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Creepypasta Special 2: The Shattered

Die Wahrheit über Dathan und Sally
von

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Wiederkehrende Träume

Es war dunkel und leer. Dathans Sinne waren tot und um ihn herum gab es nur Leere. Er sah und hörte nichts, geschweige denn, dass er etwas spürte. Er konnte nicht einmal sagen, ob er festen Boden unter den Füßen hatte, fiel oder schwebte. Um ihn herum gab es nur die unendliche Finsternis. Doch trotzdem wusste er ganz genau, wo er war. Er kannte diesen Ort genau. Dies war die Grenze, die auch als der Styx bekannt war. Die Grenze, die Leben und Tod voneinander getrennt hielt. Dathan war schon einmal hier gewesen, nämlich als er zusammen mit seiner kleinen Schwester ertrunken war. Doch hier hatte er sie aus den Augen verloren und war ganz alleine. Stattdessen war er einer Stimme nachgelaufen, von der er geglaubt hatte, es wäre Christie gewesen. Aber anstatt, dass sie ihn zu seiner Schwester geführt hatte, war er wieder ins Leben zurückgekehrt. Stellte sich nur die Frage, warum er jetzt hier war. Es musste einen Grund dafür geben. Obwohl seine Sinne völlig tot waren, glaubte Dathan, eine neue Präsenz zu spüren und er drehte sich um. Vor ihm stand ein Mädchen mit langem schwarzem Haar und leuchtend roten Augen. Es war Sally. Was machte sie hier? Warum war sie denn an diesem Ort? Sie sah ihn mit diesen unmenschlichen roten Augen an, die von den gleichen dunklen Schatten umrandet waren wie seine. Und irgendwie wirkte sie traurig. „Sally!“ rief Dathan und eilte auf sie zu. Doch egal wie schnell und wie weit er auch lief, der Weg vor ihm wurde immer länger und Sally selbst rückte in weite Ferne. „Ich werde dir noch ein Mal helfen, du musst mir vertrauen. Und ich werde auf dich warten, hörst du?“ rief sie ihm zu und dann wachte Dathan auf. Er war schweißgebadet, trotzdem fröstelte es ihm. Wie jedes Mal, wenn er von der Zwischenwelt und von Sally träumte. Seit Sally ihren Frieden gefunden hatte und ihr Terror durch den Film „Happy Sally“ vorbei war, hatte er immer wieder diese seltsamen Träume. Meist träumte er von der Zwischenwelt, manchmal auch von damals, als seine kleine Schwester Christie noch gelebt hatte. Doch statt von ihr träumte er von Sally und meist bemerkte er es gar nicht erst. Aber jedes Mal, wenn sich der Traum dem Ende zuneigte, sprach Sally fast jedes Mal diese Worte. „Ich werde auf dich warten.“ Und auch wenn es keine Alpträume waren und er ehrlich gesagt froh darüber war, dass er zumindest nicht mehr vom Tod seiner kleinen Schwester träumte, machten ihm diese Träume mit Sally doch zu schaffen. Erst letzte Nacht hatte er von Christie geträumt, als er ihr kurz vor ihrem Tode eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte. Eigentlich wollte sie eine Lovecraftgeschichte hören, aber da sie noch viel zu klein für solche Sachen war, hatte er ihr stattdessen ein Märchen vorgelesen. Doch als er von seinem Buch wieder aufsah, war dort nicht mehr Christie, sondern Sally. Und sie sprach genauso mit derselben Stimme wie Christie. Dathan verstand die Welt nicht mehr und hatte bereits mit Jamie darüber gesprochen, der inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen worden war, nachdem Smiling Sam alias Samuel Leens ihn mit einem Messer attackiert hatte. Dieser hatte seitdem das Haus kaum noch verlassen und traute sich nur noch mit Dathan zusammen in die Öffentlichkeit. Selbst die Clubbesuche und Partynächste waren längst Geschichte. Außerdem besuchte er in der letzten Zeit immer häufiger Schulen für Kampfsport, um sich im Falle eines weiteren Angriffs selbst zu verteidigen. Von dem Terror, den Sally veranstaltet hatte, hatte er sich auch noch nicht erholt und daraufhin musste seine Tablettendosis erhöht werden, damit seine Psyche einigermaßen stabil blieb. Außerdem hatte er sich kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus das Rauchen angewöhnt und es schien nicht so, als wolle er es bald wieder aufgeben. Auch jetzt saß er auf der Terrasse, starrte in den Himmel und rauchte seine Lieblingsmarke „Vogue“. Dathan setzte sich neben ihn und fragte, wie es ihm denn so ginge. Jamie blies einen Rauchkringel aus und lächelte schwach. „Es ging schon mal besser, aber auch schon mal schlechter. Aber du siehst irgendwie nicht gut aus. Schon wieder einer dieser Träume?“

„Ja. Dieses Mal habe ich aber von der Zwischenwelt geträumt. Sally hat mir gesagt, dass sie auf mich warten werde, dass sie mir helfen werde und ich ihr vertrauen soll. Mir macht das echt auf Dauer zu schaffen.“

„Kein Wunder, denn du hast vor ein paar Wochen erfahren, dass Sally mit dir verwandt ist und sie eine ähnliche Geschichte erlebt hat wie du. Vielleicht hast du deshalb diese Träume, weil du unterbewusst den Wunsch verspürst, Sally eine Familie eine Familie zu geben und damit das, was ihr genauso genommen wurde wie dir. Sie hatte schwarzes Haar und rote Augen, genau wie du und deine kleine Schwester. Du solltest deinen Therapeuten aufsuchen und die Sache mit Christie noch einmal aufarbeiten, offenbar ist das noch nicht wirklich geklärt.“

„Ich weiß ja noch nicht einmal, was aus ihr geworden ist und ob sie glücklich ist. Irgendwie lässt mir das keine Ruhe.“

„Kann ich mir gut vorstellen. Sie erinnert dich sehr an dich selbst und an Christie. Da kommen viele Gefühle hoch. Aber ich bin mir sicher, dass es Sally gut geht. Wenn sie ins Jenseits übergegangen ist, ist sie wieder bei ihrer Familie und wenn sie wiedergeboren wurde, dann ist sie sicher ein ganz normales Mädchen und kann unbeschwert aufwachsen.“

„Aber was, wenn sie als Nekromant wiedergeboren wurde und sie eines Tages wieder einen Rachefeldzug startet? Was, wenn sie wieder so unglücklich wird wie in ihrem letzten Leben?“

„Dathan, du bist nicht der Messias und kannst nicht jedem Menschen helfen. Und wie willst du sie finden? Du hast getan, was in deiner Macht stand. Du hast unzählige Menschen gerettet, indem du das Sally-Syndrom aufgehalten hast und du konntest sie zur Vernunft bringen. Ich kann dich gut verstehen, aber trotz allem bist du ein Mensch und nicht allmächtig.“ Jamie drückte seine Zigarette aus und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Irgendwie war sein Blick sehr nachdenklich und melancholisch. Diesen Blick hatte er schon seit seiner Krankenhausentlassung und Dathan machte sich schon ein wenig Sorgen um ihn. Jamie wäre beinahe gestorben, hätte er Sam nicht abwehren und sich schließlich schwer verletzt im Badezimmer verbarrikadieren können. Dabei war Samuel Leens nur so geworden, weil er die negative Energie von Sally in sich aufgenommen hatte. Der Dämonologe hatte geglaubt, die Energie hätte sich verflüchtigt, doch letzten Endes hatte sie die Kontrolle über ihn erlangt und nun trachtete die dämonische Seite von Sally Jamie nach dem Leben. Sowohl er als auch Dathan hatten Angst, dass der Alptraum von neuem beginnen und Sally bald als das grausame Monster zurückkehren könnte, das sie bis vor kurzem noch gewesen war. Manchmal, wenn sie abends zusammen draußen saßen und den Sternenhimmel betrachteten, fragte Jamie „Wie viel Leid muss es noch auf dieser Welt geben, bis sich die Menschen endlich ändern?“ Und dann wiederum saß er oft am Klavier und spielte Stücke wie "Greensleeves", „Any Other Name“ von Thomas Newman oder „Requiem for a Dream“. Aber dann wiederum gab es auch wieder Momente, wo Jamies Melancholie wich und er wieder ganz der Alte war und einen Scherz nach den anderen machte. Diese hielten aber leider nur so lange an, bis die Wirkung des Antidepressivums nachließ. „Weißt du Dathan“, sagte er schließlich und sah seinen besten Freund mit nachdenklichem Blick an. „Seit dieser Sache mit Sally frage ich mich wirklich, warum es überhaupt Nekromanten gibt. Warum gibt es die Menschen überhaupt? Manchmal denke ich, dass der Mensch nichts anderes ist als ein Parasit. Eine Krankheit, die den Planeten befällt und zerstört. Vielleicht existieren die Nekromanten als natürliche Feinde. Die Menschen haben Angst vor ihnen und drängen sie quasi dazu, zu Mördern zu werden. Was wäre, wenn die Nekromanten im Grunde geboren werden, um die Menschen zu töten?“

„Du meinst so was wie bei Elfen Lied?“

„So in der Richtung. Ich meine, normalerweise geschieht doch nichts zufällig, oder?“

„Ich will über so etwas lieber nicht nachdenken. Wenn es wirklich so stimmt und ich aus dem Grund existiere, weil ich Menschen töten kann, dann dürfte ich eigentlich nicht weiterleben. Ich will auch keine Menschen töten, zumindest keine Unschuldigen. Okay ich geb zu, dass ich auch gerne wissen würde, warum ich diese Kraft besitze, aber ich habe auch Angst vor der Wahrheit.“ Der Himmel begann sich langsam zu verfinstern und in der Ferne war ein leises Donnern zu hören. Offenbar würde es am Abend ein Gewitter geben. Im Gegensatz zu Jamie liebte Dathan Gewitter, insbesondere den Regen. Da hatte er immer das Gefühl, als würde er alle seine Sorgen mit sich nehmen. Wieder donnerte es, dieses Mal ein wenig lauter und mit einem Male öffnete Himmel seine Schleusen und ein wahrer Platzregen setzte ein. Da ein Teil der Terrasse überdacht war, blieben die beiden trocken und eigentlich war es so ganz gemütlich, doch wenn Jamie eines nicht ausstehen konnte, dann waren es Gewitter und Regen. Er vertrug schon als kleiner Junge keine hohe Luftfeuchtigkeit und bekam Atemschwierigkeiten. Außerdem hasste er nichts mehr, als zu schwitzen. Um dem vorzubeugen, begann er sich mit einem Supermarktprospekt Luft zuzufächeln. „Mensch, den ganzen Tag ist es schon so schwül. Mrs. Landon sagt ja immer zum Scherz, dass es ein „Tauwetter für Dicke“ sei. Sehr witzig, dabei habe ich sowieso schon leichtes Untergewicht obwohl ich die ganze Zeit Süßgebäck esse.“ Dabei zog Jamie eine Schmollmiene und diese war so niedlich, dass Dathan lachen musste. Schließlich ging der von Narben entstellte Nekromant das Telefon holen und wollte zuerst seinen Therapeuten Dr. Laurie anrufen, aber Jamie riet ihm, es mal mit Dr. Worthsmith zu versuchen, bei welchem er selbst zurzeit in Behandlung war. Dieser betreute auch Traumaopfer und Patienten, die am Sally-Syndrom gelitten hatten. Vielleicht konnte dieser ihm besser helfen. Tatsächlich hatte Dr. Worthsmith am folgenden Tag noch einen Termin frei und vereinbarte mit Dathan, dass dieser um 15 Uhr kommen sollte. Na, hoffentlich half das auch. Es schadete ja nicht, einfach mal mit einem Psychologen zu reden und sich bestätigen zu lassen, dass man nicht völlig verrückt war.

„Da jetzt endlich wieder Ruhe eingekehrt ist“, sagte Jamie schließlich und sah seinen besten Freund mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an, „willst du nicht irgendwann wieder Kontakt zu Emily aufnehmen? Ich sehe dir doch an, dass du sie vermisst.“

„Daran hab ich ja auch schon gedacht, aber… ich weiß nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Ich meine, vielleicht hat sie ja inzwischen einen Neuen und das wäre mir wirklich unangenehm. Außerdem weiß ich nicht, ob sie nicht inzwischen Angst vor mir hat, weil ich meine Klassenkameraden umgebracht habe.“ Und außerdem wollte er Jamies Gefühle nicht noch mehr verletzen, denn er wusste, dass dieser ihn nach wie vor noch liebte. Doch Jamie hatte ihn bei sich aufgenommen, weil er für ihn da sein wollte. Wenn seine Liebe schon unerwidert blieb, wollte er ihm wenigstens als bester Freund beistehen. Dathan hatte schon ein schlechtes Gewissen dabei, dass er seinem besten Freund so auf der Tasche lag, aber im Moment blieb ihm kaum anderes übrig. Als Nekromant war er dazu verdammt, dass die Menschen Angst vor ihm hatten und mit diesem entstellten Gesicht würde er sowieso keinen Job finden, geschweige denn eine Ausbildungsstelle. Zwar hatte Jamie ihm angeboten, alles in die Wege zu leiten, damit er wieder ein ansehnliches Gesicht bekam, aber es würde doch sowieso nichts daran ändern. Und dann würde eines Tages wieder jemand kommen und ihn mit Säure attackieren. „Wenn ich ehrlich sein soll“, sagte Dathan manchmal „dann würde ich wirklich alles dafür geben, diese Gabe loszuwerden.“

„Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit. Ich hab da irgendwie gehört, dass die N.E.S.P.R. an einer Art Behandlung forscht, die Nekromanten ein normales Leben ermöglichen soll. Immerhin hatte es Samuel Leens geschafft, den größten Teil von Sallys Kraft in sich aufzunehmen und sie wieder normal zu machen. Wenn es ihnen tatsächlich gelingt, die negative Kraft der Nekromanten zu sammeln, könnten sie auch eines Tages dir helfen. Dann kannst du endlich ein normales Leben führen, ohne dass die Menschen Angst vor dir haben. Stell dir das mal vor!“ „Das wäre wirklich zu schön.“ Dathan schloss die Augen und schwelgte in wunderbaren Fantasien, wie es wohl wäre, ein normales Leben führen zu können. Er könnte vielleicht eines Tages Sozialarbeiter werden, oder sogar Erzieher. Wenn Jamie ihm tatsächlich die Gesichtsoperation ermöglichte, dann könnte er endlich wieder normal aussehen und wieder mit Emily zusammenkommen, wenn sie ihn noch wollte. Wie es wohl wäre, wenn sie tatsächlich eines Tages zusammenziehen würden? Jamie musste kichern, als er Dathans glücksseliges Lächeln sah. „Weißt du was? Ich werde sowieso demnächst nach Harvock fahren. Dann werde ich mich auch mal umhören, wie es Emily so geht.“

„Das kann ich doch nicht verlangen, besonders nicht von dir!“

„Schon gut. Ich will, dass du glücklich bist. Und ich weiß doch, dass das mit uns nichts wird. Du liebst Emily und du gehörst zu ihr.“ Es donnerte erneut und ein Blitz zuckte wie eine leuchtende Schlange am Himmel. Der Regen wurde zum gewaltigen Platzregen und als es auch noch zu hageln begann, entschieden sich die beiden, doch lieber ins Haus zu gehen und alle Türen und Fenster geschlossen zu lassen. Stattdessen setzte sich der Hausherr ans Klavier, Dathan setzte sich auf die Couch etwas weiter weg in der Nähe des Fernsehers und hörte ihm zu. „Als ich jünger war“, sagte Jamie schließlich „hab ich mir immer vorgestellt, wie toll es doch wäre, wenn du und Lydia ein Paar werden würdet. Sie hat dich wirklich sehr geliebt…“

„Ich weiß. Sie war auch meine erste Liebe… aber dann kamen Toby und seine Gang und haben alles kaputt gemacht.“

„Inzwischen sehen sie sich ja die Radieschen von unten an. Weißt du, als ich noch bei Dr. Schwarz in Therapie war, meinte er, dass meine Liebe zu dir gar nicht echt sei, sondern nur von meiner Persönlichkeitsstörung herrühre. Er sagte, dass ich gar nicht in der Lage wäre, Freundschaft und Liebe zu unterscheiden und dass ich beziehungsunfähig wäre. Nun, was das Letztere betrifft, muss ich zustimmen. Aber was den Rest betrifft, war Dr. Schwarz ein Arsch. Ich kann sehr wohl unterscheiden, welche Liebe krankhaft ist und welche nicht. Dr. Worthsmith ist da ganz anders. Ihm vertraue ich da mehr als diesem Hochstapler.“

„Ich dachte, du vertraust keinem Menschen.“

„Stimmt. Keinem außer dir und mir selbst.“ Als das Lied vorbei war, legte Jamie eine Zugabe ein, indem er noch „La Valse D’Amelie“ spielte. Schon damals liebte er es, Klavier zu spielen. Er und Lydia hatten zusammen Unterricht genommen, allerdings hatte seine Zwillingsschwester nie wirklich ein Händchen dafür gehabt. Sie war völlig unmusikalisch und liebte es stattdessen, ihm zuzuhören. Jamie hingegen war schon immer sehr musikalisch gewesen und spielte sowohl Klavier als auch Gitarre und Geige. Allerdings bevorzugte er mehr das Klavier, weil es für ihn am schönsten klang. Manchmal, wenn er die Augen schloss, konnte er Lydia sehen, wie sie neben ihm saß und fasziniert auf seine Hände sah, wie sie über die Tasten flogen. Das Licht spielte in ihrem goldblonden Haar und ihre blauen Augen funkelten wie Saphire. Doch jedes Mal, wenn er die Augen wieder öffnete, war der Platz neben ihm leer… und Lydia war nicht da. Sie würde nie wieder zurückkehren. Wirklich verrückt, dass der Tod seiner Zwillingsschwester ihm mehr zu schaffen machte, als der grausame Tod seiner Eltern. Insbesondere weil er seine eigenen Eltern getötet hatte und das auf besonders brutale Art und Weise. Nun ja, er hatte ja auch nie ein besonders gutes Verhältnis zu ihnen. Stattdessen hatte er sich immer an Lydia geklammert. Früher war sie immer für ihn da gewesen, bis sie vor seinen Augen vergewaltigt wurde und sich später das Leben nahm. Seine Eltern hatten ihn daraufhin im Stich gelassen, sein Pflegevater hatte sich an ihm vergangen. Seitdem hatte Jamie nie wieder Vertrauen zu irgendeinem Menschen außer Dathan gefasst. Erst Dr. Worthsmith hatte es geschafft, ihn wenigstens dazu zu bewegen, sich ihm ein wenig zu öffnen. Der Psychologe wusste auch, wie man mit einem so schwierigen und eigensinnigen Menschen wie Jamie umzugehen hatte. Er ging vorsichtig an sehr problematische Themen heran, fasste Jamie aber im Allgemeinen nicht mit Samthandschuhen und sagte ihm auch oft genug ganz klar, was Sache war. Und das schätzte Jamie an ihm. Er machte auch schon deutlich Fortschritte, seit er bei Dr. Worthsmith in Behandlung war und das machte ihm Mut, auch wenn er selbst wusste, dass er wohl noch einige Jahre auf psychologische Betreuung angewiesen war. Vielleicht sogar für den Rest seines Lebens, denn er konnte immer wieder rückfällig werden und in alte Verhaltensmuster zurückfallen, auch wenn er diese verdammten Psychopharmaka schluckte.

Das Unwetter wurde immer heftiger und es wurde so dunkel, dass sie die Lichter einschalten mussten. Um sich ein wenig abzulenken, setzten sie sich vor den Fernseher und schauten sich „Donnie Darko“ an. Doch schließlich fiel die Elektronik aus, eine Sicherung war rausgesprungen. Also blieb Jamie nichts anderes übrig, als nachzusehen. Dabei musste er am Fenster vorbei, welches zur Straße führte und wo er für gewöhnlich kurz rausschaute, wenn er daran vorbei ging. Und was ihm auffiel, war eine junge Frau, die da draußen stand. Sie sah recht jung aus, hatte schulterlanges blondes Haar und trug eine Nerdbrille. Älter als 24 war sie auf keinen Fall und in der einen Hand hielt sie einen Regenschirm, in der anderen so etwas wie einen Zettel. Abwechselnd sah sie zum Haus und auf den Zettel, scheinbar unsicher, ob sie richtig in der Adresse war. Jamie blieb kurz stehen und beobachtete sie. Die blonde junge Frau starrte eine Weile auf das Haus und schien sich nicht großartig daran zu stören, dass es in Strömen regnete. Irgendetwas an ihr war… seltsam. Er konnte nicht mit dem Finger darauf zeigen, doch es schien so, als würde etwas an ihr an Dathan erinnern. Sie hatte nichts Unheimliches an sich, dass man sich jetzt vor ihr fürchten musste und Jamie verspürte auch keine unerklärliche Angst vor ihr, aber trotzdem besaß sie eine Ausstrahlung, die ihn an Dathan erinnerte.

War diese Frau etwa auch eine Nekromantin? Jamie beobachtete sie noch eine Weile, dann drehte sich die junge Frau um, stieg in einen schwarzen BMW mit getönten Scheiben und fuhr davon. Das Nummernschild hatte er nicht erkennen können.

Ein verlockendes Angebot

Das Unwetter hatte einige Spuren hinterlassen: Zum Teil waren die Straßen geflutet und einige Autos hatten Schäden durch den schweren Hagel genommen. Die Windschutzscheibe des Fords der Familie Landon hatte ein großes Loch und das Dach hatte Dellen, der Truck des alten und verschrobenen Mr. Wickers hatte auch einige leichte Schäden. Da der Wagen der Landons in die Werkstatt musste und Mrs. Landon ihre Kinder noch in den Kindergarten bringen musste, lieh Jamie ihr sein Auto und sicherte ihr auch Unterstützung zu, solange der Wagen in Reparatur war. Die junge Mutter war für die Hilfe sehr dankbar und im Gegenzug half ihr Mann den beiden 18-jährigen, die Sicherungen zu reparieren, damit der Strom wieder lief. An diesem Tag war Jamie besonders gut drauf und während er den wöchentlichen Einkauf erledigte, kümmerte sich Dathan um den Haushalt. Als Erstes öffnete er den Briefkasten und fand neben den üblichen Rechnungen und Werbungen einen interessanten Brief der New England Society for Psychic Research. Er war an ihn gerichtet und neugierig öffnete er den Umschlag und las sich das Schreiben durch. Der Inhalt war recht sachlich gehalten und erinnerte tatsächlich zuerst an ein ganz normales Werbeschreiben, jedoch enthielt er etwas, was ihn aufhorchen ließ und ihm beinahe die Gesichtzüge entgleiten ließ. Man bot ihm eine Behandlung an, um ihn ein normales Leben zu ermöglichen. Es sei nach mehr als fünfzehn Jahren Forschung endlich eine Methode gefunden worden, um die negativen Energien aus den Körpern zu extrahieren und Nekromanten somit zu normalen Menschen zu machen. Dathan war so überwältigt von der Nachricht, dass er an gar nichts anderes mehr denken konnte. Es gab endlich Hoffnung. Es gab eine Möglichkeit, ihm zu helfen! Schließlich, um die Nachricht erst einmal zu verdauen, setzte er sich aufs Sofa und las sich den Brief immer und immer wieder durch. Zweifel waren ausgeschlossen, es stand eindeutig geschrieben, dass man Nekromantie heilen konnte. Aber wie war das möglich? Hatte man dank Samuel Leens endlich eine Möglichkeit gefunden, die negative Energie auf etwas anderes zu übertragen, oder sogar zu neutralisieren? Unzählige Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Fantasien von einer glücklichen Zukunft ohne diesen Fluch überfluteten seinen Geist. Er sah sich selbst, wie er mit Emily glücklich wurde und endlich eine Ausbildung machen konnte, nachdem er sein Gesicht operieren ließ. Niemand würde ihn anstarren, er könnte endlich diesen Mundschutz für immer ablegen und musste nie wieder Angst haben, dass die Leute ihn so heftig drangsalierten und tyrannisierten wie in der Schule. Er könnte endlich wieder lachen. An häusliche Tätigkeiten war vorerst nicht zu denken, Dathan war so von Glücksgefühlen erfüllt, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Also saß er da, bis Jamie mit den prall gefüllten Taschen zurückkam und sich erst mal wunderte, warum Dathan Tränen in den Augen hatte. Und kaum las er das Schreiben, da begann auch er zu weinen und umarmte seinen besten Freund stürmisch. „Mensch, das ist ja klasse, Dathan. Jetzt kannst du endlich ein normales Leben führen. Das müssen wir feiern!!!“ Und er setzte wirklich alles daran, den Tag gebührend zu feiern. Er fuhr noch mal los und holte Sekt, er kochte Dathans Lieblingsessen und lud schließlich die Landons zur Feier ein. Diese wussten selbstverständlich nichts von Dathans Fähigkeiten. Jamie erzählte ihnen einfach, dass eine Möglichkeit gefunden wurde, dass sein Freund ein ganz normales Leben führen konnte und dass er auch bald endlich eine Gesichtsoperation machen würde. Da die Landons inzwischen eine sehr freundschaftliche Bindung zu den beiden hatten, waren sie auch in Feierstimmung, besonders weil die Kinder Dathan sehr gerne hatten. „Und wenn die Behandlung bei mir anschlägt, dann will ich Pädagogik studieren und Sozialarbeiter oder Erzieher werden.“

„Das könnte ich mir auch gut bei dir vorstellen. Lilly und Colin fragen ja auch immer wieder, wann du wieder zum Babysitting vorbeikommst. Die beiden lieben dich.“

„Sie haben ja auch wirklich süße Kinder“, erwiderte Dathan und wurde vor Verlegenheit ein wenig rot. Er trug ausnahmsweise keinen Mundschutz, da er sich bei dieser Familie sicher sein konnte, dass sie ihn nicht einen Freak nannte oder sich vor seinem Aussehen fürchtete. Nun gut, ein wenig Angst hatten sie schon vor ihm, das war unvermeidbar aber zumindest gaben sie ihm nicht das Gefühl, er wäre ein Monster. Und somit waren sie die einzigen außer Emily und Jamie, denen er freiwillig sein Gesicht zeigte, ohne Angst haben zu müssen. Die Feier so sehr im Gange, dass Dathan beinahe seinen Termin bei Dr. Worthsmith verpasst hätte. Eigentlich wollte er den Termin lieber absagen, um mit Jamie und den Landons zu feiern, aber sein Freund überredete ihn, dass sie ja am Abend weiterfeiern könnten.

Mit einem glücklichen Strahlen im Gesicht legte der Nekromant seinen Mundschutz an und verabschiedete sich von den anderen. Schließlich setzte er sich in den Wagen und fuhr in Richtung Innenstadt, wo Dr. Worthsmith seine Praxis hatte.
 

