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In einer anderen Welt

TaixOC, Koumi, Takari
von

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Wie alles begann..

War es Falsch andere Menschen zu beobachten? Zu sehen, wie sie sich gegenüber anderen benahmen, wie sie ihren Mund beim reden bewegten, ob ihre Augen strahlten oder fahl waren? War es Falsch sich eine Geschichte zu jedem unbekannten Menschen zusammenzureimen, damit man einen Zusammenhang in ihren Worten, ihren Gesten und Mimiken sieht? War es Falsch das alles bei total fremden Personen zu tun, die man einfach so irgendwo draußen sah? Konnte man deswegen bestraft werden?

Denn genau das tat ich. Es machte mir Spaß.

Jeden Tag sah ich tausende neue Gesichter auf den Straßen und fragte mich bei vielen, was ihre Geschichte sein möge. Dann blieben sie stehen, schauten sich traurig um, blickten aufgeregt in ein Schaufenster und begrüßten jemanden, der vorbeilief.

Es war nicht so, dass ich nichts zu tun hatte, schließlich ging ich zur Schule und machte meine Schulaufgaben. Doch die Menschen zogen mich magisch an. Ich hatte meine Hausaufgaben fertig, zog meine Winterjacke an und ging nach draußen in die kalte Luft. Und dort waren sie meistens schon. Meine Geschichtenerzähler.

Sie wussten nichts von meinen Theorien über ihr Leben, genauso wenig wie ich wusste, ob ich mit eben diesen richtig oder falsch lag. Leute sprachen mich nicht oft an und ich tat es genauso wenig. In der Schule tat ich alles, was gute Noten benötigten, doch ich war nicht in der Lage mit meinen Mitschülern zu reden. Ich wusste nicht genau, woran das lag, aber es war nun mal so.

Einen offenen Menschen konnte man mich nicht grade nennen.

Meine Familie bestand aus meiner Mutter, meinem Vater und meiner großen Schwester, die allerdings schon ausgezogen war. Davon konnte ich mit frischen 16 Jahren nur träumen.

Meine Eltern waren sehr selten nur zu Hause, deswegen versuchte ich mit allen Mitteln meine Noten aufrecht zu erhalten, damit sie wenigstens wegen einer Sache stolz auf mich sein konnten. Es gab nie Worte des Sorgens, der Liebe oder Freude für mich. Meistens nur eine gehetzte Begrüßung und ein lautes Türknallen.

Und genau deswegen hatte ich mir ein Hobby gesucht. Mir die Lebensgeschichte der Menschen überlegen, den ich begegnete.

Heute war mal wieder einer dieser Tage, an dem meine Laune noch tiefer gesunken war, als ein gekentertes Schiff. Mit einem dicken Wollschal um den Hals stapfte ich durch die eisige Kälte. Ich suchte mir interessante Erzähler. An so einem Tag standen mir nicht grade viele zur Verfügung.

Im Park saßen nur eine alte Dame, ein älterer Mann mit einer Zeitung und ein Junge und ein Mädchen. Der Junge saß auf einem der Steinhocker, auf dem ein Kissen lag. Das Mädchen saß auf dem daneben stehenden Stuhl und schaute auf den Laptop, dass auf dem Schoss des Jungen ruhte. Er hatte rotbraune Haare und ziemlich dunkle Augen. Er trug eine getrübt orange-farbige, dicke Jacke und seine Finger rasten nur so über die Tastatur des Gerätes auf seinen Knien. Das Mädchen hatte kleine, goldene Sternchen in den rosanen Haaren und auf ihrem Kopf saß eine weiße Wollmütze. Sie vergrub ihr Kinn tief in ihrem ebenfalls weißen Schal und ihre seltsam ocker- farbigen Augen huschten bewundernd von dem Bildschirm zu dem Jungen und wieder zurück.

Ein Glitzern ihrer Augen verriet sie. Wie lange war sie schon in diesen Jungen verliebt? Wusste er von ihren Gefühlen? Waren sie vielleicht ein Paar?

Der Junge schaute das Mädchen aus den Augenwinkeln her an, bekam rote Wangen und wandte den Blick wieder auf den Laptop.

Ich lächelte. Sie würden ein süßes Paar hergeben. Ich selber war einem Menschen noch nie so nah gekommen. Ich weiß nicht, ob es nur an mir lag oder auch an den anderen, doch ich war überhaupt keinem Menschen jemals richtig Nahe gekommen.

Dabei wusste ich, dass ich den Wunsch nach dieser Art von Nähe tief in meinem Herzen verschlossen hatte, damit ich nicht irgendwann umkommen würde vor Kummer. Was, wenn das Ausdenken von Lebensgeschichten irgendwann nicht mehr reichen würde?

Ich schüttelte den Kopf leicht.

Weg mit diesen Gedanken. Ich kam bis jetzt doch auch ganz gut klar.

Ich hörte erfreute Ausrufe und schenkte meine Aufmerksamkeit wieder dem Jungen und dem Mädchen. Ein weiteres Mädchen mit zwei Jungen im Schlepptau war zu ihnen gekommen und hüpfte mit dem Anderen in die Luft, während sie Händchen hielten. Die beiden Jungen schauten sie nur an und lächelten.

Einer der beiden war blond, sah ziemlich gut aus und war bekannt als Leadsänger der Teenage Wolves. Yamato Ishida, wenn ich mich nicht ganz irrte. Sie hatten einige gute Lieder, doch als Fan würde ich mich nicht bezeichnen, wenn ich diese ganzen kreischenden Mädchen sah, die immer auf den Konzerten waren. Yamato sah den Jungen neben sich an und grinste. Der erwiderte die Geste, sie verschwand jedoch komplett, nachdem Yamato sich wieder weggedreht hatte. Der andere Junge hatte braune Wahnsinns- Haare. Sie sahen von dieser Entfernung schon weich aus. Und seine Augen…nun ja, die waren getrübt. Aus welchem Grund, wusste ich nicht, doch nach dem sehnsüchtigen Blick zu urteilen, den er dem Mädchen zuwarf, das mit ihm gekommen war, hatte sie etwas damit zu tun.

Wäre er nicht aus einem mir undefinierbaren Grund niedergeschlagen…würden seine Augen ehrlich lächeln…

Gott, dieser Junge hatte Augen mit einem Wow- Effekt. Und das sogar mit diesem trüben Schleier.

Noch nie hatte ich einen so sympathischen Menschen gesehen und ich spürte das Verlangen, seine Lebensgeschichte von ihm zu hören und nicht mich mit spekulierten Theorien zufrieden zu geben. Was hatte es mit dem orange-haarigen Mädchen auf sich, das immer noch an den Händen der anderen, mit den rosanen Haaren, klebte.

Ich schüttelte meinen Kopf abermals, dieses Mal kräftiger.

Das war Tabu-Gebiet für mich. Ich wollte mich in Angelegenheiten einmischen, die mich überhaupt nichts angingen! Sonst war mir das Zusammenreimen auch immer genug gewesen, doch bei diesem Jungen…

Sein Kopf drehte sich etwas und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen. Ich brachte ein kleines Lächeln zu Stande und wandte mich mit hochrotem Kopf ab.

Verdammt, war das peinlich! Er hatte gesehen, wie ich total gebannt auf ihn und seine Freunde gestarrt hatte!

Hinter einem allein stehenden Baum blieb ich stehen, lehnte mich an ihn und schloss die Augen.

Kälte drang durch meine Jacke. Dieser Baumstamm musste auch fürchterlich frieren.

Ich ließ mich an ihm hinunter gleiten und zog meine Jacke so weit runter, bis ich nicht mehr auf dem vereisten Rasen saß.

Ich seufzte lautlos. Nur eine Wolke aus weißem Atem verließ meinen Mund.

„Hallo.“

Erschrocken riss ich meine Augen wieder auf und ich schaute direkt in die Augen mit einem unverwechselbaren Wow- Effekt .

Der brünette Junge hockte einige Zentimeter vor mir und hatte die Hände, in warme Handschuhe gepackt, auf seinen Knien liegen.

„Hallo“, erwiderte ich tonlos.

Schreck…lass…nach.

Dafür bekam ich ein Grinsen geschenkt.

„Ich hab dich doch schon mal gesehen“, meinte er und seine Augen erhellten sich etwas.

„Ach ja?“, erwiderte ich mit misstrauischem Unterton.

Tokio ist groß, er konnte genauso gut auch irgendein anderes Mädchen gesehen haben.

„Ja, auch in diesem Park“, schmunzelte er und fixierte meine Augen immer noch mit seinem Blick. „Na ja, du bist auch nicht schwer zu übersehen.“

Er lachte leise auf.

Ich hob eine Augenbraue. War er nur von seinen Freunden weggegangen, um mir zu sagen, dass er mich schon mal gesehen hatte?

Wenn seine letzte Aussage eine Anspielung auf meine Haare sein sollte…

Er schaute nun auf meine Haare, mit leicht geöffnetem Mund und nahm abwesend eine Strähne in seine Hand.

Ich zuckte zurück, wollte protestieren, ließ es aber schließlich doch. Der Grund dafür war mit schleierhaft.

„Unglaublich“, flüsterte er und starrte auf die feuerroten Strähnen zwischen seinen Fingern und wand die hand, um zu sehen, ob sie von der anderen Seite anders aussahen.

Rote Haare waren in Japan nicht besonders weit verbreitet, und ich hatte meine immer gehasst. Und wenn ich eine Mütze aufsetzen würde, wären sie total platt und die Locken sähen noch schrecklicher aus, als ich sie schon fand.

Und die ganze Zeit, während der Junge meine Haare begutachtete, schaffte ich nicht, meinen Blick von seinen Augen zu wenden.

Sie waren einfach…wow…

Ich schnippste vor seinem Gesicht mit dem Finger und lächelte leicht, als er zurückschreckte und seine Hand aus meinem Haar entfernte.

„’Tschuldige“, entschuldigte er sich und bei seinem Anblick konnte ich nicht anders, als zu Kichern.

Er sah aus wie ein begossener Pudel, total fassungslos und die Scham stieg rot in seinen Wangen auf.

„Ich bin Moe“, stellte ich mich vor, wusste jedoch nicht, ob ich ihm die Hand entgegen strecken sollte oder es dabei belassen sollte.

Ich entschied mich dagegen.

Der Junge grinste. „Tai, Taichi Yagami.“

Tai…

Ja, der Name passte zu ihm. In Gedanken gratulierte ich seinen Eltern ihm diesen Namen ausgesucht zu haben.

Er hievte sich mit einem Keuchen hoch, zog seine Jacke hinten weit nach hinten, wie ich es getan hatte, und setzte sich mit einem weiteren Keuchen neben mich.

„Ah, ich werde alt“, sagte er leise und drückte einmal die Knie durch.

Ich wusste nicht genau, was ich dazu sagen sollte, lächelte deswegen nur.

„Musst du nicht zu deinen Freunden zurück?“, fragte ich schließlich und warf einen kurzen Blick über Tai’ s Schulter zu den Jugendlichen, die um die Steinhocker standen.

„Worauf wir zu dem anderen Grund kommen, weswegen ich hierher bin“, erwiderte er und warf einen raschen Blick über die Schulter und sah dann wieder mich an. „Du hast uns beobachtet.“

Ein Grinsen zierte seinen Mund.

Ich spürte Hitze in meinen Kopf steigen.

Oh, Gott, war das peinlich! Wieso musste er mich auch gesehen haben?

Ich schüttelte hastig den Kopf, öffnete den Mund, doch kein einziger Ton kam heraus.

Mein Anblick musste ziemlich witzig gewesen sein, denn Tai lachte auf legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.

„Keine Sorgen, Moe“, kicherte er immer noch. „Solange du kein Doppelagent oder so was bist, ist es nicht so schlimm.“

Ich lächelte dankbar, doch sein Blick wurde leicht ängstlich.

„Bist du doch nicht, oder?“, fügte er kleinlaut hinzu.

Ungläubig schaute ich ihn an. Und…lachte. So…so richtig. Ich lachte.

Ein Junge, den ich grade mal fünf Minuten kannte, hatte mich zum Lachen gebracht. Es war seltsam mich Lachen zu hören. Passte es zu mir?

„Frierst du nicht?“, holte Tai’ s Stimme mich aus meiner Trance und rieb sich die Oberarme.

Jetzt, wo er mich darauf ansprach, ich hatte tatsächlich Gänsehaut und mir fuhren ununterbrochen Schauer den Rücken hinauf und hinunter.

„Tatsächlich“, murmelte ich und Tai’ s Augen sahen mich unverständlich an.

Ich schüttelte nur lächelnd den Kopf und pustete Luft in meine Handschuhlosen Hände.

„Das nehme ich als ‚Ja’“, schmunzelte Tai. „Wie wärs wenn ich dich auf einen Kaffee einlade?“

Ich schaute ihn überrascht an und spürte, wie meine Wangen warm wurden.

„Aber deine Freunde…“

„Ach ja“, unterbrach er mich leise.

Er grinste mich aufmunternd an, erhob sich und hielt mir seine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen.

Er klärte mich auf: „Wir gehen einfach zusammen hin, stellen dich vor und verschwinden von da.“

Ich kicherte wieder.

Mann, was war denn nur los mit mir?

Ich nahm seine Hand und er zog mich hoch. Er ließ sie sofort wieder los und wir gingen gemeinsam zu den Steinhockern. Mit jedem Schritt, den wir seinen Freunden näher kamen, würde ich nervöser. Ich hatte noch nie mit so vielen Menschen gleichzeitig reden müssen. Sie würden mich alle ansehen!

Tai lief einwenig vor, war schon bei ihnen angekommen und ich ging langsamen Schrittes hinterher und blieb schließlich mit mulmigem Gefühl stehen. Ich ließ meinen Blick gesenkt und spürte wieder Hitze auf meinem Gesicht.

„Wen hast du denn da?“, hörte ich die Stimme des Leadsängers fragen.

Ich wagte meinen Blick wieder zu heben. Eine riesige Gruppe Jugendlicher hatte sich um uns versammelt und starrten mich an, als wäre ich eine seltsame Attraktion in einem Zirkus.

„Das ist Moe“, antwortete Tai und ich konnte sein Grinsen förmlich hören . „Leute, sagt ‚Hallo’ zu Moe.“

Ich hatte erwartet, dass alle gleichzeitig ein lautes ‚Hallo’ rufen würden, doch ich hatte mich geirrt. Jeder kam einzeln zu mir, stellte sich vor und begrüßte mich.

Angefangen mit dem einen Mädchen, dass ich zuerst gesehen hatte. Die mit den rosa- farbigen Haaren.

Sie nahm eine meiner Hände in ihre beiden und schaute mich strahlend an.

„Hallo Moe“, begrüßte sie mich warm. „Ich bin Mimi. Ich freu mich, dass du zu uns kommst.“

Mimi, die war ein offener Mensch. Ich lächelte.

Das andere Mädchen, das Tai einmal so traurig angesehen hatte, rückte Mimi ein wenig zur Seite und lächelte mich ebenfalls an.

„Ich bin Sora“, stellte sie sich vor. „Hoffentlich fühlst du dich wohl bei uns.“

Ich hob eine Augenbraue, lächelte aber trotzdem.

„Und das“, fuhr Sora strahlend fort und zog Yamato am Arm zwischen sich und Mimi. „Das ist…“

„Yamato Ishida“, sagte ich leise und wurde rot.

Auf ihre fragenden Blicke antwortete ich nur: „Ich kenne deine Band.“

Ich warf ihm ein scheues Lächeln zu und er grinste zurück.

„Nenn mich Matt“, bot er mir an.

Der Junge mit den rotbraunen Haaren zwängte sich zwischen Matt und Mimi hindurch und flog beinahe auf mich zu, nachdem er zwischen ihnen hergekommen war. Kurz vor mir blieb er stehen und ich trat erschrocken einen Schritt zurück.

„Koushiro Izumi“, murmelte er und verbeugte sich. Ich lächelte.

„Hi“, sagte ich in die Runde, spürte alle Blicke auf mir und senkte verlegen den Blick.

„Huh?“, hörte ich Tai’ s Stimme neben mir. „Wo sind die anderen denn alle?“

Verwundert hob ich den Kopf und begegnete seinem Blick. Von denen gab es noch mehr ? Nicht, dass ich sie nicht nett fand, aber sie waren schon so viele.

„Hikari und Takeru haben ohne Grund abgesagt, aber sie hörten sich ziemlich verdächtig an“, meinte Mimi und zwinkerte.

Matt und Tai sahen sich an und schnaubten leise.

„Das ist bestimmt nicht das, was du denkst, das es ist“, erwiderte Tai und schob die Unterlippe hervor.

Ich kicherte leise und zog damit einige Blicke auf mich, dazugehörig Tai, der mich plötzlich anstrahlte.

„Wann siehst du endlich ein, dass du und Matt irgendwann verwandt seid?“, fragte Sora in neckendem Ton und lachte.

So, so. Hikari und Takeru waren also Geschwister von Matt und Tai. Interessant. Aber wer gehörte zu wem?

Matt schnaubte. „Und was ist mit Joey?“

„Der lernt“, antwortete dieses Mal Koushiro.

Er zwängte sich wieder zwischen Matt und Mimi durch, um zu seinem Laptop zu gelangen. Mimi schaute ihm kurz nach, wandte den Blick aber schnell wieder zu mir. Sie lächelte.

Tai erhob schon die Stimme, als Sora ihn unterbrach: „Frag nicht wo die anderen stecken, wir haben nämlich keine Ahnung.“

Er nickte. „Ich wollte euch auch nur Moe vorstellen und Bescheid sagen, dass wir in ein Café gehen, um etwas wärmer zu werden.“

Matt grinste plötzlich breit und hob beide Augenbrauen.

„So?“, hakte er nach und kicherte kindisch. „Tai hat ein Date.“

Ich wurde rot. Nein, hatte er nicht. Hatten wir nicht!

Tai verdrehte nur die Augen.

„Bis später“, schmunzelte er und zog mich an der Hand hinter sich her.

„Das ist also Tai’ s neue Flamme“, hörte ich noch leise Mimi kichern.

Tai’ s neue Flamme? Wechselte er seine Freundinnen öfter? Nicht, dass mich das wirklich was anging oder gar interessierte…nur…

„Ich kenn da so ein super Café“, sagte Tai auf einmal, wandte sein Gesicht mir zu und lächelte.

„Dann lass uns da hin gehen“, schmunzelte ich.

Er ließ meine Hand los und wir gingen eilig durch die schneidende Kälte, um zu dem warmen Café zu gelangen. Tai war schon ein seltsamer Typ, ging einfach mit einem wildfremden Mädchen in ein Café, um einen Kaffee zu trinken. Hört sich ein bisschen nach einem Blind Date an, aber ich denke nicht, dass man es direkt so nennen konnte.

Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, kamen wir endlich ein diesem Laden an und gingen hinein. Wärme kam mir freudig entgegen und meine Hände, Ohren und Wangen fingen an schmerzlich heiß zu brennen.

Tai führte uns zu einem kleinen, runden Tisch in einer nicht ganz so besiedelten Ecke.

Ziemlich viele Menschen waren hier, saßen an den runden Tischen lachten, einige schauten eher ernst und andere diskutierten hitzig. Ein Paradies für alle, die gerne Lebensgeschichten ausdachten. Vielleicht sollte ich mal hierher kommen, anstatt draußen durch die Kälte zu laufen?

„Setz dich doch“, forderte Tai mich lachend auf und mir fiel wieder ein, wieso ich überhaupt hier war und ich setzte mich mit roten Wangen dem braunhaarigen Jungen gegenüber.

Er winkte eine Kellnerin her, die dann auch sofort kam, nachdem sie ihn erblickt hatte.

„Hey“, begrüßte sie ihn.

Mir fielen ihre rosanen Wangen auf, der anzüglichere Blick und schon war klar, dass sie Tai…nun ja…heiß fand. Wenn man das so sagen konnte.

„So wie immer?“, fragte sie und schrieb schon fast etwas auf ihren kleinen Block, als Tai sie aufhielt.

„Ähm, eigentlich…“ Er schaute mich fragend an.

„Einen Kaffee für mich“, sagte ich, an die Kellnerin gewand.

Sie nickte nur kurz und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Tai.

„Und du?“, erkundigte sie sich.

„Auch einen Kaffee und dazu noch zwei Stücke von dem leckeren Schokoladenkuchen, den Sie mir letztes Mal gebracht haben.“

Er lächelte sie an und ihre Mundwinkel hoben sich als Antwort. Sie zwinkerte ihm einmal zu und verschwand.

Ich schaute ihn mit gehobener Augenbraue an. Sie flirtete mit ihm. Und das anscheinend schon länger. Vielleicht war sie seine Freundin? Aber meinen Beobachtungen nach, empfand er etwas für Sora. Hatte ich seinen Blick falsch gedeutet?

Wussten seine Freunde denn, dass er mit dieser Kellnerin zusammen war?

Sie war schon hübsch gewesen. Vielleicht 18 Jahre oder jünger, hellbraune, schulterlange Haare und dunkelgrüne Augen.

Stand Tai auf so etwas?

Ich sah ihn an. Sein Blick war auf die Speisekarte gerichtet und ein grüblerischer Ausdruck lag in seinen Augen.

„Hey…Tai.“

Sein Kopf hob sich und er sah mich fragend an.

„Kennst du diese Kellnerin schon länger?“ Es war mir etwas peinlich so persönliche Fragen zu stellen, weil mich das eigentlich überhaupt nichts anging, aber ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Ich war zu neugierig.

Und alles was Tai tat war…lachen.

Ich sah ihn mit großen Augen an. Lachte er mich aus?

„Nein, nein“, antwortete er nach einer Weile mit bebenden Schultern und breitem Grinsen. „Ich war schon öfter hier und seltsamerweise kommt immer die gleiche Kellnerin. Ich denke mal, sie hat sich einfach gemerkt, was ich immer nehme.“

Dann wurde sein Ton neckend und seine Augenbrauen hoben sich in einer spöttischen Art und Weise. „Wieso denn, Moe? Bist du eifersüchtig?“

Meine Augen weiteten sich geschockt und meine Kinnlade klappte etwas runter. Meine Wangen wurden rot.

Wie ich es hasste, dass mir immer das Blut in die Wangen schoss, wenn mir etwas peinlich war! Das war eine verdammt schlechte Angewohnheit.

„Nein, bin ich nicht“, erwiderte ich leise und senkte beschämt den Blick.

Tai schmunzelte. „Keine Angst, du hast noch eine Chance.“

Neckend zwinkerte er mir zu.

Ich antwortete viel schneller, als mein Gehirn überhaupt arbeiten konnte: „Na, Gott sei Dank!“, und lachte.

Als ich realisierte, was ich gesagt und getan hatte wurde ich wieder rot. Tai lachte nur. Er schaute zur Seite und lächelte die uns entgegenkommende Kellnerin an.

An unserem Tisch angelangt nahm sie einen Kaffee vom Tablett, stellte ihn vor mir hin, mein dankbares Lächeln übersehend, und wandte sich Tai zu, um ihm seine Bestellung zu geben.

„Ehm, vielen Dank…“ Er schaute auf ihr Namenschild. „…Haruhi.“ Ein weiteres Lächeln.

Mensch, dieser Junge schmiss mit Smiley’ s um sich, als wären seine Mundwinkel dort oben festgenagelt.

Haruhi wurde leicht rosa um die Nase und schenkte Tai ein strahlendes Lächeln, zwinkerte wieder und ging zu einem anderen Kunden.

Tai schob einen der Teller, mit riesigen Schokokuchen drauf, mir zu.

Überrascht sah ich ihn an.

„Ich lade dich ein“, sagte er und legte seinen Kopf kaum merklich schief.

Aha! Ich hatte soeben seine Schokoladenseite entdeckt. Hätte die Kellnerin ihn so gesehen, dann hätte sie ihm bestimmt ihre Nummer untergeschoben.

Es war ein toller Nachmittag im warmen Café im Zentrum der Stadt. Tai und ich blieben lange dort sitzen, bestellten uns immer wieder was zu trinken und redeten. Wir redeten über alles, über Schule, Musik, die wir mochten. Tai lachte, als ich sagte, dass ich Teenage Wolves mochte und neckte mich damit, dass ich den Leadsänger jetzt ja kannte und das natürlich nur dank ihm.

Als wir wieder hinaus gingen und uns kalter, schneidender Wind begrüßte, war es stockdunkel draußen. Laternen gaben noch ein wenig Licht, besonders in der Innenstadt, doch es wurden immer weniger, je weiter man aus dem Zentrum raus kam.

Tai bestand darauf mich nach Hause zu bringen, wie ein richtiger Gentleman es tun musste, hatte er gesagt. Ich wollte eigentlich nicht, dass er wusste, wo ich wohnte. Nicht, dass mir unsere Wohnung irgendwie peinlich war, aber es war mir etwas unangenehm. Zu dem waren meine Eltern vielleicht schon zu Hause, doch ich machte mir nicht allzu große Hoffungen. Manchmal kamen sie mitten in der Nacht.

Ich nahm seine Einladung trotzdem an und wir gingen kichernd den Weg zu dem großen Häuserblock, in dem ich lebte. Tai meinte, er wohne auch in so einem Gebäude und in so einer Wohnung.

Er begleitete mich noch bis zu unserer Wohnungstür. Davor blieben wir stehen und er grinste mich an.

„Warte nicht darauf, dass ich frage, ob du mit rein willst“, ärgerte ich ihn und streckte die Zunge raus.

Er schob die Unterlippe hervor und gab mir einen Vorgeschmack auf ein schmollendes Gesicht á la Tai.

„Dann eben nicht“, schmollte er immer noch, grinste aber sofort wieder und hob selbstbewusst den Kopf. „Dafür musst du aber noch mal für mich Zeit haben.“

Etwas erstaunt erwiderte ich seinen Blick. Es war sehr schmeichelnd für mich, dass so ein witziger und netter Junge sich noch mal mit mir treffen wollte. Doch ein kleiner Zweifel blieb.

„Kann man das als Date sehen?“, fragte ich leise und wurde zum zehntausendsten Mal an diesem Tag rot.

Tai lachte auf. „Nein, keine Angst. Wenn wir unter Menschen gehen, dann wird das wohl niemand als Date sehen.“

Er kicherte immer noch. Ich lächelte leicht und nickte.

„Ich muss zwar in meinen Terminkalender gucken, aber ich denke, ich kann dich noch dazwischen quetschen.“ Besonders, weil die blanken Seiten meines Kalenders auf einen beschäftigen Menschen wiesen.

„Klasse“, strahlte Tai, winkte zum Abschied und ging den Gang hinunter zum Aufzug.

Ich winkte ihm nach, sah etwas zu, wie er wegging und öffnete schließlich die Haustür.

Der Flur war leer und es herrschte drückende Dunkelheit in allen Räumen.

Sie waren nicht da. Wie erwartet. Kamen sie denn überhaupt irgendwann nach Hause, außer zum Schlafen? Nicht mal zum Essen kamen sie, sondern gingen immer mit Kollegen weg.

Ich seufzte und knipste das Licht an, zog mir die Schuhe aus und tapste mit Eisblöcken als Füße den Gang entlang zum angrenzenden Wohnzimmer. Es sah alles aus, wie ich es verlassen hatte, nicht hatte sich geändert.

