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Er, sie und die anderen

Wenn der Tod um sich greift
von

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Neue Stadt, neues Leben

Er, sie und die anderen
 

Neue Stadt, neues Leben
 


 

Es war später Abend, eher schon Nacht. Sie war noch in der Stadt gewesen, weil ihre Mutter gemeint hatte, sie solle sich mal umsehen. Und sie hatte geantwortet: „Wieso? War doch nicht meine Idee hier her zu ziehen.“ Denn sie hatte wirklich nicht her gewollt, weg aus ihrer alten Stadt, ihrer Schule, weg von ihren Freunden und ihrem zu Hause. In diese neue Stadt, wo sie nichts und niemanden kannte.

Dennoch hatten ihre Eltern sie mitgeschleppt, wie ein Möbelstück, das man nicht zurücklassen wollte. „Scheiße, Mann!“, fluchte sie vor sich hin. Wieso auch leise sein? In dem U-Bahn-Wagon in dem sie sich befand, waren außer ihr sowieso nur drei Leute. Ein älterer Mann ganz vorne, der die Zeitung durchblätterte und zwei hinten. Zwei Männer, geschätzt auf Anfang zwanzig, die sich angeregt unterhielten.

Sie lehnte die Stirn an die kühle Fensterscheibe. Draußen konnte sie kaum etwas erkennen, es war zu dunkel. Dafür spiegelte sich ihr Abbild auf dem Glas.

Sie hatte sich vor ihrer Abreise die Haare etwa kinnlang geschnitten und blau gefärbt. Als Protest gegen den Umzug. Es hatte nichts bewirkt. Natürlich nicht, ihre Mutter hatte nur gegrinst und behauptet es würde ihr stehen.

Sie seufzte und ihr Atem beschlug das Glas. In dieser Stadt war Farbe wohl eh eine Mode. Auf ihrer Besichtigungstour, wie sie es spöttisch nannte, hatte sie grüne, pinke und etliche blaue Haarschöpfe gesehen. „Kranke Stadt“, flüsterte sie.

Die Bahn hielt und es stiegen weitere Leute dazu. Eine Gruppe lauter Mädchen, die kicherten und lachten und sich schräg vor ihr in einem Sitzabteil niederließen. Zwei von ihnen hatten blaue Haare. Außerdem bemerkte sie wie ein paar Männer mit Aktenkoffern es sich hinten bequem machten. Zuletzt musterte sie den Jungen, der sich in das Sitzabteil hinter der Mädchengruppe, also das neben ihrem eigenen, gesetzt hatte. Er war in ihrem Alter oder etwas älter.

Rote Haare, verschlafener Blick. War wohl schon lange auf den Beinen.

Sie wandte den Blick wieder ab und spielte mit ihrem Handy herum, ohne wirklich was zu tun. Welche Station musste sie noch mal aussteigen?

Sie seufzte erneut, als sie die SMS bemerkte, die ihre Mutter vor gut zwei Stunden geschickt hatte.
 

»Wo bist du? Hast du Spaß?

Komm bitte vor 10 nach Hause!«
 

Sie schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es halb elf war. „Pech gehabt, Mum“, grinste sie. Fuck, ich muss aufhören mit mir selbst zu reden!
 

»Sitze gerade in der Bahn.

Welche Station muss ich aussteigen?«
 

Sicherheitshalber fragte sie mal nach. Schaden konnte es nicht und dann hatte sie eine Ausrede, warum sie zu spät war: verlaufen, beziehungsweise verfahren.
 

»Koborudo no basho.

Ich geh schlafen.

Du kannst dir Essen in der

Mikrowelle warm machen.«
 

Koborudo no basho. Kobold Platz. „Dämlicher Stationsname”, murmelte sie vor sich hin.

Sie schob das Handy in die Hosentasche und schaute aus dem Fenster, obwohl immer noch nur die Spiegelungen zu sehen waren.

Den Rothaarigen im Nebenabteil konnte sie gut erkennen. Ob seine Haare auch gefärbt waren? Gerade sank ihm sein Kopf auf die Brust.

