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Anders

Shibumi X Megumi
von

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Teil I - Ein Jahr

Es würde schlimm werden, dieses Jahr, schlimmer als sonst.

Megumi seufzte. Sie war alles andere als damit zufrieden, über die Position, die sie dieses Jahr ehrenhalber innehielt.

Es war der späte Vormittag des 24. Dezembers 2010 und sie stand im vollkommen überfüllten Shibuya, wo sie, viel zu früh, einkaufen gewesen war, wie sie es traditionell für sich eigentlich jedes Jahr um diese Zeit tat. So hatte sie eine neue Bluse, ein Kleid, für das sie zu tragen wahrscheinlich für längere Zeit keine Gelegenheit finden würde, und ein paar neuer Schuhe für einen recht geringen Preis ergattert.

Doch damit war es auch schon mit ihrer weihnachtlichen Unterhaltung für dieses Jahr vorbei, denn nur halb freiwillig war ihr dieses Jahr die Ehre zu teil geworden, die Spätschicht in Hypnos zu übernehmen, die um 16 Uhr beginnen würde. Nicht nur, dass sie also an Weihnachten, anstatt mit Freunden ein wenig etwas trinken zu gehen, sich in der Zentrale der ehemaligen Netzüberwachung zu Tode langweilen würde, nein, sie würde dies auch in Gesellschaft von Segawa Kenichi, einem ihrer zu jungen, zu frechen und weit zu unverschämten jüngeren Mitarbeiter, und Itsuka Yogiru, welcher wiederum alt und irgendwie langweilig war, tun.

Aber gut, selbst ohne dieses Unglück, war dies mit Abstand das deprimierendste Weihnachten ihres Lebens und die Tage bis zum neuen Jahr versprachen nicht viel aufheiternder zu werden.

Dies lag zu einem daran, dass sie dieses Jahr keinen Freund hatte, mit dem sie Zeit verbringen konnte, auch ihre besten Freunde hatten keine Zeit für sie, was letzten Endes daran lag, dass diese ohne Ausnahme mittlerweile verheiratet waren und mindestens ein Kind hatten...

Was sie wiederum an einen weiteren Grund erinnerte deprimiert zu sein: Sie wurde alt.

Natürlich eine Feststellung um die Reika, die immerhin fünf Jahre älter war, sie regelmäßig auslachte, aber Reika war immerhin bereits verheiratet. Was machte es für sie für einen Unterschied?

Megumi hingegen war mittlerweile 32, würde in nur wenigen Monaten 33 werden, war weder verheiratet, noch geschieden, noch war sie im Moment in einer Beziehung oder wäre dies innerhalb der letzten zehn Monate gewesen.

Jedes Jahr wurde sie sich der ersten und zweiten genannten Tatsache bewusst, doch die dritte war relativ neu. Nun, wie man es betrachtete. Zumindest hatte sie bisher um diese Zeit immer einen Freund gehabt. Selbst wenn dieser jedes Jahr einen anderen Namen gehabt hatte.

Und irgendwie, ja, irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie irgendwas falsch machte.

Seufzend bemerkte sie, dass die Ampel an der sie gewartet hatte, schon lange grün war und folgte schnell dem Strom der Menschenmassen über die Kreuzung, froh weiter hinten gestanden zu haben.

Auf der anderen Straßenseite lief sie weiter mit dem Strom, der sie in Richtung der Hauptstation Shibuyas trieb.

Sie widerstand dem Drang ebenfalls das Sunshine aufzusuchen und machte sich stattdessen auf den Weg zur Bahnstation selbst, erneut ihren nicht allzu freudigen Gedanken nachhängend.

„Ach, Megumi“, murmelte sie, als sie in Gedanken versunken fast über ihre eigenen Füße stolperte. „Jetzt werd' nicht auch noch depressiv.“ Sie blieb stehen, um den umgeknickten Fuß kurz zu entlasten, wobei sich ihr Blick in ihrer blassen Spiegelung in einem der Schaufenster fing. Sie zupfte an ihren kurzen Haaren. „Alt, grimmig und depressiv. Kein wunder, dass dich keiner haben will“, schalt sie sich selbst, ehe sie weiterging.

Es war fast halb zwölf. Es blieben ihr also noch etwas mehr als viereinhalb Stunden, um nach Hause zu fahren, ihre neue Kleidung in ihrer Wohnung zu lagern und von dort aus zur Metropolitan Government Building zu fahren, wo sie die folgenden Stunden, bis sie in der Nacht – hoffentlich – abgelöst wurde verbringen würde.

„Juhu“, grummelte sie voller Sarkasmus bei dem Gedanken.

Dabei war sie normal eigentlich nicht sarkastisch.

Alt, grimmig, depressiv und sarkastisch. Das wurde ja immer besser.
 

Einige Stunden später, es war fast sechs, hatte sich Megumis Laune nicht im geringsten verbessert.

Sie war hungrig, weil sie feststellen hatte müssen, dass sie wenig zu Essen zu hause hatte und noch zu einem Supermarkt gemusst hätte, worauf sie wiederum keine Lust gehabt hatte. Des Weiteren war ihr Kenichi schon ausgiebig auf den Nerv gegangen und der Gedanke daran, dass ihre Schicht für weitere sieben Stunden – mindestens – so weiter gehen würde, half auch nichts.

Zumal ihre Aufgabe, anspruchsvoller Weise, daraus bestand die Bildschirme und das Telefon im Auge zu behalten.

Dabei konnten sie ohnehin nichts machen, sollte etwas passieren.

Immerhin war die Frage mittlerweile nicht mehr, ob ein Digimon sich in der realen Welt materialisierte, sondern was es dort machte. Allein in Tokyo lebten im Moment etwas mehr als tausend Digimon, von denen nur etwa fünfzig oder sechzig einen Partner hatten.

Und sollte sich eins der anderen 940 Digimon überlegen, dass es lustig wäre, ein Haus in die Luft zu jagen, blieb ihnen hier nichts übrig, außer einen der Tamer anzurufen, denn was sollten sie sonst machen, außer das Gebiet evakuieren zu lassen?

Seit die Grenze zwischen den Welten mehr oder weniger nicht mehr existierte, hatten sie einige dieser Fälle gehabt und sie hatten nicht mehr tun können, als sich auf Ryou, Ruki, Takato und die anderen zu verlassen.

Es war wirklich, wirklich sinnlos.

So hatte sie, das Kinn auf die Hände gelegt und die Bildschirme müde anstarrend genug Zeit, über ihr eigenes Elend zu sinnieren.

„Du siehst müde aus, Megumi-san“, hörte sie die Stimme Kenichis hinter sich. „Soll ich dir einen Kaffee holen?“

„Nein, danke“, grollte sie.

„Ich hab ja nur gefragt“, meinte der junge Mann, verdrehte die Augen und entfernte sich wieder von ihr.

Megumi seufzte.

Sie begriff wirklich nicht ganz, was sie falsch machte.

Reika, die vielleicht eine bessere Figur hatte als sie, aber dafür sich immer durchsetzen musste und einem stundenlang ins Gewissen reden konnte, war schon lange verheiratet.. Sicher, auf einen Griesgram wie Yamaki konnte Megumi verzichten, aber letzten Endes ging es ums Prinzip.

Selbst Ruki mit ihren zynischen Charakter und ihrer wenig weiblichen Figur hatte Ryou, der so ziemlich alles für sie tun würde.

Es war einfach nicht fair.

Sie seufzte. Vielleicht sollte sie sich auf Blinddates oder Gruppendates einlassen. Auch wenn sie sich dafür eigentlich zu alt fühlte. Es gab viele Frauen in ihrem Alter und älter, die dergleichen machten.

Vielleicht...

Sie streckte sich.

Ach, vielleicht sollte sie sich erst einmal darum kümmern, dass ihre Laune sich besserte.

Nach kurzem Überlegen stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Damentoilette, wo sie ein paar Minuten später vorm Spiegel stand und sich ihre gefärbten Haare zurecht zupfte.

Vielleicht sollte sie es auch einfach aufgeben. Sie hatte einmal gelesen, dass Männer sich bedrängt fühlten, wenn sie merkten, dass eine Frau unbedingt eine ernste Beziehung wollte und was dies anging schon ziemlich verzweifelt waren. Außerdem zog es Männer wie Kenichi an, die einfach nur ein wenig Spaß haben wollten.

Es war wirklich trübsinnig.

Einmal mehr seufzend verließ sie die Damentoilette und ging zur Kaffeemaschine auf dem Flur der Etage. Nach mehrfachen Versuchen nahm der Automat ihre 100-Yen-Münze schließlich an und spukte etwas Kaffee in einen Pappbecher.

Da hörte sie Schritte weiter unten am Gang und drehte sich, ganz instinktiv in die Richtung.

Ein Mann kam aus der Richtung des Fahrstuhls auf sie zu.

Er war um die fünfzig und hatte mittellanges ausgeblastes braunes Haar.

