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Sommer unter dem Sternenhimmel

Wenn Welten aufeinander treffen
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das ist nun die Geschichte, die ich beim Originalwichteln für Lils geschrieben habe :3

Die Zutaten für diese Geschichte waren Magical Girls, Okinawa, Örtliche Mythen und ein bisschen Shojo-Ai xD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Kommen wir zu meinem Lieblingskapitel <3 Weil Shojo-Ai-Fluff <3
Hoffe es gefällt euch ebenso! Komplett anzeigen

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Eine warme Brise wehte vom Meer aus in die Wohnung, brachte das Windspiel, das im Fenster hing, zum klingen.

Natsuki lehnte gegen den Fensterrahmen und sah hinaus, wobei ihr rotes Haar im Licht der untergehenden Sonne beinahe zu brennen schien. Tief atmete sie die Meeresluft ein, ehe sie sich zu Hoshie umdrehte. „Sie kommen“, flüsterte sie.

Das Mädchen erwiderte nichts. Stattdessen sah sie die junge Frau nur an.

Diese ging nun zu ihr hinüber. „Wir sollten gehen.“

Noch immer antwortete Hoshie nicht, machte auch keine Anstalten aufzustehen, so dass Natsuki sich schließlich neben sie kniete und sich vorbeugte, um sie auf die Wange zu küssen. „Komm, Hoshi“, flüsterte sie.

„Ich will nicht gehen“, antwortete diese nun schließlich.

„Aber ich bin doch bei dir.“ Natsuki drückte ihre Hand, doch Hoshie schüttelte den Kopf.

Sie wich dem Blick ihrer Freundin aus. „Das ist es doch“, erwiderte sie leise. Sie zögerte kurz, ehe sie fortfuhr. „Du wirst gehen, nach dieser Nacht, nicht?“

Darauf erwiderte Natsuki nichts, sondern legte nur die Arme um sie und zog sie an sich heran. Sie drückte Hoshie fest an sich und strich ihr sanft durchs Haar. „Ja, ich werde gehen“, antwortete sie schließlich leise. Sie flüsterte die Worte in das Ohr Hoshies und klang dabei genau so betrübt, wie diese sich fühlte.

Nun hob auch Hoshie die Hände, um sie auf Natsukis Schultern zu legen. Sie wollte nicht weinen, aber dennoch konnte sie Tränen in ihren Augen brennen spüren.

Schließlich löste sich Natsuki weit genug von ihr, um sie küssen zu können.

Es war ein sanfter, sehnsüchtiger Kuss, währenddessen sie Hoshie das Amulett in die Hände drückte, ehe sie sich von ihr löste. „Komm.“

Hoshie holte tief Luft und sah auf das golden schimmernde Amulett in ihren Händen, das mit chinesischen Zeichen und der Gestalt eines mystischen Wesens verziert war. Eine rote Kordel hing an ihm herab.

Schließlich stand sie auf. Noch immer war ihr Herz schwer, doch sie wusste, dass ihr ja doch kaum eine Wahl blieb. „Ja, lass uns gehen“, antwortete sie mit brüchiger Stimme.

Natsuki lächelte matt und nickte. Dann nahm sie die Hand ihrer Freundin und gemeinsam verließen sie das Ryukan, das aktuell größtenteils verlassen war.

Hier am Rand von Naha waren die Gebäude beinahe dörflich und viele noch nach alter Technik und demnach aus Holz gebaut. Einige der meist eher kleinen Häuser, die zwar teilweise in die Länge gezogen waren, aber selten über mehrere Etagen verfügten, standen dicht gedrängt an niedrige Gartenmauern, andere waren von Büschen umgeben.

Eine alte Treppe führte hinter dem Ryukan den Hang zwischen einigen Büschen und Palmen hinab in Richtung des Strandes.

Nun sah es auch Hoshie.

Draußen über dem Meer, baute sich ein Berg aus dichten, dunklen Wolken auf, hinter dem die Sonne langsam aber sicher verschwand, sodass die Ränder des Wolkenberges in Flammen zu stehen schienen.

Hoshie spürte den Wind des aufziehenden Sturms. Immer kräftiger werdende Böhen wehten ihnen entgegen.

Ihr war klar, dass dies kein einfacher Sturm war. Nein, es waren sie. Long Wangh und sein Auserwählter.

Ihr Herz klopfte, während sie Natsuki zum Strand hinab folgte. Obwohl sie nach diesem Sommer schon lange akzeptiert hatte, dass es mehr in dieser Welt gab, als sie es je für möglich gehalten hätte, so kam es ihr doch so unwirklich vor. Ja, es war beinahe wie ein schlechter Witz. Doch wer erlaubte sich diesen Witz mit ihr?

Der Körper Natsukis war von Licht umgeben, als sie das Ende der Treppe erreichten, und begann sich zu verwandeln. Unter hellem Leuchten verformte sich ihr ganzer Körper, während auch das Amulett, das Hoshie noch immer in den Händen hielt, aufleuchtete.

Sie spürte, wie warmer Wind ihren Körper umspielte. Ein warmer Wind, der vom Meer her kam und sie nun in die Höhe hob.

Auch sie war von Licht umgeben und spürte gleichzeitig, wie die Energie in ihren Körper floss. Sie selbst hätte es Magie genannt, doch mehr als einmal hatte Natsuki sie verbessert, dass es etwas anderes war, eine Energie, die aus der Natur der Inseln stammte. Natsuki hatte mehr als einmal versucht, es ihr zu erklären, doch so sehr sie sich auch bemüht hatte: Für Hoshie klang es doch nur wie eine lange Umschreibung für das, was sie als Magie verstand.

Wie sonst war so etwas möglich? Ihr Körper veränderte sich. Sie wurde etwas größer, ihr Haar färbte sich silbern und wuchs ebenfalls, während sich ihre Kleidung in einen kurzen Kimono verwandelte und eine flache Hanagasa ihr Haar zurückhielt.

Als alles begonnen hatte, hatte es sie es albern gefunden. Ja, es war wie in einem jener lächerlichen Anime, die sie als kleines Mädchen gesehen hatte und in denen magische Mädchen gegen Monster aus fremden Welten kämpften, um die Menschen zu beschützen. Etwas, das – so hatte sie immer gedacht – außerhalb von Anime und Manga niemals passieren würde. Immerhin war sie immer eine rationale Person gewesen, fasziniert von Naturwissenschaften. Nicht, dass sie nicht auch ab und an von magischen Kräften geträumt hätte, doch war sie sich immer dessen bewusst gewesen, dass es nicht mehr war, als das: Eine Träumerei. Eine dumme Fantasie.

Und doch war sie nun in einem solchen Traum gefangen und sie wusste, dass sie auch wenn in dieser Nacht alles enden sollte, sie nie wieder zu dem Leben zurückkehren konnte, dass sie bis zu Beginn von diesem Sommer geführt hatte.

Während der bunte Bingata-Kimono, in dem ein ein Blumenmuster aus glitzerndem Garn gewebt war, ihren Körper umhülte, blieben ihre Füße barfuß. Als sie das nächste Mal den Boden berührten, stieß sich Hoshie von diesem ab und schwebte in Richtung des Himmels, der hier im Osten, jenseits der Wolkenfront noch immer rot und orange leuchtete.

Ein Knurren ließ sie sich umsehen. Natsuki sprang über die Dächer einiger alter Häuser Ihr Körper glich nun der einer seltsamen Kreatur.

Ihr Fell war weiß, bis auf die Mähne, die den beinahe drachenhaften Kopf umgab beinahe golden zu schimmern schien, und den ebenso goldenen, geschwungenen Schweif. Ihr Körper war dabei beinahe so groß, wie der eines Ponys, auch wenn ihre Beine im Verhältnis zu ihrer Körpergröße bei weitem nicht so lang waren, wie Pferdebeine.

Obwohl Hoshie im Süden Japans aufgewachsen war, hatte sie sich doch erschrocken, als sie Natsuki das erste Mal in dieser Gestalt gesehen hatte. Mittlerweile wirkte sie jedoch genau so vertraut, wie Natsukis menschlicher Körper, der eigentlich auch nur ein Werk von Magie war.

Natsuki war ein Shiisa, ein Schutzgeist der Inseln, wie sie diese schon seit Jahrtausenden verteidigten.

Auch die weiße Shiisa stieß sich nun vom Boden ab, schwebte jedoch anders als Hoshie in dieser Gestalt nicht, sondern rannte durch die Luft, als würde ein unsichtbarer Boden sie tragen.

So schwebten – oder rannten, im Fall von Natsuki – sie schließlich der Wolkenfront entgegen, durch die sie nun auch einige Blitze zucken sahen.

So sehr sie sich auch vor dem, was nun kommen würde, fürchtete, so kam sie nicht darum sich zu fragen, wie Long Wangh selbst aussehen würde.

„Hab keine Angst, Hoshie“, knurrte Natsuki neben ihr, als sie die Wolken schließlich erreichten.

Hoshie nickte nur. Der Wind hier war nun stark und versuchte sie zurückzuwerfen, doch ihre Magie – oder besser die Magie Natsukis – schützte sie davor.

Nun zuckten die Blitze überall um sie herum und sie wusste, dass sie ohne Magie allein von ihrer Hitze Verletzungen davon tragen müsste.

Dann schließlich sah sie ihn.

Das erste, was sie von dem Drachen sah, war ein Stück massigen, schlangenhaften Körpers, der sich neben ihnen durch die Wolken schlängelte. Dieses Stück allein war mindestens halb so breit, wie sie groß war.

Sie schluckte.

„Ich bin bei dir“, wiederholte Natsuki erneut und drückte ihren Körper nun an Hoshies Bein.

Diese nickte nur.

Dann hörte sie über das Donnern und das hier allgegenwärtige Heulen des Windes hinweg etwas anderes: Ein Knurren. Ein Knurren so laut, dass es sie wortwörtlich erzittern ließ.

Hoshie schloss die Augen. Sie berührte das Amulett, das nun am Bund des Yukata befestigt war. Ein Ball aus Licht löste sich aus dem Amulett und verblieb in ihrer Hand, in der sich daraus ein Schwert formte. Dieses Schwert stieß sie in die Luft, wo es selbst einen Windstoß auslöste, der die Wolken um sie herum verdrängte und so eine Art Saal von vielleicht zweihundert oder dreihundert Metern Durchmesser zwischen den Wolken formte, in dem sie nun schwebten.

Das seltsame an dieser Magie war, dass sie immer wusste, was sie tun musste. Sie hatte nie darüber nachdenken müssen.

In dem Saal in den Wolken, der immer wieder vom Licht der umher zuckenden Blitze erhellt wurde, waren sie jedoch nicht allein, denn nun, da die Wolken ihn nicht mehr verdeckten, konnten sie den Drachen sehen.

Die massive schlangenartige Gestalt war über und über von dunkelblauen Schuppen bedeckt, die von dem Regenwasser wie von einem natürlichen Film bedeckt wurden. Die Unterseite des Körpers war wie von Silber, während das Haar, das aus dem Rücken und dem Kopf des Drachen herauswuchs, wie der Schaum auf den Wellen des Meeres schimmerte. Es war ein mächtiges Ungetüm, das sie nun mit einem eisigen Blick ansah, der deutlich machte, dass dieses Geschöpf nicht minder totbringend, wie majestätisch war.

„Da sind sie, endlich“, knurrte der Drache nun, mit einer Stimme, die so laut war, dass es schien, als würde sie von überall her widerhallen.

Doch neben dem Drachen war da noch eine andere Gestalt. Ein weiterer Mensch, der neben dem riesigen Drachenkönig aussah, wie eine Ameise zu Füßen eines Menschen.

Es war ein Junge, gehüllt in ein blaues, lockeres Gewand, das seine bloße Brust nur zum Teil bedeckte. Das Gewand war im Stil der Hakama, war jedoch wie ein chinesischer […] gebunden.

Hoshie hatte ihn den Sommer über immer wieder aus der Ferne gesehen, doch er hatte sie nie angegriffen.

In der Hand des Jungen war eine Lanze, ein Guandao, deren Spitze in die Tiefe zeigte.

„Nun, so sehen wir die Auswahl dieses Jahrzehnts“, meinte der Drache und lachte, was klang, wie das Grollen des Donners selbst.

„Und es wird so enden, wie jedes Jahr“, erwiderte Natsuki.

Der Kopf des Drachens schnellte zu ihnen vor, was Hoshie dazu brachte, unwillkürlich in die Höhe zu fliegen, um den scharfen Zähnen zu entgehen. Doch Natsuki verharrte in der Luft, bis der Drachenkopf nur noch kaum mehr als einen halben Meter von ihr entfernt war und inne hielt.

„Dich habe ich noch nicht gesehen“, meinte der Drache. „Du bist ein neuer Shiisa, ja? Ein weiterer Schutzgeist?“

„Ja“, erwiderte Natsuki kühl. „Nun lass es uns zu Ende bringen, Long Wangh.“

„Es wird nie zu Ende sein“, entgegnete der Drache und auch wenn seine Stimme laut aus allen Richtungen widerhallte, meinte Hoshie ihr so etwas wie Häme entnehmen zu können.

Doch nun, da sie über dem Drachen und über Natsuki schwebte, sah sie zu dem Jungen, der noch gar nichts gesagt hatte, sondern einfach nur an derselben Stelle schwebte wie zuvor.