Ein schmales Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Der Junge musste wirklich müde sein.

Schließlich lehnte auch sie sich zurück und schloss die Augen, um nachzudenken. In einer Woche musste sie auf die neue Schule. Dann waren die Herbstferien um.

Sie musste mitten im Schuljahr wechseln, nur weil ihr Dad diesen neuen Job angenommen hatte. Hätte sie nicht doch alleine zu Hause bleiben können? Immerhin war sie schon sechzehn! Okay, nicht alt genug.

Eine helle Stimme sagte die nächste Station an: „Koborudo no basho.

Das Mädchen öffnete die Augen und stand schwankend auf. „Zeit zum Aussteigen“, gähnte sie. Wieder schweifte ihr Blick zu dem Jungen. Er schlief immer noch. Ob er an seiner Station vorbeifahren würde? Sollte sie ihn wecken?

Vorsichtig lehnte sie sich zu ihm und rüttelte ihn einmal kurz an der Schulter. Das genügte, denn schon fuhr er erschrocken hoch und sah sie schlaftrunken an. „Tschuldige, aber ich dachte, du könntest sonst deine Haltestelle verpassen.“ Sie lächelte ihm flüchtig zu und spazierte dann aus den sich gerade öffnenden Bahntüren.
 

Am nächsten Morgen schmiss ihre Mutter sie um neun Uhr früh aus der Hängematte. „Morgen, Schatz. Zeit zum Aufstehen!“ Und schon fand sie sich am Boden wieder. „Mum…“, brummte sie nur genervt.

„Los, Maya, wir wollten shoppen gehen!“

„Nur du, ich nicht.“

„Steh schon auf, sonst muss ich dir Hausarrest geben!“, ihre Mutter lachte, doch Maya drehte sich einfach auf die andere Seite. „Macht nichts, ich will sowieso nichts von der Stadt sehen.“

„Jetzt komm schon!“, ihre Mutter ließ sich neben ihr nieder. „Ich mach dir auch einen Kakao, wenn du dich jetzt anziehst und fertig machst.“

„Bestechung.“

„Mit Sahne?“

„Na gut“, sie stemmte sich hoch, während ihre Mutter quasi aus dem Zimmer hüpfte.

„Ewiges Energiebündel!“, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. Sie und ihre Mum – Reiko – waren sich absolut gar nicht ähnlich! Nicht ein bisschen! Zumindest vom Charakter. Vom Aussehen her hatte sie ihre braunen Augen geerbt, allerdings zusammen mit der Sehschwäche ihres Vaters. Dann besaß sie noch Reikos blasse Hautfarbe. Wobei es ihrer Mutter viel besser stand, sie wirkte dadurch irgendwie edel. Sie selbst wirkte dadurch nur immer etwas kränklich.

Inzwischen hatte sie sich eine dunkle Jeans angezogen und ein weißes Top, darüber eine schwarze Jacke. Müde tapste sie ins Badezimmer, das an ihr Schlafzimmer angrenzte und sozusagen ihr gehörte.

Sie spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und kämmte sich das Haar. Dann drückte sie zu viel Zahnpasta auf ihre Zahnbürste und schrubbte sich die Zähne.

Anschließend tupfte sie noch mit etwas Abdeckstift über einige Stellen im Gesicht, die es nötig hatten. „Fertig.“

Sie schlenderte in die Küche und wurde direkt von ihrer Mutter angegrinst. „Perfektes Timing! Hier“, sie drückte ihr eine Tasse in die Hand. Zögernd nippte sie an der braunen Flüssigkeit und verbrannte sich prompt die Zunge. „Au.“

„Hast du was gesagt?“, wollte ihre Mutter wissen, die gerade ein Brot schmierte.

„Nein.“

„Gut, trink aus und hier hast du noch ein Brot, aber das kannst du im Auto essen.“ Sie wuselte aus der Küche, um ihre Handtasche zu packen. Ihre Mutter hatte die Angewohnheit ständig die Autoschlüssel zu verlegen, also konnte Maya sich in Ruhe an den Tisch setzten und das Brot essen.

