nordwindes zu? Kurz paddelte er unentschlossen mit dem Fuß durchs Wasser, dann sprang er mit hängenden Ohren die Treppe wieder hinauf, einen angewiderten Ausdruck auf dem sonst so fröhlichen Echsengesicht. "Es ist viel zu kalt zum schwimmen", verkündete er so entrüstet, als sei dieser Umstand ein Unding der Schöpfung, "Selbst Seedraking würde festfrieren, noch ehe wir den Hafen verlassen hätten..." Bibbernd drängte er sich an sie und sofort schlug Nerina ihren Mantel um ihn, um ihn warmzuhalten. Als das Drachen-Iramon, das er war, setzten Eis und Kälte ihm mehr zu als alle anderen unwirschen Zonen des Planeten und eine Woge von Ärger durchflutete ihren Körper. Wenn jemand um die Anfälligkeit von Drachenpokemon gegen die Kälte wusste, dann doch wohl am ehesten ihr eigener Arenaleiter! Warum hatte er sich keine Aufgabe in der Wüste ausdenken können? Doch mit einem Schulternzucken schüttelte sie den Gedanken ab. Siegfried hatte ihnen nuneinmal diesen eisigen Pfad vorgezeichnet und wenn sie ihn überhaupt finden wollten, blieb ihnen nicht viel anderes übrig, als ihm zu folgen. "Vielleicht wissen diese Kampfpokemon ja, wie man das Schiff segelt?", schlug sie vor, als Texomon wieder unter dem Mantel auftauchte, "Die Rasaff und das Nokchan scheinen mit der Sache ja ziemlich vertraut. Möglicherweise müssen wir ihnen nur den Kurs sagen..." "Lass es uns wenigstens versuchen", stimmte Texomon seufzend zu und Hand in Hand überquerten sie die schwankende Gangway. Sofort kam hektische Bewegung in die Rasaff in den Takelagen und auch von unter Deck strömten Kampfpokemon hervor, um die Fremden in Augenschein zu nehmen, die da unaufgefordert ihr Schiff betraten. Nach kurzem, unschlüssigem Gemurmel trat ein Machollo vor. Offenbar war es der Anführer der Kampfpokemon, denn es war das gr9ßte und kräftigste unter ihnen und um seinen Hals trug es ein breites Lederband, in das ein großer, dunkelblauer Stein durchzogen von einem feinen Muster weißer Linien und Punkte, eingearbeitet war. "Ma-Ma-Chollo-Llo?", fragte es und Texomon übersetzte: "Wer seid ihr?" Unsicher sah Nerina in die Reihe fragender Gesichter und erneut spürte sie, wie ihr eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Sie wusste aus diversen Geschichten, dass Kampfpokemon nichts aggressiver machte, als ein unsicheres Auftreten, zeugte das schließlich von Schwäche. Mit aller Willenskraft und hinter dem Rücken geballten Fäusten hielt sie dem Blick der zwölf glühenden Augenpaare stand ohne zu Blinzeln. "Ich bin Nerina und das ist Texomon", verkündete sie so selbstbewusst wie möglich, "Wir wurden zu euch geschickt, um dieses Schiff mit euch zur Walross-Insel zu segeln, wo man um eure Unterstützung gebeten hat." Prüfend musterte sie die verschlagenen Gesichter, doch ließ sich unmöglich erkennen, ob die Kampfpokemon ihre Nachricht gleichmütig hinnahmen oder schlichtweg nicht verstanden hatten, denn ihre Mienen blieben unbeeindruckt steinern und Nerina spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Texomon schien ihre Nervosität zu spüren. Schützend trat er einen Schritt näher und wie zufällig rutschte seine Krallenhand über ihre verkrampften Finger. 'Du schaffst das!', hörte sie das wohlvertraute Zischeln in ihren Gedanken. Sie schluckte heftig, gab sich dann aber einen Ruck. "Wir nehmen an, dass ihr wisst, wie das Schiff zu segeln ist?", fragte sie streng und als die Kampfpokemon mechanisch nickten, ließ sie in einer befehlenden Geste eine Hand auf ihren Schenkel fallen und ergänzte: "Na, worauf wartet ihr dann noch? Auf eure Plätze! Macht das Schiff bereit zum Ablegen!" Mit einem Ruck kam Leben in die unnahbaren Kreaturen und auf Deck entstand ein hektisches Durcheinander. Die beiden Rasaff kehrten in die Takelage zurück, das Machollo und zwei Kicklee besetzten die Seilwinden und drei Menki machten sich an den dicken Tauen zu schaffen, die das Schiff am Quai vertäuten. Mit heftig pochendem Herzen, aber bemüht wachsamem Blick beobachtete Nerina ihre Arbeit in der verzweifelten Hoffnung, sie mögen nicht bemerken, dass sie nichts davon verstand. Texomon tat es ihr gleich. Mit düsterer Miene lehnte er an der Reling. Sein Schwanz schlug dumpf auf die Planken und dann und wann schossen winzige Stichflammen aus seinen Nüstern. "Keiner besetzt das Steuer", bemerkte er nach einer kleinen Weile düster, "Und diese beiden Kicklee dort scheinen nicht allzu beschäftigt." Nerina nickte nachdenklich, dann löste sie sich von der Reling und schritt erhobenen Hauptes und düsteren Blickes auf die beiden, kleinen Kampfpokemon zu. "Hee, ihr da", begrüßte sie sie scharf, "Warum seid ihr nicht auf Position?" "Kick-Lee-Kick!", erwiderte eines und Texomon übersetzte in ihrem Kopf: 'Sie sind Springer.' "Na, wenn das so ist, dann wirst du Texomon erklären, wie auf diesem Schiff das Steuer funktioniert", befahl Nerina, "Und du wirst mir das Schiff zeigen, damit ich mit ihm vertraut bin, falls es Schwierigkeiten gibt." Die beiden Kicklee tauschten verwirrte Blicke, offenbar glaubten sie, Nerina hätte ihre Sprache auf Anhieb verstanden. Dann liefen sie wortlos davon, Texomon folgte dem ersten, Nerina dem zweiten.

Das Schiff war weniger behaglich denn zweckmäßig eingerichtet. In einem großen Raum an seinem Heck hingen zwölf Hängematten neben- und sogar übereinander und in einem halboffenen Schrank an der Rückwand standen Boxhandschuhe, Stiefel mit Stahlkappen, Kettenhemden, Helme und lederne Schutzanzüge offenbar zur allgemeinen Verfügung. Der Raum mündete in eine Art winzige Kombüse mit einem Pokeriegel- und Kraftfutterspender, einem Wassertank mit schmutzigen Trinknäpfen und einem Tank mit ekelerregend stinkendem Walfett, das offensichtlich die Feuerstelle speiste. Für menschliche Besucher schien das Schiff eher ungenügend eingerichtet zu sein, aber dennoch entdeckte Nerina in einer staubigen Ecke einige Konservendosen, sowie eine kleine handvoll Packen Astronautennahrung, sowie einen ramponierten Topf und etwas, das in seinen guten Zeiten wohl mal eine Gabel gewesen war. Nebenan befand sich die Kajüte des Kapitäns, ein düsteres, spinnenwebendurchzogenes Loch mit einer weiteren Hängematte, sowie einem staubigen Schreibtisch, den zu untersuchen Nerina auf ein ander Mal vertagte. "Was ist mit den anderen Räumen?", fragte sie Kicklee stattdessen, dass stumm auf die Treppe zum Deck deutete. "Kick-Lee-Lee", entgegnete Kicklee und schüttelte den Kopf, woraus Nerina schloss, dass die verbleibenden zwei Luken nicht zugänglich waren - und sie sie auf eigene Faust würde inspizieren müssen, falls etwas an Bord fehlte. Doch die nächsten Stunden vergingen nahezu ereignislos. Texomon stand wie selbstverständlich am Steuer und Nerina hielt neben ihm die Stellung, verglich die Angaben des großen Kompasses mit denen auf ihrer Seekarte und hoffte inständig, dass die Navigation auch tatsächlich so funktionierte, wie sie es sich zusammengereimt hatten. Die Kampfpokemon hielten geduldig ihre Positionen und das sanfte Schaukeln der Wellen wiegte Nerina und Texomon alsbald in eine trügerische Siegesgewissheit. "Dann ist Siegfrieds Auftrag also doch nicht so schwer, wie wir gedacht haben", frohlockte Nerina, als die letzten Strahlen der Abendsonne matt das letzte Stückchen Weg beleuchteten, das noch bis zu der winzigen Inselgruppe verblieben war, an der Nerina den Kurs neu setzen würde müssen. Texomon nickte und rieb die Hände aneinander, um sie warm zu halten. "Das einzige Problem ist die Kälte", murmelte er durch zusammengebissene Zähne und Nerina sah, wie er zitterte. Tatsächlich war der schneidende Wind über den Tag hinweg noch aufgefrischt und die Temperaturen schienen ständig zu sinken. Kurz sah Nerina zu den Kampfpokemon, die allesamt eine Art von Rüstung zu tragen schienen und deutete dann auf die Treppe. "Im letzten Raum gibt es ein paar Kleider", murmelte sie zurück, "Ich glaube nicht, dass du sie magst, aber vielleicht halten sie dich ja etwas warm." "gute Idee...", entgegnete Texomon und trottete steifbeinig davon. Während sie wartete, ließ Nerina ihren Blick über das dunkle Wasser um sie herum schweifen, das das letzte Licht des Tages wie schwarze Tinte zu verschlucken schien. Schwarze Schatten huschten unter seiner Oberfläche dahin, Robben oder Delfine vielleicht, vielleicht aber auch gefährlichere Kreaturen der See, Haie oder Meerespokemon wie Garados. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und hilfesuchend sah sie hinauf in den eisgrauen Himmel. Schwere Wolken trieben darüber hinweg, Wolken voller Schnee. Sie trieben tief - ungewöhnlich tief und verschlangen das eben noch so strahlende Licht der Sonne. Einige Herzschläge lang starrte Nerina blinzelnd zu ihnen hinauf, konnte nicht begreifen, was sich da vor ihren Augen zutrug und als sie endlich begriff, war es bereits zu spät. "Alle Segel streichen!", brüllte sie über das Deck und hastig kamen die Pokemon auf ihre entsprechenden Posten gestürmt, doch sie waren nicht schnell genug. Die gigantische Windhose erfasste das Schiff frontal und ließ es ächzend zur Seite kippen. Voller Panik krallte Nerina sich am Steuerrad fest, während die Kampfpokemon ihrem Beispiel folgten und sich an Mast oder Reling klammerten. "Was ist los?", rief Texomon erschrocken von unter Deck. Einige laute Tritte verrieten Nerina, dass er sich anschickte, die Treppe hinaufzuspringen, dann kam er mit der Gewalt einer Kanonenkugel aus dem Treppenschacht gesaust, glitt auf dem inzwischen fast aufrechtstehenden Deck aus und schlidderte über die Planken, bis seine Klauen zwischen den Brettern Halt fanden und er, einem Gecko gleich an der Wand klebte. "Ma-Chollo-Choll!", brüllte Machollo über den Sturm und Texomon übersetzte atemlos: "Wir müssen die Segelleinen lösen, sonst wird das Schiff umfallen!" "Aber wie nur?", rief Nerina verzweifelt zurück und hätte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen, wenn sie sie hätte von dem wild rotierenden Steuer nehmen können, "Wer auch immer sich loslässt, wird abstürzen! Probier's vielleicht mal mit Feuer?" Texomon nickte, holte tief Luft und versuchte eine Stichflamme, doch das Tau, auf das er gezielt hatte, war zu nass, um zu brennen. Stattdessen schickte er nur ein kleines Dampfwölkchen in den tobenden Sturm. "Ich brauche den Eisenschweif!", rief er verzweifelt zurück, "Aber wie soll ich nur dort hinunterkommen?" "Nok-Nok!", rief Nokchan aufgeregt, das nur noch mit einer Hand am Rande des Krähennestes baumelte und deutete auf eine lange Leine, die frei aus der Takelage schwang, offensichtlich von ihrem ehemaligen Bestimmungsort abgerissen. "Ist das nicht viel zu riskant?", fragte Nerina unsicher, doch Texomon gab nur ein unwilliges Knurren von sich. "Im Notfall kann ich immernoch besser schwimmen als jeder von euch", sagte er düster, duckte sich ganz dicht über die Balken und sprang. Mit einem lauten Knirschen gruben sich seine Klauen ins Holz, als er sich abdrückte, dann segelte er, flach ausgestreckt wie eine seltsame Flugechse, über den gähnenden Abgrund. Wild schlug die Leine im Sturm hin und her, unberechenbar, unerreichbar. Texomon zischte erbost, als sie seinen Klauen um Haaresbreite entkam, er abstürzte... Nerina schrie erstickt auf, als sie ihr Iramon den Wellen entgegenfallen sah, sah, wie die graue See ihn zu verschlingen drohte - da warf eine weitere, todbringende Welle das Schiff herum. Texomons ausgestreckter Fuß bekam die Reling zu fassen, er stemmte sich hoch, sprang erneut und diesmal trieb der Wind die Leine genau in seine ausgestreckten Pfoten. Ein kollektiver Schrei der Begeisterung erscholl vom Deck, als er, von seinem eigenen Schwung getragen, auf die Haltetaue des Großsegels zusauste. Als er sie fast erreicht hatte, packte er die Leine mit den Füßen, ließ die Hände los, sodass er kopfüber in der Luft baumelte und trennte die Taue mit seinem Eisenschweif sauber durch. Augenblicklich fiel das Segel ein, das Schiff legte sich stöhnend auf seinen Bauch zurück, immernoch hin und hergeworfen von den Wellen, doch wenigstens außer Reichweite des Windes. "Legt euch alle Sicherheitsleinen an!", befahl Nerina, während sie mit unsicheren Schritten über das Deck stolperte, um Texomon aufzufangen, der mittlerweile mit seiner Leine über dem Wasser pendelte. Sie fing ihn in ihren Armen, als die nächste Welle ihn herüberschwingen ließ. "Das hast du toll gemacht!", flüsterte sie ihm begeistert zu. Texomon seufzte, presste kurz das Gesicht in ihren Mantel, dann richtete er sich erneut auf. "Woher kam der Sturm?", fragte er misstrauisch. Nerina zuckte mit den Schultern. "Er war einfach da", entgegnete sie wohlwissend, wie unrealistisch es war, "Wie Seedrakings Windhose..." "Und er dürfte uns ziemlich weit von unserem Weg wegblasen", ergänzte Texomon grimmig. Nerina nickte seufzend. "Ich fürchte, dagegen können wir nicht viel tun..."

Nachdem die Kampfpokemon das Schiff sturmfest gemacht hatten, hockten sie alle dicht zusammengedrängt unter Deck. Die Pokemon diskutierten hitzig, während Nerina versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Der Sturm trieb sie nach norden, soweit, sogut. Leider trieb er sie keinen Millimeter nach Westen, sondern in östliche Richtung, genau auf den Packeisgürtel an Kantos nördlichster Spitze zu. "Gott bewahre, dass wir nicht dort hineintreiben", murmelte sie düster, "Die Eisberge werden uns schneller zu Sülze zerquetschen als wir unsere Namen buchstabiert haben... Möglicherweise machen wir lieber gleich das Rettungsboot klar." Tatsächlich war ein solches Bestandteil des Schiffes, wie die Kampfpokemon nach einiger Diskussion widerwillig zugaben. Es lag hinter einer der verbotenen Luken verstaut und konnte jeder Zeit durch eine Klappe in der Außenhaut des Schiffes ins offene Wasser geschoben werden. Wie sie hoch und heilig gelobten hatte es alle Ausrüstung bereits an Bord, doch Nerina raffte dennoch einige der wärmsten Kampfausrüstungen, einige Hände voll Pokeriegel und Menschennahrung, sowie einen kleinen Vorrat an Tauen und Segeltuch zusammen, die sie hinter der zweiten, verbotenen Luke fand und verstaute alles unter der Ruderbank des kleinen Rettungsbootes - nur für Notfälle, natürlich. Nach getaner Arbeit schickte sie alle Kampfpokemon bis auf zwei Kicklee in ihre Hängematten und folgte selbst ihrem Beispiel. Zwar fühlte sie sich nicht wirklich müde, doch wusste sie, dass sie schlafen mussten. Den warmen Schlafsack bis unter die Nase gezogen und Texomon wärmend in den Armen fiel sie schließlich in einen unruhigen, schaukeligen Schlaf...