Er wirkte so klein und da sie ihn schon vorher aus der Ferne gesehen hatte, war sie sich sicher, dass es nicht nur an dem riesigen Drachenkönig lag. Ja, tatsächlich schien der Junge nicht besonders alt zu sein, um einige Jahre jünger als sie. Und sie fragte sich, ob er überhaupt kämpfen wollte – ob er überhaupt einen Grund hatte zu kämpfen.

Denn sie konnte sich kaum vorstellen, dass irgendein Mensch in einem so jungen Alter dieselbe Zerstörung herbei zu führen wünschte, die Long Wangh beabsichtigte.

Sie schwebte vorsichtig zu dem Jungen hinüber und streckte ihm die Hand entgegen. „Du musst nicht kämpfen, wenn du nicht willst“, sagte sie und lächelte ihn an. Von Nahem sah er nicht älter aus, als vielleicht dreizehn oder vierzehn. „Du kannst einfach aufgeben.“

Der Junge hob den Kopf und sah sie an, wobei sein dunkles Haar, das von dem Wind herumgewirbelt wurde, seinen Kopf beinahe wie eine Krone umgab. „Das ist so einfach gesagt“, erwiderte er mit kühler Stimme. „Doch was weißt du schon?“

Überrascht ließ Hoshie ihre Hand sinken. Dabei waren es weniger die Worte des Jungen, die sie überraschten, als die stille Verzweiflung in seinen Augen.

Dann geschah alles auf einmal ganz plötzlich. Sie hörte Natsuki nach ihr rufen und dann spürte sie einen harten Schlag gegen ihren Rücken.

Hoshies Eltern hatten früher in Naha gelebt, ehe sie mit ihr nach Osaka gezogen waren. Damals war sie dreizehn gewesen und ihr Vater hatte ein Jobangebot in der größeren Stadt bekommen – etwas das sie als Teenager gefreut hatte, denn immerhin gab es in Osaka so viel mehr zu tun, als im vergleichsweise kleinen Naha.

Doch als sie langsam älter geworden war, hatte sie gemerkt, dass ihr etwas, das sie nicht genau hätte benennen können, fehlte.

Umso glücklicher war sie gewesen, als sie an der Universität von Naha angenommen wurde. Diese war allgemein keine der führenden Hochschulen Japans, war jedoch zumindest im Bereich der Meeresbiologie und Ozeanologie weit anerkannt.

So kam es, dass sie nun zum ersten Mal allein lebte – nun, zumindest mehr oder weniger, da sie in einem Ryukan im Medanbashi-Distrikt untergebracht war, in dem auch einige andere Studenten lebten.

Die ersten Wochen des Studiums waren schnell herumgegangen, immerhin gab es viel zu tun und es fiel Hoshie schwerer als gedacht, sich in das Studium einzufinden, das einen gänzlich anderen Rhythmus, als die Arbeit an der Highschool mit sich brachte.

Zudem musste sie zugeben, dass ihr die schwüle Hitze, die hier bereits seit Mai herrschte, zusetzte, da sie diese nicht mehr gewohnt war.

So kam es auch, dass sie, obwohl ihr das Studium gefiel, froh war, als mit dem dritten Wochenende des Julis auch die Sommerferien anfingen, die hier dank der sommerlichen Hitze eine Woche länger andauerten, als es in Osaka der Fall gewesen war.

Am Samstag diesen dritten Wochenendes war sie bereits früh zum Bahnhof aufgebrochen, um von dort aus nach Norden zu fahren.

Da es Wochenende war, waren nicht so viele Menschen unterwegs, wie unter der Woche, wenn sie zur Universität fuhr, sodass sie bequem sitzen konnte, auch wenn sie aus reiner Gewohnheit ihre Tasche auf dem Schoß trug.

Sie hatte den Kopf gedreht, um aus dem Fenster zu sehen, wo sie an einigen Stellen zwischen den eher niedrigen Häusern hindurch das Meer schimmern sehen konnte.

Eine der Sachen, die sie auf jeden Fall vermisst hatte, war es im Meer schwimmen gehen zu können, was in Osaka selbst nicht wirklich möglich gewesen war, da sich die Industrie am Meeresufer ausgebreitet hatte, was demnach an vielen Stellen unzugänglich war. Zwar war dies im Zentrum Nahas an den meisten Stellen ebenfalls der Fall, doch wenn man etwas nach Norden an den Rand der Stadt fuhr, konnte einige Badestrände finden, von denen nicht alle zu den Hotels gehörten.

Nun konnte sie das Meer ganz sehen, da die Bahn über einen Damm fuhr und hier die Landschaft zum Strand hin abfiel, sodass die Häuser niedriger gelegen waren, als die Schienen der Bahn.

Da die Sonne noch niedrig genug stand, als dass ihr Licht in der Atmosphäre eher rötlich und orange gebrochen wurde, schimmerte auch die Meeresoberfläche in diesen Farben.

Vielleicht sah sie es deswegen zuerst nicht und hielt es, als sie es erkannte, zuerst für eine optische Täuschung. Doch als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es nicht so war.

Dort flog etwas durch die Luft – etwas das sie an einen Meteoriten erinnerte. Wie eine Sternschnuppe fiel es – was auch immer „es“ war – hinab. Jedoch nicht in der Ferne am Himmel, sondern über der Stadt.

Mit einer sehr flachen Bahn fiel es dem Meer entgegen.

Groß war es nicht und der wissenschaftliche Teil ihres Gehirns machte sie darauf aufmerksam, dass es für eine Sternschnuppe viel zu langsam flog.

Doch sie konnte keinen besseren Vergleich ziehen, denn der Gegenstand schien hell zu glühen und zog einen Lichtschweif hinter sich her.

Mit einer seltsamen Faszination und klopfendem Herzen beobachtete sie den Gegenstand, bis er schließlich aus ihrem Blickfeld verschwand und irgendwo am Strand oder vielleicht ins Meer stürzte.

Ihre Neugierde war geweckt.

Als die Straßenbahn das nächste Mal hielt, stieg sie aus. Eigentlich hatte sie noch eine Station weiterfahren wollen, doch die Frage, was sie dort gesehen hatte, ließ sie nicht mehr los.

So stand sie an der Station, die kaum mehr als eine geteerte Plattform neben den Gleisen mit einem Bretterverschlag zum Unterstellen bei Regen war, während draußen vor der Absperrung ein Ticketautomat stand.

Mit ihrem eigenen Ticket verließ sie die Station und machte sich auf den Weg in Richtung Strand.

Hier am Rand der Stadt waren die Häuser durchgehend klein und wirkten wenig modern, wobei Naha allgemein nur wenige Wolkenkratzer zu bieten hatte, wodurch es sich stark von den Metropolen auf Honshu unterschied.

Auch die Straßen waren schmaler und zumindest um diese Zeit kaum befahren.

Als sie zum Strand herunterkam, wehte ihr ein angenehmer Wind entgegen, der der Schwüle etwas entgegen wirkte.

Für einen Moment schloss sie die Augen, um den kühlen Wind auf ihrer Haut zu genießen, ehe sie sich umsah, nur um zu sehen, ob sie irgendwo etwas erkennen konnte, dass auf das seltsame Objekt schließen ließ.

Doch zumindest auf den ersten Blick sah sie nichts.

Sie überlegte, wo das Objekt in etwa aufgeschlagen sein musste, immerhin hatte sie nicht gesehen, wann es genau in Kontakt mit dem Boden – oder dem Meer – gekommen war.

Nun, wirklich groß schien es nicht zu sein, demnach war es wohl ohnehin unwahrscheinlich, dass sie es fand. Vielleicht war es auch nur irgendeine Feuerwerksrakete, ein ferngesteuertes Spielflugzeug oder etwas ähnliches gewesen, überlegte sie, während sie dennoch in die Richtung ging, in der sie das Objekt vermutete.

Dabei war sie schon bald in Gedanken versunken und sah immer wieder auf das Meer hinaus.

So kam es auch, dass sie etwas überrascht war, als sie tatsächlich etwas ungewöhnliches im Sand sah.

Hoshie sah es zuerst nur aus den Augenwinkeln. Dabei war es jedoch nichts helles oder gar leuchtendes, das nun ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern etwas dunkelrotes.

Sie drehte sich, um es direkt zu betrachten und fand, dass es eine rote Kordel war, die im Sand lag und offenbar an etwas gebunden war, dass unter dem Sand vergraben war.

Vorsichtig schob Hoshie den Sand zur Seite und fand ein Amulett, wie sie eigentlich aus China stammten, aber auch von Kannushi genutzt wurden. Sie grub es aus und betrachtete es. Obwohl es in einem guten Zustand war, wirkte etwas an ihm alt auf Hoshie, doch sie konnte nicht genau sagen, was sie auf diesen Gedanken brachte. Immerhin hatte sie auch nichts mit Archäologie zu tun.

Auf das Amulett waren zwei ineinander liegende Kreise geprägt. Während der Innere ein Bild, das – so meinte Hoshie – einen Drachen darstellte, umfasste der äußere acht Kanji in alter Schriftweise. Wie bei einem Kompass war das oberste Schriftzeichen, wenn man das Ende, an dem die Kordel befestigt war, Norden, das untere Süden und die beiden an den Seiten Osten und Westen. Dazwischen fanden sich jedoch die Zeichen für Tempel, Meer, Wind und Wald. Auf der Rückseite des Amuletts war ein chinesisches Zeichen, das Hoshie nicht erkannte.

Für keinen Moment zog sie es in Erwägung, dass dieses Amulett der fliegende Gegenstand gewesen sein konnte – immerhin erschien es in ihrem Weltbild nicht als sehr wahrscheinlich, dass ein Amulett fliegen lernte, weshalb sie sich einfach nur wunderte, wie es an den Strand gekommen war und was sie mit ihm machen sollte. Auch wenn etwas an dem Amulett altertümlich wirkte, so war die Kordel doch zu gut erhalten für irgendetwas, das vorher tatsächlich tief vergraben gewesen wäre.

Noch einmal drehte sie den Gegenstand in der Hand und überlegte, was sie damit machen sollte, beschloss jedoch, ihn erst einmal einzustecken und später bei einem Fundbüro abzugeben.

Mit diesem Entschluss im Kopf ging sie weiter den Strand hinab, immer noch nach der vermeintlichen Sternschnuppe Ausschau haltend, ohne wirklich damit zu rechnen, etwas zu finden.
 

Letzten Endes ging sie schwimmen ohne den seltsamen fliegenden Gegenstand gefunden zu haben, was sie sich damit begründete, dass er wohl einfach ins Meer gefallen war und nicht an den Strand. Auch wenn sie neugierig gewesen war, worum es sich gehandelt hatte, so dachte sie schon kaum mehr darüber nach, als sie gegen Mittag mit dem Bus wieder in das Stadtzentrum hinein fuhr. Sie hatte ihr Handy herausgeholt und schrieb mit einer Kommilitonin, mit der sie sich für den Nachmittag verabredet hatte, um gemeinsam Essen zu gehen und danach noch etwas für die Universität nachzubereiten – immerhin waren auch die Sommerferien keine Zeit, um nur zu entspannen und die Vorlesungen der letzten Wochen wollte sie nacharbeiten, ehe die eigentliche Ferienzeit anfing.

Das Amulett hatte sie schon halb vergessen, während sie im Bus saß. Eigentlich hatte sie vor bis zur Ja Nichibaru Machi Station zu fahren, doch dazu kam es nicht.

Der Himmel draußen hatte sich bereits während sie geschwommen war, mit Wolken zugezogen und es sah nach Regen aus, was sie es verfluchen ließ, keinen Schirm mitgenommen zu haben.

Da jedoch hielt der Bus an – was Hoshie zuerst nicht als ungewöhnlich wahrnahm. Erst als sie aus dem Fenster sah und bemerkte, dass sie die Station nicht kannte, wurde sie misstrauisch. Immerhin fuhr sie die Strecke häufiger und war sich zumindest einer Sache sicher: Sie ging nicht an einem Wald vorbei, da es einen solchen eigentlich auch gar nicht in Naha gab.

Sie runzelte die Stirn. Denn auch wenn sie beschäftigt gewesen war, so war sie sich doch sicher, dass sie es mitbekommen hätte, wenn sie in die falsche Richtung gefahren wäre.

Was sie jedoch ebenso irritierte, war die Tatsache, dass der Bus nicht weiterfuhr.

Sie ging zur Tür und sah hinaus. Es stand auch nirgendwo ein Schild, das signalisiert hätte, dass hier eine Bushaltestelle war. Schon überlegte sie sich vorsichtig an den Busfahrer zu wenden, bemerkte aber, dass offenbar niemand vorne im Bus saß.

Das Ganze wurde ihr langsam unheimlich.

Tatsächlich war sie ganz allein im Bus, was ihr noch seltsamer erschien. Denn sie war sich sicher, vorher nicht der einzige Passagier gewesen zu sein.

Sie sah zum Wald, der sich hinter einer groben Steinmauer vor ihr auf einem Hügel erhob, hinauf und schüttelte den Kopf. Nein, sie wusste nicht, wo ein solcher bewaldeter Hügel in Naha oder in der Umgebung der Stadt sein sollte.

Dann jedoch kam ihr ein seltsam klarer Gedanke: Sie musste im Bus eingeschlafen sein und träumen. Das einzige, das dazu nicht passte, war die Tatsache, dass sie ob dieser Erkenntnis nicht aufwachte, wie es bei ihr sonst immer der Fall war.

