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Poisonous Berry

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier ist es nun also, das Finale!
Da Vorworte eh langweilig sind und niemanden interessieren, ich aber nicht so ganz ohne kann, halte ich mich kurz!

Fakt 1: Wer das bis zum Ende liest, hat 114 (!) Buchseiten gelesen, wie ich feststellte, als ich es spaßenshalber formatiert habe. Wow, dabei sollte es doch kurz werden! o.O

Fakt 2: Es gab zahlreiche irre Outtakes, die insgesamt auch noch mal 30 Buchseiten umfassen! @_@ (insgesamt also eine Länge von fast zwei Kapiteln nur mit Schund. Wahnsinn! Darunter: Heiße Szenen, traurige Szenen, irre Szenen, gefährliche Szenen,...)

Fakt 3: Sollte ich mal wieder irgendwann ne FF schreiben, dann nur noch eine, die von vorn bis hinten durchgeplant ist. Irgendwie ist es blöd, wenn man keine Kurskorrektur mehr machen kann. Das ist ja wie im wahren Leben! D:

Fakt 4: Aki, nur für dich gibt es die Insideranspielung auf JuJu :3 Und jetzt ist wirklich Schluss ;)

Fakt 5: juujun, ich hoffte, Tero besser und aussagekräftiger einbauen zu können, doch irgendwie war er schüchtern! o.o Es tut mir Leid ;_; Aber er kommt mehr zum Vorschein als ursprünglich gedacht...

Fakt 6: Kuri, ich hoffe, du magst jetzt Shonen Ai :D~

Fakt 7: Ich wünsche allen viel Spaß beim Lesen ^^ (und Kommentieren... *hust*) Komplett anzeigen

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Juns Idee

Ein nervöses Rascheln erfüllte den Raum, als ich mich ruckartig aufsetzte. Eben noch glaubte ich, im Zuge unserer Unterhaltung langsam weg zu dämmern und schließlich einzuschlafen, und dann sagte er plötzlich sowas!

„Ist das dein Ernst!?“

Die Überraschung gab meiner Stimme eine beinah hysterische Färbung, doch Jun ließ das kalt. Er zuckte gleichmütig mit den Schultern und lächelte zu mir hinauf. Für einen Moment vergaß ich meine Überraschung, ließ mich nur allzu bereitwillig von diesem schönen Lächeln auf andere Gedanken bringen.

„Natürlich, Jui. Sonst hätte ich es ja nicht gesagt.“

„Und was ist mit Spiv States?“, hakte ich nach und setzte mich nun in den Schneidersitz, ohne Jun dabei aus den Augen zu lassen. Wie beiläufig rückte ich die Decke über meinen Schoß, die mehr entblößt hatte, als es im Moment angebracht war.

Jun hatte es gesehen, aber überging es mit einem Grinsen und zuckte erneut mit den Schultern. „Was soll schon damit sein? Es ist doch nur ein Projekt… Um Erfahrungen zu sammeln und so. Iori weiß das auch, dass das nichts auf Dauer ist.“

Für einen kurzen Moment war ich versucht, dieses Verhalten auf die Unbedarftheit der Jugend zu schieben, aber noch bevor ich etwas dergleichen äußerte, erinnerte ich mich daran, dass wir einen Altersunterschied von gerade mal zwei Jahren hatten. Einen solchen Spruch zu bringen, kam dann sicherlich nicht allzu gut an. Und nichts lag mir ferner, als Jun in einem Moment wie diesem vor den Kopf zu stoßen. In einem Moment, in dem Jun mir so ein unglaubliches, um nicht zu sagen irrwitziges Angebot machte.

„Aber du singst doch so gerne!“

„Ich spiele auch gerne Gitarre“, erwiderte Jun. Das Lächeln war bedeutend kleiner geworden und nun richtete auch er sich ein Stück weiter auf, um das Gespräch auf Augenhöhe zu führen.

„Oder hast du keinen Bock auf mich?“

Die Enttäuschung, die sich in Juns Augen geschlichen hatte, versetzte mir einen Stich mitten ins Herz, als sich unsere Blicke einen Wimpernschlag lang trafen.

„Was? Nein, Quatsch, das ist es nicht…“

Genau genommen fiel mir niemand ein, mit dem ich lieber meine Zeit verbrachte als mit Jun. Und genau das war das Problem – nämlich, dass ich wollte, dass es auch so blieb.

„Was denn dann? Mann, Jui, du kannst doch nicht ewig arbeitslos bleiben!“

Für gewöhnlich liebte ich diese Art an Jun, dass er sich niemals viele Gedanken über seine Wortwahl machte, sondern immer alles direkt aussprach, was ihm auf der Zunge lag. Doch jetzt gerade hasste ich ihn dafür. Die Worte waren vermutlich nicht so verletzend gemeint wie sie mich erreichten, aber der Schuss aus einem Revolver tat immer weh – auch, wenn man den Abzug sanft drückte.

Und dieser Schuss traf mich – genau dort, wo es richtig wehtat: in meinem Stolz. Sofort kippte die Stimmung und blanke Wut machte sich in mir breit.

„Ewig arbeitslos!? Ich hab im Januar meine Band verloren, weil ich KRANK war; im April bereits mein Soloalbum veröffentlicht; damit auf Tour gegangen bis Juli…“

Hier endete die Aufzählung. Inzwischen war der Januar zurückgekehrt und das Soloalbum hatte sich auch eher mittelprächtig verkauft. Ja, vielleicht musste ich im Moment etwas sparsamer leben, aber das machte mich noch lange nicht asozial! Noch bekam ich Tantiemen und von meinen Ersparnissen konnte ich die nächsten Monatsmieten auch erbringen.

„Raste doch nicht gleich aus!“, beschwichtigte Jun mich lachend, hob abwehrend die Hände in die Höhe. „Manchmal bist du echt schlimmer als jede Tussi.“

Meine Finger krallten sich in den Bettbezug, denn das war besser, als wenn sie sich in Juns Gesicht gekrallt hätten. Obwohl er das durchaus verdient hätte.

„Sonst noch was!? Ich bin dir zu asozial, zu tussig,…! Was mache ich überhaupt hier!?“

Ich wandte mich abrupt ab und beugte mich über den Bettrand, um dort meine Kleidung aufzulesen. Während dieser Bewegung spürte ich den hämmernden Kopfschmerz, das Zeugnis meiner Müdigkeit. Es war mitten in der Nacht und eigentlich hatten wir nach einem schönen Schäferstündchen nur noch ein bisschen reden und dann einschlafen wollen.

Stattdessen war die Stimmung nun vollkommen ruiniert. An Schlaf war nicht mehr zu denken – zumindest nicht neben diesem Typen, der mich so sehr in Rage brachte.

Ich griff nach meiner Unterhose, die auf der Spitze des Wäschebergs lag. In diesem Moment spürte ich wie Juns Hand meinen Oberarm umfasste und mich zu sich ziehen wollte. Ich wehrte sie mit meiner freien Hand ab, hatte nicht im Geringsten vor, mich besänftigen zu lassen. Jun musste die Konsequenzen aus seinem Handeln ziehen, und außerdem war ich beleidigt und wollte es auch noch eine Weile bleiben.

Wieder griff der Gitarrist nach mir, packte mich dieses Mal mit beiden Händen an den Schultern.

„Vergiss es, Jun, darauf hab ich jetzt keinen Bock!“, fauchte ich drohend. Ein kurzes Handgemenge folgte und ehe ich mich versah, lag ich bereits auf dem Rücken und Jun auf mir. Den aufkeimenden Protest unterdrückte er, in dem er meine Lippen mit seinen verschloss.
 

Allein schon aus Prinzip weigerte ich mich, die Augen zu schließen. Ich richtete sie demonstrativ auf Jun, dessen Gesicht diesen erotischen, sinnlichen Ausdruck angenommen hatte, der mich schon immer um den Verstand gebracht hatte. Ich wusste selbst nicht, warum, aber die Wut fiel schlagartig von mir ab, entlud sich mit einem tiefen Atemzug, während Juns Zunge sanft über meine Lippen kitzelte. Ich kostete mich all meine Kraft, um ein wohliges Aufseufzen zumindest klein zu halten.

Warum nur war dieser Kerl so erotisch?

Ich kannte niemanden dieses Alters, der so heiß wie dieser Gitarrist war. Nicht umsonst hatte ich mich sonst immer mit älteren Männern getroffen. Jun war der erste Mann, der sogar jünger als ich selbst war und nachdem wir das erste Mal im Bett gelandet waren, hätte ich auch kaum für möglich gehalten, dass aus uns mehr als ein One Night Stand werden würde.

Trotzdem trafen wir uns nun schon seit einigen Monaten in regelmäßigen Abständen und obwohl wir kein Paar waren, verhielten wir uns immer mehr wie eins. Auch konnte ich nicht abstreiten, dass ich allmählich Gefühle entwickelte, die ich absolut nicht erwartet hatte.

Und das Beste daran war, dass Jun kein Aufreißer war. Somit stand ich völlig außer Konkurrenz und konnte mir die Zeit nehmen, die ich brauchte, um zu entscheiden, wie es mit uns weitergehen sollte. Zum Glück hakte Jun nie nach, wie ich unsere Beziehung beurteilte.
 

Juns Lippen lösten sich von meinen. Ganz allmählich hob er den Kopf, öffnete dabei seine Augen. Unsere Blicke trafen sich und sofort spürte ich das Kribbeln in meiner Magengegend, das mir in der letzten Zeit so vertraut geworden ist.

„Prinz Val…“, sagte Jun leise, während er mich mit diesem verträumten Ausdruck musterte. Ehrlich gesagt, fand ich es schon ein wenig abgedroschen, dass er mich offensichtlich als Prinz bezeichnete. Das klang irgendwie, als wäre es einem schlechten Groschenroman entsprungen. Und wie Jun darauf kam, war mir auch ein Rätsel. Doch ich lächelte. Und vermutlich lag auch eine stumme Frage in meinem Ausdruck, denn sofort beantwortete er sie mir mit feierlichem Grinsen. „Kennst du nicht das Manga „Crimson Spell“? Da verwandelt sich Prinz Val in ein abscheuliches Monster und der Magier Havi kann ihn nur zurück verwandeln, indem er ihm seinen Zauberstab in den Hintern steckt.“

Nach dieser Erklärung trat augenblicklich Stille ein.

So still, dass ich glaubte, trotz seiner zentralen Wohnlage in Tokyo Grillen zirpen zu hören. Aber vermutlich war das nur das Blut, das in meinen Ohren rauschte.

Schlagartig wurde mir wieder bewusst, warum ich sonst nur mit Älteren schlief. Mit reifen, charmanten Männern, die alles Mögliche taten, aber sicherlich keine Yaoi-Mangas lasen und sich so ungeschickt ausdrückten.

„Jun!“, stieß ich schließlich fassungslos aus. „Wie kann man nur SO unromantisch sein!?“

Die Antwort darauf war ein weiteres Achselzucken, kombiniert mit einem kindlichen Lächeln, für das ich hätte töten können.

Ich hasste diese Achterbahn der Gefühle, die mich ständig von einer Emotion zur nächsten, völlig gegensätzlichen warf, sobald ich mit ihm zusammen war.

„Also, was ist nun? Nimmst du mein Angebot an?“

Ach ja, das Angebot. Ich hatte im Eifer des Gefechts völlig vergessen, worum es eigentlich ging, bevor ich das Weite suchen wollte.

Ich ließ mir das Gesagte noch einmal durch den Kopf gegen, versuchte, pro und contra gegeneinander aufzuwiegen.

„Ich meine, du brauchst eh nen Gitarristen. Die aus deiner alten Band kannst vergessen und alle Guten, die ich kenne, haben schon Bands. Den Rest kannst du in der Pfeife rauchen… außerdem haben die dich bestimmt nicht im Griff.“

„Als wenn man mich im Griff haben müsste…“

„Warum ist noch mal deine Band zerbrochen…?“

„Musikalische Differenzen“, leierte ich die offizielle Erklärung herunter, wie ich es schon tausende Male getan hatte. Dieses Frage-Antwort-Spiel nervte mich jetzt schon.

„Und warum wirklich?“

Ich sah nicht ein, warum ich darauf weiterhin eingehen sollte. Um die Stille zu überbrücken, fuhr Jun fort: „Ach, komm, wir wissen beide, wie anstrengend du sein kannst. Ist doch kein Zufall, dass die nichts mehr mit dir zu tun haben wollen. Aber ich, ich hab den Zauberstab!“

Ich rollte mit den Augen. Jun war einfach unmöglich! Fehlte nur noch, dass er anfing, mit seinem Genital herum zu wedeln. Und überhaupt war es irgendwie lustiger, wenn Jun so etwas über andere sagte, und nicht über mich und dann auch noch einfach so in mein Gesicht, während er nackt auf mir lag.

Trotzdem hatte er natürlich nicht völlig Unrecht. Bis auf Tero war mir keiner mehr besonders freundlich gesonnen. Giru vielleicht noch, aber dem kam die Auflösung sowieso ganz recht, nachdem er das Angebot erhalten hatte, bei Angelo einzusteigen.

Ihn, Rame und Shun brauchte ich daher nicht fragen, ob sie mit mir eine neue Band gründeten. Jun hingegen wollte es und immerhin würden die Proben mit ihm sicherlich lustig werden. Und ich verstand mich gut mit ihm. Wenn auch zu gut, wahrscheinlich. Ich seufzte frustriert auf.

„Weißt du, Jun, es gibt da dieses Sprichwort: Never fuck the company!“

Der Gitarrist rollte sich von mir herunter, doch seine Hand verharrte auf meinem Körper, streichelte sanft über meine Brust.

„Wir haben aber gefucked bevor wir zur Company wurden. Das zählt dann nicht.“

Ich überhörte den sinnlosen Kommentar gekonnt.

„Ich hab einfach Angst, dass wir uns auf die Nerven gehen, wenn wir uns beruflich und privat ständig sehen… Und dann trennen wir uns und wer weiß, was dann aus der Band wird!“

Dieses Mal war ich es, der unüberlegt sprach. Möglicherweise war diese Unart ansteckend. Zumindest aber brachte es zur Abwechslung auch mal Jun aus dem Konzept. Die Streicheleinheiten fanden ein jähes Ende.

„Wir sind doch gar nicht zusammen, dachte ich?“, fragte er sichtlich verwirrt.

Erneut schob sich die Stille wie ein Keil zwischen uns. Aber dieses Mal war es die Verlegenheit und Beschämung, die sie auslöste.

„Ähm… ja. Richtig…“

„Siehste, wenn wir nicht zusammen sind, können wir uns auch nicht trennen!“

Ich blickte auf, und was ich im Gesicht des Gitarristen lesen konnte, war der aufrichtige Wunsch, fast schon ein Flehen, nach meiner Zustimmung.

Wie sollte ich in der Lage sein, ihm etwas abzuschlagen, wenn er mich so ansah?

Und so beugte ich mich statt einer Antwort zu dem anderen vor und bedeckte dessen Lippen mit einem langen Kuss.

„Also gut… lass es uns versuchen“, willigte ich schließlich ein. Als ich die Zweideutigkeit meiner eigenen Worte bemerkte, fügte ich hinzu: „Mit der Band, meine ich.“

Juis Fehler

„Heute gehen wir’s an!“, hatte Jun mir einige Wochen später feierlich verkündet, als wir nach einer weiteren gemeinsamen Nacht vor seiner Wohnung standen. Er trug seine Gitarre lässig über die linke Schulter geworfen, eine übergroße Sonnenbrille auf der Nase und das Pink seiner Haare strahlte im Sonnenlicht.

Ich hätte ihn am liebsten gepackt, um ihn sofort wieder zurück in die Wohnung zu ziehen und im Bett zu verschwinden. Aber die Pflicht rief. Nach ihm zumindest.

Spiv states hatten heute einen Auftritt bei einem Festival in Harajuku, bei dem sie sich mit einigen bekannteren Größen der Szene die Bühne teilten. Er musste bereits in den Morgenstunden dorthin, um entsprechende Vorbereitungen treffen zu können. Ich selbst würde erst zu seinem Auftritt dort erscheinen, darum trennten sich unsere Wege vorerst.

„Alles klar, wir sehen uns.“

„Ich will dich in der ersten Reihe sehen, Baby!“

Jun ging leicht in die Knie, streckte grinsend beide Zeigefinger nach mir aus und warf mir anschließend im Gehen noch eine Kusshand zu. Alberner Vogel, dachte ich, während sich ein liebevolles Lächeln auf meine Züge schlich.

„Ich bin doch gar kein Fan von dir!“, rief ich ihm noch nach, und für einen kurzen Moment blickte Jun zurück.

„Oh doch, das bist du.“
 

Einige Stunden später fand ich mich auf dem Festival wieder. Es war ein merkwürdiges Gefühl, hier zu sein. Noch vor zwei Jahren hatte ich selbst auf dieser Bühne gestanden und es mir mit der Band backstage gut gehen lassen. Heute war ich nur ein Teil der Masse vor der Bühne.

Ich schob meine Sonnenbrille höher und die Kapuze tiefer in mein Gesicht, während ich mich zwischen den Zuschauern durchschlängelte, um einen Platz relativ weit vorne zu ergattern.

Die Genugtuung, mich in der ersten Reihe zu sehen, würde ich Jun ganz sicher nicht gönnen, aber zumindest wollte ich von ihm gesehen werden.

Allein schon deshalb, weil er mich nach dem Auftritt mitnehmen sollte, damit wir uns backstage nach passenden Bandmitgliedern umsehen konnten. Zwar freute ich mich darauf, auf der anderen Seite hatte ich aber auch ein mulmiges Gefühl bei der Sache. Schon jetzt konnte ich mir nur allzu gut die Gesichter der Leute vorstellen, die mir weniger gut gesonnen waren, die sich sicherlich an meiner derzeitigen beruflichen Situation ergötzten und auch den einen oder anderen Spruch fallen ließen.

Insbesondere die Neuigkeiten bezüglich Nippon Crown dürften zumindest zu den direkten Kollegen durchgedrungen sein und für Häme sorgen.

Vor wenigen Tagen hatte ich nämlich in meinem Briefkasten die Kündigung des Labels vorgefunden. Nicht mal ein persönliches Gespräch, nur dieser dämliche Zettel, mit dem mir erklärt wird, dass mein Ausscheiden aus wirtschaftlicher Sicht notwendig ist. Oder, anders gesagt, die miesen Verkaufszahlen meines Soloalbums nicht tragbar sind.

Allein schon bei dem bloßen Gedanken daran, spürte ich Wut in mir aufsteigen, aber auch die Unsicherheit, wie es weitergehen sollte. Sollte das mit Jun nicht klappen, sah es wirklich schlecht für mich aus, das war mir jetzt klar geworden.
 

Mein Gedankenfaden riss ab, als Musik erklang und die Menge um mich herum zu schreien begann. Mit einem Blick auf die Bühne wusste ich auch, was der Grund für die Aufregung war: Dort oben stand er nun. Jun, mein Jun.

In diesem schreiend bunten Anzug, der ihm drei Nummern zu groß war und mit einer ordentlichen Portion guter Laune. Er sah einfach toll aus, fand ich. Und zum ersten Mal löste sein Anblick nichts Geringeres als Stolz in mir aus. Stolz darüber, dass diese ganzen Leute um mich herum ihn anhimmelten und ich es war, der das Glück hatte, nachher mit ihm backstage verschwinden zu dürfen und hoffentlich heute Nacht wieder das Bett mit ihm zu teilen.

Unwillkürlich zogen sich meine Mundwinkel in die Höhe, als es wieder in meinem Bauch zu kribbeln begann. Verdammt, Jun hatte doch Recht. Ich WAR sein Fan. Doch das würde ich ganz bestimmt nicht zugeben.
 

Irgendwann schaffte ich es, meinen Blick von ihm zu lösen und über die Menge schweifen zu lassen. So viele Leute… fast alles Teenager mit zerrissener bunter Kleidung und Perücken. Sie alle richteten ihren Blick stur geradeaus auf die Bühne, sodass sie mich gar nicht bemerkten. Unwillkürlich begann ich, mich zu fragen, ob es irgendwann eine Zeit geben würde, in der man mich auch unmaskiert nicht mehr erkennen würde.

Gerade als ich mich wieder auf Jun konzentrieren wollte, blieb mein Blick an einer Person in meiner unmittelbaren Umgebung hängen. Ein junges Mädchen im Gothic Lolita Kleid starrte mit zusammengekniffenen Augen und hochgezogener Oberlippe wortlos zu mir hinauf. Der Anblick war so unerwartet und so hässlich, dass ich nur mit Mühe einen Schreckenslaut unterdrücken konnte.

„Bist du nicht Jui-san?“, fragte sie endlich, ohne dass sich ihr Gesichtsausdruck änderte. Um zu verhindern, dass sich dieser Anblick in mein Gedächtnis fraß und mich noch in meinen Träumen verfolgte, widmete ich meine Aufmerksamkeit ihrer Handtasche. Ein buntes Ding mit unzähligen großen und kleinen Bildern verschiedener Musikgruppen, darunter auch ein Foto von mir und ein Vidoll-Aufnäher. Da mein Foto das größte war, vermutete ich, dass Vidoll ihre Lieblingsband war und meine Chancen, aus der Sache heraus zu kommen, entsprechend gering.

Ups.

„Wer soll ich sein?“, fragte ich mit einem Anflug Nervosität, die meine Beine aufzuweichen drohte.

„Jui-san!“, wiederholte sie und dieses Mal war es keine Frage. Sie stieß ihrer Freundin in die Seite und dann ging alles ganz schnell.

Ehe ich wusste, wie mir geschah, war ich von einer Traube Mädchen umringt, die allesamt auf mich einredeten und immer näher kamen, bis ich glaubte, erdrückt zu werden. Hektisch wandte ich mich zu allen Seiten um, konnte jedoch inmitten dieser Masse keine Fluchtmöglichkeit finden.

Währenddessen spielte die Band weiter, doch für einen Moment glaubte ich, Juns Blick auf mir zu spüren.

„Hey, ist ja gut, seid so fair und lasst mich die Band sehen!“, forderte ich meine Fans lachend auf, ehe ich versuchte, mir unauffällig, Zentimeter um Zentimeter, einen Weg durch die Masse zu bahnen. In Wirklichkeit war mir überhaupt nicht nach Lachen zumute. Ich musste hier raus. Ich hasste es, von so vielen Menschen derart bedrängt zu werden.

„Wann bringst du die nächste Single raus!?“

„Ich liebe dein Album!“

Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir irgendwer von ihnen zuhörte. Ich versuchte, einen Abstand zwischen ihre Leiber und mich zu bringen, indem ich sie leicht von mir wegstieß. Auf keinen Fall wollte ich hier und jetzt hyperventilieren.

„Du siehst so gut aus, Jui!“

„Nimm doch mal die Sonnenbrille ab.“

„Kommen Vidoll wirklich nicht mehr zurück!?“

„Ich finde, am besten ist Bang Girl!“

Es blitzte um mich herum, als Handys gezückt und Fotos geschossen worden. Ich versuchte, mich um einen weiteren Zentimeter zu bewegen, trat dabei auf irgendwelche Füße und wäre gestolpert, wenn die Masse mich nicht völlig eingekesselt hätte.

Ich hörte sie weiter reden, konnte die Worte aber inzwischen nur noch fetzenweise wie aus weiter Ferne wahrnehmen. Es war, als würde die Luft immer dünner, bis nichts mehr übrig blieb, um meine Lungen zu füllen. Panisch begann ich, nach Luft zu schnappen, um nicht ersticken zu müssen. Doch egal, wie sehr ich kämpfte – plötzlich erlangte ich die Gewissheit, dass ich hier niemals lebend rauskommen würde.

„Hey, aus dem Weg!“

Die letzte Stimme hörte ich nur noch gedämpft.
 

„Er ist dünn wie ein Skelett. Kein Wunder, dass er abklappt.“

„Das hat damit nichts zu tun. Er hat eine kleine Klaustrophobie.“

Etwas Kaltes lag auf meiner Stirn und kalte Tropfen rannen über mein Gesicht. Das war neben den Stimmen das erste, was ich wahrnahm, als ich langsam wieder zu mir kam.

Danach spürte ich eine Hand, die das kalte Etwas von mir nahm und den Geräuschen nach zu urteilen irgendwo auswrang.

„Oh, schön machst du das. Wieso bist du nicht Krankenschwester geworden?“, fragte nun wieder die erste Stimme in einem süffisanten Tonfall, der den zugehörenden Menschen sogleich unsympathisch erscheinen ließ.

Irgendwer lachte, aber nicht die Person in meiner unmittelbaren Nähe.

„Weil man als Sänger mehr Kohle verdient“, antwortete eben diese schroff. Ich wusste, dass ich die Stimme kannte und mochte, konnte sie aber im Moment noch nicht zuordnen.

Vorsichtig schlug ich die Augen auf und langsam manifestierte sich das schwammige Bild zu einem hellen Raum. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der die schöne Stimme kam, aber als ich sah, mit wem ich es zu tun hatte, presste ich meine Augen sofort wieder zusammen.

Oh nein, alles, jeder, nur nicht er!

Ich wünschte mir erneut die Ohnmacht herbei, doch sie wollte einfach nicht eintreten. Wo war verdammt noch mal das Loch im Boden, wenn man es am dringendsten brauchte!?