Nerina erwachte jäh, als ein schrecklicher Ruck durch den Bauch des Schiffes lief und sie und Texomon samt Schlafsack aus der Hängematte fallen ließ. Noch ehe sie Zeit hatte, sich benommen aufzurichten, folgte dem Ruck ein markerschütterndes Knirschen und irgendwo unter ihr begann es zu Gluckern. Mit einer verzweifelten Anstrengung kämpften Nerina und Texomon sich gleichzeitig aus dem Schlafsack frei, was diesen leider in Fetzen riss, doch Nerina würdigte ihn keines Blickes. Sie mussten hier raus und zwar so schnell wie möglich. Ohne lange nachzudenken schnappte sie ihre Hose, ihre lädierten Turnschuhe und ihren dicken Mantel und drückte sie Texomon in die Arme. "Bring das ins Boot und schau, ob du die Luke aufkriegst!", wies sie ihn hektisch an und Texomon flitzte ohne ein weiteres Wort davon, während Nerina die Seekarte vom Schreibtisch schnappte und zu den Mannschaftsquartieren stürmte. "Alle ins Rettungsboot!", befahl sie und schlug in Ermangelung einer Notfallsirene mit der Gabel auf den Walöltank. "Machollo!", rief Machollo aufgebracht und gestikulierte in Richtung einiger Werkzeuge und Konservenbüchsen auf einem staubigen Regal, doch Nerina schüttelte den Kopf. "Erst bringen wir euch in Sicherheit und dann können wir immernoch das Leck suchen!", sagte sie streng und scheuchte alle hinaus zu dem Boot, das Texomon gerade mit der Hilfe der beiden recht schuldbewusst dreinblickenden Wachkicklee in das aufgewühlte Meer zu schieben versuchte. Wellen schlugen ins Innere des Schiffes - es war bereits erheblich gesunken und hatte begonnen, sich auf die Seite zu neigen. "Helft ihnen!", brüllte Nerina über das Tosen der Wellen, während bereits eisiges Wasser ihre nackten Füße umspülte, "Erst die Kicklee und Menki, dann Nokchan und Rasaff. Machollo, du hilfst Texomon und mir, das Boot festzuhalten!" Während sie sprach sah sie sich hastig in der kleinen Küche nach irgendetwas Brauchbarem um, doch auf die Schnelle wollte ihr nichts in den Sinn kommen. So riss sie nur den Walöltank aus seiner Halterung und schleifte ihn mit sich zur Spitze des Rettungsbootes, die Texomon und Machollo verzweifelt festzuhalten versuchten, doch das Heck des kleinen Bootes, das bereits frei in den Wellen schaukelte, übte einen enormen Druck auf den noch im Schiff gefangenen Rest aus und außerdem lag das Schiff bereits so schief im Meer, das der Boden zu einer einzigen Rutschbahn wurde und die eisigen Fluten Texomon schon bis zum Bauch reichten. Mit einer übermenschlichen Anstrengung wuchtete Nerina den Tank in das Rettungsboot, wo zwei Menki ihn entgegen nahmen und auf die hinterste Bank verfrachteten, dann packte sie das etwas verängstigt aussehende Nokchan um die Hüften und warf es kurzerhand den wartenden Rasaff in die Arme. So schnell sie konnte zählte sie die Besatzung - es waren zehn. "Einer fehlt!", rief sie verzweifelt, während eine eisige Welle ihr bis über die Brust schlug und ihr alle Luft aus den Lungen presste, "Wo ist das dritte Menki?" "Ich gehe ihn suchen!", verkündete Texomon, "Geht schonmal raus!" Kurz überlegte Nerina, ob sie diskutieren sollte und offenbar geisterten auch in Machollos Kopf ähnliche Gedanken herum, aber dann sprangen sie doch beide ins Boot und die beiden Rasaff begannen, es mit den Rudern, die sie in den Händen hielten, Stück für Stück ins Freie zu schieben. Texomon half ihnen mit einem Doppelkick gegen den Bug, dann stürmte er platschend durch das Wasser davon. "Rudert!", brüllte er und die Rasaff gehorchten. Beinahe bewegungsunfähig vor Kälte und Angst sah Nerina zu, wie das kleine Boot sich vom Schiff entfernte, gerade noch rechtzeitig, bevor dieses in einem Schwall aus Luftblasen zu sinken begann. "Texomon!", brüllte sie verzweifelt und wollte aufspringen, doch die raue See warf sie erbarmungslos auf den Boden zurück, "Texomon! Texomon!" "Nok!", rief Nokchan aufgeregt neben ihr und deutete auf den Bug des sinkenden Schiffes. Tatsächlich schien sich in der Takelage des Glyvers etwas zu bewegen, etwas hangelte aufwärts, offenbar vor dem Wasser fliehend. Im nächsten Augenblick schoss ein zweiter Umriss aus dem schwarzen Wasser hervor, das inzwischen den Treppenschacht überflutete. Texomons Klauen mussten sich knirschend in das Holz des Mastes und in die Taue graben, so schnell, wie er kletterte, doch zu hören war nur das Tosen der Elemente. Gebannt beobachteten sie, wie Texomon Menki einholte, es sich über die Schultern warf und ohne viel Federlesens hinab in die wirbelnde Tiefe sprang. Graue Wellen schlugen über ihnen zusammen und für unendliche Sekunden sahen sie nur zu, wie das Schiff immer schneller in den Fluten versank. Dann ließ ein Keuchen alle zwölf Köpfe gleichzeitig herumfahren. Texomons Kopf tauchte nur Zentimeter neben der Bordkante auf. Seine Nüstern waren blau vor Kälte und er atmete schnell und stoßweise. "Nehmt Menki!", fauchte er die Kicklee an, die nach seinen Armen greifen wollten und erst, als sie Menki sicher neben dem Öltank gebettet hatten, kletterte Texomon selbst mit zitternden Armen und Beinen aus dem Wasser. "Das war knapp", murmelte er außer Atem, während Nerina ihn in ihren dicken Mantel einwickelte und verzweifelt versuchte, seine Arme und Beine warmzureiben, "Diesem verdammten Sog zu entkommen ist bestimmt schon schwer genug, wenn man nicht grade festfriert." "Oh Texomon...", murmelte Nerina den Tränen nahe, "Ich dachte schon..." "Macho?", mischte Machollo sich mit belegter Stimme in ihre Konversation und deutete vielsagend nach allen Seiten und als Nerina seiner Geste folgte, sah sie das Meer zum ersten Mal mit einem klaren Blick. Es war keineswegs leer. Überall um sie her trieben Eisblöcke im Wasser, große, kleine, platte und spitze. Sie waren im Packeisgürtel gelandet. "Wir müssen hier raus!", knurrte sie durch zusammengebissene Zähne, "Wir müssen nach Süden - aber wo ist Süden?" Immernoch trieben dicke Wolken vor dem Nachthimmel und nahmen Nerina die Chance, aus den Sternen wenigstens eine Richtung zu erahnen. Außerdem warfen die Wellen das Boot gefährlich hin und her und schon einige Male hatten die rudernden Rasaff nur noch knapp eine weitere Kollision verhindern können. "Wir müssen auf eine Eisscholle", überlegte sie leise vor sich hin, "Wir dürfen das Boot nicht auch noch verlieren!" "Men-ki-ki-Me!", rief das gerettete Menki mit zittriger Stimme und deutete auf einen großen, flachen Eisklotz einige hundert Meter hinter ihnen. Nerina nickte langsam. "Ja, der sieht groß genug aus...", überlegte sie langsam, dann begann sie, in dem Bündel aus Tauen, Segeltuch und anderen Ausrüstungsgegenständen unter den Bänken zu wühlen. Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte: Einen robust aussehenden Enterhaken aus schwarzem Stahl. Mit zitternden Fingern befestigte sie ihn am Ende eines Taues, dann drückte sie ihn Machollo in die Hände. "Wirf ihn so fest auf den Eisblock, dass er steckenbleibt", befahl sie ihm hastig, "Dann können wir am Seil entlang hinaufklettern. Kicklee, nehmt euch zwei Paddel und taucht sie so tief ins Wasser, wie ihr könnt, damit wir merken, wann wir dem Eisblock zu nahe kommen. Unter Wasser sind sie größer!" Als die Kicklee schließlich auf Grund stießen, klaffte zwischen Boot und Eisberg immernoch eine Lücke von guten zehn Metern. Bedächtig richtete Machollo sich im Boot auf, holte aus und schleuderte den Haken nach dem Eis. Mit einem leisen Knirschen verschwand er beinahe völlig darin. "Ich klettere als erster rüber", meldete sich Texomon bibbernd zu Wort, "Dann kann ich den Haken festhalten, während Machollo den Kicklee hilft, das Boot vom Eis fernzuhalten." Noch ehe Nerina protestieren konnte, sprang er über Bord. Mit den Händen am Tau hangelnd und die Fußklauen ins Eis rammend kraxelte er mühsam vorwärts, die glatte Flanke des Eisberges hinauf, bis er bei dem Haken zu sitzen kam. "Es geht ganz leicht!", rief er mit stockender Stimme, "Kommt! Menki!" Unter den Menki brach ein unschlüssiges Gemurmel aus. Texomon bebte am ganzen Körper und es gehörte nicht viel Fantasie dazu um zu sehen, dass er log. Doch dann stemmte sich das Menki, das er gerettet hatte, mühsam auf die Beine, ergriff das Seil und folgte ihm rutschend und platschend hinauf aufs Eis. Quälend langsam folgten die anderen seinem Beispiel, bis nur noch Nerina und Machollo im Boot kauerten und es mit schmerzenden Armen vom Eis fortzuhalten versuchten. Gerade wollte Nerina Machollo auffordern, zu folgen, als Texomon ihr von oben ein Zeichen gab. "Wenn ich die Seite des Eisberges aufschmelze, kriege ich vielleicht eine Rutschbahn hin", rief er zu ihr hinab, "Dann können wir euch mitsamt Boot heraufziehen!" "Aber das ist viel zu anstrengend für dich!", protestierte Nerina atemlos. Texomon schnaubte hilflos. "Du kannst nicht durch das Wasser, ohne zu erfrieren, Nerina!", rief er zurück, "Das ist schon für ein Pokemon schwer und wir halten mehr aus. Macht das Seil am Bug fest und bringt euch auf Abstand!" Nerina zögerte noch, doch Machollo nahm ihr kurzerhand die Entscheidung ab, indem er das Seilende von der Ruder-Dolle löste und an dem Ring im Bug befestigte. Texomon kauerte sich nieder, holte tief Luft und blies Feuer. Sein Flammenwurf fraß eine Spur der Verwüstung in die Flanke des Eisberges, eine lange, schmale Bahn schmolz auf und rann als Sturzbach hinab ins Meer. Was sie zurückließ, was spiegelglattes Eis. "Jetzt zieht!", rief Texomon und im nächsten Augenblick fühlte Nerina sich nach hinten geworfen, als das Boot seinen Bug aus dem Wasser schob und langsam und mit unangenehmen Schleifen nach oben gezogen wurde. Mit einem lauten Knall kippte der Tank um und schlug die hinterste Bank heraus. Dann waren sie oben - endlich in Sicherheit.

Durchgefroren und mit klammen Händen holten sie Segeltuch aus dem Boot, damit sie nicht auf dem blanken Eis sitzen mussten. Machollo schlug eine Mulde ins Eis, in die sie etwas von dem Walfett schütteten und einen Strick als Docht hineinhängten, sodass sie wenigstens ein wärmendes Lagerfeuer hinbekamen, um das sie sich zusammendrängten, um sich zu wärmen. Vor dem Sturm waren sie hier oben einigermaßen sicher, doch zeichnete sich bald ab, dass sie den Eisklotz auch so bald nicht würden verlassen können. Zu hoch waren immernoch die Wellen und zu gefährlich die mahlenden Eismassen um sie her. "Wir müssen warten, bis sich der Sturm gelegt hat", sinnierte Nerina nach einigen Minuten des dumpfen Schweigens, "Ohne Sonne und Mond und einigermaßen ruhige See schaffen wir es nie nach Süden... Wie wäre es, wenn wir uns bis dahin eine Unterkunft bauen?" Also rappelten sie sich alle wieder mühsam auf die tauben Füße. Im Handumdrehen schlugen die Kampfpokemon Blöcke aus dem Eis und schichteten sie unter Nerinas Anweisungen zu einem kleinen, grimmigen Iglu auf, dann spritzte Texomon seine Hydropumpe darüber, um die Lücken zu schließen und schließlich verstauten sie alle ihre Habseligkeiten im Inneren und bedeckten den Boden mit Segeltuch. Es dauerte nicht lange, bis ihre eigene und die Wärme des Feuers das kleine Eishaus soweit aufgewärmt hatte, dass sie wenigstens aufhörten, zu zittern. Doch die Stunden verrannen ereignislos und weder ließ sich die Sonne blicken, noch nahm der Wellengang merklich ab und mit jeder verrinnenden Sekunde wurde die Stimmung gereizter. Bereits am ersten Abend gingen ihnen die Pokeriegel aus und Nerina schickte zwei der Menki und das Nokchan zum Angeln, doch sie kamen praktisch mit leeren Händen zurück und die wässrige Suppe, die Nerina aus den paar kleinen Fischen und einer Konservendose Linseneintopf zusammenköchelte konnte den Hunger nur ungenügend stillen. Die Nacht war wenig erholsam und verstrich in dumpfen Grübeleien, wie schon der Tag zuvor. Der Sturm ließ die Eismassen bedrohlich aneinander reiben und zu allem Überfluss begann Texomon ein äußerst heftiger Husten zu quälen, der ihn in unregelmäßigen Abständen Stichflammen in alle Richtungen schnauben ließ. Am Morgen verteilte Nerina die einzige Packung Milch, die sie besaßen, doch das heiße, nahrhafte Getränk führte alsbald zu Streit zwischen den Rasaff, was schließlich darin mündete, dass die letzten Tropfen verschüttet wurden, worauf sich ein wütendes Geschrei erhob. Texomon knurrte erbost. "Habt ihr nichts besseres zutun?", fauchte er, sprang zwischen die prügelnden Rasaff und trat dem einen mit seinem Doppelkick in den Bauch, während das andere seinen Eisenschweif zu spüren bekam. Danach herrschte erneut betretenes Schweigen, bis Nerina es nicht mehr aushielt. "Wollen wir was spielen?", fragte sie halbherzig, "Vielleicht Flaschendrehen oder so?" Zunächst hatte keins der Kampfpokemon wirklich Lust, doch nachdem Machollo pflichtschuldig auf einem Bein ums Iglu gehüpft und dazu wie ein Taubsi gezwitschert hatte, kam die Sache in Fahrt und als am späten Nachmittag endlich die Wolkendecke aufriss und die trüben Strahlen der Nachmittagssonne auf ihren Eisberg fielen, war die Stimmung beinahe ausgelassen.

Im Laufe der Nacht flaute der Sturm endgültig ab und als Nerina am dritten Morgen ihrer unfreiwilligen Expedition vor ihr Iglu trat, schien ihr eine blasse, nordische Sonne schüchtern auf die durchgefrorenen Glieder und das Meer lag glatt wie ein Spiegel vor ihr. "Ich denke, wir sollten aufbrechen", sagte Texomon neben ihr und schnaubte eine Stichflamme. Sein Husten hatte sich noch um ein gutes Stück verschlimmert und auch die dicken und unhandlichen Kampfkleider, die er nun trug, schienen der Kälte wenig Abbruch zu tun. Besorgt musterte Nerina sein blassblaues Gesicht und fragte sich unwillkürlich, ob es für ihn wohl besser wäre, hier zu bleiben, statt sich erneut dem kalten Wind der See auszusetzen, doch andererseits war das wohl ihre einzige Chance auf Rettung und früher oder später würde ihnen sowieso das Walfett ausgehen. Seufzend nickte sie. "Machollo", wandte sie sich an den Anführer der Kampfpokemon, der griesgrämig hinter ihnen stand, "Packt bitte alles, was noch von Wert ist in unser Boot und such zwei der leichteren Pokemon aus, die im Boot sitzen bleiben können, während wir es runterschieben." Machollo und seine Leute gehorchten nur zu gerne. Zwar hatten Nerina und Texomon sie einigermaßen bei Laune halten können, doch war ihnen heute Morgen vollständig das Essen ausgegangen und ohne Frühstück im Magen wuchs ihre schlechte Laune sekündlich. "Na dann mal los!", rief Texomon, als das Boot endlich gepackt und auf seine Startposition geschoben war, und wollte schon anfangen, selbst zu schieben, als Nerina ihn zurückhielt. "Lass mich das machen", sagte sie leise. Texomons dunkle Augen blickten verständnislos. "Das Wasser ist viel zu kalt für dich!", protestierte er, "Du solltest ins Boot gehen!" "Du solltest ins Boot gehen!", widersprach Nerina eindringlich, "Du bist krank!" "Mir geht’s gut!", erwiderte Texomon grimmig und entblößte in hilfloser Wut die Zähne. Doch Nerina ließ nicht locker. Mit einem entschlossenen Schritt vertrat sie ihm den Weg und sah ihm fest in die schwarzen Augen. "Bitte, Texomon!", sagte sie leise wennauch fest, "Damals bei der Wasserprüfung, da hast du mich gebeten, dir zu vertrauen - und das habe ich getan, seit damals und bis heute. Aber jetzt ist es an dir, mir zu vertrauen. Bitte geh ins Boot, wickel dich warm ein und versuch, dich auszuruhen. Wir werden deine Kräfte früh genug brauchen!" Kurz starrte Texomon sie an, als habe er einen Geist gesehen, doch dann senkte er betreten den Blick und kletterte über die Bordwand ins Innere.

Das Boot glitt mit einem lauten Platschen ins Wasser zurück und johlend, spritzend und frierend folgten die Kampfpokemon und Nerina an ihrem Seil, während die beiden Kicklee im Boot es vom Eis fernhielten. Als alle unten waren, riss Machollo mit einem gewaltigen Ruck das Seil frei, dann stemmten sich die beiden Rasaff in die Ruder. Sie kamen langsam voran, soweit Nerina das auf ihrer Seekarte beurteilen konnte. Der eisige Wind stach wie mit Nadeln in ihre Hände und Gesichter und das Packeis wollte und wollte kein Ende nehmen. Nach einiger Zeit begann Nerina, etwas von ihrem Trinkwasser in alte Konservendosen zu schütten und Texomon erwärmte es zu Tee, der dankend von einem zum anderen gereicht wurde. Auch war die Freude groß, als die beiden angelnden Menki tatsächlich einen kleinen Fisch zu Tage förderten, den sie ohne viel Federlesens mit Kopf und Greten verschlangen, Nerina bemühte sich, nicht hinzusehen. Als die Sonne bereits wieder im Sinken begriffen war, begannen sich endlich die Konturen festen Felsens vor ihnen im Dunst abzuzeichnen. Aufgeregt sprang Nerina auf, die Seekarte in der Hand. "Oh, wir haben es geschafft!", rief sie begeistert aus, nachdem sie die Umrisse der Küste mit der Karte verglichen hatte, "Das muss die nordöstliche Spitze der Walross-Insel sein! Wir müssen zwar auf ihre andere Seite, aber das ist nicht so weit! Nur noch ein paar Kilometer und wir sind da!" Sie erreichten die nördlichsten Ausläufer der Insel im letzten Licht des Tages und Nerina wies die Kicklee, die gerade ruderten, an, das Boot gen Westen zu drehen, als das Fahrzeug wie von selbst herumwirbelte und in rasender Geschwindigkeit in Richtung der steinigen Küste gezerrt wurde. "Eine Strömung!", schrie Texomon erschrocken auf, "Schnell!" Nun sprangen auch Nokchan, Machollo, Nerina und er selbst den müden Kicklee zur Hilfe, doch die Ruder schlugen nutzlos durch das aufgewühlte Wasser. Ihre kleinen Blätter konnten nichts gegen den schrecklichen Sog ausrichten. "Schnell, Nerina!", rief Texomon panisch, "Ich muss Seedraking werden, sonst werden wir an den Felsen zerschellen!" "Aber du bist doch viel zu schwach!", protestierte Nerina ängstlich. Dann jedoch sah sie den Blick in seinen Augen und nickte stumm. Mit einem Satz sprang Texomon über Bord ins eisige Wasser der See. Noch im Flug hüllte er sich in Evotationsblasen. Die Kampfpokemon schnappten erschrocken nach Luft, als sie den langen, starken Körper unter der Wasseroberfläche bemerkten, doch als Seedraking sich mit aller Macht gegen die Strömung stemmte, das Boot wie einen übergroßen Ball vor sich hertreibend, feuerten sie ihn mit aller Kraft an. Tatsächlich gelang es Seedraking, das kleine Boot von den Felsen fortzuschieben, doch sah Nerina, dass er entkräftet war und kaum hatten sie sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone begeben, als seine wilden Bemühungen schwächer wurden und er atemlos zuließ, dass die Wellen das kleine Boot an den körnigen Strand warfen, ehe er selbst hinterherschwamm, zu Texomon wurde und sich mit einem heftigen Hustenanfall in Nerinas ausgestreckte Arme fallen ließ. "Ich bin müde, Nerina", murmelte er, während Hustenkrämpfe ihn schüttelten, "So müde..."

Sie entzündeten aus ihrem letzten Walfett ein kleines Feuer am Strand, um das sie sich zusammenkauerten. Manche der Kampfpokemon kauten Seetang und Nerina streifte noch eine gute Stunde über die Klippen, um Texomon eine handvoll Muscheln zu besorgen, die er dankbar aber wortkarg aufaß, um dann in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Der nächste Tag brachte wenig Erfreuliches. Zwar war das Wetter nach wie vor gut, dafür mussten sie feststellen, dass ihr Boot kaum ins Wasser zurückzubringen war. "Wir werden laufen müssen", brummte Nerina übellaunig. Texomons Zustand wollte und wollte sich nicht verbessern und sie machte sich allmählich gewaltige Sorgen um ihn. Die anderen Pokemon guckten nicht minder düster aus ihren Lederharnischen und schweigsam raffte jeder die wenigen Habseligkeiten zusammen, auf die er nicht verzichten mochte. Dann stapften sie los, einen langen und vereisten Felsgrad hinauf. Der Weg zog und zog sich in die Länge und immer wieder glitten ihre Füße auf dem spiegelglatten Eis ab, rutschten die Kampfpokemon ineinander oder kullerte eines hilflos den Berg hinab. Texomon kletterte mit zusammengebissenen Zähnen neben ihr, seine Klauen hinterließen tiefe Spuren im Eis. Den ganzen Tag schleppten sie sich müde und Verwünschungen murmelnd voran, bis sie gegen Nachmittag den Gipfel des Berges erreicht hatten. Im schwachen Licht der Wintersonne blitzte ihnen einladend das rotweiße Dach der Fischfang-Station entgegen. Es lag gute zehn Kilometer entfernt und sicher einen unter ihnen. "Mamacho?", meldete Machollo sich heiser zu Wort und deutete an, wie sehr er auf dem Pfad ausrutschen würde. Nerina nickte schwer. "Wir werden schlichtweg runterrutschen", murmelte sie ernüchtert, "Da brechen wir uns alle Knochen!" "Außer, wir rutschen richtig!", entgegnete Texomon verschnupft und deutete auf einen der hohen, schlanken Tannenbäume, die hier und da aus dem Eis ragten, "Wenn wir daraus ein Brett machen könnten, wie das Sandbrett, dann könnten wir runterfahren, oder?" "Klingt verrückt genug, es zu machen!", versetzte Nerina schulterzuckend und müde schleppten sich Machollo und eins der Rasaff zu einem Baumstamm. Sie fällten ihn mit einem Turmkick und Texomon trennte mit müden Eisenschweifen die Äste ab, dann nahmen sie alle hintereinander auf dem seltsamen Schlitten platz und Nerina stieß ihn vom Boden ab. Das Gefährt bekam beängstigend schnell Fahrt und schreiend und johlend, erst vor Angst und schließlich Vergnügen, warfen sich die Pokemon in die Kurven, gruben die Füße ins Eis, um zu bremsen und rissen triumphierend und im Geschwindigkeitsrausch die Arme hoch. Erst, als sie um die letzte, steile Biegung schossen bemerkte Nerina den Knackpunkt an ihrem Plan. "Wir können nicht bremsen!", schrie sie auf und unter lautem Geschrei rasten sie die Einfahrt der Station hinauf, krachten holzsplitternd durch die schwere Eingangstür und blieben benommen auf dem blanken Marmorboden der Halle liegen. "Lieferung angekommen", verkündete Nerina nur noch müde dem völlig übertölpelten Sekretär der Station, der nach einigen Schrecksekunden bleich hinter seinem Schreibtisch auftauchte. Der Mann starrte sie an. "Kann man wohl so sagen", entgegnete er dann lachend, "Auch wenn wir euch so stürmisch nicht erwartet hätten!" "Na wenn sie wüssten", murrte Texomon, rappelte sich auf und lief zu ihm hinüber, "Wir sind durch Sturm und Wellen und Eis hierhergekommen, um diese zwölf Kampfpokemon zu euch zu bringen. Nehmt ihr sie an?" Das Grinsen des Mannes wurde noch eine Spur breiter. "Oh, wir brauchen sie verzweifelt! Und ihr wollt sicher wissen, wo Siegfried steckt, hab ich recht?" Mit einer vielsagenden Geste deutete er auf eine kleine, lilafarbene Platte in der Ecke des Raumes. "Noch so ein Teleporter!", stieß Nerina überrascht aus, dann wandte sie sich an die Kampfpokemon. "Ihr wart eine tolle Mannschaft! Viel Glück und passt auf euch auf!" "Ma-Machollo!", entgegnete Machollo ernst, dann trat er vor, löste das Halsband mit dem wunderschönen Lapis Lazuli von seinem Hals und legte es Nerina in die zum Gruß gehobenen Hände. "Nimm das als Zeichen unserer Ehrerbietung", übersetzte Texomon gerührt und mit Tränen der Rührung und der Erschöpfung in den Augen traten sie abermals auf die Teleporterplatte.