Als sie fertig war und noch einmal ausgiebig gegähnt hatte, steckte ihre Mutter den Kopf in die Küche. „Hast du die Schlüssel gesehen?“

Maya hob das Schlüsselbund, das vor ihr auf dem Tisch lag, auf und klimperte damit.

„Du hättest ruhig was sagen können“, merkte Reiko an und schnappte sich die Schlüssel aus der Hand ihrer Tochter. „Ja, hätte ich.“ – „Kommst du jetzt?“

Sie nickte und stand auf. Weigern würde eh nichts bringen.
 

Ihre Mutter zog sie gerade in den gefühlt zwanzigsten Laden. „Guck mal, dahinten die Oberteile!“ Schon wieder war sie hin und weg und Maya schleppte schon drei schwere Einkaufstüten. „Können wir…“, doch als sie aufsah, stand ihre Mutter nicht mehr neben ihr, sondern stöberte durch die Regale.

Sie atmete einmal tief ein und aus. „Jetzt nur nicht aufregen.“

Sie entdeckte eine kleine Bank neben den Umkleiden und schleppte sich und die Tüten hinüber. Etwas müde rieb sie sich die Augen, dann sah sie sich um. In ihrer Nähe stand ein großes Mädchen, mit langen blonden Haaren, mit dem Rücken zu ihr. Sie hielt zwei Oberteile hoch. Eins in rot und eins in grün und schien sich nicht entscheiden zu können.

„Das Rote“, beriet Maya ungefragt. Erstaunt drehte sich das Mädchen um und Maya musste feststellen, dass sie ein er war. Scheiße…

„Meinst du?“

„Ja, passt besser zu deinen Haaren.“ Sie grinste verlegen und er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Alles klar, dann nehme ich das Rote, hm!“ Er hängte das Grüne zurück. „Ich bin übrigens Deidara und du?“, er hielt ihr eine Hand entgegen.

„Amaya, für Freunde Maya“, antwortete sie und schüttelte ihm die Hand. „Freut mich, Maya, hm!“ Er ließ sich neben ihr nieder und deutete auf die Tüten vor ihr. „Deins?“ – „Von meiner Mutter. Sie hat mich gezwungen mit ihr shoppen zu gehen.“

Deidara lachte. „Na, wenn du so eine gute Beraterin bist, hm. Darf ich mich revanchieren und dich ebenfalls beraten?“, fragte er lächelnd.

„Ähm, wenn’s sein muss?“

Er lachte und stand auf. „Ich such dir was aus, hm!“, schon streifte er zwischen den Auslagen umher und besah sich das ein oder andere Teil. Schmunzelnd beobachtete Maya ihn, bis er schließlich wiederkam und ihr ein braunes Sweatshirt hinhielt. „Das würde deine Augen betonen, hm“, meinte er grinsend.

Sie zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Wenn du es sagst.“

„Los, probier es mal an!“, drängte er sie immer noch grinsend. „Aber nimm die Tüten mit in die Umkleide, ich will meins auch anprobieren.“ Er wedelte mit dem roten Shirt und verschwand in der Umkleide.

Sie kicherte leise. „Der würde sich ausgezeichnet mit Mum verstehen.“ Dann bezog sie selbst Stellung in einer Kabine.

Das Sweatshirt stand ihr wirklich nicht schlecht. Es war nicht zu dunkel und machte sie nicht zu blass, außerdem saß es etwas locker, was ihr gut gefiel und es bequemer machte.

„Maya? Hast du es an, hm?“ – „Ja, hab ich.“ – „Und?“

Sie zog den Vorhang zurück und grinste Deidara an. „Ich nehme es!“

Er lächelte. „Steht dir super. Hab ich gut ausgesucht, hm“, lobte er sich selbst.

„Ausgezeichnet“, meinte sie trocken, lächelte dann aber. „Du siehst auch gut aus!“ Das rote Shirt betonte seinen schlanken Körper und passte gut in die Komposition mit den hellen Haaren und den blauen Augen. „Ich weiß.“

„Maya?“, fragend sah sich die Blauhaarige um und entdeckte ihre Mutter mit einem Stapel Klamotten auf sich zukommen. „Das sieht großartig aus, Schatz, das nehmen wir!“, beschloss sie begeistert und hätte es auch gekauft, wenn Maya es nicht hätte haben wollen.

