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Sucht

Sucht
 

„Johnny?“

Mehr aus Reflex als aus Absicht wandte sich Johnny zu der Stimme, die ihn gerufen hatte, um. Im nächsten Moment bereute er es wieder: In einem Augenblick der Unachtsamkeit, in dem er vor sich hingeträumt hatte und in dem er völlig verdrängt hatte, wo er sich eigentlich befand und wozu er hier war, hatte er auf seinen richtigen Namen reagiert und ihm war klar, dass die Person ihn kennen musste. Und das hier war der letzte Ort, an dem er von einem Bekannten gesehen werden wollte. Vor allem nicht in diesem Outfit! Mit einer hautengen schwarzen Hose aus Leder und einem bauchfreien T-Shirt, über dem er lediglich eine dünne Jacke trug, bekleidet, war es eindeutig, was er in dieser Gegend wollte und dass er nicht einfach nur Spazieren ging.

Eilig drehte er sich wieder weg und versuchte davon zu laufen, doch er wurde fest am Arm gepackt. Es war zu spät. Entdeckt, erkannt und erwischt, schoss es dem jungen Schotten durch den Kopf, doch er sagte nichts. Er wollte die ganze Sache nicht noch unangenehmer machen, als sie so oder so schon war.

Auch der Mann schien nicht vorzuhaben hier eine große Szene zu machen, sondern zog ihn einfach hinter sich her, auf das Bahnhofsgebäude zu.

Johnny wusste, dass er keine Zeit zu verschwenden hatte, dass er arbeiten musste und eigentlich auch gar keine Lust hatte mit der Person mitzugehen. Nach einem kurzen Zögern hob Johnny seinen Blick um zu sehen, wer genau ihn entdeckt hatte und er erkannte Robert. Sein Schritt war bestimmt und aufgrund des festen Griffes wagte Johnny es nicht, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Hinzu kam, dass er eigentlich darüber dankbar sein musste, dass der Däne ihn nach fast einem Jahr wieder angesprochen hatte; wobei die Situation nicht unbedingt für Johnny sprach.

Die Treppen hinauf stolperte er mehr, als dass er ging und überlegte, was Robert jetzt wohl von ihm denken musste und was wohl gerade in seinem Kopf vorging. Nach dem Jahr ausgerechnet so vorgefunden zu werden...

Robert stieß die Tür des Bahnhofs auf und die warme Luft, die ihnen nun entgegen schlug, ließ Johnny für einen Moment lang etwas schwindelig werden und erinnerte ihn an die Kälte, in der er seit dem frühen Abend gestanden hatte.

Der Griff um seinen Arm löste sich und Robert blickte ihn ernst an, seine Stimme klang leicht gereizt. „Bleib hier stehen, kapiert? Ich komme gleich wieder, also denk gar nicht daran abzuhauen!“

Johnny hatte nicht vorgehabt wegzulaufen, er wusste, dass, wenn er jetzt einfach so verschwand, er nie wieder eine Chance bekommen würde die Situation klar zu stellen.

Die willkommene Wärme wurde ab und an von einem kühlen, fast eisigen, Windstoß durchbrochen, wenn jemand das Gebäude betrat oder verließ und obwohl er fror wagte Johnny es nicht, ein paar Schritte zu Seite zu gehen, um aus der Kälte zu treten, denn wenn Robert, wo auch immer er stand, ihn beobachtete und sah, dass er weg ging, würde er mit Sicherheit davon ausgehen, dass er versuchte sich aus dem Staub zu machen. Und damit würden sich Roberts düstere Vermutungen – die diesmal nicht der Realität entsprachen! – für ihn wohl bestätigen.

Es grenzte Johnnys Meinung nach so oder so schon an ein Wunder, dass Robert überhaupt wieder mit ihm gesprochen hatte. Dass er ihn damals angelogen hatte – Johnny hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas so sehr bereut – hatte Robert sein ganzes Vertrauen in ihn verlieren lassen. Das Schlimme war, dass Robert alles Recht dazu hatte.

„Du bist noch da“, Johnny glaubte aus Roberts Feststellung einen leicht verblüfften Unterton herauszuhören. Die Antwort bestand aus einem kurzen Nicken und als Robert ihn diesmal an der Hand packte, war sein Griff nicht mehr ganz so schmerzhaft. Robert schob ihn bestimmt in Richtung der Gleise. Unter normalen Umständen hätte Johnny ihn gefragt, wohin er ihn brachte, aber die angespannte Atmosphäre zwischen ihnen ließ ihn lieber schweigen und abwarten.

Als sie am Zuggleis angekommen waren und Robert in den Zug stieg, erhaschte Johnny, als er ihm schweigend folgte, einen kurzen Blick auf die Fahrinformation: Nachtzug von Berlin nach Kopenhagen. Der Schotte schluckte hart. Er hatte weder ein Ticket – wobei er vermutete, dass Robert ihm wohl eines gekauft hatte – noch die Zeit und Lust mitzukommen. Er musste viel arbeiten, weil er möglichst schnell Geld auftreiben musste. Die Tatsache, dass am nächsten Tag Samstag war, war noch frustrierender, da Samstag sein Haupteinnahmetag war. Und wie sollte er überhaupt wieder zurückkommen?

Robert zeigte einem Mann die zwei Tickets und dieser führte sie zu einem Schlafabteil. Beim Eintreten nickte Robert ihm dankbar zu und als Johnny ebenfalls eingetreten war, schloss er hinter ihm die Tür und deutete ihm an, sich auf eines der Betten zu setzen. Er selbst lehnte sich gegen das Nachttischchen. Mit einem ernsten und berechnenden Blick kam er sofort zur Sache: „Nimmst du wieder Drogen?“

Johnny presste seine Lippen aufeinander. „Nein.“

„Weißt du“, begann Robert und ein bitterer Unterton schwang in seiner Stimme deutlich mit, „Ich würde dir gerne glauben, aber das letzte Mal, als du mir so auf diese Frage geantwortet hast und ich dich vor allen wegen diesen Gerüchten beschützt und verteidigt habe... kam beim Test doch tatsächlich heraus, dass du bereits mehrere Monate lang ziemlich extremen Drogenkonsum hinter dir hattest.“

„Es tut mir Leid, dass ich dich damals angelogen habe“, warf Johnny ein und es klang sogar recht ehrlich, „Aber ich nehme wirklich keine Drogen mehr! Ich bin clean, ich...“ „Du musst zugeben“, meinte Robert trocken, „Es klingt nicht sonderlich überzeugend, nachdem ich dich Mitten in der hiesigen Drogenhochburg aufgegabelt habe.“

„Ich war nicht wegen der Drogen hier, sondern...“, er brach ab.

„Sondern?“, hakte Robert nach.

Zögerlich murmelte Johnny: „Versprichst du mir es nicht weiter zu erzählen?“

Ich verspreche schonmal gar nichts“, gab Robert unmissverständlich zurück.

Wiederum zögerte Johnny und schwieg. Er wusste, dass Robert nun erst recht davon ausgehen musste, dass er wieder süchtig war, obwohl er seinen Entzug gut hinter sich gebracht hatte und seitdem keinerlei Art von Drogen auch nur angerührt hatte. Doch er hatte Robert enttäuscht und es war ein schreckliches Gefühl gewesen auf diese Art und Weise seinen besten Freund zu verlieren – durch die eigene Dummheit. Ein zweites Mal hatte er so etwas nicht geschehen lassen wollen. Und trotzdem war er wieder in dieser Lage: etwas Dummes angestellt zu haben, Robert bei sich, der versuchte, hinter sein Geheimnis zu kommen, und er hatte sich geschworen möglichst niemanden mehr anzulügen. Gerade als Robert seinen Mund öffnete um etwas zu sagen, fing Johnny an zu reden. Er würde es durchziehen und Robert würde es entweder verstehen oder nicht. Falls nicht hätte er ihm zumindest die Wahrheit gesagt und hätte diesmal nicht im Nachhinein diese schrecklichen Schuldgefühle.

„Es ist...“, er sammelte kurz seine Gedanken, „Es ist so: ich bekomme, seit ich wieder in Berlin studiere, nur noch das nötigste Geld von meinen Eltern. Sie... sie haben Angst, dass ich wieder mit den Drogen anfange... – Ich nehme wirklich keine Drogen mehr! – Jedenfalls haben mich die Typen gefunden... die Dealer meine ich... ich... Ich hab’ noch Schulden bei ihnen...“, ein kurzes Zögern folgte, „Noch einige Schulden. Ich brauche dringend Geld, daher...“

Robert hob beide Augenbrauen. „Dealst du mit Drogen?“

Johnny lief rot an. „Nein!"

Er schwieg für eine kurze Weile.

„Daher...?“

Der Schotte zuckte zusammen und blickte leicht beschämt zu Boden, ehe er leise „Ich mach’s für Geld“ murmelte. Die Reaktion war ein fragender Blick, den Johnny zwar nicht sah, aber dennoch spürte. „Was machst du für Geld?“

Allem Anschein nach schien es für Robert außerhalb der Vorstellungskraft zu liegen, dass er, Jonathan McGregor, ein Stricher war.

„Du weißt schon“, Johnny presste wiederum seine Lippen aufeinander, „Sex.“

Robert starrte ihn entsetzt und zugleich ungläubig an.

„Ich benutze aber immer Kondome“, rechtfertigte Johnny sich sofort, als er den Blick bemerkte. „Du gehst anschaffen?!“

„Was sollte ich denn sonst tun?“, verteidigte sich Johnny, „Ich brauche das Geld, ich hab’ gar keine andere Möglichkeit!“ Allmählich wurde Roberts Blick immer unangenehmer und unerträglicher und Johnny wandte den Blick ab. „Warum bist du nicht zur Polizei?“ Johnny blickte ihn wehmütig an. „Wenn ich das getan hätte, wäre ich schon längst tot.“

„Du kannst dir das Geld auch anders beschaffen! Du bist Sohn einer reichen Familie, deine Eltern“, der Däne schaffte es nicht das Beben aus seiner Stimme zu verbannen. „Meine Eltern“, er holte tief Luft, „Ich... ich habe sie schon genug enttäuscht. Ich will kein Geld von ihnen erbetteln, nur damit ich meine Schulden abbezahlen kann...“

„Johnny, das ist einfach nur dämlich!“, fuhr Robert ihn an, „Das ist der falsche Platz für diese Art von Stolz! Du solltest lieber...“

„Wenn du mich nur hierher geschleppt hast, um mich irgendwie zu belehren, dann würde ich jetzt lieber wieder gehen“, unterbrach Johnny ihn und sein Blick wirkte verbittert. Er machte Anstalten aufzustehen, doch Robert winkte mit einem Seufzen ab und fuhr sich durch die Haare. „Schon in Ordnung, wir fahren sowieso inzwischen.“

Kurze Zeit herrschte Schweigen und Johnny beobachtete gequält die Landschaft, die an ihnen vorbeirauschte.

„Warum ausgerechnet Stricher?“, in Roberts Stimme schwang diesmal kein Vorwurf mit. Allem Anschein nach, hatte er Zeit gebraucht, um die Tatsache zu akzeptieren, „Du hast gute Qualifikationen, du könntest andere Jobs machen.“

„Glaubst du, ich mache das zum Spaß? Ich hab’ versucht Jobs zu bekommen. Keiner wollte mich haben. Ich hab’ meine Uhr, mein Handy und alles einigermaßen Wertvolle verkauft. Glaubst du wirklich ernsthaft, dass ich freiwillig meinen Körper verkaufe?“, neben dem leicht verärgerten Unterton schwang eine leichte Hoffnungslosigkeit mit, „Ich will nur endlich wieder aus diesem blöden Milieu raus...“ Es folgte eine kurze Pause. „Ich konnte nicht zahlen, also haben sie mich dazu gezwungen die Arbeit zu machen.“

Als Johnny sein Gegenüber anblickte konnte er nicht deuten, was dieser dachte. Seine Miene war verschlossen, und das Einzige, über das er sich klar war, war, dass der Däne nachdachte. „Schlaf jetzt am besten“, es klang nicht nach Vorschlag, sondern nach einer Aufforderung, fast nach Befehl.

Mit leicht frustriertem Gesicht und dem Gefühl nicht verstanden worden zu sein, machte sich Johnny daran seine Schuhe auszuziehen. Er würde wohl oder übel in seinen Shorts schlafen, da er keinen Pyjama dabei hatte. Während er damit beschäftigt war sich weitestgehend zu entkleiden und die Klamotten als kleinen Stapel neben das Bett zu legen, war Robert an seinem Laptop tätig, den er aus einer seiner Taschen herausgeholt hatte.

Schweigend legte sich Johnny hin und zog sich die Decke bis zu seinen Schultern, dann drehte er sich von Robert weg. Da er weder müde war, noch vorhatte zu schlafen, verbrachte Johnny seine Zeit damit, darüber nachzudenken, ob Robert ihm glaubte, was die Sache mit den Schulden anging. Zumindest hatte er ihm die Wahrheit gesagt. Er selbst würde das wissen und hätte somit keinen Grund für ein schlechtes Gewissen.

Ob seine Eltern Robert darum gebeten hatten nach ihm zu sehen, weil sie sich nicht sicher gewesen waren, ob er auch wirklich keine Drogen mehr nahm und er sich bei ihnen nicht mehr gemeldet hatte?

„Du glaubst mir nicht, oder?“, fragte Johnny nach einer Weile der Stille. „Stimmt“, bestätigte Robert. „Willst du, sobald ich schlafe, meine Sachen durchsuchen und testen, ob ich Drogen dabei habe?“, erkundigte sich Johnny weiter. „Nein“, antwortete Robert, wobei er nicht aufhörte an seinem Notebook zu arbeiten, „Es gibt andere Möglichkeiten.“

„Bluttest?“

„Bluttest.“

„Wann hast du vor den zu machen?“ Robert seufzte und verdrehte die Augen. „Kannst du mich bitte in Ruhe arbeiten lassen?“

Johnny schwieg. Nervte er Robert so sehr? Wenn er Robert lästig war, warum hatte dieser ihn dann mit hierher geschleppt, wo es gar keine andere Möglichkeit gab, als dass sie quasi aufeinander saßen und nicht darum herum kamen, dass der jeweils andere da war? In diesem Augenblick wünschte er sich fast, dass ihm all das hier wieder so egal wäre, wie es das vor einem Jahr noch gewesen war, als er so gut wie permanent unter Drogeneinfluss gestanden und er sich zwar normal gegeben hatte, aber alles einfach nur an ihm vorbei gegangen war. Doch das war es nun nicht mehr. Es war ihm nicht egal. Tatsächlich tat es ihm weh, dass er Robert allem Anschein nach nervte. Noch schlimmer war es, dass er selbst an dieser Situation Schuld war. Einen kurzen Augenblick lang überlegte Johnny, ob all das Robert nicht so lästig wäre, wenn er tatsächlich wieder Drogen nehmen würde, verdrängt diesen Gedanken jedoch wieder.

„Gute Nacht“, murmelte Johnny lediglich und schloss seine Augen. Vielleicht hatte Robert wirklich einfach nur viel zu tun und hatte ihn einfach nicht in der Kälte stehen lassen wollen. Es verging einige Zeit, ohne dass irgendwelche Worte gewechselt wurden und die einzigen Geräusche waren das Rattern des Zuges und das leise Klicken der Tastatur von Roberts Laptop.

„Es klang wohl genervter, als es eigentlich hatte klingen sollen“, stellte Robert fest und blickte zu Johnny, der sich verwundert umdrehte. Es war nicht unbedingt so, dass er ihn anstrahlte, aber zumindest schien er bemüht zu sein, nicht zu abweisend zu wirken. Und das war das erste Mal seit einem Jahr, dass dem so war. Es war sogar das erste Mal seit einem Jahr, dass überhaupt jemand, der ihn kannte, ihn nicht mit vorwurfsvollem Blick musterte.

Als Antwort zuckte der junge Schotte nur mit den Schultern, da ihm einfach nicht einfiel, was er hätte erwidern können. Er war dankbar, dass Robert zumindest den Versuch unternahm, ihn als Menschen zu behandeln und nicht als ehemaligen besten Freund, der das Vertrauen, das man ihm entgegen gebracht hatte, schamlos ausgenutzt hatte.