Die Zeitschrift, durch die meine Mutter heute Morgen hastig geblättert hatte, lag immer noch auf dem Couchtisch. Genau bei der Seite aufgeschlagen, die sie so lange angesehen hatte, bis es draußen hupte und ihre Fahrgemeinschaft angekommen war. Es war ein Bericht über Jugendliche. Wie sie sich verhielten, was sie in ihrer Freizeit taten, was das Wichtigste für sie war, was sie am Liebsten taten, Sportarten, die Jungs mochten, beliebte Stars, Schminke und noch vieles mehr.

Ich schaute mir die Frau an, die auf der Make-up- Seite abgebildet war. Sie war vielleicht Zwanzig, hatte aber ein jugendliches Äußeres und Tonnen von Schminke im Gesicht. So was mochten Jugendliche? Ich selber würde mich nicht dazu zählen. Ich schminkte mich auch, wie jedes Mädchen in einem bestimmten Alter es tat, doch ich benutzte nicht viel.

Als ich das Magazin in die Hand nahm und mir den Artikel näher ansah merkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, was die Jugend mochte oder wie sie sich anzogen oder schminkten.

Ich beobachtete zwar jeden Tag Menschen, ihre Verhaltensweisen, doch ich achtete nie auf ihre Klamotten, sondern eher auf Gesten, Gesichtsausdrücke.

Ich ließ die Zeitschrift wieder auf den Tisch fallen, ging in die Küche und nahm mir einen Apfel und eine kleine Wasserflasche aus Plastik aus dem Kühlschrank. Ich legte sie auf den Couchtisch im Wohnzimmer, eilte schnell in meine eigenen vier Wände und zwängte mich aus den eiskalten Klamotten, um einen riesigen Rollkragenpullover und eine Jogginghose anzuziehen. Beim Hinausgehen schnappte ich mir noch mein Lieblingsbuch, stellte die Musikanlage an und ließ mich auf das weiche Sofa fallen.

Ich seufzte ein weiteres Mal.

Selbst mit Musik war es so verdammt still in dieser Wohnung. Ächzend drehte ich mich auf den Bauch, nahm den Apfel vom Tisch und schlug das Buch irgendwo in der Mitte auf.

Es war ein etwas Älteres schon von einem Autor, der schon lange tot war, doch es war mein Liebstes und ich hatte es bestimmt schon tausend Mal gelesen.

Ich weiß nicht genau, wie lange ich auf dem Sofa lag und las, doch irgendwann wurden meine Augenlider schwer und ich schaute träge auf die Uhr über dem Fernseher. Es war grade mal halb Zehn. War es schon lange her, dass Tai mich hier abgesetzt hatte?

Kam mir jedenfalls nicht so vor.

Ein Gähnen entwischte meinem Mund und meine Arme streckten sich wie von selbst. Ich schaute zu der Terrassentür. Die ganze Wand dort war aus Glas und ich konnte ohne Probleme unzählige Sterne leuchten sehen. Ein Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht. Ich liebte Sterne.

Mit einem Stöhnen setzte ich mich auf und trat mit steifen Gliedern auf die Terrasse und lehnte mich an das Gitter.

Uh, kälter, als ich gedacht hätte.

Ich schlang die Arme um meinen Körper und schaute in den Himmel. Die Sterne leuchteten so schön. Oft, wenn ich draußen stand und in den Himmel sah, dachte ich darüber nach, ob es irgendwo noch eine andere Welt gab. Jedes Mal kam ich zu dem Schluss, dass es so etwas geben musste . Doch dann, wenn ich in den trägen Alltag hinauskam, dann verblasste die Hoffnung auf eine andere Welt immer mehr.

An diesem Abend jedoch war etwas anders. Mein Alltag bestand meistens aus Allein sein. Niemand war da, ich fand keinen Anschluss in der Schule und lief alleine durch die Stadt. Doch heute…da war Tai…und er wollte mich sogar wieder sehen! Irgendetwas hatte er in mir geändert, denn am nächsten Morgen war die Hoffnung auf eine andere Welt immer noch da.

Der Wecker klingelte wie jeden Morgen laut und schrill und ich schlug einmal stöhnend auf den riesigen roten Knopf und erhob mich träge aus dem warmen Bett. Beim Anziehen meiner Schuluniform, bemerkte ich eine seltsame Erhebung in der Tasche meines Rockes. Zuerst dachte ich, ich hätte meine Schlüssel stecken gelassen, doch ich hatte gestern Abend schließlich die Tür noch aufgeschlossen, also konnte ich den Schlüssel schon mal nicht dort drin vergessen haben.

Ich wusste nicht wieso, doch mein Herz klopfte laut, als ich meine Hand in die Tasche steckte und ein kleines gerät umfasste. Ich holte es raus und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. So etwas besaß ich nicht, ich wüsste auch nicht, wieso ich für so ein komisches Teil Geld ausgeben sollte oder geschweige denn, was es überhaupt tun konnte. Ich konnte das Ding nicht einmal richtig beschreiben, es war klein, passte perfekt in meine Hand und es war hellgrau. Ich hatte das Gefühl, dass diese Gerätschaft wichtig sein könnte, konnte mir aber nicht vorstellen, wofür es gut war. Es sah etwas aus wie ein Tamagochi, diese kleinen Dinger, in denen man immer Tiere füttern musste, damit sie nicht ausstarben und die aus einem Ei schlüpfen mussten. Und tatsächlich!

Nachdem ich auf einen der kleinen Knöpfe gedrückt hatte erschien ein gestreiftes Ei auf dem Bildschirm. Hatte ich den Tamagochi von jemandem versehentlich eingesteckt?

Aber ich war doch mit niemandem in Berührung gekommen! Außer…mit Tai…

Nun ja, dann musste ich ihn wohl irgendwie finden und fragen, auch wenn ich überhaupt keine Anhaltspunkte hatte. Keine Telefonnummer, keine Schule, keine Adresse…

Obwohl…er sagte, dass er in so einem Gebäude wohnen würde, wie ich. Davon gab es ja nur…um die 200 in Tokio, aber sonst.

Ich seufzte und schaute das Ding in meiner Hand an. Das Ei hüpfte leicht hoch und runter. Ich musste den braunhaarigen Jungen wohl suchen. Ich konnte auch einfach bei einer anderen Oberschule fragen, ob dort ein Tai war. Wie hoch war wohl die Wahrscheinlichkeit, dass es mehrere Jungen mit dem Namen ‚Tai’ auf einer Schule gab?

Ich seufzte erneut, zog mir die schulpflichtige Strickjacke über und ging auf den Flur hinaus, nur um wieder von der endlosen Stille begrüßt zu werden.

Waren meine Eltern über Nacht überhaupt zu Hause gewesen? Nichts hatte sich verändert, nicht ein Stück, seit ich gestern Abend zu Bett gegangen war. Hatten sie jetzt vor, mir die Wohnung komplett zu überlassen, oder wie?

Alle fünf Sekunden seufzend bereitete ich mir etwas Essbares für die Schule vor und frühstückte hastig, bevor ich aus der Wohnung lief, die Tür abschloss und den Weg zum Schulgebäude einschlug.

Der Schultag ging recht schnell vorbei und ich war froh endlich aus diesem kleinen Gefängnis ausbrechen zu können. Mir war während Mathe eingefallen, dass Tai sich mit Nachnamen vorgestellt hatte, deswegen eilte ich nach der Schule sofort in eine Telefonzelle und schlug das dort liegende Telefonbuch bei ‚Y’ auf. Ich fuhr mit dem Zeigefinger die vielen Namen entlang, bis ich es endlich fand. Yagami!

Ich kramte in meiner Tasche nach Kleingeld, steckte sie hastig in den kleinen Schlitz und wählte die dort stehende Nummer. Ich betete, dass es die richtige Nummer war und verkreuzte dabei Zeige- und Mittelfinger.

Es klingelte zwei Mal, dann wurde der Hörer abgenommen.

„Hikari Yagami“, meldete sich die junge Stimme auf der anderen Leitung.

Dann war diese Hikari also die Schwester von Tai und Takeru der Bruder von Matt. Interessant.

„Ehm, hallo. Hier ist Moe, eine Freundin von Tai. Ist er zufällig da?“ Ich spürte wieder Hitze in mein Gesicht steigen und fluchte leise.

Die Stimme seiner Schwester klang etwas überrascht. „Nein, er ist noch nicht da. Soll ich ihm was ausrichten?“

„Nein, nein“, antwortete ich schnell. „Kannst du mir…ehm, vielleicht sagen, welche Farbe seine Schuluniform hat?“

Beschämt kniff ich die Augen zusammen und versuchte die Röte, die sich jetzt auf meinen Wangen verbreitete, zurückzuhalten.

„Ja“, kicherte das Mädchen. „Sie ist grün.“

„D-Danke“, murmelte ich. „Wiedersehen.“

„Tschüss.“ Das Lächeln war immer noch aus ihrer Stimme heraus zu hören.

Ich hängte den Hörer auf die Gabel, packte mein Zeug zusammen und eilte aus der Telefonzelle, wobei ich beinahe einen alten Mann umgelaufen hätte.

Ich murmelte eine leise Entschuldigung und hetzte weiter. Wenigstens wusste ich jetzt, auf welcher Schule er war. Gut, dass die Schuluniformen in dieser Stadt alle verschiedene Farben hatten, sonst hätte ich ihn vielleicht niemals gefunden. Okay, dass war vielleicht etwas übertrieben.

An der Schule angekommen sah ich, wie hunderte von Schülern durch das Tor gingen, dich unterhielten, mit Fußbällen auf dem Kopf balancierten und viel lachten. Doch Tai entdeckte ich nirgendwo. Ich war drauf und dran einen der vorbeilaufenden Schüler nach ihm zu fragen, traute mich jedoch nicht und lehnte mich seufzend an die Mauer.

„Moe?“

Ich wandte meinen Kopf der bekannten Stimme zu. Das Mädchen mit den orangenen Haare, Sora, schaute mich lächelnd an und kam auf mich zu.

„Hallo“, murmelte ich und erwiderte das Lächeln.

„Was tust du denn hier?“, fragte Sora und kam neugierig noch etwas näher.

„Ich, äh…“

„Moe!“, kam der erfreute Ausruf.

Sora drehte sich um und ich sah an ihr vorbei. Tai kam grinsend auf uns beide zu und blieb neben Sora stehen.

„Was verschafft uns die Ehre?“, fragte er und hob neckend eine Augenbraue.

„Ehm.“ Ich kramte den kleinen Tamagochi aus meiner Schultasche und hielt ihn Tai entgegen. Seine und Sora’ s Augen weiteten sich geschockt. „Hast du das verloren?“

Tai’ s Hand glitt in seine Hosentasche und bildete dort eine Faust, vielleicht umfasste er etwas.

„Nein“, sagte er leise und starrte mich mit gerunzelter Augenbraue an.

Sora beugte sich tiefer über meine Hand, um das Ding näher zu begutachten. Dann hob sie ihren Blick, um mich anzusehen.

„Wo hast du das her?“ Eindringlich durchbohrte mich ihr Blick.

„Ehm“, wiederholte ich und senkte den Blick. Meine Wangen wurden warm. „Das Ding war in meiner Tasche und gehört nicht mir, deshalb…“

„War es einfach da?“, hakte Tai nach.

Ich nickte hastig und zog meine Hand mit dem seltsamen Tamagochi aus dem Blickfeld der beiden anderen.

„Ist es nicht deins?“, fragte ich und hob leicht eine Augenbraue.

„Nein“, antwortete Tai und holte seine Hand aus der Hosentasche.

Er streckte seine Faust vor mich und öffnete seine Finger. Auf seiner Handfläche lag genau das gleiche Ding, dass ich auch in der Hand hielt. Sora’ s Hand erschien auch in meinem Blickfeld. Sie hatte auch diesen komischen Tamagochi umschlossen.

Mit einem leichten Anflug von Irritation schaute ich die beiden an.

„Seit wann hast du es?“, fragte Sora und schaute mir so bohrend in die Augen, dass ich mit roten Wangen den Blick senkte. „Schon länger?“

„N-Nein“, antwortete ich und sah sie kurz an. „Ich hab es erst heute Morgen entdeckt.“

Tai zog seine Hand zurück, steckte das kleine Ding wieder in die Hosentasche und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem misstrauischen Ausdruck in den Augen blickte er auf mich herunter und mir lief ein Schauer über den Rücken.

Was hatte es mit diesem Ding auf sich? Und woher hatten Sora und Tai eins?

„Sora.“ Tai wandte sich an das Mädchen in der grünen Uniform. „Ist Koushiro noch im Computerraum?“

Sora schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist gerade an mir vorbei gestürmt, ohne mich zu beachten. Vielleicht hatte er was Wichtiges zu erledigen.“

„Hm“, raunte Tai. „Dann gehen wir eben zu ihm. Er kann doch manchmal noch mit Tentomon reden, vielleicht weiß er was darüber.“

„Du hast Recht“, stimmte Sora ihm zu.

Mein Blick huschte nur zwischen den beiden hin und her, die Faust, mit dem Tamagochi, fest an meine Brust gepresst.

Tentomon? Wer sollte das sein? Und woher sollte diese Person wissen, wie ich dieses Ding bekommen hatte?

Ein Schauer lief über meinen Rücken. Wie gruselig das war. Sora und Tai schienen mehr zu wissen als ich, was ich ganz und gar nicht gut fand. Konnten die beiden mich nicht endlich aufklären?

„Worum geht es denn?“, fragte ich leise und mein Blick huschte abwechselnd zwischen den beiden.

Sie sahen mich an und ich spürte wieder, wie meine Wangen warm wurden, ließ den Kopf dieses Mal aber nicht senken. Ich wollte wissen, was das alles auf sich hatte!

Tai nickte Sora schnell zu, schaute mich kurz an und lief dann davon, zwischen die hinausstürmenden Schüler.

Überrascht folgten meine Augen ihm, bevor er verschwand und ich blickte in Sora’ s lächelndes Gesicht.

„Sora-san, was…?“, fing ich an, wurde aber durch Sora’ s nehmen meiner Hand unterbrochen. Verwirrt schaute ich sie an.

„Lass uns zu mir gehen. Meine Mutter macht die besten Takoyaki der Welt“, schlug sie vor, sagte es aber in einer Art, die keine Widerrede duldete.

Ich schluckte hörbar, lächelte und nickte schwach.

Was hatten die beide vor? Hatten sie Angst, dass vor ihnen davonlaufen würde, wenn sie mich nicht irgendwo festhielten? Ich schob das kleine, graue Gerät in die Tasche meines Rockes.

Irgendwas musste es mit der kleinen Gerätschaft auf sich haben. Meine Neugier flammte mit einem Mal lichterloh.

Tai und Sora waren sichtlich schockiert gewesen, dass ich so ein Ding gefunden hatte und Koushiro wusste anscheinend auch über so was Bescheid. Wer auch immer dieser Tentomon war, welcher schon ein seltsamer Name war, musste auch etwas darüber wissen. Vielleicht sogar mehr als Koushiro.

Sora hatte sich bei mir eingehackt und führte mich zu einem der unzähligen Wohnblocks in Tokio. Sie redete über Tennis, ihre Gegner und das sie schon viele Matches dort verloren hatte, aber die Hoffung nie aufgab. Ich nickte nur und sagte ab und zu etwas, dass passend war.

Wir fuhren mit dem Aufzug weit nach oben und als wir ausstiegen eilte sie gleich zu der zweiten Tür an der rechten Seite.

Ich zögerte, bevor ich über die Türschwelle trat. Sora’ s Wohnung war ähnlich gebaut, wie die von mir und meinen Eltern, doch etwas geräumiger. Ich ging dem Mädchen mit den orangenen Haaren hinterher in die Küche und mir fiel auf, dass die gesamte Wohnung im alten japanischen Stil gehalten war. Im anschließenden Wohnzimmer stand ein kleiner Tisch, der wohl als Esstisch diente und an den man sich hocken musste, wie bei meiner Großmutter.

Obwohl…diese Einrichtung war wirklich unglaublich. Alles passte zusammen und überhaupt…

Sora kicherte leise, als sie meinen bewundernden Gesichtsausdruck sah und stellte einen Wasserkessel auf den Herd.

„Setz dich doch schon mal, Moe“, forderte sie mich freundlich auf und holte zwei Tassen aus einem Schrank.

Ich folgte ihrer Aufforderung und hockte mich an den niedrigen Tisch. Es war etwas seltsam in der Wohnung eines Mädchens zu sitzen, welches ich nicht mal seit 24 Stunden kannte. Oder überhaupt in einer andere Wohnung zu sitzen. Das hatte ich noch nie getan.

Eine Schiebetür an der Seite des Wohnzimmers wurde geöffnet und eine hübsche Frau mittleren Alters kam heraus. Sie trug einen wunderschönen Kimono.

Ich lächelte verlegen, als sie mich ansah.

„Hallo“, begrüßte sie mich überrascht.

„Guten Tag, Mama“, sagte Sora und lugte hinter dem Kühlschrank hervor. „Wow, der Kimono sieht wirklich toll aus! Hast du vor den nächste Woche zu tragen?“

„Ja, gefällt er dir?“, fragte Sora’ s Mutter und lachte.

Ihre Tochter nickte. Dann schaute sie mich an.

„Übrigens, Mama, das Ist Moe. Sie ist eine Freundin von mir“, stellte Sora mich vor.

Ihre Mutter musterte mich lächelnd.

„So? Wie kommt es, dass ich noch nie was von ihr gehört habe?“

Während sie redete, war sie hinter die Theke getreten, welche das Wohnzimmer von der Küche trennte und stand damit ihrer Tochter gegenüber.

„Na ja.“ Sora schloss den Kühlschrank und wandte sich ihrer Mutter zu. „Ich kenn sie noch nicht so lange. Sie geht nicht auf unsere Schule.“

Die beiden redeten leiser als vorher, als hofften sie, dass ich sie nicht hörte. Meine Augenbraue hob sich. So schlecht waren meine Ohren nun wirklich nicht.

„Tatsächlich. Das erklärt dann wohl die blaue Schuluniform. Woher kennst du sie denn dann?“, hörte ich die ältere Frau murmeln.

Meiner guten Manieren wegen, hatte ich den Blick auf meine Hände gerichtet, die auf meinem Schoß ruhten.

„Tai hat sie irgendwo aufgegabelt.“ Sora kicherte. „Er hat uns damit ganz schön überrascht, aber sie ist ein nettes Mädchen.“

Ihre Mutter lachte auch leise. „Ich wusste doch, dass dieser Tai ein kleiner Mädchenschwarm ist.“

Vorwurfsvoll raunte Sora: „Mama!“

Ein weiteres Kichern war zu hören. Auf meinen Lippen bildete sich ein breites Grinsen.

Mädchenschwarm? Und das wurde dadurch bewiesen, dass er mich, wie Sora es nannte, aufgegabelt hatte? Ein ziemlich schwacher Beweis, meiner Meinung nach.

„Wann bringst du ihn überhaupt mal wieder mit? Er war schon so lange nicht mehr hier“, fragte Sora’ s Mutter.

Sora schwieg eine Weile, flüsterte dann: „Lass uns ein anderes Mal darüber reden, okay? Grade ist es nicht so…“

„Ja, natürlich.“

Im nächsten Moment kam Sora auch schon, mit breitem Lächeln und einem Tablett mit Takoyaki und Tee, in mein Sichtfeld und kniete sich mir gegenüber an den Tisch.

„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest“, entschuldigte sie sich.

Ich winkte ab.

„Schon gut.“

Okay. Und wie fragte ich sie nun, was dieses Ding war, das in meiner Rocktasche friedlich lag?

„Sora-san…“

„Probier mal die Takoyaki“, forderte Sora und reichte mir die kleinen Bällchen.

Eine meiner Augenbrauen verschwand unter meinem Pony. Ein Ablenkungs-Manöver? Wozu?

Aber dennoch spießte ich einen der Bällchen mit einem kleinen Stäbchen auf und schob es mir in den Mund.

Gott, war das lecker!

Aber zurück zum Thema.

Ich schluckte und lächelte.

„Das schmeckt super“, lobte ich.

„Vielen Dank“, erwiderte Sora’ s Mutter, die gerade hinter der Theke hervor kam und lächelnd hinter der Schiebetür verschwand.

Sora grinste mich an und ich lächelte leicht zurück. Ich wollte jetzt endlich wissen, was dieses Ding war und Sora sollte es mir sagen.

Ich holte den Tamagochi aus meiner Tasche und legte es auf den Tisch. Sora wurde blass, als sie sah wie ich das Ding, vielleicht etwas zu doll, auf den Tisch klatschte.

„Was ist das?“, fragte ich, wie ich hoffte, vorwurfvoll und keine Ablenkung duldend.

Sora seufzte laut und sah mich seltsam verlegen an.

„Also…ich weiß nicht, ob ich dir das schon erzählen darf…“, fing sie an.

„Wer hat denn gesagt, dass du darauf warten musst, bis dir jemand die Erlaubnis gibt?“, unterbrach ich sie und verschränkte stur die Arme vor der Brust. „Ich hab ein Recht zu wissen, wieso dieses Ding in meiner Tasche aufgetaucht ist, findest du nicht?“

Sora nickte langsam, mit weit geöffneten Augen.

„Schon, aber Tai…“

Ich hob eine Augenbraue. „Was hat Tai damit zu tun?“

„Na ja“, meinte Sora und runzelte die Stirn. „Er meinte, dass er erstmal Koushiro fragen müsste, ob das Digi-Vice auch zu dir gehört. Schließlich könnte es ja sein, dass es nur durch Zufall bei dir gelandet ist, obwohl es zu jemand anderem sollte.“

Digi-Vice? So hieß das seltsame Tamagochi- Ding?

Ich löste einer meiner Arme und griff nach dem Digi-Vice, um es mir noch mal anzugucken. Das Ei, dass auf dem Bildschirm zu sehen war, hatte aufgehört zu hüpfen und plötzlich vibrierte das Gerät in meiner Handfläche so doll, dass mein ganzer Arm bebte.

Sora lief schnell um den Tisch herum und ließ sich neben mir auf die Knie fallen, um mir über die Schulter zu gucken.

„Was…?“

Doch weiter kam ich nicht, denn das Ei auf dem kleinen Bildschirm zersprang. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich es an. Ein kleines Ding, nur mit einem Kopf und seltsam unförmigen Körper befand sich nun dort, anstelle des Ei’ s.

„Hm“, machte Sora neben mir uns ich drehte mich, um sie anzusehen.

„Sora-san…“

Sie lächelte. „Sora reicht. Nur Sora.“

Ich erwiderte ihr Lächeln schwach. Gerade war in meinem Digi-Vice ein Ei geschlüpft! Was sollte ich denn jetzt damit tun?

„Es scheint tatsächlich für dich zu sein“, murmelte Sora, erhob sich und ging zu einer Kommode, worauf sich ein Telefon befand.

Verwirrt beobachtete ich, wie sie eine Nummer wählte.

„Ah, gut, dass du dran gehst“, sagte sie, brach aber ab.

Sie schwieg eine Weile und ich stand leise auf, um mich neben sie zu stellen, mein Ohr an den Hörer in ihrer Hand gedrückt. Ich hörte kein Wort, zog meinen Kopf deswegen wieder zurück.

„Tentomon wusste also davon und wollte dir schon lange Bescheid sagen? Ja, es ist grade geschlüpft, das Digi-Vice hat es angezeigt.“

Sie schwieg erneut und ich platzte beinahe vor Ungeduld. Wer war denn nun dieser Tentomon? Und wieso wusste er schon lange Bescheid? Und was hatte dieses Ei in diesem komischen Gerät denn nun zu bedeuten?

„Ist okay, wir kommen gleich rüber. Zu Tai, sagst du?“ Sie nickte mir kurz zu und wies mit dem Kopf auf die Eingangstür. Langsam ging ich dorthin, zog meine Schuhe an und wartete.

„Wir sind auf dem Weg“, verabschiedete Sora sich und legte auf.

Sie rief ihrer Mutter zu, dass wir zu Freunden gingen und eilte schnell zu mir, zog ebenfalls ihre Schuhe an, schnappte unsere Jacken von dem Hacken an der Wand und zog mich hinaus in die Kälte.

Ich wusste nicht, wieso wir uns so beeilen mussten, denn Sora lief in einer erschreckenden Geschwindigkeit zum Fahrstuhl, schlug beinahe auf den Knopf ein und zappelte ungeduldig, bis sich die Türen öffneten.

Mit einem entnervten Seufzen zog sie mich am Ärmel mit hinein. Ich hatte noch nicht einmal genug Zeit gehabt, um meine Jacke anzuziehen und dieses Mädchen wollte, dass ich einen Sprint hinlegte, um in den Aufzug zu kommen!

Dadurch wuchs meine Neugier immer größer.

Pläne

Meine Augenbraue zuckte, als wir vor der Tür der Yagami’ s standen. Sora hatte mich allen Ernstes zu Tode gehetzt, nur um in das riesige Gebäude direkt nebenan zu kommen! Diese Frau hatte Nerven. Wären wir in normalem Tempo gegangen hätten wir vielleicht fünf Minuten gebraucht, doch so wie Sora mich gepusht hatte, hatten wir bestimmt nicht einmal zwei Minuten gebraucht, wenn man die Dauer fürs Ankommen des Aufzuges mitrechnete.

Ich seufzte leise und versuchte mich abzuregen. Ich war ja eigentlich ein ruhiger Mensch, doch wenn es um Sport ging, war nicht mit mir zu spaßen. Ich verstand mich nicht besonders mit sportlichen Aktivitäten. Wir stießen uns ab wie der Plus- und Minuspol eines Magnetes.

Sora klingelte Sturm, die Stirn in tiefen Falten, bis sich endlich jemand erbarmte und die Tür öffnete.

Vor uns stand ein Mädchen, womöglich Hikari, mit braunen, kurzen Haaren und braunen Augen. Sie sahen fast so aus, wie die von Tai, aber trotzdem anders. Sie grinste uns an.

„Tai und Koushiro sind in seinem Zimmer“, informierte sie uns und bevor Hikari zu Ende gesprochen hatte, hatte Sora mich schon an der Hand genommen und in die Wohnung gezerrt.

Ich lächelte Tai’ s Schwester im vorbeigehen entschuldigend an und hinkte hinter Sora hinterher, als sie eine der Türen auf der rechten Seite aufstieß und hineinging.

Ich zögerte zuerst. Ich war noch nie im Zimmer eines anderen. Geschweige im Zimmer eines Jungen. Ich schüttelte den Kopf, wie um die Gedanken zu verscheuchen.

Es geht jetzt um das seltsame zersprungene Ei!

Also ging ich in den Raum und schloss leise die Tür hinter mir. Als ich mich umdrehte schauten Tai und Koushiro mich an. Kein Lächeln. Auf eine warme Begrüßung konnte ich also verzichten.

Schade eigentlich, ich mochte es, wenn Tai’ s Augen so strahlten, wie sie es gestern getan hatten, bevor ich ihm dieses Digi-Vice gezeigt hatte. Der absurde Wunsch, es ihm nie gezeigt zu haben, flammte kurz in mir auf, doch ich verdrängte ihn. Das graue Ding musste schließlich irgendwie wichtig sein und wenn Tai schon darüber Bescheid wusste…

„Hallo“, sagte ich, um die eingetretene Stille zu brechen und schaute verlegen auf meine Füße, die in einer dicken schwarzen Strumpfhose steckten, die irgendwie nicht warm hielt. Es fühlte sich an, als wären meine Beine und Füße aus Eis.

Tai nickte mir kurz zu und brachte dabei sogar ein erstaunlich strahlendes Lächeln zu Stande. Meine Wangen wurden warm und ich lächelte ungewollt zurück.