„Ist gut, Mum.“ Sie warf einen Blick zu dem blonden Jungen. „Das ist Deidara. Deidara, das ist meine Mum“, stellte sie die beiden vor.

Ihre Mutter lächelte. „Du kannst mich Reiko nennen“, erlaubte sie freundlich.

„Vielen Dank, hm! Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Hm.“

„Ist der Sprachfehler mit Absicht?“, wollte Reiko auch gleich wissen, wofür Maya sie gerne angesprungen und erwürgt hätte. „Mum!“

„Schon gut“, Deidara lachte. „Ja, der ist mit Absicht.“ Verwirrt sah das Mädchen ihn an. „Wieso…“ – „Passt gut zu dir!“, unterbrach sie ihre Mutter. „So, entschuldigt mich kurz, ich will das alles noch anprobieren, bevor der Laden schließt. Tauscht doch Handynummern, dann kannst du uns auch mal besuchen kommen, Deidara!“ Und schon war sie in einer Umkleide verschwunden und Maya stand verlegen neben dem Blonden.

„Entschuldige, sie ist immer so…“ – „Deine Mutter ist echt cool!“, schmunzelte er. Sie seufzte. „Ja und anstrengend. Gib mir mal dein Handy.“

Schließlich hatten sie Handynummern getauscht und sich wieder umgezogen. Deidara war kurz zur leeren Kasse gesprintet und hatte schon mal bezahlt. Ihre Mutter kam hin und wieder aus der Umkleide und präsentierte verschiedene Outfits. Eins besser als das andere.

Dann musste Deidara los, weil er noch verabredet war, versprach aber bald mal anzurufen und verabschiedete sich von ihnen. „Bis bald!“, rief er im Hinausgehen noch. Sie winkten.

„Also Maya, welches soll ich nehmen?“

„Alle?“ Darauf würde es sowieso hinauslaufen.

Was für eine beschissene Schule!

Was für eine beschissene Schule!
 


 

Am übernächsten Morgen kam die erste SMS.
 

»Hey, hier Deidara.

Hast du Lust dich mit mir

im Metro zu treffen?«
 

»Wenn du mir sagst,

wo das ist, gerne.«
 

»Du kennst das Metro nicht?

Das coolste und beliebteste

Café überhaupt?!«
 

»Ich bin doch erst vor

einer Woche hergezogen!«
 

»Echt? Wusste ich gar nicht!

Und gefällt es dir hier?«
 

Sie seufzte.
 

»Wo ist das Metro?«
 

»Wo wohnst du?

Ich hol dich ab!«
 

Wieder seufzte sie und schickte ihm eine SMS mit Straßennamen, Hausnummer und kleiner Wegbeschreibung von der U-Bahn aus.
 

»Bin in einer Stunde da!«
 

Sie überlegte, was sie die Stunde machen sollte und beschloss, dass es sinnvoll wäre zu frühstücken.

Ihre Mutter schlief noch, da sie gestern zusammen bis spät in die Nacht Horrorfilme geguckt hatten und ihr Vater war schon arbeiten. Sie selbst war normalerweise auch nicht so früh auf – um elf Uhr. Aber nachdem sie so unruhig geschlafen hatte, dass sie von selbst aus der Hängematte gekugelt war, wollte sie nicht weiter schlafen. „Scheiß Horrorfilme.“
 

„Hey, hübsches Sweatshirt!“, begrüßte Deidara sie. Maya grinste, denn sie trug tatsächlich das, was er ihr ausgesucht hatte. „Ich weiß. Schön dich zu sehen. Willst du noch reinkommen?“ „Wenn du nichts mehr erledigen musst, könnten wir gleich los. Ich hab mir überlegt, dich ein wenig rumzuführen und dir die wichtigsten Plätze der Stadt zu zeigen. Da du ja neu bist und so!“ „Du hast das hm vergessen.“ „Was?“, er sah sie verwirrt an. „Dein Sprachfehler.“ „Oh… Stimmt, hm!“ Sie grinste.
 

