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Colour My World

- use every word you´ve ever heard - [3. Kapitel online.]
von

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O N E


 

COLOUR MY WORLD

- use every word you´ve ever heard -

O N E

Wenn du nichts mit dir anzufangen weißt, warum versuchst du nicht einfach, die Welt, trotz allem, ein bisschen bunter zu machen?“

Ein seltsamer und, wie ich fand, unpassender Vorschlag, den mir meine Mutter einst gegeben hatte.

Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, als wir am Frühstückstisch saßen, und über meine Zukunft diskutierten.

Dad war schon längst zur Arbeit aufgebrochen und Hugo in seinem letzten Jahr auf Hogwarts. Mom hatte sich Urlaub genommen, von dem ganzen Bürokram, und erlag nun beinahe täglich dem Versuch, mich in Richtungen zu drängen, die meinen weiteren Lebensweg betrafen.

Da ich es leid war, mir ihr Genörgel über die Vorschriften und Verstöße anzuhören, die mit ihrer Arbeit einher gingen, fasste ich für mich den Entschluss, dass eine Ausbildung im Ministerium für Zauberei das Letzte war, das sich für mich als Tätigkeit eignete.

„Rosie“, holte sie mich abrupt aus meinen Gedanken zurück an den Tisch, „willst du es nicht lieber erst einmal mit einem Praktikum versuchen?“

So lieb und teuer mir ihre Worte auch waren, sie wären vergebens, und das musste selbst Hermione Jean Weasley einsehen. Mir lag nichts daran, Akten zu sortieren, Eulen hin und her zu scheuchen oder mich mit dem Minister anzulegen, wenn wieder einmal ein Gesetz in Kraft gesetzt wurde, das die Rechte der magischen Wesen verletzte.

Ich liebte meine Mutter für ihren Eifer und ihren Ehrgeiz, doch mir hatte sie nicht sehr viel davon abgegeben. Da hielt ich mich schon eher an meinen Vater. Dad war zwar oft etwas neben der Spur, aber er drängte mich nicht oder versuchte mir den Job eines Auroren schmackhaft zu machen. Dafür war ich viel zu sehr „sein kleines Mädchen“ und nie würde es Ronald Weasley erlauben, dass seinem Kleinod, wie er mich manchmal nannte, Schaden widerfuhr.

Dass er deshalb des öfteren mit Mom stritt und Hugo und ich dessen Zeuge wurden, ignorierten beide gekonnt. Im Gegensatz zu mir wusste mein kleiner Bruder bereits, wie sein Lebensweg aussehen sollte.

Hugo Conrad Weasley würde, wie mein Dad, die Ausbildung zum Auror absolvieren und zusammen mit ihm, Onkel Harry, meinem Cousin James und dessen Bruder Albus, für Ordnung in Zauberwelt sorgen. Er hatte schon immer einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und war auch deshalb in seinem fünften Jahr auf Hogwarts zum Vertrauensschüler ernannt worden.

Man mag es kaum glauben, doch als Tochter von Ron und Hermione Weasley, war ich nicht diejenige, die zur Vertrauensschülerin erwählt oder gar im letzten Jahr in das Amt der Schulsprecherin erhoben wurde. Ihre Enttäuschungen haben beide bis heute gekonnt verbergen können, auch wenn ich manchmal annahm, es in Moms Gesicht zu lesen.

Nun, ich möchte nicht behaupten, dass ich ein Ass in der Schule war. Ich war und bin nicht dumm, denn meine Noten sprachen für sich. Ich bin zwar bei weitem nicht mit solch einer Intelligenz wie meine Mutter gesegnet, doch so „miserabel“ wie mein Vater war ich auch nicht. Ich lag im guten, bis sehr guten Mittelfeld. Dad zeigte dafür Verständnis, immerhin war ich, ebenso wie er damals, Teil der Quidditch-Mannschaft Gryffindors. Zwar war ich weder Sucherin, noch Hüterin, doch als Jägerin zollte man mir nicht nur auf dem Feld genügend Respekt.

Meine Aufenthalte auf der Krankenstation ließen sich, trotz des brutalen Sports, mühelos an einer Hand abzählen. Meistens waren es nur minimale Schäden, wie etwa ein geprelltes Handgelenk oder Hämatome an den Oberschenkeln. Ein einziges Mal jedoch, war ich für fünf Tage ans Bett gefesselt. Aber nicht deshalb, weil ich vom Besen gefallen, oder man mir einen Quaffel in die Magengrube gedrückt hatte. Eine ganz „normale“ Grippe hatte mich, in meinem vierten Jahr, zu Boden gerissen. Mich ausgeknocked. Doch seit dem war ich nie wieder krank.
 

Ich hatte Spaß mit meinen Freunden, Klassenkameraden. Feierte und tanzte auf Schulbällen und illegalen Partys, die James Potter, im Geheimen, abhielt. Knutschte mit Jungs oder trank mit ihnen um die Wette. Ob ich ein „Image“ hatte und pflegte? Ich weiß es nicht. Denn ich war weder eine Sportskanone, noch eine Dramaqueen. Ich versuchte unscheinbar durch die Jahre zu kommen. Unsichtbar ging, in meiner Position, auf gar keinen Fall. Denn in meiner Sippe gab es genügend Sprösslinge, die mir nicht erlaubten, ungesehen meinen Abschluss zu machen. Natürlich hatte ich mir, aufgrund meiner sportlichen Aktivität, dieses Detail auch sparen können. Doch die Weasleys und Potters fielen nun einmal auf und gingen nicht in der Menge unter.

James Potter, der Partykönig. Albus Potter und Fred Weasley, die Streichespieler. Victoire, meine älteste Cousine, als Schönheit bekannt. Louis Weasley und mein Bruder Hugo als Treiber der Gryffindors und Roxanne wurde, in ihrem und James letztem Jahr, zur Schulsprecherin gewählt. Doch zum Glück war ich mit meinem Versuch, mich durchzumogeln, nicht allein. Meine um ein Jahr jüngere Cousine Dominique probierte sich ebenso in den Dunstkreis der Übersehbaren zu stellen, doch auch ihr war es nicht vergönnt. Ähnlich wie ich, hatte sie sich dazu entschlossen, als Quidditch-Spielerin etwas für die Familienehre zu tun. Und es gelang ihr außerordentlich gut, denn letztendlich war sie nicht nur Jägerin, sondern brachte es sogar zur Kapitänin der Hufflepuffs.
 

Als Ausgleich zu dieser Tätigkeit hatte ich es vorgezogen, mich mit einem Block blütenweißem Papier und einer Garde Bleistiften, die mir Tante Audrey zu meinem zwölften Geburtstag schenkte, an das Ufer des Schwarzen Sees zu setzen, und zu zeichnen, was ich sah. Es war nicht viel, und in den Wintermonaten begnügte ich mich mit den künstlerischen Abbildungen an den Wänden des Schlosses. Zustimmung für meine Kunst fand ich bei meiner kleinen Cousine Lucy, die mir oft wie ein Schatten auf den Fersen war und mir Gesellschaft leistete. Sie für mein Hobby begeistern konnte ich jedoch nicht. Ihr Faible lag bei der Pflege und dem Versorgen von Tieren. Schon als kleines Mädchen hatte sich es Lucille zur Aufgabe gemacht, die Pfoten unseres altersschwachen Katers Krummbein mit Bandagen zu umwickeln und so verfuhr sie mit den Eulen, Käuzen und allem, was vier Beine oder Federn hatte. Ihre ältere Schwester Molly hatte es, in unserem letzten Jahr, ebenfalls zur Schulsprecherin gebracht. Sie und Lorcan Scamander waren nicht nur innerhalb des Amtes ein Paar. Beide bewohnten bereits eine kleine Wohnung in Edinburgh und während er täglich ins Ministerium apparierte, nahm sie ihr Medizinstudium sehr ernst. Ich freute mich für sie und innerhalb der Familie munkelte man bereits, dass eine Hochzeit der beiden nicht auszuschließen sei.
 

„Und wenn du einfach professionelle Quidditch-Spielerin wirst, so wie Tante Ginny?“, hatte mich Lucy gefragt, als sie mir wieder einmal über die Schulter blickte, während ich, mit genügend Abstand, versuchte, die Maserung des Holzes der peitschenden Weide zu skizzieren.

„Nein, eher nicht“, merkte ich an und fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen, so, wie ich es immer tat, wenn ich mich zu sehr konzentrierte. „Da bin ich dann doch nicht talentiert genug.“

Nun, das war die Wahrheit. Ich besaß weder die Schlagkraft Roxannes, die ihren Traum bei den Manchester Magpies voller Inbrunst lebte und liebte, noch die Wendigkeit, die es benötigte. Zwar hatte auch ich den einen oder anderen Punkt für die Löwen eingefahren, doch die Euphorie für dieses Spiel war, kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag, abrupt gewichen. Ich war zwar noch immer begeisterte Anhängerin dieses Sports, doch ernsthaft über eine Karriere nachzudenken, kam für mich nicht infrage.

„Wie wäre es dann mit Kommentatorin, Stadionsprecherin, Korrespondentin?“, ich warf meiner Cousine einen schiefen Blick zu und hielt mit den Bewegungen, den Bleistift über das Papier zu streifen, inne. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, sodass sich Lucy, ein wenig erschrocken dreinblickend, von mir abwandte.

„Tut mir leid“, gab sie kleinlaut zu und zog eine Schnute.

„Ach Lucy“, begann ich, legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie zu mir heran, „kümmere du dich um deine Tiere und magischen Geschöpfe und ich werde auch irgendwann etwas finden, das mich vielleicht nicht glücklich, aber zufrieden macht.“

Damit beließ ich es dabei und zu meiner, und Lucys Erleichterung, sprach sie nie wieder davon.
 

Ich war nicht untätig. Und unfähig auch nicht, schließlich hatte ich seit acht Monaten einen Aushilfsjob in einem kleinen Café vorzuweisen. Ich verdiente zwar nicht viel, doch hatte ich meiner Mutter versprochen, mir während dieser Zeit über einige Dinge klar zu werden und spülte auch noch ein wenig Geld in die Haushaltskasse. Ein weiterer Punkt auf Moms Zukunftsliste:

1. Such dir eine/n Job/Ausbildung

2. Verdiene Geld

3. wenn du dir keine eigene Wohnung leisten kannst, dann steuer etwas zur Miete/Haushaltskasse bei (wir wohnen in einem bereits abbezahlten Haus, doch wenn man hier schon lebte, dann hatte man sich wenigstens anderweitig zu beteiligen!)
 

Da ich alle Punkte dieser Liste, wenn auch spärlich, abdeckte, hatte Mom eigentlich keinen Grund, mich zu überreden, im Ministerium vorstellig zu werden. Und doch tat sie es täglich.

„Wenn nicht das Ministerium, dann doch wenigstens ein Studium“, beharrte sie und ließ den Staublappen über die Anrichte im Wohnzimmer huschen, während der Klopfer im Garten die Brücken und Teppiche vom Schmutz befreite.

„Willst du ewig kellnern? Ich meine es doch nur gut, Rose!“, sagte sie mit Nachdruck und ich kam nicht umhin, die Augen zu verdrehen, eine Aktion, die sie mir seit der Kindheit versucht hatte zu verbieten und auszutreiben. „Verdrehst du etwa die Augen?“

Sie war wütend, verzweifelt und von Entspannung im Urlaub war nun längst keine Rede mehr.