Sie schüttelte den Kopf und überlegte, was sie tun sollte.

Ausgerechnet in diesem Moment fing es an zu regnen und ein fernes Grummeln sagte ihr, dass es bald anfangen würde zu gewittern.

Sie seufzte. Das Ganze wurde ihr immer unheimlicher.

Schließlich stieg sie ganz aus dem Bus aus und sah sich um. Tatsächlich sah sie auch auf der anderen Seite der Straße nur einen abfallenden Hang, doch keine Spur der Stadt, von der sie sich eigentlich nicht zu weit entfernt haben konnte.

Da entdeckte sie eine alte, aus groben Steinen geschaffene Treppe, die in den Wald hinauf führte.

Hoshie sah sich um. Ihr kam die ganze Situation seltsam unwirklich vor, doch da sie aus dem Traum, wenn es einer war, offenbar nicht so einfach erwachen konnte, beschloss sie schließlich der Treppe zu folgen, um so entweder einen Ausweg oder jemanden, den sie fragen konnte, was hier geschah, finden zu können.

Als sie den Fuß auf die erste Stufe setzte, zögerte sie noch einmal. Sie sah auf ihr Handy und seufzte, ohne wirklich darüber überrascht zu sein, dass sie keinen Empfang hatte.

Also ging sie die Treppe, deren helle Steine an vielen Stellen mit Flechten überwachsen waren, hinauf und kam sich spätestens, als ein Wind ihr durch den Tunnel, den die Bäume zu beiden Seiten der Treppe bildeten, ein wenig vor, wie Chihiro auf dem Weg in das Land der Götter.

Schließlich erreichte sie ein Torii, um dessen etwas ausgebleichte Seitensäulen weiße Papierketten gebunden waren, die aussahen, als wären sie erst gerade angebracht worden.

Wenn ein Torii hier war, hieß es, dass sich am Ende der Treppe wohl ein Schrein oder ein anderes Heiligtum befinden musste. Und die neu aufgehängte Kette machte ihr Hoffnung, dass sie vielleicht eine Miko oder einen Kannushi dort vorfinden würde.

Also ging sie weiter, während die Regentropfen dicker wurden, sodass sie sich ihre Tasche zum Schutz über den Kopf hielt.

Schließlich erreichte sie den oberen Absatz der Treppe, der offenbar wirklich auf der Kuppe des Hügels – der ihr nach dem Aufstieg schon eher wie ein kleiner Berg vorkam – und fand hier tatsächlich einen kleinen Schrein, der jedoch aus nicht mehr, als einem einzelnen kleinem Gebäude aus weiß gestrichenem Holz, das komplett offen war. In der Mitte des Gebäudes stand eine steinerne Shiisa-Statue, während vor dieser ein Schälchen mit Reis und eine Halterung mit Räucherstäbchen standen.

Doch obwohl die Räucherstäbchen erst gerade angesteckt worden zu sein schienen, konnte Hoshie niemanden sehen.

„Hallo?“, rief sie und sah sich um, während ein erster Blitz über den Himmel zuckte.

Niemand antwortete ihr und sie schüttelte den Kopf. Das Ganze war irgendwie schon verrückt, dachte sie sich.

Nach kurzem Zögern trat Hoshie unter das Dach des Schreins, verbeugte sich dann und kniete sich hin, da es hier zumindest trocken war.

Ihre Tasche stellte sie neben sich und holte ihr Handtuch heraus, um sich die Haare zu trocknen, wobei sie etwas hartes in ihrer Tasche ertastete und sich wieder an das Amulett erinnerte. Sie zog es heraus und stellte fest, dass die Schriftzeichen im äußeren Kreis leuchteten.

„Okay“, murmelte sie und runzelte erneut die Stirn.

Dann zuckte sie zusammen. Sie hatte etwas gehört, das klang, als hätte jemand ganz in ihrer Nähe Luft geholt.

„Dann hast du es also gefunden?“, fragte eine recht tiefe Frauenstimme.

„Was?“, fragte Hoshie und sah sich verwirrt um.

„Vor dir, Blindfisch“, erwiderte die Stimme und als Hoshie ihren Blick wieder auf den Schrein wandte, sah sie, wie sich langsam Fell auf der dabei wachsende Statue bildete, ehe am Ende ein ganz offenbar lebendiger Shiisa in der Größe eines kleinen Pferdes vor ihr saß.

Er beugte sich zu ihr hinab und schnupperte, was sie dazu brachte aufzuschreien und rückwärts von ihm weg zu kriechen.

„Hmm, das ist kein guter Anfang“, seufzte der Shiisa, dessen Stimme jedoch tatsächlich weiblich war.

Hoshie starrte das Ungetüm an, sich nun vollkommen dessen sicher, dass sie träumte. Warum wachte sie nicht auf.

„Hast du dir auf die Zunge gebissen?“, fragte die Shiisa – denn das Wesen schien tatsächlich weiblich zu sein, da es auch weibliche Pronomen nutzte – nun.

Für einen Moment schloss Hoshie die Augen um sich zu sammeln. „W-was willst du von mir?“, stammelte sie dann.

„Nun…“ Die Shiisa kam auf sie zu und hob eine der krallenbewehrten Tatzen, berührte mit dieser das Amulett, das Hoshie noch immer umfasst hielt. „Du hast das gefunden. Das heißt du bist für dieses Jahrzehnt die Auserwählte. Herzlichen Glückwunsch.“

Etwas an der Stimme des Shiisa ließ Hoshie verwundert aufsehen. „Bist du sarkastisch?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.

Die Shiisa legte den Kopf zur Seite. „Ja“, stellte sie dann trocken fest. Sie schüttelte den Kopf. „Ich finde die ganze Geschichte nicht minder seltsam als du, glaub mir. Und ich habe mir sicher nicht ausgesucht, diesen Job dieses Mal zu übernehmen…“

„Was für einen Job?“, fragte Hoshie. Die Sprache des Untieres wirkte erstaunlich menschlich, was dafür sorgte, dass sie sich langsam beruhigte.

„Einfach gesagt: Es ist ein Ritual, das alle zehn Jahre wiederholt wird“, meinte die Shiisa. „Der Klan der Shiisa und Long Whang erwählen sich jeweils einen Menschen. Die beiden müssen Aufgaben erfüllen und am Ende gegeneinander kämpfen. Oh, und wenn Long Whang gewinnt, versinkt die Insel im Meer.“ Das sagte sie, als sei es vollkommen nebensächlich. Als sie jedoch Hoshies schockierten Gesichtsausdruck sah, gab sie so etwas wie ein Seufzen von sich. „Keine Sorge, dass ist in den letzten vierhundert Jahren nie passiert. Wie du sehen kannst.“

Noch immer starrte Hoshie das Wesen ungläubig an.

„Was ist?“, fragte die Shiisa nun.

Hoshie holte tief Luft, ehe die Fragen aus ihr heraussprudelten. „Wovon redest du? Wo bin ich hier eigentlich? Und wer bist du überhaupt?“

„Ach ja“, meinte die Shiisa und schüttelte ihren zotteligen Kopf. „Entschuldige bitte. Ich mache das ganze dieses Jahr zum ersten Mal – ich glaube ich habe falsch angefangen. Ich habe dir auch einen Schreck eingejagt, oder?“

Langsam nickte Hoshie.

„Entschuldige.“ Damit schloss die Shiisa die Augen und ihr Körper leuchtete auf, ehe im nächsten Moment statt ihrer eine junge, rothaarige Frau in einem Mikogewand vor Hoshie stand. „So ist es wahrscheinlich besser, hmm?“ Als Hoshie nichts erwiderte, streckte die Shiisa ihr die Hand entgegen. „Mein Name ist Natsuki. Entschuldige, dass ich dich erschrocken habe. Und du bist hier… Nun, am Rand des Landes der Geister. Es gehört mit zur Tradition, die Auserwählten erst hierher zu locken.“ Sie verdrehte die Augen. „Entschuldige das.“ Damit musterte sie Hoshie. „Und du bist auch noch ganz nass geworden wegen dem Wetter.“ Sie hielt ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. „Das tut mir wirklich leid.“

Für einen Moment zögerte Hoshie. „Schon in Ordnung“, murmelte sie dann unsicher und nahm schließlich die Hand. „Aber… Meintest du das ernst? Mit den Aufgaben und Kämpfen und wenn ich verliere geht die Insel unter?“

„Ja“, erwiderte die junge Frau ungerührt. „Das ist die Tradition.“

Hoshie blieb für einen Moment stehen und nahm eine Flasche gekühlten Jasmintees aus ihrem Rucksack, um einen Schluck zu trinken.

„Was ist?“, fragte Natsuki und sah sich zu ihr um.

Natsuki schien nicht das geringste Problem mit der Steigung des Berges – oder mit der Hitze zu haben – und lief auch durch das Dickicht des Waldes mit einer geisterhaften Trittsicherheit. Ja, geisterhaft war das richtige Wort, dachte sich Hoshie, in deren Haar sich einige Blätter verfangen hatten, obwohl sie sich die Haare extra zu einem Zopf gebunden hatte, um dies zu verhindern.

„Ich kann nicht mehr“, keuchte sie, nachdem sie die Flasche abgesetzt hatte. „Es ist zu heiß!“

Natsuki seufzte und lief zurück. „Ach, stell dich nicht so an“, meinte sie, lächelte dabei aber verständnisvoll und hielt ihr die Hand entgegen. „Es ist nicht mehr weit.“

„Warum fliegen wir nicht einfach?“, fragte Hoshie – und kam sich dabei noch immer irgendwie dumm vor.

Daraufhin verdrehte Natsuki die Augen und Hoshie wusste bereits, dass die Antwort ein genervtes „Tradition“ sein würde.

Es war nun zwei Wochen her, dass sie das Amulett der Shiisa am Strand gefunden hatte und so ganz hatte sie sich noch nicht in die Situation eingefunden. Immerhin war ihr Vater Physiker und auch sie hatte schon immer ein eher wissenschaftliches Weltbild gehabt. Zwar hatte sie als Kind gerne Anime gesehen und war von Magical Girls begeistert gewesen, jedoch hatte sie jene albernen Kinderträume, in denen sie selbst ein solches war, bereits sehr früh aufgegeben, da es einfach unmöglich war. Zumindest hatte sie das gedacht.

Ebenso wenig hatte sie an jedewede Form von Yokai, Geistern oder Götter geglaubt – wer tat dies auch schon noch wirklich?

Demnach kam ihr das Ganze noch immer wie ein sehr verrückter Traum vor und sie hatte mehr als einmal die Möglichkeit erwogen, dass sie eventuell einen Unfall gehabt hatte und seither in einem sehr seltsamen Komatraum gefangen war.

„Jetzt komm“, meinte Natsuki noch einmal und zog sie mit sich den Berg hinauf. „Mir gefällt das Ganze auch nicht besser als dir.“

„Warum konnte man die Schreine nicht näher beieinander aufstellen?“, fragte Hoshie, wobei diese Frage allerdings eher rhetorisch gemeint war.

„Das frag diejenigen, die mit der ganzen Sache angefangen haben“, erwiderte Natsuki und sah sich um.

Sie waren unterwegs zum Schrein des Nordens, der sich am Hang des Berges Onna – treffender Weise im Norden der Insel – befand. Es war der dritte Schrein, den sie seit jenem Tag besuchten und mehr als einmal hatte sich Hoshie bereits über dieses unerwünschte Ferienprogramm beschwert.

Doch Natsuki, die kurzerhand in dasselbe Ryukan, in dem auch Hoshie lebte, für den Sommer gezogen war, hatte darauf bestanden, dass sie keine Wahl hatten.

Früher, so hatte sie erzählt, hatten die Shiisa das Land gegen den Meeresdrachen Long Wangh verteidigt, der einst die Menschen der Insel bedroht hatte und die Insel wieder in sein Meer zurückholen wollte. Immer wieder hatten die Shiisa der Insel gegen das Ungeheuer des Meeres gekämpft, bis irgendjemand beschlossen hatte, die Menschen selbst kämpfen zu lassen. Seither erwählten sowohl die Shiisa, als auch der Drache einen Auserwählten, die den Kampf am Ende des Sommers gegeneinander austragen sollten. Wobei erwählen in dem Zusammenhang zumindest für die Shiisa zu bedeuten schien, dass sie ein magisches Amulett auf die Insel fallen ließen und denjenigen, der es aufhob mit der Aufgabe betraute – kein besonders zuverlässiges Verfahren in Hoshies Augen.

Allerdings fragte sie sich auch, wer um Himmels Willen dafür kämpfen würde, die Insel im Meer versinken zu lassen und wie der Drache jemanden dazu überreden konnte. Doch bisher hatte sie den Auserwählten des Drachens nicht gesehen, weshalb sie auch kaum hatte fragen können.

„Da hinten ist es“, meinte Natsuki nach einigen weiteren anstrengenden Minuten, in denen sie durch das Gestrüpp marschiert waren. Immerhin gab es natürlich keine einfachen Wanderwege, die zu einem solchen vergessenen Schrein führten.

Erneut blieb Hoshie stehen und spähte durch das Dickicht, konnte jedoch nichts erkennen.

„Komm!“ Natsuki lächelte ihr aufmunternd zu.