Sie fragte sich, was er hier machte, als er sie ansprach.

„Onodera-san?“

Beinahe ließ sie ihren Kaffee fallen und hob fragend eine Augenbraue, da ihr unklar war, woher der Mann sie kennen sollte.

Für einen Moment schien auch er verwirrt, lachte dann aber. „Mizuno Gorou“, erklärte er.

Noch immer brauchte sie einen Moment, bis sie den Namen zuordnen konnte. „Shibumi-san?“, fragte sie.

Er zögerte. „Ja.“

„Oh, tut mir leid, dass ich Sie nicht erkannt habe“, entschuldigte sie. „Ich dachte, Sie seien in Amerika?“

„Ja, ich bin nur für zwei Wochen in Japan, um ein paar Dinge zu erledigen.“ Er wirkte angespannt. „Ist Mitsuo-san da? Ich wollte eigentlich etwas mit ihm besprechen?“

„Yamaki-san ist mit Reika und Namiko bis Silvester fort“, erwiderte sie etwas verwirrt.

„Und was ist mit Tao?“, hakte er nach.

Erneut sah sie ihn fragen an. „Wer?“

„Lee Janyuu.“

„Oh“, entfuhr es ihr kleinlaut. „Nein, Janyuu ist auch nicht da. Ich weiß nicht wann er wiederkommt...“ Sie schwieg kurz. „Tut mir leid.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie können nichts dafür.“ Für einen Moment schien er abgelenkt und sah durch das Fenster auf das bereits dunkle Tokyo. „Es ist nicht so wichtig.“

Einige Sekunden lang sah auch sie geistesabwesend aus dem Fenster, fing sich dann aber wieder. „Ich würde Ihnen ja einen Kaffee anbieten, aber ich fürchte ich habe keine Münzen mehr“, meinte sie dann verlegen, vorrangig um irgendetwas zu sagen. „Kann ich vielleicht sonst irgendetwas für Sie tun?“

„Nicht nötig“, antwortete er freundlich und schwieg erneut, ehe der Ausdruck, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, über sein Gesicht huschte. „Wobei es etwas gäbe. Kann ich etwas nachsehen?“

Daraufhin zögerte sie. Eigentlich war es Yamakis Aufgabe über so etwas zu entscheiden, jedenfalls wenn er an die Daten Hypnos' wollte. Doch auf der anderen Seite konnte sie als ranghöchstes Mitglied dieser Schicht diverse Entscheidungen treffen und Shibumi, beziehungsweise Mizuno-san gehörte zum Wild Bunch, die ohnehin an vielen Hypnosprojekten beteiligt waren. „Ich denke schon“, fällte sie schließlich, wenn auch unsicher, die Entscheidung. Wahrscheinlich konnte er ohnehin herausfinden, was er wollte, immerhin war er wahrscheinlich – nein, ziemlich sicher – einer der besten Informatiker weltweit.

„Wen haben Sie da mitgebracht, Onodera-san?“, fragte Yogiru, als sie die Überwachunsräume der Zentrale zusammen mit Shibumi betrat.

Kenichi hingegen schien den Neuankömmling einfach zu ignorieren. „Ich dachte du wolltest keinen Kaffee, Megumi-san.“

Kurz überlegte 32jährige, etwas spitzes zu erwidern, beschloss aber dass es das beste war, Kenichi zu ignorieren.

„Mein Name ist Mizuno Gorou“, stellte sich der ältere Mann derweil vor.

„Er gehörte zum Wild Bunch“, erklärte Megumi, um irgendwelche Missverständnisse vorzubeugen.

Yogiru, der wahrscheinlich nicht viel jünger als Shibumi war, rieb sich das Kinn. „Ich glaub ich habe von Ihnen gehört“, murmelte er dann. „Sie haben einige interessante Publikationen über künstliche Intelligenz geschrieben.“

Der ältere Mann nickte nur und setzte sich an einem der Computer.

„Woran arbeiten Sie im Moment?“, fragte Yogiru nun mit einigem Interesse und kam zu ihnen hinüber.

Shibumi zuckte erst mit den Schultern und für einen Moment machte sich ein eher finsterer Gesichtsausdruck breit. „Offiziell an gar nichts“, erwiderte er nur, in einem Tonfall, der klar ausdrückte, dass er über das Thema nicht weiter reden wollte.

„Gibt es... Irgendwelche Probleme?“, fragte Megumi etwas verunsichert, erhielt aber keine Antwort, während die grauen Augen des Mannes auf den Bildschirm des Computers geheftet waren.

Etwas frustriert betrachtete sie ihn. Kein Wunder, dass sie ihn nicht erkannt hatte, dachte sie sich.

Sie hatte Shibumi als einen oft beinahe etwas verwilderten Mann in Erinnerung, mit langen Haaren und einem nicht selten eher ungepflegten Bart, aber mit einer nahezu kindlichen Begeisterung für die Dinge, die er tat, der wenn er an etwas arbeitete, alles um sich herum vergaß, jedoch niemals wirklich ernst schien. Jetzt schien er das genaue Gegenteil zu sein.

Sein Haar war wesentlich kürzer. Statt dem üblichen verwilderten Vollbart, trug er einen gepflegten Dreitagebart. Und auch wenn dies vielleicht nicht negativ schien, so sah sein Gesicht nicht aus, als hätte er in der letzten Zeit viel gelacht. Seine Augen wirkten müde und ernst.

Sie fragte sich, ob irgendwas passiert war, und wollte diese Frage beinahe laut aussprechen, hielt sich dann jedoch noch rechtzeitig zurück. Es ging sie schließlich nichts an. Sie kannte den Mann ja kaum, hatte ihn seit gut einem Jahr nicht gesehen. Soweit sie sich erinnern konnte, war er das letzte Mal im November des vergangenen Jahres in Japan gewesen.

Nebenbei bemerkte sie, dass Kenichi nun vor seinem Computer saß und endlich einmal schwieg, jedoch mit einem leicht misstrauischen Blick zu Shibumi hinübersah.

„Was wollten Sie eigentlich nachsehen, Shibumi-san?“, fragte sie schließlich in einem möglichst beiläufigen Ton und brachte ihn damit dazu vom Bildschirm aufzusehen.

Für einen Moment schwieg er. „Ich bin auf etwas gestoßen“, erwiderte er schließlich. „Und hatte gehofft, dass Yamaki-san mehr dazu heraus finden kann.“ Sein Blick glitt wieder auf den Bildschirm, dann wieder zurück zu ihr. Er seufzte schwer. „Aber... Es ist nicht so wichtig. Nein.“ Dabei wirkte es so, als wären diese letzten Worte viel mehr an ihn selbst, als an jemand anderen, gerichtet.

Teil II - Anomalie

Zwei Tage nach ihrem weniger angenehmen Heiligabend, saß Megumi auf dem Sofa in ihrem sehr kleinen Wohnzimmer und starrte auf die flimmernde Mattscheibe des Fernsehers.

Sie trug einen Jogginganzug, löffelte lustlos einen Joghurt und sah sich eine Comedyshow an, die ihr allerdings nur selten mehr als ein müdes Lächeln entlockte.

Aufgrund des eher bescheidenen Wetters, hatte sie beschlossen, das ihr erster freier Tag seit einer Woche ein Tag zum Faulenzen sein würde. So hatte sie, während draußen ein beständiger, eisig wirkender Nieselregen vom grauen Himmel gefallen war, ein langes gemütliches Bad genommen, ein wenig gelesen und sich am Nachmittag schließlich in aller Ruhe vor den Fernseher gesetzt.

Wie die meisten Leute, die aus purer Langeweile und Faulheit fernsehen, schaute auch Megumi nichts besonderes, an dem sie wirklich Interesse hatte, sondern war beim Durchschalten einfach bei dem Programm stehen geblieben, das im Moment am wenigsten langweilig war.

Ihre Laune war noch immer weit davon entfernt „gut“ zu sein, aber im Moment zumindest erträglich, auch wenn sie sich irgendwie einsam in ihrem kleinen Wohnzimmer fühlte.

Insgeheim nahm sie sich vor, nächstes Jahr auch einfach mal über die vermeintlichen Feiertage zu verreisen, und wenn sie es allein tat. Das wäre wenigstens nicht so deprimierend, wie zu arbeiten und den Rest der Tage entweder in der Kälte draußen oder allein zu hause zu verbringen.

Wobei es ja auch ganz anders sein konnte, nächstes Jahr... Denn in einem Jahr konnte sich eine Menge ändern.

Sie hoffte es nur.

Auf jeden Fall war sie nächstes Jahr wieder ein Jahr älter, dachte sie und seufzte. Dann stand sie auf, um in die Küche zu gehen und den leeren Joghurtbecher weg zu schmeißen. Und während sie überlegte, ob sie sich einen neuen Becher aus dem Kühlschrank nehmen sollte, klingelte ihr Telefon.