Der Traumapsychologe, der sowohl in Harvard als auch in Princeton seine Auszeichnungen gesammelt hatte, war ein untersetzter Mann mit ergrauendem Haar, der ein wenig an den deutschen Fernsehpsychologen Bloch erinnerte. Er begrüßte Dathan mit einem kräftigen Händedruck und bat ihn, Platz zu nehmen. „Sie sind Dathan Lumis Kinsley, richtig?“

„Ja, Jamie Miller hat Sie mir empfohlen. Er ist selbst in Behandlung bei Ihnen.“ Mr. Worthsmith nickte, während er leise „hm“ murmelte, dabei blätterte er kurz sein Klemmbrett durch, dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und rückte seine Brille zurecht, die mehr wie eine Großvaterbrille aussah und ihn noch älter erscheinen ließ. „Sie leiden seit dem Tode einer Verwandten unter wiederkehrenden Alpträumen?“

„So ganz richtig ist das nicht. Es hat mit der Sally-Sache zu tun. Nun… es ist nicht ganz einfach zu erklären…. Mein Großvater hat mir erzählt, dass Sally eine Verwandte von mir war, die nie ihren Frieden gefunden hat. Sie hat ihre Familie sterben sehen und ist einen ziemlich einsamen und traurigen Tod gestorben. Und seit ich davon weiß, scheint sie mich jede Nacht heimzusuchen in meinen Träumen.“ Dathan versuchte, so überzeugend wie möglich zu klingen, da er den Anschein vermeiden wollte, dass er verrückt sei. Dr. Worthsmith nickte bedächtig und machte sich auf seinem Klemmbrett Notizen. Als der von Brandnarben entstellte Nekromant fertig war, merkte er selbst, wie bescheuert das alles eigentlich klang, was er da erzählte. Dieser Psychologe musste ihn doch für verrückt halten. Doch Dr. Worthsmith machte nicht den Anschein, als würde er so über ihn denken. Stattdessen legte er sein Klemmbrett beiseite und faltete die Hände. „Mir scheint, Mr. Kinsley, als würden die Träume daher herrühren, weil Sie sich mit dieser Sally identifizieren. Sie müssen wissen, dass Träume in Wirklichkeit nichts Weiteres als Bilder unseres Unterbewusstseins sind. Sie sind nicht an die Logik gebunden und können bizarr und verstörend sein. Dass Sie in Ihren Träumen statt Ihrer Schwester Sally sehen, rührt meines Erachtens daher, dass Sie in ihr ein Spiegelbild sehen. Sie produzieren Ihre negativen Erinnerungen auf das, was Ihnen am meisten geschmerzt hat: Der Verlust Ihrer kleinen Schwester. Und da Ihre Schwester zum Zentrum all Ihres Schmerzes wurde, hat Ihr Unterbewusstsein daraufhin das Bild von Sally auf Christie projiziert.“

Dathan schwieg eine Weile und dachte nach. Hatte der Psychologe Recht und sah sich er sich selbst unterbewusst als Sally, weil sie der gleiche Schmerz verband? „Aber warum sagt sie mir in meinen Träumen, dass sie mir helfen will und dass sie auf mich wartet? Ich habe das Gefühl, dass sie mir irgendetwas damit sagen will.“

„Welche Träume bleiben Ihnen am stärksten in Erinnerung?“

„Jene, in denen ich von der anderen Welt träume. Dort, wo es nichts gibt und wo ich mich nach meinem Kurztod gelandet bin. Meist ist Sally weit weg und ich kann sie nicht hören. Dann laufe ich ihr hinterher… und dann wache ich wieder auf.“ Dr. Worthsmith kratzte sich nachdenklich am Kinn und betrachtete Dathan eine Weile. Schließlich aber sagte er „Sie erinnern sich an den Moment, als Sie tot waren?“

„Ja, aber es ist schwierig zu beschreiben.“

„Versuchen Sie es.“

„Stellen Sie sich vor, Sie wären in einer schwerelosen Dunkelheit, Sie könnten weder etwas hören, sehen… alle Ihre Sinne sind ausgeschaltet. In dieser Welt könnten Sie noch nicht einmal sagen, ob Sie fallen, stehen oder schweben. Es ist ein sehr einsamer Zustand und es ist unheimlich. Aber dann hören Sie trotzdem eine Stimme, die Sie ruft. Sie ruft Sie in eine ganz bestimmte Richtung und diese Stimme klingt irgendwie vertraut, auch wenn Sie diese Stimme noch nie gehört haben. Es zieht Sie wie ein Magnet in diese Richtung und Sie können sich nicht dagegen wehren.“

„Und wo führt diese Stimme einen hin?“

„Auf die andere Seite, den Ort, den wir nicht kennen. Aber manchmal kann es sein, dass wir uns gegen diese Stimme wehren können. Manchmal hören wir stattdessen eine andere, die uns sagt „folge mir, wenn du leben willst“. Und wenn man dieser Stimme folgt, kehrt man zurück.“

„Und diese Stimme gehörte Sally?“ Dathan zuckte mit den Achseln, da er sich nicht ganz sicher war. Unruhig begann er mit einem Schlüsselanhänger zu spielen, der sich vom Ring gelöst hatte und sah sich im Raum um. Er sprach nicht gerne von dieser Welt, die er als „Zwischenwelt“ oder „Grenze“ bezeichnete. Diese Welt erfüllte ihn jedes Mal mit Angst und er fragte sich, ob diese Stimme, die nicht Sally gehörte, seine kleine Schwester auch auf die andere Seite gelockt hatte. Diese Stimme, die er in seinem Kopf gehört hatte. „Hatten Sie Angst vor dieser Stimme?“

„Ja…“

„Und warum?“

„Jeder Mensch hat Angst vor dem Tod. Es liegt in unserer Natur, das hab ich so gelernt. Denn wenn wir sterben, hören wir auf zu existieren. Der Tod bedeutet das Ende alledem, was wir uns aufgebaut haben. Alles, was uns ausgemacht hat, wird einfach verschwinden. Unsere Erinnerungen, unser ganzes Wesen…. Davor hatte ich Angst. Ich wollte noch nicht gehen, ich wollte nicht verschwinden, geschweige denn sterben.“ Dr. Worthsmith machte sich wieder Notizen auf seinem Klemmbrett und nickte verständnisvoll. „Die Angst vor dem Tod ist in der Tat völlig normal. Aber mir scheint so, als würde der Tod für Sie eine Bedrohung sein, ein Fluch…. Ich habe Ihre Körpersprache genau beobachtet. Kaum wird der Tod thematisiert, sinken Sie zusammen und können keinen Augenkontakt mehr halten, außerdem scheinen Sie sehr unruhig und nervös zu werden. Sie scheinen einige traumatische Erlebnisse gemacht zu haben.“ Dathan erkannte, dass der Psychologe wirklich sein Geld wert war und so vertraute er ihm seine Geschichte an. Angefangen von den Mordversuchen seiner Mitschüler in der Grundschule, die Entstellung mit Säure und den Mordanschlag auf seine Schwester, Cousine und seinen Schulkameraden und letztendlich seiner selbst. Dr. Worthsmith nickte zwischendurch, machte Notizen und sagte schließlich, als Dathan fertig war „Dafür, dass Sie in Ihrer Vergangenheit so viel erlebt haben, scheinen Sie mir sehr bodenständig zu sein. Ich habe schon viele Traumapatienten während meiner gesamten Laufbahn gehabt und für gewöhnlich zeigen sich diverse Krankheitsbilder und Störungen. Sie hingegen sind in meinen Augen völlig gesund bis auf die Tatsache, dass Sie ein gestörtes Verhältnis zu Ihren Mitmenschen haben. Durch diese vielen Enttäuschungen und negativen Erfahrungen haben Sie eine Angst davor entwickelt, von Ihren Mitmenschen verletzt zu werden, weshalb Sie sich daraufhin isolieren. Haben Sie bereits über psychologische Hilfe nachgedacht?“

„Ich bin bei einem Gesprächstherapeuten in Behandlung und besuche auch ein Mal im Monat eine Selbsthilfegruppe für Mobbingopfer.“

„Das ist auch sehr vernünftig. Bei wem sind Sie zurzeit in Behandlung?“

„Bei Dr. Laurie“ Bei dem Namen hob Dr. Worthsmith leicht eine Augenbraue, doch er sagte nichts. Stattdessen machte er sich weiter Notizen und bot Dathan an, dass er jederzeit wieder einen Termin machen könne. Auf das Angebot wollte Dathan gerne wieder zurückkommen und verabschiedete sich schließlich von Dr. Worthsmith, da die Sitzung nun vorbei war. Dathan ging ins Wartezimmer, wo er seine Jacke gelassen hatte und bemerkte dabei eine hübsche junge blonde Frau, die nicht älter als 24 Jahre sein konnte. Sie trug eine Brille mit dicken schwarzen Rahmen und einen Blazer. Sie war sehr elegant gekleidet und erinnerte an eine attraktive, junge Anwältin. Die junge Frau lächelte Dathan und fragte in einem französischen Akzent „Waren Sie gerade bei Dr. Worthsmith?“ Es war übrigens anzumerken, dass Dr. Worthsmith zusammen mit einem anderen Psychologen eine Art Gemeinschaftspraxis betrieb. Dathan nickte und erwiderte das Lächeln, vergaß aber, dass die hübsche junge Frau dies gar nicht sehen konnte, da er seinen Mundschutz trug. „Er ist wirklich ein guter Psychologe.“

„Sind Sie etwa das erste Mal bei ihm?“

„Ja, ein Freund hat mich an ihn weiterempfohlen.“

„Aha. Ich bin auf Empfehlung meines Bruders hier. Er hatte bis vor ein paar Wochen am Sally-Syndrom gelitten und ist total begeistert von ihm. Dr. Worthsmith ist wirklich ein guter Psychologe, der auch sehr gut mit Menschen umgehen kann, die anders sind als andere Menschen.“ Für einen Moment stutzte Dathan, als er diese letzten Worte dieser jungen Frau hörte. Was meinte sie denn mit „Menschen, die anders sind als andere Menschen“? Sprach sie damit etwa auf Nekromanten an? Nein Unsinn, wahrscheinlich war es was völlig anderes. Er musste sich irgendetwas eingebildet haben. Dathan lachte ein wenig unsicher und zog seine Jacke schließlich an. „Das macht eben einen guten Psychologen aus.“ Doch ihm entging nicht, dass diese blonde Frau ihn prüfend ansah und offenbar etwas Bestimmtes mit diesen Worten bezweckt hatte. Dathan fühlte sich verunsichert und wusste nicht, was er tun sollte. Schließlich aber versuchte er, seine Verunsicherung wegzulächeln und wünschte der jungen Frau noch einen schönen Tag. Sie erwiderte diese Höflichkeit auf eine einzigartige charmante Weise, jedoch ließ Dathan das Gefühl nicht los, als würde sie auf etwas lauern. Er verließ schnell das Wartezimmer und dann die Praxis. Inzwischen leuchtete die Nachmittagssonne und färbte den ganzen Himmel in leuchtende Herbstfarben. Es war sehr friedlich und schon hatte er die junge Frau mit dem französischen Akzent wieder vergessen. Er setzte sich in den Wagen und fuhr auf den schnellsten Weg nach Hause. Wenn sich das Wetter hielt, konnten sie ja auf der Terrasse feiern.

Als er wieder zuhause war, hatte Jamie mit den Vorbereitungen längst begonnen und schmückte gerade die Terrasse mit Lichterketten und hatte bereits Stühle, Tische, Getränke und Snacks organisiert. Er hatte sich auch richtig herausgeputzt und am liebsten hätte er sich als Frau verkleidet, einfach nur so aus Spaß, aber er verzichtete lieber darauf. Was sollten denn sonst die Nachbarn von ihm denken? Stürmisch umarmte er den Heimgekommenen und fragte ihn gleich, ob das Gespräch mit Dr. Worthsmith etwas gebracht hätte. Dathan erzählte ihm in Kurzform, was alles besprochen wurde und er spielte auch mit den Gedanken, in Zukunft bei dem Psychologen zu bleiben. „Finde ich eine gute Idee. Dr. Worthsmith ist echt klasse und bei ihm hatte ich bislang mehr Erfolg als bei meinem alten Therapeuten. Ach ja, irgendwie scheint sich endlich alles mal zum Positiven zu entwickeln. Du kannst endlich bald deine Gabe loswerden und dich operieren lassen und ich sehe dich endlich mal wieder strahlen. Mensch, da muss ich ja selbst gleich heulen.“ Und tatsächlich kamen ihm die Tränen als er sah, wie glücklich Dathan war. So lange hatte er darauf gewartet, bis er endlich seinen besten Freund wieder lachen sehen konnte. Und nun war es endlich geschehen. Dathan hatte jetzt endlich einen Grund, weshalb er wieder hoffen konnte. Es gab endlich einen Lichtblick, dass sich sein Schicksal doch noch zum Guten wenden könnte. Bald endlich würde er kein Nekromant mehr sein. Dazu musste er nur Kontakt zur N.E.S.P.R. aufnehmen und sich für die Behandlung melden. Allein der Gedanke daran machte ihn ganz aufgeregt und sein Herz schlug wie wild. Er konnte an gar nichts anderes mehr denken und Jamie musste ihn immer wieder beruhigen und von seiner siebten Wolke herunterholen. Schließlich trafen die Landons mit ihren Kindern ein und die richtige Feier konnte beginnen. Jamie war wohl in der größten Feierlaune und legte sogar eine Tanzeinlage ein. Lilly und Colin waren sofort dabei und zu dritt begannen sie den Gangnam Style zu tanzen. Mutter Liz und Vater Thomas lachten und applaudierten zusammen mit Dathan. Alles in allem war es eine echt tolle Feier und sie alle hatten viel Spaß. Schließlich, nachdem die Feier um 22 Uhr endete, schauten sich Dathan und Jamie noch ein paar Filme an. Darunter war auch ein niederländischer Horrorfilm mit dem Titel „The Human Centipede“, ein absoluter Fehlgriff, wie sich beide einig waren. Schon als der verrückte Chirurg erzählte, dass er drei Touristen so aneinandernähen wolle, dass sie an einem Tausendfüßler herankamen, schalteten sie aus. Immerhin bedeutete das, dass er die drei Arsch an Mund zusammennähen würde und kaum hatte Jamie das gehört, schaltete er sofort den DVD-Player aus und musste einen Brechreiz unterdrücken. Den Film hatten sie übrigens niemals zu Ende gesehen und sie wollten auch nie wieder einen niederländischen Film anrühren. Stattdessen suchten sie sich etwas Angenehmeres aus und entschieden sich für eine Komödie. Irgendwann, so gegen Mitternacht, schauten sie sich den letzten Film „Paranormal Activity“ an und dieser Film wirkte so langweilig und eintönig auf Jamie, dass er nach der ersten halben Stunde einschlief und leise vor sich hin schnarchte. Auch Dathan wurde müde, blieb aber noch eine ganze Weile wach, da er sich wenigstens noch das Ende anschauen wollte. Aber je länger er sich diesen Film mit dem Geist anschaute, desto mehr musste er auch an Sally denken und an seine Begegnung mit ihr. Bis heute hatte er ihre unendlich traurigen Augen nicht vergessen, die von so großem Leid zeugten. Zweihundert Jahre hatte sie in Einsamkeit verbracht und war immer mehr ihrem Hass und ihrem Schmerz verfallen. Sie hatte geglaubt, für sie gäbe es nichts mehr und dass sie endgültig alles verloren hätte. Und wie groß war ihre Freude gewesen, als sie erfahren hatte, dass es noch eine Familie gab. Wie glücklich war sie gewesen, als sie die kleine Zinnsoldatenfigur ihres Bruders in Händen gehalten hatte. Sally… wie es ihr wohl jetzt ging? Und während er über sie nachdachte, fielen seine Augenlider zu.
 

Als er seine Augen wieder öffnete, fand er sich in der Zwischenwelt wieder und er ahnte, dass er wieder träumte. Doch dieses Mal war es anders. Um ihn herum standen mehrere Schatten, die er nicht erkennen konnte. Sie hatten einen Kreis gebildet und schienen ihn anzustarren. Plötzlich tauchte neben ihm Sally auf. Sie stand einfach neben ihm und schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein. „Sally, was… was hat das zu bedeuten? Was geht hier vor?“

„Bald wird es endlich vorbei sein. Für uns alle.“

„Was meinst du damit?“

Sally sah zu ihm auf und ihr Blick hatte etwas Trauriges angenommen. Trotzdem war da auch etwas sehr Ernstes in ihr. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich der Kreis endlich schließt, und dann werden wir beide eine sehr schwere Entscheidung treffen müssen.“

„Sag mir doch bitte, was das zu bedeuten hat!“ Sally sah ihn mit ihren rubinroten Augen an, die traurig aber auch ernst waren. Sie nahm seine Hand und hielt sie fest. „Es wird etwas furchtbar Schlimmes passieren, Dathan. Und wenn es dazu kommt, darfst du nicht denselben Fehler machen wie ich.“ Sally schien ihm etwas Bestimmtes sagen zu wollen, aber anscheinend wollte sie nicht konkret werden. Stattdessen umarmte sie ihn fest und sagte „Vertrau mir einfach, dann wird alles gut.“ Dathan, immer noch ein wenig unsicher, was er tun sollte, erwiderte die Umarmung und spürte Sallys Herzschlag. Doch dann, mit einem Male, durchfuhr ihn ein plötzlicher Stich in der Brust. Sallys Umarmung wurde zu einer festen Umklammerung und sie drückte sich immer fester an ihn. Dathan versuchte daraufhin, sich von ihr zu befreien, aber das Mädchen hörte nicht auf. Sie presste sich mit solcher Kraft an ihn, als wolle sie ihn zerquetschen. Nein, sie wollte ihn nicht zerquetschen… sie schob sich langsam in ihn hinein. Nach und nach verschwand ihr Körper in seinen eigenen, als wolle sie mit ihm verschmelzen. Und dieser Vorgang war unsagbar schmerzhaft. „Sally… hör auf damit!!!“ schrie er und versuchte verzweifelt, sie von sich zu drücken, doch sie war bereits zur Hälfte in ihm verschwunden. Er bekam kaum Luft, seine Lunge fühlte sich an, als würde ein tonnenschweres Gewicht auf ihr lasten. Sein Innerstes schien regelrecht zerquetscht zu werden und die Schmerzen waren kaum noch zu ertragen. „Hab keine Angst, Dathan. Es ist gleich vorbei.“

„Geh aus meinem Körper raus, ich will das nicht. Bitte hör auf damit!!!“ Doch Sally hörte nicht auf ihn und schließlich war sie ganz in ihm verschwunden. In dem Moment wurde es vollständig schwarz um ihn herum.

Jeanne bittet um Hilfe

Dathan erwachte schlagartig und rang nach Luft, als drohe er zu ersticken. Er war schweißgebadet und seine Brust schmerzte, als würde sie sich verkrampfen. Großer Gott, was war das nur für ein Alptraum gewesen? Noch nie hatte Dathan so etwas in seinen Träumen erleben müssen und der Schreck saß ihm immer noch tief in den Knochen. Warum in aller Welt hatte er nur so etwas geträumt? Das Schlimmste war ja überhaupt, dass der Traum so lebhaft gewesen war, als wäre das wirklich passiert. Als wäre Sally tatsächlich in seinen Körper eingedrungen. Aber das war doch nicht wirklich passiert, oder? So etwas gab es nicht. Sally war nicht mehr da und sie würde auch nicht zurückkommen. Das war die Realität! Aber warum träumte er dann nur so etwas? Es schien so, als wolle sie ihm etwas Bestimmtes sagen. Was sagte sie noch gleich? Etwas sehr Schlimmes würde geschehen und sie beide würden eine schwere Entscheidung treffen müssen. Und er dürfe nicht den gleichen Fehler machen wie sie. Aber welchen Fehler? Etwa, dass er Unschuldige töten würde? Dass er seinen Zorn an der ganzen Welt ausließ? So etwas würde er doch niemals tun, egal was auch passieren würde und eigentlich wusste Sally das auch. Es musste etwas ganz Schreckliches sein, das noch auf ihn zukommen musste. Etwas, das seine ganze Welt erschüttern würde. Dathan, der die Nacht auf der Couch geschlafen hatte, setzte sich mit einem leicht verspannten Nacken auf und streckte sich erst einmal. Verdammt, wie lange hatte er eigentlich geschlafen? Er sah auf die Uhr an der Wand und stellte fest, dass es knapp zehn Uhr war. Jamie war schon längst nicht mehr da, da er inzwischen einen Halbtagsjob bei Mr. Reynolds dem Notar angenommen hatte. Der Alltag ohne sinnvolle Tätigkeiten war ihm tierisch auf den Keks gegangen und da die Sekretärin den Mutterschaftsurlaub angetreten hatte, arbeitete erals Vertretung. Dabei hätte er so etwas eigentlich nicht nötig, da er dank seiner Eltern ein paar hundert Millionen auf dem Konto hatte. Aber er hasste es, das Geld seiner Eltern anzurühren, denn dieses Geld war ihnen mehr wert gewesen als die eigenen Kinder. Und für den Reichtum hatten sie ihn und seine Schwester im Stich gelassen. Jamie hasste Geld allgemein. Er pflegte immer zu sagen „Geld bringt das Allerschlechteste im Menschen zum Vorschein. Für ein paar Blättchen bedrucktes Papier ist er bereit, seine Ehrlichkeit, seinen Körper, seine Seele, seine Moral und seinen Stolz zu verkaufen.“ Doch war es nun mal Tatsache, dass man ohne Geld auch nicht in dieser Welt überleben konnte. Und wenn Jamie etwas mehr verachtete als das Geld selbst, dann waren es die Menschen, die es mit vollen Händen ausgaben, in Saus und Braus lebten und auch noch Sprüche fallen ließen wie zum Beispiel „Eure Armut kotzt mich an.“ Und genau deshalb vermied er es auch, jemals so ein Bonze zu werden wie jene Individuen. Den einzigen Luxus, den er sich gönnte, waren das Haus und der Urlaub nach Frankreich, wo er im Sommer mit Dathan ein kleines Haus im toskanischen Stil in der Nähe eines großen Weinberges bewohnte. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass die Toskana wohl doch nichts für sie war, da das Klima dem hitzeempfindlichen Dathan nicht sonderlich gut bekam. Also verlegten sie ihren Urlaubstraum nach Frankreich und hielten wenigstens das Haus in besagtem Stil. Und schließlich hatten sie festgestellt, dass es eine wunderbare Idee war, Frankreich ausgewählt zu haben. Kurzum: Dathan war den halben Tag allein und musste sehen, wie er sich beschäftigte. Und da fiel ihm auch schon etwas ein: Die N.E.S.P.R. Er wollte sich doch für diese Behandlung melden, die ihm ein normales Leben ermöglichen sollte. Am besten rief er jetzt gleich an, damit er so schnell wie möglich einen Termin bekam. Dathan griff schon nach dem Telefon, doch bevor er dazu kam, die Nummer anzurufen, klingelte jemand an der Tür. „Einen Moment!“ rief er und legte hastig seinen Mundschutz an, bevor er zur Haustür ging.

Als er sie öffnete, glaubte er nicht richtig zu sehen, denn vor ihm stand die junge blonde Frau mit dem französischen Akzent, die er im Wartezimmer von Dr. Worthsmith getroffen hatte. Sie hatte eine Tasche bei sich und lächelte ihn freundlich an. „Entschuldigen Sie die Störung, aber sind Sie vielleicht Dathan Lumis Kinsley?“

„Wer will das wissen?“ fragte er misstrauisch und hielt sich an der Tür fest, um sie im Notfall sofort zu schließen. Die Französin stellte sich als Jeanne Pascale Nightingale vor und erklärte, dass sie eine Bekannte von Emily, Dathans Ex-Freundin sei. Als Dathan Emilys Namen hörte, entspannte er sich ein wenig und er bat die Französin, einzutreten. „Es ist doch okay, wenn wir uns duzen?“

„Na klar. Sag mal, woher kennst du Emily? Wie geht es ihr und was macht sie gerade?“ Jeanne setzte sich auf die Couch und ließ sich von Dathan ein Glas Wasser bringen. „Emily und ich gehen auf dieselbe Uni und ich hab ihr ab und zu mal Nachhilfe gegeben. Dabei hat sie fast ausschließlich von dir gesprochen und ich wollte dich dann endlich mal persönlich kennen lernen.“ Jeanne war wirklich hübsch, wirkte aber aufgrund der Tatsache, dass sie sehr elegant gekleidet war. Nicht gerade wie eine Studentin, sondern mehr wie eine Rechtsanwältin ohne Minirock. „Emily hat von mir gesprochen? Was hat sie denn gesagt?“

„Sie hat erzählt, dass du der wohl liebenswerteste Mensch bist, den sie kennt und dass du trotz deines Furcht erregenden Aussehens ein Herz aus Gold hast. Sie erzählte auch von dem tragischen Vorfall, bei dem deine kleine Schwester, dein Schulfreund und deine Cousine ums Leben kamen. Mein Beileid, das muss wirklich schlimm gewesen sein.“

„Hat sie… sonst noch etwas erwähnt?“ Dathan fürchtete, dass Emily vielleicht erzählt haben könnte, dass er für den Tod seiner 30 Mitschüler verantwortlich war. Da Jeanne aber diese Frage verneinte, atmete er erleichtert auf. „Emily hat mir außerdem noch etwas Interessantes gesagt“, fuhr die Französin schließlich fort und wieder krampfte sich sein Magen vor Nervosität zusammen, da er Angst hatte, dass sie es doch ausgeplaudert hatte. „Emily erzählte, dass du dich von ihr verabschiedet hast und kurz darauf bekam sie Besuch von der Polizei. Und diese sagte, dass du mausetot bist. Und trotzdem bist du quicklebendig. Das hat ihr schon ziemlich zu schaffen und mich ein klein wenig neugierig gemacht und daraufhin hab ich ein wenig recherchiert. Kann es sein, dass du ein Nekromant bist?“ Dathan wurde blass und starrte hübsche blonde Frau fassungslos an. Woher zum Teufel wusste sie von den Nekromanten und wieso konfrontierte sie ihn damit? Wollte sie ihn in die Enge treiben und ihn bedrohen? Unmerklich verkrallten sich seine Hände in die Sessellehnen und er starrte Jeanne mit seinen rubinroten Augen an. Doch zu seinem Erstaunen schien die Französin sich überhaupt nicht vor ihm zu fürchten. Im Gegenteil: sie war es, die ihm Angst machte. „Warum erzählst du mir das?“

„Ich kenne mich sehr gut mit Nekromanten aus. Die Parapsychologie war schon immer ein großes Hobby von mir gewesen, was ich hauptsächlich meinem Bruder zu verdanken habe. Weißt du, mein Bruder ist auch ein Nekromant.“

„Wie bitte?“

„Jacques mein jüngerer Bruder ist als Nekromant zur Welt gekommen. Deshalb habe ich auch im Gegensatz zu den meisten Menschen keine Angst vor euch.“

„Und warum bist du zu mir gekommen?“

„Weil mein Bruder verschwunden ist. Er wollte sich für die Behandlung melden, die die N.E.S.P.R. anbietet und seitdem haben wir nie wieder ein Lebenszeichen von ihm erhalten. Aber der Grund, warum ich ausgerechnet zu dir komme, ist der hier.“ Jeanne holte einen Skizzenblock aus ihrer Tasche und reichte ihn Dathan. Dieser sah sich die mit Bleistift erstellten Zeichnungen an. Und was er sah, erschreckte ihn: Dieser Junge hatte fast haargenau seine eigenen Träume aufgezeichnet. Die Begegnungen mit Sally, sogar ihn hatte er gezeichnet und seine kleine Schwester Christie. Verwirrt sah Dathan die Studentin an und verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. „Seit Sallys Terror vorbei ist, erscheint sie sämtlichen Nekromanten in deren Träumen. Und du kommst auch darin vor. Sogar ich habe Sally getroffen, obwohl ich eigentlich keine Nekromantin in dem Sinne bin. Ich bin nämlich anders als ihr.“ Sally erschien also nicht nur ihm, sondern allen Nekromanten? Dann hatte sie also tatsächlich ihre Finger im Spiel, aber warum tat sie das? Was hatte das alles zu bedeuten? „Und was hat das mit dem Verschwinden deines Bruders zu tun? Könnte er nicht einfach weggelaufen sein?“

„Jacques war bei der N.E.S.P.R. und kam nie wieder zurück. Ich habe auch zuerst gedacht, dass er vielleicht entführt worden, oder dass er weggelaufen wäre. Aber ich habe schließlich erfahren, dass noch andere Nekromanten spurlos verschwunden sind. Und sie wollten sich alle behandeln lassen. Ich habe bereits alles versucht, um Kontakt zu Jacques aufzunehmen, aber diese Leute wimmeln mich immer ab und lassen mich nicht zu ihm. Sie wollen weder mir noch meinen Eltern Auskunft erteilen und ich bin mir sicher, dass sie ihn aus irgendeinem Grund gefangen halten.“