Der Däne erhob sich von seinem Stuhl und trat zu Johnny ans Bett. „Du sagst, du nimmst keine Drogen mehr.“ Johnny nickte ernst. „Tu’ ich auch nicht mehr. Ich habe auch nicht vor wieder damit anzufangen.“

„Dann bist du damit einverstanden, dass ich einen Bluttest machen lasse?“

„Ja... aber sei bitte nicht enttäuscht, wenn keine Drogen festgestellt werden.“

„Ganz im Gegenteil, das würde mich sehr freuen.“

Kurze Zeit herrschte Schweigen.

„Und, wie läuft es an der Uni?“

Die Antwort war wiederum ein Schulterzucken: „Geht so.“

Robert ging zu seinem Laptop zurück und starrte nachdenklich auf den Bildschirm. „Wieso warst du in Berlin?“, fragte Johnny und erntete einen verwunderten Blick. „Ich arbeite dort seit einem halben Jahr.“

Ein halbes Jahr lang... und er hatte sich kein einziges Mal bei ihm gemeldet.

„Ich muss von Zeit zu Zeit die Geschäfte meiner Firmenfilialen überwachen; und da bin ich eben in Berlin hängen geblieben. Ziemliches Chaos hat da geherrscht.“

„Und jetzt fährst du wieder zurück?“, erkundigte sich Johnny unsicher und dachte angestrengt darüber nach, wie er ohne Geld zurück nach Deutschland kommen konnte; doch der Däne lachte nur. „Nein, ich bin nur kurz in Kopenhagen wegen einem geschäftlichen Treffen. Ich fahre morgen Abend schon wieder zurück – natürlich nehme ich dich auch wieder mit nach Berlin“, erklärte er mit einem Grinsen.

Johnny nickte nur und äußerte nicht seine Bedenken, die er hatte, wenn er zwei Tage Arbeit geschwänzt hatte und ohne Geld zurückkam. Mit einem leisen Seufzen legte er sich wieder hin und dachte noch eine Weile lang über alles Mögliche nach, während Robert wieder damit anfing an seinem Notebook zu arbeiten.
 

Er musste wohl eingeschlafen sein und einen ziemlich festen Schlaf gehabt haben. Anders konnte Johnny es sich nicht erklären, dass er nichts von der Ankunft des Zuges, der Fahrt zum Hotel und verschiedenen anderen, darauf folgenden Ereignissen mitbekommen hatte. Wahrscheinlich hatte Robert Rücksicht auf ihn genommen, damit er in Ruhe schlafen konnte. Als er sich müde aufrichtete, stellte er fest, dass er inzwischen ein Hemd trug – allem Anschein nach hatte Robert ihn angezogen, bevor er ihn hierher gebracht hatte und ihm dann das Hemd angelassen.

Der Schotte spürte einen Ziehen an seinem rechten Arm und als er den Hemdärmel hochkrempelte, stellte er fest, dass sich dort ein Pflaster befand. Von der Blutabnahme hatte er also auch nichts mitbekommen.

Johnny hörte Wasserrauschen und schloss daraus, dass Robert sich duschte; was wahrscheinlich der Grund war, weshalb er nicht im Raum war. Es dauerte einige Zeit, ehe Robert aus dem Badezimmer kam. Er trug lediglich ein Handtuch um die Hüften und nickte Johnny zu, als er bemerkte, dass dieser wach war. „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“

Robert ging zu einem Kleiderschrank, über dessen Tür ein ordentlich gebügelter Anzug hing, schien jedoch auf seine Frage keine Antwort zu erwarten, stattdessen schnalzte er mit seiner Zunge. „Nette Kratzer, die du da auf deinem Rücken hast.“

Johnny lief schlagartig rot an. „Das sind keine Kratzer“, murmelte er, „Das sind... das willst du gar nicht wissen.“ „Ich kann’s mir denken“, meinte Robert und sein wissender Blick ließ Johnny zu dem Schluss kommen, dass er es wirklich wusste.

Der Däne seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Ich muss dann weg“, er nahm die Kleidungsstücke an sich, „Wegen des Meetings. Du kannst dir was zum Essen bringen lassen, falls du Hunger bekommst.“ Johnny zuckte mit den Schultern und schwieg, was Robert jedoch nicht negativ auffasste. „Du kannst noch ein bisschen schlafen oder fernsehen, oder was dir sonst noch so einfällt“, er hielt kurz inne, während er sich anzog, „Es sei denn es hat irgendetwas mit deinem Nebenjob zu tun.“ Ein düsterer Blick traf Robert, doch der schien ihn geschickt zu ignorieren.

„Wann kommst du wieder?“

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich erst gegen Abend. Wie gesagt, versuch dich irgendwie zu beschäftigen. Ich bemühe mich, das Meeting so kurz wie möglich zu halten, aber versprechen kann ich nichts.“

Als er fertig angezogen war, betrachtete Robert sich im Spiegel und Johnny musste feststellen, dass diesem Anzüge gar nicht mal so schlecht standen. Johnny schüttelte den Kopf. Die Tatsache, dass er eher selten weibliche Kunden hatte, sondern meistens männliche, schien seinen Verstand wirklich stark vernebelt zu haben. Er hob seinen Blick und merkte, dass Robert ihn fragend anschaute. „Schaut es so schrecklich aus?“

„Nein. Ich hab nur grad über etwas nachgedacht.“

Robert nickte und schnappte sich dann eine Aktentasche, die er sich auf dem Tisch zurecht gelegt hatte. Mit einem „Bis nachher“, ging er aus dem Zimmer.

Die erste Zeit saß Johnny nur im Bett herum und überlegte sich, was er groß machen konnte. Er wollte den Fernseher nicht anschalten, da er zusätzliche Kosten für Robert vermeiden wollte. So begnügte er sich damit, darüber nachzudenken, was Sam und seine Leute wohl mit ihm anstellen würden, wenn er zurück nach Berlin kam, auf welche Art und Weise sie ihn bestrafen würden, falls sie ihn nicht vielleicht sogar töten würden. Solche Menschen waren unberechenbar.
 

Der Ausflug endete sowohl für Robert, als auch für Johnny überraschend: So war der Drogentest – zu Roberts Erstaunen – tatsächlich negativ ausgefallen und er akzeptierte die Tatsache, dass Johnny noch Schulden hatte. Johnny wiederum war verblüfft, als Robert ihn fragte, wie viel Geld er den Dealern noch schuldete und ihm die volle Summe überließ. Der Schotte war sogar fast entsetzt und wollte anfangs mit den Worten „Ich habe dir nichts als Gegenleistung erbracht“ das Angebot ablehnen, doch dafür erntete er nur einen etwas entgeisterten Blick Roberts, der ihn darauf hinwies, dass er nicht vorhatte mit ihm zu schlafen, nur damit er das Geld annahm. Johnny war daraufhin knallrot angelaufen und hatte verlegen zu Boden gestarrt.

Robert hatte ihm das Geld wirklich gegeben. Johnnys Meinung nach viel zu viel Geld für einen kleinen Gefallen, aber Robert hatte gesagt, dass wenn er nicht damit leben könne, dass er ihm aus der Szene half, er ihm das Geld bei Gelegenheit auch wieder zurückzahlen könne.

Nun stand er hier, in warmen Klamotten, die Robert ihm geliehen hatte, mit Roberts Geld im Rucksack, den er ebenfalls von diesem bekommen hatte, mit der Hoffnung, endlich wieder ein normales Leben führen zu können. Und vielleicht sogar bald Roberts Vertrauen wiederzuerlangen.

Er war an einem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er einfach glücklich sein musste, dass bald all die schlechten Zeiten hinter ihm lagen. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen machte Johnny sich auf den Weg das Gebäude zu verlassen; in die gleiche Richtung, in die Robert wenige Minuten zuvor verschwunden war.

Als er aus dem Bahnhof ins Freie trat, bemerkte er, dass es allmählich hell wurde. Es waren kaum Leute unterwegs, zumindest sah er keine. Mit einem leisen Seufzen trat er die Treppen hinunter und fragte sich, ob Robert sich in nächster Zeit noch einmal bei ihm melden würde. Umso erschrockener und überraschter war er, als ihn plötzlich jemand von hinten packte und ihm die Arme auf dem Rücken verdrehte. Er keuchte verblüfft auf und versuchte sein Gleichgewicht zu halten, sodass er nicht die Treppen hinunterschlug.

„Na, sieh mal einer an, wen haben wir denn da?“

Johnny erkannte deutlich die Stimme Maiks, einem der Handlanger Sams. „Doch nicht etwa den kleinen Johnny, der sein Geld für Freitag und Samstag nicht abgeliefert hat?“ „Ich denke, wir sollten ihm eine Lektion erteilen“, die zweite Stimme brauchte Johnny nicht zu erkennen, da der Mann in sein Blickfeld trat. Es war Steffen. „Es ist nicht lustig, sich das Geld zu krallen und abzuhauen...“

„Halt!“, murmelte Johnny und versuchte sich zu beruhigen. Es konnte ihm nichts passieren. Er konnte zahlen, er würde frei sein! „Ich... Ich hab’ das Geld bei mir.“

Maik packte ihn an den Haaren und zog seinen Kopf nach hinten. Johnny versuchte einen erschrockenen Schmerzenschrei zu unterdrücken und zog scharf die Luft ein.

„So, so... Du hast also das Geld. Ich hoffe doch mal, dass es reicht um die Verspätung zu begleichen.“

„Na... Natürlich“, keuchte Johnny und versuchte den pochenden Schmerz an seinem Hinterkopf zu ignorieren, „Ich- Ich hab’ genug... dabei.“ Maik stieß ihn vorwärts, sodass Johnny ein paar Schritte die Treppe hinunterstolperte, wobei er selbst folgte. „Na, dann lass uns mal zu Sam gehen und deine Zahlungsfähigkeit überprüfen.“

Alles war gut, er würde bezahlen und dann hätte er keinerlei Verpflichtungen Sam gegenüber mehr! Zum Glück war die Treppe bald bewältigt und die Beiden brachten ihn zu einer schmalen Seitengasse, keine hundert Meter vom Bahnhof entfernt. Aus irgendeinem Grund wartete Sam dort bereits und blickte Johnny abwertend an, als er ihn erkannte.

Maik ließ ihn los und schubste ihn vorwärts. Johnny hatte immer noch das Gefühl, dass jemand versuchte ihm die Haare auszureißen und der pochende Schmerz ließ auch nur sehr langsam nach. Bevor Sam ihm irgendwelche Vorwürfe machen könnte, platzte Johnny los: „Ich habe das Geld. Ich habe das ganze Geld, das ich dir schulde.“

Sam wirkte im ersten Moment überrascht, dass jemand in seiner Gegenwart ohne Aufforderung sprach, fing dann jedoch an zu grinsen, „Wo willst du denn die fast zehntausend Euro herbekommen haben? Hm?“

Johnny öffnete seinen Mund und zögerte dann kurz. „Der... der Kunde, den ich hatte, war sehr großzügig, weil ich ihm... einen ganzen Tag zur Verfügung gestanden habe.“ Dass er log war eindeutig. Aber Sam musste die Wahrheit nicht kennen. Er wollte Robert nicht in Gefahr bringen.

„Na, dann zeig’ mal deine Beute her...“ Zögerlich reichte Johnny Sam den Rucksack, der anfing das Geld nachzuzählen. Als er sich überzeugt hatte, dass es vollständig war, grinste er: „Tatsächlich. Unser kleiner Freund hier hat es geschafft, das ganze Geld aufzutreiben...“

Nervös blickte sich der junge Schotte um. „Ich... ich hab alle Schulden bezahlt“, stellte er unruhig fest, als er bemerkte, dass keiner der drei irgendwelche Anstalten machte, ihn gehen zu lassen. Ganz im Gegenteil, Maik trat auf ihn zu und packte ihn grob. „Ihr habt gesagt, ich kann gehen, sobald ich das Geld zurückbezahlt habe!“, stotterte Johnny und starrte Sam an.

„Nun, das war, bevor du eine so gute Einnahmequelle geworden bist“, er fuhr mit der Hand unter Johnnys Kinn, „Es wäre doch eine Schande, dich einfach so gehen zu lassen...“

„Es gibt für mich keinen Grund mehr für dich zu arbeiten!“

Es wäre auch zu einfach gewesen, wäre er einfach so davon gekommen! Warum konnte einfach nichts so ablaufen, wie er es wollte? Er wollte endlich hier weg! Er war dumm und naiv gewesen, als er geglaubt hatte, dass die Typen ihn einfach so in Ruhe lassen würden!

„Vielleicht... ist dein Leben ein guter Grund?!“

Johnny presste seine Lippen aufeinander. „Ich werde nicht mehr für dich arbeiten!“, meinte er bestimmt und versuchte sein Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Er wollte leben... aber nicht so!

„Du scheinst die Situation nicht zu verstehen“, meinte Sam und lächelte, „Du hast gar keine andere Möglichkeit“, er machte eine knappe Handbewegung und Steffen setzte sich in Bewegung, „Auf der anderen Seite wäre es zu Schade dich zu töten. Es gibt andere Mittel, und Wege dich zu einer freiwilligen Rückkehr zu bringen...“

Erst jetzt bemerkte Johnny die Spritze in Steffens Hand und er starrte Sam entsetzt an.

„Aus der Szene kommt keiner so einfach wieder ’raus... Sobald du wieder süchtig bist, wirst du zurückkommen und mich anflehen dich wieder einzustellen, damit du das Geld für die Drogen zusammenbekommst. Und kein Mensch wird sich wundern. Viele ehemalige Drogenabhängige hängen wenig später wieder an der Nadel. Du wirst ein hoffnungsloser Fall sein, wie jeder andere auch.“

Dem Schotten klappte entsetzt förmlich der Mund auf. Er hätte soweit mitdenken müssen. Aber selbst wenn er es vorhergesehen hätte, hätte es ihm nichts genützt. Bevor er das Geld nicht zurückgezahlt hätte, hätten sie ihn nicht in Ruhe gelassen! Schlagartig fragte Johnny sich, wie er überhaupt in dieses Schlamassel hineingeraten war.

Als Maiks Griff fester wurde und Steffen ihm mit einem Stofffetzen den Oberarm abband, versuchte er nochmals sich zu befreien. Jedoch lediglich mit dem Erfolg, dass er das Gefühl bekam, dass Maik versuchte ihm den Arm zu brechen. Steffen hob die Spritze an und Johnny wich einen Schritt zurück und stieß gegen Maik.

„Der Stoff ist erste Sahne, hab’ dich nicht so“, meinte Sam und Johnny starrte ihn panisch an. „Lasst mich in Ruhe! Verflucht noch mal, ich hab’ euch doch gegeben, was ihr wolltet!“

„Warum sich mit wenig begnügen, wenn man auch viel haben kann?“

Wehren half nichts. Wieder war er an einem Punkt in seinem schrecklichen Leben angekommen, an dem er nicht sein wollte. Er wollte einfach nur weg. Warum musste immer ihm so etwas passieren? Mit ängstlich zusammengekniffenen Augen spürte er den Einstich und ihm wurde schlecht, als er fühlte, wie die Flüssigkeit in seinen Körper eindrang.

Genau in diesem Moment war es auch, dass in der Ferne Polizeisirenen erklangen und Sam, Steffen und Maik blickten sich entsetzt an. „Sag’ bloß, der Kerl hat die Polizei gerufen?!“

Ohne die Spritze zu entfernen rannte Steffen, ebenso wie Sam, davon. Als Maik ihn losließ, fiel Johnny zu Boden und starrte entsetzt auf die Nadel in seinem Arm. Er hatte Angst davor, dass die Wirkung einsetzte, dass er wieder süchtig wurde...
 

~*~

Sucht - Teil 2

Sucht - Teil 2
 

Als er langsam wieder zu sich kam, war das Erste, was er empfand, Übelkeit. Ihm war einfach nur schlecht. Für einen kurzen Moment lang hatte er das Gefühl, sich einfach nur übergeben zu müssen, die nächsten Stunden einfach nur über dem Klo zu hängen, bis es ihm wieder besser ging.