Er braunhaarige Junge kam auf mich zu, mit jedem Schritt wurde sein Grinsen breiter und ließ nicht mehr von der tiefen falte von gerade auf seiner Stirn erkennen.

Als er vor mir stand streckte er mir seine Hand fordern entgegen. Fragend sah ich in seine Augen, die sich doch ziemlich von Hikari’ s unterschieden.

„Zeig mal dein Digi-Vice“, befahl er, immer noch grinsend.

Brav holte ich das Ding aus meiner Rocktasche und legte es in seine ausgestreckte Hand. Er musterte es und seine Augen weiteten sich überrascht, als er auf das komische Tier schaute, dass aus dem Ei geschlüpft war.

„Koushiro“, sagte er, wandte sich halb dem anderen Jungen zu, der an dem Computer saß, der sich in Tai’ s Zimmer befand. „Tentomon hat uns aber nicht gesagt, dass das Digimon schon geschlüpft ist, oder?“

„Nein, eigentlich nicht“, erwiderte Koushiro verwundert, drehte sich zum Computer und ließ seine Finger über die Tastatur fliegen.

Wow! Der Junge tippte, wie ein Weltmeister. So schnell, dass es aussah, als würden seine Finger verschwimmen.

Ich kicherte leise und erntete damit einen verwirrten Blick von Sora und Tai.

Eine kleine Übertreibung natürlich.

Sora saß auf dem Bett, das an der hinteren Wand stand und musterte mich mit seltsamem Gesichtsausdruck, bevor ihre Augen zu Tai wanderten und sie die Stirn runzelte.

Tai’ s Blick wandte sich wieder mir zu, sein Körper befand sich aber immer noch seitlich zu mir und damit auch zu Koushiro. Er hob eine Augenbraue.

Ich tat es ihm gleich. Und ohne, dass ich es verhindern konnte, wurde ich rot. Musste er mich denn auch so verwirrend anschauen? Das war ich alles überhaupt nicht gewohnt. Die Jungs an meiner Schule beachtete mich kein Stück und nun schaute mich einer von der Wow- Sorte mit durchdringendem Blick an.

„Ich glaub’ s ja immer noch nicht“, schmunzelte Tai plötzlich in die Stille, die nur vom Klacken der Tastatur gebrochen wurde. „Du bist tatsächlich eine von uns.“

Meine Augenbraue hob sich noch ein kleines Stückchen weiter. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, packte Tai mich überraschenderweise an den Schultern und lotste mich so zu seinem Bett, das ich rückwärts lief und fast einen Herzinfarkt bekam, als ich das Holz des Bettes in meinen Kniekehlen spürte und darauf wegsackte.

Schockiert und höchst verwirrt sah ich Tai an, der nichts Besseres erwidern konnte, als zu lachen, nachdem er mein Gesichtsausdruck gesehen hatte.

Das war wahrhaft erschreckend für mich gewesen und er lachte mich dazu einfach aus.

Doch ich konnte ein Grinsen nicht verhindern, es schlich sich verräterisch auf meine Lippen und klebte dort fest.

„Ich komm nicht zu ihm durch, Tai“, hörte ich Koushiro’ s beinahe panischen Ausruf.

Schmunzelnd ging Tai zu ihm, lehnte sich auf die Lehne des Stuhls, auf dem der Junge mit den rotbraunen Haaren saß und schaute auf den Bildschirm des Computers.

„Hm“, grübelte er und beugte sich etwas mehr zu dem Bildschirm hinunter. „Wieso nicht?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Koushiro. „Womöglich befindet er sich grade nicht in der Nähe eines Fernsehers. Es wäre möglich, dass sie schon wissen, dass das Ei geschlüpft ist.“

„Dann suchen sie es vielleicht schon?“, hakte Tai nach und sah Koushiro an.

Als Antwort kam ein Nicken.

„Dann bedeutet das also, dass wir wieder in die Digiwelt müssen?“, erkundigte sich Sora mit einem Anflug eines Lächelns.

Tai wandte sich ihr und mir zu und grinste sie an.

„Das heißt es wohl“, erwiderte er.

Sora klatschte sich einmal in die Hände und ließ die Handflächen aufeinander vor ihrer Brust schweben. In ihre Augen trat ein glückseliger Ausdruck, den ich nicht verstand.

Sie eilte zu der Tür, öffnete sie und rief ins Wohnzimmer: „Hikari! Wir können vielleicht bald wieder in die Digiwelt! Wir sehen bald alle wieder!“

Ein seltsames Quieken war aus dem angrenzenden Raum gekommen und Hikari erschien in der Tür. Sie strahlte erst Sora, dann Tai an.

„Ist das wahr, Tai?“, fragte sie, als erwarte sie keine negative Antwort.

Tai nickte grinsend und ließ sich neben mir auf das Bett fallen.

„Und freust du dich schon?“, fragte er mich schmunzelnd.

Ich runzelte die Stirn. Wenn ich wüsste, worum es überhaupt ginge, dann hätte ich es ihm vielleicht sagen können.

Verlegen blickte ich ihn an.

„Sollte ich denn?“, fragte ich leise und wurde wieder rot.

Tai’ s Grinsen verschwand und er schaute mich überrascht an. Wie wohl jeder in diesem Raum. Hatte ich mich geirrt oder hatte ich nicht gerade bemüht leise gesprochen? Wieso hatte mich jeder gehört?

„Du solltest schon“, antwortete mir Koushiro und rollte mit dem Stuhl vor Tai und mir, wohl, um mich besser ansehen zu können.

Hikari kam einige Schritte näher, ein dickes Fragezeichen im Gesicht. Stimmt ja, wir kannten uns noch gar nicht, sie fragte sich wohl, was ich damit zu tun hatte.

„Schließlich“, fuhr Koushiro zögernd fort, „hast du jetzt ein Digimon.“

Etwas in meinem Kopf klingelte.

Digimon…

Ich kannte das irgendwoher. Gab es nicht vor vielen Jahren irgendetwas mit Digimon? Ich war erst…elf? War das zu der Zeit, als…?

„Hm“, entwich meinem Mund, ohne, dass ich es wirklich mitbekam.

„Ehm, Tai?“, hörte ich und hob meinen Kopf, und schaute Hikari an.

Sie schien genauso durcheinander zu sein, wie ich es war.

„Ach ja!“, rief Tai plötzlich, als würde er sich an etwas erinnern. „Hikari, das ist Moe. Moe, das ist meine Schwester Hikari.“

Ich lächelte und Hikari kicherte, als Tai meinen Namen nannte. Womöglich erinnerte sie sich an unser Telefonat heute Nachmittag und ich senkte beschämt den Kopf, um die Wärme, die erneut in meine Wangen stieg, leise zu verfluchen.

„Gehen wir jetzt sofort?“, fragte Sora aufgeregt und als ich den Kopf hob sah ich, wie sie und Hikari gegenseitig ihre Hände drückten.

„Nein“, erwiderte Koushiro grüblerisch und drehte sich etwas auf dem Stuhl. „Wir wissen nicht, wie viele von diesen Fernsehern noch aktiv sind und ob wir immer noch kommen und gehen können, wann wir wollen. Ich muss noch mal mit Tentomon darüber reden.“

Enttäuscht ließen Sora und Hikari die Hände wieder sinken.

„Ehm“, begann ich leise. „Ist Tentomon dein…Digimon?“

Es war irritierend über so etwas zu reden und ich war mir noch nicht richtig sicher, ob ich Tai und den anderen glauben sollte, doch ich entschied mich es in diesem Moment einfach mal zu tun.

Koushiro nickte lächelnd.

„Selbst wenn wir nicht kommen und gehen können, wann wir wollen“, nahm Tai den Faden wieder auf und lehnte sich weiter nach hinten. „Wir müssen in die Digiwelt. Auch wenn es wieder so lange dauert, wie beim ersten Mal. Moe muss nun mal ihren Digi-Partner sehen. Irgendwie kommen wir da schon raus. Das wäre dann fast so wie Ferien in der Digiwelt.“

Tai lachte auf. Ich lächelte mit gehobener Augenbraue.

„Nur, dass wir noch keine Ferien haben, Tai“, mahnte Sora ihn und verschränkte die Arme vor der Brust.

Tai schob die Unterlippe vor und blickte Sora unter den Wimpern her an.

Ich schmunzelte und schaute aus dem Fenster. Es war stockduster draußen. Es würde sowieso niemand auf mich warten zu Hause und den Nachmittag so verbracht zu haben war sehr viel angenehmer, als allein durch die Straßen zu laufen.

Wir saßen noch ein wenig in Tai’ s Zimmer. Die anderen erzählten von einigen Dingen, die sie in dieser Digiwelt erlebt hatten, welche sich, wie ich zugeben musste, ziemlich spannend anhörten. Und an einen Teil, der dann in unserer Welt passiert war, konnte ich mich sogar erinnern. Ich war dabei gewesen, hatte mich vor Angst an meine Großmutter geklammert und hatte damals schon keine Ahnung gehabt, wo meine Eltern überhaupt gewesen waren, ob sie etwas von alle dem mitbekommen hatten oder ob sie auch irgendwo festgehalten wurden.

Es war schon später, als Tai’ s und Hikari’ s Mutter ins Zimmer kam und uns alle überrascht anschaute. Hikari stellte mich ihr vor, ich verbeugte mich höflich und kurz darauf verließen Koushiro, Sora und ich auch schon die Wohnung der Yagami’ s.

Ich wohnte recht nah bei den anderen, nicht direkt gegenüber, so wie Sora es tat, doch es war kein besonders langer Fußmarsch. Vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten, also würde ich keine lange Zeit in der schneidenden Kälte bleiben müsse.

Koushiro wohnte sogar noch im selben Gebäude und verabschiedete sich als erster von uns. Sora und ich winkten ihm hinterher und gingen nebeneinanderher aus dem großen Haus. Ich fragte mich, wieso sie Tai und mich heute so komisch gemustert hatte, traute mich aber nicht die Frage laut zu stellen. Wir waren noch nicht so weit, dass wir uns über tiefere Sachen unterhielten, als über diese Digimon, das seltsame Digi-Vice und unsere Begegnung von gestern.

Als ich links abbiegen musste, war ich erleichtert, nicht mehr von Sora’ s Fragen durchlöchert zu werden, was Tai und ich gestern noch so alles getrieben hatten, nachdem wir von ihnen gegangen waren.

Ich realisierte immer noch nicht richtig, dass ich ein Digimon hatte und dass ich eigentlich keine Ahnung hatte, was genau ein Digimon überhaupt war. Dadurch dachte ich auch nicht weiter über Sora’ s leicht aufdringliche Fragen zum Thema Tai nach, denn ich hatte, ehrlich gesagt, andere Sorgen.

Ich lief schneller, als ich es sonst tat, um nach Hause zu kommen, denn der Wind schnitt mir schmerzhaft an die Stellen im Gesicht, die nicht mit einer Mütze und einem Schal bedeckt waren.

Als dann mein Wohnblock in Sicht kam, stutzte ich. Das Licht in unserer Wohnung war an. Konnte es sein, dass meine Eltern da waren?

Ich verdoppelte meine Schritte und raste die Treppen hoch, als ich angekommen war, denn der Aufzug brauchte viel zu lange, um erst mal anzukommen. Ich schloss die Tür auf und versuchte dabei meinen schnellen Herzschlag unter Kontrolle zu kriegen. Mann, jetzt wurden mir die Folgen meiner kleinen Sportabneigung klar.

Einmal glitt mir der Schlüssel auf den steif gefrorenen Händen, doch letztendlich schaffte ich doch noch ihn ins Schlüsselloch zu stecken und rumzudrehen.

Die Wärme der Wohnung schlug mir heiß ins Gesicht, nachdem ich die Tür geöffnet hatte und ich zwinkerte einige Male, bevor mir auch der Geruch entgegenkam. Es roch nach…etwas Essbarem. Tatsächlich!

Eilig schloss ich die Tür, schlüpfte aus den Schuhen und eilte zur Küche.

Dort stand, allen Ernstes, meine Mutter und rührte in einem Topf. Als sie mich herpoltern hörte, wandte sie überrascht den Kopf zu mir und lächelte.

„Guten Abend, Moe“, begrüßte sie mich und ich bemerkte ein kleines Glitzern in ihren Augen.

Sie war neugierig. Das sah man ihr sofort an.

Beinahe hätte ich gekichert, doch ich konnte mich zurückhalten und lächelte leicht.

„Du kannst dich schon mal zu deinem Vater setzen.“ Mit dem Kopf deutete sie auf den Mann, der einsam am Tisch saß und in einer Zeitung las.

Ich hob eine Augenbraue.

Sogar er war da? Was war denn heute für ein seltsamer Tag?

Wie befohlen setzte ich mich an einen der vier Stühle und zog somit die Aufmerksamkeit meines Vaters auf mich. Erstmal schaute er mich schockiert an, doch dann wurde sein Blick liebevoller, so als hätte er seine verlorene Tochter wider gefunden.

„Hey, Dad“, murmelte ich und senkte den Blick.

„Hallo, Moe“, hörte ich ihn sagen.

Papier knisterte und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie er die Zeitung zur Seite legte, die Arme auf den Tisch legte und die Finger verkreuzte.

Das bedeutete schon mal keine Konversation über belanglose Dinge.

Was hatte ich denn dieses Mal wieder falsch gemacht?

Mom kam mit einem Tablett zu uns, auf dem drei Teller, und drei Becher standen. Behutsam stellte sie die Dinge vor uns ab und setzte sich neben Dad.

Ich schluckte. Was hatte ich getan?

„Iss, Schätzchen“, befahl meine Mutter in sanften Ton, was meinen Argwohn um Maßen steigerte.

Ich nahm die Gabel und aß.

Meine Eltern beobachteten mich einen Moment dabei, fingen dann aber selber an zu Essen.

„Nun“, fing mein Vater nach einer Weile an, „Was hast du denn heute so getrieben?“

Die Frage klang belanglos, doch ich hatte das Gefühl, dass er das nicht nur aus höflichem Interesse heraus gefragt hatte.

„Ich…“

„Warst du wieder ganz alleine draußen, Schatz?“, unterbrach Mom mich mit besorgtem Unterton. „Und dieses Mal so lange. Wir sind extra früh gekommen, damit wir mal wieder Zeit mit dir verbringen könnten und dann treibst du dich so lange alleine draußen rum.“

Ich hob eine Augenbraue. War es denn so klar, dass ich alleine gewesen sein müsste? Was ich ja nicht gewesen war. Und in der Stadt war ich auch nicht. Trauten meine Eltern mir nicht zu, dass ich bei anderen Leuten in meinem Alter sein könnte? Sie kannten mich doch gar nicht!

„Keine Sorge, Mom“, versicherte ich ihr. „Ich war nicht in der Stadt und allein war ich auch nicht.“

„Warst du nicht?“, fragte mein Vater nun, die Überraschung trug er unverhüllt in den Augen.

„Nein, war ich nicht“, erwiderte ich und senkte meinen Blick auf die Hand, in der sich die Gabel befand.

Meine Mutter seufzte.

„Das muss dir nicht peinlich sein“, sagte sie in beruhigendem Ton. „Die Kinder in deiner Schule passen einfach nicht zu dir, Liebling.“

Meine Kinnlade klappte runter. Jetzt trauten sie mir nicht einmal zu, dass ich die Wahrheit sagte.

Mein Vater schaute mich nur nachdenklich an.

„Dann war es also wahr, was Yukio sagte“, grummelte er.

Erschrocken schaute Mom ihn an und ich spiegelte ihren Gesichtsausdruck. Yukio war eine Freundin meiner Eltern, die nur zu gerne Spion spielte. Oder hatten die beiden diese verrückte Frau auf mich angesetzt, damit sie erfuhren, was ich ohne sie so alles tat?

Ich war restlos schockiert.

Nun sah Dad mich eindringlich an.

„Wie läuft es denn so mit den Jungen?“, fragte er und kratzte grüblerisch sein Kinn.

Eine meiner Augenbrauen verschwand unter meinem Pony.

„Bitte?“, sagte ich eine Oktave zu hoch.

Beruhigend legte Mom mir eine Hand auf den Arm.

„Versteh uns, Schatz“, wollte sie mich beschwichtigen. „Wir sehen dich doch so gut wie nie und da hat Yukio sich nun mal angeboten ein Auge auf dich zu werfen. Und gestern hat sie dich dann in einem Café entdeckt. Mit einem Jungen.“

Sie lächelte stolz.

Ich konnte sie nur fassungslos anschauen.

„Ich habt mich von dieser verrückten Frau beschatten lassen?“, rief ich aufgebracht und schmiss die Gabel auf den Teller.

Es klirrte laut und mein Vater ließ seine Gabel ebenso wütend sinken.

„Es war nur zu deinem Besten und jetzt sehen wir ja, was aus dir geworden ist, während wir nicht da waren.“ Seine Stimme war laut und grummelnd.

Mir lief ein Schauer über den Rücken.

Was aus mir geworden war, während sie nicht hier waren?

Was war denn aus mir geworden? Und das sahen sie nur daran, dass ich einmal mit einem Jungen in einem Café saß?

„Koizumi“, sagte meine Mutter und legte meinem Vater beschwichtigend eine Hand auf den Arm. „Reg dich nicht so auf, sie hat sich doch nur mit einem Jungen getroffen.“

„Und dazu schreit sie mich auch noch an! Das dulde ich nicht, Moe!“

Versuchte mein Vater grade mich zu erziehen? Vielleicht hätte er damit früher anfangen sollen.

Mom kicherte nur, wie ein kleines Schulmädchen.

„Es heißt doch, dass alle Rothaarigen sehr temperamentvoll sind“, schmunzelte sie.

Dad warf ich einen bösen Blick zu und sie schwieg, immer noch ein Grinsen auf den Lippen.

„Wer ist dieser Junge?“, brummte Dad und durchbohrte mich mit seinem Blick. „Wir müssen ihn kennen lernen.“

Bitte nicht!

„Wozu?“, flehte ich beinahe. „Wir haben uns durch Zufall getroffen und er hat mich eingeladen. Das war kein Date, er ist nicht mein Freund!“

Mein Vater erhob sich und der Stuhl fiel rücklings und mit lautem Poltern zu Boden.

„Du wirst diesen Jungen hierher bringen! Keine Widerrede. Deine Mutter und ich haben ein Recht darauf ihn kennen zu lernen und zu erfahren, wie weit ihr schon gegangen seid“, sagte er und verschwand im Schlafzimmer.

Ich spürte wie meine Wangen knallrot wurden.

Wie…wie weit…wir schon gegangen sind? Was dachte sich dieser Mann überhaupt! Tai war nicht mein Freund und würde es auch niemals werden. Er war einfach zu…nun ja. Ich hatte das Gefühl, er mochte Sora. Aber ich kam wieder vom Thema ab, schließlich musste ich immer noch wütend auf meinen Vater sein.

Mom seufzte genervt auf und erhob sich, um den Stuhl wieder hinzustellen.

„So ein Chaos“, murmelte sie. „Dabei hatte ich mich so gefreut in Ruhe mit der ganzen Familie zu essen, nach so langer Zeit.“

Wortlos stand ich auf, nahm meinen Teller und stellte ihn in die Spüle. Dann begab ich mich ins Wohnzimmer und ließ mich seufzend auf das Sofa nieder. Einen Moment lang schloss ich die Augen, bis ich merkte, wie sich jemand direkt neben mich setzte.

Jemand, wahrscheinlich meine Mutter, strich mir sanft durchs Haar und drückte mich warm an sich.

Ich lächelte leicht und hob den Kopf, um Mom anzusehen.

„Hach, ist das lange her“, seufzte sie und lächelte mich glücklich an. „Ich hab dich schon vermisst, Liebling.“

Ich kuschelte mich wie ein kleines Kind an ihre Brust und schloss erneut die Augen. Es war so schön, wenn meine Mutter da war, nur war es leider viel zu selten. Ich hatte schon vergessen, wie lieb sie eigentlich immer zu mir war.

Eine Weile verharrten wir so, doch dann schob Mom mich etwas von sich weg und musterte mich.

Sie lächelte selig und strich mir erneut durch die Haare.

„Du bist wunderschön“, sagte sie und mir stieg wieder Wärme in die Wangen. „Es tut mir so leid, dass wir so selten zu Hause sind. Dieser Job raubt uns all unsere Freizeit und es schmerzt nicht mitzubekommen, wie du langsam zu einer reifen Frau heranwächst.“

Ich lächelte und meine Wangen wurden noch etwas wärmer. Es war schön, dass Mom hier war.

Plötzlich veränderte sich ihr Ausdruck und sie schaute mich überrascht an.

„Du trägst ja noch deine Schuluniform“, stellte sie fest und schubste mich in die Richtung, in der mein Zimmer lag. „Na los, zieh dich schnell um, ich mach uns einen warmen Kakao und wir reden etwas.“

Sie lächelte mich lieb an und ich verschwand in meinem Zimmer. Während ich mich umzog überlegte ich, wie ich Tai wohl fragen könnte, dass er einmal zu uns kommt, um meine Eltern kennen zu lernen. Was würde er nur denken.

Ich kniff verzweifelt die Augen zusammen und drückte einen dicken Wollpullover an meine Brust.

Tai würde doch denken, meine Familie sei verrückt, und ich mit eingeschlossen!

Als ich meinen Rock auszog und die Jogginghose überstreifte, fiel mir das Digi-Vice aus der Tasche. Es vibrierte leicht und machte klackernde Geräusche auf dem Holzufußboden.

Ich nahm es in die Hand und schaute nach, ob sich irgendetwas verändert hatte. Das Digimon auf dem Bildschirm war größer geworden, sah zwar noch aus wie vorher, doch von der Größe her, war es gewachsen.

Ich seufzte und steckte den Kopf in den großen, warmen Pullover. Mit einem weiteren Seufzen packte ich das Tamagochi- Ding unter mein Kopfkissen und schlurfte wieder ins Wohnzimmer, wo meine Mutter schon saß. Auf dem Couchtisch zwei Tassen dampfenden Kakaos und Plätzchen.

Ich hörte leise Hintergrundmusik und fühlte mich wie in einem Film, wo auch immer Musik zu laufen schien.

Träge ließ ich mich neben Mom, im Schneidersitz, auf das Sofa fallen und griff nach einer Tasse.

Mh, das roch gut!

„Moe.“ Meine Mutter sah mich wieder mit diesem Glitzern in den Augen an. „Nur aus Neugier, wer war denn dieser Junge, mit dem zu gestern im Café warst?“

Ich schmunzelte. War ja klar, dass sie wieder auf dieses Thema zurückkommen würde.

Bevor ich antworten konnte, redete Mom schon weiter: „Wie heißt er? Kennst du ihn schon lange? Geht er auf deine Schule? Findest du ihn süß?“

Ich spürte Wärme in meine Wangen steigen.

Verflucht noch mal!

„Ehm“, erwiderte ich zögernd. „Sein Name ist Taichi Yagami und…ehm, er geht nicht auf meine Schule, sondern auf die, mit den grünen Uniformen“, als würde der Name der Schule ihr irgendwie weiterhelfen, „ehm, und…ich kenne ihn seit gestern.“

Sie nickte ununterbrochen und hob argwöhnisch eine Augenbraue.

Vielleicht würde sie nicht merken, dass ich…

„Und? Findest du ihn süß?“, hakte sie nach und ein Grinsen erschien wieder auf ihren Lippen.

Ich wurde wieder rot, doch das war natürlich keine Antwort, wenn man bedacht, wie oft ich warme Wangen bekam.

„Ich denke….schon“, sagte ich verlegen und starrte auf die braune Flüssigkeit in meiner Tasse. „Aber ich kenne ihn erst seit gestern.“

Mom kicherte.

„Tut mir leid, dass ich dir das erst jetzt sage, aber…“

Misstrauisch schaute ich sie an.

„Aber Yukio hat gestern ein Foto von euch beiden gemacht“, kicherte sie und wurde selber rosa um die Nase.

Fassungslose Überraschung spiegelte sich wohl in meinen Augen, denn Mom holte etwas aus ihrer kleinen Handtasche, die neben ihr lag und hielt mir das Foto vor sie Nase.

Ich nahm es ihr aus der Hand und musterte es.

Man sich mich nicht richtig, ich war nur von hinten sichtbar, doch durch meine auffällige Haarfarbe war es nicht schwer, mich zu erkennen und Tai…nun ja, man sah sein ganzen strahlendes Gesicht. Die braunen Augen waren am leuchten und die Haare verwuschelt durch den Wind, der draußen geherrscht hatte. Das Foto wurde, allem Anschein nach, auch von außerhalb geschossen, jedoch wurde rangezoomt. Die Qualität ließ zu wünschen übrig.

Ich hörte meine Mutter erneut kichern. Ich hob meinen Kopf, um sie anzusehen und sie musterte mich mit unverschämter Neugier.

Ich hob eine Augenbraue.

„Hast du ihn schon angerufen, um zu fragen, ob er kommt oder wieso hast du so lange in deinem Zimmer gebraucht?“, fragte sie argwöhnisch und grinste breiter, als ich gedacht hätte, das ihre Mundwinkel so weit kommen würden.

„Nein, hab ich nicht“, erwiderte ich.

„Dann tu’ s jetzt!“, forderte Mom mich auch und strahlte mich an. „Morgen ist doch Freitag, frag doch ob er kommen will. Nur zum Essen mit uns, dann könnt ihr auch euren Spaß haben.“

Sie zwinkerte und ich wurde wieder rot.

„Mom!“, rief ich vorwurfsvoll und spürte wie meine Wangen heiß wurden.

Meine Mutter kicherte und schnappte sich das schnurlose Telefon, das auf dem Couchtisch lag.

„Ich kenn seine Nummer doch gar nicht auswendig“, versuchte ich abzulenken, jedoch vergeblich.

Irgendwoher zauberte Mom ein Telefonbuch raus und hielt es mir vor die Nase. Ich grummelte und nahm es schmollend an, während sie mir das Telefon in die andere Hand drückte.

Verdammt, was würde Tai denn von mir denken? Und wie sollte ich ihn überhaupt fragen?

Ich schlug die gleiche Seite auf, wie ich es an diesem Tag zuvor auch getan hatte und wählte die schon bekannte Nummer. Mit zitternder Hand legte ich mir das Telefon ans Ohr und schaute meine Mutter böse an, die darauf nur hinter vorgehaltener Hand kicherte.

Es klingelte und dann wurde der Hörer abgenommen.

„Taichi Yagami?“, hörte ich seine Stimme sagen.

„Ehm…“ Ich stockte. Uh, er würde mich für komplett verwirrt halten. „Hier ist…Moe.“

„Ah, Moe!“, rief Tai erfreut und hörte sich schon gleich fröhlicher an.

Ich schmunzelte und Mom schaute mich fragend an.

Okay, ich machte es kurz und bündig.

„Hast du Lust, morgen zum Abendessen vorbei zukommen?“, fragte ich, wurde rot und kniff die Augen zusammen.

Ich hörte, wie Tai’ s Atem kurz stockte und er nach einer Weile dann leise schmunzelte.

„Das war direkt“, informierte er mich.

„Könnte…sein?“, erwiderte ich zögernd und wartete auf seine Antwort.

„Hm“, hörte ich. „Und was bekomm ich dafür?“

Ich schnaubte entrüstet auf. „Was willst du denn?“

Tai stockte kurz und meine Mutter beugte sich weiter vor und schaute mich mit neugierigem Blick an.