Schnell lief sie zurück ins Wohnzimmer, wenn auch nicht ganz ohne sich zu wundern, wer sie überhaupt anrief, um rechtzeitig abheben zu können. Sie erreichte das Telefon beim dritten Klingeln und drückte auf die „Abheben“-Taste.

„Ja, hallo? Onodera hier“, meldete sie sich.

Kurz herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Hallo. Hier ist Mizuno Gorou.“

Erneut brauchte sie etwas, um den Namen zuordnen zu können. „Shibumi-san?“

„Ja“, erwiderte der Mann nach kurzem Zögern.

Nun, auf der Liste potentieller Anrufer, auf jeden Fall jemand, der sich ganz unten fand. Woher hatte er überhaupt ihre Telefonnummer?

„Haben Sie Zeit, Onodera-san?“, fragte er nach einer kurzen Pause. „Ich habe ein paar Fragen, die Sie mir vielleicht beantworten können.“

Megumi verkniff sich ein Seufzen. Natürlich hatte sie Zeit, doch ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass sie wenig Lust hatte, ins kalte Nass hinaus zu gehen. Da empfand sie die Möglichkeit sich weiter vor dem Fernseher zu langweilen wesentlich ansprechender.

Sie überlegte, sich eine Ausrede einfallen zu lassen. Entschied sich aber dann jedoch dagegen, zum einen aus Respekt, zu dem sie ihre Mutter in früher Jugend mehr als einmal ermahnt hatte, zum anderen jedoch auch aus Neugierde.

„Ja, an sich schon“, antwortete sie daher nach einigem Zögern.

„Gut, danke“, erwiderte Shibumi mit einer Spur von Erleichterung in der Stimme. „Wo können wir uns treffen?“

„Hmm.“ Erneut zögerte Megumi. „Wo sind Sie im Moment untergebracht, Shibumi-san?“

Er nannte ein Hotel und dessen Adresse, woraufhin sie etwas überlegte, um diese zuordnen zu können.

„Ich kenne eine Bar in der Nähe“, stellte sie dann fest, was nahezu selbstredend war, da das Hotel in der Nähe von Golden Gai lag. „Wenn Sie an der Station von Gai auf mich warten.“

„Sehr gern.“
 

Etwa zwanzig, vielleicht auch dreißig Minuten später verließ Megumi das Apartementhaus in dem sie lebte. Sie hatte sich nur wenig zurecht gemacht, nicht mehr, als dass sie es für die Arbeit tat, da sie sich sicher war, dass seine Fragen ohnehin mit dieser zu tun hatten.

Ein roter Regenschirm bewahrte sie vor dem Nieselregen, konnte sie aber nicht vor dem kühlen Wind schützen, der auch immer wieder einzelne der kleinen Tropfen gegen ihren beeschen Mantel wehte. Sie fröstelte leicht und war dankbar dafür, dass der Winter in Tokyo relativ mild war, verglich man ihn mit den nördlicheren Städten oder gar Hokkaido. Dank der Lage direkt am Pazifik war es meist sogar milder, als im etwas weiter südlich gelegenen Kyoto.

Kurz sah sie zum Himmel auf, wo durch die Wolken ein Großteil der Strukturen der digitalen Welt verdeckt war. Nur einzelne der Datenströme waren leuchtend am dunklen Himmel zu erkennen.

Manchmal konnte sie die Frage nicht abweisen, wie es sein konnte, dass jene andere, digitale Welt fast mit der ihren verschmolzen war. Wie konnte so etwas möglich sein. Doch dann dachte sie sich immer, dass dies Fragen waren, die für intelligentere Menschen zu beantworten blieben.

Auf dem Weg zum Bahnhof erschreckte sie sich fast, als ein großes Digimon über sie hinwegflog, das jedoch offenbar keine feindlichen Absichten hatte.

Wie erwartet war es voll an der Station und nicht minder voll in der einfahrenden U-Bahn. Zwar war es Sonntag und ein nicht offizieller Feiertag, doch das machte in einer belebten Gegend wie Shinjuku keinen Unterschied.

Erleichtert seufzte sie auf, als sie den vollen, wenn auch nicht überfüllten Wagon drei Stationen später wieder verließ. Sie folgte der Menschenmenge nach draußen und sah im Gedränge einen Jungen, von vielleicht gerade sechzehn oder siebzehn Jahren, der ein kleines, aber eindeutig echtes Digimon an sich gedrückt hatte. Offenbar einer der fünfzig Tamer der Stadt.

Dann entdeckte sie Shibumi, dessen Blick ebenfalls dem Jungen mit dem Digimon folgten, und sie bemerkte einen seltsamen Ausdruck in seinen Augen, war sich jedoch nicht ganz sicher, ob sie diesen richtig zuordnen konnte.

„Shibumi-san!“, rief sie nach kurzem Zögern dann aus, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Er sah zu ihr hinüber und nickte ihr zu Begrüßung zu, bis sie ihn erreicht hatte.

„Ich fürchte, ich habe mich etwas verspätet“, entschuldigte sie sich, unsicher, was sie überhaupt sagen sollte.

Darauf schüttelte er den Kopf. „Kein Problem“, erwiderte er. „Ich bin froh, dass Sie überhaupt kommen konnten. Danke noch ein Mal.“

Sie winkte ab. „Nein, keine Ursache.“ Wieder einmal zögerte sie. „Was wollten Sie überhaupt fragen?“

Für einen Moment schwieg er. „Lassen Sie uns darüber reden, wenn wir aus dem Regen sind“, meinte er dann. „Sie sagten, Sie kennen hier eine Bar.“

„Nun, ja...“ Verlegen lächelte sie. „Allerdings gibt es hier genug Auswahl.“

Darauf ging Shibumi nicht ein. „Ich folge Ihnen.“

Leise seufzend ging sie also voran. Die Bar, an die sie als erstes dachte, wenn es zu Golden Gai ging, war eine kleine Café-Bar, die es schon gegeben hatte, als sie in Tokyo studiert hatte. Damals war sie oft mit Kommilitoninnen, seltener auch Kommilitonen hergekommen. Später war sie öfter mit Reika hingegangen und auch jetzt traf sie sich ab und an mit Freundinnen dort.

Das sie den Laden selten bis gar nicht in mit männlicher Begleitung aufgesucht hatte, hatte übrigens weniger damit zu tun, dass dieser auf irgendeine Art und Weise „weibisch“ gewesen wäre, sondern viel mehr damit, dass sie in den 32 Jahren ihres Lebens nur selten Zeit mit Männern verbracht hatte. Von ihrem Vater, ihren Exfreunden und natürlich diversen zum jeweiligen Zeitpunkt mit einer ihrer Freundinnen ausgehenden Kerlen einmal abgesehen. Vielleicht auch ein Faktor der zur jetzigen Situation des Singledaseins mit 32 beigetragen hatte. Aber was brachte es jetzt darüber zu philosophieren?

Als sie die kleine Bar betraten, musste Megumi feststellen, dass sie seit mindestens einem Jahr nicht mehr hier gewesen war.

Viel verändert hatte es sich allerdings nicht. Es war noch immer eine etwas seltsam wirkende Mischung eines amerikanischen Cafés und einer klassischen japanischen Bar.

„Willkommen“, rief ihnen eine Bedienstete von der Bar aus zu, als sie eintraten.

Etwas unsicher sah Megumi sich um.

Es saß eine Gruppe Jugendlicher, wahrscheinlich Studenten, an der Bar und schien sich so wunderbar zu unterhalten, dass sie ihnen keine Beachtung schenkten. Ein Pärchen, sie schätzte die beiden auf Mitte Zwanzig, saß an einem der Tische, und ein Mann etwa in ihrem Alter, an einem weiteren und las Zeitung.

Sobald sie sich selbst an einen der wenigen Tische platz genommen hatten, kam auch schon die Bedienung, ein Junges Ding, vielleicht Anfang oder Mitte zwanzig, die offenbar sehr eifrig bei ihrer Arbeit war.

Nachdem sie bestellt hatten, sah Megumi zu ihrem Begleiter herüber, der schon wieder irgendwie abwesend wirkte. „Shibumi-san“, begann sie erneut und sein Blick glitt wieder zu ihr hinüber. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Name ihn verärgerte, verstand aber nicht wieso. Als er noch in Japan gearbeitet hatte, hatte ihn nahezu jeder so gerufen. „Was wollten Sie nun fragen?“, wiederholte sie und hoffte, nicht all zu ungeduldig oder unhöflich zu wirken.

„Ah, ja“, begann er murmelnd. „Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass ich eigentlich mit Yamaki-san oder Tao sprechen wollte, aber da er im Moment nicht zu erreichen ist, dachte ich, dass Sie mir vielleicht helfen können.“

Na wunderbar, grummelte ein innerer Teil von ihr. Sie war der Ersatz für den Ersatz. Zwar konnte sie es ihm nicht ganz verdanken, zumal sie ihn und er sie ja kaum kannte, doch gehörte sie, auch wenn sie sicher nicht dieselbe Übersicht hatte wie Yamaki, immerhin zu den Mitarbeitern, die von Anfang an bei Hypnos gearbeitet hatten, und hatte dementsprechend einen hohen Rang.