„Wohin gehen wir zuerst?“, wollte Maya wissen, als sie mit Deidara Seite an Seite durch die Straßen lief.

„Stadtpark. Treffpunkt für Grillpartys und generell Partys und gut zum Abhängen, hm.“

Tatsächlich machten sie einen ausgiebigen Zweistundenspaziergang durch den zugegeben riesigen Park.

Maya fand das ein oder andere schöne Plätzchen, aber besonders der See hatte es ihr angetan. Nicht dass es davon nur einen gab. Nein, es gab zwei, je an der Nord- und Südseite des Parks. Zusätzlich war irgendwo mittig, etwas versteckt, ein kleiner Teich zu finden. Aber Maya gefiel der Nordsee am besten, dort war es ruhiger und man wurde nicht von kleinen Kindern angerempelt, während man den Enten vortäuschte, Brot zu haben und dann doch nur kleine Steinchen warf.

Außer dem Stadtpark führte Deidara sie noch zu den verschiedensten Plätzen. Ein turmartiges Gebilde zum Stadtüberblicken, was wegen Mayas Höhenangst vorerst nur von unten zu bewundern war. Eine Spielhalle. Die beliebtesten Fast-Food-Läden. Sowie eine Disco – wo angeblich fast jeden Abend eine fette Party stieg.

Der Minutenzeiger auf Mayas Uhr näherte sich gerade wieder der Zwölf, während der Stundenzeiger unbeweglich auf der Fünf weilte, da klingelte das Handy des Blonden.

„Hallo, Deidara hier, hm. Was gibt’s?“

Maya musterte ihn. Sein Gesichtsausdruck wechselte schnell von überrascht zu besorgt. „Krankenhaus? Wieso bist du im Krankenhaus, hm?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. Das klang übel.

„Und wieso… Ach so, hm. Ja. Ist gut, hm.“ Jetzt schwankte sein Gemütszustand anscheinend zwischen Besorgtheit und Genervtheit.

Fragend sah Maya ihn an, als er aufgelegt hatte. „Tut mir Leid, Maya“, meinte er entschuldigend. „Aber ein Freund von mir hatte eine Art Unfall und ich soll ihn im Krankenhaus abholen, hm.“

Sie blinzelte. „Schon okay, aber es ist doch nichts Schlimmes, oder?“

Jetzt grinste Deidara wieder. „Quatsch, hm. Sagen wir, derjenige ist ein Handwerker und hat sich eins seiner Werkzeuge durch die Hand gerammt, hm.“

„Oh… nett.“

„Ist es in Ordnung, wenn…“ – „Ja, ja, ich find schon alleine nach Hause!“, sie lächelte ihn an. „Grüß deinen Freund von mir und wünsch ihm gute Besserung – auch wenn er mich nicht kennt.“

„Werde ich machen!“, lachte er. „Also ich ruf dich heute Abend noch mal an, um sicherzugehen, dass du wirklich zu Hause angekommen bist, hm!“

„Okay“, sie winkte ihm hinterher, als er in östliche Richtung davon lief.
 

Maya war nur knapp zehn Minuten durch die Straßen geirrt, als sie die nächste sonderbare Begegnung hatte. Und diese trug sich wie folgend zu.
 

Sie lief gerade auf dem Bürgersteig neben einer viel befahrenen Straße entlang, rechts von ihr reihten sich Geschäfte, Boutiquen und Cafés aneinander. Sie blieb vor einem Schaufenster stehen und betrachtete die Schaufensterpuppen, die mit mehr oder minder grauenhaften Kleidern bestückt worden waren. „Die Armen“, murmelte sie unbewusst, da taumelte auf einmal ein Mädchen aus der Seitenstraße neben dem Schaufenster.