Der Duft seines Parfums, Platinum Egoiste, gemischt mit dem Rauch seiner Zigaretten, stieg mir in die Nase. Eine liebliche Mischung, die ich schon immer gerne gerochen hatte.

Ich versuchte, die Gedanken zu vertreiben. Sie fühlten sich wie Verrat an, obwohl ich eigentlich ungebunden war.

„Hey, was ist los? Willst du mich nicht sehen?“

„Nein!“

Ich hörte Gelächter im Raum, mehrere Stimmen, die sich zu einem spöttischen Geflecht ineinander verwoben.

„Ist das deine Art, dich zu bedanken?“, fragte er amüsiert, woraufhin vor meinem inneren Auge sofort sein Lächeln auftauchte.

Wenn ich mich schon in so einer peinlichen Situation befand, konnten wir dann nicht wenigstens allein sein? Obwohl… das war sicher auch nicht besser.

Zaghaft öffnete ich meine Augen erneut. Ein flüchtiger Blick verriet mir, dass sich viele Leute in diesem großen Raum aufhielten, doch ich war zu verschüchtert, um sie im Einzelnen zu mustern. Nur ihn, den Mann direkt über mir, betrachtete ich endlich.

Den Mann mit den tätowierten Armen, dem schwarzen Haar, dem perfekten Alter (er war immerhin fast zehn Jahre älter als ich) und der perfekten Portion an Perversion. Den Mann, der mir vor allem in der Vergangenheit zahlreiche schlaflose Nächte beschert hatte und vor dem ich mich am allerwenigsten blamieren wollte.

Kirito.

Ich richtete mich vorsichtig auf, als ich allmählich wieder meinen Körper wahrnahm.

„So kann man sich natürlich auch backstage reinschleichen“, kommentierte Kirito grinsend.

Mein Schädel fühlte sich noch immer wie Watte an, meine Ohren rauschten und ich realisierte nur noch diesen betörenden Duft seines Parfums.

Mir wurde schwindlig und ehe ich antworten konnte, lag ich in seinen Armen.

„Vorsichtig, Jui. Sonst driftest du wieder ab.“

Noch immer war mir seine Umarmung so vertraut, als hätte ich sie erst gestern gespürt. Dabei war es schon weit über zwei Jahre her.

Ein leises Seufzen verließ meine Lippen. Irgendwer sagte irgendetwas. Ich verstand es nicht und es war mir auch egal, aber Kirito wandte sich plötzlich um und rief: „Kriegt euch mal wieder ein!“

„Ist ja gut. Wir lassen euch ja schon allein. Aber beeilt euch, wir müssen gleich auftreten.“

Die Stimme triefte nur so vor Arroganz und endlich erkannte ich, dass sie zu Kohta, Kiritos Bruder, gehörte. Wir mochten uns noch nie besonders. Wenn er von mir sprach, benutzte er nur selten meinen Namen, dafür umso häufiger abwertende vulgäre Bezeichnungen.

Daher war ich schon immer froh gewesen, wenn ich Kirito treffen konnte, ohne Kohta begegnen zu müssen. Aber mich jetzt allein lassen? Mit Kirito? Bloß nicht!

„Nicht nötig!“, stieß ich eilig hervor und schaffte es, mich aus der Umarmung zu lösen.

Ich befand mich auf einem ledernen schwarzen Sofa, Kirito hockte davor und seine Band nebst Staff standen um uns herum. Ich erkannte Giru, der unseren Augenkontakt sofort wieder unterbrach, kaum dass er zustande gekommen war. So, als sei es ihm unangenehm. Nun, war es auch. Mir auf jeden Fall. Giru nun bei diesen Leuten zu sehen, war irgendwie so, als befände man sich im falschen Film.

Ich erwartete irgendwie, dass er sich nach meinem Wohlergehen erkundigte, so wie er es früher getan hätte, doch nichts dergleichen geschah. Er tauschte einen Blick mit Kohta und wandte sich dann ab, um mit seinen neuen Kollegen den Raum zu verlassen.

„Hey, nicht nötig!“, wiederholte ich hektisch und stieß damit auf taube Ohren. Wieder einmal.
 

Und dann schloss sich die Tür und wir waren allein in der Garderobe. Auch ohne ihn anzusehen, spürte ich Kiritos Blick auf mir ruhen.

Mein Herzschlag beschleunigte sich.

„Fehlt dir irgendwas?“, fragte nach einer Weile mit sanfter Stimme.

Allein schon, um nicht zugeben zu müssen, dass ich unsere Zweisamkeit mit äußerst gemischten Gefühlen wahrnahm, lenkte ich das Gespräch in eine unschuldigere Richtung.

„Nun… ja, du hast etwas, das zu mir gehört, genau genommen“, erwiderte ich, meinen Blick noch immer stur auf die Tür gerichtet, durch die die Bandmitglieder von Angelo verschwunden waren.

„Das tut mir Leid. Ich wollte dir nicht dein Herz stehlen… Ich dachte, du wärst drüber hinweg“, sagte er vollkommen trocken, fast schon gelangweilt.

Herz stehlen?

Ich brauchte einen Moment, ehe ich verstand, wovon Kirito sprach. Plötzlich schienen meine Wangen in Flammen zu stehen.

„Das meine ich doch gar nicht! Ich meine ihn, Giru! Meinen Gitarristen!“, rief ich nervös, vielleicht eine Spur zu nervös.

„Ach so!“

Kirito lachte auf und zerzauste wie selbstverständlich mein Haar. Ohne jede Vorwarnung erinnerte ich mich plötzlich an den Geschmack seiner Lippen nach einem Glas seines Lieblingsweins, und an seine Berührungen auf meiner nackten Haut. Ich erinnerte mich an das Hotelzimmer mit dem riesigen Bett und an die zerwühlten Laken.

Oh Gott! Dabei redeten wir doch schon extra über Musik, damit ich nicht an sowas denken musste!

Um nicht ganz so einladend zu wirken, schwang ich meine Beine über den Couchrand, sodass ich eine sitzende Position einnahm.

„Nun, wer rastet, der rostet. Das hat er sich wohl auch gedacht.“

Kirito zuckte gleichgültig mit den Schultern. Es erinnerte mich jäh daran, dass wir trotz aller Sympathie -oder wie auch immer man das zwischen uns nennen mochte-, Konkurrenten waren.

„Aber was soll’s? So wie ich hörte, hast du bereits neue Pläne. Mit diesem Schäfchen von Kisaki, richtig?“

„Er ist nicht sein Schäfchen.“ Zu meiner eigenen Überraschung hörte ich das Knurren in meiner Stimme.

Ich wollte gar nicht wissen, woher er schon wieder von unseren Plänen wusste. Manchmal glaubte ich, Kirito wusste die Dinge schon, bevor die betroffenen Personen es selbst auch nur ahnten. Damals hatte ich seine Wohnung oft durchsucht, aber weder eine Kristallkugel noch Tarotkarten gefunden.

„Oh, ein wunder Punkt?“, fragte er mit einer Mischung aus Neugier und Belustigung, ehe er sich neben mich auf die Couch setzte und seinen Arm um meine Schulter legte.

Wieder sah ich die Bilder aus dem Hotelzimmer vor meinem inneren Auge. Mein Atem wurde schwerer.

„Unsinn…“, erwiderte ich leise, während seine Finger sanft meinen Nacken berührten und mir am ganzen Körper eine Gänsehaut bescherten.

„Wie auch immer. Weißt du, ich kenn da so ein Label. Die haben sich gerade gegründet, suchen jetzt nach Künstlern, die sie unter Vertrag nehmen können….“

Noch immer starrte ich auf die Tür, um Kirito nicht ansehen zu müssen. Ich glaubte nicht, dass mich dann noch irgendwas davon abgehalten hätte, mich auf ihn zu stürzen. Und außerdem versprach seine Erzählung, interessant zu werden.

„Wäre das nicht was für dich?“

Kirito unterbrach sich selbst, um einen Kuss in meiner Halsbeuge zu platzieren. Der Geruch seines Parfums umfing mich, während seine Hand in mein Haar hinauf wanderte. Er machte mich wahnsinnig! So, wie er es schon immer getan hatte. Es war so falsch und gleichzeitig so schön, dass es mich um den Verstand brachte und jede Gegenwehr im Keim erstickte.

„Ich hab gehört, dass du kein Label mehr hast. Ich könnte dir den Weg dorthin ebnen… Für deine neue Band.“

Plötzlich befand sich auch die zweite Hand an meinem Körper. Erst auf meinem Bauch, doch kurz darauf schob sie sich bereits unter meinen Hosenbund, während seine Lippen meinen Hals liebkosten. Ich schloss die Augen und die Bilder meiner Erinnerungen mit Kirito mischten sich mit denen, die ich an Nächte mit Jun hatte. Auch er hatte mich letzte Nacht auf dieselbe Art und Weise geküsst.

Jun…

Plötzlich ergriff ich Kiritos Hand, um sie daran zu hindern, noch tiefer in meiner Hose zu verschwinden.

„Nicht, Kirito, bitte…“

Meine Stimme klang heiser, zittrig, und nahm meiner Gegenwehr jegliche Überzeugungskraft.

Trotzdem ließ er unvermittelt von mir ab.

„Das heißt, du willst nicht? Schade. Dabei wäre es ideal für deinen Neuanfang mit Jun. Ihr könntet sofort durchstarten.“

Ich versuchte erfolglos, den erotischen Klang seiner Stimme zu ignorieren. Jetzt, da er von mir abgelassen hatte, war das Verlangen nach ihm nur noch größer geworden, wie mir das Pochen zwischen meinen Beinen bewies.

„Weißt du, die Nachwuchsbands von heute sind ziemlich enttäuschend… Ich vermisse die Zeiten, als du gerade erst mit der Musik angefangen hast und dich für jeden kleinen Gefallen von jedem ficken lassen hast, nur um Karriere zu machen.“

Die Worte trieben mir erneut die Hitze ins Gesicht, doch sein lüsterner Blick ließ mich schnell die aufkeimende Scham vergessen.

„Es war nicht umsonst.“

„Wie wahr… Schade, dass du anspruchsvoller geworden bist.“

Ich blickte ihm in die dunklen Augen, die mich regelrecht zu verschlingen schienen, und erkannte darin dasselbe Begehren, das ich selbst verspürte.

Ich wollte ihn so sehr, wollte ihn endlich nach so langer Zeit wieder auf und in mir spüren. Und als wäre das nicht Geschenk genug, versprach er mir dazu noch einen kleinen beruflichen Vorteil.

Ich dachte noch einmal kurz an Jun, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Wir waren kein Paar, daran hatte er mich selbst noch vor kurzem erinnert. Also tat ich nichts Falsches, wenn ich mich noch einmal auf diese verbotene Frucht einließ, die höchstens mir selbst schaden konnte.

Und so entließ ich Kiritos Hand meinem Griff und hockte mich so über seinen Schoß, dass meine Knie links und rechts neben ihm ruhten. Hastig glitt meine linke Hand unter sein Hemd, strich über die Brust und kniff leicht in die verhärtete Brustwarze.

„Kluger Junge….“

„Halt die Klappe“, forderte ich lächelnd und mit schwerem Atem, ehe ich meine Lippen endlich auf seine legte, um sie zu einem Kuss zu vereinen. Es fühlte sich sogar noch besser an als in meiner Erinnerung. Intensiver, heißer. Kirito presste mich an sich und dieses Mal genoss ich diese Nähe, war froh über jeden Millimeter, den ich ihm näher sein konnte.

Seine Hand fuhr erneut über meinen Hosenbund, öffnete ihn mit geübtem Griff, ehe ich unvermittelt mit meiner Rechten über die Wölbung zwischen seinen Beinen strich.

Das überraschte Aufstöhnen klang wie Musik in meinen Ohren. Plötzlich packte er meine Handgelenke, stieß mich ein Stück weit von sich und wirbelte dann herum, bis ich mit dem Rücken auf der Couch lag und er sich zwischen meinen gespreizten Beinen über mir befand.

Kurz verharrten wir regungslos in dieser Position, fixierten einander, während unsere Gesichter nur wenige Millimeter trennten. Doch dann ließ er mich los und griff ohne jede Vorwarnung und mit unerwarteter Härte zwischen meine Beine, sodass ich mich stöhnend unter ihm aufbäumte, während ein angenehmer Schauer meinen Körper durchfuhr.

Wie um mein Stöhnen zu unterdrücken, küsste er mich erneut und ich umschlang seinen Nacken in fiebriger Erregung, während er weiterhin mit langsamen Bewegungen meinen Schritt massierte. Ich spürte, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis zumindest ich meinen Höhepunkt erreichte. Und das noch, bevor auch nur einer von uns ausgezogen war.

„Entschuldigung, Kirito-san, Ihr Auftritt beginnt in wenigen Minuten. Die Band wartet bereits“, erklang eine schüchterne Frauenstimme.

Ich erschrak so sehr, dass ich heftig zusammen zuckte und glaubte, mein Herz bliebe einen Moment lang stehen. Ich hörte einen unterdrückten Schmerzenslaut, der nur von Kirito kommen konnte. Als er sich von mir erhob, presste er sich eine Hand vor den Mund. Ich schmeckte Blut und plötzlich wusste ich, was passiert war.

„Oh nein! Oh nein! Sorry!“, rief ich erschrocken aus, blickte erst Kirito entschuldigend und dann die Frau vom Staff vorwurfsvoll an. Sofort stellten sich Phantomschmerzen ein und ich hielt mir selbst die Hand vor den Mund.

Schlimmer konnte es gar nicht kommen! Anscheinend hatte ich ihm vor Schreck auf die Zunge gebissen. Wenn es zu schlimm war, fiel nun der ganze Auftritt ins Wasser, oder sie traten auf und der Sänger blamierte sich bis auf die Knochen mit einer geschwollenen Zunge. Scheiße. Verdammt!

Kiritos Augen funkelten mich bedrohlich an und ich fürchtete bereits, dass er mir aus Rache seine Faust ins Gesicht schlug. Ich hätte sogar verstanden, wenn er es getan hätte. Aber stattdessen

stand er auf, sich noch immer eine Hand vor die Lippen pressend. Ich sah, wie Blut zwischen seinen Fingern hindurchrann, über seine Hand lief und kleine Tropfen auf dem Boden hinterließ, als er zu einem der Spiegel ging und dort Taschentücher holte. Die Frau vom Staff lief aufgeregt hinter ihm her.

„Oh Gott, Kirito-san! Geht es Ihnen gut!?“

Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ob ich auch zu ihm gehen und mit Entschuldigungen um mich werfen sollte oder ob es besser war, ihn in Ruhe zu lassen.

Doch diese Frage rückte schlagartig in den Hintergrund, als ich einen Blick zur Tür warf. Denn dort stand Jun, regungslos wie eine Statue.

Meine Gedanken überschlugen sich und ich spürte, wie sich das schlechte Gewissen in mir ausbreitete. Wie lange war er schon hier?

„Hm. Wollte eigentlich nach dem Rechten sehen. Aber dir scheint’s ja blendend zu gehen im Gegensatz zu ihm.“

Die Zeit schien still zu stehen. Jun war völlig emotionslos. Seine Stimme hatte genauso wenig Ausdruck wie seine Miene. Er starrte mich nur an, während ich unter seinem Blick immer kleiner wurde.

Dann wurde mir bewusst, wie ich aussehen musste. Zerzaustes Haar, ungeordnete Kleider und ein offener Hosenstall. Und das, nachdem ich gerade erst vor wenigen Stunden Juns Wohnung nach einer schönen gemeinsamen Nacht verlassen hatte.

Ich wusste nicht einmal, ob es Jun verletzte oder ob es ihm egal war, mit wem ich nebenbei schlief. Ich wusste nur, dass der Gedanke, dass es ihm egal sein könnte, mich widersinniger Weise verletzte.

„Das freut mich.“

„Jun…“

Was wollte ich eigentlich sagen? Dass es nicht so war, wie es aussieht?

Das wäre gelogen, denn es war genau das, wonach es aussah. Also blieben mir die Worte im Hals stecken.

„Ich hab dich in der ersten Reihe vermisst.“

Das Eisen, aus dem seine Worte geschmiedet waren, bohrte sich tief in mein Herz und nur einen Wimpernschlag später machte Jun auf dem Absatz Kehrt und verschwand.

Juns Wiedersehen

Lächeln, immer schön lächeln, dachte ich, während ich festen Schrittes über den Flur ging.

Die Hände in den Taschen meines Anzugs waren zu Fäusten geballt und ich grinste einem vorüberziehenden Kollegen flüchtig zu, ohne mir die Mühe zu machen, ihn wirklich anzusehen.

Stattdessen fixierte ich die Tür zu meiner Garderobe, die ich so schnell wie möglich erreichen wollte. Und zwar am besten, bevor ich mitten auf dem Flur vollständig ausrastete!

Zwei Sanitäter eilten an mir vorbei in die Richtung, aus der ich gerade kam. Mit einem Anflug von Gehässigkeit überlegte ich einen Moment lang, ihnen ein Bein zu stellen. Vielleicht verblutete Kirito ja. Und Jui gleich danach, wenn Kohta erst einmal mit ihm fertig war.

Obwohl ich eigentlich ein friedliebender Mensch war, erfüllte mich dieser Gedanke mit einer gewissen Genugtuung. Trotzdem riss ich mich zusammen und ließ die Sanitäter unbehelligt an mir vorbei laufen.

Ich erreichte schließlich meine Garderobe, riss die Tür unnötig heftig auf und ließ sie ebenso unnötig laut ins Schloss fallen. Die Anwesenden zuckten erschrocken zusammen und drehten mir ihre fragenden Gesichter zu.

Ich starrte zurück.
 

„Huch….“, sagte ich dann, nachdem einige Sekunden verstrichen waren, rang mir ein kindliches Grinsen ab und verbeugte mich mit vor der Brust gefalteten Händen. „Soooorry, Leute!“

Das schien die Leute zu besänftigen, und sie wandten sich wieder dem zu, womit sie sich vor meinem Eindringen beschäftigt hatten. Der Staff wuselte geschäftig durch den Raum und die Supporter packten ihre Sachen zusammen.

„Hast wohl heut zu viel Spinat gegessen, was?“, fragte Riku, der zwar eigentlich mit seiner eigenen Band, Lin, hier war, Iori und mir aber ganz offensichtlich einen Besuch abstatten wollte.

Grinsend trat er auf mich zu und legte mir zur Begrüßung eine Hand auf die Schulter. „War’n cooler Auftritt, Jun.“

„Danke.“ Dieses Mal war mein Lächeln sogar echt.

„Ich glaub, Riku ist dein größter Fan!“, erklärte Iori plötzlich, nachdem er sich eine Zigarette angesteckt hatte. Gute Idee. Ein Königreich für eine Zigarette!

Ohne zu zögern ging auch ich zu der abgewetzten Ledercouch in der ruhigsten Ecke des Raumes und ließ mich neben Iori darauf sinken. Riku setzte sich auf die Lehne zu meiner Linken. Vermutlich, um auch einmal größer zu sein als ich, dachte ich sarkastisch, sprach die Worte aber nicht aus, weil ich wusste, dass ich sie im Moment nicht so witzig rüberbringen konnte, wie sie gemeint waren.

„Ach, wirklich?“, fragte ich stattdessen an den blonden Sänger mit den unzähligen Piercings in der Lippe gewandt und nestelte eine Zigarette aus meiner Schachtel hervor, die sich auf dem Couchtisch befand. Meine Finger zitterten und erschwerten mir damit das Vorhaben. Zum Glück merkte es niemand.

Riku antwortete irgendetwas und weil ich Iori lachen hörte, nahm ich an, dass er etwas Lustiges gesagt hatte. Darum lächelte ich ebenfalls, während ich meine Zigarette entzündete.
 

Lächeln, immer schön lächeln. Wie eine Beschwörung wiederholte ich die Worte innerlich, während sich unaufhaltsam die Bilder aus Angelos Garderobe vor mein inneres Auge schoben und meinen Verstand für sich beanspruchten.

Und dann sah ich sie wieder vor mir: Kirito und Jui, wie sie eng umschlungen auf der Couch lagen. Wie Jui seine Finger in Kiritos Schultern krallte, während Kirito das Glied rieb, das ich gestern noch in der Hand hatte.

Ich verzog angewidert mein Gesicht und spürte, wie die Kieferknochen dabei hervortraten. Es war einfach ekelhaft, diese Vorstellung, nur einer von vielen Gespielen zu sein, die sich gegenseitig die Klinke in die Hand gaben.

Ich erinnerte mich in diesem Moment mit schmerzhafter Genauigkeit daran, wie stolz ich gewesen war, als ich glaubte, Jui für mich gewonnen zu haben. Damals saß er auf meinem Schoß, klammerte sich mit vor Wein geröteten Wangen an mich und gestand mir kichernd, dass ich jemand ganz Besonderes war. Denn ich war der erste, der jünger ist als er und ihn trotzdem begeisterte, hatte er gesagt.

Ich glaubte damals, er meine damit, dass er mich so sehr liebte, dass seine üblichen Kriterien keine Rolle mehr spielten. Genau genommen hatte ich das sogar bis eben geglaubt. Und nun war mir mit einem Schlag diese Illusion geraubt worden und ich musste einsehen, dass seine Worte nichts anderes bedeuteten als dass ich eine nette Abwechslung darstellte. Aber was hatte ich eigentlich erwartet? Dass ich mit einem Star wie Kirito mithalten konnte? Mir wurde bewusst, wie lächerlich dieser Irrglaube war.
 

Etwas stieß mich schmerzhaft gegen den Arm und brachte damit meinen Gedankenfaden zum Reißen.

„Hey, Jun, ich rede mit dir!“

Ich brauchte einen Moment, ehe ich mich wieder in der Realität zurecht fand und bemerkte, dass Iori mit mir sprach.

„Sorry, ich hab nachgedacht!“, erklärte ich mit verlegenem Grinsen.

„Also, wo ist er denn? Ich dachte, du wolltest ihn abholen? Oder musste er ins Krankenhaus?“

Ich spürte, wie mir kurzerhand die Gesichtszüge entglitten. Auf die Frage nach Jui war ich nun wirklich nicht vorbereitet gewesen.

Ich holte tief Luft, ehe ich zum Sprechen ansetzte. „Jui!“, begann ich dann in so lautem Ton, dass Iori mich verdutzt ansah.

„Jui… Ja… dem… geht’s gut, würde ich sagen.“

Riku und Iori tauschten einen Blick über meinen Kopf hinweg. Das spürte ich, auch ohne sie anzusehen.

„Aber vielleicht auch nicht. Er scheint Kirito gerade die Zunge abgebissen zu haben.“

„WAS!?“, erklang es von beiden gleichzeitig mit ein und derselben Fassungslosigkeit, obwohl ich bereits wusste, dass meine Aussage für beide eine unterschiedliche Bedeutung hatte.

„Der muss doch jetzt auftreten!“, entfuhr es Riku, während Iori mich mitleidig ansah. Dieses Mitgefühl in seinen Augen zu sehen war irgendwie noch schlimmer als meine eigene Wut auf den Sänger.

„Wie abgebissen? So richtig ab!?“, fragte Riku aufgeregt.

„Das war ja klar, dass das passieren musste….“, sagte Iori, ohne auf Riku einzugehen und legte mir fast schon väterlich eine Hand auf die Schulter.

„Na ja, eigentlich hätte ich es ja wissen müssen!“, erklärte ich lachend, während sich tatsächlich Tränen in meinen Augen sammelten. Mann, das tat echt weh. Mehr, als ich erwartet hätte, um ehrlich zu sein.

Plötzlich spürte ich auch das Gewicht von Rikus Hand auf meiner Schulter und drehte mich, tapfer lächelnd und die Tränen zurück haltend, zu ihm um, um auch seinen Trost entgegen zu nehmen.

Bisher hatte er nicht gewusst, dass zwischen Jui und mir etwas lief, doch er hätte blind und taub sein müssen, um jetzt nicht zu verstehen, was los war.

„Jun, sag doch mal! Ist die Zunge echt ab!?“

Wieder entgleisten mir meine Gesichtszüge. Nun, zumindest hatte ich gedacht, dass die Lage offensichtlich war.

„Was weiß ich denn! Es hat auf jeden Fall ordentlich geblutet. Ist doch scheißegal – er hat mit Jui rumgemacht, das ist das Problem! Ich wollte nach diesem Idioten sehen, weil er während des Auftritts abgeklappt ist und Kirito hat ihn wohl ganz selbstlos in seine Kabine bringen lassen.“

Nach meinem Monolog betrachtete mich der blonde Sänger noch eine ganze Weile schweigend und je länger ich seinen Blick erwiderte, desto mehr gewann ich den Eindruck, dass die Zahnräder hinter seiner Stirn ins Ächzen gerieten.

Und dann, nachdem er meinen Worten scheinbar einen Sinn zugeordnet hatte, sagte er endlich: „Seit wann stehst du denn auf Kirito?“

Ich war sprachlos. Es kam vielleicht nicht oft vor, aber jetzt war ich es definitiv. Ich hatte jahrelang mit Riku in einer Band gespielt und nie den Eindruck gewonnen, dass er besonders einfältig wäre. Warum musste er es ausgerechnet jetzt sein!?

