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Erklär mir deine Liebe

Ranmaru x Ai
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mein Verständnis für Computer hält sich in Grenzen, deshalb ist mein Ai halt ein Sonderfall, bei dem die einzelnen Teile so funktionieren, wie ich es möchte. Außerdem ist es Ewigkeiten her, dass ich mal etwas anderes außer RPG-Postigs geschrieben habe... Ich bitte um euer Verständnis ^^° Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
...hier hab ich mich bei Chobits und Angel Beats! inspirieren lassen, um Ai selber verstehen zu können. Vielleicht ist das alles ein sehr trockenes Thema, aber irgendwie wollte ich es unbedingt schreiben :D Komplett anzeigen

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Freundschaft?

Obwohl Ais Betriebssystem über Nacht ruhte, brauchte er keinen Wecker. Jeden Morgen erwachte er aus dem Stand By. Er schlug einfach die Augen auf, sodass es den Eindruck machte, als wäre er ein gewöhnlicher Mensch. Genauso hatte er auch Gewohnheiten und Rituale, aber er tat es, weil es ihm einprogrammiert wurde, nicht weil es ihm gefiel, oder er irgendwas davon brauchte.

Jeden Morgen stand er zwar im Badezimmer, um sich die Haare zu richten, aber auf Wasser, Seife und Cremes verzichtete er. Vielleicht mochte seine künstliche Haut Parfum vertragen, doch der Professor hatte keine Gedanken darüber verschwendet, ob sowas für Ai überhaupt notwendig wäre. Und trotzdem hatte sein System eine kleine Freiheit. Es gab Dinge, die er selber abschätzen konnte, damit ihm eine einigermaßen natürliche Existenz gewährleistet war. Aus diesem Grund hatte er für sich beschlossen seinen Kollegen zu helfen, sie zu unterstützen und ihnen in jeder Hinsicht entgegen zu kommen, um aus ihrer gemeinsamen Arbeit den bestmöglichsten Erfolg zu gewinnen. Dadurch wurde auch jeder Tag wie der andere. Alles war berechnet und vorherbestimmt. Es verlief immer nach Ais Vorstellungen. Zumindest bis zu dem heutigen Morgen…
 

Um 6 Uhr morgens in der Frühe stand Ai auf. Er zog sich an und machte sich die Haare, ehe er in die Gemeinschaftsküche ging. Wie immer wollte er für die anderen das Frühstück vorbereiten, aber schon als er vorm Herd stand, merkte er, dass etwas anders war als sonst. Am Abend zuvor hatte es dank Natsukis und Otoyas Kochkünsten einen Kurzschluss gegeben und nun ließ ihn der Großteil der Küchengeräte im Stich. Ranmarus alte Kaffeemaschine war die einzige, die überlebt hatte. Also kochte Ai Kaffee, bevor er sich auf die anderen wartend an den Küchentisch setzte.

Es verging eine Stunde und niemand betrat die Küche. Doch Ai wartete weiter. Eigentlich hätte sich Camus um 7 Uhr einen schwarzen Tee gönnen müssen und auch Reiji hätte sich kindisch grinsend und im Schlafanzug um spätestens halb 8 an den gedeckten Küchentisch gesetzt. Aber Ai wartete noch länger.
 

Erst um kurz vor 8 Uhr öffnete sich die Tür und ein verschlafener Ranmaru betrat die Küche. „Morgen.“, brummelte er schlecht gelaunt, während er direkt die Kaffeemaschine ansteuerte, um sich eine Tasse einzuschenken und weil der andere das jeden Morgen tat, war Ai beruhigt. Als nächstes würde sich Ranmaru noch einen weiteren Kaffee trinken, danach würde er sich eine Zigarette anzünden und damit auf die Veranda nach draußen verschwinden . Aber der Größere nahm sich nur die erste Tasse mit Kaffee und setzte sich kommentarlos zu Ai an den ungedeckten Frühstückstisch.
 

„Wo sind die anderen?“ Da die ungewohnte Situation Ai nicht in Ruhe lassen wollte, versuchte er ein Gespräch zu beginnen. Bloß… Ranmaru zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wo ist das Frühstück?“

„Du isst morgens sonst nie etwas. Willst du keine Zigarette rauchen gehen?“

„Ich wollte eins von deinen Omelettes probieren und ich habe beschlossen mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn du mich loswerden willst, kann ich aber auch einfach so nach draußen gehen…“, antwortete Ranmaru immer noch brummig. Er war einfach ein schrecklicher Morgenmuffel und das wusste selbst Ai, der die Bedeutung dieses Wortes noch nicht einmal kannte.
 

„Tut mir Leid. Der Herd funktioniert ni-“,

„…ist ja typisch! Wieso sind wir auch in diese Bruchbude von Shining gezogen? Wenn wir in unseren eigenen Wohnungen geblieben wären, wäre es viel einfacher! Vermutlich haben sich Camus und Reiji längst verpisst und wir sind die Einzigen, die so dumm gewesen sind wegen unseren Kōhai hierzubleiben…“ Von Ranmarus heftiger Reaktion überrascht zog Ai seine Augenbrauen hoch. Es war eine der wenigen Mimiken, zu denen er in der Lage war.
 

„Wenn das so ist, dann müssen wir ihnen Bescheid geben. Wir müssen heute mit dem neuen Song fertig werden. Wir dürfen uns keine Zeitverzögerung erlauben. Es ist schon viel zu spät.“, erklärte er seinem Bandkollegen mit ruhiger Stimme und ging dem Grund für Ranmarus schlechter Laune absichtlich aus dem Weg, traf dann allerdings doch nur auf Granit.

„…deiner Meinung nach sind wir eh immer zu spät dran!“, motzte der andere weiter, stand schließlich aber auf, „…wenn du es unbedingt willst, geh ich mal nach den beiden gucken! Dafür will ich heute Abend aber ein saftiges Steak von dir gebraten bekommen!“

„Wenn der Herd bis dahin wieder funktioniert…“
 

Einige Momente blieb Ai noch weiter sitzen, dann stand er allerdings auf und nahm sich Ranmarus noch halbvolle Tasse. Er wusste, dass der andere keinen kalten Kaffe mochte und deshalb schüttete er ihn in die Spüle.

Es verging eine weitere Viertelstunde, in der er eigentliche die Küche aufgeräumt hätte, doch weil es nichts zum Aufräumen gab, setzte er sich zurück an den Küchentisch und nahm sich eins der Magazine, die wohlmöglich Syo gehörten. Ai überflog die Texte, fand einen Artikel über Quartet Night und musterte ihr Foto. Sie sahen wirklich wie Profis aus, aber warum verhielt sich dann niemand aus seiner Band wie einer? Camus war eine Diva, Reiji war ein Kleinkind und Ranmaru war ein Macho. Zumindest war es das, was der Doktor immer gesagt hatte… und gerade als ihm ein merkwürdiger Gedankengang kam, kehrte der Morgenmuffel zu ihm zurück.
 

„Camus hat einen Termin mit Cecil-san und Reiji ist krank. Er liegt im Bett.“

Ohne noch etwas dazu zu sagen, ging Ranmaru an den ausgeschalteten Kühlschrank und nahm sich einen abgedeckten Teller mit Onigiris, die eindeutig nicht ihnen gehörten.

„Hijirikawa hat gesagt, wir können die haben. Willst du auch einen?“ Ai bekam den Teller vorgehalten, schüttelte aber mit dem Kopf. Er konnte nichts essen, bloß vergaßen das andere sehr oft.

„Was meinst du mit krank? Wird er lange nicht arbeiten können?“ Nachdenklich griff sich der Android an sein Kinn.

„Hm? Woher soll ich das wissen?“ Von der Frage aber vollkommen unbeeindruckt schob sich der Grauhaarige ein Onigiri in den Mund und begann zu schmatzen, hielt allerdings inne, als er Ais Blick bemerkte. „Waff iff?“
 

Das System des Kleinen überschlug sich, denn auf seiner Festplatte fand er eine Datei. Menschen konnten Dinge vergessen, aber Ai konnte sich alte Erfahrungen einfach wieder aufrufen. Deshalb war er aufgesprungen und stürzte auf Ranmaru, um ihm den Teller mit den Onigiris zu entreißen.

„HEY!“
 

Natürlich stieß er auf Widerstand. „Iss die nicht alle auf! Wir brauchen was, um Reiji wieder gesund zu pflegen!“, versuchte er sich zu erklären, aber sein Gegenüber starrte ihn nur verärgert an.

„Erinnerst du dich nicht? Als du krank warst, wurdest du von Reiji wieder gesund gepflegt. Er hat dich gefüttert. Wenn du ihn mit den Onigiris fütterst…“, erklärte sich Ai weiter, womit er jedoch einen sehr wunden Punkt traf. Sofort ließ Ranmaru den Teller los und sein verärgerter Blick wurde noch düsterer. Ai merkte nicht, wie er sich nahezu in einen Konflikt steuerte. „Du erinnerst dich wohl nicht, aber ich war dabei. Du hattest hohes Fieber und Reiji hatte dir immer wieder ein nasses Tuch auf die Stirn…“
 

„Halt die Klappe! Meine Schuld von damals hab ich längst beglichen! Außerdem hat Reiji kein Fieber und er hat auch nicht danach ausgesehen, als wollte er etwas essen! Und selbst wenn, würde ich ihn nicht füttern!“
 

„Wieso? Ihr seid doch gute Freunde, oder?“, hakte er stattdessen weiter nach, woraufhin eine unerklärliche Regung über Ranmarus Gesicht glitt.

Und plötzlich resignierte der Größere, indem er den Teller dünn lächelnd seinem Gegenüber überließ.

„Das, was du von mir erwartest ist aber etwas mehr als Freundschaft! Sorry!“ Die Entschuldigung verwirrte das Computersystem aber nur noch mehr. Eine Grenze zwischen Freundschaft und Beziehung konnte es einfach nicht verstehen und deshalb war Ai nun maßlos überfordert.

„…mehr als Freundschaft?“, wiederholte er die letzten Worte, als würde es ihm irgendwie weiterhelfen. Doch zumindest verstand es nun Ranmaru, der dem Kleineren auf die Schulter klopfte.

„Schon okay. Das Thema ist wohl etwas schwierig für dich, hm? Lassen wir es einfach dabei und wenn du dich damit besser fühlst, kannst du ja zu Reiji und ihm das Essen anbieten!“

Was ist dir wichtig?

Nach dem seltsamen Zusammentreffen mit seinem Bandkollegen Ai hatte sich Ranmaru mit grummelnden Magen aus der Küche zurückgezogen. Es ärgerte ihn, dass er dem anderen die Onigiris überlassen musste und das auch noch ausgerechnet an einem Morgen, wo er richtig Lust auf etwas Essbares gehabt hätte… aber was war ihm anderes übrig geblieben? Reiji war irgendwie doch ein Freund und wenn Ai ihn in seinem Mangel an zwischenmenschlichen Gefühlen meinte wieder gesund pflegen zu müssen, dann sollte er es tun. Auch wenn es für Ranmaru nicht viel mit Freundschaft zu tun hatte, wenn man rücksichtlos mit Onigiris vollgestopft wurde. Davon konnte man schlecht wieder gesund werden… nur durfte man von Ai auch nicht zu viel erwarten. Eigentlich glich es einem Wunder, dass der Kleine Reijis grobe Erklärung von der Bedeutung von Freundschaft damals überhaupt verstanden hatte. Nur seit diesem Tag schien irgendwas mit den Schaltkreisen des Kurzen nicht mehr zu stimmen.
 

Aber Ranmaru konnte es egal sein. Er wollte nach wie vor alles und jedem aus dem Weg gehen. Er wollte sein eigenes Ding machen und deshalb schloss er seine Zimmertür auch sogleich wieder, als er sah, wie sich seine beiden Mitbewohner in ihrer eigenen Art stritten. Die Atmosphäre im Raum war so eisig gewesen, dass es selbst ihm zu viel war. Da würde er doch lieber zurück in die Küche gehen, um nach ein paar Leckereien zu suchen.

Gesagt getan. Aber im Kühlschrank herrschte gähnende Leere und auch die anderen Wandschränke waren geplündert worden, sodass es unmöglich wurde einer Zigarette zu widerstehen. Angespannt griff Ranmaru in seine Hosentasche, zuckte dann aber, als er beim Umdrehen Ai hinter sich sah.
 

„Was?“, fuhr er den Kleineren an, erinnerte sich dabei aber auch an das Essen, was er zuvor noch aufgegeben hatte. „…warst du bei Reiji? Hast du noch was zum Essen?“, wollte er deshalb wissen, bekam als Antwort aber nur einen leeren Teller gezeigt.

„Wie gesagt… du frühstückst doch sonst nie. Und du hast sie mir überlassen. Ich habe die Reste seinen Kōhais gegeben.“
 

Mit dieser Antwort war Ranmaru alles andere als erfreut und setzte sich zusammen mit der Zigarettenschachtel an den Frühstückstisch, während er den Kleinen dabei beobachtete, wie er Abspülen wollte. Zu seiner Überraschung hielt Ai zuerst nur eine Hand unter den Wasserstrahl und erst nach einer kurzen Weile wurde der Teller gespült. War sowas möglich? Der andere konnte doch etwas fühlen? Selbst wenn es nur unterschiedliche Temperaturen sein sollten, so war es doch beeindruckend. Immerhin hatte er sein Bandmitglied immer nur als einen stumpfen Computer eingestuft. Nicht, dass es schlecht wäre stumpf zu sein. Es brachte viele Vorteile mit sich. Aber war es vielleicht möglich, dass Ai ihnen etwas verheimlichte? Konnte der Kleinere letztlich doch mehr, als es immer den Anschein gemacht hatte? Ranmaru war von dieser Vorstellung innerlich begeistert. Es wäre ein grandioser Plan die Kochkünste des anderen zu verbessern, bis er sogar besser als Hijirikawa kochte. Außerdem könnte man ihm auch andere Dinge beibringen!

Ai würde sich niemals beschweren, würde nicht müde werden und er würde jede Aufgabe so gut erfüllen, wie man es erwarten konnte.
 

Sogleich etwas besser gelaunt stand der Große wieder auf und stellte sich zu Ai an die Spüle, um ihm in sein Vorhaben einzuweihen. Es dürfte nicht schwer werden zu erklären, dass er damit ihrer Band zugute kommen würde, aber bevor er etwas sagen konnte, fiel ihm auf wie hochkonzentriert der andere den soeben gespülten Teller abtrocknete.
 

„Wir müssen heute unbedingt an dem Song weiterarbeiten.“, kam es schließlich ruhig wie immer von Ai, der den Teller dabei in einen Schrank zurückräumte.
 

„…mit leeren Magen kann ich nicht arbeiten. Außerdem sind wir nur zu Zweit.“, erwiderte er nur brummend.
 

„Je weniger wir sind, desto angenehmer ist es dir doch, oder? Du schreibst den Text, ich die Melodie.“
 

Ranmaru hatte nicht damit gerechnet, von einem Computersystem durchschaut zu werden und starrte ihn deshalb auch dementsprechend an. Dann atmete er einmal durch. „Wieso schreibst du den Song nicht alleine, wenn er dir so wichtig ist?“
 

„Weil ich keine Texte schreiben kann. Das muss einer von euch anderen übernehmen. Und was meinst du mit ‚wichtig‘?“
 

„…du redest ständig nur über neue Songs. Ist es dir so wichtig, dass wir weiter Musik machen?“
 

„Ist dir das denn nicht wichtig? Reiji hat gesagt, ihm sind seine Freunde wichtig. Camus denkt auch, dass es trotz der Soloprojekte wichtig ist, dass wir etwas zusammen machen. Du bist der Einzig, der unserer Arbeit aus dem Weg geht. Ich versteh nicht, warum es dir nicht wichtig ist. Was ist dir überhaupt wichtig?“
 

Eigentlich gab es keinen Grund sich vor Ai zu rechtfertigen, aber Ranmaru hatte auf einmal das dringende Gefühl seinen Standpunkt zu verteidigen. Besonders als er den Blick des anderen sah. Obwohl sein Gegenüber mit den wenigen Worten direkt ins Schwarze getroffen hatte, schien sich Ai nicht darüber bewusst zu sein, was er soeben gesagt hatte. Wie sooft blickte man einfach nur in ein kühles Augenpaar.
 

„Es ist mir wichtig, dass ihr mich an Ruhe lasst! Wenn ihr euren Kram machen wollt, dann macht ihn halt. Aber dann lasst mich gefälligst in Ruhe! “, knurrte er ihn deshalb verärgert an, ohne letztlich die Gründe seines Handelns zu erklären. Aber der Kleinere zeigte noch immer keine Regung und im Gegensatz zu ihrem vorherigen Gespräch regte es ihn ungemein auf.
 

„Das verstehe ich nicht.“, wiederholte sich Ai stattdessen.
 

„…natürlich kannst du es nicht verstehen! Du bestehst nur aus ein bisschen Metall und Elektronik! Du bist kein Mensch, der einen anderen verstehen könnte! Selbst wenn man es dir erklären würde!“
 

„Da hast du Recht. Entschuldige.“
 

Die Tatsache, dass Ai nachgab und auf einmal die Richtung Küchentür einschlug, ließ Ranmarus Ärger sogleich noch größer werden. Hatte er jetzt etwa die ‚Gefühle‘ eines Computers verletzt, weil er ihm die Wahrheit gesagt hatte? Das war doch einfach lächerlich! Irgendwas war an dieser Sache ganz gewaltig faul… Er hatte schon vorher dieses Gefühl gehabt.

Auf jeden Fall konnte er ihn nicht so einfach gehen lassen, weshalb er nach Ais Arm griff, um ihn aufzuhalten. Aber der Arm fühlte sich alles andere als metallisch an. Die Haut war warm und weich und darunter hatte man tatsächlich das Gefühl etwas wie Knochen fühlen zu können. Es war das allererste Mal, dass er ihn überhaupt berührte und irgendwie war es… nicht so wie er es erwartet hätte. Es war überraschend menschlich.
 

Einen Moment lang konnte er den Kleineren nur anstarren. Dann ließ er ihn abrupt wieder los.
 

„Hm? Ist noch was?“
 

Immerhin hatte sich Ai wieder zu ihm herumgedreht und schaute ihn wiedermal mit diesem nichtssagenden Blick an.

Ein zweites Mal streckte Ranmaru seine Hand aus. Diesmal legte er sie dem anderen auf die Schulter, wo er eindeutig das Schlüsselbein ertasten konnte.
 

„Was bist du?“, entkam es ihm mehr als nur verwundert.

Das Essen, ihre Band. Beides war kurzerhand vergessen.
 

Ai legte allerdings nur seinen Kopf etwas schief und verzog dabei keine Miene.

„Ist es dir wichtig, das zu wissen?“

Darauf konnte Ranmaru keine Antwort geben, weshalb er den anderen schließlich doch gehen ließ.

Ich verstehe es nicht

Nachdenklich starrte Ai auf den Bildschirm seines PCs. Er hatte über mehrere Suchmaschinen im Internet Wörter hinterfragen wollen. Aber in den vergangenen Tagen hatte er das schon so oft gemacht, dass er jede Seite, die ihm vorgeschlagen wurde, bereits auswendig kannte.
 

Gefühle. Freundschaft. Liebe. Das alles ließ ihn nicht mehr los. Am Ende war er sogar so weit, dass er sich den Text ihres Debütsongs zurück ins Gedächtnis rief.
 

