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Neu im Chaos

Chris und Ryan One
von

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Was sind denn Emos?

Ich schleppte gerade die letzte Kiste dieser Treppe hoch die zu der neuen Wohnung meiner Familie führte. Als es draußen zu regnen anfing, hatte ich endlich alles von mir in meinem Zimmer. Betrübt schaute ich aus meinem Fenster. Dieses Wetter passte perfekt zu meiner Stimmung. Trüb und Grau. Mir fiel ein dass ich etwas im Auto liegen gelassen hatte. Ich lief noch mal schnell die Treppen hinunter. Am Ende der letzten Treppe stand meine Mutter die mit ernstem Blick raus auf die Straße blickte und beobachtete wie mein Vater einer ihrer Kisten von Laster hob.

“Es sind schon alle Kisten ausgeladen, Chris. Du musst nicht mehr raus. Geh lieber und räum dein Zimmer auf”, sagte sie.

Vater kam durch die Tür gelaufen. Seine Kleider waren vollkommen durchnässt. Von seinem Kinn tropfte es runter auf den Karton denn er anscheinend mit großer Anstrengung die Stufen hoch trug. Er hinterließ dunkle Fußspuren die meine Mutter wiederum umfriedig stimmten. Da sie das ja wieder weg putzen musste, sowie so war sie den ganzen Tag über mies gelaunt weil es in unsere Wohnung eher wie bei Hempels unterm Sofa aussah anstatt nach einer frisch renovierten und ordentlichen Wohnung.

Hinter meiner Mutter versteckt stand Maria. Wie immer hatte sie eine ihrer Puppen im Arm. Sie hatte die Angewohnheit ihre Puppen immer überall herum liegen zu lassen. Was mich total nervte, weil sie auch vor meinem Zimmer keinen Halt machte und früher wie auch heute, des Öfteren welche vergisst.

Mir war das natürlich peinlich wenn meine Freunde kamen und mal wieder Babypuppen im Zimmer lagen. Zwar hatte ich ihr schon mehr als einmal gesagt sie soll das lassen. Aber wie kleine Kinder eben sind denkt sie ein paar Tage später nicht mehr dran.

Als ich wieder in mein Zimmer ging musste ich im Flur aufpassen dass ich mich nicht wieder woran stieß. Überall stand Kram vom Umzug rum und machte den Weg durch den Flur zu einem wahren Hindernislauf.

Als ich die Tür hinter mir schloss hörte ich meinen Vater fluchen gefolgt von scheppernden Geschirr und den jammern meiner Mutter. Das war ja zu erwarten.

Mein Zimmer war zum Glück nicht so voll gestellt als das ich mich nicht frei bewegen konnte. Ich ging in die Hocke und stellte ein paar Sachen die mir noch im weg lagen erstmal in den Schrank. Darin befanden sich ausschließlich schwarz -weiße Klamotten. Diese Farben mochte er nun mal sehr gerne.

Ich schloss die Schranktür wieder und legte mich müde aufs Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte zum Fenster hinaus. Morgen müsste ich schon in die neue Schule. Was würde mich da wohl erwarten? Ich hatte überhaupt keinen Bock darauf.
 

Der Grund warum wie überhaupt in diese Großstadt zogen war der das mein Vater hierher versetzt wurde. Er war im Immobilen Geschäft tätig und konnte hier in der Stadt besser verdienen, behauptete er.

Das bedeutete für mich armes Schwein alles so gut wie von vorne zu beginnen.

Noch fühlte ich mich hier nicht gerade wohl. Dort wo wir her kamen war es schön ruhig, hier herrschte Tag und Nacht Straßenlärm. Das nervte mich schon jetzt, ich war eben nicht fürs Stadtleben geboren.

Zum Trost war die neue Wohnung nicht so klein wie ich erwartet hatte. Und die Gegend war auch nicht schlecht. Es gab einige kleinere Läden und nur ein paar Straßen entfernt befand sich ein Fußballplatz.

Ich starrte an die weiß gestrichene Wand und seufzte. Alles war so verdammt trist und grau. Genau wie der Blick aus dem Fenster war es auch hier drin nicht sonderlich freundlich.

Ich schwang mich aus dem Bett und wühlte im Schrank in einer Kiste voll mit Papierkram herum. Schließlich zog ich einige Poster heraus und suchte danach die Pinnwandnägel.

Ich faltete das Poster auseinander und hängte es neben meinem Schreibtisch auf. Mit diesem großen Lovex Poster sah das Zimmer schon viel besser aus.

Meine Mutter kam nach kurzen klopfen rein und sagte mir das, dass Essen fertig sei.

Ich folgte ihr in die Küche und stieß mir dabei das Bein an die Ecke der Kommode, die notdürftig im Flur unterbracht war. Das war schon das dritte Mal heute das ich mir wegen dieser Unordnung wehtat.

Am nächsten Morgen machte ich mich mit der Straßenbahn auf den Weg zur Schule. Denn Weg hatte mir Papa schon vorher erklärt. Hier konnte man sich aber auch verdammt leicht verlaufen.

Als ich am Schulgebäude ankam fühlte ich mich erstmal etwas verloren. Das Gelände war echt riesig im Gegensatz zu meiner alten Schule.

Ich fragte eine Schülerin wo hier das Sekretariat war und meldete mich dort erst mal an. Von meinen neuen Klassenlehrer, der zufällig auch im Sekretariat war wurde ich dann in mein Klassenzimmer geführt.

Dort sagte er kurz mit kräftiger Stimme: “Hört bitte her. Ab heute haben wir einen neuen Schüler in unserer Klasse“. Er deutete auf ihn. “Das ist Chris. Er ist neu hierher gezogen. Seit alle nett zu ihm”.

Ein paar Schüler sahen mich neugierig an wie ich so vor der Tafel stand. Andere wiederum hatten wohl keinen Grund von ihren Gesprächen oder dem Gekritzel auf ihre Blöcke abzusehen.

“Setzt dich dort hin, Chris!“. Der Lehrer deutete auf einen freien Platz der sich in der Mitte des Raumes an der rechten Seite befand. Am Fenster zu sitzen wäre mir natürlich viel lieber gewesen, aber was soll man machen.

Ich setzte mich hin und der Lehrer fing an die Anwesenheitsliste zu kontrollieren.

Der Tag verlief eigentlich ziemlich ruhig. In den ersten zwei Stunden hatte ich nur Mathe, was ich eigentlich gut konnte. Danach kam Religion dran. Der Lehrer, ein alter Greis mit grauen Haar und einer dicken Brille, schwätze ununterbrochen über Mesopotamien und was da so alles passiert war. Also war nur zuhören und ab und zu etwas aufschreiben angesagt. Das war nun wirklich kein Problem. Die andern waren da wohl anderer Meinung. Die hatten offensichtlich Probleme wach zu bleiben.

Meine Klasse war, soweit ich das jetzt schon beurteilen konnte, ziemlich gewöhnlich. Soll heißen keine Muskelbepackten Schlägertypen oder mickrige Brillenschlangen die sich herum schupsen ließen. Also nichts Besonderes. Außer vielleicht dieses Mädchen das mich andauernd anstarrt und mir zuzwinkert sobald der Lehrer sich zur Tafel umdrehte. Sie war eigentlich ganz niedlich, braungebrannte Haut, langes blondes Haar und blaue Augen.

In der Mittagspause ging ich in die Mensa, nachdem ich mich alleine ein wenig in der Schule umgesehen hatte. Ich kaufte mir nur eine Cola vom Kiosk. Hunger hatte ich noch keinen. Ich trank einen großen Schluck. Da kamen auf einmal drei Klassenkameraden von mir auf meinen Tisch zu und setzen sich zu mir.

Der eine ein hoch gewachsener Junge mit Baseballmütze und Jeans, der andere ein etwas dickerer Junge mit Schlabberlook und einer großen Brotbox in der Hand und zuletzt noch das gebräunte Mädchen das mich im Unterricht angeglotzt hatte.

“Hallo. Du heißt Chris, nicht wahr? Ich bin Alex“. Sagte der Junge mit der Mütze.

“Ich heiße Michael”. Sagte der andere Junge.

Das Mädchen das neben mir saß rückte etwas näher an mich ran, stütze den Kopf auf die eine Hand, lächelte mich mit glänzenden Augen an und sagte, “Ich heiße Lisa. Schön dich kennen zu lernen“. Dann lächelte sie noch mehr als zu vor. “Hast du schon eine Freundin?”

Wie ist die denn drauf? Okay, lächeln und langsam wieder weg sehen.

“Wo kommst du denn her?” fragte Alex.

Die Unterhaltung war wirklich nicht sehr interessant. Dauernd diese Fragen. Ist aber leider am Anfang wohl immer so mit neuen Schülern.

In der zweiten Pause ging ich mit den dreien zusammen raus auf den Schulhof. Oder besser gesagt ich lief ihnen nach. Wusste auch nicht was ich allein machen sollte.

Wir setzten uns an einen runden Holztisch von denen einige am Rande des Hofes aufgestellt waren.

Lisa setzte sich natürlich wieder neben mich. Sie holte aus ihrer Tasche einen Lutscher und lächelte mich schon wieder so an.

Sie blickte dann in die Runde und sagte zu allen. “Ratet mal was ich gestern vor dem Einkaufzentrum in der Innenstadt gesehen hab! Ihr wisst schon das wo ich immer diesen geilen Lippenstift kaufe“.

“Einen neuen Lippenstift vielleicht“. Sagte Alex genervt. Er konnte es nicht leiden wenn Lisa wider mit ihrem Modekram anfing, das nahm dann kein Ende.

“Nö, lass mal deine sarkastischen Sprüche!“

“Jaja“. Alex stützte den Kopf auf eine Hand.

“Was haste denn nun gesehen?” fragte Michael und knabberte an einem Schokoriegel rum.

“Ich sag ja schon. Als ich die Rolltreppe runter fuhr lief unten so ein Emo-Typ vorbei. Der sah aus, sag ich euch. Der hat mich so erschreckt das ich beinahe das Ende der Treppe übersehen hätte“.

“Ach was”.

“Ja, is war. Dachte die irren Freaks kommen sonst nur nachts raus“.

“Ne, ich meinte das wär ja keine Neuheit das du auf die Fresse fliegst” sagte Alex provozierend.

Lisa funkelte ihn böse an. „Ach, halt doch die Klappe!“

Alex grinste breit.

“Was ist denn ein Emo?”, fragte ich.

“Waaas, du weißt nicht was Emos sind! Also echt aus welchen loch kommst du noch mal?”

“Ja, sorry Alex. Keine Ahnung was ihr mit Emos meint. Sagt ihrs mir jetzt oder nicht?” O man. Wieso war der denn gleich so frech.

“Jaja, kuck nicht gleich so beleidigt. War ja nicht so gemeint“.

“Du bist aber auch ne Nervensäge mit deinen Sprüchen“. Sagte Lisa und grinste Alex an.

“Sag ja grade die richtige“.

Lisa sah ihn wieder böse an und steckte ihm kurz die Zunge raus. “Bähhh“.

Alex wurde ernster. “Emos sind so schwule Typen die immer in schwarz sich nachts in Gruppen treffen und sich ritzen und so ein Zeug. Und die Tussis sind auch nicht viel besser. Die sind echt krank“.

Lisa fügte noch hinzu. “Mit denen will niemand was zu tun haben. Die denken sie wären besser als andere und zicken einen echt voll an wenn man ihnen zu nah kommt“.

“Lasst uns lieber über diesen neuen Nachtclub reden der aufgemacht hat. Hab keinen Bock über diese scheiß Emos zu reden“.

“Du hast doch damit angefangen, Lisa“.

Man. Die zogen aber ganz schön über diese Emos her. Konnte ich echt nicht leiden wenn jemand so was macht. Ging mir so was von auf die Nerven. Die waren bestimmt nicht so schlimm wie die behaupteten.
 

Endlich fünf Uhr. Der gefürchtete erste Schultag war zu Ende und ich konnte nach Hause gehen.

Als ich in meinem Zimmer ankam zog ich Jacke und Schuhe auf und setzte mich an den Schreibtisch um Hausaufgaben zu machen.

Gleich nachdem ich damit fertig war schaltete ich den PC der neben mir stand an und schaute ob ich E-Mails von meinen Freunden bekommen hatte.

Auf einmal fiel mir wieder das Gespräch über die Emos ein. Das machte mich schon ein bisschen neugierig ob das stimmte was Lisa und Alex darüber erzählt hatten. Auch wenn sie ausschließlich schlechte Sachen über Emos gesagt hatten. Ich wollte mal sehn was im Internet über Emos stand.

Ich sah ein paar Seiten die von Emos als neue Jungendbewegung berichteten. Dort stand auch was einen Emo ausmachte. Jedenfalls äußerlich.

In den nächsten zwei Wochen passierte eigentlich nichts Besonderes. Ich ging in der Schule und war fast immer mit den drei die ich kennen lernte zusammen. Obwohl es mich schon nervte wie die manchmal über andere redeten. Aber was soll’s. Wollte ja kein Außenseiter werden. Wer weiß wie schnell die mich abstempeln würden wenn ich mal keinen Bock hatte.

Ab und zu informierte ich mich weiter über Emos. Das interessierte mich immer mehr. Ich fand heraus das Emo eigentlich eine Musikrichtung war. Von da an hörte ich mir immer mehr diese Musik namens Emocore an. Die Songtexte waren sehr viel tiefgründiger als die, die ich sonst kannte. Ich fand auch heraus das Lovex, die ich so oder so schon mochte, eine Emoband war.
 

Am Samstag wurde Maria zu einer Geburtstagsfeier eingeladen und ich musste mit ihr einkaufen gehen. Weil sie unbedingt ein neues Kleid haben wollte. Obwohl es doch langsam zu kalt für Kleider wird. Es war ja schon September. Aber wie sie will. Ging ich eben mit ihr.

Während sie wie lange in der Mädchenabteilung rumwuselte wurde mir das echt bald zu langweilig und ich schnappte mir irgendein Kleid und hielt es ihr hin.

“Hier, das ist doch schön”.

“Nein, ich will kein rosa tragen. Darin sehe ich aus wie ne Barbie”.

Als Maria endlich ein gelbes Kleid gefunden hatte, gingen wir zur Kasse. Dabei kamen wir an der Jungenabteilung vorbei. Und wenn ich schon hier war konnte ich auch gleich mal sehn was es hier so gab und ich suchte mir schnell ein schwarzes Shirt aus. In den letzten Wochen hatte ich mir, für meine Verhältnisse, viele neue Klamotten gekauft. Alle im Emolook. Hoffte ich zumindest. Hatte bis jetzt ja nur Bilder von richtigen Emos gesehen. Aber das wichtigste ist ja wohl das sie mir gefielen. Ich hatte mir schon zwei paar Armbänder ein paar Chucks, Shirts und Röhrenjeans gekauft. Natürlich alles in schwarz weiß. Dazu auch zwei Ketten und vier Armbänder. Man sollte jetzt nicht denken ich hätte beschlossen auf einmal wegen der Mode ein Emo zu werden.
 

Wieder zu Hause brachte meine Mutter Maria zu der Party. Mein Vater war an der Arbeit.

Also ging ich ins Badezimmer und suchte nach dem Make-up Köfferchen meiner Mutter. Ich hatte im Internet gelesenen das sich bei den Emos auch die Jungs mit Kajal schminken. Das wollte ich auch mal ausprobieren! Nur um zu sehen wie das an mir aussah.

Mit dem Ergebnis war ich nicht gerade zufrieden. Ich erkannte mich im Spiegel überhaupt nicht wieder. Was vielleicht daran lag das ich es mit dem Schwarz ein wenig übertrieben hatte. Ich wischte den größten Teil wieder weg. Dabei blieb ein wenig noch drauf. Und ich fand es gar nicht mehr so schlimm. Nur mit einem bisschen davon wirkte es ganz anders.

Nach dem ich mich weder an den PC setzte stieß ich auf eine Seite auf der sich anscheinend viele Emos befanden.

Ich loggte mich ein und fand bald zwei Mädchen die mir sagten sie seinen Emos. Die eine die sich CrazyPinki nannte fragte gleich ob ich auch einer wäre. Ich schrieb “Ja“.

Später kam noch ein Junge hinzu. Die drei waren offensichtlich schon Freunde. Sie fragten mich ob ich nicht Lust hätte mich mit ihnen zu treffen. Später schreiben sie das noch zwei andere Jungs zu ihrer Gruppe gehörten.

Jetzt war ich dermaßen aufgeregt wegen dem bevorstehenden Treffen dass es mir schwer fiel überhaupt still zu sitzen.

Das erste Treffen

Vor Aufregung konnte ich diese Nacht kaum schlafen. Der Straßenlärm, an den ich mich immer noch nicht gewöhnt hatte, trug den Rest bei. Da würde ich morgen früh viel Kaffee brauchen. Ich wälzte mich im Bett hin und her und stellte mir dauernd irgendwelche Fragen. Was würden sie zu mir sagen? Ob sie mich mögen? Trafen die Behauptungen vielleicht zu, die ich in der Schule gehört hab? Nein, das glaub ich eigentlich nicht. Das wäre doch wirklich zu krass gewesen.

Warum bin ich eigentlich ein Emo geworden? Bin ich überhaupt ein richtiger Emo? Ich hatte im Internet von so genannten Fake-Emos gelesen. Das waren Typen die sich nur als Emo ausgaben weil ihnen der Style so gefiel. Sonst nichts. Hoffentlich halten die mich nicht für so einen. Das bin, und will ich nicht sein.

Ich blickte zur Zimmerdecke und beobachtete die Lichtstreifen die die vorbeifahrenden Autos rein warfen. Das war irgendwie beruhigend.

Ich hatte schon das Gefühl ein echter Emo zu sein. Aber wahrscheinlich wusste ich noch nicht genug darüber um das sagen zu können. Ich beschäftigte mich damit erst seit etwa zwei Wochen. Das mag einigen zu voreilig vorkommen, aber wenn ich mich wirklich für eine Sache interessiere dann bringt mich auch nichts davon ab. Ich wollte unbedingt ein waschechter Emo werden.

Ich hatte mich schon immer für besondere Gruppen interessiert. Zum Beispiel war ich mit fünf Jahren in einen Indianerverein eingetreten, das war immer sehr schön gewesen. Mit sieben machte ich bei den Pfadfindern mit. Ja, ich weiß das das uncool war, aber es hatte mir trotzdem Spaß gemacht. Hatte sogar ein paar Auszeichnungen bekommen. Dann mit zehn wollte ich unbedingt ein Ritter werden. Weil mich auf einem Mittelalter Festival ein paar Schaukämpfe sehr begeistert hatten. Meine Mutter hatte zwar dazu gesagt, dass es zu gefährlich wäre mit Schwertern auf einander loszugehen. Auch wenn es nur Holzschwerter waren. Ich wusste wirklich nicht was daran gefährlich sein sollte. Naja, auch egal. Das Mittelalter begeisterte mich heute immer noch, sogar mehr als früher.

Plötzlich riss mich ein vorbeifahrender Lastwagen mit seinem Scheppern aus meinen Gedanken. Ich drehte mich wieder um.

Morgen in der Gruppe werde ich wahrscheinlich sowieso viel mehr übers Emo sein erfahren. Die werden mich wohl kaum abweisen, nur weil ich kaum was darüber wusste.

Wäre super Emos als Freunde zu haben. Alex, Lisa und Michael gingen mir doch gelegentlich auf die Nerven. Zwar nur wenn sie über andere herzogen oder blöde Sprüche machten, aber sie waren andererseits auch ganz ok als Klassenkameraden. Obwohl Lisa manchmal etwas zu weit mit ihren Annäherungsversuchen ging. Letzte Woche war sie mir doch tatsächlich fast bis nach Hause gefolgt. Aber irgendwann hatte sie es aufgegeben. Ich schätzte mal das lag an den High-Hills die sie anhatte. Ich hatte mir nichts anmerken lassen. Sollte sie nur machen, mir war das fast egal. Aber sie drauf ansprechen und zu riskieren die drei als Freunde zu verlieren wollte ich auch nicht. Dann wäre ich in der Schule ja alleine. Zu mir einladen würde ich die drei allerdings nicht. Wüsste gar nichts mit ihnen anzufangen. Und Lisa war einfach nicht mein Typ. Ich stand mehr auf ruhige Mädchen.

Ich drehte mich wieder um und schliff endlich ein.

Am Morgen wachte ich erst um zehn Uhr auf. Was für mich schon ziemlich spät war. Aber heute war ja Sonntag.

Was hatte CrazyPinki noch mal gesagt wann ich kommen sollte? Um vierzehn Uhr. Dann hatte ich noch genug Zeit.

Ich schlug meine Decke zurück und stand auf. Sollte ich mich vielleicht jetzt schon fertig stylen? Wieso nicht. Aber was soll ich nur anziehen. O man was für eine weibische Frage

Ich Duschte schnell und entschied mich danach für eine schwarze Röhrenjeans und ein schwarzes Shirt mit weißem Druck, das so was wie ein Engel mit Graffiti darstellte. Dazu zwei schwarz weiß karierte Schweißbändchen und eine Kette mit einem Löwenanhänger, der einen Stern in der Tatze hielt. Natürlich würde ich noch meine neuen Chucks anziehen. Im Großen und Ganzen sah ich echt aus wie ein Emo von den Bildern im Internet. Bis auf die Haare, die meisten hatten ja schwarze. Trotzdem wollte ich sie mir nicht färben, das wäre mir eine zu große Veränderung gewesen. Es gab ja schließlich auch blonde Emos.

Kajal trug ich nur ein bisschen auf. Hatte mich immer noch nicht dran gewöhnt dunkle Augenränder zu haben. Zu viel stand mir auch nicht gut. Dann glättete ich mir noch die Haare und fertig war ich.

Es war gerade erst mal Mittagszeit also aß ich erstmal mit meiner Familie. Meine Eltern fragten mich nicht warum ich auf einmal so anders aussah. Nur Maria schaute mich komisch an.
 

"Was hast du den heute noch vor?" fragte sie und spielte mit ihrer Puppe die sie mit an den Tisch gesetzt hat.

„Ich treffe mich mit Freunden“. Antwortete ich knapp. Maria ist echt manchmal so was von neugierig.

„Was sind denn das für Freunde?“ Meine Mutter setzte sich gerade mit an den Tisch.

"Nur welche die ich in einem Chat kennen gelernt habe". Hoffentlich stellte sie mir jetzt nicht so viele Fragen. Am Ende traut sie dem ganzen nicht und lässt mich nicht gehen. Nicht das ich darauf gehört

hätte wenn sie es mir verbot.
 

Stattdessen kam von ihr nur ein "Aha".

War sie jetzt misstrauisch oder nicht? Wenn sie nicht mehr dazu zu sagen hat auch ok. Musste ich mich nicht mit ihr auseinander setzten.

"Komm aber nicht so spät nach Hause!"

"Ja, ist ok".

Ich schaute noch mal in den großen Spiegel der im Flur hing, dann auf die Uhr. Halb zwei. Dann mach ich mich mal auf den Weg. Der Park in dem wir uns treffen wollten liegt etwa siebzehn Straßen entfernt. Mit der S-Bahn würde ich dafür schätzungsweise fünfzehn Minuten brauchen. Konnte ja auch etwas früher da sein.

Jetzt wurde ich noch aufgeregter als Gestern und die Nacht über zusammen. Vermutlich sah man mir das auch an. Muss mich unbedingt beruhigen, sagte ich mir. Was würden die denn denken wenn ich da als totales Nervenbündel ankam und völlig sprachlos war.

Ok einfach alles auf einen zukommen lassen, mal sehn was heute noch so passiert. Wird schon nicht so schlimm werden. Hoffentlich.

Jetzt wurde es aber höchste Zeit los zu gehen. Nur ein paar Schritte von der Haustür entfernt war schon einen S-Bahn Station. Als sie kam stieg ich ein und setzte mich hinten hin. Ich schaute mich kurz um und sah dann aus dem Fenster. Diese Bahn hatte ihre guten Tage schon längst hinter sich. Obwohl das nicht allzu lange her sein konnte. Dennoch sah man nahezu an jeder Fensterscheibe große und lange Kratzer von Fingernägeln oder andern spitzen Sachen. An der Außenwand waren überall Graffiti geschmiert worden. Was dieses Gekritzel heißen oder darstellen sollte wusste wohl keiner. An der einen oder andern Sitzbank fand man auch mal einen langen schlitz. Wohl von einem Messer oder so. Und natürlich Unmengen an Kaugummi darunter. So stellte ich mir immer die Großstadt vor als ich noch in meinem kleinen Landdörfchen wohnte. Voll mit Graffiti und an jeder dunklen Ecke steht ein Dealer. Nicht das ich schon einen gesehen hätte. So was war halt charakteristisch für eine große Stadt, fand ich.
 

Ich beobachte die verschiedenen Leute die ein und wieder ausstiegen. Bilde ich mir das nur ein oder starren mich mansche komisch an? Ach was. So anders sah ich auch wieder nicht aus. Naja fast, den Kajal konnte man schon seltsam finden, aber ich hatte ja nicht so viel drauf. Das konnte man aus einer Entfernung von mehr als fünf Metern gar nicht sehen. Ansonsten war normal gekleidet. Trotzdem sah ich wie zwei Mädchen die mich beim Einsteigen sahen etwas tuschelten und gelegentlich zu mir sahen. Redeten die etwa über mich. Ich schenkte ihnen keine weitere Aufmerksamkeit. Die waren bestimmt nur so drauf wie Lisa, sonst nichts. Was ging mich das an? Es war mir vollkommen gleichgültig. Oder vielleicht nicht? Ich war es einfach nicht gewöhnt dass man mich auf eine Art ansah die Verachtung oder Witz beinhaltete.

"Nächster Halt Parkallee. Umsteigen zu…"

Hier stieg ich aus. Ich sah mich um und fand dann den Weg der zum Park führte. Als ich um die Ecke einer hohen Häuserfront trat sah ich den großen Platz schon.

Nachdem ich durch den raffiniert gewölbten Bogen ging, der den Eingang markierte, sah ich mich erstaunt um. Vor mir lag eine beeindruckende Parkanlage. Die, mit hellem Kies bedeckten, Wege waren von weißen stattlichen Birken eingerahmt. In der Ferne erkannte ich die Umrisse eines großen Brunnens, der sich in der Mitte des Parks befand.

Als ich den Weg ein Stück folgte sah ich hinter einer Biegung eine kleine Gruppe unter einen Baum stehen. O man das waren sie bestimmt.

Ok jetzt heißt es ruhig bleiben. Ich ging lässig auf sie zu. Die die mit dem Rücken zu mir standen drehten sich um als ich schon ganz nah war. Wow, sahen die cool aus.

Scheinbar gelassen sagte ich "Hallo, ich bin Chris".

Da kam gleich ein Mädchen zu mir schüttelte mir etwas wild die Hand.

"Hi, ich bin Jessy. Schön dass du gekommen bist". Sie grinste mich regelrecht an.

Aha. Das war die die sich im Chat CrazyPinki nannte. Niedliches Mädchen, klein und bunt. Sie hatte einen kurzen weißen Rock und ein weißes Top an. Dazu viele rosafarbene Accessoires. Ihre langen blonden, mit pinken Strähnchen, Haare gingen ihr bis zum Po. Sie wirkte wirklich ganz schön aufgedreht mit dieser schrillen Farbe. Also irgendwie passte die nicht so richtig ins Bild. Aber was soll’s.

"Das ist Bianca". Sie deutete auf das Mädchen das neben ihr stand.

"Hey Ho". Begrüßte sie mich und lächelte.

Bianca war auch niedlich und sah schon ganz anders aus als Jessy. Sie trug eine dünne schwarze Hose ein schwarzes Top und darüber eine kurzärmlige Jacke, auch schwarz. Sie wirkte auf mich eigentlich sehr ruhig. Weshalb ihre Piercings nicht so recht zu ihr passten. Wie auch immer, der erste Eindruck kann täuschen.

Nachdem ich die Mädchen gemustert hatte blickte ich zu den Jungs. Einer stand links von Jessy ein anderer hinter ihm an einen Baum gelehnt.

"Hallo, ich bin Vincent. Und der hinter mir ist Ryan".

Vor mir stand ein großer schlanker Junge, ganz in schwarz mit roten Schmuck und einem Lippenpiercing. Also der sah echt nach einem echten Emo aus. Genau wie die im Internet. Vielleicht sollte ich mir auch ein Piercing machen lassen. Ob mir das auch so gut stehen würde wie ihm?

Der Junge dahinten schien mich gar nicht wahr zu nehmen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte auf den Boden. Die Kapuze seines schwarzen Shirts hatte er übergezogen und sein Gesicht wurde von seinem langen Pony verdeckt. Von der Statur her war er eher zierlich. Soweit ich das sehen konnte. Er hielt von der Sache hier wohl herzlich wenig.

Selber kam ich mir ja auch etwas komisch vor. Aber man musste sich halt erst kennen lernen. Später werden wir hoffentlich lockerer miteinander umgehen können.

"Setzen wir uns doch dort auf die Wiese". Sagte Jessy als Vorschlag.

Es waren wohl alle mit einverstanden. Wieso auch nicht, immerhin war Heute ein sehr sonniger Tag von denen es in nächster Zeit nicht mehr so viele geben würde. Es war ja schon September. Es war zwar nicht so warm, aber Hauptsache die Sonne schien.

Alle gingen Jessy nach, die hatte sich bereits hingesetzt und bedeutete Bianca sich neben sich zu setzen. Gegenüber von ihnen setzte sich Vincent und ich. Und Ryan links von Vincent.

So, was jetzt? Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte.

"Schön dass jetzt noch einer zu uns gekommen ist", sagte Jessy. "Vor ein paar Wochen ist auch Robert dazu gestoßen. Der konnte heute leider nicht mitkommen, aber sicher kommt er das nächste Mal".

"Ja, is leider viel zu selten dass wir alle mal Zeit haben um uns zu treffen". sagte Bianca mit einem Unterton von gespieltem Bedauern in ihrer Stimme. „Weißt du vielleicht warum er nicht kommen konnte, Ryan?“

„Nein“, sagte er knapp mit leiser Stimme.

"Du bist neu hierher gezogen, oder Chris?", fragte Vincent.

"Ja, vor etwa vier Wochen".

"Auf welche Schule gehst du denn?"

"Aus die Herman Müller Realschule. Wieso?"

"Weil es hier in der Gegend so mansche Schulen gibt die für ihre Diskriminierungsskandale bekannt sind. Mit dieser hast du es gut getroffen. Es gibt weit aus schlechtere".

"Ja du hast sicher schon gemerkt das dich andere Leute manchmal komisch ansehen oder?", fragte Jessy.

"Naja, in der Bahn kam es mir schon so vor als würden mansche mich anstarren". Gab ich zu.

"Das liegt daran das Emos einen nicht so guten Ruf haben. Die Leute denken wir wären so was wie selbst zerstörerischer Außenseiter. Das stimmt natürlich nicht", erklärte Vincent.

"Ja, in meiner Schule hab ich auch schon gemerkt das mansche schlecht über Emos reden".

"Wenn ich dir einen Tipp geben darf, du solltest nicht als Emo in die Schule gehen. Sonst kann es leicht passieren dass du nicht akzeptiert wirst und zum Mobbing-Opfer wirst".

Hab mir auch schon öfter darüber Gedanken gemacht ob ich mich jetzt immer so kleiden soll oder lieber nicht. Vincent hatte wahrscheinlich recht damit. So wie Alex und die andern über Emos herziehen wäre es sicher nicht ratsam so im Unterricht aufzutauchen.
 

"Ok, mach ich nicht".

Jessy nickte zustimmend. "Ja, das Ganze ist wirklich mehr als blöd. Selbst auf der Straße hat man nicht seine Ruhe. Immer wenn Bianca und ich durch die Straßen laufen kommt früher oder später so ein dämlicher Typ und macht uns blöd an. Nur weil wir anders aussehen. Da bin ich doch froh wenn Vincent dabei ist, da kommen die Typen nicht".

Jessy und Bianca grinsten Vincent an.

"Wieso haben Emos den so einen schlechten Ruf? Ich kann an dem ganzen nichts Schlechtes erkennen". Ja was war eigentlich der wahre Grund warum andere uns schief ansehen. Ich meine wir sehen doch nicht bedrohlich aus oder machen komische Sachen.

"Ich schätzte mal das liegt Hauptsächlich daran, weil die meisten denken wir würden uns ritzen. Aber Emos die das machen sind entweder nur dumm oder leiden unter dem Borderline Syndrom wobei man nicht anders kann als sich selbst zu verletzten. Ich meine man ritzt sich doch nicht einfach nur weil man denkt man sei ein Emo. Das gehört wirklich nicht dazu. Nur leider denken die meisten das“. Er senkte kurz den Kopf, als er sah dass ich ihn mit großen Augen ansah. „Sorry wen ich jetzt etwas klugscheißerisch klang“.

„Ach was, gar nicht“.

Dann sagte Bianca. "Mansche gehen auch soweit das sie denken Emos seien potenzielle Selbstmörder. Kennt ihr das Lied weswegen sich angeblich so ein Typ umgebracht hat. Warum weiß keiner genau. Und nur weil der Mitglied auf einer Emo Homepage war denken alle drüber, dass der sich nur umgebracht hat weil er ein Emo war. So was Dämliches. Findet ihr nicht?"

"Die meisten sehen halt nur die schlechten Sachen und nicht die Guten". Sagte ich.

Das war echt eine interessante Unterhaltung. Wie ich mir dachte erfuhr ich viel mehr über Emos. Ich wusste doch gleich dass die Behauptungen aus der Schule falsch waren. Die plapperten bloß alles nach was sie von anderen gehört haben, ohne selber zu wissen ob es auch stimmt.

Alle wussten wirklich viel darüber was es bedeutet ein Emo zu sein. Aber es wunderte mich das Ryan noch kein Wort gesagt hatte. Er saß einfach nur da und hörte zu. Er war wohl nicht sehr gesprächig.

"Sorry, aber ich muss jetzt langsam los. Muss noch was für morgen erledigen". Vincent stand auf, blickte zu Ryan und der stand auch auf.

"Wann können wir und das nächste Mal treffen?", fragte ich.

"Kann ich nicht sagen, das ist immer sehr kurzfristig. Ich sag dir Bescheid wenn es soweit ist. Gibst du mir deine Nummer?"

"Klar". Ich sagte ihm also meine Nummer. Dann ging er, Ryan folgte ihm.

Nun saß ich mit den zwei Mädchen alleine.

"Wir machen uns dann mal auch auf den Weg. Wir könne ja noch zusammen zur Haltestelle gehen".

Schade dass das Treffen nicht länger gedauert hat, aber ich konnte verstehen dass sie nicht viel Zeit hatten. Ich hatte ja auch nicht so viel, weil ich oft länger für die Schule lernen musste und manchmal auf Maria aufpassen musste, da meine Mutter auch berufstätig war.

Wir drei gingen also die Straße entlang. Es herrschte in dieser Gegend nicht so viel Betrieb da es hier nur Wohnhäuser und keine Geschäfte oder so gab. Es dämmerte auch schon.

Ein schöner Tag war das gewesen. Ich hatte neue Freunde kennen gelernt und alle schienen sehr nett zu sein. Aber eines ging mir nicht aus dem Kopf. Warum hatte Ryan überhaupt nichts gesagt. Das ging mich zwar nichts an, aber ich wollte es einfach wissen.

"Warum war Ryan eigentlich so still?", fragte ich die beiden Mädchen.

"Keine Ahnung", sagte Bianca und zuckte mit den Schultern.

"Kann er mich vielleicht nicht leiden?"

"Nein, das glaub ich nicht. Ryan ist nicht der Typ der andere ohne Grund nicht mag", sagte Jessy.

"Ist er denn immer so?"

"Mmh, jetzt wo du es sagst. Er ist erst vor ein paar Tagen stiller geworden. Früher war er nicht so. Aber ich hab echt keinen Schimmer woran das liegt. Schüchtern ist er nämlich auch nicht".

"Ich dachte du gehst auf die gleiche Schule wie er?", fragte Bianca, Jessy.

"Ja, schon. Aber ich sehe ihn dort kaum. Es ist ja nicht so dass wir in die gleiche Klasse gehen".

"Ach so, ich dachte ihr würdet in der Schule immer zusammen sein".

"Nee, leider nicht".

"Nun Chris, wenn es um Ryan geht fragst du am besten Vincent! Die zwei sind die besten Freunde, wie du vielleicht gesehen hast".

Mittlerweile kamen wir an der Haltestelle an. Da kam auch schon die Bahn. Wie stiegen ein und setzten und zusammen auf einen vierer Platz. Die Leute schauten uns schon wieder so an. Egal. Daran muss ich mich wohl gewöhnen, wenn ich mit andern Emos zusammen war. So machte es mir weniger aus als wenn ich alleine bin. Also was soll‘s wenn die klotzen.

"Gibt es eigentlich nur uns hier an Emos?". Mich wunderte, dass es nur vier gab, plus diesen Robert. Dachte so eine Jungendbewegung hätte viel mehr Anhänger.

"Nö, in andern Bezirken gibt es noch viel mehr. Aber die wohnen halt viel zu weit weg. Also können wir sie so gut wie gar nicht treffen. Es sei denn, es sind Ferien".

"Ja, kurz vor Weihnachten machen wir immer ein großes Treffen und dieses Jahr ist es hier bei uns. Toll nicht? Ich freu mich schon wahnsinnig drauf", sagte Bianca.

"Nächster Halt: Karl Hans Straße umsteigen zu…"

"Hier müssen wir raus. Also bis demnächst". Sie standen auf.

"Ja, bis bald".

Als sie ausgestiegen waren winkten sie mir noch zum Abschied zu. Niedlich die zwei.

Als ich zu Hause ankam war es gerade mal halb sieben. Ich ging ins Bad und wusch mir das Gesicht. Dann ging ich ins Wohnzimmer wo mein Vater und Maria auf unserer großen Couch vor dem Fernseher saßen.

"Bin wieder da", meldete ich mich.

"Du kommst aber früh wieder. Hat es dir gefallen?“, fragte mein Vater.

"Ja". Was sollte ich darauf schon sagen.

Meine Mutter kam aus der Küche. "Da bist du ja wieder, Chris“. Sie wand sich an alle. „Kommt alle das Essen ist fertig!" Dann steuerte sie wieder auf ihren Herd zu.

"Ich komme gleich, will mich noch schnell umziehen".

In meinem Zimmer zog ich mir eine schwarze Sporthose und ein weißes Shirt an. Tat irgendwie gut von den engen in die bequemen Schlabberklamotten zu schlüpfen. Ich war sowieso eher der sportliche Typ.

Nach dem Essen lernte ich noch Mathe. Nächste Woche hatte ich ein paar Arbeiten vor mir, in Mathe, Deutsch und Biologie. Da hieß es lernen, lernen, lernen. Das fiel mir zum Glück nicht so schwer. Ich war zwar kein Bücherwurm aber meine Eltern, insbesondere meine Mutter, bestand auf gute Noten. Das war aber auch das einzige was sie von mir verlangte.

Ich legte mich danach ins Bett und dachte über das Treffen nach. Das nächste Mal werde ich Vincent fragen was mit Ryan los ist. Konnte aber auch sein das er sagte das das mich nicht anging. Da hatte er aber auch Recht. Es ging mich wirklich nicht an, warum Ryan so war wie ich ihn beim Treffen erlebt habe. Aber ich wollte auch mit ihm Freundschaft schließen. Ich musste bloß aufpassen dass er mich nicht für eine neugierige Nervensäge hält. Wenn ich hinter seinen Rücken die andern über ihn ausfragte. Aber Vincent würde das wohl nicht an ihn weiter sagen. Ich war nun mal so ein Mensch der alles in seinem Leben in Ordnung haben möchte. Natürlich ging das nicht immer, aber die Dinge die ich ändern konnte änderte ich auch zu meiner Zufriedenheit.

Ich war mal gespannt wo mich die Freundschaft mit den Emos noch hin führen wird. Ich bin irgendwie auch stolz drauf einer von ihnen zu sein. Ich zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch und schlief ein.

Was ist denn mit dem?

Morgens in der Schule. Die Sonne ging gerade auf. Oder das was man von ihr sehen konnte. Der Himmel war voll mit fetten Regenwolken. Ich mochte den Herbst eigentlich, aber diese Seite von ihm konnte mir gestohlen bleiben.

Ich saß an meinem Tisch und lies den Kopf hängen. Eben erst die blöde Deutscharbeit hinter mir und in der nächsten Stunde kam die Mathearbeit. Mir brummte jetzt schon der Schädel. Wieso mussten die am gleichen Tag sein? Die Lehrer hatten sie doch nicht alle. In den letzten Tagen hatte ich fünf Arbeiten geschrieben. Und das bedeutete dass ich gar keine Zeit hatte mich wieder mit Vincent und den anderen zu treffen. Obwohl ich eine Auszeit von diesem Dauerlernen gebrauchen konnte.

Wenn ich dann mal Zeit hatte unterhielt ich mich mit Jessy oder Bianca im Chat, aber das war nie lange.

"Hey, Chris. Träumst du?" Lisa kam zu mir und beugte sich, mit Absicht, zu mir runter. Sie trug einen Wollpullover mit großem Ausschnitt. Und wie sonst auch ignorierte ich das.

"Hi, Lisa“.

"Wie is es bei dir gelaufen?"

"War ganz ok“.

"Echt? Bei mir war tote Hose." Wie man an ihrer Stimme hören konnte schien sie wirklich überrascht zu sein.

Lisa fing an Kreise mit ihrem Finger auf meinem Tisch zu ziehen. "Sag mal könntest du mir nach der Schule etwas Nachhilfe in Bio geben? Bin da nicht so gut drin“.

"Nein, sorry. Hab was anderes zu tun". Muss selber noch was lernen.

Sie ging um den Tisch herum und legte dann hinter mir ihre Hände auf meine Schultern.

"Ach, Bitteee".

"Ich sagte doch, keine Zeit".

Sie legte ihre Arme um mich.

"Bitteee, wir können bei mir in Ruhe lernen“.

Wie nervig, die andern gucken schon. Na gut, damit das ein Ende nimmt.

"Ok, geht klar". Werd mich später irgendwie daraus winden.

"Super". War ja klar dass die sich so freute. Sie hauchte mir, bevor sie ging, noch einen Kuss auf die Wange. Und setzt sich wieder an ihren Platz.

Da kam auch schon der Lehrer und schrieb an die Tafel. Mathearbeit Nr.1.

"So, ihr habt neunzig Minuten Zeit. Fangt an".
 

Nach diesen zwei Stunden war endlich Pause. Lisa zehrte mich natürlich mit als sie sah das Alex und Michael raus gingen. Die drei hingen ständig zusammen.

Wir setzten uns wieder an die Bank auf dem Schulhof. Dabei war es schon verdammt kalt. Den andern machte das, im Gegenteil zu mir, wohl nicht viel aus.

Zwingend setzte ich mich neben Lisa.

"Na hat er endlich ja gesagt?" Fragte Alex neckisch.

"Na, schön wäre es. Hab ihn nur zum Lernen zu mir eingeladen. Stimmt´s Chrisi?" Sie packte mich am Arm und sah mich lächelnd an.

Und ich lächelte nur verlegen zurück.

"Pass bloß auf Chris. Lisa is ne schwarze Witwe wie sie im Buche steht".

"Schnauze Alex. Bist ja nur neidisch weil ich einen Freund habe und du nicht. Bähh". Sie strecke ihm die Zunge raus. Schon wieder. War anscheinend eine Angewohnheit von ihr.

"Das hab ich auch gar nicht gemeint".

"Glück für dich. Chris gehört mir".

Alex sah Lisa grimmig an. "Ich geh schon mal rein".

"Ja, mach das".

Drauf reagiert Alex nicht mehr. Er ging, mit den Händen in den Hosentaschen ins Schulgebäude zurück. Was war denn auf einmal mit ihm los. Sonst ist er doch nicht so schnell beleidigt wenn Lisa rumzickt.

"eit i jet zusam?"

"Schluck erst mal runter Michael!"

Michael hatte wie immer was zu essen bei sich und verschlang es in nu. Dabei konnte er auch noch reden. Zwar verstand man kaum was aber ihn hinderte das nicht daran es immer wieder zu tun. Das war meistens sehr unappetitlich. Ich selber aß in der Schule kaum was. Ich hatte einfach keinen Appetit morgens.

Zwischen den hinunterschlucken und dem nächsten Bissen fragte er noch mal.

"Seit ihr jetzt zusammen?"

"Was, nein. Wie kommst du den darauf?" Sah das etwa so aus als wären wir ein Paar?

"Na, weil ihr immer zusammen seid".

"Stimmt schon aber wir gehen nicht miteinander. Das sieht nur so aus weil Lisa mich immer abfängt".

"Aber wenn das schon so aussieht, dann können wir doch echt ein Paar werden. Oder Chrisi?"

"Nein, können wir nicht".

"Ach wieso denn nicht? Liebst du mich nicht? Ich mag dich". Sie drückte meinen Arm fester.

Michael blickte uns direkt an und sagte. "Das wird Alex aber gar nicht gefallen. Meinst du nicht, Lisa?"

Also dass Michael so viel sagt, kenn ich gar nicht von ihm.

"Ach, Alex kann mich mal". Sie machte eine abwehrende Handbewegung.

Was hatte denn das jetzt schon wieder zu bedeuten. Ich seufzte innerlich und lies die mal reden. Die ließen sich sowieso nicht von ihren Wahnvorstellungen abbringen. Besonders Lisa nicht. Die war hartnäckig wie Kaugummi in den Haaren.

"Du willst doch mit mir gehen. Oder Chrisi?"

"Hör auf mich Chrisi zu nennen. Und ich weiß noch nicht ob ich mit dir gehen will. Ich überlege es mir“.

Sie blickte etwas enttäuscht drein. "Lass die aber nicht so viel Zeit, mit überlegen".

Als es zur nächsten Stunde läutete ging ich rein und lies die restliche Unterrichtsstunden, immer mit Lisas fragenden Blick beobachtet, übergehen.
 

Nach den letzten Stunden zerrte mich Lisa förmlich mit sich. Jetzt war es aber höchste Zeit mich da raus zu reden. Ich ließ mich doch nicht von ihr in ihr Zimmer locken. Wer weiß auf welche Ideen sie dann kommen würde, wenn wir alleine wären. Darauf hatte ich echt keine Lust. Und ihr klipp und klar sagen das ich nicht auf sie stand war auch nicht drin. Mir würde schon was einfallen.

Lisa und ich gingen so durch die Straßen und sie schien echt Happy zu sein. Tat mir ja auch ein bisschen Leid dass ich sie so abweisen wollte. Aber nur ein bisschen.

Der rettende Einfall kam mir als wir an der Stadtbibliothek vorbeikamen. Ich nahm Lisas Hand, dann hatte sie gar keine andere Wahl als mir zu folgen, und ging mit ihr rein.

"Hier können wir doch viel besser lernen". Sagte ich, als ich spürte dass sie sich los machen wollte.

"Aber ich wollte doch“.

"Zu dir können wir das nächste Mal. Ok?" Ein nächstes Mal würde es natürlich nicht geben. Soweit lies ich mich nicht mehr von ihr bringen.

"Na gut".

Ich war froh dass sie wirklich mit kam und sich zu mir an einen freien Tisch setzte. So wie ich ihr Temperament kannte, hatte ich erwartet sie macht eine Szene mitten auf der Straße die bestimmt viele Zuschauer angelockt hätte.