Noch bevor ich meine Sprache wiederfand, tauschte er seine ahnungslose Miene gegen ein Lächeln aus.

„War’n Spaß. Aber Mann… du pennst echt mit Jui!?“

Ich zuckte hilflos mit den Schultern.

„Dem sind wohl die Alten ausgegangen“, scherzte Riku erneut, aber ich fand das überhaupt nicht witzig. Leider konnte er mir das auch ansehen. So sehr ich auch bis vor wenigen Minuten versucht hatte, meine fröhliche Miene beizubehalten – jetzt schaffte ich es nicht mal mehr ansatzweise.

„Hey, ich mein’s ja nicht böse. Aber mal im Ernst… wieso denn ausgerechnet Jui!?“

Ich seufzte auf. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich genau diese kräftezerrende Diskussion bereits mit Iori geführt, und mit Kisaki. Das Resultat daraus war, dass ich seitdem meine Beziehung zu dem ehemaligen Vidoll-Sänger verheimlichte. Nicht, dass ich ihn nicht am liebsten der ganzen Welt als Teil von mir präsentiert hätte. Aber es nervte mich, wenn ich mich für meine Gefühle rechtfertigen musste und die Menschen in meinem Umfeld mir trotzdem noch in diese Sache reinreden wollten.

„Wieso denn nicht Jui!?“, gab ich zurück, vielleicht eine Spur zu giftig.

„Weil den schon jeder hatte…“

Das war eines der Standardsprüche, die man nicht selten über ihn hörte. Komischerweise beteuerte aber jeder, der diese Unterstellung aussprach, selbst nicht dazuzugehören.

„Ach ja? Wann hattest du ihn denn?“

Es war nicht zu übersehen, dass ich Riku mit der Frage überrumpelt hatte. Er hielt inne, grinste dann ergeben.

„Eins zu Null für dich, Kleiner. Trotzdem… sei nicht traurig und such dir lieber jemanden, der besser zu dir passt.“

Kleiner, sagt genau der Richtige, dachte ich, behielt den Kommentar aber für mich.

„Nur mal so als Tipp: Ich habe heute diesen Toya von Charlotte hier rumlaufen sehen… den fandst du doch so süß.“

„Toya ist hier!?“, brach es aus mir heraus und drängte meine Gedanken über Jui schlagartig in weite Ferne.

Vor fast drei Jahren hatte ich Touya kennengelernt. Damals waren wir beide für die Band Toshi with T-Earth engagiert worden und zusammen mit Charlottes Bassisten Ruka senkten wir den Altersdurchschnitt gewaltig. Toshi selbst und auch die beiden sich abwechselnden Drummer waren verglichen mit uns schon Großväter.

So kam es, dass die Alten nach den Auftritten schlafen gingen und wir zu dritt um die Häuser zogen. Leider zu dritt. Oft hatte ich mir gewünscht, auch einmal etwas mit Toya allein zu unternehmen, doch der hatte sein Herz am rechten Fleck und hätte seinen Bandkollegen niemals im Stich gelassen. Somit blieb es bei kleinen Flirts, die zum größten Teil von mir ausgingen und später, nachdem das Projekt beendet war, schrieben wir uns noch hin und wieder Nachrichten per Twitter, bis der Kontakt vollständig abbrach.

„Jepp… könnte Schicksal sein, oder?“

„Sieht ganz so aus“, stimmte Iori dem Sänger grinsend zu, der von meinen Schwärmereien über Toya seinerzeit wusste.

„Was macht er hier?“

Riku zuckte auf meine Frage hin mit den Schultern und erhob sich dann von der Couchlehne. „Keine Ahnung. Frag ihn doch selbst. Wenn ich ihn sehe, halt ich ihn auch für dich fest.“

Grinsend richtete er sich die Kleider und wandte sich dann zum Gehen.

„So, ich muss jetzt gucken, ob Kiritos Zunge noch dran ist. Halt die Ohren steif!“

Er wuschelte mir noch kurz zum Abschied durchs Haar, dann ging er zur Tür, die sich in just dem Moment zaghaft öffnete.

Dem vorherigen Thema geschuldet, rechnete ich fest damit, dass Toya nun in meine Garderobe hereinschneite und erwartete sein fröhliches Gesicht mit freudigem Herzklopfen. Doch an seiner statt war es Jui, der kurz erstarrte, als er sich Riku gegenüber sah und irritiert das Schild mit dem Bandnamen an der Tür las.

„Alles gut, du bist schon richtig.“

Einen Moment lang zog ich in Erwägung, mich demonstrativ an Iori heranzuwerfen. Wüsste nicht jeder, dass Iori seit vielen Jahren mein bester Freund und obendrein hetero war, hätte ich es vielleicht sogar getan. Aber so hätte es mehr nach einem Armutszeugnis als nach einer Vergeltung ausgesehen.

„Oh, ich muss auch los. Riku, warte mal!“, rief mein Gitarrist plötzlich und stand ebenfalls von der Couch auf, um mich mit meiner längst erloschenen Zigarette allein zu lassen.

„Iori!“, zischte ich noch, doch er hechtete zielstrebig an mir vorbei.

„Hey, hast du Kirito die Zunge WIRKLICH abgebissen!?“

Plötzlich wallte Hitze in mir auf und ich vermutete, dass mein Gesicht eine Färbung annahm, die nicht so recht zu meinem pinken Haar passen wollte.

Ich redete zwar auch oft, ohne nachzudenken, aber Jui musste ja nicht sofort wissen, dass ich bereits über ihn gesprochen hatte.

„Ganz genau“, antwortete Jui, während er die Arme vor der Brust verschränkte. „Und zwar gaaanz langsam und genüsslich.“

Bei der bloßen Vorstellung überkam mich die Übelkeit. Aber Riku stellte die Antwort erst einmal ruhig, sodass Jui ungehindert an ihm vorbei und zu mir gehen konnte. Während er auf mich zukam, fixierte er mich und ich glaubte, in so etwas wie Unsicherheit in seinen Augen lesen zu können.

Lächeln, immer schön lächeln,…

Leise fiel die Tür hinter meinen Kollegen ins Schloss und ich war mit Jui allein. Tolle Freunde hatte ich…
 

„Hey, Jun…“, begann er leise, setzte sich auf die Lehne, auf der sich bis eben noch Riku befunden hatte. Als er seine Beine überschlug, stellte ich wieder einmal fest, wie dünn sie waren. Zu dünn eigentlich, aber trotzdem schön. So schön, wie der ganze Rest seines Körpers auch. Ich verfluchte ihn innerlich dafür, dass er so perfekt war.

Er lächelte unsicher, kramte nebenbei nach seinen Zigaretten.

„Hey…“, antwortete ich, um einen freundlichen Ton bemüht.

„Alles klar?“

„Alles klar…“

Sein Feuerzeug klickte, kurz darauf meines. Es war zwischen uns so still, dass ich sogar das Knistern des verbrennenden Tabaks hörte. Wir schienen beide nicht zu wissen, was wir sagen sollten oder durften.

„Bist du sauer?“, fragte er endlich nach einer gefühlten Ewigkeit und eigentlich war ich kurz davor, ihn zu packen, durchschütteln und ihn zu fragen, wie er dazu kam, eine so selten dämliche Frage zu stellen! Aber mein Verstand schaltete sich gerade noch rechtzeitig ein. Zum Glück konnte ich mich in wirklich wichtigen Momenten auf ihn verlassen.

Ich wusste, was es bedeutet hätte, wenn ich Jui nun meine Gefühle offenbart hätte. Er hätte all unsere Bandpläne sofort über den Haufen geworfen und mich nur beschwichtigt, dass er von vornherein gewusst hatte, dass es nicht klappen konnte.

„Nein, wieso denn?“, log ich deshalb schweren Herzens. Ich wagte nicht, ihm dabei ins Gesicht zu sehen. Zu groß war die Angst, mich zu verraten.

„Dann ist ja gut…“

Er seufzte leise. Vor Erleichterung, glaube ich.

„Ich hab vorhin vielleicht etwas komisch reagiert… hab mich einfach erschrocken, weißt du….“

„Schon gut.“

„Wie geht es Kirito?“

„Hm, ganz gut… er hat Eis bekommen… Moran ziehen jetzt ihren Auftritt vor und Angelo spielen zuletzt. Bis dahin sollte es abgeschwollen sein.“

„Glück gehabt“, kommentierte ich und wusste selbst nicht, ob ich damit Jui oder Kirito meinte. Wahrscheinlich irgendwie beide.

Jui nickte stumm. Zumindest sah ich aus den Augenwinkeln eine leichte Kopfbewegung. Wieder breitete sich das Schweigen wie eine nasskalte Decke zwischen uns aus und drohte uns zu ersticken.

„Darf ich heute wieder mit zu dir kommen?“

Seine Stimme klang leise, schüchtern, als koste es ihn viel Überwindung, diese Frage überhaupt auszusprechen. Fast wie ein Kind, das von seiner Mutter gerügt wurde und dann um Süßigkeiten bat, obwohl es die Antwort auf diese Bitte schon kannte. Er blickte verzeihungsheischend zu mir auf und allein schon dieser Blick hätte ausgereicht, um Riesen in die Knie zu zwingen.

„Ja, okay!“, stimmte ich schließlich zu, zauberte ihm damit ein erleichtertes Lächeln auf die Lippen. Aber wollte ich das eigentlich? Wollte ich wirklich, dass er heute Nacht neben mir lag und morgen dann wieder bei Kirito oder wem auch immer?

Während dieser Grübelei war meine Hand immer lockerer geworden, sodass die Zigarette zwischen meinen Fingern hindurchglitt und auf meinen Schoß fiel.

„Scheiße!“ Fluchend sprang ich von der Couch auf, um sie von meiner Hose zu schütteln, bevor sie ein Brandloch hinterlassen konnte. Wie ich dann mit einem gezielten Blick feststellte, war mein Bühnenoutfit tatsächlich heil geblieben. Gott sei Dank! Die Sachen waren schließlich teuer genug gewesen.

Erleichtert ging ich in die Knie, um die Zigarette aufzuheben, die bereits dabei war, einen unschönen Fleck in den Boden zu brennen. Dass Jui genau dasselbe vorhatte, merkte ich erst, als wir mit den Köpfen zusammenstießen.
 

In genau diesem Moment, als wir uns beide lachend die Stirn rieben und das Eis zwischen uns zu brechen schien, wurde die Tür zur Garderobe erneut aufgestoßen. Ich erblickte Riku, der irgendetwas hinter sich herzog.

„Das ging aber schnell!“, stellte ich verwundert fest.

„Ich hab dir wen mitgebracht, Jun!“ Riku trat noch einen Schritt vor und ich erkannte, dass er einen Arm umfasste. Einen Atemzug später erkannte ich auch, zu wem dieser gehörte.

Zu einem Mann, etwas größer als ich, etwas jünger und mit einem Piercing unterhalb der vollen Lippen. Das schwarze Haar ordentlich gekämmt, umrahmte es sein hübsches Gesicht.

Als er mich erblickte, breitete sich sofort ein euphorisches Grinsen auf seinen Zügen aus, sodass ich glaubte, die Sonne ginge auf und vertriebe die düsteren Wolken, die Jui heute heraufbeschworen hatte. Schlagartig verbesserte sich meine Laune um ein Vielfaches.

„Toya!“

„Juuun!“, rief er und kam auf mich zugelaufen. Diese Wiedersehensfreude war so echt, wie ich sie nur von meiner Großmutter kannte, wenn ich sie als Kind besucht hatte.

„Ich hab deinen Auftritt gesehen! Richtig gut!!“, erklärte er, während wir uns zur Begrüßung in die Arme schlossen und er mir freundschaftlich auf die Schulter klopfte.

„Danke! Mann, du siehst jetzt richtig erwachsen aus!“, lobte ich ihn, als ich seine Schultern packte, ihn ein Stück von mir wegschob, um ihn besser mustern zu können.

„Das sieht aber auch nur so aus!“, erklärte er lachend. „Ich hab mir gerade gestern erst den Nintendo 3DS gekauft! Mit Super Mario 3D Land!“
 

Er war einfach unverbesserlich. Schon damals hatte er die Zeit im Backstageraum zu gerne vor seinem alten Nintendo verbracht. Einmal hatte ich ihn sogar in einem Club damit spielen sehen, als Ruka und ich auf der Tanzfläche waren.

„Naja, aber heut Abend wirst du das doch mal aus der Hand legen können, um mit Jun wegzugehen, oder?“, mischte sich Riku ein, nachdem er gemächlich zu uns herüber geschlichen war. Er zeigte mir ein wölfisches Grinsen und ich war heilfroh, dass Toya es nicht sehen konnte.

Dieser schürzte die Lippen, sah erst mich, dann ihn übertrieben schockiert an, so als wollte Riku ihn bestrafen.

„Waaas!? Also, nee, heut hab ich keine Zeit. Heute muss ich… ähm… mein Zimmer aufräumen. Mein Hotelzimmer.“

„Ja, ja, gleich nachdem du in der Hotelküche abgewaschen hast, was?“, fragte ich und stieß ihm spielerisch meinen Ellbogen in die Seite. Seine Antwort war ein weiteres Grinsen und eifriges Nicken.

„Ganz genau!“, pflichtete er mir bei, wurde dann aber wieder ernster. „Klar können wir weggehen, wenn du willst. Wir haben uns ja wohl ne Menge zu erzählen! Mann, wie lange ist das her!?“

Ich spürte Juis Blick im Nacken und wusste, welche Antwort er von mir erwartete. Doch nachdem, was ich heute gesehen hatte, tat es mir vielleicht ganz gut, meine Zeit zur Abwechslung mal mit jemand anders zu verbringen. Außerdem hatte ich Toya schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen und die Gelegenheiten, ihn zu treffen, vor allem allein, waren mehr als spärlich gesät.

„Schon zwei Jahre! Auf jeden Fall müssen wir was unternehmen, ich kenn da eine coole Location!“, sagte ich und traute mich dabei nicht, Jui anzusehen. Doch auch, wenn es ihm nicht passte – er musste verstehen, dass sich die Welt nicht immer nur um ihn drehte. Ihn mit einzuladen kam aus genau diesem Grund auch nicht in Frage. Allein schon deshalb, weil man nicht wissen konnte, was sich heute Abend vielleicht noch entwickelte.

Und davon einmal abgesehen, tat so ein bisschen Eifersucht Jui auch mal ganz gut. Wenn er sie denn empfand.

„Kirito?“, ertönte seine Stimme plötzlich, fröhlich und glockenhell. „Hast du heut Abend schon was vor?“

Als ich mich daraufhin dann doch zu ihm umdrehte, sah ich, dass er telefonierte und schnell den Blick von mir abwandte.

„Ja, super! Ich komme dann zu dir!“

In mir kochte es. Aber nur kurz. Nämlich solange, bis ich Toya wieder ansah.

Das war dann wohl eine Kampfansage. 

Juis Rausch

Unsere Gläser klirrten, als wir miteinander anstießen.

Wir befanden uns im Star Cafe, einer gemütlichen Kneipe inmitten Shinjukus, die mit altbackenen Möbeln und einer Vielzahl verschiedener Plüschtiere ausgestattet war. Statt auf Stühlen zu sitzen, konnte man sich hier gemütlich auf Sofas fläzen. Meiner Meinung nach erschuf dies eine völlig andersartige, angenehmere Gesprächsatmosphäre und obendrein fiel es dann auch nicht so auf, wenn man nach und nach ein wenig näher an seine Begleitung heranrutschte.

Ich setzte das kalte Glas an meine Lippen und nahm einen Schluck des Wodka-Cola-Gemischs, das die Zunge benetzte und dann angenehm kühl meine Kehle hinabrann.

Toya tat es mir gleich, verzog dann aber sei Gesicht und schüttelte sich. „Boah, die Mischen in Tokyo haben es echt in sich!“, stellte er lachend fest. „Was ist das denn? Hälfte Wodka, Hälfte Cola?“

„Du bist wohl zu weich für die Metropole!“, entgegnete ich scherzhaft, woraufhin Toya mir seine ausgestreckte Zunge präsentierte.

„… sagte der mit den pinken Haaren.“

„Männer mit pinken Haaren sind mutiger als die mit Schwarzen.“

„Du meinst wohl „tuntiger“.“

Nachdem er dieses Wortgefecht gewonnen und mich damit schachmatt gesetzt hatte, grinste Toya mir verzeihungsheischend zu, bevor er sich an einen weiteren Schluck wagte. Ich beobachtete ihn heimlich dabei, wie er leicht die vollen Lippen öffnete und für einen kurzen Moment die Augen schloss. Er war wirklich ein hübscher Typ. Vielleicht nicht hübscher als Jui, aber sie sahen sich auch überhaupt nicht ähnlich. Während Toya eine sonderbare Mischung aus Kindlichkeit und Coolness darstellte, wirkte Jui erwachsener, vor allem aber atemberaubend sexy. Ich versuchte, diese Gedanken sogleich wieder abzuschütteln, rutschte kaum merklich ein wenig dichter an den Schwarzhaarigen heran. Bei Jui hatte es damals auch auf diese Weise geklappt.
 

„Wie auch immer, Jun-kun, ich werde mich dran gewöhnen müssen“, erzählte Toya schließlich, als er das Getränk wieder auf dem Tisch abstellte.

Ich wittere gute Neuigkeiten und setzte mich schlagartig aufrecht hin, als könne ich ihm dann besser folgen. Noch ehe ich nachhaken konnte, wie er das genau meinte, beantwortete er mir diese unausgesprochene Frage bereits. „Ich habe mich entschlossen, nach Tokyo zu ziehen.“

Schlagartig wurde mein Grinsen breiter, während sich in mir die Gewissheit ausbreitete, dass es keinen größeren Glückspilz als mich geben konnte. Dass ich Jui heute mit Kirito erwischt hatte, musste eine Fügung des Schicksals sein!

„Wirklich!? Das ist großartig!“, rief ich erfreut aus. Meine Hand legte sich dabei auf seinen Unterarm und ich spürte die Muskeln, die sich nach jahrelangem Gitarrenspiel genau dort ausprägten. Sein Blick huschte kurz dorthin, richtete sich dann aber wieder auf mein Gesicht.

„Na ja, ehrlich gesagt gibt es in Yokohama kaum Aufträge für mich… hier sind meine Chancen einfach besser. Als Support und als Bandmitglied.“

Toya hatte sich in den letzten Jahren vor allem als Supportgitarrist zur Verfügung gestellt und bekam dadurch hin und wieder Aufträge, die ihm seine Agentur vermittelte. Ich hatte noch allzu gut im Ohr, wie er sich während seines Engagements bei Toshi with T-Earth über die schlecht bezahlten Auftritte aufregte. Es waren meistens eher kleine Veranstaltungen, auf denen er mit nicht mal halb so fortgeschrittenen Musikern auf der Bühne stand und Musik spielte, die ihn zu Tode langweilte. Ein Wunder, dass er es überhaupt so lange ausgehalten hatte.

„Das stimmt! Darf ich dich buchen?“, fragte ich voller Begeisterung und merkte erst im nächsten Moment, wie merkwürdig das klang.

„Klar, dafür sind Hosts doch da!“, antwortete er aber schlagfertig wie eh und je und brachte mich damit zum Lachen.

„Setzt du diesen Abend etwa auch schon auf die Rechnung?“

„Jepp. Und anfassen kostet extra.“

Gespielt erschrocken löste ich meine Hand von seinem Arm und wir tranken weiter, bis sich unsere Gläser dem Ende neigten. Mittlerweile hatte er sich an den Geschmack gewöhnt und schaffte es, zu trinken, ohne das Gesicht zu verziehen.

Als mein Handy, das auf dem Tisch lag, plötzlich aufleuchtete, überkam mich für einen Moment ein schlechtes Gewissen. Ich blickte auf das Bild meines Anrufers und sendete ihm dann mit einem Tastendruck ein Besetztzeichen, ehe ich mich wieder dem Gespräch mit Toya zuwandte.
 

~*~
 

Ich seufzte frustriert auf und schleuderte mein Telefon dann quer über den Boden, bis es gegen die Vitrine stieß und dort liegen blieb.

Ich lag auf meinem Teppich, wie ein Seestern alle Viere von mir gestreckt und starrte die Decke an.

Bis vor wenigen Minuten hatte ich noch auf der Couch gelegen, doch war ich irgendwann versehentlich heruntergerollt und einfach dort liegen geblieben. Genau genommen war ich zu lethargisch, um aufzustehen. Der Wein machte mich stets träge, beschwerte meinen Körper und verlangsamte meinen Geist immens.

Jun, dieser Idiot…

Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, in die ich mein Handy geworfen hatte und sah vier braune Pudelbeine daran vorbeigehen.

„Hey, Atomu-kun! Bring’s Handy!“

Mein Hund beachtete meine Aufforderung nicht im Geringsten, kam stattdessen aber zu mir und legte sich neben mich, leckte mir übers Gesicht.

„Lass das! Du bist nicht Jun…“

Ich seufzte erneut und ging schließlich dazu über, mich auf dem Rücken liegend über den Teppich zu ziehen, um zu meinem Telefon zu gelangen. Dass es bescheuert aussah und ich außerdem schneller gewesen wäre, wenn ich einfach aufgestanden wäre, war mir durchaus bewusst. Aber dies passte besser zu meiner schlechten Laune, zu meiner Depression, in der ich gerade badete und baden wollte.

Ich blickte hoch zu meinem Laptop, der auf meinem Couchtisch stand und auf dem ich aus meiner Position heraus ein Standbild von Youtube sehen konnte.

Zuletzt hatte ich mir neben zahlreichen Interviews die beiden Promotional Videos von Charlotte angesehen, um diesen Toya besser unter die Lupe nehmen zu können. Kurz bevor ich einen aggressiven Tweet an all meine Follower senden konnte, hatte ich allerdings zu meiner Weinflasche gegriffen.

Das war immer noch besser, als wenn jeder meinen unprofessionellen Ausbruch jahrelang nachvollziehen konnte.

Aber verdammt… der Typ sah wirklich gut aus! Und vor allem war er ziemlich groß… und jung. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Jun so jemanden mochte. Zumal die beiden schon einmal zusammengearbeitet hatten. Oh Gott, ob da auch schon was gelaufen war? Auf jeden Fall waren sie mir doch sehr vertraut vorgekommen. Und Jun hatte mich eiskalt versetzt. Doch das Schlimmste war, dass mein Lieblingsgitarrist jetzt wahrscheinlich glaubte, einen Freifahrtschein zu haben.

Ich könnte mich immer noch dafür ohrfeigen, dass ich so blöd war, einen Anruf bei Kirito zu simulieren!

Andererseits hätte Jun aber auch merken können, dass ich gar nicht wirklich telefonierte. Schließlich hatte Kiritos Zunge immer noch eine fiese Schwellung, als ich mich in Juns Garderobe befand.
 

Endlich, einige weitere alkoholgetränkte Gedanken später, erreichten meine Fingerspitzen das schwarze Gehäuse des iPhones und zogen es langsam, aber effektiv an mich heran. Erneut wählte ich seine Nummer.

Vielleicht konnte ich noch etwas retten. Vielleicht konnte ich mich da noch einklinken, bevor die beiden zusammen in die Kiste stiegen.

Bei dieser Vorstellung erschauderte ich. Der einzige Trost, den ich mir selbst zusprechen konnte, war, dass niemand meiner Bekannten, die ich ausgefragt hatte, von irgendwelchen Bettgeschichten mit Toya berichten konnte. Das bedeutete zumindest, dass er kein Aufreißer war und Jun dann wenigstens nicht ausnutzte…

Ich hörte das Freizeichen. Einmal, zweimal, …
 

~*~
 

Ich fühlte mich miserabel.

Ich saß verkehrt herum auf dem Sessel, das Kinn auf meine verschränkten Arme gebettet, die auf der Rückenlehne ruhten und beobachtete die beiden Gitarristen. Sie passten perfekt zusammen. Ihr Gitarrenspiel, meine ich natürlich. Obwohl sie sich nicht abgestimmt hatten, sondern irgendetwas drauf los spielten, harmonierten sie vollkommen. Es war nicht zu übersehen, dass sie bereits eine Weile in einer Band gespielt hatten.

Ich seufzte leise auf, fühlte mich fehl am Platz.

Die beiden hatten so viel Spaß miteinander, lachten ständig über irgendwelche Sprüche und hampelten albern herum, während ich hier saß und mit dem Folgen meines Rausches zu kämpfen hatte.

Es war gestern eben doch etwas zu viel Wein gewesen. Unglücklicherweise war ich heulend auf dem Teppich eingeschlafen, nachdem Jun meinen Anruf erneut weggedrückt hatte, sodass ich jetzt nicht nur bescheuert aussah, sondern auch noch einen Kater und Rückenschmerzen hatte.
 

Das Schlimme war, dass Jun mich behandelte, als hätte ich ihn betrogen. Und das, obwohl ich Kirito doch nur geküsst hatte! Vielleicht ein wenig intensiver geküsst, aber mehr auch nicht. Ich hatte ihn ja gestern nicht einmal getroffen.

Verdammt, ich hätte es doch tun sollen… Hätte mich mit Kirito treffen sollen, damit wir dort weitermachen konnten, wo wir in der Garderobe aufgehört hatten. Dann hätte ich zumindest eine heiße Nacht ohne Geheule und dafür in einem weichen Bett gehabt. Und Juns Verhalten wäre dann sogar berechtigt!
 

