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Turbulence from the Abyss-Return

von

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"Break." Sharon öffnet die Tür zu seinem Zimmer. "Bist du fertig? Wir sind schon spät dran, wir sollten doch zum Tee zu ihnen kommen."

"Ich weiß." Break schlüpft in seinen Mantel, nimmt seinen Stock in die Hand. "Ich bin bereit."

Sharon betrachtet kritisch die Schleife um seinen Hals, die völlig schief gebunden ist. "Setz dich mal auf das Bett."

Sie geht zu ihm und zieht an der Schleife herum, bis sie einigermaßen gerade sitzt. "Schon besser."

Sharon lächelt fröhlich, als sie in die Kutsche einsteigen. "Ich freue mich so, dass wir endlich mal wieder alle zusammenkommen."

"Wir wären schneller dort, wenn wir Eques benutzen würden", meint Break.

"Nein, wir werden auf offiziellem Weg dort erscheinen", wiederspricht Sharon. "Jetzt schließ bitte die Tür, damit wir losfahren können."
 

"Sind sie noch nicht da?" Oz läuft aufgeregt im Salon auf und ab. "Sharon hat doch zugesagt, dass sie kommen würden."

"Hör doch mal auf mit dem Herumrennen." Alice sitzt in einem Sessel, mit einem kleinen schlafenden Mädchen auf dem Schoß. "Seaweed-Head und die kleine Baskerville-Göre sind ja auch noch nicht da."

In diesem Moment klopft es an der Tür. Ein Dienstmädchen kommt herein, verbeugt sich. "Duke Reim und Ada-sama sind angekommen."

"Reim-san! Ada!" Mit einem strahlenden Lächeln geht Oz auf die beiden zu. "Ich bin froh, dass ihr da seid."

"Oz-sama, es ist mir auch eine Freude, euch wiederzusehen", erwidert Reim.

"Und wie geht es dir, Ada?", wendet sich Oz an seine Schwester. "Wann wird es denn bei dir so weit sein?"

"Eine Weile musst du noch warten, bevor du Onkel wirst, Onii-chan."

"Können wir nicht schon mal Kuchen und Tee kommen lassen?" Alice nimmt ihre Tochter auf den Arm, steht auf.

"Na, sieh mal an. Alice-kun ist noch genauso ein Vielfraß wie früher."

"Break?" Oz schaut sich suchend um, kann ihn aber nicht entdecken. "Wo bist du?"

"Selena ist wach." Alice setzt ihre unruhig gewordene Tochter auf den Boden. Die Kleine beginnt gleich, über den Teppich zu tapsen. Geradewegs auf den Balkon hinaus, wo Break breit grinsend auf der Brüstung sitzt.

"Break." Oz geht nun ebenfalls auf den Balkon hinaus. "Warum kommst du nicht rein? Und wo ist Sharon, hat sie dich doch nicht begleitet?"

"Doch, das hat sie." Break hüpft von der Brüstung. "Sie hat nur den längeren Weg durch das Haus genommen. Sie wird gleich hier sein. Nur Gilbert-kun und Echo-kun fehlen noch."
 

Fae schaut aus dem Fenster des Zuges auf die vorbeiziehende Landschaft. "Jetzt dauert es nicht mehr lang, bis wir am Ziel sind."

"Ich bin schon sehr gespannt, die Leute zu treffen, von denen du mir erzählt hast", sagt ihr Reisegefährte. "Besonders neugierig bin ich auf diesen Mann - wie war noch mal sein Name?"

"Xerxes Break. Ob er sich überhaupt noch an mich erinnert? Und die anderen...es sind ja sieben Jahre vergangen."

"Mach dir nicht so viele Gedanken, Fae. Du wirst es wissen, wenn wir bei ihnen sind."

"Ja, du hast wohl Recht."

Allmählich wird der Zug langsamer, rollt gemächlich in den Bahnhof ein. Fae und ihr Reisegefährte nehmen ihre Koffer aus den Gepackfächern und verlassen ihr Abteil.

Auf dem Bahnsteig drängen sie sich durch die Menschenmengen, die darauf warten, einsteigen zu können. Schließlich haben sie es geschafft und stehen vor dem Bahnhofsgebäude.

Fae bleibt stehen, stellt ihren Koffer neben sich und lässt ihren Blick über die ihr vertraut wirkende Stadt wandern.

"Ich bin wieder in Leverru."

"Und was jetzt? Fahren wir zu dem Anwesen, wo du damals Gast gewesen bist, Fae?"

"Ja, dort wollte ich hin."

Eine halbe Stunde später steigen die beiden vor Sharon´s Anwesen aus einer Kutsche.

Ein junges Dienstmädchen öffnet, als Fae an die Eingangstüren klopft. "Wen darf ich anmelden?"

"Fae Hikari", antwortet Fae. "Ich möchte zu Sharon-sama. Ist sie im Salon?"

"Sharon Ojou-sama ist nicht im Haus." Hinter dem Dienstmädchen nähert sich eine ältere Frau. "Sie ist zum Tee bei Oz Bezarius-sama eingeladen. Sie werden wohl dort ihr Glück versuchen müssen."

"Wenn sie wollen, nehme ich ihr Gepäck", bietet das Dienstmädchen an. Rasch läuft sie an ihnen vorbei, nimmt die Koffer vom Kutscher entgegen. "Ich werde sie gleich hier neben die Tür stellen."

"Wenn sie jetzt bitte entschuldigen." Mit diesen Worten schließt die Frau die Türen.

"Eine freundliche Begrüßung war das ja nicht. Wenigstens brauchen wir die Koffer nicht mehr zu tragen."

"Bringen sie uns zum Anwesen der Familie Bezarius", bittet Fae den Kutscher.

Auf ihrer Fahrt durch die Stadt kommen sie am Hauptquartier vorbei.

"Halten sie an."

"Was ist los? Wo willst du denn hin?"

"Irgendetwas ist in diesem Gebäude, Fae. Ich habe das Gefühl, das mich dort drinnen jemand ruft."

"Das hier ist das Pandora Hauptquartier." Fae dreht sich zu dem Kutscher um. "Warten sie bitte, wir werden nur kurz reingehen."

"Solange sie dafür bezahlen, hab ich nichts dagegen", brummt der Mann.

"Natürlich."
 

Gil setzt seine Unterschrift unter den geschriebenen Bericht, legt ihn zu den anderen. "Endlich fertig. Jetzt können wir zu Oz und den anderen fahren, sie warten sicher schon auf uns. Komm mit, Echo."

Das Mädchen steht gehorsam auf.

Als Gil die Tür öffnet, sieht er auf dem Flur jemanden vorbeigehen. Ein Mädchen mit feuerroten Haaren, dass er noch nie gesehen hat. "He, wer bist du? Was hast du hier zu suchen?"

"Was?" Das Mädchen bleibt stehen, schaut ihn ein wenig verwirrt an. "Ich heiße Rheena Talley. Ich bin heute in diese Stadt gekommen."

"Und warum treibst du dich hier herum?"

"Eigentlich geht dich das gar nichts an. Ich habe meine Gründe, warum ich hier bin." Rheena will weitergehen.

"Nicht so schnell." Gil hält sie am Arm fest. "Dies ist kein öffentliches Gebäude, wo jeder einfach hereinkommen kann. Ich fürchte, ich muss dich in Gewahrsam nehmen."

"Das soll wohl ein Witz sein? Hör zu, du lässt mich jetzt besser los, sonst könnte es unangenehm für dich werden."

"Au." Gil löst hastig seine Hand von ihrem Arm, als es unter seinen Fingern brennend heiß wird. "Was war das?"

"Gilbert-sama." Echo ist sofort an seiner Seite. "Habt ihr euch verletzt?"

"Gilbert-sama?", wiederholt Rheena. "Bist du etwa Gilbert Nightray?"

"Woher kennst du meinen Namen?"

Rheena öffnet den Mund, um seine Frage zu beantworten, als Fae um eine Ecke biegt. "Rheena. Warum hast du nicht auf mich gewartet?"

Gil blinzelt verblüfft, als er sie erkennt. "Sie...sind doch..."

"Gilbert-san." Fae bleibt einen Schritt vor ihm stehen. "Sie erinnern sich an mich?"

"Als ob ich vergessen könnte, was damals geschehen ist." Gil´s Gesichtsausdruck verfinstert sich. "Dieser ganze Ärger, den wir mit den Chains hatten."

"Willst du etwa behaupten, dass es Fae´s Schuld gewesen ist?" Rheena verschränkt wütend die Arme vor der Brust. "Sie hat euch doch mehr als einmal gerettet."

"Bitte, fang jetzt keinen Streit an, Rheena." Fae dreht sich zu ihr um. "Hast du herausfinden können, was dich gerufen hat?"

"Ich habe nicht angefangen, sondern dieser Kerl da", erwidert Rheena trotzig. "Und nein, ich spüre nichts mehr. Weil der da mich abgelenkt hat", fügt sie mit einem Seitenblick auf Gil hinzu.

Fae wendet sich wieder an Gil. "Ich war bereits bei Sharon-samas Anwesen, aber man sagte mir, sie und Break wären bei Oz-sama zum Tee eingeladen. Fahren sie auch dorthin? Haben sie etwas dagegen, wenn wir uns ihnen anschließen?"

"Ja, das stimmt. Ich wollte jetzt hinfahren. Meinetwegen können sie mich begleiten. Sie und ihr...Anhängsel."

"Einen Moment, Gilbert-san. Ich muss noch den Kutscher bezahlen, der uns hierher gebracht hat."

"Nein, lassen sie mich das übernehmen, Fae-san." Gil geht zu dem Kutscher hinüber, spricht ein paar Worte mit ihm. Nach einem Moment nickt der Mann, steckt die Münzen, die Gil ihm gibt, in die Hosentasche und lässt seine Pferde antraben.

Gil führt sie zu seiner Kutsche, lässt sie einsteigen. Er folgt als letzter, schließt die Tür hinter sich.

Während der Fahrt herrscht Schweigen. Fae schaut in Gedanken versunken aus dem Fenster. Echo sitzt ihr gegenüber, wirkt völlig teilnahmslos. Gil, der neben Echo sitzt, raucht eine Zigarette, bläst den Qualm aus dem Fenster auf seiner Seite.

"Also, ich bin schon sehr gespannt, die anderen zu treffen", versucht Rheena ein Gespräch zu beginnen. "Fae hat mir ja schon so viel erzählt, von Break und Sharon...und...wie heißen die anderen noch?" Sie wartet, bekommt aber keine Antwort.

Schließlich hält die Kutsche vor dem Bezarius-Anwesen. Gil steigt als erster aus, dann Rheena, Fae und Echo.
 

"Oz-sama, kommt Gilbert-sama noch?" Sharon nimmt einen Schluck von ihrem Tee. "Er ist ziemlich spät dran."

"Ich frage mich auch schon, wo er bleibt", erwidert Oz.

"Er hat bestimmt mal wieder viel im Hauptquartier zu tun", meint Break. "Dabei könnte er doch jemanden damit beauftragen, den Schreibkram für ihn zu übernehmen."

"Er nimmt seine Pflichten ernst, im Gegensatz zu dir, Xerxes. Du hast ja immer alles auf mich abgeschoben."

"Ach, weißt du, Reim-san. Es ist schwierig, Berichte zu schreiben, wenn man blind ist."

"Das warst du aber früher nicht", kommt Gil´s Stimme von der Tür. "Und trotzdem hast du auch damals schon deine Berichte immer von Reim schreiben lassen."

"Nicht immer", verteidigt sich Break. "Und er hätte sich ja auch weigern können. Es war ja nicht so, als hätte ich ihn dazu gezwungen."

"Blödsinn. Du hast uns doch immer dazu gebracht, das wir getan haben, was du wolltest." Gil schnaubt, als Break anfängt zu schmollen. "Und hör auf, so ein Gesicht zu machen."

"Du bist Xerxes Break?" Rheena schiebt sich an Gil vorbei. "Ich habe dich mir anders vorgestellt, nach dem, was mir von dir erzählt wurde."

"Wer ist das, Gil?" Oz steht auf, schaut ihn fragend an. "Du hast mir nicht gesagt, dass du jemanden mitbringst."

"Hatte ich eigentlich auch nicht vor", brummt Gil. "Ich habe sie erwischt, wie sie sich im Hauptqartier herumgetrieben hat. Ich wollte sie schon in Gewahrsam nehmen, aber dann..." Er verstummt, als er eine Berührung an seinem Bein spürt.

Eine von Ada´s Katzen, die sie mitgebracht hat, reibt schnurrend den Kopf an seiner Hose.

"Oh je, daran habe ich ja gar nicht gedacht", seufzt Oz. "Gil hat ja immer noch seine Katzenphobie."

"Was? Er hat Angst vor Katzen?" Rheena nimmt das weiße Fellknäuel hoch, streichelt über das weiche Fell. "Wie kann man denn vor so einem süßen Tierchen Angst haben?" Sie hält es dem völlig erstarrten Gil direkt vor das Gesicht. Mit einem schrillen Schrei, bei dem Rheena das Kätzchen beinahe fallen gelassen hätte, ergreift er die Flucht.

Echo folgt ihm sofort.

"Machen sie sich keine Sorgen." Break ist aufgestanden und neben sie getreten. "Er wird sich schon wieder beruhigen. So, wollen sie uns jetzt nicht ihren Namen nennen?"

"Stimmt, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Rheena Talley."

"Und wer hat ihnen von uns erzählt?", fragt Reim. "Sie haben zu Xerxes gesagt, sie hätten ihn sich anders vorgestellt."

"Ja, genau. Die Person, von der ich so viel von ihnen gehört habe, steht hier draußen auf dem Flur. Aber sie weiß wohl nicht, ob sie euch einfach so gegenübertreten kann."

"Wer es auch ist, hier gibt es nichts, wovor man sich fürchten müsste." Break geht an Rheena vorbei auf den Flur hinaus.

Fae steht einige Schritte neben der Tür. Vor ein paar Minuten, als Gil an ihr vorbei gerannt war, hatte sie in den Salon gehen wollen. Dann hatte sie aber doch wieder gezögert.

"Warum stehen sie denn ganz allein hier? Kommen sie doch zu uns in den Salon. Es gibt reichlich Tee und Kuchen."

Fae zuckt zusammen, als sie seine Stimme hört. Einen Moment schaut sie ihn schweigend an, auf seinem Gesicht liegt sein übliches Lächeln.

"Es ist schön, dich zu sehen, Break."

"Was ist los, Break?" Oz bemerkt, wie sein Lächeln verschwindet. Er wirkt überrascht, verwirrt. Für eine Sekunde flackert ein schmerzlicher Ausdruck in seinem Auge auf.

Neugierig geht Oz ebenfalls durch die Tür, bleibt neben Break stehen und schaut nach rechts. "Oh. Fae-san."

"Oz-sama?" Fae schaut überrascht den jungen Mann an. Er ist genauso groß wie Break, überragt sie um einen halben Kopf. Seine Haare sind länger geworden, er hat sie im Nacken zusammengebunden. "Sie...sind gewachsen."

"Ja, ich bin älter geworden." Oz lächelt sie an. "Aber sie haben sich überhaupt nicht verändert. Sie sind noch genauso schön wie damals."

"Hey." Rheena steckt ihren Kopf durch die Tür. "Du, Blondschopf. Komm doch mal her."

"Sein Name ist Oz Bezarius, Rheena", erklärt Fae ihr.

"Von mir aus. Also, Oz, komm her."

Als er zu ihr geht, packt sie ihn am Arm und zieht ihn zu sich herunter. "Wir sollten Fae und Break eine Chance geben, eine Weile allein zu sein", flüstert sie ihm ins Ohr. "Dies ist dein Haus. Sorg dafür, dass die beiden irgendwo ungestört sind. Sie haben sich ja sieben Jahre lang nicht gesehen."

"Das wäre aber unhöflich." Break hat Rheenas Worte gehört. "Die anderen wollen Fae doch auch begrüßen."

"Was?" Rheena schaut irritiert, als Break an ihr vorbeigeht. "Hey! Warte doch mal!" Sie folgt ihm durch die Tür.

Fae seufzt. "Er ist noch genauso wie damals. Aber er hat Recht, ich will die anderen ja auch wiedersehen."

"Dann komm doch endlich und setz dich zu uns." Alice´s Stimme dringt zu ihnen. "Oder willst du die ganze Zeit nur da draußen auf dem Flur stehen bleiben?"

Fae lächelt. "Alice-chan hat sich wohl auch nicht verändert."

"Doch, hat sie", erwidert Oz. "Na los, kommen sie."
 

"Diese Dinger sind unheimlich lecker." Rheena schiebt sich den letzten Bissen ihres Schokotörtchen in den Mund. "Gibt es davon noch mehr?"

Reim runzelt die Stirn. "Haben sie noch nicht genug gegessen?"

"Hast du irgendwas dagegen, wenn es mir so gut schmeckt?" Rheena schaut Reim herausfordernd an.

"Nein, natürlich nicht", murmelt er.

"Hier." Break schiebt ein Tablett mit Obsttörtchen über den Tisch. "Probier doch mal eins von diesen, Rheena."

"Danke." Rheena nimmt sich eines, beißt gleich hinein. "Wow, die schmecken ja auch fantastisch."

"Du scheinst ja auch ein richtiger Vielfraß zu sein." Gil ist zurückgekommen.

Rheena verschluckt sich beinahe bei seinen Worten. "Ein Vielfraß? Hast du mich gerade einen Vielfraß genannt?"

"Ja, das habe ich", entgegnet Gil. "Du bist genauso verfressen wie Stupid Rabbit."

"So darfst du sie aber nicht mehr nennen, Gilbert-kun", mischt Break sich ein. "Alice-kun ist kein Chain mehr. Gewöhn dir doch an, sie mit ihrem Namen anszusprechen."

"Ist das wahr?", fragt Fae. "Alice-chan, du bist kein Chain mehr? Wie hast du denn zu einem Menschen werden können?"

"Das weiß ich auch nicht so genau." Alice zuckt mit den Schultern. "Als mein anderes Ich, der Wille des Abyss, ausgelöscht wurde, ist das irgendwie passiert."

"Und jetzt sind sie und Oz-sama ein glückliches Paar", fügt Sharon hinzu. "Oh, da fällt mir ein, wo ist denn eigentlich Selena?"

"Hier." Ein brauner Haarschopf taucht auf der anderen Seite über der Tischplatte auf.

"Ah, da bist du. Komm doch mal zu mir. Ich möchte dir Fae Hikari vorstellen."

Fae schaut erstaunt das kleine Mädchen an, dass um den Tisch herum auf sie zutapst. Sie hat die gleichen dunkelbraunen Haare wie Alice und grüne Augen wie Oz, nur etwas dunkler. "Hallo."

"Sie ist süß, nicht wahr?" Sharon nimmt Selena auf ihren Schoß.

"Ja, wirklich."

Reim steht auf. "Ich werde mal nach Ada sehen. Und wenn es ihr besser geht, fahren wir heim. Es ist ja schon ziemlich spät geworden."

"Gut, ich zeige dir, wo sie sich hingelegt hat." Oz steht ebenfalls auf. Die beiden verlassen den Salon.

"Für uns wird es auch Zeit." Sharon trinkt den Rest von ihrem Tee. "Fae-san, wollen sie und Rheena mit uns kommen?"

"Ja, gern. Unser Gepäck haben wir ja auch bei ihnen im Anwesen gelassen."
 

Mit ihrer Tochter auf dem Arm, folgt Alice den anderen in die Eingangshalle und hinaus auf den Hof. Gil verabschiedet sich, steigt mit Echo in seine Kutsche.

Oz kommt mit Reim und Ada einige Minuten später.

"Ada-sama." Fae geht auf sie zu, als sie ihren runden Bauch bemerkt. "Sie erwarten ein Kind?"

"Ja." Ada tauscht einen glücklichen, liebevollen Blick mit Reim. "In ein paar Wochen wird es soweit sein."

"Oz-kun kann es kaum noch erwarten, Onkel zu werden", bemerkt Break. "Aber Reim-san ist noch nervöser, weil er ja dann Vater wird."

"Lass uns fahren." Reim nimmt Adas Hand, hilft ihr beim Einsteigen. "Ach, Xerxes, komm doch morgen mal ins Hauptquartier."

"Warum? Gibt es da jetzt wieder was für mich zu tun?", fragt Break neugierig.

Reim zögert einen Moment. "Das erzähle ich dir, wenn du morgen da bist." Er gibt dem Kutscher ein Zeichen zum losfahren, schließt die Tür der Kutsche hinter sich.

"Sharon-chan." Oz hält ihre Hand fest, als sie sich verabschieden. "Break scheint nicht zu wissen, wie er damit umgehen soll, dass Fae-san wieder da ist."

"Ja, ich weiß." Sharon seufzt. "Ich werde später mal mit ihm darüber reden." Sie dreht sich um und geht zu ihrer Kutsche hinüber. Break wartet, bis auch sie eingestiegen ist, dann verneigt er sich noch einmal vor Oz und Alice und folgt ihr dann ins Innere der Kutsche.

Kaum sind sie in Sharon´s Anwesen, nimmt Break die Koffer, die noch neben der Eingangstür stehen. "Ich werde sie schon mal nach oben bringen." Er wendet sich zur Treppe, geht darauf zu.

"Warte." Rheena läuft an ihm vorbei, verstellt ihm den Weg. "Was ist bloß mit dir los? Du hast noch nicht ein Wort mit Fae gesprochen. Ist es dir denn völlig egal, dass sie wieder hier ist?"

Break schaut sie einen Moment schweigend an. "Du bist ja wirklich ein richtig energisches Fräulein." Er hebt die Hand, tippt ihr mit einem Finger auf die Nase. "Es wäre besser, wenn du dich nicht zu sehr um die Angelegenheiten von anderen kümmerst."

"Lass das!" Rheena schlägt seine Hand weg, ihre Augen funkeln wütend.

"Oh, jetzt habe ich dich wohl richtig verärgert, das wollte ich doch nicht."

"Break." Sharon legt ihm ihre Hand auf den Arm. Auf ihrem Gesicht liegt ihr gefürchtetes Lächeln. "Ich glaube, du kannst jetzt damit aufhören."

Rheena blinzelt verblüfft, als Break zusammenzuckt und sein freches Grinsen abstellt. "Was ist denn jetzt los?"

"Sharon", flüstert Break ihr zu. "Sie kann manchmal richtig angsteinflößend sein."

"Was?"

"Das habe ich gehört, Break." Sharon greift in die Falten ihres Kleides, zieht ihren Harisen hervor und schwenkt ihn drohend.

"Oh nein, Ojou-sama." Break hebt abwehrend die Hände, weicht vor ihr zurück. "Es tut mir leid, wirklich. Bitte, steckt das Ding wieder weg."

Fae fängt an zu lachen, als Break mit komisch wirkenden Sprüngen Sharon´s Schlägen ausweicht.

Auch Rheena schafft es nicht, ernst zu bleiben. "Das sind wirklich...interessante Leute, mit denen du dich hier angefreundet hast."

"B-break..." Sharon bleibt stehen, sinkt auf ihre Knie und holt keuchend Luft. "I-ich k-kann nicht m-mehr. I-ich gebe a-auf."

"Oh?" Break beugt sich grinsend über sie. "Du darfst dich nicht mehr so anstrengen. Du bist ja jetzt auch schon fast in dem Alter, wo du die ersten grauen Haare kriegst - Au!"

Er hat nicht bemerkt, dass Sharon noch einmal mit ihrem Harisen ausgeholt hat - sie trifft ihn am Kopf. Mit einem ächzenden Stöhnen geht er zu Boden.

Sharon lächelt triumphierend. "Das hattest du jetzt nicht anders verdient."
 

Einige Zeit später sitzen sie im Speisesaal beim Abendessen.

"Das war unheimlich lecker." Rheena lehnt sich seufzend zurück. "Aber jetzt kriege ich keinen Bissen mehr runter."

Break macht ein enttäuschtes Gesicht. "Aber du hast doch das Dessert noch gar nicht probiert."

"Du kannst es gern haben." Rheena schiebt ihren Becher über den Tisch.

Fae lächelt. "Du isst immer noch sehr gern süßes."

"Ja..." Break taucht seinen Löffel in die Obst-Quarkcreme. "Fae...äh,

du und Rheena, hattet ihr eine angenehme Reise hierher?"

"Oh je." Sharon schaut auf die große Wanduhr. "Es ist ja schon unheimlich spät. Ich glaube, ich gehe jetzt schlafen." Sie schiebt ihren Stuhl zurück und steht auf.

"Ja, ich auch." Rheena trinkt den Rest Wein aus ihrem Glas und will es zurück auf den Tisch stellen. Als sie mitten in der Bewegung erstarrt. Das Glas rutscht aus ihren Fingern, fällt auf den Boden und rollt über den Teppich.

"Rheena-san? Was ist mit ihnen?"

"Sie hat eine Vision." Fae eilt um den Tisch herum.

"Eine Vision?" Break ist Fae gefolgt. "Was ist das?"

"Sie sieht manchmal etwas, was erst noch geschehen kann", erklärt Fae.

"Und wie lange wird sie in diesem Zustand bleiben?", fragt Sharon besorgt.

"Gewöhnlich kommt sie schnell wieder zu sich."

Fae behält Recht, nur wenige Minuten später gibt Rheena ein leises Stöhnen von sich.

"Rheena, was hast du gesehen?"

"Finsternis...undurchdringliche Finsternis..."

"Das kann nur das Abyss sein", meint Break. "Hast du noch etwas gesehen? War dort noch irgendetwas anderes?"

Rheena schüttelt den Kopf, schließt die Augen.

"Sie braucht Ruhe, ich werde sie in ihr Zimmer bringen." Fae nimmt Rheenas Arm, um ihn sich um die Schultern zu legen.

"Ich schaffe das schon allein, Fae." Rheena steht auf, geht langsam auf die Tür zu.

Als sie plötzlich hochgehoben wird, gibt sie einen erschrockenen Laut von sich.

"Lass mich runter. Ich bin doch kein Gepäckstück, dass man tragen muss."

Break lacht. "Für ein Gepäckstück bist du auch viel zu leicht." Er legt ihr einen Finger auf die Lippen, als sie etwas erwidern will. "Du kannst dich später so viel beschweren, wie du willst. Aber jetzt werde ich dich tragen."
 

Break setzt Rheena in ihrem Zimmer auf dem Bett ab. Dann dreht er sich um und geht auf den Flur hinaus.

"He, was machst du noch hier?" Rheena schaut Fae abwartend an. "Geh ihm nach."

"Aber..."

"Mir geht es gut." Rheena steht auf, schiebt Fae auf den Flur hinaus. "Ich werde mich jetzt gleich schlafen legen. Also, geh zu ihm."
 

Nachdem er Rheenas Zimmer verlassen hat, geht Break den Flur entlang, bis zur nächsten Tür. Dahinter liegt das Zimmer, dass Fae vor sieben Jahren bewohnt hat. Er zögert kurz, dann öffnet er die Tür.

Mit dem Kerzenständer in der Hand geht er zum Bett, auf dem er vorher ihren Koffer abgelegt hatte.

"Es ist so geblieben, wie ich es damals verlassen habe."

Faes Stimme lässt ihn sich zu ihr umdrehen. Die kleine Kerzenflamme spiegelt sich in seinem Auge.

"Break." Sie drückt die Tür hinter sich ins Schloss. "Wie sind deine Gefühle für mich? Haben sie sich verändert? Wäre es dir lieber, wenn ich nicht wieder in diese Stadt gekommen wäre?"

"Nein." Break stellt die Kerze auf das Schränkchen neben dem Bett. "Ich war nur ziemlich überrascht, als du bei Oz-kun aufgetaucht bist. Und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte." Er geht zu ihr und legt seine Arme um sie, senkt seinen Kopf auf ihre Schulter. "Ich habe dich vermisst. Und ich bin ein Idiot, weil ich dir nicht sofort sagen konnte, dass ich mich über deine Rückkehr freue."

In ihrem Zimmer, hat Sharon ihr Nachtgewand angezogen und sich in ihr Bett gelegt. Sie kann aber nicht einschlafen, die Neugier hindert sie daran. Schließlich setzt sie sich wieder auf. "Ich muss einfach wissen, ob sich zwischen Break und Fae etwas tut. Eques." Sie schickt ihren Chain in Breaks Schatten.

Als sie sieht, wie er mit Fae auf dem Bett sitzt und sie in seinen Armen hält, lächelt sie zufrieden. "Schön zu sehen, dass du dich nicht mehr wie ein Idiot benimmst, Break."

Als sie ihre Stimme hört, zuckt Fae zusammen. Verlegen senkt sie den Blick auf den Schatten an ihren Füßen. "Sharon-sama."

"Das gehört sich aber nicht, Ojou-sama. Jemanden einfach heimlich zu beobachten."

"Oh, keine Sorge, ich werde Eques jetzt zurückrufen. Ich wünsche euch beiden eine gute Nacht."

"Tja, dann werde ich mal gehen." Break steht auf, wendet sich zur Tür. "Und du solltest dich schlafen legen. Nach der langen Reise mit dem Zug bist du sicher erschöpft."

"Nein." Fae hält seine Hand fest, zieht ihn wieder neben sich auf das Bett. "Ich will nicht, dass du gehst. Bleib heute Nacht bei mir."

"Fae..."

"Bitte." Sie lehnt sich an seine Schulter, schließt die Augen. "Lass mich jetzt nicht allein."

Langsam hebt er den Arm, streicht über ihre Haare. "Das werde ich nicht, wenn du es nicht willst."

Nach einigen Minuten spürt er, wie ihr Kopf langsam nach vorn sinkt.

Vorsichtig rutscht Break zur Seite und zieht sie ganz auf das Bett, breitet die Decken über sie. Nach einem Moment des Zögerns, beugt er sich zu ihr, senkt seine Lippen auf ihre. "Schlaf gut, Fae."
 

Am nächsten Morgen, als Break aufwacht, liegt Faes Kopf auf seiner Brust. Ihre Haare sind halb über ihr Gesicht gefallen, sanft streicht er sie zurück. Unter seiner Berührung bewegt sie sich leicht, öffnet aber nicht die Augen.

Von draußen dringt ein leises Geräusch durch die Fenster. Ein ihm unbekanntes Geräusch. Neugierig verlässt er das Bett und tastet sich leise zur Tür.

Rheena spannt einen neuen Pfeil in ihre Armbrust, legt an und zielt auf einen kleinen Ring, den sie an einem Baumstamm aufgehängt hat. Sie ist so konzentriert, dass sie nicht hört, wie sich hinter ihr Schritte nähern.

Als sich eine Hand auf ihre Schulter legt, verreißt sie vor Schreck ihre Waffe. Der Pfeil verschwindet in der Baumkrone.

"Das scheint ja eine interessante Waffe zu sein. Wie nennt man so etwas?"

"Das ist eine Armbrust." Rheena dreht sich zu Break um. "Kennst du das etwa nicht?"

Break schüttelt den Kopf. "Ich habe noch nie davon gehört. Hier sind Pistolen sehr verbreitet, beinahe alle Pandora-Agenten tragen eine."

"Du auch?"

"Nein, ich benutze das hier." Break hebt seinen Stock.

Rheena runzelt die Stirn. "Du kämpfst mit einem Gehstock?"

Break fängt an zu lachen und zieht die Schwertklinge heraus. "Hiermit kämpfe ich."

"Ach so. Willst du vielleicht einmal schießen?" Sie hält ihm die Armbrust hin.

"Lieber nicht", lehnt er ab. "Ich würde damit niemals etwas treffen."

"We kannst du das wissen, wenn du es noch nie versucht hast?"

"Ich weiß es", erwidert er. "Für mich ist es unmöglich, sie zu benutzen."

Rheena schaut ihn verwirrt an. "Irgendwie bist du ein komischer Kerl."

Break lacht wieder. "Ja, da hast du wohl Recht. Wie sieht es aus, bist du nicht auch hungrig? Komm, lass uns frühstücken gehen."

"Ja, das klingt gut. Ich komme gleich nach." Rheena geht zu dem Baum, um den Ring abzunehmen.

Ein dunkler Schatten fällt plötzlich auf sie, ein dumpfes Knurren ertönt hinter ihr. Blitzschnell dreht Rheena sich um und sieht, wie eine spinnenähnliche Kreatur eine Klaue auf sie herabsausen lässt.
 

"Alice? Selena?" Oz geht durch die Gärten, auf der Suche nach den beiden.

Bevor er sie entdeckt, hört er das fröhliche Lachen seiner Tochter. Es kommt aus der Richtung, wo die Blumenbeete angelegt sind.

Das kleine Mädchen dreht sich ausgelassen im Kreis, mit einem buntleuchtenden Blumenkranz auf den Haaren. "Too-san", ruft sie, als sie ihn kommen sieht und springt auf ihn zu.

"Oh, wer ist denn dieses wunderhübsche Fräulein?" Oz fängt sie auf und hebt sie hoch in die Luft, schwengt sie herum.

Alice sitzt auf der kleinen Gartenbank, auf ihrem Schoß und auf der Wiese um ihre Füße verstreut liegen noch einige Blütenblätter. Das leise, scharrende Geräusch nimmt sie zunächst gar nicht richtig wahr. Bis sie es erneut hört, lauter als vorher. Langsam steht sie auf. "Oz."

"Ich weiß, da kommt ein Chain." Oz reicht Selena zu Alice. "Bring sie ins Haus und bleib bei ihr. Dort solltet ihr in Sicherheit sein."

"In Ordnung." Mit ihrer Tochter fest an sich gedrück, entfernt sich Alice. Bis zu einem Baum, hinter dem sie stehen bleibt. "Von hier können wir alles gut beobachten."

Oz wendet sich in die Richtung, aus der jetzt wieder das Scharren kommt. Diesmal ist es noch wesentlich lauter und scheint auch näher zu sein. Dann bricht ein Chain durch die Hecken, die den Blumengarten umgeben.

Mit einem grimmigen Lächeln ruft Oz seinen Chain Gryphon.
 

"Rheena!" Der Schrei löst sie aus ihrer Erstarrung, mit einem Sprung zur Seite kann sie gerade noch ausweichen. Die Klaue des Chain gräbt sich in den Boden, wo sie gerade noch gestanden hatte.

Noch auf dem Bauch liegend, spannt Rheena rasch einen neuen Pfeil in ihre Armbrust und zielt.

Als sie den Abzug betätigt, streckt der Chain zum zweiten Mal seine Klaue nach ihr aus. Der Pfell bohrt sich in seinen Arm, entlockt ihm ein dumpfes Knurren.

Rheena presst die Augen fest zusammen, als sich die Klaue weiter auf sie herabsenkt und sich fest um ihren Körper schließt.
 

Gil öffnet die Tür der Kutsche und steigt aus. "Vielleicht hätte ich Break doch sagen sollen, dass ich ihn heute zum Hauptqartier abhole", murmelt er. "Bei meinem Glück schläft er jetzt garantiert noch."

"Es wäre aber ziemlich unhöflich, Gilbert-sama warten zu lassen." Echo folgt ihm in die Eingangshalle.

Gil steuert direkt zur Treppe, geht hinauf und den Flur entlang zu Breaks Zimmer. Ohne anzuklopfen, öffnet er die Tür. "Na los, du Schlafmütze, aufstehen."

"Er ist nicht hier, Gilbert-sama." Echo deutet auf das ordentlich gemachte Bett, dass in der vergangenen Nacht offensichtlich nicht benutzt worden war.

"Ja, das sehe ich auch", brummt Gil. "Wo steckt der Kerl bloß schon wieder?"

"Ich werde ihn suchen." Echo geht näher zum Bett und lässt sich auf die Knie sinken, um darunter zu schauen. "Hier ist er nicht." Sie erhebt sich wieder und geht zum Kleiderschrank, öffnet ihn und holt ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus. Bis sie den Schrank komplett ausgeräumt hat. Auf dem Boden hinter ihr hat sich ein Wäscheberg gebildet. "Und hier hat er sich auch nicht versteckt."

"Lass das, Echo." Gil knirscht beinahe hörbar mit den Zähnen, als das Mädchen die einzelnen Schubladen der Kommode herauszieht und hineinschaut. "So dünn ist er auch wieder nicht, dass er da hineinpassen würde."

"Oh, Gilbert-sama. Echo." Sharon steht in der Zimmertür. "Was führt euch denn so früh zu uns?"

"Wo ist Break, Sharon? Wo treibt er sich schon wieder herum? In seinem Zimmer war er jedenfalls heute Nacht nicht."

"Natürlich nicht." Sharon lächelt. "Er und Fae haben die Nacht gemeinsam in ihrem Zimmer verbracht."

"Was? B-break und F-fae haben...?" Gil´s Gesicht nimmt eine rötliche Färbung an, bei dem Gedanken, was sich zwischen Break und der Frau abgespielt haben könnte.

"Gilbert-sama, geht es euch nicht gut?" Echo hebt die Hand, legt sie auf seine Stirn. "Ihr werdet doch hoffentlich nicht krank?"

"Was ist denn hier passiert?" Fae hat, als sie auf dem Weg zur Treppe war, Sharon vor Breaks Zimmer stehen sehen und ist zu ihr gegangen. Sie betrachtet ungläubig die Unordnung in dem Zimmer. "Gilbert-san, was haben sie mit Breaks Sachen angestellt?"

"I-i-ich...S-s-sie h-h-haben m-m-mit B-b-break..." Gil bricht ab, der Rotton in seinem Gesicht vertieft sich noch.

"Was sagen sie? Ich verstehe kein Wort." Fae blickt fragend Sharon an. "Können sie mir sagen, wovon er redet?"

"Oh, ich habe ihm nur gerade erzählt, dass Break heute Nacht bei ihnen geschlafen hat", erklärt Sharon. "Und jetzt scheint er er wohl zu denken, dass..."

Nun wird auch Fae vor Verlegenheit leicht rot. "Aber es ist doch gar nichts passiert. Er war doch nur im gleichen Zimmer wie ich. Warum haben sie es nicht gleich richtig erklärt, Sharon-sama?"

"Ich wollte einfach mal sehen, wie Gilbert-sama wohl reagieren würde. Dass er so schüchtern ist, hätte ich ja nicht gedacht. Er sollte sich wohl bald auch mal..."

Ein lautes Heulen lässt Sharon verstummen. Alle vier sehen sich kurz an und laufen dann gleichzeitig los.

"Was macht denn ein Chain hier?" Gil erreicht die Treppe als erster, stürmt die Stufen hinunter. "Sharon, Fae, ihr bleibt am besten hier im Haus. Echo und ich werden uns darum kümmern."

"Nein! Break und Rheena sind im Garten! Ich werde ganz bestimmt nicht hier warten!"
 

Rheena hebt überrascht den Kopf, als sie das Heulen hört. Der Arm mit der Klaue, die sie festhält, wurde abgetrennt und löst sich nun auf.