‚The gentle left hand is entwined with the right hand searching for the destination of love’
 

Eigentlich konnte er sich dank Reiji und Camus und den vielen Texten schon ein ganz gutes Bild vom ‚Mensch sein‘ machen, bloß nach den kurzen Gesprächen mit Ranmaru war alles wieder dahin. Der andere widersprach dem, was er bisher herausgefunden hatte. Oder gab es noch etwas, was er bis jetzt noch nicht verstand?
 

Für einen Moment berührte er die Stelle an seinem Arm, wo der Große nach ihm gegriffen hatte. Was war er? Auf jeden Fall war er mehr als nur Metall und Elektronik. Das musste doch klar sein. Nur unklar blieb, wieso der andere das wie aus dem Nichts heraus gefragt hatte.
 

„Ai-chan!“ Eine trällernde Stimme lenkte Ais Aufmerksamkeit wieder um. „Was ist los? Guck doch nicht so traurig! Du bist viel süßer, wenn du lächelst!“

Ein Händepaar hatte sich auf seine Schultern gelegt und neben seinem Kopf war Natsukis strahlendes Gesicht aufgetaucht. „Ah~ Ich weiß was! Syo-chan und ich wollten in die Stadt fahren. Wieso kommst du nicht mit?“
 

Mit einem erstaunten Blick starrte der Android seinen Kōhai an, dann bemerkte er aber auch noch Syo, der sichtlich schmollend auf seinem Bett saß.
 

„Also Ai-chan~ Was sagst du?“, hakte Natsuki sofort nach, als er keine Antwort bekam. „Wir können shoppen gehen~ Es wäre ein richtiges Date zu Dritt!“
 

„Natsuki, lass das!“ Syos schmollende Schnute kräuselte sich zu einer eher verärgerten Grimasse.
 

„Ich denke, ich bleibe hier.“, antwortete Ai daher leise und versuchte sich wieder seinem PC zu widmen. Doch der andere hielt ihn weiterhin fest.

„Ach, jetzt sei nicht so! Wir werden sicherlich Spaß haben! Würde es dir nicht gefallen, wenn ich dir ein paar hübsche Sachen zum Anzie- ah…!“ Weiter kam er nicht. Der kleine Blondschopf war von seinem Bett aufgesprungen und hatte den viel Größeren von Ais Schreibtisch weggezerrt.
 

„Du bist so süß, wenn du eifersüchtig bist! Syo-chan!“
 

„…ich hab gesagt, du sollst es sein lassen!“, wetterte der Kleinere dabei gegen Natsukis Gesäusel und wurde immer röter im Gesicht, während er seinen ‚Freund‘ in Richtung Zimmertür schob. „Bis später.“ Die Tür knallte in ihr Schloss. Dann kehrte wieder Stille ein und Ai drehte sich zurück zum PC, als wäre nichts passiert.
 

Eifersucht. Schnell wurde ein neues Wort gesucht, aber es half ihm nicht weiter. Es beschrieb Ranmarus Verhalten in keinster Weise. Aber was war es dann, was er nicht verstand? Wie sooft legte er eine Hand auf die linke Seite seiner Brust. Er wollte es nicht akzeptieren, dass er es scheinbar nicht verstehen konnte und deshalb stand Ai nach weiterem Überlegen auf. Denn wenn ihm noch jemand helfen konnte, dann war es vielleicht Reiji.
 

„Du willst Ran-Ran verstehen?“ Dankend an seinem Tee schlürfend und mit einer verstopften Nase schniefte der brünette Sänger vor sich hin, nachdem er sich die Bitte seines Besuchers angehört hatte.
 

„Ja. Du kennst ihn von uns doch am besten, oder? Ihr seid doch gute Freunde, oder?“ Ai hatte sich auf die Bettkante gesetzt und lehnte sich leicht nach vorne, wodurch er unbewusst den Eindruck erweckte, dass er es wirklich dringend wissen musste.
 

„Freunde…“ Reiji wiederholte daraufhin dieses eine Wort in einem Ton, den der Kleinere nicht deuten konnte, nickte aber trotzdem energisch, weil er seine Frage einfach beantwortet haben musste.
 

„Bitte!“
 

„Also weißt du Ai-Ai-chan~ Ich würde dir ja wirklich gerne helfen, nur glaube ich, dass Ran-Ran sich selber gar nicht richtig versteht!“
 

„Was heißt das?“
 

„Verrat ihm bitte nicht, dass ich es dir gesagt habe… aber Ran-Ran ist von damaligen Freunden sehr stark verletzt worden. Seine alte Rockband… ist wegen ein paar Frauen kaputt gegangen und ich denke, das nagt immer noch an ihm. Deshalb hält er von Gefühlen nicht sehr viel. Einmal weil er denkt, es könnte die Band zerstören und auch, weil er nicht enttäuscht werden möchte. Seitdem wir unsere Soloprojekte haben und ums um ‚Starish‘ kümmern, befürchtet er, dass es wohl wieder kaputt geht. Er hat einfach kein Vertrauen in uns und unsere Arbeit.“
 

Es dauerte einen Augenblick bis Ai diese Informationen verarbeitet hatte, doch dann… schüttelte er den Kopf. „Das ergibt keinen Sinn!“
 

„Findest du…?“
 

„Wenn er nicht möchte, dass unsere Band kaputt geht, sollte er sich nicht so verhalten, wie er es momentan tut. Sein abweisendes Verhalten ist vollkommen unlogisch!“

Kaum hatte Ai die letzten Worte ausgesprochen, begann Reiji zu lachen und streckte eine Hand aus, um dem anderen sanft über den Kopf zu streicheln.

„Das ist genau das, was ich meinte! Er versteht sich selber nicht!“
 

Eine Stunde später saß Ai wieder an seinem Schreibtisch und obwohl er jetzt eine Antwort bekommen hatte, half sie ihm in keinster Weise weiter. Vertrauen. Enttäuschung. Er hatte auch nach diesen beiden Worte gesucht, aber nach wie vor, konnte er es nicht verstehen. Seines Erachtens müsste Ranmaru sich genau entgegengesetzt verhalten. Eigentlich müsste er ganz besonders viel Motivation für neue Songs zeigen, damit sie weiter fortbestehen konnten und bei ihren Fans nicht in Vergessenheit gerieten.

Aber das tat der andere nicht. Stattdessen zog er sich zurück und zeigte weder Interesse für die gemeinsame Arbeit, noch für die Newcomer ‚Starish‘, um die sie sich kümmern sollten.

Irgendwo musste es den Grund für dieses Verhalten geben. Und Ai wollte es wissen. Er wollte es so gerne verstehen, damit seine Verdienste nicht umsonst waren. Immerhin gab es für ihn nichts anderes. Seine gesamte Programmierung diente nur einem Zweck und was sollte er demnach machen, wenn es auf einmal niemanden mehr gab, mit dem er zusammen Musik machen konnte?
 

Einen Moment lang überflog er noch einmal die Definitionen, die er im Internet gefunden hatte, wobei er bei einer Stelle verharren musste:

‚Vertrauen ist aber auch mehr als nur Glaube oder Hoffnung, es benötigt immer eine Grundlage, die sog. „Vertrauensgrundlage“. Dies können gemachte Erfahrungen sein, aber auch das Vertrauen einer Person, der man selbst vertraut, oder institutionelle Mechanismen.‘1
 

Langsam lehnte sich Ai im Schreibtischsessel zurück und erinnerte sich an das Gespräch mit Reiji. Ranmaru vertraute ihnen nicht. War das etwa das Problem? Vielleicht hatte er noch keine Möglichkeit die Ursache des Problems zu verstehen, aber jetzt sah er zumindest eine Lösung. Es war ganz logisch. Der andere musste ihm lediglich vertrauen.

Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht des Androids ab. Er hatte zwar fast den gesamten Tag für diese eine Erkenntnis verschwendet, aber sie hatte ihn wirklich weiter gebracht.

Jetzt konnte er zumindest in aller Ruhe in seinen ‚Stand by‘-Modus wechseln und morgen würde er weiter recherchieren. Ai konnte es kaum noch erwarten.

Ich weiß, was du bist!

Mit größerer Überwindung hatte es Ranmaru geschafft sich von seinen beiden Kōhais, Jinguji Ren und Hijirikawa Masato, nach einer Runde Dart zum Essen einladen zu lassen. Eigentlich wollte er mit den beiden nicht viel zutun haben. Aber der Hunger hatte letztlich doch gesiegt, außerdem brauchte er etwas Ablenkung. In seinem Kopf geisterten Gedanken umher, die er nicht gewohnt war.
 

Deshalb stapfte er sogleich mit etwas besserer Laune in den nächsten Musikladen, um sich die ein oder andere CD zur Probe anzuhören, bloß… ganz gleich nach welchem Exemplar er griff, er bekam das Gefühl von Ais warmer Haut und der knöchernen Schulter einfach nicht aus seinem Kopf.

Und dazu noch diese Fragen. Was war ihm wichtig? Nach wie vor war er der Überzeugung, dass Ai eigentlich nicht in der Lage war es zu verstehen. Nur andererseits war es ebenso unmöglich, dass ein Computersystem solche Töne vom Stapel lassen konnte und damit auch noch einen derartig wunden Punkt traf. Zufall? Eher nicht, denn der Konter, den ihm der Kleine auf seine Frage am Ende ihres Gesprächs entgegengebracht hatte, war durchdacht gewesen. Sowas konnte kein Computer. Jedes System würde doch stur antworten, oder nicht? Deshalb blieb ihm eine letzte Vermutung.
 

„Der Kleine hat uns verarscht!“ Zähneknirschend stopfte Ranmaru eine CD-Hülle zurück ins Regal, wobei er einen prüfenden Blick des Verkäufers erntete. Doch das war ihm egal. Ai war kein Computer oder ein ‚was auch immer‘…

Es schien alles nur ein äußerst schlechter PR-Gag ihrer Agentur zu sein und jetzt fehlte ihm nur noch der Beweis dafür. Im Grunde könnte es ihm ja egal sein. Wäre es vielleicht auch, wenn… wenn er sich nicht so tierisch darüber aufregen würde, auf diesen miesen Scherz selbst reingefallen zu sein. In der Vergangenheit hatte es mehr als nur eine Situation gegeben, wo er auf Ais Unkenntnisse Rücksicht genommen hatte. Schlimm genug, denn normalerweise tat er sowas nicht! Also musste er den anderen einfach entlarven und er hatte auch schon eine Idee.
 

Später am Abend stand Ranmaru vor Ais Zimmertür. Der Kleine war allein, das wusste er. Seine Mitbewohner waren noch zu Gast in einer abendlichen Talk-Show, sodass er nun alle Zeit der Welt hatte im Zimmer herum zu schnüffeln und jetzt lohnte es sich zu wissen, wie früh der andere zu Bett ging. Es war der ideale Zeitpunkt!
 

Nachdem er die Zimmertür leise hinter sich verschlossen hatte, schlich er zum Schreibtisch seines Bandmitgliedes. Nur neben penibel aufgeräumten Scheibmaterialien konnte er nichts finden. Sein nächster Schritt war der PC, aber dieser war passwortgeschützt, sodass er nicht weiter kam. Und somit… blieb ihm nur noch eins. Etwas, was er eigentlich nicht vorgehabt hatte, doch seltsame Situationen erforderten seltsame Maßnahmen.
 

Vorsichtig ging der Große an Ais Bett und kniete sich nieder. Im Halbdunkeln sah er, wie der andere schlief, die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, regungslos, wie eine Puppe. Ranmaru ließ sich davon nicht beirren. Langsam griff er zur Decke und schlug sie nach hinten zurück, damit er den darunter liegenden Körper erreichen konnte. Es gab zum Glück keine Reaktion. Generell war es sehr still und bis auf das Bettdeckengeraschel, was er selber ausgelöst hatte, hörte man keine anderen Geräusche.

Außer seiner eigenen Atmung vielleicht. Aber das konnte nicht sein! Ranmaru stoppte mit seinem Vorhaben. Bildete er sich das nur ein?
 

Etwas verunsichert hielt er die Luft an. Nichts. Er lehnte sich weiter nach vorne, bis er Ais Mund mit seinem Ohr näher kam und lauschte, nur… Wieder nichts. Jetzt kam er dem Kleinen so nah, dass er eigentlich jeden Atemzug hätte spüren müssen, aber da gab es nichts, was über seine Haut streifte.
 

Einen Moment lang fühlte sich der Kopf des Grauhaarigen schrecklich leer an. Dann kam ihm aber ein Gedanke.

Der andere musste ihn bemerkt haben und spielte ihm wiedermal seine Rolle vor. Ätzend! Vielleicht war man in der Lage eine kurze Zeit lang nicht zu atmen, aber es gab eine Kleinigkeit, die man schlecht unterdrücken konnte. Deshalb legte er ihm eine Hand auf die Brust.
 

Nichts. Kein Herzschlag.
 

Ranmarus schlechte Laune kochte sogleich wieder auf und ohne weiter nachzudenken begann er die obersten Knöpfe des Pyjamas auf zu fummeln. Das alles konnte doch nicht sein! Aber auch nachdem er sein Ohr auf die unbedeckte Haut des ‚Schlafenden‘ gedrückt hatte, gab es dort nichts was er irgendwie hätte hören können.
 

Ernüchtert richtete er sich wieder auf und starrte zu Ai. Dann hatte er sich vielleicht doch geirrt? Seine Idee war falsch?

Während er sich darüber den Kopf zerbrach schob er das Oberteil des Schlafanzuges weiter zur Seite bis er den nackten Oberkörper im Halbdunkeln erahnen konnte. Niemals war etwas, das sich so real anfühlte und so real aussah eine Kopie aus Metall und irgendwelchen Kabeln. Unmöglich!

Ranmaru schluckte und ganz plötzlich überkam ihn ein ungutes Gefühl. Sein eigenes Herz rutschte ein Stück tiefer, während er sich seine ganz persönliche Horrorvorstellung ausmalte. War Ai tot? War er gerade gestorben, bevor er das Zimmer betreten hatte?
 

Wie in Panik beugte er sich zurück über den Kleineren.
 

„Ai? Hey, Ai!“, rief er ihm entgegen und begann damit den schmalen, immer noch warmen Körper zu schütteln.

Weil er keine Reaktion erhielt, stieg seine Panik immer weiter an. Was war zutun? Sollte er ihn etwa beatmen? Eine Herzmassage? Das alles waren Dinge, von denen er keine Ahnung hatte und doch tastete er den Oberkörper des Kleinen ab, um zumindest irgendwas zu tun.

Und gerade als er kurz davor war, es tatsächlich mit einer Herzmassage zu versuchen, konnte er ein sonderbares Geräusch hören. Ein leises Summen. Dann wieder Stille, ehe… eine vertraute Stimme zu ihm sprach.
 

„Kurosaki Ranmaru.“
 

Ai klang wie immer. Ruhig, etwas ausdrucklos.
 

„Was machst du hier?“
 

Dennoch verrieten diese Worte, dass ihm etwas nicht passte. War er verärgert?
 

Sofort wich Ranmaru vom Bett zurück und obwohl er irgendwie erleichtert war, graute es ihm vor den nächsten Minuten.
 

„Was machst du hier?“, wiederholte sich Ai, während er sich aufrichtete und die Knöpfe des Pyjamas wieder verschloss.
 

Er war also doch ein Computer! Über seine eigene Dummheit verärgert, versuchte der Große nach einer Antwort zu suchen. Und sie musste nicht nur plausibel sein, sondern auch noch schnell kommen, bevor der andere bemerkte, dass er nur nach einer Ausrede suchte.

Nur wie sollte sowas funktionieren?

Um sich nicht noch verdächtiger zu machen, platze schließlich der erstbeste Gedanke heraus.
 

„Ich wollte nach dir sehen. Du hattest mir doch ein Steak versprochen. Schon vergessen? Also? Wo ist mein Abendessen!?“
 

Ranmaru wusste selber nicht, wie er ausgerechnet etwas so dämliches von sich geben konnte. Etwas Ähnliches hätte wohlmöglich nur von Reiji kommen können und vermutlich war es sogar das dümmste, was er jemals in seinem ganzen Leben gesagt hatte. Es war ihm sogar schon ein bisschen peinlich… zumindest so lange wie Ai nicht reagierte. Bis…
 

„Stimmt. Ich hab dir ein Steak versprochen.“
 

Zuerst glaubte Ranmaru sich verhört zu haben. Doch keine Sekunde später stand der Kleine bereits auf, richtete sich seine Haare und hockte sich zu ihm. Diesmal musste es wirklich eine Art Scherz sein… niemand konnte eine so dämliche Antwort akzeptieren! Niemand mit der Ausnahme von Ai?
 

„Hast du Hunger? Funktionieren die Küchengeräte wieder und war jemand einkaufen? Dann mach ich dir etwas…“

Mein System...

Um das Vertrauen des anderen zu gewinnen, wollte er sich an die Abmachung mit dem Steak halten, auch wenn ihm die jetzige Situation äußerst seltsam erschien. Dabei war es besonders irritierend, dass Ranmaru von seinem ‚Notschalter‘ gewusst hatte. War ihm das Steak etwa so wichtig gewesen, weshalb er ihn aus seinem ‚Stand by‘ geholt hatte? So wichtig, dass der Große jetzt, wo er wieder wach war, aber gar nicht mehr darauf eingehen wollte? Wiedermal war Ai nicht in der Lage seinen Bandkollegen zu verstehen. Es widersprach seiner Logik.
 

Er wollte deshalb so lange warten bis er eine Antwort von seinem ‚Besucher‘ bekam, aber weil dieser nicht reagieren wollte, stand er schließlich wieder auf und schaltete das Licht ein. Im erhellten Raum bemerkte er nun wie Ranmaru seinem Blick mit einem grummelnden Gesichtsausdruck auswich… nur kaum hatte sich Ai zur Seite weggedreht, konnte er aus dem Augenwinkel sehen, dass der Große ihn sehr wohl verstohlene Blicke zuwarf. Was hatte das zu bedeuten?
 

„Willst du immer noch wissen, was ich bin?“, wechselte er daher das Thema, während er sich an seinen Schreibtisch setzte und seinen PC hochfuhr. Es dauerte einige Augenblicke… dann startete er ein Programm, ehe er auch noch ein Tablet aus einer Schublade hervorzog. Es mochte vielleicht eine etwas riskante Idee sein. Vielleicht half sie ihm auch in keinster Weise weiter, aber immerhin hatte er Ranmaru zu sich gelockt.
 

„Was ist das?“
 

„Meine Systemsteuerung.“
 

„…dann bist du tatsächlich ein Computer?“
 

Ai verstand die Frage nicht. „ Was meinst du mit tatsächlich? Das hört sich so an, als hättest du etwas anderes vermutet.“, schlussfolgerte er, woraufhin Ranmaru wieder in sein Schweigen verfiel.
 

„Vielleicht hast du nicht ganz Unrecht und ‚Computer‘ beschreibt nicht ganz, was ich bin. Android passt vielleicht besser.“
 

„… warum hast du dann geschlafen?“ Erneut wurde der Kleine prüfend gemustert.
 