Diese Bibliothek war echt der ideale Ort zum Lernen ohne von Lisas Anmachversuchte gestört zu werden. Nach dem Eingang betrat man einen großen Raum. Was sagt ich, das war einen rissen große Halle. Überall erstreckten sich lange Bücherregale reihe an reihe. Das waren bestimmt abertausende Bücher. Die Tische mit bequemen Stühlen standen linken Teil. Im oberen Teil, dem man vor hier sehen konnte, standen in einem Halbkreis Sessel und eine Couch auf denen man sich mit einem Kaffee von der Bar, die sich auch dort befand, und einem Buch, gemütlich machen konnte. Alles in einem wollte ich nur sagen, verdammt beeindruckend hier drin.

Ich holte auch gleich mein Biologierbuch heraus um gleich klar zu machen das ich hier nicht anderes vor hatte als zu lernen. Lisa machte keine Anstalten ihr Buch raus zu hohlen.

"Und wo ist dein Buch?"

Sie stütze mit den Händen ihren Kopf auf den Tisch und sah mich an. Ich muss wohl kaum erwähnen dass sie dabei wie immer verführerisch dreinblickte. Das konnte sie echt gut. Ich war von ihr schon gar nicht anderes gewöhnt, das mich das diesmal auch kalt lies.

"Muss ich wohl in der Schule vergessen haben".

Von jetzt an war es ja völlig klar, dass sie von Anfang an nicht vor hatte Bio zu lernen.

"Macht nichts". Ein Punkt für Lisa. Ich schob mein Buch so hin das wir beide rein schauen konnten. Dann erklärte ich ihr alles was wir für die Arbeit wissen mussten. Aber sie tat so als würde sie das und das und sonst noch was nicht verstehen. Oder tat sie es echt nicht? So begriffsstutzig konnte sei doch nicht sein. Jedenfalls musste ich alles doppelt und dreifach sagen.

Das ganze Theater, zog sich Stunden über Stunden hin. Irgendwann wurde mir das echt zu blöd, und Lisa ging es, denk ich mal, auch nicht anders. Da ihr keine andere Masche einfiel als sich blöd zu stellen.

Ich schlug das Buch zu und gab ihr die Zettel mit den vielen Notizen die ich gemacht hatte und stand auf.

"Warum willst du denn schon gehen?" Fragte sie. Als wüsste sie das nicht.

"Es reicht mit lernen, ich muss jetzt gehen".

Sie stand ebenfalls auf. "Aber ich hab noch nicht alles verstanden".

"Dann schau dir zu Hause noch mal die Notizen an". Ich nahm meinen Rucksack und machte einen Schritt zum Ausgang hin. "Bis Morgen".

Sie schaute mich etwas beleidigt an, verschränkte die Arme vor der Brust und sah dann zur Seite weg.

"Lisa? Wir sehen uns Morgen". War sie jetzt etwa wirklich eingeschnappt. Immerhin war ich Stunden bei ihr. Da konnte sie sich doch nicht beschweren.

"Jaja, bis Morgen". Sie sah mich wieder mit einem Lächeln an.

Ich lächelte zurück und ging hinaus in die kühle Nachtluft. Die Uhr zeigte schon Zehn vor Acht. In den Straßen der Einkaufmeile herrschte immer noch reges Treiben. Die Schaufenster waren bis auf das letzte erhält, so das man hier selbst mit Sonnenbrille was sehen konnte. In dem Kaff aus dem ich kam wäre um die Zeit kein Schwein mehr draußen gewesen.

Ich ging zur nächsten S-Bahn Station und fuhr heimwärts. Als ich mich hinsetzte sah aus dem Fenster und merkte das die Straßen immer leerer wurden desto näher die Wohnviertel kamen. Logisch, hier befand sich auch nichts außer Wohnungen, keine größeren Geschäfte, Bars oder Clubs.

Ich stieg aus und war in diesem Moment froh das ich mich nicht weit von der Wohnung entfernt befand. Es war doch ein wenig unheimlich auf den Straßen im dunklen alleine rum zulaufen. Man kannte ja die Szenen aus den Filmen in denen man nachts ruhig die Straßen entlang lief und plötzlich kommt jemand von hinten und will einen mit einem Messer in der Hand überfallen. Gutes Beispiel: Batman, aber da war es eine Knarre, das ist ja noch schlimmer!

Bei dem Gedanken wurde mir ganz mulmig und ich legte einen Zahn zu. Noch ein paar Meter und ich bin zu Hause.

Eine Bewegung am Rande meines Blickfelds erweckte meine Aufmerksamkeit und lies mich ein wenig zusammen zucken, weil ich ja gerade noch an Verrückte mit Messern gedacht hatte.

Auf der andern Straßenseite lief jemand ziemlich schnell und blickte immer wieder hinter sich. Als die Gestalt unter einer Straßenlaterne drunter herlief erkannte ich ihn. Das war doch Ryan, oder? Kurz darauf war er hinter der nächsten Häuserecke verschwunden. Aber ich konnte ihn, von hier, noch sehn. Er stand an die Hauswand gelehnt und setzte die Mütze seines Sweatshirts auf.

Was macht der den hier um die Zeit? Oder irrte ich mich vielleicht und es war gar nicht Ryan. Ach was, war mir doch eigentlich sicher dass er es war. Und außerdem erkannte ich sein Shirt wieder.

Aber was stehe ich hier und fragte mich was er hier macht. Ich geh einfach hin und frage ihn. Freute mich ja auch dass ich nach langen Schultagen endlich wieder jemanden aus der Gruppe sah.

Ich lief über die Straße und dachte schon er wäre wieder weiter gelaufen als ich ihn nicht mehr an der Hauswand entdeckte.

Er hatte mich wohl noch nicht bemerkt den tatsächlich war er weiter gelaufen aber er rannte wenigstens nicht, also konnte ich ihn noch erwischen.

Ich ging mit schnellen Schritten auf ihn zu und berührte ihn am Arm.

"Hey, Ryan“.

Anstatt mich richtig zu beachten blickte er mich flüchtig an, riss sich ruckartig los und war im Begriff wieder weiter zu rennen. Hatte ich ihn erschreckt? In seinem Blick war pure Panik zu erkennen. Das kam mir seltsam vor. Was sollte das?

"Ryan". Rief ich etwas sanfter.

Diesmal blieb er stehen und schaute mich direkt an. Ich ging auf ihn zu und wollte gerade fragen warum er denn so aussah als hätte er einen Geist gesehen. Obwohl das vielleicht etwas untertrieben war. Denn sein Blick von eben machte mir selber etwas Angst. Aber bevor ich fragen konnte sagte er.

"Was ist?" Seine Stimme klang genervt und er hechelte ein bisschen.

"Nichts, ich wollte nur…" Wie sollte ich das formulieren?

"Dann hau ab".

Was?

Er dreht sich wieder um und ging weiter.

"Warte. Was ist mit dir? Warum rennst du so?" Jetzt war es raus. Mir egal ob es ihn nervte.

"Das geht dich nichts an".

"Aber…?"

"Lass mich gefälligst in Ruhe".

Plötzlich hatte er wieder diesen panischen Ausdruck im Gesicht. Es sah so aus als blicke er in die Ferne. Ich drehte mich um. War da was hinter mir?

Nur ein Mann. Wahrscheinlich nur ein Bewohner der seinen Müll noch raus brachte. Denn so wie es aussah hatte er einen kleinen Sack in der Hand.

Auf einmal packte Ryan mich am Arm und rannte los. Ich rannte mit, obwohl ich keine Ahnung hatte warum wir das taten. Aber sein Griff war so fest, deshalb bekam ich auch Panik. Das war doch wohl völlig verrückt.

Und es wurde noch verrückter als wir in eine Straße liefen und dann hinter einer Abbiegung scheinbar zwischen zwei Häusern in einer Sackgasse standen. Ryan dachte anscheinend nicht daran um zu drehen, sondern kletterte über die Mauer vor der wir standen. Was um Himmelswillen soll das?

Ryan hockte da auf der Mauer und sah zu mir runter wobei er wieder panisch hinter mich blickte.

"Komm schon du Idiot!", schrie er mich an.

Was? Wer war hier der Idiot, ich bestimmt nicht. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr auf dieses Spielchen. Ryan verarschte mich doch nur.

Er streckte mir seine Hand entgegen. "Los komm! Oder…".

"Nein, das…" Plötzlich hörte ich laute Schritte von schweren Stiefeln hinter mir. Jetzt gab ich mir einen Ruck und kletterte doch über die Mauer. Dann liefen wir aus der Gasse hinaus, auf die offene Straße .Hoffentlich nahm das bald mal ein Ende. Knapp hinter uns hörte ich so was wie einen Aufprall. Der mit den Stiefeln war anscheinend auch über die Mauer geklettert. Er konnte jederzeit um die Ecke kommen und uns schnappen.
 

Ryans Griff um mein Handgelenk, wurde wieder stärker. Dann rannten wir, wie vom Teufel gejagt, etliche Straßen runter und um unzählige Ecken herum. Die kalte Nachtluft schlug mir entgegen und mir wurde immer kälter. Verfolgte uns etwa wirklich jemand? Langsam kam mir der Gedanke gar nicht mehr so idiotisch vor. Das Gefühl für Zeit hatte ich vollkommen verloren, das einzige was es jetzt gab war rennen, rennen so schnell ich konnte. Nach wer weiß wie vielen Straßen hörte und sah ich den Typ nicht mehr.

Ryan führte mich in eine Bahnunterführung in der das Licht der Laternen nur so weit rein schien, das man gerade noch ahnen konnte wo man hintrat. Ich wurde langsamer, ich konnte einfach nicht mehr weiter laufen. Ich hatte noch meinen Rucksack auf, und der war nicht gerade federleicht. Ich entzog mich Ryans Griff und um Luft ringend setzte ich mich schließlich auf die Stufen. Ryan setzte sich neben mich, nachdem er sich umgesehen hatte. Seine Hektik schien verflogen und er entspannte sich langsam.

Als ich mich einigermaßen erholt hatte schaute ich ihn fragend an.

"Was sollte das denn?"

Er sagte nichts. Sondern setzte nur seine Mütze wieder auf, die ihm beim Rennen runtergerutscht war.

"Hey, antworte mir". Der machte mich echt langsam sauer.

"Klappe zu!"

Wie bitte? Jetzt reicht es mir aber mit dem. Ich stand auf und schaute wütend auf ihn herab. Aber er hob nicht mal den Kopf. Was denkt der sich?

"Hey, man. Sag schon was los ist. Wer hat uns da verfolgt?"

Er gab keinen Ton von sich. Ach, der kann mich mal. Ich machte kehrt und wollte gerade wieder gehen als Ryan ruhig sagte.

"Du solltest nicht da lang gehen. Der Typ könnte uns suchen".

Ich drehte mich wieder zu ihm.

"Und wer war dieser Typ?"

"…Keine Ahnung".

"Ach was. Hast du vielleicht was angestellt, oder was ist?"

Stille. Überlegte er etwa was er angestellt haben könnte? Wäre auch denkbar das er sich eine Lüge ausdachte.

"Nein, ich hab nichts angestellt". Sagte er schließlich.

"Und wieso hat der…"

Ryan stand plötzlich auf.

"He, was willst du von mir hören? Ich sagte doch ich hab keine Ahnung warum der Typ hinter mir her war".

Von wegen. "Der wird uns ja kaum zum Spaß durch die halbe Stadt gejagt haben. Und wo sind wir gelandet, in einem Tunnel in dem es nach Pisse stinkt. Und du hast keine Ahnung warum? Du bist doch total irre. Mir reicht es jetzt, ich hau ab."

Diesmal ging ich wirklich die Treppe hoch. Nur zu blöd das ich nicht wusste wo ich hier war. Ich sah mich suchend um, vielleicht entdeckte ich etwas was mir bekannt vorkam. Nichts. Und ich konnte auch niemanden nach dem Weg fragen, es war ja keiner in der Nähe oder sonst wo. Mir blieb nichts anderes übrig als Ryan zu fragen. Obwohl mir das gewaltig widerstrebte.

Ich stand noch eine Weile nur so da und überlegte ob es doch noch eine andere Möglichkeit gab nach Hause zu kommen. So ein Mist, mir fiel nichts ein. Und das ich hier stand wurde mir auch langsam peinlich. Wahrscheinlich klotzte mich Ryan schadenfroh von hinten an. Was soll’s, ich lauf jetzt einfach mal los. Irgendwann finde ich schon eine Bahnstation von der aus ich Heim kam.

Ich hatte ein paar Schritte getan, da kam Ryan neben mich und zeigte mit dem Finger nach rechts.

"Am Ende dieser Straße ist der Park, in dem wir letztens waren. Von da aus kennst du den Weg ja."

Ich ging schweigend los. Froh endlich gehen zu können. Unbeabsichtigt dachte ich daran, wo Ryan jetzt wohl hin gehen wird. Ob er in der Nähe wohnte? Aber was ging mich das an. Der kannte sich doch bestimmt hier bestens aus. Aber andererseits war er ja so was wie ein Freund und ich wollte es mir mit Vincent und den andern nicht verscherzen, nur weil mich dieser Idiot durch sämtliche Straßen gezerrt hat. Und das nur weil er irgendwas angestellt haben soll. Dass er keine Ahnung hatte kaufte ich ihm nicht ab. Die Verfolgungsjagd war doch nicht normal. Ryan war nicht normal. Aber eben doch ein Freund.

Widerstrebend blieb ich stehen. Ich wusste genau das Ryan noch hinter mir stand.

"Und wo gehst du jetzt hin?"

"..." Er war wohl überrascht dass ich das fragte. "Vincent wohnt nicht weit von hier."

Das war also geklärt. Dann kann ich ja endlich beruhigt nach Hause gehen. Ich fühlte mich nach diesem Erlebnis total erschöpft. Was Vergleichbares hatte ich nun noch nie erlebt. Und wollte das natürlich auch nicht wieder. In Zukunft würde ich mich von Ryan fern halten. Aber mich mit den andern auf jeden Fall noch treffen.

Plötzlich hörte ich ein leises: "sorry". Dann lief Ryan weg.

Ich wollte nicht mehr daran denken. Nur einfach Heim ins Bett.
 

Am Ende der Straße fand ich, wie Ryan gesagt hat, den Park. Und ging von da aus zur bekannten S-Bahnstation und fuhr mit der nächsten die kam. Ich musste aufpassen dass ich nicht aus der Bank einschlief.
 

Endlich kam der Moment an dem ich aussteigen musste. Schlendernd ging ich über die Straße, durch die Eingangstür des Wohnhauses und schleppte mich noch die Treppen hinauf.

Oben angekommen suchte ich in meinem Rucksack nach dem Schlüssel. Doch bevor ich ihn fand ging die Tür auf und meine Mutter zog mich rein.

"Wo bist du gewesen?" Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt und klang ganz schön wütend. Das war ich von ihr überhaupt nicht gewohnt. Ich wusste im ersten Moment gar nicht was ich sagen sollte.

"Ich war mit einer Klassenkameradin zum Lernen in der Bibliothek".

"Lüg mich nicht an". Sagte sie scharf. "Es ist schon nach Elf. Also wo warst du wirklich?"

Ich konnte ihr doch nichts von der Sache heute erzählen. Da würde sie sich umso mehr aufregen.

"Ich …". Verdammt mir fiel nichts ein, ich war zu müde. Was soll ich jetzt tun? Einfach irgendwas erfinden. "Sie wollte noch einen Film mit mir ansehen. Und sie hat mich so darum gebeten mit zu kommen das ich sie nicht so einfach abweisen konnte. Sie ist schließlich eine Freundin". Hoffentlich glaubte sie das.

Ihr Blick wurde weniger gereizt. "Gut". Ja, Glück gehabt. "Damit darfst du ab morgen nicht mehr nach der Schule irgendwo hin gehen, sondern kommst gleich Heim. Ist das klar?"

Sie starrte mich geradewegs an, als würde sie gleich wie ein wildes Tier auf mich losgehen wollen.

Ich schaute auf den Boden um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.

"Ja", sagte ich nur.

Damit war die Sache wohl getan. Aber ich musste mir Morgen bestimmt noch mehr anhören.

"Dann geh jetzt ins Bett".

Schweigend ging ich in mein Zimmer, zog meine Jacke samt Rucksack aus. Holte aus dem Schrank ein T-Shirt, zog mich um und kuschelte mich in die Decke. Was für ein beschissener Tag.

Vaterliebe

Beim Frühstück begann der Streit von Gestern Nacht wieder. Meine Mutter predigte mir das ich nie mehr so spät nach Hause kommen soll ohne wenigstens mal anzurufen und bescheid zu sagen.

"Ja, ich ruf vorher an".

"Und wehe du tust es nicht, und sagst im Nachhinein dein Akku war leer oder sonst was. Diese Ausrede lass ich nicht durch gehen".

"Ja". Jetzt lag sie mir schon seit einer halben Stunde damit in den Ohren. Ich habe es doch endgültig verstanden. Ich hatte vorher noch nie Hausarrest und das jetzt wegen einer Sache woran ich nicht die Schuld trug. Ich war nah dran einfach meinen Ranzen zu schnappen und zu gehen.

Doch zum Glück stand Mutter auf um Maria aus dem Bett zu holen, sie musste ja auch zur Schule. Aber dann machte mein Vater weiter.

"Du solltest dich wirklich erwachsener benehmen und deiner Mutter keine Sorgen bereiten. Sie hat die ganze Zeit an der Haustür gesessen und auf dich gewartet".

Ich halt das nicht mehr aus. Die machten ein Theater als wäre ich um Drei Uhr nachts oder sonst wie spät gekommen, und nicht um Elf. Das war doch lächerlich, ich bin doch kein Kind mehr.

Als ich sah dass meine Mutter zurück kam trank ich schnell meinen Kaffee, von dem ich schon drei Tassen hatte, leer und zog Jacke und Schuhe an. Aus meinem Zimmer holte ich meine Tasche und mein Handy, das im Ladegerät lag und verabschiedete mich.

"Vergiss nicht was ich gesagt habe, Chris". Rief mir Mutter noch hinterher als ich die Haustür schloss.

Natürlich nicht, wie konnte ich das auch. Es war mir ins Gehirn gebrannt.
 

Ich kam wie jeden Tag in der Schule an und ging auch gleich an meinen Platz. Wenigstens war das Wetter Heute mal schön. So konnte ich die restliche Freiheit die mir blieb mit Sonnenschein genießen.

Aber damit war es auch gleich vorbei. Lisa steuerte auf mich zu.

"Hey, morgen Chris".

"Morgen".

"Gehen wir nach der Schule zu mir. Zum Lernen?" Wieder dieser Blick.

"Wieso denn? In der dritten Stunde ist doch die letzte Prüfung".

"Ja schon, aber ich dachte wir können auch mal so was zusammen machen. Wäre doch schön, oder?"

"Da muss ich dich enttäuschen. Ich kann nicht".

"Ach, wieso nicht? Hast du eine andere Freundin?" Sie schaute mich geschockt an.

Wieso andere ich hatte gar keine. Oder bildete sie sich ein ich wäre mit ihr zusammen.

"Ich kann nicht weil ich für eine volle Woche Hausarrest habe". Klang zwar etwas peinlich, aber es stimmte ja.

"Was? Wieso denn?"

Wegen eines Verrückten. "Nicht der Rede wert".

Die Klassentür ging auf und unser Mathelehrer kam rein. "Setzt euch bitte".

In der dritten und vierten Sunde hieß es: Biologie Arbeit Nr.1.

Kein Problem nach wer weiß wie vielen Stunden lernen mit Lisa. Obwohl ich glaubte, sie hat dabei nicht viel gelernt.
 

In der Mittagspause ließ mein Kaffeeintus vom Frühstück langsam nach und ich holte mir vom Schulkiosk noch einen Becher. Dann setzte ich mich mit Lisa, die auch Kaffee genommen hatte, an einen freien Tisch in der Mensa.

"Schön mit dir Kaffee zu trinken, Chris".

Was ist denn daran schön? Ich bin immer noch total müde. Also irgendwie wirkt der Kaffee nicht.

Minuten spätere kam Michael noch zu uns und fing an sein Brot zu verschlingen.

"Wo ist den Alex?" fragte Lisa ihn.

"Keie aunug."
 

In der zweiten Pause kam Alex auch nicht zu uns. War mir aber auch egal. Dann um Drei Uhr hatte ich Schule aus. Und ich machte mich auf dem direkten Weg in meine Gefangenschaft. Und morgen war doch Wochenende, selbst da durfte ich nicht raus. So ein verdammter Mist.

Ich ging durch die Haustür.

"Bin wieder da!"

"Hi, Chris". Maria kam mit einer Puppe im Arm im Flur auf mich zu gerannt und umarmte mich kurzerhand. "Spielst du mit mir Teekränzchen?“

Das hatte sie mich ja lange nicht mehr gefragt. Aber ich hatte was anderes vor.

"Später ja, ich muss erst meine Hausaufgaben machen".

"Bittee". Sie ließ den Kopf hängen und schunkelte mit der Puppe vor mir her.

Mein Vater kam gerade aus dem Wohnzimmer und holte sich aus der Küche eine Flasche Bier.

"Jetzt spiel schon mit ihr. Du kannst doch deine Hausaufgaben morgen machen. Du hast mehr als genug Zeit übers Wochenende."

Maria machte einen Freudensprung. "Juhhuuu". Sie nahm mich an die Hand und zog mich in Richtung ihres Kinderzimmers.

"Jetzt lass mich doch erstmal meine Jacke ausziehen".

"Na gut". Sie ließ mich los und ich stellte meine Schuhe im Flur ab und zog Ranzen und Jacke aus.

"Los komm schon Chris", rief sie aus dem Zimmer.

Papa hatte eigentlich recht damit, dass ich viel Zeit hatte, aber gleich mit Maria und ihren Puppen zu spielen.

Ich verbrachte nahezu die nächsten Tage nur mit Maria und ihren Puppen. So dass es mir am Ende meiner Straffe vorkam als hätte ich mich selbst in eine Puppe verwandelt.
 

Und dann war endlich der lang ersehnte Freitag gekommen. Ich war wieder frei. Frei wie ein Vogel, das kam mir in diesem Moment kein bisschen übertrieben vor. Und das würde ich auch gleich ausnutzen und mich mit Vincent und den andern treffen.

Die vergangene Woche über dachte ich immer wieder über das nach, was Donnerstag passierte. Als meine Wut darüber verflog kam ich zu dem Schluss, dass ich vielleicht doch zu ungerecht mit Ryan umgegangen bin. Er hatte möglicherweise echt nicht gewusst warum ihn ein Irrer verfolgt hat. Und wenn das stimmt war ich ziemlich gemein zu ihm gewesen als ich ihn deswegen so angeschrieben hatte und dann einfach abgehauen bin. Auf jeden Fall wollte ich die Sache jetzt klären und mich bei Ryan Entschuldigen.

Weil ich seine Nummer nicht hatte, noch wusste wo er wohnt, rief ich Vincent an, als ich zu Hause ankam. Ich suchte seine Nummer zwischen den meiner alten Freunde heraus und wartete bis er abhob.

Natürlich konnte es auch sein das Ryan bei ihm war, das würde die Sache vereinfachen.

"Hallo".

"Hi, hier ist Chris".

"Hi, was gibt’s".

"Ich wollte mich mal wieder mit euch treffen".

"Ja klar. Komm einfach vorbei".

"Ist Ryan auch bei euch?"

"Nein der ist zu Hause. Jessy und Bianca können leider auch nicht kommen".

"Weißt du wo Ryan wohnt?"

"Ja, wieso? Willst du zu ihm?"

"Ja, es gab da letztens einen kleinen Zwischenfall, darüber wollte ich mit Ryan reden".

"Ok, dann gehen wir zu ihm. Ich bin gerade mit Robert in der Albert-Heinze-Straße, am großen Parkhaus hinter MacDonalds. Von hier aus ist es nicht weit bis zu ihm".

"Alles klar, mach mich auf den Weg".

"Bis gleich, wir warten hier".

Ich zog eine schwarze Röhrenjeans an, ein weißes Shirt mit schwarz rotem Druck und die Kette mit dem Löwenanhänger die ich beim letzten Mal auch an hatte. Dann trug ich ein bisschen Kajal auf. War schon einige Zeit her dass ich das tat.

Es freute mich unheimlich Vincent, und vor allem Ryan, wieder zu sehen. Hoffentlich konnte mir Ryan verzeihen das ich so giftig zu ihm gewesen war.

Ich sagte meiner Mutter kurz Bescheid dass ich mich mit Freunden treffe und dass ich nicht zu spät wieder kommen würde.

Draußen schaute ich an der S- Bahnstation auf den Fahrplan und fand die richtige Linie. Nach fünf Minuten kam sie auch schon und ich stieg ein. Und wie gewöhnlich schauten mich die anderen Fahrgäste wieder komisch an. Jetzt machte es mir aber wirklich nichts mehr aus. Darüber war ich schon froh, das heißt dass ich mich daran gewöhnt habe ein Emo zu sein.

"Nächster Halt, Albert-Heinze-Straße, umsteigen zu…"

Als ich ausstieg sah ich schon die große Reklametafel von MacDonalds, die konnte man kaum übersehen. Da hinter sah ich auch schon das Parkhaus das Vincent gemeint hatte.

Es war eine schöne Gegend hier. Fast überhaupt kein Graffiti oder andere Wandalismus-Schäden. Die Häuser waren zwar auch alt, so wie in meiner Gegend, aber viel modischer. An jedem gab es einen, mehr oder weniger, prachtvollen Balkon. Die Straßen sind sauber und nach fünf Meter stand immer ein Blumengefäß mit verschiedensten Gewächsen.

Ich kam mir etwas fehl am Platz vor.

Eine ältere Frau mit einem Pelzmantel und einem kleinen weißen Hund an der Leine blickte mich Naserümpfend an.

Wo war ich hier nur gelandet?

Als ich den Weg mit den Blümchen hinter mir hatte bog ich in die Straße ein an der das Parkhaus angrenzte.

Da sah ich Vincent auch schon. Er winkte mir zu als er mich erkannte. Bei ihm stand noch ein anderer Typ. Das musste Robert sein.

Ich kam bei ihnen an und Vincent begrüßte mich sofort.

"Hallo, Chris. Schön dich wieder zu sehen".

"Hi, Vincent". Ich lächelte ein wenig und schaute dann zu Robert.

Vincent stellte uns einander vor, wobei er je einen von uns anblickte. "Das ist Robert. Robert das ist Chris".

"Hi". Sagte ich zu Robert.

Er gab auch nur ein kurzes "Hi" von sich.

Robert war fast genauso groß wie Vincent. Da kam ich mir schon ein wenig zu klein geraten vor. Er trug eine schwarze enge Hose mit vielen Nieten, dazu Chucks und eine dunkle Lederjacke. Wenn er nicht die Augen schwarz umrandet und die Haare wie ein Emo hätte. Würde ich ihn gar nicht als einen erkennen.

"Ich hab Ryan schon angerufen. Er kommt auch gleich her". Sagte Vincent als nach dem kurzen Hi eine schweige Minute eintrat.

Jetzt musste ich mir langsam überlegen wie ich mich bei ihm entschuldige. Ob es schon reicht wenn ich einfach, tut mir Leid, zu ihm sage?

Noch ehe mir etwas einfiel kam Ryan auch schon um die Ecke gelaufen. Er trug wie gewöhnlich eine schwarze Kapuzenjacke und eine schwarze Hose. Er sah etwas deprimiert aus wie er da auf uns zu lief und mit den Kopf leicht nach unten blickte. War er noch sauer auf mich?

Er sagte nichts, er stellte sich einfach nur neben Vincent. Dieser legte Ryan als Begrüßung die Hand auf die Schulter.

Robert sah Ryan mit einem breiten Grinsen an. "Na, kleiner".

Ich wusste nicht gleich was ich zuerst sagen sollte. Ich wollte ihm eben Hallo sagen als Vincent wieder das Wort ergriff.

"Wollen wir dann zu dir gehen Ryan?"

Ryan brummelte etwas und gab dann ein "Meinetwegen" von sich.

Robert sah Vincent an, sein Grinsen von eben verschwand und er setzte eine unfreundlichere Miene auf.

"Ihr wollt zu Ryan? Wieso? Habt ihr Beziehungsprobleme?"

Was? Wieso sagte der den auf einmal so was? Sollte es ein Witz sein? Sah aber nicht so aus.

Vincent lächelte Robert ein wenig an und tat so als habe er das eben nicht gehört.

Dann sagte Robert wieder. "Ohne mich. Ich hau ab".

Er ging an mir vorbei und sagte als er knapp hinter mir stand. "Wünsch dir viel Spaß". Dann lief er weiter.

Was war denn das für einer?

Vincent bemerkte dass ich etwas verwirrt drein blickte.

"Mach dir nichts aus seinen Sprüchen. Das gehört einfach zu seiner Art. Gehen wir".

Ryan ging vor, Vincent neben ihm und ich zur andern Seite von Vincent.

Wir liefen einzig eine Straße entlang und dann über Zebrastreifen drüber, da ging Ryan auch schon zu einem Haus und über die Schwelle, die sich am Ende einer hohen Treppe die in den zweiten Stock führte, hinein. Auf dem Schild unter der Klingel stand K. Douglas

Wir folgten ihm. Bis eben dachte ich noch das hier wäre auch ein normales Miethaus so wie bei mir ungefähr, aber das was ich beim rein kommen vor Augen hatte, sah nun wirklich nicht danach aus. Es war viel feiner.

Etwas überrascht bemerkte ich, erst als Vincent mich kurz antippte, das Ryan durch einer der vier Türen weiter ging.

Und wie es nicht anders sein konnte war der Raum in dem er uns führte noch beeindruckender. Wir liefen durch ein längliches Zimmer mit hellgelber Tapete und hellen Edelholzfußboden auf dem ein großer goldfarbener Teppich mit verschiedenen Mustern lag. Drauf stand ein weiß schimmernder Tisch der mit Ornamenten, an Beinen und Rändern, übersät war. Ein prächtiger Blumenstrauß, in einer weißen Vase stand auf ihm, an den Seiten je ein Kerzenständer auf Spitzendeckchen. Darum standen acht ebenso feine Stühle. An der Decke hingen zwei Kronleuchter ähnliche Riesenlampen.

Ich war Sprachlos. Bin ich hier im falschen Film? Besser gesagt Haus.

Ryan ging weiter durch eine Doppelflügeltür. Dann kamen wir in einen Gang, der schon normaler aussah, bis auf die Tatsache dass an den Wenden große Gemälde hingen und auf dem Fußboden wieder ein feiner Teppich lag.

Ryan ging durch die gegenüber liegende Tür und wir waren am Ziel. In seinem Zimmer. Das war weit weniger protzig wie das was ich eben gesehen hatte. Die Wände waren alle samt weiß, die Vorhänge vom einzigen Fenster zugezogen und es lag auch kein Teppich auf dem Boden. An Möbel befanden sich hier drin ein normal großes Bett, ein Tisch mit einem Stuhl, auf dem eine von Ryans Jacken lag. Ein zweitüriger Schrank und eine einfache Kommode.

Ich war noch vollkommen geblendet, und merkte nicht mal dass sich Ryan und Vincent bereits aufs Bett gesetzt hatten und mich musterten, wie ich da mit großen Augen blöd gaffend stand.

Vincent zog mich am Arm, so dass ich aufs Bett zwischen die beiden fiel. Das riss mich aus meiner O-mein- Gott- Starre heraus. Und ich setzte mich richtig hin.

Wir zogen alle unsere Jacken aus und legten sie hinter uns aufs Bett.

Jetzt wusste ich noch weniger als vorher was ich sagen sollte. Jetzt da Ryan direkt neben mir saß.

"So, was wolltet ihr?" fragte Ryan.

"Dich einfach mal besuchen". Antwortete Vincent und lächelte.

Ryan brummelte wieder was Unverständliches. "Aha". Und blickte auf seine Hände runter.

Ich hoffte Vincent würde noch etwas länger mit Ryan reden, bis mir die richtigen Worte einfielen.

"Jessy und Bianca haben mir vorhin gesagt sie sind schon fleißig am Vorbereiten für die Party nächste Woche".

"Welche Party?" fragte ich.

"Jessys Geburtstagsparty".

"Ach so".

"Da gehen wir dann zusammen hin, ok Ryan". Sagte Vincent.

"Ja". Er klang ziemlich gelangweilt.

Dann sagte Vincent weiter. "Letztes Jahr hatte Jessy nur diese voll süßen Sachen geholt. Deshalb fragt sie was wir haben wollen. Bist du mit Gin einverstanden?"

"Mir egal". brummelte er.

"Was könnte man ihr den schenken?" Ich hatte immer noch einen Blackout.

"Sie hat gesagt sie will nichts haben".

"Dann bekommt sie aber nichts für die Sachen auf der Party. Oder?"

"So ist das nicht. Das Geld für die Getränke haben wir alle ihr gegeben. Also macht das nichts, wenn sie keine Geschenke will. Also mach dir keine Gedanken darum."

Als ich, nach diesem Gespräch, immer noch nichts heraus bekam, was die Entschuldigung betraf, stieß Vincent mich leicht mit dem Ellenbogen an.

Ja, ich mach ja schon. Einfach Entschuldigung sagen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Also los.

"Ryan, hör mal ich…" Mehr konnte ich nicht sagen den plötzlich lies mich ein lauter Knall, der sich so wie eine schnell zuknallende Tür anhörte, zusammen zucken.

Dann sprang Ryan auf einmal hektisch auf und starrte die Tür an.

Was ist denn jetzt schon wieder los?

Ryan sah Vincent mit einem ängstlich flehenden Blick an. Er nickte kurz, stand auf, schnappte sich unsere Jacken, ging zum Fenster, öffnete es und warf sie ihn hohen Bogen hinaus.

"Was zum…" Was geht den jetzt ab? Da ist mein Handy drin.

Vincent kam mit ernstem Blick wieder zu mir, packte mich am Arm und zog mich schnell zum Fenster hin.

"Los komm". Sagte er in einem strengen Ton.

"Warte was ist den los?"

"Wir müssen gehen".

Gehen? Wohin? Etwa aus dem Fenster? Spinnt der? Das ging es bestimmt fünft Meter runter.

"Aber das…".

Noch ehe ich richtig begriff saß Vincent schon auf dem Fensterbrett "Beeil dich, Chris!"

Dann sprang er hinaus, ich war wie erstarrt vor Schreck.

Von draußen kam "Komm schon, es ist nicht so tief".

Ryan drängte mich hinaus.

"Los, geh!"

Hilfe! Was ist denn bloß hier los? Wieso sollten wir aus dem Fenster springen? Als ich hinunter blickte sah ich es. Zwei Meter unter dem Fenster befand sich ein Schuppen auf den Vincent schon stand.

Durch die Wände gedämpft hörte ich wie jemand nach Ryan rief.

Ryan schupste mich fast raus und dann war ich auch schon unten. Zwar etwas unelegant aber was soll´s, mir tat ja nur der Hintern weh.

Kurz nachdem ich auf dem Schuppen landete hörte ich wie jemand die Tür von Ryans Zimmer öffnete.

Der Fremde war offensichtlich nicht unbedingt guter Laune, denn die Tür durch die er wahrscheinlich kam knallte gegen die Wand. Dann schrie er: "Ryan. Stay here!”

Neben mir kletterte Vincent vom Schuppen runter, die Jacken hatte er bereits runter geschmissen, und deutete mir ich solle auch leise runter kommen.

"Come here!", hörte ich noch. Dann schloss Ryan das Fenster und verschwand hinter der Scheibe.

Vincent und ich saßen an der Hauswand unter dem Fenster und horchten was sich drinnen tat. Wir wagten nicht etwas zu sagen. Ich wollte sofort wissen was hier los war. Aber das Risiko das uns der Fremde hörte, erschien mir zu groß.

Ich weiß nicht wie lange wir da so saßen bis wir keine Geräusche mehr hörten. Ryan und der Mann hatten anscheinend das Zimmer verlassen. Mittlerweile ging die Sonne unter und es wurde immer dunkler und kälter. Unsere Jacken hatten wir wieder angezogen und ich traute mich endlich was zu sagen.

"Wer war das?"

Vincent blickte hoch, als wollte er sich vergewissern das die Luft rein war, dann sah er mich an und sagte halb flüsternd. "Das war Ryans Vater. Er und Ryan verstehen sich nicht gut und deshalb kann er es auch gar nicht leiden wenn er jemanden mitbringt".

Aber der Typ eben klang doch viel zu aggressiv für einen Vater.

"Ist er denn immer so?"

"Ja leider. Ich habe das schon ein paarmal erlebt. Aber normaler weise ist er um die Zeit arbeiten. Also dachte ich…"

"krags!" Wir hörten wie etwas zerbrach, klang wie Glas.

"Was ist mit Ryan". Ich malte mir gerade die schrecklichsten Dinge aus und bekam umso mehr Angst um ihn.

"Er kommt bestimmt auch gleich raus".

Wir warteten und warteten, aber Ryan kam nicht. Ich war nah dran noch mal rein zu gehen und ihn da raus zu hohlen.

"krags!"

Nein! Jetzt reicht es. Ich stand auf und wollte zu Ryan, aber Vincent hielt mich fest.

"Geh nicht".

"Was? Wie kannst du hier ruhig sitzen, während Ryan vielleicht…" Ich konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Meine Angst schnürte mir die Kehle zu.

Dann hörte ich endlich wie die Haustür zu schlug. Das ist bestimmt Ryan. Jetzt konnte mich nichts mehr halten. Ich lief um die Hausecke herum und sah Ryan gerade noch wie er in die entgegen liegende Richtung davon rannte.

"Hier, nimm die mit". Vincent gab mir Ryans Jacke. Dann rannte ich so schnell ich konnte.

Am Ende der Straße sah ich gerade noch wie Ryan in eine Gasse zwischen zwei Häusern rein lief. Ich musste mich unheimlich beeilen um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, er ist ganz schön schnell.

Ich rannte in die Gasse, aber dann sah ich ihn nicht mehr. Am Ende der Gasse befand sich ein Maschendrahtzaum. Ich kletterte hinüber, zum Glück war er nicht besonders hoch. Dann stand ich vor einem engen Weg, der hinter den Gärten der Häuser vorbei führte.

Wo war Ryan hin? Ich sah mich nach links und rechts um, aber ich sah nichts.

Als ich ein Stück gelaufen war, sah ich ein Gartentürchen in den Angeln hin und her schwenken.

Ist er dort? Hinter dem Zaun lag ein Garten mit leeren Blumenbeten und alten verstreuten Gartengeräten. In dem dazu gehörigen Haus brannte kein Licht. Es war wohl verlassen.

Ich blickte über die ganze Fläche und dann bemerkte ich ihn.

Er saß in einer dunklen Ecke, die Beine dicht an den Körper gezogen, die Arme drum geschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt.

Ich setzte mich schweigend neben ihn ins Gras und legte die Jacke um seine Schultern.

Ich blicke hinauf in den Himmel. Die Sterne leuchteten über uns und ich wusste mal wieder nicht so recht was ich sagen sollte. Vor ein paar Minuten hatte ich noch unheimliche Angst um ihn und jetzt saß ich still an seiner Seite, während er leise weinte, und ich sagte nichts. Ich kam mir so blöd vor. Warum wollte ich auch unbedingt zu ihm nach Hause. Wenn ich nicht gekommen wäre hätte er das nicht mitmachen müssen. Ich war einfach nur sauer auf mich und Ryans schluchzen machte mich noch wütender. Verdammt.

"Ent..schuld..ige bitte".

Was? Warum entschuldigt er sich bei mir? Ich sollte doch…

Er fing an zu zittern. Er sah so verletzt aus. Was war in diesem Haus nur mit ihm passiert? Was hatte dieser Typ ihm angetan?

"Ryan ich…" Was sollte ich schon sagen um ihn wenigstens ein bisschen zu trösten? "Es tut mir Leid das ich dich in diese Situation gebracht habe. Es tut mir Leid das ich dich letztens so blöd angeschrien habe. Es tut mir einfach alles Leid was ich dir angetan habe".

Was konnte ich mehr tun als mich nur zu entschuldigen? Er tat mir so unendlich leid. Es verkrampfte mir das Herz ihn weiter so weinen zu hören. Ich wollte ihn nie mehr so sehen, ihn nicht zurück gehen lassen und immer bei ihm sein und ihn beschützen.

Ich legte ihm meinen Arm um die Schulter, zog ihn an mich und hielt ihn fest.

Er beruhigte sich langsam. Ich flüsterte ihm ins Ohr: "Komm mit mir!"

Beschützt und behütet

Ich kam mir ziemlich komisch vor, wie ich Ryan mit zu mir nahm. Ich war froh dass er mit kam, aber andererseits wusste ich nicht so recht wie ich mich ihm gegenüber benehmen soll. Wir kannten uns doch noch nicht lange und hatten so gut wie kein richtiges Gespräch miteinander geführt.

Ryan hatte seit dem Moment als ich ihn in diesem kleinen Garten fand kein Wort gesagt.

Als wir die Treppen des Hauses, in dem ich wohnte, hinauf gingen hoffte ich inständig das meine Mutter nicht wieder vor der Tür hockte und auf mich wartete, das wäre mir dermaßen peinlich vor Ryan gewesen. Ich holte den Haustürschlüssel aus meiner Tasche, meine Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Es machte klick und ich öffnete langsam, wirklich ganz langsam, die Tür. Ich traute mich gar nicht hinzusehen. Vor meinen Augen sah ich schon Mutter, mit den Händen an der Hüfte, und mich mit durchbohrendem Blick ansehen.

Alles war dunkel. Mir viel ein Stein vom Herzen. Ich seufzte erleichtert.

Ich hätte erwartet das Ryan mich nach dieser Show belustigend ansah. Doch in seinem Gesicht sah man nur die Miene die man immer sah. Dieser etwas genervte traurige Blick. Ob er auch mal lächelte?

Wir traten ein. Ich schlich mehr zu meinem Zimmer als zu laufen.

Wieder tat ich einen Seufzer. Schaltete das Licht an und lehnte mich an meine Tür die ich so leise schloss wie als würde etwas explodieren wenn sie auch nur das kleinste Geräusch von sich gab. Entspann dich Chris!

Erst jetzt realisierte ich wieder das Ryan bei mir ist. Er musste das was ich hier veranstalte wohl für ziemlich lächerlich halten, auch wenn er es nicht zeigte.

Er hatte meine Mutter noch nicht erlebt, die konnte sich wie ein alles zerstörender Drache aufführen. Obwohl, wenn ich an Ryans Vater dachte, der war tausend Mal schlimmer. Als mir die Erinnerung wieder kam wurde ich sofort wieder wütend. Ich wollte ihn da nie wieder hin gehen lassen. Egal was meine Eltern oder sein Vater dazu sagen würden. Ich weiß nicht so genau warum, aber ich wollte ihn um jeden Preis beschützen.

Als ich aufblickte sah ich wie Ryan einfach nur da stand, die Hände in den Jackentaschen und sah wie gewohnt auf den Boden. Ich lächelte innerlich wie äußerlich. Was machte ich mir Gedanken über das was noch nicht war. Das was jetzt zählte war das Ryan sich vor allem und jedem in Sicherheit befand.

Ich trat zum Schrank und holte zwei T-Shirts heraus. Da bemerkte ich, dass auf meinem Schreibtisch eine Puppe von Maria lag. Ich ging unauffällig hin und legte sie in eine Schublade. Dann legte ich die T -Shits aufs Bett, ein schwarzes für ihn ein weißes für mich.

Ryan blickte mich fragend an.

“Ich habe leider kein zweites Bettzeug. Ist das in Ordnung für dich? Oder soll ich…?“

“Schon ok“. Ihm schien das gleichgültig zu sein.

Ich hätte auch auf den Boden schlafen können wenn es für Ryan unangenehm war mit mir in einem Bett zu schlafen. Was mich anging, ich fand das nicht der Rede wert.

Plötzlich kam mir die Bemerkung von Robert wieder in den Sinn. Er hatte Vincent gefragt ob sie Beziehungsprobleme hatten. Waren Ryan und Vincent vielleicht mehr als Freunde? Ach Quatsch! Das bilde ich mir nur ein. Robert hatte sich bestimmt nichts dabei gedacht als er das sagte.

Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Die beiden waren nur Freunde, das hatte Jessy ja auch gesagt.

Während ich da so neben Ryan stand und sein Verhalten gegenüber Vincent analysierte, hatte er bereits angefangen sich hastig umzuziehen.

Ich begann mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch auch damit mich auszuziehen und sah zwischendurch unauffällig zu ihm rüber. Er war sehr schlank, fast schon mager. Als er die Arme hob, um sein Shirt über zu ziehen, sah man seine Rippen die sich unter der hellen Haut deutlich abzeichneten. Seien Bewegungen hatten was von einer kleinen Katze, wie ich gemerkt hatte kletterte er auch oft über Zäune und Mauern, war manchmal auch zutraulich und still aber wenn man in reizte konnte er blitzschnell zurückschlagen.

Sein Schweißbändchen das er am linken Handgelenk trug war ein Stück verrutscht. Er rückte es rasch wieder zurecht und zog das T- Shirt von mir über. Aber ich hatte es trotzdem gesehen. Ich wollte seine Hand nehmen und mir das genauer ansehen. Aber als er bemerkte dass ich näher kam, machte er eilig einen Schritt zurück und hielt seinen Arm hinter dem Rücken. Er funkelte mich unmutig an.

“Was hast du da?”

“Gar Nichts” Das klang nicht sehr überzeugend.

Ich kam wieder auf ihn zu. Es war mir egal was er davon hielt. Ich nahm seine Hand und zog das Bändchen hoch. Er sagte diesmal nichts und lies mich es ansehen. Unter dem Bändchen zog sich ein langer Schnitt den er sich offenbar erst vor kurzen zugezogen hatte, denn es trat noch etwas Blut aus der Wunde. Mir versetzte das einen Stich im Herzen.

„War das dein Vater?“, fragte ich mit Abscheu.

Er zog seine Hand weg und schaute beschämend zur Seite.

Aus meinem Schrank holte ich ein Taschentuch, nahm seine Hand wieder und band es drum.

Ryan sagte leise: „danke“, Legte sich mit dem Rücken zu mir ins Bett und zog die Decke mit einem Ruck bis zum Hals hoch. Er wollte anscheinend nicht darüber reden.

Ich schaltete das Licht aus und legte mich neben ihn.

Minuten später lag ich immer noch wach und beobachte die Lichtstreifen von den Autoscheinwerfern die an der Decke tanzten, während ich dem leisen Atmen von Ryan horchte. Es tat gut ihn bei mir zu haben auch wenn er vielleicht anders dachte.

Warum war mir Ryan so wichtig geworden? Ich war bereit sehr vieles zu tun um ihn irgendwann glücklich lächeln zu sehen. Warum?

Mir kam eine Erinnerung hoch, in der ich mich in einer ähnlichen Lage befand.