Sie hatte lange, dunkle, bläuliche Haare und sehr helle Augen. Maya schätzte sie auf ungefähr fünfzehn oder sechzehn Jahre. Sie war ungewöhnlich blass und atmete schwer, als wäre sie gerade quer durch die ganze Stadt gerannt. Und diese Stadt war groß. Zu groß für Mayas Geschmack.

Erst war sie unsicher, ob sie etwas zu dem Mädchen sagen oder ihr Hilfe anbieten sollte. Schließlich wusste sie nichts über sie und wer sagte, dass etwas nicht stimmte? Vielleicht war sie nur in Eile.

Als die andere aber auf die Knie ging und es aussah, als würde sie gleich zusammenbrechen, hockte Amaya neben ihr, ehe sie wusste was sie tat.

„Hey, alles okay mit dir?“, fragte sie hektisch.

Das andere Mädchen antwortete nicht direkt. Sie atmete immer noch schwer und nickte nur vage, schüttelte dann aber den Kopf.

„Ah… ähm, komm mit!“, sie wollte dem Mädchen aufhelfen, was dieses auch zuließ. „Gehen wir in ein Café, da kannst du dich ausruhen.“

Maya stützte sie und die Kellnerin des Cafés musterte sie besorgt, als sie eintraten. „Kann ich euch helfen?“

„Ja, für sie bitte ein Wasser“, orderte Maya und bugsierte das blasse Mädchen nun an einen Tisch nahe der Tür. „Setz dich erstmal“, schlug sie etwas unsicher vor.

Die Helläugige nickte und ließ sich nieder. Ihr Atem ging schon regelmäßiger, sie wirkte jedoch immer noch leicht verstört.

„Ich bin Maya und du?“

„Hinata“, antwortete sie leise.

Maya nickte, da kam auch schon das bestellte Wasser.
 

Als sich Hinata soweit erholt hatte und ihre anfängliche Scheu auch überwunden hatte - was zugegeben lange gedauert hatte, aber Maya war ja zum Glück ein geduldiger Mensch, außerdem hatte sie Hinata schließlich geholfen - erzählte sie ihr, was vorgefallen war.

„Ich hab ein paar Jungs aus meiner Schule gesehen. Und ein paar Fremde. An einer abgelegenen Straße. Der eine hat dem andern was gegeben und ich glaube…“, sie verstummte und sah sich unbehaglich um. Maya legte den Kopf schief.

„I-Ich glaube, das war… illegal“, schloss Hinata mit gesenktem Blick.

„Wie kommst du darauf?“, hakte Maya verwundert nach.

„Es gehen Gerüchte in der Schule um.“

„Oh“, ihr schwebte da ein Gedanke im Kopf rum. Eigentlich war es ziemlich abwegig, aber da sie die lästige Fähigkeit hatte, Unglück nur so anzuziehen und fragen ja nichts kostete... „Auf welche Schule gehst du, Hinata?“

„Sarutobi Kasai High.“ Sie sah zum ersten Mal auf. Ihr Blick kreuzte Mayas. „Was ist, Maya-san?“

„Na, erstens heißt es Maya-chan und zweitens geh ich ab nächster Woche auf dieselbe Schule.“ Geiler Schulstart.

„Was?“, Hinata sah fast erschrocken aus, was Maya ein Lächeln entlockte.

„Ja, ich bin neu hergezogen und werde auf diese Schule gehen.“ Ich wollte nicht her und jetzt darf ich mich also auch noch mit illegalem Zeugs rumschlagen? Was für eine beschissene Schule hat Mum da ausgesucht?!

„Oh“, mehr sagte das Mädchen darauf nicht. Sie betrachtete lieber die Maserung des Tisches. Auch Maya hing ihren Gedanken nach.

Wenn Hinata sagte, die Jungs von der Schule wären in etwas Illegales verstrickt, hätte das Auswirkungen auf Maya? Sicher nicht.

Oder?

Sie musste ja nichts mit denen zu tun haben und wenn sie sich nicht einmischte, würden die sie wohl in Ruhe lassen. Das würde schon klappen.

Oder?