„Eigentlich ist ‚Schlafen‘ auch die falsche Bezeichnung. Ich schlafe nicht. Das war mein Stand by-Modus.“, erklärte Ai vorsichtig, „Normalerweise wissen meine Kōhais, dass sie sich von mir fern halten sollen, wenn ich schlafe. Damit sie nicht versehentlich meinen Notschalter betätigen und mich wieder ‚aufwecken‘. Woher hast du von dem Schalter gewusst, obwohl du nichts von dem Stand by wusstest?“
 

Wieder bekam er nur Stille als Antwort und deshalb dachte Ai sofort daran, dass er etwas Falsches gefragt hatte. Vielleicht wäre es besser weniger zu fragen und etwas mehr zu erklären, damit der andere zumindest ihn verstehen konnte.
 

„Normalerweise programmier ich mir meine Stand by-Zeiten selber, je nachdem wie wir unsere Termine haben. Ich brauch das, damit mein System nicht überhitzt und es hat einfach gut gepasst, die Zeit zu nehmen, in der ihr schlaft. Der Notschalter ist dafür, falls etwas Wichtiges eintreten sollte. Mit der Betätigung überschreibt man die Daten, die ich hier eingegeben habe und ich bin damit dauerhaft aktiv.“ Ai deutete auf das Programm in seinem PC, welches er zuvor geöffnet hatte. Danach reichte er das Tablet an Ranmaru. Auch dort war ein Programm geöffnet, nur war es sichtlich komplexer als das, was der Kleine selber für sich benutzen konnte.

„Das ist mein Hauptprogramm . Darauf sind alle wesentlichen Daten gespeichert. Es gehört eigentlich dem Professor, aber er hat es mir für die letzten Wochen gegeben, weil er in Übersee ist. Er wollte damit verhindern, dass es jemand anderem in die Hände fallen könnte. Ich selber kann damit nicht umgehen. Es ist zu kompliziert. Trotzdem vertraut er mir.“ Ai hatte ganz bewusst dieses eine Wort benutzt, was er erst vor wenigen Stunden von Reiji gelernt hatte, bloß zeigte Ranmaru wider Erwartens keine Reaktion. Er starrte nur mit gerunzelter Stirn auf das Tablet und machte nicht den Eindruck, als würde er wirklich verstehen, was er ihm soeben erzählt hatte.
 

„…Programm hin oder her. Was ist mit deinem Körper? …deine Haut?“
 

„Synthetik.“
 

„Und sie ist warm, weil du… in Betrieb bist?“
 

„Richtig.“
 

„Was ist mit deinen Knochen?“ Auf einmal schien Ranmaru nicht mehr locker lassen zu wollen, aber es war Ai nur Recht. Einige Details wusste er zwar selber nicht, im Grunde konnte er sich trotzdem selber erklären.
 

„Habe ich nicht. Ein bewegliches Aluminiumgerüst soll menschliche Knochen nachbilden.“
 

„Und wie bewegst du es?“
 

„Das ist eine Mischung aus Elektrik und Hydraulik. Ich brauch bald wieder einen Ölwechsel.“
 

„Wie sprichst und siehst du?“
 

Der Kleine deutete auf seinen Kopf und lächelte dabei dünn. „So wie ein Mensch. Was bei euch das Gehirn ist, ist bei mir der Hauptprozessor. Er steuert Grafik und Soundprozessoren. Meine Augen sind hochauflösende Kameras.“
 

Darauf folgte wieder Stille und Ai sah, wie sich Ranmaru wegdrehte, nachdem er das Tablet zurück auf den Schreibtisch gelegt hatte. So plötzlich wie die ganze Fragerei angefangen hatte, war sie auch wieder zu Ende, was bei Weitem keinen Sinn ergab. Immerhin waren die wirklich wichtigen Fragen nicht gestellt worden.
 

„Willst du nicht wissen, warum ich überhaupt hier bin?“
 

Doch anstatt eine Antwort zu bekommen, bekam er etwas ganz anderes zu hören.

„…du kannst singen und Lieder komponieren, obwohl du kein Mensch bist? Bist du nur ein Prototyp oder werden noch mehr von deiner Sorte produziert? Was wollen dieser Professer und die Agentur von Shining damit erreichen? Idols durch Androids ersetzen? Für unfehlbar perfekte Leistung im Tonstudio und auf der Bühne?“
 

Diese Aussage lag außerhalb von Ais Berechnung. Dennoch war er die Schlussfolgerung seines Gegenübers logisch und es war das allererste Mal überhaupt, dass er Ranmaru verstehen konnte. Nur leider war es auch alles andere als gut. Ai verstand, dass der Große ihn jetzt als Bedrohung sah.
 

„Ich bin ein Prototyp, ja. Meines Wissens existieren keine anderen von meiner Art und ich weiß auch nichts von dem, was du gerade gesagt hast. Shinings Agentur ist Investor für die Forschungen des Professors. Aber er produziert auch einfache Spracherkennungssysteme, oder medizinische Produkte, um Menschen, die ihre Stimme oder das Augenlicht verloren zu haben wieder das Sprechen oder Sehen zu ermöglichen. Trotzdem… denke ich, dass es nicht auszuschließen ist, was du da gerade vermutet hast.“
 

Ranmaru gab einen unverständlichen Laut von sich, ehe er sich sichtlich angespannt durchs Haar fuhr. „Und… warum bist du hier?“ Sein Tonfall hatte sich schon wieder verändert und klang nun deutlich aggressiver als zuvor noch. Ais senkte den Kopf. Seine Idee, der andere würde ihn vertrauen, sobald er sein System verstehen könnte, war nicht nur gescheitert, rein rechnerisch gesehen, bekam er mit dieser neuen Situation sogar keine neue Chance es noch einmal zu versuchen.
 

„Wegen Quartet Night. Meine Musikprogramme wurden speziell für euch entwickelt. Wenn wir also keine Musik mehr machen, gibt es keinen Grund mehr, wieso ich überhaupt hier bin. Deshalb will ich euch helfen. Ich will mit euch Musik machen und ich dachte, du würdest mir vertrauen, wenn du weißt, wie ernst es mir ist.“
 

„Wieso sollte ich dir vertrauen wollen?“ Und schon ging die Fragerei von vorne los, doch diesmal war es eine Ebene, die weitaus schwieriger für Ai war. Menschliche Gefühle waren nach wie vor ein Rätsel.
 

„Vielleicht weil mein System keine Enttäuschung zulassen würde? Ich will Musik machen. Und nichts anderes. Willst du keine Musik machen? Ich wiederhole meine Frage von heute Morgen… Was ist dir wichtig?“

Langsam hob der Android seinen Kopf, um abwartend zu Ranmaru zu blicken. Dieser stand aber nur wie angewurzelt vor ihm und starrte ihn mit großen Augen an. Hatte er etwas Richtiges gesagt? Oder hatte er seine Situation noch verschlimmert? „...und selbst wenn dir nur ein Steak wichtig ist. Ich würde es dir braten.“

...und dein Vertrauen

Ranmaru konnte es nicht fassen.

Vor wenigen Minuten hätte er sich wegen Ais Reaktion am liebsten einfach nur an den Kopf gefasst, aber jetzt hatte sich das Blatt dermaßen gewendet, dass ihm schlecht geworden war.

Es wäre ihm allemal lieber gewesen, wenn er Recht gehabt hätte. Ein dummer PR-Gag ihrer Agentur wäre die viel angenehmere Variante gewesen, als DAS hier.
 

Es blieb allerdings die Frage, warum er sich nicht schon vorher Gedanken darüber gemacht hatte? Alle aus Quartet Night hatten davon gewusst und niemand hatte weiter darüber nachgedacht? Niemand hatte Ai jemals danach gefragt, was ein singender Android in einer Musikakademie verloren hatte? Geschweige denn, was sich sein Schöpfer, dieser Professor, oder ihr Produzent Shining Saotome dabei gedacht hatten? Gab es wirklich einen Plan noch mehr von Ais Art zu produzieren und zu vermarkten? Wenn ja, dann würden menschliche Idols bald Geschichte sein…

So in Gedanken bekam es der Große gar nicht mit, wie der andere weiterhin versuchte mit ihm zu reden.
 

„…du bist der Erste, dem ich das hier alles gezeigt habe. Erzähl es bitte nicht weiter. Es wäre nicht gut, wenn die anderen etwas davon erfahren. Wenn sie die gleichen Vermutungen haben wie du, dann…“
 

Er nahm diese Worte gar nicht richtig wahr, dachte dafür aber an dieses dämliche Steak, was er als Vorwand hatte benutzen wollen, wieso er überhaupt hier bei dem anderen war und noch bevor er den Kleineren anranzen konnte, dass er kein verdammtes Steak haben wollte, war dieser schon aufgesprungen und hatte damit angefangen sich das Oberteil seines Schlafanzuges aus zu ziehen.
 

„Was? Was machst du da?“, brummte er mit einer Mischung aus Verwunderung und Ärgernis, da Ai auf einmal mit nackten Oberkörper vor ihm stand und somit den Anschein erweckte, jeder weiteren Diskussion aus dem Weg gehen zu wollen, indem er einfach etwas anderes, vollkommen Sinnloses tat.
 

„Mich umziehen. Ich kann nicht kochen, während ich meinen Pyjama trage.“
 

Bei dieser Antwort packte sich Ranmaru tatsächlich an den Kopf. „Warum… willst du mir ein Steak braten?!“
 

„Du wolltest doch eins! Außerdem dachte ich, dass du mir vertrauen würdest, wenn ich das mache, was dir wichtig ist. Wenn ich dich nicht enttäusche…“
 

Da war es wieder. Ein Wort, was sich aus Ais Mund irgendwie unnatürlich anhörte. Der Grauhaarige fühlte sich, als wäre er kurz davor im Dreieck zu springen.
 

„Ai! Ich wollte nie ein Steak! Ich bin nicht deswegen hergekommen! Ich hab einfach nur irgendwas gelabert, um zu erklären, warum ich an dir rumgefummelt habe! Und dann hast du mit deinen Programmen angefangen… Warum? Warum willst du mir das erklären und womit willst du mich bitteschön nicht enttäuschen? Du willst Musik machen? Mit mir? Mit den anderen? Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, aber seit den letzten Wochen dreht sich alles nur noch um die Jungs von Starish. Es interessiert sich niemand mehr für uns oder unsere Arbeit, wie du es nennst. Und keiner von euch hat auch nur irgendwas davon bemerkt! Ist doch klar, dass ich mich darüber ärger, aber niemand checkt es! Ich hab kein Bock Babysitter für diese Newcomer zu spielen!“

Noch bevor er es hätte merken können, war es schon aus ihm heraus gesprudelt und Ranmaru wollte sich dafür am liebsten die Zunge abbeißen. Auch Ai blickte ihn dafür irgendwie verwundert an, nahm daraufhin allerdings einige Notenblätter in die Hand und überreichte sie ihm.
 

„Ich verstehe. Aber dann müssen wir doch nichts anderes machen, als einen neuen Song schreiben, oder? Ich will wirklich mit dir und den anderen Musik machen. Dafür bin ich hier. Außerdem möchte ich es verstehen.“, bekam er ganz ruhig erklärt.
 

Der Kleinere stand direkt vor Ranmaru und klammerte sich an seinem Shirt fest, wobei er merkte, dass die Täuschung aus der Nähe sogar noch echter wirkte. Zwei große, strahlend cyanblaue Augen blickten ihn an und wirkten ganz anders, als er es bisher immer gesehen hatte. Oder war es ihm bisher einfach nicht aufgefallen?
 

„Was möchtest du verstehen?“, fragte der Grauhaarige etwas gefasster nach.
 

„Wie es ist ein Mensch zu sein. Und ich möchte dich auch verstehen.“
 

Ais Antwort machte es nicht einfacher. Vielleicht glaubte er dem Kleinen ja. Glaubte, dass dieser gerne mit ihnen arbeiten wollte. Nur änderte das nichts daran, dass sich diese Worte einfach so seltsam anhörten. Computerprogramm blieb Computerprogramm. Dennoch… ein Programm tat nur das, was man wollte und sein Gegenüber schien da keine Ausnahme zu sein. Es war ein merkwürdiger Gedanke… aber das machte Ai tatsächlich verlässlicher als jeden Menschen. Im Grunde hatte er das schon vorher gewusst. Er würde sicherlich nicht enttäuscht werden und das gefiel ihm irgendwie.
 

„Du kennst doch noch nicht einmal den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe. Und du hast sogar selber bestätigt, dass du dir Gefühle wohl auch dann nicht richtig vorstellen kannst, wenn man sie dir erklärt, oder?“, bemerkte Ranmaru trotzdem und musste darüber grinsen. Besonders als er sah, wie das Gesicht des anderen einen Ausdruck annahm, als würde ihn die ganze Sache wirklich überfordern.
 

„Ja.“
 

„Du hast aber trotzdem gelernt, was Vertrauen bedeutet?“
 

„Nein. Ich habe nur bemerkt, dass wir eine Vertrauensbasis brauchen, um zusammen arbeiten zu können und dass ich dich dafür nicht enttäuschen darf. Vermutlich kann ich wirklich nicht das empfinden, was Menschen fühlen, aber ich möchte es zumindest verstehen. Ich möchte es wirklich versuchen. Kannst du mir denn vertrauen, jetzt wo ich dir alles erklärt habe?“
 

Er spürte, wie Ai davor war, ihn wieder los zu lassen. Nur um das zu verhindern, griff er schnell nach den Händen des anderen und hielt ihn somit fest, denn die Nähe des Kleinen war angenehm.
 

„Ich…“
 

Weiter kam der Große nicht, denn genau in diesem Moment wurde die Zimmertür aufgerissen und Syo und Natsuki kehrten von ihrem gemeinsamen Termin zurück.
 

„Hu?“, entkam es beiden gleichzeitig, als sie das Zimmer betraten und schon wieder spürte Ranmaru dieses schreckliche Gefühl bei etwas sehr Peinlichem ertappt worden zu sein. Immerhin stand der Kleine noch halbnackt bei ihm… und sie waren sich so nah, wie er eigentlich niemanden aus seiner Band jemals hätte kommen wollen.
 

„Ai-chan~“, trällerte Natsuki sofort ganz kindisch kichernd.
 

„Scheiße, nehmt euch ein Zimmer!“, fauchte Syo derweil fassungslos und begann wild mit seinen Armen zu rudern.
 

„Das hier ist mein Zimmer!“, warf Ai nichtsahnend ein, sodass der kleine Blondschopf mit seinem Rumgezappel stoppte.
 

„Das ist mir egal. Wenn ihr solche Dinge tun wollt, dann nicht… HIER!“, brüllte Syo weiter.
 

„Syo-chan~ Du weißt doch, wie das mit frisch Verliebten ist!“ Immer noch kichernd begann Natsuki die Schulter seines Freundes zu tätscheln, „Jetzt sei doch nicht so gemein! Ai-chan~ Wieso hast du uns nicht gesagt, dass du mit Kurosaki-san zusammen bist?“
 

Syos Gesicht wurde tiefrot und Ranmaru sah zu seinem eigenen Entsetzen, wie Ai diese kritischen Wörter auch noch stockend wiederholen musste.
 

„Ver…liebte? Zu…sammen?“
 

Damit war das Chaos perfekt und etwas in der Magengegend des Großen zog sich auf unangenehme Art zusammen.
 

„…er hat nichts gesagt, weil wir nicht zusammen sind! Die einzige Freundin die ich brauche ist meine Bassgitarre! Als ob ich mit Ai zusammen wäre! Das ist einfach lächerlich!“, knurrte Ranmaru genervt und ließ den Kleineren los. Doch das verhinderte nicht mehr, dass er von den anderen Zwei vollkommen entgeistert angestarrt wurde. Das unangenehme Gefühl stieg noch weiter an.
 

„…wow, der ist genauso verrückt wie Ai…“

Freundschaft 2.0

Sorgsam malte Ai die letzte Note seines neuen Liedes auf das Notenblatt. Er hatte extra einen Bleistift genommen, für den Fall, dass Ranmaru zum Schluss noch etwas geändert haben wollte, aber eigentlich war er sich sehr sicher, dass es so gut war, wie es war. Dann stand er auf und trat zu dem Größeren an dessen Bett heran.
 

Seit ihrem Zwischenfall mit Natsuki und Syo mied der andere das Zimmer des Androids, deshalb war Ai nun öfter hier bei dem Grauhaarigen als irgendwo anders und schließlich hatte er es sogar geschafft, den anderen von einem neuen Song zu überzeugen. Allerdings hatte sich Reijis anfängliche Erkältung als Lungenentzündung herausgestellt und Camus hatte auch keine Zeit, sodass sie immer nur noch zu Zweit arbeiten konnten.

Wobei selbst das nicht richtig zutraf.
 

„Ranmaru? Ich bin fertig. Willst du es sehen?“ Als Antwort bekam er nur ein leises Schnarchgeräusch.
 

„Warum schläfst du schon wieder?“ Langsam näherte er sich dem Großen und begann ihn mit einem Finger in die Seite zu stechen. „Ranmaru?“
 

„…was willst du? Lass mich in Ruhe!“ Mit einem Brummen wurde seine Hand einfach zur Seite geschoben.
 

„Ich will dir das Lied zeigen.“
 

Vorsichtig hielt Ai seinem Kollegen die Notenblätter vors Gesicht und raschelte damit so lange herum, bis der andere ihm die Zettel abnahm, um kurz darauf zu schielen.
 

„…du bist schon fertig?“
 

„Ja. Ist es gut so?“
 

„…weißt du eigentlich, dass ich gesagt habe, dass ich niemals ein Lied von irgendjemand anderen singen würde?“
 

Ai verstand es wieder einmal nicht. „Aber wir schreiben dieses Lied doch zusammen.“, widersprach er deshalb irritiert und musste mitansehen, wie Ranmaru die Notenblätter kurzerhand mit einem lockeren Handgriff zerknüllte, ehe er sie zur Seite in Richtung Mülleimer warf. Er traf nicht. Stattdessen prallte das Papierknäul von der Seite ab und rollte unter Masatos Bett.
 

„Du hast den Notensatz alleine geschrieben und willst, dass ich einen Text dazu schreibe? Das ist eine scheiß Arbeitsteilung. Ich will, dass wir wenn schon beides zusammen machen...“
 

Jetzt bemerkte der Android, wo sein Fehler lag.

Trotzdem blieb es ihm ein Rätsel, wie er mit dem anderen arbeiten sollte, wenn dieser entweder zu hungrig oder zu müde dafür war. Dazu kam außerdem, dass er selber einfach keine Texte schreiben konnte, weshalb das letztendlich eh an Ranmaru hängen bleiben würde. Nur schien sich dieser darüber keine Gedanken machen zu wollen und gerade als er versuchte ihn erneut anzusprechen, hörte er schon wieder dieses Schnarchen.
 

„Wenn wir zusammen arbeiten sollen, dann mach auch was dafür. Bitte.“, kam es entrüstet von Ai, der ein letztes Mal versuchte den anderen zum Aufstehen zu bewegen.

Diesmal hatte er mehr Erfolg und Ranmaru richtete sich zumindest in seinem Bett auf. Doch etwas war anders als sonst. Nachdenklich beobachtete der Kleine das Gesicht seines Gegenübers.
 

„Ah. Deine Augen?“
 

„…hab die Kontaktlinse rausgenommen. Ai, ich hab Kopfschmerzen. Ich glaub, ich werde auch krank. Vielleicht hat Reiji mich angesteckt. Lass mich einfach schlafen. Das mit dem Song machen wir, wenn es mir besser geht.“ Danach ließ er sich wieder nach hinten auf die Matratze sinken und schloss die Augen.
 