„Dein Vater und ich meinen es doch nur gut!“, da war sie wieder, die „Dad“- „und wir meinen es doch nur gut“-Karte.

Meine Mutter war klug, unbestritten, und sie wusste genau, welche Worte sie benutzen musste, um mich mit einem schlechten Gewissen zu quälen. Ich liebte meine Eltern, doch mit der Zeit verlangte auch ich, trotz allem, mehr und mehr nach Eigenständigkeit. Ich musste Geld verdienen, um auszuziehen. Musste ausziehen, um meine Ruhe zu haben. Musste meine Ruhe haben, um für mich zu sein.
 

Ich soll die Welt ein bisschen bunter machen?

Ich starrte an die schneeweiße Decke des kleinen Zimmers. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt und der Rest meines Körpers versank in der Matratze des Bettes. Wie lange ich schon so da lag, in meinem Schlafzimmer, vermag ich nicht zu sagen.

Doch ich hatte es geschafft. Ich war von zu Hause ausgezogen.

Während Dad versuchte, mir mein Vorhaben auszureden, stimmte Mom meiner Idee, trotz aller Gespräche, nur widerwillig zu. Meine Entscheidung kam ihr zu plötzlich, hatte sie gemeint, dennoch hatte ich darauf gepocht, mir eine kleine Wohnung zu nehmen.

Während ich am Morgen in einem Blumenladen aushalf, tat ich jenes am Nachmittag ebenso in dem kleinen Café. Mit den beiden Jobs hielt ich mich über Wasser und zu meinem Glück gaben sich die beiden Arbeitgeber damit zufrieden, dass ich zwei Anstellungen nach ging. Da es keinerlei Überschneidungen innerhalb der Zeiträume gab, sahen weder der eine, noch andere Chef etwas Negatives darin, dass ich beide Tätigkeiten ausübte.

Ich kam gut mit den Kollegen zurecht und zu meiner Überraschung arbeitete Correy McLaughlin ebenfalls als Kellner in Festanstellung bei „Cakes, Cookies and Coffee“. Correy war ein ganzes Jahr älter als ich, trotzdem waren wir einander nicht unbekannt. Und ich hatte endlich jemanden gefunden, mit dem ich mich über Magie und Quidditch austauschen konnte.

Der junge Schotte war damals Stadionsprecher gewesen und Lucys heimlicher Schwarm. Nicht ohne Grund hatte sie mir die Idee, als Sprecherin zu arbeiten, ans Herz gelegt.

„Gleich zwei Jobs?“, hakte Correy nach und eine helle Augenbraue wanderte in Richtung Stirn. Die roten Punkte auf seiner blassen Nase tanzten im Sonnenlicht des Nachmittages.

„Was soll ich denn sonst machen?“, hakte ich nach und streckte mich, wie eine Blume, den für Ende Februar bereits recht warmen Sonnentrahlen entgegen. „Ich muss schließlich meine Miete bezahlen und von etwas leben will ich auch.“

Meiner Erklärung kam er mit einem stummen Kopfnicken nach.

„Auf eine Festanstellung kann ich lange warten“, fuhr ich fort und erntete erneute, wortlose Zustimmung.

„Ja, ich hatte wohl mehr als Glück, immerhin gehört der Laden meinem Onkel“, meinte Correy und kratzte sich am Hinterkopf. Ohne die nötigen Beziehungen, dem Vitamin „B“, ging sowohl in, als auch außerhalb der magischen Welt eben nur wenig.
 

Ich war stolz auf mich. In aller Frühe stand ich auf, verließ meine kleine Zwei-Raum-Wohnung, begab mich in das Herz Londons und half meinen Kollegen dabei, die Lastwagen aus Übersee zu entleeren. Die schönsten Rosen, Lilien, Gebera in den prächtigsten Farben, kamen frisch aus den Niederlanden zu uns herüber und mussten schnellstens an Ort und Stelle sein, denn welke Sträuße verkauften sich nicht. Um die schönen Blumen zusammen zu binden, fehlte mir die Ausbildung und doch durfte ich, unter den strengen Blicken von Mrs. Shea, den einen oder anderen Strauß fertigen. Es machte mir Freude, und doch kam die Gewissheit, dass auch diese Arbeit nur ein Zeitvertreib wäre und ich das Sträußebinden nur noch so lange betrieb, bis ich einer rentableren Tätigkeit nachgehen konnte. Moira und Kelly, die beiden Floristinnen, die bereits ihre Ausbildungen beendet hatten und schon beinahe über zwanzig Jahre in diesem Geschäft arbeiteten, waren freundlich und nett und boten mir an, mit ihnen auf einen Umtrunk in den Pub zu gehen. Oft musste ich sie vertrösten, doch da die beiden Frauen um meine andere Nebentätigkeit wussten, verschmerzten sie mein Fernbleiben. Als sie mich jedoch an einem Samstag im März abermals baten, mit ihnen um die Häuser zu ziehen, sagte ich nicht nein.

Zur Freude aller hatte ich einmal nicht im Café Teller waschen müssen, sodass sich selbst Mrs. Shea bereit erklärte, uns zu begleiten.

Wohl niemand, und am wenigsten ich, hätte wohl damit gerechnet, dass es einer jener Abende sein würde, der mein Leben auf den Kopf stellte.

T W O


 

COLOUR MY WORLD

- use every word you´ve ever heard -

T W O

Allmählich vertrieb die aufgehende Sonne die tiefschwarze Nacht. Selbst die vielen Sterne wichen dem leuchtend roten Feuerball und machten dem Tageslicht Platz. Ich blieb stehen und betrachtete den herannahenden Morgen, so, wie ich es beinahe täglich tat. Ich liebe diese Stunden, in denen noch alles ruhig ist und noch nicht einmal die Vögel ihre Lieder anstimmten. Ich genoss die Stille und holte in tiefen Atemzügen Luft.

„Rose“, riss mich Kelly aus meiner allmorgendlichen, kleinen Therapie. Kurz zuckte ich zusammen, ehe mir bewusst wurde, dass ich noch immer die Plastikkiste mit den Freesien in den Händen hielt und dass die Frau auf mich und die Blumen wartete.

Als der Lastwagen endlich abgeladen war, unterschrieb Kelly die Empfangsbestätigung und Joseph, der Fahrer, nickte uns mit einem Brummen zu, ehe er sich wieder in das Fahrerhäuschen begab, kurz eine Hand hob und den Motor startete.

Ich mochte Joey, wie wir ihn nennen durften, denn er war, trotz seiner groben Erscheinung, ein lieber und netter Kerl. Er erinnerte mich ein wenig an meinen Opa Arthur, doch mein Großvater trug weder einen Bierbauch vor sich her, noch bedeckte eine Schirmmütze seine Halbglatze. Dennoch würde ich ihn wohl ebenso vermissen, wie mir meine Kolleginnen fehlen würden.

Ich schob den bitteren Gedanken hastig beiseite und eilte durch die Hintertür zum Laden, die Kelly mit einem Stopper zum Stehen gebracht hatte. Offenbar hatte sie sich bereits mit den anderen Kisten ins Lager zurückgezogen.

Noch sah es hier einigermaßen sauber und erträglich aus, doch wenn der Feierabend nahte, so würde man wohl kaum mehr einen Schritt tun können, ohne dass man auf Blätter, Stängel und Folien- und Papierschnipsel trat. Doch diese Tageszeit war mir fremd, denn ich hatte mich ja dazu bereit erklärt, mit Kelly die Frühschicht zu übernehmen, während Moira und Mrs. Shea sich um das Nachmittagsgeschäft kümmerten.

„Kelly?“, rief ich den Raum hinein, der von Neonröhren erhellt wurde.

„Hier“, vernahm ich ihre Stimme, „kannst du mir bitte die Narzissen bringen?“

Kurz blickte ich mich um, ehe ich die Osterglocken fand. Mir fiel ein, dass das Osterfest ja vor der Tür stand und zählte die Behälter durch, nach denen Kelly verlangte. Nach und nach, und die Freesien nicht vergessend, raffte ich Kiste um Kiste und schleppte sie zu der mir angewiesenen Stelle.

„Ach Rose“, begann Kelly und strich sich, unter schnaufenden Lauten eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr, „ohne deine Hilfe hätte ich bestimmt Stunden damit zugebracht.“

Ich schüttelte den Kopf, denn es war mir zum einen unangenehm, dass sie mich lobte und zum anderen sah ich kein Problem darin, mit anzupacken. Ich fühlte mich im Kreise meiner lieben Kolleginnen wohl und hatte mich schnell eingelebt. Wann ich hier den Besen an den Nagel hing, stand zwar noch nicht fest, doch das es irgendwann passierte, stand außer Frage. Es war eben nur eine Art „Mini-Job“, eine Nebentätigkeit, damit ich mir nicht nutzlos vorkam und die mir ein paar Pfund einbrachte.

„Und das mit Samstag ist fest, ja?“, fragte Kelly und hievte mit meiner Hilfe eine riesige Box auf den Tresen, der den Laden vom Lager trennte.

„Ja, ich denke schon“, antwortete ich wahrheitsgemäß, zuckte jedoch mit den Schultern, „ich habe gestern extra noch einmal nachgehakt und Mister O´Donnell sah keinerlei Probleme darin, mir frei zugeben.“

„Super“, meinte Kelly strahlend und wir machten uns daran, die restlichen Kartons und Kisten in den Vorraum zu tragen.
 

Um Punkt zwölf Uhr Mittags schickte mich Kelly nach Hause, wohlweislich wissend, dass ich keine zwei Stunden später mit einer Spitzenschürze bekleidet Tee, Kaffee und kleine Kuchen von einem Tisch zum anderen trug. Auch im Café hatte man mich nun mit ein paar größeren Aufgaben betraut, sodass ich nicht nur Teller waschen, sondern diese auch auf und abtragen durfte. Einzig der Umgang mit Geld blieb den festangestellten Kellnern vorbehalten, doch ich freute mich umso mehr, dass ich nur noch ab und zu Zeit an der Spüle verbringen musste.

Jorge, der dunkle, hochgewachsene Brasilianer, der als Koch für das Mittagessen und den kleinen Imbiss für zwischendurch zuständig war, schob mir ein ums andere Mal einen Teller Suppe oder ein Sandwich zu. Ich mochte ihn und er brachte mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein paar Brocken Portugiesisch bei. Nach wenigen Monaten waren mir die Worte beinahe so vertraut, wie meine eigene Muttersprache und wenn ihm wieder einmal ein Steak verbrannte, oder eine Tasse zu Bruch ging, fluchten wir beide, was unsere Zungen hergaben.

„Até à vista! Senhorita Rosa“, lachte er und ich verabschiedete mich mit einem breiten Grinsen.

So trat ich also, wie jeden Abend, in den hektischen Trubel der Londoner-City und betrachtete die Muggel, die geschäftig an mir vorüber zogen.

Mit gemächlichen Schritten schlenderte ich durch das Süd-West-Viertel in Richtung Behausung. Verdutzt blieb ich vor dem Treppenabsatz stehen und beäugte, mit deutlichem Misstrauen, die getigerte Katze, die soeben in ihrem Tun, sich zu putzen, inne hielt und mich gleichermaßen musterte. Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

Langsam einen Fuß vor den anderen setzend, erklomm ich die Stufen, griff meinen Schlüssel und schloss die Haustür auf. Ich starrte zu der Katze, die ebenso zurück starrte, ehe ich ihr mit einer simplen Kopfbewegung gebot, mir in den kühlen Hausflur zu folgen.