„Maya-chan?“

„Ja?“

„Ich sollte nach Hause gehen. Es ist schon spät.“

Tatsächlich stellte Maya mit einem Blick auf die Uhr fest, dass es bereits nach acht Uhr war. Sie sah auf, als Hinata in ihren Taschen kramte. „Was suchst du?“

Das Mädchen errötete. „Das Geld für…“ – „Nein, vergiss es. Das bezahl ich. Ab nach Hause mit dir!“, grinste sie.

„A-Aber“, wollte Hinata widersprechen, doch Maya unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. „Geh nach Hause. Ich schätze, wir sehen uns dann in der Schule.“

„Danke, Maya-chan“, das Mädchen neigte respektvoll den Kopf, ehe sie aus dem Café verschwand.

Etwas erstaunt sah Maya ihr hinterher. „Das war ja fast wie eine Verbeugung“, nuschelte sie. Das war ihr noch nie passiert. Noch nie in ihrem ganzen Leben.

„Seltsames Mädchen.“
 

„Viel Spaß, Schatz!“, wünschte Reiko ihrer Tochter, als sie mit dem Auto vor dem Schultor hielten. Heute war Montag und Mayas erster Schultag.

„Hm.“ Maya wollte schon jetzt wieder nach Hause, löste aber widerstrebend den Anschnallgurt. „Wird sicher lustig“, kommentierte sie ironisch.

„Bestimmt“, bestätigte die gut gelaunte Frau neben ihr und überhörte all die so präzise eingesetzte Ironie.

Maya seufzte. „Bis heute Abend.“ Sie ließ sich noch einen Kuss auf die Wange drücken und stieg dann aus dem Auto.

Langsam schritt sie über den Schulhof. Um sie herum unterhielten sich Schüler und Schülerinnen, Maya konnte nicht verstehen worüber, dafür waren es zu viele Gespräche auf einmal. Sie spürte aber wie ihr einige Blicke folgten und das veranlasste sie unwillkürlich schneller zu gehen.

Ein kühler Luftzug fuhr ihr entgegen, als sie die Stufen zum Eingang erklomm. Wie ein Vorzeichen.

„So. Wo geht’s jetzt zum Sekretariat?“

„Treppe hoch. Zweiter Stock, dritte Tür links“, antwortete ein ebenfalls blauhaariges Mädchen, das in diesem Augenblick an ihr vorbei ging.

Perplex sah Maya ihr nach, wie sie den Gang weiter entlang lief und hin und wieder von andern Schülern gegrüßt wurde. „Danke“, sagte sie ungehört und folgte dann der Wegbeschreibung.

„Äh, guten Morgen. Ich bin…“ – „Ach, du bist sicher die Neue!“, riet die Sekretärin dazwischen. „Wie war das noch? Ayaka Hiroshi?“

„Amaya Hitoshi“, korrigierte sie nüchtern.

„Oh, entschuldige“, jetzt wirkte die Frau etwas verlegen. „Ich such dir gleich deinen Stundenplan raus. Einen Moment, bitte.“

Maya nickte und beobachtete die Frau, wie sie schnell auf der Tastatur ihres Computers rumklapperte. Sie hatte dunkle, schulterlange Haare und eine zierliche Statur. Dann erblickte Maya ein Namensschild. „Shizune…“

„Ja?“, die Dunkelhaarige sah auf.

„Ä-Äh. Nichts, nichts!“, sie winkte ab. Gewöhn dir endlich ab, alles laut zu sagen!

„Wie du meinst. Hier ist dein Stundenplan“, sie überreichte ihr einen ausgedruckten Zettel, „und als erstes hast du heute Biologie. Das ist ganz oben, hier im Gebäude. Findet man ganz leicht“, Shizune lächelte die Blauhaarige ermutigend an.

Maya nickte erneut und bedankte sich, bevor sie sich auf den Weg nach oben machte. Natürlich hatte es schon geklingelt.

Und natürlich hatte das beschissene Gebäude fünf Stockwerke.

„Fuck“, brummte Maya, etwas außer Atem, als sie oben angekommen war. „Das kann ja was werden.“

Sie klopfte an eine Tür hinter der sie den Biologieraum vermutete und trat ein.



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