Zumindest konnte Hoshie nicht sagen, dass Natsuki ihr vollkommen unsympathisch war. Zwar wirkte sie etwas hyperaktiv, jedoch war sie freundlich und schien eigentlich die ganze Geschichte genau so albern zu finden, wie Hoshie es tat. Sie hatte sich mehr als einmal darüber beschwert, sich darum kümmern zu müssen, was Hoshie allerdings dazu gebracht hatte sich zu fragen, was ein Shiisa eigentlich in seinem normalen Leben so machte.

Schließlich sah sie, was sie als den Eingang zum Schrein vermutete.

Es war eigentlich der Eingang einer Höhle, über dem jedoch weiße Kordeln und eine Girlande hingen, was die Höhle als einen heiligen Ort auswies.

„Siehst du?“, meinte Natsuki. „Wir sind schon da.“

„Schon ist gut“, seufzte Hoshie, ging aber die letzten Schritte, ehe sie sich erst einmal vor dem Höhleneingang auf einen größeren Stein fallen ließ.

„Sieh es als ein wenig sportliches Training an“, sagte Natsuki aufmunternd und hockte sich im Schneidersitz neben sie auf den Boden. „Ist sicherlich auch gut für die Figur und von dem was ich so mitbekommen habe, sorgen sich Menschenfrauen doch häufig um diese.“

„Shiisa wohl eher nicht“, seufzte Hoshie und nahm erneut einen Schluck ihres Tees.

„Na ja, es ist nicht so als würde man als solcher besonders viel essen“, erwiderte Natsuki. „Und meine Menschengestalt kann ich mir ohnehin aussuchen.“

Das war neu für Hoshie und sie hob eine Augenbraue. „Aber du bist schon ein Mädchen?“, meinte sie misstrauisch.

„Weiblich“, entgegnete Natsuki. „Ja. Wieso?“

Die Frage beantwortete Hoshie nicht, dachte nur daran, dass sie mehr als einmal das Bad mit Natsuki geteilt hatte.

„Ist es wegen diesem seltsamen Scharmgefühl, das Menschen entwickelt haben?“, fragte die Shiisa dann und grinste. „Das habe ich ehrlich gesagt nie so ganz verstanden.“

„Musst du auch nicht“, erwiderte Hoshie mit einem Seufzen, da sie keine Lust hatte einen Erklärungsversuch zu starten. Dann musterte sie jedoch Natsuki, die noch immer dieselbe Gestalt hatte, in der sie sie kennen gelernt hatte, nachdem sie sich das erste Mal in einem Menschen verwandelt hatte.

Es war die Gestalt einer jungen Frau mit flammend roten Haaren, so wie sie diese noch nie natürlich gesehen hatte. Die Haare waren leicht wellig und reichten ihr bis zum Hals. Dabei lagen sie trotz des Marsches durch die schwüle Hitze und das Dickicht noch immer gut, als gehörten das mit zur Magie. Der menschliche Körper Natsukis war darüber hinaus gut proportioniert, ohne dabei zu übertrieben zu wirken, während ihre Haut einen leicht dunklen Teint hatte.

„Wieso hast du dir diese Gestalt ausgesucht?“, fragte Hoshie dann zögerlich, woraufhin Natsuki mit den Schultern zuckte. „Ich fand rote Haare bei Menschen immer irgendwie hübsch. Und der Rest… Ist doch recht normal, oder?“

Hoshie biss sich auf die Unterlippe und verkniff sich eine Bemerkung dazu, dass ein normaler Frauenkörper weit weniger perfekt geformt war.

„Was?“ Natsuki hob eine Augenbraue.

„Nichts, nichts“, murmelte Hoshie und winkte ab.

Misstrauisch sah Natsuki sie an. „Bist du dir da sicher?“, fragte sie, doch Hoshie zuckte nur mit den Schultern.

Daraufhin musterte Natsuki sie für einige Sekunden, ehe sie dann aber selbst mit den Schultern zuckte und in einer einzigen fließenden Bewegung auf die Beine sprang. „Lass uns gehen“, meinte sie dann. „Wenn wir hier fertig sind, können wir zurück – und du kannst wieder lernen.“ Sie streckte ihr die Zunge heraus.

Hoshie seufzte. Mehr als einmal schon hatte die Shiisa ihr zu verstehen gegeben, dass sie das Engagement zu lernen nicht verstehen konnte – dabei sah sich Hoshie selbst nicht als Streber. Aber immerhin hatte sie Hausaufgaben über die Ferien bekommen und wollte später am Ende des Trimesters in keiner Prüfung versagen. „Es ist ja nicht so, dass ich nur lerne“, tat sie diese Gedanken kund. „Normaler Weise würde ich noch andere Sachen machen – doch irgendwie ist das etwas schwer, wenn man auf einmal eine ganze Insel vor dem Untergang retten soll. Ich meine, ich war in den Ferien nicht einmal mit Freunden aus. Und meine Eltern habe ich auch nicht besuchen können.“ Sie sah Natsuki ein wenig vorwurfsvoll an, woraufhin diese ihr auf die Schultern klopfte.

„Ach, aber dafür hast du ja mich, hmm?“, meinte sie. „Wenn du ausgehen willst, kann ich auch mit dir gehen. Magst du ins Kino oder so?“

„Kino?“, fragte Hoshie ungläubig und hob wieder eine Augenbraue.

„Na ja, ich war noch nie in einem Kino“, antwortete Natsuki. „Normal habe ich dazu nicht besonders viele Möglichkeiten.“

„Kannst du nicht auch normal einfach als Mensch in unsere Welt gehen?“, fragte Hoshie.

„Nein.“ Natsuki seufzte und für einen Moment zögerte die andere.

„Tradition?“, fragte sie und Natsuki nickte.

„Klingt irgendwie unfair und langweilig“, meinte Hoshie zurückhaltend und spürte unwillkürlich etwas Mitleid mit ihrer Partnerin.

„Ist es auch“, seufzte Natsuki. „Ich meine, hierher zu kommen ist wohl mit das beste an diesem Job“, fügte sie dann hinzu. „Also komm, wenn wir uns beeilen kommen wir noch zu einer vernünftigen Zeit nach Naha zurück.“ Sie grinste. „Wir dürfen vielleicht hier nicht herunter fliegen, aber…“ Damit zwinkerte sie Hoshie zu, die es durchaus verstand.

Nun traten sie jedoch endgültig in die Höhle hinein, die nicht besonders tief in den Berg hineinführte. Stattdessen war vielleicht acht Meter vom Eingang entfernt ein kleiner steinerner Schrein aufgebaut, vor dem zwei Schalen standen, von dem eine mit Wasser gefüllt war.

Irgendetwas daran kam Hoshie seltsam vor und sie tippte Natsuki an die Schulter. „Wieso Wasser?“, fragte sie und zeigte auf die Schale.

Da hielt Natsuki sie auf einmal fest und das keinen Moment zu früh.

Im nächsten Augenblick kräuselte sich das Wasser in dem Schälchen und verfärbte sich dunkel, ehe ein Zeichen auf der Oberfläche erschien und das Wasser in einer nicht enden wollenden Kaskade aus dem Behältnis schoss.

In der Luft machte das Wasser eine Wende und schoss auf die beiden zu, während sich Natsuki nun vor Hoshie stellte.

„Was ist los?“, fragte diese verwirrt und verängstigt.

„Long Wangh war vor uns hier“, erwiderte die Shiisa, während ein unsichtbarer Schild vor ihr das Wasser davon abhielt, zu ihnen vorzudringen.

„Das heißt, wir sind umsonst hierher gekommen?“, antwortete Hoshie.

„Nein“, entgegnete Natsuki und sah sie an. „Du hast seltsame Prioritäten!“

Das Wasser, das von ihrem magischen Schild abprallte plätscherte auf den Boden, wo sich schnell große Pfützen bildeten.

„So war das nicht gemeint“, meinte Hoshie und trat einen Schritt zurück. Sie bemerkte Natsukis entgeisterten Blick. „Was?“

„Jetzt verwandele dich schon“, erwiderte die Shiisa.

„Oh.“ Daran hatte Hoshie nicht gedacht. Sie holte das Amulett aus dem Rucksack und hielt es vor sich, woraufhin es aufleuchtete und sie innerhalb nur weniger Sekunden in den magischen Yukata kleidete, während sich ihr Haar silbern färbte und sich das Amulett letzten Endes vor ihre Brust legte.

„Schwert!“, rief Natsuki im Befehlston und Hoshie erinnerte sich daran, dass sie ein solches ebenfalls beschwören konnte.

Sie streckte ihre rechte Hand aus, woraufhin mit einem Lichtstrahl die Waffe in ihrer Hand erschien.

Dann sprang Natsuki hinter sie, noch bevor sie sich darauf einstellen konnte.

Der Wasserstrahl traf das Schwert und prallte davon ab, was jedoch nicht verhinderte, dass Hoshie einiges des Spritzwassers abbekam.

„Warn mich doch bitte vor“, meinte sie ungehalten, während Natsuki ihre eigentliche Gestalt annahm und knurrend eine Verteidigungshaltung annahm.

Da machte der Wasserstrahl erneut ein weitere Kursänderung und schoss an ihnen vorbei aus der Höhle hinaus und nach draußen, wo sich das Wasser in einem riesigen Tropfen sammelte, in dem Hoshie die Gestalt einer sehr dünnen Gestalt, die halb an einen Affen, halb jedoch an etwas ganz anderes erinnerte.

„Ein Wassergeist“, rief Natsuki.

„Und was soll ich damit machen?“, erwiderte Hoshie und klang sowohl verwirrt, als auch etwas panisch.

Das Wesen schien innerhalb seines Tropfens eine klarer umrissene Gestalt anzunehmen, wobei seine Haut – oder war es Fell? – in einem dunklen Graublau erschien.

„Greif es an und versiegele es“, antwortete ihr Natsuki. „Es kommt aus dem Meer der Geisterwelt.“

„Aha…“ Mehr fiel Natsuki zu dieser Information nicht ein und sie hielt ungeschickt das Schwert vor sich, das in einem blassen Licht zu leuchten schien.

Der Wassergeist hob derweil seine Arme, die in krallenbewerten Klauen endeten, und machte eine Geste, woraufhin sich viele kleine Tropfen aus dem großen Tropfen lösten, und zu ihnen schossen.

Hoshie versuchte das Schwert fest zu halten, in der Hoffnung dass es irgendetwas machte.

Das hier war ganz anders, als bei den beiden Schreinen, die sie bisher besucht hatten. Dort hatten sie ein paar Räucherstäbchen angezündet, Natsuki hatte in kleineres Amulett ausgelegt und das hatte – so hatte Natsuki zumindest gesagt – das Tor zu ihrem Teil der Geisterwelt geöffnet. Dann hatte sich Hoshie verwandelt und aus dem Schrein war eine Lichtkugel in das Amulett geflogen, die ein Teil der Energie war, die sie später zum Kämpfen brauchen würde. Dort waren keine verrückten Affen mit magischen Kräften gewesen und ein Schwert hatte sie nicht gebraucht.

„Was machst du da?“, fragte Natsuki, als nur ein kleiner Teil der Tropfen an einem magischen Schild, das vom Schwert auszugehen schien, abprallte, während die anderen sie trafen, und kleine Schnittwunden auf ihrer Haut hinterließen, den Yukata jedoch aus irgendeinem Grund nicht beschädigen konnten.

„Was soll ich denn machen?“, erwiderte Hoshie und wurde sich dessen bewusst, dass sie beinahe weinerlich klang.

„Beschwör einen richtigen Schild“, wies die Shiisa sie an.

„Aber ich weiß nicht wie“, entgegnete Hoshie und musste blinzeln, als ihr Blut aus einer Wunde auf der Stirn ins Auge lief.

Natsuki zögerte, stellte sich dann aber vor ihr und beschwort erneut ein Schild, wie schon zuvor.

„Ich dachte, du darfst selbst nicht kämpfen“, begann Hoshie vorsichtig.

„Nun, irgendetwas muss ich ja machen, oder?“, entgegnete Natsuki, wobei ihre Stimme verriet, dass es sie Anstrengung kostete, das Schild aufrecht zu erhalten.

Für einen Moment sah Hoshie das löwenartige Wesen an. „Danke“, flüsterte sie dann.

Natsuki knurrte nur. „Wie wäre es, wenn du kämpfst?“

„Aber wie denn?“, fragte Hoshie. „Ich weiß doch kaum, wie ich dieses Schwert halten soll.“

„Erst einmal hältst du es mit beiden Händen“, meinte Natsuki und sah sie aus den Augenwinkeln an. „Du musst gar nichts können, du musst nur wollen. Wenn du daran glaubst, dass du es schaffen kannst, dann kannst du es auch schaffen. Es ist ein magisches Schwert, keins, das von Menschen geschmiedet wurde. Du hast jetzt die Energie der Shiisa, also kannst du sie auch nutzen.“

„Energie der Shiisa?“ Hoshie hatte langsam das Gefühl, dass Natsuki zu Beginn nicht nur die Sache mit dem guten ersten Eindruck vergessen hatte, sondern auch eine Art Einweisung in ihre Aufgaben und die dazugehörigen Fähigkeiten.

Natsuki knurrte erneut. „Denk dir einfach, so etwas wie Magie“, erwiderte sie dann.

„Und wie soll ich es nutzen?“, fragte Hoshie etwas verzweifelt.

