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My Precious Story

von

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We're living in a dream

Jeden Morgen, wenn ich aufwache, stellt sich mir die gleiche seltsame Frage. Warum ist es falsch, anders zu sein? Warum wird man ausgegrenzt, wenn man sich traut anders zu sein? Warum wird man erst akzeptiert, wenn man sich der Masse gebeugt hat?

Bis jetzt habe ich noch keine Antwort auf diese Fragen gefunden. Doch jeden Tag bestätigt sich, was ich denke.

Ich will nicht sein wie die anderen, nur um dazu zu gehören. Wenn ich etwas mag, dann zeige ich das auch. Natürlich wäre es um Längen einfacher, sich einfach so zu geben, wie die Masse es will. Angepasst, gleich, beinahe unsichtbar. Aber was nützt mir so ein Leben, wenn ich dann so tun muss, als sei ich jemand anderes? Das will ich nicht. Ich möchte sein wie ich sein will.

Das Ungerechte an der ganzen Sache ist, dass die Leute, wie ich, die sich trauen sie selbst zu sein, dafür bestraft werden und die Leute, die sich brav der Masse beugen, anerkannt werden.

Doch noch viel mehr möchte ich, dass die Menschen akzeptieren, dass nicht jeder den gleichen Geschmack hat. Es gibt so viele Menschen auf der Erde und meiner Meinung nach wäre es sichtlich langweilig, wenn wir alle gleich wären.

Ich lebe so, wie ich gerne möchte. Das tut keinem weh.

Auch wenn ich vorgebe, dass mir die dummen Kommentare und Pöbeleien egal wären, trifft es mich immer wieder hart. Ich bin es gewohnt und weiß, dass diese Leute einfach nur unwissend sind. Jedoch macht es mich immer wieder traurig, dass sich das Wort „Akzeptanz“ noch nicht in jedermanns Wortschatz eingeprägt hat. Und das in so einer modernen Gesellschaft.

Es ist schwer man selbst zu sein, in einer Gesellschaft, die einem zu Jemand machen will, der du nicht bist.

Mir ist klar, dass ich die Welt nicht ändern kann. Aber ich kann den Anderen meine Meinung sagen.

Dies ist meine Geschichte.

Every time I look into your eyes

„Ruhe bitte!“ Schlagartig verstummten die aufgeregten Gespräche und jeder drehte sich nach vorn zur Tafel. „Das ist euer neuer Mitschüler. Bitte seid nett zu ihm.“ Meine neue Klassenlehrerin, welche sich mir bereits vor dem Betreten des Klassenzimmers als Frau Lindberg vorgestellt hatte, lächelte mich an. Langsam hob ich den Kopf und blickte durch meine blonden Ponyfransen durch die Klasse. Ungefähr 22 Augenpaare starrten mich interessiert an. Die ganze Sache war mir total unangenehm, also stellte ich mich mit stotternder Stimme vor. „Hallo… ich bin Johio.“ Ich versuchte zu lächeln, aber meine neuen Mitschüler bemerkten sicherlich, dass mir gar nicht nach lächeln zumute war. Insgeheim hatte ich tierische Angst, dass alles wieder so wird wie in meiner alten Schule.

„Warum kommst du zwei Monate vor den Sommerferien zu uns? Ist das nicht sinnlos?“, fragte ein dunkelhaariges Mädchen in der ersten Reihe.

Ich sah sie an. „Naja… ich wollte weg. Länger wollte ich nicht in meiner alten Schule bleiben.“

„Wieso?“, fragte sie wieder.

Unschlüssig starrte ich auf den Boden und meinte leise: „Sie haben mich gehasst.“ Als ich meinen Kopf wieder hob, schüttelte ich meine Haare nach hinten. Über meinem rechten Auge konnte nun gewiss jeder die große blaue Stelle erkennen. Einige Schüler blickten mich erstaunt an. Dann setzte ich mich in die letzte Reihe an das Fenster. Das war der einzige freie Platz. Langsam packte ich meine Schulsachen aus und der Unterricht begann, als wäre nie ein neuer Schüler vorgestellt worden. Um meinen Titel als Neuling schnell zu verlieren, nahm ich bereits intensiv am Unterricht teil. In meiner letzten Schule hatte ich ab der 8. Klasse keine Freunde mehr. Niemand verstand, warum ich so war, wie ich war. Sie wendeten sich von mir ab und jeder, der sich einmal meinen besten Freund schimpfte, begann zu leugnen, jemals mit mir befreundet gewesen zu sein. Das tat weh, aber der Wunsch, meinen Schulabschluss zu schaffen, hielt mich vom permanenten Schwänzen ab. Nur Sport lies ich ab und zu mal ausfallen, da ich des Öfteren in der Toilettenkabine eingesperrt worden war, weil sich niemand in meiner Anwesenheit umziehen wollte. Meine Freizeit bestand also daraus zu lernen, zu lesen und Klavier zu spielen. Ab und zu komponierte ich eigene Stücke und spielte sie meiner Mutter vor. Doch sie wollte irgendwann nicht mehr zuhören, da ihr meine Melodien zu traurig waren. Ich wollte mit der Musik meine Gefühle ausdrücken. Die einzige Person, die noch zu mir hielt, war meine Mutter. Mit ihr musste ich auch vor ein paar Tagen nicht lange wegen des Umzugs diskutieren. Deshalb bin ich ihr wirklich dankbar.

Ich ließ meinen Blick durch den Klassenraum schweifen. Hoffentlich, dachte ich, hoffentlich wird es nicht wie früher. Das erste Pausenklingeln riss mich aus meinen Gedanken und bevor ich auch nur in mein herzhaft belegtes Brötchen beißen konnte, hatten sich schon einige Mädchen vor meinem Tisch versammelt. Eingeschüchtert sah ich zu ihnen hoch.

„Siehst du immer so aus?“, fragte mich ein Mädchen mit schulterlangen schwarzen Haaren.

Ich nickte. Mir war aufgefallen, dass bis jetzt noch keiner einen dummen Kommentar zu meiner Kleidung gemacht hatte. Heute hatte ich mich sogar extra zurückgehalten. Ich trug eine schwarze Hose im Bondage-Look, ein schwarzes Shirt mit lilafarbenen japanischen Schriftzeichen, Armstulpen, wenige Nietenarmbänder, ein Nietenhalsband und Creeper. Selbst meine Haare hatte ich heute weniger toupiert und nur meine Spitzen zu Spikes gedreht.

„Was sagen denn deine Eltern dazu, dass du dich schminkst?“, fragte sie weiter.

„Meine Mutter“, begann ich, „sagte mir einen Satz, den ich nie wieder vergessen werde.“ Die Mädchen sahen mich gespannt an und ich fuhr fort: „Als ich ihr das erste Mal zeigte, welche Klamotten und welcher Style mir gefiel, sagte sie ‚Geh deinen Weg, egal was andere sagen werden. Es ist dein Leben. Man wird noch oft von dir verlangen, dass du dich für so eine nichtige Sache rechtfertigen sollst. Doch das musst du nicht. Zeige ihnen, dass du überzeugt von dir bist und du wirst immer mächtiger sein, als sie.‘“ Keiner sagte etwas.

„Wow…“, begann ein blondes Mädchen. „Deine Mutter ist echt cool.“ Ich nickte.

Wir unterhielten uns noch eine Weile. Das schwarzhaarige Mädchen stellte sich mir als Svea vor und die blonde hieß Marit. Sie sagten mir, wer die anderen seien und erzählten noch so einige Anekdoten aus der Schulzeit.

Nach zwei Stunden Mathematik saßen wir gemeinsam in der Kantine und unterhielten uns. Einige Mädchen hatten Musikzeitschriften mit und unterhielten sich über Schauspieler. Andere beschwerten sich über kleine Geschwister und zu wenig Taschengeld. Ich unterhielt mich mit Svea und Marit, als unser interessantes Gespräch über einen neuen Film von einer lauten Stimme am Nebentisch unterbrochen wurde.