Krank. Ai hatte es bisher nur einmal bei dem anderen gesehen und damals hatte sich Reiji um ihn gekümmert. Jetzt war der Brünette aber auch an sein Bett gefesselt und somit blieb niemand, der Ranmaru helfen konnte. Niemand außer Ai selbst.
 

Langsam legte der Android eine Hand auf die Stirn seines Bandkollegen, um die Temperatur zu messen. Er hatte wirklich leichtes Fieber. Daher stand er auf und holte eine kleine Schüssel aus der Küche, die er im Badezimmer mit kühlem Wasser fühlte. Damit und mit einem Waschlappen kehrte er schließlich zurück, tränkte den Lappen und legte ihn vorsichtig auf Ranmarus Stirn. Er tat alles genau so, wie er es bei Reiji gesehen hatte. Bloß dieses Mal schien der Große seine Umgebung noch gut wahrnehmen zu können und reagierte. Kaum hatte der nasse Waschlappen die Stirn berührt, sah Ai in ein müdes Augenpaar. Ranmaru lächelte. Einen derartigen Gesichtsausdruck hatte er bisher so gut wie noch nie bei ihm gesehen.
 

„…heißt das, wir sind jetzt Freunde?“, wollte der Große von ihm wissen.
 

„Freunde?“
 

„…du hast damals in der Küche gesagt, Reiji hat sich um mich gekümmert, als ich krank war, weil wir Freunde sind. Und jetzt willst du mich auch gesund pflegen? Willst du mein Freund sein?“
 

„Ja. Aber du wolltest dich nicht um ihn kümmern. Du hast gesagt, dass sei mehr als Freundschaft, wenn…“ Eigentlich war dieses Thema wirklich wichtig für Ai. Warum konnte er erst jetzt mit dem anderen darüber reden? Ranmaru war auf einmal so… umgänglich. Trotzdem hakte es bei seiner Wortfindung „…du hast gesagt, dass es über Freundschaft hinausgehen würde.“
 

„Tut es ja auch.“
 

„Bist du für Reiji also mehr als nur ein Freund?“ Die Frage schien so schnell und unerwartet, dass er sehen konnte, wie ich etwas in Ranmarus Blick veränderte. Zuerst wirkte er überrascht, dann lachte er allerdings leise.
 

„Das musst du ihn schon selber fragen. Aber was ist mit dir? Wie kommst du auf sowas? Bist du eifersüchtig?“
 

Dieses Gefühl kannte Ai bereits von Syo. Daher verwirrte ihn die Frage nicht. Zumindest nicht sofort. „Nein. Ich wollte es nur wissen. Gibt es denn deiner Meinung nach einen Grund eifersüchtig zu sein?“
 

Darauf reagierte der andere nicht mehr. Ai wusste nicht, was er falsches gesagt haben könnte. War diese Eifersucht etwa so ein großes Thema? Syo wurde auch ständig rot, wenn Natsuki es erwähnte. Oder könnte es sein, dass er es einfach nicht richtig verstanden hatte.
 

„…wenn, dann solltest du auf meine Bassgitarre eifersüchtig sein…“
 

Auch wenn es nur leise gemurmelt war, der Android hatte es ohne jeden Zweifel hören können und war sogleich aufgestanden, nachdem er den Waschlappen mit frischem Wasser befeuchtet hatte.

Ranmarus Bass stand sorgsam in einer Ecke und schien auf dem ersten Blick nichts Besonderes zu sein. Es war dem Kleinen daher absolut schleierhaft, wieso der andere so an diesem Ding hängen konnte, dass er ihn sogar als ‚Freundin‘ betitelte. Bisher hatten seine Recherchen immer ergeben, dass Menschen sich einander Zuneigung schenkten, sei es in Form von Freundschaft oder auch von Liebe.
 

Ranmaru hingegen fiel aus diesem Schema.
 

War es logisch einem Objekt wie diesem Instrument ein Gefühl entgegen zu bringen? Irgendwie nicht… andererseits… Wenn man es genau nahm, empfand ein Android, wie er, wohlmöglich genauso viel wie diese Bassgitarre und trotzdem hatte der andere vorher dieses Wort ‚Freund‘ in einem Zusammenhang benutzt, was sich jetzt ganz seltsam anfühlte. Er selber hatte dem Grauhaarigen mit seiner Geste angedeutet, dass er sein Freund sein wollte. Bedeutete das, dass er Gefühle doch richtig verstehen und vielleicht sogar empfinden konnte?
 

Ai begann sich ganz warm zu fühlen. Sein System lief schneller, wodurch es mehr Wärme produzierte. Es war das gleiche ‚Gefühl‘ wie an dem Abend, als er die Worte ‚Vertrauen‘ und ‚Enttäuschung‘ kennengelernt hatte.

Trotzdem hatte sein System diese Besonderheit erst seit Kurzem, erst seitdem ihm Reiji das erste Mal die Bedeutung von Freundschaft erklärt hatte. Erst seit diesem Tag war er so wissbegierig und mittlerweile war er in der Lage die Reaktion seines Systems mit dem menschlichen Gefühl von Aufregung zu vergleichen. Objektiv betrachtet machte er demnach tatsächlich Fortschritte und wenn er wirklich Ranmarus Freund sein konnte, dann würde er vielleicht auch in der Lage sein das ‚Mensch sein‘ als einen ganzen Komplex richtig verstehen zu können und nicht nur einzelne Gefühle zu erahnen.
 

Ja, Ai wollte unbedingt Ranmarus Freund sein.

Idiot!

„Ran-Ran! Guten Morgen!“
 

Kaum bemerkte Ranmaru das wilde Herumgefuchtel von Reiji, bekam er das dringende Gefühl die Küche wieder verlassen zu wollen. Es war unverständlich, wie man so früh am Morgen schon so gute Laune haben konnte. Dennoch blieb ihm nichts anderes übrig sich zu seinen Bandmitgliedern an den Frühstückstisch zu setzen. Er hatte Hunger und dazu kam, dass Ai ihm diesmal extra ein Omelette machen wollte. Außerdem war selbst Camus anwesend, auch wenn dieser bloß geistesabwesend in einer Zeitung herumblätterte und sich dabei an seiner verschnörkelten Teetasse festhielt.
 

„Wie ich sehe, bist du wieder gesund? Ai-Ai hat sich also gut um dich gekümmert, hm~?“ Reijis Strahlen ihm gegenüber wurde breiter, woraufhin er selber gleich umso düsterer dreinblickte. Der Brünette saß mit einem pastellblauen Pyjama gekleidet am Tisch und erweckte mal wieder den Eindruck, er wäre gerade erst aus dem Bett gekrochen.
 

„…und wie ich sehe, bist du bald schon wieder krank, wenn du so rumläufst!“, erwiderte Ranmaru daher schulterzuckend, wobei er allerdings zu Ai schielte, der regungslos wie immer das Gespräch verfolgte.

Der Android zeigte keine Reaktion und für einen Moment kam dem Großen deshalb der Gedanke, dass etwas vorgefallen sein könnte.
 

„Aw~ Machst du dir Sorgen, um meine Gesundheit?“, kicherte Reiji derweil weiter, womit er Natsukis Rumgeträller durchaus Konkurrenz machen konnte, aber der Größere hatte kein Interesse darauf einzugehen. Stattdessen widmete er sich lieber Ai.
 

„…ist das letzte Omelette wirklich für mich?“, wollte er ganz scheinheilig ein Gespräch beginnen, bemerkte dabei aber schon, wie selbst Camus plötzlich aufblickte, um ihn zu mustern.
 

Auch Ais Gesicht zeigte eine Spur Unverständnis.
 

„Ja. Die anderen haben schon gegessen und ich esse nichts.“
 

Jetzt, nachdem der Kurze es ausgesprochen hatte, fiel ihm auf, wie weit er mit seiner Frage daneben gegriffen hatte. Nicht nur, dass sich sowas aus seinem Mund vollkommen unsinnig anhörte. Als würde er jemals sowas fragen! So langsam müsste er es auch wirklich begriffen haben, dass ein Ai keine Nahrung brauchte. Vor allem, da er mittlerweile weitaus mehr von ihm wusste.
 

„…ich dachte du würdest es vielleicht trotzdem mal probieren wollen?“, versuchte er sich herauszureden und schob den Teller quer über den Tisch zu Ai, um sein Vorhaben noch etwas zu unterstreichen. Doch der andere schüttelte nur den Kopf.
 

„Das geht nicht. Ich kann nichts essen.“, bekam er erneut erklärt.
 

Ranmaru kratzte sich am Kopf und warf Camus dabei einen giftigen Blick zu, als er sah wie sich dieser spöttisch grinsend wieder einem Zeitungsartikel zuwandte.
 

Reiji hingegen begann amüsiert zu lachen und griff das Thema sogleich nochmal auf: „Ach~ Das muss nichts heißen, vielleicht kommt’s ja trotzdem unten wieder raus! Vielleicht hat Ran-Ran Recht und du solltest es einfach mal probieren! Wenn du dich wie ein Mensch fühlen willst, gehört Essen dazu!“
 

Als Reaktion kam zuerst gar nichts.
 

Dann Zeitungsgeraschel.
 

Camus faltete das bedruckte Papier fein säuberlich zusammen und stand mit einem resignierenden Seufzen auf. „Bin weg. Bis später.“, verabschiedete er sich knapp, ehe er ging und diesmal konnte es ihm selbst Ranmaru nicht verübeln. Es gab Momente, in denen war Reiji wirklich unbegreiflich seltsam.
 

„Es wäre keine gute Idee, wenn ich etwas essen würde.“
 

Ai schob den Teller wieder zu ihm zurück und ohne noch weiter auf den dämlichen Kommentar des Brünetten einzugehen, begann er zu essen, während am Tisch Schweigen einkehrte. Erst jetzt merkte der Große, dass sich Ai im Grunde nicht seltsam verhielt. Der andere war eigentlich so wie immer, oder zumindest so, wie er vor den letzten Vorfällen immer gewesen war. Stattdessen war es ihm unangenehm, dass Reiji nicht ganz so viel redete wie sonst. Es war sogar richtig ungewohnt, seinen Gegenüber auf einmal für dessen Verhältnisse schweigsam zu erleben, obwohl ihn sein Gelaber meistens fast zur Weißglut trieb. Die ganze Situation fühlte sich falsch an.
 

„Reifi, waff ift los? …haft diff am Reif verfluckt?“, grummelte er misstrauisch mit vollem Mund und bekam als Antwort nur dieses typische Lachen. Der Brünette winkte ab.
 

„Alles gut, alles gut! Ich muss jetzt auch los. Hab noch einen Termin mit Otoyan und Toki~ Wir sehen uns~“
 

Jetzt wurden sie schon wieder zurückgelassen. Einerseits gut für ihn, da er mit Ai alleine sein konnte, andererseits… beunruhigend, wenn er an das seltsame Verhalten seines Kollegen dachte. Reiji flüchtete vor etwas.
 

„Reiji ist anders als sonst.“
 

Ranmaru bekam die Bestätigung sofort, nachdem die Küchentür verschlossen war. Selbst Ai hatte es bemerkt? Das musste etwas bedeuten.
 

Und plötzlich überkam ihn eine böse Vorahnung, sodass ihm das letzte Stück Omelette unangenehm langsam die Kehle herunter rutschte. Der Grauhaarige begann zu husten.
 

„…ja. Mir gefällt die Sache nicht. Hast du… in den letzten Tagen mit ihm geredet?“, fragte er vorsichtshalber nach, aber zum Glück schüttelte Ai wieder den Kopf.
 

„Nur heute morgen wegen dem neuen Song. Aber selbst da hat er schon etwas anders reagiert als sonst.“
 

„Was meinst du mit anders.“
 

„Zuerst hat er gelacht und schien sich über ein neues Lied zu freuen. Aber auf einmal wurde er ganz still und hat etwas traurig geguckt. Denkst du, ich habe etwas falsch gemacht?“
 

Eigentlich musste Ranmaru nicht lange über die Worte des anderen nachdenken. Er wusste ganz genau, wo das Problem lag, war sich aber nicht sicher, ob es irgendeinen Sinn ergeben würde, die Sache einem Computerprogramm zu erklären. Letztendlich beließ er es deshalb lieber dabei. Er war zu bequem sich die Dinge absichtlich schwer zu machen. Besonders, wo es für ihn momentan doch ganz gut lief.
 

„Nein, sicher nicht. Reiji ist halt einfach ein Idiot. Mach dir keine Gedanken darüber!“, begann er schlecht gespielt zu grinsen und Ai schien es ihm zu glauben.
 

„Du hast dich auch verändert.“, auch wenn der Kleinere das Thema wechselte, war es im ersten Moment keine sonderlich angenehmere Richtung, in der sich ihr Gespräch entwickelte, „Als ich an deinem Bett gesessen hatte, warst du irgendwie ganz anders.“
 

Einen Augenblick lang ließ Ranmaru seinen Blick durch den Raum schweifen. Bis auf Masato, der am Herd etwas vor sich hinbrutzelte, waren sie allein. Es konnte also niemand mithören und deshalb wurde sein Grinsen jetzt breiter. Es war nicht so, dass er sowas häufig sagte, aber diese Gelegenheit konnte er sich nicht entgehen lassen.
 

„Klar. Ich hab es ja auch genossen, von so einem Süßen wie dir umsorgt zu werden!“
 

Gespannt wartete er auf die Gegenreaktion und er konnte beobachten, wie sich Ais Lippen einen Spalt weit öffneten… wie der andere kurz davor war, etwas zu sagen, aber letztlich kam doch kein einziger Ton heraus. Für den Grauhaarigen sah es nicht so aus, als würden seine Worte irgendwie peinlich für den anderen sein. Er war wieder nur verwirrt, weshalb sein Computersystem ins Stocken geraten sein musste.
 

„Ich bin süß?“, wiederholte Ai.
 

Auch das war Ranmaru schon aufgefallen. Immer wenn der andere etwas nicht verstand, musste er es meistens nochmal für sich aussprechen. Als ob es irgendwas ändern würde; als ob er es dadurch eher verstehen würde.

Das fand er genauso niedlich. Sofern ein Objekt in dieser Art und Weise überhaupt niedlich sein konnte.
 

„Sehr sogar!“, schnurrte der Große weiter und stützte dabei seinen Kopf mit einer Hand auf der Tischplatte ab, wobei er Ais Gesichtsausdruck genüsslich lächelnd musterte.
 

Die ganze Zeit, in der er krank gewesen war, hatte er an diesen Gedanken gesessen.

Es war wirklich anstrengend gewesen, doch er war immer wieder zu dem gleichen Schluss gekommen:

Ai empfand Gefühle nicht so wie andere. Er war kein Mensch, sah aber trotzdem wie einer aus und fühlte sich auch genauso echt an. Nach genauerem Überlegen… konnte da selbst seine heißgeliebte Bassgitarre nicht mehr mithalten und eigentlich war der Kleine mehr als nur süß.

Ai war echt heiß und der Große konnte sich dafür in den eigenen Hintern treten, dass er es nicht schon viel früher gesehen hatte. Damit war er ein noch größerer Idiot als Reiji.

Ich bin für dich kein Freund

Ai schaute sich immer wieder um. Wie mit Ranmaru verabredet, saß er unter einem Baum auf dem Anwesen der Shining Agentur. Das Wetter hatte sich in den vergangenen Tagen schlagartig geändert. Es war warm und sonnig geworden, es war ein herrlicher Tag. Deshalb wollten sie das neue Lied gemeinsam draußen im Freien schreiben und diesmal war es beabsichtigt, dass sie nur zu Zweit waren.
 

Aber der Kleine wartete nunmehr schon seit einer Stunde. Vielleicht war der andere in vielen Dingen unzuverlässig, aber das hier?
 

Gerade als Ai schließlich aufstehen wollte, hörte er ein Rascheln hinter sich und Ranmaru ließ sich rechts neben ihn auf dem Rasen nieder.
 

„‘tschuldige. Ich wurde aufgehalten.“
 

Mittlerweile wusste der Kleine dieses Grummeln in der Stimme des anderen schon zu deuten. Zudem wirkte er angespannt und feine Schweißperlen lagen auf seiner Stirn. Es war etwas Unangenehmes dazwischen gekommen, aber er hatte sich trotzdem abgehetzt, um ihn nicht länger warten zu lassen?
 

Tief durchatmend griff der Große nach dem unteren Teil seines dunklen Shirts und wischte sich damit übers Kinn, danach ließ er sich nach hinten fallen und streckte sich.
 

„Du willst schon wieder schlafen? Hast du ni-„
 

Aber der andere fiel ihm sofort ins Wort und grinste dabei sogar schon wieder.
 

„…ich weiß. Der Song! Ich hab auch was mitgebracht!“, bekam Ai verkündet, woraufhin ihm eine Mappe entgegen gereicht wurde. Langsam nahm er sie an und öffnete sie, wobei sich der Grauhaarige wieder aufrichtete. Neben leeren Notenblättern hatte Ranmaru sie aus einem unerklärlichen Grund mit Kopien von den Notationen ihrer bisherigen Lieder gefüllt.
 

„Was… sollen wir damit?“, fragte der Android deshalb irritiert, nachdem er die kopierten Notenzettel herausgenommen und überflogen hatte. Keine Sekunde später wurden ihm die Blätter aber schon wieder entrissen.
 

„Erklär ich dir später!“
 

Vermutlich musste er sich mit dieser Antwort zufrieden geben, denn kaum wurden die Kopien zur Seite gelegt, spürte Ai einen Arm um seiner Taille. Mit einem leichten Ruck wurde er näher an seinen Sitznachbarn herangezogen, sodass sich ihre Oberschenkel trafen. Der Arm blieb schließlich um ihn geschlungen, weshalb Ai zögernd zur Seite schielen musste. Der Große hatte sich, seitdem er krank gewesen war, wirklich verändert.
 

„…lass uns jetzt die Melodie schreiben!“
 

Mit dieser Anweisung schaltete das Computersystem sofort auf ‚Funktionieren‘ um. Ais Gedanken rückten in den Hintergrund, während er dicht an Ranmaru geschmiegt einen Takt nach dem anderen komponierte.
 

Bereits nach einer halben Stunde waren sie fertig und der Adroid blickte erwartungsvoll zu dem Grauhaarigen. Dessen Arm hatte sich derweil wieder zurückgezogen und anstatt den Kleinen immer wieder von der Seite anzustarren, blickte er nun gebannt auf die Notenzettel.
 

„…hätte ja nicht gedacht, dass man so was einfach nur mit dir und ohne Instrument schreiben kann. Und auch noch in so verdammt kurzer Zeit!“, wurde er gelobt.
 

„Ja. Das ist meinem Programm für Musikgeneration zu verdanken.“
 

„Ai, du bist der Wahnsinn!“
 

„Danke. Aber ich kann keine Texte schreiben.“, widersprach er leise und plötzlich spürte der Kleine, wie seine Temperatur stieg. Ihm wurde schlagartig warm, als er das Lächeln bemerkte, welches auf einmal auf Ranmarus Lippen lag. Es war genau das gleiche Lächeln, wie heute Morgen in der Küche, wo er von unverständlichen Dingen überrumpelt worden war.
 

„Du kannst keine Texte schreiben, weil du nicht alle Gefühle verstehst, die dahinter stehen, hab ich Recht? Vielleicht weiß ich, wie ich dir helfen kann.“
 

Zur Antwort nickte Ai nur langsam und das Lächeln des anderen wurde daraufhin sogleich breiter. Der Android sah, wie die alten Notationen wieder herangeräumt wurden, bevor er schließlich eine Kopie von ‚Poison Kiss‘ vorgehalten bekam.