Die furchtbaren Kopfschmerzen, die danach folgten, fühlten sich an, als würde irgendetwas gegen seinen Kopf hämmern und gar nicht mehr daran denken aufzuhören. Ein klarer Gedanke war im Augenblick so gut wie unmöglich; aber er wusste so oder so nicht, woran er hätte denken sollen.

Bei dem Versuch seine rechte Hand zu einer Faust zu ballen durchzuckten tausende kleiner Stiche seine Muskeln und er bereute, dass er überhaupt versucht hatte, sich irgendwie zu rühren. Seine Muskeln fühlten sich an wie zähes Leder.

Das übelkeitserregende Kribbeln in seinem Bauch wurde wieder stärker und einen kurzen Moment lang fragte er sich, wie er es in dem Zustand schaffen sollte, überhaupt irgendetwas hoch zu würgen, ohne dass ihm nicht aufgrund der Anstrengung schwindelig würde. Zumal er nicht einmal wusste, wie er sich im Notfall aufrichten sollte.

Es war hoffnungslos, irgendetwas an seinem Körper zu finden, das ihm in diesen Moment kein Unbehagen bereitete, und so versuchte er sich auf etwas komplett anderes zu konzentrieren, auf das, was wohl um ihn herum geschah, von dem er nichts mitbekam.

Unter großen Anstrengungen und nur mit viel Mühe gelang es ihm, seine Augen zu öffnen. Seine Umgebung war noch etwas verschwommen und er wagte es auch nicht den Kopf zur Seite zu drehen. Er starrte einfach nur an die Zimmerdecke. Obwohl das Zimmer dunkel war, fiel durch einen Türspalt etwas Licht in den Raum und er hörte Stimmen, die sich unterhielten. Zwar konnte er sie hören, er verstand jedoch den Sinnzusammenhang nicht. Aber es tat gut zu wissen, dass irgendjemand in der Nähe war.

„Es ist gefährlich, Sie sollten den Jungen lieber in ein Krankenhaus stecken und ihn rundum versorgen lassen, es...“

„Er würde mich hassen, ich will das nicht tun. Zumindest nicht, wenn sein Leben nicht in unmittelbarer Gefahr ist. Wenn es herauskäme, gäbe es einen riesigen Skandal und alles würde nur noch schlimmer werden, als es sowieso schon ist.“

„Sie tun ihm damit keinen Gefallen, auch wenn Sie das vielleicht glauben.“

Es war der Moment, da sein vollkommen entkräfteter Körper einfach nicht mehr konnte. Woher er die Kraft nahm, wusste er nicht, aber er schaffte es, sich auf die Seite zu drehen. Gerade rechtzeitig, um sich aus dem Bett heraus zu übergeben und zu verhindern, dass er an seinem Erbrochenen erstickte. Er hustete hart, ihm war übel. Der säuerliche und brennende Geschmack lag in seinem Mund und brannte sich hoch bis in die Nase und er übergab sich nochmals.

Irgendjemand packte ihn am Rücken und fuhr ihm durch die Haare. Irgendjemand sprach mit ihm. Doch er verstand kein Wort. Es kam nicht bei ihm an.

Viel zu sehr strengte es ihn an gegen die Übelkeit anzukämpfen, viel zu sehr nahm es ihn mit. Der Geschmack von bitterer Galle saß auf seiner Zunge und für die Dauer des verzweifelten Kampfes gegen das Erbrechen hatte er große Probleme, bei Bewusstsein zu bleiben.

Irgendjemand berührte ihn an der Schulter und streichelte ihm sanft über den Nacken. Irgendjemand nahm seine Hand. Und trotzdem war er zu ausgelaugt, um gegen die aufkeimende Erschöpfung in ihm anzukämpfen.
 

Als er das nächste Mal zu sich kam, lag er seitlich im Bett, mit dem Rücken zur Zimmertür. Obwohl er sich immer noch schlecht fühlte, schmerzte sein Körper nun nicht mehr so furchtbar, sobald er sich bewegte. Er blinzelte ein paar Mal, musste jedoch den Kampf aufgeben, da seine Augenlider immer wieder wie von selbst zufielen. Es war einfach zu anstrengend. Seine Augen brannten, wenn er versuchte sie länger offen zu halten und sonderlich viel von seiner Umgebung erkennen konnte er auch nicht.

„Hey“, meinte sanft eine leise Stimme, „Bist du wach?“

Er wollte antworten, wollte es versuchen. Doch seinem Mund entwich kein Laut.

„Schon okay, das reicht mir als Antwort.“

Eine Hand legte sich auf seinen Arm und er entspannte sich wieder etwas, als er das angenehme Gewicht durch die Decke hindurch spürte. Eine beruhigende Wärme ging von der Hand aus.

„Schön, dass du aufgewacht bist, ich hab’ mir große Sorgen gemacht.“

Eigentlich wollte er etwas erwidern, doch er schaffte es nicht. Die Stimme war ihm vertraut, sie ließ ihn sich sicher fühlen. Ließ ihn sich nicht ganz so hilflos fühlen, wie er momentan war. Sie gab ihm Hoffnung. Hoffnung... ja, genau. Die hatte er gehabt. Völlig umsonst. Er hatte wirklich geglaubt eine Chance zu haben. Eine reelle Chance allem zu entgehen, wieder ein normales Leben zu führen.

„Ro... bert“, brachte er unter großer Anstrengung hervor und er hatte niemals geglaubt, dass ihm das Sprechen einmal derartig schwer fallen würde.

„Ja, genau. Und jetzt, scht, sei leise. Versuch’ dich auszuruhen. Versuch’ zu schlafen, du hast das bitter nötig...“

Johnny wollte nicht schlafen, doch er wusste, dass sein Körper im Moment gar nicht anders konnte, als sich nicht länger zu quälen und sich Ruhe zu gönnen, für ein paar Stunden wieder zu entspannen, sich zu regenerieren. Das Nachgeben des Bettes hinter ihm verriet ihm, dass Robert sich gesetzt hatte und seine Theorie bestätigte sich, als er den Körper des Dänen bei sich spürte, wie er ihn wärmte, nur durch seine bloße Nähe.

Mit einem leisen Seufzen entschwand Johnnys Geist in das Reich der Träume.
 

„Ja, genau. So ist es gut. Komm zu dir... genau, so. Ja, das ist schön.“

Seine Lider flatterten kurz, ehe er langsam die Augen öffnete. Der Raum war angenehm dunkel und nicht zu hell für seine erschöpften Augen. Über ihn gebeugt stand Robert, der ihm ein freundliches Lächeln schenkte, doch sein Gesicht verriet Sorge und Kummer, aber auch Erleichterung.

Hätte sich sein Mund nicht so trocken angefühlt, hätte er versucht etwas zu sagen, doch in diesem Moment war es ihm einfach unmöglich. Seine Zunge schien jegliche Fähigkeit zu schmecken verloren zu haben und die Trockenheit ließ ihn überlegen, wann er das letzte Mal getrunken und gegessen hatte. Er wusste es nicht mehr. Es war wohl schon zu lange her.

„Du hattest ziemlich hohes Fieber“, meinte Robert und lächelte ihn aufmunternd an, „Hast du Durst? Möchtest du etwas trinken?“

Für einen kurzen Moment fragte sich der Schotte, ob Robert Gedanken lesen konnte, doch dann wurde ihm klar, dass er einfach nur eine logische Schlussfolgerung anhand seines Zustandes gezogen haben musste. Johnny schaffte es ein Nicken anzudeuten und Robert strich ihm zur Belohnung ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Ich hoffe Kamilletee ist in Ordnung. Ist wohl momentan auch am gesündesten für dich“, während er sich wegdrehte und irgendetwas am Nachttischen machte, sprach er munter weiter, „Das plötzliche Fieber hat mich ganz schön überrascht. Ich meine, noch mehr als deine Aktion, bei der du den ganzen Teppich voll gekotzt hast.“

Unangenehme Erinnerungen machten sich in seinem Kopf breit und sein Magen zog sich fast schmerzhaft zusammen.

„Na ja. Der Arzt meinte Unterkühlung. Aber kein Wunder, wenn ich mich an das Outfit erinnere, in dem du die letzten Tage bei der Kälte draußen rumgerannt bist und wenn du so was öfter trägst war es so oder so nur eine Frage der Zeit.“

Als er sich wieder umwandte hatte Robert irgendetwas in der Hand, das Johnny an ein Babyfläschchen erinnerte. Er war unfähig in diesem Moment auch nur irgendeine Gefühlsregung zu zeigen und so entschied er sich dazu, Robert einfach zu beobachten und abzuwarten, was er vorhatte. Tatsächlich lächelte ihn der Däne etwas verlegen an.

„Ich weiß, es kommt dir vielleicht ein wenig dumm vor... Ich habe wirklich versucht eine Schnabeltasse aufzutreiben, aber ich hab in der kurzen Zeit keine gefunden. Und so ist es immer noch einfacher. Wenn du dich in deinem Zustand aufrichtest ist das viel zu anstrengend, selbst wenn ich dir dabei helfe. Dein Körper braucht einfach noch Ruhe.“

Johnny dachte einige Zeit nach, dann wurde ihm klar, was Robert meinte. Er musste gestehen, dass er die Idee gar nicht mal so schlecht fand, so ersparte sie ihm doch zumindest größere Anstrengungen und Schmerzen. Zugegeben hätte er es wohl niemals, aber als Robert ihm das Fläschchen gab, war er wirklich dankbar. Genauso war er dankbar, dass Robert sich überhaupt um ihn kümmerte, dass er einfach in der Nähe war. Dass er nicht alleine war.

Er griff schweigend mit seinen Händen nach dem Gegenstand, da er einfach nur großen Durst hatte. Sein Mund war immer noch trocken, aber die Vorfreude etwas Nahrhaftes zu sich zu nehmen, ließ ihn einen Appetit verspüren, der zumindest die Andeutung von Flüssigkeit in seinem Mund erkennen ließ.

Das Glas war von dem Tee angenehm erwärmt und fühlte sich in seinen kalten Händen gut an. Einen kurzen Moment lang zögerte er noch, ehe er den Gummisauger in den Mund nahm, um zu trinken.

Der Tee war wohlig, als er langsam seinen Rachen hinablief und er eine leichte Gänsehaut bekam. Für kurze Zeit vergaß er seine Umgebung und saugte einfach nur. Ein leichter Schauer überkam ihn und er schloss seine Augen. Robert fuhr ihm mit der Hand durch die Haare und als Johnny ihn anblickte, erkannte er deutlich ein erleichtertes Lächeln auf seinen Lippen. Johnny sagte nichts und sah ihn einfach nur an, während er weiterhin Flüssigkeit aufnahm.

Wäre er nicht so erschöpft und mit dem Kräften am Ende gewesen, wäre es ihm vielleicht peinlich gewesen, sich so irgendjemanden zu zeigen, aber so war es ihm egal. Er wusste, dass Robert Verständnis hatte, dass der Däne momentan nur sein Bestes wollte.
 

Eine Hand berührte vorsichtig die seine und als Johnny etwas sagen wollte, wurde ihm klar, dass er etwas im Mund hatte und er schlug müde seine Augen auf. Robert lächelte ihn freundlich an, als er ihm die Flasche abnahm und Johnny wurde klar, dass er beim Trinken eingenickt sein musste.

„Sorry, ich wollte dich nicht wecken.“

Der Schotte zuckte mit den Schultern und verfolgte Robert mit den Augen, als er zum Nachtisch ging und den Gegenstand abstellte. „Am besten du versuchst wieder einzuschlafen.“

Johnnys Erinnerungen an das, was geschehen war, kamen langsam wieder zurück und er runzelte die Stirn. Er erinnerte sich wieder: Er hatte das Geld zurück geben wollen, doch Sam hatte ihn nicht gehen lassen wollen. Die Spritze... Johnny zuckte zusammen und biss die Zähne aufeinander.

Dennoch war alles so anders. Robert war da, er kümmerte sich um ihn. Ob alles nur ein Traum gewesen war? Fieberträume? Robert hatte doch so etwas erzählt...

Robert würde nicht bei ihm sein, wenn es wahr wäre. Robert hasste Drogen und Robert hasste ihn.

„Robert?“

„Hm?“

„Was ist passiert?“

Einige Zeit herrschte Schweigen und Robert warf dem Schotten einen flüchtigen Blick zu. „Versuch zu schlafen, okay?“

„Robert...“

„Ja?“

„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“

Mit einem leisen Seufzen setzte sich Robert neben Johnny auf das Bett und fuhr sich mit seiner Hand durch die Haare: „Okay, du Dickkopf, aber du wirst es nicht gerne hören wollen.“ Der Däne setzte eine ernste, nachdenkliche Miene auf und zog Johnny die Decke über die Schultern.

„Ich bin dir gefolgt, nachdem ich dir das Geld überlassen hatte“, er zögerte kurz, „Ich muss zugeben, dass ich dir nicht geglaubt habe. Keineswegs. Ehrlich gesagt bin ich immer noch erstaunt darüber, dass deine Geschichte tatsächlich zu stimmen scheint.“

Johnny blickte Robert an. Es war wahr. All die Erinnerungen waren real, sein Leben war wirklich dieses schreckliche Dasein, das er sich schon so lange wünschte einfach zu beenden. All das änderte nichts daran, dass er nun hier war, in Roberts Obhut. Was machte er hier?

„Ich bin dir also hinterher, als dich diese zwei Typen abgefangen haben und zu ihrem Boss geschleppt haben, dem du dann auch das Geld übergeben hast. Bei Gott, Johnny, ich hätte niemals gedacht, dass du so naiv bist, dass du wirklich geglaubt hast, dass dich so jemand gehen lässt, sobald du deine Schulden abbezahlt hast! Hätte ich gewusst, dass du das alles ernst meinst, hätte ich dir das Geld nicht gegeben, sondern wäre mit dir zur Polizei gegangen. Ich wollte eigentlich nur sehen, wofür du es brauchst, was du damit anstellen wolltest. Als mir klar wurde, dass du das Ganze ernst gemeint hast, habe ich sofort die Polizei alarmiert.“

In seinem Geiste spielte sich das Geschehen erneut ab und Johnny erinnerte sich an das Sirenengeheul, das Sam und seine beiden Handlanger dazu veranlasst hatte, zu fliehen, ihn alleine zu lassen.

„Ich konnte dich kaum so da sitzen lassen, mit der Spritze im Arm. Hätte die Polizei dich gesehen, hätte sie dich für den Grund des Anrufes gehalten. Du wärst als wieder drogensüchtig abgestempelt worden und es hätte einen riesigen Skandal gegeben, mit etlichen großen Schlagzeilen in der Klatschpresse. Das konnte ich dir wohl kaum antun, selbst wenn du die Drogen freiwillig genommen hättest“, er unterbrach sich und blickte Johnny düster an, „Versteh’ mich nicht falsch. Das ist jetzt kein Freifahrtsschein für dich. Ich bin immer noch nicht von deinen Handlungsmotiven überzeugt.“

Sein Gegenüber sah ihn nur müde an, schwieg jedoch weiterhin, also fuhr Robert mit seiner Erzählung fort: „Ich hab’ dich geschnappt, bin mit dir einige Straßen weiter gerannt und hab’ dann ein Taxi gerufen, das uns hier zum Hotel gefahren hat. Vielleicht erinnerst du dich noch daran, vielleicht nicht. Du warst noch wach, aber nicht mehr ganz bei Sinnen. Ich hab’ einen Arzt herkommen lassen und der hat dich behandelt, dir ein Mittel gespritzt und auf meinen Wunsch hin auch die Drogenspritze auf mögliche Krankheiten und so weiter untersuchen lassen“, er unterbrach sich kurz und blickte Johnny etwas skeptisch an, „Ich hoffe, es freut dich zu hören, dass du dich zumindest mit keiner neuen Krankheit angesteckt hast. Ob du vorher schon welche hattest ist noch nicht klar, deine Untersuchungsergebnisse sind noch nicht da.“

Johnny nickte und versank im nächsten Moment in ein nachdenkliches Schweigen. Wenn er ehrlich war, hatte er keine Ahnung, was er tun sollte, was er tun konnte. Er fühlte sich hilflos und wieder einmal war er an einem Punkt seines verfluchten Lebens angekommen, bei dem er einfach nicht mehr weiter wusste. Nun, wenigstens war er diesmal nicht ganz allein. Robert vertraute ihm zwar nicht, aber er vertraute Robert. Der Däne würde nichts tun, was ihm schadete, würde ihm vielleicht sogar helfen.