Ein jäher Lärm durchbrach das melodiöse Gefüge und ließ mich zusammenfahren. Kurz darauf knallte es, während ein weiterer Missklang aus einem Verstärker dröhnte. Zusammen mit meinem Kater ergab das eine wahnsinnig unangenehme Mischung.

Als ich empört zu den beiden Gitarristen blickte, sah ich, dass Toya das lose Ende eines Gitarrengurts in der Hand hielt, während die Gitarre auf dem Boden lag und noch immer brummende, laute Geräusche an die Box sendete. Ich überlegte, ihn anzubrüllen, aber vermutlich hätte er das nicht einmal gehört.

Mit entsetztem Blick ging er in die Hocke, um die Gitarre aufzuheben. Ich atmete erleichtert auf, als er endlich eine Hand auf die schwingenden Saiten legte, um den Lärm zu unterbinden.

„Ahhh, mein Baby!“, rief Jun entgeistert und ich glaubte im ersten Moment, meine Ohren hätten soeben einen ernsthaften Schaden davon getragen. Mein Baby!?

Ich suchte meine Umgebung nach einem werfbaren Gegenstand ab, doch noch bevor ich einen fand, erkannte ich, dass Jun damit wohl nicht Toya, sondern seine verunglückte Gitarre meinte. Sie war mir gleich so bekannt vorgenommen und jetzt war mir auch klar, dass er sie wohl dem anderen Gitarristen zu diesem Zweck geliehen hatte.

„Sooorry!“

Toya machte eine tiefe, übertriebene Verbeugung und hob die Gitarre dann vom Boden auf, um den Gurt daran zu befestigen.

„Schon gut, ist ja noch heil, wie’s aussieht!“, erwiderte Jun lächelnd. Es kotzte mich an, dass er Toya so anlächelte. Jedem anderen hätte er die Gitarre um die Ohren gehauen. Aber natürlich nicht Toya! Ob gestern etwas zwischen ihnen gelaufen war?

„Und, was meinst du, Jui? Klang das schon gut?“
 

Wie? Jun wusste noch, dass ich anwesend war? Ich schob mir meine Sonnenbrille höher auf die Nase, um eine Kunstpause zu erschaffen, ehe ich antwortete. Ein wenig Spannung gehörte schon dazu. Ich kostete ihre fragenden Gesichter aus, ehe ich mich zu einer gedehnten Antwort hinreißen ließ.

„Na ja… schon ganz gut…“

Ja, es war vollkommen untertrieben. Aber in mir sträubte sich alles dagegen, Toya, oder auch Jun zu loben.

„Klar, Bass und Schlagzeug fehlen noch…“, wandte Toya ein. „Aber Shingo kommt nachher ja auch noch.“

Ach ja, Shingo. Nicht genug, dass Jun in Toya sofort einen potenziellen Gitarristen gefunden hatte – dieser wiederum konnte gleich mit seiner Bekanntschaft, einem Bassisten, aufwarten. Sofern ich richtig zugehört hatte, spielte der momentan Support bei Moran und hatte darauf wohl keine Lust mehr. Die genauen Hintergründe waren mir im Grunde auch egal. Viel wichtiger erschien mir derzeit dieser Dorn in meinem Auge: Toya.

Er war einfach perfekt – lustig, hübsch, konnte gut spielen und brachte dann auch noch seine Kontakte zum Einsatz, um unsere Band zu vervollständigen. Kein Wunder, dass Jun auf ihn abging wie auf Speed.

Ich verzog das Gesicht. Aber eines wusste ich: sollte dieser Shingo gut aussehen, würde ich mich weigern, ihn in die Band zu holen. Es war Toyas reines Glück, dass er trotz allem nicht ganz so hübsch wie ich war.
 

„Ja, daran liegt es wohl“, stimmte ich seufzend zu, drehte mich um und rutsche tiefer in den Sessel.

„Ach Jui, ein bisschen mehr Begeisterung!“, tadelte mich Jun. Ich hörte, wie er seine Gitarre abstellte und auf mich zukam. Ich versuchte, ihn zu ignorieren. Doch das klappte nur so lange, bis er mir meine Kippenschachtel auf den Schoß warf und sich auf die Couch setzte. Toya folgte, setzte sich zu ihm und sie zündeten sich ihre eigenen Zigaretten an, während Jun mich fixierte. Mein Feuerzeug klickte.

„Was ist los, hast du es letzte Nacht zu wild getrieben oder was?“
 

Was!?

Die Frage traf mich völlig unerwartet und mit voller Wucht.

„Jun, du Frechdachs! Sowas fragt man nicht!“, ermahnte Toya den Pinkhaarigen lachend, während noch immer die Flamme aus meinem Feuerzeug empor stieg und die Zigarette locker zwischen meinen Lippen hing, ohne dass das Feuer sie berührte. Ich saß eine gefühlte Ewigkeit in dieser Position da, starrte Jun an und bewegte mich erst wieder, als mein Daumen heiß wurde.

Ich war es gewohnt, von anderen so behandelt und angesprochen zu werden, nicht aber von Jun. Ich hoffte zwar einen Moment lang, er hätte es schlimmer ausgedrückt als es gemeint war, doch sein Blick sprach Bände. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass er mich jemals so angesehen hätte. Umso schwieriger war es nun, darauf überhaupt passende Worte zu finden. Ich war nur froh, dass ich meine Sonnenbrille noch immer trug, sodass er mir meine verletzten Gefühle nicht ansehen konnte. Um diese auch hinter Worten zu verbergen, entschied ich mich zu einer bissigen Antwort: „Klar. Mit fünf Typen gleichzeitig. Wollte dich ja anrufen und fragen, ob ihr mitmacht, aber du bist ja nicht rangegangen und Toyas Nummer hab ich nicht.“

Nun endlich wandte ich mich meiner Zigarette zu, entzündete sie mit zittrigen Fingern.

„Boah, ihr seid pervers!“

Der Schwarzhaarige schüttelte sich demonstrativ und plötzlich war ich froh, dass er bei uns war und der miesen Stimmung den Wind aus den Segeln nahm. Ich glaube, wäre er nicht gewesen, wären Jun und ich aufeinander losgegangen. Schlecht genug war meine Laune jedenfalls und die Enttäuschung auch groß genug.

Wo war nur der niedliche Jun hin, der es mir so angetan hatte? Ich wollte ihn zurück, am besten sofort!
 

„Hey, habt ihr auch schon von dem neuen Dragonball-Film gehört? Wollen wir da alle ins Kino gehen!?“

„Du meinst diesen Animierten?“, stieg Jun sogleich auf Toyas Ablenkungsmanöver ein und ich war dankbar dafür.

„Ich hab gehört, der soll richtig gute Kritiken bekommen haben“, brachte ich mich daher mit ein und für eine Weile konnte ich meinen Kummer vergessen.
 

Einige Stunden später hatte sich Shingo uns angeschlossen und ich stellte, Gott sei Dank, fest, dass er zwar ein angenehmer Zeitgenosse, aber glücklicherweise keine Schönheit war. Er erinnerte mich irgendwie an ein Kapuzineräffchen. Und das, obwohl er gar nicht behaart war.

Perfekt für unsere Band. Die Jungs begannen sogleich eine neue Jamsession und ich konnte wieder dazu übergehen, auf Durchzug zu stellen und so zu tun, als würde ich den Jungs beim Musizieren zuhören.

Ich wollte ja interessierter sein, aber es fiel mir unglaublich schwer, meine negativen Gedanken loszuwerden. Das einzige, was mir einigermaßen gelang, war, die Jungs abwechselnd zu beobachten und nicht immer nur auf Jun zu starren. Mittlerweile fand ich Toya gar nicht mehr ganz so schlimm wie noch am Anfang der Probe. Es wunderte mich, aber ich begrüßte diese Veränderung, die für die zukünftige Zusammenarbeit nur von Vorteil sein konnte.
 

„Fehlt nur noch ein Drummer“, sagte Shingo bei der nächsten Pause und ich fragte mich, ob ihm das ganz allein aufgefallen war. Da mir aber klar war, dass er das nur sagte, um ein allgemeines Gespräch zu beginnen, behielt ich meinen Zynismus für mich.

„Kennst du einen?“, fragte ich stattdessen freundlich, während ich meine Sonnenbrille von der Nase nahm, zusammenklappte und in den Ausschnitt meines schwarzen Shirts klemmte.

„Leider nicht…“

Na toll. Wo waren nur all die Schlagzeuger hin?

Der einzige mir bekannte Drummer ohne Band war Tero und ich war unsicher, ob er mitziehen würde. Schließlich hatte er mir vor kurzem noch erzählt, dass er jetzt erst einmal nach der Trennung von Vidoll keine Lust auf eine neue Band hatte. Seine Ersparnisse reichten, so sagte er, um es ruhig angehen zu lassen, sich erst einmal kleinere Träume zu erfüllen und nur hin und wieder als Supporter zu arbeiten. Trotzdem hatte ich ihm vor drei Tagen hierzu eine E-Mail geschrieben. Allein schon deshalb, damit mir niemand vorwerfen konnte, ich würde mich nicht um meine neue Band kümmern.

Letztendlich hatte ich aber noch immer keine Antwort von ihm erhalten.

„Ich habe Tero per Mail angefragt“, erzählte ich schließlich, um das Gespräch am Laufen zu halten.

„Hat er sich immer noch nicht gemeldet?“, fragte Jun und bekam mein Kopfschütteln zur Antwort. „Aber wenn er keinen Bock hätte, hätte er doch bestimmt längst „Neeeeiiin!!“ geschrieben, oder?“

Die Art und Weise wie Toya dieses eine Wort betonte, brachte uns zum Lachen. Langsam glaubte ich, ihn wirklich ins Herz zu schließen.

„Neeein, alles, bloß das nicht!“, mischte sich Jun mit ein.

„Nicht zu diesen Freaks!“, setzte Toya nach, tat so, als würde er hektisch und voller Angst an seinen Nägeln kauen.

„Oh, meint ihr, wir haben jetzt schon einen so schlechten Ruf?“, fragte ich lächelnd, während ich sicherheitshalber den Spamfilter meiner E-Mails öffnete.

„Also, wenn das so ist… Ich muss dann mal los. War schön mit euch!“, rief Shingo und simulierte die Flucht nach vorne, ehe er von Jun am Ärmel gegriffen wurde. „Duuu bleibst hier. Mitgehangen, mitgefangen, mein Freund! Du hast bereits alle deine Menschenrechte an uns abgetreten!“

„Hilfe!“, japste der Bassist, doch meine Aufmerksamkeit wurde bereits durch etwas anderes in Anspruch genommen. Da war sie tatsächlich, Teros Mail, in meinem Spamordner.

„Oh….“

Er hatte sie bereits vor zwei Tagen abgeschickt mit kurzem und knappem Inhalt.

„Was schreibt er!?“, fragte Jun, ließ urplötzlich von Shingo ab und eilte von seinem Couchplatz zu meinem Sessel, beugte sich über mich, um mitlesen zu können. Er trug wieder das Parfum von Calvin Klein. Ich liebte sein Parfum und drehte mich automatisch weiter in seine Richtung, um mehr davon aufnehmen zu können. Als ich kurz meinen Blick hob, traf er auf Juns und zu meiner Überraschung lächelte er. Ich konnte nicht anders, als es zu erwidern, als kleine Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern begannen.

„Was grinst ihr denn so!? Macht er mit?“

Toya wartete die Antwort aber nicht ab, sondern sprang ebenfalls von seinem Platz auf und stellte sich auf die andere Seite meines Sessels. Er roch auch gut, ich wusste aber nicht, wonach.

„Häh, seid ihr doof!?“

Toyas Verwunderung war nur verständlich, schließlich enthielt die Mail nur vier Wörter, die überhaupt nichts aussagten.

„Ruf mich mal an.“
 

~*~
 

Nach dem Telefonat war ich genauso schlau wie vorher.

Tero hatte mir zugesichert, dass er grundsätzlich schon daran interessiert war, wieder mit mir Musik zu machen, aber er blieb auch dabei, dass er eigentlich vorerst keine feste Band wollte. Außerdem, so sagte er, würde er in den nächsten Tagen eventuell einen größeren Auftrag als Drummer bekommen, den er unmöglich ablehnen konnte.

Abhängig davon, konnten wir also immer noch Glück oder Pech haben.

Und sollte das Glück gegen uns sein, so fragte ich mich ernsthaft, wo wir einen guten Schlagzeuger herkriegen sollten. Genau genommen fragten wir alle uns das.

Ich blickte in Richtung der gegenüberliegenden Wand, beobachtete, wie vier kleine Rauchsäulen empor stiegen und den Raum blau einhüllten. Drei von uns wirkten wie Wachsfiguren aus Madame Tussauds Kabinett, die desillusioniert auf Couch und Sessel verteilt herum lungerten. Der vierte hämmerte wie wild auf die Tasten seines Nintendos ein, während sich seine Zungenspitze zwischen seine Lippen schob.

„Hat Undercode denn keinen Drummer über? Du sitzt doch an der Quelle!“, wandte sich Toya plötzlich aufgeregt an Jun, als wäre es ihm wie Schuppen vor die Augen gefallen. Toya spielte damit auf die langjährige Freundschaft zwischen Jun und dem Labelbesitzer Kisaki an, mit dem er zuvor in einer Band gespielt hatte.

Der Angesprochene erwachte aus seiner Starre, wandte dem Schwarzhaarigen träge sein Gesicht zu und teilte dessen Aufregung nicht mal ansatzweise.

„Vergiss Undercode... Die haben nur noch vollständige Bands .Seit es MP3s gibt, sind die Labels kaum noch zu retten. Zumindest diese kleinen. Undercode macht bald Pleite. Vielleicht noch ein Jahr oder zwei, dann war’s das.“

Ich sah die Überraschung in Toyas und Shingos Gesichtern, die diese Nachricht mit sich brachte. Mir selbst war es bereits bekannt, dass es dem Label seit einer ganzen Weile schon schlecht ging. Ansonsten hätte Kisaki uns sicherlich mit Kusshand in seine Plattenfirma aufgenommen, allein schon um Juns Willen. Doch diese Option existierte nicht mehr, was letztendlich der ausschlaggebende Grund war, warum ich begann, mich langsam mit dem Gedanken anzufreunden, mich doch noch auf Kiritos Angebot einzulassen.
 

„Oh, und wo lassen wir uns denn produzieren?“, fragte Shingo und sah aus irgendeinem Grund, als hätte er meine Gedanken gelesen, ausgerechnet mich fragend an. Ich zuckte ahnungslos mit den Schultern.

„Keine Ahnung, wir bewerben uns einfach irgendwo… wie früher.“ Es war besser, wenn ich niemandem erzählte, dass ich Kirito noch immer im Hinterkopf hatte. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass irgendwer diese Methode für gut befunden hätte. Zumindest nicht Jun.

„Was nicht allzu schwer sein sollte, mit unseren berühmten Gesichtern, oder, Jui?“

Jun grinste, zwinkerte mir zu und ich war mir sicher, dass er mir sogar das Haar zerzaust hätte, wenn er näher bei mir gesessen hätte. Da war er wieder, dieser Blick, der mich schon immer so sehr durcheinander gebracht hatte. Der Blick, der es schaffte, meinen Herzschlag zu beschleunigen.

Und so stimmte ich ihm zu, dümmlich grinsend wie ein verknallter Teenie, der endlich die ersehnte Aufmerksamkeit seines Angebeteten bekam.

Plötzlich fragte ich mich auch, ob ich sein gestriges Treffen mit Toya, die Abfuhr, die er mir erteilt hatte, und seinen Spruch von vornhin überbewertete. Vielleicht reagierte ich einfach zu sensibel, weil ich mich schämte, ausgerechnet von Jun beim Rumfummeln erwischt worden zu sein.

Aber hatte er nicht gesagt, dass er eine Wunderwaffe gegen meine Zickigkeit hatte? Mein Grinsen breitete sich aus, ohne, dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, als eine Flut schmutziger Gedanken über mich hereinbrach.
 

Es blitzte plötzlich gleißend hell vor meinen Augen auf und ich schaute direkt in Juns Handykamera.

Dann ließ der Gitarrist das Handy sinken und beugte sich dann zusammen mit Toya über den Bildschirm, um das Resultat seines Schnappschusses zu betrachten.

Ich fühlte mich wie ein Idiot als sie auflachten und das Handy an Shingo weiter reichten, damit er sich auch amüsieren konnte.

„Dein Blick ist zu geil! Woran hast du denn eben gedacht!?“

An Sex mit dir, du Trottel.

„Hm, an Crimson Spell, glaube ich“, sagte ich beiläufig, warf ihm aber einen vielsagenden Blick zu und immerhin verstand er diese Andeutung. Das erkannte ich daran, dass seine Miene schlagartig ernst, aber auch unsicher wirkte. So, als wolle er darauf eingehen, traue sich aber nicht. Es versprach, interessant zu werden.

Zumindest aber schien ich wieder im Rennen zu sein.

Ich wollte Toya siegesgewiss angrinsen, doch dieser beachtete uns nicht länger, hatte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Konsole gerichtet.

„Nur noch dieses Level, bevor mein Akku leer ist, okay? Dann können wir weitermachen.“

Das konnte ja noch heiter werden.

Juns Erfolg

Kühle Nachtluft wehte durch das offene Fenster herein und streichelte meine Haut, trocknete den feinen Schweißfilm, der sich auf ihr gebildet hatte. Ich blickte kurz zu dem Fenster mit den langen weißen Vorhängen, die sich sanft im Wind aufbauschten und den Blick auf die Lichter der Stadt freigaben.

Ich hörte, wie viele Meter unter uns ein Rettungswagen vorbei zog und den leisen Atem an meinem Ohr.

Ein Lächeln schlich sich auf meine Züge, als er mit den Fingerspitzen zärtlich über meinen Rücken streichelte. Automatisch rückte ich näher an ihn heran, legte meine Hand auf seine Brust und liebkoste sie mit langsamen Bewegungen, womit ich ihm ein wohliges Seufzen entlockte.

Zufrieden beugte ich mich vor, gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen.

Noch immer spürte ich den leichten stechenden Schmerz dort, wo er in mich gedrungen war, aber es war mir nur recht. So hatte ich zumindest noch länger die lebhafte Erinnerung an das, was wir getan hatten. Und auch er würde sich erinnern. Dafür hatte ich gesorgt, als ich ihm die Kratzer auf seinem Rücken verpasst hatte. Aber es war auch definitiv eine langanhaltende Erinnerung wert.

„Ich finde, wir sollten öfter verhandeln…“, seufzte Kirito leise, bestätigte damit meine Gedanken.

„Hm, hast du denn noch mehr zu bieten? Etwas, wofür es sich lohnt?“, erwiderte ich frech, um ihm nicht das Gefühl zu geben, er hätte mich bereits in der Hand. Demonstrativ zog ich meine Hand zurück. Es sollte ihm unterschwellig signalisieren, dass er sich meine Gunst erst verdienen musste. Er sollte glauben, er sei von mir abhängig und nicht ich von ihm, wie es eigentlich der Fall war.

„Ein paar fadenscheinige Gründe fallen mir bestimmt ein…. Mach weiter!“

So, wie er klang, hatte mein Tun die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt. Denn so handzahm war er selten. Selbst noch vor ein paar Stunden, eigentlich sogar vor einigen Minuten, war er dominant und herrisch gewesen. Aber jetzt, nachdem er seine überschüssige Energie ausgiebig an mir ausgelassen hatte, war er kaum noch wiederzuerkennen. Aus dem knallharten Geschäftsmann war schließlich ein zärtlicher Schmusekater geworden, der hoffentlich bis zum Ende der Verhandlungen bereit war, mir aus der Hand zu fressen.

„Wie sieht’s mit einem Drummer aus? Wenn ich Pech habe, kann Tero sich uns nicht anschließen…“

Ich hatte das Gefühl, dass Kirito in Gönnerlaune war. Und da ich eigentlich nicht vorhatte, in nächster Zeit noch öfter mit ihm zu schlafen, musste ich versuchen, so viel wie möglich herauszuholen.

„Gerade nicht. Sorry…. Aber ich kann mich bei dir melden, sobald ich jemanden weiß…“

Verdammt. Auf so eine Aussage konnte ich mich nicht verlassen. Wenn Kirito etwas so vage ausdrückte, bedeutete das, dass er nie darauf zurückkommen würde. Aber noch war nicht aller Tage Abend.

Ich begann von neuem, über seine Brust zu streicheln, mit aller Sinnlichkeit, die ich aufbringen konnte. Dabei ließ ich sein Gesicht keinen Moment aus den Augen.

„Bist du dir da sicher?“

Ich sah das Lächeln, das er zu unterdrücken versuchte, ehe er antwortete. „Nun, vielleicht gibt es demnächst eine Party, zu der einige Leute kommen, die für dich interessant sein könnten…“

Als hätte er meine Absicht durchschaut, versuchte der Sänger nun ganz offensichtlich, das Ruder herum zu reißen und wieder die Oberhand in dem Gespräch zu gewinnen. Und er war verdammt gut darin, mich neugierig zu machen. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Vielleicht?“

„Nun, die Party gibt es auf jeden Fall.“

Kirito wandte seinen Körper nun mir zu, richtete sich soweit auf, dass er seinen Kopf in seiner Hand abstützen konnte.

„Ich bin nur noch nicht sicher, ob ich dich mitnehme. Bisher haben wir nur von dem Label gesprochen.“
 

Kirito war kein großer Freund von Unverfrorenheit, zumindest nicht, wenn man sie gegen ihn richtete. Ich hatte gehofft, es würde ihm nicht auffallen, aber nun sah ich meine Felle davonschwimmen, daher wechselte ich rechtzeitig das Thema, bevor die Stimmung kippen konnte.

Über diese merkwürdige Party konnte ich ihn später immer noch ausfragen, wenn das Wichtigste geklärt war. Möglicherweise stellte das Label sogar einen Drummer, und die Party wäre nicht länger notwendig.

„Meinst du, du kriegst es hin, uns beim Label einzuschleusen, ohne dass Jun Wind davon kriegt, dass du da mit drin hängst? Es soll so wirken, als hätten wir uns ganz normal beworben und wären ganz normal genommen worden…“
 

Wir hatten es innerhalb kürzester Zeit geschafft, uns auf die Musik zu einigen und sogar ein paar Aufnahmen zu machen, die ausreichten, um sich bei den Plattenfirmen zu bewerben. Unsere anfängliche Euphorie darüber war aber schneller als gedacht verflogen, als uns die ersten Absagen erreichten. Jun verstand seitdem die Welt nicht mehr und mir ging es auch nicht anders. Vor allem tat es mir auch für Toya Leid, der sich seinen Neustart in Tokyo sicherlich anders vorgestellt hatte. Andererseits hatte er dafür etwas, worum ich ihn mehr als beneidete.

„Diskretion ist mein zweiter Vorname, Baby.“

Baby. Oh, bitte! Ich musste unweigerlich an Dirty Dancing denken, ließ mir die sarkastischen Gedanken aber nicht ansehen.

„Geht es dir darum, dass er nicht wissen soll, dass ihr nur deshalb Karriere macht, weil du stillgehalten hast?“

„Also, wenn du das stillhalten nennst…“, warf ich ein, doch er überging meinen Kommentar und sprach weiter.

„Oder darum, dass er nicht wissen soll, dass du es mit anderen treibst?“

Ich überlegte krampfhaft, welche Antwort die weniger verfängliche war. Mir war schließlich auch nicht klar, wie viel Kirito von meinem Verhältnis zu Jun wusste.

„Das spielt doch keine Rolle, Honey“, hauchte ich schließlich mit verführerischem Grinsen, wobei ich das letzte Wort absichtlich betonte, um ihn ein wenig zu parodieren. Doch bei mir kam es irgendwie völlig anders rüber. Ich fühlte mich plötzlich wie eine professionelle Freudendame. Eine merkwürdige Empfindung.

„Ach, komm schon, Jui. Sieh mir meine Neugier nach. Bis vor Kurzem hätte ich nicht mal gedacht, dass er überhaupt Sex hat!“
 

Ich schloss die Augen, damit er nicht sah, wie ich sie rollte.

„Jun ist Achtundzwanzig! Natürlich hat er Sex!“

„Und zwar mit dir.“

„Nein, nicht mehr“, gab ich kleinlaut zu, hörte mich selbst aufseufzen.

Es war aber auch zu ungerecht! Seit wir ernsthaft damit begonnen hatten, die Band zu gründen, hatte ich Jun kein einziges Mal mehr allein erwischt.

„Er passt ja auch nicht in dein Beuteschema“, stellte Kirito nüchtern fest, während er seine Hand ausstreckte und damit begann, meinen Hals zu streicheln. Wie unpassend, wo ich ihm doch gerade mein Herz ausschütten wollte! Kirito war vielleicht nicht der beste Seelenklempner, aber der Einzige, dem ich momentan in der Hinsicht vertraute.

„Das ist doch Quatsch! Ich mag ihn trotzdem. Aber er steht mehr auf unseren neuen Gitarristen. Die hängen nur noch zusammen! Und weißt du, was das Schlimmste ist!?“

Ich pausierte, blickte Kirito an, um sicherzustellen, dass er mir aufmerksam folgte, wenn ich das pikanteste und aufreibendste Detail meiner schrecklichen Situation preisgab.