"Oh weia, wie seht ihr denn aus?" Müde sah Nerina auf und direkt in zwei neugierige, blaue Augen. "Evoli, wie...", begann sie müde, unterbrach sich jedoch, als sie das Gesicht näher in Augenschein nahm. Es hatte nach wie vor Evolis verspielten Züge, doch schauten die blauen Augen ernster und überlegener drein und zwischen ihnen saß ein leuchtender, orangefarbener Stein, der geheimnisvoll im Licht des Mondes glitzerte und einen wunderschönen Kontrast zu dem sonst zartfliederfarbenem Fell bildete. Als Psiana Nerinas überraschten Blick bemerkte, trat sie einen Schritt aus dem Schatten heraus und präsentierte den Neuankömmlingen stolz einen hochbeinigen, schlanken, wennauch muskulösen Katzenkörper, dessen Fliederfell so weich und kuschelig aussah, wie die Decke, die Nerina sich seit Tagen gewünscht hatte. Ihren langen Schwanz hielt sie stolz erhoben, die beiden Enden zitterten leicht im schwachen Wind. "Du siehst toll aus!", flüsterte Nerina voller Wärme, streckte die Hände aus und nahm Psianas weiches Katzengesicht zwischen die kalten Handflächen, "Ist alles gut gelaufen?" Psiana nickte, kam noch einen Schritt näher und legte wärmend den immernoch leicht buschigen Schwanz um den bibbernden Texomon. "Ja. Die Prüfung war wirklich sehr anstrengend und Neru schläft schon und Sunny und Siegfried auch. Morgen wollen sie mit unserem Training beginnen!" Sie sprach das Wort so widerwillig aus, dass Nerina unwillkürlich lachen musste. "Und du?", fragte sie leise, "Bist du nicht müde?" "Oh", entgegnete Psiana geheimnisvoll und Nerina glaubte, in ihren Augen ein warmes Blitzen zu erkennen, "Ich hatte so ein Gefühl, dass ich kommen würdet - und, dass ihr vielleicht eine kräftige Vital-Glocke vertragen könntet..."
 

>>>Neru<<<
 

Als Neru die Augen aufschlug, ging eine rote, heiße Sonne gerade hinter den Pyramiden auf. Es war noch kühl und die Strahlen der Sonne hatten noch nicht viel Kraft, doch würde es nicht mehr lange dauern, bis sie erbarmungslos auf sie niederbrennen würde. Neru streckte seine Glieder und sah sich in ihrem kleinen Lager um. Zwei weitere Gestalten lagen in dem Kreis rund um das Feuer. Neru richtete sich halb auf und konnte Texomon und Nerina erkennen, die eng aneinandergekuschelt dalagen. Nerina sah ein wenig bleich aus und hustete im Schlaf, während sich Neru wunderte, wie er bei dem Krach, den Texomon veranstaltet hatte, überhaupt hatte schlafen können. Kleine Rauchkringel verließen seine Nüstern und die Decke sah danach aus, als hätte sie schon heißere Dinge als das in der Nacht ertragen müssen. Gestern sahen sie noch so lebendig aus, schoss es ihm durch den Kopf, und heute sehen sie aus, als hätten sie eine Woche am Nordpol verbracht. Neru kam dieser Gedanke im Spaß und er musste ein wenig auflachen. Ein großer, lilaner Schatten neben ihm hob nun den Kopf und sah ihn mit fragenden Augen an. Neru fühlte Psianas wärmenden Körper neben sich und konnte nicht umhin, die neuste Evotation von Evoli zu bewundern. Stolz sah sie nun aus, ihr Körper war mit langen Beinen ausgestattet, doch wirkte ihre Gestalt nicht so stämmig wie die von Aquana oder Folipurba. Neru mochte sogar darauf wetten, dass Psiana ein ganzes Stück kleiner war, doch so genau hatte er das noch nicht sehen können. Psianas lilane Ohren zuckten und ihr orangener Stein auf der Stirn leuchtete kurz auf. "Sie sind gestern Nacht spät hier angekommen", erklärte sie. Neru nickte und folgte ihrem Blick zu den beiden hinüber. "Sie sehen gar nicht gut aus", flüsterte Neru. Psiana nickte und ihr Schwanz schwang belustigt durch die Luft. "Texomon hat einen Schnupfen", erklärte sie, "Ich hab ihn gestern niesen sehen. Die Stichflamme war anderthalb Meter lang." Neru musste bei dem Gedanken lächeln. "Es wird ihnen bald wieder besser gehen", erklärte er, "Würde mich nur interessieren, wie sie es geschafft haben, sich so zu erkälten." "Och, eine Woche in Eis und Schnee wirken da Wunder", meinte Nerina und zog die Nase hoch. Neru hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon wach war. Nun setzten sich auch die anderen am Lagerfeuer auf: Sunny, die etwas schräge Arenaleiterin, die Neru gestern nach dem Horror in der Pyramide kennen gelernt hatte, und Siegfried, der Arenaleiter der Drachenpokemon. Während Sunny einen etwas schrägen Stil hatte, ihre Arena zu leiten - Das Merkwürdigste war, dass sie auf Fragen antwortete, noch bevor sie gestellt wurden -, war Siegfried von Kopf bis Fuß durchgängig eine Respektsperson. Sein Auftreten wirkte edel, doch er spielte sich nicht in den Vordergrund. Neru ging auf, dass er kaum etwas über den hochgewachsenen Arenaleiter wusste, doch er war in der Lage, sich allein durch seine Anwesenheit Respekt zu verschaffen. So kam es, dass Siegfrieds ruhige, aber durchdringende Augen sich auf Texomon richteten und dieser noch eine Nuance bleicher um sein Horn wurde. Neru konnte es ihm nicht verdenken. Die mutigsten Menschen und Pokemon würden unter dem Blick dieses Mannes zusammenbrechen. Doch Texomon hielt dem Blick tapfer stand und richtete sich sogar zu seiner vollen Größe auf. "Bist du Siegfried?", fragte er. Siegfried nickte zur Bestätigung und ein Lächeln spielte um seine Lippen. "Wir sind über eine Woche durch Eis und Wasser gegangen, sind fast auf Eisschollen festgefroren oder von ihnen erschlagen worden. Haben wir die Drachenprüfung nun verdient?" Neru wusste gar nicht, dass Texomon so ernsthaft seinen Standpunkt vorbringen konnte. Doch musste er Texomon dennoch anstarren, als wäre er verrückt geworden. Texomon neigte in seinen Worten normalerweise nicht zu übertreiben, doch etwas stimmte hier doch nicht. Wie konnte es sein, dass er behaupten konnte, dass er eine Woche fort gewesen wäre, während erst ein Abend vergangen war? "Wir haben euch während der letzten zwei Tage beobachtet", erklärte Sunny, "Und wissen über euer beider Prüfungen bescheid." Neru wandte nun ihr den Kopf zu. Dass sie Unsinn sprach, konnte er sich schon viel mehr vorstellen als bei Texomon. "Vor zwei Tagen kannten wir uns noch gar nicht", entfuhr es ihm unwillkürlich. "Vor zwei Tagen waren wir noch auf hoher See", erklärte Nerina. Sunny lachte. "Psiana", richtete sie nun ihren Blick auf Nerus Ex-Evoli, "Kannst du mir erklären, wie das Ganze zusammenhängt?" Psiana starrte sie entgeistert an. "Wie sollte ich?", erwiderte sie, "Wir sind gestern Morgen an der Pyramide angekommen und haben darin die Psycho-Prüfung absolviert, das hat nicht länger als ein paar Stunden gedauert." Sunny sah sie prüfend an und schüttelte dann den Kopf. "Ich dachte, du hättest es schon verstanden. Zeit ist...", begann sie, doch dann leuchtete in der Mitte des Feuers ein grüner Lichtblitz auf und ein anderes Pokemon erschien. Es schwebte nur wenige handbreit über dem Feuer, doch verbrannte es sich nicht. '... nur eine Illusion', vervollständigte es Sunnys Satz. "Die Zeit drängte", begann nun Siegfried, die Sache aufzuklären, "Die Drachenprüfung ist für etwa sieben Tage angesetzt, die Psychoprüfung -", Damit warf er Sunny einen Blick zu, "- jedoch nur für einen Nachmittag. Damit Nerina nach ihrer Prüfung auch noch eine Verschnaufpause und ein wenig Training bekommen kann, haben wir für euch beide -" Ein Zirpen erklang, dann korrigierte er sich: "- Hat Celebi für euch beide separate Zeit-Spuren erschaffen." Texomon fixierte das Pokemon. "Was soll das heißen? Niemand kann die Zeit kontrollieren!" 'Zeit ist nur eine der konstant variablen Größen des Multiversums', erklärte das grüne Pokemon in ihrer aller Köpfe, 'Sie bewegt sich wie ein Strom durch die Singularität der Raumzeit und ist den Gesetzen der Massen unterworfen. Wer mit Materie als eine variable Größe spielen kann und in mehreren Zeitzonen zugleich existiert, kann die Zeit mit Hilfe von Materiefeldern kontrollieren.' Texomon kratzte sich am Kopf und Psiana ließ die Ohren hängen. Neru, Texomon, Nerina und Siegfried starrten das fremdartige Pokemon an, dann verschwand es so plötzlich, wie es erschienen war. "Genau so ist es", beschloss Sunny damit Celebis Satz, "Doch für alle Kräfte braucht man einen Ausgleich. Deswegen hat deine Zeit in der Pyramide zwei Tage gedauert, wohingegen Nerinas Prüfung ebenfalls nur zwei Tage gedauert hat. Das war die einzige Möglichkeit, wie wir euer Training möglichst gleich lange halten können und ihr noch genug Zeit habt, Gringo vor seinem Aufbruch zu Mews Versteck abpassen könnt. Hättest du deine Prüfung abgeschlossen, Nerina, ständest du jetzt schon in der Arena." Nerina schluckte und Texomon nieste unüberhörbar ins Feuer.

"Wenn das also die Drachenprüfung war", setzte Texomon an, "Bekomme ich dann jetzt meinen Drachenstein?" Bei diesen Worten brach Siegfried in ein schallendes Gelächter aus. "Du trägst ihn bereits um den Hals", erklärte er dann, "Das einsetzen könnt ihr jetzt auch noch übernehmen." Fassungslos vor Überraschung starrten Nerina und Texomon den wunderschönen, blauen Stein an, der in einer kunstvollen Brosche um Texomons Hals hing. "Der Lapis Lazuli von Machollo?", fragte Texomon. Siegfried nickte immernoch lächelnd. "Nur, wer die Aufgabe löst, bekommt ihn", erklärte er, "Und ich vertraue Machollo." Behutsam nahm Texomon die goldene Kette ab und reichte sie Nerina. Nerina zog ebenso behutsam den Lapis Lazuli aus der Brosche und hielt ihn in die Luft. Unwillkürlich hielten alle die Luft an und Nerinas Hand senkte sich hinunter zu ihrer eigenen Brosche, in die sie den wunderschönen, blau-silbern schimmernden Stein einsetzte. Die Welt um sie herum verdunkelte sich und ein silberner Strahl schoss vom Himmel herab und erfasste Texomon, hüllte ihn in silbernes Licht und blaue, braune und goldene Funken hüllten ihn komplett ein. Die Wand aus Funken wurde größer und immer größer. Nerina, Neru und Psiana sowie die beiden Arenaleiter wichen zurück, als der Funkenregen sich zu einer noch größeren Form ausdehnte. Dann plötzlich war es vorüber und auf der Lichtung stand ein riesiger, blauer Drache mit silbernen Zeichnungen. Die bernsteinernen Augen blickten ruhig, freundlich, aber immernoch voller Kraft aus dem Gesicht des riesigen Drachen. Große Hornkämme ragten wie Augenbrauen über seinen Augen auf und schlossen in geschwungenen Hörnern. Doch der Bauch des großen Drachen war immernoch genau so gelb, wie der von Texomon. Schon komisch, dachte Neru, irgendein Merkmal übernehmen sie doch immer von ihrer vorherigen Form. Soweit Neru wusste, war der Drache größer als Glurak und reichte bestimmt schon an die Größe von Lugia heran, wobei Neru nicht einmal wusste, wie groß Lugia wirklich war. Sein langer Schwanz endete in sieben Fingern, die in den Farben des Regenbogens schimmerten und kleine bunte Funken hinter ihm durch die Luft segeln ließen. Texomon sah etwas prüfend an seinem Körper hinunter und spreizte probehalber die riesigen Flügel und Neru kam es vor, als sei die Nacht wieder hereingebrochen und er könnte über sich die Zeichnung des Sternenhimmels sehen. Glutaro war wirklich beeindruckend. 'Und ich dachte schon, ich sei stark', hörte er eine etwas verschreckte und verschnupfte Stimme in seinem Kopf und Neru musste unwillkürlich grinsen.
 

>>>Nerina<<<
 

"Dann war der Drachenstein also die ganze Zeit bei uns", sinnierte der gewaltige Drache mit einer tiefen, wennauch interessanterweise nicht ganz so mächtigen Stimme wie Seedraking oder Arkani. Sie war voll, warm und weich wie eine warme Brise im Sommer, doch gleichzeitig klangen auch hellere und jugendlichere Elemente in ihr mit, die Nerina unwillkürlich an Texomons verspielte Art erinnerten und als sie langsam aufstand, um dem großen Pokemon ins Gesicht zu blicken, sah sie ebendiese Mischung auch in seinen wunderschönen Bernsteinaugen wieder. Lange Zeit, so schien es, standen der Drache und das Mädchen sich Aug in Aug gegenüber. Es bedurfte keine Worte, nicht einmal telepathischer Natur, um zu verstehen, was sie dachten. Mit Tränen der Rührung in den Augen trat Nerina einen Schritt vor, streckte sich, schlang die Arme um den Hals ihres Drachen und schmiegte das Gesicht an seine warme, schuppige Haut. "Wir haben es geschafft, oder?", fragte Glutaro so leise, dass sie seine Stimme eher spürte als hörte und Nerina nickte stumm, ehe eine Präsenz hinter ihr sie den Kopf heben ließ. Sie hatte Siegfried weder kommen sehen noch hören, doch er stand direkt hinter ihr, die dunklen Augen voller interessierter Bewunderung auf Glutaro gerichtet. "Nach den alten Zeichnungen hatte ich angenommen, dass er groß sein würde", sagte er leise, "Aber dieses Ergebnis ist gelinde gesagt erstaunlich! Er dürfte gut und gerne sechs Meter messen!" "Aber er ist doch ein Glutaro, oder?", fragte Nerina, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Siegfried lächelte geheimnisvoll. "Was auch immer er sein mag", sagte er ruhig, "Er ist kein Pokemon, das derzeit unter dieser Sonne wandelt und die Ähnlichkeiten sind nahezu erschlagend. Wir wollen ihn also Glutaro nennen." "Du siehst aus, wie der Sternenhimmel", sagte Psiana schüchtern und Glutaro sah überrascht an seinen Flügeln hinunter. "Eher wie Machollos Lapis Lazuli", überlegte er, "Er hat mir schon damals gefallen..." Probehalber schlug er mit den Flügeln, hob aber keinen Zentimeter vom sandigen Boden der Oase ab. "Wofür sind sie gut, wenn man nicht hochkommt?", fragte er enttäuscht. Siegfried brach in schallendes Gelächter aus. "Nun gut", sagte er, "Dann lasst uns gehen, und es herausfinden! Die Zeit drängt!" "Warum eigentlich?", fragte Neru, der sich wohl ein paar Gedanken über das merkwürdige Zeitproblem gemacht hatte, "Woher wollt ihr wissen, wann wir gegen Gringo kämpfen müssen?" "Nun, das ist nicht weiter schwer", verkündete Sunnys melodische Flötenstimme, "In genau sechs Tagen will Gringo von der Drachenarena in Edenholzstadt aus aufbrechen, um das legendäre Pokemon Mew zu fangen. Wenn er es in die Finger kriegen sollte, wird er nahezu unzerstörbar werden, die Professoren und wir sind daher der Meinung, dass ihr Gringo in fünf Tagen in der Arena von Edenholzstadt herausfordern solltet - und bis dahin gibt es noch viel zutun! Psiana, du besitzt bereits eine ausgezeichnete Anwendungsbereitschaft deiner Fähigkeiten, aber in Sachen Konzentration könntest du ruhig noch einen Ticken zulegen!" "Und herauszufinden, welche Macht Glutaro besitzt, ist unsere Aufgabe, Nerina!", schloss Siegfried feierlich. Damit ging er mit wenigen, langen Schritten zu seinem Lagerplatz hinüber, verschwand kurz in dem kleinen, orangegemusterten Zelt und kehrte mit einem in Geschenkpapier geschlagenen Bündel zurück. Ein Rabenschwarzes Gewissen machte sich in Nerina breit, als sie es erkannte. Es war das Geschenk, das Vater ihr vor ihrem Ausflug in die Vulkane gegeben hatte. Sie hatte sich zwar wahnsinnig darüber gefreut, es aber über all der Aufregung wegen Texomons Streit mit ihr und Evoli und der bevorstehenden Feuerprüfung ganz und gar vergessen. Siegfried grinste, als er ihren belämmerten Blick sah. "Yamato ging offenbar fest davon aus, dass Texomon nach der Feuerprüfung als Glurak heimkehren würde. Aber dann wurde es doch kein rücksichtsloser Flammenwerfer sondern ein treuer Hund und Yamato schickte das Paket an Breezy, die Luftarenaleiterin. So gelangte es also über Umwege in meinen Besitz." Feierlich drückte er Nerina das Paket in die Arme. "Was ist da drin?", fragte Glutaro und schnüffelte neugierig an dem roten Papier. Als Nerina es auseinanderschlug, glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Auf den ersten Blick sah das, was sie da in den Händen hielt, wie ein Bündel dicker, weicher Ledergürtel aus, doch als sie die breiten Bänder vorsichtig entwirrte, erkannte sie, dass es ein Reitgeschirr war, ein Sattel für einen Drachen und ein Harnisch für seinen Reiter. "Es ist aus Seeschlangenleder", bemerkte Siegfried zufrieden, "Das reisfesteste Leder, das es auf dem Planeten gibt - und dazu noch absolut wasserbeständig!" Mit zittrigen Fingern trat Nerina an Glutaros Schulter, die etwa auf ihrer Kopfhöhe war und warf ihm den Sattel über den Rücken, genauso, wie sie es einmal auf der Zeichnung eines Glurakreiters gesehen hatte. "Was machst du da?" Interessiert bog Glutaro den Hals, um zu ihr hinüberzuschielen, "Warum brauche ich das?" "Damit du dich beim Fliegen nicht darum kümmern brauchst, mich nicht runterzuwerfen", erklärte Nerina atemlos, "Fliegen ist wie schwimmen, nur, dass ich mich nicht festhalten kann, wenn du auf dem Rücken liegst." Mit einem leisen Klicken rasteten die letzten Haken sicher ein und Glutaro kauerte sich nieder, sodass Nerina auf seinen Rücken klettern konnte. Unsicher befestigte sie ihren eigenen, an einen Klettergurt erinnernden Harnisch an den dafür vorgesehenen Ringen an Glutaros Schulter- und Bauchgurt. "Okay...", sagte sie dann unsicher und erneut richtete sich der gewaltige Drache zu seiner vollen Größe auf. Ein wenig unsicher sah Nerina um sich. Sie war nicht unbedingt weiter vom Boden entfernt, als wenn sie auf Arkanis Rücken gesessen hätte, doch ließ der Anblick des mächtigen Drachen ihr vor Aufregung das Herz in die Kehle springen. Gerade wollte sie vorschlagen, dass Glutaro eine Runde laufen sollte, als Siegfried begeistert auf den Rücken eines Dragoran kletterte, das er soeben aus seinem Pokeball entlassen hatte. "Dann stell dich mal hin!", rief er Glutaro zu. Der Drache zögerte. "Ich stehe doch!", entgegnete er verwirrt. Siegfried schüttelte den Kopf. "Auf deine Hinterbeine! Damit wir sehen, ob Nerinas Geschirr auch richtig sitzt!" Probehalber richtete Glutaro sich einige Zentimeter weit auf und Nerina schrie erschrocken auf, als die Schwerkraft sie zurück zerrte und grub die Hände in die Halteschlaufen an Glutaros Schultergurt. Sofort ließ er sich zurück auf alle Viere fallen und verdrehte den Hals, um sie anzusehen. "Alles in Ordnung?" "Der geht’s gut", entgegnete Siegfried grob an Nerinas statt, "Hat sich nur erschreckt. Nochmal!" Doch Glutaro reagierte nicht. 'Geht es dir wirklich gut?', fragte er, zum ersten Mal in einwandfreier Sprache in ihren Gedanken. Nerina war so verblüfft, dass sie nickte. "Ich denke schon...", sagte sie dann unsicher und hielt sich lieber gleich etwas stärker fest, als Glutaro sich mit einem mächtigen Schwung auf die Hinterbeine erhob. Mit zusammenbebissenen Zähnen rutschte Nerina im Sattel herum, bis sie den Gurten weit genug vertraute, um eine Hand loszulassen und Neru stolz zuzuwinken, der erschreckend weit unter ihr zu stehen schien. Siegfried nickte. "Na dann!", sagte er voller Elan, "Springe in die Luft und schlage mit den Flügeln! Und du, halte dich gut fest, Nerina! Der erste Versuch wird meistens ein Bauchplatscher." "Bauchplatscher! Pah!", grummelte Glutaro, während Sunny, Neru und Psiana sich hastig außer Reichweite seiner Flügel, Klauen und Schwanzspitze brachten, dann stieß er sich kraftvoll vom Boden ab und begann, wie wild mit den großen Flügeln zu schlagen. Für einen winzigen Herzschlag stand er in der flirrenden Wüstenluft, dann plumpste er unsanft auf den Sand zurück. Der Wucht des Aufschlages presste Nerina alle Luft aus den Lungen. "Es geht nicht!", jammerte er betreten. Siegfried lachte nur vielsagend. "Alles eine Sache des Trainings!", sagte er und ließ Dragoran sanft vom Boden abheben, "Schau genau zu, wie sie ihre Flügel bewegt und versuche, es nachzumachen. Aller Anfang ist schwer! Los!" Zaghaft versuchte Glutaro ein weiteres Mal sein Glück. Diesmal schaffte er es sogar bis zu den Spitzen der Palmen, ehe die Schwerkraft ihn auf den Boden zurückzerrte und Nerina klatschte begeistert in die tauben Hände. "Super! Glutaro!", rief sie ermutigend, "Du schaffst es!"