"Ist alles in Ordnung?" Break steht neben ihr, mit seiner Schwertklinge in der rechten Hand.

"Ja, mir geht es gut." Rheena ergreift seine linke Hand und lässt sich von ihm auf die Füße ziehen. "Dieses widerliche spinnenähnliche Ding ist ein Chain, nicht wahr?"

"Ja. Aber er wird nicht lange genug hier bleiben, um einen illegalen Contractor zu finden. Ich schicke ihn jetzt in den Abyss zurück." Break springt wieder hoch in die Luft, schwingt sein Schwert in einem Bogen.

Der Chain stößt wieder ein Knurren aus und macht eine plötzliche, unvorhersehbare blitzschnelle Bewegung. Seine verbliebene Klaue versetzt Break einen Schlag und noch während er zu Boden fällt, packt er ihn.

"Break! Verdammt!" Rheena ballt wütend die Hände zu Fäusten. "Meine Pfeile richten nicht genug Schaden an. Es gibt jetzt nur noch eines, was ich tun kann." Sie konzentriert ihren Blick auf den Chain, nach wenigen Minuten fängt er Feuer, dass sich rasch über seinen Leib ausbreitet.

Als die Überreste des Chain im Abyss versinken, schickt Oz auch Gryphon wieder zurück.

"Oz." Alice geht zu ihm. "Hast du eine Ahnung, warum hier ein Chain aufgetaucht ist?"

Oz schüttelt den Kopf. "Ich weiß nur, dass kein illegaler Contractor dafür verantwortlich sein kann. Wäre einer hier gewesen, hätte er sich sicher bemerkbar gemacht."

"Das ist leider nicht ganz richtig, Oz Bezarius." Eine vermummte Gestalt in einem purpurfarbenem Gewand steht dort, wo der Chain durch die Hecke gekommen ist. "Bevor du fragst, nein, ich bin kein illegaler Contractor. Aber ich bin beeindruckt, dass du so gut mit Gryphon umzugehen gelernt hast."

"Wer bist du?" Oz zieht sein Schwert und richtet es auf ihn. "Warum hast du uns von dem Chain angreifen lassen?"

"Betrachtet es einfach als eine besondere Art der Begrüßung. Und jetzt werde ich mich auch schon wieder verabschieden." Der Vermummte verbeugt sich und weicht dann Schritt für Schritt wieder hinter die Hecke zurück.

"Warte!" Oz springt vor, um ihn noch zu erwischen. Aber seine Hand greift ins Leere. "Verdammt! Er ist einfach spurlos verschwunden!"
 

Break spürt die Hitze der Flammen, die ihm immer näherkommen. Der Griff der Klaue lockert sich allmählich, mit ein wenig Mühe gelingt es ihm, seinen Arm herauszustrecken. Er schwingt auch gleich wieder sein Schwert, um sich gänzlich zu befreien.

Unglücklicherweise reißt er Rheena bei seinem Sturz von den Füßen. Sie landet ausgestreckt auf dem Boden liegend, er kniet über ihr. Seine Hände sind rechts und links von ihrem Kopf aufgestützt.

So findet Gil die beiden, als er angerannt kommt. "Break! Was...machst du denn da?"

"Gilbert-kun?" Break schaut fragend zu ihm auf. "Wir haben hier gerade einen Chain besiegt."

"Das weiß ich! Aber davon spreche ich jetzt überhaupt nicht!"

"Er meint wahrscheinlich, warum du auf mir liegst", mischt Rheena sich ein. "Übrigens, es wäre wirklich nett, wenn du endlich aufstehen würdest."

Schweigend steht Break auf und reicht ihr die Hand. Rheena ergreift sie und lässt sich von ihm auf die Füße ziehen.

"Break. Rheena." Fae ist bei ihnen angekommen. Auf ihrem Gesicht liegt ein besorgter Ausdruck. "Geht es euch beiden gut? Ihr wurdet doch nicht verletzt?"

"Nein, keine Sorge", beruhigt Break sie. "Ich bin ganz leicht mit dem Chain fertig geworden."

"Jetzt lügst du aber, Mad Hatter." Der Vermummte, den auch Oz gesehen hat, ist hinter einem Baum hervorgetreten. "Du warst doch gerade noch in ziemlicher Bedrängnis. Es ist zu schade, dass der kleine Rotschopf den Chain in Flammen hat aufgehen lassen. Hätte sie es nicht getan, wärst du jetzt...Nun, ich glaube, jeder kann sich denken, was dann passiert wäre, nicht wahr?"

"Hast du den Chain etwa gezielt Break angreifen lassen?" Gil zielt mit seiner Pistole auf ihn. "Sag mir, wer du bist! Und warum du es auf ihn abgesehen hast!"

"Ich fürchte, darauf kann ich dir jetzt nicht antworten, Gilbert Nightray. Ich werde euch nur eines sagen. Das hier war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was euch noch erwarten wird." Der Vermummte weicht wieder hinter den Baum zurück. Gil folgt ihm sofort, aber wie schon vorher bei Oz, ist er verschwunden. Wütend schlägt er seine Faust gegen den Baumstamm.

"Reg dich nicht so auf, Gilbert-kun. Wer auch immer das ist, er ist weg. Also, ich will jetzt in den Speisesaal gehen und etwas essen."

"Break, warte!" Gil dreht sich wieder um. "Wann kapierst du das endlich, dass du vor uns nichts geheimhalten musst! Der Kerl hat die Wahrheit gesagt, du warst in Bedrängnis! Warum kannst du das nicht einfach ehrlich sagen?"

"Äh...ich..."

"Warum machst du eigentlich so ein Theater?" Rheena geht auf Gil zu, tippt ihm mit einem Finger an die Brust. "Was ist mit dir? Wie hättest du denn an seiner Stelle reagiert? Hättest du jemanden um Hilfe gebeten?"

"Es geht hier nicht um mich", entgegnet Gil. "Du kennst Break nicht. Du weißt nicht, was für ein Sturkopf er sein kann. Und du weißt auch nicht...Misch dich einfach nicht in etwas ein, über das du nichts weißt."
 

Lotti öffnet die Türen, die von ihrem Zimmer auf den Balkon führen und geht hindurch. Sie geht bis zur Brüstung und lässt ihren Blick über das vor ihr liegende Anwesen wandern. "Ob ich mich wohl jemals daran gewöhne, dass es jetzt so ruhig und friedlich ist? Schon viel zu lange ist nichts aufregendes mehr passiert."

"Das könnte sich bald ändern, Lotti-san", sagt eine Stimme hinter ihr.

Blitzschnell dreht Lotti sich um und schleudert einen Dolch auf den Vermummten, der wie aus dem Nichts erschienen ist. "Wer bist du? Wie kannst du es wagen, hier einzudringen?"

Der Vermummte fängt den Dolch mit einer Hand. "Es besteht kein Grund für diese Feindseligkeit. Ich bin einfach nur ein harmloser Besucher, der ein Anliegen hat."

"Und welchen Grund sollte ich haben, dir zuzuhören?" Lotti verschränkt die Arme vor der Brust.

"Glauben sie mir, es wird sich für sie und Leo-sama lohnen. Wenn sie sich entscheiden, mich bei meinen Plänen zu unterstützen."

Selena klammert sich fest an das Bein ihres Vaters. "Ich will mit!"

Hilflos schaut Oz auf seine Tochter herunter. "Ich kann dich nicht mitnehmen. Ich muss im Hauptquartier den Vorfall melden. Ich hätte gar keine Zeit für dich."

"Dann werde ich auch mitfahren und auf sie aufpassen", bestimmt Alice.

"Alice..."

"Keine Widerrede." Alice steigt in die Kutsche. "Komm, Selena. Wir begleiten deinen Otou-san."

"Ja!" Das kleine Mädchen hüpft vor Freude, klettert ein wenig ungeschickt die Stufen hinter ihrer Mutter hinauf. Oz folgt als letzter und schließt die Tür hinter sich.
 

"So, und jetzt will ich die Wahrheit wissen." Gil schaut Rheena auffordernd an. "Der Kerl in der Robe hat gesagt, du hättest den Chain in Flammen aufgehen lassen, Rheena. Wie hast du das gemacht?"

"Ich muss dir darauf nicht antworten." Rheena verschränkt die Arme vor der Brust. "Du hast vorhin zu mir gesagt, ich sollte mich nicht in etwas einmischen, was mich nichts angeht. Das gilt aber auch genauso für dich."

"Ich muss aber diesen Vorfall im Hauptquartier melden", erwidert Gil. "Also muss ich erfahren, was wirklich geschehen ist."

"Nein, das brauchen sie nicht", mischt Fae sich ein. "Break, könntest du nicht einfach sagen, du hättest den Chain vernichtet? Bitte."

"Sicher. Wenn du mich so nett darum bittest, kann ich ja unmöglich nein sagen."

"Ist das dein Ernst?", fragt Gil ihn ungläubig. "Willst du der Organisation wirklich eine Lüge auftischen?"

"Es wäre doch keine richtige Lüge, Gilbert-kun. Mit der Kraft von Mad Hatter habe ich schließlich schon viele Chains besiegt. Auf einen mehr oder weniger kommt es da ja auch nicht mehr an."

"Was hätte ich von dir auch anderes erwarten dürfen?" Gil seufzt genervt. "Na schön, in Ordnung. Dann komm mit und lass uns fahren."

"Jetzt schon? Aber ich habe so großen Hunger und noch nichts gegessen heute", schmollt Break. "Lass mich doch wenigstens erst frühstücken."

"Du kannst etwas essen, wenn wir im Hauptqartier sind." Gil packt Break an den Schultern, schiebt ihn auf die Tür zu, die ins Haus führt.
 

Als sie zu der Treppe in der Eingangshalle kommen, werden sie von Sharon erwartet. "Rheena-san, ich bin so froh, dass sie von dem Chain nicht verletzt wurden."

"Was? Woher weißt du denn davon?"

"Ich habe alles beobachtet, durch meinen Chain Eques."

"Ja, Ojou-sama hat seit einiger Zeit die schlechte Angewohnheit, ständig zu spionieren", grinst Break. "Man ist praktisch nirgendwo mehr vor ihr sicher."

"Break." Gil bemerkt, wie sich Sharon´s Lächeln verändert und sie in die Falten ihres Kleides greift. Er geht zu ihm und packt ihn wieder am Arm, zieht ihn durch die Eingangstüren bis zur Kutsche. "Komm endlich. Reim wartet schon ungeduldig auf uns."

Nachdem er, Echo und Break eingestiegen sind, gibt er dem Kutscher das Zeichen zum losfahren. Als die Pferde langsam antraben, wird noch einmal die Tür aufgerissen und Rheena schwingt sich herein.

"Was willst du denn hier?" Gil reagiert ungehalten auf ihr Erscheinen. "Wer hat dir erlaubt, uns zu begleiten?"

"Ich brauche keine Erlaubnis, um zu tun, was ich will." Sie lässt sich auf den Sitz neben Echo sinken. "Und gerade jetzt habe ich das Gefühl, ich sollte ihn im Auge behalten." Sie zeigt auf Break.
 

Reim sitzt in seinem Büro, ist in einen Bericht vertieft. Er schaut auf, als er laute, aufgeregte Stimmen und eilige Schritte hört. "Was ist denn da nur los?"

Neugierig geht er auf den Flur hinaus und folgt dem Lärm über die Treppe nach unten.

In der Eingangshalle sind unzählige Pandora-Agenten versammelt. Alle haben ihre Waffen gezogen und richten sie auf jemanden, den er nicht erkennen kann. "Was ist denn hier los?", fragt er den ersten, den er erreicht.

"Der...der Mörder von Duke Barma ist hier", bekommt er zur Antwort.

"Der Mörder von...Oh nein! So ein verdammter Mist!" So schnell es ihm möglich ist, drängt sich Reim durch die Menge.

Als er es geschafft hat, sieht er zu seinem Schrecken Gil mit seiner Pistole und Rheena mit ihrer Armbrust in den Händen. Break steht hinter den beiden, mit scheinbar unbeteiligtem Gesichtsausdruck.

"Hört sofort auf!" Mit ausgebreiteten Armen stellt Reim sich zwischen sie und die Agenten. "Ihr könnt doch eure Waffen nicht auf das Oberhaupt der Familie Nightray richten. Und Xerxes Break und diese junge Frau..."

"Wir haben Sir Gilbert aufgefordert, zur Seite zu treten", unterbricht ihn ein älterer Mann mit einem beachtlichen Bauchumfang. "Es ist unsere Absicht, Mad Hatter gefangenzunehmen. Er ist für den Tod von Duke Barma verantwortlich."

"Sharon-sama?" Fae bemerkt, dass sie nicht ihren üblichen gelassenen Gesichtsaudruck hat. "Ihnen macht doch etwas Sorgen. Erzählen sie es mir?"

"Ja, ich denke, sie sollten es wissen." Sharon legt den Löffel, mit dem sie in ihrem Tee gerührt hat, auf die Untertasse. "Damals, als wir auf dem Fest bei Duke Barma waren, haben sie ja gesehen, dass er und Break sich feindselig gegenüberstanden."

"Ja, daran erinnere ich mich. Rufus-sama hat Break bedroht und ihn einen illegalen Contractor und Verbrecher genannt."

"Das stimmt. Nun, einige Zeit danach kam es zu einem Vorfall auf dem Gelände des Pandora Hauptquartiers. Break und ich fanden meine Großmutter schwer verletzt am Boden liegend. Sie erzählte uns, dass Rufus Barma sie angegriffen hat. Dass er sich mit den Baskervilles zusammen getan hat und mit ihnen tief in die unterirdischen Gänge unter dem Hauptquartier vorgedrungen ist."

"Aber...er war doch seit langer Zeit mit ihr befreundet, oder nicht? Wie konnte er das tun?"

Sharon schüttelt den Kopf. "Er dachte wohl, dass er es tun müsste, um das Überleben seines Hauses zu sichern. Jedenfalls, als die Pandora-Agenten später folgten, fanden sie die Leiche von Rufus Barma. Break lag neben ihm, mit einigen Verletzungen und ohne Bewusstsein. Und ein ganzes Stück weiter lag Gilbert-sama, ebenfalls bewusstlos. Niemand kann sagen, was dort geschehen ist. Aber einige von Pandora scheinen überzeugt zu sein, dass Break Duke Barma umgebracht hätte. Und Break hat zugegeben, dass er mit ihm gekämpft hat. Und dass Rufus Barma seinen Chain und er Mad Hatter gerufen hat, wodurch er wieder einmal ohnmächtig wurde.

Seitdem ist er nicht mehr allzu gern gesehen im Hauptquartier. Nur können diejenigen, die ihn für schuldig halten, offiziell nichts gegen ihn unternehmen.

Weil er unter dem Schutz meiner Familie steht. Und weil auch Oscar-sama, Oz-sama und Alice, Reim-san und Gilbert-sama für ihn einstehen."

"Aber...Der Angriff des Chain heute - Glauben sie, dass dieser Mann in der roten Robe einer derjenigen ist, die Break für schuldig halten? Vielleicht wollte er ihn auf diese Weise dafür bezahlen lassen."

"Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Ich hoffe nur, dass er nicht in Schwierigkeiten gerät, während er dort ist."
 

"So ein Unsinn! Ihr könnt Break nicht dafür verantwortlich machen! Niemand weiß, wie Rufus Barma ums Leben gekommen ist!"

"Er hat zugegeben, dass er mit ihm gekämpft hat", entgegnet der füllige Mann. "Und Duke Barna hatte auch mehrere Verletzungen, die von einem Schwert stammen. Also, gehen sie jetzt bitte zur Seite, Sir Gilbert und lassen sie uns Mad Hatter festnehmen."

"Das kommt nicht in Frage!" Gil spannt den Hahn an seiner Pistole, zielt direkt auf den Fülligen. "Sie und ihre Männer sollten sich besser zurückziehen. Bringen sie mich nicht dazu, meine Waffe zu benutzen."

"Das kannst du nicht machen, Gilbert-kun." Break legt ihm die Hand auf die Schulter. "Wegen mir musst du hier keinen Krieg anzetteln. Nimm deine Waffe runter. Und du auch, Rheena. Ich werde einfach wieder in unser Anwesen zurückkehren."

"Das können wir nicht erlauben, Mad Hatter." Der füllige Mann gibt den anderen ein Zeichen, woraufhin sie den Kreis enger schließen. "Du wirst nirgendwo hingehen, außer in eine Gefängniszelle."

"Hört auf, ihr alle müsst euch beruhigen." Rheena schiebt ihre Armbrust in die Halterung auf ihrem Rücken. "Hier stimmt etwas nicht. Könnt ihr das nicht auch spüren?"

"Was meinen sie?" Reim schaut sie fragend an.

"Diese Feindseligkeiten sind einfach nicht normal. Es ist beinahe so, als würde etwas die Spannungen hier absichtlich immer weiter aufheizen."

"Na ja, ich gebe zu, so ganz normal scheint das hier wirklich nicht zu sein", meint Break. "Sonst, wenn ich hierher kam, wurde ich ja auch nicht gleich von einer ganzen bewaffneten Armee empfangen."

"Was sollen wir denn jetzt tun?" Reim wirft einen nervösen Blick in die Runde. "Irgendwie müssen wir sie doch dazu bringen, ihre Waffen wegzustecken."

"Ich weiß nicht, vielleicht können wir...Nein, nicht!!!!"

Echo hat ihre Dolche herausschnellen lassen, stürzt sich auf einen der Agenten vor sich. Beinahe gleichzeitig drückt Gil den Abzug durch, mit einem leisen Aufschrei geht ein Mann zu Boden.

Als wäre der eine Schuss ein Signal gewesen, beginnen auch die Agenten zu schießen.

Instinktiv wirft sich Break auf Rheena, nebeneinander landen beide auf dem Boden. Reim ist auf die Knie gesunken, hält schützend beide Hände über den Kopf. "Oje oje oje", jammert er vor sich hin. "In was für einen Schlamassel bin ich hier nur wieder geraten?"

"Auf Reim-san können wir wohl nicht zählen", grinst Break. "Er ist mal wieder ein totaler Nichtsnutz."

"Ja, das scheint mir auch so. Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen."

"Du könntest doch hier ein Feuer entzünden", schlägt Break vor. "Das wird sie ablenken und sicher dazu bringen, aufhören zu schießen."

"Nein, das kann ich nicht." Rheena dreht den Kopf zur Seite. "Das hier sind Menschen. Ich kann meine Macht hier nicht einsetzen, ich könnte jemanden damit verletzen. Es tut mir leid."

"Oz. Alice." Oscar öffnet die Tür ihrer Kutsche. Er ist kurz vor ihnen am Hauptquartier angekommen. "Und da ist ja auch die kleine Selena."

"Ojii-san!" Selena hüpft aus der Kutsche direkt in seine Arme. Er schwenkt sie einmal im Kreis und wirft sie dann in die Luft. Sie kreischt vor Freude, als er sie wieder auffängt. "Noch einmal!"

Oscar lacht, während er ihren Wunsch erfüllt. Dann setzt er sie auf den Boden.

Währenddessen geht Oz zu den Eingangstüren und öffnet sie. Durch den so entstandenen Spalt sieht er, was drinnen vorgeht.

"Oz?" Alice schaut ihn fragend an, als er sich zu ihnen umdreht. "Was ist los? Stimmt da irgendwas nicht?"

"Nein, alles in Ordnung." Oz setzt ein Lächeln auf. "Ich habe mir nur gerade etwas überlegt. Warum gehen wir nicht ein wenig in den Gartenanlagen hier spazieren? Es ist doch so wunderbares Wetter heute."

"Das ist wirklich eine sehr gute Idee, Oz", stimmt Oscar begeistert zu. "Dann kann ich noch ein bisschen Zeit mit der süßen, kleinen Selena verbringen."

"Wo ist Selena eigentlich?" Alice schaut sich suchend nach ihrer Tochter um. "Oz, hast du gesehen, wo sie hingelaufen ist?"

Oz schüttelt den Kopf. "Nein, ich..." Er bricht ab, als ein lauter Knall zu hören ist. "Das war...ein Schuss."
 

Unbemerkt ist Selena durch den Türspalt gehuscht, den Oz geöffnet hatte. Einer der Agenten reagiert instinktiv auf ihr Erscheinen und drückt den Abzug seiner Waffe.

Durch den Schreck, als die Kugel über ihrem Kopf in das Türholz einschlägt, bleibt Selena zitternd stehen. Sie verzieht das Gesicht und beginnt heftig zu weinen.

Der Agent blinzelt verwirrt und schaut verwundert auf seine Waffe, als wüsste er nicht, wie sie in seine Hand gelangt ist. "Was...?"

"Selena!" Oz und Alice kommen gleichzeitig in die Halle gestürmt. Alice lässt sich neben ihrer Tochter auf den Boden sinken, schließt sie fest in ihre Arme und spricht beruhigend auf sie ein.

"Was war denn hier nur los?" Oz geht zu Break und Rheena, die beiden sind mittlerweile aufgestanden. "Könnt ihr mir das vielleicht mal erklären?"

"Äh, na ja..." Break grinst verlegen. "Die Leute hier hatten wohl etwas dagegen, dass ich das Hauptquartier betrete."

"Hör auf mit deinen blöden Witzen!" Gil kommt hinter der Säule hervor, wo er in Deckung gegangen war. "Deinetwegen ist auf uns geschossen worden!"

"Gib ihm jetzt nicht die Schuld daran! Du warst es doch, der den ersten Schuss abgegeben hat!"

"Halt du dich gefälligst da raus! Du verstehst doch überhaupt, worum es hier geht!"

"Ich verstehe mehr von dieser Situation als du! Ich habe gespürt, dass hier etwas nicht stimmt! Sieh dir doch nur mal die verwirrten, ratlosen Gesichter der Männer an! Sie wurden irgendwie beeinflusst und manipuliert!"

"Wie meinst du das, Rheena?", mischt Oz sich in ihren Streit mit Gil ein.

"Das Verhalten der Mitglieder von Pandora war nicht normal", erklärt Reim an ihrer Stelle. "Ohne Rücksicht auf sich oder ihre Kollegen zu nehmen, haben sie angefangen zu schießen."

"Zum Glück hat sich die Lage jetzt wierder beruhigt. Trotzdem solltest du dich in der nächsten Zeit nicht mehr hier sehen lassen, Xerxes." Oscar legt ihm die Hand auf die Schulter.

"Ja, ich halte es auch für besser, wenn du jetzt zurück fährst."

"Reim-san? Du hast mich doch extra heute hierher bestellt, weil du etwas mit mir bereden wolltest."

"Ich werde später einfach bei eurem Anwesen vorbeikommen. Jetzt muss ich hier erst einmal für Ordnung sorgen." Reim entfernt sich von der kleinen Gruppe.

"Na los." Gil befördert Break zu der Kutsche, mit der sie gekommen sind. "Bringen sie ihn zum Anwesen von Sharon Rainsworth", befiehlt er dem Kutscher. "Und dann kommen sie wieder hierher."
 

Break lehnt sich auf dem Sitz zurück, schließt die Augen und lauscht eine Weile auf den gleichmäßigen Tritt der Pferde. "Also, warum bist du mit zum Hauptquartier gefahren, Rheena? Hast du geahnt, was dort geschehen würde? Du hättest dabei verletzt werden können."

"Du genauso", erwidert sie. "Fae hat mir soviel von dir erzählt, dass ich weiß, wie leichtsinnig du sein kannst. Sie liebt dich und es wäre sehr schmerzhaft für sie, wenn dir etwas zustößt. Und das will ich auf keinen Fall erleben. Wenn du also nicht auf dich aufpasst, muss ich das eben tun."

Break öffnet sein Auge, dreht den Kopf in ihre Richtung. "Sie bedeutet dir anscheinend sehr viel."

"Ja, das stimmt." Rheena streicht sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. "Ich habe ihr unglaublich viel zu verdanken. Sie hat mir das Leben gerettet. Und sie hat sich um mich gekümmert, als ich...eine schwierige Zeit hatte."

"Du willst nicht über deine Vergangenheit reden, nicht wahr? Keine Sorge, ich werde dich nicht danach fragen."

"Nicht?" Rheena blickt ihn überrascht an. "Bist du gar nicht neugierig?"

"Oh doch, das bin ich schon. Aber..."

"Aber?"

Break dreht den Kopf zum Fenster. Seine langen Haarsträhnen verbergen sein Gesicht vor ihr. "Nichts. Wir sind gleich im Anwesen."

Kaum hält die Kutsche vor dem Anwesen, steigt Break aus und geht hinein. Als Rheena die Eingangstüren hinter sich schließt, ist er bereits auf dem mittleren Absatz der Treppe. "He, warte doch. Warum hast du es denn so eilig?"

"Ich will mich umziehen. Geh ruhig schon in den Salon, Sharon-sama und Fae sind sicher jetzt dort."

Auf dem Weg den Flur entlang öffnet Break die Knöpfe an seiner Uniform. Als er an seinem Zimmer ankommt, steht die Tür offen und drinnen ist Fae dabei, seine Kleidungsstücke zurück in den Schrank zu räumen.

"Dafür sind doch die Dienstboten zuständig."

"Break." Mit seinem Mantel in den Händen dreht sie sich zu ihm um. "Geht es dir gut? Du hattest doch keine Schwierigkeiten im Hauptquartier, oder?"

"Warum sollte ich denn dort Schwierigkeiten haben?" Break streift seine Uniform ab, lässt sie auf den Boden fallen.

"Sharon hat es mir erzählt." Fae hängt den Mantel in den Schrank und schließt die Türen. "Dass einige von Pandora dich für den Tod von Rufus Barma verantwortlich machen."

"Und deshalb hast du dir Sorgen gemacht? Das brauchst du nicht, es ist alles in Ordnung."

"Wird Rheena das auch sagen, wenn ich sie frage? Oder Gilbert-san?"

Seufzend geht er zum Bett und setzt sich. "Na gut, es gab einen kleinen Zwischenfall", gibt er zu, während er die beiden obersten Knöpfe seines Hemdes öffnet.

"Was ist passiert?" Sie rutscht neben ihm auf die Bettdecke.

"Ach, nichts, was dich beunruhigen müsste."

"Wirklich nicht, Break?" Fae umfasst seine Schultern und zieht ihn nach hinten, bis sein Kopf auf ihrem Schoß liegt. "Erzähl es mir."
 

"Ist das wahr, Gil? Dieser verdächtige Typ in der roten Robe ist auch bei euch erschienen?"

"Das habe ich doch gerade gesagt, Oz." Gil lehnt an dem Fenster in Reim´s Büro. Nachdem Break und Rheena abgefahren sind, hat Reim die beiden hierher gebeten. Oscar und Alice sind mit Selena in die Gartenanlagen gegangen.

"Dieser Mann ist also für das Auftauchen der Chains bei ihnen, Oz-sama, und im Anwesen von Sharon-sama verantwortlich." Reim sitzt an seinem Schreibtisch und macht sich Notizen. "Wir müssen unbedingt herausfinden, wer er ist. Und wie er es geschafft hat, die Chains dazu zu bringen, euch anzugreifen."

"Ach, das ist ja sehr interessant." Leo hat die Tür geöffnet und das Büro betreten. "Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mich an eurem Gespräch beteilige?"

"Leo Baskerville." Vor Überraschung lässt Reim den Stift fallen.

"In Ordnung." Oz geht einen Schritt auf Leo zu. "Sag uns, was du weißt."

"Dieser Mann, von dem ihr gesprochen habt. Er hat auch bei Lotti einen Besuch gemacht. Allerdings hat er sie nicht von einem Chain angreifen lassen."

"Und warum war er dann bei ihr?" Gil verschränkt die Arme vor der Brust.

"Er wollte sie um ihre Unterstützung bitten. Und mich. Er sagte, er könnte unsere Hilfe brauchen, um seine Pläne umzusetzen."

"Was für Pläne? Hat der Kerl euch darüber etwas erzählt?"

"Nein, das hat er leider nicht. Er wollte Lotti nichts verraten, bis wir unsere Entscheidung getroffen haben und uns ihm anschließen."

"Also weißt du eigentlich nichts, was uns weiterhilft. Und du hättest dir es sparen können, hierher zu kommen."

"Gil, beruhige dich. Leo hat uns schon einige neue Informationen geliefert. Die Angriffe heute waren erst der Anfang. Dieser Mann - wer auch immer er ist - muss irgendetwas vorhaben, was mit den Chains und dem Abyss zu tun hat."

"Oz." Alice und Oscar sind in der offenen Tür erschienen. Oscar trägt Selena auf dem Arm, die Kleine reibt sich müde die Augen und gähnt. "Wir sollten langsam heimfahren."

"Ist es schon so spät?" Oz wirft einen Blick durch das Fenster, auf die bereits tief am Himmel stehende Sonne. "Oh, ich habe gar nicht auf die Zeit geachtet."

"Himmel, ich auch nicht." Reim beginnt hektisch, seine Unterlagen zusammenzuschieben. "Ich wollte Ada doch gar nicht so lang allein lassen heute. Entschuldigen sie mich bitte. Auf Wiedersehen." Er scheucht die anderen aus seinem Büro, verschließt die Tür und stürmt beinahe fluchtähnlich den Flur hinunter.

"Oh je. Je näher die Geburt rückt, desto nervöser scheint er zu werden. Vielleicht sollten wir Ada bis zu ihrer Entbindung zu uns holen. Was meinst du, Ojii-san?"

"Das ist gar keine schlechte Idee. Ada würde es sicher gut tun. Und Reim könnte sich ein bisschen entspannen."
 

Rheena schreckt aus einem unruhigen Traum. Sie braucht einen Moment, bis ihr bewusst wird, dass sie auf der Couch im Salon eingeschlafen ist. "Mist." Mit einem Ruck schiebt sie die Decke zurück, die jemand über sie gebreitet hat und steht auf. Im schwachen Mondlicht, dass durch die Terassentüren hereinscheint, versucht sie sich vorwärts zu tasten. Und stößt mit den Knien gegen die Tischkante. "Autsch. Verdammt. Hätten die mir nicht eine Kerze hier hinstellen können? Jetzt muss ich es so machen." Seufzend erschafft sie eine kleine flammende Kugel, die wie ein Irrlicht vor ihr herschwebt.

Mit dieser Lichtquelle gelangt sie bis zu ihrem Zimmer. Vor der Tür bleibt sie kurz stehen und geht dann weiter den Flur entlang. Als sie zur Treppe kommt, hört sie Schritte und sieht einen flackernden Schein, der sich von rechts nähert. Rasch weicht sie zurück und lässt ihre Feuerkugel erlöschen. Kaum eine Minute später kommt Break um die Ecke, auf seinem Kopf balanciert er einen Kerzenständer.

Rheena seufzt innerlich, als der Schein der Kerzenflammen auf sie fällt.

Aber obwohl er nicht mehr als ein paar Schritte von ihr entfernt ist, beachtet er sie nicht und geht einfach weiter.

Verwirrt schaut Rheena ihm nach. "Was ist denn mit ihm los? Er hätte mich doch sehen müssen."

Nach ihrer kurzen Begegnung mit Break hat Rheena das Anwesen verlassen.

Sie folgt dem lautlosen Ruf, den sie schon einmal vernommen hat.

Während sie eine Straße entlang läuft, entdeckt sie ein kleines Kätzchen, das mit einer Pfote in einem Abflussgitter feststeckt. Langsam, um das Tier nicht zu verschrecken, lässt sie sich auf die Knie sinken und befreit es behutsam. Unter ihren Fingern fühlt sie etwas warmes und klebriges. Da das Mondlicht zu schwach ist, erschafft sie weder eine Feuerkugel und betrachtet die blutig gescheuerte Pfote. "Was hast du denn nur gemacht, Kleines?"

Als Antwort gibt das Kätzchen ein klägliches Wimmern von sich.

Unschlüssig schaut Rheena zum Ende der Straße, dann auf das Kätzchen und seufzt. "Ich kann dich nicht einfach hier lassen." Vorsichtig nimmt sie das zitternde Fellbündel auf den Arm.

Als sie sich umdreht, steht sie einem Chain gegenüber. Er ähnelt Raven, hat aber doppelte Schwingen auf jeder Seite. Seine Augen glühen in einem eisigen Blau.

Instinktiv will Rheena nach ihrer Waffe greifen, muss aber feststellen, dass sie es nicht kann.

"Er hat eine sehr interessante Fähigkeit, meinst du nicht auch?" Der Mann in der roten Robe taucht neben dem Chain auf. "Dieser Chain, Craven kann Dinge und Menschen einfrieren. Du bist absolut bewegungsunfähig, ich könnte jetzt alles mit dir machen, was ich will."

Rheena beisst die Zähne zusammen, als er die Hand nach ihr ausstreckt. Er zieht sie aber sofort wieder zurück und senkt den Kopf. Das kleine Kätzchen hat sich in seinen Arm verbissen. "Blödes Vieh." Er packt das Tier grob im Nacken und schleudert es gegen eine Hauswand.

"Neko-chan!" Rheena spürt, wie heiße Wut in ihr aufsteigt und die lähmende Kälte vertreibt. "Du verdammter Mistkerl!" Sie verpasst ihm einen heftigen Schlag, der seinen Kopf zur Seite fliegen lässt. "Das war nur ein harmloses, kleines Kätzchen!"

"Das wirst du bereuen." Jede Freundlichkeit ist aus seiner Stimme verschwunden, als er sich ihr wieder zuwendet. "Craven, diese Frau ist mir ein Ärgernis. Kümmere dich um sie und schick sie in den Abyss."

Der Chain reißt seinen Schnabel auf und krächzt, während er mit den Flügeln schlägt. Durch den starken Wind, den er verursacht, wird sie von den Füßen gerissen. Dann spürt sie, wie er mit seinem Krallenfuß über ihren Rücken fährt und eine blutige Spur hinterlässt. Der brennende Schmerz löst eine Vision bei ihr aus.

Einige Minuten später kann sie allmählich ihre Umgebung wieder wahrnehmen.

"Rheena." Fae kniet neben ihr, hält sie vorsichtig an den Schultern aufrecht. "Warum hast du nur allein das Anwesen verlassen? Dieser Chain hätte dir wirklich etwas schlimmes antun können."

"Es tut mir leid, Fae." Rheena zieht sie in eine Umarmung. "Ich werde aufpassen, dass ich nicht wieder in eine solche Situation gerate."

"Dann sollte ich mich wohl besser mal um dieses Federvieh kümmern." Break öffnet den Verschluss und zieht sein Schwert. Als Craven wild mit den Flügeln zu schlagen beginnt und verschwindet.

"Er wollte wohl nicht, dass du Craven vernichtest", murmelt Rheena. "Deshalb hat er ihn zurückgerufen."

"Wer?"

"Dieser merkwürdige Kerl, den wir heute morgen gesehen haben. Er war hier, er hat ganz plötzlich direkt hinter mir gestanden. Ich war unaufmerksam, weil ich mich um ein verletztes Kätzchen gekümmert habe...Oh nein! Neko-chan!"

"Mach dir keine Sorgen, es geht ihr gut." Fae schiebt ihren Mantel zur Seite und zeigt ihr das kleine Fellknäuel, das zusammengerollt auf ihrem Schoß liegt. "Sie war neben dir und hat dich immer wieder angestupst, als wir dich fanden. Du hattest wieder eine Vision, nicht wahr? Erzählst du mir, was du gesehen hast?"

Rheena zögert kurz, dann schüttelt sie den Kopf. "Ich möchte jetzt nur zurück zum Anwesen."

"Ich werde dich tragen", bietet Break an. "Du scheinst jetzt nicht mehr in der Lage zu sein, den ganzen Weg zu laufen."
 

Als sie im Anwesen ankommen, läuft Sharon gleich los, um Verbandszeug zu holen. Break setzt Rheena auf ihrem Bett ab und tritt dann zurück. "Sharon wird sicher etwas dagegen haben, wenn ich hier bleibe. Ich gehe besser, bevor sie zurückkommt und wieder mit mir schimpft."

"Fae, kann ich dich mal etwas fragen?" Rheena blickt ihre Freundin ernst an, nachdem sie allein mit ihr ist. "Stimmt mit Break irgendetwas nicht?"

"Warum glaubst du das?"

Rheena erzählt ihr, wie Break sie früher am Abend völlig ignoriert hatte. "Es war wirklich merkwürdig, dass er mich nicht angesehen und kein Wort zu mir gesagt hat. Das beschäftigt mich jetzt schon eine ganze Weile."

"Nein, ich kann dir versichern, mit ihm ist alles in Ordnung."

"Ja, wirklich." Sharon hat das Zimmer betreten, mit dem Arm voller Verbandszeug. "Du kannst beruhigt aufhören, dir über ihn Gedanken zu machen. Lass dir jetzt von Fae deine Verletzungen versorgen. Und ich werde mich um das Kätzchen kümmern, dass ihr mitgebracht habt."

"In Ordnung." Rheena zieht ihr Hemd aus. Während Fae behutsam die Wunden säubert und einen Verband anlegt, fängt sie wieder an zu grübeln. "Ich bin ziemlich sicher, dass sie etwas vor mir verheimlichen, was Break betrifft. Sogar Fae will es mir nicht sagen. Aber ich werde es schon noch herausbekommen."

"Fae, du hast dich jetzt genug um mich gekümmert. Du solltest schlafen gehen."

"Genau das gleiche wollte ich auch vorschlagen."

"He, was fällt dir ein?" Rheena reißt hastig das Nachtgewand, das Fae ihr gegeben hat, vor ihre Brust. "Sieh bloß zu, dass du wieder rausgehst!"

"Was?" Break macht ein verwirrtes Gesicht. "Warum denn?"

"Stell dich doch nicht so blöd! Du bist einfach hier hereingekommen und hast mich angestarrt!" Sie greift das Kissen und holt aus.

"Warte, Rheena", versucht Fae sie aufzuhalten. "Reg dich nicht so auf. Er hat doch gar nichts..." Sie zuckt zusammen, als Break von dem Kissen mitten im Gesicht getroffen wird. Er stolpert zurück und landet unsanft auf seinem Hintern.

Gegen ihren Willen beginnt Rheena zu kichern. "Oh, ich dachte nicht, dass ich dich wirklich treffen würde."

Auch Break fängt an zu lachen. "Du hast mir ja einen richtig herzlichen Empfang bereitet. Dabei wollte ich dir nur sagen, dass Sharon deinem Kätzchen im Salon einen Korb zurecht gemacht hat. Und sie hat ihr auch etwas zu fressen gegeben."

"Es geht Neko-chan also gut?" Rheena seufzt erleichtert. "Ich möchte gern noch einmal nach ihr sehen. Also dreh dich gefälligst um, damit ich mich anziehen kann!"
 

Am nächsten Tag wird Rheena geweckt, weil etwas warmes und feuchtes über ihr Gesicht fährt. Als sie die Augen öffnet und den Kopf zur Seite dreht, blickt sie in ein paar große, grüne Augen. "Guten Morgen, Neko-chan."