Sie versuchte allerdings, sich nichts anmerken zu lassen. „Aber wieso haben Sie mich nicht vorgestern darauf angesprochen?“

Nun zögerte er. „Weil es nicht der richtige Ort war.“

Sie verstand nicht. „Wenn es sensibel ist, gibt es dann nicht hier zu viele Leute, die zu hören?“

„Nein“, erwiderte er entschlossen. „Hier sind vielleicht mehr Leute, aber weder jemand, der etwas davon versteht, noch jemand, den es interessieren würde.“

Kurz sah sie sich noch mal um und musste ihn recht geben. Die Bedienung wirkte nicht, als würde sie von diesen Dingen etwas verstehen, selbst wenn die Studenten es täten, so waren diese viel zu sehr mit sich selbst und ihrem Bier beschäftigt, um ihnen irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken. Auch das Pärchen in der Ecke der Bar, hatte sicher besseres zu tun, und der Herr mit der Zeitung, hatte ganz offenbar mehr Interesse am aktuellen Finanzmarkt, als an digitalen Monstern.

Da kam die Bedienung auf sie zu und brachte ihnen Kaffee und Cola. „Bitte sehr“, meinte sie überschwänglich, woraufhin beide nur einen kurzen Dank murmelten.

Erst nachdem die junge Dame wieder hinter den Tresen verschwunden war, fuhr Shibumi fort. „Ich arbeite seit einigen Monaten für die Amerikanische Regierung.“

„Was?!“, rief Megumi, etwas zu laut aus, und zog damit zumindest die Aufmerksamkeit des Pärchens und des Mannes mit der Zeitung auf sich, was sie verschämt auf den Tisch sehen ließ.

Shibumi sagte nichts, sondern wartete nur.

„Entschuldigen Sie“, brachte sie schließlich hervor. „Ich war nur...“ Sie suchte nach dem richtigen Wort. „Überrascht“, schloss sie dann, auch wenn das richtige Wort wohl eher „schockiert“ gewesen wäre.

Daraufhin erwiderte er nichts, nur in seinen Augen spiegelte sich etwas wieder, was sie als Schuldbewusstsein interpretierte.

Natürlich war die aktuelle amerikanische Regierung, nachdem die letzte, wenn man so wollte, für die aktuelle Situation verantwortlich war, sehr offener gegenüber den Digimon und Tamers. Doch änderte es nichts daran, dass die Regierung unter Dean Maille zuvor, nicht nur Daisy und Dolphin mehr oder minder entführt hatte, sondern auch mit D-Reaper die Digiwelt beinahe zerstört hatte, was dazu geführt hatte, dass die Grenze zwischen den Welten gänzlich zusammen gebrochen war.

Und so wenig Megumi sich auch für Politik in anderen Ländern interessierte, so konnte sie nicht umher, die Regierung in Amerika als noch manipulierbarer als die eigene anzusehen.

Sie musterte Shibumi.

Sie war sich ziemlich sicher, dass sich Präsident und US-Senat wieder gegen die Digimon wenden würden, wenn es noch einmal eine Katastrophe, wie vor beinahe schon drei Jahren mit den Demon Lords geben würde.

Auf welcher Seite würde Shibumi stehen, hätte er eine Wahl? Immerhin wusste er sicher auch so, dass man ihn dann ohnehin keine Wahl lassen würde.

Nun bereute sie es, ihm Zugriff auf die Daten Hypnos gegeben zu haben, ohne Yamaki vorher um seine Meinung zu fragen, und wusste, dass es eine dumme Idee gewesen war. Doch wie... Sie schüttelte ihre Gedanken ab, um nicht zu abgelenkt zu wirken. An ihrer Entscheidung von Vorgestern konnte sie nun ohnehin nichts mehr ändern.

„Ich habe bei meiner Arbeit etwas seltsames entdeckt“, fuhr Shibumi schließlich fort. „Nun, eigentlich mehrere seltsame Dinge.“ Für einen Moment schwieg er bedächtig. „Und auch wenn ich einige Vermutungen habe, so wollte ich diese erst bestätigen. Zumal ich nicht möchte, dass bestimmte Informationen in falsche Hände geraten.“

Also traute er der Regierung, für die er arbeitete doch nicht. Doch wieso tat er es dann? Für einen Informatiker und Programmierer von seinem Rang und Namen, sollte es nicht schwer sein eine Anstellung zu finden. Also: Wieso?

Jedoch fragte sie nicht.

Er holte einige zusammengeheftete Unterlagen aus der Aktentasche, die er bei sich hatte und zeigte sie ihr.

„Die habe ich vor einer Woche ausgedruckt“, sagte er.

Megumi schwieg, während sie versuchte die Daten zu verstehen, die dort standen. Sie konnte so viel erkennen, dass es sich um Programmfragmente, der unteren Ebenen der digitalen Welt handelte, doch verstand sie davon nur wenig. Zwar hatte sie Informatik und Netzwerktechnik studiert, aber ihre Kenntnis bezüglich der Programme jener Welt, war trotz ihrer langen Arbeit in Hypnos nicht sonderlich vertieft.

Trotzdem erkannte sie, nachdem sie die Unterlagen für einige Minuten studiert hatte, das es Teile gab, die nicht zum Rest des Programmes passte.

„Ein Teil der Ebenen hat in den letzten Wochen begonnen, sich zu verändern“, erklärte er nun. „Ich hatte gehofft, dass Sie hier bereits davon wüssten, vielleicht sogar die Ursache kannten.“

Für einige Sekunden überlegte Megumi, schüttelte dann aber den Kopf. „Mir ist nichts dergleichen bekannt“, erwiderte sie dann bestimmt und in einem Tonfall, der – so hoffte sie – auch sagte, dass sie es für unwahrscheinlich hielt, dass jemand anderes dergleichen wusste.

Erneut schwieg Shibumi, seufzte dann aber. „Zu Schade“, murmelte er. „Ich wüsste zu gern, ob es einfach eine natürliche Entwicklung ist, die aus der aktuellen Situation wurzelt.“

Darauf konnte sie nichts erwidern, verstand sie doch die Wissenschaft hinter der Situation als solcher kaum.

„Aber es gibt noch etwas anderes“, fuhr Shibumi fort. „Ich habe vor nur wenigen Tagen eine Anomalie gefunden, bei der ich mir nicht sicher bin, ob es einfach nur ein Digimon ist.“

Nun breitete sich Erkenntnis auf Megumis Gesicht aus. „Ich glaube, ich weiß, wovon Sie reden“, antwortete sie. „Eine sehr große Programmstruktur im Netz?“ Sie suchte nach einem Anzeichen im Gesicht des Mannes, dass sie richtig lag, und er nickte. „Wir beobachten diese schon seit letztem Dienstag. Aber es verhält sich, wie ein Digimon.“ Kurz zögerte sie, weil es im Verlauf der Woche mehrere Diskussionen darüber gegeben hatte. „Akiyama-kun meinte, dass es vielleicht ein Digimon sei, dass viele andere absorbiert hat. Das würde die Datenmasse erklären.“ Yamaki war anderer Meinung gewesen, aber da sie bisher keine erfolgreiche Analyse des Programmes hatten durchführen können, es sich jedoch auch nicht auffällig destruktiv verhielt, schien Akiyama Ryous Idee ihr noch immer am wahrscheinlichsten.

Und solange es keine Anzeichen gab, dass jenes Programm auf irgendeine Weise feindlich oder gefährlich war, lag ihr Hauptinteresse bei den Digimon, deren Überwachung wichtiger war, den Digimon in der realen Welt, speziell in Tokyo.

Shibumi schien über die Theorie nachzudenken. „Es könnte sein“, erwiderte er schließlich. „Ja, es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Junge Recht hat.“ Seine Stimme wurde leiser. „Ich frage mich nur ob es Zufall ist...“ Er brach ab und schüttelte dann den Kopf. „Wahrscheinlich ist es nichts, was besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Entschuldigen Sie, dass ich Sie deswegen extra hergebeten habe.“

Höflich schüttelte sie den Kopf. „Es ist in Ordnung“, erwiderte sie und überlegte kurz, ehe sie hinzufügte. „Ich hatte ohnehin nichts anderes zu tun. Entschuldigen Sie bitte, dass ich ihnen nicht weiterhelfen konnte.“

Er winkte ab. „Wahrscheinlich ist es wirklich nichts. Wahrscheinlich...“ Für einen Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck, doch er sprach nicht weiter. „Darf ich Sie worauf einladen, damit Sie nicht gänzlich umsonst hergekommen sind?“

Megumi überlegte kurz. „Natürlich, vielen Dank.“
 

Für die nächsten eineinhalb Stunden redeten sie über Nichtigkeiten oder schwiegen teilweise für Minuten.

Megumi konnte nicht umher Shibumi genauer zu beobachten.