„Ich komme darauf zurück“, erwiderte er ablenkend und ich hob eine Augenbraue. „Wann soll ich denn morgen da sein?“

Seine letzte Frage überrascht mich ein wenig. Er nahm tatsächlich eine Einladung von einer fast Fremden an? Versprach er sich so viel daraus, dass ich eine von ihnen war?

Ich formte mit den Lippen das Wort ‚Wann’ und meine Mutter streckte als Antwort acht Finger in die Luft.

„Um Acht“, antwortete ich und schmunzelte leise.

„Alles klar“, sagte Tai schon wieder enthusiastisch, wie ich ihn kennen gelernt hatte. „Bis morgen, dann Moe.“

Bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, hatte er schon aufgelegt. Fassungslos nahm ich das Telefon von meinem Ohr und drückte auf den roten Knopf.

„Und?“, hakte meine Mutter mit riesigen, glitzernden Augen nach.

Langsam legte ich das Telefon auf den Couchtisch, nahm die Tasse wieder in die Hand und trank einen dramatisch wirkenden Schluck der heißen Flüssigkeit, an ich mich mir auch gleich die Zunge verbrannte.

Eine kleine Schmerzensträne stahl sich aus meinem Augenwinkel und Mom schaute mich schockiert an.

„Er kommt nicht?“, rief sie beinahe hysterisch.

Beschwichtigend streckte ich ihr meine Handfläche entgegen und schluckte das Brennen meiner Zunge hinunter.

„Er kommt“, krächzte ich und stellte die Tasse auf mein Knie, wo ich sie aber immer noch festhielt, so als Vorsichtsmaßnahme.

Begeistert klatschte sich meine Mutter in die Hände und hüpfte auf dem Sofa hoch und runter.

Strahlend schaute sie mich an und nahm die Hand zwischen ihre beiden, die nicht um die Tasse geschlungen war.

„Endlich lernen wir den süßen Jungen kennen, mit dem du dich ’zufällig’ getroffen hast“, schwärmte sie und rieb meinen Handrücken an ihre Wange.

Ehm, ja. Ich hob eine Augenbraue und verdrehte die Augen. Was würde es denn bringen, noch einmal zu sagen, dass ich Tai erst seit gestern kannte und nicht mit ihm zusammen war.

Meine Mutter schaute auf die Uhr.

„Huch“, meinte sie verblüfft. „Tatsächlich schon so spät? Na ja, dann musst du jetzt wohl schlafen gehen.“ Sie lächelte mich an. „Dein Vater und ich haben uns die ganze nächste Woche frei genommen, um ein wenig Zeit mit dir zu verbringen, Schatz. Das heißt, wir können morgen zusammen aussuchen, was du trägst, wenn Taichi kommt.“

Sie kicherte mädchenhaft.

Ich verdrehte die Augen. Tai würde es wohl auch überleben mich in normalen Klamotten zu sehen.

„Und jetzt Hopp“, befahl meine Mutter und schubste mich, mit der Tasse in der Hand, in Richtung mein Zimmer.

Sie drückte mir rasch einen Kuss auf die Stirn, packte das ganze Geschirr zusammen und räumte es weg, während ich schon in meinem Reich verschwand.

Spionage

Der Freitag verging wie im Flug. Morgens wurde ich von meiner liebevollen Mutter aus dem Bett gejagt, leider sehr viel später, als ich sonst immer aufstand, so dass keine Zeit mehr zum Frühstücken war und meine liebevolle Mutter mich zu Schule hetzte. Meinen Vater hatte ich an diesem Morgen nicht zu Gesicht bekommen, was jedoch nicht wunderlich war, denn das einzige, was ich von unserer Wohnung morgens gesehen hatte, war mein Zimmer und der Flur.

Glücklicherweise kam der Lehrer an diesem Tag etwas verspätet in den Klassenraum, also bekam ich keinen Eintrag ins Klassenbuch, was wohl eigentlich ganz gut war, so lange ich kein Aufsehen in der Klasse erregte.

Ich hatte noch nie wirklich den Drang verspürt mich mit jemandem aus meiner Klasse zu unterhalten und es kam auch nie jemand auf mich zu. Doch heute wurde ich seltsamerweise von meiner Klassenkameradin Aimi angesprochen. Sie fragte mich, was ich in dem Test für eine Note hatte, den wir letzte Woche in Geographie geschrieben hatten.

Ich war so verwirrt, dass ich nicht mal richtig antworten konnte und sie lächelte mich nur an, als wäre ich nicht mehr ganz beisammen! Eigentlich war Aimi ganz nett. Sie war eines der beliebtesten Mädchen unserer Schule, so weit ich da hinter kam, doch sie war nicht darauf aus, nur unter den „Coolen“ zu sein, sondern…

Na ja, war auch nicht weiter wichtig, denn sie verschwand kurz darauf wieder und ließ mich mit dem wirren Durcheinander in meinem Kopf alleine.

In den letzten zwei Tagen hatte sich für mich so schlagartig alles geändert, dass ich überhaupt nicht mehr richtig denken konnte. Und dazu kam noch, dass Tai heute zu mir nach Hause kommen würde und mir mitten in der Nacht eingefallen war, dass er ja gar nicht wusste, wo ich wohnte, ich ihn aber nicht noch einmal anrufen wollte. Die Peinlichkeit konnte ich mir ersparen.

Wenn ich Glück hätte, dann würde er in den falschen Wohnblock wandern und bei irgendwelchen anderen zu Abend essen, doch diese Art von Dummheit traute ich nicht einmal Tai zu. Hörte sich vielleicht fies an, aber ich hatte am Tag davor gemerkt, dass Tai immer etwas länger als die anderen brauchte, um etwas zu verstehen, was ihn jedoch nicht weniger sympathisch machte, denn er war dennoch klug.

Nur…brauchte er etwas mehr Zeit, um sein Wissen freizusetzen, wobei Koushiro überhaupt keine Probleme zu haben schien.

Jedenfalls ging der Schultag schnell zu Ende und ich war froh, dass ich nicht in eine menschenleere, dunkle Wohnung kommen würde, sondern in ein beleuchtetes Zimmer, indem meine Eltern sitzen würden und mich anlächeln würde und…

Zur Hälfte war das alles nur eine Wunschvorstellung gewesen, denn die Wohnung war tatsächlich beleuchtet, doch meine Eltern saßen nicht, sondern mein Vater schlief, in eine dicke Decke eingewickelt, auf dem Sofa und meine Mutter erwartete mich schon mit teuflischem Grinsen auf den Lippen.

Beinahe gewalttätig zerrte sie mich zu meinem Kleiderschrank und riss die Türen speerangelweit offen. Im nächsten Moment flogen die Kleidungstücke in meinem Zimmer umher, einige landeten sorgsam gefaltet auf dem Stuhl. Das waren dann die, die in die nähere Auswahl kamen.

Dann hatte sich meine Mutter doch für ein mittellanges Wollkleid entschieden und war dann noch so gnädig und erlaubte mir die schwarze Strumpfhose anzuziehen, damit ich nicht komplett erfror.

Sie wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen und verließ in dramatischem Gang mein Zimmer. Ich schmunzelte und verdrehte dabei die Augen. Tai wäre bestimmt egal, was ich anziehen würde und auffallen, dass ich etwas trug, was eigentlich nicht oft von mir getragen wurde, würde er genauso wenig merken, denn dafür kannte er mich nicht lang genug.

Ich seufzte, streifte mir das Kleid über und betrachtete mich kritisch im Spiegel. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und waren elektrisch geladen. Ich sah aus, wie eine Hexe, besonders noch mit dieser Haarfarbe.

Ich nahm eine Strähne meiner Haare zwischen die Finger und zwirbelte sie ein wenig. Ob ich sie vielleicht färben sollte? Vielleicht etwas heller, so wie Sora sie hatte…

Das Mädchen in meinem Spiegel schaute mich aus grünen Augen verwirrt an. Wozu färben? Und besonders noch orange. Ich meine, ich fand Sora’ s Haarfarbe jetzt nicht so wunderschön, doch…Tai schien sie zu mögen, also…

Ich schüttelte heftig den Kopf, nahm seufzend meine Bürste von der Kommode und strich mit ihr durch meine dichten Locken.

Mom war immer stolz auf meine Haare gewesen, doch ich wusste immer noch nicht genau, was ich nun von ihnen halten sollte.

Ein weiterer Seufzer entwich meiner Kehle. Ich legte die Bürste zurück, stapfte ins Wohnzimmer und ließ mich schmollend neben meinen Vater nieder, der inzwischen aufgewacht war und, immer noch in die Decke gehüllt, einfach da saß und auf den laufenden Fernseher starrte.

Er linste zu mir rüber und lächelte leicht.

„Hübsch siehst du aus“, kommentierte er mein ungewöhnliches Auftreten.

Wobei er eigentlich keine Ahnung hatte, welches Auftreten für mich nun ungewöhnlich war oder nicht, schließlich war er fast nie da gewesen.

Ich lächelte und entschied mich das Kompliment einfach mal anzunehmen und nichts dazu zu sagen.

Schweigend saßen mein Dad und ich nebeneinander und schauten uns ein Fernsehprogramm nach dem anderen an. Die Sendungen waren zum sterben langweilig, doch mein Vater lachte über jedes Wort, dass die Schauspieler sagten. Meine Mutter ließ sich nur in der Küche blicken, eifrig am Ausprobieren verschiedener Gerichte, fragte manchmal, ob einer von uns kosten könnte, ob Salz fehlte oder was sonst noch in so was rein kommt.

Meistens schickte ich meinen Vater los, der dann grummelnd aufstand und sich leise beschwerte, dass er die Zweifel meiner Mutter anhören musste.

Irgendwann, ich dachte die Zeit vergeht nie, klingelte es an der Tür und Mom wurde plötzlich aufgedreht, wie ein aufgescheuchtes Huhn. Ich verdrehte nur die Augen, als sie mich mit nervösen Schritten zur Haustür schob und schnell zurück in die Küche eilte. Nachdem sie um die Ecke geschaut und mir ein Handzeichen gegeben hatte, welches daraus bestand, dass sie mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis bildete, war mir gewährt die Tür zu öffnen.

Ich seufzte, wechselte meinen Gesichtsausdruck aber noch, bevor ich die Haustür ganz geöffnet hatte.

Ein von Ohr zu Ohr grinsender Tai stand vor mir und hielt mir ein kleines Gänseblümchen entgegen.

Ich kicherte.

„Vielen Dank“, begrüßte ich ihn und schmunzelte leise.

„Ach, nicht der Rede wert“, winkte er ab. „Wenn du dich schon so schick machst, muss ich ja auch meinen Teil dazugeben.“

Er zwinkerte und Blut krabbelte mühsam meinen Hals zu den Wangen hinauf.

„Schleimer“, schmunzelte ich und wies ihn mit der Hand auf hineinzukommen.

Er trat ein, schälte sich aus der dicken Winterjacke und dem Schal, schlüpfte aus den Schuhen und ging, mit mir im Schlepptau, den Gang entlang, bis er im Wohnzimmer stand.

Dad saß schon wieder in die Decke gewickelt auf dem Sofa. Ich lachte leise.

„Guten Tag, Mr…“, Tai stutzte.

Huch. Hatte ich also vergessen meinen Nachnamen zu nennen? So was Dummes.

„Matsuba“, flüsterte ich ihm zu und schmunzelte.

„…Matsuba“, beendete Tai seine Begrüßung und ich kicherte erneut.

Verdammt, was war nur los mit mir? Ich benahm mich ja schon wie meine Mutter.

Mein Vater stand umständlich auf und packte rasch die Decke zur Seite. Mit gestrafften Schultern und erhobenem Kinn kam er nun auf Tai zu und streckte ihm die Hand entgegen.

„Guten Abend, Taichi“, sagte er und versuchte wohl dabei streng und gebieterisch zu klingen.

Ich schmunzelte.

Dad warf mir daraufhin einen bösen Blick zu und ich hob abwehrend die Hände in die Luft.

„Oh, Sie sind schon da. Wie peinlich, das hab ich gar nicht mitbekommen.“

Ich drehte mich zu meiner Mutter um, die hinter den Küchenecken her geeilt kam, die Hände an der bunten Schürze abwischte und Tai ebenfalls die Hand schüttelte. Der braunhaarige Junge lächelte meine Mutter an, warf dann aber kurz einen verwirrten Blick auf mich.

Entschuldigend erwiderte ich den Blick und drückte kurz seinen Arm.

„Haben Sie schon gegessen, Taichi?“, fragte Mom, schon auf dem Weg, um das Essen auf den Tisch zu stellen.

„N-Nein“, antwortete Tai und schüttelte leicht den Kopf.

Er beugte sich etwas zu mir runter und murmelte: „Woher wissen deine Eltern, wie ich heiße?“

Ich schaute ihn schuldig lächelnd an. Er lachte nur und folgte der Aufforderung meines Vaters, sich doch hinzusetzen. Tai gesellte sich zu ihm und ich seufzte leise, während nun auch Mom ihren Platz am Tisch einnahm und allen etwas von den Köstlichkeiten auf die Teller schaufelte.

Mein Vater nahm zuerst den Faden wieder auf.

„Und, Taichi“, begann er und starrte ihn dabei misstrauisch an. „Kennst du meine Tochter schon lange?“

Ich stöhnte leise und genervt auf.

Nein! schrie alles in mir. Hört mir doch einmal im Leben zu!

„Ehm.“ Die Frage schien Tai auch zu verwirren und er schaute mich kurz verständnislos an, wandte den Blick aber schnell wieder Dad zu. „Nein, noch nicht lange. Erst seit zwei Tagen, Sir.“

„So, so“, erwiderte mein Vater, nicht weniger misstrauisch, als zuvor.

Mom warf mir ein Augenrollen zu und ich nickte mit einstimmend. Dieser alte Mann übertrieb es um alle Maßen.

„Und dann hast du sie gleich zu einem Kaffee eingeladen?“, bohrte Dad weiter nach.

Wäre Tai nun tatsächlich mein Freund gewesen, wäre es mir nicht so unangenehm, wie es mir gerade war. Ich hatte kochend heiße Wangen und verdeckte mein Gesicht mit einer Hand, so dass Dad mich nicht sehen konnte.

„Ja, es war kalt draußen…Sir“, erklärte Tai seine nette Einladung von vor zwei Tagen.

„Keine weiteren Fragen“, flüsterte Dad zu Mom und ich hätte beinahe angefangen zu lachen, wenn mir das alles nicht so verdammt peinlich gewesen wäre.

Meine Mutter lächelte Tai freundlich an und fragte: „Wie alt sind Sie, Taichi?“

„17 Jahre, Ma’ am“ erwiderte er und seine Wangen wurden zartrosa.

„Tatsächlich?“, murmelte ich und schaute überrascht auf meinen Teller, um den verwirrten Blicken meiner Eltern auszuweichen.

Mom klatschte begeistert in ihre Hände.

„Ich hab mir schon immer gewünscht, dass meine Tochter einen älteren Freund bekommt“, rief sie mit strahlenden Augen.

Ich kniff meine Augen zusammen und verdeckte sie mit den Händen. Mein Gesicht wurde unangenehm heiß und ich spürte, wie Tai auf seinem Stuhl hin und her rückte.

„Wir sind nicht zusammen“, erklärte ich meiner Mutter ein weiteres Mal, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.

„Kannst du das bestätigen, Taichi?“, fragte Dad und kratzte seine ganze Autorität in seine Stimme, die tief und grollend wurde.

„Ja, Sir“, erwiderte Tai.

Er hätte nur noch salutieren müssen, dann wäre das Bild perfekt gewesen.

Ich wagte es meine Augen zu öffnen und Tai von der Seite her anzusehen. Er erwiderte meinen Blick mit seltsam amüsiertem Ausdruck in den Augen und grinste mich breit an. Ohne es verhindern zu können, lächelte ich.

Mein Vater räusperte sich und ich entfernte meine Ellbogen vom Tisch und straffte wieder den Rücken, um ihm gerade gegenüber zu sitzen.

Den Rest des Abendessens versuchten meine Eltern belanglose Konversationen zu führen und die ganze Zeit hindurch spürte ich das schnelle auf- und abwippen von Tai’ s Bein. Er schaute öfter zu mir hinüber, so als ob er mir etwas sagen wollte, es aber nicht konnte, solange wir noch mit meinen Eltern hier saßen.

Als ich merkte, dass er fertig war, bedankten wir uns und gingen, von Mom’ s und Dad’ s argwöhnischen Blicken gefolgt, in mein Zimmer, wo er sich auf mein Bett setzte, dass in der Mitte des Raumes stand.

Ich ging erstmal zum Tisch und schaute nach, ob etwas Neues auf dem Digi-Vice zu sehen war, doch es hatte sich nichts verändert, also gesellte ich mich zu Tai und wir lehnten uns mit den Rücken gegen die vielen Kissen, die am Kopfende lagen.

Tai seufzte.

„Da hast du mich ja in was rein gezogen“, schmunzelte er und hob spielerisch eine Augenbraue.

„Verzeih mir.“ Ich verdrehte grinsend die Augen. „Meine Eltern haben von einer alten verrückten Dame erfahren, dass ihre Tochter mit einem Jungen im Café war, und sie mussten ihn natürlich sofort kennen lernen.“

Ich seufzte genervt.

Tai lachte. „Und dann dachten sie, dass dieser äußerst charmante Junge nur dein Freund sein kann.“

„Oh ja“, stimmte ich ihm mit ironischem Unterton zu. „Wie Recht du hast.“

Ein weiteres, warmes Lachen von Tai.

Ich spürte wieder Wärme in meinem Gesicht. Er und ich lagen in einem Bett. Im gleichen Bett, nebeneinander. Nichts Besonderes eigentlich, doch das ging irgendwie alles so schnell für mich. Vor einigen Tagen hatte ich nicht ein Wort mit jemandem, geschweige denn einem Jungen gewechselt und nun lag ich schon mit einem in meinem Bett!

Wenn, dann aber auch richtig.

Tai verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und da mein Bett nicht ganz so breit war, lag sein Arm irgendwie an meinem Kopf, was mir aber nicht viel ausmachte.

„Koushiro hat noch einmal mit Tentomon geredet“, sprach er nun endlich.

Das war es wohl auch, was er schon die ganze Zeit erzählen wollte, aber ja nicht konnte, solange meine Eltern anwesend waren.

Ich drehte meinen Kopf so, dass ich ihn ansah. „Und?“, fragte ich.

Tai schien aus einer Art Trance zu erwachen und erwiderte meinen Blick verdutzt.

„Und was?“, sagt er dümmlich.

Ich verdrehte die Augen. „Was hat Tentomon darüber gesagt, dass wir in die Digiwelt gehen können? Ich bin schon ganz gespannt auf mein Digimon.“

Der braunhaarige Junge, der neben mir lag, grinste.

„Wir könnten theoretisch schon bald dorthin, aber…“

„Aber?“, wiederholte ich schon etwas enttäuscht, doch nicht zu meinem ganz eigenen Digimon zu können.

„Aber es gibt nicht mehr in jedem Gebiet der Digiwelt so einen Fernseher, mit dem wir zwischen den Welten hin und her wechseln können“, endete Tai.

„Und das heißt?“

„Das heißt, dass wir länger als nur einige Stunden in der Digiwelt bleiben müssten, weil die Fernseher viele Kilometer auseinander liegen. Wir bräuchten vielleicht Tage, um von einem zum anderen zu kommen.“

Ich runzelte die Stirn. „Könnten wir nicht einfach durch den gleichen wieder zurückgehen?“

Überrascht weiteten sich Tai’ s Augen. Dann strahlte er mich überglücklich an.

„Du bist genial!“, rief er und ich schmunzelte.

Entweder war ich hochintelligent oder Tai war einfach strohdoof. Das er alles so umständlich machen musste, obwohl es doch sehr viel einfacher ging.

Ich weiß nicht, wie lange wir diesen Abend noch dort auf meinem Bett lagen und redeten. Er erzählte mir einige interessante Geschichten aus seiner Kindheit. Es war so schön.

Tai war der erste Mensch zu dem ich mir nichts zusammen reimen musste, sondern der mir freiwillig seine Geschichte vor die Nase legte und mir daraus vorlas. Ich musste eingestehen, dass diese Art, die Lebensgeschichten und Gesten eines Menschen zu erfahren, war mir tausend Mal lieber, als das einsame Rumlaufen in der kalten, eisigen Stadt. Besonders in dieser Jahreszeit, wo es nun mal…na ja…kalt und eisig war.

Und das nächste, was ich mitbekam, war ein heller Strahl, der durch meine geschlossenen Augenlider drang. Langsam erwachte mein ganzer Körper aus dem besten Schlaf, den ich wohl jemals hatte, und ich spürte, dass etwas auf meinem Arm ruhte und sich hinter meinem Rücken etwas regte.

Im ersten Moment blieb mir das Herz stehen, als ich meine Mutter kichernd und mit rosigen Wangen mein Zimmer verlassen sah und ich erinnerte mich, wer gestern Abend bei uns zu Besuch gewesen war und wer sich eigentlich in seinem Bett befinden sollte, stattdessen jedoch in meinem lag.

Heiß krabbelte das Blut in meine Wangen und entfernte Tai’ s Arm behutsam von meinem, darauf bedacht, ihn nicht zu wecken. Wir hatten uns irgendwann wohl auf die Seiten gedreht und er war an mich herangerückt oder so etwas, denn mir wurde peinlich berührt bewusst, in was für einer Position wir uns bis gerade noch befunden hatten.

Und das hatte meine Mutter gesehen! Na, ganz toll.

Ich schnappte mir einige Sachen zum Anziehen und verschwand damit im Badezimmer, um mich zu duschen, doch auch das heiße Wasser trug nicht dazu bei, dass die Wärme in meinem Gesicht von nichts anderen herkam, denn als ich, mit nassen Haaren und frischen Klamotten, aus dem Badezimmer kam, spürte ich immer noch, dass ich unangenehm rot war.

Und zu allem Überfluss saß Tai auch schon fröhlich kauend auf dem gleichen Stuhl, auf dem er gestern Abend gesessen hatte, und grinste mich breit an.

Ich lächelte verlegen und murmelte eine stille Begrüßung, bevor ich mich zu ihm setzte und das Frühstück, das Mom anscheinend vorbereitet hatte, verspeiste.

Tai und ich entschieden uns dafür zu Koushiro rüber zu gehen und zu sehen, ob er noch etwas herausgefunden hatte. Wir verabschiedeten uns von meinen argwöhnisch dreinblickenden Vater und meiner ununterbrochen kichernden Mutter und liefen schnellen Schrittes die Treppen zum Erdgeschoss hinunter.

Als wir in die eisige Luft kamen, lief mir ein Schauer über den Rücken.

Ich hasste, wenn es einfach nur kalt war, ohne eine Spur von Schnee.

„Deine Eltern wussten aber nicht, dass du woanders schläfst, oder?“, fragte ich und runzelte die Stirn.

Tai lachte leise.

„Nicht wirklich“, erwiderte er. „Ich selber wusste ja noch nicht einmal etwas davon.“

Ich lächelte in meinen Schal hinein und wir betraten den Wohnblock, in dem Koushiro wohnte. Ungeduldig hämmerte Tai gegen die Tür und rief die ganze Zeit nach seinem schlauen Freund.

Und was, wenn er damit Koushiro’ s Eltern aufweckte? Schien ihm egal zu sein.

Und die ganzen Nachbarn? Auch das war ein weniger wichtiges Problem in Tai’ s Augen, wie es schien.

Bevor er zum hundertsten Mal an die Tür schlagen konnte, wurde sie geöffnet und ein Junge mit verschlafenem Blick und rotbraunen Haaren starrte uns entgegen.

„Guten Morgen, Koushiro!“, begrüßte Tai ihn enthusiastisch und hüpfte beinahe in die Wohnung hinein und steuerte direkt auf das Zimmer des Genies zu.

„Guten Morgen“, sagte ich, lächelte und folgte Tai etwas langsamer.

Koushiro hatte zu unseren Begrüßungen nur genickt und ging mir, eher schlafend als wachend, hinterher und schloss die Zimmertür hinter sich.

„Leute“, murmelte er und rieb sich verschlafen die Augen. „Habt ihr mal auf die Uhr geguckt?“

Tai schüttelte strahlend den Kopf.

„Ist doch auch egal“, sagte er breit grinsend. „Unsere Moe hier hat nämlich etwas Geniales herausgefunden.“

Koushiro musterte mich mit gerunzelter Stirn und setzte sich langsam auf den Drehstuhl vor seinem Schreibtisch.

„Und das wäre?“, fragte er, seine Worte gefolgt von einem Gähnen.

„Dass wir durch den gleichen Fernseher wieder in unsere Welt können und nicht kilometerweit laufen müssen.“

Koushiro stöhnte leise auf und straffte den Rücken.

„Idiot“, murmelte er und Tai schob schmollend die Unterlippe hervor. „Das wussten wir doch schon lange. Was denkst du, warum ich die anderen gestern noch angerufen habe und sie herbestellt habe?“

„Sie kommen?“, rief Tai freudestrahlend. „Alle auf einmal?“

Ich schaute die beiden Freunde abwechselnd an.

„Nein“, erwiderte Koushiro und stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Tisch ab. „Takeru, Hikari, Iori und Ken wollten erst später vorbeikommen. Und Daisuke hatte die tolle Idee, dass wir vorher ja schon mal testen könnten, ob wir auch wirklich alle noch reinkommen“, fügte er mit sarkastischem Unterton hinzu.

Tai winkte ab. „Ach, gib’ s doch zu, Koushiro! Du bist nur zickig, weil du nicht auf so eine gute Idee gekommen bist.“

Ich grinste.

Koushiro schnaubte auf.

Kurze Zeit darauf knurrte sein Magen laut und er bereitete sich etwas zum Frühstück vor, dass war dann, als ich das erste Mal an diesem Morgen auf die Uhr schaute. Fast zehn Uhr.

Ich seufzte und ließ mich der Länge nach auf Koushiro’ s Bett fallen, Tai’ s Anwesenheit schon nicht mehr bemerkend.

Ich ging heute vielleicht in die Digiwelt. Zu meinem Digimon.

Mein Gott, das hörte sich komplett verrückt an! Doch, ich wusste schließlich doch, dass es noch eine andere Welt neben der unseren gab. Ich hatte Recht gehabt.

Erst als ich ein schon fast bekanntes Gewicht neben mir auf dem Bett sitzen spürte, erwachte ich aus meinem Halbschlaf und verdeckte die roten Wangen mit den Händen.

Ich hatte wirklich allen Grund an die Digiwelt zu glauben, schließlich waren in den letzten Tagen so viele Dinge passiert, die wahrlich verrückt waren, ganz zu schweigen von dem kompletten gestrigen Abend.

Jemand klopfte an die Tür.

„Ich komme“, hörte ich Koushiro ziemlich genervt rufen. Dann war zu hören, wie er die Tür öffnete.

Zeitgleich ertönte ein lautes: „Guten Morgen!“

Ich zuckte erschrocken zusammen, bei den vielen Stimmen, die sich vor der Tür zu befinden schienen und ich spürte, wie das Bett leicht von Tai’ s Lachen bebte.

Das Tapsen vieler Schritte auf dem Holzfußboden ließ daraus schließen, dass sich die riesige Gruppe direkt auf Koushiro’ s Zimmer zu bewegte. Ich erhob mich schon mal, um den vielen Menschen wenigstens nicht unvorbereitet gegenüber zu treten.