„Und dann hat mir Antonia geschrieben, dass sie in mich verliebt sei. Antonia! Stellt euch das mal vor. Sie ist grade mal in der 7. Klasse. Als ob ich was von so einer kleinen Tussi wollte. Ich bin in der 10. Ich steh auf richtige Frauen!“ Ein weiterer Junge mischte sich ein: „Und was ist mit Ida? Ihr wart doch auch zusammen, oder?“ „Oh ja. Wir haben uns getroffen, aber Ida ist eine arrogante Ziege. Nur weil wir einmal etwas miteinander hatten, heißt das nicht, dass ich ihr was zum Geburtstag kaufe. Sie wollte eine teure Kette.“ – „Verdammt“, erwiderte der andere Junge, „dabei sieht sie so unschuldig aus. Die kann ich mir dann wohl abschminken.“ – „Wolltest du was von ihr?“, fragte der erste wieder.

Ich drehte mich um und sah wie der zweite nickte. Ein dritter Junge am Tisch mischte sich ein und erzählte von seiner letzten Freundin, die Schluss gemacht hatte, weil er lieber Fußball gucken wollte, anstatt sich mit ihr zu treffen.

„Selber schuld“, murmelte ich und die Mädchen in Hörweite kicherten leise.

Der Junge mit der lauten Stimme hatte tiefschwarze Haare und der Pony hing ihm nicht so stark im Gesicht wie bei mir. Er prahlte mit noch anderen Mädchengeschichten, aber scheinbar war Keine gut genug für ihn. Als er bemerkte, dass ich ihn anschaute, verzog sich sein Gesicht und er sagte zu mir: „Was gibt’s zu glotzen, Blondie? Hast wohl kein eigenes Liebesleben, oder? Hahaha. So wie du aussiehst.“ Ich schüttelte den Kopf und grinste in mich hinein.

Svea tippte mich an. „Das ist Erik. Er ist sogar in unserer Klasse. Aber halt dich bloß von ihm fern. Er sieht jedes männliche Wesen, außer seinen Kumpels als Rivalen an und jedes Mädchen versucht er abzuschleppen. Wenn er nicht bekommt was er will, wird er sehr ungemütlich.“

Ich erinnerte mich daran, dass er zu spät gekommen war und später von seinen Freunden über mich aufgeklärt wurde. Solang er mir nichts antat, war er mir egal. Ich beendete das Essen und begab mich mit meinen Freundinnen zurück ins Biologie-Zimmer.

Der Rest des Tages verlief ganz normal und als mich Svea und Marit zum Abschied sogar umarmten, war ich vollends zufrieden. Besser hätte mein erster Schultag nicht laufen können. Zu Hause wartete ich, bis meine Mutter von der Arbeit wiederkam und erzählte ihr beim gemeinsamen Abendessen von meiner neuen Klasse. Sie war sichtlich glücklich, dass ich hier in Göteburg schon am ersten Tag neue Freunde gefunden hatte.
 

Am nächsten Tag traute ich mich sogar, ein etwas auffälligeres Outfit zu tragen, schließlich sollten sich meine neuen Mitschüler schnell daran gewöhnen, dass ich mich nicht so kleidete, wie der Obermacker Erik. Ich entschied mich für einen Bondage-Rock und daran befestigte Beinstulpen, sowie ein ähnliches Shirt wie am Tag zuvor. Meine Haare toupierte ich etwas mehr und auch bei meinem Schmuck hielt ich mich diesmal weniger zurück.

Meine neuen Freundinnen fanden den Look ungewöhnlich, aber irgendwie cool und ich freute mich darüber. Sie fragten mich, was ich als Inspirationsquelle benutzte und zeigte ihnen einige Bilder auf meinem Handy. Es waren Fotos von japanischen Visual Kei Sängern und erklärte ihnen, was Visual Kei ist.

Als Erik das Zimmer betrat und mich sah, weiteten sich seine Augen und kam auf mich zu.

„Du, sag mal. Was bist du eigentlich?“, fragte er mich. Ich sah ihn absichtlich verwirrt an und antwortete nichts. „Bist du ein Mädchen oder ein Junge?“ – „Weder noch“, antwortete ich auf seine dumme Frage und grinste ihn an, „Ich will nämlich weder eine von deinen Schlampen sein, noch dein Rivale.“ Einige Klassenkameraden hatten das Gespräch gehört und fingen laut an zu lachen. Empört drehte er sich zu ihnen und setzte an etwas zu schimpfen, drehte sich dann aber wieder zu mir und schwieg. Ich stand von meinem Stuhl auf und klopfte ihm auf die Schultern. „Sagen wir‘s mal so. Du bleibst der männlichere von uns beiden.“ Wieder begann die ganze Klasse zu lachen. Der Sieg lag definitiv auf meiner Seite. Erik stapfte wütend zu seinem Platz auf der anderen Seite des Zimmers und würdigte mich den ganzen Tag keines Blickes mehr. Mit meinem Kommentar hatte ich mir allerdings neue Freunde gemacht. Ich freute mich riesig, dass meine Klasse so aufgeschlossen war und mich nicht gleich als Freak abstempelte. Selbst einige Jungen begannen sich mit mir zu unterhalten.

Während des Deutschunterrichtes, mussten wir für eine Aufgabe an die Tafel kommen und etwas anschreiben. Es gingen immer mehrere Schüler gleichzeitig vor und schrieben ein Wort an die Tafel, welches sie mit unserem aktuellen Unterrichtsthema „Klassische Literatur“ verbanden. Ich legte gerade die Kreide wieder auf den Lehrertisch und war im Begriff wieder in Richtung meines Platzes zu gehen, als mich meine Deutschlehrerin, Frau Petterson, aufhielt.

„Johio?“, fragte sie mit einem seltsamen Ton. Ich drehte mich um und sah sie an.

„Ich dachte, wir hätten einen neuen Schüler bekommen und keine Schülerin.“ Hatte sie das mit Absicht gesagt? Unsicher begann ich: „Ich bin doch auch ein Schüler.“ Ihr Blick wanderte herunter zu meinem Rock. „Aber seit wann tragen Jungen denn Röcke?“ Sie wollte mich provozieren, das war mir nun klar. Jeder andere hätte sich umgehend entschuldigt.

„Ich kann anziehen was ich will. Ihnen muss es ja nicht gefallen. Wenn Sie ein Problem damit haben, dass jeder Mensch und vor allem junge Menschen einen unterschiedlichen Modegeschmack hat, hätten sie keine Lehrerin werden sollen.“ Als ich meinen Satz beendet hatte, bemerkte ich erst was ich gesagt hatte. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, als könnte ich somit meine Worte zurücknehmen. Frau Petterson starrte mich ungläubig an und schließlich änderte sich ihr Gesichtsausdruck in Ärger.

„Für wen hältst du dich eigentlich?“, schrie sie mich an.

Ich hielt ihren Blick stand und antwortete, nachdem ich mich wieder gesammelt hatte, mit fester Stimme: „Das ist meine Meinung. Und wenn sie mich benachteiligen, nur weil ihnen nicht gefällt, dass ich Röcke trage, dann gehe ich zum Direktor.“ Wenige Sekunden sah ich ihr noch in die Augen, danach machte ich auf meinem nicht vorhandenen Absatz kehrt und setzte mich wieder. Für den heutigen Tag war Frau Petterson sichtlich bedient, denn ihr Unterricht erschien mir wie ein einziges Durcheinander. Vielleicht war ich es ja auch, der in Gedanken immer woanders war, da ich während dem ich mich mit der Lehrerin gestritten hatte, immer wieder einen bohrenden Blick im Rücken gespürt hatte.

In der Kantine erfuhr ich von Marit, dass Frau Petterson schon einmal fast von der Schule geflogen wäre, weil sie eine Schülerin beleidigt hätte. Die gute Frau liebte es anscheinend, ironische und sarkastische Kommentare zu verteilen. Ich war zufrieden; mein Soll für heute war erfüllt. Da setzte sich plötzlich Erik neben mich und begann mich zu belegen: „Also glaub jetzt ja nicht, du wärst cool. Jeder hat mal eine Phase, wo ihm ein cooler Kommentar rausrutscht. Aber die Phase hast du nur ein Mal gehabt. Ich habe sie jede Tag.“

Ich blickte auf, sah ihm in die Augen und schüttelte den Kopf: „Und was wolltest du mir mitteilen? Ich habe keinen Bedarf mit dir zu reden.“

Dafür dass er sich für so einen tollen Hecht hielt, war er an meinem Kantinen-Stammtisch ziemlich unbeliebt. Ich fragte mich, wo seine ganzen Fans geblieben sind. Später erfuhr ich, dass seine Verehrerinnen zuhauf aus den kleineren Klassen kamen.