Die nächsten Stunden jedoch stellten Nerinas Wirbelsäule auf eine harte Probe. Glutaros Flugversuche wurden immer erfolgreicher, doch mit ihnen wuchs leider auch die Höhe, aus der sie zurück auf den Boden klatschten und ein ums andere Mal betastete sie verstohlen ihren Rücken und fragte sie, wie um alles in der Welt sie jemals wieder ihre Knochen sortieren sollte. Doch sie brachte es einfach nicht übers Herz, ihr tapferes Glutaro zu entmutigen und als die Sonne ihren höchsten Punkt gerade überschritten hatte, war es endlich soweit. Mit einem eleganten Sprung schwang Glutaro sich in die Lüfte, gewann mit rasch schlagenden Schwingen an Höhe und ging dann in einen eher gemächlichen Gleitflug über die regenbogenfarbenen Dünen der Wüste über. Jubelnd riss Nerina die Hände in die Luft. "Wir fliegen! Wir fliegen!", schrie sie begeistert und das Gefühl purer Freude überdeckte alle blauen Flecken mit einem Mal rückstandslos, "Oh Glutaro! Wir können tatsächlich fliegen!" "Nicht so schnell!", rief Siegfried lachend zu ihnen hinüber, während das alte Dragoran näherkeuchte, "Wo wollen wir denn hin?" "Immer geradeaus!", versetzte Glutaro voller tiefer Glückseligkeit, "Der Himmel ist so groß und frei und jetzt gehört er uns!" Voller überschäumender Freude streckte er seinen langen Drachenkörper soweit er konnte und wurde noch ein ganzes Stückchen schneller, bis die vielfarbigen Fünkchen, die aus seiner Schwanzspitze perlten, sich zu einem kräftigen Regenbogen formierten, der ihnen folgte und auf dessen Spitze Nerina zu reiten schien. Überglücklich brach sie in Gelächter aus. "Oh, Fliegen ist ja so herrlich!", rief sie aus. Siegfried ließ ihnen für eine Weile ihre Freude. Ruhig segelte er auf Dragorans Rücken neben ihnen her, bis aus dem fernen Dunst vor ihnen die Küste des Meeres auftauchte. "Dort ist das Meer!", rief Glutaro begeistert, "Komm! Wir wollen baden gehen!" Doch als er über den friedlich schaukelnden Wellen des Meeres tiefer ging, hob Siegfried rasch eine Hand. "Nun versuch mal eine Rolle, Glutaro!", rief er aus und Nerina dankte ihm inständig dafür, mit dieser Übung bis zu einem großen und tiefen Wasserbecken gewartet zu haben. Doch einmal in der Luft, war Glutaro nicht mehr zu stoppen. Mit einem Freudenschrei wirbelte er herum, klappte einen Flügel ein und rollte sich schwungvoll zur Seite herum, wie er das im Wasser so gerne getan hatte. Zwar kostete ihn das Manöver einige Meter an Höhe, doch kam er rechtzeitig wieder auf dem Bauch zu liegen, um ihren Sturz aufzuhalten. Siegfried nickte anerkennend. "Und einen Looping?", fragte er herausfordernd. Auch diesen bewältigte Glutaro ohne dabei abzustürzen, auch wenn er so tief kam, dass die Gischt Nerina ins Gesicht schlug. Siegfried nickte erneut. "Und kannst du auch rückwärts fliegen?" Glutaro versuchte es, doch diesmal schien er mehr Probleme zu haben, denn statt wirklich rückwärts zu gleiten, blieb er einfach mitten in der Luft stehen. "Oh, das ist auch nicht übel", kommentierte Siegfried, ehe er Glutaro erst rückwärts, dann auf dem Rücken und schließlich sogar aufrechtstehend fliegen ließ und dann damit begann, alle Manöver immer und immer wieder in schneller Folge zu wiederholen, bis Glutaro bei einem doppelgeschraubten Dreifachsalto die Kontrolle über seine Flügel verlor und in einer meterhohen Fontaine ins warme Wasser des Meeres stürzte. "Hups!", machte er entschuldigend und erneut schüttelte ein heftiger Husten seinen großen Körper, der einige, kleine Wellen vor ihm erzeugte. Müde streichelte Nerina ihm den Hals. "Das hast du trotz allem wirklich toll gemacht, Glutaro! Du willst nicht wissen, wie tollpatschig die meisten Gluraks aussehen, wenn sie zum ersten Mal den Boden unter den Füßen verlieren!" "Danke", murmelte Glutaro, streckte sich in den Wellen und legte die Flügel an, "Ich hoffe nur, er macht mal 'ne Pause, der Husten kommt zurück und ich will nicht nochmal Sunnys Schuh an den Kopf kriegen, weil ich aus Versehen ihr komisches Flitterzelt angesengt habe..." Mit einem leisen und Erdteileerschütternden Drachenseufzen begann er, zu schwimmen. Seine breiten Pfoten und sein mächtiger Schwanz schienen wie gemacht zum Schwimmen und mühelos glitt er durch die Wogen zurück zum Ufer, wo Siegfried auf sie wartete.

"Das war doch schonmal gar nicht übel", kommentierte er, als sie ihn erreicht hatten und Glutaro schnurrte geschmeichelt. "Was machen wir als nächstes?", fragte er eifrig, doch Siegfried warf nur einen vielsagenden Blick zur bereits tiefstehenden Sonne. "Wir sollten morgen früh weitermachen", verkündete er ohne erkennbare Emotion in der Stimme, "Als nächstes würde ich gerne deine Drachenwut sehen und dazu solltest du besser ausgeruht sein - und keine Angst! Ich habe nicht vor, dich zu schonen! Den Fehler haben schon zu viele mit dir und Drachen deinesgleichen gemacht!" Damit warf er Nerina einen strengen Blick zu, die gleich schützend eine Hand auf Glutaros Nacken legte. "Er ist sehr tapfer und man muss ihn manchmal bremsen", widersprach sie scharf. Siegfried warf ihr einen belustigten Blick zu. "Er ist ein Drache, Nerina! In ihm steckt mehr Kraft als du dir träumen kannst und es ist bitter nötig, sie einmal auszureizen. Starke Pokemon werden oft in ihrer Entwicklung gebremst, weil ihnen alles, wofür andere arbeiten müssen, in den Schoß fällt. Aber damit ist jetzt Schluss! Ab Morgen wird trainiert, wie es einem Drachen gebührt. Du wirst erstaunt sein, wie viel Kraft in ihm steckt, Nerina!" "Aber wir haben schon so oft hart gearbeitet", entgegnete Glutaro mit hängendem Kopf, während es sich aus dem Wasser schnellen ließ und sich mit einem mächtigen Flügelschlag in die Luft schwang, "Die Drachenprüfung war jedenfalls härter als alles, was wir oder die anderen sonst so haben machen müssen!" "Das liegt daran, dass sie auch etwas anderes abprüfen soll", erklärte Siegfried geduldig, während Glutaro und Dragoran Flügelspitze an Flügelspitze in Richtung ihres Lagers glitten, "Ihr wisst doch sicher, wie die Arenen ursprünglich konzipiert waren, oder?" "Nein...", gestand Nerina verlegen. Siegfried betrachtete sie kurz nachdenklich, dann fuhr er fort: "Die Normalprüfung beschrieb einst die grundständigste Grundausbildung. Sie testete, ob ein Trainer überhaupt in der Lage war, ein Pokemon auszubilden. Nach ihr folgten die Grundprüfungen Erde, Wasser, Feuer und Luft, die ein Verständnis für die vier Elemente und Erfahrungen mit ihnen verlangten. Hatte ein Trainer diese Grundausbildung beendet, schlossen sich die vier höheren Prüfungen Elektro, Pflanze, Psycho und Unlicht an. Sie stehen über den Elementprüfungen, weil sie Wissen aus ihnen voraussetzen und prüfen, in wie weit es auf die entsprechende Situation angewendet werden kann. So benötigt Psycho die geistige Stärke der Erde und die Ruhe und Kreativität des Wassers, um zu funktionieren. Die Psychische Macht kommt aus der Erde, sie ist ein Geschenk des großen Netzes allen lebenden. Drache hingegen ist nicht einfach nur eine Fähigkeit. Ein Drachenpokemon vereint die vier Elemente in sich und sollte auch über die höheren Arenen in ihren Grundzügen verfügen. Ein Drachenpokemon also in einer dieser Fähigkeiten zu testen, würde ihm kaum gerecht werden. Darum testet die Prüfung eher Eigenschaften und innere Stärken, wie Willenskraft in Anbetracht einer ausweglosen Situation, die Fähigkeit, Pokemon zu führen, ihre Kräfte zu nutzen ohne sie auszunutzen, Aufopferungsbereitschaft und die Kraft ab, weiterzumachen, auch wenn man an seine Grenzen stößt. Es sind die Fähigkeiten eines Anführers, Nerina und Glutaro. Die Stärke muss man bei einem Drachen nicht erfragen, eher, wie er gedenkt, sie einzusetzen."
 

>>>Neru<<<
 

Psiana hockte auf ihrem Hintern, die Augen geschlossen, das Gesicht und ihre ganze Haltung entspannt. "Sehr gut", bemerkte Sunny, "Fühle den Stein, spüre, wie er mit dem Boden verbunden ist. Fühle, wie die Erde an ihm zerrt und ihn nach unten zieht." Psiana atmete tief durch, auf ihrem Gesicht zuckte Anstrengung und Konzentration, bevor es sich wieder entspannte. "Und wieder atmen", wiederholte Sunny wohl heute zum tausendsten Mal, "Mache deine Gedanken ganz leer und konzentriere dich auf gar nichts. Versuch, deinen Geist vollkommen zu leeren. Das gilt auch für dich!", fuhr sie zu Neru herum und hastig schloss dieser ebenfalls wieder die Augen, "Auch wenn du kein Psychopokemon bist, kann dir ein bisschen Meditation nicht schaden." "Aber", setzte Neru an, doch Sunny antwortete wieder, bevor er die Frage überhaupt gestellt hatte. "Es gibt nichts, wobei du gerade helfen könntest. Auch du musst lernen, deinen Geist zu disziplinieren." Psianas Ohren zuckten, doch sie öffnete die Augen nicht. Das war wahrscheinlich auch klüger. In seinen Gedanken hörte Neru ihre Stimme. 'Was für eine Schreckschraube.' Nun musste Neru sich das erste Mal an diesem Tag wirklich disziplinieren, um nicht prustend loszulachen, oder gar eine Miene zu verziehen, sonst konnten sie sich einen weiteren Vortrag anhören. Auch wenn Neru manche der Trainingsmethoden der Psychopokemon Arenaleiterin etwas merkwürdig vorkamen, so zeigten sie doch ihre Wirkung. Sunny hatte ihnen erklärt, dass sie in der Arena keine wirklichen Psycho-Fähigkeiten eingesetzt hatten, sondern, dass ihr Psiana ihre Gedanken gelesen und nach der Gedankenstärke gehandelt hatte. Sie hatte jedoch keinen Zweifel daran gelassen, dass auch Nerus Psiana bald dazu in der Lage sein würde, doch bis dahin war es ein langer Weg. "Psycho ist nicht wie jedes andere Element", hatte sie erklärt. Das Element des Lichtes und das Element der Geisteskraft, wie sie es auch zu nennen pflegte, befasste sich nicht nur damit, welche Muskeln bewegt werden mussten, um Feuer zu erzeugen oder Steine regnen zu lassen, sondern befasste sich mit den tiefen Zusammenhängen in der Welt. Neru hatte sich schon gefreut, als der Theorieteil an diesem Tag nach scheinbar unendlichen Stunden beendet war, doch nun saßen sie schon seit Stunden hier herum und atmeten und versuchten, ihre Köpfe zu leeren. Neru verstand zwar, dass ein gutes Basistrainung nötig war, um es zur Meisterschaft mit den Psychoattacken zu bringen, doch allmählich konnte er sich nicht mehr entscheiden, ob die Vorträge über die Zusammenhänge der Welt oder das endlose Meditieren langweiliger waren. Endlich sprach nun Psiana seine Gedanken aus. "Wir haben nun schon seit Stunden geatmet, könnten wir..." "Willst du etwa aufhören zu atmen?", fuhr sie Sunny an. Psiana starrte sie perplex an, dann schlossen sie und Neru wieder artig die Augen und versuchten, sich auf die absolute Leere zu konzentrieren. Neru spürte daran, welche Körperteile die Sonne verbrannte, wie sie langsam vom Zenit ins Meer hinuntersank und Psiana hatte heute noch nicht viel mehr getan, als Steine, den Sand, die weite Ebene, Neru, die Menschen und als letztes auch noch Nerina und Texomon zu spüren, wie sie um sie herumstanden, wo sie verbunden waren und, welche Kräfte an ihnen zerrten. "So, ich denke, das genügt für heute", erklärte Sunny gut gelaunt, "Wir haben doch schon einige Fortschritte gemacht." Dankbar streckte Neru seine steifen Glieder, verzichtete auf eine Antwort und massierte sich stattdessen die eingeschlafenen Beine. Nerina sah ihnen mit leuchtenden Augen entgegen. "Wir sind heute geflogen!", erklärte sie ganz stolz. "Ja!", rief Texomon ebenso begeistert, "Ich kann jetzt einen dreifach geschraubten Looping, beinahe...", fügte er noch ganz leise hinzu." Was heißt denn 'beinahe'?", fragte Psiana mit der spitzen Stimme, die man von Evoli gewöhnt war. Sie legte ihren gegabelten Schwanz um Neru und sah Texomon interessiert an. "Nun ja...", verlegen scharrte dieser im Sand herum." Er ist abgestürzt", erklärte Nerina. Neru sah sie entgeistert an. "Und dann?" "Dann sind wir geschwommen", erklärte Texomon immernoch glücklich und Nerina und Texomon gaben abwechselnd einen Bericht ihres Tages ab. "Und was habt ihr so getrieben?" Psiana schien auf einmal mächtig mit ihrem gegabelten Schwanz beschäftigt zu sein und Neru hüstelte verlegen. "Nun, wir haben meditiert", erklärte er langsam. Nerina legte den Kopf schief. "Das haben wir gesehen und davor?" Glücklicherweise löste Siegfrieds laute Stimme vom Lagerfeuer die Situation und dankbar gingen die vier hinüber, um nach dem langen und anstrengenden Tag nun doch auch mal etwas zu essen.

Der nächste Tag begann genau so, wie der vorherige angefangen hatte. Nerina und ihr riesiges und prächtiges Glutaro schwangen sich in die Weiten der Lüfte empor, während sich Psiana und Neru wieder am Feuer niederließen. "Die Zeit drängt", erklärte Sunny, "Wenn Mew gefangen wird, gibt es kaum noch eine Hoffnung, Gringo zu besiegen. Zu viele Pokemon hat er sich nun schon einverleibt und lässt sie für sich kämpfen. Wir müssen in den nächsten Tagen ein Training bewältigen, für das normalerweise Wochen bis Monate benötigt werden." Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "Wieso ändert Celebi denn dann nicht wieder die Zeitspuren?", fragte Psiana vorlaut. Neru warf ihr einen interessierten Blick zu, doch ihre Frage war berechtigt. Erstaunt stellte Neru fest, dass Sunny an diesem Morgen ihre Fragen nicht schon beantwortete, bevor sie gestellt wurden. Das erleichterte die Konversation schon gewaltig, doch seine Hoffnungen auf einen schöneren Tag wurden zerstört, als sie seine Frage, warum Mewtwo nicht ebenfalls diese Fähigkeit einsetzte, schon im Voraus beantwortete. "Die Zeit zu verändern ist eine Fähigkeit, die nur Celebi beherrscht und zu deiner Frage, Psiana: Ich konnte Celebi mal bei einer Sache vor langen Jahren helfen und es war bereit, in den Verlauf der Zeit einzugreifen, um bei eurer Mission zu helfen, doch gewährt es seine Gunst nur einmal und außerdem kann ich es nirgends finden. Wer weiß, in welcher Zeitspur und in welcher Dimension es sich zurzeit aufhält." Neru starrte sie an, sagte jedoch nichts. Es frustrierte ihn, nicht mehr selbst fragen stellen zu dürfen, sondern sie immer, wenn er dazu ansetzte, bereits beantwortet zu bekommen. "K...", machte Psiana, wurde jedoch von Sunny unterbrochen und Neru wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte." Ja, Celebi kann beliebig in der Zeit reisen, aber jetzt löchert mich nicht mit Fragen." Psiana und Neru wechselten einen empörten Blick. 'Als ob wir so viele stellen würden', entrüstete sich Psiana in seinem Kopf und Neru dachte im Stillen dasselbe. Wie konnte man jemanden löchern, wenn derjenige einen nicht mal die Frage sagen ließ? Doch Sunny schien von diesen Einwänden gar nichts mitzubekommen. Fröhlich fuhr sie fort, Psiana in die Theorie der Psychopokemon einzuführen, erklärte ihr, wie man diese oder jene Attacke ausführte und, wie wichtig es dafür sei, einen klaren Kopf und einen disziplinierten Geist zu haben. Danach ging der Tag denselben Gang, wie der gestrige. Sunny setzte sie wieder auf den heißen Wüstensand, gab Neru noch einen Mantel gegen die Sonne und wieder saßen sie da und meditierten. Bei allem Ärger, den Neru das Meditieren bereitete, verfehlte es jedoch seine Wirkung nicht. Es tat gut, einfach mal über seine ganzen Gefühle und Gedanken nachzudenken. Das Wirrwarr in seinem Geist lichtete sich merklich und er spürte, wie sein Geist wieder in klareren Gedanken zu kreisen begann. Immer wieder zuckten Gedanken wie, er müsse nach dem Feuer sehen oder etwas nachlesen, durch seinen Kopf, doch versuchte er, die Gedanken von sich fern zu halten und sich ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Wieder atmete er tief durch und auch Psiana atmete langsam und gleichmäßig. Für Stunden, so kam es Neru vor, saßen sie auf dem heißen Wüstensand und ließen alles über sich hinwegziehen. Seine Beine beschwerten sich schon länger. "Das machst du sehr gut", vernahm Neru plötzlich Sunnys Stimme in seiner Nähe. Er hatte sie gar nicht kommen gehört. "Fühle nun den Stein vor dir, fühle, wo er in die Erde übergeht und fühle auch, was noch Stein und was schon Sand ist. Spürst du den Übergang?" Neru öffnete die Augen und sah Psiana nicken. "Jetzt stell dir vor, wie er langsam in die Luft steigt." Psiana nickte wieder und Neru konnte sehen, wie ihr Fell nass vor Schweiß wurde. Der Stein auf dem Boden vor ihnen begann zu wackeln, als wäre es ein Ei, aus dem bald etwas schlüpfen wollte. Mit vor Spannung angehaltenem Atem verfolgte Neru, wie sich der Stein unendlich langsam anhob. Eine Hand breit über dem Boden jedoch schien er sich wieder seines alten Gewichts zu erinnern und stürzte zu Boden. "Sehr gut!", rief Sunny glücklich aus, "Du hast den ersten Schritt gemacht." Neru starrte erst auf den Stein, dann auf sein vor Anstrengung zitterndes Psiana. Wieder schloss sich eine Meditationsphase an, nach der Psiana den Stein schon doppelt so hoch steigen lassen konnte. "Das war sehr, sehr gut. Normalerweise braucht man länger", erklärte Sunny, als sie im letzten Licht des Tages wieder zurück zu ihrem Lager gingen. Nerina und Texomon saßen schon am Feuer und tauschten Informationen über Texomons neuste Attacke aus. "Ommm", machte Texomon, als Psiana in den Lichtschein des Feuers trat. Sie hielt die Nase hoch in die Luft und beachtete ihn gar nicht weiter. Texomon setzte sich mit verschränkten Beinen hin und machte nochmal: "Ommm." "Wie war euer Tag?", fragte Neru möglichst laut, um Texomons Meditationsversuche zu übertönen, und Nerina begann, ihm von den ersten Versuchen mit der Drachenwut und von einem ominösen Wind zu erzählen.
 