„Glaub einfach daran und konzentrier dich darauf, was du machen willst“, entgegnete Natsuki.

Hoshie sah auf das Schwert in ihrer Hand. Sie kam nicht umher zu denken, dass es schwer gewesen wäre, jemanden zu finden, der dafür schlechter geeignet war, als sie. Nicht nur, dass sie keine Ahnung hatte, wie man kämpfte, sie tat sich selbst in dieser Situation sehr schwer an irgendeine Form von Magie zu glauben, die sie nicht sehen konnte. Doch hatte sie eine Wahl?

Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Schwert. Dabei versuchte sie sich daran zu erinnern, was ein Magical Girl in einem Anime in dieser Situation getan hätte, verwarf diesen Gedanken jedoch gleich, da ihr kein einziger solcher Anime einfiel, bei dem die Mädchen mit Schwertern kämpften.

Stattdessen kam ihr ein anderer Gedanke. Wenn der seltsame Affe ein Wassergeist war, so war er vielleicht anfällig für Elektrizität, da Wasser – besonders Salzwasser und die Kreaturen Long Wanghs waren offenbar Kreaturen des Meeres – diese leitete. Außerdem meinte sie sich zu erinnern, dass es auch bei Pokémon Elektrizität besonders effektiv auf Wassermonster war, was demnach sogar etwas Sinn zu machen schien. Und Elektrizität wurde doch, auch wenn Blitze eigentlich bei Unwettern auftraten, mit Licht und Helligkeit in Verbindung gebracht – wofür auch die Shiisa standen, wenn sie nicht irrte.

Also konzentrierte sie sich darauf. „Elektrizität. Elektrizität. Elektrizität“, murmelte sie hektisch und versuchte sich irgendwie vorzustellen, wie das Schwert von elektrischen Funken umgeben war.

Dann sprang sie über Natsuki hinweg, das Schwert erhoben. „Raikote“, rief sie unwillkürlich, als sie das Katana auf den Affen niederschwang, der sie erst jetzt bemerkte und aufschrie.

Die Klinge war tatsächlich von Funken umgeben, die sich durch das Wasser, das die Kreatur noch immer umgab, verbreiteten, während das Schwert in den Körper des Wesens schnitt.

Zu Hoshies Überraschung blutete der Affe jedoch nicht. Stattdessen trat eine Art dunkler Nebel aus der Wunde aus, ehe sich das Wesen einen Augenblick ganz in eine Wolke aus solchem Nebel verwandelte, während das Wasser zu Boden platschte.

Die Wolke blieb in der Luft hängen, als würde sie auf etwas warten.

„Was…?“, begann Hoshie, doch Natsuki schnitt ihr ins Wort.

„Benutzt das Amulett!“

Unwillkürlich griff Hoshie nach dem Amulett, dass sich erstaunlich einfach vom Yukata lösen lies und hielt es vor sich. Zu ihrem Erstaunen, geschah der Rest von allein. Das Amulett leuchtete auf und absorbierte den dunklen Nebel.

„Jetzt zum Schrein!“, wies Natsuki sie an und Hoshie, die nicht wusste, was sie sonst tun sollte, lief zum Schrein in die kleine Höhle hinein.

Dort erkannte sie nun in der einen Schale einen Talisman aus dunklem Papier.

Noch bevor ihr Natsuki eine weitere Anweisung geben konnte, hob sie intuitiv das Schwert und stieß es in den Talisman hinein, der sich im nächsten Moment auflöste. Dabei verwunderte sie es kaum noch, dass ihr Schwert dabei die Schale selbst nicht zerstörte, ja, nicht einmal zu beschädigen schien.

„Gut gemacht“, lobte Natsuki sie schließlich und atmete auf.

Vorsichtig ließ Hoshie das Schwert sinken. „Ist es vorbei?“

Natsuki nickte. „Für heute, ja.“

Daraufhin ließ sich Hoshie ohne ein weiteres Wort an der Höhlenwand hinab auf den Boden gleiten und atmete tief durch.

Sie hatte die Augen geschlossen, weshalb sie überrascht zusammenzuckte, als sie etwas warmes auf ihrem Gesicht fühlte. Als sie blinzelte erkannte sie, dass es die Zunge Natsukis war, die ihr über die Wunden leckte.

„Tut mir leid“, meinte Natsuki nun vorsichtig und senkte ihren großen Schädel.

„Hmm?“, machte Hoshie, kaum fähig zu sprechen.

„Ich hätte dich besser auf einen Kampf vorbereiten sollen. Ich glaube, das habe ich vergessen“, murmelte die Shiisa.

In dem Moment fing Hoshie an zu lachen. Sie konnte es sich nicht erklären, aber die Situation kam ihr so albern – so unwirklich vor, dass sie einfach nicht anders konnte als zu lachen.

„Was?“, fragte Natsuki verwirrt, doch Hoshie schüttelte nur den Kopf und winkte ab.

„Nichts“, meinte sie, noch immer kichernd. Sie stand auf und sah sich um. „Lass uns weitermachen.“ Doch in dem Moment fiel ihr Blick auf den Höhleneingang zurück und etwas, das sie draußen sah, verwirrte sie. Dort war eine menschliche Gestalt, die über den Bäumen in der Luft schwebte. Die Gestalt eines Jungen, sofern sie es richtig erkannte.

„Was…?“, begann sie, doch Natsuki knurrte.

„Das ist Schummeln! Er ist hergeflogen!“

Tatsächlich wandte sich der Junge im nächsten Moment ab und schwebte in die Richtung davon, aus der auch sie gekommen waren.

Natsuki ließ ein kehliges Grollen hören. „Weißt du was? Wir fliegen auch zurück.“

Erneut begann Hoshie zu kichern.

Die Begegnung am Berg Onna sollte nicht die einzige sein, die sie mit dem Jungen, der offenbar der Auserwählte des Drachen war, hatten. Auch beim Schrein des Ostens und dem des Waldes sahen sie den Jungen, der sie jedoch nie direkt angriff, während sie jedoch gegen weitere Kreaturen kämpfen mussten, die aus einem Siegel, ähnlich dem am Nordschrein, entsprangen.

Langsam, so stellte Hoshie fest, bekam sie Übung im Kämpfen und Natsuki bemühte sich nun auch, von Zeit zu Zeit mit ihr zu üben, was ihr allerdings noch weniger Zeit für ihre Hausaufgaben ließ, so dass sie langsam aber sicher befürchtete, diese bis zum Ende der Ferien gar nicht mehr bearbeiten zu können.

Denn in der Zeit, die sie nicht damit verbrachte, irgendwelche Schreine zu besuchen oder mit Natsuki zu trainieren, verbrachte sie meist damit, der Shiisa die Insel zu zeigen und mit ihr „typisch menschliche Dinge“ – wie sie es nannte – zu unternehmen. So waren sie gemeinsam im Kino, im Zoo, gingen in verschiedene Restaurants, auf Märkte, besichtigten das Schloss und gingen ins Museum. Dabei war Natsuki in etwa so begeistert, wie das kleine Kind eines Touristenpaares, das mit großen Augen alles neue in sich aufzog. Gut, dabei allerdings ein Kind, dass zwar wusste, was ein Kino und ein Buchladen war, jedoch weder das eine, noch das andere jemals von Innen gesehen hatte.

Zumindest schien Natsuki dabei einen beinahe endlosen Vorrat an Yen-Münzen zu haben, bei denen Hoshie nur hoffte, dass sie nicht irgendeine Form von Illusion waren. Immerhin kannte sie aus ihrer Kindheit Geschichten über Tanuki, die versuchten mit Blättern zu bezahlen, nur zu gut.

„Worauf wartest du?“, fragte Hoshie nun und schwamm auf dem Rücken, um Natsuki, die auf einem Bootssteg stand, ansehen zu können.

Sie waren zur Tokashikijima raus gefahren, wo Hoshie schon länger einmal hatte schnorcheln gehen wollen, da es hier nicht all zu weit von der Küste entfernt ein kleines, aber schönes Korallenriff gab, das sie gerne einmal sehen wollte.

Natsuki hatte einen einfachen Badeanzug an und stand unsicher auf dem Steg. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich schwimmen kann“, meinte sie und sah das Wasser misstrauisch an, so als wäre es eine besonders gefährliche Form von Wasser.

„Ich passe schon auf, dass du nicht ertrinkst“, meinte Hoshie lachend und streckte die Arme aus, wie um dies zu gestikulieren.

Noch immer wirkte Natsuki nicht überzeugt, ließ sich jedoch nach einem kurzen Moment der Überlegung ungeschickt ins Wasser fallen, wo sie hektisch mit den Armen paddelte.

„Ruhig, ruhig“, meinte Hoshie und schwamm zu ihr, um sie bei den Händen zu nehmen. „Komm erst einmal hier her.“ Sie zog Natsuki mit sich in Richtung des steinigen Strandes, bis sie Stehen konnten.

„Ich glaube wirklich nicht, dass ich das kann“, murmelte Natsuki, während sie verschnaufte.

„Kannst du dir nicht irgendwie magische Schwimmkräfte beschaffen?“, fragte Hoshie, die das ganze doch erstaunte – zumal Natsuki zuvor von einem Onsen begeistert gewesen war. Natürlich hatte sie in diesem nicht schwimmen müssen, aber dennoch wirkte es seltsam, dass sie beinahe panisch auf das Meerwasser reagierte, vor allem wenn sie bedachte, dass Shiisa nach den Legenden die Insel auch vor dem ein oder anderem Tsunami beschützt haben sollten.

„Nein“, erwiderte Natsuki und zog einen Schmollmund. „Shiisa schwimmen nicht. Wir können auf dem Wind laufen.“

„Nun, gut“, meinte Hoshie. „Aber schwimmen ist nicht schwer. Du musst nur darauf achten, dass du deine Bewegungen gleichmäßig koordinierst.“ Sie selbst war schon immer ein guter Schwimmer gewesen und hatte, bevor sie nach Osaka gezogen war, auch Schnorcheln und Tauchen gelernt. Nun schwamm sie eine Runde um Natsuki herum. „Siehst du, es ist nicht schwer.“

„Das sagst du so einfach“, murmelte Natsuki unschlüssig. „Ich könnte auch einfach bleiben und warten, bis du wieder kommst“, bot sie an.

„Nein!“ Hoshie sah sie stirnrunzelnd an. „Entweder gehen wir zusammen oder wir bleiben beide hier. Ich kann ja noch immer einmal hier heraus kommen, aber wann kommst du schon wieder hierher?“

„Na ja, als Shiisa könnte ich hier draußen…“, meinte Natsuki unschlüssig. „Ich kann von der Geisterwelt aus herkommen.“

„Aber das ist etwas anderes, oder?“

Daraufhin seufzte Natsuki. „Ja. Schon.“

„Also komm!“ Damit streckte Hoshie ihr die Hände entgegen. „Nimm meine Hände und dann versuch mit deinen Beinen zu paddeln.“ Sie war sich nicht ganz sicher, wie sie es Natsuki beibringen sollte, doch immerhin wusste sie, dass Eltern ihren Kindern das Schwimmen so beibrachten.

Natsuki tat, wie sie ihr sagte und begann unkoordiniert mit ihren Beinen zu paddeln, was dafür sorgte, dass sie viel Wasser aufspritzte, jedoch nur ungleichmäßigen Auftrieb bekam.

„Nicht so“, rief Hoshie aus und kam nicht umher ein wenig zu grinsen. „Denk an einen Frosch“, meinte sie dann.

„Einen Frosch?“, erwiderte Natsuki ungläubig.

„Ja, wie ein Frosch sich im Wasser bewegt. Moment.“ Sie ließ Natsukis Hände los und zeigte es ihr, in dem sie noch einmal um sie herum schwamm.

Natsuki beobachtete sie und nickte schließlich. „Ich versuche es“, meinte sie dann, klang aber wenig überzeugt.

„Gut.“ Erneut nahm Hoshie sie bei den Händen, während Natsuki begann, die Bewegung nach zu machen. Dabei waren ihre Bewegungen zuerst erneut sehr unkoordiniert, doch nach ein paar Stößen verbesserte es sich.

„Schon viel besser“, meinte Hoshie und zog sie mit sich wieder in Richtung des tieferen Wassers. „Komm“, meinte sie und ließ dann ihre Hände los. „Jetzt versuch es auch mit den Armen.“

„Nein, warte…“, begann Natsuki noch, ehe der Rest ihres Satzes in einem Gurgeln unterging, als sie sie Wasser in den Mund bekam, zu husten begann und mit den Armen nur hilflos ins Wasser schlug, so dass Hoshie nichts anderes übrig blieb, als sie erneut zurück zu ziehen.

„Warn mich bitte vor“, murmelte Natsuki prustend, als sie wieder stand.

„Entschuldige“, seufzte Hoshie und sah sie etwas beklommen an. „Ich dachte nur wirklich, dass es nicht so ein Problem ist.“ Innerlich fand sie sich damit ab, dass sie auf keinen Fall heute dazu kommen würden, bis zum Riff zu schwimmen. Selbst wenn Natsuki es schaffte, sich zu koordinieren, wäre es ziemlich leichtsinnig zu versuchen gleich eine weitere Strecke zu schwimmen. Dazu würde ihr wohl noch die Ausdauer fehlen.