„Der, also Toya, ist auch noch bei ihm eingezogen!“

Ich erwartete eine entsetzte Miene, doch stattdessen blickte Kirito mich mit einem formvollendeten Pokerface an. So, als erwarte er noch das Ende meiner Ausführungen, die Pointe, sozusagen.
 

„Ja. Und nun?“, fragte er schließlich, nachdem einige stumme Sekunden verstrichen waren.

Was war denn daran nicht zu verstehen? Verglichen damit, dass ich immer nur vereinzelte Nächte mit dem pinkhaarigen Gitarristen verbracht hatte, befand sich Toya im Schlaraffenland!

„Die schlafen bestimmt miteinander!!“

„Bestimmt?“

Das war es, was obendrein an mir nagte - diese Ungewissheit. Die Ungewissheit, ob zwischen den beiden etwas lief, oder ob ich mich irrte, wenn ich versuchte, die Blicke zu deuten.

Ich hätte normalerweise darauf gewettet, dass sie sich nicht nur die Wohnung, sondern auch das Bett teilten. Das einzige, was mich jedoch stutzig machte, war Toyas äußerst professionelles Verhalten bei der Probe. Weder schenkte er Jun dann besonders viel, noch besonders wenig Aufmerksamkeit, während dieser scheinbar gar nicht genug von dem anderen Gitarristen bekommen konnte.

„Ja… Bestimmt! Jun wirkt total verknallt. Und Toya… Toya tut so, als ob nichts wäre. Der spielt bestimmt nur mit ihm!“

Kirito hielt sich eine Hand vor den Mund, um sein Gähnen zu unterdrücken.

„Warum fragst du sie nicht einfach, was Phase ist?“

„Pah, niemals! Nachher denkt Jun noch, ich will ihn zurück!“

Der Sänger musterte mich lächelnd und lachte dann plötzlich laut auf. Noch ehe ich wusste, wie mir geschah, stürzte er sich plötzlich auf mich.

„Ohhh Jui, du weißt ja gar nicht, WIE süß du bist, wenn du eifersüchtig wirst!“

Kirito drückte meine Handgelenke auf Kopfhöhe in die Kissen, während er meine Lippen, mein Kinn und meinen Hals mit kleinen, flüchtigen Küssen bedeckte.

„Ich bin nicht eifersüchtig…“, protestierte ich leise, nachdem er von meinen Lippen abgelassen hatte.

„Ihr seid so dumm… Ich hab eure Blicke in der Garderobe doch gesehen…“

Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag und ich wusste, dass das nicht an Kirito lag. Nicht direkt, zumindest.

„Spart euch den ganzen Scheiß und gebt’s einfach zu! Voreinander. Das mit eurem Gitarristen ist doch nur eine dämliche Racheaktion.“

Eine Racheaktion? Ich fand nicht, dass es Jun ähnlich sah, aber der Gedanke gefiel mir.

„Meinst du wirklich? Meinst du, er empfindet mehr für mich?“

Während er weiter meinen Körper liebkoste, hallten seine Worte wieder und wieder in meinem Kopf nach. Wenn Kirito Recht behielt, warf es ein völlig anderes Licht auf die ganze Situation und es konnte doch noch eine glückliche Wendung geben. Oh, wie ich die Weisheit älterer Männer liebte!

„Auf jeden Fall. So, wie der sich aufgeführt hat… Das war ja wohl der dramatischste Abgang, den es je gegeben hat! Wie eine Diva! Er hatte nur Glück, dass ich gerade nicht sprechen konnte.“

Kirito lächelte mir aufmunternd zu, löste dann den Griff um eines meiner Handgelenke und strich mir sanft über die Wange.

Vielleicht stimmte seine Einschätzung wirklich. Denn so hatte ich es noch gar nicht betrachtet, was vor allem daran lag, dass Jun mir versichert hatte, wegen der Sache mit Kirito nicht sauer zu sein.

„Findest du!? Dabei sagt Jun immer zu mir, dass ich so zickig bin!“

„Der will nur von sich selbst ablenken… ihr nehmt euch beide nicht viel.“

Kirito beugte sich wieder über mich, küsste meine Lippen erneut, dieses Mal etwas länger.

„Er will dich genauso, wie du ihn willst. Ihr seid nur zu blöd, das auch mal auszusprechen und veranstaltet lieber einen Kindergeburtstag.“

Er benutzte vielleicht nicht unbedingt die feinfühligen Worte, mit denen er normalerweise seine Songtexte ausschmückte, aber sie verfehlten ihre Wirkung dennoch nicht, sondern zauberten mir ein glückliches Lächeln ins Gesicht. Es schien, als hätte Kirito all den Kummer, der seit Wochen auf meinen Schultern ruhte und mich allmählich in die Knie zwang, mit einem Mal fortgewischt. Als sei ich plötzlich befreit und mein Herz viel leichter. Ich war mir nun sicher, dass er Recht hatte.

„Danke, Kirito. Du bist so weise!“, rief ich überschwänglich.

Augenblicklich hielt er inne, sah mich stirnrunzelnd an. „Ich bin ein Menschenkenner, das ist ein Unterschied. Weise sind alte Knacker mit langen weißen Bärten, Jui.“

„Ach, nur weil du keinen Bart trägst….“, erwiderte ich mit Unschuldsmiene, schaffte es jedoch nicht, meine grinsenden Mundwinkel unter Kontrolle zu bringen.

„Na, warte! Dir bringe ich Manieren bei, du undankbares Stück!“
 

Wir kabbelten noch eine ganze Weile, bis uns schließlich die Müdigkeit übermannte. Ursprünglich wollte ich nicht bis zum Morgen bleiben, aber letztendlich war die Stimmung zwischen uns so gut, dass es ausnahmsweise in Ordnung war.

Als ich morgens in die U-Bahn stieg, dröhnte ein Song von spiv states durch meine Kopfhörer. Lächelnd lauschte ich Juns Stimme, die mir direkt ins Ohr sang, während mein Kopf an der kalten Fensterscheibe ruhte. Ich war komplett erledigt. Insgesamt hatte ich knapp drei Stunden geschlafen und fühlte mich dementsprechend schlaftrunken. Blieb nur zu hoffen, dass ich nicht meine Haltestelle verpasste und zu spät zur Probe kam. Schließlich freute ich mich schon jetzt auf sein Gesicht, wenn er den Anruf von der Plattenfirma bekam, dass unsere Bewerbung akzeptiert wurde.

Jun hatte doch ohnehin keinen Überblick mehr darüber, bei welchen Labels wir uns beworben hatten und wo nicht.

Und noch etwas hatte sich seit letzter Nacht verändert – seit meinem Gespräch mit Kirito war mir klar, dass ich das Richtige getan hatte. Natürlich für uns alle, aber am meisten hatte ich unseren Plattenvertrag für Jun ausgehandelt. Um den Mann, der mir am meisten bedeutete, glücklich zu sehen. Auch, wenn er niemals erfahren würde, dass ich die Fäden gezogen hatte.
 

~*~
 

Mit leisem Klicken schaltete ich das Licht ein, das daraufhin den Flur in einem warmen Orange flutete.

Augenblicklich bereute ich aber genau das und hätte das Licht vermutlich sofort wieder ausgeschaltet, wenn ich dann nicht Gefahr gelaufen wäre, über das Chaos zu stolpern, das die Herrschaft über die Wohnung erlangt hatte.

„Vorsicht“, warnte ich Toya, der mit einem Sixpack Bier in der Hand hinter mir stand und ebenfalls hinein wollte. Ich schlüpfte aus den türkisfarbenen Boots, stellte sie ordentlich an die Seite und zog meine Hausschuhe über. Dieser Anflug von Ordnung änderte zwar auch nichts mehr am Gesamtbild, aber ich fühlte mich, als könne ich somit wenigstens einen kleinen Teil meines Selbstwerts erhalten. Zielstrebig schlingerte ich an den Tüten mit Pfand, Pizzakartons und Resten vorbei, stieg über herumliegende Schuhe und einem Paar Kopfhörer bis ich endlich die Garderobe erreichte.

Es war schrecklich! Ich hatte mir nie einen Orden in Sachen Sauberkeit verdient, aber das, was Toya aus meiner Wohnung machte, war nicht mehr zu toppen.

„Ach Mist, heut kam doch die Müllabfuhr!“, entfuhr es ihm, als er die Mülltüten sah und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Das muss man erstmal schaffen! Da haben wir es schon extra in den Flur gestellt und trotzdem vergessen!“

„Das liegt daran, dass du hier wohnst… deine Faulheit ist ansteckend!“, behauptete ich grinsend, während ich meine Jacke an den Haken hing.

Ich hatte in den ersten Tagen versucht, ihm seine Unordnung hinterher zu räumen, es aber schon bald aufgegeben, als mir klar wurde, dass ich nicht dagegen ankam. Und als auch auf meine Bitte hin, sich etwas am Wohnungsputz zu beteiligen, außer einem Versprechen nicht allzu viel seinerseits passiert war, hatte ich die Hoffnung endgültig aufgegeben. Trotzdem, obwohl es mich störte, konnte ich es ihm nicht übel nehmen.

„Ich bin doch nicht faul! Ich bin – kreativ! Und vielleicht ein ganz kleines bisschen vergesslich!“

Toya grinste spitzbübisch und schälte sich dann aus seiner Jacke, warf sie mir anschließend zu, damit ich sie ebenfalls an einem Haken unterbrachte.

Es war jedes Mal das gleiche - spätestens wenn er mich anlächelte, verpuffte mein Ärger rückstandslos.

Aber letztendlich, so sagte ich mir resignierend, hatte ich so wenigstens Leben in der Wohnung. Und zum anderen musste ich nicht mehr ständig putzen, wie ich es sonst getan hatte, bevor Jui zu Besuch kam. Ich nutzt meine Freizeit nun vor allen Dingen für gemütliche Fernsehabende mit meinem Mitbewohner.
 

Ich folgte Toya in das Wohnzimmer, versuchte dabei, großzügig über die Details in diesem Raum hinwegzusehen. Solange er hier war, war dies sein Reich. Er schlief auf der Couch und lebte hierin. Und genau so sah es auch aus.

Er räumte die halbvolle Chipstüte und die Schokoladenpapiere von der oberen auf den unteren Boden meines Couchtisches, um Platz für die Bierflaschen zu schaffen und ließ sich dann auf die Couch fallen. Auf seine Bettwäsche genau genommen. Sofort flimmerte der Fernsehbildschirm auf und ich fragte mich, wie er es so schnell geschafft haben mochte, in diesem Chaos die Fernbedienung zu finden.

Ich beobachtete ihn kopfschüttelnd, sagte aber nichts, um den Frieden zu wahren und setzte mich dann zu ihm. Am ersten Abend war es mir noch merkwürdig vorgekommen, auf seiner Bettwäsche herumzulungern, aber inzwischen war es normal.
 

Wie auch immer, heute war kein Tag für Ordnungsdebatten – heute war ein Tag zum Feiern! Denn ich hatte im Laufe der Probe einen Anruf von einem mir bis dahin unbekannten Plattenlabel – BiJU Records – erhalten. Ein Label, das sich jetzt gerade erst in der Gründung befand und durch unsere Bewerbung bei einem Produzenten derselben Firmengruppe auf uns aufmerksam geworden ist. Die Frau hatte mir versichert, schon innerhalb weniger Sekunden gewusst zu haben, dass wir ins Konzept passten und dass sie uns unbedingt dabei haben wollte.

Und dank meiner Erfahrung in solchen Dingen, wusste ich, dass das alles in seriösen Bahnen ablief. Schließlich hatte ich uns nur bei seriösen Unternehmen beworben. Ein Tochterunternehmen sollte normalerweise keine großen Einbußen in dieser Hinsicht bedeuten.
 

Natürlich wollten wir unseren ersten Erfolg zusammen mit allen Bandmitgliedern feiern, aber aufgrund dessen, dass Shingo heute Abend irgendeinen wichtigen Termin hatte, hatten wir beschlossen, die Feierlichkeiten auf das Wochenende verschieben. Außerdem wussten wir frühestens erst dann, ob wir auch Tero einladen konnten oder nicht.

Dennoch wollten Toya und ich schon heute auf den Erfolg anstoßen.
 

Es zischte, als der Schwarzhaarige die erste Bierflasche mithilfe seines Feuerzeugs aufhebelte. Danach hörte ich ein Klacken und dann ein Klirren, als der Deckel sich löste und über meinen Fußboden rollte.

Dasselbe wiederholte er mit einer zweiten Flasche, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, den Deckeln nachjagen zu wollen.

„Prost, Jun!“, rief er fröhlich, ehe er mir eine Flasche in die Hand drückte und seine eigene dann dagegen stieß.

„Prost! Auf unseren Plattenvertrag!“
 

Während ich einen tiefen Schluck trank, fragte ich mich plötzlich, ob es nicht fairer gewesen wäre, Jui zu fragen, ob er sich uns anschließen wollte. Wenn ich tief in mich hineinhörte, merkte ich, dass er mir fehlte. Die Abende mit ihm, insbesondere jene, an denen wir zusammen getrunken haben, waren immer sehr schön gewesen. Ich hatte jeden einzelnen genossen, und ich glaubte, er auch. Andererseits hätte er uns dann aber auch fragen können und hatte es nicht getan.

Überhaupt hatte er heute schon wieder so ausgesehen, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Vermutlich vergnügte er sich längst mit einem anderen als mir und hatte schon wieder vergessen, was zwischen uns war. Und was mich außerdem ärgerte, war, dass er sich nicht mal heute, bei diesen guten Neuigkeiten, wirklich gefreut hatte! Während wir drei uns kaum halten konnten, saß er nur still auf dem Sessel und zeigte ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Ich fragte mich langsam ernsthaft, ob ihm überhaupt klar war, dass ich das alles nur für ihn tat. Dass ich auch mit den spiv states weitermachen konnte, aber ihm zuliebe diese Band gründete.
 

Ich schob diesen frustrierenden Gedanken beiseite, machte Platz für einen weitaus interessanteren. Und zwar den, der mir kam, als ich sah, wie sich Toyas Kehlkopf bei jedem Schluck auf und ab bewegte. Ohne etwas dagegen tun zu können, fragte ich mich, wie sich seine Haut anfühlen mochte, würde ich ihn dort zu küssen. Oder irgendwo anders.

Entgegen meiner anfänglichen Hoffnung hatte sich seit seinem Einzug in meine Wohnung nämlich so rein gar nichts entwickelt!

Vielleicht lag es an den unromantischen Situationen, in denen wir uns fast immer befanden. Oder daran, dass ich in dieser Hinsicht wirklich schüchtern war und immer darauf wartete, dass der andere den ersten Schritt machte. Auf jeden Fall begann dieser Zustand allmählich an mir zu nagen und ich fing an, an meiner Attraktivität zu zweifeln. Doch vielleicht wendete sich heute das Blatt. Drei Bier sollten normalerweise ausreichen, um meinen Mut zu steigern, ohne gleich zu betrunken zu sein. Möglicherweise wurde dieser Tag dann auf zweifache Weise ein ganz Besonderer.
 

„Ich finde, es ist echt der Wahnsinn, wie schnell das jetzt doch alles geklappt hat!“, plapperte Toya plötzlich drauf los, nachdem er die Flasche abgesetzt und sich tiefer in das Polster gefläzt hatte. Er lag schon mehr als dass er saß, die Beine angewinkelt, sodass sie einen Keil zwischen uns trieben. Sein Kopf lag auf der Armlehne, auf die er sein Kopfkissen in Position gebracht hatte.

Wir tranken bereits an unserem jeweils dritten Bier und allmählich spürte ich die leichte Benommenheit, die Alkohols stets in mir auslöste.

„Ja, das stimmt. Aber wir sind ja auch einfach super! Die, die uns abgelehnt hatten, wissen gar nicht, was sie sich entgehen lassen haben!“

„Alles Idioten!“, stimmte mir der Gitarrist grinsend zu.

„Männer versuchen aber auch immer, uns mit Alkohol gefügig zu machen!“, keifte eine aufgebrachte Frauenstimme es aus dem Fernseher und ich fühlte mich unangenehm berührt. Wieso musste ausgerechnet jetzt eine Diskussionsrunde mit diesem Thema auf diesem Sender laufen!? Gerade jetzt, wo ich doch selbst meine Pläne schmiedete, die in eine ganz ähnliche Richtung gingen.

„Machst du das auch so, Jun?“, fragte mich Toya plötzlich und übertönte damit die weiteren Kommentare im Fernsehen. Sein Blick war auf den flimmernden Bildschirm fixiert, während sein Gesicht von blauem Licht überzogen war.

Ob er etwas gemerkt hatte? Mein Puls beschleunigte sich um ein Vielfaches.

„Meinst du, ich hab sowas nötig?“, stellte ich die Gegenfrage und nahm mir vor, erst einmal so lange wie möglich um den heißen Brei herumzutanzen, bis ich sicher sein konnte, ob Toya tatsächlich etwas wusste oder ob er nur aus reiner Neugier fragte.

Er zuckte mit den Schultern, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen.

„Kann sein… Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du jemanden anmachst!“

Nun gut, das klang nicht besonders schmeichelhaft, aber trauriger Weise hatte er damit auch noch vollkommen Recht!

„Na, vielen Dank auch!“, erwiderte ich trotzdem teils empört, teils amüsiert lachend, trank dann einen weiteren Schluck meines Getränks, das sich allmählich dem Ende näherte.

„Ja, ohne Quatsch jetzt - ich hab mich das schon die ganze Zeit gefragt, seit ich hier bin! Wie machst du Leute an? So wie Shuichi Shindou?“ Wie um seine Frage zu unterstreichen, deutete er auf die DVD Box von Gravitation, die sich direkt neben meinem Fernseher befand. „Oder wartest du, bis dich jemand anflirtet? Du erinnerst mich übrigens total Shuichi! Und das nicht nur wegen der Haarfarbe!“

Toya kicherte kindlich und ich glaubte, eine leichte rötliche Verfärbung auf seinen Wangen zu erkennen.

Gott, war der süß! Und offensichtlich schon nach drei Bieren vollkommen betrunken!

Ich wollte die Situation nicht ausnutzen, aber die Gefahr, diese günstige Gelegenheit sinnlos verstreichen zu lassen, war einfach zu groß. Und so rückte ich, hoffentlich unauffällig, näher an ihn heran. Zuletzt, im Star Cafe war die Strategie nicht aufgegangen, aber dieses Mal standen die Zeichen gut für mich.

„Warum denn noch?“, fragte ich unschuldig, lehnte mich zu ihm vor, indem ich meine Arme auf seine angewinkelten Knie legte und dort miteinander verschränkte.

„Na, du bist genauso schwul wie er! Und hast gesungen in ner Band mit deinem besten Kumpel, der Gitarre spielt!“

„Hm, jetzt, wo du’s sagst….“

Er kicherte wieder und nahm den letzten Schluck aus seiner Flasche, blickte dann enttäuscht in sie hinein und im Anschluss vorwurfsvoll zu mir.

„Was denn? Du hast gesagt, ein Sixpack reicht!“, erinnerte ich ihn lachend und ehe ich mich versah, hatte er mir meine Flasche aus der Hand gerissen. Ich tat noch kurz, als wolle ich sie mir zurückholen, überließ sie ihm aber in Wirklichkeit gönnerhaft, damit er auch diese leeren konnte.

Erneut warf er einen betrübten Blick durch den Flaschenhals, ehe er sie auf den Boden fallen und wegrollen ließ.

„Das musst du doch wissen, dass ich nicht planen kann!“, jammerte er und zappelte mit den Beinen, auf die ich mich noch immer stützte.

„Ich glaube, du hattest auch schon genug…“

Ich musste jetzt dringend die Kurve kriegen! Nun war ich ihm schon so nah wie nie – er lag auf dem Rücken, blickte zu mir auf, während ich halb über ihn gebeugt war – und wir redeten über Biervorräte! Ein Thema, das nicht gerade für romantische Gefühle sorgte, die ich so dringend brauchte, wenn ich heute endlich einen Erfolg verzeichnen wollte!
 

„Und du, bist du ein Draufgänger?“, fragte ich daher, hoffte, dass er den abrupten Themenwechsel nicht bemerkte und versuchte gleichzeitig, ihn dabei möglichst sexy anzusehen.

„Ich? Ich doch nicht!“

Wieder bewegten sich die Knie unter meinen Armen, öffneten sich leicht. Ich fragte mich, ob das Absicht war. Ob Toya mir damit vielleicht ein unauffälliges Zeichen geben wollte, dass ich näher kommen durfte, wenn ich das denn wollte. Clever. So ähnlich machte ich selbst das immer, wenn ich mir nicht die Blöße geben wollte, einen eventuellen Korb einzukassieren. Ich lud so unauffällig ein, dass ich im Zweifel immer noch behaupten konnte, dass es doch gar nicht einladend gemeint war.

Blöd war es nur, wenn die ausgesandten so subtil waren, dass sie das Gegenüber nicht verstand. Dann ging man im schlimmsten Fall leer aus, mit dem reuevollen Gefühl, es nicht wenigstens probiert zu haben.

Deshalb sprach ich mir Mut zu und beugte mich dann noch weiter zu ihm vor. Soweit, bis ich meine Hände auf der Seitenlehne, links und rechts von seinem Kopf abstützen konnte und mein Oberkörper sich zwischen seinen aufgestellten Beinen befand. Ich befand mich nun direkt über ihm, unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

Meine Nervosität steigerte sich ins Unermessliche. Und Toya schien es ganz ähnlich zu gehen. Ich erkannte es an seinem Gesichtsausdruck, seinen Augen, die mich unsicher musterten und an seiner Atmung, die flach seine leicht geöffneten Lippen verließ.

Kurz erinnerte ich mich daran, wie ich vor drei Jahren noch täglich schwärmerische Texte über Toya an meine Freunde verschickt hatte. Und jetzt war er hier, wohnte in meiner Wohnung, lag auf meiner Couch, seinem Bett, unter mir, und wartete ganz offensichtlich darauf, dass ich ihn küsste! Ich konnte mein Glück kaum fassen!

Behutsam löste ich eine Hand von der Lehne, strich damit eine schwarze Haarsträhne von Toyas Wange. Seine Haut fühlte sich überraschend weich unter meinen Fingern an.

Ich sah das leichte Zittern seiner vollen Lippen, ehe sie ein lautloses „Komm schon“ formten. Eine Aufforderung, der ich nur zu gern nachkam, wenngleich ich langsam und vorsichtig vorging. Ich wollte auf keinen Fall den Moment zerstören, der sich mir nach so langer Zeit endlich bot, wenngleich die Spannung zwischen uns kaum auszuhalten war.
 

Ich schloss die Augen, als mein Gesicht seinem immer näher kam. Und dann trafen sich endlich, nach so langer Zeit, unsere Lippen.

Juis Geständnis

Sanft berührten sich unsere Lippen, schmiegten sich rhythmisch gegeneinander.

Nach anfänglichem Zögern wagte ich, den Kuss noch ein wenig zu steigern, indem meine Zunge zärtlich über seine volle Unterlippe glitt, bevor sie versuchte, in Toyas Mundhöhle vorzudringen. Langsam, fast schon widerwillig öffnete er seinen Mund, doch letztendlich trafen sich unsere Zungenspitzen. Schüchtern spielten sie miteinander, während meine linke Hand sich in seinem schwarzen Haar verfing und meine rechte über Brust und Bauch streichelte, dabei immer tiefer glitt, den Saum seines Shirts suchend. Toyas Atem war flach und zittrig, wie der einer Jungfrau, während seine Hände unverändert wie erstarrt auf dem Polster lagen.

Es war definitiv kein Kuss, wie ich ihn von Jui gewohnt war. Diesem hier fehlte die Hitze, die Leidenschaft, die Jui in mir auslöste und die für mich seither zu einer Selbstverständlichkeit geworden war. Ebenso vermisste ich Juis Hände, die mich jedes Mal aufs Neue überraschten, und die Aufregung, die ich normalerweise empfand. Zwar war sie dagewesen, als ich kurz davor war, Toya zu küssen, doch nun, da es passierte, war sie vollkommen verschwunden.

Aber es war vermutlich normal, dass es sich anders anfühlte, es war schließlich auch ein anderer Mann. Und auch, wenn es nicht so feurig wie mit Jui war, so war doch trotzdem auch… ganz okay. Kurz erwischte ich mich dabei, wie ich mir vorstellte, dass es die Haut des Sängers wäre, die ich nun unter dem T-Shirt berührte. Blut schoss in meine Lenden und Toya schien es ähnlich zu gehen, da er sich plötzlich unter mir aufbäumte und mir eine Hand auf die Brust legte. Er schob mich zurück, während er sich gleichzeitig aufrichtete, bis wir uns gegenüber saßen. Hoffnungsvoll glaubte ich, er wolle nun aufs Ganze gehen, doch weit gefehlt - Toya löste den Kuss, sah mich ungewohnt verlegen an. „Hm, so fühlt es sich also an, einen Mann zu küssen…“, sagte er schließlich und rutschte demonstrativ ein Stück von mir ab.

„Hast du etwa noch nie…!?“, fragte ich ungläubig. Er antwortete mit einem Kopfschütteln.