„Und warum geht ihr nicht zur Polizei?“

„Du müsstest die Antwort doch bereits kennen. Die Polizei hilft Nekromanten nicht. Sie haben genau wie die anderen Menschen Angst vor ihnen und ihnen ist es doch Recht, wenn die Nekromanten verschwinden. Deshalb besteht meine einzige Hoffnung darin, einen Nekromanten um Hilfe zu bitten. Und da du bereits mit Sally fertig geworden bist, dachte ich, dass du mir helfen könntest, die anderen Nekromanten zu befreien. Du hast doch die Fähigkeiten dazu.“ Damit sprach sie offenbar auf seine Kraft an, mit der er seine Mitschüler beseitigt hatte, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Doch er schüttelte den Kopf und sagte „Wenn du ebenfalls ein Nekromant bist, könntest du es doch selbst tun.“

„Würde ich ja, wenn ich könnte“ rief Jeanne plötzlich und sprang auf. „Aber ich bin nicht wie du. Ich bin keine Nekromantin in dem Sinne und verfüge nicht über diese Kraft.“

„Und warum nicht?“

„Weil ich nicht als Nekromantin geboren wurde. Bis zu meinem Tode war ich ein ganz normaler Mensch, bis ich vor knapp eineinhalb Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Es hat stark geregnet und ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Dabei bin ich auf die Straße gerannt und ein Bus hat mich überfahren. Doch dann habe ich auf der anderen Seite eine Stimme gehört die mir gesagt hat, dass sie mir die Kraft geben würde, um zurückzukehren. Ich konnte zwar zurückkehren, aber trotzdem verfüge ich nicht über dieselben Fähigkeiten wie du und die anderen! Streng genommen bin ich also keine richtige Nekromantin.“ Als Jeanne ihre Geschichte erzählte, beruhigte sie sich wieder ein wenig und setzte sich wieder hin. Eine Weile lang schwieg sie betrübt und begann ihre Brillengläser zu putzen. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich auch alleine gehen und meinen Bruder und die anderen retten. Aber ich kann es nun mal nicht, deshalb brauche ich deine Hilfe.“ Wieder trat betretenes Schweigen ein und Dathan sah Jeanne nachdenklich an. Sie war wirklich in Sorge um ihren Bruder und auch verzweifelt. Sie wusste, was es bedeutete, ein Nekromant zu sein und dass ihr sonst niemand helfen würde. Doch das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass Dathan sich so viel Hoffnung gemacht hatte, endlich geheilt zu werden und jetzt sollte dies alles eine hinterhältige Falle sein? Aber was wollte die N.E.S.P.R. von den Nekromanten denn schon? „Warum sollten diese Leute Nekromanten gefangen halten?“

„Erinnerst du dich an den Smiling Sam Killer, der Sallys Kraft in sich trug? Eines Tages verschwand er auch spurlos und ich vermute, dass die N.E.S.P.R. auch dabei ihre Finger im Spiel hat. Ich bin mir sicher, dass sie die Kräfte der Nekromanten für eigene Zwecke nutzen wollen.“

„Aber wieso haben sie dann nicht schon längst Sally geschnappt? Sie war doch stärker als jeder andere.“

„Das weiß ich auch nicht. Vielleicht war sie zu stark und zu unberechenbar. Außerdem besaß sie keinen festen Körper mehr und war damit kaum angreifbar. Aber da Smiling Sam einen Großteil ihrer Kraft in sich aufgenommen hat, können sie endlich an sie heran. Und vielleicht haben sie die Nekromanten gefangen genommen, weil sie alle Kräfte bündeln wollen, um eine neue Sally zu schaffen. Überlege doch mal: Dann wären die wirkenden Kräfte unvorstellbar, es wäre die perfekte Waffe. Und wer den Tod kontrolliert, der beherrscht auch das Leben.“ Dathan sagte nichts. Er verfiel in ein betrübtes Schweigen und sah aus, als würde er gleich in Depressionen versinken. Mit einem Male sah er all seine Hoffnung schwinden, dass er jemals ein normales Leben führen konnte. Vorhin noch hatte er gedacht, dass sich alles zum Guten wenden würde und er dank der Behandlung ein ganz normaler Mensch werden würde. Und jetzt erfuhr er gerade, dass dies nur ein Riesenschwindel war. Eine gemeine, hinterhältige Falle um verzweifelte Nekromanten zu entführen und irgendwo einzusperren. Es gab also doch keine Hoffnung für ihn, keine Aussichten auf ein normales Leben. „Dathan?“ fragte Jeanne vorsichtig und sah mit Besorgnis, wie schlecht es ihm gerade ging. Als er dann auch noch in Tränen ausbrach, ging sie zu ihm hin und versuchte ihn zu trösten. „Es tut mir wirklich Leid, ich wollte dich nicht verletzen.“

Die Haustür wurde geöffnet und Jamie kam herein. Er trug eine enge lange Jeans, schwarze Pumps und ein lilaweißgestreiftes Shirt und dazu eine Handtasche, mit der er mehr wie eine Frau als ein Mann aussah. Dies war wohl der allerschlechteste Zeitpunkt für ihn, ausgerechnet jetzt nach Hause zu kommen. Denn was er sah, weckte die rasende Eifersucht in ihm. „Was ist denn hier los?“ rief er und kam mit energischen Schritten ins Wohnzimmer gestürmt. „Dathan, wer ist sie und was hat das denn bitteschön zu bedeuten?“

„Jamie, jetzt beruhige dich mal“, rief Dathan und distanzierte sich sofort von Jeanne. „Sie ist hier, weil sie meine Hilfe braucht.“

„Ja, das sehe ich! Dieses… diese Person scheint sich ja richtig an dich ranzuschmeißen. Ich dachte, du liebst Emily!“ Jeanne brauchte den Hausbewohner nicht zu kennen, um sofort zu merken, dass da die Eifersucht sprach und hätte sie nicht eindeutig gehört, dass Jamie mit einer maskulinen Stimme redete, hätte sie ihn tatsächlich für Dathans Freundin oder Mitbewohnerin gehalten. Aber dann begriff sie, wieso da die Eifersucht aus ihm sprach (das sagte ihre Menschenkenntnis). „Entschuldige bitte, ich wollte hier keinen Streit vom Zaun brechen. Mein Name ist Jeanne Pascale Nightingale und ich habe deinen Freund Dathan aufgesucht, weil ich seine Hilfe brauche, um meinen kleinen Bruder zu retten.“ Jeanne versuchte die Wogen zu glätten und erklärte dem Eifersüchtigen ganz in Ruhe, weshalb sie hier war und welchen Verdacht sie gegen die N.E.S.P.R. steckte. Der Nekromant beobachtete, wie sie geschickt mit den Händen gestikulierte, während sie in einer perfekten Tonart redete. Sie bemühte sich, nicht den Eindruck zu erwecken, als würde sie sich ertappt fühlen, oder als wolle sie Jamie um den Finger wickeln. Dazu war er viel zu clever und hatte zu viel erlebt. Aber die Französin hatte offenbar ein angeborenes Feingefühl für solche Leute. Jamie entspannte schon etwas und sein Blick nahm an Härte ab. Sie schien ihn von ihren Absichten überzeugt zu haben. Und als sie von ihrem Bruder erzählte, den sie retten musste, da hatte sie das Eis endgültig gebrochen. Ob sie es nun wusste oder nicht, sie hatte bei Jamie einen empfindlichen Nerv getroffen, weil er damals seine geliebte Zwillingsschwester Lydia verloren hatte. Geschwisterliebe war etwas, das viele unterschiedliche Menschen miteinander verband, ebenso wie eine schwere Vergangenheit. Schließlich setzten sie sich alle drei zusammen hin und tranken Tee. Jeanne, die sich langsam mit den anderen bekannt machen wollte, begann aus ihrem Leben zu erzählen. Es stellte sich heraus, dass sie ein sehr geregeltes und normales Leben geführt hatte. Sie war in Frankreich zusammen mit ihrem Bruder und ihrer allein erziehenden Mutter in Montmartre aufgewachsen und hatte schon damals gerne Anwältin werden wollen. Doch dann, bei einer Reise nach Kalifornien, lernte ihre Mutter einen Mann kennen und beschloss, in Amerika zu bleiben. Von da an war es mit Jeanne bergab gegangen. Sie hatte sich nie wirklich „akklimatisieren“ können. Dieses Land war ihr fremd, genauso wie seine Kultur, sein Rassismus, sein Fastfood und seine Lightprodukte. Jeanne entwickelte im Laufe der Zeit eine wachsende Abneigung gegen Amerika, hatte aber nur ihrem kleinen Bruder Jacques davon erzählt. Dieser hatte sie verstanden, denn auch ihm ging es nicht gut. Er wurde von den anderen Kindern gemieden und gemobbt. Dabei hatten sich die Kinder in Montmartre niemals so feindselig ihm gegenüber verhalten. Ihre Mutter war blind vor Liebe und scherte sich nicht um den Kummer ihrer Kinder. Jeanne konnte ihr das nicht verzeihen und hatte ihrem Bruder versprochen, ihn mit zurück nach Frankreich zu nehmen, wenn sie erst einmal Anwältin war. Und sie war es auch, die die Idee hatte, ihn zur N.E.S.P.R. zu schicken, damit sie ein geregeltes Leben führen konnte. Aber dann passierte so vieles. Sie erlitt einen tödlichen Autounfall, erwachte aber wieder zum Leben, weil sie dem Ruf einer Stimme gefolgt war und dann verschwand Jacques und wurde offensichtlich von diesen Parapsychologieforschern festgehalten. Und nun suchte sie verzweifelt nach irgendeiner Möglichkeit, ihren Bruder und die anderen Nekromanten zu retten. „Ich weiß, dass ich wirklich viel verlange, aber du musst doch auch wissen, wie es ist, jemanden aus der Familie zu verlieren, den du so sehr liebst.“ Dathan wandte den Blick ab, er sah unglücklich und traurig aus. Er schwieg und sah wirklich mitleiderregend aus. Jeanne schwieg ein wenig betroffen und schien ein schlechtes Gewissen zu haben, da er nun so traurig aussah. Schließlich murmelte sie „Es tut mir Leid, ich wollte keine Wunden aufreißen.“

„Schon gut, du kannst nichts dafür.“

„Weißt du, ich habe sehr lange nachgedacht und mich gefragt, warum wir in Montmartre normal leben konnten und in Amerika solch schlimme Zeiten durchleben mussten. Ich habe mich sehr intensiv mit der Nekromantie beschäftigt und mir ist aufgefallen, dass besonders die Nekromanten in Amerika kein geregeltes Leben führen können. Ich glaube, es liegt an der Mentalität.“

„Wie meinst du das?“ fragte Jamie, der nun neugierig geworden war, denn er wusste nicht sehr viel über die Nekromanten und er war für jede neue Information dankbar. Jeanne räusperte sich und begann von ihrer Theorie zu erzählen. „Amerika ist ein Land, in dem die Angst vorherrscht. Die Medien hetzen das Volk auf, die Menschen schießen sich gegenseitig tot und manche haben sogar Angst vor den Nachbarn, die sie nicht kennen. Wer sich dem Grundstück nähert, wird erschossen. Wir in Montmartre haben sogar unsere Haustüren offen gelassen, weil wir wussten, dass jeder Nachbar auf den anderen guckt und aufpasst. Zwar fanden manche Leute meinen Bruder etwas seltsam, aber sie haben ihn nie so grausam behandelt, oder sich wirklich vor ihm gefürchtet. Ich denke, Amerika ist Schuld an allem. Schuld daran, dass so viele Menschen völlig sinnlos sterben und Nekromanten ein solch grausames Schicksal erleiden müssen. Auch das ist ein Grund, warum ich Amerika hasse. Ich verachte diese realitätsfremde Paranoia, das Essen und die niveaulose Kultur, die Geschmacklosigkeit der Medien und die Niveaulosigkeit. Nur durch meine Schuld ist mein Bruder jetzt in Gefahr und wenn ich ihn nicht da raushole, kann ich mich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen. All das hätte nicht passieren müssen, wenn wir in Montmartre geblieben wären.“ Während Jeanne gesprochen hatte, war sie zwischendurch wieder in ihre Muttersprache zurückverfallen, woraufhin sie dann aber wieder Englisch sprach. Jamie fiel dabei auf, dass sie für kurze Momente sogar akzentfrei sprach. Als er sie fragte, ob sie tatsächlich vollständig akzentfrei Englisch sprechen könne, bestätigte sie dies und ergänzte zudem, dass sie auch fließend Spanisch und Deutsch sprechen konnte und auch einen Kurs in Chinesisch besuche. Aber da sie sich gegen das Leben in Amerika auflehnte, sprach sie absichtlich mit französischem Akzent, weil sie stolz auf ihre Herkunft war. Und es war ihre Art des stillen Protestes. Schließlich, als sie genug über sich und ihr Elend bezüglich ihres Lebens in Amerika erzählt hatte, kramte sie in ihrer Tasche und holte mehrere Unterlagen heraus und legte sie auf den Tisch. „Ich bin natürlich nicht untätig geblieben und habe ziemlich viel Informationsmaterial über die N.E.S.P.R. und ihre beiden Gründer gesammelt. Wenn man schon nicht stark genug ist, dann wenigstens gut informiert. Also, diese Organisation wurde von den berühmten Parapsychologen Ed und Lorraine Warren gegründet. Ed war der einzige Dämonologe, der von der Kirche anerkannt war und der auch schon selbst einen Exorzismus durchgeführt hat. Lorraine ist Medium.“

„Die Namen kenn ich irgendwo her“, sagte Jamie schließlich und sah sehr interessiert aus. „Gibt es da nicht diesen Film im Kino?“

„Ja, der Fall Perron beruht auf wahren Begebenheiten. Sie haben auch das Haus von Amityville und die besessene Puppe Annabelle untersucht. Ed ist schon 2006 verstorben, aber Lorraine lebt noch, irgendwo in Connecticut. Ihre Organisation war damals nicht mehr als eine Art Studentengruppe auf Geisterjagd. Inzwischen aber sind diese ehemaligen Studenten in Ed und Lorraines Fußstapfen getreten und untersuchen unzählige paranormale Phänomene. Es gibt offiziell keinerlei Hinweise darauf, dass die Organisation kriminell veranlagt sein könnte. Das Einzige, was ich nur finden konnte, waren die üblichen Kritiken über Betrügereien und realitätsfremder Pseudowissenschaft. Entweder wissen diese Schweine, wie man sich gut tarnt, oder die Entführung der Nekromanten ist ihre Ersttat.“

„Hast du schon mal versucht, mit Lorraine Warren Kontakt aufzunehmen?“ fragte Dathan schließlich, dem die ganze Sache immer noch schwer im Magen lag und der kaum glauben konnte, dass das alles wirklich passierte. Bedauernd schüttelte Jeanne den Kopf. „Ich habe es wirklich versucht, aber ich konnte sie nirgends finden. Ich bin sogar nach Connecticut gereist und habe überall nachgefragt. Aber keiner wusste etwas, oder wollte es zumindest nicht wissen. Ich habe wirklich schon alles versucht.“

Die beiden Freunde tauschten einander nachdenkliche Blicke aus und schienen wieder stumme Dialoge zu halten, in denen sie sich fragten, ob sie das wirklich tun und Jeanne helfen sollten. Jamie schien noch leise Zweifel zu hegen, doch Dathans Entschluss stand bereits fest. Wenn Nekromanten in Gefahr waren, würde er selbstverständlich helfen. Schließlich seufzte Jamie und gab sich geschlagen. „Gut, dann werden wir sehen, was wir tun können. Zuerst sollten wir Lorraine Warren finden. Ich glaube irgendwie nicht, dass sie da großartig mit in der Sache drin steckt, doch da sie diese Organisation ins Leben gerufen hat, sollte sie noch genug Einfluss besitzen.“

„Aber nur unter der Bedingung“, warf Dathan ein „dass wir ihr so lange nichts tun, bis sich herausstellt, dass sie tatsächlich diese Sache in die Wege geleitet hat. Ich will keine Unschuldigen mit reinziehen.“ Damit war es beschlossene Sache und gemeinsam würden sie Kinder retten.

Liebe, Tränen und blaue Flecken

Es dauerte fast eine Woche, in der sich nichts Besonderes tat. Jeanne kam immer häufiger zu Besuch, da sie es zuhause nicht aushielt, weil ihr Stiefvater sie wieder angeschrieen hatte und es heftigen Streit gab. Sie sprach viel mit Dathan über die Nekromantie, aber ihm entging nicht, dass Jeanne sich trotzdem lieber an Jamie hielt und ihn immer wieder heimlich aus den Augenwinkeln betrachtete. Sie war trotzdem relativ distanziert ihm gegenüber, weil sie wohl spürte, dass er immer noch Misstrauen gegen sie hegte. Doch irgendwie schaffte es Jeanne mit ihrer ehrlichen und zugleich sehr einfühlsamen Art, Jamies Vertrauen zu gewinnen. Jeanne schien mit jeder Situation souverän umgehen zu können und während dieser Woche lernten Jamie und Dathan sie als eine sehr entschlossene und entschlussfreudige Person kennen. Schließlich aber, als es ein besonders stürmischer Tag war und es in Strömen regnete, kam es zum ersten Zwischenfall. Jeanne stand völlig durchnässt und verweint vor der Tür und hatte eine Tasche bei sich. Ihr Make-up war völlig verlaufen und ihre linke Wange war angeschwollen. Man musste kein Arzt sein um zu sehen, was ihr passiert war. „Tut mir Leid, dass ich euch so überfalle, aber kann ich vielleicht erst mal hier bleiben, zumindest bis ich ein Hotelzimmer habe?“ Dathan und Jamie brachten sie erst einmal ins Trockene und versicherten ihr, sie könne so lange bleiben, wie sie wollte, doch sie bekam kaum etwas davon mit. Sie war so aufgewühlt, dass sie kaum etwas davon hörte und das Wasser tropfte regelrecht von ihren Haaren. Jamie eilte ins Bad und holte Handtücher, Dathan nahm ihr die Tasche ab und wollte sie an der Schulter sanft zum Sofa führen, doch da zog Jeanne vor Schmerz ihr Gesicht zusammen. „Jeanne, wer hat dir das angetan?“ Doch sie schüttelte nur heftig den Kopf und sagte nur „Es ist nichts, schon okay. Ich bin selbst Schuld gewesen.“ Dathan hatte darüber schon öfter mal gehört und konnte allein aus diesem Verhalten zwei mögliche Schlüsse ziehen. Entweder war Jeannes Freund gewalttätig oder aber einer ihrer nächsten Verwandten. Oft kam es vor, dass die Opfer versuchten, ihre Peiniger zu schützen. Jeanne versuchte mit zitternden Händen, sich mit einem Taschentuch das verschmierte Make-up aus dem Gesicht zu entfernen. „Tut mir Leid, dass ich solche Umstände mache. Aber ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte. Emily ist krank und meine Verwandten leben alle in Paris. Und auf die Schnelle hab ich kein Zimmer gefunden. Ich bin morgen sofort wieder weg.“

„Jetzt krieg dich doch mal ein und sei vernünftig“, rief Jamie und reichte ihr ein Handtuch, damit sie wenigstens ihre Haare trocknen konnte. „Du kannst ja dem Weihnachtsmann erzählen, dass alles in Ordnung ist, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Dir ist etwas passiert, worüber du nicht reden willst. Gut ich respektiere das. Aber keiner von uns drängt dich dazu, auf der Straße zu schlafen oder zurückzugehen. Komm, geh erst mal ins Bad. Ich such dir mal was zum Anziehen raus.“ Jeanne nickte schluchzend und ging ins Bad. Schon während sie ihre Jacke auszog und ihre nackten Arme enthüllte, sah Dathan einen großen blauen Fleck am Oberarm. Er wusste, dass sich Hämatome meist erst an nächsten oder übernächsten Tag bildeten. Aber so wie der aussah, musste er knapp drei oder vier Tage alt sein. Kurzerhand folgte Jamie ihr ins Bad und begann im Schrank zu suchen, dann holte er eine Salbe raus und reichte sie ihr. „Die kannst du ruhig benutzen. Die hilft gegen Schwellungen und Verletzungen durch stumpfe Gegenstände. Hilft auch, blaue Flecken vorzubeugen… ich lasse dich besser alleine. Die Sachen lege ich dir nachher vor die Tür.“ Doch da ergriff Jeanne seine Hand und hielt sie fest. Jamie sah sie lange schweigend an und wartete, dass sie etwas sagen würde, doch Jeanne weinte nur und konnte ihm nicht in die Augen sehen. Schließlich aber sagte sie „Ich kann nicht mehr nach Hause zurück. Ich ertrage das nicht mehr…“

„Schon in Ordnung, ich verstehe das.“ Damit verließ Jamie das Badezimmer, schloss die Tür hinter sich und begann damit, Jeannes Koffer zu öffnen, um ihr Sachen auszusuchen. Doch das Problem war, dass dieser nicht wasserdicht war und wirklich alles war bereits durchnässt. „So wie es aussieht, hat sie eine ganze Weile im Regen gestanden, bis sie zu uns gekommen ist. Am Besten ist, ich suche ihr was von meinen Klamotten raus.“ Jamie ging die Wendeltreppe nach oben, blieb aber kurz stehen, als Dathan ihm zurief „Danke“.

„Wofür bedankst du dich?“

„Dass du ihr hilfst. Ich hatte zuerst gedacht, du kannst sie nicht ausstehen.“

„Sie ist in Ordnung. Aber selbst wenn ich sie nicht leiden könnte, würde ich sie aufnehmen. Auch wenn ich Dreck am Stecken habe, bin ich ein hilfsbereiter Mensch.“ Jamie verschwand ins Gästezimmer, wo er seine Frauenkleider aufbewahrte und suchte Jeanne etwas aus, womit sie ihre blauen Flecken verstecken konnte. Er holte einen Rollkragenpullover heraus und dazu eine passende Hose. Schließlich ging er zum Badezimmer, klopfte kurz und rief „Ich hab dir ein paar Klamotten rausgesucht. Deine waren alle ganz durchnässt.“ Als er sich wieder zu Dathan gesellte, sah er ernst aus und sein Blick verriet mehr als tausend Worte. „Sie ist von zuhause abgehauen. Ich schätze mal, ihr Stiefvater hat sie verprügelt.“

„Und anscheinend nicht das erste Mal. Der blaue Fleck an ihrem Oberarm ist ein paar Tage alt.“ Knapp eine Stunde später kam Jeanne aus dem Badezimmer und sah längst nicht mehr so fürchterlich aus wie auf der Türschwelle. Sie setzte sich still auf eines der Sofas, nahm ein Kissen in den Arm und starrte trübsinnig auf den Fernseher, wo gerade eine Krimiserie lief. Lange schwieg sie, bis sie schließlich sagte „Danke für die Sachen.“

„Schon gut, ich hab noch mehr davon.“ Jeanne sah Jamie fragend an. Dieser setzte ein scherzhaftes Lächeln auf und erklärte „Ne Zeit lang hab ich gerne Cross-Dressing gemacht. Die Zeiten sind aber längst vorbei. Du kannst dich gerne bedienen, die Sachen scheinen dir ja ganz gut zu passen.“

„Danke…“ murmelte Jeanne müde und sprach das „Danke“ ganz akzentfrei aus. Und ihr Lächeln hatte etwas, das Dathan ein wenig an seine Schwester erinnerte. Während Jeanne erst einmal die Geschehnisse verdaute, richtete Jamie das Gästezimmer ein. Seine Perücken und Frauenklamotten, die BHs und dazugehörigen Kissen wurden in Umzugskisten gepackt und im Keller verstaut. Das Bett wurde neu bezogen und der Koffer hochgebracht. Jeannes Kleidung, die vom Regen völlig durchnässt war, musste gewaschen werden und Dathan telefonierte direkt mit ihrer Mutter, um ihr Bescheid zu sagen. Zu seiner Überraschung schien die Mutter keinesfalls besorgt zu sein. Nein, sie klang eher danach, als wäre das alles nur eine harmlose Lappalie und das regte besonders Jamie auf. Am liebsten hätte er eine Schimpftirade losgelassen, aber dazu ließ es der ruhige Dathan nicht kommen. Er blieb halbwegs sachlich und sagte „Ihre Tochter stand völlig verweint und mit blauen Flecken vor unserer Tür. Was auch immer ihr zugestoßen ist, Sie sollten überdenken, ob es wirklich nur ein harmloser Zwischenfall war, wie Sie ihn hier darstellen wollen. Auf Wiederhören Mrs. Nightingale.“ Damit legte Dathan auf und schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie kann man nur so ruhig und teilnahmslos sein, wenn das eigene Kind verprügelt wird und von zuhause abhaut?“

„Meine Mutter ist blind vor Liebe, sie sieht nur noch das, was sie sehen will“, murmelte Jeanne und umschlang ihre angezogenen Beine mit den Armen, um sich kleiner zu machen. „Meist ist er auf Jacques losgegangen, weil er Angst vor ihm hat. Ich hab meistens die Schläge für ihn kassiert, um ihn zu schützen. Er ist doch mein kleiner Bruder und er kann sich nicht…“ Jeanne unterbrach kurz, da nämlich ihr Handy zu klingeln begann. Sie sah kurz auf das Display und begann eine SMS zu schreiben. „Sag mal Dathan“, sagte sie schließlich und sah ihm tief in die Augen. „Liebst du Emily immer noch?“ Dathan war ein wenig erstaunt über diese Frage, doch dann atmete er tief durch und antwortete „Natürlich liebe ich sie. Warum… warum fragst du?“ Doch statt mit einer Antwort kam die blonde Französin mit einer weiteren Frage „Wäre es dann nicht bald mal an der Zeit, sie wieder zu treffen? Sie wartet immer noch auf ein Zeichen von dir und sie liebt dich, auch als Nekromant. Warum gehst du ihr aus dem Weg?“

„Weil ich nicht will, dass sie genauso sterben muss wie meine Familie. Solange ich ein Nekromant bleibe, bringe ich die Menschen in meiner Umgebung in Gefahr. Dieses Schicksal erleidet jeder Nekromant in meiner Familie, einschließlich Sally. Und ich will nicht, dass noch mal so eine Tragödie geschieht und Emily etwas passiert.“ Jeannes Blick war prüfend, aber voller Mitgefühl. Ob sie wirklich nachvollziehen konnte, wieso Dathan diese Entscheidung getroffen hatte, konnte er nicht sagen aber sie erkannte wohl, dass hinter diesem Entschluss keine bösen Absichten steckten. Schließlich seufzte Jeanne tief und sagte „Du bist ein wirklich gutherziger Mensch Dathan, eigentlich schon fast zu gutherzig für diese Welt. Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun?“

„Na klar, was ist es denn?“

„Ich möchte dein Gesicht sehen.“ Dathan zuckte zurück, als er das hörte und man konnte die Angst in seinen Augen sehen. Auch wenn er schon einige Menschen in seinem Leben getroffen hatte, die sich nicht vor ihm fürchteten, hatte er immer noch Angst vor den Reaktionen. Aber etwas in ihm sagte, dass es okay war. Eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass Jeanne sich nicht fürchten oder sich angewidert fühlen würde. Also nahm er den Mundschutz ab, der ihm ein gewisses Maß an Sicherheit gab und offenbarte sein wahres Gesicht. Jeanne stand auf, ging zu ihm und fuhr sanft über die Narben und Geschwüre, die von der Säure herrührten. Jamie beobachtete sie aus den Augenwinkeln, sagte aber nichts. „Weißt du, woran ich denken muss? An das Märchen von der Schönen und das Biest. Es mag ziemlich kitschig von mir klingen, aber ich glaube, diese Rolle passt zu dir.“

„Dann meinst du, ich bin ein Biest?“

„Nein, ein Prinz hinter der äußeren Maske eines missverstandenen Wesens, vor das sich die Menschen fürchten. Aber mit Emily hast du wirklich das große Los gezogen. Du solltest sie irgendwann treffen.“ Eine lange Pause trat ein, in der jeder schwieg und den anderen gedankenverloren ansah. Schließlich fragte Jeanne nach Sally und wollte wissen, welche Geschichte sich hinter ihr verbarg. Dathan erzählte ihr jede Einzelheit. Ihre schreckliche Kindheit in Backwater, der grausame Tod ihrer Familie und die Zerstörung von Shallow Graves und ihrer Heimatstadt. Er erzählte von ihrem einsamen, verzweifelten Tod und ihrem unermesslichen Groll, vom Erbe ihres Bruders Lumis und dem Erbe der Kinsleys. Schließlich erzählte Dathan von dem Sally Film und welches Geheimnis dahinter steckte, von Maestro Sarias Arie des Wahnsinns und wie er zusammen mit dem Dämonologen Samuel Leens Sally von ihrem Groll erlöst hatte. Jeanne hörte die ganze Geschichte und blieb still, schließlich fragte sie „Dann ist sie jetzt wiedergeboren worden?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie ja auch auf der anderen Seite und es geht ihr gut. Ich kann nur das Beste für sie hoffen.“

„Fragt sich nur, warum sie jetzt in unseren Träumen erscheint. Vielleicht ist Sally noch nicht auf die andere Seite gegangen.“

„Was meinst du damit?“

„Vielleicht ist sie noch irgendwo und hat etwas Bestimmtes mit uns vor. Wir sollten morgen weiter der Sache nachgehen und versuchen, Lorraine Warren zu finden. Vielleicht haben wir ja Glück. Entschuldigt mich bitte, aber ich fühle mich nicht gut, ich lege mich noch ein bisschen hin.“ Damit erhob sich Jeanne langsam vom Sofa und ging hoch ins Gästezimmer. Sie sah in der Tat etwas blass und müde aus. Dathans Blick wanderte zu Jamie und ihm entging nicht, dass er ein gewisses Interesse an Jeanne hatte. Dathan konnte nicht anders als zu schmunzeln und er fragte „Sie ist hübsch, nicht wahr?“

„Und wie… besonders ihr Akzent…“ Doch dann merkte Jamie, worauf Dathan anspielte und er räusperte sich hastig. „Sie ist eine hübsche junge Frau.“

„Ach komm schon, jetzt sei mal nicht so. Ich seh doch, dass du ein wenig auf sie stehst.“

„Und wenn schon“ gab Jamie zurück und warf neckisch ein Kissen zu Dathan, welches dieser noch rechtzeitig abfing, bevor es in sein Gesicht landen konnte. „Sie scheint doch mehr auf dich abzufahren. Mir geht sie doch nur aus dem Weg.“

„Ich glaub nicht, dass sie auf mich steht“, erklärte Dathan und warf das Kissen wieder zurück. „In mir sieht sie einen rein platonischen Freund. Aber ich glaub, ich ahne schon den Grund, warum sie dir aus dem Weg geht: Sie glaubt, du wärst vom anderen Ufer.“

„Was?“ rief Jamie und kam gar nicht dazu, das Kissen abzufangen, woraufhin es genau auf seiner Brust landete. „Wie kommt sie auf den Trichter?“

„Dein Eifersuchtsgehabe. Ein gut gemeinter Rat: Geh mit ihr essen, ich kümmere mich schon mal um die Nachforschungen.“

„Meinst du im Ernst?“

„Na klar. Ich hab sowieso nichts Besseres vor, da kann ich schon mal ein wenig Vorarbeit leisten.“ Und so kam es, dass Jamie an Jeannes Zimmertür klopfte und sie fragte, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Er fragte sie das nicht direkt sondern unterbreitete ihr den völlig harmlosen Vorschlag, mit ihr in eine Bar zu gehen. Jeanne war zunächst überrascht, schien aber nicht abgeneigt zu sein und willigte sogar ein. Nachdem sie beide das Haus verlassen hatten, setzte sich Dathan an den Laptop und begann nach Lorraine Warren zu suchen. Viel gab es allerdings nicht, was auf ihre Spur hinweisen konnte. Er fand nur heraus, dass Ed Warren im August 2006 in Monroe Connecticut verstorben war.