Ranmarus Finger tippte auf die Stelle des Refrains.
 

Ohne nachzudenken kam zuerst nur ein einziges Wort von dem Kleinen: „Küssen?“
 

Und obwohl das Gesicht des anderen seinem bereits näher kam, drehte Ai seinen Kopf zur Seite weg.
 

„Ich weiß, wie man küsst. Sowas brauchst du mir nicht extra zu zeigen.“, seufzte er leise.
 

„…du weißt das?“ Sofort war der Grauhaarige von ihm weggerückt und hatte nun wieder seinen brummigen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Er schien ihn mit seiner Aussage definitiv getroffen zu haben. „…woher?“
 

„Manchmal habe ich Filme im Internet gestreamt, wenn ich Spät abends noch Updates fahren musste.“
 

„…dann hast du dir aus Langeweile Romanzen angeguckt?“, zähneknirschend begann Ranmaru in seiner Hosentasche zu kramen und zog erst eine Zigarettenschachtel, dann eine Kaugummipackung hervor.

Er selber klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, bevor Ai ein Kaugummistreifen angeboten wurde. Aber der Android lehnte natürlich ab und gerade als er sich wiedermal erklären wollte, kam ihm der Große zuvor.
 

„…nicht schlucken, einfach nur kauen!“, wurde er angewiesen, sodass er es doch noch entgegennahm und während er sich selber den Kaugummi in den Mund schob, beobachtete er, wie sein Bandkollege sich die Zigarette anzündete. Mit leicht nach hinten gelehntem Kopf stieß Ranmaru den Rauch nach oben gen Himmel, gleichzeitig aschte er auf den Boden und schielte prüfend zu Ai.
 

„Was ist? Funktioniert es?“, wollte er wissen.
 

Ai nickte und kaute angestrengt.
 

„Wolltest du nicht mit dem Rauchen aufhören?“
 

„Hab ich. Fang jetzt aber wieder an.“ Die Antworten des anderen waren kurz wie eh und je.

Das Computersystem geriet schon wieder ins Stocken. Ein leises Summen erklang, weshalb der Android das Kaugummi zur Seite spuckte, um sich nicht selber zu gefährden, doch das Geräusch wurde nicht leiser. Stattdessen wurde ihm immer wärmer. Er war nicht nur aufgeregt, da war auch noch etwas anderes.
 

„…alles okay? Was ist das?“
 

Ai wusste es selber nicht genau und konnte nur seinen Kopf schütteln. Er brachte genau wie in der Küche keinen Ton heraus. Sein Hauptprozessor hatte massiv damit begonnen auf alte Dateien zu zugreifen, was er nicht mehr stoppen konnte. Das letzte Mal war ihm etwas Ähnliches passiert, als Ranmaru damals nach ihm gegriffen und ihn nach ihrer ‚Diskussion‘ an der Spüle festgehalten, oder als er dessen Bassgitarre untersucht hatte. Nur dieser Suchprozess schien kein Ende nehmen zu wollen…

Eine endlose Minute später waren schließlich passende Dateien gefunden worden.
 

„Bist du sauer, weil ich dich enttäuscht habe? Sind wir jetzt keine Freunde mehr?“
 

Der Kleinere sah, wie seinem Gesprächspartner fast die Zigarette aus dem Mund gefallen wäre.
 

„Bitte?“
 

Hatte ihn der andere wirklich nicht gehört, oder verstand er es tatsächlich nicht?

Ai war sich unsicher, bloß… auf einmal begann Ranmaru überraschender Weise zu lachen.
 

„Ai! Manchmal kommen von dir ein paar Dinger, die mich echt umhauen! Scheinst ja doch mehr zu wissen, als du behauptest. Aber wie kommst du darauf? Hör mal, so einfach kannst du mich nicht enttäuschen, okay? Sicher sind wir noch Freunde!“
 

Vielleicht mochte sich diese Erklärung ganz gut anhören. Nur sie war in dieser Situation wiedermal unlogisch. Soviel wusste Ai bereits. Ein bisschen hatte er mittlerweile ja doch verstanden und auf einmal bemerkte er, wie manche Dinge erst im Zusammenhang ihren Sinn ergaben, weshalb er seine Feststellung auch sogleich aussprach:
 

„Das stimmt nicht. Wir sind keine Freunde. Du willst mehr als Freundschaft.

Erklär mir...

Ranmaru konnte es nicht fassen, wie schnell der Kleine doch lernen konnte.

Von wegen stumpfer, gefühlsloser Computer! Und von wegen er konnte den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe nicht verstehen! Scheinbar wusste Ai entweder mehr, als er zugeben wollte, oder er konnte die eigenen Informationen einfach nicht richtig ordnen.
 

Der Grauhaarige tippte auf Letzteres, auch wenn er sich selber eingestehen musste, dass er den anderen auch nicht verstand. Was war so toll daran ein Mensch zu sein? Gefühle bedeuteten schließlich verletzt zu werden.
 

Brummend drückte der Große den abgerauchten Zigarettenstummel am Boden aus, bevor er seinen Blick zurück zu Ai drehte.

Er hatte die Vermutung, dass dieser noch etwas von ihm erwartete. Andernfalls würde er nicht immer noch regungslos neben ihm sitzen.
 

„Ja. Und? Hast du deiner Meinung nach ein Problem damit, weil wir Freunde sind? Du weißt sehr wohl, wo der Unterschied ist, nicht wahr?“, bestätigte er schließlich die Äußerung und steckte sich dabei sogleich die nächste Zigarette an.
 

„Theoretisch versteh ich den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe vielleicht schon. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt.“
 

„Du bist ja auch ein Computer und du hast mir die Frage nicht beantwortet!“, grummelte Ranmaru sogleich zurück. Immerhin war etwas eingetreten, was ihm nicht gefiel. Der Süße wich ihm aus, indem er den eigentlichen Teil seiner Bemerkung überging? Oder war sein System etwa schon an seine Grenzen gestoßen? Er sah wie Ai seinen Kopf hängen ließ und wieder zu Summen begann.

Mit einem genervten Brummen schnappte er sich den kleineren Körper und drückte ihn in den Schatten des Baumes.
 

„Was tust du?“
 

„…nicht, dass du noch überhitzt!“
 

„So schnell passiert das auch nicht.“
 

„Sieht für mich anders aus. Du gibst seltsame Geräusche von dir und antwortest nicht richtig. Ist da ein Fehler in deinem System?“
 

Angespannt stand der Große auf, klopfte sich den Dreck von der Hose, ehe er die Notenblätter einsammelte und zu ordnen begann. Innerlich hatte sich Ranmaru damit abgefunden vorerst wohl keine Antwort zu bekommen, wobei es schon sehr lächerlich war, dass er soeben einen Korb von einem Computersystem bekommen hatte. Und ausgerechnet das, obwohl dieses ihn ja eigentlich nicht enttäuschen wollte.
 

Aber er war dem Kleinen nicht böse. Vermutlich war es ja auch einfach nur zu viel.
 

„Nein. Kein Fehler.“, gab Ai derweil monoton von sich und gerade als er davor war gehen zu wollen, spürte er, dass eine warme Hand nach ihm griff. Der Kleine war zu ihm gekommen und klammerte sich an ihn, so wie er es schon einmal getan hatte.
 

„Ich kann es nicht fühlen.“, wiederholte sich der Android, wodurch Ranmaru den Eindruck von Verzweiflung bekam.
 

„Bist du dir sicher? Du hast auch gesagt, du kannst es nicht verstehen und verstehst es ja scheinbar doch sehr gut!“
 

„Bist du wirklich mein Freund?“, wechselte Ai seltsamerweise das Thema.
 

„Warum nicht? Aber nur, wenn du es willst.“
 

Danach sprach keiner mehr ein Wort und erst nach einer halben Ewigkeit redete Ai weiter:

„Wieso ist deine Bassgitarre deine ‚Freundin’? Ich verstehe dich nicht.“
 

Damit hatte Ranmaru nicht gerechnet, aber er war trotzdem gewillt zu antworten, auch wenn es ihm mittlerweile zu anstrengend wurde. War es so schwierig einfach nur eine Antwort zu bekommen? Nach und nach nahm der Kleine immer menschlichere Züge an. Es war fast unheimlich.
 

„...ein Ding kann einen nicht enttäuschen, findest du nicht auch?“
 

Während der Große lässig seine Zigarettenkippe wegschnippte, tat er so, als würde es ihn nichts ausmachen über Dinge zu sprechen, die er bisher eigentlich nur Reiji erzählt hatte. Und das auch nur, weil er damals ganz schön betrunken gewesen war.

Sein Glück, dass sie so weit vom Haupthaus entfernt waren und sie somit ihre Ruhe hatten. Es wäre mehr als unangenehm, wenn jemand wie Camus solche Dinge über ihn erfuhr.
 

„Verstehe.“
 

Und wieder Stille.
 

„…hab dir wohl wieder zu viel gemutet, hm? Naja, schon okay. Lass uns hier vorerst aufhören und morgen dann einen Text für den Song schreiben.“
 

Doch anstatt Ai damit endlich zum Gehen zu animieren, begann sich der andere direkt fester an ihn zu klammern. Vorerst kam er aus diesem Gespräch also nicht heraus und wurde sogar nur mit einem vollkommen verständnislosen Blick angestarrt.
 

Langsam atmete Ranmaru ein, wobei er im Geiste von Zehn nach Null zu zählen begann. Vielleicht konnte er dem Kleineren zwar nicht richtig böse sein, aber wenn das so weiter ging, würde er seine gute Laune nicht beibehalten können.

Er merkte bereits, wie es in seiner Magengegend zu kribbeln begann und es war sicherlich kein positives Gefühl. Zumal sein Gegenüber wieder mit dieser nervtötender Summerei angefangen hatte.

Heute Morgen fand er das irritierte Gesicht des anderen noch süß, jetzt merkte er aber, wie ätzend es auch sein konnte.
 

„Ai, was soll der Scheiß?“
 

„Ich versteh dich nicht. Du willst mein Freund, obwohl ich dich enttäusche? Und wie kannst du deine Gefühle unterdrücken?“
 

„Du wiederholst dich! Sag mir endlich, was DU willst. Enttäuschen hin oder her! Du redest wie ein kleines Mädchen… Das nervt! Ich werd’s schon überleben.“
 

Jetzt war Ranmaru derjenige, der nach Ai griff, um sich von ihm lösen zu können, aber bevor er dessen unmenschlich festen Griff lockern konnte, hörte er etwas, dass ihn doch noch freudig überraschte.
 

„Ich will Gefühle empfinden können. Kannst du es mir zeigen? Kannst du mir Liebe erklären?“
 

Auch wenn der Grauhaarige nicht verstand, warum sein kleiner Gegenüber für diese Antwort so lange gebraucht hatte. Wichtig war einfach nur, dass der andere es endlich gesagt hatte.
 

Grinsend schob sich Ranmarus Hand an Ais Arm nach oben hin zu dessen Schulter und in seinen Nacken hinein. Diesmal wollte er den anderen nicht entkommen lassen, weshalb er seine Finger im Haar vergrub, aber noch bevor er auch nur eine Chance bekam, raschelte es in einem Gebüsch und jemand sprang heraus.
 

„Erwischt!“, rief Reiji laut, wobei er vollkommen schamlos mit dem Finger auf die beiden zeigte und sofort ließ der Grauhaarige seinen androiden Freund los.
 

„Ran-Ran? Was sollte das denn bitteschön werden? Ich bin schwer enttäuscht von DIR!“, kommentierte der andere sogleich weiter, woraufhin er seine Arme in die Seiten stemmte, um seinem Auftritt noch mehr Ausdruck zu verleihen.
 

„…bist du bescheuert, oder was? Wie lange spannst du da schon?“
 

Ranmaru wusste dieses Verhalten nicht anders zu beschreiben und rieb sich die Stirn, damit er seine leicht erröteten Wangen überspielen konnte. Der worst case war eingetreten. Das war schlimmer als das Missverständnis mit Natsuki und Syo.

„…hast du nicht gesagt, du hättest einen Termin?“
 

„Ja~ Aber es kam was dazwischen, sodass wir abbrechen mussten und weil ich von dem neuen Song wusste, hab ich Masa-chan gefragt, wo ihr beiden stecken könntet~“
 

„Masato, hu?“
 

Das ungute Gefühl wurde stärker und die anfänglich nur etwas schlechte Laune drohte nun wirklich über zu kochen. Noch bevor sich der Große selber stoppen konnte, war er von Ai zu Reiji gestapft, um nach dessen Kragen zu greifen.
 

„Ran-Ran… n-nicht doch!“
 

Abwehrend hob der Brünette seine Hände und legte sie ihm kraftlos gegen die Brust. Er machte keine Anstalten ihn von sich zu schieben, stattdessen lächelte er nur verkrampft.
 

„Masa-chan~ hat mir nur gesagt, wo ihr euch treffen wolltet. Das ist alles. Er weiß von nichts! Und ich hab doch auch nichts gesehen oder gehört!“
 

Es war die richtige Antwort gewesen. Ranmaru ließ ihn los.
 

„…außerdem würde ich euch doch niemals verpetzen~ Euer Geheimnis ist bei mir sicher! <3“

...Liebe?

Mit halbgeschlossenen Augen lag Ai in seinem Bett, während im Hintergrund ein Defragmentierungsprogramm auf seinem PC lief. Die vergangenen Tage waren für sein System sehr anstrengend gewesen, weshalb er die gesammelten Daten und Entscheidungen neu ordnete.
 

Vermutlich war genau dieser Überschuss der Grund für die seltsamen Geräusche und sobald die Defragmentierung abgeschlossen war, dürfte er sich ‚besser fühlen’.

Normalerweise also der ideale Zeitpunkt um ein bisschen zu Recherchieren, Artikel zu lesen oder Filme im Internet zu gucken, doch der Android blieb stattdessen im Bett und auf seinem menschlichen Kissen liegen.
 

Seinen Kopf hatte er auf Ranmarus Brust gelegt, um dem dumpfen, aber gleichmäßigen Herzklopfen zu lauschen, ohne allerdings zu wissen, dass der andere genau Dasselbe mal bei ihm versucht hatte.
 

Keiner von den beiden bewegte sich und der Größere schlief nun schon seit einer ganzen Weile. Eigentlich gab es also keinen Grund weiter bei ihm liegen zu bleiben. Ranmarus Herzschlag gab ihm schließlich keine Antwort auf seine Frage, sondern verstärkte lediglich den Drang das gleiche Gefühl in seiner eigenen Brust spüren zu wollen. Trotzdem stand Ai nicht einfach auf.
 

Stattdessen wartete er darauf, dass der andere wieder wach werden würde, um von ihm anschließend vielleicht noch einmal so in den Arm genommen zu werden, wie er es vor einer Stunde getan hatte. Bevor er einfach eingeschlafen war…
 

Eine weitere Weile verstrich. Dann endlich begann sich der Grauhaarige zu regen und ein Händepaar tastete sich an seinen Seiten entlang.
 

„…du bist noch hier?“, hörte Ai eine müde Stimme.
 

„Ja. Du wolltest doch irgendwas von mir?“
 

„Joa...“
 

Ranmaru wurde munterer und versuchte sich halbwegs unter ihm auf zu richten. Ai bemerkte, wie sich dessen Bauchmuskulatur anspannte, aber er war wohl zu schwer, als dass der andere es schaffte. Deshalb setzte er sich nun auch auf, blieb aber abwartend auf dem Becken seines Bandkollegen hocken.
 

„Was wolltest du?“, erinnerte er Ranmaru an sein Vorhaben, woraufhin er in ein breites Grinsen blicken konnte. Der Große hatte sich wieder hingelegt und blinzelte sichtlich vergnügt zu ihm auf.
 

„Ich will…“, begann er, wobei er zuerst nach dem Saum von Ais T-Shirt griff und Anstalten machte, es ihm über den Kopf ziehen zu wollen, ehe er dann allerdings doch noch stoppte, da sich die Zimmertür wie in Zeitlupe öffnete.
 

Als nächstes schob sich Reiji mit einem finsteren Blick in den Raum hinein.
 

„…hast du schon wieder gespannt? Spionierst du uns jetzt schon nach?“
 

Sogleich wurde der Android von Ranmaru geschoben und ihm blieb nichts anderes mehr übrig, als regungslos auf dem Bett sitzen zu bleiben.
 

„Ich habe nicht gespannt. Ich habe dich nur vor fatalen Konsequenzen bewahrt!“, erklärte sich der Brünette und begann etwas verzweifelt herum zu gestikulieren, „Ran-Ran, was hättest du gemacht, wenn ich Syo-chan oder Natsuki gewesen wäre? Du weißt ganz genau, was passieren könnte, wenn jemand von deinen… deinen…“
 

Scheinbar wusste Reiji nicht weiter. Trotzdem machte er noch ein besorgtes Gesicht, was Ranmaru aber nicht nur kalt ließ; Ai konnte auch spüren, wie sich sein Freund neben ihm auf dem Bett immer weiter verspannte und ahnte deshalb schon, was als nächstes kommen würde. Bevor der Große aufsprang, legte der Android seine Hand auf dessen Oberschenkel und hielt ihn somit zurück.
 

„Schon okay. Es ist meine Schuld. Das mit Kurusu-san und Shinomiya-san ist soweit okay. Von den beiden, würde keiner etwas sagen und ich weiß, worauf du hinaus willst, Reiji. Ich werde mich ab jetzt darum kümmern, damit es nicht soweit kommt, dass es unsere Arbeit gefährdet. “, versprach er.
 

Doch das Gesicht des anderen behielt immer noch diesen besorgten Ausdruck und Ranmaru begann verächtlich zu schnauben.
 

„Du kannst mir vertrauen, Reiji.“, legte Ai ganz bedacht nach und wartete darauf, dass sich der Blick ihres Gegenübers endlich wieder entspannte.
 

„Okay.“
 

Kaum war Reiji gegangen, begann Ranmaru wieder zu brummen.
 

„Der Vollidiot steht sicherlich immer noch vor der Tür und lauscht…. Und was soll das heißen, du kümmerst dich drum? Willst du mich ab jetzt auf Abstand halten?“, grummelte er herum und zog den Kleineren sogleich besitzergreifend in seine Arme, woraufhin sich ein warmes Gefühl im Nacken des Androids breit machte.
 

„Du hast dich wirklich verändert…“, stellte Ai leise fest, während das Gefühl in seinem Nacken weiter an seinem Hals entlang wanderte. Es fühlte sich so merkwürdig an geküsst zu werden…
 

„Ranmaru, ich will nach wie vor Musik machen. Du weiß, dass wir das eigentlich nicht dürfen. Wenn wir erwischt werden, ist es mit unserer Arbeit aus.“
 

Mittlerweile wollte er zwar mehr als nur Freundschaft verstehen und erleben, doch er hatte den eigentlichen Grund nicht vergessen, wieso er hier war. Deshalb war es wieder irritierend, dass sich der Grauhaarige entgegen jeder Logik verhielt. Machte er sich einfach keine Gedanken? Oder war das das, was Liebe ausmachte? Liebte ihn der andere so sehr? Ging das?
 