„Nun, in Anbetracht der Tatsachen... Ich werde deinen Eltern vorschlagen, dass sie dich woanders studieren lassen, dass du hier aus Deutschland erst mal raus kommst, möglichst weit weg von diesen Dealern.“

In diesem Augenblick konnte Robert geradezu beobachten, wie Johnnys Gesicht kreidebleich wurde; das hieß noch blasser, als es nicht schon vorher gewesen war. Das bisschen Farbe, dass der Schotte sich durch den Schlaf und die Ruhe mühsam wieder erkämpft hatte, war wie weggeblasen.

„Das... das kannst du nicht machen!“, stotterte Johnny, „Du kannst das meinen Eltern unmöglich erzählen! Bitte, tu’s nicht! Es... Ich will nicht, dass sie davon erfahren, dass ich immer noch damit zu tun habe, bitte...!“

Der Blick, den Robert ihm zuwarf, war ernst und er wirkte fast etwas vorwurfsvoll, als er den Kopf schüttelte. „Tut mir Leid, das kann ich nicht machen. Zum einen sollten deine Eltern wissen, was hier abläuft, damit sie dich hier rausholen und zum anderen geht es nicht um deine Eltern, sondern um dich. Wie willst du hier denn weiterhin studieren und leben, wenn du permanent in Angst leben musst? Du kannst mir nicht weis’ machen, dass du das willst.“

„Aber-...“

„Spiel nicht den Helden, das hat bisher noch niemanden geholfen. Ich werde deine Eltern informieren und damit basta“, im Gegensatz zum Beginn der Unterhaltung, als Robert ihn freundlich und besorgt angesehen hatte, wirkte der Däne nun kühl, rücksichtslos und bestimmend und Johnny hatte das Gefühl vor Verzweiflung gleich losheulen zu müssen. „Das-...“

„Versuch noch ein wenig zu schlafen.“

Ohne einen weiteren Blick, ein Wort, ging Robert aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Johnny starrte ihm nur sprachlos hinterher.

Er hasste es, er hasste sein Leben, er hasste sich. Wieso konnte er in seinem Leben nicht einmal etwas richtig machen? Wieso ging immer alles schief?

„Scheiße...“, murmelte er, drehte sich von der Tür weg und weinte hemmungslos.
 

„Jonathan?“

Während er die Augen öffnete, wusste er bereits, wen er zu erwarten hatte. Vor ihm standen seine Eltern, sein Vater sah ihn streng an, seine Mutter schaute zu Boden, auf ihrem Gesicht tiefe Enttäuschung. Johnny wollte den Mund öffnen um etwas zu sagen, um alles klar zu stellen, doch sein Vater hielt ihn davon ab, indem er selbst das Wort ergriff.

„Jonathan, wir sind enttäuscht. Wir hatten mehr von dir erwartet, wir hatten wirklich gehofft, dass man sich auf dein Wort verlassen kann! Wir haben dich unterstützt, aber man sieht ja, was du mit dem Vertrauen, das man dir entgegenbringt, anstellst.“

Die Worte trafen Johnny hart und er musste Schlucken, um zu vermeiden, dass er sich seinen Gefühlen hin und den Tränen nachgab. Sie hatten alles falsch verstanden, es war anders als sie dachten! „Vater, es ist anders, als du...“

„Deine Mutter und ich haben beschlossen Abstand zu dir zu suchen... Wir müssen erst einmal das alles hier verkraften...“

Johnny erstarrte und für einen kurzen Moment wurde ihm klar, was alles auf dem Spiel stand. Seine Eltern hatten ihn nun endgültig aufgegeben. Sie würden ihn im Stich lassen, sie wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sein Herz schlug schmerzhaft gegen seinen Brustkorb und sein Blut rauschte in seinen Ohren.

„Aber...“, brachte er gequält hervor und blickte seine Eltern abwechselnd an. Das konnten sie doch absolut nicht ernst meinen!

„Bitte, Johnny, hör’ auf deinen Vater“, meinte seine Mutter, ihre Stimme zitterte, doch sie wagte es nicht, ihrem Sohn in die Augen zu sehen.

„Mum? Dad? Was soll das? Ist das ein Scherz?“

Er erhielt keine Reaktion, nur betretenes Schweigen. Nach einer Weile fasste Mark McGregor die Hand seiner Frau und gemeinsam verließen sie das Zimmer, ließen, ohne ein Wort des Abschieds, ihren Sohn alleine zurück, der ihnen entsetzt und aufgewühlt hinterher blickte. In seinem Inneren schmerzte es, er fühlte sich furchtbar leer. Er wusste, dass nichts diese Lücke schließen würde, schließen konnte. Eine Träne kullerte ihm über die Wange, doch er versuchte sich zusammen zu reißen. Sein Leben war eine Katastrophe und es würde sich wohl niemals etwas ändern. Er hasste sich dafür, dass ausgerechnet sein Leben so derart schief lief und ihm immer nur eine Lösung einfiel diesem schrecklichen Dasein zu entgehen.

Aber er hatte es schon einmal versucht, er hatte bereits einmal seinem Leiden ein Ende setzen wollen, mit dem Ergebnis, dass er eine derartige Angst vor dem Tod entwickelt hatte, dass er panisch den Notruf verständigt hatte. Seitdem zog sich eine unschöne Narbe quer über seinen rechten Arm. Er hatte behauptet, es sei ein Unfall gewesen, doch die vorwurfsvollen Mienen seiner Mutter und seines Vaters hatten ihm deutlich gezeigt, was sie von dieser Behauptung hielten.

Nach einer Weile, in der er nun mit traurigem und frustriertem Blick an die Stelle gesehen hatte, wo die beiden bis eben noch gestanden hatten, wandte er sich um. Wiedereinmal hatte er einen Punkt erreicht, an dem ihm klar wurde, wieso er sein Leben hasste. Wieso er sich hasste. Er besaß das unglaubliche Talent alles zu zerstören, sein Leben und alles, was ihm je wichtig war, lag in Trümmern vor ihm.

„Na, willst du nicht doch wieder einsteigen?“

Die Stimme ließ den jungen Schotten zusammenzucken und er blickte sich verwirrt um, als ihm klar wurde, dass er gar nicht im Zimmer, sondern auf der Straße gewesen war. Sam stand ihm gegenüber, Maik und Steffen traten auf Johnny zu.

„Ich habe immer noch einiges an gutem Stoff da...“

Im ersten Augenblick wich Johnny erschrocken ein paar Schritte zurück, blieb dann jedoch stehen. Was würde es ändern? Was brachte es, sich gegen die Drogen zu wehren? Solange er sie genommen hatte, war sein Leben nicht so schmerzlich gewesen, er würde es gar nicht richtig mitbekommen, wie er sein Leben noch mehr zerstörte. Und solange er es nicht mitbekam, war es auch nicht so schlimm. Ihm war zu seiner Suchtzeit alles irgendwie egal gewesen und er musste zugeben, dass es damals wesentlich angenehmer gewesen war. Niemand glaubte ihm, dass er clean war, seine Eltern wollten ihn nicht mehr in ihrer Nähe haben, sahen ihn wahrscheinlich nicht mal mehr als ihren Sohn an. Was sprach also dagegen? Es würde ihm zumindest das Gefühl geben, dass alles wieder besser war...

„Wie viel?“, murmelte Johnny und starrte auf dem Boden, er wagte es nicht, den Blick zu heben. Er wusste, wie erbärmlich er war. Aber es gab keinen anderen Weg. Er hatte so oder so alles verloren, da konnte er doch wenigstens das Gefühl haben, dass es ihm gut ging, oder etwa nicht?!

„So ist es brav, mein Lieber...“, Sams Stimme hallte in seinem Kopf wieder und der junge Schotte wusste, dass es wahrscheinlich falsch war, was er tat, dass er es irgendwann wieder bereuen würde; aber im Moment war es doch egal, es war doch sowieso alles zerstört.

Johnny griff nach dem kleinen Tütchen mit dem weisen Pulver, das sein Gegenüber ihm reichte, doch eine Hand legte sich auf seinen Arm und hielt ihn davon ab, es zu fassen.

„Denk’ darüber nach, Johnny... willst du das wirklich?“

„Wenn ich es nicht wollte, würde ich es nicht tun“, meinte Johnny und versuchte wiederum mit seiner Hand an den Gegenstand zu gelangen.

„Denkst du nicht, dass das die Sucht ist, die dich dazu bringt?!“

„Selbst wenn es so wäre!“, knurrte Johnny und riss sich aus Roberts Griff frei. Wichtig war im Moment nur, an den Stoff zu kommen und nicht Robert durch intelligente Worte von der Richtigkeit der Sache zu überzeugen, „Es ist meine Sache, misch’ dich nicht in mein Leben ein. Es ist mein Leben, ich entscheide, was ich tue und was ich nicht tue! Halt’ dich da raus! Ich brauche deine Ratschläge nicht!“

Als er seinen Blick zu Sam wandte, sah er, dass dieser sich bereits abgewendet hatte und dabei war zu gehen. Maik und Steffen waren bereits verschwunden.

„Scheiße...“, murrte Johnny und wollte ihm hinterher eilen, doch Robert fasste mit seinen Händen nach ihm und hielt ihn fest, hielt ihn zurück, hielt ihn davon ab zu folgen, zog ihn an sich. Johnny wehrte sich gegen ihn und versuchte sich zu befreien, wollte nicht festgehalten werden. Er wollte seinem inneren Drang folgen, er wollte wieder das Gefühl haben, dass alles in Ordnung war so wie es war und dass nichts so schrecklich lief, wie es das gerade tat. Die innere Verzweiflung, er ertrug sie nicht mehr, er wollte sie los sein! Keine Einsamkeit würde er mehr empfinden, weil er seine Umwelt gar nicht mehr mitbekommen würde.

Es würde wieder gut sein. Keine trostlose, verzweifelte Welt...

Doch Robert ließ ihn nicht los, packte ihn weiterhin fest mit beiden Händen und verhinderte sein Verschwinden. Zu seinem Entsetzten war ihm die Wärme, die von Robert ausging, angenehm, sie schien ihn zu beruhigen, obwohl er sich gar nicht beruhigen wollte. Er wollte wütend sein, doch er schaffte es nicht gegen die aufkeimende Empfindung des Wohlbehagens anzukämpfen und ließ sich nach einer kurzen Weile in die Arme des Dänen zurücksinken.
 

Tatsächlich musste er schon länger hier gelegen und tief und fest geschlafen haben. Ihm war angenehm warm und er seufzte leise, ehe er seine Augen öffnete. Neben ihm im Bett lag Robert, seine Arme hatte er um Johnny geschlungen; mit dem rechten umschloss er seinen Körper und verhinderte so, dass er sich selbst oder seine Hände irgendwie bewegen konnte, seine linke Hand ruhte in Johnnys Haaren.

Johnny selbst konnte nicht sonderlich viel erkennen, außer dem Stoff von Roberts Hemd und versuchte einen kurzen Augenblick lang sich aus Roberts Griff zu befreien, ehe er einsah, dass es nichts brachte. Müde schloss er seine Augen, schlug sie jedoch sofort wieder auf, als Robert sich bewegte und seine Hände von ihm zurückzog.

„Guten Morgen“, murmelte er und Johnny blickte ihn fragend an. Kurze Zeit lang sah Robert ihn an, wie er Johnny schon lange Zeit nicht mehr angeblickt hatte. Es war kein verachtender, böser, sondern ein freundschaftlicher Gesichtsausdruck, in dem so viel Bedeutung lag, dass es den jungen Schotten ein wenig nervös machte.

Der Däne richtete sich mit einem müden Gähnen auf und als er sein Gegenüber diesmal ansah, wirkte er wieder vollkommen normal. „Wie hast du geschlafen? Ich hab’ mir echt Sorgen gemacht, als du angefangen hast herumzuschreien und dann um dich geschlagen hast.“

Ein verwirrter Blick war die Antwort und Robert starrte Johnny einen Moment lang zweifelnd an. „Du erinnerst dich nicht mehr daran?“, meinte er skeptisch, ehe er sich seufzend durch die Haare fuhr, „Na ja, sind die Entzugserscheinungen, müssen wir momentan mit leben.“

Die Reaktion Johnnys war, dass er sich hastig aufrichtete und Robert einen bösartigen Blick zuwarf, der diesen im ersten Moment ein wenig erschreckte. „Ich nehme keine Drogen mehr, ich habe keine...“

„Du hast Drogen gespritzt bekommen, ob freiwillig oder nicht ist in diesem Falle ziemlich egal. Was erwartest du? Dein Körper war das Zeug eine Ewigkeit gewöhnt, bis du auf Entzug gegangen bist und dein Körper erinnert sich daran, Johnny. So ist das nun mal.“

„Ich habe keine Entzugserscheinungen!“, brachte Johnny wütend zwischen seinen zusammengepressten Lippen hervor, schaffte es aber nicht einen bebenden Beiklang aus seiner Stimme zu verbannen. Er war wütend. Er wusste wie es war Entzugserscheinungen zu haben und es war etwas, vor dem er einfach nur Angst hatte. Eine panische Angst. All das, all diese Schmerzen, diese Verzweiflung, er hatte sie schon einmal durchlebt und es war etwas, das er nie wieder an seinem eigenen Leib spüren wollte. Nie wieder.

Dass ausgerechnet Robert ihm freundlich ins Gesicht sagte, dass er etwas Derartiges zu erwarten hatte! Obwohl er das letzte Jahr über clean gewesen war, versucht hatte, allem, was mit Drogen zu tun hatte, zu entkommen...

Der mitleidige und tröstende Blick, mit dem Robert ihn nun anblickte, tat ihm weh. Er hatte einfach nur Angst. Konnte ihn nicht jemand vor allem, was geschehen würde, schützen?!

Vielleicht würde er sie gar nicht bekommen... Nach seinem ersten Drogenkonsum war er auch noch nicht süchtig gewesen. Robert hatte einfach keine Ahnung. Es würde gut verlaufen. Bestimmt. Entzugserscheinungen musste er nicht bekommen. Nein. Überhaupt nicht. Er würde es Robert schon zeigen.

„Wir werden sehen“, meinte Robert seufzend, während er aus dem Bett stieg und zielstrebig auf den großen Kleiderschrank an der Wand zu ging und während er sich Kleidung heraussuchte, fasste sich Johnny, vertieft in dunkle Gedanken, an den Kopf. Ihm war schwindelig, da er sich zu schnell aufgerichtet hatte, weigerte sich aber, darauf Rücksicht zu nehmen.

„Ich würde gerne bleiben, aber ich habe heute eine dringende Besprechung. Nachdem ich mir schon die letzten vier Tage freigenommen habe, muss ich auch mal wieder zur Arbeit erscheinen, zumal es um eine sehr wichtige Angelegenheit geht“, Robert schnappte sich seine zurechtgesuchten Klamotten und ging in Richtung Badezimmer, „Ich gehe mich duschen, du schläfst am besten noch etwas. Auf jeden Fall solltest du dich weiterhin ausruhen. Also nichts überstürzen, klar?“

Mit diesen Worten fiel die Tür hinter dem Dänen zu und Johnny ließ sich langsam wieder in sein Bett zurücksinken. Ihm war schlecht. Vermutlich hatte es Robert gar nicht bemerkt, aber er hatte ihm eine Information gegeben, die er nicht hatte haben wollen: Vier Tage.