„Nicht zu fassen“, knurrte ich, während ich die Treppen zu meiner Wohnung hinauf stapfte, dicht gefolgt von dem Begleiter, der mir schweigend auf den Fersen blieb. Sobald ich die Wohnungstür aufschloss, huschte das Tier hinein und wartete brav im Flur auf mich. Ich ließ die Pforte ins Schloss fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.

„Na los“, knurrte ich und rieb mir, aufgrund von plötzlich aufkommender Müdigkeit, die Augen, konnte mir jedoch ein Grinsen nicht verkneifen.

Innerhalb eines Wimpernschlages, erhob sich vor mir eine junge Frau, wo gerade eben noch die Katze saß und diese klopfte sich den Staub von ihren engen Jeans und dem orangefarbenen Rollkragenpullover. Das dunkle, fast schwarze Haar hing ihr wirr im blassen Gesicht, dennoch zeigte sie mir lächelnd ihre weißen Zähne.

„Ich wollte nur sehen, was du so treibst“, sagte sie, ohne dass ich ihr diese Frage gestellt hatte, dann fiel sie mir, mit Tränen in den blauen Augen, in die Arme.
 

Ich wusste nicht, ob ich vor Begeisterung geschrien, oder einfach nur geweint hatte. Fest drückte ich die zierliche Gestalt an mich und konnte kaum Herrin meiner Gefühle werden. Ich freute mich, aufrichtig, denn ich hatte das Mädchen seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Zuletzt hatten wir vor zwei Monaten ein kurzes Telefonat geführt, doch auch der Briefwechsel war alsbald eingeschlafen.

„Du verrückte Nudel“, rügte sie mich.

„Ach Miranda!“, seufzte ich und wischte mir die Tränen von den geröteten Wangen. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst in Mailand.“

„Ach, Mailand, Eiland... das war nichts. Bis gestern war ich noch in Paris und davor war ich in New York.“, lachte sie auf und drückte mich noch einmal fest an sich. „Natürlich alles nur im Rahmen meines Praktikums.“, fügte Miranda leise hinzu.

Der kleine, bittere Funken Neid, der mich mitten ins Herz stach, verschwand so schnell, wie er gekommen war, denn wenn ich den Worten meiner besten Freundin trauen konnte, dann war das Leben als angehende Reporterin für den Tagespropheten wahrlich kein Zuckerschlecken! Als Assistentin, oder vielmehr Praktikantin bei dem magischen Blatt, rannte sie sich, laut eigener Aussage, die Hacken in ihren Turnschuhen blutig.

„Das ist so eine Gifthexe“, schimpfte sie, während wir zwei noch immer in der kleinen Diele standen. Miranda McLane hatte sich wirklich nicht verändert. Schon immer hatte sie ein loses Mundwerk gehabt und hielt mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Um sie ein wenig zu bremsen, hob ich beschwichtigend die Hände.

„Willst du etwas trinken?“, fragte ich und streifte mir die Sneaker von meinen Füßen. „Wie hast du mich überhaupt gefunden?“

Verdutzt über meine Unterbrechung hielt Miranda tatsächlich inne und legte den Kopf schief.

„Albus“, sagte sie tonlos und zuckte mit den Schultern, während sie sich ihrer Stiefeln entledigte.

„Hätte ich mir ja denken können“, knurrte ich und betrat die kleine Kochnische, Miranda folgte mir, endlich einmal schweigend.

„Du bist immerhin seine Lieblingscousine und meine beste Freundin“, erhob sie ihre Stimme und nahm mir mit einem dankbaren Nicken das Trinkgefäß aus der Hand.

Die junge Frau leerte das Glas in einem Zug, während ich es vorzog, mir einen Tee zuzubereiten. Miranda streifte durch meine Behausung und begutachtete die minimalistische Einrichtung.

„Hast du ein Glück“, seufzte sie und ließ sich in den Sessel sinken, der neben einem kleinen Sofa gewissermaßen das Zentrum des Wohnzimmers bildete.

„Findest du?“, hakte ich nach lehnte im Türrahmen zur Küche.

„Du wohnst immerhin für dich“, sagte Miranda und blickte zu mir herüber. Ich zuckte jedoch nur mit den Schultern.

„Es tut mir leid“, meinte sie plötzlich und starrte auf das Glas in ihren Händen, „dass ich einfach so, und unangemeldet, bei dir aufgetaucht bin.“

Abermals zuckte ich die Achseln und gab ein simples „hm“ zurück. Ihr Auftauchen machte mir zwar einen gewaltigen Strich durch meinen allabendlichen Trott, doch ich würde um eine Ausnahme wohl nicht herum kommen, immerhin hatte sie mir gefehlt und die Begeisterung über ihr Erscheinen überwog allemal.

„Ich verschwinde gleich wieder“, sagte sie hastig, beinahe so, als ob sie meine Gedanken gelesen hatte. Verdutzt über ihre Worte schüttelte ich den Kopf.

„Was? Nein! Musst du nicht“, gab ich zurück und bemerkte ihre deutliche Anspannung.

„Ich wollte eigentlich nur kurz „Hallo“ sagen“, gestand Miranda und erlag dem Versuch, sich aus dem Sessel empor zu kämpfen.

„Miranda, nein“, gebot ich ihr und eilte auf sie zu, um sie bei den Händen zu fassen, „bleib, so lange du willst. Du hast mir, verdammt noch mal, gefehlt!“

„Hast du gerade geflucht?“, hakte sie nach und in ihre Wangen bohrten sich die bekannten Grübchen.

„Na ja“, sagte ich und zuckte wieder mit den Schultern, „ich hätte dich auch auf Portugiesisch zurückhalten können, wenn dir das lieber gewesen wäre.“

„Wo arbeitest du, dass du Portugiesisch sprichst?“, lachte sie auf und ich wusste, das dies ein langer, sehr langer Abend werden würde.
 

Miranda schien verblüfft, das jemand wie ich doch tatsächlich zwei Jobs hatte und das eine dieser Tätigkeiten mitten in der Nacht verrichtet werden sollte. Dennoch zeigte sie Verständnis dafür, als ich sagte, dass ich in wenigen Stunden schon wieder das Haus verlassen und zur Arbeit aufbrechen müsse. In aller Schnelle hatte ich ihr die Ersatzgarnitur an Kopfkissen und Daunendecke bezogen und ihr gestattet, es sich in einem Schlafzimmer gemütlich zu machen, während ich mit der Couch vorlieb nahm. Auch wenn sie sich vehement gesträubt hatte, so erklärte ich ihr, dass ich sie nicht in ihrer Nachtruhe würde stören wollen.

„Gegen Mittag bin ich ja wieder da“, hatte ich gemeint und mich aber dennoch zu einem Lächeln zwingen müssen. Miranda verzog das Gesicht zu einer schmollenden Schnute.

„Wie lange wolltest du noch mal bleiben?“, ich weiß, dass es unhöflich war, doch das Treffen mit meinen Kolleginnen am nächsten Abend stand bevor, und nochmals konnte ich sie nicht vertrösten.

„Oh, nein“, sagte Miranda hastig und winkte ab, „wir bleiben jetzt erstmal hier in England. Morgen werde ich zu meinen Eltern weiterreisen. Ich kann von dort aus apparieren und weiterhin brav Sklavin für Miss Hare spielen.“

Nun war ich es, die ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter zog. Jetzt tat mir meine vorschnelle Frage plötzlich leid.

„Keine Bange, Rosie. Wenn es dir passt, können wir uns ja irgendwann in der nächsten Woche treffen.“, ein glockenhelles Lachen erfüllte das Wohnzimmer. „Ich wollte dir ja eigentlich nur schnell Bescheid geben, dass ich wieder im Lande bin.“

Das Gefühl der Beklommenheit wich dem der Erleichterung, sodass ich das Mädchen abermals in eine Umarmung zog. Ich beteuerte ihr, wie sehr es mich freuen würde, wenn wir wieder gemeinsam einkaufen, oder einen Kaffee trinken würden, denn das hatte mir wirklich gefehlt. So einigten wir uns darauf, am nächsten Sonnabend den ganzen Tag miteinander zu verbringen, beginnend mit einem Lunch, einer Shopping-Tour und endend mit einem Essen beim Chinesen, Italiener oder einem Besuch im Pub. Miranda zeigte sich, trotz allem, dankbar dafür, dass sie bei mir Unterschlupf fand, obwohl ihr Besuch zwar geplant war, jedoch nicht das Übernachten.

„Grüß deine Eltern von mir“, sagte ich und hoffte auf das strahlende Lächeln, das unweigerlich folgte.

„Natürlich“, meinte Miranda und gähnte herzhaft.

„Die Tür einfach nur heranziehen“, setzte ich noch nach, ehe ich ins Wohnzimmer schlurfte und das Licht der Deckenlampe löschte.
 

Das energische Klingeln des Weckers riss mich aus meinem Schlaf. Zwar hatte ich mich bemüht, Ruhe zu finden, doch der ungeplante Gast und das harte Polster des Sofas in meinem Rücken, taten ihr übriges, um jegliche Entspannung zu verhindern.

„Rose, du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen“, sagte Kelly.

Wenn du wüsstest, dachte ich bitter und schüttelte über diese Absurdität den Kopf, immerhin konnte Kelly nicht wissen, wie real Gespenster doch waren, zumindest dann, wenn man Hogwarts besucht hatte.

„Meine beste Freundin stand gestern spontan in der Tür“, erzählte ich ihr beiläufig und hoffte, dass meine Kollegin verstand, warum meine Augen zu klein, und die Ringe darunter zu groß waren.

„Will sie heute Abend mitkommen? Einer mehr oder weniger...“, begann sie, doch ich schüttelte den Kopf.

„Nein“, erklärte ich, „sie will heute Mittag weiter nach Bristol, zu ihren Eltern.“

„Und was macht sie?“, hakte Kelly nach und beinahe wäre mir herausgerutscht, dass Miranda für den Tagespropheten arbeitete.

„Oh, ähm...“, haspelte ich und schluckte kaum merklich, „sie macht ein Praktikum bei einer kleinen Zeitung. Sie möchte irgendwann einmal Reporterin werden.“

„Oh“, entkam es Kelly überrascht, „Klatschpresse oder Seriös?“

Kurz überlegte ich, in welche Kategorie ich dieses Printmedium einordnen sollte. Offenbar deckte der Tagesprophet beinahe alle Bereiche ab, die man zur Informationsbeschaffung benötigte. Ich zuckte mit den Schultern und bedeutete Kelly, dass wohl beide Rubriken infrage kamen. Als sie sich nach dem Namen erkundigte, flunkerte ich und erklärte, dass es sich bei diesem Blatt um eine relativ neue, kleine Zeitung handelte, die sich erst noch etablieren müsse. Kelly beließ es dabei und kam nicht umhin, immer wieder Worte der Freude auszusprechen, was die Gestaltung des heutigen Abends anbelangte.

Als Moira und Mrs. Shea zur Ablöse erschienen, besprachen wir noch einmal in kurzen und knappen Worten, wann und wo man sich einzufinden hatte. Letztendlich einigten wir uns darauf, dass wir erst etwas schnelles Essen gehen würden, bevor wir uns ins Londoner Nachtleben stürzten.