Das Kätzchen miaut zur Antwort, stupst sie noch einmal mit der Nase an und tapst auf den Bettrand zu. Als sie versucht, auf den Boden hinunter zu springen, verfängt sie sich mit ihrer bandagierten Pfote in der Bettdecke und purzelt über die Kante.

"Neko-chan!" Rheena setzt sich hastig auf und beugt sich vor, aber das Kätzchen putzt sich ungerührt mit der gesunden Pfote über ihr silbernes Fell und tapst dann ein wenig unbeholfen auf die Zimmertür zu.

Direkt davor bleibt sie stehen und schaut zu ihr zurück.

"Du hast wohl Hunger, was?" Rheena steht auf und holt frische Kleidung aus dem Schrank. Während sie sich anzieht, beginnt das Kätzchen ungeduldig an der Tür zu kratzen.

"Ist ja gut, ich komme schon."
 

Als sie sich dem Salon nähert, hört sie eine laute, aufgebrachte Stimme. "Das kommt überhaupt nicht in Frage! Sei wenigstens einmal vernünftig, Break! Du kannst nicht einfach so ins Hauptquartier marschieren! Hast du etwa schon vergessen, was gestern passiert ist?!"

"Oh nein. Hört der denn niemals auf zu meckern oder sich zu beschweren?" Rheena streicht dem Kätzchen über das Fell. "Na, was hältst du davon, wenn wir ihn mal ein bisschen erschrecken?"

Möglichst leise schleicht sie sich durch die offene Tür auf Gil zu, der ihr den Rücken zugewandt hat. Direkt hinter ihm bleibt sie stehen und tippt ihm auf die Schulter. Als er sich zu ihr umdreht, drückt sie ihm das Kätzchen direkt ins Gesicht. "Sag doch mal Hallo zu dem Angsthasen."

Das Kätzchen miaut und stupst ihn mit ihrer Nase ans Kinn.

"Neko!" Gil sackt zitternd zu Boden.

"So, jetzt ist er wohl erstmal eine Weile ruhiggestellt." Fröhlich lächelnd setzt Rheena das Kätzchen auf den Boden und geht dann zur Couch, nimmt neben Sharon Platz.

"Das war jetzt aber ziemlich gemein", bemerkt Break, grinst aber bei seinen Worten.

"Ach, er wird sich schon wieder davon erholen." Sharon nimmt einen Schluck von ihrem Tee. "Nun, warum erzählen sie nicht von dem Chain, der sie gestern angegriffen hat, Rheena-san?"

Rheena lässt den Keks, in den sie gerade beißen wollte, sinken und schaut Sharon verblüfft an. "Haben Break und Fae nicht bereits davon berichtet?"

"Wir kennen leider nur seinen Namen, Craven", erklärt Break. "Was passiert ist, bevor wir dich fanden, wissen wir nicht. Aber wir möchten es sehr gern erfahren."

"Also gut. Dieser Chain hat - aus meiner Sicht - eine ziemlich gefährliche Fähigkeit. Er hat mich erstarren lassen, ich konnte mich nicht mehr bewegen."

"Aber er scheint das nicht länger als ein paar Minuten tun zu können." Break schiebt sich einen Keks in den Mund. "Als wir dort ankamen, hast du dich ja wieder bewegt."

"Weil ich wütend wurde, als dieser Mann Neko-chan weggeschleudert hat", erklärt Rheena. "Durch die Kraft des Feuers in mir habe ich die Lähmung irgendwie überwunden. Und ich habe ihn geschlagen. Erst danach hat sein Chain mich angegriffen und verletzt."

"Das finde ich wirklich sehr interessant. Du bist also in der Lage, seine Fähigkeit auszuschalten. Wenn wir diesem Chain also das nächste Mal gegenüberstehen..." Break verstummt, als er eine Berührung an seiner Hand spürt. Das Kätzchen ist auf die Lehne seines Sessels geklettert und schnuppert an seiner Teetasse. Als sie sich weiter reckt, rutscht sie mit ihrer bandagierten Pfote auf dem glatten Bezug aus und taucht mit der Nase in die heiße Flüssigkeit. Vor Schreck zuckt sie zurück, niest und schüttelt sich. Dabei stößt sie gegen die Tasse, der Inhalt schwappt über den Rand und ergießt sich über sie und auf Break´s Hose.

Als sie dann auch noch quer über den Tisch flitzt, um sich in Rheena´s Schoß zu flüchten. Und dabei mit ihren Krallen die Decke mitreißt und Teller und Tassen auf den Boden fallen und zerbrechen, seufzt Sharon. "Meine Güte, dieses Tier verursacht ja ein ganz schönes Chaos."

"Chaos", wiederholt Rheena, während sie das zitternde Fellknäuel beruhigend streichelt. "Ja, genau, das ist es. So werde ich sie nennen. Chaos."

"Geht es ihr jetzt wieder besser?" Fae schaut auf Chaos, die sich auf Rheena´s Schoß zusammengerollt hat.

"Ich glaube schon. Sie scheint eingeschlafen zu sein." Vorsichtig, um sie nicht wieder aufzuwecken, setzt Rheena sie auf ein Kissen neben sich. "Ich werde dann jetzt mal diese Unordnung hier aufräumen."

"Das werden sie nicht, Rheena-san. Break kann sich darum kümmern."

"Aber, Sharon-sama, warum denn ich?"

"Weil du dieses arme Kätzchen erschreckt hast", erwidert Sharon.

"Das ist doch Blödsinn." Rheena lässt sich ebenfalls auf die Knie sinken und greift nach einer Scherbe.

Rasch sammeln die beiden alles auf einen Haufen auf dem Tisch. Dann steht Break auf, um zu seinem Sessel zurückzugehen.

"He, was ist das denn?" Rheena hebt eine einzelne Scherbe hoch, die noch auf dem Boden liegt. Deren scharfe Kante ist blutbeschmiert. "Du hast dich daran geschnitten, oder? Warum hast du nichts gesagt?"

"Das ist einfach typisch für ihn." Gil ist aus seiner Erstarrung aufgewacht und geht zu Break. "Zeig mir deine Hand", fordert er ihn auf.

Als Break nicht gleich reagiert, packt er ihn am Handgelenk. Ein langer Schnitt zieht sich quer über seine Handfläche. "Lass mich raten: Du hast die Scherbe nicht gesehen und direkt reingepackt."

"Das sieht ja schlimm aus." Fae ist neben Gil getreten und betrachtet besorgt den Schnitt, aus dem immer noch Blut quillt. Vorsichtig wickelt sie ihr Taschentuch um die Wunde. "Das wird erstmal die Blutung stoppen. Aber lass sie besser noch richtig verbinden."

"Hey", mischt Rheena sich wieder ein. "Du, Angsthase. Was soll das bedeuten, was du gesagt hast? Diese Scherbe ist doch viel zu groß, er hätte sie doch gar nicht übersehen können."

"Nenn mich nicht Angsthase!" Gil wendet sich ihr zu. "Und denk doch einfach mal nach! Der "Idiot" hier hat die Scherbe nicht gesehen, weil er blind ist!"

"Gilbert-sama." Sharon ist aufgestanden und hinter ihn getreten, schwingt ihren Harisen. "Du darfst so etwas doch nicht einfach ausplaudern."

"Das ist es also, was ich nicht erfahren sollte? Und ich dachte..." Rheena sackt plötzlich zu Boden und presst beide Arme um ihre Brust. "Das kleine Mädchen...Die Chains...helft ihnen...", flüstert sie beinahe tonlos.
 

Oz ist mit seiner Familie auf dem Weg zu Sharon´s Anwesen.

Selena steht auf der Bank direkt am Fenster und schaut auf die vorbeiziehende Landschaft. "Otou-san, Okaa-san, schaut doch mal", ruft sie, als die Kutsche an einer Wildblumenwiese vorbeifährt. "Kann ich Sharon Obaa-san welche mitbringen?"

"Tut mir leid", bedauert Oz. "Aber wir werden erwartet..."

"Ach was, das dauert doch nicht lange", unterbricht Alice ihn. Sie steht auf und öffnet die Verbindungsscheibe zum Kutscher. "Halten sie sofort an, wir werden hier noch ein paar Blumen pflücken."

Kaum ist die Kutsche zum Stehen gekommen, hüpft Selena die Stufen hinunter und läuft auf die Wiese. Zwischen den Blumen setzt sie sich und beginnt eifrig zu pflücken.

Alice setzt sich auf die mittlere Stufe. "Hat Sharon gesagt, warum sie uns zu sich kommen lässt?"

"Vielleicht haben sie neue Informationen über diesen rätselhaften Mann", überlegt Oz. "Ich bin schon sehr gespannt, was wir wohl erfahren werden. Und wir sollten wohl bald weiterfahren, da scheint sich ein Sturm zu bilden."

In der kurzen Zeit, die sie angehalten haben, hat sich der Himmel mit dunklen Regenwolken zugezogen.

"Ich hole Selena." Alice steht auf und geht ein paar Schritte, als die Pferde unruhig werden und nervös mit den Hufen scharren. "Hey, was ist denn mit euch?" Der Kutscher versucht, sie zu beruhigen.

"Irgendetwas scheint sie aufzuregen." Oz schaut sich aufmerksam um und

sieht, wie sich ein Schatten zwischen den Grashalmen auf seine Tochter zubewegt.

Selena hebt den Kopf, als die wurmähnliche Kreatur sich direkt vor ihr aufrichtet. Sein Hinterteil in Form einer Hand gibt eine Salve auf Oz und Alice ab. Zwei Schüsse schlagen direkt vor ihnen in den Boden ein. Die anderen lassen die Kutsche in einer Explosion aufgehen.

"Okaa-san, Otou-san." Selena lässt die Blumen fallen und läuft los. Sie kommt nicht weit, als der Chain sie überholt und ihr den Weg versperrt. Für einige Minuten schaut er reglos auf sie herab. Dann glühen seine Augen rot auf und er wendet sich um, als ein lautes Brüllen ertönt.

Lotti kommt auf Leon angeritten, zieht Selena vor sich auf seinen Rücken und lässt ihn ein paar Meter weiter stehen bleiben. Hinter ihnen wird der Wurm von einem gezielten Schwerthieb ins Abyss zurückbefördert.

"Soso, er ist also auch gekommen." Lotti lässt Selena wieder absteigen. "Bleib einfach hier stehen, Girlie. Er wird sich gleich um dich kümmern."

"Vielen Dank." Selena schaut mit einem unbekümmerten Lächeln zu ihr hoch und streckt die Hand aus, um Leon´s Fell zu streicheln. "Du bist aber ein liebes Kätzchen."

Lotti runzelt die Stirn, als ihr Chain anfängt zu schnurren und mit seiner Zunge ihr Gesicht abschleckt. Das kleine Mädchen kichert glucksend.

"Was für ein seltsames Kind. Sie zeigt nicht die geringste Angst vor Chains. Und Leon behandelt sie wie ein harmloses Miezekätzchen."

Break schiebt sein Schwert zurück in die Schwertscheide und geht dann in die Richtung, wo er Leon schnurren hört. "Ich bin erstaunt, dass sie dieses kleine Mädchen gerettet haben, Lotti-san."

"Und ich bin neugierig, woher du gewusst hast, dass hier ein Chain aufgetaucht ist." Lotti steigt von Leon´s Rücken und tritt ganz dicht an Break heran. "Übrigens, ich glaube nicht, dass die Kleine wirklich in Gefahr war", flüstert sie ihm zu. "Es sah für mich nicht so aus, als wollte der Chain sie angreifen. Und sie hat nicht so reagiert, als würde sie sich fürchten."

"Hm." Break macht ein nachdenkliches Gesicht. "Vielleicht..."

"Xerx Ojii-san?" Selena zieht an seinem weißen Mantel. "Geht es Otou-san und Okaa-san gut?"

"Aber natürlich." Break kniet sich hin und streicht ihr über den Kopf, dann nimmt er sie auf den Arm. "Komm, wir werden jetzt zu ihnen gehen."

Lotti schaut ihnen nach, wie sie auf die brennenden Trümmer zugehen. Dann steigt sie wieder auf ihren Chain.

"Oz-sama, Alice-san." Fae sieht Break herankommen. Sie war ihm gefolgt, als Sharon ihn mit Eques´ Kraft hierher geschickt hatte. Gerade noch rechtzeitig hatte sie Oz und Alice mit einem magischen Schild vor der Explosion beschützen können. "Schaut, ihr ist nichts passiert."

"Selena!" Alice reißt ihre Tochter beinahe aus Break´s Armen und drückt sie eng an sich.

"Vielen Dank, Break." Oz geht zu ihm und legt ihm die Hand auf die Schulter. "Du hast unsere Tochter gerettet, das werde ich dir nicht vergessen."

"Ach, das war doch gar nichts." Break grinst und wedelt mit seinen weiten Ärmeln. "Ist nur schade, dass ihr eure Kutsche verloren habt. Und die Pferde sind weg."

"Ja, sie sind bei der Explosion ausgerissen. Der Kutscher wollte sie aber wieder einfangen."

"Verzeiht, wenn ich euer Gespräch störe, aber ihr solltet jetzt besser so schnell wie möglich hierher kommen", rät ihnen Sharon´s Stimme.

Der Himmel hatte sich weiter verdunkelt und Regen setzt ein, der rasch an Heftigkeit zunimmt. In einiger Entfernung zucken die ersten Blitze und der Wind wird stärker.

"Sharon-chan." Oz blickt auf den Schatten zu ihren Füßen. "Kannst du mit Eques einen Durchgang schaffen, der Alice, Selena und Fae zu dir bringt? Break und ich werden den Kutscher und die Pferde suchen."

"Sicher, gern." Dicht neben ihnen entsteht ein schwarzer Wirbel.

"Aber den Kutscher braucht ihr nicht suchen." Fae dreht sich in die Richtung, aus der sich Hufgetrappel nähert.

"Und was jetzt? Zwei von uns müssen ja die Tiere zurückbringen."

"Ich kann eins reiten", bietet der Kutscher an, der jetzt in Hörweite ist. "Aber bei diesem Wetter kann ich das andere nicht am Zügel mitführen. Es war schon schwierig genug, die beiden hierher zurückzubringen."

"Dann werde ich das andere reiten", bestimmt Oz. "Ich kann ja nicht von Alice oder Fae-san verlangen, es zu tun. Und Break..." Er schaut zu ihm.

"Jaja, schon gut." Break wedelt erneut mit seinen Ärmeln. "Da ich blind bin, ist es wohl keine gute Idee, mich auf ein Pferd steigen zu lassen. Komm, Fae, gehen wir zu Sharon."

"Ja." Sie ergreift seine ausgestreckte Hand und springt mit ihm in das schwarze Loch.

"Alice, geh du auch." Oz schiebt seine Frau auf das Loch zu. "Bring Selena ins Trockene. Ich bin ja auch bald wieder bei euch."

"Und du pass auf, dass dir auf dem Weg nicht noch irgendwas passiert."
 

Sharon empfängt sie mit einem Stapel Handtüchern. "Hier, trocknet euch erst mal vernünftig ab."

"Ich glaube nicht, dass die reichen, Sharon-sama", bemerkt Fae. Obwohl sie nur kurze Zeit im Regen gestanden hatten, sind sie völlig durchnässt. "Wir sollten uns am besten trockene Kleidung anziehen. Alice-san, ich kann dir ein Kleid von mir leihen, wenn du willst. Es müsste dir eigentlich passen."

"Und ich bringe dir gleich eine Decke für Selena", fügt Sharon hinzu, während die beiden Frauen bereits den Salon verlassen. Als sie sich umdreht, sieht sie Break vor den Balkontüren, mit einem Handtuch auf seinen tropfnassen Haaren. Draußen fällt der Regen mittlerweile wie ein silberner Vorhang. Der beinahe schwarze Himmel dahinter wird in rascher Folge von Blitzen erhellt.

"Da tobt ein ganz schönes Unwetter, nicht wahr?" Sharon geht zu ihm, stellt sich neben ihn. "Break, machst du dir Gedanken, was Lotti-san über Selena gesagt hat? Glaubst du auch, dass sie kein gewöhnliches kleines Mädchen ist?"

"Nun ja, immerhin ist sie die Tochter von Oz-kun und Alice-kun", erwidert er. "Es wäre also möglich, dass sie eine besondere Verbindung zum Abyss und zu den Chains hat."

"Sharon-sama." Echo hat den Salon betreten. "Ich soll ihnen von Gilbert-sama ausrichten, dass der freche Rotschopf wieder aufgewacht ist."

"Danke, Echo." Sharon dreht sich lächelnd zu ihr um. "Ich werde gleich nach ihr sehen."

"Du auch." Echo schaut Break an. "Sie hat nach dir gefragt. Du sollst auch zu ihr kommen."

"Verdammt nochmal, du sollst liegen bleiben!" Gil´s laute Stimme dringt durch die geschlossene Tür von Rheena´s Zimmer. "Du hast ziemlich schlimme Verletzungen auf dem Rücken! Und nach deiner Vision bist du umgekippt und warst bis vor ein paar Minuten ohne Bewusstsein! Willst du dich etwa genauso idiotisch benehmen wie Break?!"

"Lass mich in Ruhe! Ich weiß selbst am besten, wie es mir geht!", antwortet Rheena in einer ähnlichen Lautstärke. "Ich muss unbedingt mit Sharon und Break sprechen!"

"Dafür musst du aber nicht aufstehen! Ich habe Echo geschickt, dass sie die beiden holt!"

"Meine Güte, euch beide kann man ja im ganzen Haus hören." Sharon öffnet die Tür. "Was ist denn so wichtig, dass sie nicht im Bett liegen bleiben wollen, Rheena-san?"

"Ich will etwas wissen: Wie komme ich in den Abyss?"

"Hast du jetzt vollkommen den Verstand verloren?", braust Gil gleich wieder auf. "Wie kommst du nur auf so eine blödsinnige Idee? Hast du überhaupt eine Ahnung, was der Abyss ist und wie gefährlich er sein kann?"

"Aber ich muss dort hineingehen. Seit dem Tag meiner Ankunft, als ich im Hauptquartier war, habe ich schon das Gefühl, von jemandem gerufen zu werden. Ich glaube, dass es ein Chain ist. Denn jedesmal, wenn wir von einer dieser Kreaturen angegriffen wurden oder ich eine Vision hatte, ist das Gefühl stärker geworden. Ich kann mich dem einfach nicht mehr länger entziehen. Also bitte, Sharon, schick mich mit Eques hinab."

Sharon schüttelt den Kopf. "In ihrem jetzigen Zustand ist es zu gefährlich für sie, Rheena-san."

"Aber..."

"Lassen sie erst einmal ihre Verletzungen richtig ausheilen", rät Sharon ihr. "Wir können natürlich schon mal darüber sprechen, ob Gilbert-sama oder Break sie begleitet. Ich werde sie nämlich nicht allein hinabschicken. Sie brauchen jemanden, der ihnen gegen die Chains hilft, von denen sie dort unten angegriffen werden könnten."

"Einen Moment Mal. Wer hat gesagt, dass ich dabei mitmache?" Gil schaut Sharon ungläubig an. "Allein der Gedanke ist schon völlig verrückt! Ihr könnt doch nicht wirklich vorhaben, das zu tun!"

"Heißt das, du würdest sie allein in den Abyss gehen lassen, Gilbert-kun? Das hätte ich aber wirklich nicht von dir gedacht."

"Halt doch einfach weiter deinen Mund, Break", meckert Gil ihn an. "Du hast doch die ganze Zeit kein Wort dazu gesagt."

"Warum bist du eigentlich so?", fragt Rheena. "Ständig ziehst du ein finsteres Gesicht und bist schlecht gelaunt. Kannst du eigentlich auch mal freundlich sein und lächeln?"

Break lacht auf. "Ich fürchte, wenn Gilbert-kun das versucht, würde es eher zu einer Grimasse werden."

Gil wirft ihm einen giftigen Blick zu, dann schiebt er sich an ihm vorbei durch die Tür.

"Aber Break, das war jetzt wirklich gemein von dir", lächelt Sharon. "Oh, ich wollte Alice-san ja noch eine Decke für Selena bringen. Und du solltest dir endlich trockene Kleidung anziehen."

"Warte, Break", hält Rheena ihn zurück. "Ich habe auch noch eine Frage an dich: Warum haben du - und alle anderen - vor mir verschweigen wollen, dass du blind bist? Das ist doch eigentlich gar nichts schlimmes."

"Ich selbst habe es auch nur Sharon-sama erzählt", antwortet er. "Oz-kun, Reim-san und Gilbert-kun haben es von selbst herausgefunden. Und Fae hat es auch sehr schnell bemerkt, sie hat es dann Alice-kun erzählt. Aber sonst weiß es niemand."

"Und wie ist dir das passiert? Du warst doch nicht schon immer blind."

"Ich habe zuviel von der Kraft meines Chain benutzt. Das passiert mir eben immer mal wieder. So, und jetzt werde ich besser tun, was Sharon-sama mir geraten hat." Er verlässt ebenfalls das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
 

Später, lange nach dem Abendessen, dreht Break seine übliche Runde durch das Anwesen. Als er schließlich zu seinem Zimmer zurückkehrt, findet er die Tür einen Spalt offenstehend.

"Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich hier auf dich gewartet habe." Rheena sitzt auf seinem Bett. "Ich habe darüber nachgedacht, was du mir heute Nachmittag erzählt hast. Und mir ist eingefallen, dass es noch einen anderen Weg geben muss. Durch den du, Sharon und Gilbert in den Abyss gelangt seid, um die Verträge mit euren Chains zu schließen. Habe ich Recht?"

"Ja, das stimmt", bestätigt Break ihre Vermutung. "Und was willst du jetzt tun?"

"Bring mich dorthin." Rheena steht auf und geht zu ihm. "Ich kann nicht warten, bis Sharon bereit ist, mich mit Eques hinabzuschicken. Ich muss diesen Chain, der mich ruft, so schnell wie möglich finden. Sonst werde ich keine Ruhe haben."

Break überlegt einen Moment, dann nickt er. "In Ordnung. Wir können sofort los." Er geht an ihr vorbei und öffnet seinen Schrank, schiebt die Kleidung zur Seite und drückt gegen die Rückwand. Sie schwingt zur Seite und gibt den Blick auf einen dunklen Gang frei. "Darf ich bitten?"

"Was? Wir können doch nicht einfach heimlich verschwinden." Rheena runzelt die Stirn. "Die anderen müssen das doch erfahren. Ich werde es zumindest Fae sagen."

"Aber sie schläft jetzt wahrscheinlich", gibt Break zu bedenken. "Willst du sie extra aufwecken? Ich habe hier Papier, du kannst ihr ja eine kurze Nachricht schreiben."
 

Nachdem sie den Brief unter Fae´s Tür durchgeschoben hat, machen sich Rheena und Break auf den Weg. Der unterirdische Tunnel, dem sie folgen, endet in Reim´s Büro im Hauptquartier.

"So, komm mit. Wir müssen ganz nach unten." Break führt sie mehrere Treppen hinunter und dann einen gemauerten Gang entlang, bis zu einer großen doppelflügeligen Tür. Sie schwingt von selbst auf, als sie darauf zugehen. Dahinter liegt eine große, dunkle Kammer, die nur von einigen Kerzen erhellt wird, die in Haltern an den Wänden stecken. Auf dem Boden zeichnen sich Linien ab, die in einem schwachen, violetten Licht glühen und zu einem Muster zusammenlaufen.

"Seid ihr gekommen, um Contractor zu werden?" Eine gebeugte Gestalt in einem weiten schwarzen Gewand schlurft auf sie zu. "Dann kommt hier herüber", befiehlt sie mit krächzender Stimme.

Rheena und Break gehen ins Zentrum des Musters, dort stehen sie einige Minuten, ohne dass etwas passiert. Dann wird das Licht stärker und hüllt sie ein. Der Boden unter ihnen öffnet sich und sie stürzen beide in den Abyss.

In dem Augenblick, wo die beiden in den Abyss hinabgehen , schreckt Fae aus dem Schlaf und setzt sich auf. "Break...Rheena..." Instinktiv spürt sie, dass die beiden Menschen, die ihr so viel bedeuten, verschwunden sind.

Von einer inneren Unruhe erfüllt, steigt sie aus dem Bett und entzündet die Kerzen in dem Ständer auf dem Schränkchen.

Als die Kerzenflammen ihr Zimmer erhellen, dreht sie sich um und entdeckt den Brief auf dem Boden.

Sie erkennt gleich Rheena´s Handschrift, als sie ihn auseinander faltet und beginnt zu lesen.
 

Fae

Ich habe beschlossen, in den Abyss zu gehen, um herauszufinden, was meine Visionen zu bedeuten haben. Und weil ich das starke Gefühl habe, dass dort ein Chain auf mich wartet.

Ich hätte es dir gern persönlich gesagt, aber Break meinte, ich sollte deinen Schlaf nicht unterbrechen. Und - ich möchte dich dafür um Verzeihung bitten - er wird mit mir kommen. Ich glaube, er hat seine eigenen Gründe, warum er mich begleitet.

Ich weiß nicht, was uns dort unten erwartet, aber ich verspreche dir, ich werde alles tun, was mir möglich ist, um ihn dir unversehrt zurückzubringen.
 

Rheena
 

Langsam lässt sich Fae auf den Boden sinken, faltet den Brief zusammen und drückt ihn an sich. "Rheena, du und Break, ihr müsst beide zu mir zurückkommen. Ich will keinen von euch verlieren."
 

"Das hier ist es?" Rheena schaut sich mit großen Augen um. "Was für ein kalter und menschenfeindlicher Ort. Hoffentlich finden wir diesen Chain bald und können schnell wieder zurückkehren."

"So leicht ist es leider nicht", antwortet Break. "Wir haben ja keine Ahnung, wo er ist. Es könnte passieren, dass wir noch ewig hier herumwandern, ohne ihm überhaupt zu begegnen."

"Wie bitte?" Rheena dreht sich zu ihm um. "Meinst du das jetzt im Ernst? Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig werden könnte."

"Der Abyss besteht aus unzähligen Ebenen und Räumen." Break breitet die Arme aus. "Wir sind hier in der obersten, wo sich ausschließlich Trumps aufhalten. Sie sind die schwächsten unter den Chains und im Grunde einfach nur lästig."

"Dann müssen wir uns wohl selbst auf die Suche machen." Rheena stößt einen Seufzer aus. "Also, wohin sollen wir gehen?"

Break hebt die Schultern. "Das kann ich leider unmöglich sagen. Aus meiner Sicht ist hier alles schwarz."

"Ach so..." Rheena wirft ihm einen kurzen Blick zu. Auf sie wirkt er völlig unbekümmert, als würde ihm seine Blindheit nichts ausmachen. "Na gut, dann wähle ich diese Richtung." Sie packt ihn am Ärmel. "Komm."

Mit einem amüsierten Grinsen folgt Break ihr.

Eine ganze Weile laufen sie, bis Rheena auf einmal etwas vor sich liegen sieht und ihre Schritte beschleunigt. Mit einem Stirnrunzeln hebt sie eine Puppe auf, mit langen schwarzen Haaren und einem roten Kleid. Aus dem linken Auge quillt die Füllung, der rechte Arm hängt halb daneben und an einem Bein fehlt vom Knie abwärts das Stück. Es scheint mit einem scharfen Gegenstand abgeschnitten worden zu sein. "Also wirklich. Wer tut denn so etwas?" Rheena berührt mit den Fingern vorsichtig das zerfetzte Auge. Als die Puppe plötzlich gruselig zu lachen beginnt und sie in die Hand beisst. "Au! Lass los, du blödes Ding!" Mit kräftigem Schütteln ihres Armes versucht sie die Puppe loszuwerden.

"Halt still, Rheena." Break befreit sie von der Puppe und hält sie mit beiden Händen fest. "Das ist aber nicht nett, eine Lady zu beissen."

"Mad Hatter!", kreischt die Puppe und beginnt heftig zu zappeln. "Du bist tatsächlich gekommen. Wenn er das erfährt..."

"Wer ist er?", unterbricht Break die Puppe. "Du meinst nicht zufällig den Mann in der roten Robe, oder? Vielleicht könntest du uns ja mal ein bisschen mehr über ihn erzählen?"

"Ich weiß nichts. Ich weiß gar nichts. Lass mich gehen und ich verrate ihm nicht, dass du hier bist."

"Hmmm..." Break macht ein nachdenkliches Gesicht. "Was meinst du, Rheena? Sollen wir dieses kleine Ding laufen lassen?"

"Ich halte das für keine gute Idee." Rheena betrachtet die blutigen Zahnabdrücke auf ihrer Hand. "Das da ist auch ein Chain, oder nicht? Er würde doch sicher sofort die anderen alarmieren, wenn wir ihn freilassen."

"Nein, ich werde nichts sagen. Gar nichts. Nicht ein einziges Wort." Der Mini-Chain zappelt noch wilder und fängt an zu kreischen, als Break die Kraft von Mad Hatter beschwört.
 

"Warum hast du das nur zugelassen, Sharon?!"

Einige Tage sind bereits vergangen, seit Break und Rheena in den Abyss gegangen sind.

"Gilbert-sama." Sharon stellt ihre Teetasse auf den Tisch vor sich und schaut zu ihm auf. "Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich wohl versucht, es ihm auszureden."

"Es hätte doch schon offensichtlich sein müssen, als er nirgendwo mehr zu finden war! Verrückt genug, um auf eigene Faust in den Abyss zu gehen, ist er ja! Also, ruf Eques und bring ihn auf der Stelle hierher zurück! Oder ich folge ihm mit Raven und hole ihn selbst raus!"

"Nein, tun sie das bitte nicht." Fae hat den Speisesaal betreten. "Gilbert-san, lassen sie Break und Rheena tun, was sie sich vorgenommen haben."

"Wie können sie so etwas nur sagen?" Gil schaut sie ungläubig an. "Machen sie sich denn keine Sorgen?"

"Natürlich mache ich mir Sorgen", erwidert sie. "Aber ich habe auch Vertrauen in die beiden. Ich werde warten, bis sie wieder bei uns sind."

"Hier sieht ja immer alles gleich aus. Wir laufen jetzt schon so lange, aber es verändert sich überhaupt nichts. Und diese Kälte wird allmählich unangenehm."

"Gegen die Kälte lässt sich leider nichts machen. Aber wir können ja mal sehen, ob wir einen Durchgang in eine andere Ebene finden", schlägt Break vor. "Das würde auch unsere Chance erhöhen, deinen Chain zu finden. Halte doch mal nach etwas Ausschau, was sich öffnen lässt. Es kann ein Schrank sein, oder auch nur eine Kiste oder etwas ähnliches."

"Könnte es auch eine Truhe sein? Da vorn steht eine." Rheena zeigt auf den länglichen braunen Kasten, dessen Deckel ein wenig offen steht.

"Ja, gut möglich. Finden wir es heraus." Break schiebt seine Finger in den Spalt und öffnet den Deckel weiter.

"Da ist gar nichts zu sehen, nur Dunkelheit." Rheena beugt sich noch etwas weiter vor und wird plötzlich von einem starken Sog erfasst, der sie kopfüber in die Tiefe zieht.

"Endlich bist du da", hört sie eine Stimme in ihrem Kopf. "Ich habe schon so lange auf dich gewartet. Schnell, komm ganz schnell zu mir."

"Rheena." Break´s Stimme lässt sie langsam die Augen öffnen. "Was ist passiert?"

"Wir sind in einer weit tieferen Ebene gelandet." Break hilft ihr, sich aufzusetzen. "Hier treiben sich einige wirklick starke Chains herum. Ich konnte bereits mit einigen von ihnen Bekanntschaft machen."

"Er ist auch hier. Er hat mich gerufen, als ich gefallen bin." Rheena steht auf, dreht sich einmal langsam im Kreis und zeigt dann an Break vorbei. "Wir müssen in diese Richtung."

Nachdem sie wieder eine Weile gelaufen sind, packt Break plötzlich Rheena´s Arm und zieht sie mit sich zu einer zerfallenen Ruine, die früher ein Haus war, und drückt sie eng an die Mauer. Als sie etwas sagen will, legt er einen Finger an seine Lippen. "Shhhhhhhh."

Nur eine Minute später ist ein leises Geräusch zu hören, dass Rheena zuerst nicht einordnen kann. Als es allmählich lauter wird, erkennt sie, dass es das Rauschen von Flügelschlagen ist.

Dann ist ein Platschen zu hören, als der - scheinbar ziemlich große - Vogelchain in dem seichten Wasser landet, auf der anderen Seite der Mauer.

"Was ist los, Craven?", fragt eine Stimme, die Rheena unangenehm bekannt ist. "Hast du ihn aufgespürt? Ist er etwa hier irgendwo?"

Der Mann rutscht vom Rücken seines Chain und geht ein paar Schritte. "Mad Hatter. Du bist doch ganz in der Nähe, nicht wahr? Warum zeigst du dich nicht einfach und hörst auf, meine Zeit zu vergeuden?"

"Nein." Rheena schüttelt den Kopf, als sie sieht, wie Break den Verschluss an seinem Stock löst.

"Keine Angst", flüstert er. "Mit diesem Kerl und..." Seine Worte werden von einem Husten unterbrochen. "...und seinem Chain werde ich schon fertig." Er lächelt sie aufmunternd an und läuft los.

"Ah, da bist du ja", empfängt ihn der Unbekannte. "Wie ich es erwartet habe, bist du schließlich doch hierher gekommen, in den Abyss."

"Ich wollte dich doch so ungern enttäuschen", erwidert Break lächelnd, während er sein Schwert zieht. "So, und um wen soll ich mich jetzt zuerst kümmern? Um dich oder um dein Federvieh?"

"Halte mich bitte nicht für jemanden, der dich unterschätzen würde. Du musst dich nur einmal umschauen...Oh, Verzeihung. Ich vergaß völlig, dass du das ja gar nicht kannst. Dann werde ich dir sagen, dass sich von allen Seiten Chains nähern. Ganze Horden von Chains."

"Dagegen muss ich natürlich etwas unternehmen." Break schiebt sein Schwert zurück in die Scheide und breitet die Arme aus. Über ihm erscheint Mad Hatter, sein rundes Auge öffnet sich und strahlt ein grelles Licht aus, dass alle Chains vernichtet.

"Wunderbar." Der Unbekannte klatscht begeistert in die Hände. "Du bist ja so leicht zu beeinflussen. Du hast wieder genau das getan, was ich mir von dir erhofft hatte."

"Was...soll das heißen?" Break ist auf die Knie gesunken und schaut verständnislos zu ihm auf.

"Das ist doch wirklich ganz einfach. Du hast die Kraft deines Chain benutzt, obwohl du weißt, welche Folgen das für dich hat. Und jetzt, wo du erschöpft bist und praktisch wehrlos, bin ich am Zug." Der Unbekannte holt eine Pistole unter seiner Robe hervor und richtet sie auf den weißen Haarschopf.

"Hör damit auf." Rheena ist hinter der Mauer hervorgetreten. "Los, verschwinde gefälligst von hier."

"Oh. Hast du dich also dazu entschlossen, auch endlich aus deinem Versteck zu kommen, kleine Lady? Aber was kannst du schon tun, um mich aufzuhalten?"

"Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin." Dicht vor dem Unbekannten lodern Flammen auf, die sich zu einem Ring um sie und Break schließen.

Überrascht stolpert er einige Schritte zurück. Die Pistole in seiner Hand wird so brennend heiß, dass er sie loslassen muss.

"Das war nur eine Warnung. Ich will meine Magie nicht gegen einen Menschen einsetzen. Aber wenn es keinen anderen Ausweg gibt, werde ich es tun."

Ohne ihn weiter zu beachten, geht Rheena zu Break hinüber. "Warum hast du das nur getan? Sieh doch nur, in was für einem Zustand du jetzt bist."

Als Antwort bekommt sie nur ein breites Grinsen von ihm, dann kippt er langsam zur Seite. "Hey! Break!"

"Hey! Break!" Rheena lässt sich neben ihm auf die Knie fallen und dreht ihn vorsichtig auf den Rücken. Sein Kinn ist blutverschmiert, sein Auge geschlossen und er zeigt nicht die kleinste Regung. "Was soll ich denn jetzt nur machen?"

"Du könntest ihn mir einfach ausliefern, kleine Hexe", dringt die Stimme des Unbekannten zu ihr. "Dann erlaube ich dir, in die normale Welt zurückzukehren."

"Das werde ich niemals tun", entgegnet sie. "Ich habe mir geschworen, ihn unter allen Umständen zurückzubringen."

"Wie bedauerlich. Dann muss ich ihn mir wohl selbst holen."

Rheena steht hastig auf, als er durch die Flammen direkt auf sie zukommt. Seine Robe, die dabei Feuer fängt, streift er ab und wirft sie achtlos zu Boden.

Wie erstarrt blickt Rheena in sein Gesicht, dass eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer ihr bereits bekannten Person besitzt.

Lange blonde Haare fallen offen über seine Schultern. Die Lippen sind zu einem freundlich wirkenden Lächeln verzogen, während in den Augen ein kalter und gleichgültiger Ausdruck liegt. Eines ist weinrot und das andere...

"Es ist golden, genau wie die Augen des Angsthasen. Wer ist dieser Mann?"

"Aha, hast du dich also endlich entschlossen, das Theater aufzugeben?" Break hat sein Auge geöffnet und sich ein wenig aufgerichtet. "Ich habe mich schon gefragt, wie lang du dein albernes Versteckspiel noch weitertreiben würdest."

"Ich habe von dir auch nichts anderes erwartet, als dass du es herausfinden würdest. Aber sonst braucht es niemand zu erfahren. Deshalb..." Der Blonde hebt den Kopf, schaut nach oben. "Craven."

"Was?" Rheena schaut ebenfalls zu dem riesigen Vogelchain hinauf, der wieder direkt über ihnen schwebt. "Ich dachte, er wäre mit den anderen Chains vernichtet worden."

"Das wäre er wohl auch, wenn ich ihn nicht rechtzeitig weggeschickt hätte. Und jetzt habe ich ihn wieder gerufen, damit er dafür sorgen kann, dass ihr beide den Abyss nicht mehr lebend verlassen werdet." Mit einem teuflischen Grinsen beugt er sich zu Break hinunter. "Dies ist schließlich der Ort, an den du schon seit 50 Jahren gehörst. Habe ich nicht Recht...Kevin Regnard?"

Break´s Auge weitet sich, als er mit seinem früheren Namen angesprochen wird. "Wag es nicht, mich so zu nennen!", presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Aber ich finde es so amüsant, dass deine Vergangenheit dein großer Schwachpunkt zu sein scheint." Der Blonde umfasst Break´s Kinn und bringt sein Gesicht noch näher an ihn heran. "Willst du mir nicht noch mehr von deinem Leben als rotäugiger Geist erzählen? Du warst schließlich der am meisten gefürchtete illegale Contractor, den es je gab. Nicht einmal, als ich noch der Headhunter war, hätte ich es mit deinem Ruf aufnehmen können."