Und schon wurde die Tür aufgerissen und ein breit grinsender Junge stand in der Tür, mit einer Fliegerbrille um den Hals. Hinter ihm stand ein Mädchen mit lavendelfarbenem Haar und einer Brille und das Mädchen redete die ganze Zeit auf jemanden neben sich ein, die ich auch schon kannte. Mimi, das Mädchen, das so großes Gefallen an Koushiro aufwies.

„Yo, Daisuke!“, begrüßte Tai den erstarrten Jungen und hob die Hand zum Gruß.

Daisuke, oder wie er auch hieß, starrte mich mit steinernen Gesichtszügen an und das Mädchen hinter ihm, das mit Mimi geredet hatte, schaute ihm neugierig über die Schulter. Ich kam mir vor, wie eine Attraktion in einem Zirkus.

Oder wie das Steak in einem Löwengehege. Ich schauderte.

Armes Stück Fleisch.

„Das ist Moe“, stellte Tai mich vor und legte eine Hand auf meine Schulter. „Moe, das sind Daisuke und Miyako. Sagt Hallo zu Moe.“

Dieser Satz kam mir sehr bekannt vor.

Ich lächelte leicht.

Miyako kam Energie geladen auf mich zu und griff, mit unübersehbarem Glitzern in den Augen, nach meiner Hand.

„Hallo Moe-san“, sagte sie mit einem bewundernden Unterton, den ich nun wirklich nicht verstand.

„H-Hallo“, erwiderte ich leise und hörte schon wieder Tai’ s kindisches Kichern, welches mich ein wenig…nun ja… wurmte . „Freut mich euch kennen zu lernen.“

„Oh!“, rief Miyako erfreut und drückte meine Hand dabei noch etwas fester. „Die Freude ist ganz meinerseits, Moe-san!“

Ich lächelte leicht und wandte zu der Stelle, an der bis vor einer Sekunde noch Daisuke stand, wie ich es jedenfalls gedacht hatte, aber der plötzlich verschwunden war. Meine Hand immer noch zwischen Miyako’ s Drehte ich mich etwas um, um zum Bett zu sehen, wo Tai saß und, oh Wunder, Daisuke direkt neben ihm.

Er schaute mich durch die Wimpern her an, mit einem recht misstrauischen Ausdruck und ich fragte mich innerlich, womit ich dieses Misstrauen nur verdient hatte.

„Was macht die denn hier?“, fragte er Tai mit einem seltsam beleidigten Unterton.

Bevor Tai jedoch antworten konnte, kam Miyako ihm in die Quere.

„Daisuke, wie kannst du nur?“, fuhr sie ihn an, ließ meine Hand los und platzierte sie stattdessen an Daisuke’ s Hemdkragen. „Entschuldige dich sofort bei Moe-san! Das war überhaupt nicht nett von dir!“

Sie rüttelte heftig an ihm und es sah für eine kleine Schreckenssekunde so aus, als würde ihm der Kopf von den Schultern rollen, doch, Gott sei Dank, saß er stabil auf seinem Hals.

„Obwohl…“ Miyako ließ Daisuke so abrupt los, dass er hintenüber auf das Bett fiel und einmal genervt aufstöhnte.

Das Mädchen drehte sich um, rückte ihre Brille zurecht und kam mir unangenehm na mit ihren eindringlichen Augen.

„Wieso bist du denn nun hier? Ich dachte nur wir kommen?“, flüsterte sie und machte mir damit ein klein wenig Angst.

Ich spürte wie mir ein Schauer über den Rücken lief und hob abwehrend die Hände. Plötzlich fasste mich jemand an den Schultern und Ich wandte überrascht den Kopf um, damit ich meiner rettenden Person ins Antlitz sehen konnte.

Mimi, meine Heldin!

Lieb lächelnd stand sie hinter mir und sah mich an.

„Koushiro hat mir alles erzählt“, informierte sie mich und wechselte ihren Blick kurz von mir zu Miyako, dann zu Tai und wieder zu mir. „Ich freu mich so.“

Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden und lächelte dankbar.

Sie war nicht nur meine Heldin, sondern auch besonders nett zu mir! Ich denke, es war dieser Moment, in dem ich Mimi richtig zu mögen begann. Sie war einfach so ein Mensch, gegen den man einfach nichts haben konnte. Und in einigen Fällen war es sogar mehr als bloße Sympathie. Ich schaute kurz zu Koushiro, der versuchte alle neu angekommenen Gäste in sein kleines Zimmer zu zwängen.

Mein Blick fiel auf Sora, die, mit Matt an der Hand, in den Raum geschubst wurde und etwas unschlüssig da stand. Mimi folgte meinem Blick und eilte, mit einem erfreuten Quietschen und leuchtenden Augen, auf das Mädchen mit den orangenen Haaren zu.

Oh Gott, waren das viele Menschen.

Die meisten von ihnen kannte ich jedoch. Abgesehen von einem. Einem großen Jungen, der älter war, als alle anderen in diesem Raum und der dunkelblaue Haare hatte.

Tai stellte ihn mir als Joe Kido vor, der schon Medizin studierte.

Bewundernd sah ich ihn an und schüttelte seine Hand.

„Okay“, rief Koushiro über die Menge und setzte sich an seinen Schreibtisch, wo sich der Computer befand. „Hat jeder, was er braucht?“

Etwas erschrocken sah ich ihn an, die anderen nickten alle. Na ja, fast alle. Tai schien genauso ratlos zu sein, wie ich es war.

„Daisuke oder Miyako. Öffnet einer von euch das Tor?“, fragte Koushiro, stand von seinem Stuhl auf und rollte ihn zu Seite.

Ich warf Tai einen fragenden Blick zu. Er hielt sein Digi-Vice in die Höhe und wies mich mit dem Kopf auf, es auch heraus zunehmen. Gehorsam langte ich in meine Tasche und holte den kleinen Tamagochi hervor.

Voller Energie hüpfte Miyako zum Bildschirm und streckte ihm ein seltsames Ding entgegen, was wohl auch ein Digi-Vice darstellen sollte.

„Tor zur Digiwelt“, rief sie laut und deutlich. „Öffne dich!“

Und plötzlich…wow, ich kann gar nicht beschreiben, wie unfassbar überrascht ich war, als das Mädchen mit den lavendelfarbenen Haaren von dem Bildschirm eingesaugt wurde und ihn ihm verschwand. Die anderen Jugendlich taten es ihr gleich und ich beobachtete jeden mit weit geöffneten Augen, der im Strom des seltsamen Bildschirmes verschwand.

Tai, Sora und ich schienen nun die letzten zu sein und Sora lächelte mich aufmunternd an.

Ich versuchte ihr Lächeln zu erwidern, doch was daraus kam, war ein seltsames verziehen der Gesichtsmuskel.

Freundlich, wie Sora war, packte sie mich an den Schultern und hob meinen Arm für mich, so dass das Digi-Vice, wie bei allen zuvor, dem Computerbildschirm zugewandt war.

Erschrocken versuchte ich einzuatmen, als ich in einen verwirrenden Strom gesogen wurde, der voller bunter Farben sprühte. Während ich mich in diesem starken Strom befand war meine Lunge wie zugeschnürt.

Und im nächsten Moment kniete ich auf warmen Sand. Ich kam mir über den Haufen gerannt vor. Sollte das jetzt tatsächlich deren Ernst sein? War das nur ein Traum?

Fassungslos griff ich in den Sand zu meinen Füßen und hielt eine handvoll fest verschlossen. Fühlte sich recht echt an. Doch Träume konnten auch sehr real sein, nicht wahr?

„Moe! Moe!“

Ich hob den Kopf. Diese Stimme…ich hatte sie noch nie gehört, ganz sicher nicht. Doch…sie kam mir sehr bekannt vor. Konnte es sein…? War das kleine Ding, das auf mich zu hüpfte tatsächlich…?

Ein winziges Ding, mit unförmigem Körper, zwei kleinen Ohren und einem Horn auf dem Kopf, kam auf mich zu gehüpft.

Ich blinzelte. Einmal, zweimal, dreimal…

War das…ganz ehrlich…? War das wirklich…?

Das kleine Digimon sprang an meine Brust und, damit es nicht herunterfiel, fing ich es mit den Händen auf. Total überrumpelt sah ich in die großen Augen des kleinen Wesens, das mich anstrahlte wie ein Honigkuchenpferd.

„Du bist da“, sagte es mit angenehmer Stimme und lächelte zu mir hoch. „Ich bin Gumimon. Freust du dich, mich zu sehen?“

Meine Kinnlade klappte runter.

Es…es konnte reden! Wie Menschen auch.

Das…das war alles so…so…überhaupt nicht real…

Einfach…unmöglich…

„Moe?“, fragte das winzige Digimon mit gerunzelter Stirn.

Ich hob es auf die Hände und hielt es mir auf Augenhöhe. Leicht irritiert hob Gumimon eine der unsichtbaren Augenbrauen.

„Du…“, stotterte ich und meine Wangen wurden zunehmend wärmer. „Du…“

„Ja, ich?“, erwiderte Gumimon und sah mich besorgt an.

Meine Mundwinkel hoben sich aus einem eigenartigen Reflex und ich drückte das Wesen sachte an meine Wange.

„Du bist so süß!“, rief ich unachtsam aus und nahm Gumimon nun ganz in meine Arme, wo es dann anfing zu kichern.

„Du scheinst die Reise wohl überlebt zu haben“, hörte ich jemanden sagen und spürte dann einen sanften Druck auf meinem Kopf.

Verwirrt blickte ich auf und sah in Tai’ s Wow- Augen. Er grinste mich breit an, ein orangenen, erstaunlich kleinen Dino an seiner Seite. Er reichte Tai gerade mal bis zur Schulter.

Ich legte meinen Kopf schief und musterte es. Das schien dann wohl Tai’ s Digimon zu sein.

„Hallo“, sagte es und lachte. „Ich bin Agumon.“

„Hi…Agumon“, begrüßte ich ihn und blinzelte erneut einige Male.

Das wurde von Sekunde zu Sekunde verrückter. Ich schaute mich um. Alle standen sie dort, mit einem Digimon, das Wort war immer noch seltsam für mich, und freuten sich über das Wiedersehen.

Tai streckte mir grinsend seine Hand entgegen. Fragend schaute ich ihn an.

„Na, komm, Prinzessin“, sagte er und strahlte noch etwas mehr. „Ich helfe dir hoch.“

Ich wurde, zu allem Überfluss, noch einen Ticken röter und griff dankend seine Hand.

Noch bevor ich gänzlich auf den Beinen stand, war ein lauter Knall zu hören und ich sah nur noch helles, weißes Licht.

Heimweh

Überall waren Rufe und Schreie zu hören. Nachdem das helle Licht verschwunden war, sah ich, wie Teile eines Gerätes an uns vorbei flogen. Ich drückte Gumimon fester an meine Brust und es quietschte kurz auf.

„Moe?“, hörte ich Tai rufen, der vor mir stand und seinen Arm, wie zum Schutz, vor mich gehoben hatte.

„A- Alles okay“, versicherte ich mit zittriger Stimme.

„Tai“, hörte ich sein Digimon sagen, dass angriffsbereit vor ihm stand.

Tai nickte einmal und Agumon raste in den Tumult. Der ganze Staub und der aufgescheuchte Sand legten sich langsam und ich konnte nun sehen, was passiert war.

Ein riesiges Ding, dass aussah wie ein seltsamer, roter Käfer stand an der Stelle, an der vorhin noch der Fernseher gestanden hatte, durch den wir alle gereist waren. Die Teile dieses Fernsehers lagen überall verstreut, ganz offensichtlich zerstört.

Die Digimon der anderen standen alle um den Käfer rum und schossen mit Blitzen, blauen, grünen und roten Flammen auf ihn.

„Was ist das?“, rief ich und meine Knie wurden zunehmend weicher.

Ich griff mit einer Hand nach Tai’ s Arm und drückte mich enger an ihn, während sich in der anderen immer noch Gumimon befand, der sich in meinem Griff wandte.

Tai drehte den Kopf etwas und sah mich an.

„Das Digimon heißt Kuwagamon und ist auf dem Champion-Level.“

Champion-Level?

Es gab also auch noch verschiedene Level. Na, großartig.

Gumimon schaffte es aus meinem Arm zu hüpfen und schoss zwischen Tai’ s Beine hindurch, um sich zu den anderen zu gesellen.

Erschrocken schubste ich Tai ein wenig zur Seite, um leichter vor ihn zu treten.

„Gumimon!“

Mein kleines Digimon drehte sich zu mir und grinste breit. Ich wusste nicht, woher es kam, doch plötzlich brannten meine Augen und meine Sicht wurde unklar.

Es war klar, dass Gumimon noch kein Champion-Level war, doch wollte es trotzdem gegen dieses Kuwagamon antreten?

Ich erwiderte sein Lächeln.

Ein verwirrter Ausdruck trat in Gumimon’ s Augen und es begann zu leuchten und es wuchs.

Ich wusste nicht, was ich gerade dachte, doch ich wollte einfach nur zu ihm und es beschützen, als ich spürte, wie jemand einen Arm vor mir ausstreckte.

Mit Tränen in den Augen sah ich hinauf in Tai’ s grinsendes Gesicht und grub meine Finger in seinen Arm, während ich den Blick auf ein total anderes Digimon richtete, das aber an der Stelle stand, an der sich Gumimon befunden hatte. Es hatte große, lange Ohren, die zu beiden Seiten bis zum Boden hinunter hingen. Es war grün und weiß und auf seiner Stirn befand sich immer noch ein Horn, was mich daraus schließen ließ, das es immer noch mein Digimon sein musste.

Mein kleines, verändertes Gumimon hüpfte zu den anderen. Es setzte seine eigenen Attacken ein, um seinen Teil zu dem zuzugeben, was die anderen taten, nämlich ihre Partner beschützen.

Aus einem mir unbekannten Grund schlug mein Herz immer schneller, während mein Blick fest auf dem Digimon mit dem Horn hängen blieb. Es war so mutig. Ich kannte Gumimon seit grade mal fünf Minuten, wenn nicht auch weniger, doch ich spürte, dass dort etwas war, das uns verband. Ich wollte nicht, dass es verletzt wurde.

Ich krallte mich fester in Tai’ s Hemd.

Mit einem letzten lauten Schrei stieß Kuwagamon seine gewaltigen Fühler in die Erde und drehte sich wie eine Spirale in die Erde, bevor es in sandigem Nebel verschwand.

Mein Herz pochte laut und es schien, als wurde die Zeit eine Sekunde stehen bleiben.

„Moe!“, hörte ich mein Digimon rufen.

Es rannte mit ausgebreiteten Ohren auf mich zu und flog in meine Arme. Ich sah es mit großen Augen an.

„Gumimon?“, fragte ich leise.

Mit kleinem Lächeln schüttelte es den Kopf.

„Ich bin jetzt auf dem Rookie- Level. Mein Name ist Terriermon“, klärte es mich auf.

Überrascht nickte ich.

„Wie kam es denn dazu, dass…“

Doch weiter kam ich nicht, denn plötzlich erbebte die gesamte Erde unter meinen Füßen und ich hörte, wie irgendetwas in der Nähe, auf den Boden fiel. Der Boden unter meinen Füßen tat einen gewaltigen Ruck, so dass ich ebenfalls auf die Knie sank.

Laute Rufe waren zu hören und ich schaute auf die andere Gruppe von Jugendlichen mit ihren Digimon, die sich immer weiter von mir entfernten.

Mein Blick raste von einem Punkt zum anderen. Er eilte von den Personen, die sich in meiner Nähe befanden zu unserer Umgebung und mir fiel auf, dass sich der Boden bewegte.

Geschockt saß ich da, während Terriermon sich aus meinem fester gewordenen Griff befreite, einige Schritte vor mir stehen blieb und den Kopf etwas senkte.

„Was ist los?“, flüsterte ich zu niemand bestimmten.

Doch genauso wenig erwartete ich eine Antwort.

„Wir sind auf einer Insel!“, rief Tai’ s Agumon, das auf einmal neben Terriermon aufgetaucht war.

Es waren wieder Schreie zu hören. Ich eilte bis an den Rand, der sich weiter fortbewegenden Insel und fand mich neben Daisuke wieder, der, wie ich auch, zu der anderen Gruppe starrte. Das riesige Kuwagamon war wieder aus dem Sand erschienen und attackierte die Jugendlichen erneut.

Die Insel bewegte sich erschreckend schnell und bevor ich mich versah, waren die Anderen schon aus meiner Sicht verschwunden. Das letzte, was ich zu hören bekam, war Mimi’ s gellender Schrei.

Plötzlich fiel neben mir etwas dumpf auf den Boden und ich wandte meinen Blick um.

Koushiro war zu Boden gesunken, purer Schock und Überraschung in seinen Augen.

„Mimi“, murmelte er so leise, dass ich mich anstrengen musste ihn zu verstehen.

Sein Blick war so verzweifelt, dass mir das Herz vor Mitleid stehen blieb. Was für Sorgen er sich um sie machen musste.

Ich schaute mich um. Wenn Agumon hier war, musste Tai doch auch da sein. Und ja, dort war er. Er kniete neben Sora, die sich den Knöchel hielt, während ein pinkfarbenes, vogelähnliches Digimon ihren Rücken tätschelte.

„Hast du dich verletzt, Sora?“, fragte es besorgt.

Sora lächelte das Digimon aufmunternd an.

„Nein, mir geht es gut. Vielen Dank, Biyomon.“

„Bist du sicher?“, hakte Tai weiter nach und runzelte die Stirn.

Seine Hand schwebte einen Millimeter über Sora’ s Rücken, ohne sie zu berühren. Tai half ihr auf und sie prüfte, ob sie ihr Gewicht immer noch normal auf dem Fuß verlagern konnte. Und das Ergebnis: Sie knickte weg und Tai musste sie auffangen.

Ich ließ mich stumpf neben Koushiro auf den warmen Sand fallen. Ich seufzte. Das musste doch alles nur ein Traum sein. Ich war seit wenigen Minuten in dieser seltsamen Welt und es geschahen schon tausend seltsame Dinge…Es konnte sich hierbei nur um einen recht verwirrenden Traum handeln.

„Was tun wir jetzt?“, hörte ich Sora hinter mir fragen.

Ich drehte meinen Kopf so, dass ich sie sah und zuckte mit den Schultern, selbst wenn die Frage nicht an mich gerichtet sein sollte. Daisuke kopierte meine Geste und Koushiro starrte weiterhin auf den nun komplett blauen Horizont.

Tai half Sora dabei sich vorsichtig auf den Boden zu setzen, kramte ein Mini-Teleskop aus seiner Hosentasche und schaute damit in die entgegensetzte Richtung, in die Koushiro starrte.

„Ich kann kein Land entdecken“, sagte er leise, mehr zu sich selbst, als zu uns.

„Haben wir hier denn was zu essen?“, fragte ein blaues Digimon, das daraufhin eine Kopfnuss von Daisuke bekam.

Erschrocken sah ich zu ihm hoch.

„Das ist jetzt unsere kleinste Sorge, V-mon“, schaltete er es. „Wir müssen erstmal herausfinden wo wir sind und wie wir wieder zu den anderen kommen.“

„Außerdem wurde der einzige Rückweg in die Menschenwelt im Umkreis von vielen Hundert Kilometern zerstört“, informierte uns ein rotes Käfer- Digimon. „Und ihr habt noch keine Ferien, wie Koushiro erzählt hat. Eure Eltern werden sich bestimmt Sorgen machen.“

Aha! Dann musste dieses rote Digimon wohl der Tentomon sein, mit dem Koushiro sich so oft unterhalten hatte.

Ich seufzte ein weiteres Mal. Na toll. Da will man zur Abwechslung und einige Stunden in eine andere Welt reisen und bleibt gleich für viele, viele Tage dort stecken.

Das war so deprimierend!

„Stimmt“, erwiderte Sora.

Ihr Blick wanderte traurig zu ihren Händen. „Und Matt ist auch noch bei den anderen.“

Ich sah, wie Tai’ s Schultern sich etwas verkrampften und hob eine Augenbraue.

Danach sagte niemand ein Wort für eine lange Zeit. Koushiro hatte sich nicht von der Stelle bewegt, jedoch sein Laptop aus seinem Rucksack gefischt und tippte ununterbrochen auf der Tastatur herum. Daisuke und sein V-mon wanderten ständig um die kleine Insel herum, die kein besonders großes Durchmesser hatte, so dass wir ihn nie aus den Augen verloren. Sora hielt Biyomon im Arm und redete beruhigend auf es ein, während Tai sich ebenfalls im Schneidersitz hingesetzt hatte und alle fünf Sekunden, so schien es mir, durch sein Teleskop schaute. Tai und Koushiro saßen sich mit dem Rücken zugewandt genau gegenüber, so dass es den Eindruck machte, als würden die beide Wache schieben. Agumon jedoch saß nicht bei Tai, sondern einige Zentimeter vor mir. Er und Terriermon saßen lustig plaudernd auf dem warmen Boden, während ich mich zu Tode langweilte und mich auf den Rücken legte, um den immer dunkler werdenden Himmel zu beobachten.

Irgendwann während unserer dauernden Stille war mir aufgefallen, dass ich nicht mehr die warmen Jeans und den dicken Pullover trug, die ich anhatte, bevor wir in diese seltsame Welt gekommen waren, sondern, und das zu meinem eigenen großen Erschrecken, kurze Shorts und Top mit einer kurzen Weste drüber. Ich war restlos verwirrt und bekam wieder rote Wangen, doch es achtete niemand auf mich und nach einer Zeit redete ich mir ein, dass es sowieso zu spät war sich über das, was ich trug, zu wundern und zu schämen.

Die anderen trugen ebenfalls nicht mehr ihre warmen Wintersachen. Sora’ s knielanges Wollkleid hatte sich in ein T-Shirt und einen Faltenrock verwandelt, während Tai’ s Rollkragenpullover zu einem Sweatshirt mit darüber angezogenem Hemd mutiert war. Nur er durfte anscheinend die lange Hose behalten, genauso wie Koushiro und Daisuke auch.

Das Durcheinander in meinem Kopf wurde dadurch nur noch größer, doch ich verdrängte die Fragen, da den anderen gar nichts an den neuen Kleidern seltsam erschien.

Ich schloss die Augen, einfach, um nicht mehr denselben, superblauen Himmel zu sehen. Wasser plätscherte rund um mich herum und Sora flüsterte ihrem Biyomon immer noch etwas zu, was gemeinsam besonders einschläfernd auf mich wirkte.

Ohne es wirklich zu merken döste ich ein. Ich träumte nicht und doch hatte ich das Gefühl etwas Schreckliches gesehen zu haben, denn als ich meine Augen schlagartig öffnete, hatte ich Schweißperlen auf der Stirn.

Benommen setzte ich mich auf, nur um die anderen überall sitzend oder liegend vorzufinden.

Sora war am schlafen, so wie auch Daisuke und Tai. Deren Digimon hatten sich zu ihren Partnern gesetzt und hatten ebenfalls die Augen geschlossen. Es stellte sich nur die Frage, ob sie auch tatsächlich schliefen, denn ich sah, wie die Augen von Daisuke’ s V-mon einmal zuckten.

Ich seufzte und bemerkte selber erst jetzt, dass mein eigenes, süßes Terriermon sich in meinem Schoß zusammen gerollt hatte.

Ich lächelte und nahm es vorsichtig in meine Arme, damit ich mich komplett aufsetzen konnte. Ein herzhaftes Gähnen entwischte meiner Kehle.

Dicht neben mir waren immer noch die Tipp-Geräusche zu hören, die Koushiro’ s Finger erzeugten, wenn sie auf die Tastatur schlugen.

„Irgendwas Neues herausgefunden, Koushiro?“, fragte ich leise und rieb mir den Schlaf aus den Augen.

„Überraschenderweise“, erwiderte Koushiro, mit mir zugewandtem Rücken, „Ja. Ich konnte mit Joe Kontakt aufnehmen. Sie haben Kuwagamon geschlagen und haben sich dann auf den Weg gemacht. Sie versuchen uns irgendwie zu finden, aber dafür müssten wir erstmal auf festem Boden, damit wir nicht noch weiter von ihnen weg treiben.“

„Sind wir denn sehr weit von ihnen entfernt?“

Terriermon zuckte im Schlaf zusammen und ich strich ihm sanft über den Kopf.

„Schon, etwas“, sagte er leise.

Ich nickte. Mir war egal, ob er es sehen konnte oder nicht. Das Nicken war sowieso mehr an mich selbst gerichtet. Konnte diese verdammte Insel nicht endlich mal anhalten?

Und wie durch ein Sprichwort stieß unser kleines Gefährt gegen etwas und erbebte kurz.

Ich drehte mich so ruckartig um, dass Terriermon aus meinen Armen fiel und erschrocken aufsprang. Tai und die anderen waren auch aufgewacht und hatten sich schon in Kampstellung aufgestellt, entspannten sich aber wieder, nachdem sie realisierten, dass wir nur gegen Land gestoßen waren.

Daisuke und V-mon ließen einen Freudenschrei durch die klare Nacht hallen. Sogar Koushiro’ s Gesicht erhellte sich ein klein wenig und er eilte schnell zu Tai, der am Rand der Insel stand. Terriermon zerrte mich ebenfalls zu ihnen und ich sah, dass zwischen den Böden eine ungefähr zwei Meter große Lücke war.

Ich schluckte. Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich jegliche Arten von Sport hasste? Springen mit einbezogen natürlich.

„Ach, das schaffen wir doch mit Links“, hörte ich Daisuke zuversichtlich rufen.

Ich sah nur noch, wie etwas an mir vorbei schnellte und umklammerte im Schock Terriermon’ s Hand etwas fester.

Daisuke’ s Schatten landete auf dem gegenüberliegenden Boden und hob triumphierend die Hände in die Luft. Biyomon, Tentomon und V-mon folgten seinem Beispiel, wobei die ersten beiden Digimon lässig über den Spalt flogen.

„Stimmt, so geht’s“, sagte Tai und grinste einmal in die übrig gebliebene Runde.

Uh. Also hatte ich so gut, wie keinen Verbündeten, der lieber auf dieser Insel bleiben würde, als über eine viel zu breite Lücke zu springen.

„Äh, Moe?“, sprach Terriermon mich mit verzerrtem Gesicht an.

„Hm?“

Ich wandte meinen Blick ihm zu. Es deutete mit dem Kopf auf meine Hand, die seine fast zerquetschte. Schnell ließ ich die Hand des kleinen Digimon’ s los.

„Tut mir Leid“, entschuldigte ich mich.

Terriermon lächelte und mein Blick folgte ihm, als es über den Spalt hüpfte und einige Male mit den Ohren flatterte, als würde es fliegen können. Auf der anderen Seite angekommen hob es die Arme und feuerte mich an auch rüber zu kommen.

Koushiro war ebenfalls drüben und hielt sein Laptop umklammert, als hätte er Angst, dass es herunterfallen könnte.

„Sora?“, hörte ich Tai sagen und wandte mich den letzten beiden zu.

„Na, komm schon, Sora!“, rief Biyomon aufbauend und flog ein Stück über der Lücke und hielt Sora die Hände entgegen.

Das orangehaarige Mädchen ließ sich von Tai einen kleinen Schubs geben und hielt sich an Biyomon’ s Händen fest, welches sie dann auf die andere Seite leitete.

Tai schaute nun mich an und grinste.

„Lady’ s First.“ Es klang mehr wie eine Frage, als eine Aussage.

Ich winkte ab und zwang mir ein Lächeln auf.

„Geh du zuerst.“

Und er tat, wie geheißen. Wow, ich dachte, es würde länger dauern ihn davon zu überzeugen, dass ich als letztes springen würde.