„Also um sieben bei Giovanni“, meinte Moira und verzog ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln, während die Mundwinkel von Mrs. Shea kurz zuckten, was jedoch als Erfolg zu verbuchen war. Auch wenn diese Dame wohl nichts mit Magie am Hut hatte, so hätte sie sich allemal und nahtlos in die Riege der mürrischen Hexen eingefügt. Unweigerlich erinnerte sie mich an Professor McGonagall, die, während meines dritten Schuljahres, ihren Rückzug aus dem Lehramt erklärt hatte.
 

Als ich aus der U-Bahn stieg und endlich auf das Wohnhaus zuhielt, das meine Bleibe beherbergte, saß keine Katze auf dem Sims. Auch die Stufen trotte ich allein empor und schloss die Tür auf. Alles war still. Ein Blick ins Wohnzimmer zeigte nach wie vor das Chaos, das ich am Morgen hinterlassen hatte. Ich nahm das Schlafzimmer in Augenschein und stellte fest, dass Miranda alles ordentlich zusammengelegt, die Bettwäsche abgezogen und die Wohnung sauber verlassen hatte. Einzig ein Zettel auf dem Küchentisch erinnerte noch an ihren Besuch.
 

Danke, dass ich bleiben durfte.

Ich freue mich auf nächsten Samstag, dann lassen wir ordentlich die Sau raus.

Ich drücke dich und melde mich.

Miranda xoxo
 

Ein Lächeln huschte unweigerlich über mein Gesicht. Ja, sie hatte mir wirklich gefehlt. Und noch immer tat es weh und mir so leid, dass der Kontak zwischen uns so plötzlich verloren ging. Ich malte mir aus, wie sehr sich ihre Eltern freuten, dass Miranda wieder bei ihnen war, denn auch in den Jahren auf Hogwarts war es den McLanes alles andere als leicht gefallen, ihr einziges Kind auf eine Schule zu schicken, auf der man sich mit Magie und Zaubersprüchen befasste. Mirandas Eltern, Tobey und Tereesa, waren Muggel, durch und durch. Miranda selbst vermutete, dass irgendein Zweig, innerhalb des Stammbaumes ihrer Sippe, solch „Anomalien“ vorwies und sie deshalb in den Genuss einer solchen Begabung kam. Und wie wir nach langer Forschung und etlichen Untersuchungen festgestellt hatten, war es ihre Ur-Ur-Ur-Oma väterlicherseits gewesen, die ihre Talente auf die Enkelin übertragen hatte. Mildred McLane-Bauer besaß ebenso die Fähigkeit, ihre Gestalt in ein Tier zu wandeln. Wieder ein herausragendes Merkmal, das sich in Miranda widerspiegelte. Ob auch ein „Squip“ unter ihren Verwandten war, hatten wir jedoch nicht nachweisen können. Nichtsdestotrotz waren die McLanes stolz auf ihre Tochter und das Wiedersehen würde tränenreich sein, dessen war ich mir sicher.
 

Angenehm warm prasselte das warme Wasser auf mich ein, während ich die letzten Sekunden genoss, dann drehte ich den Hahn zu und entstieg der Duschkabine, um mich abzutrockenen und mir zu überlegen, was ich für so einen Abend anziehen sollte. Da es sich um ein Dinner bei einem stadtbekannten Italiener handelte und in einen Abstecher in einem der Pubs enden würde, entschied ich mich für Jeans, einen Kapuzenpullover und meine Sneaker. Ein einfacher Zopf würde genügen, denn mir lag nicht im Entferntesten etwas daran, jemanden kennenzulernen und schon gar nicht in Begleitung von wesentlich älteren, reiferen Frauen. Mrs. Shea, als Älteste in unserem Kreis, hatte längst Enkel in meinem Alter und auch Kelly und Moira fanden sich jeweils in eheähnlichen Verbindungen wieder. Es würde nur ein netter Abend unter Frauen, Arbeitskolleginnen werden, schärfte ich mir ein, band meine Haare zusammen und schlüpfte in meine Jeansjacke, ehe ich die Tür ins Schloss fallen ließ.
 

Wie es zu erwarten war, fand ich, um diese Uhr- und Tageszeit, keinen Sitzplatz in der U-Bahn und musste mich, aus diesem Grund, eingepfercht zwischen einem älteren Herren und einer hochschwangeren Frau, an den Metallstangen festhalten. Ruckartig kam die Linie 3 zum Stehen und drängte mich dichter als gewollt an den alten Mann, der mürrisch das Gesicht verzog. Ich lächelte entschuldigend und erkämpfte mir meinen Weg in Richtung Freiheit.

Endlich war ich dieser Enge entkommen und hastete die Stufen zur Collens-Street hinauf. Vor dem Eingang zum Restaurant warteten bereits Kelly und Mrs. Shea, die mir für diesen Abend gestattete, sie beim Vornamen zu nennen. Erleichtert atmete ich auf, als ich feststellte, dass ich mit meiner Kleidung weder zu schick, noch zu schluderig daher kam. Kelly trug ebenfalls eine dunkle Jeans und eine helle Bluse, die sie unter ihrem schwarzen Blazer verbarg. Mrs. Shea, oder Leona, wie ich sie für diesen Abend nennen durfte, hatte ihre ergrauten Haare zu einem Dutt zusammengefasst. Und wieder beschlich mich das Gefühl, eine gewisse Parallele zu Miverva McGonagall zu ziehen, doch Leona zeigte sich wesentlich humorvoller, als es die pensionierte Schulleiterin getan hatte. Ansonsten hatte sie nichts weiter mit der strengen Lehrerin gemein, zumindest, was die Kleidung anbelangte. Ungewöhnlich, für diese Jahreszeit, trug sie ein violettes, langärmliges Kleid und einen hellen Trenchcoat darüber.

„Ladys“, hörte man Moira hinter uns rufen, während diese die Arme ausbreitete und ihren Oberkörper schüttelte. Ein einheitliches Lachen erklang, während wir einander mit einem flüchtigen Küsschen auf beide Wangen begrüßten. Im Gegensatz nur eher züchtig daher kommenden Kelly, hatte sich Moira in einen engen, dunkelblauen Minirock gezwängt. Das karierte Männerhemd hatte sie an den Enden zu einem Knoten verschlungen und ihre Beine steckten in schwindelerregend hohen Highheels. Ihre sonst zu einem Zopf gewundenen, roten Locken schwangen nun um ihren Kopf herum und zeigten deutlich die Lebhaftigkeit der Frau, die sie sonst stets zu verbergen wusste.

Wir betraten das Lokal, während ein, für sein Alter noch immer als attraktiv zu beschreibender Kellner uns an einen Tisch geleitete und das Schild mit der Aufschrift Reserviert entfernte.

Fabio, der offensichtlich zwar einen südländischen Namen, jedoch ansonsten wenig mit einem Italiener gemein hatte, reichte uns die Weinkarte. Während ich bei einer Apfelschorle blieb und mich bereits für den Besuch im Pub wappnete, orderten die Damen sowohl Wein, als auch Wasser. Mir fehlte jegliche Kenntnis über Rebsäfte dieser Art, denn weder Mom noch Dad waren diesen Getränken zugetan. Mom verbot sich diesen Genuss mit der Begründung, dass sie ihre Intelligenz in Gefahr sah und Dad begnügte sich nur mit Butterbier und Feuerwhiskey. Selbst die Flasche Elfenwein, die Hugo und ich ihnen zu ihrem fünfzehnten Hochzeitstag schenkten, stand noch immer ungeöffnet in der Glasvitrine im Wohnzimmer.

Ich verspeiste genüsslich meine Portion Pasta Carbonara, denn ich hatte Hunger und brauchte eine Grundlage für die weiteren Flüssigkeiten, die noch meine Kehle benetzen würden. So leicht und unbeschwert hatte ich meine Kolleginnen selten erlebt, denn meist stand das Geschäft im Vordergrund und dort waren Späße nicht gern gesehen, zumindest nicht unter den strengen Blicken von Mrs Shea.
 

Wie lange wir in diesem Restaurant saßen, fiel mir erst auf, als ich verstohlen, und nach einem dringenden Besuch auf den Örtlichkeiten, auf meine Uhr blickte. Laut Moiras Worten, kam erst nach dreiundzwanzig Uhr so richtig „Stimmung“ auf und zu meiner Verblüffung hatten wir genügend Zeit vertrödelt, um uns allmählich auf den Weg zu machen. Als ich an den Tisch trat bemerkte ich bereits, dass dies auch meinen Kolleginnen nicht entgangen war, so übernahm Mrs. Shea die Rechnung und wir begaben uns hinaus auf die Straße.

„Keine Bange, Mädchen“, hatte Leona mit einem Zwinkern in meine Richtung gemeint, „ich setze es einfach als Geschäftsessen ab. Oder als Weihnachtsfeier.“

„Weihnachtsfeier?“, prustete Moira los und Kelly fiel kichernd in ihr Gelächter ein. „Weihnachtsfeier im März?“

Abrupt hielt Moira inne und verzog das Gesicht, als sie den tadelnden Blick unserer Chefin bemerkte. Schulternzuckend hakte sich Moira bei Kelly und mir unter, während Leona mit strengem Schritt vor uns her und die Straße hinauf stolzierte.

London blühte erst am Abend richtig auf und da es Samstag war, pfiffen einige Pub-Besitzer auf die Sperrstunde. Lachend und teilweise bereits schwankend betraten wir die Lokalität, die unter den Damen als sehr empfehlenswert bezeichnet wurde. O´Brians war ein Pub, wie man ihn in den meisten Reiseführern für Großbritannien, Nordirland und der Republik Irland fand. Buntglasfenster, gemütliche Nischen, ein langer Tresen samt Hocker und eine kleine Bühne, auf der eine Band, wenn man Glück hatte, aufspielte. Doch meist brauchte man sich über die musikalische Gestaltung des Abends keinerlei Gedanken machen, denn ein Pub ohne Musik, wäre wie ein Pub ohne Guinness.

Der Wirt, Kellan O´Brian, der die Schenke bereits in der dritten Generation führte, nickte Kelly mit einem breiten Grinsen zu, ehe diese uns erklärte, dass Kellan ihr Cousin ersten Grades sei. Während Leona und Kelly nach einer freien Nische Ausschau hielten, drängten Moira und ich uns zwischen die Arbeiter und Jugendlichen, die an der Theke standen, lachten und einen Humpen Bier nach dem anderen stemmten.

Vor mir stand ein Glas Kilkenny, das, wie mir Kelly versicherte, wie eine leicht abgeschwächte Form von Guinness schmeckte. Zu unserer Verblüffung hatte Loana Shea eine Flasche zwölf Jahre gereiften Redbreast, einem Whiskey, der stets mit einem Glas Leitungswasser, sowie einer Pipette gereicht wurde, geordert.

„Kinder, der fetzt euch eure Goldkehlchen weg!“, prophezeite Leona und bedeutete der armen Bedienung, einem kleinen, zierlichen Wesen, das sich durch die Massen kämpfen musste, noch drei weitere Gläser an den Tisch zu bringen.

Mit glühenden Wangen goss Leona jeder von uns einen Fingerhut voll Redbreast ein und reichte dann Wasserglas und Pipette weiter. Der Duft war mild, beinahe nicht wahrnehmbar, doch der Geschmack hielt, was Leona uns versprach. Keine von uns wagte es, den teuren Tropfen auszuspucken und so mischten wir das Gebräu mit dem jeweiligen Bier vor unseren Nasen.