Nichtsdestotrotz würde das, was sie hier taten, Probleme geben, sobald man sie erwischte. Reiji hatte vollkommen Recht. Wer wusste schon, wo es noch enden könnte? Warum konnte Ranmaru seine Finger nicht bei sich behalten? Er musste doch wissen, dass er sich auch einmal zusammenreißen sollte. Bloß seit diesem Nachmittag, an dem sie gemeinsam draußen gearbeitet hatten, war die Zuneigung, die er von dem anderen bekam, mit jedem Tag gestiegen. Scheinbar war er doch nicht in der Lage seine Gefühle zu kontrollieren…
 

Nicht, dass das ein Problem gewesen wäre; es war einfach nur so unsinnig, wie leichtfertig man sein konnte Ai hatte keine Möglichkeit sich gegen die Zärtlichkeiten zu sträuben. Er wollte den anderen nicht verletzen, indem er ihn noch einmal abwies.
 

„Hast du das mit deiner Bassgitarre auch immer gemacht?“, bemerkte der Android dennoch trocken und schon ließ das Gefühl an seinem Hals wieder nach.
 

„…manchmal… wenn es keiner gesehen hat. “, entgegen der Berechnung hatte es Ranmaru mit Humor genommen, ließ aber trotzdem von ihm ab und legte sich zurück auf das Bett, „…es war deine eigene Entscheidung… also beschwer dich nicht. Wusstest du nicht vorher, dass es Probleme geben könnte? Du kennst die Regeln doch auch! ‚Wenn man sich verliebt, ist es aus!’ Lag das außerhalb deiner Einschätzung?“
 

Schweigend lauschte Ai diesen Worten und stand schließlich auf, um einen kurzen Blick auf seinen PC zu werfen. Die Bearbeitung des Programms war fast abgeschlossen, sodass er sich vor seinem Schreibtisch setzte, wobei er zeitgleich mit seinem Freund weiterredete.

„Ich weiß. Also bist du wirklich so stark in mich verliebt? Aber zählt diese Regel überhaupt für mich? Ich bin kein Mensch. Vielleicht ist das etwas anderes? Abgesehen davon ist Reiji auch ein Problem. Er ist definitiv eifersüchtig und es ist nicht richtig, wie du dich ihm gegenüber verhälst. Du gehst ihm aus dem Weg, wie unserer Arbeit damals…“
 

Ai wartete auf eine Reaktion, doch jetzt kam nur noch mehr von Ranmarus Grummeln. Es wurde immer lauter.
 

„Reiji geht mir auch aus dem Weg!“, schmollte der Große, ehe er urplötzlich aufsprang, „…außerdem brauch ich mir so etwas nicht von einem Computer erzählen lassen! Das ist doch lächerlich! Du weißt doch überhaupt nicht, was… ach, tz …wär ich mal lieber bei meinem Bass geblieben!“
 

Noch bevor der Android etwas erwidern konnte, war sein Freund bereits losgestapft und knallte die Zimmertür hinter sich zu. Dann war es also bereits zu viel gewesen, wie er sich von dem anderen losgelöst hatte?
 

Ai konnte ihm nur noch nachgucken, ehe ein ungutes Geräusch des PCs seine Aufmerksamkeit anzog. Mehrere Fenster öffneten sich nacheinander auf seinem Desktop. Allesamt zeigten sie fehlerhafte Prozesse an.
 

Dann hatte sein System doch einen gravierenden Fehler? Wieso war ihm das nicht schon vorher aufgefallen?

Dein oder mein Fehler?

Ranmaru kam es so vor, als hätte er die gesamte Nacht über nicht geschlafen. Immer wieder hatte er sich über Ais Belehrung ärgern müssen. Es war zum kotzen. Wie kam der kleine Computer nur darauf, ihm erzählen zu müssen, wie er sich gegenüber Reiji verhalten sollte? Der Android kannte weder die Hintergründe, noch dürfte er in der Lage sein die Situation richtig einschätzen zu können. Dabei hatte er sich extra für ihn entschieden, weil er ihn so pflegeleicht eingeschätzt hatte. Aber in Wirklichkeit…
 

Und abgesehen davon… was hieß hier ‚so verliebt’? So tief gingen seine Gefühle eigentlich nicht, nur weil er dem Kurzen ein bisschen Vertrauen entgegen brachte? Hauptsächlich wollte er einfach auch einmal etwas Spaß haben.
 

Waren das nicht Dinge, die man mit Objekten tat? Sie benutzen? Ai hatte zweierlei Schuld: Erstens weil er mit dieser verrückten Idee des ‚Mensch sein’ ausgerechnet zu ihm gekommen war und Zweitens weil er mit diesem süßen Aussehen einfach so war, wie er eben war. Zum Anbeißen.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dass er seine Chance sofort genutzt hatte. Er hätte nicht so unehrlich sein sollen, aber für Reue war es eh schon zu spät und abgesehen davon, hatte er überhaupt keine bösen Absichten. Ai war in seinem Besitz übergewechselt und als Gegenleistung bekam der andere das, was er wollte. Bloß so schön es auch war… Wieso war dieser Android so kompliziert?
 

Nur widerwillig stand Ranmaru auf, zwängte sich in eine Hose und griff sich sein Shirt. Er zog es sich über den Kopf, während er sein Zimmer verließ, stieß deshalb aber direkt auf dumme Kommentare.
 

„Hmmm? Bist du gerade mit deiner neuen Nebenbeschäftigung fertig geworden?“
 

Rens Stimme klang arrogant wie immer und hätte sich Masato nicht zwischen die beiden gestellt, wäre die Situation noch eskaliert. So starrten sie sich einfach nur an, wobei sich der Große fragte, wie er nur mit seinen Kōhai Jinguji überhaupt mal ausgekommen war.
 

„Liegt Ai noch in deinem Bett? Na, wenn das Shining wüsste…“, provozierte Ren weiter.
 

„Jinguji, wenn wir uns hier weiter aufhalten, verpassen wir unseren Termin.“, ermahnte ihn Masato ernst, worauf sich der Blonde mit einem belustigten Lachen an Ranmaru vorbei ins Innere ihres gemeinsamen Zimmers schob. Hijirikawa wollte ihm folgen, aber der Grauhaarige packte sich den Arm des Schnösels.
 

„…woher weiß Ren davon?“, knurrte er.
 

„Er war derjenige, der den zerknüllten Notenzettel gefunden hat und hat ein bisschen Rumgeschnüffelt. Kurosaki-san…Ich hab es nur gut gemeint, als ich dich neulich darauf hingewiesen habe. Selber Schuld, wenn Jinguji Dinge mitbekommen hat, die er nicht hätte erfahren sollen. Mir ist egal, was ihr treibt. Ich werde nichts sagen, aber ich werde euch nicht auch nicht bei den anderen in Schutz nehmen.“
 

Nach dem Gespräch mit seinen Kōhais war Ranmaru umso angespannter und schon die alleinige Vorstellung, wie Reiji ihm gleich beim Frühstück gegenüber sitzen würde, gab ihm den Rest. Er hatte kein Bock auf seine Kollegen, da würde auch Ais süßes Gesicht diesmal nichts dran ändern können. Aber ausgerechnet an diesem Morgen saß der Android nicht mit den anderen am Frühstückstisch.
 

„…morgen…“ Schlecht gelaunt ging er am Tisch vorbei, um sich einfach nur eine Tasse mit Kaffee zu füllen und damit schweigend auf die Veranda zu verschwinden. Aus dem Augenwinkel sah er, wie ihm sowohl Reiji als auch Camus skeptische Blicke zuwarfen, aber er ließ sich nichts anmerken, sondern steckte sich einfach nur eine Zigarette an.
 

Auch wenn er seinen Kleinen nicht wirklich hatte sehen wollen, jetzt, wo Ai nicht da war… war es ihm auch nicht Recht.
 

Langsam nahm er einen tiefen Zug von seiner Zigarette und schielte dabei immer wieder durchs Küchenfenster nach Innen. Eigentlich rechnete er damit, dass Reiji jeden Moment aufstand, um zu ihm zu gehen, um ihn entweder mit gespielt guter Laune zu nerven, oder um ihn eine Moralpredigt zu seinen Fehlern zu halten.
 

Keins von beidem geschah.
 

Stattdessen standen die beiden anderen nach einiger Zeit einfach auf und verließen die Küche, sodass er zumindest die letzten Zigarettenzüge in Ruhe aufrauchen konnte.
 

Eine halbe Stunde später stand Ranmaru vor Ais Zimmertür. Natürlich konnte er die Abwesenheit seines Süßen nicht unkommentiert lassen. Er fühlte sich irgendwie dazu verpflichtet nach dem Rechten zu schauen, weshalb er ohne zu Klopfen eintrat.
 

Wie fast immer saß Ai an seinem Schreibtisch und beschäftigte sich mit seinem PC, doch er schien ihn nicht bemerkt zu haben; zumindest gab er keine Reaktion von sich, sodass sich der Große leise von hinten anschleichen konnte. Vorsichtig schob Ranmaru die unnatürlichen, aber weichen Haare aus den Nacken seines Freundes, um ihm stattdessen einen Kuss in den Nacken zu hauchen. Woraufhin das Tastaturgeklapper stoppte.
 

„Guten Morgen. Wieso bist du nicht beim Frühstück gewesen?“, raunte er gegen die weiche Haut und spürte, wie die Hand des Kleinen nach hinten griff und seine Wange berührte.
 

„Weil du Recht hattest.“
 

Irritiert begann Ranmaru zu blinzeln. Sofort musste er an Reiji und dessen Rumgemecker denken, doch diesmal löste es ein gutes Gefühl aus, da Ai auf seiner Seite war. Es war also weder falsch noch verwerflich, was er tat? Das war eine angenehme Bestätigung, die er bekam.
 

„…dann hast du mit Reiji gesprochen und ihm gesagt, er soll uns in Ruhe lassen?“, wollte er trotzdem wissen und zu seiner Überraschung zog sich Ais Hand wieder zurück.
 

„Was? Nein, das nicht. Ich meine, du hattest Recht, dass ich einen Fehler im System habe.“, antwortete der andere ruhig, während er mit mehreren Programmen beschäftigt war, „Ich versuche es schon seit gestern Abend zu beseitigen, aber es funktioniert nicht.“
 

Erst jetzt beobachtete Ranmaru die verschiedenen Arbeitsflächen, die auf dem Desktop geöffnet waren. Ein Virenscanner lief und neben der Tastatur lag das Tablet des Professors.

Unbeholfen fuhr sich der Große durchs Haar. Dinge, die er nicht richtig verstand waren umso beunruhigender, besonders wenn er daran dachte, dass es um Ai ging und… Schwer schluckend richtete er sich wieder auf. Dieses beklemmende Gefühl. Wie sehr er sowas hasste.
 

„…es ist doch nichts schlimmes? Wann kommt denn dein Professor wieder? Er kann dir doch sicherlich helfen!?“
 

„Ich weiß nicht, was das ist. Der Professor kommt erst morgen wieder. Ich muss sowieso zu ihm und wenn ich es nicht schaffe, wird er es sich angucken.“
 

Die Antwort seines Freundes beruhigte Ramaru nicht wirklich. Wenn der Android nicht selber damit fertig wurde, musste es doch etwas Größeres sein, oder? Sein Herz begann schneller zu schlagen und dieses scheiß beklemmende Gefühl wollte nicht gehen. Entgegen zu dem, worüber er in seinem Bett gegrübelt hatte, nahm ihn die Vorstellung wirklich mit, dass etwas mit dem anderen nicht stimmte… geschweige denn, dass etwas passieren könnte, wobei ihm die Hände gebunden waren.
 

„Ai? Du erinnerst dich daran, dass du mich nicht enttäuschen willst?“, entkam es Ranmaru mit ungewohnt leiser Stimme, sodass sich der Kleine sogar zu ihm herumdrehte.
 

War es also doch so weit? War er dem Android also doch so stark verfallen, obwohl es ‚nur‘ ein Computer war? Natürlich war die Geschichte mit seiner Bassgitarre nicht viel mehr als ein Scherz gewesen. Ein Objekt konnte nichts fühlen und er hätte in seinem Trotz sehr gerne daran geglaubt, dass es bei Ai vielleicht auch so war. Es hätte ihn noch nicht einmal verletzt, denn wie er es zu dem anderen bereits gesagt hatte:

Er hätte es verkraften können, wenn sie einfach nur Bandkollegen geblieben wären.
 

„Natürlich. Wieso sollte ich sowas auch vergessen?“
 

Er sah, wie sein Freund schwach lächelte.

Das zwischen ihnen war kein einseitiges Spiel und er hoffte wirklich, dass es kein Fehler seinerseits war, was sie den anderen damit antaten, oder was er Ai überhaupt zumutete.

Ohne noch etwas zu sagen, beugte er sich nach vorne und schloss den Android in seine Arme.
 

„Ranmaru? Was hast du?“
 

„Nichts. Ich liebe dich einfach.“

Ein bisschen Romantik

Ai genoss die Nähe des anderen, wurde aber schon nach wenigen Augenblicken von Ranmaru weggedrückt und schaute in sein irgendwie besorgt wirkendes Gesicht.
 

„Geht es dir überhaupt gut? …wenn du die ganze Nacht am PC gearbeitet hast?!“
 

„Ich habe ja nicht nur gearbeitet.“, erwiderte er, wobei sein Blick zurück zum Desktop fiel.

Jetzt schien es auch der andere bemerkt zu haben, da er zur Maus griff, um einige geschlossene Fenster in der Taskleiste zu öffnen.
 

„…und du hast schon wieder Filme gestreamt?“ Ranmaru brummte und Ai beobachtete ihn dabei, wie er sich die Internetseiten, die er in den letzten Stunden aufgerufen hatte, anschaute.
 

Es war nicht so, dass ihn diese Fehlermeldungen nicht beunruhigten, aber letztlich blieb es dennoch ein ödes Unterfangen mit den verschiedenen Programmen zu arbeiten und auf die Ergebnisse verschiedener Such- und Arbeitsabläufe zu warten. Es war einfach langweilig, wenn nichts geschah.
 

„Da fällt mir etwas ein!“, kam es plötzlich von Ai, der mit diesem leisen summenden Geräusch nach Ranmarus Hand auf der Computermaus griff, um ihn zu einer bestimmten Internetseite zu führen.
 

‚ Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte.`2
 

Ranmaru überflog den Text.
 

„Und? Was soll das?“, fragte er schließlich und für einen Moment verstärkte sich Ais Summen.
 

„In den Filmen, die ich gesehen habe und auch, wenn die anderen davon reden… Mit Romantik... ist etwas anderes gemeint, nicht wahr? Es gehört zu Liebe dazu, oder? Kannst du mir zeigen, was wir meinen, wenn wir in unseren Liedern über etwas Romantisches singen?“
 

Zuerst ging der Große nicht auf ihn ein, weshalb er schon kurz davor war, erneut nach zu fragen, aber dann zeigte Ranmaru eine langsame Regung. Er entfernte sich zwei Schritte vom Schreibtisch und blickte zur Seite. Er wich aus?
 

„Du kannst es nicht? Wieso?“, fragte Ai sogleich weiter, bekam allerdings sogleich eine angespannte Gegenreaktion.
 

„Doch ich kann es! Aber eigentlich bin ich nicht so der Romantiker…“, widersprach Ranmaru hastig, wobei er sich immer noch im Zimmer umblickte.
 

„Bist du nicht? Aber du singst doch davon…“
 

Ai stand von seinem Schreibtischstuhl auf und folgte dem Grauhaarigen quer durchs Zimmer. Vor Natsukis Schrank blieben sie stehen.
 

„Du singst doch auch davon und weißt im Grunde nicht viel darüber, oder?“, erwiderte der andere, während er damit begonnen hatte im Schrank von Ais Kōhai herumzuwühlen. Ganz oben und hinter mehreren Stapeln Wäsche versteckt fand er schließlich einen Karton, den er vorsichtig auf den Boden stellte und öffnete.
 

„Kerzen?“, stellte der Android fest, als sie den Inhalt sahen, wobei Ranmaru zu lachen anfing.
 

„Genau! Als ob ich’s gewusst hätte… Wir sind hier sicher nicht die Einzigen, die die Regeln brechen! Wusstest du davon?“
 

„Dass das zwischen meinen Kōhais etwas Besonderes ist? Schon, Shinomiya-san hat Kurusu-san schon mehrmals überredet mit ihm zusammen baden zu gehen.“

Der Kleine sprach darüber, als wäre es das Normalste der Welt. Er hatte es stets geduldet, dass die beiden solche Dinge in ihrem Bad taten. Aber eigentlich… hatte er es auch nie weiter hinterfragt und erst jetzt, da Ranmaru nach seiner Hand griff, um ihn in Richtung Badezimmer zu ziehen, verstand er, was in den vergangenen Wochen hier bei ihm im Zimmer passiert war.
 

„ Ah, die Zwei haben romantische Dinge gemacht?“
 

„…so könnte man es nennen…“
 

Ai sah, wie der Große die Badezimmertür öffnete, bevor er die Kerzen auf dem Badewannenrand verteilte. Den Rest des Inhalts stellte er zur Seite, wobei eine viereckige Plastikverpackung auf den gefliesten Boden fiel. Sofort wurde sie vom Kleinen aufgehoben und gründlich gemustert.

Währenddessen war Ranmaru kurz davor das Badewasser einlaufen zu lassen, doch kaum sah er diesen Blick, mit dem sein Freund die Verpackung inspizierte, hielt er wie gelähmt inne.
 

Der Große fasste sich an die Stirn und seufzte voller Resignation.
 

„Was ist los?“, Ai lächelte unwissend, ehe er die Kondomverpackung vor die Nase des Größeren hielt, „Was ist das?“
 

Im ersten Moment wurde der Android nur angestarrt.
 

„…was machst du denn bitte im Internet, dass du…“, begann Ranmaru fassungslos, „…muss ich dir jetzt wie einem kleinen Kind alles von Anfang an erklären?“
 

Ai ließ sich die Verpackung von seinem Gegenüber abnehmen, doch bevor dieser weiterreden konnte, schüttelte er seinen Kopf. Den Großen mit diesem Gesichtsausdruck zu sehen war amüsant, aber…
 

„Schon okay. Ich weiß, was das ist.“, gestand er immer noch lächelnd.
 

„…du verarschst mich hier?“ Zu seinem eigenen Missfallen musste der Kleine sehen, wie sein Freund ihn nun mit einem mehr als grimmigen Blick anschaute. Das hatte er nicht gewollt. Es war doch einfach so lustig gewesen, weshalb Ai leise auflachte.
 

„Entschuldige.“, versuchte er Ranmaru deshalb zu besänftigen.
 

Von einer Sekunde zur nächsten änderte sich dessen Blick, sodass er nun sogar selber zu grinsen begann, bevor er sich wieder zur Badewanne herumdrehte, um dieses Mal wirklich das heiße Wasser einlaufen zu lassen und die Kerzen anzuzünden.
 

„Du willst baden? Mit mir? So wie Shinomiya-san und Kurusu-san es immer machen?“
 

„…genau. Ich denke, das ist romantisch genug!“
 

Ohne noch weiter abzuwarten, zog sich der Grauhaarige sein Shirt über den Kopf; es folgte die Jeans.
 

„Ranmaru… wir können die Badezimmertür nicht abschließen. Und außerdem bade ich nicht.“
 

„Wenn deine Kōhais hier baden, können wir das ja wohl auch!“ Mit einer trotzigen Reaktion trat der Größere auf ihn zu und im nächsten Augenblick war auch sein Oberteil ausgezogen worden „…was heißt du badest nicht? Kriegst du dann einen Kurzschluss? Regen verträgst du doch auch, oder?“
 

„Ja, aber ich habe noch nie gebadet.“
 

Energisch griff Ai nach den Händen des anderen, damit er sie im Zaun halten konnte, denn sie hatten sich bereits an seiner Hose zu schaffen gemacht.
 