Sie kannte ihn kaum – natürlich kannte sie ihn kaum – doch trotzdem konnte sie nicht umher, sich zu fragen, was den Mann im letzten Jahr so sehr verändert hatte. So sehr, dass sie, obwohl sie ihn kaum kannte, es deutlich merkte.

Denn es war nicht nur sein Äußeres, das er verändert hatte. Seine ganze Art, seine Ausstrahlung wirkte anders.

Zuvor war er, auf eine seltsame Art, faszinierend gewesen. Er hatte viel geschwiegen, und wenn er etwas gesagt hatte, war man sich selten sicher gewesen, ob er mit seinem Gegenüber oder nur mit sich selbst redete. Er hatte oft verträumt gewirkt, abwesend, aber freundlich.

Abwesend wirkte er jetzt immer noch, jedoch weniger auf eine verträumte Art. Viel eher wirkten seine Augen kalt und irgendwie hoffnungslos.

Doch wieso?

Jedoch fragte sie nicht.

Immerhin kannte sie ihn wirklich nicht. Was hatte sie für ein Recht zu fragen?

Was wusste sie, über ihn, außer, dass er ein genialer Informatiker war und damals, zusammen mit Janyuu, Dolphin und den anderen damals in Sao Alto die Grundlagen von dem programmiert hatten, aus dem sich später hatten die Digimon und die digitale Welt entwickeln sollen?

Nein, das ging sie nichts an, weswegen sie schwieg, bis sie, nachdem er gezahlt hatte, die Bar verließen.

Es war eigentlich nur eine Kleinigkeit.

Ein Digimon, das auf sie zugelaufen kam und sie auf einmal anknurrte. Es war stämmig, hatte dunkles, gestreiftes Fell und ein spitzes, silbernes Horn auf der Stirn, während die nicht minder spitzen Zähne gebläckt waren.

Megumi schreckte zurück. Sie erkannte es zwar als Child-Digimon und immerhin ging es ihr nicht einmal bis zur Hüfte, doch das änderte nichts daran, dass es ihr gefährlich werden konnte.

Ihre stille Begleitung jedoch reagierte gar nicht, sondern sah das kleine Monster einfach nur an.

Da kam ein Junge, Megumi schätzte ihn nicht älter als 16, um die Straßenecke gelaufen.

„Black Gabumon!“, rief er aufgebracht, worauf sich das Digimon umwandte und aufhörte zu knurren. Der Junge wirkte kleiner als er war und hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen, unter der hervor jedoch einige dunkle Haare in sein Gesicht fielen. Er wirkte verunsichert und schreckte seinerseits ein Stück zurück, als er bemerkte, was sein Partner, dessen Pupillen noch immer zu kleinen Punkten zusammengezogen waren, getan hatte. Er verbeugte sich. „Es tut mir leid“, presste er verzweifelt hervor. „Es... Mein Partner hat sich nicht immer ganz unter Kontrolle. Es tut mir so leid.“

Megumi seufzte und hätte den Jungen wohl sogar auf die Schulter geklopft, hätte dessen Partner sie nicht noch immer so feindselig zu ihr herüber gesehen. „Ist schon in Ordnung“, meinte sie und lächelte ihn aufmunternd an. „Es ist ja nichts passiert. Mach dir keine Sorgen, sondern versuch einfach das nächste Mal besser aufzupassen.“

Für einen Moment musterte der Junge sie, mit einem noch immer furchtbar unsicheren Blick, fast, als erwartete er eine direkte Strafe. „Danke“, stammelte er dann. „Das werde ich. Vielen Dank. Es tut mir leid.“ Und ehe sie noch etwas erwidern konnte, griff der Junge nach dem Kopf des Digimon, worauf es ihn ansah, drehte sich um und lief, von seinem Black Gabumon gefolgt, in die Richtung von dannen, aus der er gekommen war.

Megumi sah ihnen hinterher und hatte schon fast Mitleid mit den Jungen, der so verängstigt gewirkt hatte. Dann jedoch drehte sie sich zu Shibumi um, der die ganze Zeit nichts gesagt hatte, und erschreckte beinahe erneut, als sie denselben Blick in seinem Gesicht sah, wie schon früher am Abend, als der andere Junge mit einem Digimon am Bahnhof an ihnen vorbei gegangen war.

Und jetzt meinte sie die Emotionen dahinter zu erkennen. Es waren Verbitterung und Einsamkeit.

„Shibumi-san?“, begann sie auf einmal, bevor sie darüber nachdenken konnte. „Was ist mit Ihnen passiert?“ Sie zögerte, als sich sein Blick wieder fokussierte und er sie ansah. „Sie sind so... anders.“

Teil III - Kälte

Es war nur kurz nach acht, als Megumi am nächsten Tag das Hotel in der Nähe von Golden Gai verließ.

Sie hatte die Hände tief in den Taschen ihres Mantels vergraben und die Schultern hochgezogen, während sie es verfluchte, dass sie am Abend zuvor ihren Regenschirm offenbar in einer der beiden Bars vergessen hatte, da erneut ein leichter, aber eisig kalter Nieselregen vom Himmel fiel.

Letzten Endes beschloss sie jedoch, dass dies erstaunlich gut zu ihrer Stimmung passte, und marschierte weiter durch den Regen.

Da es Montag war und mitten in der morgendlichen Rushhour war es in der U-Bahn-Station, wie auch in der Bahn selbst unglaublich voll und es herrschte Hektik.

Und auch wenn Megumi erst gegen Mittag Schicht hatte, so hatte auch sie es eilig nach Hause zu kommen.

Sie hatte Kopfschmerzen und ihr allgemeiner Gemütszustand konnte nur mit einem absoluten Gegenteil von „glücklich und zufrieden“ beschrieben werden.

Ein Teil von ihr wollte sich die Haare raufen, ein anderer hätte am liebsten geschrien, während ein dritter sich einfach in eine Ecke setzen und heulen wollte. Sie tat natürlich nichts davon und versuchte stattdessen einen möglichst beherrschten Gesichtsausdruck zu behalten.

Selbst, als sie in ihrer Wohnung ankam, blieb sie ruhig; so ruhig, dass es sie selbst überraschte.

Sie zog ihre Schuhe aus und stellte diese ordentlich vor die Treppe, die in ihre Wohnung hinein führte, bevor sie zur Garderobe ging und ihren Mantel aufhing. Dann blieb sie stehen.

Kurz überlegte Megumi, was sie machen sollte, und verfluchte es, dass sie noch würde mindestens zwei Stunden absitzen müssen, ehe ihre Schicht anfing. Schließlich schlurfte sie ins Badezimmer und kramte ihre Packung Aspirin aus dem Schrank über dem Waschbecken, ehe sie eine der Tabletten mit einem Becher Wasser herunterspülte, in der Hoffnung, dass es ihre Kopfschmerzen möglichst bald linderte.

Sie schloss die Augen für einen Moment und stützte sich auf dem Waschbecken ab. So verharrte sie kurz, atmete einige Male tief ein und aus.

Dann zog sie sich aus, ließ ihre Kleidung achtlos am Boden liegen, und stellte die Dusche an.

Erst unter dem warmen Wasser entspannte sich ihr Körper und sie merkte, wie sie langsam etwas zur Ruhe kam. Noch immer kämpfte sie mit dem Drang zu weinen, schluckte immer wieder Tränen herunter. Sie wollte nicht weinen. Sie wollte sich selbst Stärke beweisen. Trotzdem merkte sie, wie einzelne Tränen brennend ihre Augen verließen und sofort vom Wasser der Dusche fortgespült wurden.

Sie verfluchte sich selbst und verstand noch immer beim besten Willen nicht, was mit ihr am Abend vorher los gewesen war. Sie war nicht sie selbst gewesen, war es auch jetzt noch immer nicht.

Dabei hatte sie doch gewusst, dass es dumm war.

Zu gern hätte sie sich selbst eingeredet, dass das Bier dran schuld war, dass sie am Abend noch getrunken hatte. Doch alles, was sie ehrlich sagen konnte war, dass es sie leichtsinnig gemacht hatte. Dennoch hatte sie gewusst was sie tat oder war sich ihrer Handlungen zumindest durchaus bewusst gewesen. Sie hatte wirklich zu viel Zeit ihres Lebens in Bars verbracht, genug zumindest, dass sie im Gegensatz zu Reika noch nicht von zwei Glas Bier betrunken war.

Reika...

Für einen Moment überlegte sie ihre Freundin anzurufen. Auch wenn Reika nicht zuhause war, hatte sie zumindest ihr Handy dabei.

Aber... Was sollte sie ihr sagen?

Megumi verwarf den Gedanken wieder.

Nein, Reika konnte ihr nicht helfen. Zumal sie ihrer besten Freundin nicht den Urlaub verderben wollte.

Letzten Endes war sie es ja selbst in Schuld.