Aber ansonsten gab es nichts. Kein Wunder, denn Ed und Lorraine waren zu einer Zeit berühmt gewesen, als an Internet noch nicht zu denken war. Folglich würde er also nur über einen Umweg an sie herankommen. Und wie sah dieser Umweg aus? Ganz einfach: Das Warren Museum für Okkultismus. Ab und zu wurden dort Rundführungen angeboten und vielleicht konnten sie ja näher an die N.E.S.P.R. rankommen, indem sie sich als Begeisterte für Okkultismus ausgaben. Dathan wählte die Nummer auf der angegebenen Internetseite und meldete sich für eine Museumstour an. Er beschloss, alleine zu gehen, da die N.E.S.P.R. bereits Jeannes Gesicht kannte und Jamie besser da bleiben sollte, um auf sie aufzupassen. Außerdem war Jamie im Kampf gegen Sally bereits schwer verletzt worden und wäre um ein Haar gestorben. Er wollte nicht noch mal das gleiche Risiko eingehen und Jamie einer Gefahr aussetzen. Aber so einfach würde Jamie sich nicht abschütteln lassen. Nein, er musste sich irgendetwas einfallen lassen, um ihn zu beschäftigen. Das Beste war, die Methode „Schütz sie vor den gewalttätigen Stiefvater“ anzuwenden. Jamie, der selbst erhebliche Familienprobleme gehabt hatte, würde zu so etwas schlecht „nein“ sagen können. Außerdem sah doch ein Blinder mit Krückstock, dass er sich in Jeanne verguckt hatte. Das war ein gutes Zeichen, denn endlich würde Jamie eine neue Liebe finden. Dathan war es immer selbst unangenehm gewesen zu wissen, dass Jamie ihn unsterblich liebte. Er wusste, dass Jamie sich sehr mit seinen Gefühlen quälte und es tat ihm von Herzen leid. Und nun sah Jamie endlich eine Möglichkeit, eine glückliche und normale Beziehung aufbauen zu können. Seine Gefühle zu Jeanne waren der erste Schritt in eine normale Richtung und wenn Jamie erst einmal glücklich war, würde Dathan nach einer Möglichkeit suchen, ein normaler Mensch zu werden und wieder mit Emily zusammen zu kommen. Er wollte nicht dasselbe durchmachen wie einst Sally und eines Tages genauso werden wie sie. Er wollte keine Menschen mehr töten oder in Gefahr bringen.

Dathan saß eine Weile vor dem Laptop und wurde bald dösig. Er glaubte sich schon im Halbschlaf, denn er glaubte, Sally auf dem Sofa sitzen zu sehen. Sie sah hübsch und gesund aus. Statt dem gepunkteten Kleid wie in den unheimlichen Film, trug sie ein hellblaues mit langen Ärmeln. Ihr Haar war gelockt, sie trug eine dunkelblaue Schleife und ihr Blick hatte etwas Lebhaftes und Unschuldiges. „Ich muss wohl doch schon schlafen“, murmelte Dathan und rieb sich verschlafen die Augen. „Warum auch sonst bist du hier. Aber wenigstens siehst du nicht mehr so unglücklich aus, wenn ich dich in meinen Träumen sehe.“

„In der Tat bin ich nicht mehr so voller Zorn wie damals, als wir uns trafen, Dathan. Aber glücklich bin ich noch nicht. Es gibt noch einige Dinge, die es zu erledigen gibt. Dinge, die mir sonst keine Ruhe lassen.“ Sally beugte sich leicht nach vorne und nahm sich eines der Plätzchen, die in einer kleinen Schale bereit standen. Sie aß es in wenigen Bissen und begann leicht spielerisch mit den Beinen zu strampeln. Dathan lag im Sessel und beobachtete sie. „Was hast du vor?“

„Erinnerst du dich noch an die Zinnsoldatenfigur, die du mir gegeben hast? Ich habe sie immer noch bei mir. Natürlich nicht hier und jetzt, aber ich habe sie immer noch bei mir. Diese Figur ist das unzertrennliche Band zwischen uns, damit wirst du uns wieder finden.“

„Uns? Wen meinst du denn sonst noch damit?“

„Bleib nur weiter auf deinem Weg, du wirst deine Antworten bald finden… auch wenn einige zu schrecklich sein werden.“

„Warum sprichst du so Sally, was soll das?“

Doch als sie ihn ansah, wirkte sie sehr traurig. Sie schien den Tränen nahe zu sein und sah fast genauso unglücklich und verzweifelt aus wie damals, als Dathan sie in seinem Zimmer fand. Und dann kullerte eine Träne ihre Wange hinunter. „Es tut mir so Leid, Dathan. Ich wünschte, ich hätte dir viel früher helfen können, dann hätte es nicht so weit kommen müssen.“ Obwohl er es nicht wollte, fielen Dathan die Augen wieder zu. Als er wieder aufwachte, gab es keine Spur von Sally. Er musste wirklich geträumt haben. Wie konnte es auch anders sein? Sally war fort, sie existierte nur noch in seinen Träumen, doch so wie es schien, auch in den Träumen der anderen Nekromanten. Dathan hatte bereits darüber nachgedacht. Konnte es vielleicht sein, dass Sally sich in der Zwischenwelt aufhielt und von dort aus Kontakt zu ihm und den Nekromanten aufnahm? Aber wozu das alles? Was führte Sally im Schilde und warum nahm sie diese Arbeit auf sich? Vielleicht wollte sie helfen, die Nekromantenkinder zu befreien, aus Solidarität weil sie ebenfalls dazugehörte. Aber warum tat sie so geheimnisvoll? Gab es etwas, das sie Dathan verschweigen wollte? Wenn dem so war, dann wusste sie etwas, von dem sie wollte, dass er es lieber nicht erfuhr. Andernfalls würde er vielleicht den gleichen Fehler begehen wie sie.
 

Dathan schlief bereits tief und fest, als Jeanne und Jamie wieder zurückkamen. Sie waren gut gelaunt und lachten gemeinsam und hielten sich an der Hand. Obwohl sie auf Zehenspitzen hereinschlichen und versuchten, so leise wie möglich sein, damit sie Dathan nicht weckten, wachte dieser trotzdem auf. Müde rieb er sich die Augen und gähnte. „Seit wann seid ihr denn wieder da?“ „Seit gerade eben erst. Sorry, wir wollten dich nicht wecken.“ „Schon okay. Ich geh jetzt sowieso ins Bett. Ich hoffe, ihr hattet wenigstens einen schönen Abend. Wir können ja morgen weiter reden.“ Jamie beobachtete, wie sich Dathan ins Zimmer schleppte, um dort todmüde aufs Bett zu fallen. Bevor er aber selbst nach oben ging, richtete er noch schnell die Sofakissen, da er es nicht mochte, wenn Unordnung herrschte. Dabei fiel sein Blick auf eines der schwarzen Ledersofas und er stutzte. „Was ist los?“ fragte Jeanne und folgte seinem Blick. Jamie ging näher an die Sitzfläche heran und konnte es mit etwas Mühe erkennen: Kekskrümel neben einem kleinen Handabdruck. Er war sogar sehr klein, als gehöre er einem Kind. Na, wahrscheinlich war eines der Landon Kinder hier, um Dathan zu besuchen. Ja, so musste es gewesen sein. „Es ist nichts… schon gut.“

Dathans Wut

Am nächsten Morgen, als sie bei einem französischen Frühstück beisammen saßen, erzählte Dathan von seinem Plan, das Warren Museum zu besuchen, um so an Lorraine Warren zu kommen. „Das Problem ist nur, dass die N.E.S.P.R. dich bereits kennt, Jeanne. Sie würden nur Verdacht schöpfen und das würde zu Komplikationen führen. Ich schlage deshalb vor, dass du fürs Erste hier bleibst und Jamie auch.“

„Das kommt gar nicht in die Tüte! Ich werde mitkommen, ob du willst oder nicht.“

„Tut mir Leid aber das geht nicht. Was ist, wenn Jeannes Stiefvater vielleicht aufkreuzt und ihr etwas passiert? Außerdem will ich nicht, dass du wieder in Gefahr gerätst. Du bist schon damals von Sally fast getötet worden, ich will dich nicht noch mal so einem Risiko aussetzen und dich verlieren.“ Dathan blieb hartnäckig und konnte seinen besten Freund schließlich überzeugen, doch bei Jeanne zu bleiben. Vielleicht war das Argument „sie braucht deine Hilfe“ das überzeugendste. Zwar wollte er es nicht offen zugeben, aber er war richtig verliebt in sie und dieses Mal war es eine richtige Liebe und nicht eine, die von seiner Krankheit herrührte. Die Jurastudentin selbst war ein wenig beschämt und wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich aber nahm sie ihre Brille ab, putzte die Gläser und sah sie beide mit ihren funkelnden Augen an. „Kann ich irgendwie helfen?“

„Ihr könnt mir helfen, indem ihr sofort da seid, wenn etwas schief läuft. Ich habe keine Ahnung, mit welchen hinterhältigen Methoden diese Gruppe arbeitet und ob sie mich nicht vielleicht auch verschleppen. Wenn es also zum absoluten Ausnahmefall kommen sollte, müsst ihr mir helfen.“

„Dann brauchen wir etwas, um dich zu finden“, sagte Jamie schließlich und sein Blick verriet, dass er schon eine Idee hatte, wie er das Problem lösen konnte. „Es gibt diese praktischen GPS-Sender, die man bei sich trägt. Wenn du eines bei dir trägst, können wir dich überall orten. Und wenn du dich plötzlich von deinem Weg entfernst und dich nicht meldest, werden wir dich da wieder rausboxen. Verlass dich drauf.“ Nach dem Frühstück machte er sich auf den Weg zu einem Geschäft, wo man Überwachungszubehör kaufen konnte. Jeanne inzwischen nutzte die Zeit, um mit Dathan etwas über seinen etwas eigenwilligen Freund zu reden. Allein schon als sie an ihn dachte, musste sie verlegen lächeln und wurde leicht rot im Gesicht. „Sag mal Dathan, wie hast du ihn eigentlich kennen gelernt?“

„Wir haben damals in der gleichen Nachbarschaft gewohnt. Ich war mit ihm und seiner Schwester befreundet. Nach meinem Schulwechsel haben wir uns allerdings eine Zeit lang aus den Agen verloren.“

„Seine Schwester? Von einer Schwester hat er nie etwas erzählt.“

„Kann ich mir gut vorstellen. Er spricht nicht sehr gerne darüber. Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen sollte… aber vielleicht verstehst du dann seine Eigenart etwas besser. Lydia hat mich damals vor meinen Klassenkameraden in Schutz genommen. Und eine Clique, die mich auch im Gesicht entstellt hat, indem sie mich mit Säure attackiert hatte, hat sich dafür an Lydia gerächt. Sie haben sie vor Jamies Augen vergewaltigt und daraufhin beging sie Selbstmord.“

„Das ist ja schrecklich. Was ist dann passiert?“

„Seine Eltern sind einfach abgehauen. Sie haben nie sehr viel für ihre Kinder übrig gehabt. Jamie kam daraufhin in einige Pflegefamilien und auch ins Heim. Da ich der letzte Mensch in seinem Leben bin, der für ihn wichtig war, hat er sich sehr auf mich fixiert.“

„Ach so…“ sagte die Französin schließlich und goss sich einen Tee ein. „Und ich dachte, er wäre… na ja… vom anderen Ufer.“

„Er hatte schon Beziehungen zu Mädchen, da kann ich dich beruhigen.“ Der Nekromant hielt es für klüger, lieber nichts von Jamies Bisexualität zu erzählen. Wer weiß wie Jeanne darauf reagieren würde. „Jedenfalls“, fuhr er fort "fällt es ihm schwer, eine vernünftige Beziehung zu anderen aufzubauen, geschweige denn, überhaupt jemandem zu vertrauen. Du bist die Erste seit Jahren, der er wirklich vertraut und das ist ein enormer Fortschritt für ihn. Ich möchte als sein bester Freund nur das Beste für ihn. Er hat so viel für mich getan und mir so oft beigestanden, dass er es auch mal verdient, glücklich zu sein. Schon verrückt, nicht wahr? Wir haben alle unsere Lasten zu tragen.“ Jeanne sagte nichts dazu, aber sie lächelte ihn an als wolle sie ihm zustimmen. Nachdem sie den Tee ausgetrunken hatte, fragte sie ihn, ob er sie nicht vielleicht nach Hause begleiten wollte. Dort wollte sie nämlich noch ein paar Sachen holen. Alleine wollte sie nicht gehen und da Dathan schon eine sehr furchterregende Erscheinung war, fühlte sie sich um einiges sicherer, wenn er dabei war. Natürlich half er ihr gerne und fuhr mit dem Wagen zum Hause ihres Stiefvaters.

Als sie dort nach einer halben Stunde Fahrt ankamen, bemerkte die Studentin sofort, dass der Wagen ihres Stiefvaters gar nicht in der Einfahrt parkte. Es war auch sonst keiner da, da niemand auf ihr Klingeln antwortete. „Offenbar ist er gerade in der Werkstatt“, murmelte sie und atmete erleichtert auf. Ist auch besser so.“ Während sie noch ein paar Sachen aus ihrem Zimmer holte, wartete Dathan an der Haustür. Während er sich ein wenig umsah, bemerkte er einen Wagen nicht weit vom Haus entfernt. Es war ein Oldtimer, allerdings kannte er sich nicht gut genug aus, um genau bestimmen zu können, was das nun für ein Wagen war. Neugierig ging er näher hin, um das gute Stück zu begutachten. „Na, gefällt dir der alte Hudson?“ Dathan sah auf und plötzlich stand da eine rothaarige Frau von knapp 25 bis 27 Jahren vor ihm, die stolz eine Hand auf das Dach des Wagens legte, so als würde sie einem Pferd den Rücken streicheln. „Das ist ein 54er Hudson Hornet, mein größtes Schmuckstück. Interessierst du dich für Oldtimer?“

„Nicht direkt, aber ich sehe sie mir gerne mal aus der Nähe an. Wohnst du hier in der Nachbarschaft?“

„Nö, ich bin geschäftlich hier unterwegs. Und du?“

„Ich hab eine Freundin gefahren, die noch ein paar Sachen holen wollte.“

„Na, dann wünsche ich dir noch alles Gute. Man sieht sich vielleicht noch mal. Die Welt ist ja klein genug dafür.“ Mit einem frechen Zwinkern stieg die rothaarige Frau in den Hudson Hornet und fuhr davon. Dathan sah ihr noch eine Zeit lang hinterher und fragte sich, wer sie wohl war. Sie war nett, hübsch und sah toll aus. Aber sie hatte etwas an sich, was ihr den Eindruck verlieh, dass sie anders war als andere. Schließlich kehrte er wieder zurück und hörte es bereits: Zersplitterndes Glas und Schreie. Sofort eilte er ins Haus, stieß die Tür auf und folgte dem Schrei. Er fand Jeanne auf dem Boden vor, die den Kopf schützend unter den Armen verbarg und um Hilfe rief. Über ihr stand ein blonder Mann um die vierzig, kräftig gebaut und leicht nordischer Erscheinung. Er hielt ein Messer in der Hand und rief immer wieder „Du wagst es nicht noch einmal, einfach so abzuhauen. Ich schlag dich grün und blau, du Franzflittchen!“ „Jeanne!“ rief Dathan und eilte zu ihr, um sie vor dem wild gewordenen Kerl zu retten. Dieser drehte den Kopf zu ihm und erschrak für einen kurzen Augenblick, als er den Nekromanten sah und vor allem wahrnahm. Zum ersten Mal war dieser froh, dass er ein Nekromant war und die Menschen sich vor ihm fürchteten. „Gehen Sie von ihr weg und lassen Sie das Messer fallen!“ rief er und stellte sich vor der wehrlosen Studentin, die immer noch auf dem Boden kauerte. „Sofort!“ Einen Moment zögerte Mr. Nightingale noch, aber dann fand er seine Wut wieder und rief „Verpiss dich, du Penner! Das geht dich einen Scheißdreck an. Das geht nur mich und dieses Miststück hier was an.“ Dathan befürchtete, dass das noch ein böses Ende nehmen würde, wenn er nicht etwas unternahm. Doch dann geschah alles ganz schnell. Das Messer sauste auf ihn nieder und er hob abwehrend den Arm. Etwas in seinem Hinterkopf aktivierte sich, als hätte sich ein unsichtbarer Schalter umgelegt. Eine noch nie vorher gekannte Kraft explodierte in seinem Kopf und trat wie eine gewaltige Druckwelle aus. Mr. Nightingale wurde nach hinten geschleudert, der Arm, der das Messer hielt, verkrümmte sich und die Knochen brachen wie Streichhölzer. Und kaum, dass die Druckwelle ihn von den Füßen gerissen hatte, zerbrachen sämtliche Glasscheiben, auch einige Tassen und Gläser zersprangen in unzählige Bruchstücke. Diese flogen durch die Luft und rissen tiefe Wunden im Gesicht seines Angreifers. Dathan warf sich instinktiv auf Jeanne, um sie vor den herumfliegenden Glassplittern zu schützen und spürte selbst, wie ihn die Scherben schnitten. Das Klirren und Splittern war unerträglich in seinen Ohren, ihm wurde übel und schwindelig, der Kopf schmerzte höllisch und ihm wurde mit einem Male schwarz vor Augen. Er blieb fast zehn Minuten bewusstlos und kam auf dem Küchenboden wieder zu sich. Jeanne hatte sich über ihn gebeugt und presste einen kühlen Lappen auf seine Stirn. „Dathan, was ist mit dir? Geht es dir gut?“ Langsam setzte sich der Nekromant auf und fühlte, wie sein Schädel noch ein wenig nachdröhnte. Ein wahres Bild der Verwüstung bot sich ihm. Auf dem Boden lagen überall Scherben. Die Glastüren der Schränke, die Tassen und Wassergläser und Vasen, die Fensterscheiben… alles war zerstört und so wie Jeanne erzählte, waren sogar die Monitore explodiert. Auch die Fenster in der Nachbarschaft sowie die der Autos seien kaputt. „Ich… ich wusste gar nicht, dass ich das kann“, murmelte er benommen und konnte dank Jeannes Hilfe langsam wieder aufstehen. „Wie… wie konnte das…“

„Komm schon, wir müssen hier weg, bevor die Polizei kommt.“

„Und was ist mit ihm?“ Er deutete auf ihren Stiefvater, der ebenfalls das Bewusstsein verloren hatte und aussah, als bräuchte er allein schon wegen seinem Arm dringend medizinische Hilfe. Die Studentin schüttelte den Kopf und antwortete „Dem geht's gut genug. Er lebt noch, aber der hat fürs Erste genug.“ Geistesgegenwärtig packte sie Dathans Arm und brachte ihn zum Wagen, wo sie ihn auf den Beifahrersitz setzte und selbst das Steuer übernahm. Die Fenster dieses Wagens waren glücklicherweise heil geblieben und kaum, dass die Studentin sich angeschnallt und den Motor gestartet hatte, trat sie aufs Gaspedal und raste davon. Sie waren weg, bevor Notarzt und Polizei eintrafen. Dathan fühlte sich immer noch ziemlich betreten. Er hatte das Gefühl, als würde alles Blut in seinen Kopf gepumpt werden und sich dort stauen. Ihm war übel und alles um ihn herum drehte sich. Jeanne hielt schließlich am Straßenrand an, als sie sah, wie schlecht es ihm ging. Aus ihrer Handtasche holte sie eine kleine PET-Flasche Wasser und gab sie ihm. Er nahm sie dankend an. „Wenn ich ehrlich sein soll“, sagte sie nach einer ganzen Weile des Schweigens „war ich echt erschrocken, als es passierte. Ich dachte, es wäre ein Erdbeben oder so etwas in der Art.“

„So etwas habe ich auch noch nicht erlebt“, murmelte Dathan und nahm einen Schluck Wasser. „Bis jetzt habe ich es nur fertig gebracht, durch meine Willenskraft Menschen zu töten und das auch nur in Verbindung mit Wasser. Aber so etwas passiert mir zum ersten Mal. Normalerweise kann ein Nekromant so was nicht, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Die Einzige, die das konnte, war…“

„Sally?“ Er nickte und sah seine Begleiterin mit einem beinahe hilflosen Blick an. „Was zum Teufel ist bloß los mit mir? Ich verstehe das nicht.“

„Vielleicht ist ein Teil von Sallys Kraft auf dich übergegangen, als sie verschwunden ist. Immerhin warst du doch bei ihr und du bist ein Nachfahre von Lumis. Also kann es sein, dass da irgendwie so etwas geschehen sein muss.“ Doch leider schien dies Dathan alles andere als zu trösten. Er sah wirklich fertig aus und die Französin hatte wirklich Mitleid mit ihm. Sie wollte lieber nicht wissen, was er so alles durchmachen musste. „Dathan, vielleicht hat es ja auch was Positives…“

„Nein, hat es nicht“, rief er plötzlich und schlug mit der Faust auf die Armaturen. „Es kann nichts Gutes daran geben, solch eine Kraft zu besitzen. Sally hat sie besessen und sie hat zwei Städte dem Erdboden gleichgemacht und mehr als zweitausend Menschen getötet. Ich wollte niemals Menschen verletzen oder töten. Alles was ich will, ist ein normales Leben und nicht eine solch zerstörerische Kraft. Ich hasse dieses Leben, ich hasse es. Dieses gottverdammte Leben hat mich meine ganze Familie gekostet. Allein weil ich lebe, sterben Menschen und ich ertrage das nicht mehr. Warum kann das nicht alles mal ein Ende haben?“ All der Frust und die Wut, die er all die Jahre aufgestaut hatte, entluden sich in einer gewaltigen Explosion und zum ersten Mal in seinem Leben schrie er all seinen Zorn in die Welt hinaus. Jeanne zuckte erschrocken zusammen und machte sich klein, aus einem reinen Reflex heraus. Als Dathan die Angst in ihren Augen sah, beruhigte er sich augenblicklich wieder und senkte schuldbewusst den Kopf. „Entschuldige, ich wollte das nicht an dir auslassen.“

„Es tut mir wirklich Leid, Dathan. Ich kann mir nicht vorstellen, was du alles durchmachen musstest und ich kann dich gut verstehen, dass du wütend und enttäuscht bist. Aber gib die Hoffnung nicht auf. Wir finden schon einen Weg, dir zu helfen. Ganz sicher! Fahren wir am besten zurück, Jamie wartet sicher schon.“
 

Zurück bei Dathan wartete Jamie tatsächlich bereits auf sie. Er hatte einen kleinen aber praktischen GPS-Sender gekauft und ahnte noch nicht, was passiert war. Aber er merkte schon, dass irgendetwas passiert war, denn sein bester Freund grüßte ihn noch nicht einmal, sondern verschwand direkt in sein Zimmer und schloss sich ein. Jeanne seufzte und setzte sich auf eines der Sofas. „Was ist denn passiert, während ich weg war und wo wart ihr?“

„Wir waren bei mir zuhause, ich wollte noch ein paar Sachen holen. Da kam mein Stiefvater und hat mich und Dathan mit einem Küchenmesser attackiert.“

„Hat Dathan ihn umgebracht?“

„Nein, aber dafür ein ziemliches Chaos angerichtet. Mein Stiefvater wurde durch irgendetwas weggeschleudert und sein Arm ist total verdreht und der Knochen scheint mehrfach gebrochen zu sein. Nun ja, komplett zertrümmert trifft es wohl eher. Außerdem sind diverse Scheiben, Vasen und Tassen zerbrochen und der Computermonitor im Arbeitszimmer ist explodiert.“

„Wie kann das denn sein?“

„Ich vermute, dass etwas in Dathan einen Teil von Sallys Kraft absorbiert hat, als sie verschwunden ist. Und diese Kraft hat er versehentlich entfesselt und das macht ihm ziemlich zu schaffen. Er ist ziemlich ausgerastet, als wir wieder im Auto saßen.“ Dathan und ausrasten? So etwas hatte Jamie noch nie erlebt. Normalerweise war sein bester Freund viel zu ruhig und sanftmütig, als dass er jemals die Beherrschung verlieren könnte. Nun gut, das war auch in den letzten Tagen echt viel gewesen. Zuerst seine ständigen Alpträume, dann seine Enttäuschung mit der N.E.S.P.R. und das mit Jeanne und den anderen Nekromanten. Es war einfach zu viel für ihn. Unglücklich umarmte die französische Studentin ihn und sie begann zu weinen. Schließlich gelang es ihm, sie ein wenig aufzumuntern, indem er ein wenig auf dem Klavier spielte. Schließlich spielten sie gemeinsam ein Duett und setzten sich danach auf die Terrasse, wo er sich eine Zigarette genehmigte. Lange saßen sie nebeneinander, betrachteten den bewölkten Himmel und redeten kaum miteinander. Doch dann, es geschah so zaghaft und vorsichtig, da fanden sie zueinander und küssten sich. Und dann saßen sie eng umschlungen da und fühlten sich wie im siebten Himmel. Dathan, der dies von seinem Fenster aus sehen konnte, wünschte sich in diesem Moment nichts Sehnlicheres, als Emily wiederzusehen. Er wollte ihr sagen, dass er sie liebte und dass er sie nie wieder verlassen wollte. Aber das konnte er nicht. Nein, nicht solange er zu solch schrecklichen Dingen in der Lage war. Er hatte einfach zu große Angst, dass er sie in Gefahr bringen könnte und sie ebenfalls sterben musste. Emily… ob sie wohl auch gerade an ihn dachte? Mit einem niedergeschlagenen Seufzer legte sich Dathan aufs Bett und nahm eine Aspirintablette ein. Er hatte immer noch Kopfschmerzen und ihm war schlecht von diesem Vorfall und er brauchte einfach nur Ruhe. Am Besten eine Mütze voll Schlaf. Selbst auf die Gefahr hin, dass er wieder einen Alptraum bekam.
 