Seit meinem Streit mit der Lehrerin genoss ich viel mehr Ansehen, als zuvor. Ich wunderte mich am Abend, warum es an meiner alten Schule genau umgekehrt war. Hier war ich plötzlich total beliebt, obwohl ich mich für einen Jungen ziemlich weiblich stylte. Außerdem hat mich hier noch niemand gefragt, ob ich schwul sei. Zum Glück. Ich hasste diese Frage.

Damals war es anders. Wahrscheinlich lag das daran, dass mich die Schüler länger kannten. Sie wussten, wie ich vorher aussah und erlebten mit, wie ich mich veränderte. Damit kamen sie nicht klar. Ich hatte ihnen immer wieder versucht zu erklären, dass ich immer noch Johio bin, nur eben mit anderen Klamotten. Außerdem ließ ich sie wissen, dass ich keinesfalls von ihnen verlangte meinen Kleidungsstil zu mögen. Sie sollten es schlicht und einfach akzeptieren. Aber das war leichter gesagt als getan. Leider. Trotzdem verstand ich nicht, warum sie mich so fertig machen mussten. Nachdem sie mich beinahe krankenhausreif geprügelt hatten, stand für mich fest, dass ich ihr nicht mehr wohnen möchte. Selbst Leute, die ich gar nicht kannte, quatschten mich im Kaufhaus dumm von der Seite an.

Ich blickte in den Spiegel und strich mit zwei Fingern über die Beule über meinem Auge. Egal wie viel Make-Up ich benutzte, sie war immer noch zu sehen. Eine letzte Erinnerung an meine alte Schulzeit. Wie froh war ich doch, endlich Freunde gefunden zu haben.
 

Bei den anderen Lehrern war ich beliebter, denn ich erwies mich als fleißiger Schüler. Ich gehörte fast immer zu den Besten der Klasse und schrieb sehr gute Noten. Einige Mädchen nannten mich einen Streber, doch das war mir immer noch lieber, als „Schwuchtel“ genannt zu werden.
 

„Johio, kommst du mit nach Berlin?“, fragte mich Svea eines Morgens. Noch verschlafen fragte ich: „Berlin? Wieso das?“ – „Klassenfahrt. Und wir wissen nicht, ob du mit kommst.“

Ich richtete mich auf und überlegte. „Naja, ich würde gerne mitkommen. Aber ich muss noch die Lehrerin und meine Mutter fragen. In Berlin kann man cool shoppen.“ Ich grinste meine Freundinnen an. „Juhu“, schrie Marit auf, „endlich ein Junge, der sich nicht vor dem Shoppen gehen drücken will.“ Die Mädchen machten sofort Pläne, in welche Läden wir zusammen gehen sollen. Es wurde auch die Entscheidung gefällt, dass wir uns Freundschaftsketten kaufen würden. Bei dem Gedanken wurde mir ganz warm ums Herz und ich hoffte inständig, mitfahren zu können.

Nachdem ich mit meiner Lehrerin und meiner Mutter geredet hatte, rief ich Marit an und erzählte ihr von der freudigen Nachricht.

„Du wirst es kaum glauben, aber ich darf mit.“ Marit jubelte.

„Ich freue mich schon total auf die Klassenfahrt. Da hat man immer so viel Spaß“, erzählte sie mir und fügte gleich noch eine lange Ausführung über eine andere Klassenfahrt mit an, bei der zwei Jungen aus dem Fenster klettern wollten, um abends heimlich in den Wald zu gehen. Ich hörte ihr geduldig zu und sagte auch, dass meine letzte Klassenfahrt in der fünften Klasse war. Damals, als wir alle noch klein waren. Ich schwelgte kurz in Erinnerungen, doch dann wurde ich zum Abendessen gerufen.

„Es gibt Abendessen, also muss ich jetzt auflegen“, sagte ich.

„Okay, dann bis morgen.“ Marit legte auf und ich ging in die Küche.

I'm still searching for that story we always dreamt of

„Denkt dran“, rief Frau Lindberg in die Runde, „am Montag treffen wir uns um 6 Uhr vor der Schule. Dass mir ja keiner zu spät kommt! Ich kenne euch doch!“ Dabei schielte sie auf zwei Jungen, die anscheinend beste Kumpel waren und die Klasse lachte.

„Frau Lindberg, die Zimmeraufteilung?“, rief ein Mädchen.

Meine Klassenlehrerin hielt inne und schlug dann die Hände über dem Kopf zusammen. „Oh stimmt. Danke, dass du mich erinnerst. Also, Leute! Es gibt nur Doppelzimmer. Und jeweils nur zwei Jungs oder zwei Mädchen in einem Zimmer. Unser Reisebus ist voll belegt, also können wir keine Babys mit nach Hause nehmen.“ Die Klasse feixte.

„Findet euch mal schnell zu Pärchen zusammen, damit der Streit nicht Montag früh losgeht.“, schrie die Lehrerin schon fast, da alle bereits auf Klassenfahrt eingestellt waren und wild durcheinander redeten. Doch die Pärchen waren schnell gefunden. Nur ich stand am Ende blöd rum und hatte niemanden. Gut, dachte ich mir, dann kann ich eben alleine in einem Einzel… „Nein!“, schrie es plötzlich neben mir, „Das ist zu viel des Guten!“ Ich drehte mich um und neben mir stand Erik.

„Du?!“, fragte ich gespielt angeekelt und machte eine Handbewegung. Die anderen lachten.

„Sag bloß nicht, mit dir will keiner in einem Zimmer schlafen? Ich dachte du bist so beliebt?“, fuhr ich fort und grinste ihn an. Die anderen konnten ihr Kichern kaum unterdrücken, doch damit das Ganze nicht noch peinlicher wurde, mischte sich die Lehrerin ein.

„So Jungs, ihr beide in einem Zimmer. Das wird wohl nicht so kompliziert sein. Keine Widerrede!“ Erik wollte gerade widersprechen, doch ein Kumpel zog ihn von mir weg. Ich schüttelte den Kopf und meinte zu Svea: „Das kann ja was werden…“ Sie nickte und bedauerte mich.

Am Abend erzählte ich meiner Mutter davon.

„Das ist doch die perfekte Gelegenheit ihm ins Gewissen zu reden, oder?“, fragte sie mich.

„Ja schon, aber wer weiß, ob er privat noch schlimmer ist. Der träumt dann noch nachts von seinen Freundinnen und macht bestimmt komische Geräusche“, beschwerte ich mich. Schon bei dem Gedanken daran, kam mir das Gruseln. Meine Mutter fand den Gedanke eher lustig.

„Ach komm schon. Vielleicht ist er in Wirklichkeit ein totales Weichei. Du kennst doch diese Jungs, die immer so tun, als wären sie die Aufreißer schlechthin, aber in Wirklichkeit haben sie nur ihre Mutter nackt gesehen.“ Ich lachte bei dem Kommentar und biss in meinen Apfel. Kauend überlegte ich nach einer passenden Antwort. „Du meinst also, dass er nur wenige Freundinnen hatte?“, fragte ich sie. „Nun ja“, entgegnete sie mir belustigt, „ich tippe da eher auf gar keine Freundin.“ Ich sah sie erstaunt an. „Meinst du?“ Wenn ich daran dachte, musste ich lachen.

Ich bin wirklich glücklich darüber, dass ich mit meiner Mutter über solche Themen reden kann. Sie ist eine sehr offene Frau und auch immer ehrlich zu mir. Wenn ihr etwas nicht gefällt, sagt sie mir das klipp und klar. Ob wohl andere Kinder, auch eine solche Mutter haben? Ich bin mir nicht so sicher.

Gemeinsam packten wir dann noch meinen Koffer und schrieben eine Liste, was wir morgen zum Samstag noch alles kaufen müssen.
 

Am nächsten Tag gingen meine Mutter und ich in den Supermarkt. Ich trug wie immer Kleidung, die mich nicht wirklich als einen Jungen zu erkennen gab. Doch sah mich keiner komisch an, weil jeder dachte, ich wäre in Mädchen. Auch eine Gruppe Jungen, welche bestimmt wenige Jahre älter waren als ich, befanden sich zwischen den Regalen und beredeten eine Party am Abend. Sie kauften diverse Chipssorten und Bierflaschen. Als einer von ihnen mich sah, kam er auf mich zu. Ich legte gerade eine Packung Äpfel in den Einkaufswagen, als ich ihn aus den Augenwinkeln sah.