>>>Nerina<<<
 

"Ommmmm", machte Texomon in sakralem Ton und stupste Psiana mit einem Finger auf die Nase. Das Psycho-Pokemon öffnete genervt ein Auge und funkelte ihn an. "Oh, was soll das?", fauchte sie, "Ich hätte fast meinen Rekord gebrochen!" "Bitte vielmals um Verzeihung", grinste Texomon zur8ck, ließ sich auf seinem Hintern nieder und verknotete möglichst umständlich alle Körperteile. "Ommmmm!", machte er wieder. Diesmal glomm ein Fünkchen echter Wut in Psianas blauen Augen auf. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie anstrengend das ist, den ganzen Tag zu meditieren, vor allem, wenn jemand die ganze Zeit irgendwelche Berge zerlegen und Krach machen muss!" "In der Sonne sitzen und an gar nichts denken?" Texomon legte nachdenklich den Kopf schief, "Klingt nicht so kompliziert für mich..." "Wäre es wohl auch kaum", konterte Psiana mit gesträubten Schweifhaaren, "Du denkst insgesamt nicht viel!" Genervt warf Nerina ihrem Bruder einen müden Blick zu. Die beiden Pokemon hatten über die letzten Tage beachtliche Fortschritte gemacht, doch hatten die doch sehr unterschiedlichen Trainingsmethoden schon vermehrt zu Neckereien geführt, welche sich nun, in Anbetracht des wachsenden Stresses, als perfektes Ventil entpuppten. "Er meint es nicht so", murmelte Nerina, "Er ist nur ziemlich fertig. Siegfried bringt ihn regelmäßig an seine Grenzen - und darüber." Neru nickte düster. "Ich kann ihn verstehen", seufzte er, "Für ihn muss es wirklich so aussehen, als säßen wir im Sand herum und bekämen immer mal wieder eine göttliche Eingebung, während Siegfried ihn halb tot rackert." "Dabei würden wir ganz sicher verrückt werden, wenn wir hier meditieren müssten, während die Zeit drängt und -" "Ach, wenn du wüsstest, was das bringt...", knurrte Psiana in diesem Augenblick gereizt und mit einem erschrockenen Aufschrei verlor Texomon den Boden unter dem Hintern. So, wie er gesessen hatte, hob er ab, tanzte kurz wie eine Schneeflocke im Wind und blieb dann vier Meter über Psianas Kopf reglos inmitten der freien Luft hängen, hilflos zappelte er mit Armen, Beinen und Schwanz, was jedoch nur zur Folge hatte, dass er sich mehrmals um sämtliche Achsen drehte. Es war, als hinge Texomon im schwerelosen Weltall, mit nicht einmal Luft, durch die man hätte schwimmen können. "Hey, was soll das?", fauchte er erschrocken und schoss eine Stichflamme nach Psiana, die ihn rasch außer Reichweite schweben ließ. "Na?", fragte sie neckisch, "Na? Bringt meditieren nun was - oder nicht?" "Mir bringt es jedenfalls nicht besonders viel...", jammerte Texomon von über ihren Köpfen und warf sich hilflos nach hinten, woraufhin er sich gleich dreimal überschlug. Nerina sah, wie Psianas Flanken zitterten vor Anstrengung, ihre Augen wurden glasig. "Sie hat super Fortschritte gemacht", flüsterte sie Neru zu. Dieser nickte. "Das Kunstst8ck sehe ich jetzt allerdings auch zum ersten Mal", raunte er zurück. Texomon hatte indes nicht aufgehört, sich wild hin und herzuwerfen und dabei ein ordentliches Gezeter zu veranstalten. "Lass mich runter!", fauchte er ein ums andere Mal, "Ich bin kein Spielball!" Dann geschah plötzlich etwas Seltsames. Eine winzige Blase aus tintenblauem Licht entspross seiner wild rudernden Krallenhand. Sie wurde rasch größer, bis sie seinen strampelnden Körper ganz und gar umschlossen hatte. Psiana schrie erschrocken auf und prallte so heftig zurück, dass sie schmerzhaft an den Stamm der nächsten Palme rempelte, während Texomon Kopf voran in den Sand stürzte. Belämmert rieb er sich die Schnauze. "Das war aber nicht besonders nett von dir", grollte er und setzte sich halb auf, "Kannst du nicht ein bisschen aufpassen, wo du deine Sachen hinschmeißt?" "Irgendwas hat meine Psychokinese geblockt!", erwiderte Psiana mehr erschrocken als verletzt, "Da war etwas ganz kaltes in der Verbindung..." "Es nennt sich Schattenschild", stellte Sunny sachlich fest, als beide verblüfft zu ihr hinübersahen, "Es ist eine recht seltene Spezialfähigkeit mancher Wasserpokemon. Hier, in Kanto, gibt es zwar keines, das sie besitzt, aber ich habe davon gelesen, dass manche Wasserpokemon auf anderen Kontinenten dazu in der Lage sein sollen. Aus irgendeinem Grund sind Wasserpokemon häufig zu Psychoattacken in der Lage. Vermutlich haben andere Wasserpokemon den Schattenschild entwickelt, um sich vor ihnen zu schützen. Jedenfalls blockt er Psycho-Attacken, allerdings anders, als es die Unlicht-Pokemon tun. Es ist noch nicht sehr gut erforscht." Unwillig stellte Psiana die Nackenhaare. "Das ist nicht fair!", reklamierte sie, "Jetzt ist er ja schon wieder stärker als ich!" "Och, mach dir nichts draus", brummte Texomon, konnte jedoch seine Erleichterung über diese neuerliche Wendung der Ereignisse kaum verbergen, "Gegen mich brauchst du ja schließlich auch nicht kämpfen." Mit einem aufgeregten Schwanzzucken wandte er sich wieder an Sunny: "Bringt die Fähigkeit denn... viel?", fragte er hoffnungsvoll. Sunny schürzte die Lippen. "Sie blockiert Angriffe", sagte sie übertrieben deutlich, "Das heißt, du bist immun gegen sie, wie auch ein Unlicht-Pokemon das wäre. Zum Angriff nutzen lässt sich der Schattenschild allerdings nicht. Er ist rein defensiv." "Oh, na wenn das so ist...", brummte Texomon, stand schulterzuckend auf und stapfte auf wackeligen Beinen zu Nerina, "Dann lass uns lieber nochmal das mit der Flutwelle üben. Das ist mir irgendwie alles etwas vage..."

Zunächst war Siegfried enttäuscht gewesen über Glutaros Attacken. Tatsächlich schien es keine einzige, wirkliche Attacke zu besitzen, abgesehen von ein paar lahmen Sandstürmen, die seine schlagenden Schwingen aufwirbeln konnten und seinem bloßen Gewicht, das ein kleines Pokemon bei einer Bruchlandung sicher zerquetscht hätte und auch die erwartete Drachenwut blieb weitgehend beschaulich. Dann und wann perlte unter enormer Anstrengung ein wenig blaues Feuer aus seinem Maul, dabei blieb es. Das einzige, was Glutaro konnte, war brüllen. Zunächst klang das merkwürdige Geräusch wie das Quaken eines überdimensionalen Ochsenfrosches, dann wurde es lauter, baute Druckwellen vor seiner Schnauze auf, Druckwellen aus Schall und komprimierter Luft. Während Siegfried noch staunte, hatte eine davon eine komplette Düne um einige Meter verschoben, eine zweite ein kleines Wäldchen entwurzelt und die Bäume wie Zahnstocher durcheinandergewirbelt. "Es muss eine Drachenattacke sein, die unsere heutigen Drachenpokemon nicht mehr beherrschen", hatte Siegfried skeptisch notiert, "Wir wollen sie... den Drachenwind nennen. Lasst uns sehen, wie mächtig er ist..." Wie sich im Laufe der nächsten Tage herausgestellt hatte, war der Drachenwind mächtig. Er konnte Sand und Wasser zu gigantischen Wellen aufpeitschen, Bäume und wahrscheinlich auch Häuser wegblasen und somanchen Felsen oder Berg um ein paar Tonnen Fels erleichtern. Heute Abend jedoch hatte Siegfried mit ihnen eine ganz besondere Übung durchgeführt. "Weiter", kommentierte er nun, als er mit Dragoran neben ihnen in der Luft stand, "Weiter, immer weiter!" Unsicher drehte Glutaro den mächtigen Kopf. Mondlicht rann über seine glänzenden Schuppen wie flüssiges Silber und ergoss sich auf die meterhohen Wellen der sonst so ruhigen See. "Ich weiß nicht...", knurrte er, "Sie sind schon so hoch..." Siegfried ballte die Fäuste. "Hast du Angst vor deiner eigenen Macht, Glutaro?", fragte er abfällig, "Das solltest du nicht! Nerina muss dich dein Leben lang verzärtelt haben! Los, zeig, was in dir steckt! Weiter!" Gehorsam senkte Glutaro wieder den Kopf und brüllte hinab in das aufgepeitschte Wasser. Eine weitere Welle erhob sich, eilte ihren Kameraden nach auf das zerklüftete Kliff zu, auf dessen Gipfel Neru, Psiana und Sunny andächtig ihrer Übung zusahen. "Weiter! Kräftiger!", feuerte Siegfried Glutaro an, "Trau dich! Trau dich deine Kräfte zu entfesseln, Glutaro! Ja, so ist es recht... Und nun, gehe tiefer und brülle, so fest du kannst, über das Wasser dahin. Wir brauchen eine flache Welle, die die anderen ineinander schiebt. Flach und stark, Glutaro! Los!" Nerina krallte unwillkürlich die Hände fester in das Fluggeschirr, als Glutaro sich tiefer sinken ließ und zitternd Luft holte. Seine Flanken bebten unter ihr, mächtige Muskeln spannten sich. Dann brüllte Glutaro - ein letztes, vernichtendes Brüllen, das eine flache und rasend schnelle Druckwelle über das Wasser sandte. Wie Siegfried es vorhergesagt hatte, schob sie die anderen Wellen ineinander, türmte sie zu einer riesigen Flutwelle, einem ganzen Tsunami. Immer höher und höher streckte sich die Wand aus Wasser in den nächtlichen Himmel und über ihr Rauschen meinte Nerina, ihre Zuschauer aufschreien zu hören - oder war es sie selbst, die schrie? Die Welle raste auf das Cliff zu, prallte dagegen und zermalmte die vordersten Felsen zu handlichen Kieseln, ehe sie donnernd in sich zusammenbrach und Glutaro rasch an Höhe gewinnen musste, um nicht von dem zurückströmenden Wasser erfasst zu werden. Außer Atem wandte er sich an Siegfried. "Das war mal 'ne Welle", kommentierte er, offenbar selbst noch ganz benommen. Siegfried nickte zufrieden. "Ja, ich denke, du bist jetzt bereit für euren großen Auftritt übermorgen", sagte er feierlich, "Deine Drachenwut ist mehr ein Totenfeuer, aber mit dem Drachenwind solltest du Gringo gut einheizen können..." "Wahnsinn, dass er so stark geworden ist", sinnierte Nerina, während sie gemächlich den Heimweg zu ihren verängstigten Zuschauern antraten, "Das ist... unglaublich!" "Er hat gut trainiert", versetzte Siegfried und Nerina wurde sich dunkel der Tatsache bewusst, dass dies das erste, echte Lob war, das der Drachentrainer ihnen hatte zuteil werden lassen, "Aber außerdem liegt es wohl auch am Mond", fuhr Siegfried nachdenklich fort, "Er ist fast voll." "Und das hilft?", fragte Glutaro überrascht. Siegfried nickte. "Der Mond und das Meer waren vom Anbeginn der Zeiten her Brüder, Glutaro. Der Mond ist es, der die Gezeiten macht und die Drachen sind in erster Linie Geschöpfe des Meeres. Wie das Meer, zehren auch sie von den Kräften des Mondes. Das ist übrigens auch der Grund, warum du dich immer in Mondlicht hüllst, wenn du zu Glutaro evotierst." Sie erreichten das Cliff und Glutaro ging in einem sanften Bogen neben den drei anderen zu Boden, ehe er sich mit einem silbernen Lichtwirbel in Texomon zurückverwandelte und einfach aus dem viel zu weiten Geschirr stieg, während Nerina schmerzhaft auf den Knien landete. "Das war gut, oder?", fragte Texomon stolz in die Runde. "Zugegeben...", murmelte Psiana und Neru und Sunny nickten nur stumm." Damit sollten wir übermorgen gegen Gringo bestehen können", sagte Neru hoffnungsvoll und Psiana nickte. "Ich hänge ihn in die Luft und du pustest ihn weg", bot sie großzügig an und Texomon nickte. "Na dann", verkündete Sunny feierlich und schüttelte Neru die Hand, "Es war mir eine Freude, euch zu unterrichten und ich hoffe doch sehr, dass ich übermorgen in Edenholzstadt einen tollen Kampf zu sehen bekommen werde!" "Aber lasst bitte auch noch etwas von meiner Arena stehen", ergänzte Siegfried lachend, ehe er Nerina und Texomon je eine schwere Hand auf die Schulter legte. "Um ehrlich zu sein", begann er und es kostete ihn offensichtlich einige Mühe, "War ich dieser ganzen Iramonsache gegenüber nicht gerade zugetan, als die Professoren uns Arenaleiter darauf ansprachen. Ich war der Meinung, dass ein Psycho-, Unlicht- oder Drachen-Pokemon nicht einfach in einer Prüfung entwickelt werden kann. Man kann lernen, Wasser zu spritzen oder Feuer zu speien, aber man kann nicht einfach so lernen, ein Psycho- oder Drachenwesen zu sein. Ich muss mich in aller Form für meine Skepsis entschuldigen. Psiana, Gluvapo - ihr seid Prachtexemplare eurer Familien. Wenn du kein Sonnenwesen bist, Psiana, dann ist es niemand und wenn du kein Geschöpf der vier Elemente und des Mondes bist, Gluvapo, dann habe ich noch keines gesehen. Geht nun! Geht und erobert zurück, was uns gehört, was euch gehört. Euch und allen Kindern Kantos. Eine Zukunft." Damit trat er einen eleganten Schritt zurück und Abra erschien in ihrer Mitte. Stumm und wie auf Kommando traten sie näher, jeder streckte eine Hand oder Pfote nach ihm aus, dann verschwand das Meer, das Cliff und der Sternenhimmel im farbigen Nebel. Als sie sich wieder materialisierten, standen sie im fackelhellen Hof der Bodenarena von Marmoria. Die großen, wuchtigen Tore waren geschlossen und Wachen patrouillierten auf den Zinnen. In der Mitte des Hofes brannte ein prasselndes Feuer und Nerina fühlte sich jäh ins Innere einer mittelalterlichen Burg versetzt - einer belagerten, mittelalterlichen Burg. Mit einem "Braaaaa" löste Abra sich auf, noch ehe Nerina wirklich begriffen hatte, wo sie sich befanden und Ella stürmte mit wehendem Haar auf sie zu. "Gott sei Dank", rief sie, "Da seid ihr ja endlich! Ich hatte dauernd an euch geschrieben, aber ihr wolltet euch ja nicht melden, wir dachten schon -" Sie brach ab, musterte Psiana mit großen Augen und sah dann beinahe ehrfürchtig zu Neru hinüber. "Dann habt ihr es geschafft?", hauchte sie beinahe andächtig, "Ihr habt Sunny gefunden?" "Und nicht nur das", erwiderte Neru stolz, "Sie hat uns auch trainiert! Sieh mal!" Mit einer großen Geste zog er vier Äpfel aus den weiten Taschen des Beduinenmantels, den Sunny ihm gegen die Hitze verordnet hatte und warf sie in die Luft. Psianas Schwanzspitzen zuckten, als sie sie sozusagen auffing, denn sie blieben mitten in der Luft hängen und begannen dann sogar, wie kleine Monde um Nerus Kopf zu kreisen, formten einen Ring, dann eine dreiseitige Pyramide und hüpften schließlich in alle Richtungen davon und wieder zurück, sodass es aussah, als sei Neru ein hochtalentierter Jongleur. Begeistert klatschte Ella in die Hände. "Dann kann sie sogar schon die Psychokinese", kommentierte sie, "Die werden wir übermorgen bitter brauchen..." "Dann habt ihr also auch beschlossen, dass es übermorgen losgeht?", fragte Nerina beruhigt. Ella nickte. "Wir wollten morgen früh ein Video mit der Herausforderung drehen und an Poke-News schicken", erzählte sie, immernoch wie gebannt den tanzenden Äpfeln nachsehend, "Sandy meinte, ihr würdet schon noch kommen..." Ein Apfel näherte sich bedächtig Texomons Schnauze und sprang erschrocken zurück, als dieser zubeißen wollte. Erbost setzte Texomon der widerspenstigen Frucht über den Hof nach und Nerina und Neru warfen sich ein gequältes Grinsen zu. "Das machen sie schon die ganze Zeit", erklärte Nerina schulternzuckend, "Er wird sich nie dran gewöhnen..." "Wie steht es eigentlich bei dir?", fragte Ella nun interessiert an Nerina gewandt, "Warst du bei Breezy?" Nerina schüttelte den Kopf. "Ich hatte gar keine Gelegenheit mehr", versetzte sie seufzend, "Leider... musste uns Siegfried genügen." Ellas Augen wurden groß und rund wie kleine Monde. "Dann hast du... Ist er..." "Das war eine ganz schöne Plackerei!", verkündete Texomon, der endlich seinen Apfel gefangen hatte und stolz in den Pfoten trug, "Diese Äpfel von heute! Ja, und das andere auch", setzte er noch hinzu, als Ella ihn fragend anblickte. Ella brach in leises Lachen aus. "Dann kannst du jetzt fliegen, ja?" Er nickte stolz. "Soll ich ...?" Doch Nerina legte rasch einen Arm um ihn. "Nein!", rief sie rasch und mit einem vielsagenden Blick auf die hohen Mauern, die Feuer, die Tische und Bänke und vielen Menschen, "Nein, ich glaube, wir zeigen Ella Glutaro ein anderes Mal. Es ... wäre doch schade, wenn Sipho gar nicht dabei wäre, oder?"

"Habt ihr schon eine Ahnung, was auf dem Video drauf sein soll?", fragte Nerina Ella und Sipho, als sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch saßen. Sandys Leute hatten großartig aufgetischt und trotz der Anspannung und ihrer Nervosität hatten die Zwillinge und ihre Iramon ordentlich zugelangt und Schinken, Eier, Obst und all die anderen Leckereien genossen, auf die sie in der Wüste hatten verzichten müssen, denn Sunny und Siegfried schienen vollauf mit Zwieback, Pökelfleisch und ein paar getrockneten Streifen Kokosnuss zufrieden zu sein. Nun balgten Texomon und Raichu sich fröhlich in einer Ecke des Raumes, während Taubsi auf dem Tisch herumhopste und Krümel aufpickte. Psiana hielt die Augen geschlossen und tat, als Tagträume sie vor sich hin, doch entging Nerina keineswegs, wie sich Stück für Stück das dreckige Geschirr in die Lüfte erhob und munter hinüber zur Spüle trudelte. "Dein Psiana ist echt praktisch", brummte Sipho mit noch vollem Mund, ehe er sich an Nerina wandte. "Naja, wir dachten, dass wir uns einfach alle nebeneinanderstellen, die Iramon vor uns und dann tritt jemand einen Schritt vor und sagt ein Sprüchchen auf, sowas wie: 'Wir, die vier neuen Iramon-Trainer Kantos fordern am morgigen Tage Gringo in der Drachenarena in Edenholzstadt zum Kampf heraus' oder so." "Hm, nicht ganz schlecht, aber irgendwie so... unspektakulär", entgegnete Nerina und kaute nachdenklich an einem letzten Stückchen Melone, "Wie wär’s mit: 'Für die Zukunft aller kommenden Pokemontrainer Kantos fordern wir, die vier Iramon-Trainer den selbsternannten Herrscher der Pokemonwelt -" "Hui, bleib mal auf dem Teppich!", brummte Neru belustigt, "Ich denke, Siphos Spruch ist schon nicht schlecht, aber wir könnten einen spektakulären Hintergrund wählen, wie die Regenbogenwüste oder die Vulkane von Zinobia oder so." "Und wo sollen wir den hernehmen?", fragte Ella und zog belustigt die Nase kraus, "Euer Abra ist ja wohl irgendwie abhanden gekommen und einfach so zu Fuß die Arena zu verlassen wäre Unsinn!" "Probieren wir es doch einfach mal", schlug Nerina seufzend vor, "Wo ist die Kamera?" Sipho deutete auf ein bereits aufgebautes Stativ auf der Küchenanrichte. "Wir dachten, wir tragen den Tisch raus und stellen uns vor die weiße Wand da." Mit vereinten Kräften wuchteten sie den Tisch und die Stühle beiseite und Sipho und Ella räumten die letzten Spuren des gemütlichen Esszimmers fort, während Neru die Kamera justierte und Nerina die Vorhänge zuzog. Dann stellten sie sich alle Schulter an Schulter vor der Wand auf, Neru mit Psiana neben sich ganz links, Sipho mit Nidoran und Ella mit Taubsi an ihren Füßen neben ihm und Nerina ganz rechts, die Texomon mühsam vor sich zu drängeln versuchte. "Ich will nicht ganz alleine in der ersten Reihe stehen!", motzte er, doch da ließ Psiana die Erbse, die über dem Auslöser geschwebt hatte fallen und die Kamera schaltete auf Empfang. Nerina spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Einige Sekunden lang wechselten sie unentschlossene Blicke, dann trat Ella so abrupt nach vorn, dass Taubsi sich mit einem Satz in Sicherheit bringen musste. "Wir, also die vier Iramon-Trainer Kantos fordern Gringo hiermit zum Kampf heraus", sagte Ella ein wenig unsicher in die Linse, "Morgen um zwölf, in der Drachenarena in Edenholzstadt!" Die Kamera wackelte, dann hopste die Erbse erneut und das Projektil fuhr zu. Alle acht brachen sie in unsicheres Gelächter aus. "Also, das war ja mal gar nichts", prustete Sipho, "Klang, als würdest du Werbung für einen Film machen, so wie 'Der finale Kampf - ab Dezember, nur hier im Kino!'" Ella rammte ihm wütend einen Ellenbogen in die Seite. "Immerhin haben wir jetzt was zum Auswerten", schnappte sie, stapfte zur Kamera und ließ den Film abspielen. Nerina spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, als sie sah, wie unsicher sie alle herumdrucksten und wie Texomon und sie immernoch um den Stehplatz in der ersten Reihe rangelten. "Es sieht aber echt so aus, als wäre Texomon unser Frontsprecher", sagte Neru in diesem Augenblick, "Er ist einfach viel größer als die anderen. Er sollte lieber neben dir stehen, Nerina." "Und Taubsi solltest du lieber auf die Schulter nehmen, Ella", warf Nerina ein, als Ella dem armen Taubsi beinahe auf den Flügel trat. Ella nickte rasch. "Und Sipho sollte Nidoran auch neben sich stellen, am besten tauscht ihr beide die Plätze, Neru." "Aber wo stehe dann ich?", fragte Psiana verdrießlich, "Ich bin viel größer als Nidoran!" "Wie kommt’s überhaupt, dass du nicht Evoli bist?", brummte Texomon in diesem Augenblick, "Seit der Drachenprüfung hab ich dich nicht mehr als Evoli gesehen!" "Oh, wirklich?" Verlegen kratzte Psiana sich mit der Hinterpfote die Wange, "Nun, ich weiß auch nicht. Psiana fühlt sich... irgendwie gut an!" "Für das Video solltest du trotzdem Evoli werden", sagte Neru beschwichtigend, "Dann sieht Gringo nicht gleich unseren Trumpf im Ärmel und du kannst auf meiner Schulter sitzen." "Na dann, Klappe die zweite", verkündete Sipho und steckte die Kamera auf ihr Stativ zurück, "Und vielleicht sollten wir den Spruch doch nochmal etwas dramatischer machen." "Na fein, ich versuchs", nickte Ella ergeben und fuhr kurze Zeit später an die Kamera gewandt, fort: "Im Namen aller zukünftigen Pokemontrainer Kantos fordern wir, die vier Iramon-Trainer, den sogenannten Obersten Trainer und selbsternannten Herrscher über die Pokemonliga Kantos zum Kampf heraus. Er hat sich mit unrechtmäßigen Mitteln in sein Amt erhoben und sein Regiment gefährdet die Grundzüge der ... ähem... Gesetzgebung der Liga, deren Grundsäulen Gerechtigkeit und Wettbewerb sind. Wir fordern Gringo auf, ... also... Wir fordern ihn dazu heraus, uns morgen in einem fairen Wettkampf in der Pokemonarena von Edenholzstadt zu begegnen und ... ja und... und diesen Kampf über die Zukunft Kantos entscheiden zu lassen. So." Mit schweißnassem Gesicht stürmte sie zur Küchenanrichte und knipste die Kamera aus. Nerina, Texomon und die anderen applaudierten verhalten. "Super Rede", lobte Nerina sie überrascht, "Woher kannst du sowas?" "Och, wenn man 'nen Professor als Opa hat, lernt man das", druckste Ella herum und sah prüfend ihren Bruder an. Dieser legte den Kopf schief. "Die Zeit fehlt", sagte er schroff, "Und die ganzen ähems müssen noch raus, aber ansonsten ganz passabel." Ella schnitt ihm eine Grimasse. "Ich komme einfach immer durcheinander, wenn fünf Evolis hinter der Kamera Polka tanzen und dauernd Flammenzungen ins Bild zucken!" "Ich wollte bloß das Drama unterstreichen!", protestierte Texomon. "Das ist dramatisch genug", sagte Nerina rasch und legte ihm eine schwere Hand auf die Schulter. Sie hatte das Feuer nicht einmal bemerkt. "Dann probieren wir's nochmal", sagte Neru rasch, "Ella, kriegst du das nochmal zusammen?" "Was hab ich denn gesagt?" Seufzend spulte Sipho den Film zurück.