Der Traum begann damit, dass eine Spieluhr zu spielen begann. Vor ihm auf einem Tisch stand eine Spieluhr, in der sich ein kleiner Spiegel befand, der sich dabei drehte, während ein kleiner Clown rhythmisch rauf und runter ging. Die Spieluhr klang nach einem Kinderlied und eine leise Stimme summte dazu. In einer Ecke saß Sally auf einem alten Holzschaukelstuhl und sie hatte auf ihrem Schoß eine Stoffpuppe, eine Raggedy-Ann Puppe. Leise sang das kleine Mädchen ein Lied zur Melodie der Spieluhr und wippte dabei langsam mit dem Schaukelstuhl vor und zurück. Dann aber brach das Lied der Spieluhr plötzlich ab und auch der Schaukelstuhl blieb stehen. Sally verstummte und ihr Blick wanderte hoch zu Dathan. Und dann geschah das, was ihn am meisten verstörte: Der Kopf der Puppe bewegte sich ebenfalls. Langsam hob er sich und die Raggedy-Ann Puppe mit den roten Haaren starrte ihn ebenfalls an. Und schlimmer noch: Sie schien ihn anzugrinsen. Nun fiel auch ihm auch auf, dass sie gar kein blaues Kleid trug, so wie die originale Raggedy-Ann. Nein, sie trug rotweiße Kleidung und erinnerte ein wenig an die Fahrerin des Oldtimers, die er zufällig getroffen hatte. Sally hielt die Puppe fest im Arm und sie wirkte in diesem Moment beinahe beängstigend. Dann öffnete sie den Mund und sagte etwas, aber aus unerklärlichen Gründen konnte er sie nicht verstehen, obwohl sie direkt vor ihm stand. Er fragte nach und sie wiederholte ihre Worte, doch er konnte sie trotzdem nicht verstehen. Die einzigen Worte, die er verstand, waren Fragmente, die er nur als solche verstehen konnte. „… ist nicht Annabelle… ihr richtiger… …“ Und während das kleine Mädchen sprach, ertönte eine neue Stimme. Die eines Mannes, der in einem strengen und mahnenden Ton verkündete „Dathan Lumis Kinsley, Sie sind angeklagt für den Mord an ihren Mitschülern, den Angestellten des Hans Bender Instituts und für die Tötung an Ihren Peinigern.“ Die Szene änderte sich währenddessen und plötzlich stand Dathan nicht mehr in diesem leeren Haus, sondern mitten in einem Gerichtssaal. Er saß auf der Anklagebank und das Podest des Richters war so hoch, dass er den Richter selbst nicht sehen konnte. „Hiermit verurteile ich Sie zum Tode durch den elektrischen Stuhl.“ Der Schlag des Hammers, der das Urteil besiegelte, löste die Szene erneut auf und nun fand sich der Nekromant auf dem Weg zum Raum wieder, wo der elektrische Stuhl auf ihn wartete. Zwei Maskierte schleiften ihn an den Armen vorwärts und schnallten ihn schließlich fest. Dathan fühlte die Panik in sich aufsteigen. Er hatte Angst, er wollte aufwachen. Er wollte nicht sterben, nicht so. „Das ist nicht fair“, brachte er verzweifelt hervor, da ein dicker Kloß seine Kehle zu verstopfen schien. „Das ist ungerecht. Warum soll ich sterben, wenn sie mir meine Familie genommen und mich entstellt haben? Warum dürfen die ein normales Leben führen und ich nicht? Das ist nicht fair, es gibt keine Gerechtigkeit.“ Sein Blick wanderte in den Zuschauerraum und dort saßen bekannte Gesichter. Jamie saß dort, er war blutüberströmt und bot einen schrecklichen Anblick, auch Lydia saß da, an ihrem Mundwinkel waren Schaum und Blut zu sehen und sie war kreidebleich. Auch waren ihre Augen gerötet und ihr Gesicht wirkte aufgequollen. Jeanne saß zur anderen an Jamies Seite. In ihrer Stirn klaffte ein Einschussloch und da war auch sein Klassenkamerad und Freund Koishi, der vollkommen von Brandwunden entstellt war und mehr wie ein Monster aussah, als ein Mensch. Seine Mutter saß da und weinte, während sein Großvater sie zu trösten versuchte. Er sah schrecklich und mager aus, wie ein schneeweißes Skelett mit Haut. Emily war nicht da… auch fehlten sein Vater, seine Cousine Clarissa und Christie. Dafür aber saß ganz weit hinten im Schatten eine Gestalt, die er nicht erkennen konnte. „Du glaubst also, es gäbe keine Gerechtigkeit?“ fragte sie ihn, doch Dathan konnte sich nicht entsinnen ob sie jetzt männlich oder weiblich klang. „Nein, die gibt es nicht!“ rief er zurück und ballte seine Fäuste, solange es die Gurte zuließen. „Wenn diese Welt nur Schmerz, Leid, Elend und Enttäuschungen bereithält, dann kann sie meinetwegen gerne aufhören zu existieren!“

„Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht“, riet die Gestalt im Dunkeln und sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Du weißt was geschah, als sie diese Worte zuletzt sagte. Und jeder hat für seine Verbrechen zu büßen. Egal ob in diesem oder im nächsten Leben.“

Zu Besuch bei Lorraine Warren

Die angenehme Nachmittagssonne hatte Lorraine Warren etwas schläfrig gemacht und die inzwischen 86-jährige Witwe war gerade dabei, einen Schal zu stricken. Es gab ja sonst nicht viel zu tun und heute würde sowieso nichts geschehen, was von Bedeutung wäre. Allerhöchstens würden Besucher kommen, die sich das „Museum“ ansehen und sie über ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Parapsychologie ausfragen wollten. Und natürlich würde es wieder einige Zweifler geben, die das Ansehen ihres seligen Mannes Ed in den Dreck ziehen und sie als Hochstaplerin darstellen wollten. Sie kannte das alles schon und es berührte sie auch nicht mehr sonderlich. Sie erlebte das schon seit so vielen Jahrzehnten, sodass sie es inzwischen müde war und sich auch gar nicht mehr zu Herzen nahm. Inzwischen hatte sie eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber diesen Kritiken entwickelt und ließ die Leute selbst entscheiden, an was sie glauben sollten. Sie wusste es besser, ihr Mann hatte es gewusst und die Mitglieder der Organisation wussten es ebenfalls. Das reichte ihr schon. Es klingelte an der Tür und Judy, ihre Tochter, öffnete und rief „Mutter, da ist jemand, der dich sprechen möchte.“

„Wer ist es denn?“ fragte die alte Frau und drehte sich, so gut sie konnte, zur Tür hin, um etwas zu sehen. „Jemand, der etwas Dringendes mit dir zu besprechen hat. Es sei geschäftlich.“ „Dann bring ihn ins Zimmer!“ Lorraine lehnte sich wieder im Stuhl zurück und legte ihre Arbeit nieder. Der Besuch trat ein und zum ersten Mal seit Jahren traf es sie wieder. Sie sah, wen sie da vor sich hatte und vor Schreck blieb ihr fast das Herz stehen. Der Besuch setzte sich und erklärte mit ruhiger Stimme „Sie brauchen nicht so entsetzt zu schauen, meine Liebe. Ich werde Ihnen schon nichts tun. Keine Sorge.“

„Ich kenne dich“, sagte die alte Dame gefasst, doch ihre Stimme klang alt und heiser. Sie sah sehr ernst aus, als bereite sie sich auf das Schlimmste vor. „Was suchst du in meinem Haus?“ „Ich möchte nur mit Ihnen reden, das ist alles. Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Lorraine. Immerhin haben Sie sich doch nichts vorzuwerfen.“ Judy kam herein und fragte, ob alles in Ordnung sei. Der Besuch versicherte ihr dies und bat um eine Tasse Tee. Daraufhin verschwand die Frau in der Küche und kam wenig später mit Hagebuttentee zurück. Der Gast dankte und gab etwas Zucker hinein. „Ich muss Ihnen mein Kompliment machen, Lorraine. Für Ihr respektables Alter haben Sie immer noch ein geschärftes Auge für die Wahrheit, die andere nicht sehen.“

„Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?“

„Ich hätte da ein paar Fragen an Sie, die Sie mir vielleicht beantworten könnten.“

„Welche Antwort könnte ich dir schon geben, die du noch nicht weißt?“ Der Besuch lachte amüsiert und stellte die Tasse wieder zurück. „Ich glaube, Sie haben ein falsches Bild von mir. Ich bin nicht das, wofür Sie mich halten. Wissen Sie, die Menschen haben es nicht gerne, wenn man sie wegen ihrer Fehler anklagt und dann verteufeln sie diese Person eben. Dabei mache ich nur meinen Job und habe nicht die Absicht, Unschuldigen zu schaden.“ Lorraines Gesichtszüge schienen sich ein wenig zu entspannen und dann nickte sie. „Also gut, was willst du wissen?“

„Welche Ziele verfolgt die New England Society for Psychic Research?“

„Die Erforschung von paranormalen Phänomenen und deren Bekämpfung. Genau das, was Ed und ich all die Jahre aufgebaut haben. Wir haben sie gegründet mit der Gewissheit, dass unsere Arbeit nicht nach unserem Tode enden wird. Das ist alles.“

„Und sind Sie über die kriminellen Aktivitäten Ihrer Leute informiert?“

„Kriminelle Aktivitäten?“ fragte die Witwe verwirrt und rückte ihre Brille zurecht, um ihren Gast genauer zu sehen. Es war offensichtlich, dass sie keine Ahnung hatte, wovon der Besucher sprach. Dieser schwieg einen Moment und dachte nach. „Nun gut, dann hat sich alles andere bereits erübrigt. Lorraine, es wird heute jemand zu Ihnen kommen, der Sie das Gleiche fragen wird. Er wird es Ihnen näher erklären und ich möchte, dass Sie ihm alle Fragen beantworten, die er Ihnen stellt, und zwar wahrheitsgemäß. Das ist sehr wichtig und Sie würden mir damit einen großen Gefallen tun!“

„Wer ist es?“

„Sein Name ist Dathan Lumis Kinsley, er trägt einen Mundschutz, um seine Gesichtsentstellung zu verbergen und er hat rote Augen. Ach ja, er ist auch ein Nekromant. Sie wissen ja, was das bedeutet.“

„Ja, das weiß ich nur zu gut. Jahrelang habe ich ihre Fähigkeiten studiert und versucht, mehr über die ganzen Zusammenhänge zu erfahren. Es sollte unser letztes Werk werden, aber als Ed starb, habe ich dieses Ziel aus den Augen verloren. Stattdessen hat die N.E.S.P.R. meine Arbeit fortgesetzt. Ich wollte mich aus dieser Angelegenheit zurückziehen.“ „Denn es gab einen besonderen Grund, nicht wahr?“ Lorraine erinnerte sich gut. Sie und Ed hatten eines Tages eine Anfrage von einem Herrn bekommen, der ihnen von einem Film erzählte, der besessen wäre. Es war der Film „Happy Sally“. Sie hatte, als sie den Film angefasst hatte, schreckliche Dinge gesehen. Zerstörung, Feuer, tote Menschen und sie hatte Schmerz gefühlt. So tiefen, unsagbar tiefen Schmerz. Und einen abgrundtiefen Groll und Hass, der schon fast alles überstieg, was sie bis dato wahrgenommen hatte. Noch nie in ihrer Laufbahn als Medium hatte sie so etwas erlebt und es hatte sie zutiefst schockiert. Allein diese Visionen zu sehen, hatte gereicht, dass sie drei Tage nicht ihr Zimmer verlassen wollte und zu niemandem ein Wort sprach. Am meisten aber hatte sie diese Kraft verstört. Diese unendlich bösartige und hasserfüllte Kraft, die direkt aus der Hölle gekommen zu sein schien. „Dathan hat es mit Samuel Leens' Hilfe geschafft, Sally zu helfen und nun will er anderen helfen. Dazu braucht er aber Sie, Lorraine.“

„Und was geschieht, wenn er findet, was er sucht?“

„Es wird viel Kummer geben. Sehr viel Kummer und Schmerz und unschöne Wahrheiten werden zutage gefördert. Und leider wird es auch sehr viele Verluste geben. Aber dann wird es ein Ende haben und Sie werden Ihre Antworten bekommen. So viel kann ich Ihnen versichern. Aber genug der Dinge. Gibt es noch etwas, was Sie mich fragen wollen?“ Lorraine fuhr sich mit ihrer Hand über die Stirn, wo sich zu Anfang Schweißperlen gebildet hatten. Sie seufzte und schloss die Augen. „Wie verhalten sich die Dinge? Was genau hast du vor und was ist dein Ziel?“

„Ich erledige nur meinen Job. Ich nehme mich gewissen Problemen an, entscheide dann über das weitere Verfahren und übergebe sie meistens der höheren Instanz. Allerdings steht es mir auch frei, in gesonderten Fällen meine Vollmachten zu nutzen, um selbst Entscheidungen zu treffen. Sie können mich also gerne als eine Art Staatsanwalt und Ordnungshüter bezeichnen. Meine Methoden sind zwar sehr unorthodox, aber das Ergebnis spricht ja für sich.“

„Und gibt es Dämonen tatsächlich?“

„Sie müssten die Antwort kennen, Lorraine. Immerhin haben Sie es doch selbst einmal gesagt: dämonische Präsenzen haben nichts Menschliches an sich. Wir fassen Dämonen als verlorene Seelen auf, die so erfüllt von negativen Gefühlen sind, dass sie ihre Menschlichkeit verlieren und zu bösartigen Präsenzen werden. Und genau diese haben Sie zusammen mit Ed all die Jahre gejagt. Natürlich gibt es auch entsprechende Gegenpole. Die Nekromanten sind das Bindeglied zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Der Ursprung der Nekromantie liegt lange in der Geschichte der Menschheit zurück und ist mit der Zeit verloren gegangen. Inzwischen haben die wenigen noch lebenden Nekromanten nur noch ein Minimum ihres ursprünglichen Potentials. Sally ist die Letzte und mit ihr wird sich alles entscheiden.“

„Welches Ziel verfolgt sie?“

„Sie wird versuchen, ihre andere Hälfte wieder zu befreien. Jene bösartige Hälfte, die Samuel Leens in sich aufgenommen hat. Sie wird die Fragmente zusammenfügen und die Macht besitzen, die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits vollständig aufzulösen. Und als Scyomant wird sie in der Lage sein, das Ende der Welt einzuläuten. In der Bibel wird es als Tag des jüngsten Gerichts beschrieben. Ob die Welt enden wird, hängt von dem Willen eines Kindes ab. Irgendwie steckt schon eine gewisse Ironie drin.“ Der Besuch trank den Tee zu Ende und schob sich dann einen Zuckerwürfel in den Mund. Lorraine war deutlich blasser geworden, als sie das hörte und sie musste erst einmal ihre Medikamente nehmen, um nicht gleich vom Sessel zu fallen. „Und was wirst du tun?“ fragte sie schwach und schluckte zwei Pillen. Ihr Besuch betrachtete sie besorgt und versuchte, es ihr schonend zu erklären. „Was das betrifft, so werde ich das Ergebnis nicht beeinflussen, sondern neutral bleiben. Es liegt nicht in meiner Hand, das zu entscheiden. Aber ich werde zumindest verhindern, dass unerwartete Geschehnisse das Ergebnis beeinflussen, oder sogar gänzlich manipulieren könnten. Fakt ist, dass es ein ziemliches Chaos geben wird, wenn es zum schlimmsten Fall kommen würde. Nicht nur, dass es zu Unruhen, Aufständen und zu Massenpanik kommen könnte, wenn der Worst Case eintrifft. Nein, die Religionsfanatiker werden die Situation zu ihrem Vorteil ausnutzen. Und das allein schon geht mir auf die Nerven. Ich finde es sowieso spaßig, was für eine Auffassung die Menschen von Gott, Teufel und Religion im Allgemeinen haben. Mal ganz ehrlich: welchen Sinn hat es denn, als schlechter Mensch in den Himmel zu kommen, nur weil man gottesfürchtig ist und als aufrichtiger aber nichtchristlicher Mensch in die Hölle zu kommen? Im Grunde ist die Religion nichts weiter als eine veraltete Weltanschauung, in der die Menschen versuchten, das Unerklärliche zu erklären und Ratschläge zur guten Lebensweise zu geben. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass Papier geduldig ist. Wie viele Testamente wurden vernichtet, weil sie nicht mit den Anschauungen der Kirche übereinstimmten? Ich kann nur so viel sagen: Wenn ein aufrichtiger und herzensguter Mensch tatsächlich in die Hölle käme, nur weil er nicht an Gott glaubt, dann würde die Religion ihren Sinn verlieren und es dürfte sie nicht mehr geben. Man sollte sich im Leben darauf konzentrieren, ein guter Mensch zu sein, dann braucht man sich nichts vorzuwerfen.“

„Das glaube ich auch“, pflichtete Lorraine bei und goss sich nun selbst Tee ein. „Ed und ich haben diese Ansichten auch immer vertreten und uns bemüht, gute Menschen zu sein.“

„Ich finde, der größte Fehler aller Religionen war es, auf Papier geschrieben zu werden. Die Menschen versuchen Worte zu finden für das, was über ihren Verstand hinausgeht und finden doch nie die richtigen Worte, weil ihre Sprache nicht ausreicht und der Verstand zu beschränkt ist. Zum Beispiel die Wörter „Unendlichkeit“ und „Ewigkeit“. Allein schon die Bezeichnung „unendliche Tiefe des Meeres“. Das allein ist völliger Schwachsinn. Alles ist endlich, selbst das Universum hat seine Grenzen. Nur die Unendlichkeit ist unendlich, genauso wie allein die Ewigkeit selbst ewig währt. Ach ja, ich muss zugeben, dass man sich wunderbar mit Ihnen unterhalten kann, Lorraine. Ich danke Ihnen vielmals für das wunderbare Gespräch, aber leider muss ich mich auf den Weg machen. Ihr Besuch wird nämlich bald eintreffen und ich habe noch sehr viel zu tun.“ Damit erhob sich der Gast und schließlich auch Lorraine. Sie gaben sich die Hand zum Abschied, doch auf der Türschwelle drehte sich der Besuch noch einmal um und sagte „Sie haben großartige Dinge geleistet, Lorraine. Sie haben sehr viele Menschen gerettet und haben ein gutes Herz. Es ist ein Jammer, dass es so wenige solcher Menschen gibt. Das würde mir auch viel Ärger und vor allem Arbeit ersparen. Und könnten Sie mir noch einen kleinen Gefallen tun? Erzählen Sie dem Jungen nichts von unserem Gespräch. Es wäre sonst zu verfrüht und würde alles nur durcheinander bringen. Einen schönen Tag noch.“
 

Die fast dreistündige Fahrt mit dem Auto hatte Dathan ziemlich erschöpft und er war wirklich froh, als er die herbstliche Stadt Monroe sah. Alles schien malerisch und leicht verträumt zu sein. Die Temperatur war angenehm, die Landschaft traumhaft und trotzdem hatte dieser Ort etwas Besonderes an sich. Als würde er das Geheimnisvolle und Übernatürliche anziehen, das spürte er sofort. Das Warren Museum war ganz unscheinbar. Es sah gar nicht wie ein richtiges Museum aus, sondern mehr wie ein einfaches Wohnhaus. Aber mit so etwas hatte Dathan schon gerechnet, denn er ja bei seiner Anmeldung zur Rundführung erfahren, dass die Warrens sämtliche okkulte Gegenstände, die Bestandteil ihrer Fälle waren, in ihrem Haus aufbewahrten. Man konnte das als eine Art seltsame Sammelleidenschaft bezeichnen. Natürlich war er aus einem völlig anderen Grund hergekommen, aber offen gestanden interessierte es ihn schon, was es für Gegenstände zu besichtigen gab, die alle Bestandteile von paranormalen Ermittlungen waren? Allein schon die berühmte Puppe „Annabelle“ zu sehen, war diesen Besuch schon wert. Dathan, der sich in der Nähe ein Zimmer in einem Motel gemietet hatte, steuerte erst mal dort das Ziel an, lud seine Koffer im Zimmer ab und ging zu einem Subway Laden, um dort zu essen. Bei dieser Gelegenheit rief er auch direkt Jamie und Jeanne an, um ihnen Bescheid zu geben, dass er jetzt angekommen war. „Wow, das ging ja alles ganz flott“ rief sein bester Freund begeistert und schien guter Laune zu sein. „Und? Was machst du als Nächstes?“

„Ich werde gleich im Anschluss zum Warren Museum fahren und vielleicht, mit etwas Glück, Lorraine Warren treffen.“

„Du schaffst das schon Dathan, wir zählen auf dich und wir werden da sein, wenn du uns brauchst.“

„Danke Jamie, Unterstützung kann ich immer gut gebrauchen.“ Er wünschte ihm noch viel Glück und als Dathan zu Ende gegessen hatte, bezahlte er und machte sich auf dem Weg zum Museum. Ihm plagten Zweifel, ob der Plan auch wirklich funktionieren würde und ob Lorraine Warren nicht vielleicht Verdacht schöpfen und ihn an die N.E.S.P.R. verpfeifen würde. Dann würde es ziemlich schwierig werden und wenn sie ihn auch verschleppen würden, sah der Nekromant leider kaum eine Möglichkeit, das Ganze ohne unnötige Opfer zu überstehen. Und davor graute ihm am Meisten, denn er wollte keine Menschen mehr töten. Er hatte Rache an jenen genommen, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatten, jetzt war es genug. Nach einer viertelstündigen Fahrt erreichte er schließlich das Haus, in welchem die Gegenstände gelagert wurden. Als er klopfte, öffnete ihm eine Frau in den mittleren Vierzigern und diese bekam erst einmal einen heftigen Schreck, als sie den Nekromanten sah, der auf sie wie eine Gespenstererscheinung oder ein monströser Verrückter wirken musste. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er schüchtern und nickte ihr zur Begrüßung zu, da sie es offenbar vermeiden wollte, ihn auch nur anzufassen. „Ich hatte angefragt wegen der Museumsführung. Mein Name ist Dathan Lumis Kinsley.“

„Tut mir Leid, aber ich…“

„Bring den jungen Herrn doch rein Judy!“ rief eine alte Frauenstimme aus dem Haus und die Frau drehte sich um und rief „Bist du dir auch sicher, Mutter?“

„Ja natürlich.“ Mit einem deutlichen Widerstreben führte die Frau ihn ins Haus durch den Flur ins Wohnzimmer. Dieses als auch der Rest des Hauses waren sehr altmodisch eingerichtet. Ein typisches Rentnerhaus und in einem Sessel saß eine Frau um die Mitte achtzig oder vielleicht sogar etwas älter. Sie schaute den Besucher durch ihre Brille an und sie wirkte sehr ernst und gefasst. Dann aber setzte sie ein herzliches und freundliches Lächeln auf, erhob sich langsam und reichte ihm zur Begrüßung die Hand. „Guten Tag Mr. Kinsley, schön Sie zu sehen. Mein Name ist Lorraine Warren, Sie können ruhig Lorraine zu mir sagen.“ Das war sie also, Amerikas berühmteste Dämonologin. Sie sah ganz unscheinbar aus, gar nicht wie eine Koryphäe auf dem Gebiet der Parapsychologie, sondern mehr wie eine freundliche alte Dame aus der Nachbarschaft. Aber vor knapp dreißig oder vierzig Jahren musste das auch gerne Dathan nennen.“

„Ah gut. Und Sie sind also hier, um sich unser kleines Museum anzuschauen, richtig? Dann kommen Sie ruhig mit. Aber vorab möchte ich Ihnen noch zwei gute Ratschläge geben: Fassen Sie keine der Gegenstände an und provozieren Sie nichts. Das kann schnell nach hinten losgehen und böse enden.“ Lorraine ergriff einen Gehstock und ging voran. Dafür, dass sie schon ein solch respektables Alter erreicht hatte, machte sie noch einen sehr rüstigen Eindruck und schien plötzlich um mehr als zehn Jahre verjüngt zu sein. Sie führte Dathan zu einer Tür, an der ein Warnschild hing: „Bitte nicht betreten – Lebensgefahr!“ Aus ihrer Rocktasche holte sie einen Schlüssel hervor und öffnete die Tür. „Warum bewahren Sie die ganzen Sachen bei sich im Hause auf?“ fragte er neugierig, während sie beide ins Museum eintraten. „Ist das nicht gefährlich?“

„Ed war der Meinung, es wäre sicherer, wenn sie in den richtigen Händen wären, als wenn man sie vergraben oder wegwerfen würde. Zerstören wäre vielleicht eine Alternative gewesen, aber wir wollten eben verhindern, dass diese bösen Geister und Energien befreit werden. Bombenblindgänger würde man ja auch nicht einfach so einem unerfahrenen Laien überlassen. Ein Mal in Monat kommt ein Priester vorbei, um diesen Ort zu segnen, aber es ist eben wie in einer Raucherwohnung. Man kann zwar immer wieder reinigen, aber den Geruch kriegt man niemals vollständig raus.“