„Wow…“ Es war ein sonderbares Gefühl, das zu hören. Noch nie war ich für jemanden „der Erste“ gewesen und verstand erst jetzt, was die anderen immer so reizvoll daran fanden.

„Wieso „wow“!? Als ob es normal wäre, Typen zu knutschen!“, erwiderte er auf mein Erstaunen und schon zeigte sich wieder das gewohnte Grinsen in seinem Gesicht.

„Es ist auch nicht gerade unnormal…“, murmelte ich eine halbherzige Erklärung.

„Sag mal, Jun, küsst du Jui eigentlich auch immer so?“
 

Ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten, als er aus dem Nichts heraus diese Frage stellte. „Woher zum Teufel…!?“

Toya brachte mich bereits mit seinem Blick zum Schweigen, bevor ich ausgesprochen hatte. Ein Blick, der aussagte, dass jede Widerrede sinnlos wäre.

„Ach komm, das ist doch nicht zu übersehen. So, wie ihr euch bei der Probe anschaut… Du willst doch eigentlich gar nichts von mir“, sagte er mit wissendem Lächeln, stieß mir dabei spielerisch seinen Ellbogen in die Seite.

Plötzlich fühlte ich mich wie ein Idiot.

Ich hatte Jui dafür verurteilt, dass er mit Kirito rumgeknutscht hatte und mich an Toya rangemacht, um mich einerseits zu trösten und andererseits Jui zu bestrafen. Erst jetzt wurde mir klar, wie albern und kindisch das war. Und dass es mehr kaputt machte, als dass es tröstete. Nicht nur die Beziehung zu Jui hatte seitdem unübersehbare Risse bekommen, auch die Freundschaft zu Toya konnte im schlimmsten Fall darunter leiden.

„Hm, und du?“, fragte ich vorsichtig, woraufhin er plötzlich laut auflachte: „Ich!? Niemals! Ich wollte dich nur endlich ranlassen, damit du merkst, dass das nicht passt!“

Sein Selbstbewusstsein war einfach einzigartig, stellte ich peinlich berührt fest. Trotzdem fügte er seiner Erklärung noch eine Frage mit zweifelndem Unterton hinzu. „Du hast es doch gemerkt, oder?“

Und wie ich das gemerkt habe. Dass es Toya ganz offensichtlich genauso ging, machte die Sache bedeutend einfacher.

„Ja, wie zwei falsche Puzzleteile…“, stimmte ich ihm nachdenklich zu, als mir auffiel, dass mich eigentlich nur die Vorstellung, dass er Jui wäre, heiß gemacht hatte.

„Das hast du aber schön gesagt.“ Der Schwarzhaarige grinste breit, ehe er das ursprüngliche Thema wieder aufnahm. „Also, sag schon. Küsst du ihn genauso?“ Er schwang seine Beine über den Couchrand, rutschte noch ein Stückchen weiter von mir ab, um eine freundschaftliche Distanz herzustellen. Es war mir ganz recht.

„Na ja… jetzt nicht mehr… Seit ich ihn beim Knutschen mit Kirito erwischt habe…“

Toya biss sich nickend auf die Unterlippe, wippte auf seinem Platz hin und her, als denke er angestrengt über seine weiteren Worte nach. Er war nicht unbedingt der feinfühligste Mensch, aber ich wusste, dass er sich Mühe gab. Nach einigen schweigsamen Augenblicken meinte er dann: „Weißt du was? Schwamm drüber! Er hat Kirito geküsst, du hast mich geküsst, also seid ihr quitt!“
 

So, wie er das sagte, klang es so einfach. Und zweifellos hatte er auch nicht vollkommen Unrecht damit. Zwar war ich immer noch rasend eifersüchtig, wenn ich nur daran dachte, dass dieser alte Typ sich an Jui vergriffen hatte und es möglicherweise noch immer tat, doch diese Wut beschränkte sich allein auf Kirito, nicht auf Jui. Sehr wahrscheinlich basierte sie einfach nur auf meiner Angst, nicht ausreichend zu sein. Was hatte ich einem wie Kirito entgegenzusetzen?

Er war erfolgreicher, erfahrener, hatte mehr Geld und passte im Gegensatz zu mir in Juis Beuteschema. Vielleicht war es mein mangelndes Selbstbewusstsein in dieser Hinsicht, das mich dazu veranlasst hatte, es bei Toya zu versuchen. Und das, obwohl ich noch nicht mal wusste, ob er überhaupt Männer mochte.

„Davon abgesehen, dass du nichts von mir willst. Wie fandest du’s?“, fragte ich, um auch diese Frage zu klären und gleichzeitig ein kleines Feedback bezüglich meiner Qualitäten einzuholen.

Toya schwieg einen Moment, wippte weiter vor sich hin und drehte mir dann nach schier endlosen Sekunden sein Gesicht zu.

„Ganz ehrlich?“

Plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte.

„Ich fand’s schrecklich. Also in deine Küsse hat Jui sich ganz sicher nicht verliebt!“
 

Ich hatte vielleicht nicht mit Lobpreisungen gerechnet, aber auch nicht mit so einer harten Kritik, die er mir so unverblümt an den Kopf warf. Noch bevor mein verletzter Stolz eine passende Antwort bereitstellte, fand er aber noch Worte, die seine Aussage ein wenig entschärfte: „Aber liegt vielleicht auch daran, dass du’n Typ bist. Das war das erste und letzte Mal, dass ich das getan hab!“, versicherte er mir kichernd und schüttelte sich demonstrativ, ehe er von der Couch aufsprang. „Ich geh Zähneputzen!“

„Hey, so schlimm KANN es doch gar nicht gewesen sein!“, rief ich ihm noch fassungslos hinterher, als er eilig das Badezimmer aufsuchte.

„Doooch!“

Ich schüttelte den Kopf, lächelte aber. Jui hatte sich nie beschwert… und genau genommen hatte sich Toya nun auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als er so reglos unter mir lag.
 

Ich rutschte tiefer, bis mein Kopf gegen die Rückenlehne stieß und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Und es gab eine Menge zu sortieren. Alles, was Toya, aber vor allem auch Jui betraf, musste nun neu durchdacht werden. Insbesondere deshalb, weil es zu viele Dinge zwischen dem Sänger und mir gab, die unbedingt geklärt werden mussten, ehe sie einen unüberwindbaren Keil zwischen uns trieben.

Um mich nicht ablenken zu lassen, schaltete ich den Fernseher aus, sodass ich nur noch das gleichmäßige Surren seiner elektrischen Zahnbürste aus dem Badezimmer hörte.
 

„I’ll always be wiz u“, erklang plötzlich Juis Stimme in meiner unmittelbaren Nähe und ließ mich aufschrecken. Es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, dass es mein Handy war, das dieses Lied abspielte. So, wie es immer der Fall war, sobald Jui anrief. Eine Woge der Nervosität erfasste mich und ließ mich zögern, ob ich den Anruf entgegen nehmen sollte. Es war ja schon fast unheimlich, dass er ausgerechnet jetzt anrief, während ich so viel über ihn, über uns, nachdachte.

Schließlich entschied ich mich doch dafür.

„Ja?“, meldete ich mich vorsichtig. Es war Unsinn, aber verdammt, ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen.

„Juuun!“

Erschrocken von der plötzlichen Lautstärke hielt ich das Telefon ein Stück vom Ohr weg. Oha, da war aber jemand gut drauf!

„Hey, ich hab gerade an dich gedacht.“

„Wirklich?“ Ich konnte sein Lächeln sogar durch das Telefon hören. „Ich auch! Ich wollte dir nur sagen, dass du in dem PV zu Futari No Hoshi einfach toll aussiehst!“

Nun musste auch ich schmunzeln. Ich wusste gar nicht, wie oft er mir das schon gesagt hatte, aber er schien von diesem Video geradezu besessen zu sein. Als ich meine Ohren anstrengte, glaubte ich sogar, im Hintergrund schon wieder dieses Lied zu hören.

„Guckst du wieder Youtube?“

Jui kicherte und ich nahm an, dass es ein Ja sein sollte.

„Hey, Jun, wo wohnt die Katze?“, fragte er so plötzlich, dass ich einen Moment brauchte, um zu merken, dass er ohne Vorwarnung das Thema gewechselt hatte.

„Hm? Welche Katze?“ Soweit ich wusste, hatte er keine. Und ich sowieso nicht.

„Im MIETS-HAUS!“

Er brach in schallendes Gelächter aus und ich sah vor meinem geistigen Auge, wie er sich krümmte und sich Lachtränen in seinen Augenwinkeln sammelten.

„Hm, wo auch sonst“, stimmte ich ihm lachend zu. Oh Mann, sein Lachen war ansteckend. Erst jetzt fiel mir auf, wie lange ich es schon nicht mehr gehört hatte. Er ignorierte mich, amüsierte sich weiterhin über seinen Witz, den er wahrscheinlich wieder irgendwo aufgeschnappt hatte. So wie ich ihn kannte, ließ es ihn nicht los, bis er ihn einige Male weitererzählt hatte. Ich hörte, wie er immer wieder dazu ansetzte, etwas zu sagen und dann doch wieder in albernes Gekicher ausbrach. Ich lauschte ihm zu gern dabei.

Derweil kehrte Toya aus dem Badezimmer zurück, frisch geduscht, mit feuchtem Haar und nur in einer Boxershorts bekleidet. Den Rest seiner Kleidung trug er auf dem Arm, aber ich war überrascht, wie wenig es mich in diesem Moment reizte. Noch vor ein paar Stunden hätte ich wahrscheinlich anders darüber gedacht. Es gehörte wohl zu den Dingen, die man ausprobieren musste, ehe man sicher war, dass es einem gar nicht so sehr gefiel wie man annahm.

„Hey, Jun… wer hat den angenehmsten Job der Welt?“, fragte Jui dann, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte.

„Hm, du vielleicht?“

„Der Schaffner!! Der genießt das Leben in VOLLEN ZÜGEN!“

Die letzten Worte gingen in einem weiteren Lachanfall unter und waren so laut, dass selbst Toya sie hörte. Automatisch fragte ich mich, wie betrunken er sein musste, dass er mich schon anrief, um Witze zu erzählen. Selbst ich, der schon etwas intus hatte, fand die Sprüche nicht annähernd so lustig wie er, obwohl ich alles andere als humorlos war.

„Na, haben wir zu tief ins Glas geschaut?“, fragte ich ihn neckend, als sich die Möglichkeit dazu bot.

„Hmmm, nur ein bisschen…“ Oder ein bisschen mehr.

„Hast du noch was da?“, hörte ich mich plötzlich selber fragen und sah, wie sich ein Grinsen auf Toyas Gesicht ausbreitete.

„Go, Jun!“, feuerte er mich an.

„Für dich hab ich immer was da!“

Daraufhin stand mein Entschluss fest, dass ich Toya ruhig auch mal allein in meiner Wohnung lassen konnte.

„Dann mach mal ne Pause, bis ich da bin!“

Er versprach es mir und wir verabschiedeten uns. Doch ehe das Gespräch abbrach, rief er noch eine Frage durch das Telefon, die mir prompt die Röte ins Gesicht schießen ließ.

„Bringst du deinen Zauberstab auch mit?“
 

~*~
 

Schnellen Schrittes zog ich durch die Straßen. Wir wohnten nicht weit auseinander, gerade mal fünfzehn Minuten zu Fuß oder auch drei Minuten mit der U-Bahn. Weil ich aber keine Lust hatte, fünf Minuten zur nächsten Station zu laufen und mir die frische Luft gut tat, legte ich die Strecke ohne Verkehrsmittel zurück.

Ich war aufgeregt, wie ein Teenager vor seiner Entjungferung. Und das, obwohl ich weder ein Teenager noch eine Jungfer war.

Trotzdem, eine kurze Dusche hatte noch sein müssen, ebenso noch eine schnelle Rasur und das Auflegen eines Parfums, ein bisschen Haarspray noch dazu. Toya hatte gelacht, als ihm auffiel, wie viel Mühe ich mir gegeben hatte und mir scherzend vorgehalten, dass ich mich für ihn nicht schön gemacht hätte.

Meine Hand tastete die Umhängetasche ab, die an meiner Seite herabhing. Ich dürfte alles dabei haben, Wechselkleidung, eine Zahnbürste,…

Hoffentlich durfte ich wirklich über Nacht bleiben!
 

Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich beim ihm klingelte. Ich schalt mich selbst einen Narren. Es war doch nicht das erste Mal, sagte ich mir selbst. Aber sehr wohl das erste Mal, dass wir ein ernstes Wort miteinander zu reden hatten. Und das ließ sich wirklich nicht mehr umgehen. Nicht, nach all dem, was war und nicht, wenn wir uns eine Zukunft erhofften.
 

Der Türöffner summte nach einer Weile, ohne dass Jui nachgefragt hatte, wer vor der Tür stand.

Ich durchquerte den großzügigen Flur und steuerte den Fahrstuhl an, mit dem ich schließlich in den fünften Stock fuhr. Nervös beobachtete ich, wie die aufleuchtende Zahl immer größer wurde. Drei, vier, fünf. Mit einem leisen Klingeln schwang die Fahrstuhltür auf. Von dort aus konnte ich bereits seine Wohnungstür sehen. Sie stand offen, doch verbarg sich dahinter nur Dunkelheit. Unsicher klopfte ich gegen das Holz, trat dann aber ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Normalerweise konnte man von hier aus bis zum Wohnzimmer blicken, doch auch in diesem brannte kein Licht, sodass ich mich kindischer Weise zu fragen begann, ob ich gerade zum Teil eines Krimis avancierte.

„Jui?“, rief ich unsicher, während ich nach dem Lichtschalter tastete.

Und dann passierte es – ohne dass ich etwas unternahm, fiel die Wohnungstür hinter mir ins Schloss und Arme umschlossen mich von hinten, während jemand „Buh!“ rief. Vielleicht ein wenig verspätet. Möglicherweise hätte es mehr Eindruck gemacht, wenn das passiert wäre, bevor ich Licht gemacht hatte.

Ach, Jui…

„Du bist zusammengezuckt!“, kicherte er, während er seine Stirn an meine Schulter lehnte. Seine Arme schlossen sich fester um mich und ich legte meine Hände auf seine.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so standen. Alles was ich wusste, war, dass es sich gut anfühlte, und vor allem richtig.

„Ich war blöd zu dir…“, begann ich zögerlich, doch Jui unterband die Worte mit einem leisen Zischen.

Ich spürte, wie er den Kopf schüttelte, da seine Nase dabei über meine Wirbelsäule rieb.

„Ich war selbst blöd…“

Jui nuschelte und sein Atem roch nach Wein. Ich fragte mich unweigerlich, ob er schon den ganzen Abend allein war. Dabei war mir unklar, was mir besser gefallen würde – wenn er den ganzen Abend hier saß und sich allein betrank oder wenn er bis eben noch einen anderen Mann hier hatte und sich mit diesem betrunken hatte.

Ich löste mich aus seiner Umarmung, um meine Schuhe und die Jacke auszuziehen.

„Ich glaube, wir müssen reden“, sagte ich unsicher und konnte an seiner Miene sehen, dass ihm das nicht behagte. Gut möglich, dass mein unheilverkündender Tonfall daran Schuld war.

Schüchtern griff er nach meiner Hand und zog mich wortlos mit sich in das Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen zwei gefüllte Weingläser, daneben die leere Flasche und ein Laptop, auf dem ein Standbild aus meinem Musikvideo zu sehen war. Offensichtlich hatte er es pausiert, nachdem ich geklingelt hatte. Ich schmunzelte bei diesem Gedanken. Besonders dann, als mir das Poster auffiel, das er neben die Bilder von Vidoll gehangen hatte. Auch da war ich zu sehen, das Promobild von der Futari no Hoshi Single. Unweigerlich fragte ich mich, ob es bei meinem letzten Besuch auch schon hier hing.

Vielleicht war genau das der Grund, warum er immer lieber zu mir kam, als mich in seine Wohnung einzuladen. Vielleicht lag es aber auch an dem Hund, der sich gerade Gott sei Dank nicht in Sichtweite befand. Ich nahm an, dass er es sich in Juis Bett gemütlich machte.
 

Ohne meine Hand loszulassen, setzte er sich auf die Couch, sodass ich keine Wahl hatte als ihm zu folgen. Nicht, dass ich mich sonst anders entschieden hätte.

„Das mit uns ist im Moment etwas schwierig, oder?“, begann ich vorsichtig, versuchte, seinen unwilligen Gesichtsausdruck zu ignorieren. Wie um sich abzulenken, griff er bereits nach seinem Glas und trank daraus, während der Druck seiner Finger zunahm. Ich blickte erwartungsvoll zu ihm und fürchtete schon, er würde sich einfach weigern, mit mir darüber zu reden, doch schließlich antwortete er. Leise, niedergeschlagen. „Das ist aber nicht meine Schuld…“

„Das sage ich doch gar nicht.“ Ich seufzte. Schon jetzt drohte mich diese Unterhaltung zu überfordern. Zum einen, weil ich nicht besonders gut darin war, ernste Gespräche zu führen. Zum anderen, weil Jui nicht bereit dazu war und sein trauriger Gesichtsausdruck es mir nur noch schwerer machte. Ich fragte mich, ob ich ihm die Heiterkeit genommen hatte, die er eben noch am Telefon hatte.

„Weißt du, Jun, vielleicht war das mit der Band doch keine so gute Idee“, sagte er plötzlich, stellte sein Glas nach einem weiteren Schluck wieder zurück.

„Was?“, entfuhr es mir fassungslos, während er sich an mich schmiegte. „Wir haben sie doch gegründet, weil du einen Job brauchst!“ Ich konnte nicht verstehen, wie Jui so leichtfertig mit diesem Thema umgehen konnte. Der Jui, den ich kannte, hätte nicht so leicht aufgegeben, dafür war ihm die Karriere einfach zu wichtig. Ich hatte so ein Gefühl, dass es hierfür einen Grund gab, der mir nicht gefallen würde.

„Ich weiß… aber seitdem geht alles schief! Du bist plötzlich so böse zu mir… ich hab dir gesagt, dass das nicht gut geht!“

Natürlich erinnerte ich mich an seine Zweifel, die er damals ausgesprochen hatte, als wir die ersten Pläne hierzu schmiedeten. Und auch an meine Leichtfertigkeit, mit der ich seine Warnung in den Wind geschlagen hatte.

„Und wenn ich die Wahl hab, du oder die Band…“

Jui pausierte, umklammerte mich fester, verbarg dabei sein Gesicht in meinem T-Shirt. Unbeholfen streichelte ich ihm durchs blonde Haar und mit der anderen Hand über seinen schmalen Rücken. War das jetzt ein Liebesgeständnis? Ich war mir nicht sicher.

„Meinst du nicht, es geht beides… irgendwie?“

Jui zuckte hilflos mit den Schultern, schwieg aber. Auch mir fehlten die Worte und ich kramte krampfhaft nach einer passenden Antwort auf meine eigene Frage.

Kurz darauf nahm ich jedoch etwas anderes wahr: die leisen Geräusche eines unterdrückten Schluchzens. Ich unterbrach das Streicheln, nahm ihn stattdessen in den Arm. Ich war verunsichert, wusste nicht, ob es klüger war, nachzufragen, oder ihm einfach im stillen Einvernehmen eine Schulter zu bieten.

Vielleicht beides, in eben dieser Reihenfolge.

„Hey, noch ist doch gar nichts entschieden… oder ist es wegen etwas anderem?“ Es sollte tröstend auf ihn wirken, doch stattdessen brach das Schluchzen nun richtig aus ihm heraus, während er sich wie ein Ertrinkender an mich klammerte. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis er sich beruhigt hatte. Doch die grauenhaften Schreckensszenarien, die mir dabei durch den Kopf gingen, machten das Warten schwer.
 

Er brauchte einige Zeit und ich gab sie ihm schweigend und abwartend. Schließlich löste er sich von mir, ein Taschentuch aus seiner Hosentasche zupfend.

„Sorry, ich… ich bin einfach ein bisschen sentimental heute“, gab er beschämt zu, während er sich über die Wangen wischte.

„Was ist denn los?“

„Es ist…“ Es war nicht zu übersehen, wie schwer es ihm fiel, auf meine Frage zu antworten. Umso mehr fühlte ich mich schuldig, überhaupt mit dem Thema angefangen zu haben, obwohl Jui sich unser privates Wiedersehen ganz offensichtlich völlig anders vorgestellt hatte. Der Sänger holte tief Luft, ehe er weitersprach. „Ich hab einfach so große Angst… dass das alles nicht klappt… dass ich dich verliere… auch wegen Kirito und dem Label…“

Die ersten Bedenken konnte ich nachvollziehen. Doch das Letzte, das verstand ich nicht. Meiner Meinung nach hatten Kirito und das Label nichts in einem gemeinsamen Satz verloren und doch hatte Jui es nicht so ausgedrückt, als wären es zwei unterschiedliche Dinge, die ihn besorgten.

Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich.

„Das kriegen wir hin, Jui! Wir sind gut und… mich verlierst du auch nicht, solange du das nicht willst, versprochen!“, redete ich leise auf ihn ein, ging wieder dazu über, ihn sanft zu streicheln. „Aber was meinst du mit „Kirito und dem Label“?“

Angespannt wartete ich auf seine Antwort.

„Ich habe heute mit Giru geschrieben… er sagt, BiJu Records ist das Letzte! Und Kirito hätte die nur als Vorwand genutzt, um…“ Er brach ab, nachdem die letzten Worte schon von den neu aufkommenden Tränen erstickt wurden. Das ungute Gefühl wurde immer stärker und erzeugte ein flaues Gefühl im Magen.

„Um?“, fragte ich nach, obwohl ich mir schon denken konnte, worauf es hinaus lief und wie wenig mir das gefiel. Seine Augen suchten meine, nur ganz kurz, als wolle er sich vergewissern, dass er wirklich weiter sprechen konnte. Der Anblick zerriss mir fast das Herz. „Nein, schon gut. Ich weiß, was du sagen willst…“

Er nickte dankbar, verbarg sein Gesicht dann wieder in meinem T-Shirt, das allmählich von seinen Tränen durchnässt wurde.

Das Merkwürdige war, dass ich in diesem Moment eigentlich gar nichts fühlte. Ich war nicht schockiert, höchstens etwas überrascht, ich war nicht rasend vor Wut, wie ich es sonst beim bloßen Gedanken an Kirito war. Und ich war auch nicht enttäuscht wegen dem Label. Eigentlich fühlte ich mich nur ernüchtert, desillusioniert. In meinem Leben hatte noch nie etwas so geklappt, wie ich es mir wünschte. Es klappte meistens irgendwie, aber es war nie so einfach wie man es in Filmen sah oder in Romanen las. Besonders, was die Herzensangelegenheiten anging.

Ich dachte an Toya und an seinen Rat, diesen Kuss zwischen Jui und Kirito zu vergessen, weil wir jetzt ohnehin quitt waren. Aber nun hatte sich die Lage drastisch geändert. Er hatte ganz offensichtlich mehr als nur einen Kuss mit einem anderen Mann ausgetauscht und gleichzeitig auch noch hinter meinem und dem Rücken der anderen Bandmitglieder ominöse Verträge ausgehandelt. Und das alles noch vor Veröffentlichung der ersten Single.

„Warum, Jui?“ Meine Stimme war ruhig, doch allmählich realisierte ich die Folgen, die das alles mit sich brachte. Seine Antwort konnte jetzt noch einiges retten oder aber es noch viel schlimmer machen als es ohnehin schon war.

„Du warst so traurig, weil wir kein Label hatten… und dann ist mir sein Angebot eingefallen…“

Ich schüttelte seufzend den Kopf, löste meine Hände von ihm, um mir meine Schläfen zu reiben.

„Ich hab es für dich getan“, setzte er leise hinzu.

„Wofür ich dir unglaublich dankbar bin!“ Er zuckte wie unter einem Schlag zusammen, als meine Stimme schärfer als beabsichtigt antwortete. „Jui, du hast nicht nur mich, sondern die ganze Band verraten!“ Ich hielt inne, als ich mich plötzlich fragte, wie Toya darauf reagieren würde, wenn er in meiner Situation wäre. Er war der positivste Mensch, den ich kannte und ich glaubte, dass er in diesem Moment versuchen würde, es positiv zu sehen. Genau genommen hätte es doch auch viel schlimmer kommen können. Er hätte mich betrügen können, während wir eine Beziehung führten. Oder aber die Sache mit dem Label erst auffliegen lassen können, wenn wir bereits erfolglos in der Versenkung verschwunden wären. Oder aber es nie verraten! All das wäre schlimmer. „Ach, ist jetzt auch egal! Dann suchen wir uns halt was anderes… Sag mir nur, wie oft habt ihr’s gemacht?“

Jui senkte den Blick, starrte auf seine Hände, ehe er mir kleinlaut antwortete. „Nur einmal…“
 

Wenn ich die Chance gehabt hätte, hätte ich es dann nicht genauso getan wie er? Wenn ich jemand anderen als Toya, jemand willigeren bei mir gehabt hätte?

Vielleicht waren wir uns ja doch ähnlicher als ich bislang dachte.