Normalerweise wusste er, was er konnte und was nicht und das hier fiel außerhalb von dem, was ihm einprogrammiert wurde. Deshalb wollte er kein Risiko eingehen. Besonders nicht jetzt, wo sein System eh schon einen Fehler aufwies. Es war zu riskant, auch wenn der andere auf einmal so verändert schien. Ai merkte, wie sich Ranmarus Hände befreien konnten und ihn nun fest an seiner Hüfte packten. Was war plötzlich los?
 

„Ranmaru, bitte. Es ist sehr nett von dir, dass du es mir zeigen möchtest, aber gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit?“

Etwas Besonderes

Ranmaru saß bis zur Nase im heißen Badewasser versunken und starrte durch den Kerzenschein hinüber zu Ai. Der Kleine hatte sich immer noch keinen Zentimeter bewegt, wobei er nun auch noch einen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, der ausdrucksloser nicht sein konnte.
 

Nach einer Weile des Diskutierens hatte er den anderen einfach unberührt dort stehen

gelassen; auch wenn es ihn in den Fingern gejuckt hatte heraus zu finden, was sich unter der Hose des anderen befand.

Ob der Kurze wirklich zu 100% eine menschliche Imitation war?
 

Ai erwiderte seinen fragenden Blick und nun wurde es ihm doch zu viel. Er hatte ja schon sehr viel Mist in einer Badewanne getrieben, aber diese Situation ging da doch zu weit. Es war ihm ja fast schon peinlich, wie sich der Kleine zierte.
 

„Ai!“, fuhr er den Android an, während er sich hastig erhob und auf den anderen zu stapfte. Er hatte ihm die Chance gegeben sich freiwillig zu ihm zu setzen, aber wenn er nicht wollte, so musste er ihn eben dazu zwingen, weshalb er zurück nach Ais Hose griff.
 

„Kannst du dir wenigstens was überziehen, wenn du an mir rumfummelst?“
 

Ranmarus Hände stoppten sofort, als er diese Anweisung hörte.
 

„Bitte? Was soll denn der Scheiß?“, entkam es ihm ungewollt energisch und die Reaktion des Kleinen kam prompt. Wie eingeschüchtert zuckte der Android zusammen, wobei er mit einem schuldbewussten Blick zu ihm schaute.
 

„Ich dachte nur, dass es komisch aussieht, wenn jetzt jemand reinkommt.“
 

„…es sieht nicht komischer aus, als wenn wir zusammen in der Badewanne sitzen würden! Wie kommst du nur auf sowas?“
 

Das durfte nicht wahr sein. Der Kurze machte ihn wirklich fertig, aber noch bevor er da weitermachen konnte, wo er aufgehört hatte, kam bereits der nächste Spruch:

„Das ganze war doch deine Idee.“
 

Angespannt atmete Ranmaru ein. War das nun Absicht von Ai? Bevor er sich wieder an dessen Hose vergriff, musterte er dessen Gesicht. Der andere war tatsächlich verunsichert. Wegen ihm. Nein, er konnte wieder dieses ominöse Summen hören. Dieses Geräusch, dieser Fehler… im Grunde hatte der Kleine Recht, wenn er sagte, dass es besser wäre es einfach hiermit zu belassen. Immerhin wusste er, was der letzte Kurzschluss mit dem armen Kühlschrank angerichtet hatte.
 

„Okay. Wir lassen es lieber.“, gab der Grauhaarige schließlich vollkommen resigniert nach, ehe er sich nun zumindest ein Handtuch um die Hüfte schlang. Danach ließ er das Badewasser wieder ab, löschte die Kerzen und schaltete die Deckenlampe wieder ein.
 

„Wäre es denn romantisch gewesen, wenn ich zu dir in die Badewanne gestiegen wäre?“, wollte Ai auf einmal noch wissen, während er sich wieder angezogen hatte. Aber Ranmaru hatte schon keinen Bock mehr. Er zuckte nur mit den Schultern.
 

„Kann sein. Ich find es nicht so besonders. Für jemanden wie Shinomiya ist es das aber wohl schon.“
 

Zum Glück fragte der Android nicht weiter nach, denn es wäre unangenehm geworden seine Vorlieben zu erklären, doch zu seiner eigenen Verwunderung hörte er plötzlich etwas, womit er nicht gerechnet hatte.
 

„Hm. Lass es uns trotzdem wiederholen, sobald der Fehler behoben ist!“
 

Am nächsten Morgen saß Ranmaru alleine am Frühstückstisch. Sowohl von Ai als auch von den anderen beiden fehlte jede Spur, sodass er sich immerhin in Ruhe mit einem Kaffee begnügen konnte. Noch über den gestrigen Tag grübelnd blickte er in die dunkle Brühe und zuckte daher zusammen, als die Küchentür mit einem heftigen Ruck aufgezogen wurde.
 

„Ran-Ran!“
 

Reiji hatte ihm gerade noch gefehlt, weshalb er schon im Begriff war aufzustehen, doch kaum sah er dieses übertriebene Strahlen im Gesicht seines Kollegen, hielt er inne.

„Was ist?“, fragte er eher aus Höflichkeit, als auch Neugierde und sogleich wieder das Strahlen noch viel breiter.
 

„…die Agentur hat uns Urlaub geschenkt!“, verkündete der Brünette mit einer Passion, wie nur er es konnte und riss dabei die Arme hoch, weshalb Ranmaru einen Schritt weit nach hinten trat, um mehr Abstand zu dem anderen zu bekommen. Nur noch wenige Augenblicke und er würde umarmt werden.

„Aha. Und?“
 

„Ist das nicht toll? Wir fahren ans Meer! Das ist viel besser als dieser dämliche Wochenendtrip mit Starish!“, quiekte Reiji weiter, wobei er tatsächlich nach vorne sprang, aber Ranmaru wich nach hinten weg.
 

„…und was soll daran so toll sein?“
 

Sein Süßer war heute zum Professor gefahren und seitdem hatte er nichts mehr von Ai gehört. Er konnte nur hoffen, dass der Fehler des anderen wieder schnell behoben wurde und sollte sein Freund es dann tatsächlich schaffen ihnen auf diesem Urlaub zu folgen, dann würde alles in einem ganz anderen Licht erscheinen.

Aber so? Alleine mit Reiji und Camus? Was sollte er da nur tun?
 

„Wir können Nachts zusammen im Meer schwimmen gehen und den Sternenhimmel beobachten!“, schwärmte sein Kollege derweil weiter, womit er ihm leider diese unausgesprochene Frage beantwortet hatte.
 

„…aber sicher nicht wir beide!“, knurrte er zurück und verschränkte dabei die Arme vor der Brust, „…was wäre außerdem, wenn uns dabei jemand beobachtet, hu? Wäre das nicht gegen die Regeln?“
 

Zumindest das musste gesagt werden und Reijis Blick sah auch dementsprechend betroffen aus. Es dauerte keine Sekunde, da hatte sich der andere aber wieder gefangen.
 

„Sicher, wenn wir ein Liebespaar wären! Aber das zwischen uns doch etwas anderes! Wir sind einfach gaaanz besonders gute Freunde~ Ich könnte dich deshalb auch trösten, wenn Ai-chan nicht kommen sollte~“
 

Darauf wusste Ranmaru nichts zu kontern. Er starrte Reiji nur mit großen Augen an.
 

„…wieso… Ai? Woher?“, stammelte er verwirrt, aber sein Gegenüber tat nichts anderes als dumm zu grinsen.
 

„Keine Sorge Ran-Ran! Es geht deinem Liebling sicher bald wieder besser und bis dahin lass uns einfach eine schöne Zeit im Urlaub haben! Geh deine Sachen packen, damit wir endlich los können~!“
 

Diese Worte waren für Reiji leichter gesagt, als es für ihn getan war. Denn jetzt, wo er es Ai erst einmal gestanden hatte…

Langsam gab der Große dann allerdings nach. Auch wenn es ein Urlaub war, so blieb es schließlich doch nichts anderes als eine Pflichtveranstaltung. Er musste mitkommen, ob er wollte oder nicht. Deshalb schlurfte er in sein Zimmer, welches ungewöhnlich leer wirkte. Nicht nur, dass sein Süßer nicht da war, von den Jungs von Starish schienen ebenfalls verschwunden. Zum Glück.
 

Seufzend packte Ranmaru eine Reisetasche mit den wichtigsten Dingen, verstaute seine Bassgitarre und ging schließlich zum Hof ihrer Agentur. Reiji saß bereits hinter dem Steuer eines kleinen dunkelroten Autos und Camus saß in einem Buch lesend auf dem Beifahrersitz.
 

„Ran-Ran~ Schmeiß deine Sachen in den Kofferraum und dann spring ein!“
 

Es war ein schlechter Witz! Ein Urlaub und ihre Agentur sparte selbst am Reisebus? Da wollte er die Bruchbude von Hotel, welches sie wohl beziehen mussten, gar nicht erst sehen! Geschweige denn das Essen dort probieren. Es konnte ja nur eine Katastrophe werden!

Ohne dich

„Otoyan~ Syo-chan~!“
 

Kaum hatte Reiji den Wagen abgestellt, war er aus der Fahrerkabine gesprungen und hatte damit angefangen wie wild, zwei Gestalten am Strand zu zuwinken.
 

Ernüchtert musste Ranmaru feststellen, dass sie Starish weder entkommen waren, noch ihnen gegenüber irgendwelche Vorteile besaßen, denn diese verwöhnten Typen waren offensichtlich mit einem Reisebus gefahren. Zähneknirschend stieg er von der Rücksitzbank und packte sich an den Rücken. Er hatte Schmerzen. Zudem war sein Shirt verschwitzt, weil ihre Dreckskarre keine Klimaanlage besaß und niemand war hier, der ihm die schlechte Laune wieder austreiben konnte und während Reiji blöd lachend über die Promenade in Richtung Strand rannte, öffnete Ranmaru den Kofferraum und griff nach seinen Sachen.
 

Ihre Unterbringung lag direkt an der Strandpromenade. Es waren kleine Bungalows und eigentlich war es wirklich idyllisch. Eigentlich…
 

Nachdem der Große auch noch die Koffer der anderen beiden zu ihren Betten geschleppt hatte, ließ er sich auf sein Bett fallen. Reiji tobte wohl schon am Strand und Camus zog sich derweil sein Strandoutfit an. Die anderen hatten ihren Spaß, während er der einzige Idiot war, der sich hier langweilte. Grummelnd blickte Ranmaru auf sein Handy. Er hatte bisher noch keine Nachricht von Ai erhalten.
 

Als er schließlich wieder aufschaute, tauchte Reijis Gesicht direkt vor seinem auf.
 

„Ran-Ran~ Soll ich dir beim Umziehen helfen? Lass uns etwas Spaß haben!“
 

Genervt seufzend schmiss Ranmaru sein Handy aufs Bett. Hatte er eine andere Chance?
 

„Ach, verpiss dich! …das schaff ich schon noch alleine!“
 

Kurze Zeit später saß er mit Badeshorts bekleidet auf einer Strandliege und hatte sich ein Buch von Camus über sein Gesicht gelegt, um der störenden Sonne zu entgehen. Mit dem Meeresrauschen im Ohr und dem Gelache von Reiji und Otoya, die sich wie kleine Kinder mit einem Volleyball vergnügten, nickte er schließlich ein und schlief solange durch bis sich ein leeres Gefühl in seinem Magen meldete.
 

Gähnend schob der Grauhaarige das Buch beiseite und blinzelte verschlafen um sich. Die anderen tobten immer noch wie die Idioten im Wasser, während Camus links neben ihm saß und an einem Cocktail nippte und auf der anderen Seite… Überrascht starrte Ranmaru zu Ai, der sich abwesend mit seinem Laptop beschäftigte.
 

„Ai? Du bist hier?“ Langsam richtete er sich auf, konnte dabei aber schon diesen stechenden Blick von Camus im Nacken spüren. Wusste der Idiot etwa auch Bescheid?
 

„Scheint so.“
 

Ais Antwort klang nicht nur kurz und monoton, er schaute ihn noch nicht einmal an, sondern spielte einfach weiter mit dem Laptop.
 

„…alles okay?“, bohrte Ranmaru daher ein bisschen irritiert nach. So wie er den Kleinen in den vergangenen Tagen erlebt hatte, war sein Verhalten, was er nun an den Tag legte, äußerst seltsam.
 

„Alles okay.“, bekam er seine Bestätigung, aber das änderte nichts an dieser bösen Befürchtung.
 

„…kann ich einmal kurz mit dir reden?“
 

„Wozu?“
 

Die Situation schmeckte ihm natürlich ganz und gar nicht. Die Art, wie er von dem anderen abgespeist wurde, nervte, zumal er sich nicht daran erinnern konnte, in der Vergangenheit jemals so behandelt worden zu sein, weshalb das Ganze ihn unnatürlich stark reizte. Zumindest solange bis ihm ein Gedanke kam…
 

„Konnte der Professor den Fehler beheben?“, fragte Ranmaru ganz langsam nach, woraufhin er aber immer noch keine aufschlussreiche Reaktion erhielt. Er sah lediglich, wie Ai sein Laptop mit einer angespannten Bewegung schloss, bevor er schließlich aufstand.
 

„Es ist alles in Ordnung.“, wiederholte sich der Android nun bereits zum zweiten Mal und war dabei sich von den Strandliegen zu entfernen, aber der Größere war schnell genug, um ihn noch beim Handgelenk zu erwischen.
 

„…wer bin ich?“
 

Vermutlich hätte er sich vor einiger Zeit nie erträumen lassen, jemals so einen Scheiß von sich zu geben, bloß beschlich ihn soeben ein äußerst ungutes Gefühl.

Dazu kam außerdem, dass es für ihn bisher immer undenkbar gewesen war, sich jemals um jemand anderen, außer sich selbst, zu sorgen. Doch Ai hatte ihn ohne großes Zutun tatsächlich zu so etwas getrieben und prompt erhielt er die Quittung für seinen Fehler.
 

„Kurosaki Ranmaru. Größe 1,82 m, Gewicht 67 kg, Blutgruppe A…“
 

Ai ratterte seine Daten herunter, als war er nichts anderes als irgendein Computerprogramm. Er beantwortete seine Frage damit haargenau, ging aber nicht auf das ein, was sich Ranmaru eigentlich erhofft hatte. Es ging vielmehr darum, was er für den anderen war.
 

Konnte es möglich sein, dass der Professor etwas mit Ai gemacht hatte, was nun alles zerstörte? Etwas wie eine Formatierung? War er auf Werkseinstellungen zurückgesetzt worden, wodurch sämtliche Dateien gelöscht wurden? Erinnerte er sich deshalb nicht?
 

„…erinnerst du di-„
 

„Doch. Ich erinnere mich.“
 

Noch bevor er die nächste Frage hatte aussprechen können, bekam er bereits die Antwort, sodass seine Theorie hinfällig wurde. Trotzdem verstand er es nicht.
 

„Wenn du dich erinnerst, warum… hast du mir nicht direkt Bescheid gegeben? Ich hab mir Sorgen gemacht, weißt du?“, zwängte es sich Ranmaru mühsam hervor, wobei er darauf achtete leise genug zu sprechen, damit Camus nicht jedes Wort mithören konnte.
 

Dann griff Ai endlich nach seiner Hand. Er befreite sich von ihr mit einem resignierenden Seufzen und schüttelte nur unverständnisvoll seinen Kopf.
 

„Das ergibt für mich keinen Sinn. Um mich braucht man sich keine Sorgen machen. Außerdem… warum sollte gerade jemand wie DU dich um jemanden sorgen?“, bekam er zu hören, woraufhin sich ein gut bekanntes Gefühl in seiner Brust ausbreitete.
 

„Weil das zwischen uns mehr als Freundschaft ist?“, versuchte sich der Große zu erklären, aber selbst damit kam er nicht weiter. Ais Gesichtsausdruck blieb so regungslos wie vorher auch.
 

„Freundschaft? Mehr als Freundschaft? Ich weiß nicht was du meinst. Die letzten Tage waren bedeutungslos. Wenn du schon auf einmal so viel Engagement zeigen möchtest, dann tu das doch bitte in einer Form, die unserer Band auch zu Gute kommt! Und rede nicht von Dingen, die vollkommen unnötig sind.“
 

Da war es mal wieder. Diese Enttäuschung, die Ranmaru so sehr hasste, bloß diesmal hatte er sich selber in die Misere geleitet. Vermutlich hatte er dem Android einfach zu viel zugetraut und er selber war durch blindes Interesse zu schnell aufgetaut.
 

„Tze~ …solang sich hier einige, wie die letzten Idioten aufführen? Kein Bock…“
 

Jetzt war er derjenige, der sich umdrehte und davon ging.

Zähneknirschend und über seine eigene Blödheit verärgert stapfte er an Camus vorbei in Richtung der Unterkunft. Er selber war hier wirklich der allerletzte Idiot...
 

„Ran-Ran~ Komm lass uns ins Wasser!“, hörte er noch wie Reiji hinter ihm herbrüllte, aber darauf zeigte er bereits keine Reaktion mehr. Seine schlechte Laune hatte ihren Tiefpunkt erreicht.

Ein anderer Ai

Am nächsten Tag wiederholte sich das Trauerspiel, obwohl Ai noch nicht einmal sonderlich auswich. Der Android schien plötzlich einfach kein Interesse mehr am ‚Mensch sein’ zu haben und sein Fokus war auf die Musik zurückgerückt.
 

Ranmaru war der Einzige, der von dieser Veränderung wusste, weil er die andere Seite des Kleinen kennengelernt hatte und auch wenn er den Sinneswandel seines Freundes nicht verstehen konnte, tat er nichts dagegen. Sein Stolz war zu groß, als dass er dem anderen nachweinte, weshalb er nur das tat, was er bisher immer getan hatte. Er ging sämtlichen Idioten so gut es ging aus dem Weg und bis auf einem Versuch, bei dem er Ai körperlich näher gekommen war, wollte er den Android jetzt auch meiden.
 

Mit einem genervten Brummen rieb sich der Große über die immer noch schmerzende Wange, während er auf dem Weg zu seinem Bungalow war.
 

Ai hatte ihm ohne mit der Wimper zu zucken eine mitgegeben, als er sich an ihn herangemacht hatte. Es war ein Fehler gewesen und spätestens jetzt wusste er, wie ernst die Worte vom Vortag gewesen waren.

Die gemeinsame Zeit war also bedeutungslos und unnötig gewesen?

Es blieb Ranmaru nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren, denn es war unklar, was der Professor mit Ais System gemacht hatte. Somit sollte er ihre Beziehung wieder zu einem aneinander Vorbeileben werden, auch wenn er sich darüber ärgerte, dass er von einem gefühlslosen Objekt verletzt wurde. Es war eigentlich noch schlimmer als damals mit seiner Rockband.
 

Während die anderen nach dem Frühstück zum Strand aufbrachen, wollte sich Ranmaru in aller Ruhe eine Zigarette rauchen, um danach weiterzuschauen. Er hatte keine Lust auf Strand, Sonne und Meer, aber noch ehe er sich auch nur einen Gedanken hatte machen können, blieb er verwundert stehen, denn vor der Tür des Bungalows saß Ai und schaute ihn mit einem schuldbewussten Gesichtsausdruck an.
 