„Hey Kleine“, begann er und kam aufdringlich nahe, „heute Abend steigt eine Party bei mir. Kommst du vorbei?“ – „Wieso?“, fragte ich unschuldig und sah ihn mit großen Augen an. Langsam hatte ich Gefallen daran gefunden, andere Leute zu veralbern.

Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte mich an: „Du bist echt supersüß. Meine Kumpels und ich würden sich freuen, wenn wir heute Abend Gesellschaft hätten.“ Die anderen Jungs grinsten und winkten mir.

„Ihr findet mich also süß?“, erkundigte ich mich und musste sehr aufpassen, dass ich nicht laut loslachte. Meine Mutter stand nur ein Regal entfernt und hörte zu.

„Ja klar“, sagte er wieder und streifte meinen Arm. Ich lächelte ihn an und er lächelte zurück. Wahrscheinlich dachte er, dass ich gleich zu sagen würde, denn er wusste nicht wie sehr ich mit mir zu kämpfen hatte. Am liebsten hätte ich ihn ausgelacht.

„Du, oder besser gesagt ihr, seid sehr oberflächlich“ Ich blickte abwechselnd zu ihm und zu seinen Freunden. Diese hatten sich inzwischen auch genähert.

„Wieso?“, fragte einer der anderen sichtlich verwirrt.

„Tja…“, begann ich und sah zu Boden. Als ich aufblickte fuhr ich fort: „Ihr findet mich nur wegen meinem Aussehen so süß, oder? Was ist mit meinem Herzen? Findet ihr das auch süß?“ Ich verzog mein Gesicht und der erste Junge meinte: „Natürlich, so ein süßes Mädchen hat bestimmt auch so ein süßes Herz. Ich finde das gerne heraus heute Abend.“

Ich konnte mein Kichern fast nicht mehr unterdrücken. Einige ältere Damen lauschten bereits unserem Gespräch. Sie standen mit ihren Einkaufswagen etwas weiter weg, aber für mich standen sie immer noch in Hörweite. Ich schnappte auf, wie eine der Damen zu ihrer Freundin sagte: „Die Jugend von heute. Wann merkt der Bursche endlich, dass seine Angebetete kein Mädchen ist?“ Die Freundin lachte. Mehr hörte ich nicht.

„Du kennst mein Herz nicht“, sagte ich ihm, ohne meinen Blick von ihm zu lösen, „Und außerdem hab ich gar nicht gedacht, dass du vom anderen Ufer bist.“ Ich sah die Fragezeichen förmlich über ihren Köpfen und musste wieder grinsen. „Mein Herz ist männlich.“

Der Junge, welcher mich als erstes angesprochen hatte, starrte mich an und den anderen klappte die Kinnlade runter. „Mund zu, sonst kommen die Fliegen!“, sagte ich lachend und ging zu meiner Mutter. Doch nur wenige Sekunden später kam der Junge wieder auf mich zu und schrie halb: „Das war nur ein billiger Trick! Du bist doch kein Junge!“ Ich lachte wieder, nahm seine Hand und schob sie unter meinen Rock. Er erstarrte vor Schreck, schrie dann auf und rannte zu seinen Kumpels. Innerhalb von weniger als 5 Minuten waren sie auch schon durch den Ausgang aus dem Supermarkt verschwunden.

Meine Mutter hörte kaum mehr auf zu lachen und auch ich fand das Zusammentreffen äußerst amüsant. Die alten Damen hatten auch ihren Spaß. Jetzt konnten sie ihren Enkeln was erzählen.

Zu Hause packten wir den Rest zusammen und ich stellte mich den ganzen Sonntag seelisch und moralisch darauf ein, dass ich mir nun mit Erik beinahe eine Woche ein Zimmer mit Bad teilen müsste. Der bringt mich doch morgens um, wenn ich früh aufstehe und mich style, dachte ich. Aber was soll’s. Das ist seine gerechte Strafe.
 

Am Montagmorgen ging Erik mir die ganze Zeit aus dem Weg. Mir machte das nichts aus, schließlich hatte ich meine Freundinnen. Wir tauschten uns auf der Fahrt über diverse Dinge aus, lasen Zeitschriften und spielten Stadt-Land-Fluss. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Auf dem Weg nach Deutschland hielten wir in Kopenhagen um gemeinsam etwas zu essen. Fast die ganze Klasse saß in einer Ecke, außer Erik und seine Freunde. Wir teilten uns alle mehrere McDonalds Menüs, sodass jeder von jedem etwas essen konnte. Einige Mädchen wunderten sich, weil ich so viel essen konnte und trotzdem scheinbar nicht zunahm. Wir hatten so viel Spaß und selbst die 2 Lehrer beteiligten sich an unserem ausgelassenen Gespräch, sodass keiner Lust hatte wieder in den Bus zu steigen.

Satt und zufrieden versuchte ich den Rest der Fahrt zu schlafen, aber die anderen hielten mich wach. Nach weiteren 3 Stunden kamen wir endlich in Berlin an und ich warf mich zuerst auf das schöne Bett in meinem Hostelzimmer. Dass Erik auf dem Bett daneben saß und ein langes Gesicht zog, ignorierte ich gekonnt und begann seelenruhig meine Sachen auf dem Nachttisch zu verteilen. Ohne ihn zu beachten, belagerte ich auch das Bad, um mich dann auf mein Bett zu setzen und zu lesen. Das Zimmer war so groß wie ein ganz normales Doppelzimmer. Es gab einen kleinen Schrank und zwei Regale, sowie für jedes Bett einen Nachtschrank mit einer Nachttischlampe. Der Blick aus dem Fenster war nicht sonderlich spektakulär, aber wenn man sich weit nach draußen beugte, konnte man sogar den Fernsehturm sehen.

„Denk ja nicht, mir macht das Spaß“, begann Erik plötzlich und ich zuckte zusammen. Seine Stimme war leiser als sonst. Ich drehte mich um und legte das Buch zu Seite.

„Sind ja nur vier Nächte“, meinte ich und stand auf, „Wir sollten langsam runter. Die Lehrer machen noch eine Belehrung und geben uns den Plan.“ Ich legte das Buch auf das Bett und öffnete die Tür. Erik rannte fast an mir vorbei und nahm die Treppe anstatt den Fahrstuhl. Und das im 5. Stock!

Als ich unten ankam, fragen mich die anderen, wo denn Erik sei.

„Der ist die Treppe gelaufen. Fragt mich nicht warum“, erklärte ich ihnen und gesellte mich auf das Sofa im Aufenthaltsraum, wo wir uns gerade befanden. Als Erik ankam, grinsten einige meiner Mitschüler und auch ich wollte ihn am liebsten damit aufziehen.

Der Plan für die nächsten Tage stand. Heute gingen wir nirgendwo mehr hin, denn es war schon 19 Uhr. Morgen wollten wir eine Stadtrundfahrt machen, bei der wir am Brandenburger Tor und am Alexanderplatz aussteigen wollten. Mittwoch hatten die Lehrer vor, mit uns in das Berliner Stadtgeschichtsmuseum zu gehen. Danach durften wir auf den Kurfürstendamm und anschließend am Abend ins Hard Rock Cafe. Darauf freute ich mich schon besonders.

Donnerstag stand ein Besuch des deutschen Bundestags auf dem Plan und den Rest des Tages hatten wir Freizeit.

Ich war zufrieden mit dem Plan und freute mich schon auf viele lustige Stunden mit meinen Freunden. Das einzige, was mir gegen den Strich ging, war Eriks dummes Gesicht. Aber dagegen konnte ich nicht viel machen.
 

Am selben Abend lag ich mit dem Rücken zu Erik im Bett und las mein Buch. Auch er las irgendetwas, aber ich hatte nicht genauer hingesehen.

„Johio“, begann er plötzlich. „Ohne Schminke siehst du voll anders aus.“

Ich drehte mich zu ihm. „Ach ja? Sag bloß, du hast mich vorhin angesehen.“

„Ist ja logisch. Schließlich muss ich deine blöde Visage noch ein paar Tage ertragen.“, entgegnete er mir und sah mich an.