„Hey, Jui. Was ist ein Keks unter einem Baum?“ Ich konnte sehen, wie er perplex begann, eine poetische Antwort darauf zu suchen. „Ein schattiges Plätzchen!“, antwortete ich dann an seiner Statt und seine Trauermiene wich einem Lächeln, wuchs zu einem schüchternen Lachen heran, ehe wir beide in Gelächter ausbrachen. Mehr aus Erleichterung denn aus Belustigung, nahm ich an.
 

Schließlich legte ich meine Arme um seinen schmalen Körper, zog ihn nah an mich heran.

„Fangen wir von vorn an?“, fragte ich versöhnlich und erntete damit ein eifriges Nicken, zusammen mit einem glücklichen Lächeln. „Ich heiße Jun, und du?“

„Ich auch. Aber meine Freunde und Fans nennen mich Jui!“ Er kicherte erneut, so süß, dass ich nicht länger an mich halten konnte. Ich hob sein Kinn mit einem Finger an und küsste ihn. Und dieser Kuss war nicht einmal ansatzweise mit dem zu vergleichen, den ich zuvor mit Toya ausgetauscht hatte. Er war lang, zärtlich und löste dieses angenehme Bauchkribbeln aus, das ich schon viel zu lange nicht mehr gespürt hatte.
 

„Sag mal, du und Toya…?“, begann Jui, als wir kurz darauf auf der Couch lagen, ich auf dem Rücken, er an meine Brust gekuschelt. „Ist da irgendwas? Also habt ihr auch…?“

Sanft strichen meine Finger durch sein blondiertes Haar, während ich ihm alles erzählte. Alles von meiner ersten Begegnung mit dem anderen Gitarristen bis zu dem Moment, der sich noch vor einer Stunde auf meiner Couch abgespielt hatte. Je mehr ich erzählte, desto mehr fragte ich mich, wie ich nur so blind sein konnte. So blind, nicht zu merken, dass Toya sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht für mich interessierte, während ich Jui vor lauter Misstrauen von mir stieß.

„Du bist doch doof“, seufzte der Sänger mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht und sprach damit meine Gedanken aus.

„Verzeihst du mir noch mal?“, fragte ich halb ernst, halb im Scherz und bekam zur Antwort viel mehr als nur Vergebung.

„Wenn du jetzt mir gehörst, dann ja. Dann verzeih ich dir alles…“

Ich glaubte, mein Herz machte plötzlich einen gewaltigen Satz und schlug doppelt so schnell in meiner Brust.

„Nur, wenn du mir auch gehörst.“ Ich konnte kaum glauben, dass ich das tatsächlich sagte! Ich war wirklich nervös wie ein Teenager und es wurde nur noch schlimmer, als Jui meine Bedingung akzeptierte und mich erneut küsste. Es war der erste Kuss, den wir nicht nur als Liebhaber austauschten.

Juns Entdeckung

Die Musik von Super Mario erfüllte den Raum und übertünchte damit das leise Schmatzen, das Jun und ich verursachten. Ich hatte dein Eindruck, dass die Musik sogar noch lauter war, seitdem ich mich auf Juns Schoß gesetzt hatte. Mir sollte das nur Recht sein. Das Geräusch einer Tür, die über den Teppich schabte, kündete davon, dass jemand den Raum betrat. Es schabte erneut, als die Tür sich wieder schloss und kurz darauf erklang Shingos quengelnde Stimme. „Oh nein, ich hab’s gesehen!“

Seufzend löste ich mich von Jun. „Stell dich nicht so an. Toya steht das auch tapfer durch!“

„Was?“ Irritiert blickte der Gitarrist von seinem Nintendo auf, musterte mich fragend, nicht ohne zwischendurch noch einen kurzen Blick zurück auf das Display zu werfen. Und dann einen längeren aus schreckgeweiteten Augen. „Oh, scheiße!“ Er verzog das Gesicht, während er sich eilig wieder mit seinem Level beschäftigte. „Das geht hier auf Zeit und wenn man nicht aufpasst…. Ah! Nein!“ Frustriert ließ er den Handheld sinken. „Jetzt muss ich von vorn anfangen.“

„Oder anfangen zu arbeiten“, schlug Jun grinsend vor. „Jetzt, wo Shingo da ist…“

Der Bassist durchschritt den Raum, stellte sein Instrument neben der Couch ab, auf der ich mit Jun saß.

Anfangs war es ungewohnt, Jun während der Proben so nahe zu sein. Doch jetzt, fast eine Woche nachdem wir beschlossen hatten, es ernsthaft miteinander zu versuchen, kostete ich jeden dieser Augenblicke in vollen Zügen aus. Und zum Glück spielten unsere Kollegen da auch mehr oder weniger mit. Wir trafen natürlich nicht auf Stürme der Begeisterung, aber auch nicht auf Ablehnung, was dafür sorgte, dass wir effizient und harmonisch miteinander arbeiten konnten. Sicherlich würden Jun und ich uns eines Tages auch vor den anderen zusammen reißen können, wenn unsere Beziehung nicht mehr ganz so frisch war.

„Ich träum bestimmt heut Nacht davon!“, vermutete Shingo, während er sich aus seiner Lederjacke schälte.

„Dieser Gedanke ist irgendwie unangenehm“, stellte ich nüchtern fest.

„In Shingos Träumen machen JuJu es bestimmt noch viel doller als in echt.“

„JuJu?“ Ich hatte keine Ahnung, wer das sein sollte und blickte daher fragend zu Toya, der seinen Nintendo nun ausschaltete und in die Tasche steckte. Doch an seiner Stelle war es überraschenderweise Shingo, der antwortete: „So sagt man zu den Pärchen in Fanfictions…“, erklärte er. „Jun und Toya wären dann JuTo… oder JunTo oder sowas.“

Augenblicklich dachte ich daran, dass diese Kombination verboten gehörte. Zwar hatte sich bei den beiden alles geklärt, doch noch immer dachte ich hin und wieder daran zurück, dass Jun mich noch vor kurzem mit Toya hatte ersetzen wollen.

„Woher zum Teufel wisst ihr das!?“, entfuhr es Jun ungläubig, woraufhin ein unangenehmes Schweigen folgte, bis ich selbst wieder nicht ganz ernst gemeint das Wort ergriff. „Shingo? Schreibst du heimlich Fanfictions über uns? Oder du, Toya?“

Die beiden Angesprochenen tauschten unheilvolle Blicke aus und schwiegen solange, dass ich unsicher wurde, ob mein Spruch wirklich nur ein Witz war oder ob ich nicht doch ins Schwarze getroffen hatte. Toya räusperte sich.

„Wir sind aufgeflogen, Shingo. Los, jetzt kannst du sie ja fragen, ob wir mit ins Schlafzimmer dürfen!“ Shingo starrte ihn ungläubig an, woraufhin der Gitarrist noch nachsetzte: „Damit wir es authentischer schreiben können!“

Der brünette Bassist kniff die Augen zusammen, als könne er damit die Bilder vertreiben, die sich gerade in seinem Kopf abzuspielen schienen.

„Wieso, Schlafzimmer? Wir machen es einfach hier!“, schlug Jun lachend vor, ließ demonstrativ seine Hände unter mein Shirt gleiten. Es war nicht besonders anständig, aber es gefiel mir außerordentlich gut, dass er somit unsere Zusammengehörigkeit ausdrückte.

„Oh ja, mehr, Jun!“, raunte ich, während ich mich lasziv auf ihm zu räkeln begann. Ich fragte mich, ob ich pervers sei, schüttelte diesen Gedanken dann aber wieder ab.

„Oh nein!“, kam es wie aus einem Mund von den anderen beiden, die sich sogleich abgewandt hatten.

„Macht, was ihr wollt. Aber ich will keine Geschichten, in denen wir umgebracht, vergewaltigt oder auf den Straßenstrich geschickt werden!“

„Da hast du’s, Shingo! Lösch den Schund!“, forderte Toya den hilflos dreinblickenden Bassisten auf, ehe er sich von dem Sessel erhob und zu seiner Gitarre schlenderte, die er bereits vor der Probe gestimmt hatte. Er klimperte wahllos und ohne elektrische Verstärkung auf den Saiten herum, während Shingo sich neben ihm positionierte und an den Stimmmechaniken seines Basses herum drehte. Ich hörte die Musik aus Super Mario und als Toya sich verspielte, brach er das Stück ab. „Komm jetzt, Jun, wir müssen üben, bevor der hohe Besuch kommt!“

„Ja, doch!“

Hoher Besuch?

Jun gab mir einen sanften Kuss in den Nacken, ehe er mich von sich schob, sodass er aufstehen und zu den anderen gehen konnte.

„Hoher Besuch? Welcher hohe Besuch!?“

Der Pinkhaarige grinste nur und setzte dann eine unwissende Miene auf, zuckte dabei mit den Schultern.

„Toya?“

Der Gitarrist zog seine Stirn in Falten, begab sich scheinbar auf eine angestrengte Suche nach dem Fehler in der Melodie, die er eben spielen wollte.

„Shingo?“, versuchte ich erneut mein Glück, doch statt mir zu antworten, pfiff dieser nur eben jenen Titelsong, wie um den Schwarzhaarigen zu unterstützen.

„Leute!“

„So, fangen wir an?“, fragte Jun, mich vollkommen ignorierend und für einen kurzen Moment hatte ich das innere Bedürfnis, ihm den Hals umzudrehen. Ich hasste es, auf die Folter gespannt zu werden. Doch andererseits wusste ich auch, dass ich nichts aus ihnen herauskriegen würde, was sie nicht sagen wollten.

„Idioten…“, murmelte ich, ehe ich mich auch langsam erhob.

Jun stellte noch den Drumcomputer ein, den er liebevoll „Cyborg-Tero“ nannte, und dann begannen wir die Songs, die wir für das Demotape einstudiert hatten, zu proben. Ich sang die neuen Texte, bewegte mich zu der Musik, die Jun komponiert hatte und schaffte es, nach einiger Zeit, meine Neugier zu vergessen. Im Laufe der Probe hörte ich sogar auf, ständig die Tür anzustarren und mich vollkommen auf die Musik zu konzentrieren.
 

Die Zeiger der Uhr an der gegenüberliegenden Wand standen kurz vor drei, als wir die Songs dreimal nacheinander durchgespielt hatten und Jun eine Pause einleitete. Das wurde auch Zeit. Meine Wasserflasche hatte sich bereits dem Ende zugeneigt und außerdem verlangte es mir nach einer Tasse heißen Kaffees.

Zufrieden stellte ich mein Mikrofon aus, legte es auf Juns Verstärker.

„Will noch jemand Kaffee?“

Ich erhielt allgemeines Kopfschütteln zur Antwort und machte mich daraufhin auf den Weg zum Kaffeeautomaten, der sich im Foyer des Gebäudes befand.

Ich kramte in meiner Hosentasche nach einem 100 Yen Stück und ließ es in den dafür vorgesehen Schlitz fallen, drückte auf die Taste und hörte nur wenig später den Kompressor laut aufsummen, als er heißes Wasser aufbereitete und in einen Pappbecher füllte. Wieder wanderten meine Gedanken zu dem merkwürdigen Besuch, auf den die anderen sich freuten – und von dem obendrein auch noch jeder außer mir wusste!

Doch wie ich es auch wendete – es wollte keinen Sinn ergeben. Entgegen meiner ersten Vermutung war ich mir inzwischen sicher, dass es nur mit mir persönlich, aber nicht mit der Band im Zusammenhang stand. Denn hätte sich jemand bei Jun wegen eines Plattenvertrags oder als Drummer gemeldet, wäre ich der erste gewesen, der es erfuhr. Schließlich hatte der pinkhaarige Gitarrist meine Wohnung bisher nur einmal ohne mich verlassen. Und das war direkt nach seiner ersten Nacht bei mir, um Kleidung und seinen Laptop aus seiner eigenen Wohnung zu holen.

Ich griff nach dem inzwischen gefüllten Kaffeebecher, schloss ihn mit einem Deckel und füllte meine Flasche am Wasserspender nach. Ich hatte bereits die ersten Stufen, die zu unserem Raum führten, erklommen, als jemand meinen Namen rief.

Ich blickte auf und erkannte am oberen Treppenabsatz Toya, der kurz darauf mit lauten Schritten seiner schweren Boots die Treppen herunter hastete. „Jui!“, wiederholte er, kaum, dass er mich erreicht hatte, legte mir freundschaftlich einen Arm um die Schultern und zog mich mit sich, wieder zurück ins Foyer.

„Jun sagt, dahinten soll noch ein Automat sein, der Kakao gibt. Lass uns mal nachsehen!“ Sein Finger deutete vage in die Richtung der Tür, die zu dem Nebenflur mit den kleineren Studios führte.

Etwas verwundert, aber dennoch hilfsbereit, stimmte ich ihm zu, ihm bei der Suche nach dem Kakaoautomaten zu helfen.

„Komisch, dabei ist doch neben dem Kaffeeautomaten noch genug Platz für einen zweiten!“, überlegte ich laut, während ich dem Gitarristen über den glänzenden Boden der Halle folgte, bis wir die besagte Tür erreichten. Toya stieß diese ohne zu zögern auf und trabte mit mir durch den Gang.

„Vielleicht will jemand nicht, dass den jeder kennt.“ Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. „Wenn ich Chef wäre, würde ich mir den auch lieber ins Büro stellen, damit ich nicht für jede Tasse soweit latschen muss.“

„Meinst du, wir müssen direkt zu dem Präsidenten rein?“

„Nee, der soll schon draußen stehen. Aber in der Nähe vom Präsi!“

„Hmhm…“ Ich hatte nicht wirklich Lust, mich über den Standort des Geräts zu unterhalten. Stattdessen drifteten meine Gedanken sowieso schon wieder ab. Erst dorthin, wo sie in letzter Zeit ständig waren – bei Jun, und dann, der Situation geschuldet, trieben sie von allein weiter bis ich vor meinem geistigen Auge plötzlich Jun und Toya sah. Noch ehe ich etwas dagegen unternehmen konnte, stellte ich mir vor, wie sie eng umschlungen im Bett lagen und die Dinge taten, die Jun abgestritten hatte.

„Glaubst du, man muss als Chef auch hundert Yen für eine Tasse bezahlen?“

„Gut möglich…“

„Obwohl, die haben bestimmt so einen Chip, mit dem sie es umsonst kriegen! Ich will auch einen Chip!“

„Toya! Sag mal, wie war das eigentlich so mit Jun?“, fragte ich vorsichtig, ohne eine Anklage in meine Frage zu legen und ohne ihm zu signalisieren, wie viel ich bisher davon wusste. Wir erreichten das Ende des Korridors, von wo aus sich nun links und rechts weitere Flure abzweigten. Zwei junge Männer, ebenfalls Musiker ihrem Outfit nach zu urteilen, kamen uns entgegen und verließen diesen Gebäudetrakt dann in entgegengesetzter Richtung.

Ohne ein Wort der Abstimmung zu wechseln, schlugen wir beide den Weg nach links ein. Jetzt, da es interessant wurde, konnte es ruhig noch etwas dauern, bis wir den Automaten gefunden hatten, fand ich.

„Du meinst unser WG-Leben?“

„Hmhm… wo hast du da eigentlich geschlafen? Ich meine, die Wohnung ist nicht gerade groß… und wo schläfst du jetzt eigentlich?“

Toya blickte mich grinsend an und wieder einmal stellte ich fest, dass er irgendwie irre und hübsch zugleich war. Irre deshalb, weil es an meiner Frage absolut nichts Witziges gab und er sich trotzdem diebisch darüber zu freuen schien. Und hübsch, weil er halt einfach damit gesegnet war.

„Auf der Couch natürlich! Ich leg mich zu keinem Mann ins Bett!“

„Und trotzdem ging da was….“ Ich formulierte meine Aussagen so, dass sie Interpretationsfreiraum nach oben ließen. Wenn Toya das Gefühl hatte, ich wisse weniger als tatsächlich passiert war, würde er seine Informationen sicherlich ebenso gering halten. Glaubte er aber, ich wisse über alles Bescheid, konnte es durchaus interessant werden. Zwar vertraute ich Jun, aber ich war ebenso gespannt darauf, dieselbe Geschichte auch aus einer anderen Perspektive zu hören.

„Das ist ein bisschen übertrieben!“, lachte der Gitarrist auf. „Jun kann überhaupt nicht küssen! Lag vielleicht daran, dass er ein Kerl ist… Also… selbst wenn er ein Mädchen wäre… ich weiß nicht!“

„So ein Quatsch! Jun macht das toll!“

Der Flur endete, mit einer Wand, die ausschließlich mit einer Uhr verziert war. Toya warf einen langen nachdenklichen Blick darauf und machte dann auf dem Absatz kehrt.

„Wenn du meinst… dir muss es ja gefallen“, erklärte er diplomatisch, während wir nun die andere Richtung absuchten. „Ich fand’s jedenfalls nicht so toll, also mach dir keine Gedanken.“

„Du bist wahrscheinlich ein richtiger Gott in der Hinsicht, dass du dir so ein Urteil erlaubst, was?“, fragte ich stichelnd, woraufhin Toya die Augenbrauen in die Höhe zog und die Stirn so merkwürdig kräuselte, als versuche er, mit eben diesen zu wackeln.

„Klar bin ich das. Aber das wirst du erst dann bestätigen können, wenn wir Flaschendrehen gespielt haben.“

Wir bogen ab, zurück in den Flur, aus dem wir gekommen waren und betraten kurz darauf wieder das Foyer.

„Lass mal… Mir reicht, was Jun erzählt hat!“

„Eh? Was hat er erzählt!?“, fragte der Gitarrist verwirrt. Es war nicht zu übersehen, dass ich ihn aus dem Konzept gebracht hatte. Ich beschleunigte demonstrativ meine Schritte, als wolle ich davon laufen, um keine Antwort geben zu müssen.

„Hey, bleib stehen!“ Toya folgte mir, und ich wurde wieder schneller, bis wir am Ende durchs Foyer und die Treppen hinauf jagten. Toya war deutlich schneller, allein schon deshalb, weil ich noch meinen Kaffeebecher und die Wasserflasche in der Hand hatte. Darum holte er mich auch noch auf der unteren Hälfte der Treppe ein.

„Spielt ihr Fangen?“

Als wir hinauf schauten, erkannten wir dort Shingo, der sich über die Brüstung lehnte. Schlagartig war es mir peinlich, bei dem Ausbruch von Kindlichkeit erwischt worden zu sein. Immerhin war ich schon dreißig.

„Nee, wir waren nur los, um den Kakaoautomaten zu suchen“, erklärte ich, um davon abzulenken, bis mir auffiel, dass Toya noch immer keinen hatte. Doch machte er auch keine Anstalten mehr, einen zu suchen. Stattdessen stieg er nun gemächlich die Stufen empor.

„Können wir? Oder müssen wir weitersuchen?“, fragte der Gitarrist dabei an Shingo gewandt.

„Ihr könnt. Das Geschenk ist eingepackt.“

„Welches Geschenk?“, fragte ich verdutzt, während mir Übles schwante. Wenn die beiden so dümmlich feixten wie in diesem Moment, konnte das nur bedeuten, dass sie damit etwas meinten, was mir peinlich sein würde.

Ich war mir sicher, dass das mit Jun zu hatte.

„Hast du Jun ausgezogen und für mich bereit gelegt, oder was?“

Der Gitarrist und Bassist lachten auf, machten dann aber wieder besonders geheimnisvolle Gesichter, sodass ich nicht anders konnte, als mit den Augen zu rollen, als ich mich an Shingo vorbei schob. Ich klemmte mir die Wasserflasche unter den Arm und zog dann mit der freigewordenen Hand die Tür zu unserem Proberaum auf.
 

„Nein, lass das!“, hörte ich Juns aufgeregte Stimme, noch bevor ich ihn sah. „Lass das!“

„Mann, wieso denn!?“

Die zweite Stimme war wesentlich rauer, ungeduldiger. Augenblicklich schob sich vor mein inneres Auge das Bild von einem Mann, der entgegen dessen Willen an Juns Kleidung riss.

Während mein Herz augenblicklich höher schlug, trat ich einen Schritt vor, um das Ende des Raums, das die Couch und die beiden Sessel beherbergte, überblicken zu können. Und dann sah ich den Pinkhaarigen. Gott sei Dank äußerst bekleidet, rangelte er mit jemandem, der mir verdammt nach Tero aussah.

„Na, weil das lustig ist!“

„Das ist ja selbst mir zu bescheuert!“

„Tero!“, rief ich erfreut aus, stellte mein Wasser und den inzwischen erkalteten Kaffee auf dem Tisch ab, ehe ich näher an die beiden heran trat. Als ich allerdings erkannte, was sich gerade zwischen ihnen abgespielte, konnte ich ein Grinsen nicht unterdrücken und blieb augenblicklich stehen. „Schön siehst du aus!“

Schleifen, zu viele als dass ich sie mit einem Blick zählen könnte, zierten die Arme, Beine, den Bauch und sogar die Stirn des Drummers, der gerade dabei, die ersten wieder aufzuziehen, während Jun versuchte, ihn genau davon abzuhalten. Kurz ließ Jun sich ablenken, um sich zu mir umzudrehen. „Ah, du bist zu früh!“, rief er und warf einen strafenden Blick zu den anderen beiden Musikern, die gerade wieder in den Raum traten.

„Wir waren doch schon fertig!“, verteidigte sich Shingo, ehe er sich eine Zigarette anzündete.

„Er hat sich aber plötzlich gewehrt!“

Ich lachte auf, konnte mir nur allzu gut vorstellen, wie diese Verrückten sich voller Überzeugung auf Tero stürzten und mit dieser Aktion total überrumpelten. Vermutlich hatte man ihm sogar die Augen verbunden, damit ihm nicht allzu schnell bewusst wurde, wie ihm geschah. Zuzutrauen wäre es ihnen, wenngleich mir der Sinn des Ganzen noch verborgen blieb.

„Oh Mann, was machen die nur mit dir?“, fragte ich mitleidig an meinen ehemaligen Kollegen gewandt, während ich meinen Weg zu ihnen fortsetzte und neben Jun stehen blieb, der gerade sein Handy herausholte, um ein Beweisfoto zu schießen.

„Ich hätte dir ja auch eine Mail geschrieben, aber ich durfte nicht“, antwortete der Drummer mit Seitenblick auf meinen Freund, der mit stolzer Miene den Blitz auslöste und das Handy dann wieder zurück in seine Tasche gleiten ließ.

„Achso, machen wir das jetzt mit jedem Besuch so?“, fragte ich verwundert. Das darauf folgende gemeinschaftliche Aufstöhnen gab mir das Gefühl, der begriffsstutzigste Idiot der Welt zu sein.

Jun schüttelte leicht den Kopf, ehe er mein Gesicht mit seinen Händen umrahmte und mir einen Kuss auf die Stirn gab. Ich glaubte zu sehen, wie die anderen sich kurzzeitig wegdrehten.

„Darf ich vorstellen, unser neuer Drummer! Ich war mal so frei, ihn uns zu organisieren“, erklärte der Gitarrist grinsend und erst jetzt verstand ich seinen Stolz und diese ganze Aktion, einschließlich der Suche nach dem nichtvorhandenen Kakaoautomaten. Und doch… es wunderte mich, dass nun plötzlich alles so einfach geklappt haben sollte, obwohl ich doch die ganze Zeit mit Tero Kontakt hatte und er erst einmal die anderen Engagements abwarten wollte.

„Wirklich? Aber was ist mit den Aufträgen, von denen du geschrieben hast?“

Der Schlagzeuger zuckte mit den Schultern, derweil er sich von der großen Schleife an seinem Hals befreite. „Das hat nicht geklappt. Die haben sich für einen anderen entschieden… aber ich durfte es dir nicht erzählen.“

Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, ehe ich mich auf Tero stürzte und ihn voller Dankbarkeit fest an mich drückte. Das war wirklich ein perfektes Geschenk, mein Lieblingsdrummer in meiner neuen Band. Fehlte nur noch ein vernünftiger Plattenvertrag.

„Du hättest mir doch heimlich schreiben können…“

„Ich hab mich nicht getraut, mich zu widersetzen! Ich wusste nicht, dass er so unheimlich sein kann!“

Jun verzog sein Gesicht zu einer Unschuldsmiene, blickte wie unbeteiligt an die Decke.

„Deshalb ist er ja auch der Chef!“, erklärte ich lachend.

„Ach, deshalb stehst du auf ihn! Holt er zu Hause die Peitsche raus?“, fragte Tero stichelnd, während er sich daran machte, weitere Schleifen von seinem Arm zu lösen, um sie kurzerhand an meinem festzubinden.

„Wenn’s nur das wäre…“, seufzte ich vielsagend.
 

~*~
 

Stickige, blaue Luft erfüllte den kleinen Club in Suginami. Ein Stadtteil, in dem ein neues Kapitel unserer Bandgeschichte begann und der so weit vom Zentrum entfernt war, dass er nur über wenige gute Partylocations verfügte. Doch vermutlich hätte kein Stadtteil und kein Club unserer guten Stimmung Abbruch tun können.

„Gläser hoch!“, brüllte Toya in einer Lautstärke, dass ich bereits erwartete, dass sämtliche Gäste seiner Aufforderung nachkommen würden. Ich wusste ja, dass er laut war, dass sich das aber unter Alkohol noch einmal um ein Vielfaches steigerte, übertraf meine Erwartungen.