Es war etwa in der siebten Klasse. In die Klasse kam ein neuer Mitschüler. Er war etwas dick und hatte viele Pickel. Ich beachtete ihn nicht weiter. Doch eines Tages sah ich wie ein paar aus meiner Klasse ihn auf dem Schulhof ärgerten. Sie nahmen ihm sein Essen ab und bewarfen ihn damit. Ich dachte so was kann jedem Mal passieren, dass er am Anfang geärgert wurde. Als ich zu Beginn in die Klasse kam hatten sie mich auch geärgert, aber ich habe mich gewährt und sie hörten auf und ließen mich in Ruhe. Das musste der Neue halt auch durchmachen. Später würde das schon aufhören. Doch dann wurde er auch noch in der Klasse gemoppt. Die Mädchen hänselten ihn und die Jungs begannen ihn nach der Schule zu verprügeln. Warum tat er nicht endlich was? Er war doch größer als die. Das dachte ich immer wenn ich wieder sah dass er in die Mangel genommen wurde. Eigentlich wollte ich ihm helfen weil ich es langsam nicht mehr mit ansehen konnte. Doch ich sagte nichts als er beschimpft wurde, tat nichts als er geschlagen und getreten wurde und tat auch nicht als dies anfing sich jeden Tag zu wiederholen.

Dann faste ich Mut und wollte ihm an jenem Tag helfen. Doch als ich zur Schule kam, sah ich den Jungen wie er blutend in einen Krankenwagen getragen wurde. Ich konnte es nicht fassen. Der Lehrer sagte, seine Mitschüler hätten ihn aufs übelste zusammen geschlagen, sodass er lange Zeit im Krankenhaus verbringen musste. Danach war ich so wütend auf mich. Warum habe ich ihm nicht von Anfang an geholfen? Dann wäre das nicht passiert? Ich wollte dem Jungen bei Seite stehen und mich mit ihm anfreunden wenn er wieder kam. Doch er kam nie wieder zur Schule. Als ich die Lehrer fragte sagten die, seine Eltern haben ihn von der Schule genommen und seien umgezogen. Einerseits war ich froh, dass er jetzt nicht mehr unter den andern leiden musste. Andererseits tat es mir furchtbar Leid das ich ihm nicht rechtzeitig geholfen habe. Es war zu spät für mich. So was wollte ich nie mehr geschehen lassen.
 

Damals fühlte ich mich wie der letzte Dreck. Das war wahrscheinlich der Grund warum ich Ryan beschützen wollte. Aber um das zu tun musste ich wissen was mit ihm ist. Warum er verfolgt wurde und warum sein Vater ihn nicht leiden konnte und sich so aggressiv gegenüber ihm verhielt.

Ob er auch noch wach war?

“Ryan?”, flüsterte ich.

Ich hörte nur ein fragendes “mhh” von ihm.

“Warum ist dein Vater so?”

“…ich weiß nicht”. In seiner Stimme klang wieder dieser genervte Ton mit.

“Wer glaubst du hat dich letztens verfolgt?”

“Weiß ich nicht”. Er klang noch gereizter.

“Woher hast du denn die Schnitte an deinem Arm?” Sagt er jetzt etwa wieder er weiß es nicht?

“…geht dich nichts an”. Er zog die Decke dichter an sich.

“Aber das was heute bei dir passiert ist, ist doch...”

“Nein, halt die Klappe! Ich will nicht darüber reden”.

Ich sollte jetzt wirklich aufhören ihn auszufragen. Aber die Wut darüber dass er mir immer noch nichts sagt, siegte über meine Vernunft.

“Hat dein Vater dich verletzt?”

“…Nein. Lass mich in Ruhe” Schrie er schon beinahe.

Ich setzte mich auf und sah ihn im dunklen an. Vom schwachen Licht konnte man die Umrisse unter der Decke gut erkennen.

Ich legte ihm die Hand behutsam auf seinen Arm.

Er sagte nichts.

Ich faste Mut und sagte “Ryan, ich möchte dir helfen”.

“Lass mich endlich”.

“Wieso?” Es macht mich auch unglücklich wenn er immer wenn ich ihn sehe traurig aussah. “Wieso sagst du mir nicht einfach was los ist. Ich werde es verstehen”.

“Nein, ich habe jetzt auch keine Lust mehr. Ich gehe”. Er richtete sich auf.

Aber ich wollte nicht dass er geht. Wer weiß was ihm um die Zeit auf der Straße passieren konnte. Vielleicht begegnete er diesem Verfolger wieder.

Ich packte ihn und drückte ihn an seinen Schultern wieder zurück aufs Bett.

Das überraschte ihn so sehr das er eine Weile nichts sagte. Ich konnte nur hoffen dass er es sich anders überlegte und hier blieb.

Er fand seine Stimme wieder und klang wütender denn je. “Geh sofort runter von mir”, schrie er.

“Nein!” Ich konnte ihn jetzt nicht ansehen. Auch wenn einzig das schwache Licht von draußen auf ihn schien. Seine Gesichtszüge konnte man dennoch wage erkennen und ich befürchtete das ich in seinen Augen Hass gegenüber mir erkannte. Also hielt ich ihn nur weiter unten.

“Du bist doch verrückt. Was willst du tun? Mich die ganze Nacht über hier fest halten? Glaubst du ich lass mir das gefallen?” Wie um seine Worte zu unterstreichen fing er an sich unter mir hin und her zu winden, um irgendwie meinem Griff zu entkommen. Doch das bewirkte nichts anderes als das ich ihn noch fester hielt.

“Bitte, bleib nur diese Nacht”. Ich fühlte mich schon fast ein wenig verzweifelt. Ich wusste das Ryan abermals versuchen konnte noch irgendwie weg zukommen. Wenn er das tat sollte ich ihn gehen lassen. Wer bin ich auch schon das ich mir einbildete ihm sagen zu können was er tun soll und was nicht. Aber noch einen Versuch war es wert. So einfach würde ich nicht aufgeben.

Ich sagte so sanft ich in dieser Lage konnte “Bitte bleib!”

Ryan atmete tief ein und gab seinen Widerstand auf.

Als ich spürte dass seine Anspannung verschwand ließ ich ihn zögerlich los. Dann drehte er mir energisch den Rücken zu.

Meine Laune besserte sich langsam. Aber dann kam mir der Gedanke das Ryan für mich endgültig Abneigung empfand. Ich musste mich morgenfrüh auf jeden Fall sofort entschuldigen und ihm erklären warum ich das tat. Das letzte, das ich wollte war ihn zu verärgern.
 

Am Morgen weckte mich das bollern eines schweren Lastwagens auf. Die Sonne schien durch das Fenster. Ich blickte zu Ryan. Er hatte sich in der Nacht zu mir gedreht und schlief jetzt noch ruhig.

Ich stand vorsichtig auf, um ihn nicht zu wecken und zog mich leise an.

Im Kalender meiner Mutter hatte ich gesehen dass sie heute mit Freundinnen zum Frühstück verabredet war. Was für ein Glück für mich.

Als ich in der Küche ankam saß da am Tisch mein Vater und trank seinen Kaffee und lass Zeitung.

Ich bekam im ersten Moment einen Schreck, ich dachte er wäre heute arbeiten. Hoffentlich hatte er den Streit in der Nacht nicht gehört. Als er mich sah sagte er mit einem Lächeln “Guten Morgen”.

“Morgen Papa”.

“Du brauchst gar nicht so erstaunt zu sein. Ich hab mitbekommen das du Besuch mitgebracht hast.”

Ich war nach wie vor erstaunt. Und brachte nur mit Mühe etwas heraus “Und?”

“Ist schon in Ordnung. Ich werde Mutter nichts davon sagen. Du kannst dich beruhigen. Ich hab wirklich nichts dagegen”.

“Danke Papa”.

“Was stehst du noch da rum. Ihr könnt ruhig hier frühstücken.”

Ich stellte zwei weitere Teller und Tassen auf den Tisch und wollte Ryan jetzt wecken. Doch als ich in den Flur trat sah ich ihn wie er gerade zur Haustür hinaus wollte.

“Wo gehst du hin?”.

Ryan drehte sich mit grimmigem Gesicht um.

“Zu Jessy”. Ein Glück das er nicht wieder zu diesem Monster von Vater wollte.

“Willst du nichts essen?”

“Nein”. Er zog den Reisverschluss seiner Jacke hoch, drehte sich wieder zur Tür und drückte die Klinke runter.

“Warte ich komme mit”. Ich sagte meinem Vater kurz Bescheid und zog dann Jacke und Schuhe aus meinem Zimmer an.

Denn ganzen Weg über sagte er kein einziges Wort, und schaute mich auch nicht an. Ich hatte es mir mal wieder mit ihm versaut.

Starke Freundschaft

Als wir beide endlich bei Jessy und Bianca, die in einem gewöhnlichen Miethaus wohnten ankamen, hörte Ryan immer noch nicht auf mich zu ignorieren. Ich sah ihn die ganze Zeit über nur von hinten. Was eigentlich auch kein so schlechter Anblick war. O man. Was denk ich da nur? Ich schüttelte leicht den Kopf um die Gedanken, die überhaupt nicht zu mir passten, loszuwerden.

Nachdem wir mit einem Aufzug in den achten Stock hochgefahren waren, holte Ryan einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und schloss die Haustür auf. Wir betraten die Wohnung und standen in einem langen hellen Flur. Ich schloss hinter mir die Haustür. Weiter ging es ins Wohnzimmer der beiden. Ob wir überhaupt einfach so hier rein durften? Wir hatten uns ja nicht angekündigt oder so. Ryan verschwand umgehend in einem andern Raum. Aus dem ich sofort freudige Rufe von Bianca und Jessy hörte.

“Hey ho, Ryan. Du kommst gerade richtig, wir backen Kekse für die Party. Hier probiere mal!”

Ich wusste nicht was ich hier machen sollte. Ryan wollte mich bestimmt im Moment nicht sehen. Also setzte ich mich auf die große weiße Couch, mit rosa Kissen drauf, die hier zwischen zwei modernen Sesseln stand. Überhaupt war das Wohnzimmer sehr chic eingerichtet. Auch wenn es für meinen Geschmack etwas übertrieben mädchenhaft wirkte, mit all den rosa und gelben Kleinigkeiten die überall verstreut lagen.

Plötzlich hörte ich wie noch jemand zur Tür herein kam. Hier schien ja jeder ohne wenigstens erstmal zu klingeln, ein und ausgehen zu können.

Vincent betrat das Wohnzimmer.

“Hallo, Chris. Bist ja auch mal hier”.

“Hi”.

“Ist Ryan auch hier?”

“Ja, er ist in der Küche”.

Er setzte sich neben mich auf die Couch, lehnte sich gemütlich zurück und legte die Arme über seinen Bauch.

“Wie ist es denn Gestern weiter gelaufen?”

Wie? Bei dieser Frage wurde ich ungewollt etwas rot. Wie meinte er das denn?

“Wieso bist du eigentlich nicht mit gekommen als Ryan weg lief?” Sie waren doch beste Freunde oder?

Vincents Gesicht wurde ernster. Hatte ich was Falsches gesagt?

“Ich wusste das Ryan mir nichts erzählen würde, egal was ich sage. Denn obwohl wir Freunde sind und uns gut verstehen, erzählt er mir nicht viel von sich. Also dachte ich bei dir ist das anders”.

“Nein, er hat mir auch nichts gesagt. Jedenfalls, nichts Genaueres.”

Er grinste zufrieden. “Das braucht seine Zeit. Als ich ihn kennen gelernt habe, hat er mir kein einziges Wort gesagt. Was sich bis heute auch nicht sehr geändert hat. Aber bei dir hab ich das Gefühl das Ryan dir irgendwann alles erzählen wird”.

Na wenn er meint. Ich war zwar anderer Meinung, aber vielleicht hatte er auch Recht. Es würde mir auf jeden Fall gefallen wenn Ryan mir mehr erzählen würde anstatt immer nur auf deprimierten Einzelgänger zu machen.

Der Raum füllte sich langsam mit dem Backduft aus der Küche. Was backen die noch mal? Jedenfalls roch es eher angebrannt als nach Keksen.

Bianca kam aus der schwenkenden Küchentür, die Hände beschmiert mit Teig. Als sie uns sah wischte sie diese an ihrer rosa Hallo Kitty Schürze ab.

“Ah, ihr seid ja auch da. Hab ich gar nicht bemerkt. Wir sind da drin voll beschäftigt”.

“Scheint nicht so recht zu klappen mit den Keksen”. Meinte Vincent neckisch.

Bianca belächelte ihn nur. “Egal, wir haben genug Zeit. Ich geh mir jetzt erst mal die Hände waschen”.

Sie ging mit eiligen Schritten nach hinten.

“Sag mal Vincent. Wie ist Ryan den früher gewesen? Ich hör immer nur dass er anders war”.

“Mmh, man kann nicht sagen das er ganz und gar anders war”. Er legte seinen Kopf auf die Couchlehne. “ Er hat schon immer wenig gesprochen. Aber damals hat er noch ab und zu gelächelt und mit geredet wenn ihn etwas interessierte. Heute ist er irgendwie verschlossen. Und weil er immerzu traurig ist, wirkt es als habe er Geheimnisse die ihn schwer zu schaffen machen”.

“Verstehe. Aber warum ist er so?”

“Ich schätze mal das hat mit seinem Vater zu tun. Du hast ja gesehen wie sie zueinander stehen. Aber was genau los ist weiß ich auch nicht. Deshalb sollst du dich auch gut mit ihm stellen, damit er endlich wieder aus sich raus kommt. Ich kann es auch bald nicht mehr ertragen ihn dauernd so zu sehen”.

Da kam Bianca wieder zu uns und sagte zu Vincent. “Sara kommt gleich, sie Duscht nur noch schnell”

“Alles klar” erwiderte er.

Bianca ging wieder in Richtung Küche, wobei sie die Hände demonstrativ einander rieb und sagte. “So los geht’s mit Keksversuch Nummer vier”

Hier ist noch jemand in der Wohnung? Ich wandte mich um und sah Vincent fragend an. “Wer ist denn Sara?”

“Meine Freundin. Sie wohnt auch hier”. Antwortete er lächelnd.

Das überraschte mich aber jetzt. Das hieß dass er doch nicht mit Ryan zusammen war. Und ich Trottel hab mir darüber dermaßen blödsinnige Gedanken gemacht.

“Ist sie auch ein Emo?”

Vincent lachte ein bisschen als ich ihn das fragte. “Nein, ist sie nicht. Aber sie kommt auch manchmal mit, wenn wir alle mal was unternehmen”. Seine Augen glänzten richtig wenn er über sie sprach, er war wohl wirklich sehr in Sara verliebt.

Das machte mich persönlich auch sehr froh. Aber es konnte ja auch sein das Vincent schon vor Sara mal mit Ryan zusammen war.

“Wie lange seid ihr den schon zusammen?”

“Mal überlegen”. Er setzte nachdenklich die Hand ans Kinn. “Ich glaub das sind jetzt schon fünf oder sechs Jahre. Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten. Wieso willst du das den wissen?

Ich machte eine abwehrende Handbewegung. “Ähh. Nur so”. sagte ich etwas stotternd.

“Und wie lange kennst du Ryan schon?”

Vincent blickte mich belustigend an. “Du stellt heute aber viele Fragen”.

Das weiß ich auch. “Ich möchte euch halt besser kennen lernen”.

“Vincent, kommst du?”

Neben dem Sofa stand auf einmal eine junge Frau. Ob das Sara ist? Sie sah so erwachsen aus. Sie hatte lange blonde offene Haare und trug eine weiße Bluse, am Hals ein Silberkettchen mit einem halben Herzanhänger und eine eng anliegende Jeans deren enden sie in ihre hohen Stiefel gesteckt hatte. Damit war sie fast so groß wie Vincent. Was ich sah als er aufstand und sich zu ihr stellte.

Sara sah mich mit ihren großen blauen Augen an und reichte mir die Hand. “Hallo, ich bin Sara”. Ich nahm ihre Hand entgegen. “Du bist bestimmt Chris. Schön dich kennen zu lernen”.

“Gleichfalls”. Brachte ich nur heraus.

“Ich hoffe du hast nichts dagegen das ich dir Vincent entführe?” Sie lächelte mich scherzhaft an.

Ich lächelte auch. “Nein, natürlich nicht”.

Sara wandte sich wieder Vincent zu und nahm seinen Arm. Dann gingen sie raus. Ich hörte noch wie sie ihre Jacken anzogen und wie die Haustür geöffnet wurde und wieder zufiel.

Da stand ich nun und sah den beiden noch nach, obwohl sie schon längst weg waren. Was nun? Ich hatte ja leider wieder nicht mehr über Ryan erfahren.

“Hey, Chris. Du bist ja plötzlich allein”.

Ich sah zu Jessy rüber, die gerade zu mir kam, oder eher zu mir rannte. Sie breitet die Arme aus und schmiss sich mit voller Wucht auf mich, so dass wir beide auf der Couch landeten. Jessy sah schon von äußeren etwas ausgeflippt aus, dass sie sich auch so benahm wunderte mich nicht wirklich.

“Hi, Jessy” brachte ich gerade noch unter ihr liegend heraus. Sie war schwerer als sie aussah. “Wie lief es mit Backen?”

Sie grinste und verzog dann gespielt traurig ihren Mund. “Nicht so gut. Ihr müsst auf der Party leider drauf verzichten. Da fällt mir ein ich hab dich ja noch gar nicht offiziell eingeladen. Du kommst doch oder?”

Sie legte ihren Kopf auf meine Brust.

“Natürlich komme ich”.

Sie sah mich grinsend an und gab mir einen flüchtigen Kuss auf meine Wange. “Super. Sag mal hast du Lust einen Film zu gucken?”

“Gerne”. Hauptsache sie ging endlich von mir runter.

Während sie aufstand und sich vor den Fernseher setzte und in den DVDs herum suchte, rief sie lautstark “Bianca, komm wir wollen was gucken”.

Aus der Küche kam dann auch gleich ein freudiges “Jaah” von Bianca. Als sie heraus kam zog sie Ryan mit beiden Händen an seinem Arm hinter sich her.

Ryan sah mich nicht an. Er und Bianca setzten sich nebeneinander, ein Stück von mir entfernt auf die Couch.

Die beiden Mädchen diskutierten ewig darüber welchen Film wir denn nun sehen wollten. Mir war das ziemlich egal. Also stimmte ich jedem zu, wenn sie mich fragten was mir lieber wäre.

Am Ende fiel die Wahl auf den Simpsons Film.
 

Bei Vincent

Vincent ging mit Sara in ein Café und sie setzten sich an einen der hinteren Tische. Ohne Sara wären er und die andern nie auf die Idee gekommen hier rein zu gehen. Es waren einfach zu viele Leute hier die sie mit diesem abschätzenden Blick ansahen. Und wenn sie doch mal so was taten, gingen sie bald wieder hinaus. Entweder wegen dem Gestarrte oder weil die Kellner sie baten zu gehen, weil sie angeblich die Gäste störten. Immerhin machten diese keinen Hehl daraus, empört aufzustehen und das Café zu verlassen, wenn wir kamen. Vielleicht dachten die wir wollen hier was anstellen, wie zum Beispiel das Geschäft plündern. Vincent machte das oft wenig aus. Aber von so einer Menge umkreist, kam er sich vor wie eine Maus in der Falle. Das war mit Sara natürlich nicht so. Mit ihr fühlte er sich als könnte er überall hingehen.

Beide bestellten sich einen Cappuccino und unterhielten sich.

“Sag mal Vinc, was hältst du davon wenn ich zur Party das blaue Kleid anziehe das wir letztens zusammen ausgesucht haben?”

“Ist das nicht etwas übertrieben?”

“Finde ich nicht. Du solltest mal sehen was Jessy und Bianca sich für Kleider gekauft haben. Die kann man kaum beschreiben”.

“Na dann. Wieso nicht. Es steht dir ja so gut”.

Sara lächelte ihn liebevoll an.

Nachdem sie das Café verlassen hatten gingen beide einer belebten Straßen entlang auf der es viele Schaufenster zu bestaunen gab. Während Sara mit glänzenden Augen näher ran ging um sich die Kleider, denn Schmuck und Handtaschen besser anzusehen, blieb Vincent meist ein Stück hinter ihr und beobachtet sie dabei. Ein Fußgänger, mit tief ins Gesicht gezogener Mütze, der offensichtlich betrunken war rempelte ihn an, so dass er ein paar Schritte zurück an den Borsteinrand trat um nicht zu stürzen. Der Typ blieb nicht mal stehen um sich zu entschuldigen, sondern bannte sich weiter seinen Weg durch die Menge, wobei er noch andere ungeniert anstieß.

Als Vincent sich vergewissert hatte das seine Geldbörse noch in seiner Hosentasche stecke, sah er nach Sara. Die hatte ihre Hände vor den Mund gehoben und starrte ihn mit geweiteten Augen auf einmal wie erstarrt an. Hatte der Typ sie etwa beklaut? Er wollte sie gerade fragen, als sie hastig die Hand nach ihm ausstrecke und aufschrie “Vincent!”

Noch ehe er richtig begreifen konnte was geschah, kam etwas Dunkles direkt auf ihn zu gerast. Er konnte sich vor Schreck nicht rühren. Alles was er noch sah war dieses Auto, das ihm in einer Sekunde das Ende bringt.

Vincent hechtete im letzten Moment zur Seite, rollte den Sprung ab, stieß sich dabei aber den Kopf an der Mauer vor ihm. Er blieb reglos an der Wand sitzen. Denn Kopf auf die Brust gesunken und die arme schlaff hängend. Sara fiel neben ihm auf die Knie und umarmte ihn so fest sie konnte.

Mittlerweile war das Auto mit quietschenden Reifen davongefahren und die umstehenden Passanten hatten sich um die beiden herum gestellt und gafften.

Vor Vincents Augen verschwamm alles. Er hörte wie von weitem Sara schluchzen.
 

Bei Chris

Nachdem der Film zu Ende war, zeigte die Uhr schon fünf vor zwölf. Jessy nahm die DVD raus und stellte sich groß vor die Couch. “So was haltet ihr von Mittagessen?”

“Wir müssen doch aber noch die Küche aufräumen”. meinte Bianca.

“Dann bestellen wir uns halt was” Jessy ging rüber zum Telefon und suchte in den Werbespeisekarten die gleich daneben lagen nach der von der Pizzeria. “Ist Pizza in Ordnung?” wandte sie sich an uns.

“Ja”

“Egal”

“Klar. Und fragt mal ob sie auf meine, Gummibärchen drauf machen können”.

Während Jessy bestellte fragte ich Bianca “Wann kommt Vincent den ungefähr zurück?” Ich wollte ihn doch noch was fragen.

“Bestimmt nicht vor dem Abend. Es kann auch sein das sie zu Vincent gegangen sind, und erst morgen wieder kommen”.

“Aha”.

Jessy legte den höher ab. “So das kann ein wenig dauern. Kucken wir doch noch einen Film”.
 

Bei Vincent

Sara hielt Vincents Arm ganz fest und stützte ihn ein bisschen. Er hatte einen Verband um seinen Kopf gewickelt bekommen, nachdem sie mit den Krankenwagen abtransportiert wurden.

Jetzt gingen sie zu seiner Wohnung. Vincent war mit einer Platzwunde, einer leichtem Gehirnerschütterung und einer Schramme am Unterarm, davon gekommen. Als sie in sein Wohnzimmer gingen und sich hinsetzen war es schon sechs Uhr abends. Die Polizei hat in noch zu dem Unfall befragt. Aber er konnte sich nicht dran erinnern was für ein Auto es gewesen war, genauso wenig wie Sara. Also wurden nach ihm die Leute die es mit angesehen hatten befragt.

“Geht es dir wieder besser, Vinc?” An ihrer Stimme konnte man ihre Besorgnis deutlich hören.

“Ja, alles ok”. Sagte er eher beiläugig als erst gemeint, so dass man ihm das nicht unbedingt glauben konnte.

“Ich ruf mal die andern an um ihnen zu sagen dass wir hier sind”.

“Sag ihnen aber nichts über den Unfall!”

“Ja, schon klar”. Sie lächelte verständnisvoll.

Nachdem sie angerufen hatte, begleitete sie Vincent in sein Schlafzimmer.

Er setzte sich auf sein Bett. “Du musst nicht unbedingt hier bleiben. Es geht mir gut”.

In Saras Blick erschien Trauer wie Mitleid. “Nein, ich bleib bei dir”. Sie setzte sich neben ihn und umarmte ihn abermals. “Ich liebe dich über alles, Vinc”.

Happy Birthday Jessy!

Jessy und Bianca
 

“Bianca! Bist du endlich fertig?”

“Jaaa, gleich”.

Jessy und Bianca wollten heute für die Party am Mittwoch Getränke und vielleicht auch ein paar Knabberkram einkaufen. Weil keine der beiden einen Führerschein hatte, Bianca hielt es sowieso für überflüssig einen zu haben wenn man in einer Stadt mit Bahnen und Bussen lebt die alle fünf Minuten kamen, also musste Sara sie fahren.

Aber wenn Bianca nicht endlich aus dem Bad kam konnten sie das vergessen.

“Bianca!” Jessy hämmerte an die Tür.

“Ja, nerv nicht”, kam es aus dem Bad.

Bianca kam erstaunlicher Weise jetzt wirklich raus. Die Mädchen zogen ihre Jacken und Schuhe an, Sara hatte zusätzlich noch eine Handtasche dabei. Sie waren fertig zum Gehen, nachdem sich Jessy noch in ihre Stiefel gezwängt hatte und fuhren mit dem Aufzug ins Erdgeschoss hinunter. Sie gingen zum großen Parkplatz hinter dem Haus und stiegen in Saras Auto. Bianca klappte den Vordersitz nach vorne und sagte, mit einem albernen Grinsen, zu Jessy “Setz du dich nach hinten, bist ja kleiner”.

Als sie los fuhren fragte Sara “Wo wollt ihr denn als erstes hin?”

“Natürlich erst das wichtigste hohlen. Ab ins unser Lieblings Süßwarengeschäft”. Bianca machte eine Geste wie Superman wenn er abhebt.

“Nein. Es wäre besser wenn wir zuerst die Getränke hohlen”, meinte Jessy

“Na gut”, sagte Bianca.

Dort angekommen, sahen die Leute sie wieder etwas entsetzt an. Nicht weil sie so aussehen wie sie aussehen, sondern auch weil Jessy und Bianca zwischen dem Alkohol hin und her huschten wie zwei angeschossene Hühner. Sara war das natürlich peinlich, aber so was hatte man immer zu erwarten wenn man mit denen zwei unterwegs ist.

Als sie sich endlich für sage und schreibe, zwei Kisten mit süßem Mischmasch entschieden hatten dachte nur noch Sara daran das Vincent lieber Gin wollte. Sie nahm noch schnell zwei Flaschen und ging dann zur Kasse wo Bianca und Jessy sich schon anstellten und vor lauter Vorfreude auf die Party angefangen hatten zu kichern.

Sara zeigte dem Kassierer ihren Ausweis, als dieser die beiden anderen Mädchen prüfend ansah und bezahlen wollte.

Als sie wieder draußen am Kofferraum des Autos standen, luden sie ächzend die schweren Kisten vom Wagen in das Auto.

“Jetzt müsste Vinc hier sein”, meinte Bianca seufzend und blickte auf die übrige Kiste.

“Sag mal wollt ihr auch noch Knabberkram hohlen?”, fragte Sara als sie wieder im Auto saßen.

Jessy holte ihren rosa Geldbeutel raus und schaute prüfend hinein. “Nee, eher nicht”.

“Mach nichts, ich hab daheim noch genug Gummibärchen”, sagte Bianca dazu, “außerdem glaub ich nicht das die Jungs auf Chips und Co stehen. Oder was meint ihr?“

“Auch wieder wahr. Da bestellen wir und lieber Pizza. Also können wir dann heim?” Sara legte den Gurt an.

“Okay”, kam es von beiden.
 

Bei Chris
 

Heute war der Tag der Party gekommen. In der Schule verlief alles wie gewohnt. Alex hatte sich wieder blicken lassen und er und Lisa machten wieder ihre Sprüche übereinander. Meine Mutter hatte mir inzwischen vergeben dass ich damals zu spät nach Hause kam. Vater hatte mit ihr darüber geredet das ich alt genug wäre selber zu entscheiden wie lange ich weg blieb. Hauptsache es wurde nicht ganz und gar spät. Über Ryan hatte er natürlich kein Wort verloren.

Also konnte ich so lange wie ich wollte mit den andern feiern. Nur blöd das es Mittwoch war, also wird nichts mit tief in die Nacht feiern. Jessy hatte dazu gesagt sie könne es nicht bis zum Wochenende abwarten. Na ich war mal gespannt was das für eine Party werden würde. Sicher keine gewöhnliche, das konnte man von ihr und Bianca nicht erwarten.

Ich zog mir gerade Jacke und Schuhe an. Besonderes angezogen hatte ich mich nicht. Taten die andern sicher auch nicht. Ich trug lediglich meine Lieblings Jeans, ein schwarzes Shirt mit weißen Streifen. Und dazu zwei weiße Schweißbändchen, worüber ich noch ein Armband zog und noch eine Kette und ich war fertig.

“Tschüss, ich geh dann mal.”

“Ja, in Ordnung”, rief Mutter aus der Küche.

Als ich in der S-Bahn saß, dachte ich drüber nach wann und vor allem wie ich mich bei Ryan, dafür entschuldige dass ich ihn in dieser einen Nacht regelrecht bei mir fest gehalten hatte. Er hielt mich bestimmt für nicht ganz dicht. Ich hatte ihm zwar gesagt dass ich ihn beschützen will. Aber das klang sicher sehr aufdringlich. Und er hatte mir ja auch mehrmals klar gemacht dass ich ihn in Ruhe lassen soll. Also werde ich in Zukunft vorsichtiger mit ihm umgehen und mich nicht gleich wieder bei ihm entschuldigen. Ich hatte ihm ja gesagt warum ich das tat. Also warte ich einfach ab bis er mir verzeiht.

Ich kam am Wohnhaus der beiden an und sah, ganz in schwarz gekleidet, Ryan vor der Eingangstür stehen, er ließ seinen Blick über den Boden wandern und wirkte, wie immer, nicht gerade fröhlich. Als er mich sah blickte er beschämt weg.

Ich begrüßte ihn freundlich. “Hi, warum stehst du denn hier noch?”

“Ich warte auf Vincent”, murmelte er.

Kaum hatte er das gesagt kam Vincent auch zu uns gelaufen. An seiner Seite Robert. Das wunderte mich. So wie ich Robert bis jetzt kannte, dachte ich er wäre nicht so ein Party Typ. Besonders nicht wenn diese von einem Mädchen mit einem Rosa-Wahn veranstaltet wurde.

Die beiden grüßten uns kurz, dann machten wir uns zusammen auf den Weg nach oben.

Vor der Tür klingelte Vincent einmal. Sogleich wurde diese mit Schwung aufgemacht. Und mir sankt regelrecht die Kinnlade runter. Da standen die zwei Mädchen in, wie soll ich sagen, unglaublichen Lolita Kleidern. Jessy in Pink Weiß, wie immer, und Bianca in Lila Weiß. Beide Kleider hatten einen beachtlichen Rock, schauten fast wie der eines Tutus aus. An allen Enden hatten sie feine Spitze. Dazu trugen sie hohe Stiefel und ein Halsband mit Schleifen die sie auch im Haar hatten.

Aber man muss schon sagen es stand den beiden sehr gut.

Jessy winkte uns geschwind herein. Vincent umarmte sie und Gratulierte ihr. Ryan machte keine Anstalten ihr was zu sagen sondern ging einfach an ihr vorbei, hinter Vincent her, der sich gerade seine Jacke auszog.

Doch Jessy packte ihn am Arm, drehte ihn so um und umarmte ihn, wobei sie flüsterte: “Schön das du gekommen bist”.

Ryan murmelte nur etwas Unverständliches.

Als ich an der Reihe war tat ich es Vincent nach und wünschte ihr alles Gute. Robert kam einfach nur herein. Und Jessy gab ihm auch nur einen Klaps auf den Rücken.

Als wir alle ins Wohnzimmer marschierten kam Sara gerade mit einer Schüssel bunter Gummibärchen aus der Küche gelaufen. Sie war wie auch schon das letzte Mal gekleidet. Enge Jeans und schwarze Bluse.

Vincent und sie setzen sich zusammen auf einen Sessel. Die boten auch genug Platz für zwei. Robert setzte sich alleine auf den andern. Und wir restlichen machten es uns auf der Couch bequem. Jessy neben Ryan, Bianca neben mir.

Auf den Tisch vor uns standen schon die Gläser und ein paar Flaschen verschiedener Getränke. Hauptsächlich Alkohol, aber auch Saft und Cola waren dabei.

Jessy grinste breit und sagte zu allen: “Bedient euch doch!” Sie nahm die Fernbedienung die neben dem Sofa auf einem kleineren Tisch lag und schaltete die Musikanlage an.

Alle schütteten sich ein oder mixten sich was wie Jessy und Bianca es taten. Bianca tat in ihr Glas sogar Gummibärchen hinein. Zu hören bekamen wir das neue Album von Lovex. So gesehen war die Party schon mal schön. Ich fragte mich nur ob der ganze Abend so ablief. Die Uhr musste ich so oder so im Auge behalten. Aller höchstens sollte ich um zwölf wieder zu Hause sein und jetzt war es schon nach sechs. Immerhin hatte ich Morgen auch noch Schule. Das hieß leider auch mich beim Trinken zurück halten. Obwohl, ich war ja sowieso kein so starker Trinker.

“Habt ihr nichts Besseres als diese scheiß Lovex Musik?”, fragte Robert und stütze gelangweilt den Kopf auf seine Hand.

“Nee, hab keine Aiden CD´s oder so”. Sagte Jessy mit herausfordernder Stimme.

“O man” seufzte er. “Dann wird das hier wohl wieder so ne langweilige Party wie die letzte. Oder wie?”

“Wenn es dir nicht passt, hättest du eben deine Musik mitbringen sollen”. Sagte Jessy scharf.

Von Robert kam jetzt nur noch ein: “Pah”.

“ Und außerdem wird das nicht so eine wie letztes Mal”. Erzählte Jessy weiter. “Wir haben ein paar coole Sachen vorbereitet. Wirst schon sehen”.

“Und deshalb seid ihr auch so verrückt angezogen. Nehme ich an”. Meinte Robert nun wieder.

“Eigentlich war das jetzt nur wegen dem Anlass. Gibt ja nicht oft eine Gelegenheit so was chices zu tragen. Nicht wahr?”. Erklärte Bianca.

“Wie ihr meint”. Sagte Sara jetzt. “Wo habt ihr die Kleider den her?”

“Na, aus dem Spezial-Geschäft“, verkündete Jessy. ”Als wir die kauften wollten wir sie auch gleich mal anziehen. Und damit durch die Straßen laufen und dann hat uns doch tatsächlich so ein Typ angebaggert. Kommt zwar öfter vor, aber der war ja so was von widerlich. Der hat und ganz ruhig gefragt was wir kosten würden. Könnt ihr euch das vorstellen? Da haben wir natürlich gleich sein Leben als Preis festgelegt. Dann verschwand der Typ ganz schön schnell”.

“So wie ihr ausseht kein Wunder”, provozierte Robert sie.

Jessy und Bianca sahen ihn grimmig an. “Du bist Heute aber wieder fies”. Sagten sie fast gleichzeitig.

“Ach was, bin ich gar nicht”. Meinte Robert nur und machte eine abwehrende Geste.

“Du hast doch letztens erzählt das so ein Mädchen fast von der Treppe fiel als sie dich sah. Und da sagst du wir sehen verrückt aus?”

“Das war was anderes. Ich hab die Tussi ja auch kräftig verarscht als sie mich so blöd anglotze”.

“War das so en stark geschminkte Blonde?” Fragte ich. Kann es sein das er wirklich Lisa damit meinte? Das stellte ich mir jetzt voll lustig vor, wie Lisa auf Robert reagiert hat.

“Und ob die das war. Sah aus als kämme sie gerade vom Zirkus. Kennst du die etwas?”

“Ja, mehr oder weniger. Sie ist in meiner Klasse”.

“Ach ja. Dann sag ihr sie ist ne dumme Schlampe das sie andere so doof anglotzt”.

“Wie kannst du so was sagen?” Fragte Vincent und sah Robert ein wenig entsetzt an.

“Wieso stimmt doch”. Er trank einen Schluck von seinem Cocktail und lehnte sich gemütlich in seinem Sessel zurück.

Diese Unterhaltung ging so weiter, dass jeder mit jedem redete. Aber hauptsächlich quatschten Jessy und Bianca miteinander über Mädchenkram. Robert machte gelegentlich eine Bemerkung dazu.

Er war also nicht der schweigsame Typ für den ich ihn am Anfang hielt. Andererseits fand ich, wie auch die Mädchen schon gesagt haben, ihn ein wenig fies.

Nach einer Stunde waren alle schon ein bisschen angetrunken. Besonders Jessy hatte schon einen roten Kopf bekommen. Als die CD wechselte kam die Musik von Cinema Bizarre. Nach ein paar Songs sprang Bianca dann auf, nahm sich eine leere Colaflasche, stellte sich vor uns, schunkelte leicht hin und her, wobei ihr Rock um ihre Beine schwenkte, so dass sie ein bisschen an eine Glocke erinnerte. Sie hob die Flasche zum Mund und fing belustigt an das Lied mitzusingen.

“Everyday erveryday

I just dream away dream away

To another world. Sie bteitert ihre Arme aus und setzt einen sehnsüchtigen Blick auf.

Everday i can see,

People all around Look at me

I know what they´re thinking”. Mit ihrem Handrücken tat sie so als würde sie sich eine Träne wegwischen.

Dann sprang Jessy ebenfalls auf, legte ihren Arm um Biancas Schulter, schunkelte mit ihr und sang weiter.

“he´s such a lonely rüder

he´s such an outsider

cause in my heart”

Nach einiger Zeit mit Trinken und Unterhaltung von den zwei schrillen Mädchen, die unglaublicher weise noch verrückter sind wenn sie einen getrunken hatten. Wurde es einigen dann doch etwas langweilig.

Ich saß nur da und hörte Jessy und Bianca beim Quatschen über verschiedene Läden zu. Ryan hatte sich zurück gelehnt und starre Löcher in die Luft. Sara schmiegte sich an Vincent, der nahm sie in den Arm und streichelte ihr über den Kopf. Bianca warf ihnen einen sehnsüchtigen Blick zu.

“Du hast es gut Sara. Ich hätte auch gern einen Freund”.

“Dann such dir doch einen”, lachte Jessy belustigt.

Bei diesen Worten fing Bianca an zu schmunzeln und sah mich und Ryan abwechselnd an. Schnappte sich dann, mit einem kichern, Ryan und drückte ihn eifrig.

“Dann nehme ich Ryan” sagte sie.

Bianca machte keine Anstalten ihn wieder los zu lassen und Ryan sagte leise: “Lass mich los!”

Sie drückte ihn noch mal richtig und nahm dann ihre Arme von ihm.

Robert warf Bianca einen genervten Blick zu. Sah dann zu Jessy rüber, die gerade einen großen Schluck aus ihrem Glas nahm, “Passiert heut noch was?”

Jessy stellte demonstrativ ihr leeres Glas auf den Tisch, atmete einmal tief ein und sagte halb lachend: “Ja, klar. Jetzt spielen wir ein kleines Spielchen”.

“Aber doch kein Kinderspielchen. Oder?”, fragte ich.

“Aber nein”. Jessy stand auf, stemmte die Hände in die Hüfte und fing an verrückt zu lachen. “Jetzt seht mich nicht so an. Ihr werdet euren Spaß haben. Versprochen”. Sie grinste frech. Dabei sah sie ein bisschen so aus wie der Grinch.

Schon irgendwie unheimlich wie sie drauf war.

“Ihr seid heute ja alle so still”. Sie sah sich in der Runde um. “ Es hatte doch niemand einen Streit oder?”

Ohne auf eine Antwort zu warten, erzählte sie weiter. “Ich hoffe Ihr mögt euch alle?” Sie rieb ihre Hände aneinander, nahm sich eine leere Flasche vom Tisch, ging in die Küche und kam einen Moment später wieder heraus. Sie legte das Gefäß auf den Boden. Sah uns wieder an und ein Lächeln huschte wieder über ihre Züge. “So dann kann es ja losgehen. Setzt euch bitte alle in einem Kreis um die Flasche herum. Dann erkläre ich euch die Spielregeln”. Sie ließ sich schon mal nieder.

“Also wenn das stink normales Flaschendrehen werden soll dann…”, meckerte Robert.

“Natürlich nicht”, unterbrach ihn Jessy.

Als wir alle saßen, übrigens fast in der gleichen Reihenfolge wie zuvor, räusperte Jessy sich kurz, so als würde sie gleich eine Rede anstimmen und begann ihren Vortrag über die Spielregeln.

“Also”, saget sie, “hört gut zu Der der dran ist bekommt die Augen verbunden und dreht die Flasche. Auf den sie zeigt muss dem mit den verbundenen Augen einen Kuss geben. Egal ob auf Wange oder Mund”. Bei diesen Worten sahen alle sie etwas verdutzt an. “Hauptsache der Blinde erkennt wer es war. Wenn er es nicht erraten kann bekommt er eine Strafe. Aber bitte nur harmlose Sachen. Der der Küssen soll kann das natürlich auch verweigern. Dann bekommt aber er die Strafe. Es wäre auch besser wenn die zwei die dran sind aufstehen”.

“Und wie kann man dabei gewinnen?”, fragte Vincent.

Jessy hielt ihren Zeigefinger nach oben. “Würde sagen der, der die wenigsten Straffen hat. Oder?”

“Hast du dir das ausgedacht?”, fragte ich. Obwohl ich mir das sparen konnte.

“Aber ja. Wer denn sonst?” Sie grinste stolz.

“Blöd”, sagte Ryan kleinlaut.

Robert grinste frech und sagte zu Jessy: “Da hat der Kleine recht”.

Jessy sah ihn grimmig an. War aber bestimmt nicht erst gemeint. Denn sofort lächelte sie wieder lieb. “Ihr musst ja nicht mitspielen, wenn du nicht willst”.

Ryan brummte etwas. Blieb aber an seinem Platz sitzen.

Dieses brummen gab er in letzter Zeit ziemlich oft von sich. War irgendwie niedlich.

“So, fang du mal an Vinc!” Jessy verband ihm, mit einem Tusch, das sie aus der Küche mitgebracht hatte, die Augen. Er drehte die Flasche und diese wurde langsamer und langsamer und zeigte schließlich auf Jessy. Ihre Freude darüber sah man ihr deutlich an.

Doch als sie sich ihm näherte, kniff Sara Vincent in den Arm und sagte sofort: “Ich passe”.

Er nahm die Augenbinde und sah Jessy entschuldigend an.

“Was? Wieso denn? Fragte sie ihn, sah dann Saras Blick und verstand anscheinend warum nicht.

“Gut gut. Dann bekommst du dir erste Strafe”. Sie stand geschwind auf und lief in ihr Zimmer. Als sie zurück kam hielt sich Vincent etwas hin und sagte: “Hier setz das auf!”

Vincent nahm es und betrachte es skeptisch. Er hielt eine Babykappe und einen Schuler in der Hand.

“Mach schon! Ist doch süß”, kicherte Bianca.

Als er die Kappe aufsetzte und auch noch den Schnuller in den Mund nahm, sah er noch kurz zu Sara rüber, aber die schien das auch lustig zu finden.

Diese rosa Kappe stand ihm auch irgendwie. Passte zu seiner blassen Haut.

Dann verband sich Jessy die Augen und sagte: “So jetzt bin ich dran”.

Sie drehte die Flasche und als schließlich wieder anhielt zeigte sie auf Ryan. Der guckte jetzt noch genervter als zuvor. Jessy stand auf. Ryan tat dies aber nur widerwillig und steckte seine Hände in die Hosentasche. Bianca fing an leise zu kichern.

Jessy breitete schon erwartungsvoll die Arme aus. Als Ryan ihr einen leichten Kuss auf die Wange gab, kicherte sie auch ein bisschen, und umarmte ihn plötzlich.

“He, umarmen ist unfair Jessy.”, protestierte Bianca.

Jessy lies Ryan los, der sich das gefallen gelassen hatte, setzte sich schnell wieder hin und sagte: Ja, ist schon gut. Das war aber ohne zu schwer zu erraten”.

“Gar nicht”, meinte Bianca und sah etwas beleidigt drein.

“Na fein, dann eben ohne. Ryan ist aber immer so schüchtern.” Sie nahm die Augenbinde ab und sah zu Ryan der unbeteiligt da saß. Sie lächelte ihn an und reichte ihm das Tuch.

Widerwillig nahm er es entgegen und drehte die Flasche. Sie zeigte auf Sara. Sie ging ohne Zögern auf Ryan zu, legte eine Hand auf seine Schulter und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange.

Ryan sagte dann leise: “Sara”.

Diese sagte nur “richtig” und setzte sich wieder neben Vincent.

Ryan reichte Sara das Tuch und sie band sich gleich die Augen zu. Als sie gedreht hatte hielt sie bei Robert. Der stand sofort auf, näherte sich Sara, die auch schon stand und wollte sie gerade auf den Mund küssen. Als er aber Vincents Gesichtsausdruck sah entschied er sich anders und gab Sara einen längeren Kuss auf die Wange.

Sara guckte etwas verwirrt als sie sich wieder setzte und ihre Augen befreite. Unsicher sagte sie dann: “Chris?”

“Falsch” rief Jessy fröhlich. “Das war doch gar nicht so schwer. Also du bekommt die erste Strafe”.

“Und was soll ich machen?” Fragte sie Jessy.

“Überkippe deine Bluse mit Wasser!”, rief Robert.

“Was?”, erwiderte Sara scharf.

“Mach schon! Ist doch nichts dabei”, sagte Jessy ihr zu.

Sara seufzte und ging durch die Küchentür. Und tatsächlich kam sie mit durchnässter Bluse zurück. Darunter erkannte man zwar die Umrisse ihrer Brust aber sie trug noch ein anderes Hemd darunter.

Jessy und Bianca kicherten und Sara warf ihnen dafür einen grimmigen Blick zu, der wohl alles sagte, denn das kichern hörte gleich wieder auf.

Jetzt war Robert dran. Er verband sich die Augen und drehte. Angehalten hatte die Flasche bei Bianca. Diese fing wieder an zu lachen. Da gab Jessy ihr einen leichten schupps mit dem Ellenbogen in die Seite. Bianca stand auf. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Arme hinter ihren Rücken und beugte sich vor um Robert ein flüchtiges Küsschen auf seine Wange zu geben.

“Jessy”, sagte er kurz.

“Nö”, antwortete Bianca als sie sich wieder hingesetzt hatte.

Robert zog schnell das Tuch weg und sah sich in der Runde um.

“Was soll die Strafe sein”, fragte Bianca.

“Er soll zur Nachbarin gehen und sagen dass er sie liebt!”, sagte Sara mit einem zufriedenen Lächeln.

Von Jessy und Bianca kam ein grölendes “Jaaa”.

“Meinetwegen”, meinte Robert und ging schon vor.

Wir andern folgten ihm. Ob er das jetzt wirklich durchzieht?

“Und wehe du machst einen Rückzieher”, knurrte Sara hinter ihm.

Robert machte eine wegwerfende Handbewegung und drückte dann die Klingel der Nachbarin. Während wir zwischen den beiden Wohnungstüren standen und uns Mühe gaben nicht so aufzufallen. Jessy und Bianca konnten ihr Gekicher natürlich nicht ganz zurück halten. Und sogar Sara lachte mit. Das war ich von ihr gar nicht gewohnt. Es hatte ihr wohl mehr ausgemacht das Robert ihr sagte sie soll sich oben rum nass machen.

Als die Tür aufging verklang das Lachen. Ein kleiner Junge stand in der Tür.