„Macht nichts“, meinte Natsuki. Sie sah sie etwas betreten an. „Ich fürchte, ich bin ein hoffnungsloser Fall.“

Hoshie musterte sie und lächelte sie an. „Ach was“, erwiderte sie. „Versuch es noch einmal.“ Sie machte eine Pause. „Und selbst wenn wir nicht zum Riff kommen. Dann hast du zumindest schwimmen gelernt.“

Daraufhin senkte Natsuki zu ihrer Verwunderung den Blick. „Tut mir leid…“

„Das muss es nicht“, erwiderte Hoshie und lächelte. „Ich kann im Notfall noch ein anderes Mal zum Riff schwimmen. Mach dir keine Gedanken darum.“

„Okay“, meinte Natsuki etwas bedrückt, was Hoshie dazu brachte, zu ihr zu gehen und ihr zurückhaltend die Hände auf die bloßen Schultern zu legen.

„Es macht mir wirklich nichts aus“, meinte sie. „So lernst du halt auch noch etwas von mir.“

Natsuki lächelte verhalten und nickte schließlich, ehe Hoshie zurücktrat und sie es erneut probieren ließ.
 

Die Luft war noch immer heiß und schwül, obwohl es langsam dämmerte, während Hoshie an Natsukis Seite am Strand saß und zerstoßenes Eis mit Sirup aß, das ihr die Shiisa von einem kleinen Laden hier am Strand gekauft hatte.

Der grüne Sirup, den sie aß, hatte Melonengeschmack, wobei er für Hoshies Geschmack ein wenig zu süßlich war.

„Dann habe ich zumindest etwas gelernt, was die anderen nicht können“, meinte Natsuki schließlich, während sie an ihrem eigenen Eis löffelte, über das ein pinker Sirup gegossen worden war.

„Ich nehme an, dass du damit angeben kannst“, erwiderte Hoshie.

Tatsächlich hatte es Natsuki zumindest geschafft kleine Stücke selbst zu schwimmen und war mit ihr letzten Endes bis zu einer Sandbank, die vielleicht fünfzig Meter vom eigentlichen Strand entfernt war, geschwommen.

„Ich glaube kaum“, meinte Natsuki. „Weißt du, bei uns interessiert sich niemand für diese Dinge. Wir… Nun, wir sind eben keine Menschen, weißt du?“

Hoshie sah auf ihr Eis. Ja, dass Natsuki kein Mensch war, hatte sie nur zu deutlich bemerkt. In vielerlei Sachen verstand die Shiisa nicht, wie man sich wie ein Mensch verhalten sollte. Sie hatte die Menschen beobachtet und wusste vermeintlich viel – zumindest in der Theorie. Doch da sie einige Zusammenhänge nicht verstand, war es mit der Umsetzung bei vielen Sachen nicht zu weit her. So war Natsuki laut und oftmals etwas voreilig, was dafür sorgte, dass sie noch mehr auffiel, als sie es mit ihrem flammenden Haar ohnehin tat. Zumindest, so dachte sich Hoshie, sorgten die Haare dafür, dass man sie vielleicht für eine Ausländerin hielt, die daher nicht ganz genau wusste, wie sie sich zu verhalten hatte.

„Wie ist es in der Geisterwelt?“, stellte Hoshie schließlich die Frage, die sie schon die ganze Zeit interessierte.

Natsuki sah sie an, ehe sie ihren Blick dann auf das Meer, das rötlich den Himmel reflektierte, warf. „Na ja“, meinte sie dann und zögerte. „Es ist anders als hier. Wilder. Es gibt viel mehr…“ Sie schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „Es gibt viel mehr Natur und viel mehr andere Geschöpfe. Weißt du, wir Shiisa sind dort ja nicht allein. Es gibt noch viel mehr.“

„Was denn?“, fragte Hoshie. „Kappa? Tengu? Kitsune? Tanuki?“

„So etwas, ja“, meinte Natsuki. „Wobei die Kitsune und Tanuki zumindest einfach zwischen den Menschen leben können. Wir können es nicht.“

„Wieso nicht?“ Hoshie wandte ihr den Kopf zu.

„Weil unsere… Unsere Magie“ – sie gebrauchte das Wort offenbar, da es auch das Wort war, das Hoshie immer benutzte, obwohl es laut Natsuki keine Magie war – „unsere Magie ist anders als die der Kitsune und Tanuki. Wir können keine einfachen Illusionen erzeugen, wir müssen uns ganz verwandeln.“

„Aber ist das nicht sicherer, als eine Illusion?“, erwiderte Hoshie, die sich als Kind öfter gefragt hatte, was passierte, wenn man einen Tanuki, der nur die Illusion eines menschlichen Körpers erzeugt hatte, anfasste.

„Ja und nein“, meinte Natsuki. „Es braucht mehr Energie und außerdem… Nun, wenn ein Tanuki auffällt, so ist er für euch doch nur ein Tier und kann sich als solches verstecken. Würde ich mich zurückverwandeln…“

Hoshie stellte es sich vor, würde Natsukis Gestalt sich in der Mitte einer Menschenmasse zeigen. „Ich verstehe“, murmelte sie.

„Eben“, erwiderte Natsuki. „Außerdem… Na ja, wir Shiisa leben dort als ein großer Klan und wir haben unsere Regeln und Traditionen…“

„Und diese werden nicht gebrochen?“, fragte Hoshie. „Nie?“

Natsuki schüttelte nur mit dem Kopf. „Natürlich nicht. Immerhin hängt das Gleichgewicht unserer Kräfte davon ab.“ Sie senkte die Stimme etwas. „Zumindest sagen das unsere Ahnen.“

Für eine Weile schwieg Hoshie. „Würdest du sonst öfter hierher kommen?“, fragte sie dann.

Natsuki sah sie an. „Ja“, meinte sie dann mit breitem Lächeln. „Ich finde es toll hier. Es gibt so viel mehr, was man tun kann! Außerdem finde ich Menschen… Na ja, ihr forscht und ihr entwickelt Dinge und all das machen Yokai und Kami niemals!“

Daraufhin senkte Hoshie den Kopf und sah wieder auf den kleinen Becher in ihrer Hand, in dem das Eis bereits zum Teil geschmolzen war. „Also gehst du, wenn wir gegen Long Wangh gekämpft haben zurück, nicht?“

Auch Natsuki hatte den Blick wieder gesenkt. „Ja.“

„Natsuki?“, fragte Hoshie dann.

Etwas zögerlich sah die Shiisa auf. „Ja?“

„Du meintest am Anfang, dass du das hier gar nicht machen wolltest. Aber wieso, wenn du doch in die Welt der Menschen kommen wolltest?“

Natsuki nahm einen weiteren Löffel ihres Eis. „Weil ich mich nicht auch noch hier um unsere Tradiotionen kümmern wollte. Aber auf der anderen Seite war es ja die einzige Möglichkeit, überhaupt die Erlaubnis zu bekommen, in die Welt der Menschen zu kommen. Ich habe mich freiwillig gemeldet und die Ahnen haben mir die Erlaubnis gegeben. Aber ich könnte auf die Schreine, das Kämpfen und… Na ja, den ganzen Rest gut verzichten. So wie heute macht es doch viel mehr Spaß.“ Sie lächelte Hoshie an.

„Finde ich auch“, seufzte diese. „Ehrlich, ihr solltet euch überlegen, in Zukunft eure Wahl auf Menschen zu beschränken, die mit einem Schwert umgehen können und an euch glauben. Die würden es leichter haben.“

Natsuki lachte. „Das kann ich ja ausrichten. Auch wenn ich nicht glaube, dass sich deswegen etwas ändern wird.“

„Die arme Seele, die als nächstes erwählt wird“, murmelte Hoshie trocken.

„Na ja“, begann Natsuki dann, „um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich mit jemand anderem nicht so viel Spaß gehabt hätte, wie mit dir.“

Hoshie sah sie an und merkte, dass sie dabei etwas rot wurde, auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, wieso.

Für einen seltsamen Augenblick sahen sie einander an, ehe Natsuki den Blick auf Hoshies Eisbecher senkte. „Darf ich probieren?“, fragte sie.

Hoshie verstand nicht sofort, was sie meinte, folgte dann jedoch ihrem Blick auf das Eis und nickte hastig. „Natürlich“, erwiderte sie. Sie scharbte mit ihrem Plastiklöffel ein mit Sirup getränktes Stück Eis ab und hielt es Natsuki hin, so wie sie es in der Grundschule mit anderen Freundinnen gemacht hatte. „Hier.“

Natsuki bückte sich um das Eis zu essen. „Süß“, meinte sie lächelnd und hielt ihr dann selbst einen Löffel mit ihrem eigenen Eis hin.

Daraufhin strich sich Natsuki eine Haarsträhne zurück, die ihr ins Gesicht geweht war, damit diese sich nicht mit dem Eis verklebte, und probierte es ebenso. Es hatte, wie sie schon geahnt hatte, Erdbeergeschmack und war noch süßer, als ihr eigenes. „Noch süßer“, sagte sie, was Natsuki grinsen ließ.

Dann, sie wusste nicht, wie es genau passierte, beugte Natsuki sich vor und küsste sie.

Und ohne ganz zu wissen, was sie tat, schloss Hoshie die Augen und erwiderte Natsukis Kuss, der genau so süß schmeckte, wie ihr Eis.

Als sich ihre Lippen voneinander lösten, sahen sie einander an, wobei das Licht der untergehenden Sonne, das Rot auf ihren Wangen verbarg.

„Was…“, begann Hoshie etwas heiser. „Was war das?“

„Etwas anderes, was wir in unserer Welt nicht haben“, flüsterte Natsuki und küsste sie dann erneut.

Unwillkürlich schrie Hoshie auf und bevor sie verstand, was wirklich geschah, befand sie sich im freien Fall und hatte auch ihr Katana aus den Händen verloren. Sie fiel durch die Wolken und war für den Moment zu überrascht, um sich darauf zu konzentrieren, sich mit der Magie aufzufangen.

„Hoshie!“, hörte sie Natsukis Stimme und sah sie senkrecht durch die Wolken hinter ihr her rennen.

Doch Natsuki war nicht die einzige, die ihr folgte.

Hinter der Shiisa erschien das monströse Gesicht Long Wanghs in den Wolken und schnellte auf sie zu.

Langsam wurde sich Hoshie dessen bewusst, dass es der Drache gewesen sein musste, der sie zuvor angegriffen hatte. Doch sie verstand nicht. Natsuki hatte ihr gesagt, seit die Wesen beschlossen hatten, den Kampf durch Menschen austragen zu lassen, wäre es ihnen selbst verboten einzugreifen, um diese Welt nicht mehr als nötig direkt zu beeinflussen. Wieso hielt sich der Drache nicht daran?

Im Maul des Drachen konnte sie blaue Flammen sehen und dachte, dass es irgendwie etwas unfair erschien, dass ein so massives Wesen, das Wetter, Meer und Feuer beherrschte, gegen die Shiisa kämpfte. Und dann wurde sie sich dessen bewusst, dass diese ganze Idee den Kampf von Menschen austragen zu lassen, von den Shiisa kommen musste - da es in ihrem Interesse war, den Kampf so auszutragen. Nicht nur, dass es so für sie weniger gefährlicher war, sie waren es auch, die die Menschen schützen wollten und damit ein weiteres Interesse daran hatten, so wenig schaden wie möglich in dieser Welt anzurichten.

Doch wieso kämpfte Long Wangh überhaupt?

Nun spieh der Drache Flammen und für einen Moment glaubte Hoshie, dass sie verbrennen würde, ehe sie Natsukis Rücken unter sich spürte und die Shiisa sie vor den Flammen rettete.

Sie hatte sie gefangen und galoppierte nun mit ihr auf dem Rücken durch den Himmel.

„Was machst du denn, Hoshie?“, fragte sie aufgebracht und ihre Stimme sagte deutlich, dass sie sich gesorgt hatte.

„Ich...“, begann Hoshie, während sie sich wieder aufrappelte. „Der Auserwählte von Long Wangh... Er ist kaum mehr als ein Kind.“

„Aber das heißt nicht, dass du dich einfach mit ihm anfreunden kannst“, meinte Natsuki.

„Aber...“ Hoshie schloss für einen Moment die Augen, um wieder zur Besinnung zu kommen. „Es war Long Wanghm, der mich angegriffen hat. Es hatte nichts mit den Jungen zu tun.“

Natsuki knurrte. „Ja.“

„Er hält sich nicht an die Regeln“, meinte Hoshie nun.

„Nein, tut er nicht“, erwiderte Natsuki, während sie weiterlief und der Kopf des sich durch die Luft schlängelnden Drachen ihnen hinterherschnellte. Die Shiisa sah sich zu ihm um. „Dann müssen wir es auch nicht“, meinte sie dann und ihr Fell leuchtete auf. „Halt dich fest.“

„Was hast du vor?“, fragte Hoshie, doch eigentlich wusste sie es schon.

Sie dachte dasselbe wie Natsuki über diese Aufgabe. Es war sinnlos. Wer kam überhaupt auf die Idee alle zehn Jahre zwei Menschen für das Überleben von Tausenden kämpfen zu lassen? Nein, es waren mehr. Es waren Millionen von Leben, die verloren gehen würde, würden die Inseln im Meer versinken, denn waren auf den Inseln nicht auch viele, viele Tiere zuhause, die ebenso sterben würden? Ja, Millionen von Tieren und tausende Menschen.