Noch immer etwas zittrig begann sie schließlich sich einzuseifen und gründlich zu waschen. Dabei war sie bedacht nicht zu hektisch zu sein. Sie wollte versuchen, die Zeit, bis sie zur Arbeit gehen konnte vernünftig herum zu bekommen, hatte Angst davor, herum zu sitzen und nichts zu tun.

Sie tat sich schon so schwer genug nicht zu grübeln.

Schwer seufzend stellte sie schließlich das Wasser ab.

Sie zog sich ihren Bademantel an und ging in Küche, wo sie sich zwang zumindest einen Becher Joghurt zu essen, auch wenn sie keinen Appetit hatte.

Danach begann sie, weiterhin betont ruhig, sich anzuziehen, und sich aufwändiger als sonst für die Arbeit zurecht zu machen.

Und obwohl sie eigentlich bemüht war, alles so langsam wie möglich zu machen, würde sie noch immer mehr als eine halbe Stunde zu früh sein.

Erneut schloss sie die Augen und seufzte. Dann packte sie ihre Tasche und machte sich auf den Weg.
 

Wie erwartet war sie mehr als eine halbe Stunde zu früh, als sie beim Tokyo Metropolitan Government Building ankam. Doch darum kümmerte sie sich im Moment nicht. Viel mehr war sie froh, dass es endlich aufgehört hatte zu regnen und sie so trockenen Fußes in den Räumlichkeiten Hypnos' ankam.

„Oh, guten Morgen, Onodera-san“, wurde sie recht freudig von Takato begrüßt.

„Guten Morgen“, echote auch Guilmon, das offenbar noch etwas schläfrig war.

Sie musste sich ein Seufzen verkneifen, da sie ganz vergessen hatte, dass sie mit dem mittlerweile zwanzigjährigen Jungen eingeteilt war. „Guten Morgen“, erwiderte sie. „Du bist früh hier.“

„Dasselbe kann man auch von Ihnen sagen.“ Der Junge grinste.

Für einen Moment schwieg sie. „Ja, kann man wohl“, gab sie dann zu und hängte ihren Mantel auf dem etwas veralteten Kleiderständer neben der Eingangstür auf. Dann seufzte sie. „Ich brauche erst einmal einen Kaffee.“ Damit verließ sie die Räume wieder, um den Kaffeeautomaten auf dem Flur aufzusuchen.

Gerade als diese das heiße Getränk in einen Pappbecher füllte, hörte sie, wie eine Tür geöffnet wurde.

„Guten Morgen, Onodera-san“, erklang eine freundliche Stimme hinter ihr.

Automatisch drehte sie sich herum und sah Juri, Takatos Freundin, die trotz des relativ kalten Winters ein helles Kleid trug, auch wenn sie darunter eine weiße Strumpfhose an hatte.

„Guten Morgen“, erwiderte sie, etwas verwirrt, das ebenfalls zwanzigjährige Mädchen hier zu sehen. „Was machst du hier?“ Dabei bemerkte sie zu spät, dass dies unfreundlicher herüber kam, als es gemeint war.

„Ich dachte, ich leiste Takato ein wenig Gesellschaft.“ Das Mädchen lächelte.

Megumi seufzte. Die junge Liebe. „Das ist nett von dir“, murmelte sie halbherzig und nippte nun an ihrem Kaffee, während sie sie aus dem Fenster zur Seite des Flures sah, von dem aus sie direkt auf den Vorplatz und den Central Park sehen konnte.

„Sie sehen nicht gut aus“, meinte Juri nach einem kurzen Schweigen vorsichtig.

„Danke“, erwiderte die ältere Frau sarkastisch.

„Entschuldigen Sie, so habe ich das nicht gemeint.“ Hastig verbeugte Juri sich, was Megumi eine Augenbraue hochziehen ließ. Das Mädchen war eindeutig zu gut erzogen. „Ich meine, Sie sehen bedrückt aus.“

Die Ältere erwiderte nichts, sondern sah weiter aus dem Fenster. Sie hatte eigentlich kein Bedürfnis, mit einer zwanzigjährigen über ihre Probleme zu reden. Der Gedanke ließ sie seufzen. Zwanzig. Als der ganze Wahnsinn anfing, waren die Kinder zehn und sie selbst kaum älter als zwanzig gewesen. Und nicht zum ersten Mal stellte sie fest, dass es ihr schwer viel die ehemaligen „Kinder“ als Erwachsene anzusehen. Sie erschreckte sich immer noch regelmäßig, wenn sie Takato in der Zentrale herumlungern, also eigentlich arbeiten, sah.

„Ist etwas passiert?“, fragte Juri weiter und schien dabei ernsthaft besorgt.

Megumi zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln. „Nein“, erwiderte sie. „Es ist nichts wichtiges. Nur die unwichtigen Probleme einer alten Frau.“

Das Mädchen sah sie an. „Aber Sie sind doch noch jung.“

„Danke“, erwiderte Megumi und musste insgeheim feststellen, dass es mit das netteste war, was ihr jemand seit Wochen gesagt hatte.

Erneut schwieg Juri kurz. „Wollen Sie wirklich nicht darüber reden?“ Dabei wirkte sie ernsthaft besorgt.

„Es ist wirklich nichts“, antwortete Megumi. „Ich war nur etwas dumm und hatte außerdem eine lange Nacht. Sonst nichts.“ Sie schwieg kurz, ehe sie nachsetzte: „Aber danke für deine Besorgnis.“

Daraufhin gab die Jüngere nach. „Kein Problem“, erwiderte sie. „Wenn Sie doch noch darüber reden wollen, sprechen sie mich einfach an.“ Damit legte sie kurz ihre Hand auf Megumis Oberarm, ehe sie sich abwandte und in die Räume der Überwachungszentrale zurückkehrte.

Die ältere Frau seufzte leise und sah auf ihren Kaffee.

Sie wusste wirklich nicht, was am Abend zuvor mit ihr los gewesen war. Nun im Nachhinein fühlte sie sich, wie zuletzt im zarten Alter von einundzwanzig, als sie noch zur Uni ging, und allgemein dazu neigte, Dummheiten zu machen, die sie innerhalb von Stunden bereute.

Sie erinnerte sich an die Verbitterung in Shibumis Gesicht, nachdem der Junge mit dem Digimon verschwunden war, erinnerte sich an die Kälte in seinen Augen. Warum hatte sie ihm vorgeschlagen, den Abend gemeinsam zu verbringen? War es aus Neugierde gewesen? Oder weil sie einsam war und keine Lust hatte den restlichen Abend allein zu hause vor dem Fernseher zu sitzen?

Doch genau so sehr fragte sie sich, wieso er zugestimmt hatte. Er schien nicht der Mensch zu sein, der viel Zeit mit anderen verbrachte. Obwohl sie nicht behaupten konnte, dass sie ihn in irgendeiner Weise verstand.

Trotzdem hatte sie schon vorher gewusst, dass sie, egal wie viele Fragen sie stellen würde, keine Antwort erhalten würde, dass sie die einzige sein würde, die an dem Abend wirklich redete. Trotzdem hatte sie gewusst, dass er schon lange fort sein würde, wenn sie am Morgen aufwachte.

Sie hatte gewusst, dass es dumm war. Natürlich hatte sie es gewusst.

Wieso hatte sie es trotzdem getan?

Noch einmal nahm sie einem Schluck von ihrem Kaffee und wandte sich zur Tür, um Juri zu folgen. Sie musste auf andere Gedanken kommen.

Die Wahrheit war, dass sie von Shibumi auf eine seltsame Weise fasziniert war. Sie war fasziniert von ihm, seinen Schweigen... Davon, dass er anders war.

Dabei wusste sie, wie dumm es war. Sie wusste es.

Als sie wieder in die Überwachungsräume zurückkam, schlief Guilmon bereits wieder, seinen roten Reptilienkopf auf die Vorderklauen gelegt, während Juri damit beschäftigt war ihrem Freund den Nacken zu massieren.

Mit einem Blick in den Raum stellte sie fest, dass die dritte Person der Schicht vor ihnen offenbar bereits gegangen war.

Und Terayama Shinobu, die mit ihnen zusammen Schicht hatte, war offenbar noch nicht da.

Für einen Moment überlegte sie, ein Gespräch mit den vermeintlichen Kindern anzufangen, doch dann sah sie zu einer der Computerstationen und dachte an die Unterlagen, die sie am Vorabend gesehen hatte.

Sie zögerte kurz. Doch dann siegte die Neugierde darüber, ob es stimmte, was Shibumi gesagt hatte. Vielleicht konnte sie hier mehr über die Veränderungen, die es in der digitalen Welt angeblich gab, herausfinden.

Natürlich war es ein Vorwand, um ihren Verstand mit etwas anderen zu beschäftigen, doch nicht ganz, ohne dass sie neugierig war, was dabei herauskommen würde.

Konnte es wirklich sein, dass sich eine ganze Welt auf einmal veränderte?

Rechenbalken liefen über die verschiedenen Bildschirme der Station, Quelltexte erschienen und sie bemühte sich, so gut es ging, diese zu verstehen.