„Und das ‚anders‘. War das jetzt positiv oder negativ zu verstehen?“ Ich merkte, dass die Frage ihm ganz und gar nicht gefiel. Wie erwartet, antwortete er „Neutral“.

Ich seufzte und vertiefte mich wieder in mein Buch. Insgeheim erwartete ich, dass er mich wieder ansprach, doch er sah mich nur still an. Das sah ich aus den Augenwinkeln.
 

Entgegen meiner Erwartungen hatte ich diese Nacht himmlisch geschlafen. Ich stand auf und sprang unter die Dusche. Halblaut sang ich ein Lied und schrubbte mir die Haare. Als ich mich gerade abtrocknete, fiel mir auf, dass ich meine Klamotten auf dem Bett hatte liegen lassen. Also band ich mir ein Handtuch um die Hüften und rubbelte meine Haare so, damit sie nicht mehr tropften. Erik schlief eh noch, von daher musste ich mir garantiert keinen dummen Kommentar von ihm anhören.

Ich öffnete also die Badtür und schlich nur mit einem Handtuch bekleidet zu meinem Bett. Und ich erschrak höllisch, als ich sah, dass Erik bereits aufgewacht war. Er starrte mich entgeistert und drehte sich mit einem Ruck um. „Zieh dir was an, verdammt!“, schrie er von unter der Decke hervor.

„Jaja“, sagte ich seelenruhig und fügte noch hinzu: „Rede mit mir nicht, wie mit einem Mädchen.“ Ich zog mich fertig im Bad an und begann mich zu stylen. Ich ließ mir dabei alle Zeit der Welt. Irgendwann stürmte Erik ins Bad und forderte mich auf, das ganze Beautyprogramm draußen weiter zu machen. Auf eine Diskussion hatte ich so früh am Morgen noch keine Lust, also nahm ich meine Schminke und mein Haarspray und machte im Zimmer weiter.

Als Erik aus dem Bad raus war, ignorierte er mich wieder gekonnt und ging früher als ich zum Frühstücksraum.

Irgendwann war ich dann auch endlich soweit und bediente mich an dem leckeren Buffet. Ich setzte mich zu meinen Freundinnen und hörte, wie Erik über mich schimpfte.

Heute war die Stadtrundfahrt geplant. Nach dem Frühstück holten wir unsere Sachen und vor allem Ersatzakkus für unsere Kameras und folgten unserer Lehrerin. Der zweite Lehrer unterhielt sich mit einigen Jungs über Fußball. Für mich zählte er schon fast nicht mehr als Lehrer, sondern eher als Ersatzschüler. Kaum sahen wir den roten Doppelstockbus für die Rundfahrt, stürmten wir schon kreischend los, um auch ja einen Platz oben zu bekommen. Ich saß bei Svea und Marit.

Während der Fahrt machte ich sehr viele Fotos und konnte aber trotzdem noch mit meinen Freundinnen über Dies und Jenes reden.

Am Brandenburger Tor gönnten wir uns einen Hot Dog zum Mittagessen und genossen die Sonne. Es war ein richtig schöner Sommertag. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Auf dem Platz tummelten sich noch viele andere Schulklassen, sowie Touristen aus aller Welt. Ich fand es schon immer interessant, Menschen zu beobachten, also saß ich des Öfteren still da und verfolgte die Leute mit meinem Blick.

Am Nachmittag kamen wir am Alexanderplatz an. Dort hatten wir auch Freizeit, sodass ich und viele andere Mädchen eine große Kiste Donuts kauften. Mit den Kisten in einer schönen Tüte verpackt, streiften wir dann durch das große Shoppingcenter und hatten jede Menge Spaß. Zu viel Spaß sogar, da wir beinahe die vereinbarte Zeit vergaßen. Schließlich gab es hier doch so viele schöne Läden.

Mit einem Eis in der Hand trotteten wir wieder zum Treffpunkt. Auch die andere Mädchengruppe hatte sichtlich zugeschlagen bei den Einkäufen, denn jede von ihnen trug mindestens einen Beutel.

Als wir am Abend wieder im Hostel waren, sagte ich zu Marit: „Weißt du… ich bin echt froh, dass ihr alle so lieb seid. Auch wenn das der erste Tag in Berlin ist, aber so viel Spaß wie heute hatte ich noch nie mit anderen.“ Ich lächelte sie an und ein paar andere Klassenkameraden kamen hinzu.

„Ich könnte mir niemals vorstellen, mit meiner früheren Klasse auf eine Klassenfahrt zu fahren.“, setzte ich fort und sah meine neuen Klassenkameraden an. Wenige Sekunden später umarmten sie mich alle gemeinsam und ich freute mich total. Meine Klassenlehrerin stand am Rand und beobachtete das Ganze. Auch sie lächelte.
 

Später stand ich gerade im Bad und entledigte mich meines Schmuckes und entfernte die Schminke aus dem Gesicht. Dabei sag ich eine erfundene Melodie. Ich warf mir schnell meine Schlafkleidung über, um dann so schnell wie möglich in mein Bett zu springen. Schließlich wartete mein Buch auf mich und ich war gerade an einer äußerst spannenden Stelle. Erik war noch bei seinen Freunden. Wer weiß, wann er wiederkam. Ich trat also aus dem Bad und war gerade auf dem Weg zu meinem Bett, als mich jemand an meinem Arm festhielt. Erschrocken drehte ich mich um und blickte in Eriks Gesicht. „Was ist?“, fragte ich genervt und stellte mich auf eine neue Moralpredigt ein.

„Du…“, begann er und lies nicht von mir ab, „…bist du schwul.“

„Diese Frage!!!“, schrie ich fast. Eigentlich wollte ich das nur denken, jedoch rutschte es mir unüberlegt raus. „Auf die Frage habe ich schon lange gewartet. Noch keiner hat sie mir bis jetzt gestellt.“ Erik lies meinen Arm nicht los, sondern drückte noch fester zu.

„Aua, du tust mir weh“, jammerte ich und versuchte mich loszureißen.

„Beantworte meine Frage!“ In seiner Stimme lag ein drohender Ton.

„Nein“, antwortete ich, „ich stehe auch auf Mädchen.“ Das ‚auch‘ in meinem Satz hatte seine Augen weiter öffnen lassen.

„Beides also?“, fragte er und lies mich los. Ich umfasste die Stelle, die er festgehalten hatte. Sie war rot und brannte fürchterlich.

Dann nickte ich und wollte zu meinem Bett gehen, doch er hielt mich wieder fest.

„Was ist?“, fragte ich genervt, „Ich will ins Bett.“

Er sah mich an und wendete den Blick nicht von mir. Ich hörte ihn etwas flüstern, doch ich verstand es nicht. „Was hast du gesagt?“ – „Nichts“ war seine Antwort, doch ich könnte schwören, er sagte etwas wie: „Wenn du doch nur ein Mädchen wärst.“

Ich grinste leicht und sah ihn an. Jetzt hatte ich richtig Lust darauf, ihn zu ärgern.

„Hast du schon mal einen Kerl geküsst?“, fragte er mich wieder. Was sollte die Fragerei? Trotzdem antwortete ich geduldig: „Ja, hab ich. Und?“

„Wie ist das so?“, erkundigte er sich weiter und so langsam wurde mir das zu blöd. Er soll mir endlich sagen, was das sollte. Hatte er etwa ernsthaft vor, meine Welt verstehen zu lernen? Der Gedanke schien mir genauso irrsinnig wie grotesk.

Und das sagte ich ihm auch: „Du bist irgendwie eine groteske Persönlichkeit. Einerseits spielst du dich vor anderen immer auf, als wärst du sonst wie cool und gibst mit deinen Beziehungen an und hinten rum unterhältst du dich mit mir über so etwas. Das passt doch nicht zusammen, oder?“

„Jetzt sag endlich!“ Er beantwortete meine Frage nicht, sondern drückte meinen Arm noch fester.

Ich verzog mein Gesicht und meinte: „Sowas kann man nicht erklären. Oder kannst du beschreiben, wie es ist mit einem Mädchen zu schlafen, Mr. Oberplayer?“

Er schluckte und sah mich an. Dann sagte er: „Es ist schön und geil. So und jetzt du!“

Nun konnte ich nicht mehr vor Lachen und riss mich sogar von ihm los. „Schön und geil…“, prustete ich immer wieder und ich merkte, dass er langsam die Geduld verlor.