Vier Tage lang hatte er flach auf dem Rücken gelegen, geplagt von Panikanfällen und Erschöpfung und Robert hatte sich all die Zeit um ihn kümmern müssen. Wütend über sich und seine eigene Schwäche und Nutzlosigkeit starrte Johnny an die Decke. Was sollte er auch sonst großartiges tun? Er war zu nichts zu gebrauchen und brachte allen immer nur Ärger. Es war zum Verzweifeln.
 

Als Robert am Abend in seine Hotelsuite zurückkam, brannte kein Licht und es wirkte ziemlich verlassen. Sein erster Gedanke war, dass Johnny abgehauen war und nun in seinem angeschlagenen Zustand durch Berlin stolperte, doch er verdrängte ihn wieder. Zum Einen brachte es nichts wild zu spekulieren, wenn es keinerlei Beweise gab und er nur einen ersten Eindruck von etwas hatte, zum Anderen bezweifelte er, dass Johnny sich einfach so auf und davon machte, wenn für ihn immer noch eine akute Gefahr durch Sam und seine Leute bestand. Er war sich sehr sicher, dass Johnny noch anwesend war.

Genervt schüttelte Robert den Kopf. Wieso dachte er über dieses Problem nach, anstatt einfach nach Johnny zu sehen? Er zog sich seine Schuhe aus und legte seinen Mantel an der Garderobe ab, bevor er sich darauf konzentrierte den jungen Schotten zu finden. Sein Bett und sein Zimmer waren verlassen, aber im Wohnzimmer wurde Robert fündig. In seine Bettdecke gewickelt saß Johnny im Dunkeln vor dem leeren Kamin und starrte verloren vor sich hin. Robert wagte es nicht, das Licht anzuschalten, denn er war sich sicher, dass Johnny Gründe für die Dunkelheit hatte.

„Hey, wie geht’s dir?“, fragte er leise und trat dann ein paar Schritte auf den Kamin zu, um sich neben Johnny zu setzen. Auf eine Antwort hoffte er vergebens, doch nun, da er Johnny direkt neben sich hatte, bemerkte er deutlich dessen Zittern und die Hitze, die von ihm ausging. Es war eines der wenigen Male seit er Johnny nun schon kannte, dass er sich nicht darüber freute, dass er recht behalten hatte. Neben der Tatsache, dass er es Johnny gerne erspart hätte sich derartig schlecht zu fühlen, war es ihm selbst auch noch äußerst unangenehm Johnny so sehen zu müssen.

Es herrschte einige Zeit Schweigen, ehe Johnny die Decke etwas fester zog und leise zu sprechen begann. Seine Stimme klang erschöpft. „Weißt du noch, als wir vor drei Jahren in dieser Skihütte eingeschlossen waren?“

Ein Grinsen huschte über Roberts Gesicht und er fuhr sich durch die Haare: „Wie könnte ich das jemals vergessen? Ich glaube, das war damals das erste Mal, dass ich es wirklich absolut ernst gemeint habe, als ich Enrico und dich angeschrieen und als unnütze Idioten beschimpft habe.“

So einzigartig und schrecklich das Erlebnis gewesen war, so schön war es in Erinnerung geblieben. Der gemeinsame Skiausflug hatte ein schlagartiges Ende gefunden, als Johnny und Enrico durch ihre ewige Streiterei eine Lawine ausgelöst hatten – ums Leben war zum Glück niemand gekommen, aber die Majestics, die sich gerade noch in das kleine Haus hatten retten können, waren dort immerhin fast drei Tage lang eingeschlossen gewesen. So verzweifelt die Lage auch gewesen war, hatte sie sich doch im Endeffekt als äußerst lustig und als hilfreiche Erfahrung herausgestellt. Vermutlich kam Johnny wegen des Kamins auf das Thema zu sprechen, denn damals hatten sie sich auch um den Kamin der kleinen Hütte gesetzt und hatten sich sehr lange unterhalten und irgendwelche kindischen und sinnfreien Spiele gespielt, um sich die Zeit zu vertreiben. Zu ihrem Glück waren sie letzten Endes tatsächlich von den Rettungsmannschaften gefunden worden.

„Damals waren wir alle ein ziemlich gutes Team.“

„Besser denn je“, bestätigte Robert und überlegte, ob es damals schon Anzeichen für ein derartiges Ende der Majestics gegeben hatte. Johnny schwieg eine Weile, „Und ich habe das alles kaputt gemacht.“

„Ja. Das lässt sich wohl nicht bestreiten.“

Robert war nicht bereit, Johnny mit Beschwichtigungen zu trösten oder ihm einzureden, dass alles gar nicht seine Schuld gewesen war. Genauso wenig wollte er ihn in seinem ewigen Selbstmitleid unterstützen. Es war eine Tatsache, dass die Majestics aufgrund von Johnnys Handlungen zerbrochen waren. Und das ließ sich so oder so nicht ändern. Wieso sollte er seinem Gegenüber also halbherzig irgendwelche Lügen auftischen, wo sie beide doch die Wahrheit kannten? Keiner von ihnen würde sich dadurch in irgendeiner Weise besser fühlen. Wieder schwiegen beide für einige Zeit, ehe Johnny erneut begann: „Hätte ich damals nicht-“

Doch noch bevor der junge Schotte aussprechen konnte, was er sagen wollte, fiel ihm Robert ins Wort. „Johnny, ich weiß schon jetzt worauf das Ganze hinauslaufen wird. Es lässt sich jetzt nicht mehr ändern. Es ist vorbei, was geschehen ist, ist geschehen. Man kann Dinge nicht in der Vergangenheit wieder in Ordnung bringen und durch Jammern schon gar nicht. Das kann man nur in der Gegenwart. Und jetzt schau dich doch mal an: Du hockst hier im Dunkeln und jammerst vor dich hin, bemitleidest dich selbst, wie schrecklich du es doch mit deinem Leben erwischt hast. Aber hast du auch nur ein einziges Mal wirklich versucht etwas gegen deine Lage zu unternehmen?“

Nun, es mochte vielleicht nicht der passende Augenblick für einen derartigen Vortrag sein, ging es Johnny im Moment sichtbar schon allein wegen der Entzugserscheinungen wirklich nicht gut, doch Robert konnte die selbstmitleidige Art des Schotten nicht ertragen. Es war eine Eigenart, die dieser sich in den letzten Jahren angeeignet hatte und die Robert auch bereits zu den Zeiten der Majestics als furchtbar empfunden hatte.

„Ich habe-“

„Natürlich weiß ich nicht, wie ich reagiert hätte, wenn du plötzlich vor meiner Tür gestanden hättest – aber hast du auch nur einmal daran gedacht vorbei zu kommen und dich zu entschuldigen? Bist du jemals auf die Idee gekommen, zu Enrico oder Oliver zu gehen und mit ihnen über das Geschehene zu reden? Anstatt jemanden bei deinen Problemen um Hilfe zu bitten, hast du ohne groß nachzudenken alles für dich behalten, um dich selbst in deinem Unglück zu suhlen. Es ist klar, dass sich nichts zum Besseren wendet, wenn man darauf versessen ist, sich selbst schlecht zu fühlen und sich zu isolieren. Mal im Ernst. Für dich war und ist dieser ganze Scheiß doch nichts anderes als eine Art Selbstbestrafung für das was passiert ist. Du hast Angst davor, was andere dir antun könnten und deshalb ziehst du es vor, dich abzukapseln und es dir selbst schlecht gehen zu lassen, in der Hoffnung dem Urteil anderer zu entgehen.“

Johnny starrte ihn einfach nur ausdruckslos an, doch Robert wusste, dass er Johnny mit dem Gesagten ziemlich verletzt haben musste. Das war zwar nicht unbedingt seine Absicht gewesen, aber solange es den Schotten dazu brachte über sein Verhalten nachzudenken, war das in Ordnung. Natürlich war das nicht unbedingt fair. Robert war sich sicher, dass wenn Johnny vor vier Wochen vor seiner Haustür gestanden, er ihn hochkant von seinem Grundstück geworfen hätte. Aber es hatte ihn dennoch ernsthaft schockiert, dass Johnny nicht ein einziges Mal versucht hatte, Kontakt mit ihm aufzunehmen, sondern immer darauf gehofft hatte, dass die anderen auf ihn zu kamen. Er hatte Johnny niemals für derartig feige gehalten, auf der anderen Seite hatte er Verständnis dafür. Alleine gegen den Rest der Welt zu handeln, musste ziemlich frustrierend und einsam sein.

Für einen kurzen Augenblick bebten Johnnys Lippen, ehe er sie zusammenpresste, sich erhob und mit der Bettdecke über seinen Schultern zur Zimmertür wankte. „Ich-... ich geh’ ins Bett...“

Robert zögerte für einen kurzen Augenblick. Er war sich unsicher, ob es gut war bei der Angelegenheit noch einmal nach zu treten, doch er wusste, dass wenn sie das Gespräch jetzt nicht zu Ende führten, sie sich die nächsten Tage aus dem Weg gehen würden, um nicht noch einmal mit dem Problem konfrontiert zu werden. Also war diese Handlungsweise einfach notwendig, auch wenn er wusste, dass es vielleicht ein bisschen ungerecht gegenüber Johnny war, der die letzte Zeit wirklich mit großen Problemen zu kämpfen gehabt hatte.

Robert stand auf. „Also willst du mal wieder vor dem Problem davon laufen?“

Johnny erstarrte augenblicklich und fuhr wütend herum. Tränen liefen über seine Wangen, als er ihn anschrie: „Was hast du schon für eine Ahnung von dem was ich durchgemacht habe, Robert?! Was weißt du schon!“

Der Angesprochene blieb ruhig und Johnny wurde dadurch nur noch zorniger. „Es stimmt schon“, meinte Robert in einem fast unangebracht sachlichen Tonfall, „Ich weiß nicht, was genau du durchmachen musstest. Vor allem nicht zu dem Zeitpunkt, als der ganze Mist überhaupt angefangen hat. Woher auch? Du bist ja nie zu mir gekommen und hast mit mir über deine Probleme geredet. Mag sein, dass ich dafür auch nicht unbedingt der geeignetste Ansprechpartner bin, aber ich hätte sicherlich zugehört und zumindest versucht dir zu helfen. Aber du hast mir ja nicht einmal die Chance gegeben! Du hast alle weggestoßen und dir dann eingeredet, dass du alleine und im Stich gelassen worden bist. Natürlich hat dir keiner in der wahrscheinlich schlimmsten und schwierigsten Zeit deines Lebens zur Seite gestanden – aber doch nur, weil du niemanden an deiner Seite geduldet hast!“

Johnny starrte ihn fassungslos an.

„Statt also nach Hilfe zu suchen hast du dich immer hinter Ausreden versteckt. Gib’s doch zu. Es hat sich sicherlich irgendwo auch gut angefühlt, sich schlecht zu fühlen, nicht wahr? Das ganze Negative auf der einen Seite als verdient anzusehen, auf der anderen Seite dennoch darunter zu leiden und sich selbst immer wieder vorzujammern, weshalb es ausgerechnet einen selbst getroffen hat und nicht jemand anderen. Bei Gott, Johnny, es gibt Dinge, die kann man nicht ändern, und die Vergangenheit gehört da dazu. Aber man sollte sich nicht auch noch seine Zukunft verbauen, nur weil man immer zu dem Geschehenen, dem Vergangenen nach hängt. Oder hast du das Gefühl, dass sich dadurch irgendetwas geändert hat?“

Er trat ein paar Schritte auf Johnny zu, der jedoch fast panisch zurückwich. Statt jedoch zu verschwinden, starrte er sein Gegenüber immer noch völlig sprachlos wie gebannt an.

„Was glaubst du, wie lange du noch durchhältst, wenn du so weiter machst? Hm? Ich meine natürlich, wenn dich nicht diese Dealer sowieso schon vorher umbringen.“

Robert hob seinen rechten Arm und streckte ihn nach Johnny aus, der jedoch erneut auf Abstand ging. „Fass mich nicht an!“, schrie er verzweifelt auf und nahm eine abwehrende Haltung ein, während Robert ein bisschen näher zu ihm kam. „Und warum?“

„Bleib weg! Fass mich nicht an!“

Der Schotte stieß mit seinem Rücken gegen die Wand, als er versuchte Roberts Berührung zu entgehen, dieser nutzte die Gelegenheit und stützte seine Hände rechts und links neben Johnnys Kopf. „Warum, Jonathan?“

„B- Bitte… Bleib weg von mir“, es war kaum mehr als ein ersticktes Flüstern, das unter dem Schluchzen fast vollständig unter ging. Johnnys Gesicht war tränenverschmiert und selbst wenn es zuvor nicht seine Absicht gewesen war, konnte Robert nun gar nicht anders handeln, als seinen Freund tröstend in die Arme zu schließen und ihn an sich zu pressen, damit er sich wieder beruhigte.

„Es tut mir leid“, murmelte Robert sanft. Er war sich nicht sicher, ob er mit seinen Anschuldigungen nicht etwas zu weit gegangen war. Aber er wusste, dass sie nun zumindest eine Basis hatten, auf der sie miteinander reden konnten.
 

Robert blickte müde auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor neun Uhr und er hatte in dieser Nacht kein Auge zu gemacht. Stattdessen hatte er, nachdem er es geschafft hatte, Johnny ein wenig zu beruhigen, ihnen beiden Getränke auf das Zimmer bestellt – sich selbst einen Kaffee und Johnny eine Tasse heiße Schokolade - und sie hatten geredet. Anfangs war es ein ausgewogenes Gespräch mit nicht sonderlich tiefsinnige Themen gewesen, bis Robert Johnny endlich dazu gebracht hatte zu erzählen, was ihm nun schon so lange auf dem Herzen lag.

Bis in die frühen Morgenstunden hinein hatte Robert aufmerksam zugehört und im Gegensatz zu Johnny, den er letzten Endes dazu überredet hatte ein Schlafmittel zu nehmen, damit er nach all dem Stress und der ganzen Aufregung ruhig schlafen konnte, hatte er den Rest der Zeit damit verbracht über Johnnys Geschichte nachzudenken.

Um viertel nach neun Uhr hatte Robert den nächsten Termin, ein Treffen mit Johnnys Eltern, das er bereits vor ein paar Tagen ausgemacht hatte, vor dem es ihm nun jedoch graute. Er war sich unsicher, was er den beiden nun genau erzählen konnte, überhaupt erzählen wollte. Nachdem Robert Johnny mit einigem guten Zureden davon überzeugt hatte, dass er diese ganze Angelegenheit nicht einfach so auf sich beruhen lassen und totschweigen konnte, hatte dieser ihn gebeten, mit seinen Eltern darüber zu sprechen.

Robert verstand nur zu gut, welche Angst Johnny haben musste. Aber er selbst fühlte sich der Aufgabe, die ihm übertragen worden war, nicht unbedingt gewachsen. Es war eine Tatsache, dass er Marian und Mark McGregor nicht gesagt hatte, warum er sich mit ihnen treffen wollte – was er ihnen über Johnny zu sagen hatte, war so oder so nicht sonderlich angenehm. Vermutlich würden seine neuesten Erkenntnisse die beiden endgültig überfordern.

Er seufzte kurz auf, ehe er einen kurzen Blick auf den friedlich Schlafenden warf. Nun, er hatte gehofft, dass Johnny vor dem Treffen mit seinen Eltern noch einmal kurz aufwachte. Wecken wollte er ihn nicht. Irgendjemand hatte einmal gesagt, dass im Schlaf und im Traum die Welt noch in Ordnung sei. Und das gönnte er seinem Freund aus tiefsten Herzen.

Als er aus dem Schlafzimmer trat, nahm Robert im Vorbeigehen noch schnell seine Aktentasche vom Sofa mit, dann schloss er leise und vorsichtig die Tür hinter sich, ehe er die kleine Hotelsuite durch den Flur verließ.

Er sehnte jetzt schon den Tag herbei, wenn endlich wieder die angenehme Ruhe in sein Leben zurück kehren würde. Auch wenn bis dahin wohl noch einiges an Zeit vergehen würde. Zumindest müsste er zuvor mit Johnnys Eltern die Problematik der Geschehnisse besprechen, Johnny in ihre Fürsorge übergeben und letzten Endes dem Schotten beistehen, alles irgendwie zu verarbeiten, damit vor allem Johnny selbst sich wieder akzeptieren und respektieren konnte als das, was er war. Zumindest fühlte er sich als Johnnys Freund dazu verpflichtet.