"Das reicht jetzt, du elender Mistkerl!" Rheena hat die Hände zu Fäusten geballt. Die Wut, die in ihr aufsteigt, lässt sie unkontrolliert zittern. Das seichte Wasser zu ihren Füßen erhitzt sich allmählich.

Der Blonde blinzelt erstaunt, als um ihn herum Dampf aufsteigt. Er wirft Rheena einen gelangweilten Blick zu. "Craven, sorg doch bitte dafür, dass die kleine Hexe mir keinen Ärger mehr machen kann."

"Du verdammter...!" Break schlägt seine Hand weg und verpasst ihm einen Stoß, der ihn einige Schritte zurückstolpern lässt.

Über ihnen krächzt Craven und macht sich bereit, auf sie herunterzustürzen. Als er völlig unerwartet von einem Feuerstrahl getroffen wird, der von irgendwo über ihm gekommen ist. Mit wild schlagenden Flügeln steigt er in die Luft und versucht, sein brennendes Gefieder zu löschen.

"Break!" Rheena greift nach seinem Arm. "Kannst du aufstehen? Wir müssen von hier verschwinden."

"Wartet." Ein anderer kleinerer Vogelchain schwebt langsam zu ihnen herunter und landet direkt vor ihnen.

"Bist du der Chain, der mich gerufen hat?"

"Mein Name ist Rayearth. Ich kann dich aus dem Abyss herausbringen, wenn du einen Vertrag mit mir schließt. Aber du musst dich schnell entscheiden."

"Was ist mit Break? Ich werde ihn nicht hier zurücklassen."

"Es ist möglich, den Mad Hatter mitzunehmen. Aber das wird mich einiges an Kraft kosten und auch für dich anstrengend. Wenn du dazu bereit bist, streck deinen Arm aus."

Als Rheena seiner Anweisung folgt, fügt er ihr mit seinem Schnabel eine tiefe Wunde zu. Break holt einen kleinen Glasflakon aus seiner Tasche und fängt ein wenig Blut auf.

"Und jetzt leih uns dein Schwert, Mad Hatter. Sie muss ihr Blut mit meinem vermischen."

Break nickt, zieht die Schwertschneide über seinen ausgebreiteten Flügel und hält den Flakon darunter. Als einige Tropfen hineinfallen, wird die Dunkelheit des Abyss zu einer rötlich schimmernden Blase.
 

Sharon, Fae und Ada sitzen im Salon beim Nachmittagstee.

"Und Oscar-sama will wirklich ein großes Fest geben, wenn die Taufe stattfindet?"

"Es macht ihm einfach viel Spass, so etwas zu organisieren." Ada hat ihre neugeborene Tochter Hana auf dem Arm und gibt ihr das Fläschchen. "Ich habe ihn aber gebeten, nicht zu viele Leute einzuladen."

"Nun, das wäre doch auch ein schöner Anlass, mal wieder neue Kleider zu kaufen." Sharon´s Augen funkeln vor Vergnügen. "Sie brauchen auf jeden Fall eins, Fae-san. Und für Rheena-san..." Sie verstummt, als der Salon in ein rötliches Licht getaucht wird. Eine undurchsichtige Blase erscheint zwischen dem Tisch und der Tür. Sie löst sich rasch wieder auf - und zwei Personen liegen auf dem Boden, beide ohne Bewusstsein.

"Meine Güte, das sind...Break und Rheena-san!"

"Miau"

"..."

"Miau" Kratzen

"..."

"Miau" Kratzen "Miau"

"..."

"Miau" Kratzen "Miau" Kratzen "Miau"

Stöhnend öffnet Rheena ihre Augen und blickt zu einer hellgelb gestrichenen Decke hinauf.

"Oh, schön zu sehen, dass sie wieder bei Bewusstsein sind, Rheena-san."

Die Stimme lässt Rheena sich aufsetzen und zur Tür blicken. Sharon hat ihr Zimmer betreten, mit Chaos auf dem Arm. "Und willkommen zurück in unserer Welt."

"Unsere Welt?", wiederholt Rheena. "Dann sind wir also zurückgekehrt?"

"Ja, vor drei Tagen." Sharon setzt Chaos auf dem Bett ab, das Kätzchen tappst gleich zu Rheena und reibt sich schnurrend an ihrer Hand. "Die Kleine hier hat dich ziemlich vermisst in den letzten drei Monaten. Manchmal stundenlang hat sie in deinem Bett gelegen und nachts oft an deiner Tür gekratzt."

"Das tut mir sehr leid." Rheena beginnt Chaos zu streicheln, woraufhin sie sich zu einer Kugel zusammenrollt und wohlig die Augen schließt. "Ich habe nicht bedacht, dass ich längere Zeit fortbleiben würde."

"Aber es ist ihnen gelungen, ihren Chain zu finden." Sharon hat sich einen Stuhl zum Bett gezogen und sich gesetzt. "Und sie haben einen Vertrag mit ihm geschlossen, um zurückkehren zu können."

"Woher weißt du das?"

Zur Antwort zieht Sharon eine Schublade des Schränkchens neben dem Bett auf und holt den kleinen Glasflakon heraus. Eine Silberkette ist durch den Ring an seinem Verschluss gezogen. "Das hier ist das Blutsiegel, das Zeichen für einen legalen Vertrag zwischen einem Menschen und einen Chain. Darin ist das vermischte Blut von ihnen und ihm."

"Ich verstehe." Rheena streckt ihre freie Hand aus und nimmt den Flakon entgegen. Unter ihren Fingern fühlt sich das Glas angenehm warm an. Ohne zu zögern, streift sie sich die Silberkette über den Kopf.

"Rheena-san." Sharon´s ernst gewordener Tonfall lässt sie wieder zu ihr blicken. "Pandora war nicht erfreut darüber, dass Break ihnen den internen Weg in den Abyss gezeigt hat. Sie erwarten einen ausführlichen Bericht, was dort unten geschehen ist und mit welchem Chain sie einen Vertrag geschlossen haben. Sobald sie sich ausreichend erholt haben, wird man sie ins Hauptquartier rufen."

"Ach so." Rheena krault Chaos am Bauch und unter dem Kinn, das Kätzchen schnurrt wie ein kleiner Motor. "Und ich kann mich wohl nicht einfach weigern, oder?"

Als Sharon schweigend den Kopf schüttelt, seufzt Rheena. Dann nimmt sie Chaos auf den Arm, schlägt die Decken zur Seite und schiebt ihre Beine über den Bettrand.

"Rheena-san?"

"Ich muss Break etwas fragen, im Abyss hatte ich keine Gelegenheit dazu." Leicht schwankend geht Rheena auf die Tür zu.

"Warten sie." Sharon folgt ihr auf den Flur und sieht sie ein paar Schritte weiter an die Wand gelehnt. "Was ist denn so wichtig, dass sie sich nicht noch eine Weile ausruhen wollen?"

"Dieser Mann, der..." Rheena verstummt, ihr kommt plötzlich wieder etwas in den Sinn, was Break zu ihr gesagt hatte. In der rötlichen Blase, die sie aus dem Abyss herausgebracht hatte. "Hör zu, Rheena. Erzähle den anderen nicht, dass du das Gesicht dieses Mannes gesehen hast. Besonders Gilbert-kun sollte es nicht erfahren, es würde ihn nur zu sehr verunsichern."

"Rheena-san?" Sharon schaut sie fragend an. "Welcher Mann? Was ist denn im Abyss geschehen?"

"Der Kerl in der roten Robe, wir sind im Abyss auf ihn getroffen. Er scheint gewusst zu haben, dass wir dort unten unterwegs sind. Ich wollte Break fragen, ob es mögich ist, dass ein Mensch mit seinem Chain einfach in den Abyss hinabgeht?"

"Nun, es heißt, dass ein Chain mit schwarzen Schwingen einen Weg von unserer Welt in den Abyss öffnen kann", erklärt Sharon. "Das gilt für Gilbert-sama´s Raven und Oz-sama´s Gryphon. Und wie du ihn beschrieben hast, ist Craven ja auch schwarz, ihm sollte es dann auch möglich sein." Sie nimmt Rheena´s Arm und legt ihn sich um die Schultern, um sie zu stützen. "Ich bringe sie besser in ihr Zimmer zurück."
 

Fae sitzt neben Break und betrachtet sein wachsbleiches, regungsloses Gesicht, dass seit drei Tagen keine Veränderung zeigt.

Nachdem Gil von seiner Rückkehr erfahren hatte, hatte er Sharon bedrängt, ihn mit Eques herkommen zu lassen. Er hatte ihn in sein Zimmer getragen und darauf bestanden, zu bleiben, bis er zu sich kommt.

"Warum wachst du nicht auf?" Mit zitternden Fingern streicht sie eine Haarsträhne aus seiner Stirn. "Drei Monate bist du weggewesen und dann kommst du endlich wieder, aber..." Erneut steigen ihr Tränen in die Augen, weshalb sie ihr Gesicht in ihren angezogenen Knien vergräbt.

Und nicht sieht, wie sein Augenlied zuckt und sich langsam hebt.

Break hört leises Schluchzen und streckt die Hand aus, fühlt lange, weiche Haare unter seinen Fingern. "Fae."

"Break?" Fae hebt den Kopf von ihren Knien und blickt zur Seite, auf ihn hinab. Eine einzelne Träne tropft auf seine Hand. "Break...ich bin so froh..."

"Shhhhh, ist ja gut." Er berührt sanft ihre feuchte Wange. "Bitte hör auf zu weinen."

Im nächsten Augenblick liegt ihr Kopf an seiner Schulter und er hält sie in seinen Armen.

"Hast du schon mit Rheena gesprochen?", fragt er nach einer Weile.

"Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen. Genau wie du, hat sie die letzten drei Tage nur geschlafen."

"Drei Tage." Nachdenklich spielt er mit ihren Haaren. "Dann leidet Rheena sicher noch unter den Nachwirkungen, weil sie einen Vertrag mit einem Chain geschlossen hat. Bei Sharon hat es ja damals fünf Tage gedauert, bis sie sich erholt hatte. Und bei mir über eine Woche. Dann konnte sie natürlich noch niemandem etwas erzählen."
 

"Nein, ich möchte nicht zurück in mein Zimmer, Sharon."

"Aber, Rheena-san..."

"Wirklich, ich habe die letzten Tage doch genug im Bett gelegen", unterbricht Rheena sie. "Und ich möchte Fae gern sehen."

"In Ordnung." Sharon lächelt verständnisvoll. "Sie ist wohl jetzt wieder bei Break. Seit ihrer Rückkehr ist sie praktisch nicht von seiner Seite gewichen."

"Wie geht es ihm denn? Im Abyss hatte er kurze Zeit das Bewusstsein verloren..."

"Weil er die Kraft seines Chain benutzt hat", erklärt Sharon. "Gilbert-sama ist deshalb auch wieder unheimlich wütend auf ihn. Break wird sich noch eine gehörige Strafpredigt von ihm anhören müssen."

"Warum regt sich der Angsthase eigentlich immer so über ihn auf?"

"Ich bin kein Angsthase!" Gil ist hinter den beiden aufgetaucht. "Also nenn mich nicht so! Und warum ich mich über Break aufrege, ist meine Sache!"

"Ach, das ist doch nur deine Art, deine Besorgnis für ihn auszudrücken, nicht wahr?", lächelt Sharon.

"So ein Blödsinn!"

"Ach, so ist das? Das habe ich ja nicht gewusst, entschuldige bitte." Rheena grinst Gil spöttisch an. "Und du bist doch ein Angsthase. Welcher erwachsene Mann fürchtet sich denn schon vor so einem süßen kleinen Kätzchen?" Sie hebt Chaos, den sie noch in ihren Armen trägt, ein wenig höher.

Gil weicht sofort ein paar Schritte zurück. "Halte mir dieses Vieh bloß vom Leib. Sag mir lieber, was du dir dabei gedacht hast, mit diesem Idioten in den Abyss zu gehen. Und ich will auch wissen, mit welchem Chain du einen Vertrag geschlossen hast."

"Oh ja, das haben sie mir ja auch noch nicht verraten, Rheena-san."

"Gut, ich werde es euch erzählen. Aber erst gehe ich jetzt zu Fae, solange müsst ihr wohl noch warten." Rheena streift Sharon´s Arm ab und macht ein paar Schritte. Dann lehnt sie sich wieder gegen die Wand.

"Das ist doch lächerlich."

"He, was soll das?", protestiert Rheena, als Gil sie einfach hochhebt. "Lass mich sofort wieder runter."

Er ignoriert sie und trägt sie den Flur entlang. Sharon folgt ihnen und öffnet die Tür zu Break´s Zimmer, als sie davorstehen.
 

"Break? Wie war es denn im Abyss?"

"Ach, nur das Übliche", antwortet er. "Wir sind auf mehrere Chains getroffen, die uns angegriffen haben."

"Das ist aber nicht das, was Rheena mir erzählt hat", sagt eine Stimme an der Tür. "Sie meinte, der Mann in der roten Robe wäre dort gewesen."

"Sharon-sama." Fae löst sich aus Break´s Armen und richtet sich auf. "Sie haben mit Rheena gesprochen? Wie geht es ihr?"

"Ich bin hier, Fae", dringt Rheena´s Stimme durch die Tür. "Los, lass mich jetzt runter, Angsthase. Oder bring mich da rein."

"Oh, Gilbert-kun." Mit einem amüsierten Grinsen setzt sich auch Break auf. "Du kannst ja auch mal richtig nützlich und hilfsbereit sein."

"Du bist wach. Gut." Gil drängt sich an Sharon vorbei. Mit wenigen Schritten ist er beim Bett, holt aus und verpasst Break eine saftige Kopfnuss.

"Au." Break presst beide Hände auf seinen Kopf. "Wie gemein von dir, Gilbert-kun."

"Das war dafür, weil du schon wieder einen Alleingang gemacht hast", antwortet Gil. "Und dann auch noch in den Abyss, wo du drei Monate verbracht hast. Während wir hier oben uns Sorgen um dich gemacht haben."

"Ja, ich weiß." Beschämt senkt Break den Kopf. "Ich habe es wohl verdient, von dir ausgeschimpft zu werden. Aber schlag mich bitte nicht mehr, das tut nämlich wirklich weh."

"Du liebe Güte, Break." Sharon macht ein verblüfftes Gesicht. "So demütig habe ich dich ja noch nie erlebt. Liegt das vielleicht daran, dass ihr den Mann in der roten Robe im Abyss getroffen habt? Was hat er denn von euch gewollt?"

Break hebt die Schultern. "Er wollte uns einfach töten."

"Ja, das stimmt", fügt Rheena hinzu. "Er hatte eine Pistole, aber ich habe ihn dazu gebracht, sie fallenzulassen. Und dann hat er Craven auf uns hetzen wollen. Nur mit der Hilfe von Rayearth konnten wir ihm entkommen."

"Rayearth? Ist das der Chain, mit dem du einen Vertrag geschlossen hast?" Gil macht ein nachdenkliches Gesicht. "Diesen Namen habe ich noch nie gehört."

"Ich auch nicht." Sharon wendet sich wieder an Rheena. "Ist es möglich, dass wir ihn einmal sehen können?"

"Ich weiß nicht. Rayearth, kannst du dich einmal zeigen?"

Einige Minuten vergehen, dann erscheint über Rheena´s Kopf ein kleiner Vogel. Mit rot-orangem Gefieder und blauen Federspitzen. Seine Augen sind kobaltblau. "Hier bin ich."

Rheena schaut nach oben und blinzelt verwundert. "Äh, im Abyss warst du aber doch viel größer."

"Ja, ich habe meine Gestalt verändert, um nicht zuviel von deiner Kraft zu gebrauchen." Rayearth landet auf ihrer Schulter. "Und wenn ich so klein bleibe, kann ich mich auch frei in dieser Welt bewegen."

"Das ist aber eher ungewöhnlich", bemerkt Break. "Mir ist noch nie ein Chain begegnet, der sich freiwillig eine solche Einschränkung auferlegt hat."

"Kommen wir doch jetzt noch mal auf den Kerl in Rot zurück", schlägt Gil vor. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich einfach so töten will, Break. Er muss einen Grund dafür haben. Hast du vielleicht eine Ahnung, welchen?"

Break schüttelt den Kopf. "Keine Ahnung."

"Und du, Rheena?"

"Woher soll ich das denn wissen? Ich kenne ihn ja nicht einmal."

"Was soll das denn jetzt heißen, du kennst ihn nicht?", hakt Gil sofort nach. "Verschweigst du uns etwas?"

"Was? Nein. Ich habe gemeint, ich weiß nicht, wer er ist."

"Natürlich nicht", mischt Fae sich ein. "Falls sie es vergessen haben, Gilbert-san, Rheena ist erst seit kurzer Zeit in dieser Stadt. Sie kennt hier niemanden außer uns."

"Lassen wir das doch jetzt. Ich habe in den drei Monaten im Abyss und die letzten drei Tage hier nichts gegessen. Und es ist doch jetzt Zeit für Tee und Kuchen, oder nicht?"

"Typisch", kommt eine Stimme von der Tür. "Kaum ist der verfressene Clown wieder da, denkt er schon wieder nur ans Essen."

"Ach, Alice-kun. Es ist doch immer wieder schön, so nette Worte von dir zu hören. Sag, hast du mich denn auch vermisst?"

"Nie im Leben. Ich war froh, dass du nicht da warst und mir auf die Nerven gehen konntest."

"Ich hab dich vermisst, Xerx Ojii-san." Selena stürmt durch das Zimmer auf ihn zu. "Ich freu mich, dass du wieder da bist. Krieg ich ein Bonbon?"

Lachend hebt Break das kleine Mädchen hoch und setzt sie auf seinen Schoß. "Aber natürlich. Dir kann ich doch nichts abschlagen." Er nimmt die buntgestreifte Dose vom Nachtschränkchen und öffnet den Deckel.

"Alice-san, ist Oz-sama auch hier?", wendet sich Sharon an sie.

"Ja, er und sein Onkel. Die beiden sind schon in den Salon gegangen, zu Ada und Reim. Oscar wollte unbedingt die kleine Hana sehen."

"Wer ist Hana?"

"Oh, stimmt, das wisst ihr ja gar nicht. Hana ist Ada´s Tochter, sie ist vor fünf Wochen auf die Welt gekommen", erklärt Sharon. "Zu ihrer Taufe in zwei Tagen hat Oscar-sama ein großes Fest organisiert. Ich habe auch bereits ein Kleid für sie, Rheena-san."

"Ein Kleid?" Rheena runzelt die Stirn. "Muss ich dafür ein Kleid anziehen?"
 

Zwei Tage später läuft Sharon mit einem großen, länglichen Karton in den Armen den Flur entlang, zu Rheena´s Zimmer. Ohne anzuklopfen öffnet sie die Tür. "Es wird Zeit, dass sie sich fertig machen. Und ich werde ihnen mit ihren Haaren helfen." Sie legt den Karton auf das Bett, nimmt den Deckel ab und holt das Kleid heraus. "Kommen sie, ziehen sie es an."

"Äh..." Wenig begeistert schaut Rheena auf das Stoffbündel in ihren Händen. "Ich habe wohl keine andere Wahl, als das hier zu tragen?" Ein Blick in Sharon´s entschlossenes Gesicht beantwortet ihre Frage. Resignierend beginnt sie, die Knöpfe ihres Hemdes zu öffnen.

Eine halbe Stunde später gehen die beiden die Treppe zur Eingangshalle hinunter. Gil klappt vor Staunen der Mund offen, als er Rheena in ihrem schulterfreien Kleid sieht. Es ist mitternachtsblau, silberne Fäden ziehen sich durch den Stoff und der Saum ist mit silberner Spitze eingefasst. Dazu trägt sie gleichfarbige, lange Handschuhe, die bis über ihre Ellenbogen reichen. Die Haare hat Sharon raffiniert hochgesteckt, nur einzelne Locken fallen auf ihre Schultern.

"Was starrst du mich so an, Angsthase?" Rheena bleibt neben ihm stehen. "Sehe ich etwa so komisch aus?"

"Sie sehen atemberaubend aus", strahlt Sharon. "Ich wusste, das Kleid würde ihnen wunderbar stehen. Gilbert-sama findet das auch. Nicht wahr?"

"Es ist ungewohnt, sie so zu sehen", murmelt Gil ausweichend. "Sonst trägt sie ja immer eine Hose, ein Hemd und ihre hohen Stiefel."

"Oh, seid ihr alle schon fertig?" Break kommt mit Fae die Treppe herunter. Sie trägt ein fließend fallendes Kleid aus hellblau-schimmerndem Stoff. Ihre Haare fallen offen über ihre Schultern.

"Dann lasst uns mal fahren, sonst kommen wir noch zu spät."

Vor der Kirche werden sie von einem jungen Mann mit braunen Haaren empfangen. "Sharon-sama, sie werden bereits erwartet. Folgen sie mir bitte, ich bringe sie zu ihren Plätzen."

"Vielen Dank, Robin."

"Wer ist das?", flüstert Rheena fragend, während sie die Kirche betreten.

"Robin Langley, ein Diener des Hauses Bezarius", antwortet Sharon ihr. "Er ist ziemlich gutaussehend, nicht wahr?"

Rheena zuckt mit den Schultern.

"Sharon Obaa-san! Xerx Ojii-san! Gil Ojii-san!" Selena kommt wie ein Wirbelwind herangefegt. Sie trägt ein rotes Kleid, ihre langen Haare sind mit einer ebenfalls roten Schleife zusammengebunden.

Lächelnd beugt Sharon sich zu ihr hinunter. "Habe ich dir nicht schon mal gesagt, du sollst mich nicht Obaa-san nennen?"

Selena klammert sich an Break´s Bein. "Nicht böse sein."

Lachend nimmt Break die Kleine auf den Arm. "Du darfst diesem süßen kleinen Fräulein doch keine Angst einjagen, Ojou-sama. Und du bist doch schließlich schon in das Alter gekommen, wo kleine Kinder dich so nennen."

"Break." Immer noch lächelnd, greift Sharon in die Falten ihres veilchenfarbigen Kleides und zieht ihren Harisen heraus. Er bringt sich hastig hinter Gil´s Rücken in Sicherheit.
 

Nach der Zeremonie warten sie noch, während die anderen Gäste die Kirche verlassen.

"Und jetzt werden wir richtig feiern." Auf Oscar´s Gesicht liegt ein fröhliches Lächeln. "Es findet ja schließlich nicht jeden Tag die Taufe meiner zweiten süßen Nichte statt."

"Diese Argumentation sieht ihnen ähnlich, Oscar-sama." Break zieht einen Lolli aus der Tasche und wickelt das Papier ab.

"Xerx Ojii-san." Selena beobachtet ihn mit großen Augen. "Ich will auch einen."

"Äh...ich habe aber nur einen dabei jetzt."

Als Selena weinerlich das Gesicht verzieht und anfängt zu schniefen, seufzt er resignierend. "Schon gut, du kannst ihn haben."

"Danke, Ojii-san!" Mit einem strahlenden Lächeln nimmt sie ihn und schiebt ihn gleich in den Mund.

"Break scheint die Kleine ja richtig gern zu haben", bemerkt Rheena. "Er wird sicher ein guter Vater sein, wenn ihr eines Tages Kinder bekommt."

"Rheena." Eine leichte Röte überzieht Fae´s Gesicht. "Wie kommst du nur auf so einen Gedanken?"

"Wieso? Du liebst ihn doch, willst du nicht..." Rheena unterbricht sich, als ihr Chain sich auf ihrer Schulter niederlässt. "Ray-chan. Wo bist du gewesen?"

"Ich habe zugesehen, von dort oben." Rayearth hebt den Kopf zu einem der Balken, die an der Decke der Kirche entlanglaufen. "Aber was wolltest du gerade sagen, als ich zu dir gekommen bin?"

"Ich wollte Fae fragen, ob sie und Break..."

"Rheena-san, Fae-san", ruft Sharon die beiden. "Wir wollen jetzt zum Bezarius-Anwesen fahren."
 

In dem großen Festsaal halten sich bereits viele Gäste auf. Rheena schaut an sich herunter und zieht unbehaglich die Schultern hoch. "Muss ich jetzt wirklich den ganzen Abend so zwischen all diesen Leuten herumlaufen?"

"Sie sind doch eine wunderschöne junge Dame." Oscar legt ihr einen Arm um die Schultern. "Es gibt hier sicher einige Männer, die gern mit ihnen tanzen wollen. Amüsieren sie sich einfach."

"Ja..."

"Was ist los?" Rayearth zupft an ihrem Ohr. "Willst du seinen Rat nicht annehmen? Der da vorn beobachtet dich jetzt schon eine Weile."

"Wer?"

"Wollen sie vielleicht mit mir tanzen?" Oz hält ihr einladend seine Hand hin. Sie ergreift sie nach kurzem Zögern und lässt sich von ihm zu den anderen tanzenden Pärchen führen. Rayearth erhebt sich flatternd in die Luft.

"Oz-kun scheint wohl auch bemerkt zu haben, wie nervös Rheena ist. Deshalb hat er sie aufgefordert."

"Ich hoffe, das hilft ihr ein wenig. In dieser Umgebung mit den vielen festlich gekleideten Leuten fühlt sie sich einfach nicht wohl."

"Und was wollen wir jetzt tun?" Break nimmt Fae´s Hand. "Würdest du auch gern tanzen?"

"Ja, sehr gern."

"Fühlst du dich jetzt etwas besser? Du hast ziemlich verunsichert gewirkt, als du den Saal betreten hast."

Nach dem Tanz mit Oz war Rheena zu den langgestreckten Tischen gegangen, auf denen reichhaltig Speisen angerichtet sind. Während sie unschlüssig davorsteht, landet Rayearth wieder auf ihrer Schulter.

"Das hier ist einfach nicht meine Welt, Ray-chan. Zwischen all diesen eleganten Leuten habe ich nichts verloren."

"Aber du hast doch genauso ein Kleid an wie alle Frauen hier."

"Es liegt nicht an meinem Kleid."

"Woran denn sonst?"

Rheena seufzt. "Das kann ich dir nicht so einfach erklären. Ich will jetzt erst einmal etwas essen." Sie nimmt ein gefülltes Brötchen und beißt hinein. "Mmhh, lecker."

"Wirklich?" Rayearth flattert auf ihren Arm und pickt mit dem Schnabel in den Teig.

"Hey, das ist meins."

"Dein Chain hat ja eine richtig niedliche Gestalt." Eine Frau mit rosafarbenen Haaren ist neben sie getreten, in einem roten Kleid mit rosa Schleifen und Spitze. Sie streckt die Hand nach Rayearth aus.

Als sie seine Federn berührt, löst sich ungewollt seine spezielle Fähigkeit aus.
 

Der blonde Mann streckt auffordernd die Hand aus. "So, Hatter-san. Wie wäre es, wenn du mir deine Waffe gibst?"

"Tu das nicht, Break. Lass dich nicht dazu zwingen."

"Sei still." Lotti drückt ihren Dolch fester gegen Fae´s Hals, ritzt die Haut ein wenig auf.

Langsam löst Break seine Finger von seinem Stock.

Der Blonde hebt ihn auf, dreht ihn nachdenklich zwischen seinen Fingern. Nach einer Weile lässt er ihn achtlos fallen. "Ich bin überrascht, dass du so einfach deine Waffe aus der Hand gegegen hast."

"Lass Fae jetzt gehen", verlangt Break.

"Du bist nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Um sicher zu sein, dass du nicht auf die Idee kommst, Mad Hatter zu rufen, wird Lotti noch eine Weile auf sie aufpassen."

"Du verdammter Mistkerl!"

"Nun mach doch nicht so ein finsteres Gesicht, Hatter-san. Weißt du, ich habe nachgedacht. Gil wird nicht zu mir zurückkommen, solange es Oz Bezarius gibt. Deshalb wäre es doch nur vernünftig, diesen Jungen aus dem Weg zu räumen. Danach wird mein Bruder endlich zur Vernunft kommen."

Break stößt ein lautes Lachen aus. "Wenn du Oz-kun etwas antust, wird Gilbert-kun dir das niemals verzeihen. Aber mit deinem verdrehten Hirn kapierst du das einfach nicht. Du bildest dir ein, du könntest ihn mit deinen verrückten Taten glücklich machen. Aber damit erreichst du nur das Gegenteil. Und das würdest du auch einsehen, wenn du nicht schon vor Jahren den Verstand verloren hätttest."

"Halt den Mund!" Der Blonde verpasst Break einen heftigen Schlag ins Gesicht, der seinen Kopf zur Seite fliegen lässt. Blut läuft aus seinem Mundwinkel. "Das alles ist deine Schuld! Du hetzt Gilbert seit fünfzehn Jahren gegen mich auf! Aber ab heute ist damit Schluss! Oz, Alice, Sharon und du, ich werde euch alle endgültig aus dem Weg räumen!" Er verpasst Break einen weiteren Schlag, diesmal in den Magen. Während Break keuchend in die Knie geht, holt er eine lange, spitze Schere aus seiner Tasche. Das Metall blitzt gefährlich im Mondlicht.

"Was für eine feige und hinterhältige Art, jemanden zu beseitigen." Break verzieht den Mund zu einem spöttischen Grinsen. "Hast du solche Angst, dass du einen ehrlichen Kampf gegen mich nicht gewinnen könntest?"

Der Blonde krallt schweigend seine Finger in Break´s Haare und reißt seinen Kopf nach hinten. Mit hasserfülltem Blick drückt er die Spitze der Schere in Break´s Kehle, bis Blut aus der Wunde läuft.
 

"Nein! Dazu darf es niemals kommen, das lasse ich nicht zu!" Vor Wut zitternd blickt Rheena Lotti an. "Ihr werdet das Break und Fae nicht antun!"

"Was? Ich habe keine Ahnung, wovon du redest."

"Ich kann Visionen empfangen, aus der Zukunft! Ich habe gesehen, dass du mit dem blonden Mann mit den goldenen und roten Augen gemeinsame Sache machst!" Rheena ballt die Hände zu Fäusten. Die Kerzen in den Leuchtern auf den Tischen schmelzen zischend zu unförmigen Wachshaufen zusammen. Der Wein in dem Glas in Lotti´s Hand beginnt zu sprudeln.

"Rheena, nicht." Fae hat gespürt, wie ihre magische Kraft brodelt und kurz vor dem Ausbruch steht. Sie ist zu ihr geeilt und legt ihr die Arme um die Schultern, drückt sie an sich. "Hör auf, beruhige dich. Komm, wir gehen nach draußen."
 

"Was ist denn passiert?" Fae hat Rheena auf einen kleinen Balkon geführt.

"Ich hatte eine Vision, wie diese Frau dir einen Dolch an die Kehle hält. Das zu sehen, hat mich einfach unglaublich wütend gemacht."

"Das war aber nicht alles, oder?" Break ist an der Tür stehen geblieben. "Du hast doch noch mehr gesehen."

"Das stimmt." Rheena dreht sich zu ihm um. "Dieser Mann mit den verschiedenfarbigen Augen wird dann auch da sein. Und er wird wieder versuchen, dich zu töten. Diesmal mit einer Schere."

"Was du gesehen hast, ist bereits geschehen. Vor sieben Jahren."

"Aber das ist unmöglich, Fae", wiederspricht Rheena. "Ich kann nicht in die Vergangenheit blicken."

"Aber ich kann es. Das ist meine besondere Fähigkeit, ich kann in die Vergangenheit eines Menschen sehen. Und vorhin, als Lotti Baskerville mich berührte, wurde dir eine Erinnerung von ihr gezeigt."

"Kannst du alles, was ein Mensch erlebt hat, sehen, Ray-chan?" Rheena streicht ihm über sein Köpfchen. "Jeden Augenblick seines bisherigen Lebens?"

"Ja, alles. Auch wenn die Person selbst es nicht mehr weiß. Gibt es denn jemanden, in dessen Vergangenheit du blicken willst?"

"Ja, das will ich. Aber nicht jetzt. Jetzt will ich wissen, wer dieser Mann ist. Und warum er dich unbedingt töten will."

Break hebt die Schultern. "Weil er mich einfach hasst."

"Das ist keine Antwort!"

"Sein Name ist Vincent." Fae ist an die Brüstung getreten. "Vincent Nightray. Der Bruder von Gilbert-san. Er ist also wieder da. Warum habt ihr mir das nicht erzählt, dass ihr ihn getroffen habt?"

"Es tut mir leid, Fae. Ich wollte nie Geheimnisse vor dir haben. Aber Break..."

"Natürlich, Break." Fae geht zu ihm und bleibt genau vor ihm stehen. "Du hast sie gebeten, nichts zu sagen. Wie konntest du das nur vor mir verschweigen?"

"Ich wollte dich nicht beunruhigen. Du hättest dir nur Sorgen gemacht, wenn du es gewusst hättest."

"Natürlich bin ich besorgt." Sie legt eine Hand an seine Wange. "Weil ich genau weiß, was für ein leichtsinniger Dummkopf du sein kannst. Versprich mir wenigstens, dass du vorsichtig bist. Wo er es doch jetzt wieder auf dich abgesehen hat."

"Ich verspreche es dir." Er beugt sich zu ihr hinunter und streift ihre Lippen mit seinen.

"Das ist interessant. So verhalten sich also Männer und Frauen, die...mmmmmpf."

Rheena hält Rayearth den Schnabel zu. "Shhhhhhhhh. Wir werden die beiden jetzt nicht weiter stören." Langsam, möglichst leise, zieht sie sich Schritt für Schritt von dem Balkon zurück.

Kaum ist sie wieder im Salon, wird sie von einem Gast, einem jungen Adligen, zum Tanz aufgefordert.
 

"Wie ich es gesagt habe." Oscar füllt sein Weinglas wieder auf. "Schon bei ihrem Eintreten in den Saal hat Rheena-san die Blicke der jungen Männer auf sich gezogen. Sie wird sicher noch häufiger um einen Tanz gebeten werden heute Abend."

"Ja, das ist mir auch aufgefallen." Sharon reicht ihm ihr Glas, damit er ihr auch nachschenkt. "Und wäre es nicht schön, wenn einer von ihnen auch ihr Interesse wecken würde?"

"Das bezweifle ich. Sie ist nicht die Art von Person, die zu einem von diesen verzogenen Adelsbürschchen passt."

"Ach, Gilbert." Oscar legt ihm einen Arm um die Schultern. "Es gibt keinen Grund für dich, eifersüchtig zu sein."

"Ich bin nicht eifersüchtig." Gil schiebt Oscar´s Arm weg.

"Du brauchst dich doch nicht dafür zu schämen, Gil." Oz gibt ihm einen Klaps auf den Rücken.

"Nicht du auch noch, Oz", stöhnt Gil. "Lasst mich doch endlich mal mit diesem Blödsinn in Ruhe." Er leert sein Glas in einem Zug, stellt es mit einer heftigen Bewegung auf den Tisch und entfernt sich mit raschen Schritten.

"Oz-sama, hört auf, Gilbert-sama zu ärgern."

"Echo-chan?"

"Echo", verbessert sie ihn. "Es ist gemein, wenn ihr ihn so in Verlegenheit bringt."

"Aber das meinen wir doch gar nicht ernst und das weiß er auch", erwidert Oz.

"Es ist gemein", wiederholt sie, dreht sich um und geht ebenfalls davon.
 

Gil war zu dem kleinen Balkon gegangen, aber gleich wieder umgekehrt, als er dort Break und Fae hatte stehen sehen.

Er durchquert den Saal und tritt auf den großen Balkon hinaus. Während er sich eine Zigarette anzündet und einen tiefen Zug nimmt, hört er eine Stimme.

"Ihr solltet damit aufhören, es ist ungesund."

"Ich weiß, Echo", seufzt er. "Aber ich schaffe es einfach nicht."

"Du hast es mittlerweile schon ein Dutzend Mal vergeblich versucht, nicht wahr?"

"Wer ist da?" Gil dreht sich hastig um und zieht seine Pistole, als er die dunkle Gestalt entdeckt, neben den Balkontüren. "Du!"

"Na na, steck mal lieber wieder deine Waffe weg." Blitzschnell zieht "der Unbekannte" Echo zu sich, die nur wenige Schritte von ihm entfernt steht und hält sie eisern fest. "Deiner kleinen Leibwächterin könnte sonst etwas zustoßen."

Widerstrebend lässt Gil die Waffe wieder sinken. "Was willst du?"

"Eigentlich wollte ich mit dir reden, aber wie es scheint, hat Mad Hatter es dir nicht erzählt. Das ist schade, aber..."

"Lass das Mädchen los!"

Während Rheena tanzt, ist Rayearth umhergeflogen und entdeckt zufällig, was auf dem Balkon geschieht. Rasch flattert er hin und pickt mit seinem Schnabel auf den Kopf "des Unbekannten."

"Blödes Vieh, hör damit auf!" Er schlägt nach ihm und erwischt ihn an einem Flügel. Rayearth gerät aus dem Gleichgewicht und purzelt auf den Boden.

"Ray!"

"Wir können wohl jetzt nicht ungestört reden. Das ist wirklich sehr schade. Verschieben wir es einfach auf ein anderes Mal."

"Was?" Mit einem Ruck hebt Gil den Kopf. Von "dem Unbekannten" ist nichts mehr zu sehen, er ist verschwunden. Und Echo mit ihm.

"Nein! So ein verdammter Mist! Echo!"

Bei ihrem Tanz mit dem Adligen wird Rheena von einer Vision überrascht.

Die Vorhänge sind zurückgezogen, durch die Fensterscheiben scheint helles Mondlicht in das Zimmer. Und auf das Mädchen mit weißen Haaren, das auf dem Bett liegt.

"Echo, meine süße kleine Echo." Die dunkel gekleidete Gestalt beugt sich über sie und streicht ihr über die Haare. "Jetzt wirst du wieder mir gehören."

"Was habt ihr?" Ihr Tanzpartner schaut sie besorgt an, als ihre Sicht wieder klar wird. "Ihr wart für einen Moment völlig abwesend. Fühlt ihr euch nicht wohl?"

"Nein, ich war nur..."

"Rheena."

"Ray-chan?" Suchend blickt sie sich nach ihrem Chain um. "Wo bist du?"

"Hier draußen, auf dem großen Balkon."

"Verzeiht, aber mit wem sprecht ihr, Lady?" Der Adlige schaut sie nun eindeutig irritiert und ein wenig merkwürdig an.

"Mein Chain ruft mich", erklärt sie und lässt ihn stehen, eilt in die Richtung des Balkons.

Ray sitzt direkt an der Brüstung, sein rechter Flügel ist verknickt. Bei seinem Sturz war er unglücklich aufgekommen.