Es dauerte noch geschlagene sieben Versuche, bis einjeder mit Ellas Rede, den Lichtverhältnissen, ihrer Körperhaltung und nicht zuletzt dem eigenen, dämlichen Gesicht zufrieden war und nachdem sie das fertige Video endlich an Professor Eich geschickt hatten, der es den Nachrichtensprechern von Poke-News, dem größten Nachrichtensender, weiterleiten wollte, war es bereits Mittag und allmählich stieg die Anspannung ins Unermessliche. Ella schlug vor, noch eine kleine Runde in der Arena zu trainieren und eine Weile lang sahen sie zu, wie Psiana wahlweise Steine, Sand oder auch mal Raichu durch die Luft fliegen ließ, dieser dann mit Elektroschocks konterte und sich immer mal wieder von einem Psystrahl durch die Luft wirbeln ließ. Zu allem Übel flitzte Arkani durch den aufgewühlten Sand und versuchte, Kramurx zu jagen, doch keiner von ihnen wollte sich so recht konzentrieren, sodass sie das Training bald abbrachen. "Ehe sich noch einer wehtut", seufzte Ella, sammelte ihr Taubsi auf, das versehentlich von Raichus Donnerschock geröstet worden war und schlurfte mit hängenden Schultern hinaus auf den Hof. Nerina folgte ihr, einen quengeligen Texomon im Schlepptau. "Ich will schwimmen!", jammerte er, "Das Meer hat mir schon immer geholfen und in dem ganzen, verdammten Haus gibt es nichtmal 'ne Badewanne!" Nerina lächelte nervös, als sie seine Krallenhand drückte und schweigend bugsierte sie ihn auf die Bank am Feuer, auf der auch Ella sich niedergelassen hatte. Eine Weile starrten sie stumm in die prasselnden Flammen, dann sagte Ella leise und ohne aufzublicken: "Dann geht es also morgen los... Unglaublich, oder? Ich kann mich noch sogut daran erinnern, wie wir in Eichs Garten saßen und die Iramon wählen sollten... Ich habe euch beiden damals für... ein bisschen dämlich gehalten... und Texomon für etwas, was es gar nicht geben dürfte... Wie kurzsichtig ich damals noch gewesen bin und dabei ist es erst drei Monate her..." "Und ich hab dich für ganz schön eingebildet gehalten, dabei hätte ich noch so viel von dir lernen können", entgegnete Nerina mit einem nervösen Lachen. Wieder entstand eine kurze Pause, dann fragte Nerina leise: "Meint ihr, wir können es schaffen?" "Wir werden unser bestes geben!", sagte Taubsi fest und Texomon ergänzte: "Wir sind schon mit soviel fertig geworden!" "Trotzdem habe ich ein bisschen Angst", gestand Ella, "Nicht nur vor Gringo, sondern auch vor den vielen Leuten, die zuschauen werden. Opa hat geschrieben, dass er, Eich und eure Eltern auch kommen werden, Nerina - und dann all die Arenaleiter und so viele andere, die uns geholfen haben, die auf uns zählen..." "Die ganzen Trainer, die uns damals in Marmoria geholfen haben", fügte Nerina hinzu, "Und Mando. Wie geht’s ihm eigentlich?" Ihr Herz sank ihr in die Hose, als Ella wegsah. "Sie haben ihn aus dem Krankenhaus geholt", sagte sie leise, "Zwei Ärzte waren plötzlich Team Rocket Mitglieder. Sie haben ihn mitgenommen..." "Was für ein Ärger, dass wir damals noch kein Psiana hatten", seufzte Texomon, "Ihre Vitalglocke ist klasse, die weckt Tote auf!" "Vitalglocke?", fragte Ella überrascht, "Ich dachte, die lernt sie gar nicht...?" Gerade hob Nerina an, zu erklären, dass Psiana die Vitalglocke als eine Art Bonus-Attacke bei der Evotation erhalten haben musste, als besagtes Psiana in weiten Zickzacksätzen über das Pflaster geflitzt kam, unsichtbaren Attacken ausweichend und sich wild hin und herwerfend. "Nein! Nicht die Pilze!", rief sie schrill, "Nicht meine schönen lila Frühstückspilze! Nun nimm endlich diese hässliche Zunge weg! Das ist ja ekelhaft! Hilfe! Ein Schiff! Na wo kommt das denn nun schon wieder her? Vorsicht! Alle ducken! Es sinkt! Es... verwandelt sich in rosa Seifenblasen! Ohhhh!" Mit einem langen Satz sprang sie über das Feuer, knallte gegen Nerinas Bein und blieb schweratmend liegen. Besorgt beugten sie, Texomon und Ella sich zu ihr hinab. "Geht’s dir gut?", fragte Nerina perplex. "Der Stress muss ihr auf den Verstand geschlagen haben! Oh nein!", flüsterte Ella, da kam schlussendlich auch Neru mit langen Schritten über das Pflaster gespurtet. "Psiana! wo steckst du? Bleib stehen!", keifte er und ließ sich dann schwer neben ihnen nieder, als Nerina auf das zusammengerollte Psiana deutete. "Was ist mit ihr?", fragte sie skeptisch, "Ist sie... gaga?", fragte Texomon. Neru schnitt ihm eine Grimasse. "Nein! Sie musste unbedingt die verfluchte Konfusion üben und das auch noch vor einem Spiegel! Hätte mir ja denken können, dass das nach hinten losgeht!" "Wer geht nach hinten?", fragte Psiana matt vom Boden, "Oh und bringt er Kekse mit?" "Also, du solltest jetzt reingehen und dich ausruhen", sagte Texomon ernst und deutete auf die breite Flügeltür, "Wird dir guttun..."

Der Nachmittag zog sich unnatürlich in die Länge und einer nach dem anderen folgte Psianas Beispiel, doch während Taubsi und Nidoran freiwillig einsahen, dass sie ins Bett gehörten, flitzte Texomon wie ein aufgescheuchtes Huhn durch Hof, Arena und Gänge und Nerina musste ihn dauernd davon abhalten, die Regenrinne hinaufzuturnen, diverse Treppengeländer als Rutsche zu missbrauchen oder Sandys kleines Bad zu fluten, um ein Schwimmbecken herzustellen. Irgendwann war sie verzweifelt genug, ihn bei den Holzhackern abzugeben, die ihn geduldig dicke Stämme in Sägemehl zertrümmern ließen. Als endlich die Sonne hinter den Horizont sank, schien die Spannung beinahe greifbar. Neru kam, um ihnen bescheid zu sagen, dass ihr Video nun im Fernsehen laufen würde, doch Nerina schüttelte den Kopf. "Ich will es nicht sehen", flüsterte sie und drückte seine Hand so fest, dass seine Finger kalt wurden, "Ich halte das nicht mehr aus! Was meinst du, Neru? Können wir es schaffen? Sind Texomon und Evoli stark genug? Sind wir stark genug? Oh, und was, wenn wir verlieren? Vater wird so enttäuscht sein!" "Ich denke, das wird er nichtmal", entgegnete Neru sanft, "Er und die anderen wussten, dass wir nur ein Versuch sind und sie wissen, dass wir unser Bestes gegeben haben..." Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich auf die Zinne neben derjenigen sinken, auf der Nerina nun schon seit einer geschlagenen halben Stunde hockte, den halb schlafenden Texomon im Arm und gemeinsam starrten sie eine ganze Weile lang in den Hof, ohne ihn wirklich zu sehen. Viele Lichter kleinerer und größerer Feuer flackerten vor sich hin und warfen ihr warmes Licht an die Wände des Burghofes. Der Geruch von gegrilltem Fleisch und frischgebackenem Brot stieg zu ihnen herauf und die vielen Stimmen der herumeilenden Menschen verschmolzen zu einem angenehmen Summen. "Es ist, wie in einem Traum, oder?", fragte Neru nach einer Weile und Nerina nickte stumm. "Hätten wir uns das jemals träumen lassen, dass wir mal etwas so besonderes sein würden?" "Aber trotz dem ganzen Stress hätte ich nicht tauschen mögen", entgegnete Neru fest und wieder nickte Nerina heftig. "Ich würde Texomon für nichts auf der Welt mehr eintauschen und egal, was morgen geschieht, ihn kann Gringo mir nicht wegnehmen! Trotzdem komisch", fügte sie nach einer Weile hinzu, "Dass unsere große Reise morgen vorüber sein soll, oder? Da sind wir soviele Tage durch die Gegend gelaufen, haben so verrückte Prüfungen und so viele Kämpfe hinter uns gebracht... und morgen soll all das einfach vorbei sein? Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein wird, wieder ein normales Leben zu führen..." "Oh, das wirst du kaum", antwortete Neru lächelnd, "Du gehst schließlich zu Dew in die Lehre!" Nerina nickte langsam, wobei ihr leise zu dämmern begann, dass sie in all der Aufregung vergessen haben musste, Dew ihre Zusage zu schicken. "Und du?", fragte sie langsam, "Wohin wirst du gehen? Willst du immernoch Pokemon-Champion werden, wie wir es uns immer erträumt haben?" Doch Neru schüttelte lachend den Kopf. "Nein, ich habe meine beste Pokemonreise schon erlebt und das beste Pokemon, das ich mir nur wünschen kann. Nein, ich möchte Forscher werden, wie Vater. Unsere langen Streifzüge und das Lernen über die Pokemon haben mir von Anfang an mehr Spaß gemacht, als das Kämpfen selbst und Evoli ist der perfekte Begleiter dafür." Eine Weile lang sahen sie einander schweigend an, plötzlich begreifend, dass ihre Kindheit sich heimlich und über Nacht verabschiedet haben musste - ohne, dass einer von ihnen es auch nur bemerkt hätte. "Ich werd dann jetzt mal schlafen gehen", sagte Neru dann und stand auf, "Psiana ist zwar wieder fit, aber ich will nicht, dass sie aufwacht und allein ist..." Mit einem raschen Nicken verschwand er um die Ecke in seinem Turmzimmer. Kaum war er verschwunden, als Texomon träge den Kopf hob und zu ihr aufsah. "Warst du eigentlich zufrieden mit mir?", fragte er leise, "Wirst du... sehr enttäuscht sein, wenn wir morgen verlieren?" "Aber Texomon!", hauchte Nerina, der plötzlich Tränen in den Augen brannten und noch ehe sie sie zurückhalten konnte, schien all die Anspannung sich endlich einen Weg nach draußen zu bahnen. Texomon sah sie besorgt an und als eine Träne auf seiner Schnauze landete, fing er sie geschickt mit der Zunge und schien prüfend zu schmecken. "Salzig, wie das Meer", sagte er fasziniert und durch ihre Tränen musste Nerina lächeln. "Oh, Texomon!", sagte sie so warm wie selten, "Durch dich hab ich soviel gelernt, soviel Schönes und soviel Tröstendes und ich habe es immer so genossen, die Welt durch deine Augen zu sehen, dir Dinge zu erklären und kleine Spiele zu erfinden! Ich will dich um nichts in der Welt hergeben, Texomon und egal, was morgen passiert, ich bin stolz auf dich!" "Ich werde alles geben, was ich habe, Nerina!", versprach Texomon feierlich, "Weil ich euch helfen und allen beweisen will, dass Gluvapo noch lange nicht tot ist! Aber vor allem will ich es für dich tun, Nerina! Du hast mir so oft geholfen, hast extra Trainings für mich gemacht, weil ich so übermütig war, hast mich verstanden, sogar in diesem Einkaufsladen und später, als ich mit dem Feuer nicht zurecht kam. Ich möchte dir so gerne für alles danken und deshalb kämpfe ich morgen für dich! Alles wird gut werden! Verlass dich auf mich!" "Ja", flüsterte Nerina fest und nahm stolz seine Hand, "Alles wird gut werden! Lass uns ganz fest daran glauben!"
 