Robert bückte sich zu ihm runter setzte ein freundliches Lächeln auf und fragte: “Na, holst du mal deine Mami!?”

Der Junge lief weg und schien beinahe zu heulen als er laut: “Mami” rief.

Sara warf Robert einen vorwurfsvollen Blick zu.

Dieser zuckte nur mit den Schultern als er ihr ins Gesicht sah.

Von drinnen hörten wir die Schritte der Mutter und dann stand sie auch schon in der Tür. Sie war etwa Anfang dreißig und hatte ein strenges Äußeres. Sie sah fast wie eine Lehrerin aus, mit ihrer Brille und dem zurück gebunden Haaren. Mit fragendem Ausdruck stand sie vor Robert und musterte ihn.

“Ja!”, fragte sie misstrauisch.

Robert breitete etwas die Arme aus und sagte mit einen leichten Lächeln im Gesicht: “Ich wollte ihnen nur sagen das ich sie liebe”. Die Frau sah jetzt so was von verwirrt aus. Robert setzte noch einen drauf, zwinkerte ihr keck zu und sagte: “wirklich”.

Jetzt hatte die nichts wissende Frau wohl erst begriffen was vor sich ging. Denn sie trat einen Schritt aus der Tür hinaus und erblicke uns wie wir da hockten und die Hand vor den Mund hielten um nicht laut los zu lachen. Sie sah und böse an und wendete sich wieder Robert zu.

“Verschwindet!”, zischte sie scharf und blitzschnell verpasste sie Robert eine Backpfeife und knallte die Tür sofort zu.

Jetzt konnten sich Jessy und Bianca nicht mehr halten, sie rannten in die Wohnung zurück und lachten lauthals los. Ich muss zugeben das fand ich auch lustig. Sogar Ryan schien ein wenig zu lächeln.

Als wir gerade wieder in die Wohnung wollten wurden wir von einem lauten Knall erschreckt dem dann noch zwei weitere folgten. Alle hörten auf zu lachen und sahen zu Robert der gerade ausholte um noch mal gegen die Nachbarstür zu schlagen.

Vincent ergriff mit beiden Händen schnell Roberts Arm und zog ihn weg. Doch bevor sie durch die Tür gingen rief Robert noch laut: “Das bekommst du zurück Alte”. Dann fiel die Tür ins Schloss.

Alle schauten ihn entsetzt an.

Sara blickte Robert ganz schön böse an. “Sag mal, was denkst du dir? Wir können nur hoffen dass sie jetzt nicht die Polizei holt“.

“Ach was. Das wagt die nicht”, sagte er lässig.

“Ach nein”. Sara stemmte ihre Hände in die Hüfte und sah ihn noch böser an.

“Jetzt mach doch nicht so ne riesen Sache daraus”. Mischte sich Jessy ein.

Sara drehte sich abrupt um und ging. “Ich zieh mich um”.

Wir sahen ihr alle nach und gingen dann wieder ins Wohnzimmer. Nur Vincent ging weiter und verschwand dann in Saras Zimmer. Der Rest setzte sich an ihren Platz und sah Alle etwas verzweifelt drein. Nur Robert nicht, der hatte noch immer seinen Blick voller Genugtuung.

Nach einer langen Pause in der niemand etwas sagte und gelegentlichen vorwurfsvollen Blicken zu Robert, stand Bianca auf, schlug ihre Hände einander setzte einen fröhlichen Gesichtsausdruck auf und sagte: “So, wie wäre es mit Pizza?” Sie sah erwartungsvoll in die Runde.

Nachdem alle mehr oder weniger, zu Biancas Vorschlag ja gesagt hatten und die Pizza dann auch kam, wurden alle wieder entspannter. Sara, die jetzt einen Pullover trug, war nur mit Vincents Zuspruch wieder zu uns gestoßen. Vincent hatte die Kappe und den Schnuller wieder weg gelegt.

Wir aßen und sahen neben bei noch Fernsehen. Jessy hielt, nachdem sie mehrmals sämtliche Kanäle durch hatte, bei einem Horrorfilm.

So gesehen hatte die Party ihren Höhepunkt wohl schon hinter sich. Ein Glück so was wollte ich nicht noch mal mit machen. Robert wurde mir langsam unheimlich. Genauso wie Jessy. Aber ich glaube bei ihr liegt das nur daran das sie zu viel getrunken hatte. Als sie mal kurz auf die Toilette ging, wankte sie schon beim Laufen. Wie lange sie das wohl noch aushält, ehe sie durch ihren Rausch einschlief?

Wir tranken den Rest des Alkohols weg und Jessy machte, nachdem sie den letzte Schluck Gin hinunter gekippt hatte, den Vorschlag noch eine Runde ihres ach so genialen Spiels zu spielen.

Robert sagte dazu: “Ohne mich”.

“Ist auch besser so”, rief ihm Sara zu und funkelte ihn wieder an.

Darauf sagte er nichts sondern sah weiter auf den Fernseher der immer noch lief.

Also setzten sich alle wieder in den Kreis mit der Flasche in der Mitte.

“Dann fang ich mal wieder an”, verkündete Jessy.

Sie verband sich ihre Augen und ertastete die Flasche und drehte sich schwungvoll. Als sie langsam anhielt zeigte sie auf Vincent. Der saß praktischerweise direkt neben ihr.

Vincent rückte ein Stück zu ihr und näherte sich Jessy.

Als Vincent Jessy sanft auf die Wange küsste und sich wieder von ihr entfernte, riss Jessy ihn plötzlich wieder zu sich und küsste ihn. Es dauerte nicht lange und Sara packte Vincent am Arm und zog ihn von Jessy weg.

“Was soll denn das?” Schrie Sara empört. Sie hielt Vincents Arm fest an sich.

“Wenn alle so zurückhaltend sind ist es langweilig”. Sagte die Blinde zu ihrer Verteidigung und grinste frech.

Sara sah sie zornig an. “Grins nicht so blöd! Ich find das gar nicht lustig”.

“He, jetzt beruhigt euch mal wieder. Das ist doch nur ein Spiel”. Meinte Bianca beschwichtigend und gestikulierte wild mit den Händen.

“Nicht wenn Jessy und Robert solche Sachen abziehen”, meinte Sara wieder.

“Dann sollten wir lieber mit dem Spiel aufhören”, sagte Bianca.

“Ja, gut. Ich hab sowieso keine Lust mehr”. Jessy drehte uns den Rücken zu. “Und Robert ist wenigstens nicht so langweilig wie ihr Heute seid”. Zum unterstreichen ihrer Worte, setzte sie sich neben Robert auf den Sessel. “Und damit du es weißt Sara ich hab es satt die immer beim turteln mit Vinc zu zusehen. Ich nehme Jetzt Robert als Freund und Schluss”. Sie umarmte ihn, und er hatte wohl nichts dagegen den er legte ebenfalls die Arme um sie.

“Du musst aber ganz schön betrunken sein Jessy”, sagte Bianca.

“Gar nicht”, sagte Jessy schnell. Sie legte ihren Kopf an Roberts Schulter. “Ich mag ihn”.

“Komm schon, das glaub ich dir nicht”, meinte Bianca wieder.

“Ich würde jetzt nichts mehr sagen, Bianca”. Mischte sich Sara noch ein. “Du stachelst sie nur noch mehr an”.

Als Jessy nichts weiter tat außer mit Robert zu kuscheln, setzten wir uns alle wieder auf die Couch.

Die Uhr zeigte schon halb zwölf. Die Flaschen waren geleert und Ryan war schon längst nach hinten gesunken lies den Kopf hängen und schlief ruhig. Er sah wirklich niedlich aus wenn er schläft, das war mir das letzte Mal gar nicht ausgefallen. Ob er mir vielleicht schon verziehen hatte dass ich ihn damals festhielt. Jedenfalls sah er mich den ganzen Abend über nicht mehr so grimmig wie zuvor an.

Vincent trank sein Glas leer und stand auf. “Ich muss jetzt gehen”.

Sara sah ihn liebevoll an und nickte.

“Was schon?”, sagte Bianca bedauernd.

“Ja, ich muss morgen früh raus”.

Sie setzte ein Lächeln auf und sagte: “Na gut. Dann bis bald”

Sara stand mit diesen Worten auch auf und meinte: “Ich geh dann auch mal ins Bett”.

Jessy und Bianca sagten wie aus einem Mund “Gute Nacht”.

“Also ist die Party für Heute vorbei”, meinte Jessy.

“Ja, ich muss auch bald gehen”, sagte ich.

“Ach so, ehe ich es vergessen. Am Samstag wollen wir alle ins Kino. Kommst du auch?”, fragte Bianca.

“Ja, klar. Um wie viel Uhr denn?”

“Komm einfach um sieben zu uns dann gehen wir zusammen hin. Das Kino ist sowieso etwas weiter weg”.

“Okay”.

Jessy stieg von Roberts Schoß, schaltete die Musik aus und fing an die Pizzaschachteln, die überall verstreut lagen, aufzusammeln und trug sie in die Küche.

Ich sah Ryan an der noch immer schlief. “Was ist mit Ryan?”

Bianca grinste mich an. “Der bleibt für heute wohl über Nacht hier”.

“Ist das denn in Ordnung für euch?“

“Ja klar. Ist ja nicht das erste Mal”.

Jessy kam wieder und hatte eine Decke im Arm. Womit sie Ryan jetzt zudeckte.

“Denn bekommt man nicht so leicht wieder wach”, meinte sie.

Bianca sah zu Robert rüber der immer noch da saß. “Und was ist mit dir?”

Er sah sie grimmig an. “Frag doch Jessy”, meinte er.

Bevor hier wieder ein Streit ausbrach, verschwand ich lieber.

“Na gut dann geh ich jetzt auch mal. Bis Samstag dann”.

“Ja, bis dann”, verabschiedeten sich Bianca.

Ich sah noch mal zu Ryan, und ging hinaus.

Kurz vor Zwölf kam ich zu Hause an. Zog mich in meinem Zimmer schnell um und legte mich dann gleich ins Bett. Ich konnte nur hoffen dass ich morgen früh keinen Kater haben werde. Bei dem ganzen Stress den es wegen Robert und Jessy gab, trank ich doch mehr als ich ursprünglich wollte.

Als ich daran dachte dass ich in knapp sechs Stunden wieder aufstehen und den ganzen morgigen Schultag aushalten musste ohne einzuschlafen, bekam ich jetzt schon Kopfschmerzen. Aber wahrscheinlich ging es den andern nicht viel besser.
 

Bei Jessy
 

Am nächsten Morgen standen die Mädchen pünktlich auf. Nur Jessy musste von Sara noch mal nachdrücklich geweckt werden. Robert war am Abend kurz nach Chris auch gegangen. Sara und Bianca hätten es wahrscheinlich sowieso nicht erlaubt dass er hier übernachtete. Jessy tat der Kopf noch von Gestern weh, und sie schlenderte gemächlich ins Badezimmer. Bianca war da ganz anders sie sprang schon putzmunter herum. Und half Sara beim Frühstückstisch decken.

Als sie an der Couch vorbei kam lag Ryan unter der Decke vergraben. Sie wunderte sie sich das Ryan immer noch nicht wach geworden war, bei dem Krach den sie veranstalteten.

Jessy liebte es nämlich schon früh am Tag ihre Lieblings CD von Pink voll aufzudrehen. Sie sagte das munterte sie für den Tag auf.

Aber Ryan schlief immer noch seelenruhig.

Bianca setzte sich zu ihm zog die Decke weg und umarmte ihn wieder. Er brummte nur etwas.

Bianca ließ ihn los. “Hey Ryan, steh auf das Frühstück ist fertig”, sagte sie ein wenig lauter.

Jessy kam aus dem Bad. “So bekommst du den nicht wach”, sagte sie bevor sie in der Küche verschwand.

Dann stand Bianca auf, nahm Ryans Arm, denn er von sich gestreckt hatte, und zog an ihm so das er fast von der Couch fiel.

Jetzt war er zumindest wach. Sagte aber genervt: “Was soll das, lass mich!”. Er zog seinen Arm wieder zurück.

Bianca sah ihn beleidigt an. “Jetzt mach doch nicht gleich so eine Szene! Steh schon auf!“

Ryan brummte wieder. Gab dann aber auf und sagte: “Ist ja gut”.

Er stand auf und ging erstmal ins Bad bevor er sich dann zu den Mädchen an den Tisch setzte und mit ihnen Frühstückte.

Danach holte Jessy ihren Rucksack aus ihrem Zimmer und machte sich mit Ryan auf den Weg zur Schule. Ryan hatte seine ganzen Bücher und Hefte in einem Schließfach der Schule verstaut. Für Hausaufgaben, ging er meistens mit Jessy in die Bibliothek der Schule. Da hatten sie ihre Ruhe.

Als Jessy darüber nachdachte was am vergangen Abend alles geschah, war ihr als würde jemand anders das alles getan haben und nicht sie. Das passte doch normal nicht zu ihr, dass sie sich so gemein gegenüber ihren Freunden benahm. Besonders nicht im Angesicht von Robert. Ihr kam plötzlich ein Gedanke von dem sie nicht wusste ob er wahr ist oder sie das nur geträumt hatte. Das konnte doch eigentlich nicht wahr sein. Hatte sie Robert wirklich gesagt dass sie ihn mag? Sie wurde leicht rot. Und hoffte das Ryan, der neben ihr lief, das nicht bemerken würde. Er und auch die andern mussten sie doch für völlig abgehoben halten. Immerhin war Robert nicht gerade der Typ Jungen der zu Jessy passte. Aber sie musste sich eingestehen dass es teilweise wahr war was sie sagte. Sie mochte ihn wirklich. Das hätte sie sich aber nie getraut ihm zu sagen. Aber der Alkohol hatte es ihr wohl angetan, so dass sie es doch tat. Sie wusste nicht ob sie darüber glücklich oder beschämt sein sollte. Sie freute sich das sie in Zukunft vielleicht echt mit Robert ging. Sie hielt es einfach nicht mehr aus alleine zu sein und beneidete Sara immer um ihre Liebe zu Vincent. Also warum nicht, sie konnte es ja mal mit Robert probieren. Er hatte sicherlich auch noch eine nettere Seite, als nur die, die er bisher zeigte.

Sie konnte sich ein Lächeln jetzt nicht verkneifen. Sie blickte zum blauen Winterhimmel hinauf und lief voller Zuversicht in das Schulgebäude an dem sie beide gerade ankamen.

Kino

Jessy
 

Es ist Samstagmorgen. Der Samstag an dem alle zusammen ins Kino gehen wollen.

Jessy lag noch in ihrem rosaroten Bett umgeben von Kuscheltieren, drehte sich gerade noch mal in den weichen Federn um und kuschelte sich in ihr Kissen. Als plötzlich der Wecker klingelte und sie aus ihren süßen Träumen riss.

Wie von selbst fand ihre Hand den Weg zum Wecker und stellte ihn, mit einem leichten Schlag, aus. Jetzt schon aufstehen? Sie stützte sich auf den Ellenbogen ab und rieb sich mit dem Handrücken, der freien Hand, über die müden Augen. Ihr Blick war noch ganz betrübt vom Schlaf und nur mit mehreren blinzeln, erkannte sie auf dem Zifferblatt den Zeiger, der auf neun Uhr in der Früh hinwies. Warum um Himmelswillen klingelte das Ding so früh? Sonst stand sie am Wochenende nie vor elf auf.

Sie ließ sich wieder ins Kissen fallen und genoss das warme Gefühl eines Morgens an dem sie ausschlafen konnte.

Aber warum hatte der…? Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie riss die Augen auf und starrte an die Decke während sich ihre Gedanken klärten. Sie hatte den Wecker Gestern Abend gestellt weil sie heute etwas Besonderes vorhatte. Dafür musste sie rechtzeitig ausstehen.

Sie schlug mit einem Mal die Decke weg und fror ein wenig an ihren Beinen, da sie nur ein kurzes Nachthemd trug. Mit Schwung stand sie auf und ging zum Kleiderschrank. Sie zog sich eine bequeme Hose an und gerammte einen warmen Pullover, aus dem Berg von Klamotten, hervor.

Dann lief sie ins Badezimmer, sah sich im Spiegel prüfend an, wusch ihr Gesicht, kämmte ihre Haare und band sie zu einem Zopf zusammen.

Sie ging in die Küche um zu sehen ob Sara vielleicht auch schon wach war. Enttäuscht blickte sie auf den leeren Küchentisch. Musste sie halt noch warten bis es Frühstück gab. Sie ging aber trotzdem erst mal zum Kühlschrank und nahm sich eine kleine Flasche Multivitaminsaft heraus, öffnete sie, nahm einen großen Schluck und schon war der Saft halb leer.

Denn Rest nahm sie mit ins Wohnzimmer wo sie sich auf die Couch fallen ließ. Sie amtete einmal tief ein und wieder aus. Sah zu ihrem Handy das neben ihr auf dem kleineren Tisch lag, stellte die Flasche ab und nahm es in die Hand. Noch brachte sie es nicht fertig die Nummer, die auf dem Display vor einer rosa Blume leuchtete, zu wählen. Ihr Blick wanderte zu einem der zwei Sessel, dann atmete sie nochmals tief ein und aus und sah wieder auf ihr Handy. Sie fasste Mut und drückte die Taste, hielt es sich an Ohr und hörte für eine Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, dem klingeln am andern Ende zu. Als sie es schon gar nicht mehr erwartete verstummte es und sie hörte die ihr vertraute Stimme. Sie schob ihre Nervosität bei Seite und rang sich zu den paar Worten durch die sie die letzten Tage quälten.
 

Beim Frühstück das Sara gerade erst auftischte machte Jessy einen vollkommenen glücklichen Eindruck. Bianca und auch Sara setzen sich schließlich mit ihr an den Tisch und gossen sie frischen Kaffee ein.

Sara füllte zum zweiten Mal ihre Tasse, sah Jessy an, die gerade in ihr Brötchen biss und sagte: “Was ist denn heute mit dir los? Du wirkst so fröhlich”.

“Ja, mehr als sonst”. Fügte Bianca mit vollem Mund hinzu.

Jessy sah von ihrem Teller auf und lächelte mit glänzenden Augen. “Bin ich auch”, sagte sie nur.

“Darf ich wissen warum?” Fragte Bianca. “Wenn du was Lustiges vorhast dann will ich auch mitmachen”.

Jessy schob sich den letzten Bissen von der Brötchen in den Mund, trank en Rest ihres Kaffees hinterher und stand dann geschwind auf. Beim Gehen sagte sie noch: “Das verrat ich nicht”.

Sie lief wieder in ihr Zimmer, schloss die Tür und stellte sich vor die große Auswahl an Kleidern die ihr offener Schrank bot. Aber was sollte sie nun anziehen. Sie liebte ihre Miniröcke über alles, aber dafür war es draußen schon längst zu kalt. Aber was soll es? Sie suchte nach dem in hell rosa, der noch der längste von allen war, auch wenn dieser auch nur bis knapp übers Knie ging. Dazu wollte sie ein enges weißes Hemd und die weißen Stiefel, die sie sonst nur im Winter trug, anziehen. Sie schmiss alles auf ihr Bett und gerammte dann in ihrem Schmuckkästchen herum, bis sie die silberne Herzchen Kette und die Sternchen Ohrringe fand. Schminken musste sie sich nicht mehr, das hatte sie getan bevor die andern beiden Mädchen im Badezimmer waren.

Als sie soweit fertig angezogen war, musste sie sich nur noch für eine chice Jacke entscheiden. Davon hatte sie natürlich auch mehr als genug. Sie wählte eine schneeweiße warme Jacke aus Kunstpelz, die sie letztes Jahr für einen Sonderpreis bekam.

Da kam Bianca ins Zimmer, setzte sich aufs Bett und sah Jessy zu wie sie sich skeptisch im Spiegel betrachtete.

“Was hast du den vor, das du dich so fein machst?” Fragte sie

Jessy wandte sich ihr zu und sagte wieder mit einen überglücklichen Lächeln: “Ich sagte doch, das verrat ich nicht. Aber das wirst du schon sehen”.

Bianca beugte sich neugierig nach vorne. “Wann denn, wann denn?”

Jessy hielt ihren Zeigefinger in die Höhe, zwinkerte Bianca zu und sagte: “Noch heute Abend”. Dann schnappe sie ihre Jacke und verließ das Zimmer mit einem kichern.

Bianca sah ihr verwundert nach.

An der Küchentür sagte sie noch mal schnell zu Sara “Bis dann”, ging in den Flur zog ihre hohen weißen Stiefel und die flauschige Jacke an und verschwand durch die Haustür.
 

Auf den Weg zur ausgemachten Treffpunkt wurde Jessy immer nervöser. Warum wusste sie selbst nicht so genau. Wahrscheinlich weil die andern diesmal nicht dabei waren. Sie hatte sich so daran gewöhnt alles mit Bianca oder Sara zusammen zu machen, das sie sich hierbei verunsichert und irgendwie alleine fühlte.

Aber sie wollte das jetzt und hier unbedingt durchziehen. Bei dem Gedanken was hieraus wohl werden könnte bekam sie ein wohlig warmes Kribbeln im Bauch und sie musste wieder schmunzeln.

Sie beschleunigte ihre Schritte als sie die Person, an einer Mauer stehend, sah. Als sie ihn schon fast erschreckt hatte zögerte sie kurz fing sich aber wieder, setzte ihr schönstes und fröhlichstes Lächeln auf und sagte: “Hi Robert”.

Er sah sie an und sagte lässig: “Hi”.

Mit “Schön dich zu sehen” brach Jessy die Stille die eintrat. Sie hatte ja auch keine Ahnung worüber sie mit ihm reden sollte. Einfach klar sagen was sie für ihn empfand? Das ging doch nicht! Dann würde er sie möglicherweise abblitzen lassen und verschwinden. Also musste sie einen Weg finden langsam an die Sache heran zu gehen. Und dabei auch gleich mehr über ihn herausfinden. Sie wusste auch nicht gerade viel über ihn. Er war nicht der Typ der viel über sich erzählte. In dieser Sache hatte er was mit Ryan gemein.

“Und warum ist das so schön?” Fragte Robert.

Was konnte sie darauf sagen? Dass sie ein Date mit ihm wollte? “Ich…”. Sie schaute schüchtern zu Boden, “finde einfach dass wir zu wenig zusammen machen”.

“Das sehe ich anders”. Er musterte sie von oben bis unten.

Als er das sagte sah Jessy ihn überrascht an. “Wie meinst du das?”

“So wie ich es gesagt habe”, antwortete er nur.

Jetzt brachte sie kein Wort mehr heraus. Wollte er sie nicht treffen? Weil er sie nicht mag? Sie wurde noch unsicherer und ihr Blick wanderte hin und her.

Robert sah sie verwundert an. Aber sie lies immer noch den Kopf hängen. Ihre langen Haare verdeckten ihr Gesicht und Robert fragte sich ob er jetzt zu weit gegangen war und sie deswegen anfing zu weinen. Er berührte sie sanft an ihrem Kinn und drückte ihren Kopf leicht nach oben. “Du bist auf einmal so blass”.

Als Jessy in sein Gesicht sah und in seine Augen, errötete sie. “Alles ok”, sprach sie leise, als sie bemerkte dass sie ihn förmlich anstarrte.

Er ließ sie los und steckte dann seine Hände in die Taschen.

“Wollen wir durch den Park gehen?”, fragte Jessy als ihr nichts anderes einfiel.

“Meinetwegen”.

Sie liefen also nebeneinander durch den Park und Jessy überlegte fieberhaft wie sie es Robert sagen sollte dass sie ihn sehr mochte. Schon als sie sich vor ein paar Monaten das erste Mal sahen, malte sich Jessy aus wie es wohl sei seine Freundin zu sein. Sie mochte zwar nicht so ernste Typen aber Robert hatte was an sich das sie nicht beschreiben konnte und unbedingt kennen lernen möchte.

Das sie wirklich nichts raus brachte war noch nie vorgekommen. Sonst war sie das reinste Energiebündel wenn es ums Reden ging. Sie sah immer nur nach unten und wagte nicht Robert anzusehen. Das Schweigen wurde langsam so unerträglich und peinlich das Jessy zermahlte sich regelrecht das Gehirn so dass sie das Gefühl hatte den Boden unter den Füßen zu verlieren wenn sie es ihm nicht endlich erzählen konnte.

Was heißt Gefühl? Sie verlor ihn wirklich. Der Boden kam immer näher. Diese blöden hohen Absätze, dachte sie noch. Robert würde sie deswegen bestimmt auslachen. Das war noch schlimmer als der Schmerz den sie gleich zu spüren bekam. In Erwartung des Aufpralles kniff sie die Augen fest zusammen. Doch sie spürte ihn nicht. Zögerlich öffnete sie erstmal ein Auge ehe sie dann beide weit aufriss als sie begriff was los ist.

Jessy konnte es nicht glauben. Robert hatte sie aufgefangen und nun lagen seine Arme um ihre Hüfte geschlungen. Ihr schoss das Blut in den Kopf. Sie glaubte sich nicht bewegen zu können, weil dann dieser wunderschöne Moment vielleicht ein Ende nahm. Das einzige was sie noch wahr nahm war diese Berührung seiner Arme. Sie sah nur seine braunen Augen, in denen sie ich verlor. Sie spürte wie ihr Herz schneller schlug als er sanft über ihre Wange strich. Ihr war als würde er sie anlächeln. Nicht richtig Lächeln, sondern eher liebevoll ansehen. Das was sie sich jetzt wünschte würde sich wahrscheinlich nicht erfüllen. Soweit würde er nicht gehen. Doch Jessy wollte es doch. Aber jetzt wünschte sie sich das dieser Augenblick ewig andauerte, auch wenn sie keinen Kuss von ihm bekommen würde.

“Scheiß Emos”.

Jessy wusste erst nicht was los war. Robert hatte sie los gelassen und starrte jetzt wütend den Weg entlang bis zu einem Mann der gemächlich weiter lief als er an ihnen vorbei ging.

Mit kalter Stimme und ebenso kaltem Blick fragte Robert ihn ruhig: “Was hast du gesagt?”

Der Typ der wahrscheinlich nicht viel älter als sie sein musste, drehte leicht und schnell den Kopf zu uns zurück hob den Arm und winkte abwehrend, ohne stehen zu bleiben. “Nichts Man”, sagte er gelassen.

Robert stand da und sah ihn immer noch wütend hinterher.

Jessy drehte sich halb um, legte ihre Hand auf seinen Arm um ihm zu bedeuten dass sie weiter gehen sollten und sah Robert mit einem beruhigenden Lächeln an.

In Roberts Gesicht zeigte sich eine Regung und er verzog den Mund leicht zu einem Lächeln. Aber es war kein fröhliches Lächeln, es war irgendwie unheimlich und Jessy machte es ein wenig Angst.

Sie zog sachte ihre Hand zurück.

Plötzlich bückte sich Robert, kam blitzschnell wieder hoch und warf kräftig etwas in Richtung des Fremden, der jetzt schon einen großen Abstand zu ihnen hatte. Der Stein traf ihn mit voller Wucht an seiner Schulter. Er zuckte zusammen und blieb stehen.

Jessy konnte es nicht fassen. Und starrte Robert entsetz an. Ihr war das egal gewesen das der Typ was gesagt hatte. Das passierte ihr ja auch nicht selten. Aber das Robert jetzt so reagierte!

Robert belächelte ihn weiter. Und Jessy trat einen Schritt zurück als der Fremde sich zu ihnen umwandte. Jessy konnte sein Gesicht aus der Entfernung nicht genau erkennen. Mit zittriger Hand fasste der Typ sich an seine schmerzende Schulter, betrachtete sich dann seine Hand und blickte Robert an.

Robert machte ein paar Schritte auf den Typ zu und griff mit einer Hand in seine Tasche. Doch ehe er sie wieder raus zog, rannte der Fremde schnell weg, wobei er immer wieder nach hinten sah, als würde er sich vergewissern wollen das Robert ihm nicht folgte.

Robert trat noch ein paar Schritte hinter ihm her und rief: “Komm her du Arschloch!”

Jessy konnte nicht fassen was sie da eben sah. Robert war wirklich nicht normal. Sie hatte schon bemerkt dass man ihn besser nicht reizte.

Was sollte sie jetzt tun. Einfach so tun als wäre das nicht passiert. Ihr bleib nichts anderes übrig. Also sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit “Gehen wir weiter Robert!”

Er drehte sich langsam zu ihr um und Jessy hätte erwartet das er noch böse drein sah. Aber stattdessen lächelte er. Ja tatsächlich er lächelte. Das war ihr noch unheimlicher als der böse Blick von eben.

Er kam zu ihr und legte ihr kurz seine Hand auf ihre Schulter. Dann ging er weiter. Jessy lief wieder neben ihm.

Sie war total verunsichert wie sie mit ihm umgehen sollte. Einerseits war es ihm nicht zu verübeln, weil der Typ ihn ja blöd angemachte hatte. Andererseits musste er nicht gleich so heftig drauf reagieren und handgreiflich werden. Es gab weiß Gott schlimmere Sachen als Scheiß Emo genannt zu werden.

Den Rest des Weges durch den Park sprachen sie kein Wort.

Sie blieben stehen als sie wieder an der Straße standen. Und Jessy sagte leise: “Ich sollte jetzt wohl besser gehen”.

Er sagte darauf nur: “Na gut”.

Jessy sah ihn noch mal an bevor sie geht und verabschiedete sich. “Bis bald”.

“Sorry, wenn ich dir Angst gemacht habe”.

Diese Worte klangen für Jessy unglaublich. Hatte er sich wirklich bei ihr entschuldigt? Aber noch mehr wunderte sie sich darüber wie er es gesagt hatte. Es klang nicht aufgesetzt nicht gespielt und auch nicht einfach beiläufig gesagt. Deswegen freute sie sich umso mehr darüber.

Er stand noch vor ihr. Sie blickte zu ihm auf und lächelte sanft. “Schon ok”.

Er konnte also doch lieb sein, dachte Jessy, als sie ihn hinterherblickte als er ging.

Sie wollte jetzt nur noch nach Hause und sich bei ihren Freundinnen aussprechen. Die würden ihr vielleicht vor halten, dass sie sich gar nicht erst mit Robert hätte treffen sollen.

Damit hatte sie wohl auch irgendwie Recht.

Ihre Gedanken waren zu durcheinander um noch mehr darüber nach zu denken. Morgen würde sie die Sache wieder anders sehen.
 

Chris
 

Wir wollten uns eigentlich erst am frühen Abend treffen um ins Kino zu gehen, aber ich ging schon mal zu der Wohnung der Mädchen um zu sehen ob Ryan auch dort war. Ich hatte mich noch nicht mit ihm ausgesprochen, was das - für ihn sicherlich- seltsame Verhalten von mir anging. Überhaupt hatte ich noch nicht viele Worte mit ihm gewechselt. Das konnte nicht so weiter gehen. Besonders nicht da wir meistens nur wegen Kleinigkeiten stritten. Obwohl, es waren eigentlich nicht immer Kleinigkeiten. Aber jedenfalls redete er dann Tagelang nicht mehr mit mir.

Als ich vor der Haustür stand klingelte ich einmal. Ich hatte zwar auch schon einen Schlüssel von Jessy bekommen, da das hier so was wie der Treffpunkt Nummer Eins für alle war, aber ich wollte ihn nicht benutzen da sie bestimmt daheim waren.

Und wie erwartet öffnete sogleich Bianca die Tür, begrüßte mich und bat mich rein. Als ich ins Wohnzimmer trat saß Vincent auf der Couch. Ich und Bianca setzen uns dazu und sahen Fernsehen.

“Ryan ist nicht hier, oder?”, fragte ich gleich.

“Nein, nur Vinc und ich”, antwortete Bianca

Während wir uns irgend so eine TV-Show ansahen kam Jessy reingestürmt. Beachtete uns nur mit einem kleinen Lächeln, das eher traurig wirkte und ging schnurstracks in ihr Zimmer. Wir sahen ihr etwas verwundert nach.

“Was hat sie denn?”, fragte ich an Bianca.

“Keine Ahnung! Ich geh mal zu ihr”. Bianca stand auf und ging mit eiligen Schritten und besorgten Blick nach hinten.

Demnach saßen wir zwei dann alleine auf der Couch und glotzen auf die Matschscheibe. Was eigentlich gar nicht so schlecht war, nur wurde das Programm immer blöder. Um wenigstens etwas Sinnvolleres mit der Zeit anzufangen überlegte ich mir in Gedanken schon was ich Ryan sagen wollte. Vorausgesetzt ich konnte mal alleine mit ihm in Ruhe reden.

Ich hatte mir nach einiger Zeit etwas Passendes überlegt und mir blieb nichts anderes übrig als weiter diese blöde TV-Show zu sehen. Vincent wurde es anscheinend auch bald zu blöd, denn er schaltete den Kasten ab, stand auf und fragte mich ob ich auch noch was zu trinken haben wollte. Als er aus der Küche wieder mit zwei vollen Gläsern kam stellte er beide ab und hockte sich wieder gemütlich auf die Couch.

Bianca war immer noch bei Jessy. Ich fragte mich was sie hatte?

Ich trank einen Schluck von meiner Cola. Und schließlich fragte Vincent: “Wie läuft es denn mit Ryan?”

Ich sah ihn verwundert an. Hatte er denn kein anderes Thema? Aber mit ihm konnte man über Ryan ja gut reden. Also was soll’s, wenn nicht er wer sonst?

“Im Moment nicht so gut”. Aber was hieß im Moment? Es lief ja noch nie gut mit ihm. “Deshalb wollte ich mich heute auch mit ihm mal aussprechen”.

Vincent sah nachdenklich an die Decke. “Ich nehme mal an du denkst Ryan könne dich nicht leiden, nicht wahr?”

Treffer! “Naja, also…”, ich hielt mir verlegen die Hand an den Kopf.

Er sah mich ernst an. “Weißt du ich wollte dir schon längst erzählen wie Ryan war als ich ihn kennen gelernt habe. Dann wirst du sehen dass er dich bestimmt sehr viel mehr mag als man annehmen könnte”. Er richtete seine Augen wieder an die Decke und fing an zu erzählen. “Es ist jetzt etwa ein Jahr her dass ich ihn das erste Mal sah. Weißt du, ich mache eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner und ich wurde an diesem Samstag zusammen mit meinem Ausbilder gebeten worden im Stadtpark nach einen Blumenbett zu sehen. Übrigens der gleiche Park in dem wir uns das erste Mal trafen”. Er lächelte mich kurz an und sah dann wieder weg. “Als ich mit der Arbeit fertig war konnte ich nach Hause gehen. Ich nahm eine Abkürzung durch den Park und sah Ryan dann auf einer Bank liegen. Ich wunderte mich weil es ja noch ganz schön früh war und alles noch nass war, weil es in der Nacht geregnet hatte. Von der Kälte ganz zu schweigen. Ich ging zu ihm und sah ihn an, er schlief. Als ich ihn weckte blickte er mich erst erschrocken an. Ich fragte ihn dann was er hier mache. Aber er antwortete nicht. Ich konnte ihn da nicht so sitzen lassen, da er klitschnass war und es eiskalt war. Also lud ich ihn ein mit zu mir zu kommen. Er ging mit und in meiner Wohnung gab ich ihm erstmal was anderes zum Anziehen und was zu essen. Fragen tat ich nicht weiter was er an diesem Morgen im Park zu suchen hatte und lies ihn schlaffen. Stunden später sah ich wieder nach ihm, aber ich konnte ihn nicht wecken. Ich machte mir Sorgen denn er hatte eine glühend heiße Stirn. Also rief ich Sara an, und sie kümmerte sich um ihn. Ganze drei Tage schlief er. Als es Ryan dann endlich wieder besser ging verschwand er, ohne dass ich oder Sara was bemerkten. Tage später traf ich ihn wieder im Park und fragte ihn ob er nicht Lust hätte mit mir zu kommen und Jessy und Bianca kennen zu lernen. Er nickte nur. Das war das einzige was er tat. Das ging Wochen lang so weiter. Er war oft bei mir oder hier. Aber nie hat er auch nur ein Wort gesagt. Doch mit der Zeit fing er an auch mal ja und nein zu sagen. Das ist leider bis heute fast so geblieben. Du sieht also, du hast bei ihm mehr erreicht als ich und die andern im ganzen vergangenen Jahr”.

Als Vincent geendet hatte trank er einen großen Schluck aus seinem Glas.

Jetzt dachte ich ganz anders über Ryan. Das er wenig redet war mir natürlich klar. Aber dass er so verschwiegen war, überraschte mich trotzdem. Dann hatte Vincent womöglich wirklich recht damit, dass er mich mehr mag als ich dachte. Zwar redeten wir, wenn wir es taten, fast nur im Streit, aber das kam mir auf einmal so viel mehr vor, als das dass er zu andern sagte.

“Hat er dir denn irgendwann gesagt, warum er im Park schlief?”, fragte ich interessiert. Wenn nicht hieß das das Ryan Vincent nicht vertraute? Wenn er nicht mal seinen besten Freund etwas über sich erzählte, dann würde er mir sicherlich auch nicht so schnell was erzählen.

Jetzt blickte Vincent etwas traurig auf seine Hände, die er auf seinem Schoß liegen hatte. “Nein hat er nicht. Ich wollte ihm damit Zeit geben. Aber er hat mir nie was erzählt. Und ich frage auch nicht mehr. Ich weiß wirklich nicht mehr was ich tun kann um ihm zu helfen”, er klang schon sehr traurig als er das sagte.

“Aber wie soll ich dann was über ihn erfahren? Geschweige denn ihm helfen.”

Vincent sah mich fragend an. Dann lächelte er, legte mir freundschaftlich den Arm um die Schultern und sagte halb lachend: “Das schaffst du schon. Ganz sicher”.

Ich lächelte etwas gezwungen.

Na, wenn er meinte. Ich hoffte nur dass er Recht hatte. Aber einfach würde es so oder so nicht werden. Ich konnte Ryan nur mit größter Vorsicht richtig kennen lernen.
 

Mittlerweile waren schon Stunden dahin gezogen. Die Mittagszeit zog ein. Daher kochten Bianca und Jessy, die sich anscheinend wieder beruhig hatte, in der Küche etwas für alle. Auf die Frage ob ich ihnen vielleicht helfen könnte, sagten sie dass ich ihnen nur im Weg stehen würde.

Also sahen Vincent und ich uns noch eine TV Sendung an. Bis schließlich Sara herein kam. Als sie uns erblickte lachte sie liebevoll und sagte “Na, wieder volles Haus hier?”

Als sie ihre Jacke in ihr Zimmer gebracht hatte ging sie zu Vincent und gab ihm einen kleinen Kuss, dann verschwand sie in der Küche und wurde sogleich jubelnd begrüßt. Ehe die Tür wieder zufiel hörten wir wie Bianca sagte: “Gut das du kommst. Ich komm hiermit nicht zurecht”. Keine Minute später stürmte Bianca aus der Küche, hielt sich die Hand, lief ins Bad und jammerte: “Äääh hab mich verbrannt”.

Nachdem Vincent und ich über Biancas Missgeschick lachen mussten klingelte Vincents Handy. Er redete nur kurz und sagte, als er sein Handy wieder in seine Hose steckte: “Das war Ryan. Er sagt er kommt nicht zu uns sondern wartet vorm Kino”.

“Wird er das Kino denn finden? Jessy hat gesagt es wäre etwas weiter weg”. Fragte ich.

Vincent lächelte und sagte: “Mach dir darüber mal keine Sorgen. Ryan kennt sich wie kein anderer in der Stadt aus”.

Bis zum Abend, als sich die Mädchen fürs Kino übertrieben herrichteten verlief der Tag so, dass wir zusammen das zum Glück nicht verbrannte Mittagessen zusammen aßen und uns danach über verschiedene Sachen unterhielten. Wobei Jessy gegenüber uns kein Wort verlor was vorhin mit ihr los war.

Wir hatten ausgemacht dass wir so um sieben Uhr losgehen wollten, damit wir vor dem Kino drüber diskutieren können welchen Film wir uns letztendlich ansehen. Mir persönlich war das ja egal aber bei Bianca und Jessy konnte ich mir durchaus vorstellen dass sie sich ewig nicht entscheiden konnten.

Also wie gesagt machten wir uns nachdem die Mädchen fertig waren auf den Weg zum Treffpunkt. Draußen dämmerte es schon und es war schon sehr kalt für diese Zeit. Es konnte eigentlich auch nicht mehr lange dauern bis es anfing zu schneien. Ich steckte meine kalten Hände in meine Jackentaschen und lief mit der Gruppe bis zur nah gelegenen U-Bahnstation.
 

Ryan
 

Ryan steckte sein Handy wieder in die Tasche seiner schwarzen Kapuzenjacke nachdem er Vincent angerufen hatte. Er stellte sich an die hinterste Mauer des Kinos. Weiter vor ihm befand sich die Straße, rechts führte ein enger Weg zum Notausgang des Kinos. Hätte ihn hier jemand stehen gesehen, hätte er wahrscheinlich gedacht Ryan wollte mich ins Kino schleichen. Aber hier im Dunkeln klotzte ihn niemand an. Er hatte es satt andauernd von irgendwelchen Idioten begafft zu werden. Den ganzen Weg über hatte er das erduldet. Normalerweise ging er auch nicht hier in diese Gegend, aber mal wieder ins Kino zu gehen wäre mal eine Abwechslung.

Er lehnte sich gegen die kalten Steine und hörte den Gesprächen zu die vom Kino her drangen. So könnte er Stundenlang ausharren. Das war für ihn schon zur Gewohnheit geworden. Was sollte er auch tun wenn sein Vater mal wieder betrunken nach Hause kam und er keinen Bock hatte da zu bleiben. Vincent und die andern wollte er auch nicht immer mit seiner Anwesenheit quälen. Die hatten auch ohne ihn sicherlich ihren Spaß. Und er konnte auch alleine und in Ruhe seine Zeit verbringen. Also hatten alle was davon.

Eigentlich war es ihm lieber seine Langeweile im Park oder an einen andern Ort an dem es viele Pflanzen gab, zu töten. Er mochte halt wenn um ihn herum nichts außer schweigendes Geschwätz war und keine dämlichen Menschen wie hier. Dennoch fand er fast immer einen stillen Ort, egal wo.

Er hörte vom Eingang wie ein Typ anscheinend nicht genug Geld dabei hatte um ins Kino zu kommen und sich nun mit andern Typen darüber stritt.

Ryan musste innerlich lachen. Wenigstens musste er sich nicht ums Geld sorgen. Denn obwohl sein Vater ihn nicht sonderlich mochte gab er ihm jeden Monat ein beträchtliches Taschengeld. Er schätzte damit er nicht immer zu Hause rum hang. Na dann tat es ja seinen Zweck.

Nach einer Stunde, solange kam es ihm jedenfalls vor, kam jemand auf ihn zu. Er konnte wegen dem Licht das die Person von hinten anschien nicht genau erkennen wer es war. Aber er konnte sich eigentlich schon denken wer da kam.

Der Typ hob lässig die Hand als wollte er Ryan grüßen und sagte: “Hey, Kleiner. Auch schon da!”

Darauf sagte Ryan nur leise: “Hi”, und drehte seinen Kopf zur Seite um ihm zu bedeuten, dass er ihn bloß in Ruhe lassen sollte.

Er hatte gar keine Lust mit dem zu reden. Hatte er ja noch nie. Ganz einfach weil er Robert nicht ausstehen konnte. Er war arrogant und streitsüchtig, wie er schon mehrmals bewiesen hatte. Er war, mit Abstand, der letzte mit dem Ryan reden wollte.

Nach einem Moment stellte sich der Typ auch an die Mauer. Gerade dahin wohin Ryan seinen Blick gerichtet hatte. Robert hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah zu ihm runter. Er war ja ein ganzes Stück größer als Ryan. Noch ein Grund Abstand von ihm zu halten, dachte er. Genervt drehte er seinen Kopf in die andere Richtung.

Robert hatte das wohl als Beleidigung empfunden, denn er sagte in einem höhnischen Ton: “Na. schmollst du etwa, weil deine Freunde nicht hier sind?”

Darauf sagte Ryan natürlich nichts. Der Typ sollte nur wissen dass er nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Zehn Minuten verstrichen ohne dass Robert einen Ton von sich gab. Er hatte es anscheinend kapiert. Und Ryan war mehr als zufrieden damit.

“Sag mal, wann wollten die andern kommen?” Fragte er jetzt doch.

Darauf reagierte Ryan natürlich kein bisschen und zeigte ihm wieder die kalte Schulter. Er sollte einfach nur sein Maul halten.

Als ob ihm die Antwort von ihm wichtig wäre stellte er sich auf einmal vor Ryan, seine Arme immer noch verschränkt, und sah ihn fragend an. Was sollte denn das jetzt?

Er sagte nichts und Ryan schaute ihn auch nicht an. Er legte leicht den Kopf schief und sagte auffordernd: “Na?”

Ryan wusste nicht was das sollte also schenkte er dem keine Aufmerksamkeit, sondern sah weiter weg.

Er machte keine Anstalten von Ryan wegzutreten und ihm wurde die Situation immer wunderlicher. Robert wirkte mit jedem Augenblick der verging bedrohlicher. Er trat einen Schritt auf den kleineren zu. Ihm wurde das jetzt zu viel. Ihm überkam das Gefühl schnellst möglich von Robert weg zu kommen. Davon ließ er sich aber nichts anmerken. Er würde gleich einfach an Robert vorbei gehen und sich woanders hinstellen, wo mehr Leute waren. Da würde er ihn sicherlich nicht so blöd anmachen.

Doch als Ryan dachte der richtige Moment zum Abhauen wäre gekommen, packte Robert ihn plötzlich an seinem Kinn und zwang ihn somit ihn anzusehen. Ryan war im ersten Moment so überrascht dass er sich keinen Millimeter bewegen konnte. Damit war die Flucht wohl fürs erste gestrichen.

Robert sah ihn so gelassen an das Ryan ein Schauer über den Rücken lief. Ganz ruhig sagte er: “Jetzt schau doch nicht so erschrocken”.

Er kam noch ein Stück näher an Ryan heran und schaute ihn mit seinen stechenden Blick direkt an. Ryan bekam langsam Panik. Er musste irgendwie von ihm los kommen. Mit einem Ruck würde er sich von ihm reisen und dann rennen. Er würde ihm bestimmt nicht folgen können. Er wusste genau wo er hin laufen konnte ohne dass er ihn finden würde. Da er sich hier und auch sonst überall gut auskannte war ein großer Vorteil für ihn, der sich schon öfters bewährt hatte.

Doch als hätte Robert seine Gedanken erahnt wanderte seine Hand von Ryans Kinn runter an seinen Hals und drückte etwas zu.

Jetzt stand es für ihn fest. Der Typ hatte sie nicht alle! Wie soll er jetzt wieder hieraus kommen? Die Sache fing an ihm über den Kopf zu wachsen.

Ryan legte bestimmend seine Hand um Roberts Handgelenk und schaute ihn so aggressiv an wie er konnte. Vielleicht ließ er ihn dann los.

Doch stattdessen lächelte der Typ einfach nur, als wäre das ein Scherz. Er zog die Augenbrauen hoch und sagte in einem Plauderton: “Warum ziehst du denn so ein wütendes Gesicht? Magst du mich etwa nicht?“

Was sollte denn jetzt diese blöde Frage?

Als Ryan nicht antwortete wurde sein Griff um seine Kehle fester. Und wenn ihn jetzt noch keine Angst gepackt hatte dann hatte sie es jetzt mit Sicherheit.