"Ray-chan." Rheena nimmt ihn vorsichtig auf ihre Hände. "Was ist denn mit dir passiert?"

"Ich hatte Pech, dieser kleine Körper nimmt einfach zu schnell Schaden. Jetzt werde ich eine Weile nicht fliegen können."

"Und wie hast du dich verletzt?"

"Dieser Mann, dessen Namen niemand wissen soll, war hier. Er hat das Mädchen bedroht, das immer bei Raven ist. Ich dachte, ich könnte ihr helfen, aber...Und dann ist er mit ihr einfach verschwunden."

"Ich weiß, wo er ist, ich habe es gesehen. Jetzt bringe ich dich zu Fae, sie kann auf dich aufpassen, während ich diesem Kerl folge."

"Wäre es nicht besser, wenn ich dich begleite? Meine anderen Kräfte sind nicht beeinträchtigt, ich kann dir immer noch zur Seite stehen."

"Na gut. Aber wenn es gefährlich wird, nimmst du deine richtige Gestalt an."

"Einverstanden."

So schnell es ihr mit dem Kleid möglich ist, durchquert Rheena den Saal.
 

"Oz-sama und Gilbert-sama haben sich bereits auf die Suche gemacht." Sharon und Oscar stehen bei Break und Fae auf dem kleinen Balkon. "Wir sollten uns ihnen jetzt auch anschließen. Oscar-sama, sie begleiten mich und Break, du gehst mit Fae."

"Dann lasst uns mal auf die Jagd gehen", schlägt Oscar fröhlich vor. "Damit die kleine Echo so bald wie möglich wieder bei uns ist."

"Hoffen wir nur, dass er wirklich mit ihr in die Gärten geflohen ist", murmelt Break leise, nur Fae hört es.

"Glaubst du, dass er uns an der Nase herumführt?"

"Das würde mich nicht überraschen. Bei ihm muss man immer mit allem rechnen. Deshalb möchte ich, dass du hier bleibst und dich im Haus umsiehst. Und vielleicht fragst du Rheena, ob sie dir dabei hilft."

"Sei vorsichtig da draußen, und bleib bitte in der Nähe der anderen. Geh nicht wieder allein los."

"In Ordnung, dieses Mal will ich auf deinen Rat hören. Und wahrscheinlich werde ich "der Ratte" sowieso nicht begegnen."
 

"Echo, meine süße kleine Echo." Eine Hand streicht über ihre Haare. "Jetzt wirst du wieder mir gehören."

Langsam öffnet sie ihre Augenlider und erblickt die dunkle Gestalt über sich. "Wer seid ihr?"

"Du hast mich doch nicht vergessen, Echo?" Er schiebt seine Kapuze zurück. "Das würde mich aber wirklich sehr enttäuschen."

"V-vincent-sama...?" Überrascht setzt sie sich auf

"Ich will dich wieder an meiner Seite haben, wie früher." Er legt seine Hand unter ihr Kinn und beugt sich dicht zu ihr. "Du wirst mir meinen Wunsch doch nicht verweigern, nicht wahr?"

"Vincent!" Rheena kommt in das Zimmer gestürzt. "Gib das Mädchen wieder frei!"

"Oh, sieh mal an." Er schaut über Echo´s Kopf zu ihr. "Hat Mad Hatter dir verraten, wer ich bin? Nun, eigentlich spielt es keine Rolle. Aber ich muss zugeben, ich bin beeindruckt, dass du mich hier aufgespürt hast."

"Vielleicht hatte sie wieder eine Vision und wusste daher, wo wir sind."

"Eine Vision?"

"Ja, ich kann manchmal sehen, was in der Zukunft geschehen wird." Rheena setzt Ray, den sie bis jetzt in den Händen gehalten hatte, auf ihre Schulter. "So habe ich erfahren, dass Echo von dir in diesem Zimmer festgehalten wird. Und jetzt werde ich sie zu den anderen zurückbringen."

"Nein, sie kommt mit mir." Vincent legt seine Arme um Echo und zieht sie rückwärts vom Bett. "Es wird wieder so, wie es früher war."

"Was soll das heißen?"

"Ich würde wirklich gern noch bleiben und mich weiter mit dir unterhalten. Leider muss ich mich aber jetzt verabschieden. Lass mich nur noch sagen, dass du wirklich hinreißend aussiehst in diesem Kleid, kleine Hexe."

"Zum Teufel damit! Du..." Weiter kommt Rheena nicht, als die Fensterscheiben explodieren.

"Rheena!" Rayearth nimmt blitzschnell seine richtige Gestalt an und legt seinen gesunden Flügel um sie, zum Schutz vor den umherfliegenden Glassplittern.

Ein paar Minuten später ist es schon wieder vorbei.

"Zum Glück ist dir nichts passiert. Du hättest übel zugerichtet werden können."

"Ray-chan." Rheena hebt den Kopf und blickt zu seinen blauen Augen hoch. "Danke." Mit vorsichtigen Schritten geht sie über den mit Glasscherben bedeckten Boden zu den zerbrochenen Fenstern. "Craven. Warum ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass sein Chain ihm helfen könnte, aus diesem Zimmer zu fliehen? Und Echo, ich habe ihr doch die Möglichkeit geboten, aus seiner Gewalt zu entkommen. Warum hat sie die Gelegenheit nicht genutzt?"

"Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund, Rheena. Echo war früher..."

"Echo war früher die Dienerin von Vincent Nightray. Sie war ihm völlig ergeben und hat ihm jeden Wunsch erfüllt. Genau wie du vor so langer Zeit ihr bedingunslos gehorcht hast."

Faes Worte, die sie ihr oben in dem Zimmer gesagt hatte, spuken durch Rheenas Kopf, während sie sich einen Weg durch die Gärten bahnt. "Ich muss Echo unbedingt davon abhalten, sich diesem Mann wieder anzuschließen."

"Warum?" Ray hat sich in ihre Haare gekrallt, um nicht den Halt zu verlieren. "Ist es wegen dem, was Fae gesagt hat? Dass du einmal genau wie Echo warst?"

"Ich will nicht darüber sprechen. Lass sie uns einfach so schnell wie möglich finden." Rheena rafft ihr Kleid, um noch schneller laufen zu können. Einige Meter weiter bleibt sie stehen, als sie ein leises Krächzen vernimmt. "Hast du das gehört, Ray-chan?"

"Nein. Was?"

Sie setzt zu einer Antwort an, als der Wind stärker wird. Ein paar Meter links von ihnen, vor einer Baumgruppe, lässt sich Craven mit kräftigen Flügelschlägen herabsinken.

"Dort sind sie." Sie steuert direkt auf sie zu und nur wenige Augenblicke später sieht sie Vincent. Er hat die Kapuze seiner Robe wieder über den Kopf gezogen und hält Echo in seinen Armen. Das Mädchen wirkt völlig teilnahmslos.
 

"Verdammt, wo kann er nur sein?" Gil schlägt wütend mit der Faust gegen einen Baumstamm. "Wohin zum Teufel ist er mit Echo verschwunden?"

"Beruhige dich, Gil", rät Oz ihm. "Wir werden sie bestimmt finden."

"Wir müssen sie finden", knurrt Gil. "Wir müssen sie einfach zurückholen!"

"Warte", ruft Oz, als der Schwarzhaarige wieder losrennt. Schon nach wenigen Metern hat er ihn aus den Augen verloren. "Gil."

Gil folgt dem Weg, der in einer leichten Biegung nach rechts führt. Er verlangsamt seine Schritte, als er ein Rauschen hört. Ein gewaltiger dunkler Schatten gleitet über ihn hinweg.

"Was...War das Craven? Der Chain dieses elenden Mistkerls?" Entschlossen läuft er weiter auf die Baumgruppe in einiger Entfernung zu, hinter der er den schwarzgefiederten Vogel hatte verschwinden sehen.
 

"Natürlich wird sie an meiner Seite bleiben." Vincent umfasst Echo´s Kinn und hebt ihr Gesicht, bis sie ihn ansieht. "Nicht wahr?"

"Echo!" Gil bricht zwischen den Bäumen hervor, mit seiner Waffe in der Hand. "Du elender Bastard! Gib sie mir zurück!"

"Und wenn nicht? Willst du dann auf mich schießen?" Vincent lacht kurz auf. "Ich glaube nicht, dass du das tun wirst."

Unfähig, sich zu bewegen, beobachtet Rheena, wie Gil den Hahn spannt und langsam den Abzug drückt. Mit einem Knall kommt eine Kugel aus dem Lauf geschossen, direkt auf Vincent zu. Aber bevor sie ihn treffen kann, erwacht Echo aus ihrer Erstarrung und springt auf. Die Kugel durchschlägt ihren Körper und wirft sie nach hinten. Ein dünnes Rinnsal Blut läuft aus ihrem Mundwinkel und auch unter ihr bildet sich langsam eine große Lache.

"Nein!" Mit einem Ruck schreckt Rheena aus ihrer Vision. "Dazu darf ich es nicht kommen lassen!"

Mit langsamen, zitternden Schritten geht sie weiter. Der Chain reagiert auf ihr Erscheinen mit einem heiseren Krächzen und lässt Vincent den Kopf heben.

"Oh, du schon wieder. Du willst wohl einfach nicht aufgeben, nicht wahr?" Seine Stimme hat einen amüsierten, spöttischen Klang. "Aber ich lasse sie mir nicht wegnehmen, sie gehört mir."

"Du liegst falsch", erwidert sie. "Ein Mensch ist niemandes Eigentum. Du hast nicht das Recht, über sie zu bestimmen. Es liegt allein an Echo, ob sie an deiner Seite oder bei Gilbert bleiben will."

"Natürlich wird sie an meiner Seite bleiben." Vincent umfasst Echo´s Kinn und hebt ihr Gesicht, bis sie ihn ansieht. "Nicht wahr?"

"Jetzt, ich muss jetzt handeln." Sie konzentriert ihre magische Kraft und lässt sie genau in dem Moment frei, wo Gil die Baumgruppe erreicht. Ein Kreis aus lodernden Flammen zieht sich um sie, Vincent und Echo. Craven erhebt sich kreischend wieder in die Luft.
 

"Rheena!" Ungläubig starrt Gil auf die Wand aus Feuer, die ihm den Durchgang versperrt. "Was soll dieser Unsinn? Los, lass mich sofort rein!"

"Was ist los, Gilbert-kun?"

"Ist das nicht offensichtlich?" Außer sich dreht sich Gil zu dem Weißhaarigen um, der hinter ihm erschienen ist. "Dieser freche Rotschopf hat mich ausgesperrt! Sie ist da drin, mit dem elenden Bastard, der Echo entführt hat!"

"Dafür hat sie bestimmt gute Gründe." Break zieht ein Bonbon aus seiner Tasche und beginnt, das Papier abzuwickeln. "Wir können wohl nur warten, bis sie mit Echo-kun zu uns kommt."

"Nein, auf keinen Fall werde ich nur hier herumstehen! Ich muss einfach etwas unternehmen!" Gil geht einige Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen und mit einem Sprung die Flammen zu überwinden. Aber als er sein Vorhaben in die Tat umsetzen will, wird er an den Armen gepackt und grob zurückgezerrt.

Mit dem Rücken an einen Baum gepresst, funkelt er den Weißhaarigen an. "Lass mich sofort los!"

"Shhhhhhhhhh." Rasch legt Break seine Hand auf den Mund des Schwarzhaarigen, was ihn noch mehr in Rage bringt. "Du musst dich beruhigen, du bist viel zu aufgebracht im Moment. Und außerdem", er hebt den Kopf - Craven schwebt direkt über den Flammen. "Es wäre nicht klug, die Aufmerksamkeit dieses Viehs auf uns zu lenken. Du hast doch nicht vergessen, was Rheena uns über seine Fähigkeit erzählt hat, oder?"
 

"Und wie geht es jetzt weiter?" Vincent ist aufgestanden und nähert sich ihr. "Nachdem du diese magische Wand errichtet hast, um Nii-san auf Abstand zu halten."

"Ich will Echo die Gelegenheit geben, sich zu entscheiden", erwidert sie. "Wenn du versucht, sie zu beeinflussen, werde ich dich davon abbringen."

"Dann musst du mich wohl mit deinem Feuer angreifen", fordert er sie auf. "Komm, zeig mir, wieviel Macht du in dir hast. Ich bin wirklich gespannt, das zu erfahren."

"Sei vorsichtig, Rheena. Wenn du meine Hilfe brauchst, lass es mich wissen."

"Danke, Ray-chan." Rheena richtet ihre Aufmerksamkeit auf Vincent und lässt einen Flammenregen auf ihn herunterprasseln. "Das wichtigste ist jetzt Echo. Sie muss erfahren, welche Sorgen sich Gilbert um sie macht. Auch wenn sie noch Loyalität für ihren früheren Master empfindet, vielleicht kehrt sie ja zu dem Angsthasen zurück."

"Echo", ruft sie dem weißhaarigen Mädchen zu. "Hör mir bitte zu, ich will dir sagen, dass..."

"Was für ein netter Trick."

Die Stimme direkt hinter ihr lässt sie sich umdrehen und zu Vincent aufblicken. Seine Kleidung qualmt und ist an mehreren Stellen angesengt. "Aber das war doch noch nicht alles, oder?" Blitzschnell stößt seine Hand vor und schließt sich um ihren Hals. "Wenn du dich nicht mehr anstrengst, kannst du nicht gegen mich gewinnen."
 

"Warum unternimmst du nichts gegen dieses verdammte Biest?" Gil umklammert Breaks Handgelenk. "Für dich dürfte das doch kein Problem sein!"

"Nein, aber ich werde Mad Hatter selbst rufen müssen", erwidert Break. "Ich habe keine andere Möglichkeit, um mit ihm fertig zu werden."

"Dann tu es endlich!"

"Jaja." Seufzend konzentriert Break sich, sein Chain erscheint über ihnen und lässt seine Kraft frei. Mit einem schrillen Kreischen löst Craven sich auf. Und auch Mad Hatter verschwindet wieder. "So, jetzt hol dir Echo-kun von ihm zurück."

"Das werde ich!" Gil läuft auf die Flammenwand zu, während Break sich hustend gegen den Baum lehnt.
 

Vincent kniet über Rheena, seine Hand liegt immer noch um ihren Hals, und hält sie am Boden. Er schaut ruckartig nach oben, als er das schrille Kreischen hört. Mit starrem Blick beobachtet er, wie sein Chain sich in dem grellen Licht auflöst. "Mad Hatter! Dieser verfluchte Bastard!"

"Wie es aussieht, stehst du jetzt allein da. Break hat dein Federvieh vernichtet..."

"Und dafür werde ich ihn hundertfach bezahlen lassen! Aber du irrst dich, kleine Hexe, wenn du glaubst, dass mir nur dieser eine Chain zur Verfügung gestanden hat. Im Abyss gibt es unzählige Kreaturen, und dort habe ich auch einen weiteren mit einer sehr interessanten Fähigkeit gefunden. Zampfir."

Auf seinen Ruf hin kommt eine winzige, kaum handgroße Fledermaus/ Mottenähnliche Kreatur angeflattert. "Sie sieht zwar nicht so beeindruckend aus, aber sie kann einen feinen Staub absondern und damit die dunkle Seite in einem Menschen wachrufen. So wie damals im Hauptquartier, als die Pandora-Clowns Xerxes Break für den Tod von Rufus Barma verantwortlich machten und ihn festnehmen wollten. Es war fast schon zu einfach, sie zu beeinflussen und ihre unterdrückte Wut hervorzubringen. Bis dann diese kleine Göre hereinkam und irgendwie die Wirkung aufgehoben hat. Aber genug davon, jetzt lass uns doch mal sehen, was wohl in deinem Inneren verborgen liegt." Ein bösartiges Funkeln tritt in seine Augen.

"Tu das nicht!" Rheenas Augen weiten sich schreckhaft, als Zampfir den Staub von seinen Flügeln auf sie herunterrieseln lässt. Wie feiner Nebel legt er sich auf ihre Haut und dringt ein. Kaum ein paar Sekunden später spürt sie, wie sich die Finsternis tief in ihr, die sie früher beherrscht hat, regt und an die Oberfläche drängt. Verzweifelt versucht sie, dagegen anzukämpfen.
 

"Echo!" Gil hat die Flammen überwunden und läuft zu dem Mädchen, sinkt vor ihr auf die Knie. "Geht es dir gut? Hat er dir was getan?"

Beim Klang seiner Stimme hebt sie den Kopf. "Gilbert-sama. Was tut ihr hier?"

"Ich habe mir Sorgen um dich gemacht."

"Warum? Mir fehlt nichts."

"Das stimmt, er hat sie nicht angerührt." Rayearth nimmt neben den beiden seine richtige Gestalt an. "Raven, darf ich dich bitten, Rheena zu helfen? Wenn ich diesen Mann angreife, könnte ich sie verletzen. Schau, er ist zu nah bei ihr."

Gil blickt über die Schulter zu dem Rotgewandeten einige Meter entfernt, der ihnen den Rücken zugewandt hat. Sein Gesicht kann er nicht sehen, aber seine Kapuze ist zurückgerutscht und seine langen blonden Haare fallen in einer für Gil vertrauten Art offen über seinen Rücken. "D-das...das kann doch nicht sein!", stammelt er ungläubig. "Vin...Vincent?!"

"Jetzt weißt du es also auch, Nii-san. Und, willst du Echo immer noch zurückfordern?" Langsam erhebt sich Vincent, mit einem Lächeln dreht er sich um und macht einen Schritt auf seinen Bruder zu. Als unmittelbar vor ihm eine Feuersäule in die Höhe schießt und seine Gestalt verschluckt.
 

"Was geht hier vor?" Dicht neben Break bricht ein weiterer Feuerstrahl aus dem Boden. Rasch weicht er einige Schritte zurück und hebt einen Arm vor´s Gesicht, um sich vor der starken Hitze zu schützen.

"Break!" Fae kommt zu ihm geeilt. Nachdem sie Rheena in dem verwüsteten Zimmer über die Beziehung von Echo zu Vincent berichtet hatte, war sie einige Minuten nach der Rothaarigen ebenfalls losgelaufen.

"Dir ist nichts passiert, zum Glück. Aber irgendetwas geschieht mit Rheena und verursacht diese Ausbrüche ihrer magischen Kraft. Ich muss zu ihr und versuchen herauszufinden, warum und wie wir es beenden können."

"Wahrscheinlich ist die Ratte dafür verantwortlich. Und deshalb werde ich mitkommen und dafür sorgen, dass der Bastard beschäftigt ist."

"Das scheint ja jetzt richtig spannend zu werden." Lotti ist mit Leon hinter den beiden erschienen, sie sitzt auf seinem Rücken. "Ihr habt doch sicher nichts dagegen, wenn ich mich anschließe? Ich könnte deiner Liebsten auch helfen, in den Kreis zu kommen, Hatter."
 

"Vincent-sama!" Echo wehrt sich gegen den festen Griff. Ihr Blick ist auf Vincent gerichtet, der auf der Seite liegt und sich nicht führt. "Lasst mich los, ich muss ihm doch helfen!"

"Nein, das ist zu gefährlich!" Gil hält das Mädchen mit einem Arm um ihre Taille und dem anderen Arm um ihre Schultern. "Es könnte überall wieder so ein Ding aus dem Boden kommen!"

Mit einem kräftigen Satz springt Leo über die Feuerwand. Kaum berühren seine Pfoten den Boden, rutscht Fae von seinem Rücken und schaut sich nach ihrer Freundin um. "Rheena."

"Wir werden sie finden, Fae." Break nimmt ihre Hand. "Und dann beenden wir, was hier vorgeht."

"Bitte, würdest du es mir überlassen? Wenn ich bei ihr bin, kann ich einen Schild um uns schaffen und so Rheenas Kräfte abschirmen. Dann sind du und die anderen in Sicherheit."

"Aber du könntest verletzt werden." Der Druck seiner Finger verstärkt sich etwas. "Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass du dich allein solch einer gefährlichen Situation aussetzt. Ich bleibe bei dir."

"Na, ist das nicht niedlich?" Vincent ist wieder auf die Beine gekommen und nähert sich ihnen. Seine Robe ist von Brandflecken übersäht, besonders auf der rechten Seite, wo er hauptsächlich von dem Feuerstrahl getroffen wurde. "Ich finde es sehr amüsant, wie ihr euch gegenseitig beschützen wollt. Aber es wäre doch wirklich bedauerlich, wenn ihr dieses beeindruckende, wunderbare Schauspiel unterbrechen würdet."

"Was hast du Rheena angetan?" Fae geht ein paar Schritte vorwärts. "Sie würde so etwas niemals von selbst tun! Du hast sie irgendwie manipuliert und dazu gebracht!"
 

"Fae?" Rheena spürt ihre Anwesenheit. "Nein, sie darf einfach nicht hier sein. Wenn ihr etwas zustößt, werde ich mir das niemals verzeihen. Ray...Ray-chan!"

"Rheena. Bin ich froh, von dir zu hören. Diese Ausbrüche..."

"Bitte, hör mir jetzt zu", unterbricht sie ihn. "Du musst Fae und Break unbedingt auf der Stelle wegbringen! Und lass sie nicht wieder hierher kommen!"

"Aber du bist mein Contractor, ich kann doch nicht..."

"He, redest du gerade mit dem frechen Rotschopf?" Gil hat bemerkt, dass Rayearth konzentriert in eine andere Richtung schaut. "Sag ihr, sie soll mit diesem Blödsinn aufhören! Sie bringt uns alle in Gefahr!"

"Das kann sie nicht, sie hat keine Kontrolle darüber. Raven, du solltest Echo nehmen und schnell verschwinden. Und gib bitte auch Mad Hatter und Fae Bescheid, dass sie sich in Sicherheit bringen. Ich kümmere mich um Rheena, vielleicht kann ich ihr helfen!"

"Gut, in Ordnung." Gil löst seinen Griff um Echo, während der Chain sich entfernt. Sein Blick richtet sich auf die Stelle, wo Vincent gelegen hat. "Er ist weg, wahrscheinlich ist er bei Break. Dann sollte ich wohl wirklich auch hingehen."
 

"Nun ja, Fae-san", lächelt Vincent. "Die kleine Hexe hat schon eine Menge zu bieten. Sie ist wirklich eine heißblütige Lady, es hat sich also gelohnt, mehr über sie zu erfahren."

"Fae." Break löst den Verschluss und zieht seine Schwertklinge. "Such du schon mal nach Rheena. Ich will mich noch ein wenig mit dieser Ratte unterhalten."

"Ich verstehe." Fae tritt zurück und wendet sich zum Gehen. "Sei aber bitte vorsichtig, du weißt wie hinterhältig er ist."

"Keine Angst, er hat ja seinen Chain Craven nicht mehr, den er auf mich hetzen könnte. Also wird mir schon nichts passieren. Und ich", Break richtet die Schwertspitze auf Vincents Kehle. "Ich werde versuchen, dich zumindest am Leben zu lassen. Denn falls Gilbert-ku je herausfindet, dass du - sein Bruder..." Er verstummt, als er eine leichte Berührung an seinem Hals spürt.

"Nimm deine Waffe runter."
 

"Rheena!" Fae fällt vor ihr auf die Knie und zieht sie in eine Umarmung. "Jetzt wird alles wieder gut. Ich weiß nicht, was Vincent getan hat, aber gemeinsam werden wir das in Ordnung bringen."

"Ich bin erleichtert, dass du ihr hilfst." Rayerth sitzt neben den beiden. "Und wenn ich dich irgendwie unterstützen kann, sag es mir."

"Ich danke dir, Rayearth." Fae lächelt den Chain an. "Vielleicht könntest du einfach über uns wachen, während ich Rheena zurückhole."

"Natürlich, das tu ich gern."
 

"Lotti-san." Break dreht den Kopf zu der Frau, die ihren Dolch auf ihn gerichtet hält.

"Lass dein Schwert sinken", wiederholt Lotti. "Glen-sama hat mich gebeten, Vincent Nightray möglichst unversehrt zu ihm zu bringen - er will mit ihm sprechen."

"Das war also der Grund, warum du hier erschienen bist. Aber ich habe nicht die Absicht, diese Ratte entkommen zu lassen."

"Dann sind wir uns wohl einig." Vincent legt seine rechte Hand um die schmale Schwertklinge, drückt sie ein wenig zur Seite. "Also lass uns die "Unterhaltung" fortführen." Mit der linken Hand holt er seine Pistole unter der Robe hervor und spannt mit einem deutlich hörbaren Klicken den Hahn.

"Schluss! Hört gefälligst auf!"

"Oh je." Break seufzt innerlich. "Das ist jetzt aber wirklich ungünstig, dass er sich einmischt."

"Zum Teufel nochmal!" Gil kommt neben den beiden zum Stehen. "Könnt ihr beide nicht mal an etwas anderes denken, als euch gegenseitig umzubringen? Ihr seht doch, was hier los ist - was Rheena hier anrichtet!"

"Das ist nicht ihre Schuld. Fae ist überzeugt, dass diese Ratte hier dafür verantwortlich ist. Bevor du uns unterbrochen hast, wollte ich ihn gerade dazu bringen, mir zu erzählen, was er mit ihr angestellt hat." Break wendet sich wieder Vincent zu. "Nun, wollen wir da weitermachen, wo wir unterbrochen wurden?" Er holt zu einem Schwerthieb aus, als...

"Vincent-sama!" Echo wirft sich vor ihren ehemaligen Master. Die Klinge schrammt über ihre Stirn und hinterlässt einen tiefen Kratzer an Schulter und Arm.

"Echo!" Gil fängt das Mädchen auf, als sie zusammensackt. Der Stoff ihres Kleides färbt sich rot. "Verdammt, Break!"

"Das habe ich nicht beabsicht", verteidigt sich der Weißhaarige. "Und es wäre auch nicht passiert, wenn du besser auf sie aufgepasst hättest, Gilbert-kun."

Innerhalb des Schildes, den Fae um sich und Rheena errichtet hat.

"Ihre magische Kraft kämpft dagegen an, dass ich sie versiegelt habe." Immer wieder glüht die silbrig-schimmernde Kugel in einem flammendrotem Licht auf, und jedesmal spürt Fae einen deutlichen Schlag. Während sie angestrengt versucht, eine geistige Verbindung zu Rheena herzustellen und sie in Gedanken immer wieder ruft.

"Rheena! Bitte, wenn du mich hören kannst, lass mich zu dir kommen!"

"Bleib weg, Fae." Der Widerhall des Rufes wird wie von einer Welle zu ihr getragen und wäre beinahe ungehört verklungen. Nur ein winziges Echo dringt durch Fae´s Konzentration und öffnet ihr den Weg, der - wie sie hofft - zu ihrer Freundin führen wird. So behutsam wie möglich taucht sie tiefer in Rheena´s Bewusstsein ein.
 

"Es hat aufgehört." Gil blickt sich verwundert um, nirgendwo schießt mehr ein Feuerstrahl in die Höhe. Auch der flammende Kreis brennt niedriger als vorher.

"Dann hat Fae Rheena gefunden und konnte tatsächlich ihre Magie abschwächen. Und jetzt wird sie ihr helfen, dass - was auch immer diese Ratte ihr angetan hat - rückgängig zu machen."

"Du solltest dich nicht zu sehr darauf verlassen." Vincent zielt immer noch mit seiner Pistole auf den Weißhaarigen. "Die reizende Miss Hikari mag ja sehr mächtig sein, sie konnte es sogar mit dem Willen des Abyss aufnehmen. Aber die Wirkung eines Chain kann nur aufgehoben werden, wenn er besiegt und vernichtet wird. Das müsstest du doch eigentlich wissen, Hatter-san."

"Und was für ein Chain wäre das wohl?" Break wendet sich wieder Vincent zu. "Das würde ich wirklich zu gern erfahren."

"Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Doch ich habe nicht vor, deine Frage zu beantworten. Ich will jetzt nur endlich diese Angelegenheit zwischen uns klären. Das haben wir beide doch schon viel zu lange vor uns hergeschoben, meinst du nicht auch?" Noch während er spricht, drückt er den Abzug.
 

"Rheena." Fae sieht ihre Freundin direkt vor sich, aber ein dichtes Netz war um die Rothaarige gewoben. "Rheena, was hast du nur getan?" Mit beiden Händen packt Fae eins der brennenden Seile und zerrt daran, aber es gibt nicht nach.

"Hör auf, Fae. Als ich spürte, wie du mich rufst und nach mir suchst, habe ich mich selbst hier eingeschlossen. Meine Macht ist im Augenblick einfach zu unkontrolliert, aber ich muss wenigstens versuchen zu verhindern, dass sie weiterhin ausbricht. Und deshalb muss ich hier drin bleiben!"

"Nein." Fae versucht weiterhin, das Netz zu zerreissen. "Hast du nicht geschworen, immer mit allen Mitteln zu verhindern, dass mir Leid zugefügt wird?"

"Genau deshalb muss ich hier drin bleiben", widerholt Rheena. "Weil ich jetzt eine Gefahr für dich geworden bin. Für dich, für Break und alle, die du liebst. Meine außer Kontrolle geratene Magie..."

"Du bist mir ebenso wichtig, ich will auch dich nicht verlieren!" In Faes Augen glitzern Tränen, ihre Hände verkrampfen sich um die brennenden Seile. "Was ist aus der Kämpferin geworden, die mir in den letzten drei Jahren nicht von der Seite gewichen ist? Du hast niemals aufgegeben, egal in welcher schlimmen Situation wir uns befanden! Und das darfst du auch jetzt nicht tun!" Sie schiebt ihren Arm durch eine Masche des Netzes und reckt sich so weit sie kann. "Bitte!"

Das Flehen in Faes Stimme lässt Rheena schließlich ihre Hand ergreifen.
 

"Was fällt dir ein?"

Echo war aufgesprungen und hatte seinen Arm umklammert, als er geschossen hatte. Die Kugel, die Break in die Brust hätte treffen sollen, streift nur seinen rechten Arm.

"Nii-san, schaff sie weg." Mit einer heftigen Bewegung stößt Vincent Echo von sich, sie stolpert gegen Gil und wird von ihm gestützt. "Ich kann sie nicht brauchen, wenn sie sich mir nur in den Weg stellt."

"Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?", braust Gil auf. "Echo hat dich gerade noch vor einer Verletzung bewahrt! Du kannst sie nicht einfach herumschubsen, als wäre sie nur ein Gegenstand!" Seine zur Faust geballte Hand zittert vor Wut. "Schon damals bist du einfach verschwunden und hast sie zurückgelassen! Und jetzt, wo du wieder da bist, warum hast du dich nicht zu erkennen gegeben?"

"Meine Rückkehr sollte nicht zu einer Belastung für dich werden. Glaub mir, Nii-san, ich habe nur getan, was das Beste für dich ist."

"Das Beste?" Gil packt Vincent am Kragen und beginnt ihn heftig zu schütteln. "Ich habe dich für tot gehalten! Und ich habe um dich getrauert! Wie kannst du nur denken, dass...dass..." Unvermittelt verpasst er seinem Bruder einen gezielten Schlag unters Kinn, der ihn zu Boden gehen lässt. "Du bist so ein verdammter Vollidiot!"

"Oh-oh, Gilbert-kun kommt ja gerade richtig in Fahrt. Hoffentlich fängt er nicht auch noch an, mit mir zu schimpfen...Nanu?" Break spürt erneut eine leichte Erschütterung unter seinen Füßen. "Was...Ist es etwa doch noch nicht vorbei?"
 

"Leon. Was ist denn los mit dir?"

Der Chain scharrt unruhig mit den Pfoten und gibt ein dumpfes Knurren von sich.

"Er spürt es offenbar, dass uns noch etwas bevorsteht." Leo ist neben Lotti getreten. "Genau wie Xerxes Break, ihm ist es offenbar auch nicht entgangen."

"Was meint ihr, Glen-sama?"

"Nun, das werden wir wohl schon sehr bald erfahren. Und vielleicht bietet uns das auch die Gelegenheit, Vincent in unser Anwesen zu bringen."
 

"Mad Hatter! Raven!" Rayearth kommt zu ihnen. "Ich habe gerade einen Ruf von Rheena bekommen. Ich soll dafür sorgen, dass ihr beide und das Mädchen von hier so weit wie möglich wegkommt. Sie fürchtet, dass sie endgültig die Kontrolle über ihre Magie verlieren könnte und will nicht, dass euch wegen ihr etwas zustößt."

"Dann steig du jetzt mit Echo-kun auf seinen Rücken", fordert Break Gil auf. "Er kann euch zuerst in Sicherheit bringen."

"Sei nicht schon wieder so ein Dummkopf! Du wirst gefälligst auch mit uns mitkommen, verstanden?"

"Nein, das geht nicht, Gilbert-kun", erwidert der Weißhaarige. "Wir passen nicht alle auf Ray-chan."

Während Gil noch zögert, meldet sich Echo zu Wort. "Gilbert-sama, mein Kopf und meine Schulter tun weh. Bringt ihr mich bitte ins Anwesen?"

"Na los, bring deine Dienerin endlich weg."

"In Ordnung." Widerstrebend klettert Gil hinter Echo auf Rayearth´s Rücken.

"Haltet euch gut fest. Ich kann zwar noch nicht wieder fliegen, aber doch sehr schnell laufen."

"Halt an."

"Was ist denn los, Raven?" Rayearth verlangsamt sein Tempo. "Wir haben erst den halben Weg geschafft."

"Das weiß ich, aber du wirst Echo allein zum Anwesen bringen." Gil rutscht vom Rücken des Chain. "Ich muss zurück."

"Ich verstehe zwar nicht warum, aber vielleicht wartest du noch einen Moment. Da vorn sind deine Freunde."

"Wo?" Gil schaut sich suchend um und entdeckt Oz, Reim und den Diener Robin, die auf ihn zugelaufen kommen.

"Gil!" Oz erreicht ihn als erster. "Du hast Echo-chan gefunden. Geht es ihr gut? Und was ist mit dem Kerl, der sie entführt hat?"

"Sie hat eine Verletzung an der Schulter, die ihr von Break zugefügt wurde. Als er angriff, hat sie sich dazwischen geworfen. Eigentlich sollte nämlich Vincent getroffen werden."

"Vincent?", wiederholt Reim überrascht. "Aber wie...er war doch..."

"Ich weiß nicht, aber er ist wieder da." Gil kramt hektisch seine Zigaretten aus der Tasche und steckt sich eine an, nimmt einen tiefen Zug. "Und anscheinend hat Break das schon eine ganze Weile gewusst! Aber er...der verlogene Mistkerl hat es einfach vor uns allen verschwiegen!"

"Ich glaube, Mad Hatter hatte einen guten Grund dafür. Lass dir doch von ihm erzählen, warum er es dir nicht schon eher gesagt hat."

"Warum bist du nicht einfach still? Ein Chain wie du versteht doch überhaupt nichts davon." Gil wirft die halbgerauchte Zigarette auf den Boden und tritt mit dem Fuß drauf. "Es wäre seine verdammte Pflicht gewesen, mir zu sagen, dass Vincent wieder aufgetaucht ist! Stattdessen versuchen er und mein Bruder, sich gegenseitig umzubringen! Aber die beiden schulden mir eine Erklärung und die werde ich auch bekommen!"

"Gil." Oz stößt einen Seufzer aus, als der Schwarzhaarige losrennt. "Tja, er war nicht zu halten. Na gut, erzähl uns jetzt mal, was hier eigentlich los ist, Rayearth. Diese Feuersäulen, die bis vor einer Weile ausgebrochen sind - Rheena hat sie doch mit ihrer Magie verursacht, nicht wahr?"

"Das stimmt, aber sie hat es nicht gewollt. Sie wurde von einem Chain beeinflusst. Entschuldigt, ich würde euch das jetzt gern richtig erklären, aber Raven bat mich, Echo zum Anwesen zu bringen. Und dann will ich schnell zu Rheena zurückkehren."

"Du machst dir Sorgen um deinen Contractor." Oz ist der besorgte Klang in seiner Stimme aufgefallen. "Ich kann das gut verstehen. Reim-san", wendet er sich an den Brillenträger. "Könntest du dich nicht um Echo-chan kümmern?"

"Verzeiht, Oz-sama, aber wenn Xerxes wirklich mit Vincent kämpft..." Reim rückt seine Brille gerade. "Ich werde auch mit euch dorthin gehen."

"Dann schickt Echo einfach zu uns." Sharons Stimme dringt aus dem Schatten zu Oz´s Füßen. "Bei mir und Oscar-sama ist sie in guten Händen. Und ihr könnt versuchen herauszufinden, warum Vincent sich die ganze Zeit unter einer roten Robe versteckt hielt."
 

"Nii-san kann wirklich kräftig zuschlagen." Vincent reibt sich das schmerzende Kinn, wo ihn Gil´s Faust getroffen hat. "Ich hätte nicht gedacht, dass es ihn so sauer machen würde, weil ich ihm meine Rückkehr verschwiegen habe."

"Vincent." Leo ist nähergetreten. "Lotti und ich werden jetzt in unser Anwesen gehen. Und du wirst uns begleiten und mir einige Fragen beantworten."

"Tatsächlich? Nun, aber leider kann ich diese freundliche Einladung im Augenblick nicht annehmen. Wie ich vorhin bereits sagte, werde ich jetzt endgültig die Angelegenheit zwischen Mad Hatter und mir zu einem Abschluss bringen." Vincent senkt den Blick auf den weißen Haarschopf. Zuvor hatte er Breaks kurze Ablenkung genutzt, um ihn mit gezielten Schlägen auf den Boden zu befördern und hockt nun auf ihm. "Das ist doch in deinem Interesse, nicht wahr? Aus diesem Grund bist du doch auch hier geblieben. Oder nein, wohl eher, weil du dir Sorgen machst, was ich mit deiner geliebten Fae anstelle, wenn du sie nicht beschützt. Allein der Gedanke, wie deine wunderschöne, sanftmütige Liebste mir hilflos ausgeliefert ist und ich..."

"Halt deinen verdammten Mund!" Purer Hass flackert in Breaks Auge. "Ich schwöre dir, ich werde dich töten, wenn du sie anrührst!"

"Das bezweifle ich", erwidert Vincent. Er legt seine Hand auf die Schusswunde an Breaks Arm und drückt zu. Seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, als der Weißhaarige vor Schmerz kurz zusammenzuckt. "Verfluchter Bastard!", presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
 

"Lotti, wir gehen." Leo steigt hinter ihr auf den Rücken ihres Chain. Auch er hatte inzwischen ein leichtes Beben gespürt. "Es hat keinen Sinn zu bleiben. Vincent wird sich nicht überzeugen lassen, uns zu begleiten. Und hier kann es jetzt gleich richtig ungemütlich werden."

"Ich habe nichts dagegen. Leon wird auch immer unruhiger." Lotti legt ihm eine Hand in den Nacken. "Los, lauf." Der Chain gehorcht und entfernt sich mit raschen Sprüngen.
 