>>>Neru<<<
 

Mit einem leisen Plopp erschienen die vier Iramontrainer in der Arena. Das Plopp war ein sehr leises Plopp, ein Plopp, mit dem Seifenblasen platzen würden. Doch seine Wirkung war sehr viel größer. Im ersten Moment wurden sie noch nicht entdeckt und konnten sich in Ruhe in der Arena umsehen. Die Arena der Drachenpokemon war größer als alle anderen und die Tribünen umschlossen sie komplett. Zwei kleine Podeste waren am Rande der Arena aufgestellt worden, um den Kämpfenden einen größeren Überblick zu gewähren und den Pokemon ihre Kommandos oder Ratschläge zu erteilen. Der Arenaboden wurde durch eine Mittellinie zwischen den beiden Podesten geteilt. Auf der einen Seite befand sich normaler, staubiger und sandiger Boden, auf der anderen ein großes Becken mit Wasser. Die Tribünen rund um den Kampfplatz waren voll besetzt und hier passten locker tausend Menschen hinein. Neru konnte den Anklang, den dieser Kampf haben musste, nur zu gut verstehen. Immerhin waren sie die ersten seit langer Zeit, die Gringo herausforderten und die Geschichten von ihren Abenteuern und Taten hatten in ganz Johto und Kanto die Runde gemacht, doch wäre es Neru in diesem Augenblick, als sich alle Augenpaare auf sie richteten und ein großes Jubelgeschrei anhob, doch lieber gewesen, wenn nicht so viele Leute an den Pokemonkämpfen Interesse gefunden hätten. Inmitten der Menschen konnte Neru die Professoren Lind und Eich, sowie ihre Eltern und ein paar der Arenaleiter entdecken. Das Abra, das sie sich von Sunny ausgeliehen hatten, war bereits wieder verschwunden, sodass es für die meisten Zuschauer so aussehen musste, als wären die vier Trainer einfach aus dem Boden gewachsen. Neru versuchte, den Kopf möglichst hoch zu tragen und nicht rot zu werden. Evoli, die er im Arm hielt, ließ ganz schnell den Kopf unter ihrem buschigen, braunen Schwanz verschwinden. Da ist Evolis Form dann doch nochmal praktischer, dachte Neru und der Gedanke heiterte ihn für einen Moment auf, doch seine Beine zitterten und er versuchte, sich ganz auf die Arena zu konzentrieren. Sipho stand da mit einem eisigen Gesicht, als könne sein Blick selbst Gringo vereisen, während Ella und Nerina zu den Indianern zu konvertieren schienen und ihre Gesichter die Farbe von Tomaten annahmen. Texomon hielt sich scheu hinter Nerinas Rücken verborgen, von Nidoran konnte Neru überhaupt nichts mehr sehen und Taubsi machte sich so klein wie möglich. "Kommt schon", meinte nun Ella aufmunternd. Sie hatte ihr Gesicht offenbar noch nicht gesehen. "Wir müssen vortreten und wenigstens stark aussehen." Neru straffte seine Schultern. "Ich fühl mich aber gar nicht stark", erwiderte Evoli. "Reiß dich zusammen", zischte ihr Texomon zu. "Streck deine Federn, Taubsi und du, komm da raus, Nidoran!", zischte er weiter, "Wir sind Iramon. Wir haben noch jeden Kampf bestanden! Der Heutige ist ein Klacks! Zeigen wir denen, was eine Harke ist!" Damit trat er entschlossen einen Schritt nach vorn und angetan von seinem Beispiel folgten ihm die anderen Iramon mit hoch erhobenem Haupt. Neru sah ihnen mit Stolz in der Brust nach, doch auch mit einem leichten Zweifel. War es richtig, Gringo jetzt schon herauszufordern? Immerhin war er seit über einem Jahr unbesiegt und kein Trainer hatte es im letzten Jahr gewagt, ihn herauszufordern. Waren sie wirklich schon bereit, es mit seinem Mega-Iramon aufzunehmen? Zu viert hatten sie eine Chance. Ein Raunen ging durch die Menge, als die vier Trainer vor dem Podium Aufstellung nahmen und sich die vier Iramon, Texomon in der Nähe des Wassers, Evoli am anderen, äußeren Ende mit Taubsi und Nidoran in der Mitte, in der Arena aufstellten. Sie waren bereit, ihre Herausforderung wahr zu machen. Sie waren nun bereit, den Kampf gegen Gringo aufzunehmen, gegen die Nummer Eins der Pokemonwelt. Die vier Iramontrainer mussten nicht lange versuchen, stark auszusehen. Am anderen Ende der Arena öffnete sich ein großes, mit Gold beschlagenes, zweiflügliges Eichentor zur Arena hin und ein einzelner Mann mit einem so klein und schwach wirkenden Snobilikat erschien in dem so groß und dunkel anmutenden Tor. Langsam und mit gemessenem Schritt kam er aus dem Tor geschritten und betrat ebenso wie die Iramon den Kampfplatz. "Ihr nennt mich unfair und einen Unterdrücker?", rief er laut über den Kampfplatz hinweg zu ihnen hinüber, "Und doch wollt ihr mit vier gegen einen antreten?" Unsicher sahen sich die Iramontrainer an. Gringo hatte Recht. "Ich fordere nur einen ehrlichen und fairen Kampf", erklärte der rechtmäßige Champion der Liga, "Einen eins zu eins Kampf scheint mir angemessener, wenn ich die Sache richtig sehe." Ein Raunen lief durch die Menge. Die Iramon kehrten zu ihren Trainern zurück. "Irgendetwas stimmt mit diesem Snobilikat nicht", erklärte Evoli, "Ich höre Stimmen." "Du leidest nur noch an deiner Konfusion", erklärte Texomon verschnupft, "Wollen wir anfangen, Nerina?" Nerina wirkte verunsichert. "Nein! Wir fangen an!", erklärte Ella, die nun rot vor Wut im Gesicht war, "Dem Kerl geb's! Mich einen unfairen Kämpfer nennen!" Neru beugte sich hinunter zu Evoli. "Was meinst du damit?", fragte er, "Was stimmt denn nicht mit Snobilikat?" "Die ganze psychische Front ist voll mit Stimmen. Ich glaube, wir können es schaffen. Ich hab da eine Idee." Neru sah sein kleines und immer so schwaches Evoli an. Er seufzte. "Evoli ist sich sicher, dass etwas mit Snobilikat nicht stimmt", erklärte Neru nun mit fester Stimme an die anderen gewandt, "Sie glaubt, dass wir das zu seinem Nachteil nutzen können, und ich vertraue ihr damit. Ich würde gerne den ersten Kampf wagen. Wenn wir verlieren, seid immer noch ihr anderen da und wir haben noch Glutaro." "Evoli beherrscht die Schnell-Evotation. Vielleicht klappt es", murmelte Ella. "Sie kann Psiana", gab Sipho zu bedenken. "Und sie hat viel gelernt!", erwiderte Nerina, "Also gut, Neru. Dann lass es krachen!" Nerina und Ella umarmten ihn noch einmal abschließend und sogar Sipho gab ihm einen Klaps auf die Schulter. "Mach ihn platt!", zischte er ihm ins Ohr, "Wir drücken euch die Daumen!" Damit warf er Evoli einen vielsagenden Blick zu und verließ mit den anderen den Kampfplatz, während Neru allein auf das Podest kletterte, auf dessen gegenüberliegender Seite der Arena ebenfalls Gringo auf sein Podest stieg. Die beiden Pokemon wirkten irgendwie verloren in der Weite dieser riesigen Arena, doch schritten sie entschlossen nach vorn und nahmen beide auf dem trockenen Streifen neben dem Wasser ihre Aufstellung. In Nerus Geist überschlugen sich die Gedanken. Was hörte Evoli denn da für Stimmen? Hatte ihr die Konfusion mehr zugesetzt, als es den Anschein gehabt hatte, oder hatte sie tatsächlich einen Plan? Für eine endlose Weile standen sich die beiden Kontrahenten in der Arena gegenüber. Neru wurde mit einem Schlag klar, dass die beiden Iramon ihr Timing würden selbst wählen würden und, dass seine Position als Trainer bestenfalls noch eine Formale war. Evoli war zu intelligent und mit der Geschwindigkeit, mit der sie in der Lage war, ihre Gestalt zu wechseln, konnte er nichtmal vom Sehen her mithalten, wie sollte er da Befehle geben können? Ein jeder Befehl würde sie nur aufhalten und ihr die essentielle Geschwindigkeit, die ihr großer Vorteil war, nehmen. Mit einem unsicheren Gefühl im Bauch wartete Neru, wissend, dass er am weiteren Verlauf kaum noch etwas ändern würde können. Wann hatte er Evoli das letzte Mal überhaupt Ratschläge in einem Kampf gegeben? Das musste noch in der Wasserarena gewesen sein. Kaum zu glauben, dachte er bei sich, wie lange das schon her ist. Wie lange das schon vergangen ist. Neru schloss für eine Sekunde die Augen und konnte wieder deutlich vor sich sehen, wie Evoli über die Welle hinwegsprang und in den Angriff überging. Der Kampf damals war auch verzweifelt gewesen. Als Neru die Augen wieder öffnete, hatten Snobilikat und Evoli damit begonnen, sich zu umkreisen und sie schienen peinlich genau auf jede Bewegung des Anderen zu achten, auf einen unachtsamen Moment zu warten. Auch den Kampf in der Wasserarena hatten sie bestritten und hatten ihn geschafft. Warum sollte das diesmal anders werden? Als Neru zu diesem Schluss kam, sah er über die Arena hinweg, in die Augen seines Kontrahenten, des Unterdrückers und Alleinherrschers der Pokemonwelt. Er sah direkt in Gringos Augen und konnte Häme und Siegesgewissheit darin funkeln sehen. Er würde noch sehen, dass er sie unterschätzt hatte, dachte Neru. In diesem Moment geschah es. Beide Kontrahenten begannen, sich in Evotationsblasen zu hüllen und leuchteten in grellen Farben auf. Ein greller Donnerblitz zuckte quer durch die Arena, doch Folipurba war einen Augenblick schneller und Dutzende von Blättern schossen unter dem Strahl aus grellem Licht hindurch auf ihren Angreifer zu. Doch bevor die Blätter auch nur ihr Ziel erreichen konnten, leckte eine riesige Flammenzunge nach ihnen und Evoli wechselte erneut die Gestalt, nur, um die Flammenstöße in einer gigantischen Flutwelle zu ertränken. Doch das Wasser leitete die elektrischen Energien sehr gut und auch Evolis Kontrahent schien das zu wissen. Mit einem wilden Sprung und einem violetten Leuchten sprang Psiana über das Wasser hinweg, um nicht von dem elektrisch geladenen Wasser berührt zu werden, und feuerte einen langen Psystrahl auf ihren Kontrahenten ab. 'Oh mein Gott!', schallte es in Nerus Kopf und Neru erkannte die Stimme seines Iramon. Doch schon ging das wilde Verwandeln und Attackenschleudern weiter. Gringos Snobilikat wechselte die Gestalt genau so schnell wie Evoli. Es wechselte ab zwischen Arkani, Elektek, Jugong, Garados und auch einmal kurz Mewtwo, der den Psystrahl von Psiana einfach aus der Luft pflückte und ihn gegen sie zurücklenkte. Nur um Haaresbreite gelang es dem kleineren Psychopokemon, ihrem eigenen Strahl auszuweichen und sie konterte mit einer weiteren Flutwelle, auf der Jugong einfach emporritt und ihr einen Eisstrahl entgegenwarf. Dieser jedoch wurde wieder von Psianas Psystrahl aus dem Weg geschleudert und ein Hagel von Blättern ergoss sich über das immernoch schwimmende Jugong, das einen Augenblick benötigte, um einen Eissturm heraufzubeschwören, der Folipurba das Fürchten lehren sollte. Neru verlor in dem ganzen Gewirr aus Attacken, Leuchten und Evotationen die Übersicht. Die Attacken folgten so schnell aufeinander und die beiden Kontrahenten schienen sich in einem abgedrehten und brandgefährlichen Kampf zu befinden. Schon ein Fehler konnte die Sache entscheiden. Doch Snobilikat hatte mehr Erfahrung und konnte auf die Kraft seiner Mewtwo-Entwicklung bauen. Eine Kombination aus einem Eissturm und einem Sandwirbel verdeckte für einen Augenblick die Sicht und der gewaltige Blitz von Elektek, der nun durch die Arena fauchte, hob Psiana von den Füßen und schleuderte sie einige Meter weit durch den kalten Sturm und in den Staub des Arenabodens. Elektek ließ höflich von ihr ab, verwandelte sich zurück in Snobilikat und schritt gemessenen Schrittes zurück zur Mitte der Arena. Psiana sprang fauchend auf, sträubte ihr Fell und ihren Schwanz und schritt ebenso gelassen auf das kleine Snobilikat zu. 'Etwas stimmt da nicht', erklärte Psiana noch einmal in Nerus Kopf, 'Es sind viele Stimmen im Raum. In Snobilikats Kopf!', ergänzte sie, 'Sie streiten und sind sich uneins. Doch eine Stimme steht über den anderen und befiehlt.' Neru schüttelte verwirrt den Kopf. Kamen diese Worte wirklich von Psiana? Sie ließ sich überhaupt nichts anmerken und ließ sich keck vor Snobilikat auf den Hintern sinken. Ein Leuchten ging von ihren Augen aus und plötzlich war Snobilikat umrundet von Dutzenden von Psianas, die langsam begannen, um sie herum im Kreis zu schweben. Neru hörte, wie Sipho nach Luft schnappte, als alle Psianas sich gleichzeitig nach vorne stützten und aus allen zugleich ein feiner, goldener Strahl, schneller als ein Gedanke, auf den Edelstein auf Snobilikats Kopf zuflog. Die Attacke schien Snobilikat nichts auszumachen, doch begannen Teile seines Körpers auf einmal, wild zu zucken. Plötzlich war die Luft über der Arena erfüllt von Lauten, Kreischen und Brüllen ertönte in den Namen der unterschiedlichen Pokemon, die Gringos Snobilikat schon in die Arena geführt hatte, aber auch das mächtige Rufen von anderen, die wild durcheinander schrien. "Beruhigt euch!", rief eine Stimme über die anderen hinweg. "Verwandel dich, Snobilikat! Mach Platz für Dragoran!", rief die Stimme. Das Zucken in Snobilikats Körper wurde stärker, der goldene Strahl wurde langsam dichter und das Zucken endete. Die Stimmen wurden leiser und dafür erhob sich ein anderes, zartes Stimmchen. "Snobi Snobilikat", erklärte es ganz leise und zaghaft. "Ich werde dir helfen", erklärte Psianas Stimme nun laut, "Du sollst nicht länger unterdrückt werden von dem Willen der anderen." Der goldene Strahl verdickte sich weiter und ein violettes Glänzen erhob sich. "Deine Evotation ist blockiert!", fuhr Psiana fort, "Wenn du willst, helfe ich dir, ich gebe dir die Kraft, die Störenfriede aus deiner Seele herauszubekommen." Der Strahl wurde dicker und das violette Leuchten nahm zu. Langsam verdrängt der violette Strahl den Goldenen. Snobilikat schloss die Augen und schien zu wachsen. Psianas Doppelgänger begannen zu flimmern und dann stand sie wieder alleine in der Arena, mit Snobilikat durch den goldenen Lichtstrahl verbunden. Plötzlich verstand Neru, verstand die ganze Tragweite dessen, was Psiana vorher gesagt hatte. Er verstand nun, was geschehen war. Die Evotationen von Snobilikat waren gar keine echten Evotationen, sondern nichts weiter als ein Gefängnis. Wie viele Pokemon musste Gringo in Snobilikats Seele gesperrt haben? Was musste das für sie für ein erdrückendes Gefühl sein, so von anderen kontrolliert zu werden? Von anderen Geistern wie Mewtwo, die ihren gesamten Geist vereinnahmen mussten und ihr die Kontrolle entrissen. Nun entlud sich das ganze monströse Potential, das in Snobilikats Geist getobt hatte. Wilde Lichter brachen aus seinem Geist hervor und die Luft war erfüllt von materialisierenden Körpern. Glurak und Dragoran, Garados und Turtok erschienen. Über ein Dutzend weiterer Lichtpunkte begannen sich erst jetzt zu materialisieren. Doch je mehr Punkte aus Snobilikat herausbrachen, desto schneller schien es zu gehen. Der Lichtstrahl wogte unablässig zwischen den beiden auf und Neru konnte sehen, wie Psiana anfing zu zittern und sich ihr Fell nass von der Anstrengung verfärbte. Mit einem gewaltigen Blitz brach ein Lichtpunkt heller als alle vorhergegangen aus Snobilikat hervor und schlug mit der Gewalt eines Erdbebens genau zwischen Psiana und Snobilikat ein. Der Lichtpunkt wurde für den Bruchteil einer Sekunde unterbrochen. Dann brach Snobilikat zusammen und ein zweibeiniges Wesen mit einem violetten Schwanz und blau glühenden Augen stand da und hielt den Lichtstrahl von Psiana in seinen Händen. Erbost blickte es sie an. "Du wagst es?", rief es und Psiana versuchte, den Kopf zu drehen, doch der Lichtstrahl hielt sie fest. "Wie du mir so ich dir." Mewtwos Augen glühten noch ein Stückchen mehr auf und aus beiden Enden des Strahls schossen von Psianas Seite ein blauer, von Mewtwos Seite ein grüner Strahl auf den jeweils anderen Kontrahenten zu, während rund um sie herum die Hölle losbrach. Die versprengten Seelen der Pokemon reckten die Glieder und besahen sich ihre Erzrivalen, mit denen sie für so lange Zeit einen so kleinen Platz wie Snobilikats Kopf hatten teilen müssen. Wild schlugen die Attacken der entfesselten, auf dem Arenaboden und rund um die Tribünen ein, doch Neru konnte seinen Blick nicht von Psiana und Mewtwo wenden. Die Mitte zwischen den Lichtstrahlen glühte in weiß und der weiße Punkt begann, sich langsam auf Psiana zuzubewegen. Sie fing an zu zappeln und versuchte, zu entkommen, doch Mewtwo erhöhte die Intensität seines Lichtstrahls und mit einem Donnern, als hätte sich ein Gewitter in der Mitte der Arena ausgetobt, traf die weiße Kugel Psiana und eine Explosion erklang. Psiana flog von der Macht Mewtwos unterstützt auf Neru zu, prallte, noch bevor Neru reagieren konnte, gegen seine Brust und sie flogen beide von dem Podest herunter und brachen auf dem Boden zusammen. Etwas rauchte. Neru sah an seiner Brust hinunter und sofort füllten sich seine Augen mit beißendem Dampf. Die Steine seiner Brosche schmolzen und tropften in langen Fäden aus dem goldenen Mantel heraus.

"Wer verstößt hier gegen die Regeln", schrie Ella über den Nebel, der von Neru und Psiana ausging hinweg und sie selbst, Nerina und Sipho stürzten vor, ihre Iramon begannen sich schon im Lauf zu verwandeln. Mit einem Donnerschlag verschaffte sich Mewtwo Ruhe im Saal. Neru hielt den Atem an. Das Psychopokemon wirkte etwas angeschlagen, offenbar hatte die Zerstörung der Brosche es doch mehr angestrengt, als Neru erwartet hatte. Nerina starrte es mit weit aufgerissenen Augen an, als ob sie nicht wüsste, ob dieses Monster nun einem Alptraum entsprungen sei oder der Kampf tatsächlich Realität war. Panzaeron ging direkt in den Angriff über und Glurak und Ibitiak erhoben sich, um es mit ihr aufzunehmen. Texomon ließ sich in einen Kampf mit einem Dragoran und einem Garados verwickeln und Nidoran versuchte, in seiner Raichu-Form, den anderen möglichst gut den Rücken freizuhalten und schoss einen Donnerblitz nach dem anderen durch den Saal. Das Chaos, das in der Arena losbrach, war überwältigend und wenn es schon schwer gewesen war, Evolis Kampf von vorhin vernünftig zu folgen, so war es jetzt ein reines Feuerwerk. Neru konnte nicht begreifen, dass auch nur eines der vielen Pokemon noch die Übersicht darüber hatte, wer gerade gegen wen kämpfte und welche Attacke für wen bestimmt gewesen war. Psiana lag auf Nerus Knien und rührte sich nicht mehr. Ihre so strahlenden und schönen, blauen Augen waren geschlossen und die Zunge hing ihr aus dem Maul. Sie war definitiv K.O. gegangen. Neru ließ den Blick über die Kämpfenden schweifen. In einer Wolke aus Feuer und Wasser konnte er Texomon erkennen. Gerade sprang er ins Wasser und verwandelte sich in Seedraking. Neru hatte diese Form schon länger nicht mehr bei ihm gesehen und die Wucht seiner Hydropumpe schien nicht nur ihn zu beeindrucken. Ein großer Drache stieß von der Luft über der Arena hinab auf das Wasser-Drachenpokemon. Seedraking warf sich, von seinem Kampf mit Garados abgelenkt, auf die Seite, ließ Garados, das gerade zu einer Drachenwutattacke ansetzte, an sich vorüberschnellen und pfefferte einen komprimierten Strahl Wasser in das dumme Gesicht des Glurak, das taumelnd über dem Becken mühsam versuchte, das Gleichgewicht zu halten und wieder weiter in die Höhe emporzusteigen. Nerina konnte wirklich froh mit ihrem Drachen sein. Ein Glurak war zwar eine wunderschöne Form, doch war das Feuer in der Hinsicht der Anwendung ziemlich eingeschränkt und seine Empfindlichkeit gegen Wasser machte es anfällig - Ein Vorteil, den Seedraking auszunutzen schien. Eine weitere Hydropumpe zischte hinauf zu dem großen Drachen, verfehlte ihn jedoch um Haaresbreite, im selben Moment schoss Garados' Kopf hinter dem großen Seepferd in die Höhe und der breite und weit offenstehende Schlund der Riesenschlange drohte Seedraking zu verschlucken. Neru hielt den Atem an. Garados war für seine Kraft berühmt und es war kaum zu glauben, dass sich dieser Gigant aus so einem Winzling wie Karpador entwickeln konnte. Garados zeigte nun, dass die Geschichten, die über seine Angriffe auf Schiffe erzählt wurden, keineswegs erfunden waren. Seedraking konnte gerade noch so ausweichen, bevor der riesige Schlund ihn getroffen und das Garados ihn sicher zwischen seinen Kiefern zerquetscht hätte. Mit einem lauten Brüllen fiel die Seeschlange ins Wasser und begann, schnell um ihre eigene Achse zu wirbeln. Die Luft selbst schien über dem Becken greifbar zu werden und immer schneller rotierten die Massen umeinander. Das war eine Windhose, wie sie nur die Drachenpokemon hervorrufen konnten, und mit Schrecken dachte Neru zurück an die Windhose, von der Nerina ihm erzählt hatte. War das die Attacke gewesen, mit der sie Nerinas Segelschiff vom Kurs abgebracht und es in die Eisschollen getrieben hatten? Immer höher schraubte sich die Windhose in die Luft und wurde von einem sich drehenden Gewirr aus Wolken empfangen. Unglaublich, dachte Neru, so groß, so viel Energie. Doch nun passierte etwas Merkwürdiges. Der ganze gesammelte Luftstrom begann, sich weißlich zu verfärben und Schnee begann zu fallen. Immer schneller schienen die Schneemassen sich umeinander zu drehen und Garados' Bewegungen wurden langsamer. Der Tornado hatte mittlerweile eine solche Kraft erhalten, dass er sich selbst am Leben erhalten konnte, und so sah man von Garados nur noch einen unsicheren Schemen, der langsam in den eisigen Fluten versank. Hinter dem Tornado konnte Neru den Ursprung für das Phänomen entdecken. Ein Jugong hatte einen Eisstrahl genau in die Mitte des Tornados geschossen und die Luft- und Wassermassen im Inneren begannen zu gefrieren. Eis war von je her der Feind der Drachenpokemon und gegen nichts waren sie so anfällig. Neru erinnerte sich genau an die Passage, die sein Pokedex zu diesem Thema ausgespuckt hatte. Texomon war in tödlicher Gefahr. Doch auch Texomon schien die Situation erkannt zu haben. Mit einem lauten Ruf sprang er aus dem Wasser und hüllte sich in rote Evotationsblasen. Nur wenige Sekunden später rannte Arkani durch ein Netz aus Blitz-, Wasser- und Feuerattacken und feuerte ein eigenes Flammenrad auf den Tornado ab. Langsam leckten die Flammen nach dem Fuß dieser gigantischen Urgewalt und die Flammen wanderten langsam in den wirbelnden Luftschichten empor, sodass irgendwann der ganze Tornado wie von einem Netz aus Flammen umgeben schien. Der Schnee schmolz und die Temperatur stieg fast sofort, doch noch etwas anderes konnte Neru erkennen: Der Tornado begann, sich langsam aufzulösen, erfasste dabei jedoch noch immer brennend ein ziemlich perplex aussehendes und auch ziemlich unflexibles Bisaflor, das sang- und klanglos zusammenbrach. Offenbar vertrug es die immensen Temperaturschwankungen nicht besonders gut und noch bevor das Jugong darauf reagieren konnte, beförderte ein Klauenhieb von Arkani es genau vor Raichus Nase, der ihm mit einem Donnerblitz den Garaus machte. Arkani setzte seinen Weg der Zerstörung fort, bis er wild Flammen in alle Richtungen schleudernd vor einem Turtok stand. Das riesige Schildkrötenpokemon war nicht gerade für seine Intelligenz bekannt und so dauerte es einen Augenblick, bis es die Augen zusammenkniff und seinen Gegner vor ihm erkannte. Seine Reaktion war rein intuitiv, wenn dadurch auch nicht weniger brutal. Langsam fuhr es die riesigen Kanonenrohre aus dem Panzer über seiner Schulter aus und maß Arkani mit einem abschätzenden Blick, während es zielte. Arkani saß in der Falle. Egal, wohin es gehen würde, die Hydropumpe würde es erreichen und der komprimierte Wasserstrahl würde es auf jeden Fall treffen. Rot glühten wieder die Evotationsblasen auf und es gelang Texomon gerade noch so, unter den beiden komprimierten Wasserstrahlen hindurchzutauchen. Verdutzt hielt das Turtok inne und besah ihn mit einem verblüfften Ausdruck in den kleinen, stumpfen Augen. Texomon hielt sich nicht lange mit Gaffen auf, sprang wieder auf die Füße und verpasste dem viel größeren und schwereren Turtok einen Schlag mit dem Eisenschweif auf die Brust, der es zurücktaumeln ließ. Ein weiterer Donnerblitz von Elektek, unter dem Texomon geistesgegenwärtig eine Rolle gemacht hatte, besiegelte auch diesen Kampf.