Vor Wut über sich selbst, weil er so dumm war nicht schon vorher abgehauen zu sein, bis er sich auf die Unterlippe.

Robert warf seinen Kopf nach hinten und lachte amüsiert. Dann hielt er unerwartet sein Gesicht nah an Ryans. Fast flüsternd sprach er: “Beiß dir nicht so auf die Lippe. Sonst wollen deine Freunde dich nicht mehr küssen”. Er gab wieder ein abscheuliches Lachen von sich.

Ryan verzog angewidert das Gesicht und umfasste jetzt mit beiden Händen Roberts Arm und versuchte ihn von sich weg zu drücken.

Dann verfinsterte sich Roberts Blick. Er packte fester zu und sogleich schob er Ryan ein Stück an der Mauer hoch. Er spürte keinen Boden mehr unter seinen Füßen. Er gab einen erstickenden Laut von sich und versuchte krampfhaft seinen Griff los zu werden. Doch er drückte nur noch mehr zu. Ryan konnte keine klaren Gedanken mehr fassen. Ihn überkam die blanke Panik als er keine Luft mehr bekam. Vor seinen Augen verschwamm langsam alles und ihm fehlte bald die Kraft sich noch länger zu währen und lies Roberts Arm los. Ryan starrte mit halb offenen Augen zum schwarzen Himmel hinauf und dachte: Warum passiert das mir?

Er spürte Roberts warmen Atem an seinem Ohr. Er hauchte ihm zu: “Weißt du, ich mag dich Kleiner”. Sogleich fühlte einen betäubenden Schmerz in seinem Magen, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Er spürte wie Roberts Griff sich löste und er an der Mauer hinunter sank. Er konnte sich nicht rühren und rang nach Luft.

Robert bückte sich zu ihm runter und nahm sein Kinn wieder in seine Hand und lachend sagte er: “Wenn du deinen Freunden was davon erzählst, kommst du das nächste Mal nicht so glimpflich davon. Ryan”.

Er ging zurück und Ryan hörte seine Schritte verklingen.

Sein Kopf sank auf seine Brust und er amtete schwer. Als er sich endlich wieder rühren konnte hielt er sich mit beiden Armen den schmerzenden Bauch und versuchte sich langsam zu beruhigen.

Verdammt! Was wollte der Typ eigentlich von ihm? Er schlug mit der Faust auf den Boden und bereute es sogleich als der Schmerz eintrat. Er konnte sich nicht wehren? Das ärgerte ihn so sehr das es ihm vor Wut die Tränen in die Augen trieb. Verdammt! Jetzt nicht heulen, dachte er.

Er blieb noch einige Minuten sitzen und versuchte seine Wut und Trauer zurückzuhalten. Dann atmete er tief ein und wieder aus und begann damit langsam wieder aufzustehen. Vincent und die andern mussten gleich hier sein. Kaum hatte er diesen Gedanken beendet hörte er auch schon ihre Stimmen. Mit seinem Ärmel wischte er sich die Tränen weg und zog die Kapuze tief ins Gesicht so dass man seine Augen nicht sehen konnte. Ihm tat zwar immer noch der Bauch unheimlich weh und ihm war auch etwas schwindelig als er ein paar Schritte tat aber er konnte hier ja schlecht sitzen bleiben. Als er wortlos zu ihnen trat begrüßte Bianca ihn überschwänglich.

“Hi Ryan, lang nicht mehr gesehen”. Sie legte kichernd ihre Arme um seine Schultern.

Mehr als ein: “Hi”, brachte Ryan nicht von sich.

Irgendwie schaffte er den Weg zu den Plätzen im Kino doch noch ohne zusammen zuklappen. Ihm war so verdammt übel von dem Schmerzen.

“Warum lässt du denn so den Kopf hängen?”, fragte Jessy.

“Bin nur etwas müde”, gab Ryan zur Antwort.

Das stimmte ja auch irgendwie. Als er sich dann endlich wieder setzen konnte entspannte er sich langsam wieder. Aber trotzdem hörte es nicht auf das alles um ihn herum kreiste und er es nur noch verschwommen wahrnahm. Er merkte noch wie das Licht dunkler wurde und der Film anfing, dann nahm er nichts mehr wahr. Ihm wurde langsam schwarz vor Augen und durch das unangenehme Gefühl in seinem Bauch und dem Kratzen im Hals, fiel ihm das Luftholen umso schwerer, da sich bei jedem Zug der Schmerz zurück meldete. Er ließ seinen Kopf zur Seite sinken und schloss seine Augen. Er sah nichts mehr, hörte nichts mehr und endlich spürte er nichts mehr. Einfach alles verschwand in tiefes Dunkel.

Alles hat einen Grund

Chris

Als wir beim Kino ankamen war es schon längst dunkel geworden. Nur die zahlreichen Lichter der Werbetafeln und Schaufenster leuchteten uns den Weg.

Vor dem Eingang begannen Jessy und Bianca, nach einem kurzen Blick auf die Filmplakate, ihre Diskussion darüber welchen wir uns nun ansehen wollten. Bianca war für einen Fantasy Film aber Jessy wollte lieber Comedy.

“Und was willst du sehen, Vinc?”, fragten die zwei Mädchen.

Vincent zuckte gleichgültig mit den Schultern. “Horror”.

Das wurde von ihnen mit einem eindeutigen: “Nein” abgelehnt.

Ich sah mich derweil etwas um ob ich Ryan, der hier ja warten wollte, entdeckte. Außer ein paar Leuten die rein und ein paar die raus gingen sah ich niemanden.

Doch auf einmal kam er zu uns. Er trat aus einer dunklen Ecke heraus. Da war es tatsächlich so dunkel das man ihn dort nicht sehen konnte.

Ryan hatte wie gewohnt seine Kapuze übergezogen und blickte zu Boden.

Bianca ging gleich mit ausgebreiteten Armen und einem breiten Lächeln auf ihn zu und sagte: “Hi Ryan. Lang nicht mehr gesehen”. Dann umarmte sie ihn herzlich.

Er sagte dazu nur leise: “Hi”.

Alle hatten sich schließlich auf einen Film geeinigt und wir gingen rein. In dem großen Vorführraum angekommen setzten wir uns etwa in die Mitte der Sitzreihen und warteten auf den Anfang des Films. Einen Moment später beugte sich Jessy in ihrem Sitz vor und sagte an Ryan gerichtet: “Warum lässt du denn so den Kopf hängen?” Sie rückte etwas näher an ihn und versuchte unter seine Kapuze zusehen die er bis tief ins Gesicht gezogen hatte.

Er drehte leicht den Kopf in die andere Richtung. “Bin nur etwas müde”, gab er Jessy als Antwort.

Ich weiß nicht warum aber Ryan kam mir zeit wir ihn hier antrafen irgendwie anders vor. Als wir durch den langen Gang bis hierher liefen fiel mir schon auf das er beim Gehen etwas wankte. Und jetzt saß er da, tief in seinen Sitz gesunken, die Arme über seinen Bauch gelegt und lies den Kopf hängen. Aber das lag sicherlich nur daran das er müde war, wie er ja selber sagte. Trotzdem glaubte ich ihm das nicht ganz. Jedoch machte ich mir jetzt keine Gedanken darüber. Es hätte ja auch keinen Sinn. Ich würde sowieso nicht zu einer Erklärung kommen.

Das Licht wurde dunkler und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die große Leinwand.

Nach einigen Minuten spürte ich auf einmal wie Ryan seinen Kopf an meine Schulter legte. Er war anscheinend sehr viel müder als er sagte. Andererseits war der Film so was von langweilig. Da würde wohl jeder einschlafen.

Über den ganzen Film wachte er nicht auf. Und als, zu meiner Erleichterung, endlich der Abspann lief und alle aufstanden um zu gehen blieb ich noch sitzen und wartete das Ryan aufwachte. Die andern waren schon im Begriff zu gehen als sie aber sahen das Ryan immer noch, an meiner Schulter gelehnt, schlief blieben sie stehen und warteten nur noch auf mich dass ich ihn weckte. Also schupste ich ihn leicht an die Schulter. Als er sich nicht regte rüttelte ich etwas fester. Schließlich hob er langsam seinen Kopf, sah sich kurz verwundert um und blickte im Anschluss mich fragend an.

“Wir wollen gehen. Kommst du?”

Ryan stemmte sich mit den Händen an den Lehnen ab, stand mühselig auf und ging zu den andern. Er bewegte sich immer noch etwas unbeholfen. Was mir doch etwas Sorgen machte.

Als wir raus traten schlug uns die eisigkalte Nachtluft entgegen und es war mir als würde es jetzt noch viel kälter sein. Ich steckte meine frierenden Hände in die Taschen und ging mit den andern.

Jessy die ganz vorne lief drehte sich zu uns um und fragte: “Und was wollt ihr jetzt machen? Wollen wir vielleicht noch irgendwo hingehen?”

“Ja, wir können doch noch was trinken”, gab Bianca fröhlich von sich.

Ryan ging, ohne das Gerede der Mädchen zu beachten weiter die Straße entlang und entfernte sich von der Gruppe. Wo wollte er denn auf einmal hin?

Ich sah kurz zu Vincent, der offenbar auch bemerkt hatte das Ryan weg ging, und mir nur zu nickte. Er wusste wohl genau was ich vorhatte.

Ich lief schnell los um Ryan noch einzuholen.

Ich erwischte ihn gerade als er auf eine S-Bahnstation zuging und sich schließlich auf einer der Bänke setzte. Ich ließ mich ohne etwas zu sagen neben ihm nieder.

Ok! Das du jetzt bloß aufpasst was du sagst Chris! Nicht das er wieder sauer wird.

Doch ehe ich etwas äußern konnte sagte er: “Was ist?” Er sah mich nicht einmal an. Was ich eigentlich auch nicht erwartet hatte.

“Wo gehst du jetzt hin?” Ich fragte so nett ich konnte ohne aufdringlich zu klingen.

“Nach Hause. Wohin denn sonst?”

Er sagte das so einfach. Dabei dachte ich er wüsste genau dass ich es nicht gut fand wenn er zu sich nach Hause ging. Dann machte ich mir wieder Sorgen das sein Vater ihm etwas antat. Ich würde es nicht aushalten wenn gerade jetzt wo es ihm doch anscheinend wieder besser ging, ihm etwas geschehen würde. Damit mischte ich mich zwar in sein Leben ein, was ihm ganz sicher nicht passte, aber ich konnte einfach nicht anders. Er wird mir von Tag zu Tag wichtiger. Und es war mir egal was er dazu sagte, solange ich ihn in Sicherheit wüsste. Es war zwar nicht nett so über seinen Vater zu denken aber was soll ich auch drum rum reden was ich von seinem Vater hielt. Also sagte ich einfach: “Was ist wenn dein Vater wieder betrunken ist?”.

Darauf sagte Ryan nichts. Er saß still da, die Hände in die Jackentaschen und den Kopf auf die Brust gesenkt. Sein Gesicht wurde von seiner Kapuze verdeckt, so dass ich nicht erkennen konnte ob er jetzt böse auf mich wurde. Und ich dachte mit jedem Augenblick in der das Schweigen anhielt darüber nach ob das jetzt nicht doch zu gemein gewesen war.

Dann begann Ryan so leise zu reden das ich es kaum verstand. “Wieso sagst du das?”

“Ich mache mir einfach Sorgen um dich. Und…” Ich stoppte als ich bemerkte das Ryan seine Hände unter der Jacke zusammen ballte und seine Haltung sich verkrampfte.

“Halt die Klappe. Ich kann es nicht mehr hören”. Seine Stimme klang jetzt so traurig dass es mir Leid tat was ich sagte. “Wieso solltest du dir Sorgen um mich machen? Glaubst du mein Vater wäre so einer der sich andauernd besäuft und um sich schlägt? Du hast doch keine Ahnung”.

“Aber es wäre doch besser wenn du bei Vincent oder mir…”

“Nein!” Seine Stimme wurde lauter. “Du kannst doch nicht verlangen dass ich nie mehr nachhause gehe. Wie stellst du dir das vor?”

Damit hatte er eigentlich Recht. Aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Noch während ich überlegte was ich ihm sagen wollte, kam die Straßenbahn angefahren und Ryan stand auf. Ich ließ ihn gehen. Ich hatte noch genug Gelegenheiten mit ihm zu reden. Er hatte wahrscheinlich auch recht das es zu viel verlangt sei das er nicht mehr nach Hause ging. Es kam mir ja auch sehr übertrieben vor ihm immer zu sagen was ich für besser hielt und dann auch noch verlangte dass er es tat. Das war doch wirklich kindisch. Ich stand auf und schaute der Bahn nach in die Ryan soeben eingestiegen war.

Ein eisiger Windhauch riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf das Display meines Handys nach der Uhrzeit. Ob die andern immer noch auf mich warteten? Ich ging den Weg zurück zum Kino und tatsächlich standen sie da noch alle und unterhielten sich.

“Da bist du ja wieder”. Bianca kam auf mich zu als ich mich zu ihnen stellte und gab mir einen Klaps auf den Rücken.

“Alles in Ordnung?”, fragte Vincent.

Ich setzte ein Lächeln auf. “Ja, alles klar”.

“Dann gehen wir jetzt was trinken”, jubelte Bianca. Sie nahm Jessys Hand und die beiden gingen voran. Ich und Vincent folgten ihnen.

Nach einiger Zeit sagte Vincent zu mir: “Entschuldige das ich immer alles mit Ryan auf dich schiebe. Ich weiß dass es nicht einfach mit ihm ist und ich sollte eigentlich als sein Freund auch was tun”.

Ich sah ihn mit einem verständnisvollen Blick an. “Schon okay”.
 

Ryan

Als Ryan in die Bahn einstieg und sich setzte sah er nur aus dem Fenster hinaus. Chris saß noch da und hatte den Kopf gesengt. Als ob er über das was Ryan ihm gerade sagte nachdachte. Ryan war einfach sauer das er seinen Vater so beleidigte. Und das obwohl Chris ihn gar nicht kannte. Gut, als er ihn das erste Mal sah war er betrunken und hatte damit einen schlechten Eindruck bei ihm gemacht. Aber das heißt doch nicht dass er immer besoffen oder aggressiv war. Das zu denken ist doch einfach lächerlich. Denn Rest des Weges sah Ryan nur noch starr auf den Sitz vor ihm.

Als er vor dem Haus in dem er wohnte stand ging er nicht zur Haustür, sondern ging zum alten Schuppen der unter seinem Fenster stand. Darauf zu klettern war für ihn nach unzähligen malen kein Problem mehr. Als er, mit sicheren Handgriffen, oben stand, holte er eine stabile Holzkiste vom Holzstapel, der neben dran aufgebaut war und stellte sie unter das Fenster. Dann horchte er einen Moment ob sich drinnen etwas tat. Nichts. Er stieg auf die Kiste und drückte vorsichtig die Scheibe beiseite, dazu hatte er immer einen kleinen Stein zwischen Riegel und Rahmen geklemmt. So konnte er problemlos jedes Mal wieder rein.

Vorsichtig stieg er rein, hielt dann den Stein wieder dazwischen und schloss das Fenster.

Im Zimmer war es stockdunkel. Aber das störte ihn nicht weiter. Er blickte prüfend zur Tür und atmete da erleichtert aus, als kein Licht durch die Türspalte schien.

Er zog seine Jacke aus, ging zum Bett und ertastete ein Shirt. Nachdem er sich ausgezogen hatte schmiss er die Klamotten einfach auf das Bett. Erst als er die Decke bis zum Hals über sich zog und nochmals nach Geräuschen von draußen horchte und schließlich die Wärme wieder in seine Glieder zurückkehrte konnte er sich vollkommen entspannen.

Bevor er seine Augen schloss huschte ein tief trauriger Blick über sein Gesicht und er sah zum Tisch hinüber auf dem schon seit Tagen das Tuch lag, das Chris ihm damals um seine Armverletzung gebunden hatte. Jedes Mal wen er sich dabei erwischte es wieder sehnsüchtig anzusehen, schüttelte Ryan den Kopf und wendete sich abrupt ab.

Er drehte sich im Bett um und schloss die Augen.
 

Robert

Robert wanderte zu später Stunde durch eine Gegend der Stadt in das sich nur die wenigsten trauten. Überall standen ausgeschlachtete oder demolierten Autos. Überall an den heruntergekommenen Häusern war alles über und über mit Graffiti beschmiert. Aber hier wohnten keine Leute die sich darüber aufregen würden. Und wenn doch, konnten sie nur hoffen das dass niemand mitbekam. Man konnte sich sicher sein das jeder der hier her kam nichts Gutes im Schilde führte.

Vor einem zweistöckigen Gebäude blieb Robert stehen und schaute sich kurz um ob ihn niemand aus einer der zahlreichen dunkeln Ecken ansah. Als er sich vergewissert hatte das keiner in seiner Nähe war der verdächtig erschien und ihm auch niemand gefolgt war, verschwand er hinter der schweren Tür des Gebäudes. An der ironischerweise ein dickes Vorhängeschloss hing, obwohl sie schon in den Angeln hin und her quietschte.

Jetzt stand Robert in einem düsteren Flur und trat gleich weiter an die erste Tür vor der er zögerlich die Hand hob und sie leise öffnete. Der unverwechselbare Geruch von Alkohol schlug ihm entgegen vermischt mit verschiedensten Aromen von Rauch und Qualm. Er schlüpfte schnell unbemerkt in den spärlich beleuchteten Raum hinein und sah sich kurz um. Niemand beachtete ihn, und er setzte sich auf einen alten Stuhl der gleich neben der Tür stand.

Es befanden sich etwa zehn Männer, wenn nicht mehr, von unterschiedlichen Alter und Größe im Raum, der anscheinend früher mal eine Kneipe war. Denn es standen einige runde Tische und auch Stühle bereit. Auf der einen Seite stand noch immer der Tressen, der jedoch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Jetzt sah Robert auch warum ihn niemand beachtete als er rein kam.

Vorm Tressen standen zwei Männer die anscheinend kurz davor waren sich zu prügeln. Der eine, ein großer Kerl mit einer verschlissenen Lederjacke an der reichlich Klimperzeugs hing und schweren Stiefeln, hatte den andern, ein eher schwacher hagerer Typ mit strähnigen Haar, schon drohend am Kragen gepackt und sah in nun finster an.

Der Große zog den Dünnen näher an sich ran und sagte: “Was hast du noch mal gesagt?” Er knurrte die Worte mehr mit seiner tiefen Stimme als sie zusprechen.

Der Dünne wurde jetzt noch blasser als er eh schon war und fing an zu erbärmlich zittern. Er öffnete zaghaft den Mund und stammelte: “Ichhh wollte nicht…“.

Der Große lachte lauthals auf und blickte in die Runde der Männer die das Schauspiel gespannt verfolgten. Halb lachend sagte er: “Habt ihr gehört? Er wollte nicht. Aber wir haben doch alle gehört das er gesagt hat wir wären unfähig unseren Job zu machen”.

Die Männer hoben ihre Flaschen empor und gaben ein eindeutiges Grölen von sich: “Jaaaa”.

Der Hüne wand sich wieder an den Zitternden. “Hast du gehört? Das können wir leider nicht auf uns sitzen lassen. Nicht wahr Oscar?”

Er blickte zu einem andern Mann hinüber der sich lässig an den Tressen lehnte und nun in einem sanften Ton sagte: “Das stimmt leider. Obwohl es mir Leid tut einen Mann wie dich zu verlieren, Alfred“.

Der Dünne zitterte noch heftiger, soweit das überhaupt möglich war, und sah Oscar mit weit aufgerissenen Augen an. “Aaaaber du kannst doch nicht…“.

Oscar schnitt ihm mit einer schnellen Handbewegung das Wort ab. Ruhig sagte er zu dem Ängstlichen: “Und ob ich das kann. Aber weil ich dich irgendwie mag, gebe ich dir zehn Sekunden um zu verschwinden. Ist das nicht nett von mir, Alfred?”

Der Große Typ ließ ihn mit einem höhnischen Lachen los. Die andern Männer zählten die Sekunden und umso näher sie der Eins kamen desto mehr schwoll die Lautstärke an und es baute sich eine Spannung im Raum auf die man kaum jemand ohne angespannte Nerven aushielt.

Anstatt wegzulaufen, klappte der dünne Alfred bibbernd auf dem Boden zusammen. Und dann war es auch schon zu spät für ihn. Die Menge hatte zu Ende gezählt und damit den letzten Moment für ihn eingeläutet. Alfred hob schützend die Arme vor sein ängstlich totenbleiches Gesicht.

Oscar lachte wieder, wonach die Menge ebenfalls in lautes Gelächter verfiel.

Der Hüne packte Alfred wie zuvor am Kragen.

Mit einem bedauernden Ton in der Stimme sagte Oscar: “Wie schade das du mein Angebot nicht annimmst”. Er bedeutete dem Hünen ihn in den nächsten Raum zu bringen.

Er schliff den bleichen Typ hinter sich her als wäre er ein Müllsack. Alfred hatte begonnen sich verzweifelt mit Händen und Füßen zu wehren. Er schrie auf als sie durch die Tür gingen und sie sich knarrend, als würde sie ihn ebenfalls auslachen, hinter ihnen schloss.

Alle jaulten und tranken als das Geschrei plötzlich verstummte.

Robert drehte es fast den Magen um, wenn er daran dachte was dem Typ geschehen war.

Einen Moment später winkte Oscar Robert zu ihm zukommen. Robert atmete einmal tief ein und aus und ging dann mit sicheren Schritten auf ihn zu.

Oscar lächelte und schlug Robert freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Er war ein Stück größer als Robert und vor allem muskulöser, als alle anderen in diesem Raum. Auf beiden Armen hatte er Tatoos, die er stolz auf seinen unbedeckten Armen präsentierte. Seine Augen strahlten solch eine Kälte aus, das man schon Angst bekam wenn man ihn nur kurz ansah und das war für mansche auch das letzte was sie sahen. Bis auf einen kurzen Zopf, den er hinten trug hatte er sich den Kopf kahl geschoren. Was ihn noch bedrohlicher aussehen ließ. Insgesamt war Oscar das was man sich unter einem Gefängnisinsassen vorstellte.

“Na, wie läuft es Robert? Du hast doch keine Probleme, oder?” Sagte er mit gespielter Besorgnis in seiner rauen Stimme.

Robert lächelte ihn an, als habe er einen Scherz gemacht, und sagte gleichgültig: “Nein, natürlich nicht, Oscar”.

Oscar grinste breit. “So was lob ich mir. Was anderes hätte ich auch nicht von meinem Cousin erwartet”. Mit diesen Worten rüttelte er leicht an Roberts Schulter. ”Und jetzt geh zu Franko! Er hat dir was zu sagen”.
 

Chris

Am Sonntagmorgen frühstückte ich immer mit meiner Familie. Was in der Woche meist nicht der Fall war. Da meine Eltern um verschiedene Zeiten zur Arbeit mussten.

Jedoch war es heute anders. Anstatt am Tisch zu sitzen lag ich noch im Bett und döste vor mich hin.

Am vergangenen Abend hatte ich mich dermaßen voll laufen lassen das mich heute ein gewaltiger Kater quälte. Ich wollte mir so zusagen den ganzen Kummer weg trinken.

Die Sache mit Ryan nahm mich immer mehr mit. Ich wusste nicht wie ich weiter kommen konnte. Zeit Wochen hatte sich zwischen uns nichts geändert. Weder zum Guten noch zum Schlechten. Worüber ich eigentlich froh sein konnte. Denn ich dachte mir das Ryan bald der Geduldsfaden mit mir reis. Da ich ihn bestimmt total nervte mit meinem Hilfegeschwätz.

Natürlich gab ich es nicht auf, aber ich wusste auch nicht weiter. Ich konnte nur einfach alles auf mich zukommen lassen. Ich fühlte mich wie in einer reizenden Strömung gefangen, ohne Aussicht auf Rettung.

Ich drehte mich im Bett um und schaute auf die Uhr an der Wand. Schon elf Uhr. Was soll’s heute hatte ich sowieso nichts vor, außer ein wenig für die Schule zu lernen und zu faulenzen.

Zu den andern wollte ich nicht gehen. Da wir Gestern ja schon bis in die frühen Morgenstunden zusammen waren. Sie konnten Heute sicher auch ihre Ruhe gebrauchen.

Sollte ich jetzt aufstehen oder liegen bleiben? Müde war ich eigentlich nicht mehr, aber es gab auch keinen Grund aufzustehen. Trotzdem entschied ich mich letztendlich lieber fürs aufstehen. Sonst bereute ich später dass ich den ganzen Tag verschlief.

Ich zog meine bequemen Sportklamotten an und ging dann ins Bad und wusch mich. Dabei fiel mir ein dass ich doch eigentlich am Anfang, als wir hierher zogen, vor hatte mich bei einem Fußballverein anzumelden. Und was war daraus geworden? Natürlich nichts! Obwohl ich ein wenig Laufen und derartiges durchaus vertragen konnte. Bei dieser blöden Verfolgungsjagd die ich mit Ryan mitmachte, war ich so was von aus der Puste gekommen. Das war mir schon etwas peinlich gewesen. Und Ryan war kaum außer Puste gekommen. Also vielleicht sollte ich mich doch bei einem Verein anmelden. Aber wie ich mich kannte ging ich da bestimmt nicht so oft hin wie ich sollte. Ich hatte noch genug andere Sorgen. Da schien es mir angebrachter in einen Selbstverteidigungskurz zu gehen, als Fußball zu spielen. Das würde mir sicher auch bei Lisa helfen. Dann kam sie mir vielleicht nicht mehr so nervig nahe.

Das nächste Mal wenn ich Ryan treffen sollte, würde ich ihm alles sagen. Warum ich ihm helfen wollte und warum ich ihn damit nervte. Ich weiß das sagte ich oft und am Ende wurde nichts daraus. Aber man konnte ja nie im Voraus wissen was auf einen zukam. Der richtige Zeitpunkt wird auf jeden Fall kommen. Ob früher oder später spielte dabei keine Rolle. Hauptsache irgendwann.

Ich ging in die Küche und sah meine Mutter die schon das Mittagessen vorbereitete. In solchen Sachen war sie überaus penibel.

Aus dem Kühlschrank holte ich mir eine Flasche Cola heraus und trank einen großen Schluck.

Meine Mutter sah von ihren Gemüse schneiden auf und sagte: “Iss jetzt nichts mehr! Das Mittagessen ist bald fertig”.

Sah ich aus als wollte ich das?

“Ja, schon klar”. So kurz nach dem Aufstehen hatte ich sowieso keinen Appetit.

Mit der Flasche in der Hand ging ich wieder in mein Zimmer und setzte mich an den Schreibtisch.

Na, gut. Dann mache ich mich mal ans lernen.

Kaum eine Stunde später, in der ich wegen diesem blöden Kater wohl gar nichts kapiert hatte, rief mich Mutter zum Essen.

Als ich mich zu meinem Vater und Maria setzte fragte mein Vater: “Wie war es den Gestern mit deinen Freunden? Hattet ihr Spaß?”

“Ja”, sagte ich nur. Es war irgendwie komisch mit meinem Vater über meine Freunde zu reden.

“Wenn du dich so gut mit ihnen verstehst kannst du sie doch mal zu uns einladen”, sagte meine Mutter als sie die Teller auf den Tisch gestellt hatte und sich auf ihren Stuhl setzte.

Ich lächelte gezwungen und suchte nach einem Weg dem Thema zu entgehen. Meine Eltern und meine Emo Freunde zusammen in einer Wohnung. Das war unvorstellbar und würde hoffentlich nie so weit kommen.

“Ja, mal sehn. Sag mal was hast du denn Heute vor, Maria?”

Sie sah von ihrem Teller auf, auf dem sie gerade noch ihr Gemüse hin und her geschoben hatte. “Nachher kommt meine Freundin zum Spielen. Willst du mit machen?”.

“Nein, lieber nicht”. Ich fragte mich ob sie das erst gemeint hatte, denn sie verzog jetzt beleidigt ihr Gesicht. Aber war mir sowieso egal.

Nach dem Essen ging ich zurück in mein Zimmer und setzte mich wieder an den Schreibtisch. Was zu tun hatte ich nicht mehr. Also schaltete ich den PC an und schaute auf verschiedenen Seiten ob es was Interessantes gab. Als mir das langweilig wurde legte ich mich wieder auf das Bett.

Kurze Zeit später, so kam es mir zumindest vor, wurde ich vom Lärm den Maria und ihre Freundin veranstalteten, geweckt. Ich sah auf die Uhr und war gleichzeitig erschrocken wie verwundert. Der Zeiger stand schon auf Fünf Uhr. Warum hatte ich denn so lange geschlafen? Aber was sollte ich mich darüber aufregen. Das konnte man sowieso nicht mehr ändern.

Ich ging in die Küche und trank noch etwas, als ich bemerkte dass die Flasche in meinem Zimmer schon längst leer war.

Mich nervte das Gekreische der zwei Mädchen schon ein wenig. Zudem hatte ich immer noch ein bisschen Kopfschmerzen. Also beschloss ich ein Stückchen spazieren zu gehen. Die frische Luft würde mir sicher gut tun. Und alles war besser als sich diese Gekreische anzuhören.

Ich tauschte meine Sporthose gegen eine Jeans und zog Jacke und Schuhe an.

Draußen auf der Straße ging ich einfach irgendwo lang. Konnte mich ja noch etwas genauer hier in der Gegend umsehen, schließlich wohnte ich hier schon eine kleine Ewigkeit lang. Dazu hatte sich ja noch keine günstige Gelegenheit geboten. Denn sonst hatte ich immer was anderes vor, als einfach nur mal so rum zulaufen.

Ich kam an den Fußballplatz, den ich schon so oft von weitem gesehen hatte, vorbei. Spontan ging ich dem kleinen Weg entlang der zu einem kleinen Gebäude führte, das anscheinend so was wie das Clubhaus sein sollte. An der einen Seite der weiß gestrichenen Wand war das Logo des Vereins groß aufgemalt.

Ich ging vor zum Spielfeld. So gesehen sah es hier aus wie auf jedem anderen Fußballplatz. Herum um das Feld wuchsen hohe Bäume gen Himmel und einzelne Sitzbänke waren in immer gleichen abständen aufgestellt. Weiter hinten ging es zu einem weiteren grünen Fleckchen um das herum weiter Bäume wuchsen. Das gab mir ein vertrautes Gefühl von früher zurück. In der Großstadt musste man solche Plätze in den meisten Gegenden leider missen.

Ich ging den Weg weiter und bemerkte dass auch hier Bänke standen. Der Platz war leider nicht besonders groß, man sah auf der andern Seite schon die nächste Straße und hörte den Lärm der Autos der das Grün von beiden Seiten umgab.

Ich lief gemütlich, mit den Händen in den Taschen, dem Kiesweg entlang und atmete die frische Luft ein, als ich bemerkte das eine schwarze zusammen gekauerte Gestalt auf einer der Bänke, die weiter abseits standen, saß.

Mir kam urplötzlich der Gedanke an Ryan, wie er damals genauso im kleinen Gärtchen, nicht weit weg von seinem Haus, in einer dunklen Ecke saß. Umso näher ich der besagten Bank kam desto mehr beschlich mich das Gefühl das es wirklich Ryan sein konnte. Aber wen ja, was tat er hier?

Als ich fast genau vor ihm stand, gab es keinen Zweifel mehr. Ich erkannte seine Jacke wieder, und wie typisch für Ryan hatte er die Kapuze übergesogen.

Obwohl ich darüber verwundert war, das er hier war. Sprach ich ihn den noch zögerlich an. “Ryan! Was machst du denn hier?”

Zaghaft hob er seinen Blick zu mir hinauf. Er sah mich kurz ungläubig an. Dann wirkte sein Blick traurig und deprimiert, wie auch seine Haltung zu deuten lies. Er sengte wieder seinen Kopf und schaute auf seine Knie, die er nah an sich gezogen hielt und mit den Armen umschloss.

Auf das Risiko hin das er wahrscheinlich nicht mit mir reden wollte und lieber alleine wäre, setzte ich mich nach kurzem Schweigen neben ihm auf die kalte Bank.

Ich musterte ihn sorgenvoll. Warum saß er hier im kalten? Ob etwas bei ihm geschehen ist? Ryan machte in diesem Moment so einen hilflosen Eindruck auf mich, das ich nicht anders konnte als wieder zu versuchen heraus zu finden was ihn derart belastete.

“Ist alles in Ordnung mit dir, Ryan?”

Er antwortete nicht. Obgleich ich es mir ja denken konnte das nicht alles in Ordnung war.

Ryan wiegte sich einmal vor und zurück als müsste er sich beruhigen. “Es tut mir Leid”. Seine Stimme klang so leise und traurig, das ich befürchtete es sei etwas weitaus schlimmeres geschehen als ich ohne hin schon dachte.

Ich fürchtete die Antwort auf die Frage die ich ihm jetzt stellte: “Was tut dir Leid?”

Es setzte eine Pause ein als müsste Ryan sich erstmal dazu durchringen es zu sagen. “Es tut mir Leid das ich dich immer abweise”.

Es überraschte mich dass er sich dafür entschuldigte. Andererseits war ich froh dass es nichts Schlimmes war. Aber ich hatte immer noch keine Ahnung warum er hier saß. “Das muss es nicht. Ich kann verstehen dass du nicht mit mir reden willst. Das ist in Ordnung”.

“Nein, das ist es nicht. Ich möchte dir ja alles sagen, aber…“.

Ich wusste, dass es ihm nicht leicht fiel, mit mir darüber zu reden. Obwohl ich es gerne erfahren wollte, so wollte ich doch nicht das er sich dazu gezwungen fühlte, nur weil ich ihn so oft danach fragte und ihm keine Ruhe lies. “Du musst nichts sagen wenn du nicht willst. Mir reicht es wen du mir versprichst zu mir zu kommen wenn du Hilfe brauchst”.

Ryan zog seine Beine noch dichter an sich und sagte fast flüsternd: “Ich weiß das du mir helfen willst. Aber ich habe Angst dich damit hinein zu ziehen”.

“Wo rein? Du sagst immer du weißt es nicht. Tust du das wirklich?”

Er antwortete nicht gleich, als überlegte er sich die Antwort genau. “Nein, ich hab keine Ahnung. Ich weiß auch nicht was noch kommt oder wann es ein Ende hat. Deshalb will ich in der Zeit, die ich noch mit dir habe auch mit dir reden und nicht immer streiten”.

“Die Zeit die du noch hast? Wie meinst du das?” Durch seine Worte war ich jetzt so aufgeregt dass ich mich ein Stück zu ihm beugte um seine flüsternde Stimmer besser zu verstehen.

“Mein Vater hat mir Heute gesagt das er bald nach Amerika zurückgeht. Und ich muss mit”.

“Was? Wieso denn?”

Ryan zuckte ein wenig zusammen, als hätte ich ihn durch meine Worte erschreckt. Dann sprach er wie zuvor weiter. “Seine Firma hat ihn befördert und die ist nun mal in Amerika”.

“Aber wieso musst du mit. Was ist mit deiner Mutter geht sie auch weg?”

Plötzlich kauerte sich Ryan noch enger zusammen. Und legte den Kopf ganz auf seine Knie.

Mit einem Mal kam ich mir so niederträchtig vor. Ich hatte in meiner Aufregung etwas angesprochen das Ryan offensichtlich sehr zu schaffen machte. “Tut mir Leid. Ich wollte nichts sagen das dir weh tut”. Ich senkte betrübt den Blick zu Boden.

Es trat eine längere unangenehme Schweigepause ein. Doch dann atmete Ryan tief ein und aus und sagte wieder mit leiser Stimme. “Schon gut. Das hast du nicht. Ich rede nur nicht gerne über meine Mutter”. Er entspannte sich wieder ein bisschen. “Sie geht nicht mit. Aber ich kann auch nicht bei ihr bleiben”.

Ich fragte nicht weiter nach, sondern überlegte weiter was ich sagen konnte, das er vielleicht doch nicht weg ging. Mir fiel nichts ein. Aber ich wusste das es auch nicht zu verhindern war das er ging. Er hätte es mir auch wahrscheinlich nicht gesagt, wenn er nicht vollkommen sicher wäre. “Und wann gehst du?”

“Höchstens in acht Wochen”, Antwortete er.

Das war zum Glück mehr als ich zuerst vermutete. Dennoch blieb ich niedergeschlagen sitzen. Die Tatsache das er wirklich gehen würde, obwohl wir und doch kaum kennen gelernt hatten, spornte mich umso mehr an alles für ihn zu tun damit er sich bei mir sicher fühlte.

Plötzlich stand Ryan auf und drehte mir den Rücken zu.

Wollte er etwa schon gehen? Ich wollte ihm doch noch so viel sagen. Doch er blieb einfach nur reglos stehen.

Schließlich ballte er seine Hände zu Fäusten und sagte ernster denn je. “Ich möchte dass du dich in dieser Zeit von mir fern hältst”.

Ich stand erschrocken auf und blickte ihn ungläubig an. “Was?”, meine Stimme klang verzweifelter als ich es eigentlich wollte.

Er stand stur da und drehte sich nicht mal um. Deshalb konnte ich es ihm auch nicht so recht glauben dass er es wirklich ernst meinte.

“Ryan sieh mich an. Ich kann es dir nicht glauben wenn du es mir nicht ins Gesicht sagst.” Ich wartete einen Augenblick auf seine Reaktion. Doch er tat nichts dergleichen, also sprach ich weiter. “Wieso soll ich…”

“Das sagte ich dir doch schon”. Er sprach das so laut und ernst aus, das ich Angst bekam das er es wirklich wollte.

“Aber ich will nicht dass du alleine bist. Ich will bei dir sein“. Es war mir jetzt vollkommen egal was er oder andere von mir hielten. Ich wollte ihm sagen was ich für ihn fühlte. Der einzige Gedanke in mir schrie danach Ryan um jeden Preis festzuhalten und ihn niemals alleine gehen zu lassen. Ich wollte ihn in meinen Armen halten und ihn trösten, wann immer er auch nur das kleinste Anzeichen von Trauer zeigte.

Ryans Schultern fingen langsam an zu zittern und seufzte. “Ich will dich nicht mehr sehen”. Mit diesen Worten rannte er so schnell davon, dass ich nicht reagieren konnte.

Ich wusste nicht was ich tun sollte. In mir drehte sich alles und meine Gedanken überschlugen sich. Ich stand einfach nur wie erstarrt da und sah ihm nach. Verzweifelt rief ich noch “Warte!” Doch er war schon längst so weit entfernt, so das er es nicht mehr hörte und ich ihn auch nicht mehr einholen konnte.

Ich stand noch eine ganze Zeitlang einfach so da. Wusste nicht weiter und ärgerte mich über mich selbst dass ich so dumm war und ihn nicht aufhalten konnte.

Langsam fand ich meine Fassung wieder. Nein! Ich akzeptierte nicht dass er mich nie mehr sehen wollte. Warum hatte er das überhaupt gesagt? Ich glaubte es ihm so oder so nicht. Es musste einen andern Grund haben, als nur der das er Angst um mich hatte. Egal was er sagte ich würde wieder zu ihm finden.

Egal wie.

Der Auftakt

Ryan

Ryan lag in seinem Bett und sah nachdenklich zur Decke hinauf. In der vergangenen Nacht hatte er sich alles überlegt. Alles was er Heute erreichen wollte. Sein Leben sollte wieder in geregelten Bahnen verlaufen. So wie früher. Oder auch besser. Er war fest davon entschlossen und voll und ganz überzeugt alles zu schaffen. Auch ohne Hilfe anderer.

Er schwang sich motiviert aus dem Bett. Als er die Tür öffnete spähte er im Flur nach rechts und links und horchte ob sich in den andern Räumen etwas tat. Nachdem er sich vergewissert hatte das sein Vater wohl schon an der Arbeit war trat er aus dem Zimmer, schloss die Tür leise hinter sich zu und ging in Richtung Badezimmer.

Als er in den hell erleuchteten Raum eintrat, blickte er gleich skeptisch in den Spiegel, der sich über dem Waschbecken befand, an. Er sah nicht, wie normaler weise an jedem Tag, verschlafen aus. Die Haare waren zwar ziemlich verwuschelt und sein Kajal, den er Gestern vergessen hatte abzuwischen, war verschmiert, aber seine Augen waren hellwach und sein Mund war zu einem enthusiastischen Lächeln verzogen.

Er duschte schnell, stylte sich die Haare, trug geübt Kajal auf und ging zufrieden, wieder in sein Zimmer zurück, um sich anzuziehen. Anschließend lief er zur Küche. Als er erstmal kurz hineinspähte sah er durch die halb offene Tür, eine schlanke Frau mit langen dunkelbraunen Haar und einer weißen Schürze um die Hüfte gebunden, die gerade Teller in einen Wandschrank einräumte.

Als Ryan unsicher herein kam und Sie ihn, mit ihren sanften brauen Augen erblickte, lächelte sie freundlich und sagte mit klarer Stimme: “Guten Morgen, Ryan”.

Ryan sah Sie nicht an, sondern sagte nur in einem distanziertem und kühlen Ton: “Morgen”.

Er öffnete den Kühlschrank und suchte ihn ab.

Die Frau, die immer noch lächelte, fragte: “Soll ich ihnen Frühstück machen?”

Ryan nahm sich eine Flasche Cola und antwortete: “Nein”.

Er mochte es nicht sonderlich sich mit der Angestellten seines Vaters zu unterhalten, außer wenn es denn unbedingt nötig war, und verlies deshalb die Küche schnell wieder.

Im Flur trank er das kalte Getränk, im Gehen, halb leer und stellte die Flasche dann in seinem Zimmer ab, an dem er noch mal vorbei ging.

Danach ging er zur Haustür hinaus, wobei er sofort zu frösteln anfing. Deshalb zog er rasch die Kapuze seiner schwarzen Jacke über und steckte die frierenden Hände in seine Hosentasche.

Die Schule war nicht besonders weit weg. Er musste nur drei Stationen mit der Bahn fahren und dann ein Stückchen laufen. Aber Ryan wäre es lieber gewesen sie wäre weiter weg, sehr viel weiter. Schon als er, nach dem kleinen Fußmarsch, am Rand des großen Schulhofes stand, wusste er was ihn erwartete, wenn er die paar Meter bis zur Eingangshalle hinüber lief.

Wie immer würden andere Schüler, die er gar nicht kannte, ihm die dämlichsten und perversesten Sprüche hinter herrufen. Solche wie “Scheiß Emo“, was noch ziemlich harmlos im Vergleich zu anderen war. Da fand er “Verzieh dich in die Ecke, Schwuchtel!“, schon gemeiner. Aber das war Ryan schon gewohnt und es machte ihm, auch nach Monaten, nichts aus. Er hatte sich damit abgefunden, dass alle ihn ausgrenzten und ihn nicht verstanden. Aber besonders Heute ließ er sich, von dieser Tatsache, nicht ärgern. Heute wollte er alles zum besseren ändern.

Zwar konnte er diese Hänseleien nicht an einem Tag loswerden, aber er wollte jeden Tag hier her kommen und dafür sorgen dass die Sprüche weniger wurden. Denn in letzter Zeit wurde es ihm zur Gewohnheit immer öfter, irgendwo in der Stadt herum zu laufen, anstatt in der Schule zu sein. Das war eines der Dinge die Ryan ändern wollte und sogar musste. Denn lange würden die Lehrer ihm das nicht durchgehen lassen, ohne es seinem Vater zu melden. Und das war das allerletzte was Ryan wollte.

Nun stand er vor seinem Schließfach, von denen hier etliche andere standen, öffnete es mit einem Schlüssel den er aus der Tasche zog und holte seinen Ranzen heraus, nachdem er alle Bücher, die er brauchte, hinein getan hatte.

Danach ging zu einer Tür, die wie jede andere hier aussah, und atmete noch ein letztes Mal tief ein und aus, bevor er dann den Raum dahinter betrat. Alles was er dort wahr nahm war sein Platz, der sich in der letzten Reihe am Fenster befand, alles andere schloss er bewusst aus seinem Blickfeld und seiner Auffassung aus. Er lief ruhig zu seinem Ziel und setzte sich ohne auch nur den Kopf zu heben. Er konnte sich nämlich denken was für einen Anblick ihn erwarten würde. Die Jungs aus seiner Klasse, hielten sich alle für ganz toll, weil sie ihn so oft schikanieren konnten wie sie wollten. Und Ryan was auch noch so dumm sich alles gefallen zu lassen.

Aber das würde sich ändern. Er würde sich ab heute zur Wehr setzen und sich nicht mehr an den Kopf werfen lassen.

Aber noch war alles wie jeden Morgen. Der Unterricht begann, als der Lehrer herein kam und mit einem befehlenden Ton: “Ruhe“, rief. Sofort kehrte Stille ein. Nachdem auch das letzte Geflüster, unter einem mahnenden Blick des Lehrers, erstarb und einem zufriedenen Lächeln wisch.

Ryan folgte aufmerksam dem Unterricht, was er lange nicht mehr getan hatte. Das fiel ihm auch meistens nicht so leicht, weil die andern, immer wenn sich eine Gelegenheit bat, ihm irgendwelche Zettel zu warfen oder ihn höhnisch angrinsten.

Nach geschlagenen zwei Stunden, kam der nächste Lehrer herein. Der Klassenlehrer war längst nicht so streng wie der zuvor, doch auch bei ihm verhielten sich die Schüler einigermaßen ruhig und konzentrierten sich, auf das was er sagte. Aber halt nicht alle. Dominik der neben Ryan saß, blickte ihn belustigt an. Er war einer der schlimmsten in seiner Klasse. Er war groß und kräftig und hatte vor niemandem Respekt. Er hatte sich sogar mal mit einem Lehrer angelegt, weil er ihn mit einem blöden Spruch angemacht hat. Und ausgerechnet er musste neben Ryan sitzen. Aber eigentlich war er nicht mehr oder weniger, schlimm als die andern hier. Dennoch machte Dominik einem schon durch sein Aussehen klar, dass man ihm besser aus dem Weg ging.

Ryan ignorierte ihn einfach. Obwohl es ihm mit der Zeit schon auf die Nerven ging, weil der Typ nicht einmal wo anders hinsah. Es wirkte fast so als überlegte er, wie er Ryan jetzt ärgern konnte. Wenn er im Unterricht was vorhatte, konnte es nichts großes sein.

Trotzdem beschloss Ryan, Heute in der Pause, seinen gewohnten Platz in einer schattigen Ecke des Schulhofes, zu meiden. Man wusste ja nie was dieser Wichtigtuer an Quälereien plante.

Der Lehrer schrieb gerade einen Text, den alle abschreiben sollten, an die Tafel, als er fertig war und die Kreide hingelegte, sah er zur Klasse und sagte: “Hört zu, ich muss kurz weg. Und ihr schreibt das bitte weiter ab! Das ist wichtig für eure Hausaufgaben”.

Damit drehte er sich um, ging zur Tür hinaus und schloss sie leise hinter sich.

Es war natürlich, mehr oder weniger, klar das einige nicht auf das hörten, worum der Lehrer sie bat. Die meisten fingen wieder Gespräche an oder flüsterten sich was zu und kicherten dazu.

Ryan schrieb einfach unbeteiligt in seinem Heft weiter. Als er fertig damit war, tippte er nur noch nervös auf dem Papier herum und bemühte sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Dominik ihn immer noch stur anstarrte. Ryan hoffte das der Lehrer bald wieder kam, lange konnte er ja nicht weg bleiben.