„Hey Toya, ruf mal „Freibier“!“, schlug Tero, der wohl Ähnliches dachte, vor.

„Dann wird er ja arm“, mischte sich Jun ein.

„Na und? Los, trink!“, antwortete Tero an den Gitarristen gewandt, stieß sein Glas erst gegen das von Toya, bevor unser aller Gläser beim allgemeinen Anstoßen klirrten. „Prost!“
 

Nur wenige Tage, nachdem Tero sich uns als Supportdrummer zur Verfügung gestellt hatte, bekam Jun einen Anruf aus Suginami, von niemand Geringerem als Asagi, der neben seiner Band „D“ auch noch ein eigenes kleines Label führte.

Es war schon fast peinlich, dass wir bei unseren Bewerbungen nicht an ihn gedacht hatten und er stattdessen von sich aus auf uns zukam, nachdem er von unserem Problem gehört hatte. Doch egal, unter welchen Umständen es dazu kam, wir hatten einen echten Erfolg zu verzeichnen und konnten ausgelassen unseren Vertragsabschluss feiern.

Die Leute um uns herum besetzten die Tische, während wir irgendwo am Rand der Tanzfläche im Kreis standen und hofften, nicht von den Leuten angerempelt zu werden, die im Takt der westlichen Rockmusik zappelten. Der Club war zu klein, um allen Besuchern Sitzplätze zu bieten. Doch so, wie insbesondere Tero und Shingo sich nur zwei Biere später umsahen, ahnte ich bereits, dass sie bald die Plätze neben hübschen Frauen einnehmen würden. Und davon gab es hier einige, wie ich mit einem flüchtigen Blick feststellte, ehe ich mich wieder etwas Interessanterem zuwandte – und zwar der Person neben mir, von der ich kaum die Finger lassen konnte. Er sah einfach zu gut aus!

Jun lachte gerade über einen Scherz von Toya, als meine Blicke an ihm kleben blieben. Er trug ein schwarzes Shirt mit bunten Mustern, das seine Figur hervorragend zur Geltung brachte und seine Haarfarbe leuchten ließ, dazu eine zerrissene Jeans ähnlich der, die der andere Gitarrist trug, und rote Boots an den Füßen. Noch eines der unzähligen Dinge, die ich an ihm liebte - sein Kleidungsstil! Er wandte sich beiläufig zu mir um, grinste zuckersüß und riss mich damit aus meiner Starre.

„Träumer“, schalt er mich liebevoll, ehe er mir erneut zuprostete und mich damit zum Trinken animierte. Ich kam der unterschwelligen Aufforderung nur allzu gern nach, während ich beobachtete, wie Toya, Shingo und Tero sich plötzlich durch die Menge schlängelten. Ich dachte unweigerlich an eine Schlange, die sich ihrem Kaninchen unaufhaltsam näherte, um es dann zu verschlucken.

„Woran hast du wohl gedacht?“, fragte er, eine Hand in die Hüfte gestemmt.

„An Schlangen“, antwortete ich wahrheitsgemäß, ein wenig erstaunt darüber, wie herausfordernd er mir die Frage stellte.

„Was für Schlangen?“, fragte er mit schiefem Grinsen.

„Große Schlangen.“

Sein Grinsen wurde breiter, vielsagend und erst dann wurde mir die Zweideutigkeit bewusst. Es war, als würde ich meinen Modus wechseln, als ich mein Glas abstellte und näher an ihn herantrat. Ich lächelte kokett, schlang dann meine Arme um seine Hüfte.

„Keine Zauberstäbe?“

„Das ist dasselbe!“ Ohne darüber nachzudenken, versenkte ich meine freie Hand in einer seiner Gesäßtaschen, grinste ihn herausfordernd an. „Wollen wir zu dem Strichmännchen gehen?“ Demonstrativ nickte ich in die Richtung der Toilettentüren, an denen je eine Figur, eine mit und die andere ohne Rock, aufgemalt waren. Bier machte mich immer nur allzu schnell übermütig, sodass ich dazu neigte, mich und die Umgangsformen zu vergessen.

„Na ja, das klingt ja ganz verlockend…“, begann Jun vorsichtig und versuchte ganz offensichtlich, mich abzuweisen, ohne dabei meine Gefühle zu verletzen. Doch ich nahm mir fest vor, mich nicht abweisen zu lassen. Nicht heute, nicht jetzt.

„Aber du warst heute wieder so sexy!“

Der Gitarrist hielt inne, vergaß für eine Weile, dass er sich eigentlich gegen meine Zärtlichkeiten wehren wollte. „Wirklich?“

„Jaaa, du bist so heiß, wenn du geschäftlichen Kram regelst! Ich meine, das bist du sonst auch… aber wenn du das machst, kann ich mich kaum beherrschen!“ Ich wusste, dass er es mochte, wenn ich ihn so anhimmelte, wie ich es jetzt gerade tat. Und sein Grinsen bestätigte mich nur noch.
 

Keine fünf Minuten später drückte er mich gegen die kalten Fliesen, die die Wände in den Toilettenräumen zierten. Ich schnappte hörbar nach Luft, als er mein Shirt nach oben schob und meine darunterliegende nackte Haut küsste, beim Bauch beginnend bis hin zur Brust, dessen Spitze er dann mit seinen Lippen umschloss. Hitze stieg in mir auf, als seine Zunge über die empfindliche Haut strich und ich warf meinen Kopf in den Nacken, als ein leises Stöhnen meiner Kehle entwich.

Er war so heiß und ich wollte ihn so sehr… Grob griff ich in sein pinkes Haar, zerstörte die mühevoll gestaltete Frisur, um ihn zu mir hinauf zu ziehen und seine Lippen küssen zu können. Unsere Münder trafen aufeinander und sogleich lieferten sich unsere Zungen einen wilden Kampf um die Vorherrschaft. Es blieb kaum Platz für Zärtlichkeit, nachdem das Verlangen auch von Jun Besitz ergriffen hatte. Das merkte ich in spätestens am Moment, da ich die Oberhand zurückzuerobern und ihn herumzuzerren versuchte.

Ohne den Kuss zu lösen, packte er mich nun bei den Schultern und riss stattdessen mich herum, als wäre ich nicht schwerer als eine Puppe, was mir augenblicklich das Gefühl gab, schwächer zu sein, als ich eigentlich war. Ein Gefühl, das mir in dieser Situation ausgesprochen gut gefiel.

Ich spürte wie aus weiter Ferne einen dumpfen Schmerz an den Schultern und meinem Hinterkopf, als ich gegen das Holz der Toilettenkabine stieß. Doch ich ignorierte ihn, dafür sorgten der Alkohol und die Lust gleichermaßen.

Jemand rief etwas, vermutlich vom Inneren der Kabine.

Jun hob seinen Blick, um ihn über die Türen gleiten zu lassen. Auch ohne zu fragen wusste ich, dass er nach offenen Türen Ausschau hielt, um mit mir hinter einer zu verschwinden. Deutlich erkannte ich an seinem Gesicht, dass es für ihn genauso aufregend wie für mich war. Ich wettete, dass er so etwas zum ersten Mal machte und nahm an, dass die Euphorie über den Plattenvertrag ihn hierzu beflügelte. Mir selbst ging es zumindest so.

Ich ergriff seinen Gürtel, hakte meine Finger darunter und zog ihn nah an mich heran, bis ich meine Hüfte mit sanften Bewegungen an seiner reiben konnte. Sein Atem ging schwer und sein Blick wurde fahrig, als er die Bewegung an seiner Körpermitte spürte. Er verbarg sein Gesicht in meiner Halsbeuge, während er leise meinen Namen stöhnte. Dabei erzeugte sein warmer Atem einen Schauer, der mir wohlig den Rücken hinab rann. Wieder küsste er mich, genau dort, wo er geflüstert hatte, während er den Kragen meines Shirts über die linke Schulter zerrte, um die entblößte Haut mit weiteren Küssen zu bedecken.

Aus den Augenwinkeln nahm ich die Bewegung einer sich öffnenden Tür wahr, als die Kabine neben uns frei wurde. Wie durch einen Schleier schwante mir, dass es mir unter anderen Umständen unangenehm gewesen wäre, von jemandem dabei gesehen zu werden, wie ich mich mit Jun beschäftigte. Doch jetzt gerade interessierte es mich nicht. Ich ignorierte den Mann, grinste meinem Freund vielsagend zu und verschwand dann mit ihm in die Kabine.

„Und dann zerrte Jun voller Ungeduld den schmächtigen Jui in die Klokabine. Dort zerfetzte er seine Klamotten – also Juis.“

„Und dann seine eigenen!“

„Genau. Dann drückte er Juis Beine auseinander und… Shingo, kommst du hinterher?“

„Tipp schneller! Sonst ist es nicht so erotisch!“

Jun hatte gerade an meinem Hosenstall herumgenestelt, doch hörte er schlagartig auf, als er Teros Stimme und danach Toyas wahrnahm.

Shingo kicherte, während uns beiden die Schamesröte ins Gesicht stieg. Es war nicht einmal mehr daran zu denken, es fortzusetzen. Nicht nur, dass wir ohnehin keine Ruhe hätten – das Feuer der Leidenschaft war jetzt vollständig erloschen.

„Mann, ihr Idioten!“, rief Jun, erntete damit aber nur noch mehr Gelächter.

„Und dann, als er mit Jui fertig war, brüllte er wüste Flüche!“

„Er entriegelte die Tür und kam mit einer riesigen Keule heraus, die er über seinem Kopf schwang, um damit seine Freunde zu erschlagen, die vor der Kabine bereits Schlange standen, weil sie alle aufs Klo mussten!“, ergänzte Toya, als Jun die Tür öffnete und sich mit verdrossenem Gesichtsausdruck unseren Kollegen stellte. Ich folgte ihm mit gesenktem Blick und auf meine Unterlippe beißend.

Wir waren nicht alleine hier. Da waren noch mehr Männer außer unserer Band. Sie warfen uns teilweise argwöhnische, angewiderte Blicke zu, doch schwiegen sie glücklicherweise dazu.

„Ihr braucht gar nicht so neidisch gucken!“, tadelte Jun, doch schaffte er es trotz seiner Scham kaum, ernst zu bleiben. Schon jetzt konnte man wieder den Ansatz eines Lächelns erkennen.

„Ich brauch jetzt was Härteres…“, seufzte ich, als ich an das Bier dachte, dass ich im Hauptraum zurück gelassen hatte. Die Jungs, selbst Jun, lachten auf.

„Ahhh, ich meine, einen Wodka oder irgendwas!“
 

~*~
 

Die Sonne war gerade einmal aufgegangen, als wir in Teros Auto saßen und über die Autobahn in Richtung Innenstadt heizten.

Shingo saß auf dem Beifahrersitz und plauderte mit dem Drummer, während Toya auf der Rückbank auf seinen Handheld starrte und durch die Kopfhörer vermutlich den Sound von Super Mario hörte. Es fühlte sich beinah so an, als wären wir alleine. Nicht zuletzt deshalb, weil ich Jui im Arm hielt und die aufgehende Sonne dieser Autofahrt fast so etwas wie Romantik verlieh.

Die Hand, die ich an Juis Hüfte platziert hatte, fand wie von selbst unter sein Shirt, obwohl es sich nicht gehörte, da wir rein objektiv betrachtet, zu fünft auf engstem Raum waren.

Aus den Augenwinkeln konnte ich Juis Lächeln sehen. Er schmiegte sich näher an mich, bettete seinen Kopf in meiner Halsbeuge und eine Hand auf meinem Oberschenkel, während die andere meine eigene umfasste.

Wenn’s nach mir ginge, konnten wir jetzt immer auf diese Weise irgendwohin fahren. Und nicht nur das, meinetwegen konnte es auch für immer so bleiben, wie es genau jetzt war. Mit allem Drum und Dran. Als Jui sich plötzlich erneut bewegte und mir einen kurzen Kuss auf die Lippen gab, war ich mir sicher, dass er es genau so sah.
 

Natürlich hatten wir es uns gestern Nacht in der Unterkunft nicht nehmen lassen, das fortzusetzen, wovon die Jungs uns abgehalten hatten. Im Nachhinein betrachtet war es auch dumm gewesen… Im schlimmsten Fall hätten wir eine Anzeige und Ärger mit der Polizei bekommen. Und das für etwas, was wir genauso gut, nur gemütlicher, ein paar Stunden später machen konnten.

Und dennoch, obwohl die Nacht sehr lang und unser Schlaf dementsprechend kurz war, waren nicht wir es, die verschlafen hatten.

Ich blickte zu Toya, sah, wie ihm beim Spielen fast die Augen zufielen. Dann sah ich zu Jui, der entspannt und glücklich an mir lehnte und lächelte. Es war ein schönes Gefühl, zu wissen, dass ich derjenige war, der dieses schöne Lächeln auf sein Gesicht gezaubert hatte. Trotzdem gab es etwas, das diesen perfekten Moment trübte. Etwas, das ich gesehen hatte und wovon Jui nichts wusste. Etwas, das ich auch nicht zu hinterfragen wagte. Ich versuchte, mir eine unschuldige Erklärung darauf zu geben, die mich beruhigte. Doch egal, wie sehr ich es mir auch einzureden versuchte – das ungute Gefühl in meinem Magen blieb genauso wie dunkle Wolke, die einen Teil des Sonnenaufgangs verdeckte.
 

Als wir beim Frühstück nur Tero und Shingo vorfanden, hatte ich mich bereit erklärt, Toya wecken zu gehen, für den Fall, dass er verschlafen hatte. Erst hatte ich sanft geklopft, dann immer energischer. Schließlich hörte ich ein Poltern in seinem Zimmer und bald darauf zog er die Tür vorsichtig auf. Sein schwarzes Haar war völlig zerzaust und die dunklen Ringe unter seinen Augen sorgten dafür, dass er mich an L aus Death Note erinnerte. Da sein Zimmer genau neben dem von Jui und mir lag, hatten wir ihm möglicherweise den Schlaf geraubt. Doch das war es nicht, was mich wirklich beunruhigte.

Wahrscheinlich vergingen nur Sekunden, in denen wir uns anstarrten, doch mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit.

„Morgen! Zeit fürs Frühstück, du Schlafmütze!“, versuchte ich es mit einem lockeren Spruch, während ich krampfhaft überlegte, was ich von dem Anblick halten sollte. Soweit ich es durch den Spalt erkennen konnte, lagen quer über den Teppich verteilt, unzählige zerknüllte Taschentücher.

„Morgen!“, erwiderte er und wirkte dabei aufgezwungen fröhlich. „Ich bin in ein paar Minuten bei euch!“

Auch jetzt noch sah ich es vor mir - wie er unsicher vor mir stand, mit diesem ertappten Gesichtsausdruck und in dem Shirt, das er wohl zum Schlafen angezogen hatte und das definitiv mir gehörte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  Ayumi-nb
2015-04-01T14:12:17+00:00 01.04.2015 16:12
By the way, es Ihre FF Ich habe auch wirklich gefällt! *-*
Du schreiben über diese Jungs überhaupt wieder?
Ich höre auch den Song mit dem gleichen Namen. Ich maaaaaaag this <3
Nun, jetzt das ist eine Gruppe, die Ich like auch (*▽*)/
Natürlich Ich mehr Spaß on Paare Toya x Jun *lacht* Meiner Meinung nach sie zusammenpassen mehr, hehe
Daher war es interessant, zu lesen und über andere Gruppen.
Viel Glück für die Zukunft der FF! ^o^
Von:  Yudinea
2014-03-11T16:20:37+00:00 11.03.2014 17:20
Ahahaha das Ende!
Komm zu mir, Toya-baby <3

Normalerweise hasse ich, wenns kein Happy End gibt, aber irgwie finde ich das hier nicht so schlimm o.o Vlt weils sich eher wie ein offenes Ende anfühlt, vlt weil Toya nicht so Hauptperson war und Jui und Jun ja zusammen gekommen sind?

Ich mag aber Fics wo sich so slutty Jrocker für bessere Behandlung und Vorteile in der Musicbranche verhuren hehehe. HEHEHE. Als Jui im Bett lag und dann entpuppt sich der andere als Kirito muahaha
Im Gegensatz zu Jun und Toya hat Jui das mit Kirito ja schon immer sehr genossen, oder? Da gabs Funken!
Aber hat Toya improvisiert und gesagt der Kuss wäre nur ein Freundschaftsdienst, damit Jun endlich von ihm ablässt? Mir kam es da beim Kuss auch eher so vor, als wäre ihm das wirklich zuviel und er wolle das gar nicht :O
Von:  ryuto-chan
2013-12-16T15:16:12+00:00 16.12.2013 16:16
*quiiiiieeeetsch*
Sag du nochmal, daß diese Geschichte schlecht ist *o*. Ich habe sie regelrecht verschlungen.

Prinz Val =D
Wahahahaha, ich habe Crimson Spell zwar selbst noch nicht gelesen (muß ich aber endlich mal nachholen, vor allem nach Juns Vergleich), aber alleine die Sache mit dem Zauberstab. Sowas darf man echt nicht im Zug lesen, wenn man nicht schief angeguckt werden will. Wie gut, daß ich heute nach Fachrechnen nur noch Werte und Normen (wo wir einen total dämlichen Film geguckt haben -.-) und Politik hatte, da konnte ich wenigstens weiterlesen =D.

Kirito. Boa, wie ich dem am liebsten eine reinschlagen wollte! Aber ich war echt froh, daß Jui ausgerechnet von Giru gewarnt worden ist, wo doch ihr Verhältnis eigentlich so schlecht ist. *grrrrrrrr*

-„In Shingos Träumen machen JuJu es bestimmt noch viel doller als in echt.“-
JuJu!
Ich mußte so lachen. Vor allem, wie Toya und Shingo dann auch noch erklären, was das heißt. Und dann die Szene mit der Toilette =D. Absolut göttlich!

Toya... Ja... Also... Mou~... Irgendwie tut er mir am Schluß gerade total leid Q.Q. Und dann hast du es auch noch so fies offen gelassen, warum die ganzen Taschentücher da lagen. Okay, klar, es läßt eine Vermutung ganz deutlich hervorstechen, aber das ist sooooo gemein *schnief*. Ich leide doch immer so mit =(. Wehe du läßt Masa auch so im Regen stehen Q.Q.

Aaaaaaber eines ist nun sicher, ich bin total vernarrt in deinen Schreibstil *\(^o^)/*.

LG ryu
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T14:44:49+00:00 27.11.2013 15:44
O_____o
Hö...? Das hab ich jetzt hoffentlich falsch verstanden mit Toya... also wollte er doch was von Jun?!

Das ist ja echt fies ;A; Man denkt so: awww alles gut! Und dann so eine Bombe am Ende :')
Schade auch, dass Kirito nicht noch mal vorkam.. mit dem hätte ich ja noch ein Hähnchen zu rupfen gehabt :<

Aber soweit eine furiose FF, mit krachendem Ende :)
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T14:34:55+00:00 27.11.2013 15:34
XDDDDDDDDDDDDD
Ich hab mich bei den Witzen sowas von weggeschmissen xD die sind schon lustig, irgendwie xD

Aber das mit Kirito oO Also hat er Ju..i so ziemlich hintergangen?! QQ das macht ihn allerdings weniger heiß ûu
Ich freue mich allerdings für Jun und Jui, dass sie sich endlich wieder vertragen haben :3
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T14:06:55+00:00 27.11.2013 15:06
Toya ist ja geil XD Kleiner Spielsuchtie :3

Aber das mit Undercode...ein bisschen war das ja schon 'Vorhersage' von dir :'D Keine Ahnung ob es wirklich an der wirtschaftlichen Lage des Labels lag, dass Kisaki es auflösen musste, aber auf jeden Fall hat es sich ja leider aufgelöst..wie hier von dir angedeutet ^^" Wow.
Tja ansonsten..bin ich ja gespannt, wie das mit Jui und Jun weitergeht oo Ob Jun ihm so einfach verzeiht..
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T13:48:46+00:00 27.11.2013 14:48
"Was sind das für Deppen?!", war das erste, was mir eben am Ende durch den Kopf schoss oO Also ich muss sagen, Ju...Jun (pinke Haare X'D) verstehe ich ja noch! Das mit Toya..ok, nachdem Jui so eine Sache gerissen hat. ok, warum nicht verabreden, die Chance nutzen.
Aber dass Jui sich dann sofort - und ausgerechnet mit Kirito (so heiß er auch ist >.<) zu verabreden..schön blöd. die beiden spinnen doch, ehrlich xD
oh und Rikuuuu :3 Der ist mir ja auch sehr sympathisch :3
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T13:34:50+00:00 27.11.2013 14:34
Argh, mexx ist doof X'D Der erste Kommentar sollte natürlich auch zum ersten Kapitel gehören ^^"

Und dieses Kapitel hier...war ja der Wahnsinn! Mit Kirito hatte ich nun gar nicht gerechnet! Aber er ist irgendwie..heiß beschrieben hihi :)
Was ich mich wegen Jui übrigens frage: ist das echt so gewesen, dass ihn keiner mehr richtig leiden konnte?! Oo Kann man sich bei dem niedlichen Gesicht nicht vorstellen xD Dass Leute sauer auf ihn sind.
Aber bisschen blöd ist er schön, dass er da mit Kirito rummacht, während er ja 'irgendwas' mit Jun am Laufen hat ûu Dass der Kleine sich auch Sorgen macht und gucken kommt, ist ja eigentlich logisch, aber nein..auch ein Jui ist schwanzgesteuert ^^""
Von:  Phoenix_Michie
2013-11-27T13:17:02+00:00 27.11.2013 14:17
Ach Mensch, warum hab ich das nicht schon vorher angefangen zu lesen? xD
Die beiden sind mir ja auf Anhieb sympathisch, genauso wie dein Schreibstil *^* Der ist wirklich schön :3 Nicht so plump, sondern abwechslungsreich und gut kombiniert. Findet man ja so ausgereift sehr selten.
Ach Jun und Jui sind teilweise schon sehr witzig xD' Ich hatte einiges zu lachen ^^

oh und..never fuck the company?! Ich dachte, ich wäre die Einzige, die den Spruch kennt! Aber er ist doch noch anderen, in diesem Fall dir, ein Begriff, juhu XD

*gespannt weiter les*
Von:  Panakeia
2013-10-30T20:28:45+00:00 30.10.2013 21:28
also...
ich hab mir das ganze kapitel über gedacht: und dein letzter kommentar zu dieser ff wird zusammenfassend und konstruktiv und kein rumgequietsche oder so.
Un jetz sitz ich hier und... waaah!

Okay, ich geb mein bestes! Also, die ff is eine der Besten, die ich in letzter Zeit gelesen hab. Ich wollte was mit Charlotte und hatte eigentlich nich viel Hoffnung, weil es doch nur wenige Autoren gibt, die über unbekanntere bands schreiben. Aber dann bin dann aber hier gelandet. zum Glück! xD

Die story an sich fand ich recht niedlich ^^ auch die Sache mit dem eifersüchtig machen und so xD
Dein Schreibstil find ich auch echt gut! Ich mags, wie du lange Szenen, in denen an sich nicht sehr viel passiert, so schreiben kannst, dass sie doch nicht langweilig werden. Allgemein hab ich viel gelacht! xDD Einige Szenen waren wirklich Gold wert!! xD
Außerdem sind die Charaktere nicht oberflächlich. Sogar Nebencharas wie Kirito sind so genau beschrieben, dass es mir wirklich nicht schwer gefallen ist, sie direkt vor meinem inneren Auge zu haben, obwohl ich sie nicht sehr gut kenn.

Und das Ende. Das Ende!!
Ich bin extra nochma in die Beschreibung zurück und hab geguckt, ob das WIRKLICH das letzte Kapitel is.
Was hast du getan T_T Alles war so schön .__. Und ich war so happy und hatte so ne gute Laune, weil alles so perfekt schien (und ich bin an sich kein fan von ffs, bei denen alles Friede-Freude-Eierkuchen ausgeht).
Und ich dachte: Hah! Sie bekommen ein schönes Ende ._. Das haben sie wirklich verdient!! Nach all dem Mist, den sie fabriziert haben!
Und dann... haust du da das mit Toya raus. Und mir is echt n kleines geschocktes "fuck" über die Lippen gerutscht.
Noch im letzten Kommi hab ich mich so über Toya gefreut und wie sehr ich ihn mag und wie toll er is und dann...

Wie du siehst, hat mich das Ende etwas aus der Bahn geworfen ûu" ich hatte echt nich damit gerechnet. Aber trotzdem... find ichs irgendwie richtig gut.
Alles in allem: Eine super fanfic.
Tolle Bandauswahl, toller Schreibstil.
Mir fällt wirklich nichts zum Meckern ein!
Daumen hoch ^^

Keia
Antwort von:  --Tsuki--
31.10.2013 00:07
Ohhh, vielen vielen Dank für dein umfassendes, konstruktives Feedback *_*
Hätte gar nicht mehr erwartet, dass noch jemand diese Geschichte liest und freue mich umso mehr, dass es jemand getan hat und dann auch noch gleich so viele Kommentare dagelassen hat *_* Schön, dass es dir gefallen hat und dass ich dich auf diese Weise unterhalten konnte und mit der Bandwahl anscheinend auch ins Schwarze getroffen habe ^^
Also danke, danke, danke~~ ^-^


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