"Du hättest das Angebot nicht ablehnen sollen, elende Ratte. Denn jetzt wirst du mit mir zusammen abtreten."

"Was redest du für wirres Zeug?" Vincent runzelt die Stirn. "Der einzige, der heute stirbt, bist du."

"Oh nein. Ich fürchte, da irrst du dich." Break legt den Kopf zurück und schließt sein Auge. "Wenigstens bleibt mir die Gewissheit, dass du nicht mehr davonkommen kannst. Schau, es geht schon los. Rheenas Magie bricht erneut aus, genau jetzt."

Nicht weit von ihnen färbt sich der Schild von Fae völlig rot und wächst langsam, stetig in die Höhe und zu den Seiten.

"Was geschieht denn da jetzt schon wieder?"

"Gilbert-kun?" Break reißt erschrocken sein Auge auf. "Warum bist du wieder hier? Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich mit Echo-kun ins Anwesen begeben!"

"Ich muss doch nicht darauf hören, was du sagst!", knurrt Gil. "Und du, Vincent, geh sofort von ihm runter und lass ihn aufstehen! Ich will jetzt wissen, warum ihr beide mir kein Wort gesagt habt!"

"Halt die Klappe und sieh zu, dass du verschwindest! Du dämlicher Idiot, hau endlich ab! Na los!"

"Wenn hier jemand ein Idiot ist, dann du, Break! Schau dich doch nur einmal an, du..." Weiter kommt Gil nicht.

Die magische Halbkugel explodiert in einem gleißenden Licht, eine enorme Druckwelle fegt in alle Richtungen und reißt ihn, Vincent und Break einfach mit sich.

Die magische Energiewelle rollt weiter bis zum Anwesen und bringt die Glastüren des Festsaales zum Explodieren. Ängstliche und schmerzerfüllte Schreie ertönen, als die Gäste von den herumfliegenden Glassplittern getroffen werden.

"Was ist denn hier los?" Alice steht mit Ada nahe der Türen zur Eingangshalle.

"Ich weiß nicht, aber es ist furchtbar, wie viele verletzt worden sind." Ada wirkt sichtlich erschüttert. "Wir müssen ihnen helfen."

"Warum brauchen Oz und die anderen eigentlich so lange, um die kleine Baskerville-Göre zu finden? Sie sollten jetzt auch hier sein und sich um die Leute kümmern."

"Vielleicht können Sharon-sama und Osar Ojii-san uns sagen, warum sie noch nicht wieder zurück sind." Ada zeigt zu den beiden, die gerade mit Echo durch die zerstörten Türen eintreten. "Lass uns zu ihnen gehen."

"Ja, na gut." Alice macht einen Schritt, als eine Hand in die Falten ihres Kleides greift und festhält. "Okaa-san."

"Selena." Überrascht dreht sie sich um und blickt auf ihre Tochter hinunter. "Warum liegst du nicht im Bett?"

"Ich hatte Angst, die Fenster sind auf einmal kaputt gegangen." Selena drückt ihren zerknautschten Teddy an sich. "Wo ist Otou-san, geht es ihm gut?"

"Da bin ich sicher." Alice nimmt ihre Tochter auf den Arm. "Denn, falls er zulassen würde, dass ihm etwas passiert, bekäme er auch noch richtigen Ärger mit mir. Komm, wir fragen jetzt Sharon, sie kann uns bestimmt helfen."
 

"Au!" Gils´s unfreiwilliger Flug war an einem Baum geendet. Sein Kopf schmerzt von dem heftigen Aufprall und seine Sicht ist leicht verschwommen. "Was hat dieser freche Rotschopf da bloß angerichtet? Und wo sind Vincent und Break?" Stöhnend erhebt er sich und blickt sich um, ergebnislos. "Verdammter Mist. Ich werde die beiden Idioten wohl suchen müssen."

Mit stolpernden Schritten bewegt er sich in eine Richtung.
 

Break liegt auf dem Rücken, unter seinen Fingern fühlt er Gras und kalter Wind streicht über seine Haut. "Wie es scheint, bin ich wieder einmal davon gekommen. Leider bedeutet das aber wohl auch, dass die Ratte noch am Leben ist." Er stößt ein kurzes, bitteres Lachen aus. "Ich hatte wirklich gehofft, wir könnten jetzt endlich Ruhe vor ihm haben."

"Geht es dir gut, Mad Hatter?"

"Was?" Ein wenig irritiert setzt er sich auf. "Bist du das, Rayearth?"

"Ja." Der Vogelchain neigt den Kopf und gibt ihm einen kleinen Stups. "Ich brauche deine Hilfe. Bei diesem letzten Ausbruch der magischen Kraft muss etwas passiert sein. Ich bin nicht in der Lage, zu Rheena zu sprechen - es ist, als würde sie mich blockieren. Bitte hilf mir, sie zu finden. Du willst doch auch wissen, wie es Fae geht, oder?"

"... In Ordnung, machen wir uns auf die Suche."
 

"Xerxes Break! Gilbert-sama!" Robin nähert sich langsam dem Zentrum der magischen Explosion. Die Druckwelle hatte ihn erfasst, doch durch die Fähigkeit seines Chain war er zu einem sicheren Platz teleportiert worden. "Seid ihr hier? Könnt ihr mich hören?"

"Geh weg." Die Stimme ist so leise, dass er sie beinahe überhört hätte.

Rheena sitzt auf dem Boden, nicht weit von ihm. Sie hält die Hand von Fae, die neben ihr liegt.

"Lady Rheena?" Er lässt sich neben sie sinken und streckt seine Hand aus, ihre Haut fühlt sich eiskalt an. Rasch zieht er seinen Mantel aus und legt ihn ihr um die Schultern. "Er wird euch wärmen. Jetzt kommt bitte mit mir, ich bringe euch und Lady Fae zum Anwesen."

"Nein." Sie schüttelt den Kopf. "Dort kann ich nicht hin. Nicht, nachdem ich all das angerichtet habe. Aber Fae - um sie kannst du dich kümmern. Sie braucht dringend Hilfe."
 

"Oz! Reim-san!" Gil entdeckt die beiden, als er einen Flügelschlag hört und nach oben schaut. Gryphon kreist am Himmel, Oz hatte ihn gerufen, um sich und Reim zu retten. Als er Gils Ruf hört, lässt er ihn langsam hinabgleiten und landet neben dem Schwarzhaarigen.

"Gilbert-sama, wo ist Xerxes?" Reims Gesicht drückt seine Besorgnis aus. "Geht es ihm gut? Ihr habt doch mit ihm gesprochen, oder?"

"Nein, dazu bin ich nicht mehr gekommen", erwidert Gil. "Weil Rheena uns mit ihrer verdammten Magie weggeblasen hat. Wenn ich den frechen Rotschopf erwische, kann sie was erleben!"

"Meine Güte, du solltest dich wirklich nicht immer so aufregen. Entspann dich doch mal, sonst kriegst du irgendwann noch einen Herzanfall."

"Break."

"Xerxes."

"Oz-kun, Reim-san." Break hüpft von Rayearths Rücken und geht zu ihnen. "Gilbert-kuns Worten nach darf ich wohl annehmen, dass ihr in die gleiche Richtung wollt wie wir? Nun, dann können wir uns ja auch gemeinsam auf den Weg machen, nicht wahr?"

"Und ob! Mit dir bin ich auch noch nicht fertig!" Gil schießt einen wütenden Blick auf ihn ab. "Los kommt, lasst uns nicht noch mehr Zeit vertrödeln!"

"Na schön", seufzt Oz. "Folgen wir ihm, damit er nicht zu sehr ausrastet."
 

"Rheena!" Gil hat die Rothaarige entdeckt und stürmt auf sie zu. "Was zum Teufel hast du heute Abend eigentlich getrieben? Zuerst sperrst du mich aus, als ich Echo retten will! Dann kamen die ganzen Feuersäulen aus der Erde geschossen! Und als wäre das noch nicht genug, auch noch diese verdammte Explosion! Hast du eigentlich mal daran gedacht, wie gefährlich das für uns gewesen ist? Wir hätten ernsthaft verletzt werden können!"

"Es tut mir leid."

"Ist das alles, was du zu sagen hast?" Gil packt sie an den Armen und schüttelt sie. "Ich verlange eine Erklärung, was dieser ganze Blödsinn sollte!"

"Hör auf, Raven. Ich habe dir doch schon erklärt, dass sie es nicht gewollt hat. Dein Bruder hat sie durch die Kraft eines Chain dazu gezwungen. Er hat auch vorher schon eine ganze Menge Unruhe gestiftet, wann immer er sich im Abyss aufhielt."

"Nein, Ray-chan. Gilbert hat Recht, es ist meine Schuld. Wegen mir geht es Fae jetzt so schlecht, dabei hätte ich sie doch beschützen müssen. Und ihr alle wurdet auch..."

"Keiner hier hält dich für verantwortlich, Rheena. Also rede nicht so einen Unsinn. Und du, Gilbert-kun, lass sie in Ruhe. Im Grunde weißt du doch ganz genau, dass die Ratte, die du deinen Bruder nennst, all das angerichtet hat."

Oz und die anderen kehren zum Anwesen zurück, während Gil versuchen will, seinen Bruder wiederzufinden. Als sie das Haus erreichen, verabschieden Sharon und Oscar gerade die letzten Gäste.

"Da seid ihr ja wieder. Und, geht es euch allen gut?"

"Leider nicht, Ojii-san." Oz deutet auf Fae, die in Breaks Armen liegt. Ihr Gesicht hat einen gräulichen Schimmer und ihre Haare wirken stumpf und glanzlos.

"Großer Gott!" Sharon stößt einen erschrockenen Schrei aus. "Was im Himmel ist mit ihr geschehen? Und dein Arm, Break..."

"Das ist nur eine kleine, harmlose Verletzung, Ojou-sama."

"Ich werd es mir lieber mal ansehen, Xerxes. Komm mit."

"Nicht nötig, Reim-san."

"Doch, du wirst die Wunde verbinden lassen", bestimmt Sharon. "Und wir verbringen die Nacht hier, Oscar-sama hat Zimmer für uns herrichten lassen."

"Na, dann kommt mal alle mit rein", fordert Oscar sie auf. "Oh, und Oz, du solltest ganz schnell zu Alice gehen, sie wartet bereits ungeduldig auf dich."

"Gut." Oz geht durch die Türen in die Eingangshalle - sogleich ertönt Alice´s laute Stimme, sie steht am oberen Ende der Treppe.

"Oz! Wo hast du dich so lange herumgetrieben? Selena weigert sich zu schlafen, wenn sie nicht überzeugt ist, dass es dir gut geht! Los, komm sofort hier hoch!" Sie packt seinen Arm, als er zu ihr hochgestiegen ist und zieht ihn mit sich.

"Otou-san!" Selena fliegt regelrecht in seine Arme, kaum dass er in ihrem Blickfeld auftaucht. "Du bist wieder da! Ich hatte solche Angst, dir könnte etwas passiert sein!"

"Nein, du kannst ganz beruhigt sein." Er streicht seiner Tochter über die Haare. "Und jetzt leg dich schlafen, es ist schon sehr spät."

"Nur, wenn du hier bleibst und nicht wieder weggehst!", verlangt sie. "Und du auch, Okaa-san!"

"Das werden wir nicht. Versprochen." Oz und Alice setzen sich rechts und links von ihr auf das breite Bett, während sie unter die Decken krabbelt und die Hände ihrer Eltern ergreift und festhält.
 

"Sie wird sich bestimmt wieder erholen, Xerxes." Reim kniet neben seinem Freund und legt ihm einen Verband an. "Bleib in der nächsten Zeit einfach bei ihr, vielleicht kannst du ihr damit helfen."

"Du rätst mir also, ich soll einfach nur warten, bis sie wieder aufwacht?" Breaks Gesicht gleicht einer ausdruckslosen Maske, er sitzt mit dem Rücken zum Bett auf dem Boden. "Und wie lange wird das wohl dauern, Reim-san? Nur ein paar Tage oder vielleicht viel länger? Kannst du mir das sagen?" Er zieht die Knie an und stützt den Kopf in seine Hände.

"Es tut mir leid, Break." Rheena hatte auf dem Flur jedes Wort gehört, sie war auf dem Weg zu ihrem Zimmer an seiner Tür vorbei gekommen. "Ihn so hilflos zu sehen, ist einfach furchtbar. Wäre ich nur nicht so dumm gewesen und allein losgerannt. Dann hätte Vincent mich nicht überrumpeln können und Fae hätte mir nicht helfen müssen und wäre jetzt nicht..." Langsam rollt eine Träne über ihre Wange hinunter.

"Warum weinst du? Tut dir etwas weh?"

Sie schüttelt schweigend den Kopf und streicht ihrem Chain kurz über sein Gefieder.

"Kommt bitte, Lady Rheena." Robin nimmt ihren Arm und führt sie zum nächsten Zimmer. "Ruht euch jetzt aus, morgen fühlt ihr euch dann vielleicht schon besser. Ich wünsche euch eine gute Nacht."

"Warte." Sie fasst nach seinem Arm, als er die Tür schließen will. "Darf ich...darf ich dich noch um etwas bitten?"

"Was kann ich für euch tun?"
 

"Vincent!" Gil war inzwischen wieder an dem Platz angekommen, wo die Explosion stattgefunden hatte. Er blickt sich suchend nach allen Seiten um, doch nirgendwo ist sein Bruder zu sehen. "Wo verdammt nochmal steckst du? Melde dich, wenn du mich hörst!"

Da er keine Antwort bekommt, geht er schließlich planlos in eine Richtung. "Ich muss ihn einfach finden! Er soll mir vernünftig erklären, warum er die ganze Zeit nicht gesagt hat, dass er noch am Leben ist. Sieben Jahre lang habe ich befürchtet, er könnte tot sein." Hektisch kramt er seine Zigaretten hervor und steckt sich eine an. Doch nach nur einem Zug schnippt er sie weg und tritt mit dem Fuß darauf, läuft mit noch schnelleren Schritten weiter.
 

"Was hast du ihm gesagt?"

"Nichts. Ich bin müde, Ray-chan." Sie nimmt das Nachtgewand vom Bett, dass ein Dienstmädchen dort hingelegt hatte und wechselt es gegen ihr Kleid. "Lass uns jetzt schlafen."

"In Ordnung." Der Chain macht es sich neben dem Kissen gemütlich. "Schlaf gut, Rheena."

"Gute Nacht."

In den frühen Morgenstunden wacht Rayearth auf, als die über ihn geworfenen Decken auf seinen verletzten Flügel drücken. Zappelnd arbeitet er sich darunter hervor. "Rheena, warum hast du...Rheena?"

Das Bett ist leer und auch im Zimmer ist sie nicht zu sehen. "Ist sie vielleicht zu Fae gegangen? Sie ist ja wirklich sehr besorgt um sie...Ich werde mal nach ihr sehen." Er hüpft vom Bett und zur Tür, wo er seine richtige Gestalt annimmt, um sie öffnen zu können.

Auf die gleiche Weise gelangt er in das Zimmer von Break und Fae, doch auch dort ist seine Contractor nicht. "Komisch, ich war mich sicher...ob Mad Hatter weiß, wo sie ist? Ich frage ihn."

Er umrundet das Bett und stupst den Weißhaarigen an, bis er sein Auge öffnet. "Was ist los?", murmelt er schläfrig. "Es ist doch noch zu früh zum Aufstehen."

"Rheena war nicht in unserem Zimmer, als ich vorhin wach wurde. Und hier ist sie auch nicht, wie ich gedacht habe. Kannst du mir nicht helfen, sie zu suchen?"

"Vielleicht ist sie nur nach draußen gegangen, nachdem sie aufgewacht ist." Break unterdrückt ein Gähnen. "Sie fühlt sich schuldig wegen Faes Zustand und dem, was geschehen ist. Wahrscheinlich will sie einfach allein sein."

"Das könnte sein, aber ich mache mir Sorgen um sie. Du hast sie nicht gesehen letzte Nacht, sie hat geweint. Sie ist gar nicht mehr so, wie sie eigentlich ist. Und sie wollte auch nicht mit mir reden, sie hat nur kurz mit diesem Mann gesprochen, der bei uns war."

"Ich verstehe. Aber ich will Fae nicht allein lassen."

"Bitte geh zu ihr, Break. Rheena braucht dich jetzt mehr als ich. Du kannst verstehen, was in ihr vorgeht - du hast auch jemanden nicht beschützen können, der dir wichtig war. Ich bitte dich, hilf ihr bei ihren Schuldgefühlen."

"Fae..."

"Sie schläft unverändert, Mad Hatter. Und es tut mir leid, ich hätte dich nicht fragen dürfen. Du machst dir um sie ebensolche Sorgen, wie ich mir um Rheena mache. Kannst du mich denn wenigstens in die Gärten hinauslassen? Vielleicht kann ich sie dort finden."

"Sicher. Viel Glück."

Break wartet, während Rayearth auf das Fensterbrett hüpft und die Flügel ausbreitet. Doch als er sich abstößt, segelt er abwärts und landet raschelnd zwischen den Büschen.

"Upps. Er hätte wohl mit seinem verletzten Flügel noch nicht versuchen sollen, zu fliegen." Break schließt die Fenster wieder und kehrt zum Bett zurück. "Ich habe deine Stimme gehört, Fae..." Er streicht mit den Fingern über ihr Gesicht. "Wenn es dein Wunsch ist, werde ich Rheena folgen. Aber ich komme so schnell ich kann zu dir zurück."

Er zieht sich rasch an und geht auf den Flur hinaus, wendet sich nach links. Vor einer anderen Tür bleibt er stehen und klopft. "Ojou-sama, seid ihr wach?"

Einige Minuten vergehen, bis er eine Antwort hört. "Komm herein."

"Guten Morgen", grüßt er Sharon beim Eintreten. "Würdest du mich mit Eques zum Bahnhof schicken? Dort befindet sich eine kleine Ausreißerin."

"Wie? Wer?"

"Rheena. Ich habe so eine Ahnung, dass sie weglaufen will. Ray-chan hat mir erzählt, dass sie kurz mit Robin gesprochen hat - womöglich hat sie ihn gebeten, sie von diesem Anwesen wegzubringen. Ich werde mit ihr reden, bevor sie in einen Zug steigen kann."

"Willst du sie denn nicht hierher zurückholen? Break, du könntest es wenigstens versuchen, wenn ich dich zu ihr schicke. Ich werde währenddessen auf Fae-san aufpassen, und wenn du zurückkommen willst, ruf mich einfach. Jetzt mach dich auf den Weg. Eques."
 

"Seid ihr sicher, dass ihr unsere Stadt verlassen wollt?"

"Mir bleibt keine Wahl." Rheena hält ihr Gesicht in den strömenden Regen. "Ich habe nicht mehr das Recht, an Faes Seite zu sein. Ich konnte mein Versprechen nicht halten und so bleibt mir nur, aus ihrem Leben zu verschwinden."

"Und du willst dich nicht einmal verabschieden?"

Rheena zuckt zusammen, als sie die Stimme hört. Doch sie dreht sich nicht zu ihm um. "Du hättest nicht kommen sollen, Break."

"Hast du Angst, ich könnte durch deine Magie verletzt werden?" Break geht langsam auf sie zu. "Das wird nicht passieren. Ich weiß nicht, was die Ratte mit dir gemacht hat, doch jetzt kannst du deine Kräfte wieder selbst kontrollieren."

"Nein, du verstehst das nicht." Rheena zieht ihren Mantel enger um die Schultern. "Er hat nur hervorgebracht, was tief in mir steckt. Mein altes, finsteres Ich, aus der Zeit, bevor ich Fae traf."

"Das glaube ich nicht. Ihr seid kein schlechter Mensch, Rheena-sama."

"Doch, das war ich, Robin!" Sie dreht sich nun doch um. "Du hast keine Ahnung, was für furchtbare Dinge ich früher getan habe!"

"Das spielt keine Rolle. Lass mich dir sagen, dass man die Vergangenheit einfach vergessen sollte. Man kann sie nicht verändern und auch nicht die Fehler ungeschehen machen, die man begangen hat."

"Xerxes Break...du sprichst jetzt von dir selbst, nicht wahr?" Robin schaut ihn an. "Ich kenne deinen richtigen Namen und weiß..."

"Wie ich bereits sagte, die Vergangenheit spielt keine Rolle mehr", unterbricht Break ihn. "Es ist unnötig, davon zu sprechen."

"Du hast unrecht. Wenn man seine eigene Vergangenheit ignoriert - das ist, als würde man davor weglaufen. Ich tu alles, was ich kann, um meine begangenen Untaten wieder gutzumachen. Und das ist der Grund, weshalb ich weggehe - weil ich euch alle beschützen will. Denn ich spüre auch jetzt noch meine dunkle Seite, die versucht an die Oberfläche zu gelangen. Obwohl Fae mir geholfen hat, sie zurückzudrängen..."

"Das war all die Zeit ein Fehler. Du hast sie zu lange unterdrückt, doch du musst dich mit ihr vereinen. Nur so kannst du verhindern, dass sie Macht über dich gewinnt."

"Fae...?" Rheena spürt eine Berührung an ihrem Rücken, von der eine wohltuende Wärme ausgeht. Langsam dreht sie sich um und blickt in die leuchtenden hellblauen Augen der weißhaarigen Magierin. "Du bist hier..."

"Nur ein Teil von mir. Ich schlafe noch in meinem Zimmer im Anwesen der Familie Bezarius. Aber ich kann dich nicht abreisen lassen, ohne dir Lebwohl zu sagen." Fae hebt ihre beiden durchscheinenden Hände und legt sie an Rheenas Wangen. "Ich danke dir, dass du so lange an meiner Seite gestanden hast. Und ich werde dich vermissen, doch ich...Was? Nein..." Ein erschrockener Ausdruck erscheint auf Fae´s Gesicht, dann verschwindet sie einfach.

"Fae!" Rheena blickt zu Break. "Etwas muss passiert sein! Wir müssen zu ihr und nachsehen!"

"Ich weiß. Sharon!" Break senkt den Kopf. "Hol uns zurück!"

Doch es öffnet sich kein Weg von Eques.

"Sharon!"

"Ich kann uns teleportieren." Robin ruft seinen Chain. "Shion."

Das fuchsähnliche Wesen erscheint und streift mit seinem Schwanz die Beine der drei. Und nacheinander werden sie in Fae´s Zimmer befördert.

Dort bietet sich ihnen ein chaotischer Anblick. Die Vorhänge sind halb heruntergerissen und die Scheiben am Fenster zerbrochen. Die Kissen auf dem Bett sind zerfetzt, Federn bedecken den Boden. Und in einer Ecke, halb unter den Decken verborgen, liegt Sharon. Bewusstlos, mit einer blutigen Wunde an der Stirnseite.

"Bitte, macht mir ein wenig Platz." Robin trägt Sharon zum Bett, wo er sie vorsichtig hinlegt. Mit seinem Taschentuch beginnt er die Blutspuren wegzuwischen. "Ich glaube, es ist nicht allzu schlimm. Sie wird sicher bald wieder aufwachen. Und dann kann sie uns erzählen, wer das getan hat."

"Ist das nicht offensichtlich?" Break steht am Fenster, mit abgewandtem Gesicht. "Dahinter steckt diese miese Ratte, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Wie oft muss ich ihn eigentlich noch zum Teufel schicken, ohne dass er wieder auftaucht und Ärger macht?"

"Wenn du Recht hast, was sollen wir jetzt tun?" Rheena legt einige Scherben, die sie aufgehoben hatte, auf das Nachtschränkchen. "Wie können wir herausfinden, wo er sie hingebracht hat?"

"Ich fürchte, nur Eques kann uns helfen." Robin legt ein Verbandstück auf Sharons Wunde und befestigt es. "Ich kenne keinen anderen Chain mit der Fähigkeit, jemanden aufzuspüren."

"Das stimmt, leider. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als zu warten."

"Ich kann das nicht. Nicht, wenn ich weiß, dass Fae sich irgendwo in Gefahr befindet!" Rheena reißt die Vorhänge ganz herunter und entfernt die übrigen Scherben aus den Fensterrahmen. "Ray-chan! Komm zu mir, ich brauche dich!"

"Was habt ihr vor, Rheena-sama? Wollt ihr euch auf die Suche nach Vincent machen?" Robin steht auf. "Bitte, lasst mich euch begleiten."

"Nein, das brauchst du nicht..."

"Nimm sein Angebot an, Rheena. Du solltest wirklich nicht allein irgendwo hingehen. Bei deinem letzten Zusammentreffen hast du doch selbst erlebt, wie gefährlich er sein kann."

"Es ist nicht meine Absicht, Vincent noch einmal herauszufordern. Glaub mir, Break, ich werde meinen Fehler nicht wiederholen. Ich will einfach Fae wieder zurückholen."

"Aber wenn du das tust, wirst du auf jeden Fall mit dem Bruder von Raven zu tun bekommen." Rayearth erscheint im Zimmer, in seiner richtigen Gestalt. "Ich habe ihn gesehen, als er mit Fae durch das Fenster geflogen kam."

"Geflogen? Wie?"

"Durch die Luft, wie denn sonst?"

"Das ist unmöglich." Rheena schüttelt den Kopf. "Ein Mensch kann nicht fliegen...allerdings, wenn er keiner mehr ist... - Break." Sie blickt zu dem Weißhaarigen. "Ist Vincent ..."

"Was ist mit Vincent?" Gilbert hatte durch die halbgeöffnete Tür die Stimmen gehört und war eingetreten. "Ich will wissen, worüber ihr gesprochen habt. Und wenn ihr wirklich meinen Bruder sucht, werde ich auf jeden Fall dabei sein."

"Ich halte das für keine gute Idee." Break hatte sich umgedreht, bleibt aber weiterhin am Fenster stehen. "Du würdest uns nur behindern, wenn du uns begleitest. Also bleib einfach hier und pass auf Sharon auf, so kannst du wenigstens etwas nützliches tun."

"Hör auf damit! Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du mich mit deinem Gerede nur provozieren und manipulieren willst! Weil es offenbar etwas gibt, was ich nicht erfahren soll. Etwas, dass meinen Bruder betrifft."

"Mach dich nicht lächerlich, Gilbert-kun. Du sollst mir einfach nicht im Weg stehen, wenn ich diese miese Kanalratte absolut endgültig in die Hölle schicke."

"Break! Sag mir die Wahrheit!"

"Das reicht, wir müssen Fae retten!", geht Rheena dazwischen. "Also lasst uns jetzt keine Zeit mehr verlieren! Robin kommt mit mir und ihr beide, könnt ihr zusammenarbeiten, ohne euch zu streiten?"

"Sieh mal an, du scheinst deinen Kampfgeist wiedergefunden zu haben." Break lächelt versöhnlich. "In Ordnung, ich werde Gilbert-kun mitnehmen. Und nun lasst uns herausfinden, wo er steckt."

"Dabei kann ich euch helfen." Sharon hatte die Augen geöffnet und setzt sich auf. "Eques."

Als ihr Chain erscheint, gibt sie ihm den Befehl. "Finde den Schatten von Vincent Nightray."

Einige Minuten vergehen...

"Ich danke dir. Jetzt kenne ich seinen Aufenthaltsort und kann euch dorthin schicken. Springt in den Durchgang."

"Ja, das werden wir tun. Ich gehe als erste." Rheena geht auf den schwarzen Wirbel zu.

"Nicht ohne mich." Rayearth verwandelt sich in seine Mini-Gestalt und flattert mit mühsamen Flügelschlägen auf die Schulter seiner Contractor. Nach ihr verschwinden auch Robin und Gil - doch Break wird von Sharon noch einmal gerufen.

"Pass gut auf dich auf. Gilbert-sama könnte jetzt herausfinden, was du damals gemacht hast. Und das wird ihn möglicherweise so sehr aufregen, dass er ..."

"Ich weiß ... irgendwann muss ja der Zeitpunkt kommen, wo es aufgedeckt wird. Und wenn es jetzt geschieht, lässt es sich nicht ändern. So und nun werde ich den anderen folgen."
 

"Sie scheint zu schlafen." Vincent blickt zu Fae, die reglos auf einem Bett liegt. "Ich frage mich, wie es mir wohl gelingen kann, sie aufzuwecken."

"Du sollst sie in Ruhe lassen." Eine andere Person war neben Vincent getreten. "Ich habe dir erlaubt, sie zu uns zu bringen, aber du wirst ihr nichts antun. Xerxes Break wird bald kommen, um sie zurückzuholen. Und bestimmt auch die rothaarige Lady, von der du bereits gesprochen hast."

"Das will ich doch hoffen, sonst würde mein Plan nicht funktionieren. Und sobald sie da sind, brauche ich Fae nicht mehr."

"Dann willst du sie also wirklich ... dir ist schon klar, dass sie dort unten völlig schutzlos sein wird, in ihrem gegenwärtigen Zustand?"

"Meinetwegen, das interessiert mich nicht." Vincent lehnt sich in seinem Sessel zurück. "Ich warte einfach auf unsere besonderen Gäste."

"Ihr seid ja schon da. So schnell hat er wohl nicht mit euch gerechnet."

"Was?" Gil, Rheena und Robin drehen sich zu der Stimme um - Lotti steht an der Tür des Zimmers, in dem sie erschienen waren. "Sind wir etwa im Baskerville-Anwesen? Wieso ist Vincent denn hierher gekommen?"

"Er hat einen Ort gebraucht, wo er einfach in Ruhe warten konnte, bis Hatter-san seine Spur aufgenommen hat." Lotti macht eine entschuldigende Handbewegung. "Glen-sama hat ihm erlaubt, sich für die Zeit hier aufzuhalten. Aber er - und damit auch ich - werden nichts unternehmen, um euch daran zu hindern, Vincent weiter zu verfolgen."

"Was soll das bedeuten? Wohin weiter verfolgen?" Rheena geht auf Lotti zu. "Erklär uns, was du meinst."

"Nein, das ist nicht meine Absicht. Ich kann euch nur zu dem Zimmer bringen, wo sich Vincent jetzt noch aufhält. Der Rest liegt bei euch."

"In Ordnung, zeig uns den Weg." Break schiebt sich eine Handvoll Bonbons in den Mund. "Gilbert-kun ist schon richtig ungeduldig, seinen Bruder zu treffen."

"Du und Rheena, ihr wollt doch auch so schnell wie möglich Fae zurückholen", entgegnet Gil. "Also lasst uns keine Zeit mehr verlieren."

"Na dann, kommt mit." Lotti führt sie zu einem Zimmer am anderen Ende des Zimmers. "Dort drinnen ist er. Viel Vergnügen."

"Wie nett. Wenigstens hat sie uns hierher gebracht." Rheena legt ihre Hand auf den Türgriff und drückt ihn nach unten.

"Ah, die kleine Hexe und Hatter-san." Vincent erhebt sich aus seinem Sessel.

"Ich wusste, ihr beide würdet mir hinterherlaufen. Aber meinen lieben Bruder hättet ihr nicht mitbringen müssen. Und du", er schaut Robin an. "Dich kenne ich überhaupt nicht, also hast du hier auch nichts zu suchen."

"Vincent!" Gil schiebt sich an seinen Begleitern vorbei. "Hör jetzt auf mit diesem ganzen Unsinn! Lass Fae frei..."

"Diesen Gefallen kann ich dir leider nicht tun, Nii-san." Vincent nimmt die auf dem Bett liegende Fae auf seine Arme. "Wenn ihr die Geliebte von Mad Hatter zurückholen wollt, werdet ihr es an dem von mir gewählten Ort versuchen müssen." Er schnippt mit den Fingern und unter seinen Füßen bildet sich ein Weg in den Abyss. "Wir werden alle gemeinsam hinabsteigen in den dunklen Abgrund."

"Rheena-sama." Robin fasst nach ihrem Arm, als das düstere Licht des Tores sie einhüllt. "Gilbert-sama, Break." Er schaut zu den beiden Männern hinüber.

"Kein Grund zur Sorge, wir werden uns schon nicht aus den Augen verlieren. Und falls doch, kannst du dich und Rheena ja zu mir und Gilbert-kun teleportieren."
 

"Ich habe die Verbindung zu ihnen verloren." Sharon presst das Kissen, dass sie in den Armen hält, zusammen. Kurze Zeit nach dem Aufbruch hatte sie Oz und Reim in ihr Zimmer gebeten und ihnen die Situation erklärt. "Offenbar hat Vincent sie in den Abyss gelockt und aus irgendeinem Grund kann ich sie nicht mehr erreichen."

"Ich könnte mit Gryphon ebenfalls in den Abyss gehen." Oz beugt sich in dem Sessel vor, wo er Platz genommen hatte. "Vielleicht habe ich ja das Glück, sie zu finden. Und dann kannst du uns alle mit Eques zurückholen, Sharon-chan."

"Eigentlich..." Reim setzt seine Brille wieder auf. Er hatte sie abgenommen, während Sharon erzählt hatte. "Eigentlich halte ich das für keine gute Idee, Oz-sama. Natürlich mache ich mir auch große Sorgen um Xerxes... Aber die Chancen, ihn und die anderen im Abyss zu finden, sind doch sehr gering. Und schließlich muss er es ja nicht allein mit Vincent aufnehmen..."

"Ich werde Eques weiter nach ihren Schatten suchen lassen." Sharon legt das Kissen zur Seite und steht vom Bettrand auf. "So kann ich wenigstens etwas tun und ihnen möglicherweise auch helfen, wenn es notwendig wird."
 

"Wo sind Break und Gilbert?" Rheena blickt sich um, doch in der nahen und weiter entfernten Umgebung fliegen nur kaputtes Spielzeug und Trümmerstücke herum. "Sie standen doch beinahe neben uns, warum sind sie jetzt nicht hier?"

"Ich denke, es gibt keine Garantie, dass Personen zusammenbleiben, die in den Abyss gelangen." Robin beobachtet einen Puppenarm, der langsam vor seinem Gesicht vorbeischwebt. "Wenn ich nicht eure Hand gehalten hätte, wäre ich vielleicht auch von euch getrennt worden."

"Vincent und Fae sind auch irgendwo anders - Verdammt!" Wütend bringt Rheena einen Trümmerhaufen zum explodieren. "Du musst uns mit der Kraft deines Chain zu ihnen bringen! Das kannst du doch, oder nicht?"

"Sollten wir nicht zuerst Break und Gilbert-sama wiederfinden? Wir könnten doch auch ihre Hilfe brauchen, meint ihr nicht?"

"Auf jeden Fall", stimmt Rayearth zu. "Hier unten kann er noch gefährlicher werden, als in eurer Welt."

"Also gut. Ich kann nur hoffen, es dauert nicht zu lang."
 

"Gilbert-kun? Rheena? Robin?" Break dreht sich im Kreis, doch niemand antwortet ihm. "Wie es scheint, bin ich allein."

"Nicht ganz, Hatter-san. Ich habe nur dafür gesorgt, dass wir noch ein wenig ungestört reden können, bevor die kleine Hexe und mein Bruder uns aufspüren."

"Wenn das nicht die Ratte ist." Break wendet den Kopf zur Seite. "Du hättest nicht so einen Aufwand inszenieren müssen, nur damit ich dir hierher folge."

"Ich habe mir einfach etwas ganz besonderes ausgedacht, für unser letztes Aufeinandertreffen. Und diesmal wird es ganz anders laufen, nicht so wie damals, als wir beide hier unten waren." Vincent tritt ganz dicht an Break heran. "Ich versichere dir, du wirst jetzt hier unten den Tod finden."

"Wo zum Teufel sind die anderen?" Gil versetzt einem faustgroßen Stein einen kräftigen Tritt. "Wir waren alle zusammen, wieso sind wir getrennt worden? Auf jeden Fall muss ich sie wiederfinden, irgendwie. Vielleicht, wenn ich..." Er verstummt, als er ein tiefes Brummen hört und blickt nach oben. Direkt über ihm schwebt die riesige Klaue eines Trump, senkt sich rasend schnell auf ihn herab. "Verdammt, auch das noch." Hastig wirbelt er herum und reißt seine Pistole hoch. Doch ein wenig zu langsam...

"Geh da weg!" Ein heftiger Stoß in seinen Rücken lässt ihn nach vorn stolpern. Er versucht, sein Gleichgewicht zu halten, fällt aber auf die Knie.

"Gilbert-sama." Eine Hand taucht vor seinem Gesicht auf. "Bin ich froh, dass wir euch gefunden haben. Ich war mir nicht sicher, ob es gelingt, wir kannten ja euren Standort nicht. Doch ich habe es einfach versucht und mich auf euch konzentriert."

"Robin." Verwundert blickt Gil den Diener an, nachdem er wieder aufgestanden ist. "Was... Wovon redest du da?"

"Shions Fähigkeit, er hat uns zu euch teleportiert", erklärt Robin. "Und wir kamen gerade rechtzeitig, um euch gegen den Chain zu helfen. Rheena-sama hat ihn in Flammen aufgehen lassen."

"Ach so, du warst das also." Gil dreht sich zu der rothaarigen Magierin um. "Du hast mich zur Seite geschubst."

"Sonst wärst du ja erwischt worden", erwidert Rheena. "Und jetzt ruf deinen Chain, wir brauchen ihn. Wenn wir auf ihm fliegen, werden wir nicht mehr ständig von anderen Kreaturen angegriffen. Und die Suche nach Break und Fae wird erheblich einfacher."

"Warum benutzt du nicht noch einmal deinen Chain?", wendet sich Gil an Robin. "Er soll uns auf die gleiche Weise zu ihnen oder meinem Bruder bringen, wie ihr zu mir gekommen seid. Dann verlieren wir keine unnötige Zeit mit sinnlosem Herumrennen."

"Verzeiht, doch leider geht es nicht", bedauert Robin. "Ich habe es bereits versucht, bevor ich mich auf euch konzentriert habe. Aber wir sind nicht bei ihnen angekommen..."

"Und wir haben Ray-chan dabei verloren", mischt Rheena sich ein. "Er kann jetzt auch überall sein und wie oft ich ihn auch rufe, er kommt nicht zu mir."

"Na gut. Raven." Der schwarzgeflügelte Chain reagiert auf Gil´s Ruf und erscheint über ihm. "Also los, rauf mit euch. Machen wir uns auf den Weg."
 

"Wie lange soll dieses alberne Spielchen noch weitergehen?" Break zieht seine Schwertklinge aus den Überresten eines igelähnlichen Chain, den er erschlagen hat. "Es wird allmählich lästig, einen Trump nach dem anderen zu erledigen."

"Ich finde es aber ausgesprochen amüsant." Vincent sitzt auf einem Felsbrocken. "Es interessiert mich sehr, wie lange du wohl noch durchhalten kannst. Bereits jetzt spürst du doch schon die Anzeichen von Erschöpfung, oder irre ich mich? Jedes Mal, wenn du die Kraft deines Mad Hatter benutzt, umso schwächer wirst du. Ich brauche nur abwarten, bis du am Ende bist."