Selbst wenn sie nichts herausfand, war es besser, als sich sechs Stunden zu langweilen und ihren trüben Gedanken nachzuhängen. Wenn etwas vor sich ging, wollte sie es wissen. Sie wollte es verstehen, wenn sie schon sich selbst nicht verstand.

Nur einer Sache, war sie sich sicher. Sie würde Shibumi nicht suchen. Wahrscheinlich war er ohnehin schon lange fort.

Teil IV - Ende und Anfang

Wenn sie so darüber nachdachte, hatte sie keine einzige Antwort bekommen. Weder auf die Frage, was ihn verändert hatte, noch auf irgendeine andere. Irgendwann am Abend hatte sie die Fragen aufgegeben. Und dann?

Je mehr Zeit verging desto unsicherer wurde sie sich, was dann passiert war. Sie hatte ihn geküsst – ohne darüber nachzudenken hatte sie ihn geküsst. Doch trotzdem hatte er ihre Küsse erwidert.

Doch obwohl sie die Nacht mit ihm verbracht hatte, hatte sie ihn nicht verstanden, war sie aus seinem Schweigen nicht klüger geworden.

Und auch wenn sie in der Nacht das Bett geteilt hatten, hatte sie gewusst, dass er weit von ihr entfernt war. Unerreichbar.
 

„Du wirkst nachdenklich, Megumi-chan“, meinte Reika lachend und reichte ihr ein Glas mit Wein.

Megumi seufzte und sah aus dem Fenster. Draußen hatte sich die Dunkelheit schon lang über die Stadt gesenkt, während die letzten Stunden des Jahres angebrochen waren.

„Ach, ich hab letzte Nacht nicht gut geschlafen“, erwiderte Megumi und bemühte sich zu lächeln.

Für eine Weile sah Reika sie nachdenklich an. „War es sehr schlimm, Weihnachten allein?“

„Es ging.“ Die jüngere der beiden hielt ihr Lächeln. „Ich habe ja gearbeitet“, fügte sie dann hinzu.

Und bevor Reika weiter nachfragen kommen, öffnete sich die Tür zum Kinderzimmer der relativ großen Wohnung und Namiko sah verschlafen ins Wohnzimmer. „Ist schon Mitternacht?“, fragte sie und rieb sich die Augen.

Seufzend stand die ältere der beiden Frauen auch und ging zu ihrer Tochter. „Nein, wir haben doch gesagt, dass wir dich wecken“, meinte sie und hob die sechsjährige hoch.

„Ich bin aber gar nicht müde“, beschwerte sich das Mädchen, wobei ihr Gähnen ihre Worte Lüge straften.

„Mach dir keine Sorgen, wir wecken dich schon rechtzeitig auf, Namiko-chan“, beruhigte auch Megumi sie. „Lumamon wird dich sicher auch wecken.“

Das etwas erkältete Kind grummelte etwas unverständliches doch einige Minuten später schlief sie schon wieder tief und fest, während ihr Partner ruhig neben dem Bett saß, ohne das zu erkennen war, ob es schlief oder wachte.

„Shibumi-san war in Tokyo während ihr weg wart“, meinte Megumi möglichst beiläufig, als sich Reika wieder zu ihr auf das grünliche Sofa gesetzt hatte.

Die ältere sah sie an. „Ja? Arbeitet er nicht in Amerika?“

Megumi nickte. „Er hatte mit Mitsuo reden wollen“, fuhr sie fort und griff in ihre Tasche, um die Unterlagen hervor zu holen. „Ich wollte euch damit eigentlich nicht direkt bedrängen, aber vielleicht könnte es Mitsuo-san interessieren.“

Nachdenklich betrachtete Reika sie Unterlagen, die vorrangig die Veränderungen der digitalen Welt beschrieben. Doch dann legte sie die Papiere zur Seite.

„Irgendetwas ist passiert, während wir nicht da waren“, meinte sie und es war eine Feststellung und keine Frage.

Megumi seufzte. „Ja“, erwiderte sie schließlich. „Ich war vielleicht ein wenig dumm.“ Sie sah Reika an. „Aber glaub mir, es ist alles wieder in Ordnung.“

„Du siehst noch etwas mitgenommen aus“, meinte Reika, doch die jüngere schüttelte den Kopf.

Sie hatte mittlerweile beschlossen mit niemanden darüber zu reden, selbst nicht mit Reika. Weil es nichts zu bereden gab und reden nichts ändern würde.

Vielleicht war das auch sein Grund für das Schweigen gewesen.

„Es ist in Ordnung“, antwortete sie nur. „Mach dir um mich keine Sorgen. Nicht um mich.“

Ihre Freundin seufzte, doch bevor sie etwas erwidern konnte, hörten sie, wie die Tür zur Wohnung geöffnet wurde.

„Ich bin wieder da“, hörten sie Yamaki Mitsuo grummeln, der, wie seine Tochter, seit ihrem Urlaub auf Hokkaido etwas erkältet war.

„Willkommen zurück“, erwiderte Reika, die über seinen grummeligen Tonfall sogar lächelte.

Nur knapp verkniff sich Megumi ein weiteres Seufzen, als sie merkte, dass sie sogar die beiden für diese Art von Verbindung beneidete.

Sie sah auf die Uhr über dem Fernseher, die zeigte, dass es kurz nach neun war. Keine drei Stunden mehr und es würde ein neues Jahr beginnen. Eine neue, unbekannte Zukunft. Und Megumi fragte sich, was noch alles geschehen würde.

Doch zumindest eins hatte sie sich vorgenommen. Sie würde noch einmal neu anfangen, würde aufhören sich Gedanken über Beziehungen zu machen. Es hab sinnvollere Dinge zu tun. Dinge in Erfahrung zu bringen. Vor allem gab es viel, was sinnvoller war, als vergangenem nachzuhängen, das die Erinnerung nicht wert war.

Nun, wo die Digimon langsam zu einem Teil der Gesellschaft waren, gab es viele Änderungen innerhalb von einem Jahr. Viele Dinge passierten, würden noch passieren. Und sie wollte verstehen, was es mit den Veränderungen in der digitalen Welt auf sich hatte.

Das war ihr Vorsatz für das nächste Jahr. Doch vielleicht vergaß sie dabei, dass es immer Verbindungen gab, die alles beeinflussten. Verbindungen zwischen zwei Menschen, zwischen den Menschen und den Digimon, zwischen Vergangenem und der Zukunft...
 


 

Ende?
 


 

__________________________________________________
 

Nachwort: Ich wollte eben das letzte Stück nutzen, um mich für euer Feedback zu bedanken :D Habe mich, wie immer sehr gefreut.

Wie ihr seht: Das Ende leitet zu etwas anderes hin ;) Darauf könnt ihr euch dann nächstes Jahr freuen.

Bis dahin wünsche ich jedoch euch erst einmal schöne Weihnachten und einen guten Rutsch in das Jahr 2012.



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Kommentare zu dieser Fanfic (21)
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Von:  Luthien-Tasartir
2013-07-07T08:32:48+00:00 07.07.2013 10:32
Gut, hier der Rekommentar zu Anders, wie du es dir gewünscht hast.
Insgesamt finde ich den Einstieg in die Geschichte ganz gut gelungen. Allerdings merkt man, dass sie etwas älter ist. Du hast sehr viele Kommafehler und auch teilweise Dopplungen und dergleichen, wie:

„Nicht nur, dass sie also an Weihnachten, anstatt mit Freunden ein wenig etwas trinken zu gehen“