Es war vielleicht nicht die beste Entscheidung gewesen, Marian und Mark McGregor als Treffpunkt das gleiche Hotel zu nennen, in dem er Johnny untergebracht hatte, auf der anderen Seite war es so einfacher Johnny zu... überwachen. Robert musste gestehen, dass zu dem Zeitpunkt, als er den Termin ausgemacht hatte, seine größte Sorge gewesen war, dass sich der starrköpfige Schotte einfach aus dem Staub machen würde, wenn er nicht auf ihn Acht gab. Inzwischen beunruhigte ihn eher der Gedanke, dass Sam herausfinden könnte, wo Johnny steckte und versuchen würde, ihn aus dem Weg zu räumen. Es wäre durchaus möglich, dass Johnnys Eltern Sam und seine Leute direkt zum Hotel führten. Doch dieses Risiko war nun nicht mehr zu vermeiden.

Mit Hilfe des Fahrstuhls gelangte Robert recht schnell in das Erdgeschoss des Hotels, in dem sich das Restaurant befand, in dem er sich mit den McGregors verabredet hatte. Er hatte sich einen etwas abgelegenen Tisch auf seinen Namen reservieren lassen, und als der Kellner ihn dort hin führte, saßen Marian und Mark bereits dort. Marian blickte auf, als er zu ihnen kam, lächelte ihn an und stand – ebenso wie Mark – auf, um ihn zu begrüßen. „Guten Morgen, Robert. Wie geht es Ihnen?“

Robert hatte sich häufig über Johnnys Eltern gewundert, denn in seinen Augen passten ihre Charaktere nicht wirklich zusammen. Marian war meist sehr höflich und offen, war meist freundlich und hörte gerne zu, Mark hingegen war häufig schweigsam und ernst und nach Roberts Auffassung ein strenger Vater, der dennoch immer Stolz auf seinen Sohn war. Die beiden hatten sich, als er Johnny früher immer besucht hatte, sehr oft gestritten – dennoch schienen sich die beiden sehr zu lieben.

Rein äußerlich hingegen passten die beiden sehr gut zusammen. Marians schlanke Gestalt, ihr zierliches Gesicht und ihre brünetten, langen, lockigen Haare, ließen sie ein wenig wie aus einer anderen Welt wirken. Sie war ausgesprochen hübsch. Mark überragte seine Frau vielleicht um zehn Zentimeter und war damit nicht unbedingt ein Riese. Seine Haare waren rötlich, er trug sie kurz und meist ordentlich nach hinten gekämmt. Beide trugen an diesem morgen edle Kleidung, wie sie es eigentlich immer taten: Johnnys Mutter einen dunkelblauen Hosenanzug und eine rote Bluse, sein Vater einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und roter Krawatte.

Während sie sich die Hände schüttelten, hatte Robert das Gefühl, als brächte er es nicht so recht fertig, seine Sorgen, die er hatte, ordentlich zu verbergen. Vielleicht war es die offene Art Marians oder Marks strenges Auftreten, vielleicht aber auch schlicht und ergreifend das Thema, das er mit ihnen zu besprechen hatte: er war unheimlich verunsichert in seinem gesamten Auftreten. „Ich bin froh, dass Sie kommen konnten.“

Marian winkte ab und lächelte ihn freundlich an. „Ach, das ist kein Problem, machen Sie sich keine Gedanken deshalb. Immerhin haben wir uns nun schon seit einer ganzen Weile nicht mehr getroffen. Außerdem haben Mark und ich so die Gelegenheit Johnny mal wieder zu besuchen.“

Die beiden Augenpaare die ihn nun starr fixierten und seine Reaktion beobachteten, nahmen ihm sofort jeglichen Zweifel daran, dass Marian und Mark das Thema, um das sich ihr Gespräch drehen würde, wussten. Es war ihnen durchaus klar, dass Robert sie wegen Johnny hergebeten hatte. Aber woher? War er so durchschaubar? Er musterte Marian, deren aufgesetzte Fröhlichkeit sich in eine ungewohnte Ernsthaftigkeit gewandelt hatte, skeptisch. „Woher...?“

„Meine Dame und die Herren, hier die Karte unseres Restaurants.“

Es gab gute Gründe, die dagegen sprachen, ein derart dringliches Gespräch in einem relativ öffentlichen Raum zu führen. Und Kellner, die zu unpassenden Gelegenheiten auftauchten, gehörten da eindeutig dazu. Robert seufzte ergeben und wollte gerade Anstalten machen, die Karte, die ihm gereicht wurde, entgegen zu nehmen, als Johnnys Mutter sich mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen an den Kellner wandte. „Wir wollen nichts essen, wir sind nur hier um eine Kleinigkeit zu trinken. Das geht doch in Ordnung, nicht wahr?“

Der Kellner blickte etwas verwirrt drein. „Aber natürlich.“

„Nun, dann hätte ich gerne ein kleines, stilles Wasser, bitte“, meinte Marian sanft. „Für mich bitte einen Kaffee. Schwarz“, murmelte Robert und fuhr sich mit seiner rechten Hand über die Stirn. Eigentlich war er reif für sein Bett. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit er das letzte Mal geschlafen hatte. Mark warf ihm einen düsteren Blick zu, ehe er einen Whisky bestellte. Als der Kellner sich schließlich vom Tisch entfernte, wandte Marian sich Robert zu. „Nennen Sie es mütterlichen Instinkt oder wie auch immer. Ihre Reaktion hat nur die Vermutung bestätigt. Was ist mit Johnny? Geht es ihm gut? Ich habe nach Ihrem Anruf versucht ihn zu erreichen, aber er ist nicht ans Telefon und hat auch bisher noch nicht auf die e-Mails reagiert, die ich ihm geschickt habe. Gewöhnlicherweise ist er da sehr zuverlässig.“

„Es ist“, Robert hätte gerne selbst die Art und Weise und den Zeitpunkt bestimmt, Johnnys Eltern über die Geschehnisse zu informieren, aber das ließ sich nun so oder so nicht mehr ändern, „kompliziert.“

„Nichts ist einfach“, kommentierte Mark die Angelegenheit und stieß ein schnaubendes Lachen aus, „Und wenn unser Sohn darin verwickelt ist, dann ist die Sache sowieso meist verzwickter als gedacht.“ Seine Frau warf ihm einen mahnenden Blick zu und er hob entschuldigend die Hände. „Ich sage nicht, dass ich Johnny irgendwelche Vorwürfe mache. Es ist einfach nur eine Tatsache, dass der Junge das Chaos magisch anzieht.“

„Hier sind Ihre Getränke“, während der Kellner die Getränke verteilte, herrschte Schweigen am Tisch. Robert nickte der Bedienung dankbar zu, als ihm der Kaffee gereicht wurde und konnte der Versuchung nicht widerstehen einen Schluck zu sich zu nehmen, ehe er, nachdem der Kellner sich wieder zurückgezogen hatte, mit seiner Erklärung begann. Aber wo sollte er anfangen?

„Wenn es Sie beruhigt, Johnny geht es soweit gut. Er konnte nicht zurückrufen oder sich bei Ihnen melden, weil er bei mir war. Ich habe die letzten Tage dafür gesorgt, dass... es ihm wieder besser geht.“

Marian und Mark wechselten einen kurzen, vielsagenden Blick, der Robert beunruhigte. „Bitte missverstehen Sie das nicht. Johnny hat nichts Falsches getan. Es ist-...“, er brach ab und seufzte leise. „Als ich vor ein paar Wochen auf eBay die Versteigerungen durchgesehen habe, stieß mir die Auktion Salamalyons ins Auge. Ich war verwundert, dass Johnny sein Beyblade verkaufen wollte und habe es ersteigert. Nachdem ich so oder so bereits seit ein paar Monaten in Deutschland war, hatte ich mir gedacht, dass ich einmal nach Johnny sehen sollte und tatsächlich sind wir uns über den Weg gelaufen. Ich habe ihn mir bei Seite genommen und gefragt, was los sei. Johnny behauptete, er hätte noch Schulden bei seinen Dealern. Und die hatten ihn gefunden“, begann er dann erneut und versuchte in den Mienen der Beiden ihre Gedanken zu erkennen, „Aus diesem Grund hat er in jedem Fall dringend Geld gebraucht. Weil er seine Schulden nicht begleichen konnte, haben sie ihn dazu gezwungen-...“, wiederum stockte Robert. Er selbst hatte es am Anfang nicht glauben wollen, was ihm der Schotte mit peinlich berührtem Gesichtsausdruck anvertraut hatte, „Er war einige Zeit lang als... Stricher tätig.“ Robert räusperte sich. Es fühlte sich falsch an, etwas Derartiges laut auszusprechen und die Blicke der beiden Eltern verrieten Entsetzen und Wut. Marian schlug sich die Hand vor den Mund, Mark starrte Robert an, als ob er dadurch herausbekäme, ob er auch wirklich die Wahrheit sprach. Er griff nach dem Whisky und nahm einen kräftigen Schluck, ehe er Marians Hand ergriff.

„Johnny soll...was?!“

In Robert verspürte unweigerlich das Bedürfnis, Johnny zu verteidigen. Seine Eltern sollten nicht noch schlechter von ihm denken, als sie es so oder so vermutlich schon taten. „Es war nichts, was er freiwillig getan hat. Er wurde von seinen Schuldnern dazu gezwungen. Ich bitte Sie, dass Sie ihn deshalb nicht verurteilen. Tatsächlich habe ich ihm, als er mir das mit den Schulden gestanden hat, nicht geglaubt. Da ein Drogentest, den ich veranlasst habe, negativ ausgefallen ist, habe ich ihm als eine Art Test das Geld gegeben, das er gebraucht hat. Ich wollte wissen, wozu er es genau haben wollte und Johnnys Geschichte hat sich in der Tat als wahrheitsgemäß herausgestellt. Doch die Dealer wollten ihn nicht gehen lassen und haben versucht ihn erneut drogensüchtig zu machen“, er schwieg für einen kurzen Augenblick, „Ich habe es geschafft, ihn von diesen Leuten wegzuholen, ehe sie Schlimmeres mit ihm angestellt haben. Er war im Ganzen vier Tage lang bewusstlos und kämpft im Moment mit starken Entzugserscheinungen. Er hat seit seinem Entzug keine Drogen mehr genommen, er war-...“

„Robert“, Marian sah ihn ernst an und verzog ihr Gesicht, fast so, als würde sie Schmerzen empfinden, „Auch wenn wir nicht glücklich über Johnnys Drogensucht waren und sind, so haben wir doch Vertrauen in unseren Sohn. Sie brauchen ihn nicht ununterbrochen zu verteidigen. Nur weil er in solch ein Milieu hineingeraten ist, heißt das nicht, dass wir ihn bereits abgeschrieben haben. Gerade weil Sie so lange Zeit mit ihm befreundet waren, müssten Sie wissen, dass uns Johnny unheimlich viel bedeutet. Egal was er getan haben soll.“ Der Angesprochene nickte stumm und trank noch einen Schluck Kaffee.

„Wie geht es ihm?“, fragte Mark und drehte sein Glas ein wenig in seiner Hand hin und her.

„Es ist immer noch sehr erschöpft und mitgenommen, aber er ist inzwischen wieder längere Zeit bei Bewusstsein. Vor allem aber beunruhigt mich das, was er mir gestern Abend erzählt hat. Er hat mich darum gebeten, dass ich Ihnen die Angelegenheit erkläre.“

Die Beiden sahen ihn verwirrt an.

„Ich habe ihn dazu gebracht mir zu erzählen, wie das Ganze angefangen hat und ich muss Ihnen leider mitteilen, dass-...“, er holte tief Luft, schaffte es aber nicht, den Satz zu Ende zu führen, „Die ganze Drogensache war der verzweifelte Versuch eine ganz andere Sache zu verdrängen. Vielleicht war es auch ein stiller Schrei nach Hilfe. Ich glaube, dass Johnny die Angelegenheit inzwischen stark verdrängt hat. Wenn man ihn nicht darauf anspricht, ist sie ihm nicht mehr präsent.“

„Worum geht es?“, hakte Mark angespannt nach und Robert wusste, dass er dadurch, dass er um den heißen Brei herumredete, niemandem einen Gefallen tat. Robert sprach diesmal leiser, um sicher zu gehen, dass auch wirklich niemand die folgenden Worte mitbekam, die Johnny ihm im Vertrauen verraten hatte: „Sexueller Missbrauch.“

Hatten Johnnys Eltern bisher zwar schockiert, aber dennoch gefasst gewirkt, bröckelten allmählich ihre Masken und den Beiden stand einfach nur noch die nackte Angst um ihren Sohn ins Gesicht geschrieben. „Wie-...?“

„Ich möchte hier nicht alles laut aussprechen, was Johnny mir anvertraut hat. Ich werde Ihnen die Einzelheiten später noch erklären, aber bevor ich fortfahre möchte ich Ihnen nahe legen, worum mich Johnny bat. Er hatte bisher große Angst davor, dass Sie von dieser Sache erfahren, dass überhaupt jemand dahinter kommt, dass das Ganze öffentlich wird. Ich musste ihm sehr lange gut zu reden, ehe ich ihn soweit hatte, dass er mir erlaubt hat, Ihnen alles zu erzählen, damit Sie entscheiden, was nun genau geschehen soll. Er will diese Entscheidung nicht übernehmen. Und noch eines: Es hat einen guten Grund, dass ausgerechnet ich Ihnen die Geschehnisse berichten soll. Bitte sprechen Sie ihn nicht auf das an, was ich Ihnen erzähle. Wenn er bereit dazu ist, wird er von selbst auf Sie zu kommen. Drängen Sie ihn nicht, tun Sie in seiner Gegenwart einfach so, als hätten Sie niemals etwas von den Geschehnissen erfahren. Das waren seine Bedingungen.“

„Das ist... denke ich, in Ordnung...“, meinte Mark McGregor und blickte betreten zu Boden, „Es schockiert mich nur, dass unser Sohn so eine unheimliche Angst vor uns zu haben scheint.“

„Es hat nichts mir Ihnen zu tun. Er schämt sich unheimlich für das, was passiert ist. Das ist auch der Grund, warum er dreieinhalb Jahre lang mit keiner Menschenseele darüber gesprochen hat“, Roberts Gesichtsausdruck verriet Unbehagen, „Ich muss zugeben, dass ich selbst darüber schockiert bin, dass bei mir die Alarmglocken damals nicht geklingelt haben. Ich hielt Johnnys plötzlichen Verhaltensumschwung zu dieser Zeit selbst für eine seiner Launen. Jetzt, wo ich weiß, was dahinter gesteckt hat, ist mir natürlich der Zusammenhang bewusst geworden.“

Mark atmete tief durch, während Marian Robert verbissen anblickte. „Worum handelt es sich nun genau? Wer war es? Wie kam es dazu?“

„Der Golftrainer, nicht wahr?“, murmelte Mark und ließ Marians Hand los, um in Roberts Richtung zu deuten, „Es würde erklären, warum er von heute auf morgen sämtliches Interesse an dem Sport verloren hat, warum er plötzlich nicht mehr an Wettbewerben teilnehmen wollte. Ich dachte, er hätte den Spaß verloren, weil er eine Niederlage eingesteckt hat. Beim Beybladen hatte er oft ähnliche Anwandlungen gezeigt...“

„Aber trotzdem ist er noch zum Training gegangen“, fügte Marian hinzu und warf Robert einen bittenden Blick zu, endlich die ganze Angelegenheit aufzudecken.