Nun sahen mich alle auf der anderen Seite erwatungsvoll an.

„Jetzt komm, Moe!“, rief Daisuke, die Hände als Trichter benutzend.

War ich wirklich so weit weg, dass er schon so schreien musste?

„Keine Angst“, versuchte Sora’ s beruhigende Stimme mich zu beschwichtigen.

Angst? Wer hatte denn hier Angst? Das, was ich empfand, war pure Panik!

„Moe, das schaffst du schon!“, rief jetzt auch Terriermon.

Ich stellte mich näher an den Rand, den ich beinahe nicht mehr sehen konnte, bei der Dunkelheit, die mich umgab.

„Moe!“ Tai’ s Stimme erhob sich von den anderen und ich hob den Kopf von dem dunklen Abgrund. „Spring!“

Ich hob eine Augenbraue. Wie aufbauend, Tai.

„Ich fang dich auch!“

Eine wohl bekannte Wärme stieg in mein Gesicht. Blöderweise schien das doch sehr viel mehr zu helfen, als alle restlichen Rufe und Anfeuerungen.

Ich holte tief Luft, drückte die Augen zu, nahm Anlauf und…sprang tatsächlich!

Ich war selber so überrascht, dass meine Augen erschrocken aufflogen und, bevor ich Angst bekommen konnte oder meine Knie überhaupt anfangen konnten zu zittern, knallte ich schon hart gegen jemanden und wir fielen beide krachend zu Boden.

Nachdem ich erstmal realisiert hatte, dass ich auf jemandem lag wurden meine Wangen erneut kochend heiß. Ziemlich ungeschickt erhob ich mich und hielt demjenigen, der sich netterweise von mir erdrücken ließ, die Hand hin.

Hinter mir hörte ich eine wohlbekannte Stimme leise lachen, was mich auch schon schlussfolgern ließ, dass es nicht Tai gewesen war, der meinen Sprung so heldenhaft gepolstert hatte.

„Danke“, sagte Daisuke mit zerknirschtem Unterton und nahm auch schon meine Hand, ohne sie wirklich als Hilfe zum Aufstehen zu benutzen.

„Tut mir Leid“, entschuldigte ich mich.

Ich ließ meinen Blick gesenkt und wurde rot. Gott, war das peinlich!

Ich spürte, wie jemand eine Hand auf meine Schulter legte und ich plötzlich ein Gewicht zu tragen hatte.

„Da stand ich wohl nicht ganz in der Schusslinie, wie?“, schmunzelte Tai nah an meinem Ohr.

Ich verdrehte die Augen, kniff ihn leicht in die Finger und fing das auf mich zuspringende Digimon auf.

„Das hast du toll gemacht, Moe“, lobte mich Terriermon mit stolzem Ausdruck in den Augen.

Ich lächelte.

„Wollen wir jetzt noch weiter gehen oder legen wir uns hier schlafen?“, fragte Sora.

Ihr Blick huschte einmal durch die Runde und blieb dann an Tai hängen.

Wenn ich ehrlich sein sollte, war ich ganz schön verwirrt. Wie ich mitbekommen hatte, war Sora mit Matt zusammen. Doch wieso war sie dann so auf Tai fixiert? Die Blicke, die sie ihm manchmal zuwarf waren nicht die Blicke, die man einem normalen Freund schenkte. In ihnen steckte mehr, etwas, mit tieferer Bedeutung.

„Ich weiß nicht“, antwortete Tai. „Wir wissen nicht, wo wir uns jetzt genau befinden oder wie alles um uns herum aussieht. Lasst uns hier übernachten, oder?“

Ich nickte unmerklich und setzte mich, immer noch Terriermon im Arm, auf den sandigen Boden. Daisuke ließ sich schwer neben mich fallen und seufzte so, als wäre er total erledigt gewesen.

„Ich habe den anderen Bescheid gesagt, dass wir an Land gestoßen sind, aber nicht wissen, wo wir genau sind“, informierte uns Koushiro. „Die anderen wollen sich dann jetzt auch ausruhen. Sie sind, anders als wir, den ganzen Tag gelaufen.“

Er klappte sein Laptop zu und streckte sich neben Tentomon aus. Der lag, schon seit er über die Lücke geflogen war, faul auf dem Boden.

„Sollte nicht einer von uns Wache halten?“, meinte Tai.

Sora stimmte ihm zu. „Tai hat Recht. Schließlich kann jetzt auch noch ein bösartiges Digimon kommen.“

„Macht doch, was ihr wollt“, nuschelte Daisuke und drehte sich auf die Seite, mit dem Rücken zu uns allen.

Ich schaute V-mon grinsend an und der erwiderte das Lächeln nur.

„Wir machen das wohl, oder, Agumon?“, fragte Tai sein Digimon, mit viel positiver Energie.

„JA!“, rief das orangefarbige Digimon und hob angriffsbereit die Arme in die Luft.

Als ob die beiden sich wirklich über einige Stunden, die sie wach verbringen mussten, freuen würden. Da hatte ich ja ein paar wirklich verrückte Menschen kennen gelernt, wobei ich wohl selber dazu gehörte, wenn ich schon ein wahrhaftiges Digimon besaß! Ich musste mich unbedingt hinsetzen.

Also glitt ich auf den Boden und rollte mich auf der Seite zusammen. Obwohl der Sand unter mir recht warm war, wehte eine kalte Brise und ein unangenehmer Schauer lief über meinen Rücken. Meine neuen Klamotten waren nicht gerade vorteilhaft für Kälte. Nicht mal die Schuhe. In meinem Kleiderschrank zu Hause besaß ich kein einziges Ballerina-Paar, keine einzigen Shorts, die kürzer reichten, als bis zu den Knien und kein einziges Top. Ich hielt mich eher verdeckt, damit man mich nicht so sehr bemerkte. Doch in diesen Mini-Shorts?!

Ich fühlte mich ungewohnt billig, auch wenn es Mädchen gab, die noch kürzere Shorts trugen.

„Moe?“, hörte ich Terriermon flüstern und öffnete die Augen, um mein Digimon ansehen zu können, welches direkt vor meinem Gesicht lag.

Erschrocken sog ich die Luft ein und spürte, wie sich meine Augen weiteten.

Terriermon kicherte. „Hab ich dich erschreckt?“, fragte es und kuschelte sich in meine Arme. Es fühlte sich an wie mein altes Plüschtier, welches ich mit sieben Jahren in einem See ertrinken sah. Ein traumatisches Erlebnis.

Ich strich Terriermon über die Ohren und drückte es sanft an mich.

„Nein, hast du nicht“, log ich schmunzelnd.

„Hast du schon geschlafen?“, fragte es und schlang seine kurzen Ärmchen um meinen Arm.

„Nein, hab ich nicht“, kicherte ich. „Ich hab nachgedacht.“

„Worüber denn?“

„Über mein Zuhause“, erwiderte ich und lächelte in Terriermon’ s kurzes, jedoch weiches, Fell.

„Dein Zuhause?“ Terriermon’ s Stimme klang hellwach und überaus interessiert. „Wie ist es da? Wo lebst du?“

Ich schmunzelte leise. „Ich lebe in einem Wohnblock. Das ist so ein riesiges Gebäude aus vielen Steinen, in denen ganz viele Familien wohnen können“, erklärte ich, nachdem ich den fragenden Ausdruck in den Augen des kleinen Digimon’ s gesehen hatte.

„Ah“, machte es und kuschelte sich enger an mich. „Hast du Eltern?“

„Ja, Terriermon“, kicherte ich und zog meine Beine näher an mich. „Ich habe Eltern. Aber sie sind sehr selten da.“

Ein Gefühl der Traurigkeit überkam mich, wenn ich an meine Eltern dachte, die in der sonst so einsamen Wohnung saßen, gerade Urlaub genommen hatten, um Zeit mit der Tochter zu verbringen, die jedoch so schnell nicht heimkommen würde.

„Wieso denn?“

„Weil sie sehr viel arbeiten müssen, Terriermon. Ich bin sehr oft alleine zu Hause.“

„Macht dich das traurig?“, fragte Terriermon mitleidig.

Ich schloss meine Augen und strich ihm erneut über die Ohren.

„Ja“, erwiderte ich leise. „Das macht mich sehr traurig.“

Darauf erwiderte Terriermon gar nichts, drückte nur sanft meinen Arm und ließ mich mit meinem Heimweh nach meinen Eltern alleine. Es war eine Sache, wenn meine Eltern nicht da waren, wenn ich in unserer Wohnung alleine saß, mich Dunkelheit umgab, weil ich keinen Grund dazu sah das Licht einzuschalten. Doch es war etwas völlig anderes, wenn ich nicht da war, wenn meine Eltern zu Hause in ihrem Bett lagen, hellwach vor Sorge, weil ihre Tochter früh morgens verschwunden war und abends nicht mal zurückkam. Ich hoffte nur, dass sie nicht auf den Gedanken kamen, dass ich weggelaufen sein könnte. Auch wenn ich sie so selten sah, vermisste ich sie in dieser unbekannten Welt sehr viel mehr, als ich es in unserer Wohnung jemals getan hatte.
 

Als ich erneut erwachte, war der Himmel pechschwarz mit einigen hell leuchtenden Farbtupfern. Ich hörte das leise Atmen der Menschen und Digimon, die um mich herum verstreut lagen. Jemand berührte sogar beim Ausatmen meinen Rücken. Vorsichtig zog ich meine Arme unter Terriermon’ s schlafenden Körper hervor und setzte mich verschlafen auf. Die Person, die meinen Rücken gestreift hatte war Daisuke, der sich auch direkt neben mir fallen gelassen hatte. Er hatte seine Arme und Beine zu allen Seiten von sich gestreckt und lag wie ein mächtiges ‚X’ auf dem warmen Sandboden. V-mon zu seiner linken hatte genau die gleiche Pose angenommen, die Münder der beiden speerangelweit geöffnet. Ich musste mir ein Kichern unterdrücken und sah mich weiter um. Dort, am Rande des Ufers, saß eine Person mit wuschligen Haaren. Ein Lächeln kroch auf meine Lippen. Vorsichtig erhob ich mich und tapste ungeschickt zu Tai herüber. Ich stützte meine Hände auf den Knien ab und beugte mich zu ihm herunter, um zu sehen, ob er schlief oder wachte.

Träge wandte sich sein Gesicht mir zu und bei meinem Anblick leuchtete etwas in seinen Augen auf. Das Funkeln hätte ich mir jedoch genauso gut eingebildet haben, da der Mond direkt auf sein Antlitz schien. Lächelnd wies er mich auf, mich neben ihn zu setzen, was ich auch tat und dann die Beine an den Körper zog, um sie mit den Armen zu umschließen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Agumon schnarchend neben Tai lag, das Gesicht seinem Partner zugewandt. Ich schmunzelte.

„Ich wurde von meinem engsten Partner betrogen“, schmunzelte Tai und schaute mich grinsend an.

Ich erwiderte sein Lächeln. Man sah ihm an, dass er müde war. Die ganze positive Energie war gewichen, um der Müdigkeit Platz zu schaffen, seine Augen wirkten weniger leuchtend, der Enthusiasmus verblasst und die Lider halb geschlossen.

„Das muss ein Schock gewesen sein“, witzelte ich, wobei meine Stimme in einem Flüstern unterging.

Tai nickte schmunzelnd, den Blick immer noch auf mich geheftet, was mir wieder Wärme in die Wangen trieb. Wieso sah er mich denn so an? Ich wurde sehr selten in meinem Leben länger als zehn Sekunden hintereinander angesehen und jedes Mal, wenn es geschehen war, glich mein Gesicht meiner Haarfarbe.

„Soll ich dich ablösen?“, fragte ich höflich und runzelte leicht besorgt die Stirn. „Du siehst ganz schön müde aus.“

Tai winkte ab, streckte die Beine mit einem erleichterten Seufzer aus und ließ sich auf den Boden gleiten, wo er die Arme hinter seinem Kopf verschränkte und lächelnd in den Sternenhimmel schaute, was mir ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

„Tu es mir gleich!“, befahl Tai mir lachend und zog mich an der Schulter zu sich auf den Boden.

Als ich auf dem Sand aufkam wirbelte eine kleine Wolke hoch, die Tai und mich zum husten brachte. Als der kleine Anfall vorüber war, zog ich die Knie wieder hoch und legte die Hände auf meinen Bauch. Der Himmel sah aus wie der Ozean bei Sonnenschein. Überall glitzerten Sterne, der Mond leuchtete hell über unseren liegenden Gestalten und ich spürte kindliche Begeisterung in mir aufkommen.

Tai schmunzelte leise. „Wunderschön, nicht wahr?“

Ich wandte meinen Kopf ihm zu und erwiderte dabei den Blick, der auf mir ruhte. Redete er vom Sternenhimmel? Bestimmt…oder?

Erneut stieg mir peinliche Röte ins Gesicht und ich wandte den Kopf wieder zum Himmelszelt.

„Wunderschön“, murmelte ich und spürte das breite Grinsen auf meinem Gesicht. Mein Herz klopfte bei dem Anblick einige Takte schneller. Ich wünschte nur meine Eltern könnten so etwas auch einmal sehen. Mein Lächeln schwand langsam dahin, weggespült von der Welle der Traurigkeit.

„Hey, Tai?“

„Hm?“, machte er und ich spürte, wie er sich neben mir regte.

„Hattest du eigentlich Heimweh, als du das erste Mal hier angekommen bist?“, fragte ich und spürte einen Kloß im Hals.

Tai seufzte leise und erschreckte mich zu Tode, in dem er mit einer Hand durch meine Haare fuhr. Ich schaute zu ihm. Er hatte sich auf die Seite gerollt und mit dem Ellbogen abgestützt.

„Vermisst du deine Eltern?“, erwiderte er und lächelte weich.

Ich unterdrückte die aufkommenden Tränen, die sowohl vom Heimweh, als auch von Tai’ s unglaublich mitfühlenden Gesten kamen. Ich zwang mir ein Lächeln auf und schaute ihm in die schokobraunen Augen.

„Ich hasse es, wenn man auf meine Fragen mit einer Gegenfrage antwortet“, witzelte ich mit brüchiger Stimme. Mein Lächeln misslang und meine Mundwinkel zogen sich traurig nach unten.

Tai setzte sich auf und bot mir eine Hand an, um mich ebenfalls hinzusetzen, die ich dankend annahm. Nun in aufrechter Position konnte ich das Glitzern in Tai’ s Augen stärker wahrnehmen, das weiche Lächeln auf den Lippen, seine Hand, die erneut durch meine Haare strich. Ich wusste nicht, wieso mein Kopf nicht knallrot anlief und ich vor Hitze fast umkam, wieso ich mir nicht dadurch der Nähe bewusst wurde, in der Tai sich zu mir befand, keine Handbreit von mir entfernt. Das einzige, was ich tat, war meinen Tränen freien Lauf zu lassen, sie stumm über meine warmen Wangen laufen zu lassen und zu spüren, wie sich Tai’ s Arme mitfühlend um mich legten und an sich drückten.

Nächster Tag

Im Nachhinein war mir diese ganze Aktion doch sehr peinlich gewesen, besonders wenn ich jetzt darüber nachdachte, am Ufer sitzend, auf das glitzernde Meer schauend, den schlafenden Agumon direkt neben mir. Tai hatte sich dazu überreden lassen doch schlafen zu gehen und damit mein Terriermon nicht allzu sehr fröstelte im kalten Wind, hatte er sich zu ihm gelegt und ich war bei Agumon geblieben. Als es sich regte und ein seltsames Geräusch von sich gab, bemerkte ich, dass ich ihm unbewusst über den Kopf gestrichen hatte, wie ich es bei Terriermon getan hatte, um mich irgendwie selber zu beruhigen.

Ich seufzte und legte meine Hände auf die angezogenen Knie. Der Horizont war kaum auszumachen in der Dunkelheit, die nur von den strahlenden Sternen und dem daher ziehenden Mond gebrochen wurde. Was schon seltsam genug war. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, mich zu fragen, wieso der Mond sich bewegte, wieso der Ozean so ganz anders aussah, als der in Japan.

Ich verbrachte Stunden in dieser Position. Meine Knochen hatten sich beinahe von dem Sprung und den Sturz auf Daisuke erholt und bei der Erinnerung stieg mir schon nicht immer die Schamesröte ins Gesicht.

Der Horizont wurde immer heller und ich beobachtete zum ersten Mal in meinem Leben einen Sonnenaufgang. Ich musste ausgesehen haben wie ein kleines Kind, dem man einen Lutscher gab. Meine Augen waren weit geöffnet, damit ich bloß nichts verpasste, mein Mund in einer lachenden Art weit geöffnet.

Bevor die Sonne über dem Meeresspiegel hing hörte ich schon einige von meinen Kumpanen gähnen, unter anderem Daisuke und Sora. Mein Blick schweifte über Koushiro’ s schlafende Gestalt, die sich den Laptop fest an die Brust drückte und den Kopf hinter Tentomon versteckte. Und Tai, nun ja, der hatte sich immer noch neben Terriermon eingerollt und lag dort wie eine dicke, faule Katze. Bei dem Gedanken musste ich beinahe lachen, doch ich konnte das glucksende Geräusch noch zurückhalten und schmunzelte dafür nur.

Sora setzte sich vorsichtig auf und Biyomon half ihr gänzlich aufzustehen. Das arme pinke Digimon schwankte gefährlich in der Luft und Sora kippte, ein seltsames Geräusch ausstoßend, zur Seite, wegen ihrem verletzten Fuß. Eilig erhob ich mich, eilte zu ihr und stützte sie, indem ich ihren Ellbogen festhielt.

„Danke, Moe“, meinte sie und lächelte mich an.

Ich erwiderte das Lächeln. Ich wusste nicht genau wieso, doch Sora war mir ein Rätsel. Sie war mit Matt zusammen, empfand jedoch eindeutig etwas für Tai. Natürlich, das konnte jedem passieren, doch mir kam es so vor, als wüsste sie, dass Tai ihre Gefühle erwiderte, was er allem Anschein nach auch tat. Den Blick, den er Sora an dem Tag zugeworfen hatte, an dem ich die riesige Gruppe zum ersten Mal gesehen hatte, würde ich wohl niemals vergessen. Er hatte sie so sehnsüchtig und verletzt angesehen, dass ich nur bei dem Gedanken einen dicken Kloß im Hals spürte.

Etwas raschelte neben mir und ich schaute über die Schulter, um dort Tai stehen zu sehen. Ein großes Grinsen im Gesicht, jedoch hellviolette Ringe unter den Augen.

„Morgen“, begrüßte er Sora und mich mit hellwacher Stimme.

Ich schmunzelte.

„Morgen, Tai“, begrüßte Sora ihn und ihre Augen begannen zu strahlen.

Ich nickte nur und strauchelte etwas unter Sora’ s Gewicht, das vollständig auf mir lastete. Nicht, dass Sora viel wiegen würde, nur war sie einige Zentimeter größer als ich und durch meine mangelnden Fähigkeiten in sportlichen Aktivitäten war ich nie ein Muskelprotz gewesen.

Tai streckte Sora die Hände entgegen, sah jedoch mich an, als er sagte: „Soll ich?“

Ich nickte erneut und befreite mich aus ihrem Klammergriff. Mit unübersehbarem Leuchten in den Augen legte sie einen Arm um Tai’ s Schulter und er legte seine Hand um ihre Taille. Ich lächelte leicht, um meinen Dank auszusprechen und wollte schon an den beiden vorbeirauschen, als Tai mich am Arm griff und etwas zurückzog, so dass unsere Schultern sich von vorne leicht berührten. Ich spürte wieder Röte in mein Gesicht steigen.

„Alles okay mit dir?“, fragte er leise, damit Sora ihn nicht hören konnte, was sie dennoch tat, denn aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie misstrauisch eine Augenbraue hob.

Ich lächelte und schaute Tai in diese Wow- Augen, die ich wohl Stunden anstarren könnte, wenn ich ein Recht dazu gehabt hätte.

„Ja, klar. Danke…übrigens“, fügte ich verlegen hinzu und spürte mein Gesicht noch wärmer werden.

Mit seiner freien Hand winkte er ab. „Nichts zu danken. Hab ich gern gemacht.“

Und durch das Funkeln in seinen Augen wusste ich, dass er die Wahrheit sagte. Unaufhaltsam schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Tai’ s Mundwinkel hoben sich ebenfalls zu einem der niedlichsten Lächeln, die ich in meinem ganzen Leben je gesehen hatte. Ich spürte meine Beine schmelzen und das ganze Blut in mein Gesicht fließen.

Durch ein Hüsteln wurde unser überaus…intensiver…Blickkontakt gebrochen und ich starrte verlegen auf meine Hände. Nach einer Weile hob ich meinen Blick wieder zu Tai, nur um zu sehen, wie er mich anschaute, ein belustigter Ausdruck in den Augen.

„Ich…“, fing ich an, wurde jedoch von Koushiro’ s hohen Freudenschrei unterbrochen.

Erschrocken wandte ich mich ihm zu und sah aus dem Augenwinkel wie Tai, mit Sora im Arm, den Kopf nach hinten neigte, um Koushiro auch ansehen zu können.

Die strahlenden Augen des Computergenies sahen alle von seinen Mitleidigen, den Namen würde wohl auch nur ich uns allen zuordnen, einmal an und schaute dann wieder auf den Bildschirm seines Laptops.

Ich spürte, wie sich etwas Warmes, Weiches an mein Bein schmiegte. Mein Blick huschte hinunter und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich Terriermon’ s grinsendes Gesichtchen sah.

„Was?“, warf Tai in die Stille hinein, sichtlich verwirrt. „Was denn, Koushiro?“

Hastig hievte der kleine rotbrünette Junge den Laptop in seine Arme und kam damit zu Tai, Sora und mir geeilt.

„Schau dir das an“, sagte er aufgeregt und drehte den Bildschirm so, dass ich auch etwas erkennen konnte.

Der Hintergrund war komplett schwarz und aus dem schwarz ragte ein helles Gesicht umrandet von zuckerwatteartigen, rosafarbigen Haaren. Daneben stand eine Nachricht.

‚Numero Uno.’

Irritiert sah ich hoch, in die immer noch strahlenden Augen Koushiro’ s. Ich hatte absolut keine Ahnung, was diese Nachricht bedeuten sollte oder wieso er deswegen so glücklich war. Vielleicht auch einfach nur, weil er Mimi’ s Gesicht gesehen hatte. Man merkte ihm an, wie viel sie ihm bedeutete und nur der Gedanke daran, dass die beiden einfach nicht darauf kamen, was sie füreinander empfanden ließ mich lächeln.

„Das bedeutet?“, hörte ich Sora’ s hohe Stimme und nahm Terriermon in meine Arme, damit es auch einmal auf die Nachricht sehen konnte.

„Verwirrend“, meinte es mit gerunzelter Stirn und ich kicherte.

Es konnte meine Gedanken lesen.

„Koushiro?“, fragte Tai vorsichtig, so als wüsste er nicht, was er davon halten sollte.

„Ah, natürlich, natürlich“, murmelte Koushiro entfernte sich einige Schritte und packte sein Laptop in den Rucksack, den er sich dann auf den Rücken schnallte. „Alles in Ordnung bei ihnen. Sie sind in der Nähe.“

Irritiert hob ich eine Augenbraue? In der Nähe. Aha. Und wie, wenn ich fragen durfte, sollten wir sie denn nun finden? Ich war überaus verwirrt und ich hatte das Gefühl nicht die einzige zu sein.

„Lasst uns dann doch endlich aufbrechen!“, rief Daisuke ungeduldig, schon einige Meter weiter von uns entfernt.

Ich fragte mich, wann er wohl so weit gekommen war. Er und sein V-mon fuchtelten wild mit den Armen und spornten uns an, uns doch endlich zu bewegen, damit wir auch mal weiterkamen und den anderen entgegenlaufen konnten. Unbewusst ließ ich meinen Blick zu Tai fahren und wir tauschten einen verwirrten Blick aus.

„Kannst du gehen?“, fragte er und schaute nun Sora an, die leicht schmollend in seinen Armen hing.

Aufgrund meiner guten Manieren konnte ich mir das Grinsen verkneifen, bis ich das Gesicht abgewandt hatte und mit Terriermon auf dem Arm Daisuke und Koushiro hinterherlief. Hinter mir hörte ich Agumon und Tai munter plaudern, so als hätte Tai nicht noch ein zusätzliches Gewicht zu tragen und ich hörte das leise Rascheln Sora’ s und Biyomon’ s flüsternder Stimmen, so als wollten sie etwas vor allen geheim halten. Ich hatte das Gefühl, dass Geheimnisse in dieser Welt nicht besonders hilfreich waren, wobei ich das eigentlich auch nicht wissen konnte, da ich erst seit einem Tag hier drin steckte und schon um meine Eltern geweint hatte wie ein vierjähriges, kleines Kind.

„Freust du dich gar nicht hier zu sein?“, hörte ich die zarte Stimme meines Terriermon’ s fragen und ich schaute überrascht hinunter.

Es sah mich mit großen, traurigen Augen an und ich lächelte, wie ich hoffte, beruhigend und strich ihm locker mit einer Hand über den Kopf.

Ich seufzte. Ich wollte es nicht anlügen und irgendwie wusste ich, dass wenn ich es trotzdem täte, es meine Lüge sofort erkennen würde. Darum sagte ich: „Ich weiß es nicht, Terriermon. Das ist alles so seltsam und ungewohnt. Alles ist hier anders und ich weiß einfach nicht, was ich denken soll.“

Terriermon’ s Blick hellte sich auf.

„Wenigstens hasst du meine Welt nicht“, seufzte es erleichtert. „Ich glaube, dann wäre ich ziemlich traurig.“

Ich lachte vor Entzücken. Wie niedlich es doch war!

„Keine Sorge“, erwiderte ich und ließ Terriermon geschickt auf meinen Kopf klettern, um dort seine Ohren gegen die Sonne auszubreiten, wie einen großen Sonnenhut. „Ich glaube nicht, dass ich diesen Ort in irgendeiner Weise hassen könnte.“ Denn ich hatte in dieser Welt ja schon etwas, das ich ziemlich lieb gewonnen hatte.

Ich beobachtete, wie Daisuke auf einmal stehen blieb und wartete, bis Koushiro ihn eingeholt hatte, um hinter ihm wieder zu laufen zu beginnen und auf ihn einzureden. Koushiro schien den Weg zu kennen, ohne auf seinen Laptop zu sehen. Entweder er hatte Mimi’ s Nachricht so auseinander gepflückt, dass er genau wusste, wo er hin musste, oder aber er ging nach Gefühl. Ich tippte auf ersteres.

Plötzlich hörte ich hinter mir ein unterdrücktes Lachen und wand mich mit Terriermon’ s leichtem Gewicht auf den Schultern, nach hinten um. Fragend hob ich eine Augenbraue, als ich sah, wie mich Tai’ s braune Augen witzig anfunkelten. Ich spürte erneut Wärme in meine Wangen steigen und war plötzlich sehr froh, dass Terriermon’ s Ohren einen Schatten über mein Gesicht zogen.

„Was ist so witzig?“, fragte ich, ohne das Grinsen unterdrücken zu können, das während dem Reden auf meine Lippen schlich.

Tai schüttelte nur den Kopf und ich sah, wie er Sora’ s Arm weiter über seine Schulter zog, damit sie nicht hinunterrutschte. Sie hinkte neben ihm her, das ganze Gewicht auf ihn gestützt, wie es schien und Biyomon neben ihr herfliegend. Nun redete das pinke Digimon mit Agumon, welches neben Sora hertrottete und mich wieder überraschte. Es war wirklich der winzigste Dinosaurier, den ich je gesehen hatte, falls…ich jemals in meinem Leben einen gesehen hätte.