„Sehr gut“, lobte Mrs Shea, „Feuertaufe bestanden.“

„Das sagst du jedes Mal“, meinte Moira, verzog ihr Gesicht zu einer verkniffenen Fratze und schüttelte sich.

„Grässlich“, spie Kelly aus und löschte den Brand auf Zunge und in der Kehle mit einem weiteren, tiefen Schluck Guinness.

„Ihr habt doch gewusst, was auf euch zu kommt, nur Rose hatte nicht den leisesten Schimmer. Ein Hoch auf die Unwissenheit.“, tönte Leona und wieder kamen wir in den Genuss ihres Lachens, das unweigerlich ansteckend war.

Mir war kaum bewusst, dass sich meine Füße unter dem Tisch mit dem Takt der Musik mischten. Erst, als ich zu summen begann bemerkte ich, dass auch mein Kopf den rhythmischen Klängen folgte, während sich die Frauen über ihre Männer beschwerten und lachten und jauchzten, als seien sie froh, einmal nicht Mutter, Großmutter oder Partnerin zu sein.

„Entschuldigung“, sagte ich, als sich meine Blase meldete und erhob mich von der Bank. Auch Kelly erhob sich und bot mir so die Möglichkeit, den Tisch zu verlassen, da ich mich zwischen Tisch und Sitzmöbel auf den Gang quetschen konnte.

„Rose“, lachte Moira gegen den Lärm aus Stimmen und Musik an, „willst du noch etwas?“

Ich nickte und überlegte kurz.

„Guinness“, sagte ich entschieden da ich fand, dass ich, ganz Gryffindor, die ich einmal war, auch etwas kräftigeres vertragen konnte. Nickend nahm Moira meine Bestellung entgegen und ich machte mich auf die Suche nach den Toiletten.
 

Erleichtert, so viel Flüssigkeit endlich los zu sein, betrat ich wieder den Schankbereich und suchte nach meinen Kolleginnen. Ich drängte mich an den Männern vorbei, die zu den Klängen von Geige, Thin Whistle und Percussions grölten und bemerkte kaum, wen ich da anrempelte. Eine flüchtige Entschuldigung, die wahrscheinlich nicht einmal Gehör fand, verließ meinen Mund. Der Raum war groß, stickig und überfüllt und doch hätte ich nie in meinem kleinen Leben damit gerechnet, ausgerechnet ihn hier zu sehen. Das Haar noch immer flachsblond, bisweilen weiß leuchtend, die Nase fein und angemessen, die Lippen sinnlich und voll und die Augen... diese Augen, die bis auf den Grund deiner kümmerlichen Seele blicken konnten.

Ein Kribbeln schlängelte sich meinen Körper empor, ehe mein Gehirn realisierte, wer dort vor stand. Mein Herz schlug nicht mehr, meine Lungen versagten ihren Dienst. Alles, der Lärm, die Stimmen, die Musik, die Hitze... Nichts war mehr zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken... Taubheit, Stille, Leere. Für den Hauch einer Sekunde blieb die Welt stehen. Meine Welt. Meine kleine, unbedeutende Welt, mein Dasein. Mein ich. Reaktion... ich musste reagieren. Doch wie, wenn mir solche Regungen plötzlich fremd waren. Fühlen... Konnte ich noch fühlen? Emotionen, Empfindungen, Gefühle, Instinkt. Worte...

Ehe ich mich bewegte, tat er es für mich und abrupt fand ich mich in dem Pub wieder, erblickte meine Mitarbeiter, lauschte der Musik und den Tönen, die aus den Kehlen der Besucher empor drangen. Schmeckte den Rest des Biers auf meiner Zunge, roch den Schweiß der Gäste um mich herum und fühlte seine Hand, die meinen Arm umschloss, während sich seine Lippen zu einem wissenden und neugierigen Lächeln verzogen.

Scorpius, schoss es mir durch den Kopf und ich war mir kaum bewusst, dass ich seinen Namen hauchte.

T H R E E


 

COLOUR MY WORLD

- use every word you´ve ever heard -

T H R E E

Wie sehr ich doch betete, dass er nur die Bewegungen meiner Lippen, nicht aber das, was ich sagte, wahrnahm. Es war zu laut. Der Lärm schallte über unsere Köpfe hinweg, sodass ich mich in Sicherheit wog. Noch immer starrte ich zu ihm auf und wagte nicht einmal, Atem zu schöpfen aus Angst, dass sein Trugbild, mein Trugbild, dann für immer verschwand.

„Ja“, sagte er plötzlich.

Nervös zwinkerte ich, da ich kaum glaubte, wie klar und deutlich ich dieses kleine, bestätigende Wort vernommen hatte. Der Raum schien augenblicklich leer, die erdrückende Enge war nicht mehr vorhanden und der Krach entpuppte sich als Stille. Nur wir waren hier. Wir... Er und ich.

Verdammt, fluchte ich, als mir bewusst wurde, das dies kein Traum war. Er war, zu meinem Leidwesen und dem, meines Vaters, schon immer der bessere Zauberer gewesen und an einem Ort voller Muggel schien es ihm ein Leichtes, einen Zauber, ungesagt, zu formulieren, der uns von den Gästen abschirmte.

Hör auf damit, knurrte ich zu meiner eigenen Überraschung und blickte verdutzt, als mich die Realität einholte. Die Musik fiel über mich her, sodass ich mir die Hände an die Ohren pressen musste, um die entstandenen Töne abzudämpfen. Das Musikstück, das mir entgangen war, endete und die Besucher zollten den Mitgliedern der Truppe ihren Respekt, indem sie in ohrenbetäubendes Klatschen verfielen. Scorpius tat es ihnen gleich, jedoch ließ er mich nicht aus den Augen, sondern beobachtete jede kleine Regung, die sich auf meinem Gesicht spiegelte.

Ich bin betrunken, dass es so einfach schien, eine Erklärung zu finden, verblüffte mich.

„Nein“, sagte er und erhob so erneut seine Stimme, „nein, Rose, nicht von einem Bier und bisschen Whiskey.“

Dann lachte er. Lachte so, wie er schon damals getan hatte. Kehlig, rauchig und doch kam ich nicht umhin zu sagen, dass es mir gefiel. Ich schob die Röte in meinem Gesicht auf den Alkohol, die ausgelassene Stimmung und die Hitze, die an diesem Ort vibrierte.

„Was tust du hier?“, verlangte ich zu wissen, und meine Stimme versank in den theatralischen Klängen einer Geige, gefolgt von denen der kleinen Blechflöte.

Natürlich tat er so, als hätte er mich nicht verstanden. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und signalisierte mir so, meine Worte zu wiederholen. Als ich es tat, hielt er sich seine Hände um die Ohren, als könne er so das Gesagte besser verstehen. Er verspottete mich auf Muggelboden, tiefer war ich nicht einmal zu Hogwartszeiten gesunken.

Doch plötzlich bemerkte ich etwas. Hoben sich seine Mundwinkel etwa zu einem Lächeln an? Ja, tatsächlich. Es war kein spöttisches Grinsen, nein, so vermutete ich es zumindest. Seine Hände lösten sich von ihrer Tätigkeit als Grammophon, ehe er Beschwichtigung erkennen ließ. Dann verschwand er in der Menge und ließ mich zurück.

Ich blinzelte verwirrt. Hatte ich ihn mir bloß eingebildet? Mirandas Besuch war definitiv real. Hatte ich ihn etwa mit einem blonden, hochgewachsenen, jungen Mann verwechselt, weil ich meine beste Freundin so lange nicht gesehen hatte und unser Wiedersehen mit alten Erinnerungen verband? Mit einem Wunsch? Dem Wunsch, alten Freunden zu begegnen?

Angenommen, ich verließe diesen Ort, trat auf die Straße und hinein in den nächtlichen Trubel – würde mir dann vielleicht mein Cousin Albus in die Arme laufen? Oder Fred? Oder Lysander Scamander?

Kopfschüttelnd blickte zu meiner Linken, wo mich der Barkeeper misstrauisch musterte. Hastig suchte ich die Menge nach Kelly, Moira und Mrs Shea ab. Endlich hatte ich die kleine Nische wiedergefunden und die brünette Kelly erhob sich erneut von ihrem Sitz, um mir Platz zu machen. Ich huschte auf die Bank und fand meine Bestellung vor.

„Dein Bier wird warm, Kindchen“, lachte Leona Shea, jedoch blieb ihr Interesse nicht lang genug an meiner Person haften. Sie unterhielt sich angeregt mit Moira, die ab und zu ein schrilles Lachen von sich gab.

„Rosie?“, wandte sich Kelly mir zu und wirkte besorgt. „Ist alles in Ordnung? Musstest du dich übergeben?“

„Was? Übergeben? Die junge Leute von heute vertragen doch gar nichts mehr!“, fiel Mrs Shea in den Monolog Kellys und entlockte der rothaarigen Moira abermals ein wieherndes Kreischen. Ich warf sowohl meiner Chefin, als auch meiner Kollegin einen verstimmten Blick zu und schüttelte den Kopf.

„Nein“, gab ich zurück, „alles okay.“ Und fügte im Stillen ein bitteres ´wenn ihr wüsstet´ hinzu.

„Du bist ganz rot“, meinte Kelly und wedelte mit den eigenen Händen vor ihrem Gesicht herum.

„Nein, wirklich“, gebot ich, und doch gab ich mir die Blöße und deutete auf das Glas Guinness vor mir, „vielleicht müsste ich noch etwas üben.“

Kelly schenkte mir ein kleines, schiefes Grinsen und schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder den beiden anderen Damen an unserem Tisch. Sie ließ ein paar Worte einfließen und ihre Sorge um mich schien alsbald vergessen. Doch während sie schnatterten, sank ich immer tiefer in das weinrote Polster der Bank und tat meine Begegnung mit dem Jungen als Hirngespinst ab.
 

„Nicht zu fassen!“, knurrte Leona und wandte ihr ergrautes Haupt der Eingangstür zu, bevor sie sich bei Moira und mir einhakte. „Sperrstunde! Ich glaub es nicht!“

„Für heute war es sowieso genug, oder?“, wandte Kelly ein und blickte uns auffordernd entgegen. Sie griff nach Moiras freiem Arm und gemeinsam schlenderten wir vier durch die von Laternen gesäumte und beleuchtete Straße.

„Wie kommst du nach Hause?“, fragte Mrs Shea und beäugte mich kritisch. „Ist doch ein ganz schönes Stück.“

„Ich laufe“, log ich und zuckte mit den Schultern.

„Ach, jetzt red´ doch keinen Unsinn, Rose!“, mischte sich Moira ein und schüttelte ihr lockiges Haupt. „Bis zu dir nach Hause?“

„Na ja“, sagte ich und zuckte erneut die Achseln, „die U-Bahn fährt ja leider nicht mehr.“

„Und deshalb bringen wir dich nach Hause“, meinte Kelly und reckte ihren Hals, um mich anzusehen.

„Braucht ihr nicht“, versicherte ich und hielt im Gehen inne, „ihr wisst doch, dass ich in eine komplett andere Richtung muss.“

„Und deshalb bringen wir dich nach Hause“, wiederholte Kelly und betonte jedes, einzelne Wort.

Ich kann apparieren, ihr nicht, schoss es mir durch den Kopf. Gedanklich verzogen sich bereits meine Lippen zu einem Lächeln.