Ryan stellte sich vor, was passieren würde wenn der Lehrer nicht rechtzeitig kommen würde. Dominik würde ihn bestimmt auf irgendeine Art, beschimpfen oder ihn weiter anstarren und gleich darauf aufstehen und sich drohend vor ihn stellen. Was sollte Ryan dann tun? Er wusste es nicht. Aber wahrscheinlich würde er sich alles gefallen lassen und einfach abwarten.

Er glaubte der Moment, in dem das befürchtete passierte wäre gekommen, doch ehe etwas in der Art geschah, kam der Lehrer wieder herein und nahm, als sei nichts geschehen, den Unterricht wieder auf.

Damit war Ryan, vor erst, gerettet und er entspannte sich sichtlich.

Nicht mehr lange und die Schulglocke läutete die erste Pause ein. Alle Schüler standen schnell auf und drängten aus dem Raum hinaus, als würden sie vor etwas flüchten.

Ryan aber blieb noch einen Moment auf seinen Stuhl sitzen und beobachtete das ganze Treiben. Dan stand auch er auf und lief durch den Raum, auf die Tür zu. Doch bevor er draußen war, stand der Lehrer, der an seinen Schreibtisch saß, auf und winkte Ryan zu, er solle zu ihm kommen.

Ryan ging zu ihm, stellte sich vor den Tisch und sah ihn gelangweilt an. Er konnte sich schon denken was der Lehrer sagen wollte. Entweder ging es um einen Streit, zwischen ihm und einem Typen der ihm mal wieder mal geärgert hatte, oder etwa ein Schüler hatte wieder perverse Gerüchte in Umlauf gebracht, worüber der Lehrer sich angeblich Sorgen machte. Ryan kam es jedes Mal vor als glaubte der diese Geschichten auch noch. Das ärgerte ihn noch mehr, als die Tatsache das er mit ihm darüber reden sollte, was Ryan so auf die Nerven ging, das er am liebsten abgehauen wäre.

Was konnte er denn dafür wenn seine Mitschüler ihn nicht mochten. Er tat ihnen nichts. Er dachte nur mehr und mehr dass die andern alle Idioten waren. Tag für Tag, saß Ryan an seinen Platz, ohne ein Wort zu sagen und lies den Unterricht an sich vorbei ziehen. Natürlich arbeitete er auch mit, aber an schlechten Tagen eben sehr viel weniger als sonst. Das musste der Lehrer doch sehen, wenn es ihm mies ging.

Der Lehrer legte seinen Stift ab, mit dem er gerade noch was ins Klassenbuch geschrieben hatte, sah Ryan, durch seine Brillengläser, nachdenklich an und seufzte. Er zeigte auf den Stuhl der gleich neben dem Tisch stand und Ryan setzte sich nach kurzen zögern hin.

Der Klassenlehrer faltete seine Hände auf der Schreibtischoberfläche und fing mit ruhiger Stimme seinen Vortrag an. “Du kannst dir vielleicht schon denken warum ich mit dir reden möchte?” Er machte eine kurze Pause, um zu sehen ob Ryan ihm antworten wollte. Als er nichts erwiderte sprach er weiter. “Ich weiß du kommst mit deinen Klassenkameraden nicht gut aus, aber das ist kein Grund nicht im Unterricht zu erscheinen. Sonst hast du doch auch immer gut mitgemacht. Aber in den letzten Wochen fehlst du immer öfter, ohne Entschuldigung. Das zeigt sich leider auch negativ in deinen Noten, die sonst eigentlich recht in Ordnung waren. Ich weiß du hast es nicht leicht dich in die Klasse einzufügen, aber so kann das nicht weiter gehen. Das weißt du sicher selbst. Nicht wahr, Ryan?” Er sah wieder Ryan an, wie er nur unbeteiligt auf dem Stuhl saß und auf seine Hände starrte. “Hast du das verstanden?”

Ryan sagte nichts, sondern nickte nur kurz.

Der Lehrer sah etwas gereizt aus, sprach aber weiter. “Du musst wieder regelmäßig hier erscheinen und dem Unterricht aufmerksam folgen. Wenn nicht muss ich deine Eltern informieren. Aber ich denke du wirst dich bemühen, dass dies nicht notwendig wird”. Er machte nochmals eine Pause und sah Ryan fragend an. “Willst du noch was sagen?” Als keine Antwort kam stand der Lehrer auf und nahm seine Tasche. “Dann setzt dich wieder auf deinen Platz. Und vergesse nicht was ich dir gesagt habe. Ich meine es nur gut mit dir. Ich weiß du bist eigentlich ein guter Schüler”. Mit diesen Worten verließ er das Klassenzimmer.

Ryan ging wieder zu seinen Platz und schaute kurz auf die Uhr. Gleich würde die nächste Stunde anfangen. Bis dahin hielt er die Hände vor sein Gesicht und dachte nach.

Die kommenden Stunden verliefen wie gewohnt. Das befürchtete von Dominiks Seite blieb aus, dafür waren die bekannten Sprüche auf dem Schulhof wieder zu hören. Das Ganze nahm Ryan den Mut, den er am Morgen noch empfand. Er saß die ganze Zeit, mit gesenkten Kopf und der Kapuze tief ins Gesicht gezogen, an seinem Tisch und wartete auf das Ende der Schule.

Und nach Stunden kam es auch endlich. Er packte seine Tasche wieder in sein Schließfach, auf dem Flur, und lief aus der Schule über den Hof, über die Straße und noch weiter, er war schon gar nicht mehr auf seinen gewohnten Weg.

Die Hände in den Hosentaschen und den Blick auf den Boden gerichtet, überlegte er was er nun machen sollte. Würde er es überhaupt schaffen, dass die andern Schüler ihn nicht hänselten und ärgerten? Wie sollte er das auch schaffen können? Er war schwach. Wenn er sich währen würde, würde er nur noch mehr prügeln beziehen. Es waren ja alle stärker als er. Und selbst der Lehrer schien gegen ihn zu sein.

Ryan schüttelte den Kopf um diese Gedanken wieder los zu werden. Er hatte bis jetzt gar nicht bemerkt wo er hin lief. Aber das machte ihm nichts. Er kannte auch diese Gegend. Ganz in der Nähe war ein kleiner Kiosk, an dem er schon öfter Alkohol gekauft hatte. Deswegen waren hier auch viele Jugendliche anzutreffen. Sie konnten hier prima Skateboard fahren oder einfach nur mit den Flaschen da stehen und Blödsinn machen. Der Verkäufer stellte keine Fragen und wollte auch keinen Ausweis sehen, er nahm es damit nicht so ernst. Das einzige was für ihn zählte war das er sein Geld bekam. Dabei war es ihm egal ob er jetzt Alkohol oder Zigaretten an Minderjährige verkaufte.

Ryan ging hinüber und wartete einen Moment, bis der Alte ans Fenster kam und gleichgültig nickte, wie er es immer tat, und damit fragte was Ryan wollte.

Ryan wiederum sah kurz auf ein Regal, das hinter dem Alten stand und bekam die Flasche auch sofort. Er bezahlte, ging außer Sicht des Verkäufers und riss das Etikett von der Flasche. Es konnte ja sein das irgend so ein Fanatiker daher kam und ihm predigte, Jugendliche sollten keinen Alkohol trinken.

Als Ryan das hartnäckige Papier endlich ab hatte, nahm er einen großen Schluck von der klaren Flüssigkeit. Sofort spürte er die Wirkung, es brannte etwas im Hals, aber gab ein wohliges Gefühl im Magen. Ihm wurde es zunehmend wärmer und er nahm gleich noch einen Schluck.

Die deprimierenden Gedanken verschwanden langsam, aber auch die ermutigenden. Der Entschluss den Ryan heute Morgen noch gefasst hatte, zählte jetzt nicht mehr. Alles war ihm egal.

Er ging ein Stück, hielt die Flasche nahe an sich, bis zu einer Treppe die zu einem großen freien Platz hinab führte, wo sonst immer die Skater sich versammelten. Aber dafür war es schon seit Wochen zu kalt, und es war weit und breit keiner zu sehen.

Er setzte sich ans Ende der Treppe, auf die letzte Stufe am schattigen Rand, sah zum Himmel hinauf, atmete tief ein und beobachtete die Leute die an ihm vorbei liefen. Sie alle schienen so sorglos und gingen weiter ihren gewohnten Lebensweg. Aber für ihn musste es ja so verdammt beschießen laufen. Wieso lief sein Leben nicht einfach wie sonst weiter? Es war auch früher nicht gerade schön, aber er war zufrieden. Und jetzt? Was war jetzt? Er hatte nichts mehr im Griff, er wusste nicht was das alles sollte, weder noch was er machen sollte um es zu beenden.

Er seufzte, lehnte den Kopf an die kalte Mauer neben sich, steckte die frierenden Hände ein und schloss die Augen. Die Dämmerung hatte, an diesem trüben Wintertag, schon eingesetzt und bald würde es ganz dunkel sein. Das war Ryan nur recht, er wollte nichts mehr sehen, nur hier sitzen und in Ruhe gelassen werden. Wenn er das tat, hatte er das Gefühl alles wäre wieder normal. Und wenn er lange genug still hier sitzen würde, wachte er vielleicht aus diesem misslungenen Leben auf und stellte fest dass er sich alle Sorgen und Ängste nur eingebildet hatte.
 

So vergingen Minuten und Stunden, bis schließlich ein kühler Windhauch wehte, der Ryan ins Gesicht blies und ihn aus seiner Starre weckte. Langsam schlug er die Augen auf, sah sich um und blickte wieder auf seine Knie, die er an sich gezogen hatte. Nichts war anders, gar nichts. Es war dunkel geworden und es war kein Mensch mehr zu sehen. Aber Ryan war immer noch hier. Jetzt merkte er erst wie kalt ihm geworden war und er trank mehr aus der Flasche die, die ganze Zeit neben ihm auf der Stufe stand. In seinem Kopf drehte sich nun alles ein wenig, aber die Kälte verflog, und er dachte darüber nach wie lange er noch hier sitzen wollte, oder konnte.

Er sah über den Platz die Lichter der Hochhäuser, die hell in die Nacht leuchteten. Was sich wohl hinter diesen Lichtern abspielte? Bestimmt besseres, als das was Ryan zu Hause erwarten würde. Um die Zeit war sein Vater wahrscheinlich schon von der Arbeit heim gekommen und aß zu Abend. Ihm würde das sicher nichts ausmachen wenn Ryan die ganze Nacht weg bleiben würde. Oder es würde ihm gar nicht erst auffallen.

Wenn er hier bleiben würde, blieb ihm erspart seinem Vater entgegen zu treten. Hier war keiner, der was von ihm wollte. Er überlegte, ob er sich noch eine Flasche kaufen sollte. Aber statt aufzustehen und noch mal zum Kiosk zurück zu gehen, lehnte er den Kopf wieder an die Mauer und starrte mit halb offenen Augen in die Nacht.

Zwei Leute liefen über den, von Laternen erhellten, Platz und unterhielten sich. Ryan sah sie nur kurz an und nahm nicht wahr was sie redeten. Er zog seine Knie näher an sich, beobachtet wie jedes Mal wenn er ausamtete kleine Wölkchen sich in der kalten Luft auflösten und schloss seine Augen.

Der kalte Wind schlug ihm entgegen, er wollte noch einen Schluck trinken und verstand erst gar nicht was los war, als er die Augen öffnete um nach der Flasche zu greifen. Vor ihm stand jemand mit verschränkten Armen und sah ihn an. Ryans Blick war vom Alkohol getrübt aber er erkannte ihn dennoch nach einmaligen blinzeln.

Derjenige schien bemerkt zu haben das Ryan ihn erkannt hatte und trat einen Schritt näher, an ihn heran. Er grinste und sagte belustigt: “Na, Kleiner”.

Ryan sah ihn überrascht an, dann kam die Erinnerung an das was Robert das letzte Mal mit ihm getan hatte. Diesmal würde Ryan nicht zögern und gleich verschwinden. Er wusste dass ihm nichts Gutes widerfahren würde wenn er hier bliebe. Am besten wäre es wenn er die Treppe hoch lief und dann in einen der Nebenstraßen verschwand. Über den Platz zu laufen wäre zu riskant gewesen, da würde Robert ihn sofort schnappen.

Er sah noch mal kurz Robert an, der noch immer grinsend da stand, atmete tief ein, riss sich zusammen und stand ruckartig auf. Er drehte sich geschwind um und rannte so schnell er konnte die Treppe hinauf. Jeder Schritt kam ihm ewig vor. Jede Sekunde dachte er Robert könnte ihn gleich erwischen. Auf den letzten paar Stufen strauchelte er und bereute sofort die Flasche leer getrunken zu haben. Er fing sich nach wenigen Schritten wieder und rannte, mit weit auf gerissenen Augen, weiter. Jeder Moment verging wie in Zeitlupe. Es schien als würde Ryan nirgendwo ankommen. Aber da ging er schon am Kiosk vorbei und traute sich einen Blick zurück zu werfen. Er sah Robert nicht. Wieso? Lies Robert ihn so einfach gehen?

Trotzdem rannte Ryan weiter und beschleunigte das Tempo sogar noch etwas. Bis zu der kleinen Gasse in die er wollte, war es nicht mehr weit. Die Dunkelheit zwischen den hohen Steinmauern schienen ihn wie von allein anzuziehen. Ab da würde Robert ihm nicht mehr folgen können, auch wenn er es noch versuchte. Aber er konnte es nicht glauben und sah nochmals flüchtig hinter sich. Noch immer nichts.

Plötzlich stieß Ryan so hart gegen etwas, das ihm die Luft regelrecht aus der Lunge gepresst wurde. Von dem Aufprall wurde er zurück geworfen, er konnte sich nicht mehr auf den Füssen halten. Doch ehe er auf den Boden aufschlug, griff jemand nach seinem Arm und hielt ihn so fest dass es Ryan vor Schmerz die Tränen in die Augen trieb. Zögerlich hob er den Kopf, um zu sehn wer ihn fest hielt. Wegen der Dunkelheit konnte er nicht mehr erkennen, als das es ein großer, in schwarz gekleideter, Mann war.

Ryans Atem ging schneller. Er überlegte fieberhaft wie er wieder weg kommen sollte. Panisch sah er sich nach allen Seiten um. Es war egal wo er lang laufen würde. Hauptsache weg hier. Ziehend und windend, versuchte er seinen Arm aus dem Griff des Fremden zu befreien. Doch der hielt ihn eisern fest.

Ryan packte, mit seiner freien Hand, seinen Arm und riss mit aller Kraft. Doch auch dies nützte nichts. Er konnte kaum Gegenwehr gegen den Riesen leisten. Der fand Ryans klägliche Bemühungen offenbar eher belustigend als ernsthaft. Das bewirkte bei ihm nur dass sein Griff fester wurde.

Plötzlich wurde Ryan mit einem mal herum gerissen und bekam den Arm schmerzhaft auf den Rücken verdreht. “Ahhh”. Ihm liefen Tränen den Wangen hinunter. Den Kopf ließ er hilflos hängen. “Verdammt”, fluchte er. Ihm wurde klar dass er nicht entkommen konnte.

Vor sich hörte er Schritte. Mühsam hob er den Kopf an und blickte in das eiskalte Gesicht Roberts.

Im Plauderton sagte Robert: “Na, du bist aber nicht weit gekommen, Kleiner. Du machst es mir aber auch immer einfacher dich zu kriegen. Sitzt da mutterseelenallein im kalten und schaust dich nicht mal um, was für zwielichtige Leute, so spät in dieser Gegend rumlaufen. Weißt du nicht das, das ganz schnell gefährlich werden kann? Aber was rede ich, du siehst es ja”. Er warf den Kopf ein Stück nach hinten und lachte höhnisch, worauf der Riese auch in ein Gelächter verfiel.

Ryan sah zu Boden. Er wollte seinem Peiniger nicht länger ins Gesicht sehen. Er wusste dass er nicht entkommen konnte, er hatte keine andere Möglichkeit, als abzuwarten was geschah. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu und er hatte das Gefühl gleich zu ersticken.

Robert schien das herzlich egal zu sein. Er kam einen Schritt näher an ihn heran, beugte sich etwas runter, um Ryan genau anzusehen, und sprach dann wie mit einem Kleinkind: “Du fragst dich sicher warum wir hier sind, nicht wahr? Nun, wir haben da ein kleines Angebot für dich. Und ich denke du wirst es nicht ausschlagen. Schon allein weil es dir und auch deinen Freunden nicht gut bekommen würde, solltest du nicht mit machen”. Er tätschelte Ryans Kopf und nickte dem großen Typen zu.

Dieser schob Ryan sogleich ein paar Meter vor sich her, bis sie an der Ecke der kleinen Gasse standen und in die Straße blickten an deren Ende das Kiosk stand.

Robert zeigte mit ausgestrecktem Finger darauf. “Siehst du die Bude dort?”

Weil Ryan noch immer zu Boden sah, griff Robert Ryans Kinn und drehte seinen Kopf so dass er in die gezeigte Richtung sah. “Du wirst jetzt darüber gehen und die Scheiben einwerfen. Hast du verstanden?”

Ryan sagte nichts und gab auch sonst kein Zeichen.

Robert sah ihn zornig an und wartete kurze Zeit auf eine Reaktion. Ryan blieb ungerührt.

Robert nickte dem Großen wieder zu, worauf dieser seinen Griff verstärkte.

Ryan verzog schmerzhaft das Gesicht.

Robert lachte, “wie du willst. Ich dachte mir schon dass du dich weigerst. Andererseits wäre es doch eine prima Fluchtmöglichkeit für dich gewesen. Zu dumm, du hast deine Chance vertan“. Er drehte sich um und blickte nach beiden Seiten der Straße. Dann lief er rasch los und verschwand aus Ryans Blickfeld. Kurze Zeit später hörte man Glas zersplittern und klirrend zu Boden fallen. Robert kam grinsend in die Gasse zurück und rieb demonstrativ die Hände einander. Dann wand er sich wieder an Ryan, der sich noch immer nicht rühren konnte. Er sah zwar etwas überrascht aus, aber aus seinen Augen sprach nur die Angst.

“Du sieht also, du hattest keine Wahl, Kleiner”, sprach Robert weiter. “Ach so, das hätte ich fast vergessen. Du braucht ja noch einen Beweis”. Er steckte die Hand in seine Hosentasche, als er sie wieder raus zog, hielt er ein Klappmesser umfasst. Er stellte sich knapp vor Ryan, grinste und griff nach Ryans andern Arm. Aber Ryan zog ihn weg und hielt ihn hinterm Rücken. Sofort fasste der Typ hinter ihm zu, packte Ryans Arm und hielt ihn vorgestreckt.

Robert fuhr mit der kurzen Klinge ein Stück über die blasse Haut. Er verstärkte den Druck und hinterließ einen roten Streifen, aus dem sogleich das Blut herauslief. Als der Griff lockerer wurde, zog Ryan schnell seine Hand weg und hielt sie ans sich gepresst.

Robert lachte. Dann wand er den Blick wieder zur Straße hinaus und hielt in seinen Bewegungen einen Moment inne. “Hörst du das? Das bedeutet leider schon das Ende für unser kleines Spielchen”.

Ryan versuchte noch einmal sich zu befreien. Der Schmerz des Schnittes hatte ihn aus der betäubenden Angst gerissen. Er hörte nicht auf das was Robert sagte, sondern wollte sich mit einem Ruck losreißen.

Drauf sagte Robert: “Aber du musst dich doch gar nicht mehr so anstrengen. Es ist gleich vorbei”.

Plötzlich ließ der Typ Ryan los. Er fiel zu Boden und konnte sich nicht rühren. Einem Moment wusste er nicht was Wirklichkeit war. War er wieder frei? Doch dann riss ihn der Schmerz aus seinen ungläubigen Gedanken, und er hielt sich die schmerzende Schulter mit der blutverschmierten Hand. Er hatte das Gefühl alle Kraft verloren zu haben. Er spürte nur noch das pochen seiner Hand, den Druck an den Armen und hörte nur noch das Rauschen seines Blutes.
 

Ryan kam es so vor, als wäre er in einer tief schwarzen Welt gefangen, in der es nichts außer Angst und Schmerz gab, ohne einen Ausweg hinaus, aus dieser verschlingenden Qual in seiner Brust. Es würde ihn letztendlich zerreißen, egal was er dagegen tat, egal ob er hoffte, egal ob er kämpfte, das Ende würde kommen. Er musste einfach nur darauf warten.

Sein Körper hatte sich langsam wieder von der Angst beruhigt. Er atmete tief ein und hob zaghaft die Augenlider an. Um ihn herum war es dunkel und kalt. Das schwache Licht der Straßenlaternen leuchtete in die Dunkelheit hinein, in der er saß.

Er schaute sich kurz um. Keiner war mehr da. Noch einmal zog er die kühle Nachtluft in seine Lungen und nahm zitternd seine Hand, von seinen Arm, an dem er noch immer den Griff des, in schwarz gehüllten, Riesen spürte.

Quer über seinen Handballen zog sich eine rote Linie, aus der bei jedem Pulsschlag, noch immer etwas Blut heraus trat. Aus seiner Hosentasche holte er ein schneeweißes Tusch heraus, das Tuch das er damals von Chris umgebunden bekam. Er legte es um seine Wunde und zog die Enden mit der freien Hand und den Zähnen fest zusammen. Er ließ die Hand auf sein Bein sinken, und beobachte wie sich auf dem Tuch, eine ungleichförmige Blutlinie bildete, die sich rasch vergrößerte und das leuchtende weiß langsam verschlang.

Plötzlich wurde es laut und Ryan blickte erschrocken zur Straße. An den Mauern der Gasse und den Wänden der Häuser, strich ein helles Licht in gleichmäßigen Abständen, entlang. Dazu kam der ohrenbetäubende Lärm von Sirenen, die immer lauter wurden. Doch sie wurden nicht mehr leiser, und bald hörte man das Geräusch zuschlagender Autotüren, gefolgt von schnellen Schritten auf Asphalt.

Ryan wurde allmählich klar, was gerade geschah. Ihm packte Panic, hastig stand er auf, nur um gleich wieder in die Knie zu gehen, seine Glieder waren wie gelähmt. Mühsam machte er noch einen Versuch und ging ein paar Schritte tiefer in die enge Gasse hinein. Er blickte hinauf und stand vor einem Maschendrahtzaun, der sich scheinbar unüberwindbar hoch gen Himmel streckte.

Die Schritte die immer näher kamen, zwangen Ryan sich zu beeilen. Er legte eine Hand an den dünnen Draht, dann die andere, durch diese sofort ein brennender Schmerz zog. Er kniff kurz die Augen zusammen, dann hob er seine Füße in die kleinen Löcher. Obwohl er sich so schwach fühlte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen, kletterte er so schnell er konnte am Zaun hinauf.

Plötzlich hörte er die Schritte deutlich hinter sich und es ertönte der Ruf, den Ryan die kleine Hoffnung die er noch hatte nahm.

“Hey du, stehen bleiben!”

Kaum war er, auch nur einen Meter vom Erdboden entfernt, wurde er, an den Hüften gepackt, wieder hinunter gezogen, und mit schnellen Bewegungen umgedreht und an die Wand gedrückt. Vor Schreck konnte er sich eine Weile nicht rühren. Seine Gedanken überschlugen sich regelrecht, nur sein Instinkt, vor der Gefahr zu flüchten, bewegte ihn noch. Er nahm seine letzten Kräfte zusammen und riss sich von dem Mann, der ihn an den Schultern fest gegen die Mauer drückte, los und rannte davon.

Sofort kam der Polizist ihm nach und erwischte ihn nach ein paar Schritten wieder. Vor Ryans Augen war alles verschwommen und ihm wurde vor Kälte, Schwäche und dem starken Alkohol, zunehmend übler. Er nahm seine Umgebung nicht mehr richtig wahr, alles was er sah waren Schemen die um ihn herum liefen.

An den Handgelenken spürte er etwas kühles das sich schloss und leise klickte. Dann wurde er unsanft mit schnellen Schritten vorwärts geschoben. Am Boden sah er ein paar andere Beine die neben ihm herliefen. Dann verschwand die steinige Straße und wisch dem Untergrund eines Autos. Schließlich begriff Ryan, das er nichts mehr tun konnte, er war gefangen. Er starrte auf seine Knie, und beobachte wie die Lichter, durch das Fenster, schnell darüber zogen.
 

Die Zeit, in der Ryan sich ausruhen konnte, verging viel zu schnell. Schon wurde er mit festen Handgriffen dazu gezwungen aus dem Auto zu steigen und weiter zu laufen. Als er, und seine Begleiter, durch die zweiflügelige Tür des Polizeireviers traten, kam ihnen ein Schwall warmer Luft entgegen. Kurz nachdem sie durch eine weitere Tür gingen, und ihm die Handschellen abgenommen wurden, bedeutete der eine Mann, Ryan sich auf den Stuhl, der vor einen unaufgeräumtem Schreibtisch stand, zusetzen. Er war froh wieder sitzen zu können und seinen Körper auszuruhen.

Doch kaum hatte sich Ryan an seine Situation gewöhnt und ihn die Panic, die er noch vor kurzen verspürte, verlassen, knallte der Polizist mit den Fäusten auf den Tisch und stieß dabei einen Becher mit Kugelschreibern um. Ryan zuckte augenblicklich zusammen und sah den Mann ins Gesicht. Seine schwarzen Augenbrauen hatten sich nach unten verzogen und auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Falten. Ohne von Ryan abzusehen, nahm er seine Mütze ab und setzte sich auf den dunklen Drehstuhl, der hinter ihm stand, und verschränkte die Arme auf der Schreibfläche.

Etwa fünf Minuten vergingen in denen keiner von beiden etwas sagte. Der Polizist schaute Ryan nur ununterbrochen, mit finsterer Miene, an.

Ryans Blick wanderte hin und her. Er wusste nicht was er tun sollte. Der Mann verlangte dass er etwas sagte. Aber er bekam keinen Laut heraus.

Aber dann räusperte sich der Polizist und sagte mit rauer tiefer Stimme: “Also Junge, was hattest du heute bei diesem Kiosk zu suchen?”

Ryan sagte nichts. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Die bedrohliche Ausstrahlung des Mannes gab ihm ein mulmiges Gefühl. Es war fast wie bei seinem Vater.

“Du hast ganz offensichtlich was getrunken. Mehr als gut für dich ist. Zudem schätze ich du bist nicht mal älter als fünfzehn. Nicht wahr? Aber du weißt doch schon was du getan hast?” Nach kurzer Pause, in der er wieder wartete das Ryan etwas sagte, überflog er auf einem Blatt Papier etwas und sprach dann weiter. “Du hast einen Einbruch begangen, wahrscheinlich um mehr Alkohol zu bekommen schätze ich mal. Und wolltest danach vom Tatort flüchten. Nicht zu vergessen den Schaden denn du angerichtet hast. Nun, was hast du dazu zu sagen? Ich rate dir die Wahrheit zu sagen, sonst wird es für dich nur noch schlimmer, als es ohnehin schon ist. Bei diesen Verbrechen kannst du mindestens mit einer Anzeige des Kioskbesitzers rechnen. Also was ist?”

Ryan hatte die ganze Zeit, während der Mann sprach, den Blick aus seine zitternden Hände gerichtet und darauf gehofft das der Beamte sich mit Schweigen abfinden würde.

Weitere endlose Minuten vergingen. Ryan verkrampfte sich mit jedem Augenblick mehr. Er konnte keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen.

Doch dann klopfte es an die Tür. Kurz darauf wurde sie geöffnet und eine junge Frau kam rein, sie bat den Mann, mit einem Fingerzeig, zu sich. Dieser stand auf und legte die Hände flach auf den Tisch. “Sieht so aus als hättest du Glück gehabt. Die Kollegen werden sich jetzt um dich kümmern. Aber wir sprechen uns noch. Und für dich hoffe ich, du hast dann mehr zu bieten als nur Schweigen”.

Als die Tür sich wieder schloss atmete Ryan erleichtert auf. Kaum eine Minute später kam die Polizistin wieder rein, nahm Ryan am Arm und sagte: “Komm bitte mit”.

Sie führte Ryan durch einen langen Gang, und blieb schließlich vor einer Tür, mit einem kleinen Fenster, stehen und öffnete diese mit einem Schlüssel, den sie am Bund trug. Dann schob sie Ryan hinein. Jedoch ging sie danach nicht hinaus, sondern schloss hinter sich die Tür und lief zu dem festgemachten Bett, das das einzige war was sich in diesem schmalen Raum befand. Sie stellte einen kleinen Kasten, den sie bei sich hatte, darauf, öffnete diese und sagte zu Ryan der noch nahe der Tür stand: “Komm schon her. Du bist doch verletzt. Ich will deine Wunde nur schnell verbinden, dann lass ich dich in Ruhe”.

Ryan ging zu ihr und stellte sich vor sie, wobei er den Kopf nicht ein einziges Mal hob um die Frau anzusehen. Er hielt ihr, nach kurzen zögern, die Hand hin, die Frau löste, das notdürftig umgebundene, Tuch und legte es auf das Bett. Dann nahm sie ein Wattebällchen, das sie mit einer Flüssigkeit getränkt hatte, und strich damit leicht über Ryans Wunde. Sogleich brannte es so sehr das er das Gesicht verzog und seine Hand ein Stück zurückzog. Die junge Frau lächelte darauf nur verständnisvoll und begann einen Verband um seine Hand zu binden. Ryan schämte sich ein wenig für seine Reaktion. Inzwischen hatte sie den Kasten wieder in der Hand, lächelte noch einmal, ging wieder zur Tür und öffnete sie. Bevor sie aber raus ging drehte sie sich um und sagte mit ihrer sanften Stimme: “Schlaf jetzt erst mal. Und morgenfrüh rufen wir deine Eltern an”. Dann ging die Tür zu und es folgte das leise klacken des Schlosses.

Ryan traf der Schreck wie ein Blitz. Er konnte sich gar nicht ausdenken was wäre wenn sein Vater davon erfährt. Aber im Moment war es jedoch das Beste, ein wenig zu schlafen. Später jedoch musste er sich einen Ausweg überlegen. Und das noch vor dem Morgengrauen. Die Polizisten würden sicher nicht lange brauchen bis sie ihn wieder befragten. Und dann musste er etwas sagen.

Ryan kauerte sich, auf der Seite liegend, zusammen und zog die Kapuze seiner Jacke übers Gesicht. Nun konnte er seine Müdigkeit nicht länger zurückhalten. Das angenehme Gefühl des Schlafes übermahnte in und er schloss erleichtert die Augen. Worauf er gleich in einen leichten traumlosen Schlaf verfiel.
 

Nach ein paar Stunden, die Ryan wie Minuten vorkamen, erwachte er vom lauten Trubel der von draußen zu hören war. Weil sich in dem Raum kein Fenster befand, konnte er unmöglich feststellen wie spät es war. Hatte er Glück und es war immer noch Nacht, konnte er noch einmal schlafen. War es aber schon früher Morgen musste er sich jetzt zusammen reißen und sich was für die bevorstehende Befragung ausdenken.

Da überlegte Ryan gar nicht lange. Das Risiko ohne eine passende Antwort vor dem Polizist, mit den strengen Blick, zu stehen, konnte er auf keinen Fall riskieren.

Er setzte sich auf und versuchte, trotz den Kopfschmerzen die ihn jetzt plagten, eine Lösung zu finden. Die Wahrheit konnte er schlecht sagen. Denn sonst würde Robert ihm, und seinen Freunden, weit aus schlimmeres antun als er es schon tat. Vielleicht sollte er einfach das sagen, was der Polizist vorhin dachte. Er sei in das Kiosk eingebrochen um Alkohol zu stehlen. Das war noch das einfachste.

Ihm kam außerdem der Gedanke daran, zu sagen es sei eine Mutprobe gewesen oder er sei von Freunden dazu gezwungen worden. Aber diese Einfälle verwarf er gleich wieder. Beides würde voraus setzten das er nicht alleine gewesen wäre.

Schlussendlich entschied sich Ryan für die einfachste, und in diesem Fall die logischste. Nämlich das er die Scheibe des Kiosks eingeschlagen habe um an Alkohol zu kommen.

Eine Antwort die ihn ganz aus der Sache holen würde, gab es nicht.
 

Chris

Ich hatte Ryan jetzt schon über eine Woche nicht mehr gesehen. Das letzte Mal hatte er mir gesagt ich solle ihn in Ruhe lassen. Die Sorgen die ich mir um ihn machte wurden immer größer, ich konnte mich in der Schule nicht gut konzentrieren, weil ich immerzu daran denken musste wie es Ryan gehen musste und warum er sagte er wolle mich nicht mehr sehen. Es war klar dass er Geheimnisse hatte, die er mir nicht erzählen wollte. Aber ich tat doch alles um sein Vertrauen zu gewinnen, trotzdem zeigt er mir die kalte Schulter oder wir streiten uns, wenn wir uns mal trafen. Das war fast immer so gewesen, und langsam dachte ich, ich sollte ihn wirklich eine Zeit lang in Ruhe lassen. Aber Ryan steckte nun mal in Schwierigkeiten und da konnte ich ihn einfach nicht alleine lassen. Wenn er mir nur endlich sagen würde was ihn belastete, ich würde es verstehen. Nur leider glaubte Ryan mir das nicht.

Die Sorgen ließen mich auch heute nicht los. Ich saß in der Schule und hörte gar nicht was der Lehrer so von sich gab. Zum Glück war dieser Lehrer nicht einer von denen die oft die Schüler abfragten. Bei ihm konnte man es ich leisten, unaufmerksam zu sein.

Nach zwei Stunden läutete es zur ersten Pause und ich ging hinaus auf den Schulhof, um etwas frische Luft zu schnappen. Es war, wie schon seit ein paar Wochen, sehr kalt an diesem Morgen. Kein Wunder, mittlerweile war schon Anfang Dezember. Geschneit hatte es jedoch noch nicht. Das war auch gut so, ich mochte den Winter nicht besonders.

Ich lief einmal rund um den Hof, und wollte gerade noch eine Runde drehen, um mich einigermaßen warm zu halten, da kam Alex lässig auf mich zu gelaufen. Mit den Händen in den Taschen, stellte sich vor mich ohne ein Wort zu sagen. Sein Gesicht war ernst, was ich von ihm eigentlich gewohnt sein musste. Aber diesmal war etwas anderes an ihm.

Ich lächelte ihn zur Begrüßung an, was eigentlich sehr unpassend schien, und ich guckte ihn auch sofort wieder ernst an. “Was gibt’s, Alex?”

“Also ist sag es mal ganz direkt, aber versteh mich jetzt nicht falsch. Ich will dass du Lisa besser behandelst. Es ist doch wohl eindeutig das sie dich mag, aber du ignorierst sie nur. Das hat sie nicht verdient, und ich rate dir das schleunigst zu ändern”.

Ich war einen Moment lang völlig sprachlos. Alex schaute mich an, als wäre ich sein Feind. Bevor er aber vollkommen die Geduld verlor sagte ich ruhig zu ihm: “Ich weiß gar nicht was du meinst. Ich behandle sie doch genauso wie dich oder Michael”.

“Jetzt tu nicht so blöd. Lisa hat dich doch sicher, mehr als oft, gefragt ob du mit ihr gehen willst. Und man sieht doch wohl wie unglücklich sie das macht, dass du nicht endlich ja sagst”.

Im Laufe des Gesprächs hatte sich Alex immer mehr hinein gesteigert. Seine Stimme wurde lauter und seine Haltung angespannter.

Aber ich lies mich davon nicht beeindrucken und sagte ihm gelassen meine Meinung. “Ich mag Lisa aber nicht auf diese Weise. Wenn ich mit ihr gehen würde, würde da nichts ändern. Und warum sagst du mir überhaupt dass ich das tun soll? Du streitest dich doch so oft mit ihr, das man meint sie wäre dir egal”.

Sein Blick verfinsterte sich ein wenig und er trat ein Stückchen näher an mich heran. “Sag das nicht noch einmal. Sie ist mir ganz und gar nicht egal. Und es würde sehr wohl etwas ändern, wenn du endlich mit ihr zusammen sein würdest. Denn Lisa wäre dann glücklich. Sie tut zwar immer so als könnte sie gar nicht traurig sein, aber ich kenne sie schon lange, und weiß sie tut nur so, damit andere sie mögen. Also tu es gefälligst und geh mit ihr, oder…” Er machte eine Pause um seine Worte wirken zu lassen.

Verstand ich das jetzt wirklich falsch oder wollte Alex mir drohen? Mir kam es eher so vor als mochte er Lisa. Dennoch sagte er mir das. Sonst war er auch nicht der Typ der sich groß um Gefühle scherte.

Alex wollte gerade wieder etwas sagen, wurde aber vom klingeln meines Handys daran gehindert.

Ich hatte mein Handy immer eingeschaltet, denn man konnte ja nie wissen ob vielleicht Ryan anrufen würde. Aber ein kurzer Blick auf das Display sagte mir das Vincent anrief. Alex war sichtlich von dieser Störung genervt.

Ich beachtete ihn gar nicht, sondern ging ein paar Schritte zurück, drehte ihm den Rücken zu und drückte auf den kleinen Knopf des Handys. Vincent klang etwas beunruhigt, als er mir kurz erzählte warum er mich um diese Zeit anrief. Was er aber, mit wenigen Worten sagte, beunruhigte mich umso mehr. Sofort, als Vincent aufgelegt hatte, stecke ich mein Handy wieder ein, eilte so schnell ich konnte in den Klassenraum zurück um meine Sachen zu holen und lief dann wieder quer über den Schulhof. Auch an Alex vorbei. Aber ich war zu aufgeregt, um zu sehen wie er mir verwundert und gleichzeitig wütend hinter her blickte, als ich das Schulgelände verlies, ohne ihn noch einmal anzusehen.
 

Ich lief zur nächsten Bahnstation und brauchte nicht lange um die richtige Linie zu finden. Die Fahrt dauerte auch nicht allzu lange, aber vielleicht kam es mir auch nur so vor. Ich wurde nur noch von einem Gedanken angetrieben und schloss alles andere um mich aus. Und dann stand ich schon vor Vincents Wohnung und stellte Vermutungen an was mich dahinter erwarten könnte. Doch es kam anders als ich dachte.

Als ich klingelte wurde die Tür nicht sofort aufgerissen und Vincent, der mich herein bat, sah auch nicht so aufgeregt aus, wie es noch am Telefon den Anschein hatte. Ich jedoch konnte mich kaum halten, zwang mich aber zur Ruhe. Es würde jetzt auch nichts nützen wie ein angeschossenes Huhn wild herum zu rennen. Stattdessen sah ich Vincent, der gerade die Tür hinter sich schloss, fragend an. Als dieser nichts sagte sondern weiter dem Flur entlang ging, fragte ich voller Ungeduld in meiner Stimme: “Wo ist er?”

Vincent wand sich um und lächelte mich sanft an. “Mach dir keine Sorgen. Er ist im Wohnzimmer und schläft”.

“Du hast doch gesagt er sei verletzt”.

“Es ist nicht so schlimm wie du vielleicht denkst. Aber ich dachte du solltest es wissen. Jedoch dachte ich nicht dass du sofort kommen würdest. Ich hab mich wohl doch schlecht ausgedrückt, als ich dich anrief. Entschuldige wenn ich dir damit Angst gemacht habe”. Mit diesen Worten ging Vincent weiter und ich folgte ihm. Das hatte mich schon etwas beruhig, aber ich machte mir trotzdem Sorgen.

Im Wohnzimmer angekommen sah ich dann Ryan zusammen gerollt auf dem Sofa liegen. Bei diesem Anblick fiel mir ein schwerer Stein, der mich schon den ganzen Weg bis hierher belastet hatte, vom Herzen.

Ich merkte gar nicht wie lange ich Ryan ansah, wie er einfach nur da lag und ruhig schlief, bis Vincent mir die Hand auf meine Schulter legte und sagte: “Wir lassen ihn lieber noch schlafen”. Dann bedeutete er mir ihm in die Küche zu folgen. Dort setzten wir uns an den kleinen Tisch.

Nach kurzen Schweigen fragte Vincent: “Möchtest du was trinken?” Ohne auf meine Antwort zu warten, stand er auf und sah in den Kühlschrank und holte eine Flasche Cola heraus.

Während er zwei Gläser füllte fragte ich: “Was ist mit Ryan?”

Vincent antwortete nicht sofort, was mich wiederum erneut beunruhigte. Doch als er sich wieder, gegenüber mir, hinsetzte und mir das Glas hinstellte sagte er: “Es geht ihm soweit gut. Mehr kann ich auch nicht sagen. Als er vorhin zu mir kam ging er, ohne ein Wort zu sagen ins Wohnzimmer und legte sich hin. Ich fragte ihn zwar was los sei, als ich den Verband an seiner Hand sah, aber er antwortete mir nicht. Also ließ ich ihn erstmal in Ruhe und dachte mir es wäre besser dir Bescheid zu sagen. Du hast dir sicher Sorgen um ihn gemacht”.

“Ja, natürlich habe ich das. Und ich tue es immer noch”. Ich stockte, weil mir das äußerst komisch vor kam über Ryan zu reden, als wäre ich so was wie seine Mutter. Aber mit jemandem meine Sorgen teilen zu können war eine große Erleichterung. Und wenn nicht mit Vincent, mit wem sonst? Also sollte ich ganz offen reden, er hatte sicher die gleichen Sorgen. “Aber ich weiß nicht, wie lange das noch so weiter gehen soll. Langsam glaube ich Ryan will wirklich keine Hilfe und ich sollte ihn auch nicht mehr so belästigen. Aber heute hat er mir wieder gezeigt dass er nicht alleine zurechtkommt. Und es ärgert mich das er nicht zu mir gekommen ist” Etwas leiserer setzte ich dran: “Vielleicht wäre es dann nicht so weit gekommen”.

Vincent schaute mich verständnisvoll an und nickte zustimmend. “Ich verstehe schon. Es ist ja auch nicht so als würde ich mir keine Sorgen um ihn machen. Aber ich glaube nicht dass er wirklich will dass du ihn in Ruhe lässt. Er sagte das sicher nur um dich nicht in Gefahr zu bringen. Und wie du siehst bringt ihm diese Gefahr Verletzungen ein, also lass ihn bitte nicht alleine”.

“Du hast ja Recht. Aber er macht es mir so schwer. Ich kann ja nicht mal mit ihm reden, ohne dass wir uns streiten”. Ich hielt mir die Hand kurz vors Gesicht. Es tat gut mit jemanden darüber zu reden. Aber letztendlich musste ich mich um die Sache kümmern.

Vincent trank einen Schluck aus seinem Glas, seufzte und sagte sorgenvoll: “Aber wenigstens redet er mit dir. Auch wenn ihr euch streitet. Ohne dich wäre Ryan schlimmer dran”.

“Fragt sich nur wie viel schlimmer es werden kann”.

“Sag das nicht. So was darfst du nicht mal denken, du am allerwenigsten. Was soll Ryan denn ohne dich machen”. Vincent war sichtlich entsetzt.

Etwas kleinlaut sagte ich: “Ja, schon aber…”.

“Du gehst jetzt besser zu ihm und sagst ihm dass du ihm helfen willst. Er wird dir sicher zuhören”.

Sicher wird er das, weil er ja noch schläft. “Aber ich will ihn jetzt nicht wecken”.

“Geh einfach!”

Dann hatte ich ja wohl keine andere Wahl und ging.

Wie als hätte Vincent es gewusst, schlief Ryan gar nicht mehr, sondern saß zurückgelehnt, den Kopf weit nach hinten gelegt, auf der Couch und machte ein nachdenkliches Gesicht. Selbst als ich näher kam und mich auf den Sessel setzte, der neben dem Sofa stand, tat Ryan so als würde er mich nicht bemerkt haben. Gerade wollte ich ihn fragen wie es ihm ging, da kam er mir zuvor.

“Was machst du hier?” Seine Stimme klang abweisend. Was anderes hätte ich auch nicht erwarten können. So wie wir uns das letzte Mal trennten.

“Was ich hier mache? Ich hab mir Sorgen um dich gemacht”.

Sein Gesicht verzog sich zu einem traurigen Lächeln. Sah aber noch immer zur Decke hinauf. “Das brauchst du nicht, ich komme alleine klar”.

Seine Sturheit ärgerte mich zwar, aber ich bemühte mich weiter ruhig zu bleiben. Ich wollte ja nicht dass wir uns wieder streiten. “Das sehe ich anders. Guck dich doch mal an. Du siehst aus als hättest du Tage lang nicht geschlafen und sprichst mit keinen, von uns darüber”. Ich wartete auf seine Reaktion, er würde sicher etwas dazu erwidern. Aber er tat es nicht. Er bewegte nur kurz den Arm, denn er wohl vor mir verstecken wollte. Also sprach ich weiter, in der Hoffnung er würde meine Sorgen endlich verstehen. “Ich weiß dass du verletzt bist. Du musst dich nicht weiter verstellen und so tun als kommst du in deiner Lage noch zu recht. Versteh doch endlich dass ich dir helfen will”.

Ryan war immer noch uneinsichtig und drehte seinen Kopf beiseite. “Ich brauch deine Hilfe aber nicht. Wie oft soll ich das noch sagen?”

Er wollte mich anscheinend nicht mal ansehen. Ich lies mich aber nicht so einfach von ihm abweisen. Ich wollte endlich Klarheit zwischen uns schaffen. “Bitte vertrau mir doch. Ich kann nicht weiter einfach nur zusehen wie du dich quälst. Hör doch auf damit und lass dir helfen”.

“Halt doch die Klappe! Glaubst du ich wäre an allem schuld? Glaubst du ich hätte mich mit Absicht verletzt? Glaubst du ich hätte mich freiwillig von der Polizei schnappen lassen?”

Plötzlich verlor ich meine Ruhe und sprang entsetzt aus dem Sessel auf. Laut, wie es eigentlich gar nicht meine Art war rief ich: “Ach, jetzt kommt auch noch die Polizei dazu. Was kommt denn als nächstes?”

Ryan rührte sich nichts. Und mir wurde bewusst was ich gerade gesagt hatte. Das musste Ryan sicher wehgetan haben und es tat mit jetzt Leid.

Ich setzte mich wieder hin und schämte mich für meinen hysterischen Ausbruch. Ich wollte Ryan doch nicht mehr wehtun. Nach einer längeren Pause in der keiner von uns Anstalten machte etwas zu sagen, entschloss ich mich das Gespräch wieder zu beginnen. Jedoch musste ich dabei vorsichtig sein, was ich sagte. Also sagte ich so ruhig ich, in dieser Situation, konnte: “Tut mir Leid”.

Nach endlosen Minuten bewegte Ryan sich endlich, er beugte sich vorn über, legte die Arme auf die Beine und blickte zu Boden. Er öffnete seinen Mund ein Stück, wartete aber noch um dann leise zu sagen: “Es ist sinnlos mir helfen zu wollen. Du kannst nichts tun. Also lass mich in Ruhe”.

Ich wollte es nicht mehr hören. So oft hatte er es mir schon gesagt. Und ich wollte nicht glauben dass er es ernst meinen könnte. Fast flüsternd erwiderte ich: “Das kann ich nicht”.

Plötzlich stand Ryan auf, blieb kurz reglos stehen, ging dann an mir vorbei und raus aus dem Raum.

Mit einem Mal packten mich wieder die Gedanken, ihm könnte was geschehen wenn ich ihn gehen ließ. Hastig stand ich auf und lief in den Flur wo sich Ryan gerade seine Jacke anzog.

“Wo gehst du hin?” Meine Stimmer überschlug sich fast so panisch war ich jetzt.