„Praktisch“, erwiderte er nur und deutete mit dem Kopf auf mein Digimon, welches leicht vibrierte, als würde es lachen.

„Oh ja“, antwortete ich und kicherte.

Ich war unbewusst stehen geblieben, um auf Tai und Sora zu warten, damit ich neben ihnen her laufen konnte. Sora schenkte mir ein seltsames Lächeln, welches ich nicht genau interpretieren konnte. Es hatte etwas Dankbares, dennoch etwas Trauriges und Enttäuschtes. Ein sehr verwirrendes Lächeln. Doch ich sah sie nicht lange an, denn Tai’ s Grinsen strahlte mir entgegen und meine Mundwinkel zogen sich noch weiter in die Höhe.

Wir fingen an über total belanglose Dinge zu reden. Er erzählte mir, was er gerne aß, dass er Erdnussbutter nur mochte, wenn er es mit einem Schluck Milch hinunterschluckte, dass er keinen Tee mochte, aber für sein Leben gerne Orangensaft trank, am liebsten mit kleinen Keksen, die in der Mitte ein Loch hatten. Er sagte, dass seine Schwester ihm einmal auf ihrem Geburtstag ihre Torte ins Gesicht gedrückt hatte, weil er einen fiesen Kommentar zu ihrem neuen, pinkfarbigen Kleid abgegeben hatte, dass er, als er einmal wütend auf Matt war, seine Songtexte im Klo hinuntergespült hatte und es dadurch eine Schlägerei mit seinem besten Freund gab.

An der Stelle ließ Sora in einer seltsam resignierten Art den Kopf hängen und ich sah ihr an, dass sie Matt vermisste. Egal, wie sehr sie für Tai zu schwärmen schien oder sich seine Aufmerksamkeit erwünschte, ich sah ihr doch an, dass sie in diesem Moment sehr viel lieber bei Matt wäre. Ihr Blick wurde so sehnsüchtig und todunglücklich, dass ich beinahe Tränen in meinen Augen spürte.

Tai schien ihren Blick nicht bemerkt zu haben und plauderte weiter fröhlich über Matt und ihn und ich unterbrach ihn, indem ich, was eigentlich überhaupt nicht zu mir passte, von mir sprach. Und mit jedem Satz, den ich sagte, beobachtete ich, wie die Gefühle in seinen Augen sich veränderten. Immer wieder.

Ich erzählte davon, dass meine Eltern schon damals ziemlich selten zu Hause waren, dass sie eigentlich immer arbeiteten und ich damals oft bei meiner Großmutter war, bis sie starb. Dann war ich nach der Schule immer alleine zu Hause gewesen. Ich erzählte, dass ich, um die Aufmerksamkeit meiner Eltern zu bekommen, die weißen Wände im Wohnzimmer mit meinen Filzstiften und Wasserfarben angemalt hatte, dass ich einige Gläser zerbrochen hatte und auf dem Sofa rumgehüpft war, bis die Sofakissen total zerstört gewesen waren. An der Stelle hatte er ein trauriges Lachen von sich gegeben und ich versuchte tapfer zu lächeln, doch davon zu erzählen, war etwas ganz neues für mich.

Nach einer Weile hinkte Sora mit einer Entschuldigung von uns weg und Biyomon half ihr schnell zu Daisuke und Koushiro zu gelangen. Ich konnte Agumon und Terriermon irgendwo im Hintergrund reden hören, obwohl Terriermon auf meinem Kopf saß. Immer noch.

Ich erzählte ihm auch, dass, als ich ungefähr Zwölf Jahre alt war, ein Junge mich wegen meiner Haarfarbe geärgert hatte und dass ich sie deswegen unbedingt färben wollte und, so dumm wie ich damals noch war, hatte ich meine Eltern gefragt, natürlich meinten sie, dass ich nicht dürfte, doch hätte ich es getan, wäre es ihnen sowieso nicht aufgefallen. Ich hatte versucht sie mit Wasserfarbe zu färben, da ich mich nicht traute eine richtige Färbung zu kaufen, doch das ging wohl auch daneben.

Tai lächelte abwesend auf meine Haare und ich spürte, wie mir wieder Blut in mein Gesicht schoss. Er hob einer seiner nun freien Hände und nahm, während wir liefen, eine Strähne zwischen seine Finger, strich drüber und zwirbelte sie.

Er lachte leise und ich senkte den Kopf, um den Rotschimmer zu verbergen.

„Gut, dass es nicht funktioniert hat“, meinte er, ein riesiges Grinsen auf den Lippen. „Ohne deine wunderschönen Haare wärst du mir überhaupt nicht aufgefallen.“

Mein Gesicht wurde zunehmend heißer. Wunderschöne Haare, hatte er gesagt. Oh mein Gott, so etwas hatte ich noch nie von irgendjemand anderen, als meiner Mutter gehört, von der das nun nicht wirklich zählte. Und dann auch noch von Tai! Mit diesen…diesen Wow- Augen, wie ich sie getauft hatte.

„Ich hasse meine Haare“, murmelte ich und nahm selber eine Strähne zwischen meine Finger.

Terriermon wankte kurz auf meinem Kopf und versetzte mir einen kleinen Tritt mit seinem Fuß. Ich ließ ein erschrockenes Quieken aus meiner Kehle entweichen und musste mir dann das Gekicher von Tai und den Digimon anhören, wodurch mein Gesicht noch wärmer wurde.

Tai ließ meine Haare frei und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Er grinste mich schief an.

„Ich hab früher mal einen Brief an den Weihnachtsmann geschrieben, in dem ich ihn gefragt hab, was ich studieren muss, um auch Weihnachtsmann zu werden“, gestand er mir und lachte bei der Erinnerung.

Ich stieg in sein Lachen mit ein. Das hatte er getan? Wie niedlich.

„Und?“, fragte ich und piekste ihm mit dem Ellbogen in die Seite. „Was hat er geantwortet?“

Tai schmunzelte. „Dass ich endlich erwachsen werden sollte und aufhören sollte an den Weihnachtsmann zu glauben.“

Überrascht hob ich meine Augenbrauen.

Tai kicherte.

„Die Antwort kam von Matt“, klärte er mich auf und ich nickte, nun lächelnd.

Er schaute wieder nach vorn, sein Blick wurde nachdenklich. Es sah aus, als er hätte er mich mit den Gedanken verlassen, bis ich merkte, dass sein Blick nur noch puren Schock ausdrückte. Alarmiert packte ich Terriermon von meinem Kopf und drückte es an meine Brust, während sich Agumon, der neben mir gelaufen war, versteifte. Ich folgte Tai’ s Blick und…sah gar nichts.

Ich schaute wieder zu ihm, mein Griff um das kleine Digimon lockerte sich etwas.

„Alles okay, Tai?“, fragte Agumon besorgt und sah zu seinem Partner hoch.

Tai schüttelte den Kopf.

„Leute“, sagte er mit belegter Stimme. „Was seht ihr?“

Ich folgte wieder seinen Augen und machte meine eigenen zu Schlitzen.

„Gar nichts“, erwiderte ich.

Terriermon und Agumon nickten einstimmend.

Und dann wusste ich, was er versuchte uns zu sagen. Geschockt starrte ich wieder geradeaus. Nichts. Absolut nichts war dort. Bloß Wüste. Keine Menschenseele.

„Oh“, entfuhr meiner Kehle und ich spürte, wie meine Arme und Schultern schlaff wurden.

„Ja: ‚Oh’“, entfloh es Tai und er fuhr sich durch die wuschligen, braunen Haare. Er sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Wie konnten wir die anderen denn verlieren? Wir sind denen doch nur stumpf hinterher gelaufen!“

Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Ich wusste zwar, dass ich nicht zu befürchten hatte mit Agumon, Terriermon und Tai bei mir, doch irgendwie hatte ich mich in einer größeren Gruppe und einem Laptop doch sicherer gefühlt. Panik spülte durch mein Inneres.

Hilflos drückte ich Terriermon näher an meine Brust und hob den Blick zu Tai, der mich ansah, als würde er mich nur ansehen, um sich besser konzentrieren zu können. Also hielt ich seinem Blick stand, bis er einen Geistesblitz bekam, den Rotschimmer auf meinen Wangen verfluchend.

Doch nichts kam. Wir standen nur dort, in konzentrierter Stille und starrten uns an.

„Was machen wir denn jetzt, Tai?“, drang Agumon’ s Stimme an mein Ohr und ich sah das Digimon an, das fragend seinen Partner anschaute.

Ich befreite eine Hand aus der Umklammerung, in der ich Terriermon hielt und rieb mir über die Augen. Okay, so schlimm konnte es ja gar nicht sein. Wir waren alleine in einer Wüste.

Oh. Mein. Gott.

In einem unkontrollierten Moment von Panik und Hysterie packte ich Tai am Hemdkragen, zog ihn näher zu mir heran und sagte, in beinahe überraschten Ton: „Wir sind alleine in einer Wüste.“

Ich sah, wie sein Mundwinkel zuckte.

„Sehr schön beobachtet, Moe.“ Er befreite sich aus meinem Griff, indem er meine Hand mit seiner eigenen leicht drückte und von seinem Kragen entfernte. Er fuhr sich mit der Hand, die meine gerade noch gehalten hatte, über das Gesicht.

„Tai…“, setzte Agumon wieder an, eine seiner Klauen an Tai’ s Hemdzipfel.

„Ich hab keine Ahnung, Agumon“, unterbrach der brünette Junge den Dino.

Mit Terriermon im Arm machte ich einmal eine 360° Grad Drehung. Es war nichts zu sehen, außer Sand, blauer Himmel und der Horizont. Fein. Wirklich super. Wir würden dann wohl jämmerlich verkommen.

Tai kramte sein Fernglas aus seiner Hosentasche und blickte damit in die gleiche Richtung wie ich. Ich schaute zu ihm und sah, wie sich sein rechter Mundwinkel hob. Okay, er schien etwas Interessantes zu sehen. Vielleicht ein Restaurant oder ein Hotel. Oh, man.

„Wir sind wohl wirklich wieder hier“, murmelte er und lachte leise.

Ich hob eine Augenbraue. „Tai?“

Er sah mich an, das Fernglas immer noch an dem Auge. Meine Augenbraue stieg noch etwas höher.

„Was siehst du?“, fragte ich, mich auf den fernen Horizont beziehend.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Verdammt grüne Augen“, erwiderte er und ich spürte, wie meine Wangen rot wurden.

Um die Schmeichelei zu umspielen, rollte ich mit den Augen. Terriermon kicherte in meinen Armen, hüpfte jedoch in nächsten Moment schon hinunter auf Agumon’ s Kopf. Die beiden entfernten sich einige Schritte in die Richtung, in die Tai und ich gesehen hatten und redeten dabei, als wären wir gar nicht am Rande unseres Daseins.

„Verdammt, Tai“, fuhr ich ihn an und drückte das Fernglas hinunter, so dass er mich ohne Vergrößerung sah. Bei seinem überrumpelten Gesichtsausdruck schlich sich ein Lachen auf meine Lippen. „Was siehst du dort?“, präzisierte ich meine Frage und deutete mit dem Arm in nach Osten.

Er grinste. „Du wirst schon sehen.“

Dann nahm er meine Hand und zog mich hinter sich her, während er hinter Agumon und Terriermon hinterher ging. Er rief ihnen zu, dass sie einfach immer geradeaus gehen sollten und dass dort bald ein großes Haus stehen sollte. Mein Herz schlug schneller bei dieser Aussage. Ein Haus!

Mitten in der Wüste? Meine Freude war wie weggespült. Hätte auch genauso gut eine Fata Morgana sein können. Ich würde bestimmt weinen, wenn es eine war.

Gott, das war alles so absurd, ich zweifelte an meinem Verstand und an Tai’ s Existenz. Ich meine, es konnte doch niemals einen Jungen wie ihn geben, der sich alleine mit mir und zwei Digimon in einer anderen Welt befand! Und in diesem Moment auch noch alleine!

Er hielt meine Hand immer noch, als wir schon einige Minuten gelaufen waren. Ich spürte seine Finger an meiner Haut zittern. Ich drückte sanft, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Abwesend drehte er mir seinen Kopf zu, seine Augen waren blass, als wäre er nicht ganz bei mir.

„Machst du dir Sorgen?“, fragte ich und stieß absichtlich mit meiner Schulter gegen seine, so weit ich seine Schulter überhaupt erreichte.

Er nickte, den Blick nun von mir abgewendet, sein Gesicht jedoch immer noch in meiner Richtung. „Irgendwie schon.“

„Um wen genau?“, hakte ich nach, darauf bedacht, nicht zu viel Neugierde durch meine Stimme hindurch scheinen zu lassen.

Etwas in seinen braunen Augen blitzte auf und er sah mich nun mit gehobener Augenbraue an. Er war wieder anwesend. Sehr gut.

Sein rechter Mundwinkel hob sich ein kleines Stückchen. Er hob sich so wenig, dass es mir nicht aufgefallen wäre, hätte ich nur Fünf Zentimeter weiter entfernt von ihm gestanden. Oder in unserem Fall: Wäre ich nur Fünf Zentimeter weiter entfernt von ihm gelaufen.

Langsam löste ich meine Hand von seiner und verschränkte die Arme vor der Brust, so, als wäre mir kalt, obwohl es schon ziemlich heiß war. Immer hin waren wir in einer Wüste und ich hatte Durst, versuchte jedoch das Bedürfnis zu verdrängen.

„Du weißt es, oder?“, hörte ich Tai auf einmal fragen und sah ihn wieder an, ohne bemerkt zu haben, den Blick von ihm abgewendet zu haben.

„Ich weiß viel“, meinte ich und hob belustigt eine Augenbraue. „Du musst schon präziser sein.“

Er ließ seine Hände ins eine Hosentaschen gleiten und schaute mich aus dem Augenwinkel her an. Okay, ich wusste vielleicht, was er meinte. Weil, wenn er über Sora und seinen Gefühlen für sie redete…dann wusste ich es, ja. Schon seit dem ersten Tag, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte.

„Du weißt schon“, murmelte er und senkte den Blick. „Das mit Matt und…und Sora…und mir.“

Ich nickte bedächtig. „Ja, ich weiß schon. Ganz schön knifflige Lage.“

Tai lachte auf. Ungläubig und mit schiefem Grinsen sah er mich wieder an. „Ich frag dich, ob du von der seltsamen Beziehung weißt, in der ich mit meiner besten Freundin, und dazu noch die Freundin meines besten Freundes, stecke und das einzige, was du dazu zu sagen hast, ist ’Ganz schön knifflige Lage’?“

Nun war ich diejenige, die den Blick auf den vorbeiziehenden Sand unter unseren Füßen starrte.

„Tut mir leid, Tai“, erwiderte ich. „Ich weiß, dass du irgendwie etwas für Sora empfindest und wohl irgendwie versuchst, dich selbst davon abzuhalten, wegen Matt. Doch weißt du genauso gut, dass Sora dich auch mag, jedoch nicht so sehr wie sie Matt liebt.“ Ich rieb meine Augen. „Gott, du bist in so einer dummen Situation, dass ist fast schon absurd. Sora würde sich für Matt entscheiden, wenn du ihr ein Ultimatum stellen würdest und das weißt du. Ich kann dir nichts dazu sagen, was du nicht schon weißt, richtig, Tai?“

Ich blickte ihn wieder an und ein bewunderndes Lächeln lag auf seinen Lippen.

„Sehr richtig, Moe“, antwortete er. „Sehr schön beobachtet.“

Ich zuckte die Achseln und fixierte meinen Blick auf Agumon und Terriermon, die einige Meter vor uns liefen. „Ich bin darin geübt.“

Das war mehr zu mir, als zu irgendjemand anderem gesagt, doch Tai fühlte sich anscheinend trotzdem angesprochen. Meine Wangen erröteten bei dem Gedanken, dass ich ihm gerade gestanden hatte ein Beinahe-Stalker zu sein, der Menschen genau beobachtete, um ihre Geschichten herauszufinden.

„Tatsächlich?“ Tai’ s Stimme klang interessiert. „Beobachtest du öfter Menschen?“

Ich kicherte, mein Kopf war irgendwie in einer seltsamen Blase, in der mir egal war, was ich als nächstes sagte, da mich die Außenwelt sowieso nicht hören würde. Ich konnte bei Tai einfach nicht anders, als einfach drauf loszureden, er führte mich irgendwie dazu, auszusprechen, was ich noch nie jemandem erzählt hatte.

„Es kommt vor“, kicherte ich. „Ich hab das immer gemacht, weil ich so alleine war jeden Tag und ich dachte, da meine Geschichte ja recht langweilig ist, schaue ich mal, ob das Leben anderer Menschen besser läuft, als meines. Ich hab mich immer gefragt, ob es falsch ist, Menschen anzusehen, zu beobachten, wie sie sich geben, die Blicke zu interpretieren und sich dadurch zusammen zureimen, was sie in ihrem Leben getan haben oder, was sie fühlen. Es macht Spaß, vielleicht solltest du es auch mal versuchen.“

Ich hörte Tai neben mir leise Lachen. Dann hörte er abrupt auf.

„W-War ich der erste aus unserer Gruppe, den du…na ja…beobachtet hast?“ An dem Zittern seiner Stimme konnte ich hören, dass er gezögert hatte, bevor er die Frage stellte. Er sagte ‚Beobachten’ so, als wäre es eine besondere Gabe.

Ich lachte und stupste ihn mit meiner Schulter erneut an.

„Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen“ sagte ich lächelnd. „Aber nein, du warst nicht der Erste.“

„Wer dann?“

„Mimi und Koushiro.“ Die Erinnerung daran fühlte sich so alt an, als kannte ich sie alle schon jahrelang. Tai mit eingeschlossen.

Tai hörte sich abwesend an, als er wieder redete. „Was hast du denn aus ihnen herauslesen können?“

Ich lachte. „Sie sind ineinander verliebt.“

„Beeindruckend, Moe“, lobte Tai mich und verwuschelte meine Haare mit seiner rechten Hand, die er dafür extra aus der Hosentasche genommen hatte.

Verwirrt schaute ich ihn an. „Du hörst dich nicht besonders überrascht an.“

„Bin ich auch nicht“, erwiderte er. „Koushiro hat mir gesagt, dass er Mimi mag, aber dass sie ihn ebenfalls, wusste ich nicht.“

Ich lächelte. Tai erwiderte den Blick und seine Gesichtszüge wurden weich.

„Du hast die Augen, Moe“, sagte er und ließ seine Hand meinen Hinterhopf hinab gleiten.

Diese kleine Geste trieb mir wieder einen Rotschimmer auf die Wangen und Tränen in die Augen. Ich konnte vielleicht mir unbekannte Menschen durchschauen, doch Menschen, die mir nah stehen sollten, die für mich da sein sollten, die sich um mich kümmern und sorgen sollten, die konnte ich nicht lesen, wie Tai es nannte. Aus meinen Eltern wurde ich noch nie schlau. Sie waren ja nie da, arbeiteten immer und benahmen sich nicht wie eine Familie. Genauso meine Schwester. Sie war schon in meinem Alter abgehauen, hatte noch früher angefangen zu rebellieren und seit dem waren meine Eltern Tag und Nacht mit ihrem Job beschäftigt. Ich konnte nicht mal genau sagen, als was sie arbeiteten, sie hatten nicht mal genug Zeit mir das zu sagen.

„Ich wünschte, sie würden immer funktionieren“, murmelte ich und drückte mich unbewusst an Tai’ s Seite.

Rausch

Okay, das hier hat ein bisschen auf sich warten lassen. Allerding hoffe ich es für die, die es vielleicht noch lesen werden, auf eine gewisse Art und Weise wieder gut zu machen. In diesem Kapitel. Mit mehr Action. Hust.
 


 

~
 

Nachdem Tai mir freudig mitgeteilt hatte, er würde ein Haus durch sein winziges Fernglas sehen, hatte er dummerweise vergessen zu erwähnen, dass dieses Haus selbst durch die vergrößerte Ansicht nicht größer war als ein sanft angehauchter Punkt eines Bleistifts, der nur für den Bruchteil einer Sekunde aufs Papier gedrückt wurde. Das erfuhr ich auf die schmerzhafte Art, nachdem wir schon einige Stunden durch die merkwürdig angenehme Hitze der nicht allzu ausdürstenden Wüste gelaufen waren. Mein Magen grummelte schon in einem fünf-Sekunden-Takt und Terriermon hing wie ein nasser Sonnenhut auf meinen Schultern, die großen Ohren ab und zu schwingend, um uns beiden ein wenig Luft zuzufächeln.

Tai selbst schien untypisch schlecht gelaunt geworden zu sein. Seine Augenbrauen entspannten sich nicht ein einziges Mal, seitdem sein Magen sich das erste Mal mit einem animalischen Knurren zur Erkenntnis gegeben hat.

Schon eine ganze Weile sagte niemand von uns mehr etwas, denn es gab nicht allzu viel auszutauschen. Mir war bewusst, wir kannten uns eine wirklich erschreckend kurze Zeit, doch mit ihm hatte ich mehr geredet als mit meinen eigenen Eltern.

Und das musste schon etwas bedeuten. Oder etwa nicht?

Jedenfalls schien Agumon der einzige, der noch immer guter Dinge war, selbst wenn sein Bauch die lautesten Geräusche von sich ließ. Es kicherte dann immer über sich selbst und schaute mit niedlichen, rosanen Wangen zu mir hoch, als wäre ein grummelnder Magen etwas, weswegen er sich vor mir schämen müsste.

Ich tippte darauf, dass seine Verlegenheit damit zu tun hatte, dass wir uns nicht wirklich kannten. Agumon hatte mit all den anderen diese Wahnsinns-Abenteuer durchlebt und dann kam ich daher mit meiner billigen Kleidung und meinen Hexenhaaren und es bliebt natürlich direkt bei mit stecken. Nun ja, wenigstens schien es sich gut mit Terriermon zu verstehen, das war schon mal ein Trost.

Zwar ein relativ kleiner Trost, aber immerhin etwas.

„Trügen mich meine Augen?“, sagte Tai plötzlich mit einem theatralischen, und überraschend energiegeladenen, Heben seines Arms. Er hielt sich die Hand über die Augen, als könnte er so besser erkennen was vor uns lag. „Oder erblicke ich dort vorne tatsächlich ein Gemäuer?“

Ich schmunzelte und folgte seinem Blick.

Und tatsächlich!

Es war mir nicht klar gewesen, wie überaus erleichtert ich sein konnte. Wie ein tonnenschweres Gewicht fiel die nagende Sorge von meinem Herzen, dass das Haus vielleicht wirklich nur eine Fata Morgana hätte gewesen sein können. Doch nun sah ich es mit eigenen Augen.

Noch einige Meter von uns entfernt stand mitten in der Wüste ein so prunkvoll gestaltetes Haus, dass mir direkt auffiel, wie schmutzig und stinkig ich eigentlich war.

„Ehm“, machte ich und strich mir unbewusst über die staubige Kleidung, „ich glaube, du hast vergessen zu erwähnen, dass es sich bei diesem Haus weniger um ein Haus handelt, als um eine Villa.“

Tai’s Blick huschte zu mir hinüber und ich konnte die unbändige Erleichterung auch in dem tiefen Braun seiner Augen erkennen. „Ist das etwa wichtig?“

„Schon irgendwie. Glaubst du jemand, der in so etwas wohnt, wird uns reinlassen? Wir sehen aus wie heruntergekommene Vagabunden!“

„Hey, sei doch nicht so hart“, sagte Tai und legte überraschend eine Hand an meine Wange. „Ich finde, ich sehe umwerfend aus.“

Er musste doch sicherlich spüren, wie das Blut in mein Gesicht gepumpt wurde?

Das plötzliche Zurückziehen seiner Hand antwortete mir diese Frage und ich spürte, wie mir die Hitze zu Kopf zu steigen drohte.

„Idiot“, murrte ich und wandte mich von ihm ab. Terriermon begann nun aufgeweckter mit den Ohren zu schlagen, beinahe als wollte es abheben und sofort zu der Villa hinüber fliegen. Ich konnte beinahe spüren, wie sein kleiner Körper auf meinen Schultern bebte und hob einen Arm, um beruhigend die Hand auf seinen Kopf zu legen. „Alles klar bei dir, Kumpel?“

Ich war mir ziemlich sicher eine Antwort bekommen zu haben, doch meine Aufmerksamkeit wurde ab dem Moment von Terriermon gelenkt, als Tai anfing, sich auszuziehen.

Augenblicklich blieb ich wie erstarrt stehen, die Augen so weit aufgerissen, dass die trockene Luft sie zum tränen brachte, und doch konnte ich nicht wegsehen.

Tai und Agumon waren einige Schritte vor Terriermon und mir und Tai hatte zuerst das Hemd ausgezogen, und dann schließlich das Sweatshirt. Ich konnte, Gott sei Dank, nur seinen Rücken sehen, doch das war schon zu viel für meinen schwachen Blutkreislauf.

Mir war vorher nicht aufgefallen wie unglaublich braun Tai eigentlich war, nicht bevor ich nun seinen überraschend muskulösen Rücken gesehen hatte. Seine Haut glänzte ein wenig, was nicht weiter merkwürdig war, denn es war schon ziemlich warm und so dick wie er vorher angezogen gewesen war, wunderte es mich nicht, wenn er schwitzte.

Die Haut straffte sich über seine Schulterblätter als er sich vorbeugte, um Agumon das Hemd zu geben, welches er theoretisch hätte sofort aufgeben hätte können.

Mein Kopf war dem Platzen nahe als mir auffiel, wie glatt der Übergang seiner Schultern zu den Armen war, wie klar zu sehen die Linie seiner Wirbelsäule, die bis hinunter zum Hosenbund reichte und-

Nein! Es reichte!

Oh Gott, was war nur aus mir geworden? Bevor ich Tai getroffen hatte, hatte ich nicht einmal so viel wie Blickkontakt zu einem Jungen und nun stand ich hier und nahm mir das Recht einen Jungen der Wow-Sorte zu vergegenständlichen? Seinen Körper wie ein hechelndes Fangirl zu bewundern?

Ich fühlte mich so…unglaublich…unglaublich…

Tai wandte sich um und schaute mich an, was wirklich die schlimmste Idee war, die er hätte haben können, während er mit unbedecktem Oberkörper vor mir stand.

Ich glaube, in dem Moment war mir sogar schwindelig von dem ganzen Blut in meinem Kopf. Auf einmal konnte ich die ganzen Frauen in alten Filmen und Serien verstehen, die beim Anblick ihrer Geliebten in Ohnmacht fielen. Doch ganz so tief wollte ich nicht sinken, weswegen ich mich eilig umwandte.

Natürlich hatte ich nicht bedacht, wie seltsam das für Tai wirken könnte, doch wirklich, hatte ich nicht andere Sorgen?