„Was ist daran so witzig?“, fragte er mich und ich hatte schon Tränen in den Augen vor Lachen.

„Schön und geil. Das kannst du deiner Oma erzählen.“, antwortete ich ihm und hörte auf zu lachen. „Du hast noch nie mit einem Mädchen geschlafen, oder Erik? Küssen war doch das höchste bis jetzt, oder?“ Er starrte mich entgeistert an. Kein Wort brachte er mehr über die Lippen. Auch ich blieb stumm und wartete auf seine Reaktion. Ich hatte definitiv ins Schwarze getroffen und fühlte mich ihm ein weiteres Mal haushoch überlegen. Mein Soll war erfüllt.

„Wieso…“, begann er plötzlich, „Du bist seit ungefähr einem Monat hier und trotzdem weißt du mehr, als alle anderen?! Wie kommt das?“ Er war schockiert und durcheinander. Das sah ein Blinder. Ich schaute ihn ruhig an und ließ in schimpfen. Als Antwort gab ich ihm nur: „Ich kenne Menschen. Unterschätze mich nicht.“ Dann setzte ich meinen Weg zu meinem Bett fort. Als ich mich hinsetzte und mein Buch nahm, zog er mich hoch und presste mich gegen die Wand, an der mein Bett stand. Das alles ging verdammt schnell und wehren konnte ich mich deshalb auch nicht.

„Was soll das?“, flüsterte ich unsicher. Meine Überlegenheit löste sich in diesem Moment in Luft auf.

Erik starrte mich an. „Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr, dass ich schon gar keine Worte mehr dafür finde. Du bist an allem Schuld. An Allem!“ Ich zuckte zusammen und reagierte nicht auf seine Beleidigungen. Mit einem Ruck packte ich ihn und nun war er derjenige, der an die Wand gedrückt wurde. „Keine Spielchen hier“, flüsterte ich. So langsam hatte ich die Situation wieder im Griff und mein Selbstbewusstsein kam aus einem hintersten Loch wieder hervor.

„Du hast gesagt, man kann es nicht erklären… wie es ist… mit einem Jungen.“, stotterte Erik vor sich hin und ich wartete. Die Spannung, welche in der Luft lag war nahezu spürbar, selbst für einen Außenstehenden 3 Zimmer weiter. Mach endlich, dachte ich, länger halte ich das nicht mehr aus.

„Dann zeig es mir!“, sagte Erik bestimmt, „Küss mich!“

Ich sah im entsetzt in die Augen. Dann lächelte ich und näherte mich mit meinen Lippen seinem rechten Ohr. Ich ließ mit der rechten Hand sein Handgelenk los und strich seine Haare zurück.

„Für die Folgen hafte ich aber nicht, ja?“, säuselte ich ihm ins Ohr. Ich spürte, wie sein Körper erzitterte und er sich verkrampfte. Ohne eine weitere Vorwarnung legte ich meine Lippen auf die Seinen und küsste ihn. Lang und intensiv. Zu meiner Überraschung erwiderte er den Kuss und ich stellte fest, dass er wirklich ein ziemlich guter Küsser war. Meine rechte Hand fuhr erst durch seine Haare und dann wanderte sie an seinem Arm nach unten zu seinen Hüften. Ich spürte, wie sich seine Hände auf meinen Rücken legten und er mich näher an mich heranzog. Seine Küsse wurden immer intensiver, sodass ich mich ernsthaft fragte, ob er wirklich nur küssen wollte, um zu sehen wie es mit einem Jungen ist. Langsam fuhr ich mit meiner Hand in seine Unterhose, die er zum Schlafen trug. Er stöhnte leise auf, löste sich aber nicht von mir. Also ließ ich meine Hand etwas tiefer in die Unterhose gleiten und streichelte ihn an seinen Oberschenkeln. Bei dem nächsten Kuss berührten sich unsere Zungen und ich spürte, wie erregt er war. „Verdammt“, hörte ich ihn hauchen, als er sich kurz von mir löste. Ich grinste ihn an und sagte: „Was ist denn mit dir los? Das bisschen rumgeknutsche macht dich schon so an?“ Ich zog meine Hand aus seiner Unterhose. „Du hattest wirklich noch nie ein Mädchen im Bett, deshalb bist du so notgeil.“ Nach dieser Feststellung küsste ich ihn noch einmal sanft und ließ dann von ihm ab. Er sah mich fordernd an, doch mehr bekam er nicht von mir.

„Es ist schon spät und ich bin müde“, sagte ich gähnend und legte ich in mein Bett. Erik stand unschlüssig da und sah mich an. „Aber…“, begann er.

„Mehr ist nicht drin heute“, unterbrach ich ihn und schaltete mein Nachtlicht aus. Nun bewegte auch er sich in sein Bett und grummelte vor sich hin: „Ich hasse dich. Warum tust du das mit mir?“ Ich grinste im Dunkeln und sagte: „Du wolltest es. Und wie gesagt, ich hafte nicht für Folgen und Nebenwirkungen.“

„Nebenwirkungen“, sagte er leise, „dass ich nicht lache.“

Irgendwann fiel ich in einen traumlosen tiefen Schlaf.
 

Am nächsten Morgen saß ich mit meinen Freunden am Frühstückstisch und lies mir nichts anmerken. Erik hingegen zog ein noch längeres Gesicht als eh schon und schimpfte auf alles und jeden.

„Boa, die Marmelade ist ja heute echt widerlich.“, hörte ich ihn meckern.

„Hey Erik“, versuchte sein Kumpel Anton auf ihn einzureden, „Die Marmelade kann ja wohl nichts dafür. Aber hey, wofür überhaupt. Hat dein kleiner Johio dich geärgert?“ Die anderen am Tisch feixten und Erik warf ihnen einen bösen Blick zu. „Der Kerl ist ein Arschlosch!“, sagte er für alle hörbar und sah mich finster an. Ich grinste blöd und widmete mich dann lieber wieder meinem leckeren Toast.

An diesem Tag passierte nicht viel. Wir gingen ins Museum, welches sich als total interessant erwies, liefen den berühmten Kurfürstendamm entlang und gingen abends ins Hard Rock Cafe essen. Einige Mädchen hatten behauptet, dass der Kurfürstendamm etwas von der 5th Avenue in New York hätte, jedoch war in Wirklichkeit noch nie eine von ihnen dort. Auch ich kannte diese berühmte Luxusstraße nur aus dem Fernsehen, von daher wollte ich keinen Vergleich ziehen.

Gemeinsam saßen wir abends in besagtem Cafe und ich war ehrlich gesagt enttäuscht von dem teuren Essen. Mein Brötchen war angebrannt und die Pommes schmeckten bei McDonalds um Längen besser, als hier.
 

Am Abend legte ich mich früh ins Bett, da ich irgendwie ziemlich müde war. Erik befand sich noch bei seinen Kumpels und spielte bestimmt Flaschendrehen. Das Gekreische konnte man noch mehrere Zimmer weiter hören und regte mich auf. Ich machte mich bett-fertig und schlief auch schnell ein.

Irgendwann in der Nacht spürte ich plötzlich, wie sich meine Matratze nach unten bewegte. Davon wurde ich geweckt, rührte mich aber nicht. Jemand saß auf meinem Bett, das spürte ich. Da ich auf dem Rücken lag, hatte ich große Probleme meine Augen geschlossen zu halten und auch nicht loszulachen. Als nächstes spürte ich eine Hand in meinem Gesicht. Sie streichelte meine Wangen und fuhr mir kurz durch die Haare. Ich genoss die Berührungen, obwohl ich bereits wusste, dass dies kein geringerer als Erik war. Letztendlich hatte ich mich inzwischen damit abgefunden. Mit seinen und mit meinen Gefühlen. Ich war nicht blöd, ich wusste wie er fühlte. Nur war ich mir nicht so ganz im Klaren, warum ich mich auch in ihn verliebt hatte. Doch das war erst einmal egal. Ich ließ ihn mich streicheln. Auf einmal spürte ich seinen Atem dicht an meinem Gesicht. Er roch leicht nach Cola. Bier war schließlich nicht erlaubt und meine Klassenlehrerin hatte generell etwas gegen Alkohol, weshalb sie alle Rucksäcke, Koffer und schließlich auch Zimmer genaustens unter die Lupe genommen hatte.