Das hat es mir ehrlich gesagt etwas schwer gemacht, in die Geschichte reinzukommen und auch währenddessen bin ich darüber oftmals gestolpert, was mich aus dem Lesefluss kurz rausbrachte. Zumal ich die ersten Absätze mehrmals lesen musste, um die Schachtelsätze aufzudröseln. Das mag aber auch daran liegen, dass ich es gewohnt bin, Einschübe wie „viel zu früh“ mit Gedankenstrichen statt mit Kommas abzutrennen, um sie noch mal deutlicher von Nebensätzen zu unterscheiden.
Als ich mich dann aber eingelesen habe, mochte ich das Kapitel gern. Gerade die Beschreibungen gegen Ende von Gorou. Er verhält sich tatsächlich ziemlich merkwürdig und ich konnte nicht umhin, ebenfalls misstrauisch werden. An was arbeitet er denn jetzt? Warum so geheimnistuerisch?
Auch die Gefühle Megumis bringst du gut zur Geltung und ich konnte es leicht nachvollziehen. Zwar nicht in dem Sinne, dass ich ihren Sorgen beipflichten würde, aber ich fand es durchaus gut erläutert.
Sie ist mir persönlich etwas zu depressiv, was aber mehr an meiner jetzigen Gefühlslage als an der Qualität der Geschichte liegt. Allerdings fand ich es sehr schön, dass du mal weniger bekannte Charaktere als Protagonisten genommen hast. Ich finde es immer angenehm zu lesen, wenn diese mal genauer beleuchtet werden und etwas mehr Charakter sowie Hintergrund bekommen.
Ich hoffe, ich rede hier gerade nicht allzu viel Mist, da ich in Tamers nicht mehr wirklich – bis gar nicht – drin bin, aber mir ist sie zumindest aus der Erinnerung nicht mehr im Gedächtnis gewesen. Da ich aber nicht mehr ganz in der Materie drin war, war ich durch die vielen Namen letzten Endes ziemlich verwirrt. Gerade der Abschnitt, in dem Gorou nach den verschiedenen möglichen Ansprechpartnern fragt. An diesem Punkt kam ich spätestens nicht mehr mit.
Was gibt es noch zu sagen?
Der Sprung vom Bahnhof über ihr Zuhause hin zu Hypnos war für mich etwas irritierend. Der Grund war die kurzzeitige Unsicherheit, ob sie jetzt schon im Hypnos-Gebäude oder doch daheim war, aber das hatte sich dann relativ schnell geklärt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass ich das Kapitel mochte, da du das Innenleben und die Wahrnehmung durch die Protagonistin sehr schön zu Papier gebracht hast. Man konnte den Gedanken folgen und sich die Atmosphäre sowie die Mitarbeiter gut vorstellen. Obwohl nicht sehr viel passiert ist, hast du es geschafft, das Ende spannend zu gestalten und dem Leser Fragen zum Verlauf der Geschichte mitzugeben, von denen ich persönlich hoffe, dass sie im Laufe der Storyline noch geklärt werden.
Der Lesefluss war – obwohl dein Ausdruck gut verständlich war – allerdings durch formale Fehler ab und an gestört.

Ich hoffe, der Kommentar hat dir weitergeholfen und entschädigt dich für die lange Wartezeit.

Liebe Grüße,
Luthien-Tasartir
Re-✖✐✖
Von:  _Delacroix_
2013-06-12T13:55:17+00:00 12.06.2013 15:55
Hi du,
ich glaube von der Geschichte hattest du mir schon mal erzählt und ich denke, ich muss dir nicht sagen, dass meine Digimonkenntnisse nicht ausreichen, um da wirklich richtig mitreden zu können.

Relativ am Anfang bin ich über einen Satz gefallen, der mir nicht so recht gefallen hat: 
Sie war alles andere als damit zufrieden, über die Position, die sie dieses Jahr 
ehrenhalber
innehielt.

Mal davon abgesehen, dass Mexx dir da ein Leerzeichen gefressen hat, was man nur nicht sieht, weil da - zumindest bei mir - der Zeilenumbruch sitzt, finde ich ihn etwas zu kompliziert konstruiert. Ich denke, ich würde schreiben: Sie war alles andere als zufrieden mit der Position, die sie dieses Jahr ehrenhalber inne hatte.
Wie allen deinen Geschichten merkt man auch dieser, wie ich finde, an, das du viel Recherche betrieben hast und weißt wovon du schreibst. Das beginnt bei Digimon, geht über Umgangsformen, Charakonstellationen, bis hin zu geographischen Gegebenheiten.
Schön finde ich übrigens auch deine Charasteckbriefe. Diese übertünchten 
Modellbilder, mag ich nämlich langsam nicht mehr sehen und es war bestimmt schwierig ein Realpic für die zwei zu finden, oder?
Sonst bleibt mir nur zu sagen, es fiel mir nicht schwer der Story zu folgen, die Charas sind glaubwürdig (Hab ich bei dir aber auch erwartet), die Rechtschreibung ist (Hab ich auch erwartet) gut und die Geschichte wird beim lesen nicht langweilig.

Alles in allem also Daumen hoch, auch (oder gerade) wegen dem Crackpairing.

LG
Antwort von:  Alaiya
12.06.2013 16:10
Wie schon gesagt: Ich zweifle, dass die Digimonkenntnisse der meisten Fans ausreichen. Weil du weißt ja: Alles, was nicht mehr im Bishi-Alter ist wird kategorisch ausgeblendet. :)

*lach* Das lustige mit dem Realpic war übrigens, dass ich ewig nach einem Bild für Shibumi gesucht habe. Bis mir einfiel, dass Konaka mal erwähnt hatte, dass der Synchronsprecher ein befreundeter Schauspieler von ihm war und Shibumis Charakterdesign an ihm angelehnt war. Dann war die Sache ja klar :D

Danke jedenfalls für den Kommentar :D

Also bei mir ist da kein Zeilenumbruch, habe gerade mal geschaut. o.o
Von:  Merkur
2011-12-25T20:24:00+00:00 25.12.2011 21:24
Auch die letzten beiden Kapital haben mir wieder gut gefallen. Schön, dass wir Leser noch ein wenig über Megumis Gefühlsleben erfahren durften, da man ja schon von Anfang an irgendwie ein wenig ahnen konnte, dass diese Beziehung, wenn man es denn so nennen kann, nicht gut gehen konnte. Und auch wenn das Ende ziemlich offen gehalten ist, hat man dennoch kein schlechtes Gefühl dabei, denn man glaubt daran, dass Megumi ihr leben ändern und glücklicher werden kann. Zumindest geht es mir so, ich fange schon wieder an, zu interpretieren XD
Ich fand die Geschichte jedenfalls sehr gut und wirklich angenehm zu lesen. Bitte weiter so :)
Liebe Grüße
Merkur
Von:  Selma
2011-12-23T22:59:49+00:00 23.12.2011 23:59
Sehr schön geschrieben. Ja, schade das es vorbei ist. Ich bin gespannt wies weitergehen könnte ;)
Von:  Taroru
2011-12-23T20:38:00+00:00 23.12.2011 21:38
ich muss ja sagen.... das war viel zu kurz >.<
ich hab das viel zu schnell zu ende gelesen o.o

'Nachdenklich betrachtete Reika sie Unterlagen, die vorrangig die Veränderungen der digitalen Welt beschrieben. Doch dann legte sie die Papiere zur Seite.'

ich glaube du meintest 'die unterlagen'
kann mich aber auch täuschen... aber ich denke schon das das so ist XD

ansonsten sehr gut geschrieben ^^ kann da wirklich nicht klagen, ich hätte mir da gerne noch mehr gewünscht *lach*
Von:  fahnm
2011-12-23T20:18:37+00:00 23.12.2011 21:18
Klasse Kapi^^
Schade das es vorbei ist.
Von:  Gold1992
2011-12-23T12:17:06+00:00 23.12.2011 13:17
Hiho ^^

Und was ein tolles Kapi ^^.
Die kleine hat auch ein Digimon? Cool, was für eins ist es den? (Ja den Namen habe ich gelesen, aber nichts gefunden darunter XD)
Große Ziele die sie sich da fürs nächste Jahr gesetzt hat.
Man kann man die Zeit nicht schnell zurück drehen und wieder 2011 machen?
Tja wie die Tochter so der Vater oder wie XD,beide leicht Erkältet.
Ach ja das kennt man sicher selber auch, als man noch ein kleiner Stöpsel wahr und immer nicht abwarten konnte bis Mitternacht, und Angst hatte was zu verpassen XD.

Hat mir auf jeden Fall sehr gut gefallen, und ich freue mich das ich es lesen durfte bevor die Welt untergeht XD, und ich wünsche dir auch ein frohe Fest, schöne Feiertage und einen guten rutsch, ach was das wünsche ich allen die das Komi hier lesen XD. Grüße ^^.

MfG Gold
Von:  Merkur
2011-12-17T19:16:27+00:00 17.12.2011 20:16
Auch das zweite Kapitel hat mir wieder richtig gut gefallen. Du beschreibst die Stimmung und überhaupt die Ereignisse weiterhin sehr gut und es bleibt spannend. Überhaupt finde ich die Geschichte sehr sehr spannend, das hätte ich von einer Liebesgeschichte ehrlich gesagt zuerst gar nicht erwartet, was wirklich für deine Geschichte spricht, finde ich :D Bin gespannt, wie es weiter geht ^^
Von:  Taroru
2011-12-11T21:06:04+00:00 11.12.2011 22:06
*sprachlos*
ich weiß echt nicht was ich dazu sagen soll o.o
ja... es ist wirklich viel zu kurz >.<
und ja... ich bin verdammt neugierig und mag nicht mehr warten o.o
du hast die worte echt super gut gewählt. ans ich passiert 'nichts' dennoch liest man einfach weiter und erwartet das was passiert... und es wird noch viel mehr neugierde geweckt *lach*
was ich auch gut gelungen finde ist, wie du bescheibst wie sie ihre umgebung wahr nimmt, und auch das bekannte gesichte noch immer da sind, auch wenn sie sich verändert haben.
das finde ich gut gelungen, und macht auch spaß zu lesen ^^

ich für mein teil, bin noch immer verdammt gespannt, und freu mich darauf weiter zu lesen ^^
Von:  fahnm
2011-12-11T20:51:35+00:00 11.12.2011 21:51
Klasse Kapi^^


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