Immer noch gelassen sagte Ryan: “Wenn du dich nicht von mir fern hältst, tu ich es eben”. Damit ging er zur Tür hinaus und schloss sei hinter sich.

Ich war wie erstarrt. Nein, ich durfte ihn nicht, wie das letzte Mal, einfach gehen lassen. Mit einem Ruck riss ich die Tür wieder auf und rannte ihm nach. Vincent der mittlerweile auch bemerkt hatte was Ryan vorhatte, rannte neben mir her.

Ryan war noch nicht weit, er lief ein paar Meter vor uns an der Straße entlang. Als er merkte dass wir ihm folgten, rannte er schneller.

“Ryan, bleib bitte stehen!” Rief ich verzweifelt.

Plötzlich stieg jemand aus einem parkenden Auto, das an der Straßenseite stand, und stellte sich mitten auf den Gehweg.

Ryan der genau auf den Fremden zu lief, blieb abrupt stehen und schaute den ihn an. Es war ein großer, etwas dickerer Man in einem feinen Anzug, der jetzt vor Ryan stand und ihn böse anblickte.

Es sah so aus als wollte Ryan an ihm vorbei, aber er zögerte und trat einen Schritt zurück.

Mit tiefer Stimme knurrte der Mann: “Come!”

Wir hatten Ryan gerade eingeholt und standen hinter ihm. Der Mann aber beachtete uns nicht, sondern packte Ryan und stieß ihn auf den Rücksitz seines Autos und schmiss die Tür zu. Instinktiv wollte ich nach Ryan greifen als er weg gezogen wurde, aber ich war nicht schnell genug und sah den Mann jetzt entsetzt an, der eben in das Auto stieg die Tür schloss und, mit quietschenden Reifen davon fuhr.

Ich starrte dem Wagen sprachlos hinter her und traute mich nicht mich zu bewegen. Vor kurzen war Ryan noch genau vor mir, und jetzt?

Ich sah zu Vincent der ebenfalls der Straße entlang blickte. Als er meinen ungläubigen Blick sah, sagte er mit einer Ruhe, die ich gar nicht verstehen konnte: “Das war sein Vater”.

Ziellos

Ryan
 

Die ganze Autofahrt lang sagte Ryan zu seinem Vater kein einziges Wort. Er dachte bitter daran das, dies hier doch eigentlich genau das war was er wollte. Nämlich weg von seinen Freunden. Da hatte sein Vater mal ausnahmsweise das richtige getan. Warum er aber vor Vincents Wohnung stand, konnte Ryan sich denken. Er hatte sicher erfahren dass er von der Polizei festgenommen wurde, und er konnte sich auch denken was sein Vater davon hielt und was er tun würde wenn sie erstmal zu Hause ankamen.

Ryan lachte innerlich. Diesen Ort sein zu Hause zu nennen war lächerlich. Er gehörte da nicht hin. Nur die Tatsache dass er nirgendwo anders hin konnte, hielt ihn dort noch.

Er blickte aus dem Fenster und sah wie die verschiedensten Gebäude und Menschen vorbei zogen, ohne zu wissen was anderen Leuten in dieser Stadt geschah. Alle waren sie auf ihre Art Egoisten. Auch Ryan. Er fand sich selbst widerlich. Er war von andern abhängig, konnte ohne sie nicht leben und war außer Stande das zu ändern. Obwohl er es so gerne wollte, konnte er nicht. Er würde immer abhängig bleiben, egal von wem, egal wann.

Er sah zu seinem Vater. Im Rückspiegel erblickte man sein ernstes Gesicht, auf dem sich schon tiefe Falten an Stirn und um die Augen, gebildet hatten. Sein dunkles kurz geschnittenes Haar fing an den Seiten an zu ergrauen und wurde vorne immer dünner.

Ryan fragte sich ob er schon immer so war wie er ist. Er konnte sich wage an eine Zeit erinnern in der sein Vater liebevoll war. Das war vor der Scheidung seiner Eltern. Damals war auch seine Mutter noch bei ihm. Aber das war schon lange her. Das heißt so lange auch wieder nicht. Es kam Ryan nur so vor. In Wahrheit war es keine zwei Jahre her. Ihm schien es jedoch schon sehr viel länger. Sogar das es nur ein schöner Traum gewesen sein konnte, war ihm in den Sinn gekommen. Früher war einfach alles anders. Und nachdem was alles in letzter Zeit geschah würde sich heute alles wieder ändern.

Ryan hatte keine Angst davor was ihn erwartete. Hauptsache ihn verlies diese Furcht davor seine Freunde in Gefahr zu bringen. Denn ohne diese Furcht konnte er es besser ertragen.

Wie in Trance stieg er aus dem Wagen, als sein Vater vor dem Haus parkte und auf ihn wartete. Er schloss die Haustür auf und blieb daneben stehen bis Ryan drinnen war. Dann ging die Tür zu, und Ryan hatte das Gefühl als würde sie ihn von seinen bisherigen Leben abtrennen.

Sein Vater gab seinen Mantel in die Hände des Dienstmädchens das gerade angelaufen gekommen war und auf die eventuellen Wünsche des Hausherrn wartete. Doch Heer Douglas winkte ab und das Mädchen ging wieder, nachdem sie den Mantel an einen Ständer, neben der Tür, gehängt hatte.

Ryan behielt seine Jacke an. Unter seiner Mütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, fühlte er sich sicherer als ohne. Er folgte seinen Vater, als dieser der Treppe hoch ging. Er wusste auch ohne einen Zeig seines Vater, das er mit ihm reden wollte. Oben angekommen gingen sie in sein Arbeitszimmer. Ryan war noch nicht oft oben, hier befanden sich lediglich die Räume seines Vaters und er durfte sie nicht betreten, außer ihm wurde es erlaubt. Das Gute daran war, das Ryan sich unten frei bewegen konnte. Sofern er sich, durch das knarren der alten Stufen, versichert hatte das sein Vater oben war.

In dem Raum in dem sich beide jetzt befanden, setzte der Vater sich demonstrativ an seinen großen teuren Schreibtisch und Ryan sollte sich auf das Sofa setzen das sich an der gegenüberliegenden Wand befand. Es war genauso wie sonst auch wenn der Vater ihm was zu sagen hatte. Und sein Vater machte das nicht ohne Grund in seinem Arbeitszimmer. Denn hier konnte er Ryan klar machen was für eine Autoritätsperson er war und was für einen Stand er als erfolgreicher Geschäftsmann der USA in der Gesellschaft hatte. Deshalb verlangte er von seinem Sohn auch ein gewisses Maß an Disziplin und Ordnung. Dies war schon Grund für unzählige Predigten von ihm. Er konnte es überhaupt nicht dulden das Ryan sich so kleidete und sich ganz und gar nicht vorbildlich verhält.

Jetzt saß der Vater auf seinem dunklen Sessel hinter seinem Schreibtisch, faltete die Hände und sah seinen Sohn, der etwas eingeschüchtert aber ruhig vor ihm saß, aus kalten Augen an. Als er dem Mund öffnete um seinen Vortrag zu beginnen, zuckte Ryan innerlich leicht zusammen, lies sich aber nichts anmerken.

Noch kam kein Laut über die Lippen über denen sich ein leichter Schnurbartansatz etwas auf und ab bewegte, so als müsste er noch mal überdenken was er sagen wollte. Schließlich holte er aus einer Schublade ein paar Papiere, sah kurz prüfend drüber und legte sie vor sich.

In diesem Augenblick merkte Ryan das sein Vater, nicht wie sonst, seinen Zorn freien Lauf ließ, sondern ungewohnt beherrscht war. Als er schon gar nicht mehr damit rechnete fing der Vater nach einem leichten Räuspern an zu reden. "I can probably go out from it you have an explanation, why you were arrested by the police? And why you have gone to this neglected punk and haven´t waited, there for me?” Er machte eine kurze Pause. Erwartete aber keine Antwort von seinem Sohn, der bei allen Gesprächen die er mit ihm bis jetzt hatte, auch nur das Geringste erwidert hatte. „Ist’s Over with this crap“. Er schob eins der Blätter ein Stück nach vorne, als würde er es Ryan präsentieren wollen. Ryan konnte es nicht genau erkennen was darauf geschrieben stand und schenkte dem keine große Aufmerksamkeit. "Today, I has got tomorrow the news by now I am urgently used in the head office of the company. So we fly earlier to America than planned. My secretary meets the necessary preparations to the flight. I estimate we can depart the week quite after next“.

In Ryan zog sich alles zusammen, er hielt seinen Bauch umschlungen. Er wollte nicht schon nächste Woche nach Amerika abreisen

Ohne auf Ryans verängstigende Gestalt zu achten redete der Vater gelassen weiter. “When we will come, you hopefully in yours with restraint improve. Since I will not tolerate it further you walk around in such lift and meet some types. And exactly that's why, and because of this incident today, you will go to a boarding school. The papers for it are signed long time ago. It becomes a topmost time you learn like one itself in our today's society deprives”,

Diese Nachricht konnte Ryan nicht noch mehr schmerzen. Es war für ihn schon schlimm genug seine Freunde verlassen zu müssen. Da war es ihm nahezu egal was in Amerika mit im geschehen würde. Er nahm eine flüchtige Bewegung von seinem Vater wahr und sah vom Boden zum Schreibtisch hinüber. Sein Vater senkte gerade wieder die Hand womit er wahrscheinlich eben noch zur Tür gedeutet hatte. Ryan war sich etwas unsicher ob er jetzt gehen sollte aber wagte es zu versuchen und stand zögernd auf. In einer etwas gebeugten Haltung blickte er seinen Vater an, der etwas schrieb und ging weiter Richtung Tür als dieser keine Anstalten machte ihn aufzuhalten.

Draußen angekommen atmete er erleichtert durch, als die Tür mit einem leisen klicken ins Schloss fiel. Der Knoten im seinem Magen löste sich langsam, aber noch immer war es ihm als würde er von einer Eiseskälte umgeben sein die ihm jedes Mal erstarren und verstummen lies. Für diesem einen Moment war er froh nicht mehr vor seinem Vater zu sein aber schon als er die Stufen der Treppe hinab lief kamen ihm wieder andere Ängste in dem Sinn.

Er würde in ein Internat gehen müssen! Aber da sich so oder so alles ändern würde, und diese Tatsache ihn nicht noch weiter in ein tiefes Loch ziehen konnte, ließ er Leid, Leid sein und versuchte an etwas anderes zu denken.

Als er sich in seinem Zimmer etwas sicherer fühlte, lies er sich langsam an der Tür hinab sinken, zog die Knie an, schlang die Arme drum und legte den Kopf drauf. Einigen Moment lang hörte er nur seinem Atem zu wie er, nachdem sein Hals fast wie zugeschnürt war, immer ruhiger wurde.
 

Nach einer halben Stunde beschloss er sich in sein Bett zu legen, die Decke über den Kopf zu ziehen und den Rest des Tages so zu verbringen. Er setzte sich auf die Bettkante und schaute sich flüchtig im Zimmer um. Dabei fiel sein Blick auf die unterste Schublade der Kommode. Kurz schien er zu überlegen. Stand dann auf und öffnete langsam die Schublade, in die er schon so lange nicht mehr hinein gesehen hatte. Ganz hinten, unter einem Papierstapel lag eine kleine silberne Dose, die Ryan vorsichtig in die Hand nahm und kurz betrachtete ehe er sie zaghaft öffnete. Darin befanden sich, außer einem Foto einer dunkelhaarigen jungen Frau, ein paar Geldscheine die Ryan schon zeit einem Jahr sparte.

Schätzend nahm er sie heraus.

Sein Gesicht wurde ernster. Sein kommender Entschluss hin davon ab ob er jetzt das Geld nahm oder es wieder in die Schachtel zurücklegte. Er war sich sicher, das auch wenn es nicht viel Geld war, es genügen würde für das was er plante.

Seine Hand schloss sich fester um das Geld. Schnell legte er die Dose wieder in die Schublade und stand auf. Ging rasch zum Schrank zog sich seine schwarze Kapuzenjacke an, nahm sein Portemonnaie heraus und stecke das Geld hinein und ging zum Fenster.

Noch einmal sah er sich im Zimmer um, doch wenn er jetzt nicht ginge würde ihn seine aufkommenden Zweifel wieder daran hindern das zu tun was er doch schon seit Wochen vorhatte. Kurz schloss er die Augen und versuchte nicht daran zu denken was geschehen würde wenn sein Vater von seinem Vorhaben erfährt. Er war ja so oder so schon böse auf ihn. Und wenn Ryan bleiben würde wäre es sowieso aus mit seinem bisherigen Leben. Er wollte auf keinen Fall zurück nach Amerika.

Entschlossen öffnete er wieder seine Augen und machte mit einem Ruck das Fenster auf, worauf ihm ein eiskalter Wind ins Gesicht blies.

Wie schon so oft sprang er runter auf das Dach des alten Schuppens der unter seinem Fenster stand und sprang von da aus runter auf die Erde.

Auf der andern Seite des Schuppens befand sich die Straße. Ryan sah vorsichtig um die Ecke um zu sehen ob ihn gerade jemand entdecken könnte. Es war weit und breit niemand in Sicht. Ein Auto war auch nicht zu hören. Ryan kletterte schnell über den relativ niedrigen Lattenzaum der sich auf der anderen Seite befand und rannte bis zur nächsten Ecke. Auf die Straße konnte er nicht. Man wusste ja nie ob nicht gerade jemand aus einem Fenster sah der ihn bei seinem Vater verraten konnte. Das wäre nämlich nicht das erste Mal so gewesen.

Vor ein paar Monaten hatte eine ältere Frau die gleich gegenüber wohnt Ryans Vater erzählt das gerade wo er zur Arbeit fahren wollte, sich jemand zu seinem Haus geschlichen haben soll und Ryan ihn aufgemacht hatte. Das war damals natürlich Vincent gewesen. Ryan dachte sein Vater wäre schon längst weg gewesen doch an diesem einen Tag irrte er sich. Das hatte zur Folge dass sein Vater wütend in Ryans Zimmer kam und Vincent buchstäblich aus dem Haus warf. Von da an durfte niemand mehr zu Ryan kommen. Und deshalb musste nun jeder über den Schuppen klettern, denn den konnte diese alte Schabracke nicht von ihrem Haus aus sehen.

Jetzt lief Ryan scheinbar gelassen daher. Er wollte ja nicht unnötig auffallen, indem er panisch rannte. Denn auch in dieser Straße kannte sein Vater die Leute und die wussten das Ryan nur der Sohn von Herr Douglas sein konnte. Denn wegen diesem einen Vorfall mit Vincent hatte er sich einen schlechten Ruf bei diesen vornehmen Snobs gemacht. Die dachten er sei ein Drogenabhängiger der sich mit finsteren Gestalten in der Nacht, in dunklen Straßen trifft und rumlungert und schon das ein oder andere Verbrechen begangen hatte.

Die Leute dachten eben gleich das übelste wenn man nicht dem entsprach was sie als normal bezeichneten. Da trägt man halt immer schwarz, hat schwarze Augenränder und geht nur raus wenn es den unbedingt nötig ist oder kommt gar nicht erst nach Hause, und schon denkt man so. Da ist es auch nicht verwunderlich wenn Ryan sich immer, wenn er in dieser Gegend ist, sich die Kapuze tief ins Gesicht zieht und etwas gebeugt läuft, damit ihn niemand erkennt. Ryan wusste natürlich, dass nichts brachte, die Leute mussten nur diese schwarze Gestalt sehen und schon wüssten sie wer er war.

Ryan versuchte so schnell zu laufen ohne zu rennen und wirkte sichtlich entspannter desto weiter er sich von seinem Haus entfernte. Als er sich sicher war das ihn niemand gesehen hatte und ihn auch hier niemand erkennen konnte, setzte er sich auf eine Mauer die sich an einen U-Bahn Eingang befand.

Die vielen Leute die trotz Arbeitszeit an ihm vorbei liefen und ihn unauffällig, misstrauische Blicke zu warfen beachtete er gar nicht. Er musste seinen nächsten Schritt überdenken. Eigentlich hatte er sich alles schon genau überlegt, aber er konnte seinen Plan ja auch noch ändern.

Das erste woran er dachte war Chris anzurufen aber das konnte er doch nicht tun. Auch wenn er sein Freund war und ihm immer wieder sagte er wolle ihm helfen, konnte Ryan nicht zu ihm. Er wollte ihn in seine Angelegenheiten nicht weiter hinein ziehen. Chris hatte schließlich auch sein Leben. Und das würde Ryan nur unnötig erschweren. Er musste Abstand zu ihm halten. Das war für Chris besser und ihm würde es auch deutlich weniger Sorgen bereiten.

Der nächste Gedanke war zu Vincent zu gehen. Der wäre sogar vielleicht zu Hause. Aber das verwarf Ryan sofort wieder. Sein Vater wusste ja wo Vincent wohnte und ihn da auch gleich sucht, wenn er bemerkte dass er für längere Zeit fort war.

Schlussendlich blieb Ryan nun bei seinem alten Plan. Er stand auf und lief die Treppe der U-Bahnstation runter und stieg in den nächsten Zug ein, der ihn zum Hauptbahnhof brachte.

Ryan wollte dorthin wo er willkommen sein würde und es ihn schon seit längerem hingezogen hatte.
 

Zeitgleich bei Chris
 

Ich und Vincent sahen dem wegfahrenden Auto in das Ryan gezwungen wurde und das ihn praktisch von mir weg riss, fassungslos nach. Alles an was ich jetzt denken konnte war: was sollte ich jetzt tun? Ich weiß, ich ruf Ryan einfach an.

Meine Hände zitterten als ich mein Handy aus der Tasche holte und nach Ryans Nummer suchte. Vincent schien das ganze eben nichts ausgemacht zu haben, er sah mich nur ruhig an. Aber als ich mich freute das ich endlich die richtige Nummer fand legte Vincent mir die Hand auf die Schulter und sagte: “Lass das, Ryan wird sowieso nicht dran gehen können. Warte besser noch eine Weile!”

Entsetzt sah ich in an und sagte etwas laut: “Wie kannst du so ruhig bleiben? Machst du dir überhaupt keine Sorgen um Ryan?”

Vincent schaute nach dieser Fragen etwas böse drein, als würde ihm diese wehtun das ich sie ihm überhaupt stellte. Immerhin war er ja Ryans bester Freund.

Nach einer kurzen Pause in der mich Vincent ansah als wollte er fragen ob ich das gerade ernst meinte und wartete das ich noch was sagte, nahm sein Blick wieder die gewohnte Gelassenheit an und sprach weiter. “Natürlich mache ich mir Sorgen. Aber du übertreibst es gerade ziemlich. Ich weiß nicht was du dir vorstellst, aber Ryan wird schon nichts Schlimmes passieren. Ich meine, das war doch sein Vater der wird ihm ja kaum etwas antun. Meinst du nicht?”

“Was? Hast du nicht mitgekriegt was für ein brutaler Typ das war? Ich ruf jetzt die Polizei an”.

“Das meinst du doch nicht ernst?!” Er sah mich überrascht an. “Jetzt beruhige dich erst einmal wieder!“

“Aber ich kann doch jetzt nicht einfach so tun als wäre nichts gewesen”. Fast hysterisch hielt ich meine Arme in die Höhe und drehte Vincent den Rücken zu, dessen ruhige Miene mich nur noch mehr aufregte.

“Doch das kannst du. Es ist ja auch nichts passiert. Ryan ist jetzt nun mal bei seinem Vater, und es ist nicht das erste Mal das er hier so auftaucht und Ryan mitnahm. Das war früher, bevor du ihn kanntest schon öfters der Fall. Und nie ist Ryan dabei irgendetwas geschehen. Also hat es gar keinen Sinn sich groß darüber aufzuregen”. Damit ging Vincent ein paar Schritte zurück und sah mich, kurz nachdem er an mir vorbei war, wieder etwas lockerer an.

Vielleicht hatte er wirklich Recht. Im Moment konnte ich nichts tun. Es war das Beste sich zu beruhigen und über alles nachzudenken.

Ohne weitere Worte folgte ich Vincent zurück in die Wohnung und in das Wohnzimmer, wo ich mich erstmal nachdenklich auf die Couch setzte.
 

Nach etwa einer Stunde in der mich Vincent gerade mal soweit beruhigt hatte das ich nicht mehr daran dachte panisch zu Ryans Haus zu laufen und ihn da raus zu holen, erkannte ich das meine Sorgen wohl vollkommen unnötig waren. Jetzt wo ich einigermaßen wieder klar denken konnte schien mir die Lage gar nicht mehr so aussichtslos. Ryan war bei seinem Vater. Ja und? Er würde sicher wieder kommen. Alles andere war nun mal undenkbar.

Doch das Gefühl das etwas nicht stimmte lies mich nicht mehr los. Ein kleiner Rest meiner Befürchtungen die eigentlich meiner Fantasie entsprangen lies mich nicht zur Ruhe kommen. Egal was Vincent sagte ich wollte sehen ob es Ryan wirklich gut ging.

Energisch stand ich auf und sagte beim vorbei gehen an Vincent, der auf dem Sessel saß: “Ich gehe jetzt zu Ryan. Ich will ihn nur kurz sehen. Es ist deine Sache ob du mitkommst oder nicht”.

Vincent senkte für einen Moment den Kopf als schien er es aufgegeben zu haben mich noch anders zu stimmen. Er stand ebenfalls auf und wir zogen unsere Jacken an und liefen zu Ryan.

Der Weg zu ihm war nicht lange, man musste nur drei Stationen mit der S-Bahn fahren und schon war man in dem richtigen Viertel.

Das Haus stand zwei Straßen weiter und während wir beide bis jetzt schweigend nebeneinander liefen fragte Vincent der Vernunft halber: “Und was willst du tun wenn wir da sind? Etwa an der Tür klopfen und mit Gewalt in Ryans Zimmer stürmen und ihn einfach so mitnehmen?”

Erst antwortete ich nicht auf seine Frage, da ganz deutlich etwas Sarkasmus in seiner Aussage mitschwang. Doch schließlich sagte ich: “Ich sieh nur kurz vom Fenster aus in sein Zimmer. Mehr nicht”.

Vincent gab sich mit meiner Antwort zufrieden und sagte nichts mehr. Obwohl ich genau wusste das ihm das Ganze schon etwas voreilig erschien. Ryan war nicht mal ein paar Stunden von uns getrennt und ich veranstaltete hier so was. Das musste ja seinem sonst so vernünftigen Gemüt widersprechen.

Dann gelangten wir endlich in die richtige Straße und gingen gleich als wir am Haus ankamen hinter den kleinen Schuppen so das uns niemand sehen konnte.

Als ich sicher war das keiner in der Nähe war half mir Vincent kurzerhand auf den alten Schuppen hinauf und ich spähte zuerst vorsichtig hinein. Es konnte ja sein das Ryan nicht alleine war. Doch als ich sah dass im Zimmer kein Licht brannte wagte ich ganz offen hinein zu sehen. Wegen der Dunkelheit, die vom Schatten des gegenüberliegenden Hauses stammte, konnte ich nicht gleich alles erkennen, doch mit der Zeit erkannte ich, dass überhaupt niemand im Zimmer war.

Etwas verwirrt sah ich zu Vincent der mit fragenden Gesicht zu mir hoch blickte und sagte: “Es ist niemand im Zimmer”.

“Liegt er vielleicht im Bett unter der Decke?”

Die Frage war ziemlich unnötig da Vincent doch genau wusste, dass ich von hier den ganzen Raum überblicken konnte. Also schüttelte ich nur verneinend den Kopf.

Das leise Unbehagen, darüber das Ryan nicht wie vermutet in seinem Zimmer war, sondern wahrscheinlich irgendwo wo ich ihn nicht erreichen konnte wie zum Beispiel bei seinem Vater, stieg in mir auf und versetzte mich langsam in Panik. Mit einem kräftigen Ruck versuchte ich, fast schon verzweifelt, mich an der Fensterbank hochzuziehen, doch es gelang mir nicht.

Vincent der meine Bemühungen mit ansah sagte, etwas entrüstet: “Was soll denn das jetzt. Das schaffst du nicht. Das ist viel zu hoch als das du dich hochziehen könntest”.

Ich reagierte nicht auf seine Aussage sondern versuchte es noch einmal, diesmal energischer, doch wieder nichts. Ich wollte nicht, doch ich musste diese Idee wohl oder übel aufgeben. Zuversichtlich äußerte ich sogleich meinen nächsten Einfall. “Ich ruf jetzt die Polizei”.

“Das hast du schon mal gesagt. Und ich sage dir das hilft nichts. Was willst du denen sagen, das Ryans eigener Vater ihn entführt hat und ihn bei sich fest hält?” Sein Sarkasmus war deutlich heraus zu hören. Ihm ging das jetzt wohl viel zu weit und es war eindeutig das er wollte das ich endlich Ruhe gab und die Sache auf sich beruhen lies.

Also sprang ich vom alten Schuppen hinunter und blieb kurze Zeit neben Vincent stehen, der anscheinend erleichtert war das ich endlich aufgab und Vernunft annahm. “Dann geh ich eben zur Tür”. Und das tat ich auch sogleich.

Vincent folgte mir nicht gleich sondern blieb kurz entsetzt auf der Stelle stehen, bis er mir schließlich doch folgte und versuchte sich vor mich zu stellen und mich aufzuhalten wobei er mit den Händen “Stopp!” signalisierte. Doch ich ging unbeirrt weiter.

Als wir am Fuße der Treppe standen die zur Haustür hinauf führte packte Vincent mich am Arm und sah mich mit leicht bösem Blick an. “Das ist jetzt aber wirklich genug. Siehst du es nicht ein, dass du im Moment nicht zu Ryan kannst? Lass es”. Er machte eine kurze Pause um seine Worte wirken zu lassen. “Du machst die Sache unter diesen Umständen nur noch schwerer für Ryan”.

Dieser Satz erreichte mich nun endlich und ich überlegte ernsthaft ob ich aufhören und gehen sollte. Weil mir langsam klar wurde das ich zurzeit nichts tun konnte was Ryan helfen würde, sah ich Vincent mit traurigem Blick an. Dieser nutze den Moment aus und griff nach meinem Arm um mich weg zu führen.

Ich sah noch einmal zurück zur Tür und fragte mich warum Ryan nicht in seinem Zimmer war. Klar war es auch möglich dass er noch bei seinem Vater war. Aber dieser konnte ihm doch nicht so lange schimpfen. Es waren jetzt ungefähr zwei Stunden her, dass der Vater ihn von uns weg holte. Was war in der Zwischenzeit mit Ryan geschehen?

Plötzlich erfasste mich ein erschreckender Gedanke. War er vielleicht schon vorzeitig nach Amerika aufgebrochen?
 

Ryan
 

Eine ländliche Schneelandschaft zog unverändert am Fenster des Busses vorbei in dem Ryan saß. Mit jeder Minute schwanden die Zweifel in ihm. Er hatte das richtige getan, dachte er. Davon war er so fest überzeugt dass er keinen Gedanken mehr daran vergeudete was geschehen würde wenn sein Vater alles herausbekam. Es konnte gut sein dass er Ryan finden würde und ihn wieder mitnehmen wollte. Aber dann würde Ryan sich einfach weigern. Schließlich war er alt genug um für sich selbst zu entscheiden was er wollte und wo er in Zukunft leben wollte. Und das war ganz sicher nicht Amerika.

Langsam wurde Ryan etwas schläfrig und er lehnte seinen Kopf an die beschlagene Scheibe. Kein Wunder, zeit er vom Hauptbahn Hof aufgebrochen war und in einen der Züge gestiegen war und anschließend in diesen Bus umstieg waren locker zwei Stunden um. Ryan war Wohlbedacht nicht ganz einzuschlafen, denn bald musste die Haltestelle kommen an der er aussteigen wollte.

Er richtete seinen fast starren Blick auf den Busfahrer der außer ihm und einer älteren Frau die eine große Tasche mit sich trug, der einzige Fahrgast im Bus war. Dann hielt der Bus und die Frau stand auf nahm ihre Tasche und ging zum Ausgang. Ryan bemerkte das nur am Rande, noch immer lehnte sein Kopf an der Scheibe. Doch plötzlich erkannte er die Straße und er sprang ruckartig aus und lief schnell zum Ausstieg. Gerade noch schaffte er es aus den Bus raus zuspringen, weshalb der Busfahrer eine finster Miene aussetzte und die Frau ihn etwas erschrocken ansah sich aber dann umdrehte und davon lief.

Durch die Aktion war Ryan ein bisschen schwindelig geworden, und er hielt sich kurz die Hand vor die Augen worauf das Schwindelgefühl nachließ und sich Ryan erstmal genauer umsah.

Auf der andern Straßenseite stand ein Haus das er noch kannte und das ihn überhaupt daran erinnerte dass er hier richtig war. Alle Straßen kannte er jedoch nicht und er konnte sich deswegen nur wage orientieren, er ging einfach mal von seinem Gefühl aus und ging die erste Straße entlang die von der Hauptstraße, über die er gerade gelaufen war, abzweigte. Diese führte ihn zwischen Familienhäusern mit kleinen Vorgärten hindurch. Hier sah es so ganz anders aus als in der Stadt. Ryan betrachtete die Häuser genauer und stellte sich vor oder wünschte sich das er auch in so einem Haus wohnen konnte oder zumindest so eine normale Familie die in solchen Häusern wohnten, haben könnte. Aber das war nur Wunschdenken. Im echten Leben würde es für ihn niemals so laufen, geschweige denn mit dieser Familie, die die eigentlich gar keine richtige Familie mehr war.

Ein kalter Windstoß riss Ryan aus seinem Gedanken und er spürte jetzt da er schon eine Weile auf der Suche nach der richtigen Adresse war, erst wie kalt ihm war. Er hatte gar nicht bemerkt dass es schon wieder angefangen hatte zu schneien. Er sog seine Kapuze tiefer und hielt die Augen nur noch halb offen damit ihn nicht andauernd Schneeflocken hinein flogen. Vergebens versuchte er seine Hände mit seinem Atem etwas zu wärmen ehe er sie wieder in die Jackentaschen steckte und sie zu Fäusten ballte.

Nach einer Weile sah er dann endlich das richtige Haus. Es war ein trostloses Miethaus das auch schon längst seine besten Tage hinter sich hatte. An manchen Stellen blätterte schon der Putz ab und an den einst hellgrauen Wänden zeigten sich deutlich einige schwarze oder braune Flecken. Das einzige was an dem Betonklotz noch Farbe hatte, war das Graffiti das zahllos in unentzifferbaren Geschmiere vorhanden war.

Am zweitürigen Eingang reihten sich die Namenschilder der Bewohner in drei Reihen. Nicht viele waren noch beschriftet. War ja klar das hier jeder weg wollte der einmal gezwungen war hier zu wohnen. Niemanden hielt es hier lange. Diejenigen die es sich leisten konnten verschwanden so lange sie konnten. Denn im Inneren sah das Bauwerk noch schlechter aus, als von außen. Manche Wohnungen waren sogar für unbewohnbar eingestuft worden. Obwohl man sich nicht denken konnte das es hier früher besser ausgesehen haben mochte. Es war sowieso komisch so ein Haus in einem Familiensiedlung zu errichten. Aber selbst hier gab es Menschen die es sich nicht leisten konnten ein Haus in dieser Gegend zu bauen. Diese, meist Stadtbewohner, die von einem Leben mit ihrer Familie auf dem Land träumten wurden dann hier in diese Unterbringung geschickt. Und waren dann so schnell sie gekommen waren wieder zurück in die Stadt oder hatten das Glück gehabt ein Haus ihr eigen nennen zu dürfen.

Ryan drückte auf die kleine gelblichen Klingelknopf und wartete das auf dem Lautsprecher eine Stimme ihn einließ oder auch nur die Tür auf ging. Aber nichts geschah. Er klingelte noch mal und wartete diesmal länger. Nach dem dritten klingeln gab Ryan es auf und lehnte sich gegen die Hauswand die zum Glück überdacht war so dass er nicht ganz und gar von Schnee durchnässt wurde. Jedoch war er auch so schon nass genug und ihm kam die Kälte umso schlimmer vor.

Er kramte sein Handy raus und sah auf das Display. Blinkend zeigte es 1 Anruf in Abwesenheit an. Er sah weiter nach oben. 15:24 Uhr. Lange konnte es nicht mehr dauern. Er steckte das Handy wieder ein und versuchte seine Hände noch mal zu wärmen, was allerdings nicht viel half, und er sie wieder in den Taschen vergrub.

Nach einiger Zeit überlegte Ryan ob er nicht vielleicht bei einer der andern Bewohner klingeln sollte und fragen sollte ob er nicht rein kommen könnte. Erst verwarf er die Idee doch mit zunehmender Dunkelheit und die damit verbundene Kälte änderte er seine Meinung wieder.

Er überblickte schnell die Schildchen und stellte fest das fast nur Russische, Türkische oder sonst welche Namen dort aufgelistet waren. Im ersten Moment überlegte Ryan ob diese Leute überhaupt verstehen würden was er wollte. In der Stadt war er schon so manchen begegnet die immer nur in ihrer Sprache sprachen. Meistens waren das eigentlich nur Jugendliche die Unsinn angestellt hatten, wie zum Beispiel Skateboard an einer ungünstigen Stelle gefahren oder Alkohol in Massen zu trinken. Wenn dann jemand auf diese zukam, sei es irgendein Erwachsener dem das nicht passte oder auch die Polizei die sie ermahnen wollte, sie sprachen immer in ihrer Sprache. Ob sie das taten um dem Störenfried auszuweichen und ihm loszuwerden oder ob sie wirklich kaum Deutsch konnten, war dabei eigentlich völlig egal.

Ryan entschied sich bei jemandem zu klingeln dessen Namen er wenigstens aussprechen konnte. Wenn die Person ihn wirklich nicht verstehen konnte, würde er ganz einfach bei jemand andern klingeln. Er hatte gar keine Lust mehr hier in der Kälte zu stehen und wer weiß wie lange noch zu warten.

Kurze Zeit später hörte Ryan auch schon eine Stimme aus dem Lautsprecher, die etwas leise fragte: “Wer ist denn da?”

Ryan näherte sich der Tür ein Stück und sagte so freundlich er konnte: “Hallo, ich wollte hier jemanden besuchen aber sie scheint nicht da zu sein. Würden sie mich rein lassen es ist hier draußen ganz schön kalt”.

Einen Moment schien die Person, die wie eine ältere Frau klang, zu überlegen was sie jetzt tun sollte. Aber dann ertönte ein schriller Ton und die Haustür ging mit einem kleinen Ruck auf. Ehe Ryan rein ging sagte er noch Danke und war froh endlich raus aus der Kälte zu sein. Obwohl es hier drin auch nicht unbedingt warm war. Aber immer noch besser als draußen zu sein.

Ryan setzt seine Kapuze ab und sah sich kurz um, dann lief er die Treppe, die sich am Ende des Eingangsbereiches befand, hinaus. Plötzlich huschte ein schwarzer Schatten neben an ihm vorbei. Kurz bevor er verschwand erkannte Ryan noch das es wohl eine schwarze Katze war die so schnell hinaus rannte.

Drei Treppen musste Ryan noch hinter sich bringen. Als er endlich oben war und am Ziel war seufzte er erleichtert. Trotzdem hieß es wieder warten.

Er hatte keine Lust mehr sich die Beine in den Bauch zu stehen, das hatte er lange genug getan, also setzte sich Ryan neben die Haustür an die Wand und zog die Beine dicht an sich. Noch einmal sah er auf das Display seines Handys. 16:08 Uhr. Jetzt musste sie aber wirklich bald kommen.

Ryan nahm eine Bewegung war und schaute rasch den Gang hinunter, doch da war niemand. Nur die schwarze Katze kam gemächlich auf Ryan zu geschlendert und setzte sich dann gemütlich neben ihn und fing an sich zu putzen. Ryan beobachte sie eine Zeit lang. Sie hatte kein Halsband, also war sie eine Straßenkatze oder sie könnte auch jemanden aus diesem Haus gehören.

Die Katze hatte offensichtlich ihre Katzenwäsche beendet, denn sie schaute Ryan aus großen gelben Augen an. Dann kam sie ein Stück näher und saß nun dich an Ryan und fing sogar an leise zu schnurren.

Langsam wurde ihm wieder warm und dass seine Klamotten fast vollkommen durchnässt waren machte ihm jetzt weniger aus.

Auf einmal spürte Ryan wie sein Handy vibrierte. Er nahm es heraus und sah kurz wer da anrief, drückte dann aber auf den roten Knopf und steckte es wieder in die Jackentasche zurück.

Langsam überkam Ryan die Müdigkeit. Kein Wunder, er war ja schon früh auf den Beinen gewesen und hatte in der Nacht kaum geschlafen. Da mag auch daran liegen dass er diese Nacht in einer Zelle auf der Polizeiwache verbracht hatte. Aber Ryan kam es vor als wäre das schon eine Ewigkeit her. An diesem Tag war einfach so viel passiert. Auch viele Sachen die ihm Leid taten. Er fragte sich was Chris und Vincent jetzt wohl machten. Ob sie es den andern schon erzählt haben? Er hätte ja gerne mit Chris gesprochen der ihn schon zweimal angerufen hatte. Aber das konnte er einfach nicht. Er musste endlich einen Schlussstrich zwischen ihnen ziehen. Das wollte er doch schon lange tun aber immer wieder wurde er wieder schwach und kam irgendwie wieder mit Chris oder auch Vincent zusammen. Das konnte nicht so weiter gehen. Auf keinen Fall.

Ein Geräusch riss Ryan aus seinen Gedanken. Oder war er eingeschlafen? Noch müde hob er den Kopf und sah sich um. Da stand jemand. Nun erkannte Ryan auch was ihn geweckt hatte. Die Frau die dick eingehüllt in einen Mantel noch ein paar Meter entfernt stand, hatte ihre Handtasche fallen gelassen und starrte Ryan nun an als hätte sie einen Geist gesehen.

Ryan konnte das Gesicht der Frau nicht sehen weil sie ihre Kapuze bis tief ins Gesicht gezogen hatte und hier im Gang nicht viel Licht hinein schien.

Ryan stand auf und ihm dämmerte langsam wer da vor ihm stand. Noch ehe er was sagen konnte, kam die Frau auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch.

Ryan ließ es sich gefallen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Viel zu schnell ging es zu Ende und die Frau sah ihn offen ins Gesicht. Sie war ganz offensichtlich den Tränen nahe aber sie lächelte glücklich. Ihre Kapuze strich sie runter und seufzte als sie Ryan noch einmal ansah, als würde sie immer noch nicht glauben können dass er hier war. Ohne ein Wort hob sie schnell ihre Handtasche auf, wobei ihr langes schwarzes Haar nach vorne wehte und ihr noch junges Gesicht umrahmte.

Sie kramte hastig in der Tasche herum und fand schließlich den Wohnungsschlüssel und schloss auf.

Mit einem kurzen Lächeln trat sie hinein. Ryan folgte ihr.

Drinnen zog sie ihren Mantel aus und hing ihn an einen Hacken hinter der Tür. Ryan hing seine Jacke ebenfalls auf. Die Frau war währenddessen schon wieder weg und Ryan hörte die Geklirre von Geschirr.

Ryan befand sich alleine in einem Raum der wohl das Wohnzimmer war. In der Mitte standen ein niedriger Tisch und herum ein kleines Sofa und ein Sessel, die wahrscheinlich schon zisch Jahre alt waren. Überhaupt sah alles etwas heruntergekommen aus, obwohl alles sauber geputzt war so gut es eben ging. Ryan tat es Leid das sie in so einer Wohnung leben musste.

Da kam sie mit zwei dampfenden Tassen aus der Küche und setzte sich auf die Couch und wies Ryan an sich auch zu setzten. Als er ihr gegenüber saß lächelte sie noch immer und Ryan fragte sich langsam warum sie ihn nicht fraget was er hier machte oder warum er hier war.

Ryan nahm etwas zaghaft die Tasse die vor ihm stand und trank einen Schluck. Sofort wurde ihm wärmer. Er behielt sie noch einen Moment um seine Hände zu wärmen.

Beide saßen sich nur schweigend gegenüber und die junge Frau lächelte immerzu.

Nach einiger Zeit konnte Ryan nicht mehr still sein. Warum sagte sie kein Wort? War sie nicht überrascht ihn hier zu sehen? Ryan trank noch etwas Tee und fragte sie anschließend.

“Willst du gar nicht wissen warum ich hier bin?”

Sie antwortete nicht gleich sondern schloss kurz die Augen, als sie, sie wieder öffnete sah ihr Gesicht etwas ernster aus und sie sagte mit klarer Stimme: “Nein, ich freue mich einfach nur das mein Sohn bei mir ist”.

Ryan lächelte sie nun auch an und gab es fürs erste auf ihr erklären zu wollen was er hier machte. Stattdessen war er einfach nur froh nach einer so langen Zeit, mal wieder mit seiner Mutter zusammen sein zu können und sich mit ihr zu unterhalten. “Wie geht’s dir denn hier?”

“Ich kann nicht klagen. Ich hab alles was ich brauche”.

Diese Antwort überraschte Ryan etwas. Für ihn war es hier einfach nur unerträglich. Und er wünschte sich das seine Mutter nicht an so einem schmutzigen Ort leben musste. Aber das ging nun mal nicht anders. Sie musste damit zurechtkommen. Eine Angewohnheit seiner Mutter war es auch niemals zu meckern egal wie es ihr ging. Das hatte sie sich in den paar Jahren, als sie noch mit seinem Vater verheiratet war, angewöhnt. Jedoch musste sie das doch jetzt nicht mehr tun.

Ryan glaubet ihr nicht ganz dass sie damit zufrieden sein konnte. “Wieso sieht’s du nicht wieder in die Stadt? Da ist es doch besser als hier. Und ich könnte dich öfters besuchen ohne dass Vater es merkt”.

Seine Mutter lächelte verständnisvoll und schüttelte dann leicht den Kopf. “Du weist dass das nicht geht und ich es nicht kann. Mein Leben spielt sich nun mal hier ab. Hier habe ich Arbeit, eine Wohnung, und Freunde. Was soll ich denn in der Stadt?”

“Das kann doch nicht dein ernst sein?”

Die junge Mutter sah jetzt ernster aus und blickte ihren Sohn fest an, der sie hier ganz offensichtlich nicht haben wollte, sondern meinte sie hätte wohl was Besseres verdient. “Du bist doch nicht zu mir gekommen um mich zu überreden wieder zurück zu deinem Vater zu kommen, oder?”

Ryan zögerte einen Moment. Natürlich wollte er nicht dass sie wieder mit seinem Vater zusammen leben musste. Er konnte sich schon denken dass dies so enden würde wie das letzte Mal. Denn sie hatten sich nicht ohne weiteren Grund getrennt. Es war sicher dass sie nicht wieder unter einem Dach leben konnten. Insgeheim wünschte Ryan sich dies jedoch schon ein wenig. Auch wenn er wusste das es niemals wieder so sein würde.

Ganz leise kam aus seinem Mund ein kaum hörbares: “Nein”.

In diesem Moment kam die schwarze Katze die Ryan schon auf dem Flur gesehen hatte neben die Mutter auf die Couch gehopst und rieb ihr Köpfchen an ihrem Arm.

“Ist das deine?” frage Ryan verwundert.

Ihr bis eben noch ernster Ausdruck wich einem sanften Lächeln und sie strich der Katze einmal sanft über den Rücken. “Ja, sie ist mir vor ein paar Wochen zugelaufen”.

Die Katze gab ein drängendes Miauen von sich. Darauf stand die junge Frau auf und ging in Richtung Küche. “Entschuldige mich kurz, ich will ihr nur kurz was zu essen geben”.

Ryan erwiderte nichts und lies sie gehen.

Die Katze lief ihr sofort nach und sprang fröhlich vor ihren Beinen umher.

Es dauerte nicht lange und sie kam zurück, aber setze sich nicht wieder sondern sah Ryan aufmerksam an. “Sag mal, was hältst du davon wenn ich uns was koche und du duscht inzwischen. Das wir dich sicher mehr wärmen als der Tee”.

Ryan überlegte kurz. Tatsächlich fühlte er sich nicht grade wohl. Eine Dusche wäre genau das richtige. Obwohl ihm es schon ein wenig mulmig war in einer fremden Wohnung zu duschen, aber was soll’s es war ja seine Mutter. Und was zu essen konnte er mehr als alles andere vertragen. Zeit Gestern hatte er keinen Bissen gegessen.

Also nickte er stumm.

Seine Mutter lächelte und Ryan glaube sie habe ihn das nur angeboten um nicht weiter darüber zu reden wie schlecht es ihr doch ging. Aber dafür war später auch noch genug Zeit. Ryan wollte jetzt einfach nur genießen bei ihr zu sein.

“Das Bad ist dort”. Sie deutete auf eine geschlossene Tür. Bevor sie sich ans kochen machte kam sie noch mal zu Ryan bückte sich runter zu ihm und umarmte ihn nochmals. Leise flüsterte sie: “Ich bin so froh das du hier bist”. Dann verschwand sie in der Küche.

Ryan musste lächeln. So zufrieden war er schon lange nicht mehr gewesen. Er konnte sich überhaupt an keinen Moment erinnern der so schön war. Für einen Bruchteil einer Sekunde erschien ihm vor Augen das Gesicht eines gewissen Freundes. Ryan vergaß dies gang schnell wieder und ging ins Badezimmer das auch nicht besser als die andern Räume aussah.
 

Später stand Ryan in dem weißen Bademantel seiner Mutter da der ihm bis zu den Knöcheln ging. Seine Klamotten hatte sie in die Waschmaschine gesteckt.

Mit Abstand fühlte er sich jetzt viel besser als vorher, bis auf die Tatsache dass seine Haare noch feucht waren und ihm teilweise ins Gesicht hingen, war er wunschlos glücklich. Seine Mutter hatte inzwischen den kleinen Tisch in der Küche gedeckt und blickte ihn schmunzelnd an. “Der Fön ist leider kaputt, aber ein Nachbar hat mir angeboten ihn zu reparieren”. Sie trat vor Ryan. “Setzt doch die Kapuze auf, nicht das du dich noch erkältest”. Sie zog die Kapuze des Bademantels selber über seinen Kopf und schmunzelte noch mehr. “Wie niedlich. Komm setzt dich”.

Ryan wurde etwas rot im Gesicht. Seine Mutter hatte ihn zuletzt niedlich genannt als er noch in die Grundschule ging.

“Ich hab extra für dich einen Eintopf gekocht. Den magst du doch so. Zum Glück hatte ich alle Zutaten da. Iss so viel wie du willst”. Sie gab ihm großzügig auf seinen Teller und nahm sich dann selbst und reichte ihm dann noch eine Scheibe Brot.

“Es ist ganz ungewohnt dich ohne diese Schminke zu sehen”, sagte sie zwischen zwei Bissen. “Ich dachte eigentlich du würdest das nicht mehr tun, wenn ich nicht da bin. Es wundert mich das dein Vater das zuletzt. Versteh mich jetzt nicht falsch ich finde es steht dir gut”. Sie lächelte.” Und dein Vater soll auf mal sehn das nicht jeder das tut was er will”.

Ryan schwieg erst eine Weile. “Er hat auch was dagegen, aber ich versteh mich auch nicht so mit ihm also ist es mir egal was er sagt”.

“Das ist verständlich. Du bist noch so jung und solltest tun dürfen was du willst. Ich war in deinem Alter auch nicht anders”. Sie lachte lauthals.