Zwar konnte sie verstehen, wieso die Shiisa irgendwann einmal den Handel vorgeschlagen hatten, doch es war widersinnig sich ewig an diese Regeln, an die Traditionen so halten, wenn so viel davon abhing.

Doch da kam ihr ein anderer Gedanke. „Wir können ihn nicht töten, oder?“, fragte sie.

„Nein“, erwiderte Natsuki. „Aber wir... Du kannst ihn versiegeln, so dass er nicht mehr in diese Welt kommen kann.“

„Okay“, flüsterte Hoshie. Sie wusste, dass sie dazu das Schwert brauchte, welches sie jedoch fallen gelassen hatte, als sie selbst gefallen war. Dennoch wusste sie auch, dass es zu ihr kommen würde, würde sie es rufen. So streckte sie eine Hand aus, während sie sich mit der anderen in Natsukis Mähne festhielt.

Irgendwo zwischen den dunklen Wolken sah sie ein Licht und sie wusste, dass es das Schwert war, dass zu ihr geflogen kam. Sie fühlte sie unwillkürlich an das Amulett erinnert, als sie es an jenem Tag zu Beginn der Ferien über den Strand hatte fliegen sehen.

Das Schwert kam auf sie zugeschossen mit dem Griff voran, der in ihrer ausgestreckten Hand landete.

„Wo ist Long Wangh?“, rief sie und sah sich um. Der Drache schien auf einmal verschwunden zu sein.

„Etwas stimmt nicht“, knurrte Natsuki und sah sich um.

Ja, Hoshie konnte es auch spüren. Es war, als würde etwas bedrohliches auf sie lauern, wie ein Raubtier, das sich zum Sprung bereit machte.

„Was...“, begann sie leise.

Weitere Blitze zuckte und schienen direkt auf sie gerichtet zu sein, doch natürlich prallten sie an dem magischen Schild, das Natsuki nun um sich errichtet hatte, ab.

„Deine Magie kann uns nicht zerstören!“, rief Natsuki in die Wolkenmasse hinein.

„Bist du dir da sicher?“, fragte die dröhnende Stimme des Drachen aus der Dunkelheit.

Ein Flammenstrahl schlug ihnen entgegen, doch auch er kam nicht gegen den Schutzschild an, der sie umgab, so dass die Flammen nur zu Funken zerstoben, die im Wind verglühten.

„Da!“, rief Hoshie und zeigte in die Richtung aus der die Flammen gekommen waren.

Natsuki änderte ihre Laufrichtung und rannte nun direkt auf den Ursprung der Flammen zu, die ihnen erneut entgegen schossen. Jetzt konnte Hoshie den Schatten der riesigen Drachengestalt in den Wolken erkennen und hielt das Schwert fester umklammert.

Sie konnte Long Wangh immer klarer erkennen, doch da bremste Natsuki auf einmal ab, als etwas aus den Wolken auf sie zugeschossen kam.

Es war der Junge, der den Speer bei sich führte und sie mit seltsam emotionslosem Gesicht ansah.

„Hör damit auf!“, rief Hoshie ihm zu und stieß sich nun von Natsukis Rücken ab, um einen Angriff des Jungen zu blockieren. „Wieso tust du das? Willst du, dass tausende Menschen sterben?“

Der Junge erwiderte nichts und flog stattdessen rückwärts um sich in eine bessere Lage für einen weiteren Angriff zu bringen.

Doch Hoshie hatte keine Zeit dafür. Sie wollte nicht gegen den Jungen kämpfen, sondern gegen Long Wangh, der für all das verantwortlich war. Und obwohl sie noch immer bei weitem nicht so viel vom Kämpfen verstand, wie es wohl ideal gewesen wäre, wusste sie, was sie machen konnte.

Sie blockierte die Klinge der Waffe des Jungen mit ihrem Schwert und ließ sie das Katana entlang gleiten, wobei sie den Stoß so ablenkte, dass er knapp an ihrem Kopf vorbei ging. Dann nutzte sie die Wirkung des Hebels und die Tatsache, dass der Jung kurz aus dem Gleichgewicht geriet, um die Waffe des Jungen mit aller Kraft zur Seite zu schlagen, so dass er sie nicht länger halten konnte und verlor.

Die Waffe fiel durcu die Wolken außer Sichtweite und ließ den Jungen wehrlos.

„Bitte“, flüsterte er auf einmal. „Du verstehst das nicht...“ Er zitterte. „Ich muss jemandem Helfen und nur... Nur ein Gott...“

Etwas im Blick des Jungen löste Mitleid in Hoshie aus, doch sie konnte ihm jetzt nicht zuhören. Stattdessen flog sie durch die Luft, bis sie wieder auf dem Rücken Natsukis war, die den Drachen die ganze Zeit umkreiste.

„Bist du soweit?“, fragte sie leise und Hoshie nickte, auch wenn Natsuki sie nicht sehen konnte. Sie wusste auch so, dass sie soweit war.

Der Drache schnappte nach ihnen, wie eine riesige Schlange, doch Hoshie beachtee ihn nicht, da sie wusste, dass Natsuki sie beschützen wurde. Stattdessen konzentrierte sie sich erneut auf das Schwert, wie sie es schon bei ihrem ersten Kampf getan hatte. Sie stellte sich vor, wie dieses Schwert in hellem Licht erstrahlte - in einem Licht, dass dieses Monster versiegeln könnte. Dann öffnete sie die Augen und tatsächlich leuchtete das Katana in einem gleißenden Licht.

Sie sah zum Drachen, dessen Kopf erneut auf sie zuschnellte.

In diesem Moment stieß sich Hoshie vom Rücken der Shiisa ab und sprang dem Drachen entgegen. Sie hatte das Schwert zum Stoß erhoben und nutzte die eigene Magie, um ihre Flugbahn nur ein kleines Stück zu korrigieren, so dass sie nicht auf die Schnauze, sondern auf die Stirn des Drachen zuflog.

Dann stieß sie zu und das Schwert versenkte sich tief zwischen die Augen des Drachen, während es immer heller strahlte.

Sie spürte die Energie, die die Waffe durchfloss und zog diese schließlich aus dem Kopf Long Wanghs heraus.

Ein Siegelzeichen erschien auf der Stirn des Drachen und breitete sich immer weiter aus, während derselbe Rauch aus der Wunde strömte, in den kleineren auch die niederen Geister aufgelöst hatten.

„Nein“, grollte der Drache, als er verstand, was geschehen war. „Nein! Nein!“ Doch mit jedem Wort das er sagte, wurde seine Stimme schwächer.

Auf einmal hörte Hoshie erneut Natsuki nach sich rufen. „Hoshie!“

Und dann spürte auch sie es: Die Energie, die sich um den Drachen herum sammelte.

Im nächsten Moment war Natsuki bei ihr und sie schwang sich auf den Rücken der Shiisa, die wendete und von dem Drachen fort lief.

„Der Junge!“, rief Hoshie aus, da sie ahnte, dass der Junge die magischen Kräfte in dem Moment verlieren würde, in dem der Drache aus dieser Welt verschwinden würde.

Erneut machte Natsuki eine scharfe Wendung und sprintete nun in die Richtung, in der der Junge zuletzt gewesen war, wobei es ihnen die Sturmwolken nicht leichter machten, die kleine Gestalt des Jungen zu finden.

Dann jedoch sahen sie ihn und Natsuki lief auf ihn zu, packte ihn mit ihrem Maul und lief dann so schnell sie konnte vom Drachen weg.

Keinen Moment zu früh, denn im nächsten Augenblick spürte Hoshie eine Druckwelle, die sie fortfegte und vor der sie auch die Magie der Shiisa nicht schützen konnte. Sie wurden durch die Luft geschleudert. Sie hatte keine Ahnung mehr, wo oben und unten war. Und dann wurde auf einmal alles schwarz.
 

Sie schmeckte Salz und spürte den Sandboden unter sich. Vorsichtig holte sie Luft, was ihr Schmerzen bereitete, jedoch durchaus möglich schien.

Dann öffnete sie die Augen.

Die Nacht war über ihnen herein gebrochen, auch wenn der Himmel im Westen noch etwas vom Licht der Sonne in einem tiefen rot wiederspiegelte. Von den Wolken waren nur noch vereinzelte Streifen am Himmel zu sehen, als wäre der Sturm einfach an der Insel vorbei gezogen.

Für einen Moment wusste sie nicht einmal, was geschehen war, doch dann erinnerte sie sich an den Kampf und den Drachen und...

„Natsuki!“ Sie sprang so schnell auf, dass es ihr weh tat.

Erst jetzt merkte sie, dass sie nicht mehr verwandelt war und das Amulett neben ihr im Sand lag. Doch dafür interessierte sie sich im Moment nicht. Sie wollte wissen wo Natsuki war.

„Alles in Ordnung“, hörte sie jedoch ein Grummeln und sah Natsuki in der Gestalt des Shiisa im Sand liegen. Sie rappelte sich auf und verwandelte sich dann wieder in einen Menschen, nur um sich mit der Hand an den Kopf zu fassen. „Au...“, murmelte sie dann, lächelte dann aber Hoshie an. „Du hast es geschafft“, flüsterte sie. „Glaube ich zumindest.“ Und noch bevor Hoshie etwas erwidern konnte, ging Natsuki auf sie zu und küsste sie, erinnerte sie so damit daran, was dies bedeutete.

„Ich will nicht, dass du gehst“, flüsterte Hoshie, als sich ihre Lippen voneinander lösten.

„Ich will auch nicht gehen“, erwiderte Natsuki und legte ihre Stirn gegen Hoshies. „Ich will auch nicht.“

Hoshie legte ihre Arme um die des anderen Mädchens. „Dann bleib. Sie können dich doch nicht einfach zurückholen.“

„Ich fürchte, das können sie schön“, meinte Natsuki und löste sich dann aber von ihr. „Aber wir haben noch etwas Zeit, denke ich“, flüsterte sie dann.

Obwohl ihr nun schon wieder Tränen über die Wangen liefen, lächelte Hoshie vorsichtig, bis ihr etwas einfiel. „Was ist mit dem Jungen?“ Sie sah sich nach ihm um und Natsuki tat es ihr gleich.

Tatsächlich hatte der Junge sich ebenfalls aufgerappelt und saß nun mit angezogenen Beinen am Strand den Blick auf das Meer gerichtet. Er trug nun eine einfache Jeans und ein T-Shirt.

„Alles in Ordnung?“, fragte Hoshie vorsichtig und hockte sich neben ihn.

Der Junge sah sie an. „Nein“, erwiderte er tonlos.

„Aber Long Wangh ist besiegt“, meinte Hoshie vorsichtig. „Du bist frei.“

„Und?“, antwortete er. „Ich habe freiwillig für ihn gekämpft.“

Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Aber wieso?“

„Weil er der einzige ist, der meine Mutter noch heilen konnte“, flüsterte er.

Ungläubig und etwas verwirrt sah Hoshie ihn an, da sie sich nicht sicher war, ob sie ihn richtig verstand. Seine Mutter war krank und der Drachengott hatte angeboten sie zu heilen? Sie zögerte, da sie nicht direkt nachfragen wollte.

„Wie heißt du?“, fragte stattdessen nun Natsuki und hockte sich nun vor den Jungen.

Dieser zögerte mit der Antwort. „Tsubasa“, erwiderte er schließlich.

Da nahm Natsuki seine Hand und legte etwas in diese hinein. Hoshie erkannte, dass es ihr Amulett war.

„Hier, Tsubasa“, meinte Natsuki sanft. „Das ist das Amulett der Shiisa. Ich weiß nicht, ob es deine Mutter heilen kann, doch es hat magische Kräfte. Zumindest würde ich darauf mehr geben, als auf einen Drachen, der vorhat, alles Leben auf der Insel zu vernichten.“

Tsubasa sah das Amulett für einen Moment lang an und sah dann zu Natsuki, dann zu Hoshie, die nun sah, dass Tränen über seine Wangen liefen, die ihn noch jünger wirken ließen, als zuvor.

„Es tut mir leid“, flüsterte er schließlich. „Es... Es tut mir wirklich leid.“

Der Himmel über Naha war noch dunkel, während Hoshie an Natsukis Seite auf dem Futon in ihrem Zimmer lag. Sie hatten einander eng umarmt, doch sprach keiner von ihnen.

Es war ruhig im Haus. Immerhin waren es ja auch Ferien. Nun, zumindest noch, denn schon in wenigen Tagen würden die Vorlesungen wieder anfangen und die Kurse wieder weitergehen und das, obwohl es noch immer viel zu heiß war, als dass Hoshie sich hätte konzentrieren können.

Doch daran dachte Hoshie im Moment nicht einmal. Alles, woran sie dachte, war Natsuki, die ihren Kopf nun etwas streckte, um sie zu küssen.

Dabei wusste Hoshie, dass Natsuki bald gehen würde, zurück in die Welt, aus der sie kam und sie war sich nicht sicher, was dann sein würde. Was würde sie dann machen?