„Johnny war anfangs recht glücklich und zufrieden mit seinem neuen Trainer. Die ersten drei Monate verliefen ohne größere Probleme“, er verschränkte seine Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl ein wenig zurück, „Er hat gesagt, dass er den Kerl richtig bewundert hat. Bis... nun ja, bis er einmal zu spät zum Training kam. Als eine Art... Strafe kam es damals in der Umkleidekabine zum ersten Übergriff. Laut Johnny hat er die ganze Aktion gefilmt und ihm gedroht die Bilder öffentlich zu machen, wenn er darüber auch nur ein Sterbenswörtchen verlieren würde.“

„Hätte er das getan, hätte er sich doch ins eigene Fleisch geschnitten!“, murmelte Marian aufgebracht, die damit begonnen hatte, eine ihrer Haarsträhnen immer wieder um ihren rechten Zeigefinger zu drehen.

„Vielleicht, ja. Aber er wusste auch, wie er Johnny einzuschätzen hatte. Er hat unheimlich viel Stolz in sich, den er verletzt sah. Selbst wenn er den Trainer angezeigt hätte, wäre die Sache bekannt geworden. Die Presse hätte vermutlich irgendwie davon Wind bekommen. Und öffentlich als Vergewaltigungsopfer da zu stehen... Johnny hat gesagt, dass er danach nicht mehr zum Training wollte, er hat sich krank gestellt und ist nicht zur nächsten Unterrichtsstunde hingegangen. Da hat ihn der Trainer angerufen und ihn wiederum mit den Aufzeichnungen erpresst. Also ist er wieder gekommen. Es kam zu einem zweiten Übergriff, als Strafe für das Fehlen. Künftig kam er wieder regelmäßig. Anfangs kam es ihm so vor, als wäre alles wieder so, wie vor den beiden Missbräuchen, auch wenn er vor seinem Trainer eine furchtbare Angst entwickelt hat. Tatsächlich gab es später noch weitere Übergriffe. Immer als Strafe für Johnnys Versagen deklariert. Als sei er quasi selbst daran Schuld, dass ihm etwas Derartiges widerfuhr. Und nach einem Jahr sagte ihm der Kerl, dass er nicht mehr zu kommen bräuchte. Damit hatte zwar die Folter ein Ende, aber dadurch war die ganze Angelegenheit nicht vergessen. Er fühlte sich noch schlechter und als sich letzten Endes noch Mina von ihm getrennt hat, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, dass Johnny weder mit ihr sprach, noch sie irgendwie an sich heran ließ, hat er versucht alles einfach zu verdrängen. Dabei stieß er dann auf die Drogen. Das war dann der Moment, als er sich nach außen hin wieder einigermaßen normalisierte. Und über seiner Sucht und den dadurch entstandenen Problemen hat er die ganze Sache ziemlich erfolgreich verdrängt.“

Betroffen blickten die beiden Angesprochenen ihn an und es herrschte einige Zeit schweigen, ehe Mark einen Arm hob, um den Kellner zu signalisieren, dass sie gerne zahlen würden. „Ich... Wir würden Johnny jetzt gerne sehen.“
 

Der Kellner hatte sich glücklicherweise nicht unnötig viel Zeit gelassen, sodass sie sich relativ schnell auf den Weg zu Roberts Hotelsuite machen konnten. Nachdem sie den Aufzug in das oberste Stockwerk genommen hatten, folgten die beiden McGregors Robert, der bestimmt den Weg in Richtung der Suite einschlug. Der Gang des Hotels war sehr edel, der Teppich purpurrot, an den Wänden hingen teure Gemälde. Die Gästezimmer waren allesamt gut isoliert – wie man es eben von einem Luxushotel zu erwarten hatte – sodass nur die leise dahin perlende Musik zu hören war, die den Hotelgästen ihren Aufenthalt in den Gängen angenehmer machen sollte.

Als sie sich allmählich der Zimmertür näherten, erschien es Robert ungewöhnlicher Weise fast so, als wäre die Tür nur angelehnt. Besorgt beschleunigte Robert seinen Schritt und musste schließlich feststellen, dass seine Beobachtung einer Tatsache entsprach. Beunruhigt öffnete er die Tür ein weiteres Stück und wollte gerade eintreten, als plötzlich ein schriller Aufschrei die Stille durchbrach und die Suite von einem gleißenden Licht geflutet wurde. Genauso abrupt, wie es hell geworden war, wurde es wieder dunkel.

Eilig stolperte Robert, nachdem er sich von seinem ersten Schock erholt hatte, in die Räumlichkeiten und in das Wohnzimmer hinein. Sein erster Blick fiel auf Johnny, der lediglich in dem langen Hemd, das Robert ihm zum Schlafen geliehen hatte, zitternd mit dem Rücken an der Wand lehnte und langsam in sich zusammensackte. Tränen liefen ihm über seine Wangen, er hatte überall Kratzer und Schrammen und das Hemd war blutverschmiert. Er presste seine Hand gegen den rechten Oberschenkel und schluchzte vor Schmerz laut auf.

Roberts Augen wanderten zum linken Teil des Zimmers, in dem der leblose Körper eines ihm nicht ganz unbekannten Mannes lag. Er hatte ihn bereits einmal gesehen. Dieser und ein anderer Kerl hatten Johnny seinerzeit vom Bahnhof ‚abgeholt’, um ihn ihrem Chef vorzuführen. Er trug die Service-Uniform des Hotels. Vermutlich hatte ihn Johnny deshalb überhaupt erst in die Suite gelassen.

Neben ihm lag ein Messer, in seiner Hand hielt er eine Schusswaffe. Allem Anschein nach hatte er vorgehabt Johnny umzubringen. Woher hatte der Kerl gewusst, wo er Johnny finden konnte? Und wie hatte dieser es geschafft, den Angreifer nieder zu strecken?

Ein erneutes Wimmern riss Robert aus seiner kurzzeitigen Starre und er lief hastig auf den Verletzten zu. „Johnny!“, Mark und Marian waren Robert gefolgt und stürzten nun ebenfalls auf ihren Sohn zu, der inzwischen fast so aussah, als kämpfe er damit, nicht jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren. Während Robert sein Bestes tat Johnny gut zuzureden und ihn soweit zu beruhigen, erfassten Marian und Mark die Situation sofort auf eine ganz andere Art und Weise. Obwohl ihnen die Beunruhigung ins Gesicht geschrieben stand, reagierten sie recht gefasst und pragmatisch. Robert wusste, dass sie keine Menschen der großen Worte, sondern der Taten waren. Und so handelten sie auch.

Johnnys Mutter bedachte zuallererst die verdeckte Verletzung mit einem besorgten Blick. Sie zog ihm die Hand von der Wunde, was ihn dazu veranlasste, gequält aufzustöhnen. An ihrem Gesichtsausdruck konnte Robert erkennen, dass sie scharf nachdachte.

Währenddessen stand Mark McGregor etwas abseits und rief mit seinem Handy die Polizei und einen Krankenwagen.

„Es ist ziemlich tief“, murmelte Marian besorgt und blickte düster drein, „Wir müssen irgendwie die Blutung stoppen, bis die Sanitäter hier sind.“ Sie sah sich kurz um, stand dann auf, eilte ins Schlafzimmer und kam kurzerhand mit dem Bezug des Kopfkissens in der Hand wieder heraus. „Robert, ich bräuchte Ihren Gürtel, falls das okay ist...“

Bevor sie zu ihrem Sohn zurückkehrte, lief sie an der kleinen Hotelbar vorbei und besah skeptisch ein paar der kleinen Hotelflaschen, ehe sie sich dann drei davon schnappte und mit zu Johnny nahm. Als sie sich schließlich setzte, reichte ihr Robert seinen Gürtel und sie nickte ihm dankbar zu. „Sie müssten ihn für einen kurzen Augenblick fest halten, denn das wird jetzt mit Sicherheit weh tun...“ Sie legte die Sachen neben sich und schob den Hemdstoff etwas nach oben, dann griff sie nach der ersten Flasche und öffnete diese.

„Hör zu, Johnny. Ich werde die Wunde jetzt desinfizieren. Das wird ein wenig brennen. Aber du schaffst das, okay?“, meinte sie leise und berührte Johnny sanft am Handgelenk. Der Angesprochene schaffte es ein leichtes Nicken anzudeuten, verkrampfte sich jedoch deutlich. Er blickte seine Mutter aus den Augenwinkeln heraus an, wobei Robert bezweifelte, dass er durch den Tränenschleier sonderlich viel erkennen konnte. Vermutlich beruhigte es ihn einfach, überhaupt zu wissen, dass da seine Eltern waren und sich um ihn kümmerten.

Ehe Marian nun mit ihrer Behandlung fortfuhr, kramte sie in ihrer Handtasche nach einer Packung Taschentücher. Sie leerte sie und tränkte das erste der Tücher mit Alkohol und begann vorsichtig damit, das Blut um die Wunde herum ein wenig zu entfernen. Als das erwartete Brennen ausblieb, als seine Mutter sein Bein berührte, schaffte es Johnny tatsächlich, seine Verspannung ein wenig zu lösen. Robert wurde klar, dass das Marians Absicht gewesen war. Wie als Entschuldigung warf sie ihrem Sohn einen kurzen Blick zu und schüttete dann die alkoholische Flüssigkeit knapp oberhalb der Verletzung auf Johnnys nacktes Bein. Es folgte ein lauter Schmerzensschrei und panisch versuchte sich der Verletzte aus Roberts Griff zu befreien, der ihn jedoch weiterhin an den Schultern festhielt.

„Ganz ruhig, Johnny. Du machst das sehr gut...“, Marian berührte ihn sanft am Arm, wusste jedoch, dass das nicht sonderlich beruhigend sein würde. Es tat höllisch weh, so viel stand fest, und Johnny war vermutlich im Moment im Geiste mit anderen Dingen beschäftigt als mit dem Versuch all das von der Notwendigkeit her zu sehen.

„Mum...“, die Stimme bebte vor Schmerzen und klang erstickt vom Weinen. Johnny blickte sie flehend an und wirkte wie ein Häufchen Elend. Seine Mutter zwang sich zu einem Lächeln, strich ihm die Haare aus dem Gesicht und gab ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn. „Du hast es bald geschafft.“

Nachdem ihr Sohn sich etwas beruhigt hatte, fuhr sie sie mit der provisorischen Behandlung fort. Sie presste den weißen Stoff, den sie vorher etwas zusammen gelegt hatte, auf die Wunde und Johnny zuckte mehrmals zusammen. Robert ließ von seinem Griff ab und streckte, während er Marians Arbeit beobachtete, seine Hand aus, um Johnnys Hand zu halten, doch Johnny hielt irgendetwas fest umklammert. Verwirrt blickte Robert hinab und erkannte Salamalyon. Das Beyblade schnitt Johnny in die Haut, dieser schien das überhaupt nicht zu realisieren.

Über all dem Schreck hatte Robert gar nicht mehr daran gedacht, dass er den kleinen Kreisel mit einer Nachricht neben Johnny auf das Kopfkissen gelegt hatte. Die Versteigerung Salamalyons hatte ihn überhaupt erst zu Johnny geführt, er hatte den Schotten anfangs eigentlich mit dem Blade konfrontieren wollen, im Endeffekt war es anders gekommen.

Nach der letzten Nacht hatte es Robert für sinnvoll gehalten, Johnny zumindest eine kleine Freude zu bereiten und ihm den Kreisel samt BitBeast zurück zu geben. Natürlich hatte Johnny das Geld gebraucht, dennoch schockierte es Robert immer noch, dass er das Beyblade einfach so samt Bitchip verkauft hatte. Auf der anderen Seite... klar, Johnny hatte mit dem Bladen aufgehört und jeden Cent, den er hatte zusammen kratzen können, hatte ihn davor bewahrt mit einem weiteren Kunden schlafen zu müssen.

Als Robert Anstalten machte, Salamalyon aus Johnnys Hand zu entfernen, riss dieser seine Hand bei Seite und sah ihn schockiert – und fast ein bisschen empört – an. Fast so, als sei es nicht sein Recht, den Kreisel aus Johnnys Hand zu nehmen.

„Johnny, halt still!“, war die strafende Bemerkung Marians, doch der Angesprochene stierte sein Gegenüber nur weiterhin vorwurfsvoll an und dieser fragte sich für einen kurzen Moment, ob seine Handlung wirklich derart falsch gewesen war. Erst jetzt, als er Johnny direkt ins Gesicht sah – bisher hatte er größere Sorge um dessen Verletzung gehabt – fiel Roberts Blick jedoch auf Johnnys Hals. Er trug eine Kette. Die er bei diesem noch niemals vorher gesehen hatte. Sie war recht eng anliegend, hatte ein simples Band und vorne hatte sie einen kleinen, runden Anhänger, auf dem eine stilisierte orangerote Flamme abgebildet war, die für einen kurzen Augenblick aufleuchtete.

Schlagartig wurde Robert die Bedeutung des gleißenden Lichtes bewusst, das er bei dem Betreten der Wohnung wahrgenommen hatte: Salamalyon hatte seinen Herrn beschützt. Und damit er nicht wieder auf den dummen Gedanken kam, ihn erneut abzugeben, hatte er ihm eine Art Halsband verpasst.

Robert hob entschuldigend beide Hände und lächelte Johnny freundlich an, als er an der Schulter angetippt wurde. Es war Mark McGregor, der ihn auf seine sachliche Art musterte: „Ich weiß, dass Sie schon viel für uns getan haben, Robert, aber könnten Sie sich auch noch um das Problem da hinten kümmern?“ Er deutete auf den bewusstlosen Mann und Robert nickte, als er sich erhob, um Mark Platz zu machen, dass er sich zu seinem Sohn setzen konnte. „Natürlich.“

Robert hatte Verständnis dafür, dass die beiden Eltern ihrem Kind jetzt nahe sein wollten und er selbst fühlte sich ein wenig schlecht, weil er sich nicht bereits vorher darum bemüht hatte, den Handlanger des Dealers zu entwaffnen und zu fesseln, bis die Polizei schließlich eintreffen würde.
 

Johnny hatte die Operation gut überstanden und nachdem er für kurze Zeit wieder bei Bewusstsein gewesen war, hatte ein Arzt seine Eltern und Robert aus dem Raum geschickt, damit Johnny noch etwas schlafen konnte.

Während der junge Schotte im OP gelegen hatte, hatte die Polizei sie ziemlich ausführlich zu dem Angriff auf Johnny befragt, was Robert sehr unangenehm gewesen war. Er kannte inzwischen fast die gesamte Geschichte und war sich nicht sicher gewesen, inwieweit er Details einfach so weiter geben konnte. Er wollte zwar nicht lügen, aber genauso wenig war es in seinem Sinn, wenn plötzlich wieder irgendwelche Gerüchte über Johnnys Privatleben aufkeimen würden. Die McGregors hatten die Polizei um äußerste Diskretion gebeten, aber die Realität sah leider etwas anders aus. Tatsächlich hatte die Presse bereits von der Messerattacke und dem Mordversuch auf Jonathan McGregor Wind bekommen, sodass die ganze Angelegenheit nun noch problematischer wurde. Inzwischen hatten die Polizei und die verantwortlichen Ärzte die Reporter und Journalisten des Krankenhauses verwiesen, aber deshalb brachen die Versuche ein exklusives Interview zu erhalten nicht ab.

Marian und Robert hatten sich vor Johnnys Krankenzimmer auf ein paar Sitzgelegenheiten niedergelassen, während Mark mit ernstem Blick die Polizeiwache anstierte, die die Tür, die in das Zimmer seines Sohnes führte, bewachte. Fast so, als werfe er dem Mann vor, dass er nicht länger bei Johnny hatte bleiben können.

„Bleiben Sie stehen, Miss! Sie dürfen hier nicht hinein! Der Zutritt ist nur für Familienmitglieder und Personal gestattet!“, der strenge Ruf hallte den Gang entlang und die Anwesenden wandten sich verwirrt in Richtung des Wachmanns, der den Krankenhausgang kontrollierte um.

„Sie haben mir das schon mal gar nicht zu verbieten!“ Ein jugendliches Mädchen stapfte – dicht gefolgt von einem Polizisten – auf sie zu. Ihre Kleidung erinnerte stark an eine Schuluniform. Sie trug eine weiße Bluse, über die sie eine rote Jacke mit einem aufgestickten Emblem trug, schwarzer Rock, der ihr bis zu den Knien ging, weiße Söckchen und schwarz glänzende Lackschuhe. Ihre brünetten Haare waren kurz geschnitten und hinterließen einen wilden Eindruck – ganz im Gegenteil zu ihrer gepflegten Erscheinung, die auf eine wohlhabende Familie schließen ließ. In diesem Moment schien sie jedoch äußerst gereizt.