„Und hier ist auch tatsächlich die berühmte Puppe Annabelle?“

„Natürlich, aber Sie werden enttäuscht sein. Sie sieht gar nicht so unheimlich aus, wie sie in diesem Film dargestellt wird. Im Gegenteil, sie sieht süß und ganz harmlos aus. Aber meiner Meinung ist das noch unheimlicher als eine dieser Horrorpuppen.“ Als Dathan das Museum betrat, wurde er regelrecht erschlagen, so viele verschiedene Dinge gab es in diesen Räumen. Angefangen von einfachen Taschenuhren über Handspiegel, Spieluhren bis hin zu okkulten Gegenständen wie Götzenfiguren, Hexagrammen. Und dann gab es wiederum Dinge, die man gar nicht mit Parapsychologie und Okkultismus in Verbindung bringen würde: einfache Gemälde, ein Tigerfell, Spieluhren und Schlüssel. Natürlich gab es auch zurecht unheimliche Dinge, wie etwa bizarre Masken, Menschenschädel oder Tierknochen. Das alles wirkte wie ein bizarres Antiquariat oder wie ein Trödellladen. Was ihm zudem auffiel, waren die vielen Kruzifixe, die zwischen den Regalen standen und an den Wänden hingen. Als er danach fragte, erklärte Lorraine „Um dieser negativen Energie entgegenzuwirken, gebrauchten Ed und ich immer religiöse Reliquien als positiven Gegenpol.“ Schließlich erreichten sie den Schaukasten, in dem sich die berühmte Annabelle befand. Dathan wurde mulmig zumute, als er sie sah und das nicht, weil sie unheimlich auf ihn wirkte. Nein, es lag daran, weil diese Puppe genauso aussah wie jene, die Sally in seinem Traum auf dem Schoß hatte. Eine Raggedy-Ann Puppe mit unschuldigem Gesicht und roten Haaren. Und hatte Sally nicht ihren Namen genannt? Was hatte sie noch mal zu ihm gesagt? „… ist nicht Annabelle… ihr richtiger…“ Wollte sie vielleicht sagen, dass der Name der Puppe gar nicht Annabelle war? Nein, sie musste etwas anderes gemeint haben. Die Puppe, die sie bei sich hatte, trug andere Kleider. Dathan ging näher an den Schaukasten heran, wo die Warnung „Positively Do Not Open!“ stand. Am Rahmen des Kastens war eine Tarotkarte befestigt, die den Teufel darstellte und über dem Kasten hing ein Kruzifix. Je näher er der Puppe kam, desto mehr war er sich sicher, dass er tatsächlich etwas spürte. Irgendetwas Bösartiges und Ruheloses. Es fühlte sich ein wenig nach der Präsenz an, die er beim Sally-Film verspürt hatte. Und außerdem glaubte er, so etwas wie ein Funkeln in den Augen der Puppe gesehen zu haben. Ihm war, als würde eine Stimme in seinem Kopf ihm etwas zuflüstern. „Eine Frage, Lorraine“, sagte er schließlich, während er seinen Blick nicht von der Puppe löste. „Woher stammt diese Puppe eigentlich?“

„Sie wurde in einem Antiquariat im Jahre 1970 gekauft.“

„Wer war der Vorbesitzer?“

„Das haben wir niemals herausfinden können.“ Die alte Dame wurde ein wenig unruhig, als sie sah, wie nah Dathan eigentlich der Puppe war. Und er stellte auch nicht die üblichen Fragen wie etwa „Hat die Puppe schon mal jemanden umgebracht?“, oder „Ist sie tatsächlich vom Teufel besessen?“ Schließlich legte der Nekromant eine Hand auf die Scheibe und die Dämonologin rief erschrocken „Nicht anfassen!“ Doch er nahm die Hand nicht runter. Nein, denn jetzt spürte er es deutlicher. Hinter dieser finsteren und bösartigen Kraft steckte etwas Vertrautes. Diese Puppe hatte etwas, das ihm bekannt vorkam und zu Lorraines größten Entsetzen öffnete er das Schaufenster und nahm die Puppe heraus. „Sind Sie wahnsinnig? Legen Sie die Puppe zurück!“ Kaum hatte Annabelle die Vitrine verlassen, da wurde mit einem Male ihre ganze Kraft entfesselt. Eine gewaltige Kraft strömte auf Dathan ein und tausende von Bildern durchfluteten seinen Geist. Erinnerungen und Emotionen wurden freigesetzt, zu viel für seinen Verstand. Noch während er Annabelle in der Hand hielt, wurde er ohnmächtig und brach auf dem Boden zusammen. Das Letzte, was er wahrnahm, waren Lorraines Rufe nach ihrer Tochter. Er wachte jedoch schon wieder auf, bevor Judy Warren kam und er bemerkte, dass er weinte. Lorraine war bei ihm und hatte versucht, ihm die Puppe abzunehmen, aber er hatte sie krampfhaft festgehalten, während er ohnmächtig war. „Dathan, was haben Sie sich nur dabei gedacht, Annabelle aus der Vitrine zu entfernen? Ich hatte Sie doch gewarnt, dass…“er benommen und sah die Puppe ergriffen an, während er ihren Kopf streichelte. „Mein Gott… es gibt noch weitere.“ Lorraine erinnerte sich an ihr Gespräch mit ihrem geheimnisvollen Besucher und an seine Worte: Dathan war ein Nekromant und er war es auch, der Sallys Terror beendet hatte. Er war ähnlich wie sie selbst: Er nahm Dinge war, die andere nicht sehen oder spüren konnten. Dathan besaß Fähigkeiten eines Mediums. „Was haben Sie gesehen, Dathan?“

„Viel… zu viel…. Sie war… mein Gott.“ Er konnte nicht weitersprechen. Die Gefühle übermannten ihn einfach und er begann zu schluchzen.

Der Wahrheit auf der Spur

Nachdem sich Dathan beruhigt und die Puppe wieder in ihrem Schaukasten war, gingen sie wieder zurück ins Wohnzimmer und er nahm dankend einen Tee an. Lorraine hatte ruhig und geduldig gewartet, bis er in der Lage war, ihr zu sagen, was geschehen war und wiederholte schließlich ihre Frage. Doch er antwortete nicht sofort, denn er musste es erst sacken lassen. Dann aber atmete er tief durch und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Als ich Annabelle gesehen habe, habe ich etwas gespürt. Sie kam mir so vertraut vor. Und als ich sie aus dem Schaukasten genommen habe, habe ich Dinge gesehen. Ich glaube, ich habe ihre Erinnerungen gesehen.“

„Annabelles Erinnerungen?“

„Nein, nicht Annabelles, sondern Sallys.“

„Sally? Wie soll ich das verstehen?“

„Ich glaube, dass diese Puppe hier gar nicht vom Teufel besessen ist. Ich denke eher, dass sie eine Art Gefäß für Sallys Kraft ist, ähnlich wie dieses Video. Und was ich noch glaube ist, dass Sally wollte, dass ich mit dieser Puppe in Kontakt komme. Letzte Nacht habe ich geträumt, dass sie mit dieser Puppe im Schaukelstuhl saß.“ Lorraine hörte sich geduldig sein teilweise zusammenhangloses Gerede an und nickte zwischendurch. Sie ahnte, dass es noch nicht alles war, was dieser Junge ihr sagen wollte und so sagte sie „Erzählen Sie es mir, Dathan. Erzählen Sie mir die ganze Geschichte.“

„Tja, wo fange ich am besten an? Sally ist eine Verwandte von mir, die vor zweihundert Jahren gelebt hat. Sie ist als Nekromantin zur Welt gekommen und war in der Lage, Menschen durch pure Willenskraft zu töten. Sie wurde von ihren Mitmenschen ausgestoßen und umgebracht. Daraufhin zerstörte sie alles in ihrer Umgebung. Zuerst die Stadt Shallow Graves, wo sie von einer wütenden Meute erschlagen worden war. Daraufhin erwachte sie wieder zum Leben, ging in ihre Heimatstadt zurück und nachdem man ihre Familie tötete, kam es zur Backwater Tragödie. Ihr Bruder Lumis überlebte und von Generation zu Generation wurde diese Geschichte weitererzählt. Sally selbst fand keine Ruhe, jedoch brauchte ihre Energie ein Objekt, an welches sie sich heften konnte. Dieses Objekt war der Film „Happy Sally“, der aus der Feder des Disneyzeichners Fred Moore entstanden war. Dieser hatte sich durch Andrea Sarias Arie des Wahnsinns inspirieren lassen und dieser Film hat das Sally-Syndrom bei allen ausgelöst, die ihn angesehen haben. Doch ich glaube, es gibt noch mehr solcher Objekte, die Sallys Kraft enthalten.“

„Das wäre nachvollziehbar. Die meisten Objekte haben eine Obergrenze, die sie an Energie aufnehmen können. Sehr gut möglich, dass Sally deshalb auch auf andere Objekte übergegangen ist.“

„Wäre Sally nicht an den Folgen dieser Kraftfreisetzung gestorben, hätte sie noch das ganze Land in Schutt und Asche gelegt. Doch obwohl sie eigentlich ihren Frieden gefunden haben müsste, ist sie immer noch da und erscheint sämtlichen Nekromanten in ihren Träumen.“

„Vielleicht gibt es für Sally noch einen wichtigen Grund, warum sie noch hier bleibt. Welchen Grund könnte es geben?“ Dathan schwieg und Lorraine sah ihm an, dass er Angst hatte. Über die Jahre hatte sie sich eine sehr zuverlässige Menschenkenntnis angeeignet und sie hatte schon immer die Fähigkeit besessen, die Dinge klar zu sehen. Dieser Junge sagte die Wahrheit. Schließlich aber fasste er sich ein Herz und erklärte „Es besteht der Verdacht, dass Leute Ihrer Organisation Nekromanten entführt haben und sie festhalten. Eine Angehörige suchte mich vor ein paar Tagen auf und bat mich um Hilfe. Ihr kleiner Bruder hatte sich für eine Therapie gemeldet, die es ihm ermöglichen sollte, ein normales Leben zu führen. Aber weder sie, noch ihre Eltern durften zu ihm und sie erhielten auch keine Informationen zu seinem jetzigen Aufenthalt und Zustand. Sie vermutet, dass auch noch andere Nekromanten dort gewaltsam festgehalten werden.“ Lorraine ließ fast ihre Tasse fallen, als sie das hörte. Sie hatte ja mit einigem gerechnet, aber mit so etwas nicht. Sie und Ed hatten all ihr Herzblut in dieses Projekt gesteckt und jetzt kam so ein Junge daher und erzählte, dass ihre ehemaligen Schüler kriminell geworden waren. Aber warum sollte er lügen? Welchen Grund sollte er haben? Er war kein Kritiker, das stand fest. Sie konnte ihm vom Gesicht ablesen, dass er es ernst meinte und genau das traf sie sehr. „Dann sind Sie also hierher gekommen, weil Sie glauben, ich würde mit dieser Sache zu tun haben?“

„Nein, ich will nur Ihre Hilfe. Vielleicht kennen Sie eine Möglichkeit, um an die gefangenen Nekromanten ranzukommen oder was weiß ich. Ich will nicht, dass den Nekromanten, oder sonst jemandem etwas passiert.“

„Also gut Dathan, dann werde ich Ihnen helfen. Aber leider ist mein Einfluss auf die Organisation längst nicht mehr so stark wie vor wenigen Jahren, als Ed noch gelebt hat. Was haben Sie als Nächstes vor?“

„Ich muss noch mehr über die Ziele der Organisation herausfinden. Die Nekromanten spielen dabei eine zentrale Rolle. Aber mir will noch nicht ganz klar werden, was Sally damit zu tun hat.“

„Das liegt doch auf der Hand“, sagte die alte Dame schließlich und erhob sich von ihrem Sessel, um zu einem der Schränke zu gehen. „Die Nekromanten sind alle miteinander durch Sally verbunden, das haben Sie mir gesagt. Ich vermute, dass sie diese Kraft zu einem Ganzen vereinen wollen und wenn ich sogar noch einen Schritt weitergehe, glaube ich, dass selbst Sally in Wahrheit nur ein Puzzlestück ist.“ Lorraine öffnete eine Schublade und holte ein Kistchen heraus, welches sie auf den Tisch stellte und öffnete. Sie holte mehrere Fotoaufnahmen heraus und zeigte sie Dathan. Diese Fotos waren zum Teil so alt, dass sie noch nicht einmal in Farbe waren. „Vor seinem Tode hat Ed versucht, mehr über das Sally-Phänomen zu erfahren. Aber das war für uns zu viel. Dieses Mädchen war einfach zu stark für uns und Ed hat das alles nicht verkraftet. Sein Herz war sowieso schon schwach gewesen. Seine ganzen Recherchen habe ich aufbewahrt.“ Dathan sah sich die Bilder an und glaubte nicht richtig zu sehen: Auf diesen Fotos waren Mädchen zu sehen, die Sally zum Verwechseln ähnlich sahen. Und sie alle waren mit Jahresdaten versehen. „Was… was hat das zu bedeuten?“

„Sally wird nach ihrem Tode immer wieder neugeboren über all die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg. Sicherlich war sie selbst auch nur eine Wiedergeburt und hatte bereits viele Jahrhunderte zuvor bereits gelebt. Wahrscheinlich sogar schon vor Beginn der Zeitrechnung.“

„Aber wie ist das möglich? Ich dachte, dass Nekromanten nach ihrem erneuten Tod als normale Menschen wiedergeboren werden, nachdem sie nach ihrem ersten Tod über ihre vollen Kräfte verfügen.“

„Vielleicht liegt es daran, dass ihre Kräfte nur geliehen sind“, erklärte Lorraine und betrachtete nun selbst die Schwarzweißaufnahmen. „Wie haben Sie es denn überhaupt geschafft, zurückzukehren?“

„Ich bin einem Instinkt gefolgt, als wäre da eine Stimme, die mich ins Leben zurückruft.“

„Und was ist, wenn diese Stimme Sally war? Vermutlich besaßen die Nekromanten zu Lebzeit keine Kraft und als sie starben, gerieten sie in Kontakt mit ihrer Kraft und haben ein Teil von ihr angenommen, sodass sie den Tod beherrschen konnten. Die Nekromanten sind alle durch sie und dem Tode miteinander verbunden, das ist der Schlüssel zum Ganzen. Und wenn alle Wege zu ihr führen, könnte man sogar davon ausgehen, dass es am Anfang nur einen einzigen Nekromanten gab.“ Dathan sah sie mit einem zweifelnden Blick an, doch Lorraine schien sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. „Dann würde das ja bedeuten…“

„… dass die Nekromanten von derselben Linie abstammen. Und Sie, Dathan, stammen der direkten Linie ab.“ Das würde erklären, warum so viele in seiner Familie rote Augen und schwarze Haare hatten. Diese Theorie würde sogar erklären, warum es ausgerechnet in seiner Familie so viele Nekromanten gab. Sie waren die direkten Nachfahren des ersten Nekromanten. Und auch Sally stammte dieser Linie ab. Sie hatte das größte Machtpotential von allen gehabt und nach ihrem Tode hatte sich ihre Macht zerstreut. Annabelle und „Happy Sally“ waren nur zwei Puzzleteile. Nun verstand Dathan auch, welche Gedankengänge Lorraine verfolgte. Die N.E.S.P.R. entführte Nekromanten, um somit das Puzzle zusammenzufügen. Sie wollten den Ursprung der Nekromanten "zurückholen" und damit übr die wohl gewaltigste Kraft verfügten, die es bis dato gegeben hatte. Allein die Vorstellung war erschreckend. Schon Sally hatte die Macht besessen, zwei Städte dem Erdboden gleich zu machen und selbst nach ihrem Tode hunderte von Menschen zu töten. Wie stark würde sie dann sein, wenn sie noch die Kräfte der anderen in sich aufnahm? Sie könnte vielleicht die sprichwörtliche Apokalypse einläuten. Eine schreckliche Vorstellung. Als könnte Lorraine seine Gedanken lesen, fragte sie „Sind Sie sich immer noch sicher, ob Sie das wirklich tun wollen?“

„Natürlich. Ich will die Nekromanten befreien und verhindern, dass diese Kriminellen Sallys ganze Macht wiederherstellen. Solch eine Macht sollte niemand besitzen dürfen. Weder Sally noch irgendjemand anderes sonst.“ Vielleicht war ja auch das der Grund gewesen, warum es überhaupt Nekromanten auf der Welt gab. Nicht etwa, weil sie das Ende der Welt herbeirufen sollten, sondern damit niemand in der Lage sein würde, eine Katastrophe diesen Ausmaßes zu verursachen. „Dann bleibt nur zu hoffen, dass Sie auch wirklich sicher sind, was Sie da tun.“

„Das hoffe ich auch. Aber eines verstehe ich bei der ganzen Sache noch nicht“, sagte er schließlich und sah die alte Frau fragend an. „Warum spricht Sally immer nur in Rätseln und will nicht mit der Sprache rausrücken, warum sie das tut und was soll diese Geheimniskrämerei?“

„Womöglich weiß sie etwas, das Sie sehr verletzen könnte und traut sich wahrscheinlich nicht, weil sie Angst davor hat, was passieren könnte, wenn Sie es erfahren.“ Schön und gut aber was könnte es denn so Furchtbares sein, das ihn den gleichen Fehler machen ließe wie Sally? Seine Familie war schon tot! Oder war es etwa Jamie? Waren seine Freunde etwa in Gefahr? Nein, das konnte nicht sein. Sie waren doch gar nicht bei ihm und selbst zu Emily hatte er den Kontakt abgebrochen, damit ihr nichts passierte. Er hatte sich ja vorsorglich alleine auf den Weg zu Lorraine Warren gemacht, um zu vermeiden, dass irgendjemand in seinem Umfeld in Gefahr geraten könnte. „Was mich selbst etwas beschäftigt“, sagte die alte Dame schließlich, „ist die Frage, warum es Nekromanten eigentlich gibt. Soweit ich weiß, geschieht nichts rein zufällig. Alles, was passiert, hat irgendwo seine Ursache. Die Nekromanten herrschen über den Tod, sie können ihn beliebig manipulieren und herbeiführen. Könnte es vielleicht sein, dass sie genau diesen Zweck erfüllen sollen? Dass sie dazu bestimmt sind, den jüngsten Tag herbeizuführen?“

„So ein Schwachsinn!“ rief Dathan und sprang augenblicklich vom Sofa auf und war so laut, dass Lorraine erschrocken zusammenfuhr. „Ich will einfach nicht glauben, dass ich nur aus dem Grund geboren wurde, um Menschen zu töten. Wenn das so stimmt, dann hätte ich niemals geboren werden dürfen, ebenso wenig wie Sally oder Jeannes Bruder Jacques, der nun entführt wurde. Zwar mag ich die Macht dazu haben, aber ich setze sie nur ein, um jene zu beschützen, die ich liebe. Ich will niemanden mehr töten und ich vergreife mich auch nicht an Unschuldigen.“

„Nun beruhigen Sie sich doch. Verzeihen Sie, wenn ich Sie persönlich angegriffen habe. Dies stand nicht in meiner Absicht.“ Lorraine dachte an die Worte ihres Besuchers, der ihr gesagt hatte, was passieren würde: Sally würde die verstreuten Fragmente ihrer Kraft sammeln und dann würde sich entscheiden, ob die Welt enden würde oder nicht. Demnach musste es sich doch so verhalten, dass die Nekromanten die Kinder der Apokalypse waren. Aber wenn sie so darüber nachdachte, wie sich Dathan verhielt… Er wirkte nicht wie ein Mörder sondern wie ein armer Mensch, der so viel im Leben ertragen musste. Er hatte ihr erzählt, dass seine Familie nicht mehr lebte und man seine fünfjährige Schwester umgebracht hatte. Dass er immer noch daran festhielt, dass man nicht einfach so Menschen töten durfte, sprach von einer unglaublich starken Persönlichkeit. Vielleicht war er derjenige, der die Sache entscheiden würde. Derjenige, der Sally ein weiteres Mal aufhalten würde. Schon verrückt, dass das Schicksal der Welt in den Händen eines kleinen Mädchens und eines vom Leben gezeichneten Jungen lag. Was für eine schreckliche Ironie. Sie konnte ihm diese Wahrheit nicht antun, vielleicht würde dies nur zur der Katastrophe führen, die ihr der Besucher prophezeit hatte. Lorraine hätte sich im Leben niemals vorstellen können, eines Tages dazu beizutragen, die Welt zu retten, oder dem Untergang zuzuführen. Was hätte wohl Ed an ihrer Stelle getan? Er hätte wohl auf das Beste gehofft und auf Gott vertraut, dass alles seinen rechten Weg gehen würde. „Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann. Gleich später werde ich mal mit der stellvertretenden Leitung der N.E.S.P.R. sprechen und dafür sorgen, dass Sie Zutritt erhalten. Mein Schwiegersohn Tony wird Ihnen helfen, ihm können Sie ruhig vertrauen. Er hat mir und Ed auch in der Vergangenheit oft geholfen.“ Lorraine ließ sich ein Telefon geben und wählte die Nummer ihres Schwiegersohns Tony Spera. Nach ihrem Tod würde er ihre Nachfolge antreten und sich der Erforschung paranormaler Phänomene widmen. Er würde auch die Leitung der N.E.S.P.R. übernehmen, auch wenn er sie offiziell schon längst innehatte. Doch inoffiziell war es immer noch Lorraine, die der Kopf der Organisation war. So, wie sich die Sache momentan verhielt, schien es sich um eine Splittergruppe innerhalb der Organisation zu handeln, die für diese kriminellen Machenschaften verantwortlich war. Dass Lorraine von alledem nichts gewusst hatte, glaubte Dathan sofort. Sie war ein ehrlicher Mensch und er war froh, dass sie ihm helfen wollte.

Knapp eine halbe Stunde später traf ihr Schwiegersohn Tony ein und sie erzählte ihm von der Geschichte. Tony war ebenso fassungslos wie sie, als er davon hörte und zuerst konnte er nicht glauben, was er da hörte. Immerhin kannte er fast alle aus der Organisation und konnte auch niemandem so etwas zutrauen. „Aber leider verhalten sich die Dinge so“, versicherte Dathan, als Tony seine Einwände erhoben hatte. „Ich habe hier sogar das Schreiben mitgebracht, welches ich per Post erhalten habe.“ Er reichte ihm das Mitteilungsschreiben der N.E.S.P.R. und dieser las es sich durch. Schließlich gab er seiner Schwiegermutter den Brief weiter und murmelte „Das ist tatsächlich eines unserer Schreiben. Aber der Inhalt ist mir völlig unbekannt.“

„In der Tat, da ist eindeutig das Logo drauf. Aber meines Wissens wurde niemals so etwas in der Art verschickt. Es müssen tatsächlich Leute aus unserer Organisation sein.“ Diese Erkenntnis erschütterte die alte Frau zutiefst, denn sie hatte niemals gedacht, dass es tatsächlich einmal so weit kommen würde. Hatten Ed und sie all die Jahre etwa darauf hingearbeitet? Dass ihre eigenen Leute zu Verbrechern wurden, die unschuldige Kinder entführten? Nein, das hatte sie niemals so gewollt. „Lorraine, geht es dir gut?“

„Es geht schon. Sag mal Tony, hast du vielleicht eine Ahnung, wer dahinter steckt? Wer ist für die Erforschung der schwarzen Magie und Totenbeschwörung zuständig?“

„Da gibt es genug und leider sind sie in ganz Amerika verstreut.“

„Dann sag mir, wer sich auf das Sally-Phänomen spezialisiert hat.“

„Das waren Samuel Leens, Brian Moser und Cassandra Adams.“ Lorraine nickte schweigend und ließ sich ihren Mantel bringen. Sie würden zum Institut zur Erforschung von schwarzer Magie und Nekromantie fahren und dort herausfinden, was die drei wirklich im Schilde führten. Das Institut befand sich nicht sehr weit weg von den Trümmern des ehemaligen Hans Bender Instituts, wo Dathan gefangen gehalten worden war. Während der Fahrt versuchte der Nekromant, mit Jamie zu telefonieren, aber er ging nicht ans Handy. Wahrscheinlich war er gerade beschäftigt und so beschloss Dathan, ihm erst einmal nur eine SMS zu schreiben. Lorraine wirkte ein wenig angeschlagen, was ihm und besonders ihrem Schwiegersohn Sorgen bereitete. Sie war immerhin bereits 86 Jahre alt und die Aufregung könnte vielleicht zu viel für sie gewesen sein. Doch auf Nachfragen beteuerte sie, dass alles in Ordnung sei.

Das Institut sah von außen fast wie ein Gefängnis aus. Es war von hohen Mauern umgeben und mit Stacheldraht gesichert. Am Eingang stand „Eintritt für Unbefugte streng verboten“. Tony erklärte Dathan, dass dies Sicherheitsmaßnahmen seien. Immerhin würden hinter diesen Mauern Forschungen an besessenen Objekten durchgeführt werden, die gefährlich waren. Man wollte verhindern, dass die Dämonen die Mauern verließen und Zivilisten in Gefahr bringen könnten. „Trotzdem“ murmelte der von Narben entstellte Nekromant und innerlich fröstelte es ihm. „Es ist wie ein Gefängnis. Und in diesem Gefängnis werden Menschen gegen ihren Willen festgehalten.“ Sie erreichten das Tor und Tony kurbelte die Fensterscheibe hinunter, um die Sprechanlage zu betätigen. Er erklärte, dass Lorraine sich die Forschungsergebnisse ansehen und mit den Leitern des Instituts sprechen wollte. Tatsächlich öffnete sich das Tor und Tony fuhr in den Innenhof. Auf dem Parkplatz stellte er den Wagen ab und half seiner Schwiegermutter, auszusteigen. Auf ihrem Gehstock gestützt, richtete sich die alte Frau auf und betrachtete das Institut. „Als wir es aufgebaut haben, war es noch nicht so trostlos und hochgesichert wie jetzt. Ich spüre, dass da etwas Mächtiges im Inneren lauert.“

„Siehst du etwas, Lorraine?“

„Der Schatten des Todes. Er hängt über diesem Gebäude und ich spüre, dass sich etwas im Institut zusammenbraut. Tony, bitte hilf mir, ich glaube meine Beine werden langsam schwach…“ Tony nahm den Arm seiner Schwiegermutter und begleitete sie zum Eingang, Dathan folgte ihnen. Die Tür öffnete sich und als sie das Institut betraten, verlor Dathan schnell den Eindruck, dass es sich hier um ein Gefängnis handelte. Das ganze Gebäude wirkte mehr wie ein riesiger Bürokomplex. Es gab aber auch Labore, wo Untersuchungen an besessenen Objekten durchgeführt wurden und auch Hörsäle, wo man über schwarze Magie, Okkultismus und Nekromantie sprach. Lorraine ging ins Büro von Cassandra Adams, erfuhr dort aber, dass sowohl sie als auch Brian Moser in den unterirdischen Laboren waren und dort an einem Projekt arbeiteten. „Was für ein Projekt wäre das?“ fragte die alte Dame den Angestellten mit fester Stimme und sah plötzlich wieder zehn Jahre jünger und auch sehr autoritär aus. Der Angestellte nannte es „Projekt Harmagedon“. Harmagedon, dachte Dathan und er spürte, wie sich ein dicker Kloß im Hals festsetzte. Das ist die hebräische Bezeichnung für den Tag des jüngsten Gerichts. Warum zum Teufel dachte sich jemand so einen Namen für ein Projekt aus? Ihn beschlich schon jetzt das Gefühl, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde.

Schatten und Lügen der Vergangenheit

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Sally opfert sich

Das Labor war riesig und große Maschinen standen bereit. An mehreren aufgestellten Plattformen waren Erwachsene und Kinder festgeschnallt, darunter war auch Jeanne. Sie alle regten sich nicht und sahen aus, als würden sie schlafen. Doch Dathan, Sally und Christine wussten es besser: Sie waren zu spät. Die Maschine hatte ihnen bereits sämtliche Lebenskraft entzogen und sie getötet. An der Teufelsmaschine stand eine schwarzhaarige schöne Frau, die gewisse Ähnlichkeit mit Dathan aufwies, jedoch nicht diese natürliche unheimliche Art ausstrahlte wie er. Es war Cassandra Kinsley, seine Cousine. Diese schien zuerst sehr wütend darüber zu sein, dass sie einfach so eingedrungen waren, dann aber setzte sie ein eiskaltes Lächeln auf. „Na das ist ja wunderbar. Da kommt ja endlich der Rest der Bande angetanzt.“ Der Nekromant blieb abrupt stehen und konnte nicht fassen, wer da vor ihm stand und ihn eiskalt anlächelte. „Cassandra? Was hat das zu bedeuten und warum bist du hier?“

„Na, ich leite das Projekt gemeinsam mit deinem Vater. Und da du hier bist, können wir gleich mit der Extraktion beginnen.“ Er erkannte seine Cousine überhaupt nicht mehr wieder. Sie war doch sonst immer so herzensgut, hilfsbereit und fürsorglich gewesen und jetzt behandelte sie ihn wie irgendeine Laborratte. Hatten sich denn alle seine Mitmenschen gegen ihn gewandt? Er schüttelte den Kopf und wich einen halben Schritt zurück. „Das… das ist nicht dein Ernst, oder? Sag mir, dass das ein Scherz ist, Cassandra!“ „Wieso sollte ich? Akzeptier endlich, dass die Kinderstunde endgültig vorbei ist. Mir ist es sowieso auf die Nerven gegangen, einen Freak wie dich und diese Hexenbrut zu babysitten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich überwinden musste, um euch Monstern die liebende Cousine vorzuspielen. Leider blieb keine andere Wahl, da mein Onkel den Prototypen neu kalibrieren musste und ich die einzig Qualifizierte für die Verhaltensstudie war.“

„Verhaltensstudie?“ fragte Jamie und glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Dathan und Christie sind doch keine Versuchskaninchen! Und warum überhaupt der Brand auf dem Hausboot? Ist das auch auf eurem Mist gewachsen?“ Cassandra seufzte und steckte die Hände in die Taschen ihres Laborkittels. Hochmütig und herablassend funkelte sie die Ankömmlinge an.