"Dann sollte ich mich vielleicht mal auf dich konzentrieren und das Theater beenden." Break wirbelt herum und springt auf Vincent zu.

"Wie langweilig." Der Angegriffene macht eine ruckartige Bewegung mit seinem Arm - und eine goldfarbene dünne Ranke schlägt wie eine Peitsche durch die Luft. Break wird vor die Brust getroffen und zu Boden geschleudert.

"Was... war das?"

"Meine Fähigkeit, die ich entwickelt habe, als mein neues Leben begann." Vincent rutscht von seinem Sitz und geht auf den Weißhaarigen zu. "Das habe ich - genau genommen - dir zu verdanken. Wenn du damals nicht..." Grinsend beugt er sich vor. "Nun, du weißt ja sehr genau, was du getan hast, nicht wahr?"

"Wenn ich gewusst hätte, was aus dir wird, hätte ich ganz bestimmt schon damals etwas dagegen unternommen." Mit zusammengebissenen Zähnen richtet Break sich auf. "Aber das kann ich ja jetzt nachholen." Sein Schwert, dessen Griff fest in seiner Hand liegt, kommt in einem Bogen hoch und streift Vincent an der Hüfte.

"Ist das alles? Wenn du dich nicht mehr anstrengst, wirst du deine Geliebte Fae niemals retten."

"Dann werde ich ihm helfen. Und meine Contractor, Raven und Shion sind auch auf dem Weg."

"Die Stimme kenne ich..." Vincent richtet seinen Blick auf Rayearth, der auf der Spitze des Felsbrocken hockt, wo er vorher gesessen hatte. "Du bist der armselige Chain, der so verzweifelt nach jemandem gesucht hat, der einen Vertrag mit dir schließt. Und als du sie gefunden hast, bist du wie ein kleiner Feigling aus dem Abyss geflohen."

"Aber jetzt bin ich wieder gekommen und ich habe keine Angst mehr. Du bist nicht so mächtig, wie du glaubst - du kannst besiegt werden."

"Gut gesagt, Ray-chan." Break steht mit einem zuversichtlichen Lächeln auf. "Meinetwegen kannst du noch so viele Chains rufen, die du für dich kämpfen lässt, elende Ratte. Ich brauche nur einmal die ganze Macht von Mad Hatter einsetzen, um mit allen aufzuräumen. Und dann..."

"Du willst dich also selbst umbringen?" Vincent lacht auf. "Damit wäre ich absolut einverstanden. Aber deine Geliebte wird sicher todunglücklich sein."

"Du musst nicht sterben, Mad Hatter. Bestimmt kommen die anderen schon bald hierher, ich bin mir sicher."
 

"Habt ihr schon etwas entdeckt?" Rheena blickt zu den beiden Männern. "Irgendetwas?"

"Nein, seit deiner letzten Frage vor ein paar Minuten immer noch nichts", erwidert Gil genervt. "In der kurzen Zeit hat sich die Gegend unter uns ja auch kaum verändert."

"Da hinten..." Robin beugt sich auf seinem Platz etwas vor. "Sieht nach einer großen Horde Chains aus. Vielleicht ist dort etwas."

"Wo?" Rheena rutscht zur anderen Seite, dicht neben den Diener. "Zeig es mir."

"Äh...dort..." Er streckt den Arm aus und zeigt ein wenig nach links. "Könnt ihr sie erkennen?"

"Ja, Ja! Na los, schnell dahin!"

"Ist ja gut." Gil lenkt seinen Chain in die angegebene Richtung und mit ein paar kräftigen Flügelschlägen überwindet Raven die Distanz. "Und, was ist da unten?"

"Das sind wirklich eine Menge Chains... Warum sind die alle zusammen in einer Gruppe?" Rheena rutscht noch weiter nach vorn - als Raven eine unerwartete Bewegung zur Seite macht, um einem Angriff auszuweichen. Ein wurmähnlicher Chain hatte mit der Hand an seinem Schwanzende Schüsse auf sie abgegeben.

"Rheena-sama!" Robin versucht, sie festzuhalten, als sie abrutscht. Doch seine Hände greifen ins Leere - und sie stürzt mitten zwischen die Chains am Boden.

Eine junge Frau mit langen Haaren geht auf einen runden Turm zu, der hoch in der Finsternis aufragt. Vor dem Eingang bleibt sie stehen und blickt über die Schulter, ehe sie im Inneren des Gebäudes verschwindet...

Das Bild verändert sich, zeigt nun ein leeres Zimmer, in dessen Mitte sich das Mädchen neben eine am Boden liegende Person setzt...

"Fae."

"Rheena-sama." Robins Gesicht taucht über ihr auf, in seinen Augen spiegelt sich Besorgnis und noch etwas anderes. "Bin ich froh, dass ihr wieder aufgewacht seid."

"Was ist passiert?" Sie setzt sich langsam auf. "Ich bin doch gestürzt und dann... dieses Mädchen und der Turm..."

"Wovon redest du da?" Gil rutscht von Ravens Rücken, der Chain war etwa einen Meter neben ihnen gelandet. "Hattest du wieder eine von deinen Visionen?"

"Ich glaube, ja. Es war aber anders als sonst... irgendwie..."

"Erzählt uns, was ihr gesehen habt." Robin nimmt ihre Hand. "Ihr habt den Namen von Fae-sama genannt, wisst ihr wo sie ist?"

"Ich bin mir nicht sicher. Dieser Turm kam mir so unwirklich vor, als würde er nicht in den Abyss gehören - aber wenn Fae wirklich dort ist, müssen wir auch dorthin."

"Auf keinen Fall." Gil verschränkt entschieden die Arme. "Wir konzentrieren uns weiter auf die Suche nach Vincent und Break. Ich wette, dass die beiden am gleichen Ort sind und wer weiß, was sie gerade anstellen."

"Ich will Break ja auch helfen, aber Fae ist mir im Augenblick wichtiger. Also ein Vorschlag, ich mache mich allein auf den Weg zu ihr und du und Robin setzt eure Suche fort."

"Wäre es nicht besser, wenn ich euch begleite, Rheena-sama? Dann kann ich uns zu Gilbert-sama bringen, wenn wir Fae-sama gefunden haben."

"Also gut, so machen wir es", stimmt Gil Robins Vorschlag zu. "Viel Glück, ich hoffe ihr schafft es." Während er sich mit seinem Chain in die Luft erhebt, schlagen Rheena und Robin eine andere Richtung ein.
 

"So kann es nicht weitergehen." Break presst seine Hand auf sein Bein, wo er von einem Peitschenhieb erwischt wurde. Die Hose ist aufgerissen und die Haut darunter deutlich gerötet. "Jedesmal, wenn er mich trifft, verbrennt er meine Kleidung und mich selbst. Und Ray-chan hat auch schon zu viele Schläge abbekommen. Ich muss mir etwas einfallen lassen, wie ich an ihn herankomme, ohne noch einmal mit seiner merkwürdigen Waffe in Berührung zu kommen."

"Was ist denn los?" Vincent schaut grinsend zu dem geschwächt auf der Seite liegendem Chain. Rayearth´s Gefieder ist an vielen Stellen versengt und zerrupft. "Du warst doch so sicher, dass ihr mich besiegen könntet. Aber wie es jetzt aussieht, hast du dich wohl geirrt."

"Nein, ich glaube das immer noch", krächzt Rayearth heiser. "Der Kampf ist schließlich noch nicht entschieden."

"Das wird er aber bald sein - und ich freue mich schon auf den Moment, wenn ihr eure Niederlage eingestehen müsst."

"Darauf kannst du ewig warten." Break lächelt grimmig. "Dir ist doch klar, wenn ich die Macht von Mad Hatter freisetze, ist sie für dich ebenso schädlich wie für alle deiner Art."

"Ich werde dir keine Gelegenheit geben, sie einzusetzen." Vincent lässt seine Ranke rechts und links von Break auf den Boden knallen.

"Was zum Teufel geht denn hier vor?" Mit einem schrillen Laut landet Raven und Gil springt vom Rücken seines Chain. "Vincent, was ist das für ein Ding?"

"Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung, Nii-san - ich bin gestorben und als Chain wiedergeboren worden."

"Ich verstehe nicht..." Gil schaut seinen Bruder verwirrt an. "Wie... Wann..."

"Durch jemanden, den wir beide kennen. Ihm habe ich dieses wunderbare Geschenk zu verdanken - und nun will ich mich herzlich dafür revanchieren."

"Warte, Vin..." Gil zuckt zusammen, als die Ranke dicht an ihm vorbeizischt - sie wickelt sich eng um Breaks Körper und zerrt ihn mit einem Ruck nach vorn. Der Stoff seines Hemdes beginnt sich unter der Schlinge leise zischend aufzulösen.

"Break!" Gil überwindet die kurze Distanz zu seinem Freund und fällt neben ihm auf die Knie, beginnt an der Schlinge zu ziehen. Doch sie geben nicht nach, als einziges Ergebnis verbrennt er sich die Handflächen.

"Das bringt nichts, du kannst sie nicht lösen." Vincent war nähergetreten. "Ich verstehe auch nicht, warum du ihm - den Mann, der mich getötet hat - helfen willst. Wie kannst du dich gegen mich und auf seine Seite stellen?"

"Das tu ich nicht." Gil hebt den Kopf. "Aber dieser Wahnsinn muss endlich aufhören."

"Es wird enden, sobald du zur Seite gegangen bist." Eine zweite Ranke wächst aus Vincents Hand. "Sei bitte so gut, Nii-san. Ich will dich nicht verletzen."

"Du solltest seinen Rat annehmen, Gilbert-kun. Auch wenn er so aussieht, er ist nicht mehr dein Bruder und..."

"Hör auf zu reden, du kannst mir später alles vernünftig erklären. Jetzt bring ich dich erst einmal von hier weg." Gil greift nach Breaks Schwert, um damit die Fesseln zu zerschneiden. Doch die zweite Ranke wickelt sich um seinen Arm.

"Ich fürchte, das kann ich nicht erlauben, Gilbert." Vincent hatte den Kopf gesenkt, seine Augen werden von seinen Haaren verdeckt. "Du lässt mir leider keine andere Wahl."
 

"Rheena-sama, bitte wartet einen Moment." Robin stützt sich auf einen Felsbrocken. "Lasst mich kurz ausruhen."

"Jetzt schon? Wir sind doch noch gar nicht so weit gelaufen." Die rothaarige Magierin blickt über die Schulter zu ihrem Begleiter und bemerkt, dass seine rechte Hand auf seine Seite presst. "Hey, bist du etwa verletzt? Warum hast du nichts gesagt?"

"Ich wollte euch nicht zur Last fallen... Ihr habt es doch so eilig, zu eurer Freundin zu kommen."

"Das stimmt, aber es ist mir auch nicht egal, wenn es dir schlecht geht. Komm, setzen wir uns - es ist in Ordnung, wenn wir eine Weile hier bleiben."

"Für ein paar Minuten, dann können wir weitergehen." Er sinkt neben ihr auf den Boden. "Erzählt mir von dem Mädchen, dass ihr in dem Turm gesehen habt. Ihr scheint euch keine Sorgen zu machen, ob sie eine Gefahr für Fae-sama sein könnte, obwohl ihr sie doch nicht kennt, oder?"

"Nein, du hast Recht - darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht." Rheena zieht ihre Beine an und legt ihre Arme um die Knie. "Vielleicht spüre ich ja instinktiv, dass wir ihr vertrauen können."

"Da ist er." Rheena schaut zu dem Turm hinüber. Sie und Robin hatten ihren Weg fortgesetzt und nach einer ganzen Weile war das Gebäude vor ihnen aufgetaucht - umgeben von einem Dutzend Chains. "Wir müssen einen Weg hinein finden."

"Ich weiß, wie wir es schaffen können." Robin beugt sich hinter dem Felsbrocken, wo er und Rheena Schutz gesucht haben, ein wenig vor. "Der Eingang ist zu sehen, Shion kann uns dorthin teleportieren. Und dann laufen wir schnell hinein, bevor die Chains uns entdecken."

"In Ordnung." Rheena fasst nach seiner Hand. "Ruf ihn."

Der Fuchs-Chain folgt dem Ruf seines Contractor und berührt ihre Hände mit seiner Schnauze - nur einen Moment später befinden die beiden sich vor dem Eingang des Turms.

"Los, schnell." Rheena eilt auf die dunkle Türöffnung zu, doch zwei Schritte davor wird ihr Robins Hand entrissen. Ein Trump hatte seine Klaue auf sie herabgestoßen und den Diener am Rücken gestreift. Sein Mantel wird zerrissen und er stürzt nach vorn.

"Elende Kreatur!" In Rheena steigt Wut auf, als das Wesen des Abyss erneut nach ihm greift. "Rühr ihn nicht an! Er wird nicht als dein Opfer enden!" Unter ihrem starren Blick verbrennt der Chain zu Asche, doch die anderen rücken nun in einem Halbkreis näher...

"Stop! Zieht euch zurück!"

"Was?" Rheena blinzelt verwundert, als die Chains tatsächlich dem Ruf folgen und wieder Abstand nehmen. "Wieso..."

"Ich konnte sie aufhalten, aber das wird nicht lang so bleiben." Das Mädchen aus Rheenas Vision war aus dem Turm getreten. "Rheena, wir sollten Robin hineinbringen - er ist bereits verletzt und hier draußen kann es wirklich gefährlich für ihn werden."

"Ich weiß." Die rothaarige Magierin legt sich Robins Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. "Komm, es ist nicht weit."

Im Inneren des Turms führt eine Wendeltreppe nach oben, in ein rundes Zimmer. Zwischen den in der Wand eingelassenen Fenstern stehen kunstvoll gearbeitete, jedoch leere Regalschränke. Und in der Mitte, auf dem breiten Bett mit samtbezogenen Kissen und der Decke, liegt Fae.

"Sie ist wirklich hier." Rheena geht ein paar Schritte vorwärts. "Und du, wer bist du?

Du hast Fae beschützt, als sie in den Abyss kam, ich habe es gesehen. Und uns hast du vor ein paar Minuten geholfen."

"Ich brauche euch." Das Mädchen blickt Rheena an. "Fae muss ihr Bewusstsein wiedererlangen, um Break zu retten..."

"Was meint ihr?" Robin war an der Tür geblieben, wo er sich anlehnen kann. "Ist Xerxes Break in Schwierigkeiten? Er kämpft gegen Vincent, nicht wahr?"

"Das ist richtig, und es sieht gar nicht gut für ihn und Gilbert aus. Break wird bald keine andere Möglichkeit mehr sehen, wie er Vincent noch besiegen kann - er wird Mad Hatter rufen. Deshalb bitte ich dich, Rheena, du musst es schaffen, Fae aufzuwecken."

"Ich würde es sofort tun, wenn ich wüsste, wie." Rheena blickt zu ihrer Freundin. "Es gibt viele magische Fertigkeiten, die nur sie beherrscht, aber nicht ich."

"Vielleicht müsst ihr euch einfach auf sie konzentrieren", schlägt Robin vor. "Versucht es, Rheena-sama. Ich bin sicher, es gelingt euch."

"Du bist lieb, Robin. Ich hoffe, du irrst dich nicht." Rheena setzt sich auf den Bettrand und nimmt Faes Hand. "Wenn irgendetwas geschieht, was euch in Gefahr bringt, müsst ihr mich aufhalten."

"Ich verspreche es euch, ich werde während der ganzen Zeit auf euch achten."
 

"Nimm mir dieses Ding ab!" Gil zerrt an der Ranke, die seinen ganzen Arm umschlungen hatte.

"Nein." Vincents Stimme hat einen monotonen, gleichgültigen Klang. "Du hast es dir selbst zuzuschreiben, was jetzt mit dir geschieht. Obwohl wir vom gleichen Blut sind, hast du mich verraten. Aber sei unbesorgt, nach deinem Tod werde ich dich als Chain wiederauferstehen lassen."

"Was redest du für einen Unsinn? Willst du mich etwa umbringen?"

"Hast du es noch nicht begriffen, dass er verrückt geworden ist, Gilbert-kun?" Break gibt ein heiseres Lachen von sich. "Ich nehme an, als er zum Chain wurde, hat er auch noch den Rest seines schon verwirrten Verstands verloren."

"Sei endlich still." Vincent wendet sich dem Weißhaarigen zu und macht eine schnelle Handbewegung. Die Ranke um Breaks Körper bewegt sich und wickelt sich eng um seinen Hals.

"Verfluchter Bastard, er nimmt mir die Luft zum Atmen. Wenn ich jetzt nichts unternehme, bin ich gar nicht mehr dazu in der Lage - Ich muss es tun, bitte verzeih mir, Fae..."
 

"Ich bin froh, dich zu sehen." Fae schwebt vor Rheena, als die rothaarige Magierin in das Innere ihrer Freundin eindringt. "Du hast es geschafft - es ist dir gelungen, eine Verbindung zu mir herzustellen. Und nun zeige ich dir, wie du mich aus der Bewusstlosigkeit holen kannst. Nimm meine Hand und lass etwas von deiner magischen Kraft auf mich übergehen."

"Ich soll mich öffnen?" Rheena weicht ein wenig zurück. "Das kann ich nicht..."

"Du wirst mich nicht verletzen." Fae umfasst Rheenas Hände. "Ich vertraue dir."

Rheena schließt einen Moment die Augen. "Was muss ich tun?"

"Konzentrier dich, als würdest du deine Magie benutzen wollen. Und dann lenkst du die Energie, die sich dabei entwickelt hat, auf mich." Fae blickt Rheena mitfühlend an. "Ich weiß, dass du dich nicht wohl dabei fühlst. Und ich würde das nicht von dir verlangen, wenn es nicht notwendig wäre."

"Es ist schon gut, Fae. Ich bin dazu bereit, nun lass uns keine Zeit mehr verlieren."
 

"Unsere Situation verschlechtert sich." Das Mädchen war an eines der Fenster getreten. "Die Chains geraten in Aufruhr, bald werden sie angreifen."

"Wir können den Turm aber nicht verlassen, solang Rheena und Fae-sama noch ohne Bewusstsein sind", erwidert Robin. "Könnt ihr die Horde da unten nicht noch eine Weile zurückhalten?"

"Das kann ich versuchen, aber Vincent hat einen großen Einfluß auf die Kreaturen des Abyss. Er ist sehr geschickt darin, die Chains zu manipulieren und seinem Willen zu unterwerfen." Das Mädchen geht zum Bett, lässt sich auf die Knie sinken und zieht eine massive Truhe hervor. "Dies wird unser Weg hinaus sein, ohne dass wir kämpfen müssen."

"Und wohin werden wir gehen? Gibt es noch einen anderen Ort, wo wir sicher sind, bis Rheena und Fae-sama aufwachen?"

"Es tut mir leid, Robin." Das Mädchen schüttelt bedauernd den Kopf. "Ich weiß, wie besorgt du um Rheena bist und es ist offensichtlich, was sie dir bedeutet - aber dieser Turm ist das einzige Gebäude im Abyss, dass nicht zerstört ist. Wenn wir ihn verlassen, können wir uns zwar einen Platz suchen, wo keine Chains sind. Doch es besteht dort immer die Gefahr, angegriffen zu werden."

"Es ist nicht mehr notwendig, dass wir uns verstecken. Wir müssen dorthin gehen, wo Break und Gilbert sind. Und Vincent."

"Rheena... -sama. Ihr seid... Geht es euch gut? Habt ihr Fae-sama helfen können?"

"Ja, ich denke schon. Sie hat mir gesagt, wie ich sie aufwecken kann und so habe ich es auch gemacht." Die rothaarige Magierin setzt sich auf - Robin hatte sie vorher neben Fae hingelegt. "Jetzt kann ich nur hoffen, dass sie bald aufwacht."

"Das wird sie bestimmt. Nun kommt, wir verlassen den Turm." Das Mädchen öffnet den Deckel der Truhe. "Ich kann die Chains nicht mehr viel länger zurückhalten." Wie um ihre Worte zu bestätigen, läuft ein Beben durch das Gebäude und an mehreren Stellen entstehen größere und kleinere Löcher in der Wand.

"Schnell, Rheena-sama. Lasst uns Fae-sama zu der Truhe bringen." Robin tritt an das Bett heran. "Bevor der Turm zusammenbricht und uns begräbt."

"Ja, du hast Recht." Rheena rutscht zum Bettrand und setzt ihre Füße auf den Boden, als sie ein Knirschen hört - über sich.

In der Decke war ein ungleichmäßiges Muster aus Rissen entstanden, feiner Staub rieselt auf sie herab. Und dann löst sich ein großer Brocken und fällt herunter...

"Robin!"

Für einen kurzen Moment verliert Rheena den Diener aus den Augen. Der Steinbrocken war beim Aufprall auf den Boden auseinandergebrochen und hatte eine Staubwolke verursacht. "Robin!"

"Es ... geht mir gut." Er kommt hinter dem Hindernis hervor. "Ich wurde zur Seite befördert... wart ihr das?"

"Nein, ich habe es getan." Fae hatte die Augen geöffnet und den Arm ausgestreckt, ihre Hand schimmert silbrig. "Du warst die ganze Zeit für Rheena da und hast sie sogar hierher begleitet, um ihr mit meiner Rettung zu helfen. Dafür bin ich dir sehr dankbar und nun konnte ich auch etwas für dich tun."

"Aber ihr hättet nicht... Ist es nicht noch zu anstrengend für euch, Magie zu gebrauchen?"

"Ich hatte genug Zeit, um mich auszuruhen und meine Kräfte wiederherstellen." Fae wendet sich an das Mädchen. "Während meiner Bewusstlosigkeit konnte ich mitbekommen, was geschehen ist. Du sagtest, Break würde seinen Chain beschwören, um Vincent besiegen zu können. Bitte bring uns direkt zu ihm, bevor er ihn rufen kann."

Das Mädchen nickt und deutet auf die dunkle Öffnung vor sich. "Dieser Durchgang ist die Verbindung zu dem Ort, wo er ist. Wir müssen nur hineinspringen."

"Gut, ich geh voraus und beschäftige Vincent, bis ihr mir nachgekommen seid." Rheena schwingt sich über den Rand der Truhe und versinkt in dem bodenlosen Loch.

"Nun bin ich an der Reihe."

"Warte noch einen kleinen Moment, Robin", bittet Fae. "Dir liegt offenbar viel daran, Rheena zu beschützen. Aber hör mir erst noch kurz zu, bevor du gehst..."
 

"Gib mir deine Pistole!" Vincent streckt Gil fordernd die Hand entgegen. "Dieser Dreckskerl hat es gewagt, seinen Chain zu rufen! Meine Angriffe haben nun keine Wirkung mehr, ich muss ihn mit einem Schuß töten!"

"Auf keinen Fall werde ich dir meine Waffe für so eine Tat überlassen!", entgegnet Gil. "Du musst endlich wieder zur Vernunft kommen!"

"Wie du meinst. Dann hol ich sie mir eben." Ohne dem Schwarzhaarigen Zeit zum reagieren zu geben, stürzt sich Vincent auf ihn. Mit einem gezielten Schlag ans Kinn bringt er ihn aus dem Gleichgewicht und greift blitzschnell nach dem Revolver.

"Nein!" Auch Gil streckt die Hand nach seiner Waffe aus, er bekommt sie am Lauf zu fassen. Zwischen ihm und Vincent entwickelt sich ein Kampf - der durch einen Schuß sein Ende findet.

"Gilbert!" Rheena kommt in dem Augenblick, als Gil langsam in die Knie sackt, auf seinem weißen Hemd breitet sich ein roter Fleck aus.

"Du verachtenswerte Kreatur! Was hast du getan?"

"Diese Stimme - wenn das nicht die lästige kleine Hexe ist." Mit einem überheblichen Grinsen blickt Vincent zu der rothaarigen Magierin. "Ich weiß nicht, wie es dir gelungen ist, den Weg hierher zu finden. Doch anscheinend hast du aus deiner letzten Niederlage nichts gelernt."

"Falsch! Ich bin nicht so dumm, noch einmal allein gegen dich zu kämpfen! Diesmal habe ich die Unterstützung von Fae und meinem lieben und treuen Gefährten Robin! Und gemeinsam mit dem Mädchen, dass uns den Weg zu dir geöffnet hat, werden wir dir entgegentreten."

"Es ist egal, wie viele ihr seid, ich werde auch euch ausschalten. Zu meinem Glück ist Mad Hatter ja wieder verschwunden und kann mich nicht mehr behindern." Vincent lässt ein Dutzend Ranken auf Rheena zuschnellen, und noch einige über den Boden gleiten, in einem Bogen um sie herum.

"Ist das deine Chainfähigkeit?" Rheena verbrennt die Ranken, die sie vor sich sieht. "Das finde ich nicht sehr beeindruckend..."

"Rheena! Dreh dich um!"

"Was?" Der Warnung folgend, wird sie auf die Gefahr hinter ihr aufmerksam, blitzschnell kontert sie die Angriffe auf ihren Rücken mit Feuerbällen. "Warst du das, Ray-chan? Wo bist du?"

"Dein erbärmlicher Chain liegt dort drüben." Vincent macht eine abwertende Bewegung nach links. "Es war beinahe schon zu einfach, ihn so zuzurichten. Und du wirst auf die gleiche Weise enden."

"Nicht er, du bist erbärmlich. Du führst dich auf, als wärst du so unheimlich mächtig, aber alles, was ich von dir zu sehen bekomme, sind hinterhältige Tricks."

"Ich lasse mich nicht beleidigen, nicht von dir!" Vincent breitet die Arme zu den Seiten aus. "Ich gratuliere dir, kleine Hexe, du hast mich wirklich wütend gemacht. Nun bekommen du und die anderen die Konsequenzen zu spüren." Eine wahre Flut von Ranken strömt aus seinem Körper, sie bewegen sich rasch über den Boden, in alle Richtungen.

"Rheena-sama, nutzt eure Magie!" Robin erscheint neben ihr - mit einer Hand hält er Gil´s Arm, die andere Hand liegt auf Break´s Schulter. "Lasst alles um uns herum in Flammen aufgehen! Das ist unsere einzige Möglichkeit, diese Angriffswelle von uns fernzuhalten!"

"Ja, ich weiß." Rheena zieht einen hochlodernden Ring. "Nun seid ihr erst einmal sicher und ich kann nach Ray-chan suchen. Er ist auch irgendwo hier und braucht Schutz." Sie schüttelt den Kopf, als Robin den Mund öffnet. "Du willst mir vorschlagen, ihn mit der Kraft deines Chain zu uns zu teleportieren - aber das kannst du nicht, weil du nicht weißt, wo er ist. Bleib hier, versorge Gilbert´s Schusswunde und achte auf Break, dass er am Leben bleibt. Und wenn es notwendig sein sollte, bring dich und die beiden weg von diesem Ort." Sie lächelt, als der junge Diener erneut protestieren will - und drückt rasch ihre Lippen auf seine. "Es ist wirklich lieb, dass du dir solche Sorgen um mich machst. Aber jetzt denk auch an dich, du bist bereits verletzt worden. Ich will nicht, dass dir meinetwegen noch mehr Schaden zugefügt wird."

"Das ist ja ganz toll." Kopfschüttelnd schaut Gil zu dem jungen Diener. Robin hatte seine Hand auf seine Lippen gelegt, wo er von Rheena geküsst worden war. "Es fehlt mir gerade noch, dass er sich jetzt von romantischen Gefühlen ablenken lässt - dafür ist es wohl kaum die richtige Situation."

Sein Blick richtet sich auf die Feuerwand, die sie umgibt - sie zischt immer wieder, wenn von außen Vincents Ranken dagegen stoßen. "Wenigstens hat Rheena dafür gesorgt, dass wir sicher sind. Aber wir können nicht ewig einfach hier sitzen."

"Da hast du Recht, Gilbert. Wir dürfen aber auch nicht überstürzt handeln, dafür ist Vincent ein zu gefährlicher Gegner. Warten wir jetzt erst einmal, bis Rheena und Rayearth wieder bei uns sind."

"W-wer... Wer bist du?" Gil hatte sich umgedreht, mit einer Mischung aus Überraschung und Verblüffung starrt er das Mädchen aus dem Turm an. Sie hat eine unheimliche Ähnlichkeit zu der Alice, die als Chain zu Oz kam - nur ihre Augen unterscheiden sich, sie sind...

"Ich bin hier, um zu helfen - mehr kann ich dir nicht sagen." Das Mädchen lächelt entschuldigend. "Wir sollten uns jetzt auch mehr auf unsere Situation hier konzentrieren. Du wurdest angeschossen - und Breaks Zustand sieht wirklich übel aus. Fae", sie blickt zu der weißhaarigen Magierin, die sich an Breaks Seite niedergelassen hatte. "Er braucht dich. Wenn du ihm nicht hilfst, wird er sterben. Das darf aber nicht passieren, er muss wieder mit euch in eure Welt zurückkehren."

"Dafür will ich auch sorgen." Fae berührt mit den Fingern die rotgeschwollene Haut an Breaks Hals. "Heilen kann ich ihn nicht, aber ich werde versuchen, ihm auf die gleiche Weise zu helfen, wie Rheena es für mich getan hat."

"Du wirst das schaffen, ich vertraue auf deine Fähigkeiten." Das Mädchen wendet sich an Gil, erwidert seinen finsteren Blick. "Ich weiß, du kannst es nicht leiden, wenn man etwas vor dir verschweigt. Aber in diesem Fall geht es einfach nicht anders. So, und jetzt lass mich nach deiner Verletzung sehen."

"Augenblick mal", protestiert der Schwarzhaarige, als sie nach seinem Halstuch greift. "Ich habe nicht die Absicht, von dir..."

"Verzeiht, aber lasst mich bitte die Wunde von Gilbert-sama versorgen", meldet sich Robin. "So kann ich mich ein wenig ablenken, bis Rheena mit ihrem Chain wieder bei uns ist."

"Willst du nicht lieber zu ihr gehen?" Das Mädchen schaut über die Schulter zu ihm. "Rheena hat Rayearth gefunden, sie könnte jedoch deine Hilfe brauchen, um hierher zurückzukommen."
 

"Ray-chan." Vorsichtig streicht Rheena über das zerfledderte Gefieder. Sie hatte ihren Chain zwischen einigen Trümmerstücken liegend gefunden. "Er hat dich ja furchtbar zugerichtet. Kannst du dich bewegen?"

"Ich weiß nicht, ich fühle mich ziemlich schwach." Rayearth gibt einen fiependen Laut von sich. "Ich habe es für eine gute Idee gehalten, Mad Hatter zu unterstützen, bis du und die anderen da seid. Und jetzt sieh mich an."

"Du hast ihm helfen wollen, daran war nichts falsches. Und jetzt kannst du dich erholen - ich bringe dich an den sicheren Ort, wo unsere Freunde warten."

"Das brauchst du nicht." Rayearth macht eine Kopfbewegung auf die Ranken, die um sie herumwuseln. "Es ist unwichtig, welchen Schaden sie mir zufügen. Ich habe einen besonderen Trick, den ich auf mich anwenden kann - danach wird es mir wieder gut gehen..."

"Wovon redest du? Ray-chan, du musst dich verwandeln!" Rheena verbrennt einige Ranken, die in ihre Richtung schießen. "Komm, nimm deine kleine Gestalt an, sonst kann ich dich nicht tragen." Sie wirft einen schnellen Blick über ihre Schulter, die von ihr geschaffene Feuerwand war in einiger Entfernung sichtbar. "Es wird schwierig, wieder dorthin zu gelangen. Der Weg hierher war schon nicht leicht... aber ich muss es einfach zurückschaffen."

"Rheena", lenkt Rayearth ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Du kannst nichts für mich tun, aber ich kann mir selbst helfen. Doch das geht nicht, solange du bei mir bist. Du musst gehen..."

"Das tu ich nicht! Ich lass dich nicht hier!"

"Das braucht ihr auch nicht, Rheena-sama. Ich kann uns alle teleportieren, nehmt einfach meine Hand."

"Robin." Sie verspürt eine unerwartet starke Freude bei seinem Anblick, schüttelt aber dennoch den Kopf. "Ich hatte dich gebeten, in Sicherheit zu bleiben. Warum bist du mir gefolgt?"

"Weil ich um euch ebenso besorgt bin, wie ihr um mich." Er sinkt neben ihr auf die Knie. "Deshalb bitte ich euch, verlangt nicht noch einmal von mir, nur auf euch zu warten."

"Entschuldige."

"Wieso seid ihr immer noch da? Verliert keine Zeit mehr - ich werde zu euch kommen, sobald ich wiederhergestellt bin."

"Und wie willst du das machen? Ray-chan, ich werde dich nicht verlassen, wenn du mir nicht sagst, wie du dafür sorgen willst, dass es dir wieder gut geht."

"In Ordnung, Rheena, ich erzähle es. In extremen Fällen kann ich meinen Körper in Flammen aufgehen lassen - aus der Asche entstehe ich dann neu und unversehrt. Doch wenn ich das tue, wird dabei aber auch alles in meiner Umgebung verbrannt. Deshalb ist es für euch sehr gefährlich, noch länger in meiner Nähe zu sein."

"Also... kann ich mich darauf verlassen, dass du dich wirklich wieder vollkommen erholst? Wenn nicht, bekommst du großen Ärger mit mir, verstehst du?" Rheena streicht noch einmal über seinen Kopf, ehe sie ihre Finger mit denen von Robin verschränkt. "Ich erwarte dich sehr bald bei unseren Freunden zu sehen."

"Versprochen."
 

"Gilbert." Das Mädchen unterbricht ihre Wanderung an der feurigen Barriere entlang, die sie vor einer Weile begonnen hatte. "Etwas hat sich verändert, Vincents Angriffe sind nicht mehr so zahlreich. Ich fürchte, wir müssen damit rechnen, dass er sich nun eine andere Taktik überlegt hat, wie er zu uns durchbrechen kann."

"Und was sollen wir, deiner Meinung nach, tun?" Mit immer noch misstrauischem Blick schaut Gil zu ihr auf. "Rheena ist noch nicht wieder da, genau wie Robin. Und der Kerl dahinten ist immer noch ohne Bewusstsein. Wie lange wird Fae noch brauchen, um ihn aufzuwecken?"

"Das kann ich auch nicht sagen. Ich weiß nur, was... Achtung, er hat einen Weg hier hinein gefunden." Das Mädchen wechselt blitzschnell ihren Standort und packt eine Ranke, die aus dem Boden gekommen ist. "Siehst du? Und dies war nur die erste, die er uns durch den Untergrund geschickt hat..."

"Und was sollen wir jetzt tun?" Gil war aufgestanden und zu Break und Fae gelaufen. Sein Kopf liegt auf dem Schoß der Magierin und sie hatte ihre Hände auf seine Brust gelegt. Und beide waren von einem sanftschimmernden Licht umgeben. "Was auch immer sie tut, es scheint noch zu dauern, bis sie fertig ist. Und ich denke nicht, dass wir sie unterbrechen sollten."

"Wir brauchen Raven." Das Mädchen hatte sich zu ihm umgedreht. "Doch - mit deiner Verletzung wäre es für dich wohl zu anstrengend, ihn zu rufen. Deshalb..." Sie lächelt entschuldigend. "Bitte sei mir nicht böse - Raven!"

"Was?!" Gil blinzelt ungläubig, als sein Chain auf den Ruf des Mädchen reagiert und über ihnen erscheint. "Wie... - Wieso kannst du...? Wer zum Teufel bist du?!"

"Also wirklich, Gilbert-kun...", murmelt eine schwachklingende Stimme. "Hast du sie etwa nicht erkannt?"

"Break..." Gil senkt den Blick auf den Weißhaarigen, der sein Auge geöffnet hat. "Woher willst du denn dieses Mädchen kennen? Du warst doch schon ohne Bewusstsein, als sie hierher kam."

"Ihre Stimme klingt ganz ähnlich, wie von Alice-kun." Mit Fae´s Hilfe setzt Break sich auf. "Aber sie kann es nicht sein, sie ist zu jung - und das bedeutet wohl, du bist.... Selena-chan."

"Xerx Ojii-san." Selena lächelt wehmütig. "Ich wusste, du würdest herausfinden, wer ich bin. Und ich kann mir vorstellen, dass ihr jetzt viele Fragen habt - aber es ist nicht die Zeit zum Reden. Wir müssen bei Raven aufsteigen und in die Luft. Und sobald Rheeena und Robin zurückkehren, machen wir uns auf den Weg zu Vincent. Es wird nicht mehr allzu lang dauern."
 

Rheena atmet auf, als sie wieder in dem Flammenkreis stehen. "Hoffentlich schafft es Ray-chan auch."

"Das wird er bestimmt." Robin drückt beruhigend ihre Hand. "Er hat es versprochen und wird sein Wort sicher halten."

"Achtung, ihr beiden!" Der Warnruf macht sie auf die Gefahr um sie herum aufmerksam - überall ragen Ranken aus dem Boden, die sich zu den Seiten oder nach oben bewegen.

"Sie...haben meine Feuerwand überwunden!"

"Rheena." Robin hatte Raven entdeckt, der über ihnen schwebt. "Komm, ich teleportiere uns dort hinauf." Er ruft seinen Chain...
 

"Shion!"

Das Fuchswesen war von allen Seiten eingewickelt worden - um seine Pfoten und seinen Leib. Er stößt schrille Schreie aus, während er versucht, sich zu befreien. Doch immer mehr Ranken winden sich um seinen Körper.

"Tu etwas!", fleht Robin sie an. "Du kannst ihn doch mit deiner Magie retten!"

"Ja, aber... In Ordnung." Rheena konzentriert sich auf ihre magische Kraft und verbrennt Ranke um Ranke. "Ich muss aufpassen, dass ich Shion nicht versehentlich schade - er leidet schon genug Schmerzen."

Nach einer Weile ziehen sich die Ranken zurück, die noch nicht dem Feuer ausgesetzt waren. Doch Shions Körper ist mit offenen Wunden übersäht.

"Shion." Robin streicht behutsam über das unversehrt gebliebene Maul seines Chain. "Es tut mir sehr leid, aber kannst du uns mit deiner Fähigkeit zu den anderen auf Ravens Rücken teleportieren?"

Das Fuchswesen gibt ihm einen leichten Schubs mit der Nase - dann reißt er plötzlich sein Maul weit auf und stößt einen weiteren schrillen Schrei aus.

Einige Ranken hatten sich miteinander verwoben und sich schnell rotierend tief in ihn hineingebohrt. Mit einem letzten quiekenden Laut beginnt Shion sich aufzulösen.
 

"Nein! Schick ihn zurück!"

"Rheena?" Robin blickt sie besorgt an. "Was ist passiert? Du hattest eine Vision, nicht wahr?"

"Ja... Wo ist Shion? Er darf nicht hier sein... Ich habe gesehen, wie er..." Sie verstummt und keucht auf. "Nein!"