„Moe?“, hörte ich ihn fragen und selbst seine Stimme hatte einen beinahe lächerlichen Effekt auf mich. „Moe, alles in Ordnung? Ist es die Hitze? Ist dir schwindelig?“

Terriermon wandte sich auf meinem Kopf ihm zu. „Komm nicht näher“, sagte es in einem warnenden Ton. „Was denkst du dir denn dabei, doch einfach auszuziehen? Willst du etwa da halbnackt vor der Tür stehen und anklopfen?“

„Es ist einfach zu heiß“, erwiderte Tai abwehrend. „Du hast es natürlich gut, du hast deine Flügel und bist prinzipiell nackt, während ich hier mit zehntausend verschiedenen Schichten herumlaufen muss.“

„Ich kann dein Hemd auch trocknen, Tai“, schlug Agumon vor. In dem Moment hätte ich den kleinen Dino am liebsten in eine knochenbrechende Umarmung gezogen. „Dann ist es wenigstens nicht so unangenehm, dich wieder anzuziehen.“

Und somit war ich gerettet. Zwar wagte ich es sogar, mich wieder zu Tai zu drehen, während Agumon noch sein Sweatshirt unter einer kleinen Flamme zu trocknen versuchte ohne es in Flammen zu setzen, doch mein Gesicht verlor unter keinen Umständen seine fieberartige Hitze. Besonders nicht, weil Tai nicht gerade behilflich dabei war, während er sich den Schweiß mit dem anderen Hemd vom Oberkörper zu wischen versuchte.

Terriermon kicherte und ich hegte den starken Verdacht, es fand krankhafte Freude an meinem Leiden.

Dann endlich, endlich, war Tai wieder vollständig bekleidet, völlig unwissend, was für einen Effekt er auf mich gehabt hatte. Immer noch hatte. Doch er grinste mich nur an, mit diesem müden Leuchten in seinen Augen, und hielt mir eine Hand hin, um mir aufzuhelfen, da ich physisch nicht in der Lage gewesen war, mit während seiner halben Nacktheit auf den Füßen zu halten.

Und mir war dabei ziemlich klar, wie schwach ich eigentlich war.

Wir setzten unseren Weg also fort, Tais Hand ließ meine dabei nicht los, sondern zog mich eher vorwärts, während das pompöse Gebäude bald in all seiner Pracht vor uns aus einem wahllosen Ort in der Wüste herausragte.

Meine Finger fingen merkwürdig zu kribbeln an, als ich über den mit goldverzierten Türrahmen blickte. Würde jemand, der in so einem Palast lebte, wirklich zwei Jugendliche und ihre Digimon bei sich übernachten lassen? Sei es nur für diese eine Nacht, damit wir uns waschen, essen und schlafen konnten ohne am Morgen mit einem schmerzenden Nacken zu erwachen.

Merkwürdigerweise gab es allerdings keine Klingel, weswegen Tai die Hand hob, um Anzuklopfen. Doch bevor seine Haut Kontakt mit dem Holz der Tür machen konnte, schwang sie schon nach innen auf und gab es den Weg frei ins Gebäude.

Ein Schauer ran meinen Rücken hinab und ich trat automatisch näher an Tai. In der erschreckend leeren Eingangshalle war niemand. Niemand, der uns hätte die Tür öffnen können.

Tai schien davon nicht so sehr verstört zu sein wie ich, doch er runzelte die Stirn und trat über die Schwelle. Ich war mir nicht sicher; irgendetwas konnte hier nicht stimmen. Noch hatte ich den Verstand nicht komplett verloren. Ich war mir ziemlich sicher, dass Türen sich normalerweise nicht von selbst öffneten.

„Was ist los, Moe?“, holte mich Terriermons Stimme aus meiner Trance. Es war von meinen Schultern gehüpft und stand nun bereits in der Eingangshalle des Geisterhauses. „Geht es dir noch immer nicht gut?“

Bei dem sorgenvollen Ton in seiner Stimme zuckte mein Mundwinkel in die Höhe. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. „Nein, alles in Ordnung. Tut mir leid.“

Mit nur einem minimal verdorbenen Gefühl in der Magengrube trat ich ins Haus.

Beinahe augenblicklich nachdem ich über die Schwelle getreten war, schlug die Tür hinter mir mit einem Knallen ins Schloss. Ich zuckte erschrocken zusammen und auch Tai, Agumon und Terriermon wandten sich überrascht zu mir um, um zu sehen, was passiert war.

Eilig durchquerte ich den Raum, um zu den drei anderen zu gelangen und griff, nur mit mittelmäßig erwärmten Wangen, Tais Hand. Ein verwunderter Ausdruck huschte dabei über sein Gesicht, doch ich schaute ihn nicht lang genug an, um zu sehen, was dann in seinen Augen vorging. Es war mir ein wenig unangenehm meine Schwäche zuzugeben.

Denn dieses Gebäude machte mir wirklich Angst. Auf eine Horrorfilmmäßige ein-Mörder-kommt-gleich-mit-einer-Axt-um-die-Ecke Art. Zu viele solche Filme hatte ich mir alleine in der dunklen Wohnung angesehen, um nicht zu wissen, was sonst immer bei solchen Szenarien passierte.

Terriermon hüpfte wieder auf meinen Rücken, die Ohren dieses Mal um meine Schultern gewickelt, als versuchte es, mich so zu beschützen, was ein Gefühl der Wärme in mir wachsen lassen würde, wäre das Zittern jeglicher meiner Glieder nicht so allesumfassend in meinen Gedanken.

Rechts und links von uns befand sich jeweils ein Türrahmen in den kalkweißen Wänden, deren Helligkeit mir durch das Licht der pompösen Kronleuchter in den Augen brannte. Mir wurde bewusst, dass diese Türrahmen mal wirkliche Türen gehabt haben mussten, denn es waren Angeln dort angebracht, die sinnlos ins Holz genagelt waren.

Agumon spähte in den Raum rechts von uns und winkte uns heran. Seine Augen leuchteten und sein Mund war in freudiger Erwartung geöffnet. Tai zog mich hinter sich her, versuchte jedoch offensichtlich mich nicht überholen zu lassen, sodass ich immer im Schutz seines Rückens bleiben würde. Niemals könnte ich in Worte fassen, wie froh und irritiert ich über diese Geste war.

„Was zum-“, hauchte Tai als er über Agumon hinweg ins Zimmer schaute und ich merkte sofort, wie die Spannung aus seinen Schultern wich.

Wir betraten den Raum und mir fiel als allererstes das riesige, gar königliche Doppelbett in der Mitte des Raumes auf. Es war so breit, dass wahrscheinlich sogar alle von Tais Freunden hinein gepasst hätten, samt ihren Digimon, wenn man diese auf ihre Partner gestapelt hätte.

Na gut, vielleicht war dies eine etwas übertriebene Beschreibung, doch es kam mir allerdings so vor.

Neben dem Bett befand sich in einer Ecke des Raumes eine Badewonne, bereits gefüllt mit dampfendem blubberndem Wasser, von dem die himmlischsten Gerüche zu uns hinüberströmten. Ich war zwischen einem entspannten Seufzen und schockierten Zischen hin und her gerissen, da dieses Bad wirklich unglaublich anziehend roch, mir jedoch ganz anders wurde bei dem Gedanken, dass es bereits vorbereitet war. Als hätte jemand darauf gewartet, dass wir hierher kommen.

In der gegenüberliegenden Ecke zu dem Bad stand ein Wandschrank mit speerangelweit geöffneten Türen. Darin befanden sich unzählige Kleider und andere Dinge zum Anziehen, doch Tüll und Seide und irgendein anderes bauschiges Zeug verdeckte jegliche Kleidung, die vielleicht wirklich tragbar gewesen wäre.

Mir wurde flau im Magen.

„Habt ihr euch vielleicht vorher zu einem Besuch hier angemeldet?“, fragte ich und verfluchte mich innerlich dafür, dass meine Stimme inmitten des Satzes kurz brach.

„Eigentlich nicht“, erwiderte Tai. „Aber wenn schon jemand so nett war, so einen Aufwand für uns zu machen…“

Er ließ den Satz unvollendet, doch ich entzog ihm so urplötzlich meine Hand, dass er mir einen Blick schenkte. Mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, denn er lachte plötzlich, so wie er es getan hatte, als wir uns kennenlernten, und kam einen Schritt auf mich zu.

Mir blieb beinahe das Herz stehen als er mein Gesicht zwischen seine Hände nahm und mir fest in die Augen sah.

„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte er, seine Stimme klang merkwürdig verändert. Doch nicht negativ verändert, sondern eher so, dass wieder Blut meinen Hals hinauf kroch. Doch selbst als die Wärme zu seinen Fingern durchdringen musste, ließ er nicht von mir ab. Ein Ausdruck trat in seine Augen, den ich nirgendwo zuordnen konnte, der meine Fingerspitzen jedoch in merkwürdiger Erwartung prickeln ließ. „Ich bin hier, okay? Niemand wird dir etwas tun können.“

„T-Tai“, versuchte ich zu wiedersprechen, doch meine Stimme klang so erbärmlich, dass ich den Versuch gleich wieder aufgab.

Er musste doch wissen, was er für einen Effekt auf mich hatte, oder nicht? War es nicht mehr als offensichtlich wie überaus lächerlich ich mich in seiner Gegenwart benahm? Wie überaus untypisch meines eigenen Charakters?

Seine Finger strichen sanft über meine Wangenknochen, so leicht wie ein Windhauch. Er lächelte leicht. „Terriermon wird bestimmt auf dich aufpassen, während du dieses Bad da nutzt. Ich bin mir sicher, dir wird nichts passieren.“

„Es geht nicht nur um mich, Dummkopf“, murmelte ich und entwand mich eher widerwillig aus seinem Griff. Mein Gesicht brannte. Würde ich mich irgendwann daran gewöhnen? „Und was wirst du währenddessen machen? In diesem Haus rumrennen und nach dem Geist suchen, das offensichtlich vorhat uns alle umzubringen?“

Tai lachte. „Ich wette, hier ist kein Geist, das uns umbringen will.“

„Woher willst du das so genau wissen?“

„Ich weiß es einfach, Moe. Mach dir keinen Kopf. Agumon und ich schauen, ob’s hier irgendwo noch etwas Essbares gibt, mehr auch nicht. Das hier ist die Digiwelt, hier läuft vieles anders als in deiner Welt.“

Ich runzelte die Stirn. „Ist es nicht auch deine Welt?“, fragte ich leise.

Für den Bruchteil einer Sekunde schien er überrascht, doch dann trat wieder ein Lächeln auf seine Lippen. Nur dieses Mal wusste ich, dass es nicht ganz ehrlich war. Er strich mir mit dem Daumen kurz übers Kinn, bevor er auch schon Agumon ein Handzeichen gab, ihm zu folgen.

Terriermon und ich blieben allein in dem unheimlich großen, dafür aber auch unheimlich leeren, Zimmer zurück. Eigentlich hatte ich nicht nachgeben wollen. Doch die Düfte des Bads schienen intensiver zu werden und ich konnte buchstäblich spüren, wie die Schmutzschicht die Bewegungsfähigkeit meiner Haut behinderte.

Seufzend wechselte ich einen kurzen Blick mit Terriermon. Es hob die Ohren an, was wohl einem Schulterzucken gleichkommen konnte und ich kicherte. Wirklich, war ich so müde, dass ich über etwas Derartiges kicherte?

Terriermon schien jedenfalls so zu denken, denn es seufzte viel zu schwer, als dass es zu seinem kleinen Körper passen könnte, und schubste mich dann in Richtung der Badewanne.

„Ich weiß nicht, Terriermon“, sagte ich, hin und hergerissen. „Es scheint nicht wirklich zulässig, oder? Dass wir in der Wüste landen und plötzlich ein Haus auftaucht, welches sich wie von Geisterhand so eingerichtet hat, wie wir es gerade benötigen?“

„Du sollst nicht alles hinterfragen“, erwiderte es. Ich konnte das unterdrückte Schmunzeln aus seinem Ton heraushören. „Wie Tai gesagt hat, das hier ist die Digiwelt. Es wäre sehr viel merkwürdiger gewesen, wenn jemand die Tür für uns aufgemacht und uns dann auch noch reingelassen hätte.“

„Aber die anderen-“

„Den anderen“, unterbrach es mich, während es mir beinahe die Weste von den Schultern riss, „wirst du müde und hungrig nicht sehr viel nutzen.“

Widerwillig schlüpfte ich schließlich komplett aus meinen Klamotten, doch ein flaues Gefühl im Magen hatte ich doch noch, welches nicht nur vom Hunger herrührte. Die Tatsache, dass Tai jeden Moment durch den türlosen Rahmen kommen konnte, während ich vollkommen entblößt hier stand, machte es mir nicht einfacher, mich auf eine einzige Sache zu konzentrieren.

„Nicht, dass ich den anderen in sonst irgendeiner Lage von großem Nutzen sein könnte“, murrte ich, während ich in das erschreckend perfekt geheizte Wasser stieg. Unwillkürlich entfloh ein wohliges Seufzen meiner Kehle. Augenblick verwandelte mein Körper sich in eine Art Pudding, die nur durch meine Haut zusammengehalten wurde. Ich streckte die Arme nach Terriermon aus, das noch immer auf dem Boden stand, den Blick mit einem sehnsuchtsvollen Blick zu mir gerichtet. „Komm her. Du hast auch ein Bad dringend nötig.“

Ohne weiteres Zureden sprang Terriermon zu mir ins Wasser, was eine kleine Welle auslöste, wobei Schaum und einige Tropfen über den Rand der Wanne schwappten und klatschend auf dem gefliesten Boden aufkamen.

Das unterschied Terriermon von mir, fiel mir in dem Moment auf. Es machte sich nicht viele Gedanken. Es dachte nicht an Gefahren, sondern lebte im Augenblick und das war es auch, was ich an ihm beneidete. An meinem schönen Digimon.

Lachend und plantschend schwamm Terriermon die kurze Strecke von meinen Füßen, bis zu meinem Oberkörper. Es wirkte ein wenig wie ein Hund nun, das kurze Fell stach wie Zacken aus dem Gesicht und von den langen Ohren ab, die an der Wasseroberfläche schwammen und somit den Schaum schneller verschwinden ließen.

Im Endeffekt hätte ich nicht sagen können, wie lange wir beide so im Wasser lagen, da es aus einem unheimlichen Grund, über den ich nicht wagte nachzudenken, einfach nicht abkühlte. Allerdings fühlte ich mich irgendwann schon wie eine getrocknete Pflaume und merkte in dem Moment auch endlich, dass ich eine Dummheit begangen hatte.

Meine Klamotten waren verschwunden.

Meine. Klamotten. Waren. Verschwunden!

Ich war kurz davor zu hyperventilieren, doch Terriermon klopfte mir beruhigend auf den Kopf und sprang aus dem Wasser, stärker mit den Ohren flatternd, als es das normalerweise tat. Es war schwerer geworden durch das nasse Fell. Es würde schwerer für es werden zu entkommen, falls nun irgendetwas passieren würde.

„Mach dir nicht ständig solche Gedanken“, sagte es mir und hatte dann noch den Nerv zu lachen. „Ich finde dir schon etwas zum Anziehen. Hier ist ein ganzer Schrank voller Kleidung.“

„Ja, aber das ist nichts, was ich jemals anziehen würde!“ Ich errötete nur schon bei der Vorstellung von mir in einem solchen bauschigen Kleid. „Vielleicht findest du aber irgendetwas anderes darin? Ich meine, da können schließlich nicht nur Sachen für Mädchen sein, richtig?“

„Ich schau mal nach“, meinte Terriermon lässig und hinterließ mit jedem tapsigen Schritt eine Wasserlache zu seinen Füßen.

Und das endete damit, dass in einer dunklen Jungenjeans, die nur dank eines Gürtels nicht von meinen Hüften rutschte, und einem weiten, grauen T-Shirt auf dem Bett landete, welches, da es relativ groß war, sehr viel mehr Haut zeigte, als mir lieb war.

Ich saß im Schneidersitz inmitten der himmlisch weichen Matratze und rubbelte grade Terriermon mit einer der vielen Überzüge trocken, als Tai und Agumon ins Zimmer kamen. In den Händen hielten sie Körbe, die gefüllt waren mit Obst und Sandwichen, was wieder die Alarmglocken in meinem Kopf läuten ließ.

Tai schien für einen Moment verwundert, mich in diesem Aufzug zu sehen, weswegen ich auch mit warmem Gesicht abwinkte und sagte: „Meine Klamotten sind verschwunden.“

Hatte ich nun für eine schockierte Reaktion gehofft, so bekam ich sie leider nicht.

Wir entschieden uns dafür, dass Tai und Agumon sich erst einmal noch wuschen, bevor wir gemeinsam essen und uns dann für einige Stunden aufs Ohr hauen würden. Natürlich wagte ich mich nicht zu rühren, während ich das Gesicht in die Kissen presste und dabei zuhören musste, wie Tai sich auszog und in die Badewanne stieg.

Ich hatte vorgeschlagen, das Zimmer zu verlassen, doch er und Terriermon waren vehement dagegen gewesen. Was mich schon ein wenig stutzen ließ, wenn man bedachte, dass gerade diese beiden mir immer und immer wieder sagten, dass es schließlich nichts gäbe, worüber ich mir Sorgen machen musste. Agumon hatte nur geschmunzelt, was schon ein überaus interessanter Anblick war, wenn man bedachte, dass er das physische Auftreten eines Dinosauriers besaß.

Nach schier endlosen zwanzig Minuten hockten wir nun alle in einem unförmigen Viereck auf dem großen Bett, die Körbe mit Nahrung in unserer Mitte. Tai trug exakt das gleiche wie ich, nur dass sein Shirt weiß war und die Jeans schwarz, ansonsten könnte man sagen, wir wären im Partner-Look.

Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte.

Agumon und Tai bedienten sich direkt an den Sandwiches und ließen das Obst links liegen, während ich noch immer unschlüssig war. Doch schließlich gewann mein grummelnder Bauch, wobei ich versuchte Tais selbstzufriedenes Grinsen zu ignorieren, was mir durch Terriermons und Agmons Schmunzeln unglaublich schwer fiel.

Überraschenderweise schafften wir es den ganzen Sandwichkorb zu leeren. Im nächsten Moment landeten er und der gefüllt mit Obst, irgendwo neben dem Bett und Tai und ich fielen von einem unkontrollierten Lachanfall getroffen rücklings in die Kissen des Bettes.

Von Agumon und Terriermon bekam ich nichts mehr mit, mein Kopf schien merkwürdig voll zu sein, als hätte jemand meine Schädeldecke abgeschraubt und mein Gehirn mit Watte vertauscht. Irgendwo tief, ganz tief, in mir war mir klar, dass irgendetwas nicht stimmte, dass meine Sicht nicht von selbst so verschwommen geworden war, dass es nicht nur die Müdigkeit war, die Tai und mich kichern ließ wie verliebte Schulmädchen.

Der Raum sollte sich nicht so drehen, immerhin lag ich mit dem Rücken fest auf der Matratze. Und doch bewegte er sich, drehte er sich immer und immer wieder und es gab absolut nichts, was mich daran störte.

Mir war klar, dass mit den Sandwiches etwas nicht richtig gewesen sein konnte. Doch in dem Moment war es mir egal. Es interessierte mich einfach nicht.

Noch weniger sogar, als mein Blick zu Tai huschte und er mich mit diesen Augen, mit diesen wunderschönen, tiefen Augen ansah, die es mir noch schwerer machten nachzudenken. Es huschte mir nur durch den Kopf, dass ich noch nie einen hübscheren Jungen gesehen hatte, dass niemand, den ich kannte, je mit Tai mithalten konnte, nicht mit seinem Wesen, nicht mit seinen Haaren und erstrecht nicht mit diesen Augen und diesem Lachen, das selbst jetzt, in dieser merkwürdigsten aller Situationen, stets auf seinen Lippen lag.

Hmm…seine Lippen wirkten wirklich unglaublich weich. Sollte ich…?

Doch, da mein Gehirn nicht richtig funktionierte, war es nicht die Frage, ob ich es sollte. Wäre ich bei mir gewesen hätte ich nie das getan, was ich im nächsten Moment tat. Niemals hätte ich mich auf Tai gerollt, mein Körper flach auf seinem.

Der verträumte Ausdruck auf seinem Gesicht hätte mich dann sofort erröten lassen und ich wäre wieder von ihm herunter gestiegen, doch nicht jetzt, nicht während ich unter dem Einfluss des wirklich seltsamsten Brot stand, dass ich je in meinem Leben konsumiert hatte.

Ob es ihn störte? Ob er sich wünschte, ich wäre Sora?

Denn genau das waren die Gedanken, die mir in dieser Situation durch den Kopf gingen. Bisher hatte ich nicht viele Gedanken an die Beziehung zwischen Tai und Sora verschwendet, da ich alles von ihm hatte hören wollen, da er der erste sein sollte, der mir jede einzelne Seite seiner Geschichte mit eigenen Worten erzählen sollte, ohne dass ich mir irgendetwas daraus ausmalte. Doch nun war ich hier, ich lag direkt auf ihm, konnte seine heißen Fingerspitzen an meinen Hüften spüren, wie sie durch den Stoff des Shirts brannten, als wäre es nichts weiter als eine zusätzliche Schicht meiner Haut.

Ich konnte nicht aufhören, mir vorzustellen, dass er sich vielleicht in der gleichen Position schon mal mit Sora befunden hatte. Bevor sie sich für Matt entschieden hatte, bevor er jemals davon erfahren hatte, dass sie Gefühle für ihre beiden besten Freunde hegte.

Was war passiert? Wie waren sie zu dem gekommen, wo sie sich gerade befanden?

Konnte ich ihn Sora vergessen lassen? Ihn dazu bringen, nicht mehr hinter ihr her zu sein wie ein Hund hinter seinem Herrchen?

„Mm…Moe?“, hauchte Tai, seine Stimme ein einziges lallen, welches mich in anderen Umständen vielleicht zum Lachen gebracht hätte. Doch nun endete es damit, dass meine Hände ohne mein Zutun durch seine Haare fuhren. Diese Haare, die ich schon seitdem ich ihn das erste Mal gesehen hatte berühren wollte. „Du bist…so…“

Doch ich sollte nicht erfahren, was ich war, denn in diesem Augenblick entschied Tais betäubtes Gehirn, dass es wohl witzig wäre, wenn die Rollen getauscht wären, wenn er derjenige wäre, der oben lag. Und als ich dann sein Gewicht auf meinem Körper ruhen spürte, seine Lippen irgendwo an meinem Schlüsselbein, besaß mein Gehirn sogar den Anstand mit einem erhöhten Herzschlag und einer bekannten Wärme im Gesicht zu reagieren.

Wie genau es dann passierte, dass meine Arme sich um Tais Nacken legten, dass meine Hände sich erneut in seinen Haaren vergruben, während meine Beine sich gegen meinen Willen um seine Hüften schlangen, das konnte ich nicht genau sagen. Auch nicht, wie seine Lippen plötzlich meine fanden, oder wie unglaublich erschütternd mein Körper auf das kleine, sehnsüchtige Stöhnen reagierten, dass dabei seinen Mund verließ.

Auch konnte ich nicht sagen, wie seine Hände ihren Weg unter mein Shirt gefunden hatten, als im nächsten Moment eine Welle eiskalten Wassers über unsere Köpfe geschüttet wurde und die Watte unwiderruflich aus meinem Gehirn vertrieben wurde.



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von:  kitty007
2015-01-11T13:54:03+00:00 11.01.2015 14:54
Hallo hallo! Nachdem ich von _Mika_ das ff empfohlen hat musste ichs natürlich gleich lesen! Is echt toll geschrieben und mal was Anderes.

Schreib schneeell weiter! >^ω^<
Von:  _Mika_
2015-01-10T20:48:01+00:00 10.01.2015 21:48
N'abend, hab grad durch zufall deine ff zum lesen bekommen und ich schließ mich den vorigen Kommentar ab
Antwort von:  _Mika_
10.01.2015 21:50
*an, normalerweise steh ich nicht auf digimon und oc Charakter aber deine finden ich so klasse das ich sie gleich auf favo packen musste. Geht's noch weiter oder haste se abgebrochen was ich sehr schade fänden würde weil ich so gut finde und gern wissen würde wies weiter geht <3



Von:  -Raspberry-
2012-08-01T11:55:32+00:00 01.08.2012 13:55
Eigentlich mag ich es gar nicht, wenn OC's in Fanfictions auftauchen (besonders nicht in FF's, die sich um meine Lieblingsserie Digimon drehen), aber ich bin wirklich begeistert von deiner Story!
Moe ist keine oberflächlich dargestellte Mary-Sue, sondern ein wirklich interessanter und liebenswerter Charakter.
Deine Story hat Tiefe, sie ist unglaublich interessant und deinen Schreibstil finde ich einfach wundervoll!
Ich hoffe doch sehr, dass bald ein neues Kapitel folgt! :)
Von:  _Kohana_
2012-06-11T22:26:13+00:00 12.06.2012 00:26
Ich bin erschüttert. Wie kannst du nur an so einer Stelle aufhören? Ich hoffe doch sehr, dass wir bald mehr erfahren.
Ansonsten weißt du ja Bescheid:
-Die Idee finde ich super
-Deinen Schreibstil liebe ich

:)
Von:  _Kohana_
2012-06-10T21:49:41+00:00 10.06.2012 23:49
Hey. Ich weiß ich hab das Kapitel schon einmal kommentiert, aber das ist schon Jahre her und ich muss sagen...damals habe ich deine Idee und deinen Schreibstil gar nicht zu würdigen gewusst. Du schreibst super und ich freue mich darauf, die nächsten Kapitel zu lesen.

:)
Von: abgemeldet
2010-07-22T13:41:33+00:00 22.07.2010 15:41
In einem unkontrollierten Moment von Panik und Hysterie packte ich Tai am Hemdkragen, zog ihn näher zu mir heran und sagte, in beinahe überraschten Ton: „Wir sind alleine in einer Wüste.“

Ich sah, wie sein Mundwinkel zuckte.

„Sehr schön beobachtet, Moe.“



Ich habe Tränen gelacht. :D
Schreib weiter, bitte! :3
Von: abgemeldet
2010-07-22T12:15:55+00:00 22.07.2010 14:15
Also dieses Kapitel liebe ich. Vor allem der Besuch von Tai bei Moe. :D Ich konnte jede Reaktion Moe's genaustens verstehen. Armes Kind. XD
Aber am geilsten fand ich den Satz: "Entweder war ich hochintelligent oder Tai war einfach strohdoof." Ich konnte nicht mehr aufhören, zu lachen. :D
Einfach genial. XD

Von:  Hitsuji-chan
2009-08-15T23:03:33+00:00 16.08.2009 01:03
Waiii! ;_; ich habe die komplette Story bis Kapitel 5 gelesen!!
Ich finde sie richtig toll!. Du solltest sie fortsetzen und würde mich drüber freuen, wenn es bald heißt: Kapitel 6 ist online! :D
Auf jeden Fall kommt die FF in meine Favoliste rein! >__<
Bis demnächst!! Und verlier deine Motivation fürs Schreiben nicht!
Von:  Sunrisepainter
2009-07-24T21:56:34+00:00 24.07.2009 23:56
Hey,
ich habe deine Geschichte schon vor längerer zeit gelesen, aber bin noch nicht dazu gekommen ein Kommi zu schreiben^^.
Also ich finde sie richtig gut geschrieben und auch Moe ist ein echt sympathischer Charakter. Die Art wie sie Menschen beobachtet finde ich wirkich interessant. Schreib bitte so schnell wie möglich weiter.
Liebe Grüße
Sunrsepainter
Von:  Jinny-Nijiko
2009-07-19T19:11:16+00:00 19.07.2009 21:11
ich finde die ff echt super!!
bin schon gespannt wie es weiter geht!!
hoffe du schreibst bald weiter!
ichwürde mcih über ein ens freuen, wann es weiter geht!!!
ganz lg
das-kleine-elfechen


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