„Eigentlich war das ja nicht so geplant, aber leider musste ich improvisieren, weil Koishi dahinter gekommen ist.“

„Was hatte er mit der Sache zu tun?“

„Er hatte rein zufällig ein Telefonat belauscht und gemerkt, dass ich mit Dathan und Christie Pläne hatte. Da ich nicht zulassen konnte, dass er alles ruiniert, habe ich den Brand eingefädelt und ihn somit beiseite geschafft. Ich habe mich mit Christie abgesetzt, fast identische Leichen ins Wasser geworfen und sie ins Institut gebracht. Mir war klar, dass Dathan einen Rachefeldzug starten würde und auf diesem Weg brauchte ich auch keinen Finger krumm zu machen, um die letzten Zeugen zu beseitigen.“ Emilys Augen füllten sich mit Tränen, als sie das Unfassbare hörte. Dathans eigene Familie hatte sein Leben zerstört und zugelassen, was sein Umfeld ihm angetan hatte und sie hatten ihn im Glauben gelassen, seine kleine Schwester wäre tot. Dass Menschen so grausam sein konnten, ging einfach über ihren Verstand hinaus. Sallys Hände ballten sich zu Fäusten und sie sah danach aus, als wolle sie Cassandra umgehend umbringen, aber sie tat es nicht. Sie hatte nämlich noch Fragen. „Warum dieses ganze Spiel? Warum habt ihr Dathan belogen und mein Video verbreitet?“

„Es waren Testreihen. Wir wollten wissen, welches Potential in ihn steckt, da er ja die Reinkarnation deines Bruders Lumis ist und du ihn ins Leben zurückgeholt hast. Gleich mehrmals sogar, was selbst für Nekromanten fast unmöglich ist. Gleichzeitig wollten wir auch wissen, wie stark „Happy Sally“ ist, obwohl sie nur einen Teil deiner wahren Macht darstellt. Dathan hat uns enttäuscht, aber trotzdem konnten wir ihn nicht töten, weil wir ihn für unsere Pläne brauchten. Ohne ihn wäre deine Kraft nicht vollständig wiederhergestellt.“

„Wieso wäre Sallys Kraft ohne die anderen Nekromanten nicht vollständig?“

„Habt ihr es immer noch nicht verstanden? Die Nekromanten haben ihre Kraft erst nach ihrem Tode von Sally erhalten!“ Dathan sah Sally an und wartete auf eine Antwort von ihr. Doch sie schwieg und senkte den Blick. Cassandra lachte gehässig. „Sag bloß, das hast du ihm nicht gesagt. Kann ich mir gut vorstellen, bei allem, was er deinetwegen durchmachen musste. Dann will ich es dir mal sagen, mein lieber Cousin. Du und Christie seid das „Produkt“ von Sallys ungebrochenem Herzenswunsch, den sie mit allen Mitteln verwirklichen wollte: ein zweites Leben mit ihrem Bruder. Deswegen konnte sie weder dich, noch Christie sterben lassen und hat euch nach eurem Tode auf dem Hausboot wieder ins Leben zurückgeholt. Der Grund, warum du ein Nekromant bist, rührt daher, dass ein Teil von Sallys Kraft vor zweihundert Jahren auf Lumis übergegangen ist und sie bis heute in seinem Innersten erhalten blieb. Sie war aber zu schwach, damit du wieder ins Leben zurückfinden konntest. Deswegen hat Sally deine Kräfte erweckt und damit die Fähigkeit, Menschen zu töten.“

„Das habe ich nur getan, weil ich ihm helfen wollte, sich gegen Leute wie euch zur Wehr zu setzen!“ rief Sally und in dem Moment zersprangen mehrere gläserne Gegenstände im Raum. „Und ich werde auch jetzt nicht zulassen, dass ihr meinen Traum zerstört oder Dathan seinen raubt. Ich werde nicht zulassen, dass ihr die Kontrolle über die Nekromantie erhaltet und damit herumspielt!“

„Und was willst du dagegen tun?“

„Ich werde auf meine Weise die Nekromantie aus dieser Welt verbannen. Und zwar ohne, dass jemand dafür sterben muss. Außer du, du abgebrühtes Miststück!!!“ Eine Druckwelle schleuderte Cassandra gegen die Decke und dann stürzte sie hinunter. Sie stürzte mit einem dumpfen Knall wieder zu Boden und zunächst sah es aus, als wäre sie ohnmächtig oder sogar tot, doch da richtete sie sich langsam auf und sah Sally hasserfüllt an. „Das wirst du mir büßen, du Hexe!“ Aus der Innenseite ihres Kittels holte Cassandra eine Fernbedienung heraus und betätigte einen roten Knopf. Dies setzte die Maschine in Gang und eine Art Laser wurde ausgefahren, der sich direkt auf Jamie, Emily, Christie und Samuel richtete. Mit einem verächtlichen Grinsen aktivierte Cassandra die Maschine, mit dem Ziel, die vier zu töten. Dathan eilte sofort zu ihnen, um sich schützend vor sie zu stellen, da riss ihn eine gewaltige Kraft, die von Sally ausging, von den Füßen und er stürzte zu Boden. Er rappelte sich wieder auf und sah, wie das kleine Mädchen auf die vier zurannte und den Strahl abfing. „Sally“, rief er und versuchte, sie zu retten, doch Christine hielt ihn zurück und warnte ihn, dass es ihn noch umbringen würde. „Aber wenn wir nichts unternehmen, wird sie für immer verschwinden.“

„Ohne die Fernbedienung können wir aber nichts tun!“ Das genügte Dathan. Er eilte zu Cassandra und es kam zu einem heftigen Handgemenge, bei dem es ihm schließlich gelang, die Maschine auszuschalten und seiner Cousine die Fernbedienung abzunehmen. Keuchend blieb erkurz stehen, dann packte er Cassandra am Kragen und schlug ihr ins Gesicht. So etwas hatte er noch nie zuvor getan, aber er war so wütend und verletzt, dass es ihm in dem Moment scheißegal war. Am liebsten hätte er weiter auf sie eingeprügelt, um ihr zu zeigen, wie sehr sie ihm wehgetan hatte, doch seine Sorge um Sally und die anderen war größer als seine Wut. Zusammen mit Christine eilte er zu ihnen und er konnte Sally noch rechtzeitig auffangen, als sie kraftlos zusammenbrach. Als er sie so im Arm hielt, erschrak er, wie eiskalt ihr Körper eigentlich war. Als wäre ihr Körper bereits tot. „Sally, geht es dir gut? Sag schon, was hast du?“

„Ich kann es nicht glauben, sie hat uns gerettet!“, brachte Jamie hervor und presste eine Hand auf seine Verletzung, die nun stärker blutete. Sally rang mit dem Bewusstsein, es war ihr deutlich anzusehen, dass sie im Begriff war, zu sterben. Doch anstatt, dass sie darüber klagte, lächelte sie und weinte sogar. „Ich wollte nicht, dass noch jemand durch meine Schuld sterben muss. Und das war die einzige Möglichkeit.“ Dathans Brust schnürte sich zusammen und er nahm sie in den Arm. All sein Schmerz und all seine Trauer brachen hervor und er weinte. Er hatte sich so sehr ein friedliches und glückliches Leben gewünscht. Er hatte Freunde, die zu ihm hielten, er hatte Emily und seine kleine Schwester. Aber Sally war alleine… sie hatte niemanden und würde nun für alle Ewigkeiten in der Zwischenwelt gefangen sein, ohne Hoffnung, dass sie auf die andere Seite übergehen könnte. Sie wäre verdammt dazu, für immer alleine zu sein in der Welt, in der selbst Träume verblassen und im Nichts verschwinden. „Das ist nicht fair“, brachte er schluchzend hervor und umarmte Sally fester. „Das ist einfach nicht gerecht.“

„Es ist schon okay so“, sagte sie und nahm seine Hand. „Zumindest kann ich wie beim letzten Mal in den Armen meines Bruders liegen... und konnte wenigstens ein Mal das Richtige tun… und wenn ich gehe, kann ich die anderen wieder zurückbringen. Dann werden sie ein Leben als normale Menschen führen können und glücklich werden bei ihren Familien. Das Einzige, was ich letzten Endes doch nicht geschafft habe war, dir deinen Traum zu erfüllen. Es tut mir Leid…“ „So ein Schwachsinn!“ rief Dathan schließlich und versuchte, sich zusammenzureißen, aber er schaffte es einfach nicht. „Mein Traum ist es, dass wir alle zusammen als Familie glücklich sind. Und du bist ein Teil dieser Familie! Du sollst auch dein Glück finden.“

„Aber ich bin es bereits, weil du lebst. Du hast deine Schwester wieder und dieses Mädchen da liebt dich so wie du bist. Und außerdem durfte ich dich noch einmal sehen, und dafür nehme ich das alles gerne in Kauf.“

„Du darfst so etwas nicht sagen. Ich lasse nicht zu, dass du gehst.“ Doch er konnte nicht verhindern, dass sich Sallys verbliebene Kraft vom Körper löste, weil sie keinen Halt mehr fand. Die negative Kraft, die für ihre nekromantischen Fähigkeiten verantwortlich war, hatte die Maschine absorbiert und mit nur einem Seelenpol konnte sie nicht überleben. Langsam schlossen sich ihre Augen und schließlich war es vorbei. Dathan schaute sie noch eine Weile schweigend an, konnte nicht fassen, dass es wirklich wieder passiert war und er es nicht verhindern konnte. Es war so ungerecht…. Sally war für alle Ewigkeiten in der Zwischenwelt gefangen und er konnte nichts dagegen tun. Um ihn herum hörte man plötzlich Geräusche und als er aufsah, bemerkte er, dass die Nekromanten aufwachten. Auch Jeanne kehrte wieder zurück… Sally hatte sie alle gerettet. Emily und Samuel, der sich inzwischen ein wenig erholt hatte, schnallten die Gefesselten los und versuchten die verängstigten Kinder zu beruhigen. Die meisten von ihnen weinten, konnten sich aber nicht erklären warum. Dathan sah, wie Jeanne überglücklich ihren Bruder in die Arme schloss und ihm beruhigend zusprach. Eigentlich hätte sich Dathan für sie gefreut, aber er konnte es einfach nicht. Christie, seine kleine Schwester, kam zu ihm und legte liebevoll einen Arm um seine Schultern. „Bist du traurig, weil sie weg ist?“

„Ja, sehr traurig sogar.“ Christine hatte sich alles von einer gewissen Distanz aus angesehen und zu allem geschwiegen. Sie war die Einzige, die nicht emotional berührt war oder Anstalten machte, jemanden aufzubauen. Sie machte kurz Anstalten, einfach zu gehen, dann blieb sie aber stehen und seufzte, wobei sie „Ach verdammt“, sagte und wieder kehrtmachte. Sie ging zu Dathan und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Es gibt noch eine sehr riskante Möglichkeit, wie du sie retten kannst.“ Er sah zu ihr auf und seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. Es gab doch einen Weg, um Sally vor diesem Schicksal zu bewahren? Aber woher wusste Christine das? „Diese Maschine entzieht den Nekromanten die Kraft, die sie von Sally erhalten haben und daraufhin wandern ihre Seelen in die Zwischenwelt. Nur aus diesem Grund konnten die Kinder zurückkehren. Der Grund, warum Sally die Zwischenwelt nicht verlassen kann liegt daran, weil sie keine vollständige Seele mehr besitzt. Diese wurde ja in deiner Schwester wiedergeboren. Allerdings konnte sie nicht mit Christie verschmelzen, weil sie nur in der Form eines Scyomanten ihre Macht nutzen konnte. Wäre sie in Christies Körper gefahren, hätte es sie sofort getötet. Dieser Körper da ist lediglich ein Provisorium, damit Sally in Kontakt mit anderen Menschen treten kann.“

„Und wie kann ich sie befreien?“

„Wenn wir die Maschine dazu einsetzen, jemanden hinüberzubringen und Sally aus der Zwischenwelt befreien, könnte sie sich wieder an diesen von ihr geschaffenen Körper heften. Wenn wir die Maschine im Anschluss zerstören, entweicht die nekromantische Energie und könnte ihren Körper reaktivieren.“

„Also gut, dann werde ich es tun.“

„Wie bitte?“ rief Jamie, als er das hörte. „Bist du verrückt? Wenn du in die Zwischenwelt eindringst und sie da rausholst, kannst du da nicht mehr weg. Es war immerhin Sally, die dich bei deinem Tod zurückgebracht hat. Du könntest dort ewig festsitzen, oder schlimmstenfalls ins Licht gezogen werden. Das ist glatter Selbstmord, Dathan. Tu das nicht. Denk doch an Christie.“ „Ich muss es tun und ich werde zurückkehren. Allein schon deswegen!“ Damit nahm er den Zinnsoldaten seines Vorfahren und zeigte ihn seinem besten Freund. „Wenn er tatsächlich das Bindeglied zwischen mir und Sally ist und wenn sie tatsächlich in Christie wiedergeboren wurde, dann wird er mich zurück zu ihr führen. Kümmere du dich bitte solange um meine Schwester, bis ich zurückkomme.“ Dann wandte sich der Nekromant seiner kleinen Schwester zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich werde bald wieder zurück sein, das verspreche ich dir.“ Christie nickte schweigend und sah ihn traurig mit ihren rubinroten Augen an. Christine legte eine Hand auf seine Schulter und sah ihn ernst an. „Du willst es wirklich tun?“

„Ja, das will ich.“

„Gut, dann werde ich die Maschine bedienen. Aber lass mich dir eins vorher sagen: Ewigkeit und Unendlichkeit sind reine Erfindungen der Menschen. Es sind nur Wörter, um das scheinbar Grenzenlose zu beschreiben. Und die Fantasie der Menschen in Worte zu fassen. Folglich also wird nichts ewig sein, außer der Ewigkeit selbst. Das gilt sowohl für das Leben, als auch für den Tod.“ Christine begann derweil an der Fernbedienung zu spielen, um zu sehen, wie sie das Gerät bedienen konnte. Schließlich richtete sich der Strahler direkt auf Dathan und wurde aktiviert. Es fühlte sich unheimlich an, als würde eine leichte Vibration durch seinen Körper fahren. Dann steigerte es sich immer weiter und wurde schmerzhaft, als es sich wie ein andauernder elektrischer Schlag zu fühlen begann. Dann durchfuhr ihn ein heftiger Schmerz, der seinen ganzen Körper plötzlich taub werden ließ und er spürte, wie das Leben gewaltsam aus seinem Körper gerissen wurde. Dann wurde es schwarz um ihn herum und er brach zusammen. Vorsichtig legte Christine seinen leblosen Körper neben den von Sally und schaute zu den anderen hinüber. „Geht es Ihnen gut, Samuel?“ Der Dämonologe nickte, machte aber trotzdem den Anschein, als wäre er noch ziemlich angeschlagen. Kein Wunder, denn bis vor kurzem hatte da eine gewaltige und aggressive Kraft in seinem Körper getobt, die ihm regelrecht den Verstand geraubt hatte. Er war völlig erschöpft und konnte sich obendrein sowieso noch kaum an das erinnern, was geschehen war. „Bringen Sie die Kinder zu ihren Familien zurück und erzählen Sie Mrs. Warren von der Sache hier. Ich denke, es wird in ihrem Interesse sein, das Labor hier dichtzumachen und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen.“ Ihr Blick fiel auf Cassandra, die immer noch bewusstlos war. Christine sah verächtlich auf sie herab und murmelte „Wird noch ein ganzes Stück Arbeit werden, diesen Saustall hier aufzuräumen. Ich werde erst einmal diese verfluchte Maschine zerstören, bevor sie noch einen schlimmeren Schaden anrichten kann. Wer weiß, welche Flitzpiepen als nächstes noch auf dumme Ideen kommen...“

„Und was wird aus Dathan?“ fragte Emily besorgt. „Wird er überhaupt zurückkehren?“

„Das steht leider nicht in meiner Macht, das zu entscheiden. Es ist möglich, aber auch sehr unwahrscheinlich. Wenn er es tatsächlich schaffen sollte, Sally zu retten, wird es noch nicht vorbei sein. Er wird selbst einen Weg finden müssen, um hierher zurückzukehren und darin liegt die schwerste Aufgabe. Nun heißt es einfach nur, auf seine Willenskraft zu vertrauen.“

„Er wird ganz sicher zurückkommen“, rief Christie zuversichtlich und hielt den Zinnsoldaten fest in den Händen. „Immerhin hat er es versprochen und Dathan würde niemals ein Versprechen brechen. Das weiß ich!“ Das kleine Mädchen kniete sich neben ihrem großen Bruder hin und nahm seine Hand. Es mochte vielleicht daran liegen, dass sie noch sehr jung und naiv war, aber sie war der unerschütterlichen Überzeugung, dass ihr großer Bruder wieder zurückkehren würde. Und zusammen mit ihm auch Sally. Jamie konnte sich das alles nicht mehr anhören Obwohl seine Verletzung schmerzte, stand er auf, rannte wütend auf Christine zu und packte sie am Kragen. „Warum hast du das getan? Warum hast du zugelassen, dass Dathan so etwas tut? Du wusstest doch, dass er nicht zurückkehren und sterben wird. Du miese kleine…“

Christine befreite sich aus seinem Griff und schlug ihm mit der Faust in den Bauch. Der Schlag war so hart, dass er keuchend in die Knie sank und sich vor Schmerz zusammenkrümmte. „Natürlich habe ich von dem Risiko gewusst, dass er es nicht schafft. Aber es war allein seine Entscheidung und er hat die Konsequenzen zu tragen, egal wie sie auch aussehen werden. Ich habe ihm lediglich die Tür gezeigt, durch welche er aus eigenem Antrieb heraus gegangen ist. Also gib mir nicht die Schuld und überlege dir beim nächsten Mal besser vorher, was du da von dir gibst.“ Jeanne eilte Jamie zu Hilfe und versuchte, ihm beim Aufstehen zu helfen. Seine Wunde sah schlimmer aus als gedacht. Sein Shirt hatte sich bereits von Blut dunkelrot verfärbt und es sah nicht danach aus, als wäre es nur ein kleiner Kratzer. Der Schuss hatte eine tiefe Fleischwunde hinterlassen. Christine holte aus ihrer Jackentasche eine Schachtel Zigaretten, nahm eine heraus und zündete sich diese an. Dann ging sie zu Jamie hin und half ihm hoch, wobei ihr Ton ein klein wenig Reue zu zeigen begann, dass sie ihn geschlagen hatte. „Na los, wir sollten gehen. Du musst dringend ins Krankenhaus und wenn nicht schnell die Polizei hier eintrifft, werden uns diese Pseudowissenschaftler wieder in die Mangel nehmen.“

„Und was machen wir mit Dathan und Sally?“

„Wir können sie nicht hier lassen. Ich brauche also eure Hilfe.“ Mit vereinten Kräften machten sie sich daran, Dathan und Sally von hier wegzubringen, doch da kam Cassandra wieder zu sich und zog eine Pistole. „Ihr… werdet… nirgendwo hingehen!“ Mit ihrer verbliebenen Kraft schoss sie auf die Flüchtenden. Christine stellte sich dazwischen und fing die Kugeln ab. Zuerst glaubten die anderen, die Kugeln hätten sie verfehlt. Doch als Christine direkt vor Cassandra stand, ließ sie die verschossenen Patronen allesamt fallen, die sie in ihrer Flugbahn einfach abgefangen hatte. „Ein Mal an den Absender zurück!“ Als die kleinen Metallstückchen mit einem leisen, hellen und metallischen Klirren zu Boden fielen und Cassandra in die Augen dieser Frau sah, verlor sie jegliche Farbe im Gesicht und angsterfüllt sah sie in diese leuchtenden Augen, in denen ein Fegefeuer zu lodern schien. „Wer… oder was bist du verdammt?“ Doch Christine antwortete nicht auf ihre Frage, sondern funkelte sie verächtlich an. Und während sie in diese Augen starrte, die sie beinahe um den Verstand brachten, kam Cassandra ein Vers von Edgar Allan Poes „Der Rabe“ in den Sinn:
 

„Und seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen,

und das Licht wirft seinen scheelen Schatten auf dem Estrich schwer

Doch es hebt sich aus dem Schatten schwer

Meine Seele nimmermehr.“

Die Hoffnung ist ein Sternenhimmel

Als Dathan die Augen öffnete, fand er sich nicht in der Zwischenwelt wieder. Dieser Ort… dieser Ort war ganz anders. Er konnte die Sterne sehen, überall in weiter schier unerreichbarer Ferne. Es war so, als würde er durch die Weiten des Universums reisen. Warum war er hier und nicht in der Zwischenwelt? Und wo war Sally? Er sah sich um, jedoch sah er nichts außer Dunkelheit und leuchtende Sterne. Selbst unter ihm befand sich kein fester Boden. Es war so, als würde er frei schweben. Es gab hier Sauerstoff, so viel wusste er schon mal und er fühlte sich völlig leicht und unbeschwert. Ein seltsames Gefühl, das ihm schon fast Angst machte. Während er so durch die unendlichen Weiten schwebte, vernahm er plötzlich eine Stimme, von der er aber nicht sagen konnte, woher sie kam. „Na da hast du ja was ganz Tolles angestellt, mein Lieber. Was soll ich bloß mit dir anfangen? Wirklich ein absolut hoffnungsloser Fall...“

„Wer ist da?“ rief Dathan, konnte jedoch niemanden um ihn herum ausfindig machen, dem diese Stimme gehören könnte. Dann aber kristallisierte sich langsam eine Silhouette vor ihm und nahm die Gestalt seines Spiegelbildes an. Jedoch wies diese keine Narben im Gesicht auf. Dieses Spiegelbild lächelte warmherzig und seufzte. „Du bist wirklich unverbesserlich, Dathan. Da hattest du endlich die Chance, ein Leben mit dem Mädchen zu führen, das du liebst. Du hast gute Freunde und du hast sogar deine kleine Schwester wieder. Alles hat sich zum Guten gewendet und du hast das erreicht, was du wolltest. Und trotzdem wirfst du alles einfach weg, um jemanden zu retten, der eigentlich nur noch aus purer nekromantischer Energie besteht. Sally wurde eigentlich bereits wiedergeboren, trotzdem tust du das. Du bist wirklich der hoffnungsloseste Fall, der mir jemals untergekommen ist. Aber irgendwie macht dich das ja auch wiederum sympathischer.“

„Wer oder was bist du eigentlich? Und wo bin ich hier? Das hier ist nicht die Zwischenwelt, oder?“

„Die Zwischenwelt ist groß und du hast nur den kleinsten Teil davon gesehen. Und was oder wer ich bin ist nicht von Bedeutung.“

„Warum siehst du so aus wie ich?“

„Weil ich ein Teil von dir bin, genauso wie du ein Teil von mir bist. Du kannst mich nennen wie du willst, Namen haben hier keinerlei Bedeutung.“ Sein Spiegelbild schien sich hier in der Welt sehr gut vorwärts bewegen zu können. Es schien ihm sogar möglich zu sein, auf einer Art unsichtbaren Boden laufen zu können, während Dathan mehr oder weniger in der Luft hing. Er versuchte, seinem Spiegelbild gleich zu tun, jedoch musste er ziemlich schnell feststellen, dass das zwecklos war. „Wo ist Sally?“ „Sie ist hier, aber ich habe dafür gesorgt, dass ihr euch weder sehen noch hören könnt.“

„Warum?“

„Weil ich die Gelegenheit nutzen wollte, um euch unabhängig voneinander zu sprechen. Es gibt so viel, das ich gesehen und erlebt habe, aber ihr beide habt meine Neugier geweckt. Ich möchte mehr über dich erfahren und dich näher kennen lernen, Dathan. Also erzähl mal, warum hast du dein Glück so leichtfertig weggeworfen, obwohl du wusstest, dass die Sally, die du gesehen hast, nichts weiter war als eine falsche Seele in einem falschen Körper? Du wusstest, dass sie in Christie lebt und doch hast du hast du dich entschieden, sie zu retten. Warum?“ „Weil sie für mich keine Fälschung ist. Sally existiert immer noch, sie hat sich nicht vollständig mit Christie verschmolzen, weil sie nicht zulassen wollte, dass sie stirbt und das gleiche Schicksal erfährt. Außerdem würde die Christie, die ich kenne, für immer aufhören zu existieren. Sally wollte mir das nicht antun und hat sich deshalb für diesen Weg entschieden. Und ich will nicht, dass sie noch mehr leiden muss und einsam ist. Sie ist immer noch sie selbst und deshalb will ich sie retten!“ Sein Spiegelbild umrundete ihn, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schien nachzudenken. Außerdem beschlich Dathan das Gefühl, dass es ihn prüfend ansah. „Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr du deinem Vorfahren ähnelst. Obwohl du weißt, was Sally angerichtet hast, hältst du immer noch zu ihr.“

„Weil sie es nicht aus purer Bosheit getan hat. Ich habe das Gleiche durchgemacht und deswegen konnte ich sie auch verstehen.“

„Und hättest du sie gerettet, wenn sie Jamie getötet hätte?“ Dathan spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte, als er diese Frage hörte und er wünschte sich, sie wäre ihm nicht gestellt worden. Wie konnte man ihn auch nur so etwas fragen? Vielleicht war dies ja eine Art Test. Ja, sein falsches Spiegelbild wollte ihn prüfen. Es wollte seine Aufrichtigkeit auf die Probe stellen. Aber wie sollte er diese Frage beantworten? Er war sich nicht sicher. „Vielleicht wäre dies ein Grund für mich gewesen, ihr nicht zu helfen… da hast du Recht. Aber…“ Dathan schwieg erneut und versuchte, die richtigen Worte für seine Gefühle zu finden. „Aber hätte ich es nicht getan, dann hätte ich ihr Unrecht getan. Sally trifft keine Schuld für all das, was passiert ist. Sie hat sich stets bemüht, ein aufrichtiger Mensch zu sein und das kann ihr niemand zum Vorwurf machen.“

„Dann könntest du einfach so über den Tod deines besten Freundes hinwegsehen?“

„Nein, das nicht. Natürlich wäre ich zuerst wütend gewesen und ich hätte auch die Schuld bei Sally gesucht. Aber ich bin doch auch nicht besser. Ich habe durch meine Rachefeldzüge Familien zerstört und viele Menschen getötet. Eigentlich bin ich doch auch nicht besser als Sally. Deswegen ist es auch falsch, dass nur einer von uns glücklich wird und ich ihr nur Vorwürfe mache für die Fehler, die sie begangen hat. Sie bereut sie doch auch und hat eine zweite Chance verdient.“

„Du bist ein ehrlicher Mensch Dathan, das muss man dir wirklich lassen. Deine Aufrichtigkeit und deine Stärke sind wirklich bemerkenswert. Aber nun genug dieser unangenehmen Fragen. Gibt es etwas, das du noch wissen willst?“