Hinter Robin haben sich einige Ranken miteinander verschlungen und bewegen sich schnell rotierend auf ihn zu. Mit einem Satz wirft sie sich auf ihn und kann ihn aus der Angriffsbahn bringen - doch sie selbst wird seitlich am Kopf getroffen.

"Rheena!"

Robins erschrockenes Gesicht verschwimmt vor ihren Augen, dann wird ihre Sicht dunkel und sie sinkt in seine Arme.
 

"Das ist gar nicht gut." Selena beobachtet die beiden von oben. "Nun wird es für Robin nicht mehr möglich sein, Shions Fähigkeit zu nutzen. Dafür sind um ihn herum zu viele Ranken. Wir müssen ihnen helfen."

"Wie stellst du dir das vor? Raven kann nirgends landen und außerdem... Hey, pass auf! Du wirst runterfallen!"

"Keine Angst, Gil Ojii-san." Selena hatte sich schwankend erhoben und balanciert mit ausgebreiteten Armen vorwärts. "Ich will nur dafür sorgen, dass Raven ausreichend Platz auf dem Boden bekommt. In wenigen Minuten kannst du ihn dann nach unten lenken."

"Und wie...- bist du verrückt geworden?!"

Selena hatte sich nach vorn fallen lassen und stürzt auf den Boden hinunter. Kurz vor dem Aufprall verlangsamt sich jedoch ihre Fallgeschwindigkeit und sie landet auf ihren Füßen.

"Robin. Sei unbesorgt, es wird Rheena bald wieder gut gehen. Und jetzt werde ich dafür sorgen, dass Raven zu uns herunterkommen kann."

"Aber das braucht ihr nicht. Ich habe doch Shion gerufen..." Robin verstummt, als ein schriller Schrei ertönt.
 

"Es tut mir sehr leid, Robin." Selena legt ihm mitfühlend die Hand auf den Arm, als sich Raven wieder in die Luft erhebt. "Ich wünschte, wir hätten Shion retten können."

"Wenn du das wirklich gewollt hättest, wäre dir das auch möglich gewesen." Gil funkelt Selena an. "Diese Ranken haben dich nicht angegriffen - ganz offensichtlich bist du in der Lage, sie von dir fernzuhalten! Und Raven, er ist deinem Ruf gefolgt, obwohl das eigentlich unmöglich sein müsste! Ich verlange, dass du uns jetzt über dich aufklärst!"

"Ich bin die Tochter von Oz und Alice B.Rabbit - und aus diesem Grund besitze ich eine besondere Verbindung zu dem Abyss und den Chains. Aber mein Einfluss wird erheblich von Vincent gestört - er ist wirklich sehr mächtig geworden. Wenn er nicht aufgehalten wird, bringt er das Chaos, dass er hier unten angerichtet hat, auch in unsere Welt."

Rheena hört leises Rauschen und spürt, wie sich der Boden unter ihr leicht bewegt. Langsam öffnet sie die Augen und bewegt den Kopf, doch schon diese kleine Bewegung verursacht einen heftigen Schmerz. "Ouhhh."

"Rheena." Robins Gesicht erscheint über ihr. "Bleib ganz ruhig liegen."

"Nein..." Trotz seiner Bitte setzt sie sich auf, ihre Hand bewegt sich zu der Verletzung an ihrem Kopf. Sie zuckt zusammen, als ihre Finger die Wunde berühren.

"Du solltest da nicht dran herumfummeln." Gil blickt mit gerunzelter Stirn zu ihr hinüber. "Der Hieb von der Ranke, die dich getroffen hat, war ziemlich übel. Wenn Selena nicht zu dir und Robin hinuntergesprungen wäre und euch geholfen hätte, wärt ihr beide jetzt wohl nicht mehr da."

"Wir beide - Robin und ich?", wiederholt Rheena. "Und was ist mit Shion? Er ist doch auch in Sicherheit?"

Das schweigende Kopfschütteln von Robin beantwortet ihre Frage.

"Es ist so geschehen, wie du es in deiner Vision vorausgesehen hast." Selena sitzt mit angezogenen Knien nah an Ravens rechter Schwinge. "Du darfst dir aber nicht die Schuld geben, weil du es nicht verhindern konntest."

"Aber..."

"Selena-chan hat Recht", meldet sich Break zu Wort. "Der einzige Verantwortliche ist die elende Ratte, aber er wird dafür bezahlen, wenn wir ihn erreichen."

"Hast du denn auch schon eine Idee, wie wir zu ihm herunterkommen sollen?", fragt Gil den Weißhaarigen angriffslustig. "Raven wird nicht landen können und wir haben auch nicht mehr die Möglichkeit, uns von Shion teleportieren zu lassen. Und überhaupt, wissen wir ja noch nicht einmal, wie wir ihn finden sollen."

"Das ist einfach - er bildet das Zentrum all der Ranken dort unten", erklärt Selena. "Haltet gut die Augen offen und wenn wir ihn entdecken, sorge ich dafür, dass seine Ranken uns nicht zu nahe kommen."

"Lass mich dir dabei helfen", bietet Fae an. "Du hast uns gesagt, deine Macht im Abyss wäre begrenzt - weil Vincent so viel Einfluss hier unten gewonnen hat. Womöglich schaffst du es nicht, all seine Ranken abzuwehren."

"Dann begleite ich euch auch." Rheena schaut Fae bedeutungsvoll an. "Du darfst nicht ohne mich gehen - ich werde an deiner Seite bleiben, bis wir in unsere Welt zurückkehren."

"Vergesst mich aber nicht, ich will euren Kampf gegen Vincent auch unterstützen."

"Ray-chan!" Rheena schaut zu ihrem Chain auf, der mit langsamen Flügelschlägen zu ihnen heruntersegelt. Doch er landet nicht auf ihrer ausgestreckten Hand, sondern lässt sich auf Selenas Schoß nieder. Sie legt ihre Hände um seinen kleinen Körper.

"Rayearth - es ist schön, dich unversehrt wieder zu sehen."

"Masterlady Selena." Rayearth neigt den Kopf. "Nun endlich ist die Zeit gekommen, dass ihr die wahre Herrin des Abyss werden könnt. Darauf habe ich so lange gewartet."

"Ich weiß und ich danke dir", lächelt Selena. "Du hast immer bedingungslos an mich geglaubt und bist nicht auf Vincent hereingefallen wie so viele andere Chains. Und du hast einen starken Vertragspartner gefunden."

"Rheena ist eine wunderbare Partnerin, ich habe sie sehr gern und durch sie und ihre Freunde habe ich viel von ihrer Welt kennengelernt."

"Das freut mich sehr für dich." Selena streichelt dem Chain über das Köpfchen. "Nun geh zu Rheena, sie war sehr besorgt um dich."

Mit munteren Sprüngen hüpft der kleine Vogel zu seiner Contractor.
 

"Ich sollte wohl besser mit ihm reden. Bleib du bitte hier, Fae." Break rutscht auf den Knien zu Gil hinüber. "Gilbert-kun..."

"Was ist?" Gil wirft ihm über die Schulter einen Blick zu. "Willst du mir etwa jetzt erzählen, was vor all den Jahren zwischen dir und meinem Bruder geschehen ist? Das hättest du einfach nicht die ganze Zeit vor mir verschweigen dürfen!"

"Womöglich hast du Recht..." Break verändert seine Haltung und lehnt sich an Gil´s Rücken. "Allerdings hast du Vincent damals noch sehr nahe gestanden..."

"Natürlich, er ist mein Bruder!", unterbricht Gil ihn mit leiser, jedoch wütender Stimme. "Aber du - du verdammter dämlicher Volltrottel - wir kennen uns schon so lange, da hättest du doch wirklich Vertrauen haben müssen!"

"Nun ja." Break gibt ein kurzes leises Lachen von sich. "Ich war mir ziemlich sicher, dass du richtig böse auf mich geworden wärst, wenn ich dir die Wahrheit gesagt hätte. Immerhin habe ich sein Leben als Mensch beendet und bin somit dafür verantwortlich, dass Vincent zu einem Chain wurde und uns in diese Situation gebracht hat."

"Das ist nicht wahr, Xerx Ojii-san." Selena setzt sich neben ihn und Gil. "Du hast ihn doch nicht in diese Kreatur verwandelt - dazu wäre mein lieber Xerx Ojii-san gar nicht fähig." Sie tippt Break an die Stirn. "Also rede bitte nicht mehr solchen Unsinn, ja?"

"Selena-chan." Break legt seine Hand auf den Kopf des Mädchen. "Ich würde gern etwas von dir wissen - wie viel Zeit ist vergangen, seit wir uns im Abyss befinden?"

"Was soll denn die Frage?" Gil runzelt die Stirn. "Wir sind doch nicht viel länger als einige Stunden hier."

"Aber in unserer Welt müssen es einige Jahre sein", erwidert Break. "Sieh dir doch Selena-chan an, sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, dass wir kennen."

"Das ist richtig", bestätigt Selena. "Ihr seid vor 12 Jahren aus eurer Welt verschwunden. Meine Eltern und eure Freunde haben versucht, euch zu finden und zurückzubringen. Sharon Obaa-san hat immer und immer wieder Eques losgeschickt..." Sie schüttelt den Kopf. "Es tut mir leid, aber wir dürfen uns jetzt nicht ablenken lassen. Vincent ist ganz nah, nur ein Stück links von uns. Wir dürfen uns jetzt nur auf ihn konzentrieren und müssen ihn ausschalten. Wenn wir alle zusammen arbeiten, können wir das schaffen."

"Hört ihr das?" Robin blickt über seine Schulter und beugt sich ein wenig nach rechts. "Ein merkwürdig-pfeifendes Rauschen..."

"Hmmm?" Rheena legt beide Hände an ihre Ohren, um zu lauschen. "Ja... Was ist das?"

"Raven! Flieg sofort nach links!"

Mit einem Krächzen folgt der schwarzgeflügelte Chain Selenas Aufforderung - als auch schon einige rotierende Rankenbündel ganz knapp an ihm vorbei schießen.

"Die hätten seinen Flügel zerfetzt, wenn du nicht so schnell reagiert hättest." Gil dreht sich zu dem braunhaarigen Mädchen um. "Woher hast du gewusst, was passieren würde?"

"Wahrscheinlich hat sie es gespürt, weil sie mit dem Abyss verbunden ist." Break lächelt Selena an. "Nicht wahr?"

"So ist es. Jedoch weiß Vincent auch, dass wir ihm schon sehr nahe gekommen sind. Seine Angriffe auf uns werden jetzt für mich nicht mehr so leicht zu sehen sein, dafür wird er sicher sorgen."

"Aber vielleicht kann ich voraussehen - meine Fähigkeit steht in keiner Verbindung zum Abyss."

"Rheena, du hast doch deine Visionen bisher nicht bewusst empfangen können", gibt Robin zu bedenken. "Und du weißt auch nicht, ob..."

"Ich muss es versuchen - wenn ich mich stark konzentriere, könnte ich es schaffen. Wir müssen Vincent irgendwie erreichen, sonst kommen wir doch nicht mehr aus dem Abyss raus."

"Das ist richtig", bestätigt Selena. "Solange er existiert, werdet ihr nicht zurückkehren können in eure Welt. Deshalb tut es mir unglaublich leid, Gil Ojii-san - es gibt für uns nur eine einzige Möglichkeit."

"Was soll das heißen?" Gil runzelt die Stirn. "Welche Möglichkeit, wovon zum Teufel redest du?"

Statt ihm zu antworten, schüttelt Selena nur den Kopf und wendet sich Rheena zu. "Bitte versuch es."

"Ja." Rheena atmet tief ein, um sich zu entspannen und schließt die Augen. Doch die Minuten vergehen, ohne dass etwas geschieht.

"Es scheint nicht zu klappen." Gil öffnet das Magazin seiner Pistole und lädt es mit Munition nach. "Wir werden es wohl ohne ihre Visionen schaffen müssen."

"Wieso habt ihr kein Vertrauen zu Rheena?" Robins Stimme hat einen leicht vorwurfsvollen Ton. "Es wird ihr gelingen, davon bin ich überzeugt. Gebt ihr einfach noch ein wenig Zeit."

"Robin hat Recht", stimmt Fae dem jungen Diener zu. "Sie sind zu ungeduldig, Gilbert-san. Lassen sie Rheena sich richtig konzentrieren, dann wird sie uns helfen können. Und ich schütze uns mit meiner Magie, bis sie bereit ist."

"Das... bin ich, Fae..." Rheena hatte die Augen wieder geöffnet, doch ihr Blick war verschwommen. "Raven muss sofort nach rechts und noch höher fliegen..."

"Schnell, Gil Ojii-san." Selena dreht sich wieder zu dem Schwarzhaarigen um. "Tu, was Rheena gesagt hat."

"In Ordnung." Gil lenkt seinen Chain in eine enge Kurve und lässt ihn ein wenig aufsteigen. Kaum einen Moment später schießen rotierende Ranken durch die Luft, wo sich gerade noch Ravens Schwingen befunden hatten.

"Es war unheimlich knapp, nicht wahr?" Break atmet hörbar aus. "Rheenas Warnung ist wohl gerade noch rechtzeitig gekommen. Aber ich hätte nie erwartet, dass er deinen Chain direkt angreifen würde, Gilbert-kun. Bis jetzt hast du ihm ja immer noch etwas bedeutet."

"Er verliert jetzt endgültig seinen Verstand und den Rest Menschlichkeit, der ihm noch geblieben war", erklärt Selena mit leiser Stimme. "Er benutzt einfach zuviel seiner Chainkräfte und verwandelt sich dadurch vollkommen in eine Kreatur des Abyss."

"Mit anderen Worten, er wird noch gefährlicher als bisher. Und uns bleibt keine Zeit mehr - wir müssen so schnell wie möglich zu ihm gelangen." Gil blickt ungeduldig zu Rheena. "Also sag uns, wie wir nun fliegen sollen."

"Ich weiß nicht...", erwidert die rothaarige Magierin. "Die Ranken sind überall um uns herum, sie kommen aus allen Richtungen."

"Warum trennen wir uns dann nicht?", meldet sich Rayearth zu Wort. "Ich könnte mit einigen von euch vorausfliegen und die Aufmerksamkeit auf uns lenken - das könnte Raven auch mehr Bewegungsfreiheit geben."

"Eine gute Idee", stimmt Break zu. "Nimm Selena und Rheena mit, wir werden euch in kurzem Abstand folgen."

"Ich begleite die beiden auch", entscheidet Robin. "Ich will Rheena nicht allein gehen lassen und vielleicht kann ich auch eine Hilfe für sie sein."

"In Ordnung, dich werde ich auch noch tragen können." Rayearth verwandelt sich in seine richtige Gestalt. "Kommt, wir fliegen los."

Die beiden Mädchen und der junge Diener steigen auf den Rücken des Phönix-Chain und er erhebt sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft.

"Passt gut auf euch auf." Fae schaut ihnen nach, als sie sich rasch entfernen.

"Machen sie sich keine Sorgen um sie - kümmern sie sich lieber darum, dass wir sicher sind vor den Ranken", fordert Gil sie auf. "Errichten sie einen Schutzschild, das haben sie doch schon einmal getan."

"Gilbert-kun..."

"Nein, Break, das sollte ich wirklich tun - sonst können wir Rheena und den anderen nicht folgen." Fae schließt die Augen und breitet die Arme aus. Ein silbrig-schimmerndes Licht umgibt den großen schwarzen Chain und die Personen auf ihm. Die Ranken prallen einfach daran ab.
 

"Runter und nach rechts!"

Mit einem riskanten Manöver folgt Rayearth der Anweisung seiner Contractor. Rheena, Robin und Selena klammern sich an sein Gefieder, um nicht den Halt zu verlieren.

"Du hast sehr gut reagiert." Selena löst ihre verkrampften Finger. "Vincent weiß ganz offensichtlich schon, dass wir uns aufgeteilt haben - seine Angriffe sind jetzt auch gegen uns gerichtet."

"Ja - ich kann es sehen. Da kommt etwas von unten rechts und von links, wir müssen nach oben ausweichen. Schnell, Ray-chan!"

"Das mache ich sofort." Rayearth geht in einen leichten Steigflug.

"Von vorn kommen auch ganz viele." Robin hatte etwa ein Dutzend rotierende Rankenbündel entdeckt, die frontal auf sie zusteuern.

"Ihr beiden, haltet euch so gut fest, wie ihr könnt." Selena richtet sich auf die Knie auf und streckt beide Hände nach vorn. "Ich hoffe, dass ich diese Ranken abwehren kann - wenn mir das gelungen ist, werden wir Vincent kurz danach endlich erreichen können."

"Verdammte Hexe! Sie wehrt mit ihren verdammten Kräften meine Angriffe ab!" Vincent starrt zornig und mit zusammengebissenen Zähnen zu dem unförmigen rötlichen Fleck, der sich ihm schnell nähert. Bald wird der Umriss von Rayearth immer deutlicher erkennbar - wie ein großer brennender Pfeil saust er heran. "Ich werde wohl nicht mehr verhindern können, dass sie mich erreichen. Außer wenn ich..." In einer letzten Verzweiflungstat schleudert er noch einmal eine Flut von Ranken und verschlungenen Rankenbündeln auf den Phönixchain.

"Das kann nicht gut gehen, ich werde wohl jetzt eingreifen müssen..."
 

"Oha." Rayearth geht in eine Seitenlage, als ihm ein eisiger Wind entgegenweht - doch sein linker Flügel wird von einer dünnen Eisschicht überzogen und steif. "Wir werden angegriffen von einem Chain. Haltet euch gut fest, ich werde versuchen euch sicher auf den Boden herunterzubringen."

"Warte, lass mich dir helfen." Rheena konzentriert ihre Magie auf den halbsteifgefrorenen Flügel, um ihn aufzutauen - doch schon werden sie von einem weiteren Windstoß getroffen.

"Hör auf, das bringt nichts." Selena greift nach ihrem Arm. "Das ist Aramis, sie ist ein ziemlich mächtiger Chain - wir können nur tun, was Rayearth geraten hat."

"Aber..."

"Mir wird nichts passieren - wenn ich euch nicht mehr trage, kann ich mich freier bewegen und den Angriffen ausweichen." Der Phönix-Chain segelt in einer engen Spirale nach unten, bis er kurz über dem Boden ist. "Ihr müsst jetzt springen."

"Gut, kommt." Selena fasst nach den Händen von Rheena und Robin und lässt sich mit den beiden einfach nach vorn fallen.

Als sie sicher auf dem Boden aufkommen, verwandelt sich Rayearth in seine Flammengestalt und steigt rasch wieder auf.

"Pass auf dich auf, Ray-chan." Rheena schaut ihrem Chain besorgt nach.

"Er wird es schaffen", beruhigt Selena sie. "Er ist schnell und sehr geschickt und er kann ja auch seine Gestalt verändern. Und wir müssen uns darauf konzentrieren, Vincent zu erreichen. Das wird nicht einfach - Aramis könnte uns auch hier unten angreifen."

"Dann verlieren wir keine Zeit mehr." Robin wendet sich an Selena. "In welche Richtung müssen wir gehen?"

"Dort." Das braunhaarige Mädchen dreht sich halb herum und zeigt hinter sich. "Es ist sehr wichtig, dass wir zusammenbleiben - allein wird es keiner von uns schaffen."

"Das ist uns bewusst." Rheena schleudert eine Feuerkugel auf ein Rankenbündel, die überall um sie herum aus dem Boden wachsen wie Bäume. "Vincent scheint bereits zu wissen, dass wir uns auf dem Boden befinden."

"Ja, offensichtlich ..."

"Robin! Achtung!"

"Was?" Ein wenig erschrocken dreht sich der junge Pandora-Agent um - und blickt in ein paar tiefgrüne Augen. Ein Panther mit silberweißem Fell war direkt hinter ihm erschienen.

"Aramis." Selena tritt ein paar Schritte vor. "Wieso bist du hier? Du hast dich doch bisher nicht in die Angelegenheiten im Abyss eingemischt."

"Das ist sie?" Rheena betrachtet den weißen Chain aufmerksam. "Eigenartig - ich habe das Gefühl, sie schon einmal..."

"Vorsicht, sie greift an", warnt Selena.

Aramis hatte ihr Maul geöffnet und bläst ihren eisigen Atem heraus. Die aus winzigen Eiskristallen bestehene Wolke hüllt die beiden Frauen und den jungen Agenten ein.

"Uhhhh, brrrr." Die rothaarige Magierin zieht ihren Mantel eng um die Schultern. "Das ist furchtbar kalt - ich werde etwas dagegen unternehmen." Sie erschafft eine flammende Wand, um sich vor dem Eisnebel zu schützen.

"Du kannst aufhören, Aramis ist weg." Selena entspannt ihre Haltung und lässt die Arme sinken. "Ich frage mich..."

"Robin ist weg!" Rheena schaut beunruhigt in alle Richtungen. "Er stand doch direkt neben uns - er kann nicht einfach verschwunden sein."

"Ich fürchte, Aramis hat ihn mitgenommen."

"Was? Wieso? Wir müssen hinterher und ihn zurückholen!" Rheena will losrennen, wird jedoch von Selena am Arm festgehalten.

"Warte, überstürz jetzt nichts. Robin ist sicher nicht in unmittelbarer Gefahr..." Selena stolpert zurück, als sich Rheena mit einem Ruck losreißt.

"Das weißt du nicht! Dieser Chain wird ihn zu Vincent gebracht haben - warum sonst hätte er ihn verschleppen sollen!"

"Ja, du hast womöglich Recht", stimmt Selena zu. "Also gut, gehen wir weiter zu Vincent."
 

Robin stützt sich mit den Händen vom Boden ab, um sich auf die Knie aufzurichten und schaut zu Aramis auf. "Warum hast du mich nicht getötet? Was willst du von mir?"

"Ich habe sie darum gebeten, dich zu mir zu bringen." Eine Gestalt in einem schwarzgrauen Mantel gehüllt, tritt neben den Pantherchain. "Ich wollte, dass du siehst was mit Vincent geschehen ist - er ist am Ende. Der übermäßige Gebrauch seiner Chainfähigkeiten hat ihn in diesen erbarmungswürdigen Zustand gebracht. Schau es dir an, dreh dich um."

"Was?" Verwirrt dreht sich Robin in die andere Richtung - Vincent steht nur ein paar Meter entfernt. Aus seinem ganzen Körper wachsen unzählige Ranken, was ihn kaum noch menschlich aussehen lässt. Seine Augen in dem ausdruckslosen Gesicht blicken glasig und leer.

"Unheimlich - aber warum wolltest du mir das zeigen? Rheena könnte an meiner Stelle wenigstens etwas gegen ihn unternehmen..."

Der Fremde schüttelt den Kopf. "Das denke ich nicht. Aus meiner Sicht scheint es besser zu sein, wenn er von jemandem ausgeschaltet wird, den er nicht hasst. Du bist der Einzige, auf den das zutrifft."

"Ich soll dir glauben, dass du willst, dass ich ihn töte?" Robin richtet sich vollends auf. "Du hast mich entführt, du hast mich von Rheena und Selena getrennt. Und ich weiß nicht einmal, wer du bist."

"Ich weiß, ich kann dein Misstrauen gut verstehen, aber..."

"Du wirst uns deinen Namen nennen." Rheena und Selena hatten sich den Weg durchgekämpft. "Wenn du es nicht tust, werden wir dich auch als unseren Feind betrachten." Sie erschafft einen Feuerball zwischen ihren Händen. "Es ist deine Entscheidung."

"Nein, ich werde nicht gegen euch kämpfen und ihr braucht auch nicht zu wissen, wer ich bin." Der Fremde tritt zurück bis neben Aramis. "Ihr werdet genug mit Vincent zu tun zu haben - und ich verabschiede mich nun. Aramis."

Der Pantherchain bläst noch einmal eine Eiswolke, die sie und den Fremden einhüllt und beide verschwinden lässt.

"Wer ist das gewesen? Kennt ihr ihn, Selena-san?" Robin schaut das braunhaarige Mädchen an. "Er scheint sehr gut Bescheid zu wissen über unsere Situation mit Vincent."

"Nein, ich habe ihn noch nie gesehen", erklärt Selena. "Aber wer er auch ist, er muss euch schon lange aus dem Hintergrund beobachtet haben..."

"Das spielt doch jetzt gar keine Rolle", unterbricht Rheena sie. "Dort drüben ist Vincent in Reichweite, wir können uns endlich um ihn kümmern und dann in unsere Welt zurückkehren."

"Warte." Robin hatte eine Bewegung an seinen Füßen bemerkt. "Seht mal - was hat das zu bedeuten?"

Auf seine Worte blicken die beiden Frauen ebenfalls zu Boden. Von allen Seiten strömen die Ranken auf Vincent zu und bauen sich turmartig um ihn herum auf.

"Was tut er da?"

"Ich glaube, er will sich vor uns schützen." Selena geht ein paar Schritte vor. "Wir müssen jetzt sofort handeln."

"Ich erledige das." Rheena konzentriert ihre Magie und lässt Flammen an dem Kokon hochlodern - doch immer weitere Ranken binden sich in das turmartige Gebilde ein und verstärken ihn zunehmend.

"Es funktioniert nicht." Selena schüttelt den Kopf. "Allein kannst du das nicht schaffen - wir müssen es gemeinsam versuchen."

"In Ordnung."

"Und ich werde die Umgebung im Blick behalten." Robin lädt seine Pistole mit den letzten Patronen aus seinen Taschen. "Ich habe kaum noch Munition - Rheena, würdest du mir deine Armbrust geben und die Pfeile? Ich brauche sie vielleicht."

"Hier." Die rothaarige Magierin reicht ihm die Waffe. "Ich zeige dir, wie man damit umgeht - die Pfeile werden so eingespannt..."

Während die beiden miteinander reden, geht Selena einige Schritte vor. "Mit jedem Augenblick wird der Kokon größer und dicker - selbst mit Rheenas Hilfe könnte es zu schwierig sein. Ich denke, wir brauchen auch noch ..."
 

"Oha." Break spürt, wie sich Raven nach vorn neigt und schneller wird. "Gilbert-kun, was ist los mit deinem Chain?"

"Ich habe keine Ahnung", knurrt Gil. "Er steuert einfach steil auf den Boden hinunter, ohne dass ich es ihm befohlen hätte."

"Kann es sein, dass Selena-san ihn ruft?" Fae hebt den Kopf aus den schwarzen Federn, an denen sie sich festhält. "Sie hat es doch bereits einmal getan."

"Ein kluges Mädchen", lächelt Break. "Wahrscheinlich haben sie Vincent gefunden und wollen uns auf diese Weise zu sich holen."

"Sie hätten auch Rayearth schicken können", murmelt Gil leise. "Warum muss dieses Mädchen meinen Chain kontrollieren?

"Hör auf zu meckern, Gilbert-kun. Wir wollen doch alle so schnell wie möglich den Abyss verlassen, nicht wahr?"

"Ja, ich weiß." Gil wirft dem Weißhaarigen einen finsteren Blick zu. "Es ist unnötig, dass du mir das noch einmal sagst."

"Gilbert-san, schauen sie." Fae streckt einen Arm etwas nach links - Raven war nicht mehr weit entfernt vom Boden und sie hatte den Kokon entdeckt. "Was ist das?"

"Das werden wir gleich erfahren." Gil klammert sich mit beiden Händen in das Gefieder, als sein Chain mit einem letzten Flügelschlag seiner ausgebreiteten Schwingen auf den Boden aufsetzt. "So, jetzt kommt - die anderen sind da vorn."

Während Fae Break hilft aufzustehen, springt der Schwarzhaarige bereits von Raven herunter und geht auf die drei Freunde zu, die einige Meter entfernt stehen.

"Gil Ojii-san", empfängt Selena ihn. "Entschuldige, dass ich deinen Chain zu mir gerufen habe. Aber es gab keine andere Möglichkeit, wie ihr zu uns kommen konntet."

"Keine Sorge, Gilbert-kun wird dir nicht den Kopf abreissen." Auf Fae gestützt, nähert sich Break der kleinen Gruppe. "Ich habe ihm auch schon gesagt, dass es notwendig war..."

"Halt den Mund." Gil seufzt genervt. "Ich will jetzt nur wissen, wo Vincent ist."

"Dort." Rheena dreht sich halb herum und deutet auf den Kokon, der sich wie ein umgekehrter Wirbelsturm immer weiter nach oben schraubt. "Er hat sich darin eingeschlossen. Ich habe bereits versucht, zu ihm durchzubrechen..."

"Wir brauchen eure Hilfe." Selena blickt Fae an. "Wenn du deine Magie mit der von Rheena vereinst und ihr sie gemeinsam mit meiner Macht auf den Kokon richtet, können wir ihn zerstören. Und dann..."

Ein Blitz, der sich durch die Dunkelheit weit über ihnen zieht, lässt das braunhaarige Mädchen verstummen.

"Was war denn das jetzt?" Gil blickt mit gerunzelter Stirn nach oben. "Es kann hier doch keine Gewitter geben."

"Das war es auch nicht." Auf Selenas Gesicht erscheint ein besorgter Ausdruck. "Es ist Vincent."

"Was? Wie meinst du das?"

"Er... will die Öffnung eines Tores in unsere Welt erzwingen - und wenn ihm das gelingt, an die Folgen will ich gar nicht denken."

"Dazu lassen wir es nicht kommen, Selena-chan. Selbstverständlich wird Fae euch helfen." Break drückt die Hand der Frau neben sich. "Geh mit ihnen, ihr müsst ihn dort rausholen - und dann bekommt er, was er verdient."

"Xerx Ojii-san." Selena schließt für einen kurzen Moment die Augen. "Er hat Recht und wir haben nicht mehr viel Zeit. Bitte kommt mit."

Während Selena und die beiden Magierinnen zu dem Rankenwirbel hinübergehen, ziehen weitere Blitze über ihre Köpfe hinweg.
 

"Willst du dich nicht zu uns setzen, Gilbert-kun?" Break und Robin hatten sich auf dem Boden niedergelassen. "Lass uns dieses wunderbare Schauspiel gemeinsam genießen."

"Was nennst du ein Schauspiel?" Gil blickt ärgerlich auf den Weißhaarigen herunter. "Schließlich steckt Vincent in dem ... Ding - und du kannst es ja nicht einmal sehen."

"Rheena und Fae-sama haben eine Säule aus rötlich-silbrigen Flammen erschaffen, um den Wirbelturm herum." Robin schaut fasziniert auf das magische Gebilde. "Es ist wirklich wunderschön."

"Das ist es nicht", entgegnet Gil. "Und überhaupt, nichts deutet auf ein Mitwirken von Selena hin. Sie steht einfach nur neben den beiden Magierinnen."

"Das muss doch nichts bedeuten." Break lehnt sich entspannt zurück an einen Felsbrocken. "Die Macht meines Chain ist auch für niemanden sichtbar - vielleicht ist es bei Selena-chan genauso."

"Wir sollten ihr nicht so vertrauen - sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das wir gekannt haben."

"Natürlich ist sie noch die Gleiche", erwidert Break: "Du bist zu misstrauisch, Gilbert-kun - Selena-chan hat Fae beschützt und ihr, Rheena und Robin geholfen, uns zu finden."

"Und woher sollen wir wissen, dass sie uns nicht nur benutzt, um selbst die Herrscherin des Abyss zu werden?", entgegnet Gil. "Hast du daran vielleicht mal gedacht? Wenn Vincent aus dem Weg ist, hat sie ihr Ziel erreicht."

"Das ist doch völliger Blödsinn..."

"Break, Gilbert-sama", unterbricht Robin den beginnenden Streit. "Schaut, da geschieht etwas - ich glaube, die Magie wirkt und löst den Kokon auf."

"Macht weiter, es funktioniert." Selena tritt an den beiden Magierinnen vorbei. "Lasst eure vereinten Kräfte weiter wirken, ich werde mich euch nun auch anschließen." Scheinbar entschlossen, jedoch mit leicht zitternden Beinen geht sie vorwärts. "Es tut mir wirklich sehr leid - aber ich werde die Macht von Mad Hatter rufen müssen, um die Ranken vernichten zu können. Ich will nur hoffen, dass die Belastung nicht zu stark wird für Xerx Ojii-san."
 

"Was macht sie denn jetzt?" Gil runzelt die Stirn, als er Selena auf den Rankenturm zugehen sieht. "Hat sie den Verstand verloren?"

"Das glaube ich nicht, Gilbert-sama." Robin war aufgestanden und neben den Schwarzhaarigen getreten. "Schaut genau hin, unter ihren Berührungen lösen sich die Ranken auf."

"Wie sollte sie auch sonst an Vincent herankommen?", meldet sich Break. "Er versteckt sich ja immer noch im Inneren.." Seine Stimme wird von einem auf unangenehme Weise bekannten Geräusch unterbrochen. Als Gil und Robin sich umdrehen, sehen sie den Weißhaarigen in veränderter Sitzhaltung - weit nach vorn gebeugt und mit vom heftigen Husten zitternden Schultern.

"Break, was ist los?" Rasch ist Gil neben ihm auf den Knien und stützt ihn mit beiden Händen. "Du hast doch die Macht deines Chain schon eine ganze Weile nicht mehr gebraucht...."

"Selena-san - sie hat auch euren Chain gerufen, Gilbert-sama", erinnert Robin. "Und jetzt benutzt sie die Kraft von Mad Hatter gegen die Ranken."

"Damit soll sie auf der Stelle aufhören! Ich werde sie dazu bringen!"

"Nein..." Break krallt seine Finger in den Stoff von Gil´s Ärmel. "Lass Selena-chan weitermachen - sie muss es tun..."

"Hör auf mit dem Unsinn! Du bist bereits..."

"Ich habe nicht vor, hier zu sterben." Break wird von einem weiteren Hustenanfall geschüttelt. "Und Selena-chan will mich sicher auch nicht töten. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen."

"Wer sagt, dass ich mir Sorgen mache?"

"Gilbert-kun... - Ough." Ein großer Schwall Blut ergießt sich aus dem Mund des Weißhaarigen auf den Boden, dann kippt er langsam zur Seite.

"Break! Du verdammter Trottel!" Gil blickt zu Robin auf. "Bleib bei ihm und pass auf ihn auf - ich werde Selena dazu bringen, dass sie aufhört!"

"Aber Break hat euch doch gebeten..."

"Das ist mir jetzt völlig egal!", unterbricht Gil den jungen Diener. "Sieh dir an,

in welchem Zustand er ist! Auch wenn Selena es nicht beabsichtigt - wenn sie noch mehr von der Kraft seines Chain benutzt, könnte sie ihn umbringen! Ich muss etwas unternehmen!"

"Es tut mir leid, aber das dürft ihr nicht." Robin hebt die Armbrust von Rheena. "Ich habe Vertrauen, dass wir alle lebend in unsere Welt zurückkehren. Und ihr solltet auch daran glauben."

"Halt den Mund und geh mir aus dem Weg!" Gil richtet den Lauf seiner Pistole auf den Diener. "Du bist jung und naiv und zu vertrauensselig - die Selena, die wir hier unten getroffen haben, ist für mich eine Fremde. Sie ist nicht das kleine Mädchen, dass wir kennen!"

"Für mich ist sie die Gleiche", erwidert Robin. "Ein Mensch kann sich nicht so sehr verändern..."

"Achtung! Passt auf!"

"Was?" Irritiert durch den Warnruf, blickt sich Gil um - und reißt erschrocken die Augen auf. "Gütiger Himmel!"

Ringsum geraten die Ranken völlig außer Kontrolle, schlagen wild in alle Richtungen.

"Ray-chan? Warst du das?" Robin hatte die Stimme als die des Phönixchain vermutet, kann ihn jedoch nirgendwo entdecken.

"Bleib nicht so dumm stehen, du Idiot!" Gil packt ihn am Arm, zieht ihn mit einem Ruck zur Seite. "Diese Dinger spielen jetzt völlig verrückt - wir müssen verdammt gut aufpassen!"

"Ihr müsst auch Break beschützen, er kann sich nicht verteidigen oder ausweichen!"

"Das ist nicht Rayearth, die Stimme klingt menschlich. Aber wer kann es sein?"

"Robin! Konzentriere dich, wir haben wirklich wichtigere Probleme!" Gil gibt einige Schüsse auf die Ranken ab, die in seine Richtung schlagen. "Hilf mir gefälligst!"

"Verzeiht, Gilbert-sama." Der junge Diener hebt die Armbrust, die Rheena ihm gegeben hatte. Bevor er jedoch einen Pfeil abschießen kann, wird ihm die Waffe aus der Hand geschlagen. "Nein!"

"Du Trottel! Na los, du musst sie dir wiederholen!"

"Ich weiß." Robin blickt sich hektisch nach der Waffe um, ohne sie jedoch in dem Gewirre der Ranken zu entdecken. "Verdammt, wo ist sie?"

"Vergiss die Armbrust - Breaks Schwert liegt in deiner Reichweite. Nimm es und kämpfe damit." Gil gibt weitere Schüsse ab, bis sein Magazin leer ist. "Ich muss nachladen. Jetzt heb es endlich auf und halte mir einen Moment den Rücken frei."

"Wir müssen aber auch Break beschützen, wie es diese Stimme gesagt hat." Mit dem Schwert vor sich haltend, stellt sich Robin neben Gil. "Füllt schnell euer Magazin auf und dann lasst uns zu ihm laufen."

"Ja ja, schon gut."
 

"Vincent." Selena hatte sich bis zu dem vorgekämpft, was von dem blonden Nightray noch übrig war. Sie schüttelt traurig den Kopf. "Wie konntest du dich nur so sehr von deinem Hass überwältigen lassen? Alles, was dich als Mensch ausgemacht hat, ist verschwunden und du bist jetzt nur noch eine leere Hülle."

Nach einem Moment, während dem sie einige Male tief durchgeatmet hatte, macht sie den letzten Schritt und berührt mit beiden Händen die Ranken, die dicht aneinander aus dem ehemals menschlichen Körper gewachsen waren. "Hier haben alle Ranken ihren Ursprung, die dort draußen wüten. Also muss ich diese Quelle zerstören, um alle zu retten."
 

"Break!" Gil reißt den Weißhaarigen am Arm in die Höhe, als einige der wildpeitschenden Ranken dicht um ihn auf den Boden schlagen. "Wir müssen hier weg! Robin, wir müssen zu den anderen gelangen!"

"Ihr habt Recht!" Der junge Diener macht eine Rollbewegung über den Boden, um selbst einigen Ranken auszuweichen, während er gleichzeitig mit dem Schwert nach ihnen schlägt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Gosick
2016-05-12T07:09:58+00:00 12.05.2016 09:09
Noch kein Kommi? Sünde.
Dabei gibt es so wenige PH FFs allgemein. Hatte noch keine Zeit, mir einen gesamten Ersteindruck zu verschaffen, aber kommt noch.
Werde naher mal ein paar Kapitel verschlingen :)


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