„Ich bringe sie nach Hause“, vernahmen wir plötzlich die Stimme eines Mannes hinter uns. Das Unbehagen war deutlich zu spüren. Keine von uns traute sich, sich umzudrehen. Kelly war die Erste, die den Kopf nach hinten wandte.

„Bürschchen“, knurrte sie in die Richtung des Fremden, „spuck mal nicht so große Töne!“

Mir blieb beinahe die Luft weg, denn ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass Moira oder Mrs Shea ihre Stimmen erhoben und nicht die freundliche, stets nette Kelly Trainor. Vorsichtig wandte auch mich um und erschrak. Da stand er, keine drei Meter von mir entfernt. Scorpius hob abwehrend die Hände und versuchte so, die erhitzten Gemüter zu besänftigen.

„Meine Damen“, sagte er und seine Stimme floss wie flüssiger Samt über die Haut einer jeden von uns. Das breite Grinsen, das seine strahlendweißen Zähne zeigte, verfehlte seine Wirkung - zu meinem Missfallen? - nicht. Beinahe glaubte ich, dass selbst die resolute Leona Shea dahin schmolz. Zumindest schien sie sehr angetan und meinen Kolleginnen ging es in diesem Augenblick wohl nicht anders.

„Rose“, sagte er nickend in meine Richtung, bevor uns abermals sein liebenswürdiges Lächeln schenkte.

Abrupt musterten mich drei Augenpaare von oben bis unten, als könne keine der Damen begreifen, warum dieser Junge ausgerechnet mich ansprach und darum bat, mich nach Hause zu begleiten. Leona nickte kurz in seine Richtung und schien stumm zu verlangen, dass ich ihn vorstellte, denn offenbar zweifelten sie nicht daran, dass wir einander bekannt waren. Ich schnappte nach Luft.

„Das ist Paul“, sagte ich verlegen und starrte auf meine Schuhe.

„Paul also, ja?“, hakte Kelly nach und meine Hoffnung auf ihr Misstrauen gewann wieder Aufwind.

„Paul Smith“, hörte ich zu meiner Überraschung von seinen Lippen weichen, „Rose und ich sind zusammen zur Schule gegangen.“

Es genügte anscheinend, meine dicke Lüge noch etwas zu erweitern, denn die Frauen zeigten sich neugierig, aber befriedigt mit dem, was sie gehört hatten.

„Er wirkt viel zu stilsicher für einen simplen „Paul Smith“. Rose?“, wandte sich Kelly wieder meiner Wenigkeit zu, doch ich schüttelte den Kopf.

Ich sah zu ihr herüber und hoffte, dass sie meinen Blick zu deuten wusste. Sie tat es und auch Moira und Mrs Shea gaben sich mit den Fakten zufrieden. Als Scorpius näher auf uns zu trat, hörte ich, wie Leona neben mir scharf Luft in ihre Lungen sog.

„Wenn ich nur ein paar Jährchen jünger wäre“, murmelte sie, doch ich verstand jedes Wort.

Meine anfängliche Scheu wandelte sich allmählich in Wut darüber, dass diesem jungen Mann noch immer eine Aura umgab, die die Herzen der Frauen, egal, welchen Alters, zum Klopfen brachte. Ich spürte, wie Mrs Shea ihren Arm von meinem löste und mich freigab.

„Moment mal! Und wenn er sie jetzt in die nächste Ecke zerrt?“, oh, Kelly, hab tausend Dank für deinen Zweifel.

Nun, offenbar hatte selbst Paul für diesen Verdacht keinerlei Worte, um jenen zu zerstreuen. Ich vermag nicht mehr zu sagen, welcher Ausdruck sich auf meinem Gesicht abzeichnete, doch die Damen nahmen plötzlich Abstand von mir, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Scorpius – Paul? - hatte seinen Arm um mich gelegt und den Anwesenden versichert, mich wohlbehalten abzuliefern, damit ich am Montag wieder unbeschadet meiner Arbeit nachgehen könne. Seine Geste und Worte wirkten augenscheinlich so vertrauenerweckend, dass keine von ihnen widersprach, als er mich in die andere Richtung lotste.

Ich bildete mir ein, dass Kelly noch immer vehement dagegen sprach, das mich ein fremder, junger Mann von ihnen wegführte. Ich nahm mir vor, mich für ihr Misstrauen dankbar und erkenntlich zu zeigen, denn wie man aus den Zeitungen beinahe täglich erfuhr, gab es nur noch selten Menschen, die es für erstrebenswert hielten, einander zu helfen und zu schützen. Misshandlung, Vergewaltigung, Mord..., es verging nicht ein Tag, an dem keine Schreckensmeldung durch die Medien ging.
 

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Rührte mich keinen Zentimeter, weigerte mich sogar, Atem zu holen, denn noch immer lag sein Arm auf meiner Schulter, während wir dem Trio nach sahen. Meine Empörung über sein Verhalten wandte sich noch immer durch meine Adern. Doch auch über das Benehmen meiner Kolleginnen würde ich noch mit ihnen zu reden haben, immerhin hätten sie mich an der Seite eines potenziellen Mörders zurückgelassen, wenn dem so gewesen wäre.

„Paul Smith, ja?“, holte er mich aus meinen Gedanken und wieder kam ich, unweigerlich, in den Genuss dieser betäubenden Klänge, die meine Sinne vernebelten.

„Wäre dir Scorpius Malfoy lieber gewesen?“, fragte ich und musste recht bissig geklungen haben, denn plötzlich schienen all die romantischen Gefühle nur noch schwarze, spitze Dornen zu sein, die sich in mein Herz bohrten.

„Sehr gut durchdacht“, lobte Scorpius und lächelte schief, als ich einen kurzen Blick auf ihn warf. „Mein richtiger Name hätte ihr Misstrauen nur noch mehr geweckt, nehme ich an.“

„Ja“, sagte ich knapp und untermalte meine Einsilbigkeit mit einem zustimmenden, aber dümmlichen Nicken. „Das schwere Los der extravaganten Namen.“

Mein Seitenhieb schien ihn nur milde zu stören.

„Obwohl mir die Brünette doch sehr argwöhnisch vorkam“, sinnierte er und mittlerweile waren meine Kolleginnen nur als kleine, dunkle Punkte am Ende der Straße auszumachen.

„Ja, das ist Kelly“, sagte ich stolz, dennoch überschwemmte mich wieder dieses kalte, bittere Gefühl, dass ich mich nicht auf sie verlassen konnte.

„Du hast sicher Fragen“, begann er und ich nickte abermals.

„´Ne Menge“, schloss ich und spürte, wie seine Finger von meiner Schulter glitten.

Die Wärme schwand und ließ die kühle Märzluft an jene Stelle treten, die eben noch bedeckt wurde. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, ungeachtet dessen, dass es mir, aufgrund meiner steifen Jeansjacke, nicht recht gelingen wollte und wandte mich in seine Richtung.

Das Licht der Laternen schickte dunkle Schatten über sein Gesicht. Das Kinn, sein Kinn, war markanter und kantiger, als ich es in Erinnerung hatte, ebenso die hohen, spitzen Wangenknochen, die er unweigerlich von seinem Vater geerbt hatte. Meist hatte ich nur einen Blick auf die Familie Malfoy erspähen können, wenn wir nach Hogwarts aufbrachen, oder am Ende des Schuljahres Heim kehrten. Sobald Scorpius alt genug war, hatte er wohl darum gebeten, während der Ferien allein an- und abzureisen, ohne seine Mutter, die ihm das Händchen hielt.

Seine Statur schien noch genauso muskulös. Offensichtlich tat ihm damals nicht nur das Spielen von Quidditch den Gefallen, gewisse Körperpartien zu trainieren, auch musste seine Ausbildung zum Auror ihm die Möglichkeit bieten, schlank und athletisch zu bleiben, denn von seiner Eleganz hatte er nichts eingebüßt.
 

„Was willst du? Was machst du hier? Und was fällt dir, bei Merlin, überhaupt ein?“, zischte ich, als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte und vorausging. Die Hände tief in den Taschen meiner Jacke vergraben vermied ich es, ihn anzusehen. „Ich habe dich im Pub schon für ein Trugbild gehalten, doch für ein Trugbild wirkst du ziemlich echt.“

„Trugbild?“, lachte er auf. „Du hältst mich für eine Sinnestäuschung?“

Schon immer hat er es verstanden, mit Worten zu jonglieren und Ausdrücke zu gebrauchen, die einem Dichter gleichkamen.

„Du hättest auch ein Wahnsinniger sein können, der meinen Namen irgendwo auf der Straße aufgeschnappt hat.“, knurrte ich.

„Da wären wir wieder bei deiner Kollegin. Die Scharfsinnige, meine ich.“, sagte Scorpius und ich nickte mürrisch. „Ziemlich unvorsichtig.“

„Ich weiß“, fauchte ich ungestüm und schnaubte, halb verächtlich und halb belustigt.

„Um auf deine Fragen zurückzukommen“, Scorpius hielt plötzlich in seinen Bewegungen inne und mich am Ärmel meiner Jacke zurück, „ich wollte dich sehen.“

Nervös blinzelte ich abermals. Er wollte mich sehen? Mich? Weshalb?

„Weshalb?“, platzte es auch mir heraus, während er sich umblickte und mich ein paar Schritte weiter auf den Bürgersteig schob, während eine kleine Gruppe, bestehend aus jungen Männer und Frauen, einen Bogen um uns machte.

Zu meinem, oder eher unserem Glück, verstand es Scorpius, Muggel-typische Kleidung zu tragen, denn ich war sicher, dass die Damen ein wenig verwirrt dreinblickten. Vielleicht lag es aber auch nur an ihm. Und keine zwei Sekunden später war ich mir dessen sicher, denn die Mädchen kicherten verschämt, während die Männer einen verächtlichen Blick für uns übrig hatten. Keinesfalls stand ich im Fokus ihres Interesses, denn ich wurde meistens übersehen, doch neben einer Erscheinung, wie es Scorpius Malfoy war, verblasste sowieso alles und jeder. Ein Manko, mit dem sich auch Albus, im Laufe der Jahre, ebenso abfinden musste.

Scorpius schenkte der Truppe keinerlei Beachtung und meine Sorge darüber, dass er sich vielleicht provoziert fühlen würde, verpuffte. Mir war, durch unsere Turniere auf Hogwarts, bestens bekannt, dass der junge Mann vor mir oft und schnell aus der Haut fuhr. Ebenso schnell jedoch besann er sich, sodass der Sturm im Wasserglas allenfalls als jener zu beschreiben war. Er galt als sehr leidenschaftlich, und diese Eigenschaft übertrug er auf jede Situation. Und man wollte ihm, bei Merlin, nicht in die Quere kommen, wenn er mit Feuer und Eifer bei der Sache war, egal, um was es sich bei der Sache handelte. Manche sahen diese Eigenheit als Schwäche, doch jemand, der so klug und talentiert war, wie Scorpius, stimmte ihnen weder zu, noch bestärkte er die armen Seelen in ihrem Irrglaube.

„Können wir das woanders besprechen?“, bat er und mich beschlich ein mulmiges Gefühl. „Du wohnst doch nicht weit weg, oder?“

Doch statt ihm zu antworten, hob ich nur skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.

„Jetzt? Um diese Zeit?“, schnaubte ich und schüttelte über seine Unverfrorenheit den Kopf.