Einen Moment lang irritierte ihn dieser Blick, doch dann setzte der Große seinen Weg weiter fort und öffnete die Tür seiner Unterkunft, ohne den anderen noch weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Es war immerhin schon alles gesagt worden…
 

„Ranmaru?“
 

Hörte er dabei die vorsichtige Stimme des Androids hinter sich, was ihn noch einmal verwunderte. Gab es einen Grund, wieso der Kurze auf einmal hier war und scheinbar doch reden wollte? War doch noch nicht alles gesagt worden?
 

„…willst du mir eine Belehrung darüber halten, weil ich keinen Bock auf die anderen habe?“, fragte er schließlich das Näherliegende. Immerhin war das der einzige halbwegs sinnvolle Grund, warum Ai plötzlich doch mit ihm sprach.
 

„Uhm, nein.“, erhielt er als Antwort, betrat daraufhin aber trotzdem den Bungalow und ließ den Kleinen damit einfach links liegen.

Die Ohrfeige von Zuvor hatte gesessen, weshalb er zu trotzig war, um sich noch weiter mit dem anderen zu beschäftigen. Bloß Ai ließ nicht locker und folgte ihm.
 

„Ranmaru, hör mal… Es tut mir Leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe. Ich…“

Ironischerweise klang der Android in diesem Augenblick ganz anders.
 

„Was? Auf einmal tut es dir Leid? Gestern hast du noch ganz andere Dinge gesagt!“
 

Brummend drehte sich der Große doch noch zu seinem Freund herum und musterte ihn angespannt. Was sollte dieses kleine Spielchen? War bei Ai vielleicht doch das ein oder andere Kabel durchgebrannt? Immerhin blickten ihn die zwei cyanblauen Augen vollkommen verwirrt an. Dann änderte sich der Blick des Kleinen und er wirkte etwas beunruhigt.

Es war das komplette Gegenteil zu vorher.
 

„Ich verstehe.“ Ais Stimme war noch leiser geworden, aber so langsam reichte es dem Großen.
 

„Was soll dieser Scheiß? Ist das wieder dein schräger Humor?“, begann Ranmaru zu knurren, woraufhin sein Gegenüber langsam den Kopf schüttelte.

Irgendwie schien der Android nach Worten zu suchen, nur ihm wurde die ganze Sache einfach zu bunt, weshalb er sich umdrehte, um kommentarlos zu seiner Reisetasche zu gehen.
 

Genervt zog er eine neue Zigarettenpackung hervor. Jetzt würde er erst einmal mehrere Zigaretten brauchen, damit er sich nicht noch weiter aufregte.
 

Gerade als sich Ranmaru wieder aufrichten wollte, spürte er allerdings zwei Arme, die sich von hinten um seine Schultern schlangen. Dazu merkte er noch, wie Ai sein Gesicht in seinem Haar vergrub.
 

„Es tut mir wirklich Leid. Ich habe mich so beeilt aus dem Labor wegzukommen. Ich habe gehofft, ich könnte mit dir reden, bevor du ihn triffst.“
 

„…was meinst du damit?“
 

Der Große atmete tief durch und zwang sich dabei ruhig zu bleiben. Vorerst drückte er Ai deshalb auch nicht von sich weg, dafür war er nun schon zu hellhörig geworden.
 

„Der Professor hat den anderen Android hierhin geschickt.“
 

„Wovon redest du? Hast du nicht gesagt es gibt keine anderen wie dich?“, kam es sofort von Ranmaru, der jetzt einen Blick nach hinten warf, bevor er sich aufrichtete. Die Hausordnung missachten steckte er sich eine Zigarette an.
 

Er war ja wirklich gespannt auf die Antwort des Kleinen…
 

„Ich wusste davon auch nichts. Ich bin gestern Morgen zum Professor gefahren. Wegen seinem Tablet-PC und meiner Fehlermeldung. Er hat es sich angeschaut und festgestellt, dass er es nicht reparieren kann. Er hatte noch einen Android, für den Fall, dass mir etwas passiert. Er hat ihn mit den wichtigsten Daten ausgestattet und hierhin geschickt. Und… so wie es sich anhört, hast du schon mit ihm geredet. Du hast ihn mit mir verwechselt?“
 

Mit so einer Erklärung hatte Ranmaru nicht gerechnet. Er war schon kurz davor leise aufzulachen, aber irgendwie konnte er nicht. Seufzend setzte er sich auf die Bettkante seines Bettes und fuhr sich durchs Haar. Die Zigarette, die er soeben angesteckt hatte, ließ er dabei zu Boden fallen und griff sich stattdessen Ai, damit er ihn sich auf den Schoß ziehen konnte.
 

Der Kurze gab immer noch diese summenden Geräusche von sich, doch anstatt sich daran zu stören, zwang er dem anderen lieber seine Lippen auf und küsste ihn gierig. Er war erleichtert. Er war wirklich erleichtert, denn eigentlich hatte er sich schon mit dem Gedanken abgefunden, seine Zeit nicht mehr so wie in den letzten Tagen verbringen zu können.

Deshalb freute er sich auch, dass er wieder mit Ai zusammen sein konnte und ging gleich weiter, indem er seine Hände unter dem T-Shirt des Androids verschwunden ließ.
 

„Mmh… Ranmaru!“
 

Noch bevor er etwas anderes machen konnte, hatte sich sein Freund losgezappelt und schaute ihn etwas schmerzvoll an.
 

„Meine Geschichte war eigentlich noch nicht zu Ende!“, entkam es Ai leicht verzweifelt, wobei er ihn weiterhin auf Abstand hielt.
 

„Ist mir egal, ich hab genug gehört!“ Ranmaru versuchte ihn noch einmal näher an sich zu ziehen, aber es war unmöglich.
 

Ais Summen wurde lauter.
 

„Ranmaru… der Professor hat den anderen Android hergeschickt, um mich zu ersetzen. Er kann den Fehler nicht beheben, weshalb er mich direkt austauscht. Ich bin hergekommen, um dich noch ein letztes Mal zu sehen. Ich wollte es dir unbedingt sagen, damit du nicht sauer wirst. Ich soll lahmgelegt und entsorgt werden.“
 

Der Kurze sprach so schnell, dass Ranmaru kaum folgen konnte und kaum hörte er heraus, dass sein Freund scheinbar von ihm getrennt werden sollte, fuhr er den anderen genauso hektisch an.
 

„…du sollst verschrottet werden? Was zum…? Das kann der Typ doch nicht…“
 

„Doch kann er.“, wurde er unterbrochen, wobei sich Ai haltsuchend an ihn festklammerte, „Ich bin schließlich nur… ein etwas anderes Computersystem, was von einem Virus befallen ist. Ich bin potentiell gefährlich.“

Der Grund, warum ich bei dir bin

Eingeschüchtert und verunsichert hielt sich Ai an Ranmarus Schultern fest.
 

Er hatte alles falsch gemacht, was er nur hätte falsch machen können. Wenn er den Virus nur eher bemerkt hätte, dann hätte er schon vorher etwas unternehmen können, aber so wie sich der Professor angehört hatte, bestand nun keine Chance mehr auch nur irgendetwas an seinem System zu retten. Und rein objektiv betrachtet war der Schluss, der nun für ihn bevorstand, nur logisch.
 

„…was hab ich auch für einen Sinn, wenn ich nicht richtig funktioniere?“
 

Ais Gedanke entkam noch bevor er länger darüber nachdenken konnte und sein Gegenüber starrte ihn dafür mit einer Mischung aus Verwunderung und Überraschung an.
 

„Ai, wolltest du nicht ein Mensch sein?“
 

Das war eine berechtigte Frage. Der Android begann sie zu analysieren und lehnte sich dabei wieder nach vorne, um seinen Kopf gegen Ranmarus Brust zu schmiegen. Der Herzschlag war schneller, als er ihn in Erinnerung hatte. Bedeutete es, er hatte den anderen mit seinen Fehler so sehr verärgert?
 

„Nein. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt ein Mensch zu sein. Dabei bin ich nur ein Computer, der wie ein Mensch aussieht und eigentlich hast du damals Recht gehabt. Ich besteh nur aus Kabeln und Metall. Ich werde niemals ein Mensch sein können.“, gab er schließlich ganz ruhig zu.
 

Es war die Antwort, die er eigentlich von Anfang an hätte wissen müssen.
 

Seine Bestimmung war es eine technische Unterstützung zu sein und nicht mehr. Trotzdem hatte er sich eigenmächtig darüber hinweggesetzt, weil er bemerkt hatte, wie er einige Dinge nicht verstand. Einem Computer sollte es nicht zustehen, sowas tun zu können. Er hatte es versucht und jetzt verstand er sich selber auch nicht mehr.
 

„Warum bin ich hier?“, wollte er noch leise wissen, nur Ranmaru schien seine Frage nicht zu verstehen.
 

Die Hände des Großen ruhten ganz sanft an seiner Hüfte und hielten ihn somit fest, damit er nicht von dessen Schoß herunterrutschen konnte. Es war ungewohnt. Sonst hatte er sie nie still halten können.
 

„…erst dachte ich aber du wärst ein Mensch.“
 

„Hm?“, irritiert hob Ai seinen Kopf.
 

„Nachdem ich dich das erste Mal angefasst habe, dachte ich erst du wärst ein Mensch und dieses Zeug, von wegen künstliche Intelligenz, wäre nur PR. Deshalb bin ich in deinem Zimmer gewesen. Alles an deinem Körper ist verdammt menschlich. Außerdem denke ich mittlerweile, dass du sehr wohl etwas fühlen kannst, oder?“
 

Mit großen Augen beobachtete der Kleine, wie sich Ranmaru zu erklären versuchte. Immerhin brauchte es ihm ein dünnes Lächeln auf die Lippen, woraufhin er beschloss etwas zutun, was er bisher noch nicht getan hatte. Vorsichtig hauchte er seinem Bandkollegen einen Kuss auf den Mundwinkel. Bisher war es immer der andere gewesen, der IHN geküsst hatte und er merkte auch schon, wie sich der Körper unter ihm anspannte. Ranmaru hielt sich zurück, obwohl sie auf einem Bett saßen?
 

„…außer Quartet Night und meinen Kōhais weiß es aber niemand. Ich war nie etwas, das Aufsehen erregen sollte…“, korrigierte er ihn zögernd, „Warum bin ich also wirklich hier?“
 

Auch beim zweiten Mal bekam er keine Antwort auf seine Frage. Stattdessen drückte ihn Ranmaru herum, sodass er unter ihm lag.
 

„Na, damit du bei mir sein kannst!“, bekam er seine Situation selbstsicher erklärt, aber das war nicht zufriedenstellend.
 

Konnte der andere ihn wirklich als einen Mensch sehen? Ausgerechnet Ranmaru, der sich von anderen Menschen am liebsten immer ferngehalten hatte?
 

„…und ich werde nicht zulassen, dass dieser Professor sonst was mit dir anstellt!“
 

„Du weißt, dass du dagegen nichts unternehmen kannst!? Ich bin bereits ersetzt worden, niemand außer dir wird es vielleicht bemerken. Was willst du dagegen also unternehmen? Außerdem weißt du nicht, was mit mir passiert, wenn ich in meinem jetzigen Zustand weiter in Betrieb bleibe. Ich will nicht, dass dir am Ende etwas zustößt, weil …“
 

Ai führte seinen Satz nicht zu Ende. Einmal weil er es nicht konnte, da sich der Grauhaarige zu ihm beugte, womit er seine Lippen zum Schweigen brachte und auch weil er sich an eine schreckliche Filmszenen erinnerte.
 

Wie lächerlich, dass er ausgerechnet jetzt an sowas dachte. Viel lieber wollte er es genießen sich von dem Größeren küssen zu lassen, aber er hatte Angst, weil es das letzte Mal sein sollte.
 

Eine Woche später saß Ranmaru mit einem Notenblatt am Fenster seines Zimmers. Seine Kōhais hatten Termine und er war mal wieder alleine, sodass er seine freie Zeit für neue Lieder nutzte. Doch kaum hatte er seine Bassgitarre zur Seite gestellt, wurde die Zimmertür aufgerissen.
 

„Ran-Ran~“
 

Der Grauhaarige wollte nicht auf die kindische Begrüßung eingehen, sondern starrte weiterhin konzentriert auf das halbbeschrieben Blatt Papier.
 

„Ran~, du schreibst ja schon wieder <3“
 

Reiji schien sich von seiner kalten Art nicht beirren zu lassen und ließ sich neben ihm auf dem Sofa nieder, um seine frisch geschriebenen Lieder zu inspizieren. Ein Zettel nach dem anderen wurde vom Couchpolster geschnappt und überflogen.
 

„Du bist in letzter Zeit so kreativ! Das ist großartig!“, entkam es seinem Kollegen voller Euphorie, womit er allerdings einen ganz wunden Punkt traf.
 

„…willste mich verarschen?“, bluffte er Reiji an und begann sogleich mit seinen Zähnen zu knirschen. Was sollte an seinen Liedern schon toll sein? Er kapierte es nicht. Sie waren langweilig und für ihre Arbeit total ungeeignet. Das wusste nicht nur er.
 

Mit einem kühlen Blick beobachtete er seinen Sitznachbarn und bemerkte, wie dessen freudiges Gesicht ins Wanken geraten war. Ein unsicherer, fast schon schmerzvoller Ausdruck lag in Reijis sonst so fröhlichem Gesicht. Reiji wusste genauso gut, dass jegliches Lied, was er in den vergangenen Tagen geschrieben hatte, absoluter Mist war.
 

„Ran…“, begann der andere sichtlich nach Worten suchend, „…hör mal…“
 

„…kein Bock.“
 

„A-aber Ran! Bitte, es ist wichtig!“
 

Normalerweise konnte der Brünette nichts anderes als Quengeln, wenn er unbedingt etwas wollte, bloß diesmal wirkte es irgendwie anders, sodass Ranmaru irritiert die Stirn runzelte. Hatte er etwas verpasst? War der andere etwa auch gegen irgendwas ausgetauscht worden?
 

„Was?“, brummte er daher und verschränkte seine Arme beabsichtigt abwehrend vor der Brust.
 

„Ich wollte mit dir über Ai reden.“
 

Direkt nachdem Reiji es ausgesprochen hatte, hielt Ranmaru die Luft an, während sich seine Abwehrhaltung noch verstärkte. Der Große stand ganz kurz davor den ungewollten Besucher aus seinem Zimmer zu schmeißen.
 

„…was ist mit ihm?“, fragte er allerdings langsam.
 

„Ich wollte dir ein Geheimnis erzählen! Und ich wollte dir endlich sagen, warum ich euch damals wirklich hinterhergeschlichen bin.“
 

Das, was ihm sein Gegenüber da anbot, war in Ordnung. Trotzdem wusste er nicht, warum Reiji ausgerechnet jetzt reden wollte, wo doch bereits alles beendet war. Nach und nach lockerte sich die angespannte Haltung des Grauhaarigen.
 

„Also?“
 

„Erstmal… ich weiß, wie du dich fühlen musst. Vermutlich erinnerst du dich nicht, aber ich hatte auf der Akademie einen Freund. Aine. Es ist meine Schuld, dass ich ihn verloren habe. Er wäre fast gestorben, wobei… eigentlich ist er tot. Er liegt im Koma. Sein Onkel, der ihn über alles liebt, hat aber etwas gemacht, womit sich sein Wunsch zu singen doch noch erfüllen konnte. Er hat Ai nach seinem Vorbild gebaut. Es war ein Geheimnis. Selbst Ai wusste es nicht. Trotzdem war er nicht wie Aine. Er war kein Mensch, aber weil wir ihn wie einen behandelt haben, hat sich dieser Virus ausgebreitet. Ran, es tut mir schrecklich Leid! Ich habe damit angefangen! Ich wollte es ihm erklären! Ich wollte es stoppen. Ich wollte zu Aines Onkel gehen, aber als ich gesehen habe, was er auch mit dir gemacht hat, da… konnte ich es nicht!“

Wie versteinert saß Ranmaru auf dem Sofa, während er wie abwesend Reijis Worten folgte. Sein Herz hatte sich krampfartig zusammengezogen. Er wollte es ungern zugeben, aber es tat wirklich weh, was der andere soeben erzählte. Langsam hob er eine Hand und berührte mit seinen Fingern eine Schläfe. Irgendwie hatte er Kopfschmerzen bekommen.
 

„Reiji…“, begann er etwas heiser, wurde aber sofort unterbrochen.
 

„Warte!“
 

Mit einer überraschenden Intensität sprang Reiji auf, hielt letztlich aber trotzdem den Kopf gesenkt und wich dem Blick des Größeren somit aus.
 

„Egal was ich versucht habe. Du warst immer so kalt und abweisend zu mir.“, führte der Brünette schließlich fort, „Es ist okay. Ich verstehe, dass du mich nicht magst, egal wie sehr ich mich anstrenge und besonders jetzt musst du mich hassen. Nur… bitte denk‘ darüber nach, wie viele du mit deinem Verhalten auch enttäuschen könntest, wenn du wieder wie der alte Ran wirst! Bitte hör auf irgendwelche Lieder zu schreiben, nur weil du denkst, dass du es musst. Bitte mach wieder gerne mit Quartet Night zusammen Musik! …und zwar nicht nur wegen mir! Sondern auch wegen Ai und Aine!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
1) Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauen

Ist vielleicht keine 100%ig tolle Quelle, aber es hörte sich irgendwie gut an... ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich schäme mich für dieses Kapitel... und trotzdem ist mir nichts besseres eingefallen... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
2) Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Romantik Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war es dann wohl~
Vielen Dank an alle, die meine kleine FF gelesen haben *~* Komplett anzeigen

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Von:  xUnderTaker
2014-03-19T18:47:37+00:00 19.03.2014 19:47
Du hast es geschafft ... ich habe geheult! >.<
der arme Ranmaru.. und Reiji erst *snief*

trotzdem ein echt tolles Ende^^
schade dass die Story schon zu ende ist-.-
ich freue mich schon auf deine nächsten Werke ^^

Lg: xUT (:

Von:  xUnderTaker
2014-03-16T10:26:45+00:00 16.03.2014 11:26
So traurig ich heule gleich :(
Das kann der Professor doch nicht machen >:(

Der arme Ai...
Ihn einfach so zu ersetzen... Das geht doch nicht!!!

Ich will nicht wissen was Ranmaru mit dem Professor vor hat >:) ...

Mach weiter so
Lg: dein treuer Fan,xUT

Von:  xUnderTaker
2014-03-12T13:57:32+00:00 12.03.2014 14:57
Süß~
will mehr *.*
schreibe schnell weiter ^^

Lg: xUT (:
Von:  xUnderTaker
2014-03-03T15:02:34+00:00 03.03.2014 16:02
mal wieder ein tolles Kapitel^^
und es war auch nicht trocken, wie du es befürchtet hast
ich fand es rech interessant
Ai ist der Protagonist also ist es gut wenn man so etwas von ihm weis
Von:  xUnderTaker
2014-02-27T13:20:44+00:00 27.02.2014 14:20
Hey~
Ich liebe deine Story :D
Die Idee ist meiner Meinung nach echt gut
Interessant und irgendwie auch witzig
zudem schreibst du auch toll ^^
ich freu mich auf das nächst Kapitel
Lg: xUT (:


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