Es war seltsam, dachte sie. Immerhin hatte der Sommer so normal begonnen. Ja, zu Beginn des Sommers waren Drachen, Shiisa und Geisterweisen etwas gewesen, dass in ein Märchenbuch oder einen Anime gehörte, nicht jedoch ins alltägliche Leben. Immerhin war es nichts, an dass sie geglaubt hatte. Zu Beginn des Sommers hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, über welches Thema sie die Ausarbeitung über Meeresleben, die sie über die Ferien auf hatten, genau schreiben sollte. Den Aufsatz hatte sie letzten Endes nicht einmal begonnen. Sie hatte sich auch Gedanken darüber gemacht, was sie mit den Kommilitonen, die in der Stadt blieben, unternehmen und ob sie zu ihren Eltern nach Osaka fahren sollte, doch weder hatte sie es geschafft, irgendetwas mit ihren Freunden zu machen, noch hatte sie in den letzten Wochen bei ihren Eltern auch nur angerufen.

„Hoshie“, flüsterte Natsuki nun.

Hoshie öffnete die Augen und sah sie an, sich dessen bewusst, dass sie schon wieder weinte. Sie kam sich beinahe kindisch deswegen vor. Immerhin war sie normal keine Heulsuse, doch in den letzten Tagen, hatte sie so viel geweint.

„Ist es schon soweit?“, fragte Hoshie leise.

Natsuki strich über ihre Wange. „Noch nicht“, erwiderte sie und lächelte sie an, konnte dabei aber nicht verbergen, dass auch sie von Trauer erfüllt war.

Nun war es Hoshie, die ihre Freundin küsste. Dabei dachte sie nicht einmal darüber nach, ob es seltsam war, wenn sie Natsukis ursprüngliche Gestalt bedachte. „Ich werde dich vermissen“, flüsterte sie dann und wunderte sich beinahe darüber.

Immerhin war sie zu Beginn der Ferien beinahe genervt gewesen von dem Mädchen mit dem flammenden Haar, das eigentlich ein legendäres Ungeheuer war und nicht zu wissen schien, wie man sich richtig benahm.

Sie wusste nicht einmal, wann es sich geändert hatte. Als sie sich damit abgefunden hatte, dass sie auf einmal magische Kräfte hatte – dass so etwas überhaupt existierte? Als sie merkte, dass die Situation Natsuki ebenso wenig gefiel, wie ihr selbst? Sie konnte es wirklich nicht sagen.

Doch eine Sache wusste sie sicher: Sie wollte nicht mehr von ihr getrennt sein, von Natsuki, so verrückt es auch wahr.

Sie merkte, dass der Himmel draußen langsam heller wurde. Erste violette Streifen erschienen an ihm und ließen die Sterne verblassen.

„Ich werde dich so sehr vermissen“, flüsterte Hoshie nun mit brüchiger Stimme.

„Ich dich auch.“ Wieder küsste Natsuki sie sanft. „Ich werde es vermissen bei dir zu sein.“

Sie sahen sich an, als wüssten sie nicht wirklich, was sie sagen sollten. Keiner von ihnen hatte jemals etwas wie „Ich mag dich“ oder „Ich liebe dich“ gesagt, doch sie wussten, dass solche Worte den Abschied nur noch schwerer gestalten würden, weshalb sie schwiegen. Sie wussten es letzten Endes auch, ohne es laut auszusprechen.

Hoshie schien es, als hätte der Morgen es an diesem Tag besonders eilig anzubrechen, denn der Himmel wurde zusehends heller.

„Werde ich dich jemals wiedersehen?“, fragte sie schließlich und fürchtete die Antwort gleichzeitig.

Natsuki sah sie mit traurigem Blick an. „Ich weiß es nicht.“ Wieder küsste sie sie. „Vielleicht.“ Sie wandte sich zum Fenster um und seufzte.

„Bleib“, begann Hoshie noch einmal, wusste jedoch, dass keiner von ihnen eine Wahl hatte.

Noch einmal küsste Natsuki sie sehnsüchtig und sie erwiderte ihren Kuss und strich dabei vorsichtig durch das Haar der anderen.

„Ich wäre so gern ein Mensch“, flüsterte Natsuki. „Dann könnte ich bei dir bleiben. Dann wäre ich all diesen dummen Traditionen nicht unterworfen.“ Wieder küsste sie sie, riss sich dann aber los und richtete sich auf.

Sie machte sich nicht die Mühe sich anzuziehen, sondern öffnete einfach nur das Fenster. Dann sah sie sich noch einmal zu Hoshie um.

„Vergiss mich nicht, Hoshie“, hauchte sie und sprang dann aus dem Fenster, wobei sie wieder die Gestalt einer Shiisa annahm, die dem Himmel und damit den verlöschenden Sternen entgegen lief.

Hoshie richtete sich kraftlos auf und sah ihr hinterher, so gut es durch den Schleier der Tränen hindurch ging. „Niemals“, flüsterte sie dann. „Ich werde dich niemals vergessen.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von:  Melange
2015-10-28T17:54:32+00:00 28.10.2015 18:54
Ja, auch das Ende ist wirklich schön geworden. :) Vielleicht werden Shiisa ja auch mal wiedergeboren und Natsuki wird ein Mensch? Bei dir hat sie mich gerade an Pinocchio erinnert, was ziemlich süß war. Wie auch immer, in dem Kap kommen die Gefühle der beiden füreinander richtig gut heraus! Zusammen mit dem Rückblick ein würdiger Abschluss.

"Alles, woran sie dachte, war Natsuki, die ihren Kopf nun etwas streckte, um sie zu küssen."
Die Formulierung stört mich etwas ... Es ist doch der Hals, den man eig streckt, oder? Kann mir nicht vorstellen, wie das mit dem Kopf funktionieren soll.

Was mich noch ein wenig verwirrt hat, ist, dass Natsuki von selbst gegangen ist. Hätte erwartet, dass sie bis zum letzten Augenblick bleibt und dann von den älteren Shiisa zurückgebeamt wird oder so. ^^; Aber das Bild mit dem Sternenhimmel hat sehr gut zum Abschied gepasst!
Von:  Melange
2015-10-28T17:47:36+00:00 28.10.2015 18:47
War ziemlich klar, dass die beiden gewinnen. :] Aber die zusätzliche Perspektive, die du mit Tsubasa hineingebracht hast, war sehr schön und macht den Sieg nicht ganz so perfekt. Natürlich auch die Tatsache, dass Natsuki zurückkehren muss. Die beiden hatten doch erst einen großen Moment zusammen! :<

Übrigens fand ich dieses Kap etwas kurz und schnell, vor allem im Vergleich zum vorigen, was wohl auch daran liegt, dass du direkt im Kampf eingestiegen bist. Beim ersten Absatz hab ich mich noch gefragt, ob das schon der finale Kampf ist oder wieder an einem der Schreine. Und als nächstes, wie sie auf Long Wangh getroffen sind. Ein wenig mehr Setting hätte am Anfang gut getan, denke ich.
Von:  Melange
2015-10-28T17:36:44+00:00 28.10.2015 18:36
Gut möglich, dass das auch mein Lieblingskap wird. Fluff! <3

Hoshie ist anscheinend keine gute Lehrerin ... setzt immer voraus, dass Natsuki mehr weiß als sie wirklich weiß. Dafür konnte ich mir die Szene im Wasser richtig gut vorstellen, obwohl stellenweise die Formulierungen etwas holprig waren. Der Kuss mit dem Eis war schon kitschig, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Nach den Kämpfen haben sie sich den verdient!
Von:  Melange
2015-10-27T17:25:51+00:00 27.10.2015 18:25
Hi,

Nach dem ersten Kap, das doch zu großen Teilen einleitend war, springst du hier wieder mitten in die Action hinein. Gefällt mir! Du schaffst es wirklich gut, dynamische Szenen zu beschreiben! Die Romantik kommt dabei ein bisschen zu kurz, aber die ist ja anscheinend nicht das Hauptthema. Außerdem wirken weder Hoshie noch Natsuki besonders romantisch veranlagt, deshalb passt das ganz gut so. Ich fand es witzig, wie Hoshie zu alltäglichen menschlichen Dingen steht wie Schamgefühl oder Schönheitsideale.

Der Vergleich mit Magical Girls und Pokemon hat mich auch zum Lachen gebracht. xD

Hier ein paar Erbsen, die ich gefunden habe:
"wo sich das Wasser in einem riesigen Tropfen sammelte, in dem Hoshie die Gestalt einer sehr dünnen Gestalt, die halb an einen Affen, halb jedoch an etwas ganz anderes erinnerte."
Wortwiederholung von "Gestalt", außerdem scheint hier ein Verb zu fehlen: "in dem Hoshie die Gestalt ..." sah, oder?

"Benutzt das Amulett!"
Benutz

"Sie hatte die Augen geschlossen, weshalb sie überrascht zusammenzuckte, als sie etwas warmes auf ihrem Gesicht fühlte"
etwas Warmes

Werde auf jeden Fall weiterlesen!
Von:  CharleyQueens
2014-05-28T18:03:57+00:00 28.05.2014 20:03
Hallo meine liebe Alaiya ^^

Zuerst einmal will ich dir für deine tolle Wichtelgeschichte danken. Du hast mir wirklich eine fantastische Magical Girl-Story geschrieben und ich war sehr zufrieden beim Lesen.
Vom Äußeren ist deine FF nicht zu bemängeln. Ich mag das Cover und auch die Charakterpics. Wobei ich mich übrigens noch über eine Bildquelle freuen würde. Ach ja, und eine Übersetzung der Titel.
Ich fand es interessant, wie du mich mitten ins übliche Ende einer Magical Girl-Story reingeworfen hast, also dieses kurz vor dem Endkampf. Da war ich doch sehr neugierig darauf, was sich hinter den anderen Kapiteln verbirgt. Und ja, es war grausam von dir, einfach mittendrin aufzuhören. Auch wenn ich natürlich sofort weiterlesen konnte.) Aber diese Szene, wie sich Natsuki und Hoshie auf den Kampf vorbereiten und dabei auch angedeutet wird, dass Natsuki sie verlassen wird, fand ich wirklich toll beschrieben.
Die beiden Charaktere sind nett, es ist dir gelungen, sie vorzustellen und dabei sie mir sympatisch zu machen. Und mit Shojo Ai kann man mich ja immer glücklich machen, weißt du ja *lach*
Fehler hab ich übrigens den hier entdeckt:
Das Gewand war im Stil der Hakama, war jedoch wie ein chinesischer […] gebunden.
Du siehst ja, was ich meine. ^^
Ansonsten war ich sehr zufrieden mit dem ersten Kapitel. Und mit den anderen Kapiteln auch, aber das erzähle ich dann deinen Enkelkindern, wenn sie zufälligerweise mal deine FFs entdecken sollten, weil ich gerade den nächsten Kommentar hochgeladen habe.
*knuddel*
MfG, Lilim ^^

Von:  Taroru
2014-05-13T22:17:22+00:00 14.05.2014 00:17
boa :-O
und nun? sehen sie sich irgendwann wieder?
dieses offene, macht es irgendwie sogar noch schlimmer, als die gewissheit zu haben o.o
aber sehr gut geschrieben, mitreißen und vor allem auch verständlich.
da wurde mir ja beim lesen schon schwer ums herz o.o

Antwort von:  Alaiya
14.05.2014 11:32
Danke für deine Kommentare <3
Ja, ich weiß, das Ende ist böse xD" Aber ich mag die beiden. Eventuell schreibe ich irgendwann einmal eine Fortsetzung
Von:  rikku1987
2014-05-12T21:30:16+00:00 12.05.2014 23:30
Ich find es auch richtig toll kommt da noch was oh ich hoffe es
Von:  Taroru
2014-05-11T21:42:01+00:00 11.05.2014 23:42
wow, mehr fällt mir gerade nicht ein o.o

gut, ich fand ein paar stellen lasen sich ein wenig holperig, aber das schiebe ich mehr auf die uhrzeit.... ich sollte schlafen und nicht noch irgendwelche kappis lesen XD
aber ich konnte nicht anders.
und ich muss sagen, ja doch ich bin beeindruckt.
ich meine gut, irgendwo war es vorhersehbar gewesen, aber was gab es bis her noch nicht schon auf irgend eine art und weiße.
gut, der kampf selbst war im grunde viel zu schnell zu ende, kam mir jedenfalls viel zu kurz vor. das kann irgendwie nicht alles gewesen sein, oder?
Von:  Taroru
2014-04-14T00:31:36+00:00 14.04.2014 02:31
ach gott... die beiden sind ja echt süß XD
ich wünsche ihnen ein gutes ende, also so richtig so, nicht nur so halb...
ich hoffe du verstehst was ich meine ;-)

Antwort von:  Alaiya
14.04.2014 07:35
Ich verstehe was du meinst, keine Bange ;)
Hach ja ;___;

Danke jedenfalls für alle drei Kommentare ^.^ Freut mich, dass du die Zeit gefunden hast!
Antwort von:  Taroru
14.04.2014 13:51
irgendwann finde ich immer zeit zum lesen :-p
auch wenn es manchmal ein wenig dauert.... :-/

deine tränen, machen mir allerdings ein wenig angst... muss ich mir sorgen machen? D:
Von:  Taroru
2014-04-14T00:23:34+00:00 14.04.2014 02:23
ich mag die beiden :-D
und ja, ich musste am ende auch lachen genauso wie Hoshie XD
Interessant fand ich auch, das du auf Alltägliche Dinge eingegangen bist, ich meine mit einem Vergleich zu Pokémon hab ich nun nicht gerechnet, aber es ist verdammt treffend beschrieben.
hat mir wirklich gut gefallen :-)


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