„Rose, bitte“, allmählich bekam ich es mit der Angst zu tun, denn noch nie hatte ich erlebt, dass Scopius mit den Füßen auf der Stelle trat und ein gehetzter Unterton in seiner Stimme mitschwang.

„Das... das ist dein Ernst, oder?“, meine Worte klangen merkwürdig hohl, als sie meinen Mund verließen, doch sein energisches Nicken ließ keinen Zweifel aufkommen. „Aber...“

Doch meine Zunge schien plötzlich wie gelähmt. Ich vermutete bereits, dass er mich unter einen Zauber gestellte hatte, doch ich irrte mich. Ich war es selbst, die mir verbot, etwas auf sein Flehen hin zu erwidernd, dass ihm missfallen konnte.

„Apparieren?“, fragte er.

„Hatte ich vor“, hauchte ich, als ich endlich meine Stimme wiederfand, die sich, gemeinsam mit meinem Herzen, zu meinen Füßen gesellt hatte.

Das warme Gefühl, welches er in mir wachrief, allein dadurch, dass er meine Hand in seine nahm, hoffte ich mir einzuprägen, doch innerhalb eines Wimpernschlages waren wir, in einem Wirbel aus Farben und Rauschen, in eine schmale Gasse disappariert und unweit der Straße zu meiner Wohnung auf den harten Asphalt aufgeschlagen.
 

Während ich, ganz der Tollpatsch, der ich schon immer gewesen war, ins Straucheln geriet, landete er galant mit beiden Beinen auf dem Boden. Doch ehe ich dem nassen Weg mit meiner Nase voraus ´einen schönen Abend´ wünschen konnte, hielt er mich, mit einem festen Griff, am Arm zurück.

„Nett“, sagte er knapp und sah sich innerhalb der Gasse um.

Neben vereinzelten Ölpfützen, die im Schein der Laternen regenbogenfarbend leuchteten, waren wir genau neben einer großen Mülltonne gelandet. Doch nicht nur Scorpius rümpfte die Nase, auch ich tat es ihm gleich und orientierte mich kurz, ehe ich es war, die ihn an der Gürtelschlaufe seines Mantels packte und aus dem Gestank und der Enge führte.

Ich vermied es, ihm mitzuteilen, dass etwas „mehr“ nicht in meinem monatlichen Budget Platz fand, denn sicherlich wusste er, wie es um die finanzielle Situation meiner Familie bestellt war. Wenn ihm etwas auf der Zunge lag, so verkniff er sich tapfer - oder aus Ekel? - jeglichen Laut und folgte mir schweigend die Stufen zur Haustür hinauf.

Schlüssel fand Schloss, sodass ich eiligst die Tür zu meiner kleinen Wohnung aufsperrte und in die Diele schlüpfte. Wortlos folgte er mir und duckte sich beim Eintreten. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er dies auch vor wenigen Augenblicken, als wir den Hausflur betraten, getan hatte, doch ich sagte nichts und knipste das Licht an.

Jetzt wirkte selbst der lange Gang beengt und klein, denn obwohl ich ihn im Pub und auf der Straße bereits betrachtet hatte, so war mir seine tatsächliche Körpergröße entgangen. Dass auch ich nicht gerade als klein zu beschreiben bin, verdanke ich meinem Vater. Groß und schlaksig, so bezeichnete mich Mom meistens, wenn ich ihr wieder einmal klagte, nichts passendes zu finden, das ich am Leib tragen konnte. Doch im Gegensatz zu meinen 1,78m, überragte er mich mindestens um einen, bis anderthalb Köpfe. Als Quidditch-Spieler wäre aus ihm wohl wahrlich ein Profi geworden, schloss ich, als mich Unbehagen überkam und ich nervös an meiner Jacke nestelte.

„Komm rein“, sagte ich überflüssig, nur, um irgendetwas von mir zu geben.

„Rose“, begann er und hielt abwehrend die Hände in die Höhe, „ich weiß, mein Auftritt scheint fragwürdig und verwirrend zu sein.“

Eine bissige Erwiderung lag mir plötzlich auf der Zunge, doch ich erinnerte mich daran, dass meine Oma immer sagte, man habe sein Gegenüber ausreden zu lassen, und daran hielt ich mich, wenn auch mit Widerwillen.

Mein Blick zeigte wohl deutlich, was meine Lippen nicht preisgaben. Scorpius wirkte nervös, und die Anspannung von vorhin hatte noch nicht nachgelassen. Fahrig fuhren seine langen Finger durch die weißblonde Mähne und von dem einstigen Styling war, basierend auf seiner Tat, nur noch wenig übrig. Was auch immer ihn dazu bewog, mich aufzusuchen, es musste dringend sein, denn viel miteinander zu schaffen hatten wir wirklich nicht. Wer war er auch schon? Ein Malfoy, der beste Freund meines Lieblingscousins, obwohl ich Albus´ Position nach diesem Abend wohl ein wenig tiefer einordnen würde. Seine Familie besaß genügend Galleonen, um ihm ein gesichertes Auskommen zu ermöglichen, dennoch hatte sein Vater darauf bestanden, dass er einer Ausbildung nachging. Oh, und natürlich hatte er das „gewisse Aus- und Ansehen“, welches in manchen Augenblicken allein genügte. Während meine Gedanken, ungewollt, wieder in alte Muster zurück fielen, sah ich, wie sich sein Mund bewegte, doch die Töne, die von seinen Lippen wichen, vermochte ich nicht zu hören.

„Was sagst du, Rose?“, meinte er und sah mich eindringlich an. Verdutzt und verwirrt darüber, dass ich nicht ein Wort von dem vernommen hatte, was er sagte, blinzelte ich und schüttelte unachtsam den Kopf.

„Entschuldige bitte, was?“, unangenehme Röte schoss mir in die Wangen und in meinen Ohren machte sich ein Rauschen breit, das sich nicht vertreiben ließ. Warum, bei Merlin, brachte mich dieser Junge so aus der Fassung?

„Du hast gerade kein Wort von dem verstanden, was ich dir gesagt habe, oder?“, Belustigung, Zynismus und Fassungslosigkeit schlugen ihre Fänge in meinen Körper. Doch es stimmte, ich hatte ihm wirklich nicht zuhören können.

„Bist du benebelt?“, hakte er nach und sah zu mir herab, als hätte ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.

„Nein“, fauchte ich empört und schüttelte den Kopf. Hatte er mir nicht vor wenigen Minuten - Stunden? - selbst gesagt, dass ich nicht betrunken wäre? Es ging mir gut, dachte ich. Vielleicht war mir etwas schwummerig, aber das lag definitiv nicht an den zwei Bieren, die ich mir zu Gemüte geführt hatte.

Ich hob meine Hände zu einer entschuldigenden Geste, und offenbar genügte es ihm. Doch Scorpius´ Blick huschte innerhalb von Sekunden an mir vorbei, nur um sich dann wieder auf mich zu heften.

„Gut, mir ist wirklich etwas schwindelig“, sagte ich und schnalze mit der Zunge, um ihm mein Unbehagen zu demonstrieren.

„Also, malst du noch?“, wollte er wissen und wiederholte seine Frage zum wiederholten male.

„Was? Wie bitte?“, innerlich rügte ich mich dafür, ihm vorhin nicht besser zugehört zu haben.

„Ob du noch malst. Zeichnest. Du weißt schon, auf Papier, mit Stiften.“, erklärte Scorpius und blickte fordernd zu mir herunter.

„Ich weiß, was zeichen... malen ist.“, fauchte ich und sah, dass sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Ich schüttelte den Kopf, da ich mir seiner Bitte erst einmal bewusst werden musste.

„Also?“, hakte er nach und hob auffordernd eine Augenbraue.

Tief holte ich Luft und entließ sie geräuschvoll durch die Nase. Deshalb war er hier? Aus diesem Grund wollte er mich sehen? Ich spürte, wie ich immer wieder blinzelte, als müsse mein Gehirn seine Worte analysieren. Sie wieder und wieder abspielen, bis auch der Rest meines Selbst Silbe für Silbe verstand und einordnen konnte. Ich zuckte mit den Schultern und musste ziemlich geschockt ausgesehen haben, denn aus dem Lächeln auf seinen Lippen wurde ein breites Grinsen.

„Gut“, sagte er und wirkte zufrieden.

„Warte mal!“, gebot ich und hob die Hände. „Du hast mich gesucht, mir in einem Pub aufgelauert, verlangst von meinen Kolleginnen, mich einfach so in deine Obhut zu übergeben, apparierst mit mir nach Hause und das alles nur um mich zu fragen, ob ich noch zeichne?“

Ja“, war seine knappe Antwort und ich brach, wenn auch etwas unfein, in schnaubendes Gelächter aus. Unglaublich! Ich fing mich außergewöhnlich schnell und auch mein wieherndes Lachen erstarb. Stattdessen blickte ich kritisch und schnalze mit der Zunge.

„Dass ich gemalt habe, ist allerdings schon eine Weile her.“, gab ich zu, doch Scorpius zuckte nur mit den Schultern. „Was wolltest du noch mal wirklich von mir?“

„Dass du mich zeichnest.“, sagte er und schien nun wirklich an meinem Gehör und meiner Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu zweifeln.

„Aber nicht nackt!“, platzte es auch mir heraus und nun sah ich mich wieder dem Klang und Spott seines Lachens ausgesetzt.

„Nein... noch nicht“, flüsterte er mit einem schiefen, süffisanten Grinsen. Ich tat, als hätte ich den Rest seines Satzes nicht gehört, geschweige denn für voll genommen.

„Ich habe ein paar Skizzen hier, aber in den letzten Monaten leider nicht viel Zeit für neues“, erklärte ich, streifte mir die Schuhe von den Füßen und betrat das Wohnzimmer.

Auch hier sorgte ich erst einmal für genügend Licht und gebot dem jungen Mann, der noch immer im Flur stand, einzutreten. Scorpius zog sich sorgsam Schuhe die teuren Lederboots aus und schob die großen Knöpfe des langen, schwarzen Mantels durch die Ösen, ehe er sich von diesem befreite. Die wenigen Schränke, die ich besaß, sahen sich nun in der Pflicht, meine kleinen Werke auszuspeien. Doch wie ich verdrießlich feststellte, hatte ich die Bögen und anderen Utensilien in einem Schrank in meinem Schlafzimmer untergebracht. Ich gebot ihm, es sich auf dem Sofa bequem zu machen, während mir einfiel, dass man einen Gast stets zuvorkommend behandeln musste.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich, erhob mich aus meiner hockenden Position und schloss die hölzerne Tür der kleinen Kommode, einem Erbstück meiner Oma mütterlicherseits. Doch Scorpius schüttelte den Kopf und ich bemerkte, wie sein Blick durch den Raum glitt. Dennoch trat ich in die Küche, entflammte auch hier das Licht der Deckenlampe und griff nach der Kaffeetasse auf dem kleinen Tisch, deren Inhalt jedoch süßlich duftender, und bereits erkalteter Hagebuttentee war. Nachdem ich den letzte Rest meiner Kehle hinunterstürzte, verließ ich sowohl Küche, als auch Wohnbereich und steuerte meinen Schlafraum an.

Ich wühlte mich durch den diversen Krimskrams, der in meinem großen Kleiderschrank umherflog und erschrak, als ich plötzlich Scorpius´ Stimme, ganz in der Nähe ausmachte.

„Rose?“, fragte er und ich stieß mit dem Kopf, gegen einen Einlegeboden.