Im nächsten Augenblick küsste er mich leicht. Ganz sanft, als hätte er Angst, dass ich aufwachen würde. Dann streifte er mit einem Finger über meine Lippen und flüsterte kaum hörbar: „Ich liebe dich.“
 

Am nächsten Morgen ließ ich mir nichts anmerken und behandelte Erik so wie immer. An sein langes Gesicht hatte ich mich bereits gewöhnt. Trotzdem merkte ich, dass ich ihn häufiger anlächelte. Doch auch er tat so, als wäre am Abend nichts passiert, schließlich lebte er mit dem Glauben, dass ich geschlafen hätte. Irgendwie stimmte mich das traurig, denn eigentlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er mir endlich seine Gefühle gestand. Und zwar wenn ich wach war!

Der Ausflug zum Bundestag war recht interessant und besonders die Glaskuppel hatte es mir angetan. Ich schoss viele schöne Fotos gemeinsam mit meinen Freunden und freute mich schon darauf, sie entwickeln zu lassen. Des Öfteren nahm ich wahr, wie Erik mich beobachtete. Als wir zufällig nebeneinander standen, sah er mich von der Seite an und drehte aber schnell seinen Kopf wieder weg.

Ich seufzte leise und begab mich dann mit meinen Freundinnen auf Shoppingtour. Wie üblich versorgte ich mich zunächst mit einem leckeren Cappuccino von McDonalds und etwas zu essen, um danach Marit, Svea und ihre Freundinnen beim Klamottenkauf zu beraten. Einige Deutsche sahen uns verwirrt an, da sie uns nicht verstanden, doch das war mir egal. Ich fand es cool, dass keiner unsere Sprache sprach.

Pünktlich und um einige Geldeinheiten ärmer, aber zufrieden, kamen wir im Hostel an. Ich warf die Tüten auf mein Bett und begann im Zimmer umherzuwandern. Dabei sammelte ich mein Hab und Gut ein und versuchte es im Koffer und meinem Rucksack zu verstauen. Auch Erik war inzwischen da und beobachtete mich dabei.

„Sag mal, wie viele Sachen hast du eigentlich?“, fragte er belustigt.

„Weiß nicht. Jedenfalls sind es zu viele. Ich bekomme den Koffer nicht mehr zu.“ Ich stöhnte und zerrte an dem Reißverschluss. Nur noch das Nötigste hatte ich auf meinem Bett liegen lassen. Das kommt später in meinen Rucksack.

Plötzlich stand Erik auf und half mir mit meinem Koffer.

„So, zu. Hast du auch nichts vergessen?“, fragte er mich mit einer Stimme, die ich noch nie bei ihm gehört hatte.

„Nein“, antwortete ich und stand auf. Er stand direkt vor mir. Ich sah zu Boden und meinte: „Das ist die letzten Nacht hier. Irgendwie bin ich traurig.“

Erik trat einige Schritte weg, sodass ich meinen Koffer weiter in Richtung Tür ziehen konnte. Unsere Blicke trafen sich und in mir verbreitete sich ein Gefühl, welches ich nur selten so erlebt hatte. Auch er starrte mich an und hatte einen seltsamen Glanz in den Augen. Erik kam einige Schritte auf mich zu und ich sah zu ihm auf. Er war nur wenige Zentimeter größer als ich.

Ich näherte mich ihm und stand nun dicht vor ihm.

„Ich…“, begann Erik heiser, doch ich legte nur meinen Finger auf seine Lippen und bedeutete ihm zu schweigen. Dann küsste ich ihn. Innig und voller Leidenschaft. Ich wusste ganz genau, dass heute womöglich unsere letzte Nacht sein könnte. Nach den Sommerferien könnte er alles wieder vergessen haben, oder alles leugnen. Doch daran wollte ich noch nicht denken. Das einzige, was ich wollte war er. Hier und jetzt. Ich hatte mich zusammengerissen, doch das konnte ich nun nicht mehr. Und tief im Inneren wusste ich, dass er genauso fühlte. Er schloss mich fest in seine Arme und küsste mich wieder und wieder. Der Kuss wurde wilder und ich hatte das Gefühl, gleich zu zergehen, wenn nicht sofort etwas passierte. Bei dem Gedanken stieß ich ihn nach hinten und wir beide landeten auf seinem Bett. Ich erwartete Widerstand, aber er ließ es geschehen und küsste mich umso mehr.

There's no one else but you

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Baby we're meant to be

Ich legte mich neben ihn und hauchte: „Ich liebe dich auch. Ich weiß selber nicht warum, aber es fühlt sich gut an.“ Ich entfernte das Kleidungsstück von ihm und er nahm mich in den Arm. Er gab mir einen leisen Kuss auf die Stirn und betrachtete mich.

„Du hast Recht“, begann er, „Ich habe noch nie mit einem Mädchen geschlafen. Wir haben immer nur Händchen gehalten und uns geküsst. Bevor mehr passieren konnte, hatte ich mich immer getrennt. Aus Angst, ich würde nichts fühlen. Ich hatte immer diesen schrecklichen Gedanken, dass ich mit meinen Freundinnen nichts fühlen würde. Und jetzt weiß ich warum.“ Er küsste mich wieder und streichelte meinen Arm.

„Und mein Image…“, fuhr er fort, „… werde ich wohl ändern müssen. Ich kann nicht mehr den Mega-Aufreißer spielen.“

„Spielen?“, fragte ich verwundert.

Er nickte und sah plötzlich traurig aus. „Manchmal versucht man jemand zu sein, der man gar nicht ist. Und ehe man sich versieht, belügt man sich selbst. Aber das wird sich ändern. Ich bewundere dich dafür, dass du den Mut hast, du selbst zu sein. Das schafft nicht jeder.“

Ich lächelte ihn an. „Wer weiß, wie viele Menschen noch mit solch einer Lebenslüge leben.“

Erik drückte mich fest an sich und küsste meinen Kopf.

So schliefen wir ein und ich hatte mich noch nie so glücklich gefühlt.
 

Am nächsten Morgen schlief Erik noch, als ich aufstand. Auch nachdem ich mich fertig gestylt hatte und schon im Begriff war, alleine zum Frühstücksbuffet zu gehen, schlief er noch. Doch ich machte kehrt und weckte ihn.

„Hey… wach auf“, flüsterte ich ihm ins Ohr. Warum war er nur nicht aufgewacht, wo wir doch heute sogar im selben Bett eingeschlafen waren? Statt einer Antwort, streckte er seinen Arm in meine Richtung und zog mich zu sich runter.

„Erst ein Kuss, okay?“ Ich lächelte und küsste ihn. Dann stand er endlich auf und sagte, ich solle schon mal runter gehen. Also fuhr ich mit dem Fahrstuhl nach unten und betrat freudestrahlend den Frühstücksraum.

„Freust du dich so über das Essen?“, fragte mich Frau Lindberg und ich grinste nur geheimnisvoll. Schließlich setzte ich mich dann zu meinen Freundinnen und begann mich zu Beschweren, dass wir heute schon wieder zurück nach Göteborg fahren mussten.

Irgendwann kam auch Erik in den Frühstücksraum getrottet und jeder sah, dass er irgendwie benebelt war. „Erik, was ist denn mit dir los?“, fragte einer seiner Kumpels. Doch er sah diesen nur unschlüssig an und nahm sich dann etwas vom Buffet. Er setzte sich so an den Tisch, dass er mit dem Rücken zu mir saß und nur wenige Zentimeter uns trennten. Alle starrten auf ihn und als Erik sich setzen wollte, stieß er einen entsetzten Schrei aus.

„Verdammt“, schrie er und verzog sicherlich das Gesicht. Ich sah ihn ja nicht. Langsam drehte ich mich um und sah, wie er einen weiteren Versuch unternahm, doch er sprang wieder auf und rieb sich sein Hinterteil. Das konnte ich nicht mehr lange mit ansehen, ohne laut loszulachen, also beugte ich mich nach hinten und flüsterte: „Ich geb dir einen guten Rat. Versuch gar nicht erst, dich hinzusetzen.“ Erik zog eine Grimasse und zwang sich dann doch, zu sitzen, auch wenn es ihm sichtlich Schmerzen bereitete.