„Wissen Sie eigentlich, dass ich die letzte Stunde in einem Flugzeug verbracht habe und wie viel Mühe es mich gekostet hat, mich durch diese Unmasse an Reportern vor dem Krankenhaus hindurch zu kämpfen?! Also lassen Sie mich bloß mit Ihren Zurechtweisungen in Ruhe!“

Robert beobachtete, wie der Wachmann an der Tür Anstalten macht, seinem Kollegen zur Hilfe zu eilen.

„Miss, wenn Sie nicht sofort stehen bleiben, sehe ich mich dazu gezwungen Sie zu verhaften!“

„Wenn Sie es wagen, mich auch nur anzufassen, dann werden Sie-...“

„Es ist schon in Ordnung“, mischte sich Marian McGregor ein und deutete den beiden Polizisten an, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, „Sie gehört... zu uns.“

„Sehen Sie! Ich habe es Ihnen gesagt!“, rief das Mädchen aus, die beiden Polizeiangestellten bedachten Sie mit einem skeptischen Blick und gingen auf ihre Posten zurück. Doch damit besserte sich die Laune der Wütenden keinesfalls: „Ich will jetzt endlich einmal wissen, was hier los ist! Heute Vormittag sehe ich eine e-Mail von Johnny in meinem Posteingang, in der er sich groß und breit bei mir entschuldigt und plötzlich kursiert überall die Nachricht von einer Messerattacke auf den Vollidioten!“

„Es ist soweit alles in Ordnung mit ihm, Mina. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, während seine Frau das Mädchen anlächelte, hob Mark McGregor eine Augenbraue und strafte sie mit einem düsteren Blick. Mina nickte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Und wo ist er? Kann ich ihn sehen?“

Marian schüttelte stumm den Kopf, als erneut Unruhe am vorderen Eingang ausbrach. Diesmal schaffte es der Wachposten erfolgreich, die beiden Ankömmlinge am Eindringen zu hindern. Diese machten jedoch auch keinerlei Anstalten, sich an ihm vorbei zu drängen, wie es Mina zuvor getan hatte.

„Bitte, wenn Sie die McGregors einfach fragen würden, würden sie Ihnen bestätigen, dass wir mit Sicherheit keine Reporter sind!“

„Dennoch ist der Zugang nur für Familienangehörige und Krankenhauspersonal ge-...“

„Also meinen Sie, dass wir erst zwei Ärzte überfallen und uns als solche ausgeben sollen, ehe Sie uns hier durch lassen?“

„Das war es nicht, was ich meinte-...“

Angelockt von den bekannten Stimmen war Robert aufgestanden und blinzelte erstaunt in Richtung des Eingangs, wo Oliver und Enrico standen, die er nun sicherlich seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Als der Italiener ihn bemerkte, klappte ihm fast förmlich die Kinnlade herunter. Robert lächelte ihn an und legte den Kopf ein wenig schief: „Johnnys Terminplan für den heutigen Tag scheint ziemlich voll gestopft zu sein...“

Nun fixierte ihn auch Oliver und sah ihn an, als würde er einen Geist sehen.

„Da sich unser liebes, kleines Wrack zur Zeit im Land der Träume befindet, denke ich, dass es keinen so wirklichen Sinn ergibt, sich hier im Gang zu versammeln. Außerdem muss ich zugeben, dass ich heute noch nichts gegessen habe“, der Wachmann machte Robert den Weg frei, als er zu den Beiden trat.

Oliver und Enrico tauschten einen kurzen, verunsicherten Blick, folgten ihm jedoch, als er den Weg in Richtung Aufzug einschlug. Als sich die Türen des Lifts hinter ihnen geschlossen hatte, durchbrach Oliver plötzlich die Stille: „Robert, was machst du hier? Ich meine... es ist nicht so, dass wir uns nicht freuen – aber... Nun ja, bei Johnny hätten wir dich nicht unbedingt erwartet. Hat er dir auch eine e-Mail geschrieben?“

Der Angesprochene lächelte, „Nein, das nicht...“

„Warum bist du dann hier?“

„Nun... Das ist eine lange Geschichte...“
 

~*~



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Von:  Venka
2014-02-19T17:06:34+00:00 19.02.2014 18:06
Ja... - Am Ende merkt man dann doch, dass man Freunde braucht und dass es doch meist die Personen sind, von denen man denkt, dass sie einen wegen eines solchen Ausrutschers verstoßen würden, die dann doch immer noch zu einem halten. - Die meisten Eltern sind eben so und es ist gut, dass Johnnys Eltern das auch so sehen. Blut ist dicker als Wasser, sagt man...

Ich persönlich kenne das von Roberts Seite aus. Und ich kann bestätigen, dass sich diese Leute nur sehr schwer helfen lassen wollen, denn sie sehen die Gefahr selber nicht, oder wollen sie im kurzen Rausch des Glücks nicht sehen. An sie heranzukommen ist meist sehr schwer, aber wenn man sie nicht aufgibt, kann man ihnen auch noch helfen. Das war sehr authentisch rübergebracht und ich finde es gut, dass Robert an der Stelle seinen Freund nicht aufgegeben hat. Auch das ist nicht leicht...

Das Ende hat wirklich den Anschein eines Happy Ends und ich hoffe mal für Johnny, dass er sich mithilfe seiner Freunde wieder ganz fangen kann.

Ein wirklich schönes, langes Kapitel, das nachdenklich macht...

LG

Venka
Antwort von:  Phase
20.02.2014 14:31
Auch für diesen Kommentar ein herzliches Dankeschön!
Ich glaube, wenn man in einer schwierigen Lage ist, will man sich oft anderen nicht offenbaren - aus Angst schlecht(er) dazustehen. Dabei sind es gerade die Menschen, die einem nahe stehen, die einen unterstützen und einem weiterhelfen können. In Johnnys Fall war es wohl Glück im Unglück, dass Robert so beharrlich war.

Ich kenne weder die eine noch die andere Seite aus eigener Erfahrung allzu gut (gerade auf das Drogenproblem bezogen), aber umso mehr bin ich wirklich erleichtert, dass ich die Figuren und ihr Verhalten authentisch herüber gebracht zu haben scheine. Das ist für mich ein großes Lob - vielen Dank!

In jedem Fall: Vielen herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!
Liebe Grüße,
Phase
Von:  Venka
2014-02-19T16:33:46+00:00 19.02.2014 17:33
Ziemlich heftig das Ganze und ich muss gestehen, ich bin etwas geschockt.

Alleine die Vorstellung, Johnny und diese beiden, besagten Dinge... - Ich wage gar nicht sie auszusprechen, aber das hat andere Gründe. Grade eben überlege ich mir so, ob es denn richtig war, die FF jetzt zu lesen, wo ich eh grade im Stress bin und mich am liebsten auch einigeln möchte, aber das sei mal dahingestellt.

Die Athmosphäre ist sehr gut eingefangen und man kann sich sowohl in die Situation als auch in Johnny sehr gut hineinversetzen. Dass am Ende noch das sozusagen "dicke Ende" kommen musste, war mir zwar von vornherein klar, aber dass es so werden würde, damit hätte ich nun auch nicht gerechnet.

Na ja, mal sehen ob ich heute noch das zweite Kapitel schaffe, aber wenn dann werd ich auch da noch ein Kommi hinterlassen.

LG
Venka
Antwort von:  Phase
20.02.2014 14:18
Vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar!
Ja, die Inhalte der Geschichte sind etwas heftiger. Ich muss zugeben, dass weder ich noch jemand aus meinem direkten Umfeld Drogenerfahrungen gemacht bzw. sich dazu mir gegenüber geäußert hat. Ich habe mich darum bemüht, ordentlich zu recherchieren, habe mich ein wenig von Filmen inspirieren lassen und mir einfach vorgestellt, wie ich mich wohl fühlen würde. Ich hoffe, ich habe es einigermaßen ordentlich eingefangen - gerade bei solchen kritischen Themen finde ich es durchaus wichtig, sie ernst zu nehmen und nicht zu beschönigen.
Ich weiß gerade allerdings nicht, ob ich mich jetzt freuen soll, dass ich die Atmosphäre gut eingefangen habe (Danke für das Lob!) oder nicht (sorry, dass du dich deswegen jetzt nicht so gut fühlst... :( ).

In jedem Fall Danke für deinen Kommentar, er hat mich sehr gefreut. Und ich drücke dir ganz fest die Daumen und wünsche dir das Beste, dass es dir bald wieder besser geht!
Liebe Grüße,
Phase
Von:  Ray-chan
2013-08-13T15:50:24+00:00 13.08.2013 17:50
Ich habe schon mehrere Filme über Drogen gesehen und muss sagen, dass du die Geschichte sehr gut und glaubhaft rübergebracht hast. Ich selber hatte zwar nie Kontakt damit aber ich denke, dass die Gefühle und Gedankengänge sehr realitätsnah sind. Grade bei solch einem Thema finde ich es sehr schwierig es plausibel zu vermitteln. Dir ist es aber sehr gut gelungen. Die Gefühle der Charaktere, vor allem von Johnny, sind gut nachvollziehbar. Von Anfang bis Ende hältst du durchgehend eine gewisse Spannung, sodass man unbedingt weiter lesen und wissen will, was als nächstes passiert. Die Entwicklung der Charaktere gefällt mir auch sehr gut. Anfangs ist Johnny zurückhaltend und in sich gekehrt und zum Ende hin öffnet er sich (dank Robert). Das Ende ansich finde ich sehr schön, da es den Anschein eines "Happyends" macht. Allerdings ist hier dem Leser selber überlassen, sich den weiteren Verlauf der Geschichte vorzustellen. Johnny scheint verstanden zu haben, dass er seine sozialen Kontakte wieder aufbauen muss.

Eine gewisse Moral kommt rüber. Einmal in der Spirale gefangen ist es nur sehr schwer ihr wieder zu entkommen. Aus eigener Kraft ist dies oft nicht möglich. Auch Johnny war auf die Hilfe von Robert angewiesen, wobei er es anfangs nicht wahr haben wollte. Er war in sich selbst gefangen und Robert hat es geschafft seine Fassade zu durchbrechen, indem er an ihn geglaubt hat. In den dunkelsten Momenten des Lebens sind Freunde eben unerlässlich. Auch die Eltern hatten ihn nicht verstoßen, wie er sich eigentlich gedacht hat. Sie haben sich nach wie vor Sorgen gemacht.

Die Stelle mit dem Bitbeast finde ich auch sehr schön. Alleine der eine Satz mit dem Licht hat gereicht, dass ich mir genau vorstellen konnte, dass ihn Salamalyon beschützt hat. Eine weitete Stelle wo Johnny gezeigt wird, dass er nicht alleine ist.

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass du hast einen schönen Schreibstil hast. Du beschreibst Details wo sie wichtig sind und die Geschichte ansich hat einen guten Lesefluss.

Beyblade-Rekommentar
Antwort von:  Phase
13.08.2013 21:44
Vielen herzlichen Dank für deinen sehr umfangreichen Kommentar!
Es freut mich sehr, dass ich die Handlung der Geschichte gut 'rüber bringen konnte und der Verlauf auch nachvollziehbar erscheint.
Ich muss zugeben, dass ich mich selbst auch nicht allzugut mit Drogen auskenne, mich jedoch für die Geschichte umfangreich eingelesen habe bzgl. Entzug usw. Es freut mich sehr, dass sich das allem Anschein nach ausgezahlt hat.
Danke dir auch für das Kompliment für meinen Schreibstil. Das ist ein wirklich sehr nettes Lob! :)

Lieben Dank für denn Kommentar und liebe Grüße,
Phase
Von:  oODestinyOo
2011-07-25T12:09:14+00:00 25.07.2011 14:09
Gott, ich liebe das Kapitel so sehr wie das erste, es ist einfach grandios^^
Von:  ChogaRamirez
2011-07-19T19:39:14+00:00 19.07.2011 21:39
Harter Tobak, denn du da schreibst. Ein sehr schwieriges Thema, aber du hast es wirklich gut umgesetzt.
Von:  Zaekka
2009-08-29T21:46:03+00:00 29.08.2009 23:46
Diese FF ist wirklich toll! Deprimierend, aber toll. o.o
Warum läuft es bei dir eigtl fast immer darauf hinaus, dass die Charaktere am Schluss doch noch einen Schicksalsschlag erleiden müssen? ;_;

Die Atmosphäre der Geschichte ist dir wirklich prima gelungen. Man kann sich sehr gut in Johnny hinein versetzen. Was gleichzeitig großartig und grausam ist. Schließlich wurden zumindest mir zusammen mit Johnny die Hoffnungen zerfetzt. D:

Ich hoffe, Robert nutzt sein vieles Geld, um diesen Dreckskerlen die Hölle heiß zu machen! >.<
Von:  KradNibeid
2009-07-05T15:21:42+00:00 05.07.2009 17:21
GNAAAAAAAH! Das Ende stört mich jedes mal wieder. Ich hasse diese Idioten! D=<

Und Robert ist auch blöd. Und Johnny. Und überhaupt. Die sind alle so doof in der Geshcichte. >.<
Ich mein, es passt alles zusammen, aber... aber... aber!

Es ist einfach unfair dass in der Geschichte so viel schief geht. Ich meine, klar, das macht sie gerade so toll, aber es ist nervenaufreibend. Dabei hätte doch alles so toll werden können... Aber nein, es muss ja schief gehen / ein offenes Ende geben. Gnah.

Andererseits kann cih jetzt in meinem Kopf weiterspinnen wie Robert einen Haufen Kopfgeldjäger auf die Deppen ansetzt, die dann eingefangen/ershcossen werden, während er Johnny in eine Entziehungsklinik schickt. Am Ende vertrauen sich die beiden wieder, allse sind Glücklich, und plötzlich kommen die Drogenleute zurück und alles geht von vorne los. =D


Aber zum Glück bist du nciht ich, sonst könnte dieser Ablauf wirklich so kommen. *hust*

Wie ich seinerzeit schon sagte finde ich es erstaunlich wie authentisch die Geschichte wirkt.

Und mehr fällt mir jetzt leider nicht ein. D=

Aber nach wie vor mag ich die Geschichte. =D
Von:  Sketchymoth
2009-06-14T14:22:21+00:00 14.06.2009 16:22
Obwohl ich die FF schon kannte, finde ich sie immer noch eklig. Und erschreckend. >_<’
Außerdem ist es doch wohl eigentlich klar, dass die ihn trotz des Geldes nicht gehen lassen, oder? Das ist fast immer so. Aber anscheinend hat Robert auch so weit gedacht, wenn ich zu dem Schluss kommen darf, dass er die Bullen angerufen hat. O.o
Und außerdem war ja wieder (oder, weil ich die FF ja schon kenne: immer noch) klar, dass du den armen Johnny immer so quälen musst. x_x … xD’
Die FF finde ich jedoch immer noch sehr gelungen, die Charaktere sind doch recht beibehalten worden. Johnny ist wohl etwas wortkarger, aber bei den Erfahrungen ist das ja kein Wunder. ;_; *Johnny knuddel*
Hoffentlich bekommt er jetzt die richtige Hilfe, um von dem Scheiß wieder loszukommen. Und woanders studieren sollte er auch, meiner Meinung nach. Nur dann stellt sich natürlich die Frage, ob ihn seine Eltern unterstützen… Andererseits könnte Robert ihn ja auch unter seine Fittiche nehmen. >.<
Hm, was mir sonst noch hin und wieder aufgefallen ist, sind ein paar kleine Schreibfehlerchen. Wenn du die noch ausbesserst, ist eigentlich alles wirklich sehr gut, so wie es ist. :)
Übrigens noch einmal danke, dass du dir so viel Mühe für mich gemacht hattest! >.< Und ich finde das Thema wirklich interessant. ;)
*knuddel*
Liebe Grüße
Clau ^^



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