„Warum gibt es die Nekromanten überhaupt und stimmt es wirklich, dass sie nur dazu geboren wurden, um die Welt zu zerstören?“ Es trat eine längere Schweigepause ein, in der sein Spiegelbild ihn prüfend ansah und wohl erforschen wollte, was er dachte und fühlte. Dann aber lächelte es und erklärte „Um zu wissen, warum die Nekromanten existieren, muss man das Gesetz des Universums verstehen. Alles ist an Gesetzen gebunden und jedes Lebewesen, jedes leblose Ding ist ein winziger Teil des Gesamten. Und nichts dauert ewig an. Das Leben endet mit dem Tod und der Tod endet, wenn neues Leben entsteht und das alte die Grenzen überwindet und wieder zurückkehrt. Alles befindet sich in einem Kreislauf, der sich immer wieder neu zusammenschließt. Genauso wie die Zeit irgendwann zu zählen aufhört und von neuem beginnen wird, so wird auch das Universum eines Tages sterben und neu entstehen. Das Meiste existiert sowieso nur in den Vorstellungen der Menschen. Himmel und Hölle, Gott und Teufel, Zeit und Raum sind in ihren Vorstellungen das, was sie als das Unendliche und Ewige bezeichnen. Sie erfinden diese Wörter, weil sie danach streben, sich alles Wissen der Welt anzueignen. Dabei hat selbst das Wissen seine Grenzen. Und wo das Wissen aufhört, beginnt der Glaube. Die Nekromanten sind genauso ein Teil des Ganzen. Sie sind das Bindeglied, welches den Kreislauf schließt und das ermöglicht es ihnen, auch in diesen einzugreifen. Das macht sie quasi zu Göttern, jedoch zahlen sie einen hohen Preis für diese Gabe. Das ist der Ausgleich. Für alles gibt es ein entsprechendes Gegengewicht, auch für die Nekromanten. Menschen, die anderen helfen können, ihnen Hoffnung schenken und denen alles Glück der Welt nur so zufliegt. Das mag vielleicht ungerecht erscheinen, sogar sehr ungerecht, aber letzten Endes sind es doch die Nekromanten, die die glücklicheren Menschen sind. Weißt du auch warum?“

„Weil sie durch das viele Leid, das sie erdulden, das wahre Glück erkennen und deshalb auch am meisten wertschätzen.“

„Genau. Nekromanten ist nichts wichtiger als die Menschen, die sie lieben. Sie legen keinen Wert auf Reichtum, Ruhm oder Macht. Ihnen genügt die Liebe ihrer Familie und das ist das größte Glück der Welt.“

„Und eigentlich“, sagte Dathan nach einer kurzen Denkpause „ist auch die Nekromantie nicht durchgehend negativ. Denn wenn Nekromanten tatsächlich in der Lage sind, den Tod zu beherrschen, dann können sie nicht nur Leben zerstören, sondern auch Leben retten. Und genau das hat Sally getan.“ „Sehr richtig. Ich sehe, du verstehst“, sagte sein Spiegelbild und klatschte beifallend. „Vielleicht gibt es ja auch einen anderen Grund, warum wir so geboren wurden.“

„Oh, na dann… erzähle es mir.“

„Vielleicht hatten Dad und Cassandra Recht und die Nekromanten sind im Grunde die Vorreiter der Apokalypse. Aber bisher hat noch niemand getan und warum? Weil sie Menschen sind und damit ein Teil dieser Welt sind, deswegen konnten sie es nicht tun. Wären die Nekromanten tatsächlich nur zu dem Zweck geboren worden, die Welt auszulöschen, dann wären sie nicht als Menschen zur Welt gekommen. Die Nekromanten hatten die Wahl und sie haben sich dazu entschieden, mit jenen zusammenzuleben, die sie lieben. Ganz gleich, wie grausam die anderen sind.“

„Dann willst du also damit sagen, dass „Gott“ es so beabsichtigt hat, um ihnen die Chance zu geben, sich für oder gegen das Leben mit den Menschen zu entscheiden?“ Dathan nickte und sein Spiegelbild hob erstaunt die Augenbrauen. „Du bist wirklich ein ganz besonderer Mensch, Dathan. Das meine ich ernst. Bis jetzt ist mir noch nie jemand von deiner Sorte begegnet. Sie haben dir das Gesicht zerstört, deine Familie auseinandergerissen und dich in die Isolation und Depression getrieben und trotzdem gibst du die Hoffnung nicht auf.“

„Das ist wie die Geschichte über Pandora: Als sie die Büchse öffnete, entließ sie alles Übel und Unheil in die Welt. Aber sie öffnete die Büchse erneut, um den Menschen wenigstens die Hoffnung zu geben. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich einiges von meinem Vorfahren habe. Ich will mir nichts vormachen! Ich weiß, dass es immer Leid und Elend auf der Welt geben wird, weil sie genauso ein Bestandteil dieser Welt sind wie Freude und Glück. Und meine Hoffnung besteht darin, dass die Nekromanten ihr Glück finden und ihren Platz in der Welt finden. Das gilt auch für Sally.“

„Die Sache hat leider einen entscheidenden Haken“, sagte sein Spiegelbild schließlich und ging wieder um Dathan herum. „Weder du noch Sally könnt aus eigener Kraft diesem Ort entfliehen. Sally ist hier für immer eingesperrt, bis sie vollständig verschwindet und damit aufhört zu existieren. Und du bist nicht stark genug.“

„Da irrst du dich, ich werde wieder zurückkehren. Zwischen Sally und Lumis existiert immer noch ein untertrennliches Band und wenn sie imstande waren, trotz der zweihundert Jahre wieder zueinander zu finden, werden sie es noch einmal schaffen. Egal wie!“

„Und wenn ich dir sagen würde, ich könnte dir deinen größten Herzenswunsch erfüllen. Wie würde er lauten?“

„Ich will, dass Sally und die anderen glücklich werden.“ Sein Spiegelbild schwieg eine Weile, verschränkte die Arme und verdrehte mit einem theatralischen Seufzer die Augen. Dathan, der sich nicht sicher war, ob er etwas Falsches gesagt hatte, fragte nach und sein Spiegelbild schüttelte den Kopf. „Weißt du, ich kann solche selbstlosen und gutherzigen Menschen einfach nicht ab. Nicht im böse gemeinten Sinne, aber die machen es mir einfach unmöglich, meinen Job vernünftig und neutral zu erledigen. Das ist echt schwer...“

„Warum?“

„Wenn ich ihren größten Wunsch erfüllen würde und sie selbst immer noch nichts haben, muss man doch ein schlechtes Gewissen kriegen, mein Herz ist doch auch nicht aus Stein! Ich habe solche gutherzigen Wesen eigentlich ziemlich gerne, aber in Verbindung mit meinem Job hier ist das einfach schwierig und so etwas kann ich mir beim besten Willen nicht erlauben.“ Nun war es Dathan, der schmunzeln musste. „Ich bin eben so geboren worden.“ „Trotzdem kann ich im beruflichen Sinne die Selbstlosen nicht ab… nun ja… du und Sally seid da die Ausnahme von der Regel. Ich weiß nicht wieso, aber ihr seid mir wirklich ans Herz gewachsen. Vielleicht ist es ja tatsächlich diese enge Bindung, die euch immer wieder zusammenführt. Sie besteht schon, seit du geboren wurdest und seit du einen Teil von ihr in dir trägst. All die Jahre hat Sally dich begleitet und dir mehr als ein Mal das Leben gerettet.“

„Wieso mehr als ein Mal? Sie hat mich doch nur dieses eine Mal zurückgebracht.“

„Na, dann wird es Zeit, dass ich dir mal deine Erinnerungen auffrische.“ Und damit berührte der Spiegelbild-Dathan seine Stirn und erweckte eine Erinnerung, die Dathan schon vor langer Zeit vergessen hatte. Plötzlich fand er sich in einem Krankenhaus wieder, näher gesagt auf der Kinderstation. Er sah einen kleinen Jungen von ungefähr vier oder fünf Jahren, der an eine Beatmungsmaschine und an ein EKG angeschlossen war. Beim näheren Hinsehen erkannte er, dass dieser Junge sein früheres Ich war. Fragend sah er sein Spiegelbild an und verstand nicht, was es mit dieser Szene auf sich hatte. Also wurde es ihm erklärt. „Du warst damals schwer krank. Eine sehr seltene Krankheit hat dein Herz angegriffen und es war kein Spender in Sicht. Deine Eltern haben leider auch nicht sehr viel Engagement an den Tag gelegt, um dir zu helfen. Und genau hier hast du Sally das erste Mal getroffen. Sieh mal genauer hin.“ Sie traten näher heran und Dathan sah tatsächlich Sally auf einem Stuhl neben dem Bett sitzen und seine Hand haltend. „Es wird alles gut werden, Dathan. Mach dir keine Sorgen.“ Langsam öffnete der fünfjährige Dathan seine Augen, drehte den Kopf in ihre Richtung und versuchte etwas zu sagen, doch er sah sehr geschwächt aus. Eine Träne rann seine Wange hinunter und man sah ihm an, dass er Angst hatte, weil er wusste, was geschehen würde. „Ich hab Angst zu sterben“, brachte er mit Mühe hervor und drückte ihre Hand fester. „Ich… ich will noch nicht sterben…“

„Keine Sorge, ich werde dir helfen, das verspreche ich dir. Ich werde dafür sorgen, dass du überlebst. Und eines Tages wirst du mir helfen, wenn ich deine Hilfe brauche. Okay?“

„Versprochen…“ Sally nickte, stand auf und küsste seine Stirn. „Auch wenn du mich bald vergessen wirst, werde ich immer bei dir sein und deine Ängste, deine Sorgen, deine Freuden und deinen Kummer teilen. Egal was auch passiert!“ Als Dathan diese Szene sah, spürte er wieder diesen Stich in seiner Brust und senkte beschämt den Kopf. „Wie konnte ich das alles nur vergessen? All die Jahre hat Sally auf mich aufgepasst und mich und meine Schwester beschützt.“

„Du warst damals schwer krank und kaum bei Bewusstsein. Außerdem warst du gerade mal fünf Jahre alt, als das passierte. Sally war dir auch nie böse deswegen. Sie hat mit dir gelitten, als der Brand geschah oder als man dir das Gesicht entstellt hat. Sie hat den gleichen Schmerz geteilt, wenn du von deinen Mitmenschen verstoßen wurdest und sie hat das gleiche Glück verspürt, wenn du es tatest. Das war ihre Bürde, die sie auf sich genommen hat. Sie ließ dich durch diese schwere Zeit gehen, weil dies notwendig war, um ihre dunkle Seite aufzuhalten und um sie selbst zu retten. Es war ihre Last und ihre Strafe, die sie sich selbst auferlegt hat.“ Das war zu viel für den Nekromanten. Der Schmerz in seinem Herzen war einfach zu groß und er konnte seine Gefühle nicht mehr zurückhalten. All die Jahre, in denen er glaubte, er wäre ganz alleine, war Sally immer bei ihm gewesen und hatte auf ihn aufgepasst. Sie hatte ihn im Alter von fünf Jahren vor dem sicheren Tode bewahrt, sie hatte ihn aus dem Hans Bender Institut gerettet und ihn und Christie wieder ins Leben zurückgeholt, als sie ertrunken waren. Die ganze Zeit über hatte sie über ihn gewacht, mit der festen Gewissheit, dass er auch sie eines Tages retten würde. Sally hatte so viel für ihn getan und er hatte es einfach vergessen. Die Szene begann wieder zu verschwinden und sie befanden sich wieder in der Welt, in welcher in weiter Ferne Sterne funkelten. Das Spiegelbild ließ Dathan Tränen vergießen und wartete geduldig. Schließlich legte er ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihn mit einem warmherzigen Lächeln an. „Weißt du eigentlich, was das hier für Lichter sind? Weißt du wie viele es sind? Diese Sterne sind die Träume und Hoffnungen der Menschen. Sie sind es, die selbst die dunkelsten Orte erleuchten. Sie mögen klein und schwach sein, jedoch sind sie in ihrer Vielzahl hell genug, um den richtigen Weg zu weisen. Die Finsternis wird zwar niemals vollständig weichen, weil sie ebenso ein Teil dieser Welt ist wie das Licht, aber sie ist es, die selbst die kleinsten und unbedeutendsten Lichter am hellsten erstrahlen lässt. Siehst du den Stern dort?“ Dathan folgte dem Fingerzeig seines Spiegelbildes und sah einen Stern, der heller leuchtete, als die anderen. Zuerst hatte er geglaubt, dass es der Nordstern war, aber den war nicht so. „Das ist dein Licht. Es ist von solch einer Finsternis umhüllt, dass das Licht sogar heller strahlt als das der anderen. Solange du dieses Licht in deinem Herzen bewahrst, wirst du immer dein Glück finden.“

„Und was ist mit Sallys?“

„So wie ich dich einschätze, wirst du es sehr bald finden. Und wenn du das geschafft hast, wirst du auch sie finden und die Barriere, die sich zwischen euch befindet, überwinden und dann werden sich eure Herzen verbinden. Gott ist der Regen, weil er die Herzen der Menschen genauso verbindet wie Himmel und Erde, ohne dass sie sich jemals berühren.“

„Und was wird dann geschehen? Wohin werde ich gehen?“

„Wie sagt man so schön? Die Wege des Herrn sind unergründlich. Und was die Zukunft bringt, steht in den Sternen geschrieben.“

Als Dathan das hörte, musste er lachen. Auch sein Spiegelbild stimmte mit in das Lachen ein. „Ja, da ist was dran.“ Und so machten sich beide auf den Weg. Sie reisten gemeinsam durch die Weiten dieser Welt, begleitet von den Lichtern der Träume und Hoffnungen, die die Menschen zum Himmel geschickt hatten. Sie wanderten so weit, dass Dathan irgendwann vergaß, wie lange er schon unterwegs war und wie weit er schon gegangen war. Er hatte irgendwann einfach aufgehört zu zählen. Er wusste auch nicht, in welche Richtung er gehen sollte. Dathan ließ sich einfach von seinem Gefühl leiten. Schließlich, als er selbst zu vergessen drohte, warum er eigentlich hier war und nach was er da überhaupt suchte, sah er es: Ein strahlendes helles Licht. Es war so hell, dass er sofort seine Augen bedeckte, aber dieses Licht blendete ihn gar nicht. Dieses Licht strahlte eine solche Wärme aus, dass sie sogar sein Innerstes durchdrang und ihn gänzlich erfüllte. War es das, wofür er es hielt? War dieses Licht das, wonach er die ganze Zeit gesucht hatte? Wohin würde es ihn führen? Er wusste es nicht. Dieses Licht mochte ihn zu Sally bringen, es konnte ihn aber auch auf die andere Seite bringen, auf der seine Mutter und Jamies Schwester Lydia warteten. Sie blieben davor stehen und betrachteten dieses gleißend helle Licht, welches schöner und reiner als alles war, das er jemals gesehen hatte. „Wem gehört dieses Licht?“

„Geh hindurch und du wirst es erfahren, mein Freund.“

„Und was wird mich dort erwarten?“

„Das Ende deiner jetzigen Reise und der Beginn einer neuen.“ Diese Antwort genügte ihm und er nickte seinem Spiegelbild zum Abschied zu. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und ging ins Licht hinein, ganz ohne Angst davor, was ihn erwarten würde. Denn er wusste, dass sein Traum sich erfüllen würde. Egal ob er zurückkehren würde oder nicht. Denn er vertraute darauf, dass jemand oder etwas dafür schon sorgen würde.

Zu guter Letzt

Die Straßenmusiker in Montmartre spielten bereits das dritte Lied und die Zuhörer des kleinen Cafes waren für diese kleine Untermalung sehr dankbar. Es war nun der dritte Monat, den sie hier verbrachten. Und es schien so, als würden sie sehr glücklich hier werden. Jeanne und Jamie hatten beschlossen, gemeinsam mit Jeannes Bruder Jacques hier zu leben. Nach einem heftigen Sorgerechtsstreit und ein paar Besuchen des Jugendamtes hatte sie das Sorgerecht für ihren kleinen Bruder erhalten und war froh, endlich wieder in ihrer Heimat zu sein. Von ihrer Mutter oder ihrem Stiefvater hatte sie seitdem nie wieder etwas gehört. Jamie, der nun mit ihr verlobt war, folgte ihr ohne zu zögern nach Montmartre und schien sich hier ebenfalls sehr wohl zu fühlen. Seine Therapie machte große Fortschritte und er konnte bereits seine Tablettendosis reduzieren. Sein Therapeut sagte schon, dass er in fünf Jahren wahrscheinlich gar nicht mehr auf die Hilfe von Psychopharmaka angewiesen sei. Er gab sich ja auch Mühe, seine Krankheit in den Griff zu bekommen, weil er nun mit seiner neuen Familie glücklich war. Jeanne hatte die Abschlussprüfung der Universität nicht geschafft und ihren Traum, eine erfolgreiche Anwältin zu werden, aufgegeben. Stattdessen hatte sie sich einen neuen aufgebaut und zwar ein eigenes Cafe. Es lief dank der guten Lage herrlich, auch wenn der Anfang sehr schwer war. Heute war geschlossen, trotzdem saßen sie zusammen mit ihren Freunden im Cafe und redeten über die Geschehnisse vor wenigen Monaten, als die Nekromanten entführt worden waren. Jacques, der das alles ziemlich gut verarbeitet hatte, erzählte seiner Schwester, dass Sally ihn gerettet und zurückgebracht hätte. Sally, die direkt neben Christie am Tisch saß (Sie war jetzt sozusagen Christies große Schwester), machte einen glücklichen aber auch leicht melancholischen Eindruck. Aber das rührte auch von ihrem Charakter her, da sie überhaupt ein sehr nachdenkliches Mädchen war. Nachdem sie eine Weile miteinander gequatscht hatten, sagte Emily schließlich „Inzwischen habe ich ja fast alles verstanden, nur eine Frage stellt sich mir noch: wer war diese Christine Cunnings überhaupt und wohin ist sie mit Cassandra und Dathans Vater verschwunden?“

„Sie sorgt dafür, dass alles seinen geregelten Weg geht. Und sie knöpft sich jene vor, die dem Gesetz entkommen konnten.“

„Du meinst, sie übt Selbstjustiz?“

„Das habe ich nicht gesagt. Das gehört zu ihrem Beruf. Christine ist auch nicht ihr richtiger Name, den kennt eigentlich keiner. Es gibt keine richtigen Informationen über sie und jene die wissen, wer sie ist, die schweigen darüber.“

„Darf ich dir eine Frage stellen?“, sagte Jamie schließlich. „Was genau geschieht denn eigentlich jetzt mit dir? Ich meine, bleibst du jetzt für immer bei uns?“ Die kleine Nekromantin schüttelte den Kopf und antwortete „Für immer wohl nicht. Dieser Körper ist nur ein Provisorium. Er wird nicht ewig meine Kraft halten können und dann werde ich verschwinden. Aber bis dahin will ich die Zeit, die mir bleibt, bei meiner Familie verbringen.“

„Und was geschieht dann mit dir? Wirst du wieder zurückkehren?“

„Nein, damit ist jetzt Schluss. Ich will nach diesem Leben hier endlich ins Jenseits übergehen und wieder mit Mommy, Onkel Marcus und den anderen wieder vereint sein. Außerdem bin ich jetzt die allerletzte Nekromantin und ich will nicht, dass noch jemand so ins Unglück gestürzt wird. Deswegen will ich diese Kraft mit mir in den Tod nehmen.“

„Ich will aber nicht, dass du gehst“, rief Christie und klammerte sich an ihrem Arm fest. Sally lächelte und streichelte der sechsjährigen den Kopf. „Keine Angst, deine große Schwester wird noch lange bei dir bleiben. Und selbst wenn ich sterbe, wird ein Teil von mir hier bleiben. Ich werde meine Familie weiterhin beschützen und jenen helfen, die als Nekromanten zur Welt kommen sollten. Ich glaube, das ist meine wahre Bestimmung. Wisst ihr, als ich mich dazwischengestellt habe, um euch zu schützen, dachte ich, dass es das Beste wäre, wenn ich für immer verschwinden würde. Ich dachte, ich gehöre nicht in diese Welt und könnte nichts als Schmerz und Leid bringen. Aber Dathan hat mir das Gegenteil bewiesen. Er hat mir gezeigt, dass jeder seinen Platz in der Welt hat, egal welche Herkunft oder welche Hautfarbe man hat. Selbst jemand wie ich gehört irgendwo hin und das ist bei meiner Familie. Solange ich eine Familie habe, habe ich auch einen Ort, zu dem ich zurückkehren kann und wo ich mich zuhause fühle. Und das habe ich all die Jahre vermisst. Es ist ziemlich viel passiert in der letzten Zeit und sowohl Dathan, als auch wir alle haben viel durchgemacht. Aber ich bin doch froh, dass alles so gekommen ist, wie es ist.“

„Wir sind ja auch froh, dass du bei uns bist. Was geschehen ist, ist geschehen und du gehörst zu uns dazu. Zusammen sind wir alle eine Familie.“

„Ja“, sagte Sally und musste fast weinen vor Freude. „Das sind wir!“

„Nur schade, dass Dathan jetzt nicht dabei ist“, sagte Emily schließlich und seufzte leise. „Er hätte sicher gerne hier dabei gesessen und mit uns geredet.“

„Ach was“, sagte Jamie schließlich und nahm einen Schluck Kaffee. Er trug inzwischen sein Haar nicht mehr violett ,sondern blond, so wie sie ihm natürlich gewachsen waren. Auch dies war ein wichtiger Schritt in seiner Therapie. „Ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht und er glücklich ist. Immerhin sind seine größten Träume letzten Endes doch wahr geworden, genau wie Sallys. Aber wie wär’s? Wollen wir ihn alle zusammen besuchen gehen? Ich wette, er wird sich freuen, uns alle zu sehen.“

„Das ist eine tolle Idee!“ rief Emily und auch Christie war ganz begeistert von der Idee. Und so standen sie allesamt auf und verließen das Cafe. Sie waren ganz unterschiedliche Menschen, die alle durch das Band des Schicksals zueinander gefunden hatten und nun als eine Familie zusammengewachsen waren. Dathan war es, der sie alle miteinander verband. Für sie war er Bruder, Freund und die große Liebe. Ohne ihn wäre sich keiner über den Weg gelaufen, da sie alle in verschiedenen Welten lebten. Und nun war es für jeden von ihnen unvorstellbar, auch nur einen von ihnen zurückzulassen. Emily ging ein wenig abseits und beobachtete die anderen verträumt. Sally und Christie gingen Hand in Hand und waren wie Schwestern. Jeanne und Jamie unterhielten sich innig und tauschten verliebte Blicke aus, während sich Jacques ein wenig im Abseits hielt, um sie nicht zu stören. Während sie die Straßen von Montmartre gingen und ein eiskalter Wind ihnen entgegenwehte, summte Emily leise eine kleine Melodie vor sich hin. Sie sah hinauf in den grau verhangenen Himmel und dachte an dieses eine Zitat, welches Christine kurz vor ihrem plötzlichen Verschwinden gesagt hatte: „Nichts in dieser Welt dauert ewig. Das Leben endet mit dem Tod und der Tod endet mit dem Beginn eines neuen Lebens oder wenn das alte die Grenzen überwindet und zurückkehrt.“ Diese geheimnisvolle Frau mit den roten Haaren hatte erklärt gehabt, dass der kleine Zinnsoldat, der einst Sallys Bruder Lumis gehörte, das unzerstörbare Band zwischen ihnen war. Ein roter Faden, durch den sie über alle Grenzen hinweg zueinander finden könnten. In diesem Moment berührte Emily die Kette mit dem silbernen Schmetterling, welche Dathan ihr zum Abschied geschenkt hatte, nachdem sich der Brand auf dem Hausboot ereignet hatte und er sie nach dem Tod seiner Klasse verlassen hatte. Christine hatte noch gesagt gehabt, dass diese Kette ihr Schlüssel zu Dathans Herzen wäre. Und bevor sie verschwand, hatte sie gesagt „Ein solch tiefgehendes Band zwischen zwei Menschen vermag selbst die unüberwindbarsten Grenzen zu bewältigen. Und manchmal vermag die Liebe sogar den Tod zu besiegen.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe es relativ offen gelassen, ob Dathan nun tatsächlich zurückkehren konnte oder ob er ins Jenseits übergegangen ist. Es gibt Argumente, die für und gegen seine Rückkehr sprechen und für reichlich Interpretationsstoff sorgen. Es spricht einiges für seine Rückkehr, wie etwa sein Wunsch, dem ihm das "Spiegelbild" ihm erfüllt hat. Er wünschte sich, dass seine Familie glücklich ist und das wäre sie nur mit ihm. Außerdem verbindet ihn und Sally ein so starkes Band, dass er sicherlich stark genug wäre, um ins Diesseits zurückzukehren. Außerdem wirken alle am Abschluss zu fröhlich, als dass er tot sein könnte. Er könnte ja nicht dabei sein, weil er sich seinen Traum erfüllt und sich endlich das Gesicht operieren lässt. Wer herausfinden will, was es mit diesem geheimnisvollen Spiegelbild auf sich hat, welchem schon Sally begegnet ist und welche Rolle die Nekromanten wirklich einnehmen, der sollte sich den "Creepypasta Extra" Dreiteiler durchlesen. Dort werden euch alle Fragen beantwortet.

Es gibt aber auch einige Argumente, die gegen seine Rückkehr sprechen: Kein Nekromant schafft es, ein zweites Mal zurückzukehren. Wäre es möglich, dann hätte Sally damals vor zweihundert Jahren nach der Zerstörung von Backwater zurückkehren können. Sie konnte es aber einfach nicht. Das Licht, welches Dathan gesehen hat, könnte JENES Licht gewesen sein, welches verlorene Seelen ins Jenseits führt und die Tatsache, dass er am Schluss nicht da ist, könnte daran liegen, dass er tot ist. Und daraufhin beschließen alle, ihn auf dem Friedhof zu besuchen.


Ich finde dieses Ende am besten gelungen. Es ist auch die allerletzte Creepypasta über Dathan, Sally und Jamie. Es war eine schöne Zeit mit ihnen und ehrlich gesagt hätte ich das Ende nicht besser machen können. Es steht jedem offen, für sich selbst zu entscheiden, ob Dathan am leben ist oder nicht. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Opale
2013-11-10T14:33:01+00:00 10.11.2013 15:33
Applauss!
Vielen, vielen Dank fuer die wunderschoene Zeit mit deiner Geschichte. Ich finde die Geschichte sehr gelungen und die Antworten waren alles andere als vorhersehbar, was dieser Geschichte einen gewissen Nervenkitzel verleit.
Das Ende ist zwar ziemlich offen, doch kann jeder selbst entscheiden was aus Dathan wurde.
Fuer mich jedenfalls leben Dathan und Sally weiter und ich mich mit dem Gedanken zufrieden gebe, dass Dathan sein Gesicht operieren laesst, um dann die anderen zu begruessen und Emily in seine Arme zu schliessen. Bin so einer kleiner Happy End Freak, wenn alles sich zum guten wendet und ein neuer Anfang beginnt.
Also, vielen Dank nochmal fuer diese tolle Geschichte. :)

LG Opale
Von:  Fearless15
2013-10-19T17:34:26+00:00 19.10.2013 19:34
Also ich glaube, dass Dathan im Koma liegt und früher oder später wieder aufwachen wird. Dafür wirken alle viel zu glücklich als dass er tot sein könnte.
Von:  Lyrael_White
2013-10-08T06:45:32+00:00 08.10.2013 08:45
Ich finde du hast die gesamte Story zu einem sehr guten Abschluss gebracht. Wie du die einzelnen Puzzelstücke zusammen bringst und aus ihnen ein Gesamtwerk schaffst ist sehr geschickt gemacht.
Das offene Ende lässt Raum für Interpretation.
Vielen Dank für die tolle Reihe und die gute Unterhaltung.
Antwort von:  Sky-
08.10.2013 10:45
Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Zuerst hatte ich geplant, dass Sally in ihr altes Muster zurückverfällt und alles in Schutt und Asche legt, bis sie versehentlich Dathan tötet. Aber ich wollte Dathan nicht so sterben lassen, aber ein komplettes Happy End wäre auch doof. Also blieb nur der Mittelweg: Offenes Ende und jeder kann sich sein Ende aussuchen. Für mich wird Dathan weiterleben, genauso wie Sally-^^-


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