Meine Mitschüler hatten die Szene aufmerksam verfolgt, wie ich bemerken musste, nachdem ich mich wieder meinem Essen widmete. Unschlüssig sah ich in der Menge umher und fragte schließlich: „Ist was?“ Die anderen nickten und zeigten vereinzelt auf Erik.

Dann begann ein Mädchen: „Ihr streitet euch gar nicht. Habt ihr euch etwa angefreundet?“ Das Wort „angefreundet“ betonte sie so stark, dass jeder Taube verstanden hätte, was sie eigentlich meinte. Mir war nur unklar, warum sie sowas dachte. Die anderen nickten und ließen nicht von uns ab.

Erik drehte sich um und räusperte sich: „Ja, wir sind Freunde.“ Er betonte das Wort „Freunde“ nicht. Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn, weil ich nun wusste, dass Erik nicht verstanden hatte, worauf unsere Mitschülerin hinaus wollte. Doch anstatt die Sache klar zu stellen grinste ich nur.

Einer von Eriks Kumpels meldete sich zu Wort: „So richtig Freunde?“ Er wusste auch, dass es hier gerade nicht um normale Freundschaft an sich ging. Selbst die Lehrer grinsten, währendem sie unser Gespräch verfolgten. Na super, dachte ich mir.

Die Schüler begannen zu diskutieren und ich war glücklich darüber, dass der Rest der Leute hier Deutsch war und uns nicht verstand.

Plötzlich beugte sich Svea zu mir und fragte: „Seid ihr zusammen?“ Ich starrte sie entgeistert an und sagte nichts. Stattdessen sah ich zu Erik, dem nun auch langsam bewusst wurde, dass seine Mitschüler schon vor Tagen über eine mögliche Beziehung spekuliert hatten. Er schüttelte sich und sagte dann: „Okay, Leute. Wisst ihr was?“ Alle sahen ihn an.

Er wendete sich zu mir, zog mich dicht an sich und küsste mich. Ich schloss die Augen und umschlang ihn mit meinen Armen. Als wir uns wieder lösten, klatschte unsere Klasse Beifall und grölte laut.

„Ruhe bitte!“, brüllte die Köchin und schlagartig war jeder ruhig. Nach dem Essen versammelten sich die ganzen Schüler um Erik und mich und fragten uns aus. Jedoch war das alles so durcheinander, dass ich gar nicht zum Antworten kam. Darüber hinaus hätte ich ihnen sowieso niemals alles erzählt.

Erik wurde noch mehr genervt als ich, denn niemand konnte glauben, dass der berüchtigte Herzensbrecher einen Jungen liebte. Er war sich unsicher und antwortete auf die Frage, was dazu geführt hatte nur: „Ich bin mir darüber klar geworden, was ich eigentlich will.“
 

Irgendwann flüchteten wir uns in unser Hostelzimmer und räumten den Rest ein.

„Nun denn“, seufzte ich und wollte gerade wieder zur Tür gehen, als Erik mich am Arm packte. Er presste mich sanft gegen die Wand und küsste mich. Es war selten, dass er die Initiative ergriff, aber es gefiel mir. Ich erwiderte seinen leidenschaftlichen Kuss und wollte gar nicht mehr weg. Mit einer Hand griff ich unter sein Shirt, doch unsere traute Zweisamkeit wurde gestört, als es an der Tür klopfte.

„Los jetzt!“, hörte ich Marit brüllen. Wir grinsten uns an, packten die Koffer und verließen das Zimmer.
 

Auf der ganzen Rückfahrt ließen wir uns nicht aus den Augen. Wir saßen nebeneinander und ich legte meinen Kopf auf seine Schultern um zu schlafen. Er streichelte meine Hände und ich grinste in mich hinein. Wir teilten uns ein Menü bei McDonalds und jeder Außenstehende muss gedacht haben, dass wir ein ganz normales Pärchen waren. Doch das waren wir nicht. Aber das war egal. Wir hatten uns gefunden und ich frage mich immer noch, warum gerade er. Darauf werde ich wohl nie eine Antwort finden. Dass meine Klassenkameraden so tolerant waren, rührte mich zu Tränen. Als wir beinahe wieder in Göteborg angekommen waren, wachte ich auf. Ich war tatsächlich eingeschlafen. Auf unserem Schoß befand sich eine blaue Decke. Sie war von ein paar Mitschülern, wie ich später erfuhr und sie fanden uns so niedlich, dass sie uns einfach zudecken mussten. Wenn doch nur jeder so wäre.

Wieder in Göteborg verabschiedeten wir uns mit einem intensiven Kuss und ich stieg in das Auto meiner Mutter.
 

„Und hatte ich recht?“, fragte sie mit einem Grinsen auf den Lippen.

„Ja, hattest du.“ Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und gemeinsam fuhren wir dem Sonnenuntergang entgegen in Richtung Wohnung. Wäre das hier jetzt ein schlechter Film gewesen, würde jetzt sicherlich irgendein schnulziges Liebeslied eingespielt werden.

You're never alone

Irgendwann in der ersten Hälfte des 11. Schuljahres saßen wir gemeinsam im Stadtpark. Wir hatten Hausaufgaben gemacht und uns danach über Gott und die Welt unterhalten.

„Du, sag mal. Was war eigentlich wirklich mit deinem Vater?“, fragte Erik plötzlich.

Ich blickte zu Boden und wurde leiser.

„Versprich mir, dass du das niemandem sagst, okay?“ Ich sah in bittend an und er nickte.

„Ich kenne meinen Vater nicht, genauso wenig, wie meine Mutter ihn kennt. Wer weiß, wo er jetzt ist. Er kann tot sein, oder leben. Damals, in der Zeit meiner Geburt war meine Mutter mit einer Frau zusammen. Sie liebten sich aufrichtig und hatten sich geschworen, niemals getrennte Wege zu gehen. Meine Mutter erzählt mir noch heute von ihr. Wie ihr Lächeln war, wie gut sie backen konnte und wie sie gemeinsam ausgegangen sind und Männer veralbert hatten. Sie wünschten sich so sehr ein Kind. Schließlich hat meine Mutter eine künstliche Befruchtung in Anspruch genommen mit dem Sperma eines anderen Mannes.“

Erik sah auf die grüne Wiese.

„Als sie mit mir schwanger war, hatte ihre Freundin einen Unfall. Nantje, so hieß die Freundin, wurde von einem LKW überfahren und war sofort tot. Meine Mutter erfuhr erst Stunden später von ihrem Tod. Sie war untröstlich, entschied sich aber ihr Kind alleine großzuziehen. Das Kind war ich. Und sie sagte mir immer wieder, dass ich all die Liebe bekomme, die Nantje nicht mehr empfangen kann.“

Mein Freund sah mich traurig an.

„Was für eine schlimme Geschichte. Es tut mir leid für deine Mutter.“, sagte er dann. Ich nickte stumm und umarmte ihn. Auf einmal merkte ich, wie mir die Tränen die Wangen entlang kullerten. Ich schniefte kaum hörbar. Plötzlich tippte mich Erik an und meinte: „Sie mal, da!“

Er zeigte auf eine Bank unweit von uns entfernt. Auf besagter Bank saß unsere böse Deutschlehrerin Frau Petterson und unsere Klassenlehrerin Frau Lindberg. Was taten sie dort nur?

Die beiden schienen eine angeregte Diskussion zu führen, da sie wild gestikulierten. Erik und ich versteckten sich schnell in einem dichten Gebüsch. Wenige Sekunden später sah sich Frau Petterson um und… küsste Frau Lindberg. Doch sie war nicht angeekelt, sondern erwiderte ihren Kuss, soviel wir erkennen konnten. Wir kicherten leise und Erik küsste mich auch.
 

Seitdem wir die beiden Lehrerinnen im Stadtpark beobachtet hatten, war Frau Petterson plötzlich total nett und schimpfte gar nicht mehr. Wir wussten, woran das lag, aber für unsere Klassenkameraden war das eines der Geheimnisse, die sie nie erfahren würden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Akikou_Tsukishima
2015-09-20T06:25:41+00:00 20.09.2015 08:25
Interessante story

Ich konnte es nicht fassen hier ne yohio ff gefunden zu haben
Danke
Antwort von:  FaerieKanon
21.09.2015 20:35
Tja... gern geschehen. :D Danke fürs Lesen. :3


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