Neru fuhr zusammen, als ein langer und gellender Schrei erklang. Er hatte so auf den Kampf von Texomon geachtet, hatte seine schnellen Bewegungen und seine mächtigen Attacken begutachtet, die große Kerben in die Verteidigung der Pokemon Gringos geschlagen hatten und so erst den Angriff der anderen ermöglich hatten, dass er die anderen komplett aus den Augen verloren hatte. Mewtwo hatte Nerina gepackt und schien eine Teufelei im Sinne zu haben. Mit einem lauten Schrei stürzte Texomon nach vorn und erreichte Nerina just in dem Augenblick, als auch ihr Amulett in grellen Flammen aufging und Mewtwo sie zu Boden fallen ließ. Texomon versuchte, seine Trainerin zu fangen, doch wurde er von der Wucht von Nerinas Körper übermannt und beide fielen in einem Knäuel aus Armen und Beinen zu Boden. Doch es war zu spät. Nerinas Brosche war zerstört und damit Texomons einzige Möglichkeit für die Evotation. Neru sah, wie Texomons Augen gefährlich aufblitzten und wusste, dass er zu gerne seinen Schattenschild in Mewtwos Gesicht geknallt hätte, doch das Psychopokemon attackierte ihn nicht weiter, sodass auch dieser letzte Trumpf nutzlos blieb. Besorgt sah Neru zu Nerina hinüber. Er wäre seiner Schwester am liebsten zu Hilfe geeilt, doch auch Psiana lag noch wie tot auf seinen Beinen und Nerina begann sich schon wieder aufzurappeln. Machtlos mussten sie und Texomon zusehen, wie die beiden verbliebenen Iramon von den anderen Brutalos in die Mitte genommen und langsam und zermürbend geschlagen wurden. Kramurx hatte noch einmal seine große Stunde und schaffte es in einem Wirbel aus Attacken und mit der Hilfe von Nidoking, das gigantische, dinosaurierartige Despotar zu verwirren und schlussendlich in einer Fintenattacke zu schlagen. "Das ist nicht fair!", schrie Ella, als ihr Panzaeron, das in einem Wirbelsturm gefangen war, von mehreren Attacken gleichzeitig getroffen wurde, sich in Taubsi zurückverwandelte und langsam zu Boden sank. Ellas Taubsi hatte einen heroischen Kampf geleistet und die Kraft aller fliegender Pokemon auf sich gezogen. Für einen Moment schien es sogar so auszusehen, als würde sie sich gegen die vereinte Macht von Ibitak, Glurak und Dragoran durchsetzen. Doch der Sieg über Despotar hatte sie dann doch zu sehr geschwächt. Sipho schien den Tränen nahe zu sein. Eine Geisterattacke hatte Raichu für einen kurzen Moment die Orientierung verlieren lassen und so rannte es planlos in ein Relaxo hinein, das sich einfach auf ihn drauffallen ließ und somit das Ende ihres Kampfes besiegelte. Nidoran hatte zwar noch geistesgegenwärtig seine Grundform angenommen, doch es war zu spät. Der Körper des Relaxo war zu groß und zu unbeweglich. Mit einem gellenden Schrei hoben nun auch Ella und Sipho vom Boden ab. Mewtwo streckte seine Hand aus und allein seine Geisteskraft hielt die beiden hoch oben in der Luft. "Schwächlinge", erklärte er abfällig, während seine Augen blau aufglühten und zuerst Ellas und dann Siphos Amulett in Flammen aufgingen. "Eure Iramon wurden besiegt", erklärte er mit feierlicher Stimme, "Die Amulette wurden zerstört, somit sind sie auch nicht mehr in der Lage zu evotieren. Gesteht euch eure Niederlage ein." Die anderen Pokemon, die noch in der Lage war, zu laufen, stellten sich in einer Reihe hinter ihm auf und die Demonstration von Macht war erschlagend. Das durfte nicht sein, das konnte nicht sein! Neru fühlte sich schwach. Vor ihm begann der Körper von Psiana wieder leicht zu zucken, doch selbst wenn sie ihr Bewusstsein wiedererlangen würde, der Kampf war vorbei und eine zweite Chance würde es in diesem Falle nicht geben. Neru spürte, wie ihm Tränen über das Gesicht rannen. Ella schien einfach nur verzweifelt zu sein, während Sipho nur geschockt und perplex in der Arena herumstand. Nerina schien sich wieder erholt zu haben, doch auch das konnte das Unausweichliche nicht länger hinauszögern. Mewtwo schwebte schaurig über dem Staub, der über dem Arenaboden umherwaberte. "Nicht alle sind besiegt!", erklärte plötzlich eine feste Stimme und neben Nerina erhob sich ein blauer Schemen. Mewtwos Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze von Verachtung und Hohn. "Du?", fragte er abfällig, "Welche Chancen glaubst du denn, gegen mich zu haben?" "Mehr, als du denkst!", fauchte Texomon und trat entschlossen zum Mitte der Arena, "Ich mag nicht mehr evotieren können, aber auch dieser Körper ist gut genug! Da!" Mit einem Aufschrei riss er die Arme hoch und schoss eine Hydropumpe auf Mewtwo ab, doch das Psychopokemon schnippte nur seufzend mit den Fingern und im nächsten Augenblick flammte ein blauer Schild vor seiner Brust auf, der die Hydropumpe wirkungslos verpuffen ließ. "Das ist dein Ende", verkündete Mewtwo kühl und zielte mit seinem Psystrahl auf Texomon, der sich jedoch geistesgegenwärtig in tintenblaues Licht hüllte. 'Der Schattenschild!', flüsterte Psiana in Nerus Gedanken und dieser nickte. Aus dem Tritt gebracht prallte Mewtwo rückwärts, was Texomon sofort zum Anlass nahm, ihm einen Doppelkick auf den Brustpanzer zu schmettern, der Mewtwo allerdings nur zum Schmunzeln brachte. "Trotzdem vergebens", sagte er kühl. Texomon fauchte erbost. "Warum?", gab er patzig zurück, "Ich kann alle Psychoattacken blocken und die sind alles, was du kannst!" "So?", fragte Mewtwo gefährlich ruhig, "Kannst du denn auch Steine blocken?" Damit löste sich mit einem markerschütternden Grollen ein Hagel schwerer Steine aus dem Dach der Arena und prasselte schwer auf den überrascht aufschreienden Texomon hernieder. Als der Staub sich gelegt hatte, war Texomon verschwunden. Neru spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Offenbar musste einer der Steine Texomon nun doch noch K.O. geschlagen haben. Mewtwo schwebte stumm über dem Berg im hellen Schein des vollen Mondes, dessen Licht sich durch das neue Loch im Dach ungehindert über die Szenerie ergoss, wie flüssiges Silber. Er öffnete gerade den Mund, um seinen Sieg zu verkünden, da begann der Berg, zögerlich zu wackeln und einen Augenblick später kämpfte Texomon sich müde und zerschunden ins Freie, um breitbeinig vor ihm Aufstellung zu nehmen. "Noch bin ich nicht geschlagen, Mewtwo!", grollte er. Silbernes Mondlicht perlte auf seinen Schuppen und stolz reckte er das Kinn vor. "Er ist und bleibt ein Drache!", murmelte Psiana, "Unglaublich stark und gibt niemals auf!" Im nächsten Augenblick lief ein Raunen durch die Menge. Das Licht des Mondes schien sich zu verdicken und Texomon wurde komplett von ihm erfasst. Für einige Herzschläge schien er in einer Wolke aus weißem Licht gefangen, dann geschah ein Wunder... Mit einem Aufschrei, der durch die Äonen zu gehen schien, verwandelte Texomon sich ein letztes Mal, streckte sich in die Länge und Flügel sprossen aus seinen Schultern. Wenig später schüttelte Glutaro das gleißende Mondlicht wie lästigen Staub von seinem Körper und richtete sich auf die Hinterbeine auf. Riesig und gigantisch erhob sich das mächtige Drachenpokemon in der Arena und ließ die viel kleineren Dragoran wie nicht beachtenswertes Spielzeug erscheinen. Ein lautes Brüllen hob an und Mewtwo lachte auf. "Na schön", grollte er, "Dann bist du eben nochmal evotiert! Aber auch das wird dir nichts nützen!" Das Heer der Pokemon setzte sich langsam in Bewegung. Doch Glutaro richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Hals wiegte sich prüfend von der einen auf die andere Seite, dann legte er seinen Kopf nach vorne, streckte seine imposanten Flügel und seinen langen Körper komplett durch und ein Brüllen, als wollten einem jeden Menschen in der Arena die Trommelfelle platzen, hob an. Das Heer der Pokemon geriet ins Stocken und Risse zeigten sich im Arenaboden. Das leichteste der Pokemon flog, wie ein kleiner Ball quer durch die Arena und prallte heftig gegen die Tribüne, wo es geschlagen zusammenbrach. Das Brüllen hielt an und auch die anderen wurden vom Schicksal ihres leichteren Kollegen ereilt und flogen rückwärts gegen die Wand. Nur Mewtwo, der wieder seinen Schild aus reiner Energie um sich herum gelegt hatte, war in der Lage, der brutalen Attacke zu entgehen. Seine Augen glühten auf. "Ein würdiger Gegner", hallte es in der ganzen Arena wieder und die beiden Giganten begannen, sich vorsichtig zu umkreisen. Es ist wie bei Snobilikat und Evoli, schoss es Neru durch den Kopf, nur eine ganze Liga härter. So, als wären sie nur ein Geist in zwei verschiedenen Körpern hielten beide Kontrahenten Inne und aus Glutaros Schlund entstieg eine gigantische, blaue Flammensäule, die die ganze Arena zu erfüllen schien. Neru wurde von dem grellen Licht geblendet und musste die Augen schließen. Ein schreckliches Brüllen war zu hören und als die Zuschauer so wie auch Neru die Augen wieder aufrissen, war sowohl von Mewtwo als auch von dem Psystrahl, den er dem riesigen, blausilbernen Drachen entgegen geschleudert hatte, nichts mehr übrig und auch Glutaro war verschwunden. An seiner statt stand Texomon allein auf dem Trümmerhaufen aus geborstenem Stein. Das einziges noch kampffähige Pokemon in der Arena hob müde die Hände zum Sieg. "Wir haben es geschafft!", rief er müde in die ehrfürchtig schweigende Welt hinaus, dann brach er zusammen.

Epilog

>>>Nerina<<<
 

"Aber du musstest es ja nochmal spannend machen!", donnerte Siegfried, nachdem er Texomon und Nerina vor Begeisterung beinahe alle Rippen gebrochen hatte "Warum hast du nicht gleich Glutaro eingesetzt und sie alle weggepustet? Was sollte dieses Gezauber mit Seedraking und Arkani?" Texomon schnitt ihm eine Grimasse. "Glutaro ist ein gigantisch großes und nicht zu verfehlendes Angriffsziel", konterte er scharf, "Er mag stark sein, aber wenn dreißig Attacken ihn auf einmal durchbohren, bringt ihm auch der Drachenwind herzlich wenig! Außerdem wollte ich mir den Trumpf irgendwie bis zum Ende aufheben. Konnte ja keiner wissen, dass Mewtwo die Broschen zerstört..." Wehmütig sahen er und Nerina auf den verkohlten Klumpen hinunter, der das einzige war, was von der wunderschönen Brosche übrig geblieben war. "Das ist so schade, vor allem um Seedraking und Glutaro", seufzte Texomon und Nerina streichelte ihm tröstend den ramponierten Kopf. "Mach dir nichts draus", sagte sie tröstend, "Sicher macht Vater uns eine neue, oder?" Mit einem bittenden Blick wandte sie sich an ihren Vater, der, mit Mutter im Schlepptau, hinter Siegfried aus der Menschenmenge aufgetaucht war, die die Arena gleich nach Texomons glanzvollem Sieg überrannt hatte, um den vier Siegern des Tages zu gratulieren, wozu auch ihre Eltern gerade ansetzten und abwechselnd Nerina und Texomon stolz an sich drückten. "Das hast du so großartig gemacht, Nerina!", flüsterte Mutter, Tränen in den Augen, "Oh, ich hatte die ganze Zeit so schreckliche Angst um euch! Jeden Abend diese Reportagen im Fernsehen und, wie ihr Mammoria befreit habt... Jeden Abend habe ich dafür gebetet, dass sie euch nicht erwischen würden!" "Oh, ich hab immer auf sie aufgepasst!", verkündete Texomon stolz und baute sich so breit er konnte vor Nerina auf. Vater lachte nur und legte ihm eine schwere Hand auf den Kopf. "Ich wusste von Anfang an, dass wir mit dir einen Glücksgriff gelandet haben", verkündete er schmunzelnd, "Aber da hast du dich gerade wirklich selbst übertroffen! Herzlichen Glückwunsch! Texomon alias Gluvapo!" "Kriegen wir dann auch eine neue Brosche?", platzte Texomon nach einigen Herzschlägen der Verwirrung hinaus, doch diesmal wandte Vater traurig den Blick ab. "Psiana, Taubsi und Nidoran werden derzeit auf eine solche Möglichkeit untersucht", gab er seufzend zurück, "Aber ich glaube nicht, dass es funktionieren wird. Die Broschen waren individuell für eure DNA gemacht und mit ihr verbunden. Ihre Zerstörung muss auch eure genetische Struktur verändert haben. Ich bin mit beinahe zweifelsfrei sicher, dass ihr vier nun nur noch normale Pokemon seid, nicht mehr und nicht weniger. Taubsi wird sich bald zu Tauboga entwickeln und Nidoran zu Nidorino und Psiana ist und bleibt Psiana." "Aber was ist mit meiner Drachen-Evotation vorhin?", fragte Texomon verzweifelt, "Die hat doch trotzdem funktioniert!" "Weil du im Licht des Vollmondes standest", sinnierte Siegfried nachdenklich, "Das ist die einzige Erklärung. Vermutlich hast du inzwischen längst das Zeug zu Glutaro, nur der Mondstein fehlt dir zu deiner natürlichen Evolution. Der Vollmond muss ihn kurzzeitig ersetzt haben." "Dann kann ich immer bei Vollmond zu Glutaro werden?", fragte Texomon hoffnungsvoll. Siegfried zuckte mit den Achseln. "Möglich", sagte er ausweichend, "Wenn deine Eigenschaften als Drache stark genug sind, was sie vorhin eindeutig waren, ist es möglich, dass der Vollmond dir kurzzeitig die Verwandlung ermöglichen kann. Anderenfalls...", fuhr er lächelnd fort, fingerte einen reinweißen Stein aus der Jackettasche und hielt ihn Texomon unter die Schnauze, "Könntest du auch einfach nur das hier verschlucken und immer Glutaro bleiben. Es stünde dir zu." Eine angespannte Stille entstand, während Texomon mit zitternden Nüstern an dem Stein schnüffelte, dann jedoch schüttelte er entschieden den Kopf. "Ich... weiß die Großzügigkeit sehr zu schätzen", sagte er förmlich, "Aber ich glaube, ich möchte lieber ich selbst bleiben, auch, wenn ich dann vermutlich bald der schwächste von uns Iramon sein werde", fügte er reumütig hinzu, "Aber alle Stärke, die Glutaro hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie einsam ich sein würde, wenn ich immer nur alleine draußen im Garten schlafen und mit diese lustigen Einkaufscenter und Menschenhäuser nur noch von oben ansehen müsste. Außerdem wollen wir ja auch Wasserarenaleiter werden und schwimmen kann ich gut!" "Aha, aha! Was vernehmen denn da meine altersschwachen Ohren?" mit einem breiten Grinsen schob sich Dew durch die Menge auf sie zu, schlug Texomon gratulierend auf die Schulter und zog Nerina symbolisch am Ohrläppchen, "Seit Anfang Juni warte ich auf eine Zusage, aber das Fräulein war offenbar zu beschäftigt für eine Email an einen alten Meister?" Herausfordernd sah er Nerina an, die betreten den Blick senkte. "Das... also... Ich wollte wirklich schreiben, aber dann waren wir auf der Flucht und ... ähem..." "So so", sagte Dew scharf, doch das Lächeln in seinen lebhaften, blauen Augen strafte seinen Tonfall Lügen, "Nun, ich will es euch nochmal durchgehen lassen." "Danke, Meister Dew", sagte Nerina ehrfürchtig, "Es soll nicht mehr vorkommen." "Dann kann ich ab nächstem Montag um acht mit euch rechnen?", fragte Dew und streckte ihr förmlich die Hand hin. Erst Nerina, dann auch Texomon ergriffen sie fest. "Gut, dann sollt ihr beiden meine Lehrlinge sein", sagte Dew und warf Vater einen fragenden Blick zu, doch beide ihre Eltern nickten lächelnd. "Wir sind froh, sie in guten Händen zu wissen", sagte Mutter ehrlich und nun schüttelten auch die Erwachsenen Hände. Die ehrfürchtige Stille wurde unterbrochen, als jemand sich mit wild rudernden Armen eine Bresche durch die Menschenmenge schlug. "Hey, Dew! Was soll das?", rief Blaze gespielt zornig über noch mindestens drei Reihen Köpfe hinweg, "Zwei paar starke Arme könnte ich beim Wiederaufbau der Feuerarena nur allzu gut gebrauchen!" Nerina staunte, als sie ihn sah. Nun, nicht mehr gefangen unter Tage, schien Blaze gewachsen und um mindestens zwanzig Jahre verjüngt zu sein. Neben dem alten und weißbärtigen Dew wirkte er nahezu jugendlich. "Na, ich weiß nicht", gab Texomon frech zurück, "Deine Feuerprüfung war ein ganz schöner Hammer!" "Oh, nun zier dich nicht so!", gab Blaze lachend zurück, "Entschuldige dich lieber bei Magmar! Das hatte vielleicht eine Laune, als ich es vorhin eingesammelt habe!" Wir werden euch helfen, Meister Blaze!", verkündete da eine etwas zittrige Stimme und Mandos blasses Gesicht tauchte neben dem vor Kraft strotzenden Feuerarenaleiter auf. Gringos Sohn wirkte immernoch recht schwach auf den Beinen, doch er strahlte über das ganze Gesicht. Gringos Snobilikat schlief friedlich in seinen Armen. "Jetzt, nachdem Vater besiegt ist, hat er angekündigt, das Land zu verlassen und ich bin damit Erbe der Normalarena und Vorsitzender des Team Rocket. Was könnten sie besseres tun, als dabei zu helfen, die zerstörten Städte und Arenen wieder aufzubauen!" "Und wir werden immer kommen und helfen, wenn wir mal auf der Zinoberinsel sind!", versprach Nerina feierlich und schüttelte auch Blaze berührt die Hand, ehe sie Mando und Snobilikat stumm umarmte. "Tut gut, dich wieder unter den Lebenden zu sehen!", sagte sie leise. Mando errötete. "Ich hab euch die ganze Zeit über die Daumen gedrückt!", erwiderte er stolz, "Ihr wart klasse, alle miteinander!"

Mittlerweile hatte sich die Menschenmenge hektisch zu allen Seiten verteilt. Manche kehrten die zerborstenen Steine fort, andere schleppten Tische und Bänke auf den Rasen vor der Arena, wo alsbald ein wahres Festessen aufgetischt wurde, sodass Nerina sich immer mehr wie im Märchen wähnte, während sie mit Texomon an der Hand und mit Mando, ihren Eltern und den drei Arenaleitern im Schlepptau durch die Menge ging, bis zu dem etwas erhöhten Tisch, an dem Sunny, Sandy, Spark und die restlichen Arenaleiter nebst den beiden Professoren, einem Ehepaar, das eindeutig als Ellas und Siphos Eltern kenntlich war, und Neru, Ella und Sipho selbst schon auf sie warteten. "Klasse Kampf!", begrüßte ein großes, vierbeiniges Pokemon Texomon stürmisch und rammte ihn vor lauter Freude fast von den Beinen, "Ich wusste, dass du sie platt machen wirst!" "Nidorino?", fragte Texomon etwas verblüfft. Das andere Pokemon nickte und deutete auf ein großes, phönixhaftes Tauboga, das stolz auf Ellas Schulter hockte. "Wie Yamato es vorhergesagt hat, haben wir uns weiterentwickelt, sobald Psiana wohlauf war und ihre Vitalglocke geläutet hat." "Das hättest du ruhig ein bisschen früher machen können!", wandte Texomon sich neckisch an Psiana, die elegant zwischen Nidorino und den Tischbeinen hindurchschlüpfte, um sie zu begrüßen, "Warum hast du nicht für mich gebimmelt?" "Du kamst doch auch so ganz gut klar!", erwiderte Psiana stolz, hockte sich vor ihn hin und rieb den Kopf an seinem Bauch. "Das hast du toll gemacht, du alter Angeber!" "Wir alle haben das toll gemacht!", gab Texomon ernst zurück, "Denn ohne deinen Kampf, Psiana, hätte mir weder mein Schattenschild, noch der Vollmond noch helfen können und wenn ihr beiden nicht Despotar und so viele der anderen aufgeräumt hättet, Tauboga und Nidorino, wäre auch der Drachenwind zu nichts nütze gewesen." "Er redet, wie ein Erwachsener!", schnaubte Neru belustigt und drückte Nerina warm die Schulter, "Wer hätte das jemals für möglich gehalten?" "Ich kaum!", versetzte Psiana neckisch und stupste die weiche Nase in Texomons gelben Bauch, "Du warst so ein Kindskopf früher!" "Und du warst ein kleiner Feigling!", gab Texomon brüsk zurück. Psiana kicherte glockenhell. "Um ehrlich zu sein", sagte sie seufzend, "Bin ich das wohl immernoch. Ich meine, ich kämpfe, wenn es sein muss, aber ich bin froh, dass wir ab jetzt Pokemon erforschen, statt sie zu bekämpfen!" "Dann hast du schon mit Vater gesprochen?", fragte Nerina Neru überrascht. Dieser nickte strahlend. "Während Psiana geheilt wurde habe ich ihn gefragt, ob er uns mitnehmen würde auf seine Forschungsreisen!", erzählte er ausgelassen, "In zwei Wochen geht es los in die Regenbogenwüste, in die Pyramiden der alten Pharaonen der Bararas!" "Super!", rief Nerina voller Freude für ihren Bruder, auch wenn die Ankündigung, ihn bald nur noch in so weiter Ferne zu wissen, ihr einen schmerzlichen Stich versetzte. Neru musste den Schatten in ihren Augen gesehen haben, denn er griff nach ihrer Hand und auch Psiana letzte kurz die Wange an Texomons Brust. "Aber wir werden euch so oft besuchen kommen, wie möglich", versprach er leise, "Oft anrufen und viele Briefe schreiben, versprochen!" "Gut", erwiderte Nerina und erlaubte sich nun doch ein heftiges Schlucken, "Wir werden euch vermissen." "Wir euch auch", erwiderte Psiana an Nerus statt, "Aber ich werde alles daran setzen, endlich diesen Teleport zu lernen und dann sehen wir euch immer, wenn Zeit ist!" "Tu das", sagte Texomon leise und strich ihr vorsichtig mit einem Finger das Fell über der Nase glatt, "Und beeil dich damit." "Tja, bei uns ist das ähnlich", verkündete Ella nach einigen Sekunden des Schweigens schulternzuckend vom anderen Ende der Tafel, "Sipho will auch unbedingt nach Eden gehen und Pokemontrainer werden. Er sagt, er muss endlich seinen eigenen Weg finden - naja, mit Nidorino natürlich. Tja - und ich bleib hier in Kanto! Opa hat mir einen Platz an der Pokemon-Universität in Prismania freigehalten! Da kann ich studieren und auch Professorin werden!" "Dann werden auch wir uns wieder Lebewohl sagen müssen", wandte Texomon sich an Nidorino, das traurig nickte. "Aber auch wir können über den Pokedex telefonieren und vielleicht kommt ihr uns ja mal besuchen, drüben in Eden!" "Vielleicht!", gab Nerina Texomons bittendem Blick mit einem nachdenklichen Lächeln nach, "Vielleicht. Jetzt sind wir frei, Texomon. Endlich frei."
 


 


 


 

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