„Aua!“, fluchte ich und krabbelte rückwärts aus dem Möbel. Aber ich hatte gefunden, wonach ich suchte. Eine ziemlich große, und vorallem sperrige Schachtel fand ihren Weg in Richtung Licht. Ich schob sie ihm, so gut es mir bei diesem Teppich möglich war, zu und forderte ihn auf, sie aufzuheben. Scorpius tat es und ich erhob mich, ehe ich ihn wieder zurück in den Flur scheuchte.

„Es sind nur Skizzen“, wiederholte ich den Bestand meiner Kunst.

Scorpius hob die Schachtel an sein linkes Ohr und schüttelte sie.

„Hey!“, fauchte ich und nahm sie ihm so schnell es mir möglich war, wieder ab. „Niemand schüttelt meine Kunst!“

Wieder zeigte sich ein belustigtes Grinsen in seinem Gesicht, ehe er abwehrend die Hände hob.

„Lässt du mich deine Kunst, die nicht geschüttelt werden darf, auch sehen?“, fragte er.

Ich kniff die Augen zusammen und betrachtete ihn kritisch. Widerwillig übergab ich ihm die Box und er trabte zurück ins Wohnzimmer.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  Farbwolke
2013-12-14T23:19:43+00:00 15.12.2013 00:19
Hallöchen,
ein wunderschönes Kapitel. Hach ist das zu süß. Scorpius ist ein Weiberheld durch und durch. Wundervoll hihi. Ich fand das Kapitel sehr schön und auch gut beschrieben. Die Tatsache das Kelly so mistrauisch wa gefiel mir sehr ut. Man weiß ja nie, wer dieser Paul ist xD Hoho noch soll Rose Scorp nicht nackt zeichnen. Die betpnung liegt auf noch hihi.

Insgesamt wieder ein super Kapitel mit super flüssigem Inhalt. Ich hoffe das nächste Kapitel kommt schnell :)

Grüße
Traumtaenzerin
Von:  Farbwolke
2013-12-14T22:42:37+00:00 14.12.2013 23:42
Hallöchen :)
Das bin ich wieder, leicht verspätet, aber gut :) Ich fand das Kapitel wieder mal sehr schön. Du kannst wirklich super schreiben, das ist mir ja schon öfter auf gefallen :) Was ich besonders schön fand, war das Treffen von Rose und Miranda. Natürlich freue ich mich ganz besonders über Scorp. Ich bin halt ein RosexScorp Fan-Firl hihi. Alles in einem ein gelungenes Kapitel :) Gut beschrieben und immer verständlich :)

Grüßse
Traumtaenzerin
Von:  Farbwolke
2013-12-14T19:57:47+00:00 14.12.2013 20:57
Hallo :)
Wie ich sehe habe ich hier noch kein Kommentar geschrieben. Schande über mich hrhr. Wo fange ich am besten an? Ich fand das Kapitel für den Anfang sehr schön. Die Perspektive hat mir gut gefallen und du hast es auch sehr schön beschrieben. Ich hab den Text flüssig lesen können und hatte keine Verständnis probleme. Die Tatsache das Hermine ihre Tochter so mit Beruf nervt finde ich irgendwie mein Gedanken zu Hermine passend. So stelle ich mir Hermine nämlich vor, wenn einer ihrer Kinder nicht weiß was sie beruflich machen wollen. Ich finde die Idee das Rose zeichnet sehr schön und besonders neu, was mir auch wiederrum gefällt. Zumindest habe ich noch nicht so was gelesen.

Alles in einem war dies ein schöner Einstieg, in eine hoffentlich spannende Geschichte. Ich werde jetzt direkt ins nächste Kapitel huschen und dir dort ebenfalls ein Kommi hinter lassen.

Grüße
Traumtaenzerin
Von:  Dahlie
2013-11-13T07:30:18+00:00 13.11.2013 08:30
Oh~

Es geht weiter, wie wundervoll <3
Irgendwie kann ich meinen Vorgängern nur recht geben, und zwar in allen Punkten (außer das mit dem Klo und der Orientierung xD)
Du hast echt alles an Stil, Erwartungen, Spannung und so vieles Mehr gehalten. Perfekt *Fingerspitzen küsst* außerdem liebe ich es, dass deine Rose fleißig ist, anpackt und nicht nur darauf wartet das sich etwas ändern, sondern etwas tut! Das Tun ist wichtig! Viele lassen dann so denn unrealistischen Schicksalsschlag dazu stolpern (ich gehöre leider dazu xD)
Deshalb umso besser, dass sie das alleine schafft <3

Liebe Grüße Dahlie
Von: abgemeldet
2013-11-11T23:36:28+00:00 12.11.2013 00:36
Guten Abend :)

Oh~ und hier geht es weiter. Du hast dein Tempo wirklich gehalten und hast damit meinen Respekt! Wirklich, ich finde die Ich-Form an sich schon sehr anspruchsvoll und dein Plot hat es auch in sich. Noch kann man aus meiner Sicht absolut nicht sagen, worauf es hinausläuft, außer das Rose die Richtung in ihrem Leben findet.
Die neuen Charaktere haben mich etwas wuschig gemacht, aber das ist okay, denn ich gewöhne mich primitiver Weise erst an sie, wenn ich immer wieder von ihnen lese |D
Nun interessiert mich die Vergangenheit von Scorpius und Rose auch sehr <3 Ich bin auch sicher, dass du dir etwas Tolles einfallen lässt, denn taluna schwärmte oft genug von deinen Werken ;)

abgemeldet
Von: Norrsken
2013-11-05T09:13:10+00:00 05.11.2013 10:13
Hallo liebe irish_shamrock!

Endlich mit etwas mehr Zeit, wollte ich dir hier zu diesem kleinen Schmuckstück von Geschenk einen Kommentar hinterlassen. ♥ Und ich muss sagen, man kann schon ganz schön neidisch auf taluna sein. x3

Ich find die Idee hinter dem ganzen sehr frisch, zwar hab ich schon ein paar Mal von einer Rose gehört, die sich nicht sicher ist, was sie einmal machen möchte, aber derart in den Seilen hab ich sie noch nie hängen sehen. Und trotzdem ist sie nicht untätig! :)
Der Entschluss von zuhause auszuziehen ohne auch nur eine Ahnung zu haben, was kommen könnte, ist mutig und gewagt. Das sie sich davon bisher nicht hat verunsichern lassen und sich einfach in ihre zwei kleinen Jobs stürzt find ich toll.
Wie sie bei diesen arbeitet hast du auch immer schön beschrieben. Ich mag es, wenn solche Tätigkeiten auch ausgeschrieben werden und man etwas vond er arbeit mitbekommt, statt immer nur von der Arbeit zu hören. ♥

Am Schluss des zweiten Kapitels kam ich kurz ins Shclingern, als sie von der Toilette kam, aber ich weiß selber nicht genau, wieso ich die Orientierung verloren hatte. :/ Beim Auftritt von Scorpius war ich aber wieder voll drin und muss sagen, dass ich sehr gespannt bin, was da nun auf sie zukommt. Das etwas in der Vergangenheit liegt oder in ihr vergraben ist anzunehmen, aber das was ist nun die große Frage, die mich brennend interessiert! ♥

Ich hoffe, es geht bald weiter! C:

liebe Grüße. ♥
Von:  taluna
2013-11-02T21:20:09+00:00 02.11.2013 22:20
Ooooooh <3
Ich schmelze hier gerade, wie Vanielleeis in der Sonne <3 Endlich <3 Scorpius ist aufgetaucht und obwohl ich jetzt noch nicht so wahnsinnig viel von ihm gelesen habe, außer, dass er eine starke Anziehung auf Rose ausübt, so bin ich schon verliebt in ihn. Denn offen gestanden, ich mag es, wenn diese spezielle Anziehung bei beiden da ist und man sie nicht so recht erklären kann.
Zum Stil, ich bin fasziniert darüber, wie du es schaffst so Kleinigkeiten mit einzubauen, an die ich nie denken würde. Zum Beispiel der Geschmack vom Rest Bier auf der Zungen. Genau solche Dinge sind es, die mich jedes Mal verzaubern und warum ich deine Storys so gerne lese.
Das du dazu noch so schnell bist, was das uploaden angeht, dass verwirrt mich nicht nur, sondern macht mich auch noch sehr happy. Natürlich habe ich auch Verständnis wenn es einmal etwas länger dauert, also wegen mir musst du da nicht hetzten. Ich bin so oder so schon sehr glücklich mit meinen Preis.

taluna <3
Von: abgemeldet
2013-10-28T18:16:40+00:00 28.10.2013 19:16
Donnerwetter!

Da ich ein stiller Leser bin und eigentlich nicht so im FF-Fandom rumschnüffel, hat mich die Fanfiction doch wirklich sehr positiv überrascht <3 Ich mag es wie du schreibst, deine Wortwahl und auch die Idee, die hier hinter steckt. Auch ist es in meinen Augen authentisch, dass du viele bekannte Charaktere mit einbindest und man wirklich das Gefühl hat, es könnte im HP-Universum spielen.
Ich bin gespannt, ob du dieses Level halten kannst und werde mit Freuden alles weitere verfolgen und frage mich, wie lang deine Idee wohl ist.

:) frohes Schaffen
Von:  Dahlie
2013-10-28T18:08:04+00:00 28.10.2013 19:08
Hi!

Man hat mir dieses feine Werk empfohlen und ich muss gestehen: Toll und absolut zurecht! Ich musste einfach einen Kommentar schreiben, was ich nicht oft tue ;)
Deine Rose ist erfrischend, die Ich-Form ebenfalls obwohl sie sicher nicht leicht ist. Ich drücke dir alle Musen-Däumchen das du diese Form durchhältst und werde hier alles spannend und hoffend weiter verfolgen. Einfach, weil es endlich mal etwas Neues und wirklich Gutes ist, was ich seit langen auf Mexx gefunden habe. Natürlich kenne ich deinen Stil und finde ihn wie taluna toll, aber trotzdem freue ich mich immer auf was neues von dir.

Liebe Grüße Dahlie
Von:  taluna
2013-10-28T18:05:35+00:00 28.10.2013 19:05
Hallo :)

Zuerst einmal: DANKE!!!
Ich bin ziemlich happy, dass dich die Muse so früh geküsst hat. Die Aufmachung gefällt mir total, sie ist genau deine Note und ich habe dich ja auch damals genommen, weil ich deine Art total mag und sie komplett meinen Geschmack entspricht. Somit war mir klar, dass dein erstes Kapitel toll sein musste! Und da habe ich mich auch nicht geirrt.
Ich liebe Rose dafür, dass sie etwas orientierungslos und so menschlich ist. Ich liebe die kleinen Erwähungen, Rone, Hermine, Dominique, Hugo, sie alle sind so indirekt dabei, aber ich liebe es! Du gibst einen wunderschönen Einblick, einen, den ich mir fantastisch vorstellen kann und der sehr echt klingt. (Damit happert es bei den meisten)
Natürlich möchte ich jetzt wissen, was passiert, wenn Rose loszieht - übrigens! Ich finde es fantastisch, dass sie fleißig ist! Das sie arbeitet! Das sie sich nicht zu fein für etwas ist und harte Arbeit sie nicht abschreckt!
Toll! Wirklich!
Mich hast du somit völlig am Board und ich warte nun geduldig und sehnsüchtig auf ein Neues Kapitel von dir!

Küsschen talunalein ;D


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