Ryan musste auch unweigerlich lächeln. Seine Mutter war offensichtlich nicht so unglücklich wie es anfangs den Eindruck gemacht hatte. Sie hatte eben eine unerschütterliches Gemüt, das sich auch von ihrer Umgebung nicht erschüttern lies. Das beruhigte Ryan. Vielleicht war es wirklich besser dass sie hier war. Sie kam immerhin mit allem zurecht und schien auch relativ zufrieden zu sein.

“Wo arbeitest du denn?” fragte Ryan nach einer längeren stillen Pause.

“Ich kellnere in der einzigen Wirtschaft hier. Die Arbeit dort macht mir wirklich Spaß. Die Leute sind nett und ich verdiene auch gut”. Sie sah Ryan an der etwas ungläubig drein sah. “Jetzt schau nicht so. Ich weiß es sieht hier nicht so aus als würde ich genug Geld haben. Aber das liegt daran das ich für einen neue Wohnung spare und hier nicht so viel rein stecken möchte”.

“Ziehst du hier wirklich aus? Oder hast du das nur gesagt das ich dich nicht länger damit nerve das du hier nicht wohnen kannst?”

Die Mutter guckte darauf ein wenig verwundert. “Nein nein, ich ziehe wirklich aus. Ich will ja nicht für immer so leben. Also mach dir keine Sorgen. Vertrau mir. Deine Mutter bekommt das schon alles hin”. Sie zeigte wieder ihr fröhlichstes Lächeln.

“Das freut mich”, gab Ryan zu. “Wann ist es denn soweit?”

“Das dauert noch, ich muss doch erstmal eine andere Wohnung finden. Ich bin sicher dass es nicht so schwer wird eine bessere zu finden”. Sie biss vom Brot ab. “Vielleicht kauf ich mir auch ein Haus” setzte sie noch in einem scherzhaften Ton hinzu.
 

Es war schon spät Abends und schon lange dunkel draußen als Ryan und seine Mutter die zusammengekuschelt auf dem Sofa saßen, endlich den Fernseher ausschalteten.

Sie streckte ausgiebig ihre Arme ihn die Höhe gähnte dabei. Dann stand sie auf und blickte auf ihren Sohn hinunter der etwas schief auf dem Sofa saß und auch schon einen ganz müden Eindruck machte. Bei diesem Anblick musste sie wieder lächeln. Ryan bemerkte ihr amüsiertes Gesicht und lächelte zurück.

“Zeit ins Bett zu gehen. Ich muss Morgen wieder früh zur Arbeit”.

Ryan setzte sich aufrecht auf die Couch. “Ok, hast du noch eine Decke für mich?”

“Ach was du schläfst bei mir im Bett. Ich will dich noch etwas länger um mich”. Sie grinste breit.

Ryan erwiderte nichts. Eigentlich hatte er auch nichts dagegen bei seiner Mutter im Bett zu schlafen. Wieso auch.

Als sie ins ihr Schlafzimmer gingen stellte sie noch schnell den Wecker der neben ihrem Bett stand und legte sich dann halb hin und bedeutete Ryan sich zu ihr zu legen.

Ryan fiel auf dass seine Mutter schon wieder so lächelte. Manchmal verhielt sie sich wirklich wie ein junges Mädchen. Das war aber gar nicht so verwunderlich. Immerhin war sie noch nicht so alt. Sie war grade mal neunzehn als sie ihn bekam und da war sie schon ein Jahr mit seinem Vater zusammen. Aus so einer überstürzten Jungendliebe konnte ja nichts werden, dachte Ryan bitter.

Er legte sich neben seine Mutter und die zog die Decke über sie beide, schaltete die kleine Nachtischlampe aus und legte einen Arm um Ryan.

“Schlaf gut, Ryan”.

“Du auch”.
 

Am nächsten Tag war die Mutter zur Arbeit gegangen ohne das Ryan etwas davon bemerkt hatte. Inzwischen war es schon nach 10 Uhr. Er hatte wirklich lange geschlafen, sonst war er es gewohnt viel früher aufzustehen.

Er stand auf und ging erstmal in Badezimmer. Dann in die Küche und sah nach was zum Frühstücken da war.

Überrascht blickte er auf den gedeckten Tisch. Er setzte sich hin und nahm sich eine Scheibe Brot. Was zu trinken war nicht da. Er stand noch mal auf und ging zum Kühlschrank. Da bemerkte er das noch Kaffee in der Kaffeekanne war, denn seine Mutter wahrscheinlich heute Morgen getrunken hatte. Aber hatte keine Lust auf Kaffee. Also nahm er sich ein Glas und goss sich Milch ein und setzte sich damit wieder an den Tisch. Der war zwar nicht reichlich gedeckt aber das machte nichts. Ryan konnte morgens sowieso nicht so viel essen.

Nachdem er die das eine Brot gegessen hatte ging er ins Wohnzimmer und sah einige Stunde in den Flimmerkasten.

Als ihm das zu langweilig wurde ging er noch mal ins Bad und sah nach ob seine Klamotten schon vom Waschen trocken waren. Er hatte ja immer noch den Bademantel seiner Mutter an.

Er fand sie in einem Wäschekorb zusammen mit andern Klamotten seiner Mutter. Er kramte seine heraus. Sie waren total verknittert. Er fragte sich ob seine Mutter ein Bügeleisen hatte. Eigentlich konnte er warten bis sie wieder kam und sie dann fragen. Fragte sich nur ob sie wieder so spät wie Gestern von der Arbeit kommen würde.

Er suchte nach seinem Handy und fand es schließlich auf einem kleinen Regal über der Waschmaschine. Er schaute auf das Display und sah dass noch mehr Anrufe eingegangen waren. Ryan bekam im ersten Moment ein schlechtes Gewissen. Eigentlich konnte er Chris doch anrufen und ihm sagen wo er war. Er wusste ja was für Sorgen er sich über ihn machen würde. Aber einfach nicht ans Handy gehen und ihm damit ignorieren was nicht die beste Art mit jemanden abzuschließen. Aber er hatte es nun mal getan und damit war es erledigt. Außerdem war der Akku seine Handys sowieso in einer Stunde komplett leer und er bezweifelte das er hier die Möglichkeit hatte es wieder aufzuladen. Er legte es zurück auf das Regal. Wenn er es mitnehmen würde, würde er wahrscheinlich die ganze Zeit dran denken Chris anzurufen.

Bis seine Mutter heim kam dauerte es noch etwas, also setzte Ryan sich nochmals vor den Fernseher und erforschte das Nachmittagsprogramm und merkte kaum das er immer müder wurde und sein Kopf zur Seite kippte und er einschlief.

Als er aufwachte stand seine Mutter vor ihm und lächelte ihn an. Sie bückte sich zu ihm runter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn und kicherte danach wie ein Schulmädchen.

Ryan wurde dabei schon wieder etwas rot im Gesicht.

Mit sanfter Stimme sagte sie: “Ich mach uns gleich Abendessen, du kannst ruhig noch etwas weiter schlafen”.

Noch müde schloss er die Augen wieder. Als er wieder aufwachte stand seine Mutter in der Küche am Herd und kochte fleißig. Ryan beobachtete sie einen Augenblick. Sie hatte immer noch nicht gefragt warum er hier war. Und dass sie es nicht wissen wollte glaube er nicht. Sie machte sich doch bestimmt Gedanken was passiert war warum Ryan so plötzlich bei ihr auftauchte. Aber diese Fragen hatten noch Zeit. Im Moment war nur wichtig dass er hier war und so glücklich wie langen nicht mehr. Er wusste dass es seiner Mutter sicher nicht anders ging. Es war unübersehbar das sie glücklich ist. So lange hatten sie sich beide nicht gesehen. Genauer gesagt war das jetzt schon über fünf Monate her. Am Anfang, vor zwei Jahren, als sie seine Eltern getrennt hatten war es noch so dass er und sein Vater sie jeden Monat wenigstens einmal besuchten. Aber dann fing sein Vater an zu sagen er habe keine Zeit und zu viel Arbeit zu erledigen. Und alleine zu ihr zu fahren erlaubte er Ryan nicht. Wieso konnte Ryan ehrlich gesagt nicht verstehen, er war alt genug um alleine weg zu fahren. Und es war ja seine Mutter zu der er ging und keinen den er noch nicht so gut kannte. Eines musste man seinem Vater jedoch lassen, er machte sich Gedanken um Ryan. Und seien es auch nur nicht so gute was seine derzeitiges verhalten anging. Ryan fragte sich warum er sich keine Gedanken gemacht hatte als seine Mutter von ihnen weg ging. Er hätte sie aufhalten können. Nicht mit Gewalt sondern er könnte wieder netter zu ihr sein. So nett wie er war als beiden noch jung waren. Es konnte doch nicht sein das sein Vater so eine tolle Frau wie es seine Mutter war einfach verlassen konnte. Sicher es gab Gründe warum er das tat. Und es geschah auch nicht so einfach von heute auf Morgen. Sein Vater fing damals vor etwa drei Jahren an zu trinken. Erst hatte seine Mutter nichts dagegen, aber dann gewann die Trinkerei die Oberhand. Sein Vater fing an Wutaufbrüche zu bekommen wenn er im Vollrausch war. Und das konnte seine Mutter auf Dauer nicht ertragen. Sie hatte es über zwei Jahre mitgemacht und auch versucht ihn vom Trinken abzubringen, aber es war vergebens. Und schließlich hatte sie aufgegeben.

Und der Grund warum Ryan bei seinem Vater leben musste und nicht bei seiner Mutter bei der er viel lieber geblieben wäre, war schlicht und einfach der dass das Jugendamt meinte sie könnte nicht für ihn sorgen. Davon dass sein Vater schwerer Alkoholiker war wussten diese Idioten auch nicht. Und sie hätten es wahrscheinlich nicht beachtet. Immerhin war sein Vater ein angesehener Geschäftsmann und hatte einen Ruf zu verlieren. Und er scheute sich auch nicht davor jemanden zu bestechen um ihn zu wahren.

Ryan stand auf als ihm seine Mutter aus der Küche zu winkte und ihm bedeutet dass sie das Essen fertig hatte. Sie aßen zusammen und saßen im Anschluss wieder zusammengekuschelt auf der Couch und sahen in den Fernseher bis es schließlich Schlafenszeit wurde uns sie beide ins Bett ginge, genau wie auch in der letzten Nacht.
 

Am Nächsten Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück saßen sie noch am Tisch und redeten. Seine Mutter musste Heute erst am Mittag zur Arbeit und so hatten sie genug Zeit alles auszusprechen.

Zwischen zwei Bissen sagte die Mutter: “Du musst wieder zurück”.

Ryan war darüber etwas erschrocken und sagte ohne sich zurückzuhalten: “Nein, ich will nicht”.

“Jetzt sei vernünftig. Du weißt so gut wie ich das du nicht hier bleiben kannst. Dein Vater wird früher oder später sowieso hier auftauchen und dich wieder mitnehmen. Da ist es doch besser wenn du freiwillig gehst, oder nicht?”

Ryan blieb stur und sagte entschieden: “Nein”.

Die Mutter sagte eine Zeit lang nichts. Sondern lies ihren Sohn sich erstmal wieder beruhigen. Nachdem beide aufgegessen hatten führte sie die Unterhaltung fort.

“Ich bin sicher du kannst mich bald wieder besuchen. Es sind doch bald Weihnachtsferien, da kannst du wieder kommen. Und dein Vater wird auch nichts dagegen haben. Sofern du nicht wieder heimlich weg läufst”. Mit diesen Worten grinste sie ihn an.

Ryan musste so oder so einsehen das seine Mutter recht hatte. Auch wenn er es nicht wahr haben wollte dass er zurück musste. Es ging eben nicht anders. Wie hätte er auch denken können für immer hier zu bleiben. Das war so gut wie unmöglich.

“Und stell dir vor, wenn du volljährig bist kannst du so lange du willst bei mir sein. Die Zeit bis dahin geht sicher schneller vorbei als du denkst”.

Ryan ließ jedoch den Kopf hängen und überlegte ob er jetzt wirklich gehen sollte. Er hatte wohl keine andere Wahl. Und so schlimm war es auch wieder nicht. Seine Mutter hatte Recht. In den Ferien konnte er sie wieder besuchen. Und es waren bis dahin nur noch etwa zwei Wochen. Das konnte er verkraften. “ Ist gut. An Weihnachten komme ich aber wieder”. Ryan musste jetzt doch lächeln, er freute sich sie bald wieder zusehen und mit ihr zusammen Weihnachten zu verbringen.

Kaum zwei Stunden später saß Ryan auch schon im Bus der ihn zum nächsten Bahnhof bringen würde. Im erschein das alles nicht mehr so schlimm wie er es noch Gestern gesehen hatten. Er hatte das Gefühl das alles wieder in Ordnung sei und er es auch schaffen würde diese Ordnung zu erhalten. Egal was ihn bei seinem Vater erwarten mochte. Und das mit Chris und seinen Freunden würde er auch noch in den Griff bekommen oder aber es so zu beenden dass er nichts zu bereuen hatte. Es war ja auch möglich, dass er sich nur für einige Zeit von ihnen trennen musste, es hieß auf keinen Fall das er all seine Freunde nie wieder sehen würde.

Schulferien und der Anfang vom Drama

Chris
 

Zeit Gestern Morgen, als Ryans wütender Vater auftauchte und Ryan einfach mitnahm, war er spurlos verschwunden. Zu lange als das Vincent oder sonst wer mir einreden könnte es wäre alles gut und das Ryan in Sicherheit wäre. Bevor ich heute zur Schule ging war ich noch mal bei ihm, aber ich traute mich nicht zu klingeln weil sein Vater öffnen könnte, und der war der letzte mit dem ich reden wollte. Würde er vor mir stehen, wüste ich nicht was ich getan hätte, wahrscheinlich wäre ich ausgerastet und hätte ihn angeschrien oder vielleicht wäre ich auch einfach wieder gegangen ohne ihm ins Gesicht zu schauen. Schon alleine durch seinen eisigen Blick konnte dieser Typ einen durchstechen und man bekam den Eindruck winzig zu sein. Dann wollte man sich einfach nur in ein Loch verkriechen oder so schnell wie möglich weg rennen.

Nachdem ich also noch mal durch das Fenster in Ryans Zimmer sah, natürlich wieder von Schuppendach aus, ging ich zum Hinter garten in dem ich Ihn damals, nach einem Streit mit seinem Vater zusammengekauert gefunden hatte. Damals wusste ich noch nicht in was für ein Gefühlschaos ich mich durch unsere Freundschaft stürzen würde. Aber ich hätte es damals schon bemerken müssen. Denn das etwas nicht mit Ryan stimmte und das er Probleme hatte die man nicht einfach von einem auf den nächsten Tag bewältigen konnte, war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Am liebsten würde ich weiter nach Ryan suchen anstatt hier in der Schule zu hocken. Vom Unterricht bekam ich sowieso nichts mit, weil ich an wichtigere Sachen dachte. Ich musste nur aufpassen dass der Lehrer nicht bemerkte dass ich nicht zuhörte, dazu musste ich nur ab und zu etwas in mein Heft schreiben das offen vor mir lag. Nebenbei lies ich meinen Stift in der Hand kreisen, was ich mir im Laufe der Zeit angewöhnt hatte und immer tat wenn ich über etwas nachdachte.

Aber was mich noch mehr nervte als die Blicke des Lehrers, bei denen ich was schrieb, waren die Blicke von Lisa die mich regelrecht anstarrte und wohl keine Probleme damit hatte so offensichtlich den Unterricht zu ignorieren.

Ich schaute unauffällig zu ihr und sie dachte wohl nicht mal daran auch nur eine Sekunde mit ihren stark blau geschminkten Augen von mir weg zu sehen. Es war zwar kaum zu übertreffen aber Heute schien mir das Starren von ihr nerviger als sonst. Ich würde es ihr ja gerne sagen aber seit dem Gespräch mit Alex, der sie ganz klar sehr mochte, was ich gar nicht nachvollziehen konnte, musste ich nett zu Lisa sein. Auch wenn das oft nicht so einfach war. Und außerdem glaubte ich es würde auch nichts ändern wenn ich es ihr sagte. Sie würde es trotzdem weiter tun.

Zeit ich Ryan kannte, erschienen mir die Probleme von Alex oder Lisa oder überhaupt die aller meiner Mitschüler banal und unwichtig geradezu idiotisch. Was mich schon ein bisschen wütend machte. Warum musste ich solche schwerwiegenden Schwierigkeiten haben für die es anscheinend keine Lösung gab. Und dann mussten die anderen mich auch noch mit ihren Problemen belästigen.

Letztens hatte mich Michael gefragt was er bezüglich eines Mädchens aus einer andern Klasse tun sollte in das er verliebt war. Er dachte wohl ich würde mich mit so was gut auskennen. Denn als ich ihn fragte ob er nicht Alex um Rat fragen könnte, sagte er mit einen breiten Grinsen “Na, weil du doch der Mädchenschwarm Nummer Eins in der Klasse bist.”

Jetzt hätte ich wirklich die Augen verdreht wenn ich nicht gedacht hätte dass das doch nicht so eine gute Idee war wenn Michael mich mit derart erwartungsvollen Blicken ansah. Und ich hätte ihm ja auch gerne helfen wollen aber im Augenblick fiel mir einfach nichts ein was ich dazu sagen könnte. Vielleicht hätte ich ihm sowieso nicht helfen können. Michael dachte ja anscheinend ich würde mich mit Mädchen gut auskennen nur weil mich Lisa andauernd anmacht. Aber in Wahrheit weiß ich genauso wenig über Mädchen wie Alex zum Beispiel. Oder irgendjemand anders. Auch wenn das nach außen nicht so wirken mag, weil mich die Mädchen immer wegen meines Äußeren verliebt ansahen, was mir genau wie bei Lisa öfters gewaltig auf den Keks geht. Aber was sollte ich schon machen, ich ließ es einfach so wie es war ohne irgendeinem Mädchen Hoffnungen zu machen.

Und da war nun Michael der mich immer noch wartend ansah. Irgendwas musste ich ja sagen. Und weil mir im Moment wichtigere Sachen als Mädchenprobleme durch den Kopf gingen und mir auch gar nicht zu diesem Thema einfiel, blieb mir nichts anderes übrig als ihn abzuwimmeln. Auch wenn ich ihn damit enttäuschte, was mir ehrlich gesagt mehr Leid tat als ich mir in Wahrheit eingestehen wollte. Denn ich war eigentlich ein Typ der sich immer um seine Freunde kümmerte, egal wie eng sie nun mit mir befreundet sind.

Letztendlich sagte ich also: “Frag am besten jemand anders, Michael. Ich kann dir da nicht weiter helfen”. Kurz dachte ich darüber nach ob ich nicht noch so was Abgedroschenes wie “sei einfach du selbst” sagen sollte. Aber das ließ ich doch dann besser.

Und wie ich es mir gedacht hatte schaute mich Michael enttäuscht an und ging dann. Bestimmt zu Alex um ihn zu fragen.

Als ich daran zurück dachte wurde mir klar dass ich mich in letzter Zeit mehr und mehr von den drei entfernt hatte. Ich fand das nicht besonders schlimm aber ein wenig musste ich ja auch die Freundschaft zu ihnen wahren. Ich wollte ja nicht eines Tages völlig alleine über den Schulhof wandern. Obwohl mir derzeit genau danach war.

Ich nahm an aus diesem Grund starrte mich Lisa so an. Weil ich mich distanziert hatte. Also entschloss ich mich mal wieder mit ihnen zu reden. Aber nicht Heute, dafür schwirrten mir einfach zu viele andere Sachen durch den Kopf.

In diesem Moment fragte der Lehrer ohne dass ich es bemerkt hatte Lisa nach dem eben erzählten. Worauf sie natürlich keine Antwort wusste und dies mit einem kecken Lächeln überspielte.

Mir fiel der Stift den ich bis eben im Kreis drehte aus der Hand und mein Blick fiel auf das schwarze Schweißbändchen das ich in meinem Mäppchen hatte. Ich nahm es in die Hand und betrachtete es. Es war dass das Ryan damals als er bei mir schlief vergessen hatte. Ich nahm es immer mit und wollte es schon zisch mal zurückgeben aber der richtige Zeitpunkt war einfach nicht gekommen und ich vergaß es auch mehr als einmal.

Nun läutete es und damit war die letzte Stunde und der heutige Schultag zu ende. Zum Glück war Morgen Samstag. Die Weihnachtsferien würden dann endlich anfangen und mir eine Pause von dieser nervigen Schule geben. So konnte ich mich um wichtigere Dinge kümmern.

Der Lehrer wünschte uns ein schönes Weihnachtsfest und das wir alle wieder gesund nach den Ferien hier erscheinen sollten.

Die Schüler sprangen alle auf und konnten gar nicht schnell genug aus der Klasse kommen. Ich lief als einer der letzten zur Tür. Doch ehe ich raus gehen konnte stoppte mich der Lehrer mit einer kurzen Handbewegung.

“Chris komm doch bitte mal her”.

Ich ahnte es, das würde nichts Gutes bedeuten. Das konnte man schon am Gesichtsausdruck des alten Lehrers erkennen.

Ich sagte erstmal nichts und stellte mich vor seinen Schreibtisch und wartete ab was er zu sagen hatte.

“Ich habe mir deine letzten Noten angesehen auch die die du bei andern Lehrern bekommen hast. Hast du dazu was zu sagen?” Ohne auf eine Antwort zu warten sprach er weiter. “Es ist nicht zu übersehen das du in letzter Zeit stiller geworden bist und nicht mehr präsent am Unterricht teilnimmst. Du weißt sicher auch dass sich das in deinen Noten widerspiegelt. Du warst sonst immer ein guter Schüler. Es wäre sehr schade wenn ich dir eine schlechte Note geben müsste. Ich hoffe du erkennst den Ernst der Sache und strengst dich nach den Ferien wieder an”.

Ich nickte und der Lehrer gab mir ebenfalls mit einem kurzen Nicken zu bedeuten dass ich gehen konnte.

Fast schleichend und in Gedanken versunken ging ich aus dem Raum, den Flur entlang, die Treppen runter und raus in das kalte Winterwetter. Der eisige Wind wehte mir entgegen und ich holte meine Mütze, die ich in der Jackentasche hatte heraus und setzte sie auf.

Ich war schon vor dem Schultor und ging den Bürgersteig entlang zu der Bahnhaltestelle von der aus ich erstmal nach Hause fahren würde. Danach wollte ich mich mit Vincent und den anderen in der Wohnung der Mädchen treffen. Vor allem deswegen weil ich wissen wollte ob jemand was neues von Ryan gehört hatte. Aber in dieser Hinsicht machte ich mir wenig Hoffnung. Wenn sie was wussten, hätten sie mich schon längst angerufen.

“Chris”, rief jemand hinter mir.

Ich drehte mich um und da stand Lisa in voller Pracht. Wie immer wenn sie mit mir redete mit einem fröhlichen Lächeln auf dem Gesicht und einem glänzen in den Augen.

Ich wollte ja eigentlich nicht mehr mit ihr reden bis die Schule wieder nach den Ferien Wochen anfing. Aber das musste wohl jetzt vorverlegt werden.

Ich ging zu ihr, lächelte kurz, worauf ihr lächeln noch breiter wurde und sagte so freundlich ich konnte: “Hi, Lisa”.

Ich weiß nicht woran es lag aber irgendwie wirkte sie anders als sonst. Vielleicht deswegen weil sie ab und zu auf den Boden schaute und mich nicht wie sonst dauerhaft anlächelte.

“Sag mal warum redest du nicht mehr so oft mit Alex, Michael und mir? Ich fände es schön wenn wir wie früher jeden Tag zusammen die Pause verbringen würden. Oder uns auch mal außerhalb der Schule treffen. Wir sind schon so lange in einer Klasse und haben noch nie etwas zusammen gemacht”.

Da hatte sie durchaus Recht. Aber die Wahrheit war das ich nicht noch mehr Zeit mit ihr und den andern zwei verbringen wollte. Ich passte einfach nicht zu ihnen. Das konnte ich ihr natürlich auf gar keinen Fall sagen. Es war schon vorherzusehen wie sie reagieren würde wenn ich ihr sagte dass ich mit andern Freunden lieber zusammen bin. Darauf würde sie höchst wahrscheinlich fragen was das für Freunde sind, und wenn ich dann sagte dass es Emos sind…. Oh mein Gott. Das wollte ich mir nicht mal ausmalen was sie dann sagte oder tat. Wahrscheinlich wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Sie und die zwei Jungs hatten ja gleich am Anfang unseres ersten Treffens auf dem Schulhof gesagt was sie von Emos hielten.

Also sagte ich einfach: “Weißt du ich hab zu Hause ein paar Probleme und da gibt es ganz schön Stress. Da wollte ich euch nicht damit belästigen. Ich hätte euch nur die gute Stimmung kaputt gemacht”.

“Nein, gar nicht”, kam es wie aus der Pistole geschossen. “Ich hätte dich trotzdem gerne bei uns”.

Ich lächelte darauf um ihr zu zeigen das ich verstanden hatte.

“Tut mir leid dass du Stress hast”, sprach sie weiter. “Aber du kannst mit mir… Ich meine mit uns ruhig darüber reden. Das würde sicher helfen”.

“Das ist lieb von dir aber ich komme schon alleine damit zurecht”.

“Das muss du doch aber nicht. Ich meine wir sind doch Freunde, da ist es doch klar dass wir dir helfen wenn es dir mal nicht gut geht.”

Ich musste über ihren Enthusiasmus den sie mir noch nie gezeigt hatte lächeln. Und ein bisschen tat es mir auch leid dass ich sie angelogen hatte. “Ok, nach den Ferien werde ich wieder zu euch kommen”.

Lisa faltete ihre Hände mit den bunt lackierten Fingernägeln zusammen die sie bis eben in den Jackentasche hatte und sagte mit glänzenden Augen und hoher Stimme: “Versprochen?”

Ich gab zu manchmal konnte Lisa echt niedlich sein. So wie in diesem Moment zum Beispiel. “Ja, versprochen”.

Nach einer kurzen Pause wollte ich gehen und sagte zum Abschied: “Also, bye. Wir sehen uns”, und drehte mich herum, um zu gehen.

“Warte”, rief Lisa bevor ich auch nur einen Schritt gehen konnte.

Also wandte ich mich noch mal zu ihr und wartete was sie zu sagen hatte. Auf einmal kam sie mir seltsamer als sonst vor. Sie schaute weder fröhlich noch sonst irgendwie wie sie es immer tat. So ernst zu sein passte gar nicht zu ihr. Gleichzeitig wirkte sie auch etwas schüchtern was noch seltsamer war.

“Weißt du…” fing sie an. Brach dann aber ab und sagte: “willst du vielleicht einen Kaffee mit mir trinken gehen?”

“Also eigentlich…”

“Oder wir können auch in die neue Bar die gleich ein paar Straßen weiter aufgemacht hat”. Sie deutete die Straße entlang und schien schon erwartungsvoll auf die Zustimmung von mir zu warten. Aber als sie bemerkte das ich nicht so begeistert von der Idee war, geschweige denn Ja sagen würde, sagte sie noch hinzu: “Oder wo willst du hin? Mir ist es egal. Hauptsache wir machen uns einen schönen Tag zusammen”.

“Tut mir Leid aber ich habe heute was anderes vor”. Es tat mir wirklich etwas Leid das ich ihr absagen musste. Sie schien sich so darauf zu freuen und gar nicht daran zu denken dass ich Nein sagen könnte. Damit sie nicht ganz und gar am Boden zerstört war lächelte ich sie an, legte die Hand auf ihre Schulter und sagte: “Aber ein andermal gehen wir bestimmt mal wohin”.

Das schien sie wieder etwas aufzumuntern. Sie schaute mich nicht mehr ganz so traurig an.

Damit dachte ich sie sei zufrieden und wollte mich grade wieder umdrehen um zu gehen. Langsam wurde es wirklich zu spät um noch die nächste Straßenbahn zu erwischen.

Doch ehe ich begreifen konnte was geschah, schlang Lisa ihre Arme um mich und drückte sich so fest an mich dass ich erst einen Schreck bekam und sie verwirrt ansah. Aber sie hatte ihren Kopf an meine Brust gelegt und die Augen geschlossen.

Mir war das schon etwas unangenehm und ich wusste nicht so recht was ich machen sollte. Der Duft ihres Parfüms das sehr stark nach Erdbeeren roch stieg mir in die Nase und langsam ahnte ich was Lisa vorhatte. Von da an war mir die Situation noch unangenehmer.

Ich ließ den Dingen ihren Lauf. Sollte Lisa tun was sie für richtig hielt. Ich wusste sowieso dass dieser Moment eines Tages kommen würde.

Ich sah etwas verloren in dieser misslichen Lage zum grauen Himmel hinauf und langsam fielen die ersten Schneeflocken auf uns hinunter. Die Zeit schien unendlich langsam zu vergehen und ich war schon nah dran Lisa von mir zu schieben und sie zu fragen was los sei. Obwohl ich es genau wusste.

Allmählich dachte ich daran einen Arm um sie zu legen. Sie erschien so zerbrechlich das ich glaubte sie finge gleich an zu weinen.

Doch dann sagte sie so leise das ich es kaum verstehen konnte: “Ich liebe dich, Chris”.

Bei diesem Worten wurde mir klar wie weh ich Lisa tun würde wenn ich sie abblitzen lasse. Und wie sehr ich ihr schon die ganze Zeit in der sie mich mochte wehgetan haben musste. Aber ich konnte nicht mit ihr zusammen sein. Deshalb hatte es keinen Sinn sie weiter anzulügen. Ich musste jetzt einen Schlussstrich ziehen. Also gab ich ihr die einzig mögliche Antwort.

“Lisa, es tut mir Leid aber…”

“Nein”, schrie sie und senkte ihren Kopf den sie immer noch an mich drückte.

Ich war mir nicht mehr so sicher was ich ihr sagen sollte und schwieg noch eine Weile. Jedoch wollte ich auf keinen Fall das sie wegen mir anfing zu weinen. Denn das schien gleich zu geschehen. Also legte ich einen Arm um ihre Schultern um sie zu trösten. Denn es war mir sehr wohl klar das Lisa im Moment so tief traurig sein musste das jedes ablehnende Wort von mir ihr wie Messerstiche ins Herz vorkommen mussten.

Mit zittriger Stimme wollte sie etwas sagen, stoppte dann aber und holte tief Luft. Dann fing sie leise an zu sprechen: “Ich weiß was du sagen willst. Du hast es mir ja schon oft genug klar gemacht dass du nicht mit mir zusammen sein willst und dass du mich nicht mal magst”.

“Ich mag dich doch, Lisa”.

“Ja, ich weiß schon. Mehr als Freunde können wir nicht werden, nicht wahr?”

Darauf antwortete ich nichts weil ich sicher war das Lisa meine Antwort schon kannte.

Es herrschte Stillschweigen. Sie hoffte insgeheim wohl noch dass sie sich doch noch Hoffnungen machen könnte. Aber desto länger ich nichts sagte schien sie umso mehr zu begreifen das es in dieser Hinsicht zwischen uns nur Freundschaft geben konnte. Daran das ich ihr das endlich klar machen musste führte kein Weg vorbei. Aber ich würde es so tun das sie mich nicht hinterher hassen würde oder nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich könnte mir denken sie wäre eine durchaus erträgliche Freundin wenn sie endlich damit aufhörte mir hinterher zu stellen. Sie war im Grunde ein nettes, süßes Mädchen.

Der Schneefall hatte inzwischen zugenommen und es wehte ein kalter Wind um uns herum.

Ich schob Lisa sanft von mir und sie wehrte sich nicht dagegen. Sie schaute trotzig zu Boden. Ihre Wangen und Nase waren schon rot vor Kälte und sie steckte die frierenden Hände wieder zurück in ihre Jackentaschen. Sie hatte weder Handschuhe noch einen Regenschirm, der sie vom nass werden schütze dabei. Auf ihren blonden Haar glitzerten die Schneeflocken und sie stand immer noch nur da und wusste nicht was sie tun sollte.

Ich setzte meine Mütze ab und zog sie Lisa über. Darauf sah sie mich verwundert an. Ich lächelte so liebevoll wie ich sie sicher noch nie angelächelt hatte und sagte aufmunternd: “Wir bleiben gute Freunde, Lisa. Versprochen”.
 

Kaum einen Moment später, wie es mir vorkam, stand ich auch schon vor der Wohnung der Mädchen wo wir alle uns immer getroffen hatten und Spaß hatten. Nur Heute würde es hinter dieser Tür wohl nichts zum Lachen geben. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen mit den anderen zu lachen und so zu tun als wäre nichts. Das mit Ryan schwebte wie eine riesige schwarze Wolke über allem. Ich konnte mir schon denken dass die andern trotzdem so taten als hätten sie Spaß. Sie wollten mich aufmuntern und mich auf andere Gedanken bringen. Sie kannten mich inzwischen gut genug um zu wissen dass ich mir Sorgen um Ryan machte und ich auch nicht an etwas anderes denken konnte.

Ich klingelte einmal und kurz darauf hörte ich auch schon jemanden zur Tür laufen. Jessy öffnete und bat mich mit einem Lächeln herein. Wir gingen ins Wohnzimmer wo schon Vincent und Sara auf der Couch saßen und Bianca die sich in einen Sessel eingekuschelt hatte und sich mit einer kleinen Spielkonsole amüsierte.

Ich setzte mich neben Vincent. Jessy ging auf den anderen Sessel wo sie die Beine anzog und sich halb auf die Lehne legte, die Augen kurz schloss und seufzte: “Oh man, ist das heute langweilig”.

Gerade wollte ich nach Ryan fragen aber ich ließ es am Ende doch sein weil ich die anderen nicht noch mehr in ihrer Stimmung hinunter ziehen wollte.

Als längere Zeit niemand etwas gesagt hatte und nur die seltsamen Geräusche von Biancas Spiel zu hören waren, stand Sara von der Couch auf und ging mit den Worten: “Ich mach uns mal einen Kaffee”, in die Küche.

“Ich will lieber einen Tee”, rief Jessy ihr noch schnell hinterher.

Sara blickte noch mal zurück und dann stand auch Vincent auf und folgte ihr, wahrscheinlich um ihr zu helfen.

“Und was hast du heute schon so alles gemacht, Chris?” Fragte Jessy.
 

In der Küche mit Sara und Vinc

Sara stützte beide Hände auf den Küchentisch und seufzte.

Vincent sah sie verwundert an und fragte: “Was ist los mit dir”.

Sie antwortete nicht sofort sondern ging zur Kaffeemaschine und füllte Wasser und das Pulver ein. “Ich kann es bald nicht mehr mit ansehen wie sich Chris immer gehen lässt und traurig auf der Wäsche schaut wegen Ryan. Ich weiß ja dass er sich Sorgen macht aber langsam nervt es. Findest du nicht?”

Sie schaute Vincent kurz an und als sie merkte das er gar nicht so erfreut über ihre Worte drein blickte setzte sie schnell leise hinzu: “Entschuldige”.

Beide setzten sich an den Tisch und warteten schweigend bis der Kaffee ganz durch gelaufen war.

Nach einer Minute sagte Sara in einem freundlichen Ton: “Ich meine nur das Chris und auch du sich nicht so viele Gedanken machen sollten über jemanden der doch offensichtlich nie was mit euch oder uns zu tun haben wollte. Wenn Ryan mal bei uns ist sitzt er doch nur so da und sagt kein Wort”.

Vincent sah sie enttäuscht an. “Dann kennst du ihn wohl nicht so gut wie ich”.

“Das mag sein aber trotzdem will ich nicht das er es dauernd ist um den du dir und Chris Sorgen macht. Ich denke dass es doch blöde ist wenn die Stimmung bei uns von Ryans Abwesenheit abhängt. Und selbst wenn er da ist, ist die Stimmung durch ihn gedrückt”.

Vincent sagte nichts und Sara dachte er verstand schon was sie meinte. Sie wollte wirklich nicht ungerecht oder gar böse klingen aber sie wollte dass alles wieder so wie früher war. Früher hatten alle zusammen Spaß und hatten aus vollen Herzen gelacht. Niemand hätte gedacht dass dies eines Tages endet. Und dass durch einen neuen Freund der mehr Probleme mit sich bringt, als sie zusammen bewältigen konnten und er dies die ganze Gruppe durch sein trotziges Gesicht immer wieder spüren ließ.

“Ich fahre morgen über die Ferien zu meiner Familie und ich möchte gerne dass du mitkommst Vinc”.

Vincent schien kurz zu überlegen sagte dann aber zu Saras Überraschung: “Ich kann nicht”.

Sara reagierte darauf aufgebrachter als es angebracht war und Vincent vermutete das hinter ihrer Bitte mit ihr zu kommen, noch mehr steckte als sie sagen wollte.

Sara stemmte wieder beide Hände auf dem Tisch, stand halb auf und sagte so laut dass es die anderen im Wohnzimmer mitbekommen können: “Wieso nicht. Natürlich kannst du”. Als sie merkte dass sie laut geworden war atmete sie einmal tief ein und ging dann zum Schrank um die Tassen raus zu holen. Sie stellte sie auf ein Tablett und nahm die volle Kaffeekanne und stellte sie neben die bunten Tassen.

Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte und auf das fertigte Tablett hinunter sah sagte sie fast flüsternd: “Vinc, ich will nicht das dir noch mal etwas passiert. Damals, nach diesem Vorfall mit diesem irren Autofahrer dachte ich mir schon dass das kein Zufall sein konnte. Ich weiß nicht warum das geschieht aber ich habe Angst um dich. Damals hattest du Glück, aber was ist nächstes Mal?” Ihre Schultern fingen an leicht zu zittern.

Vincent saß noch auf dem Stuhl und beobachtete seine Freundin die er bis jetzt noch nie so erlebt hatte. Es war zwar normal dass sie sich auch Sorgen um ihn machte aber dass sie Ryan daran die Schuld gab das er mal das Pech hatte beinahe von einem Auto angefahren zu werden, konnte er gar nicht verstehen. Ein bisschen war er wütend auf sie weil sie so etwas aber andererseits sagte wusste er was sie meinte. Er stand auf stellte sich hinter Sara und schlang langsam die Arme um ihre Schultern.

Sie beruhigte sich wieder und genoss die Nähe zu Vincent. Insgeheim hoffte sie noch dass er einsichtig wurde und mit ihr mitkam. Aber sie müsste es eigentlich besser wiesen. Er würde nicht mitkommen. Das wurde Sara mir jedem Moment klarer.

Vincent gab ihr einen Kuss auf die Wange und sagte mit einer sanften Stimme: “Ich liebe dich”. Nach einer kurzen Pause setzte er noch hinzu: “Aber ich kann nicht mit dir kommen. Ich muss hier bleiben”. Er ließ Sara los nahm das Tablett mit dem Kaffee und ging zur Küchentür.

Sara sah noch immer hinunter. Ihr blick wanderte zu Vincent der sich noch einmal halb zu ihr gewandt hatte und sie mit ernsten blick ansah. Noch ehe er hinaus ging sagte er: “Ich lasse ihn nicht im Stich”.
 

Wieder im Wohnzimmer:

Weil keiner der beiden Mädchen so recht wusste über was man reden könnte hatte Bianca mir ihr Spiel gezeigt das wie sie sagte ihr vorzeitiges Weihnachtsgeschenk war. Jessy hatte derweil die Musikanlage eingeschaltet und träumte vor sich hin.

Da kam Vincent mit dem Kaffee aus der Küche und stellte alles auf dem Tisch. Während wir uns ausgossen fragte Jessy, nach einen kurzen Blick auf die Tassen, mürrisch: “Und wo ist mein Tee?”

Vincent schaute Jessy darauf mit einem entschuldigenden Lächeln an und gab zur Antwort: “Vergessen”.

Jessy stand übertrieben mühselig auf und ging in die Küche um sich ihren Tee selber zu machen.

Dann klingelte es an der Tür. Mit einem mal schlug mein Herz schneller als mir der Gedanke kam das vielleicht Ryan gleich herein kommen würde. Ich wollte gerade aufstehen um aufzumachen aber Vincent kam mir zuvor.

Als ich das klacken des Türschlosses hörte konnte ich mich kaum halten und wollte zur Tür rennen. Aber das ließ ich dann doch besser sein. Denn sollte es Ryan sein würde er hier wahrscheinlich rein spazieren und so tun als wäre nichts gewesen. Das passte zu seiner Art. Und wenn ich dann aufgedreht auf ihn zu gerannt käme und ihn freudig empfangen würde, würde ihn das sicher wieder vergraulen. Und außerdem wie sah das aus wenn ich hier herumzappelte wie ein aufgescheuchtes Hühnchen.

Die beiden kamen nicht sofort rein. Man hörte nur Vincent wie er ein paar Worte mit seinem Gegenüber wechselte. Dieser sagte aber anscheinend nichts.

Dann kam Vincent zuerst herein und mich packte wieder dieses Gefühl das ich kaum noch still sitzen konnte und am liebsten aufgesprungen wäre.

Und dann kam plötzlich dieser Moment wo ich innerlich in ein tiefes schwarzes Loch fiel. Denn hinter Vincent kam nicht Ryan. Sondern die Person die ich im Moment gar nicht sehen wollte. Robert.

Jetzt konnte ich nicht begreifen wie ich auch nur denken konnte das Ryan hier einfach rein kommen würde. Das wäre zu schön gewesen um wahr zu sein. Aber er würde nicht hierher kommen nachdem er so oft betont hatte dass er nichts mehr mit uns zu tun haben wollte und wir uns von ihm fern halten sollten. Nein, er würde sicher nicht zu seinen Freunden kommen.

Bianca und Robert begrüßten sich gegenseitig. Ich brachte kein Wort heraus.

Kurz nachdem Robert sich auf den Sessel gesetzt hatte, auf dem zuvor Jessy ihren Tagträumen nachgegangen war, kam Jessy auch schon mit einer dampfenden Tassen Tee aus der Küche und strahlte übers ganze Gesicht als sie Robert sah. Sie lief zu ihm und fiel ihm in die Arme nachdem sie die Tassen, die schon ein Viertel ihres Inhaltes verloren hatte, auf den Tisch abgestellt hatte.

Ich beachtete die beiden kaum. Doch ich hörte Jessy flüstern: “Ich hab dich vermisst”. Darauf gab Robert ihr einen Kuss und Jessy kicherte süß.

Bianca schaute die beiden missmutig an. Sie dachte bestimmt das gleiche wie ich über die beiden. Was fand Jessy nur an diesem Robert. Bianca hatte mir erzählt das sie Jessy auch ausreden wollte mit Robert zusammen zu sein. Und sie meinte das Jessy einfach den erst besten genommen hätte nur weil sie endlich einen Freund haben wollte. Aber das konnte ich nicht so glauben. Egal wie aufgedreht und auch kindisch Jessy war, das sie einfach irgendjemanden als Freund nahm traute ich ihr nicht zu. Da musste mehr dahinter stecken als Bianca und ich vermutete. Vielleicht hatte Jessy aber auch die gute Seite an Robert entdeckt. Ich zweifelte allerdings daran ob er überhaupt eine gute Seite hatte.

Kurz nach Jessy kam auch Sara aus der Küche und setzte sich. Sie wirkte sehr niedergeschlagen. Wahrscheinlich missbilligte sie es auch das Robert hier war. Es war offensichtlich dass sie ihn genauso wenig wie ich ausstehen konnte.

Jessy blieb auf Roberts Schoß sitzen und schlürfte ihren Tee aus ihrer Hallo Kitty Tasse und er hatte die Arme um ihre Hüfte gelegt.

“Und was wollen wir heute noch machen?” fragte Jessy.

“Tot, tot, tot”, schrie Bianca auf einmal. Sie klappte ihr Spiel zu und sah uns überrascht an und machte einen Vorschlag: “Ach so, wie wäre es wenn wir uns endlich mal überlegen was wir an Weihnachten machen!”

“Na, wir gehen natürlich zum Treffen. Wie jedes Jahr. Das ist doch schon in ein paar Tagen”, gab Jessy als Antwort.

Bianca nahm einen Schluck von ihren Kaffee und sagte: “Ja, ist schon klar. Aber was sollen wir anziehen?” Sie zupfte etwas an ihrem Shirt um ihre Frage zu unterstreichen.

“Das werden wir dann schon sehen. Dir fällt doch bestimmt auch was ein. Ich hab jedenfalls schon eine Idee was ich anziehen werde”, sagte Jessy und legte ihren Kopf an Roberts Schulter.

Bianca verzog einen Moment das Gesicht und wendete sich dann zu mir. “Du kommst doch auch mit, oder Chris?”

“Na klar. Davon habt ihr mir doch schon vor Monaten erzählt”.

“Ja super”, freute sich Bianca. “Das wird dir gefallen. Da kommen ganz viele Emos und mir machen ne Party bis zum nächsten Morgen. Da gehen wir jedes Jahr zusammen hin”.

Nach dem letzten Satz stockte sie plötzlich weil sie sah dass ich auf einmal etwas traurig drein schaute. Darauf sagte Bianca kleinlaut: “sorry”.

“Was ist denn auf einmal mit euch los?”, mischte sich jetzt auch Robert ins Gespräch.

Bianca sagte nach einer kleinen Pause nachdenklich und leise: “Wenn wir nur alle zusammen hingehen könnten”.

Robert lies darauf ein kurzes Lachen hören und sagte: “Redest du etwa über diesen Ryan? Wenn ihr mich fragt, der kommt nicht wieder”.

Seine Worte machten mich so wütend das ich kurz die Beherrschung verlor und etwas zu laut rief: “Natürlich kommt er wieder”.

Robert sah mich verwundert an: “Wie naiv bist du denn. Du glaubst wohl auch noch an den Weihnachtsmann. Das der Kleine nicht wieder kommt ist so was von sicher. Ihr solltet froh sein das er weg ist”. Er verzog den Mund zu einem fiesen Lächeln und sah mich herausfordernd an.

Gerade wollte ich Robert etwas erwidern aber Bianca legte ihre Hand auf meinen Arm und sagte dann mit übertriebener Fröhlichkeit: “Was, gibt es den Weihnachtsmann nicht?”

Niemand sagte etwas.

Ich beruhigte mich langsam wieder und sagte danach nichts mehr zu Robert. Sollte er doch schwätzen. Wenn ich mich hier aufregte half das auch nichts.

Bis zum Abend redeten die Mädchen noch über Klamotten und derartiges. Was Robert betraf, redete der fast nur mit Jessy und lies ab und zu eine gemeine Bemerkung los, was Jessy anscheinend nicht störte.

Was Vincent und Sara anging sagten die kaum ein Wort zueinander. Aber Sara redete bei den beiden Mädchen doch eifrig mit und lachte auch zwischendurch was aber ziemlich aufgesetzt wirkte.
 

Ryan
 

Nach der langen Zugfahrt stand Ryan nun am Hauptbahnhof und wusste nicht wohin er gehen sollte. Draußen war es zu kalt um in der Gegend herum zulaufen. Also blieb er in der großen Halle. Von dem Geld das er noch einstecken hatte, kaufte er sich am Kiosk was zu essen und setzte sich auf eine Bank.

Nachdem er gegessen hatte überlegte er sich ob er nicht einfach hier am Bahnhof bleiben konnte. Hier war es wenigstens warm und er konnte auf der Bank schlafen. Dass sie nicht grade bequem war macht ihm herzlich wenig aus. Aber diese Idee stempelte er sofort wieder ab. Hier konnte jeder Zeit jemand in Uniform vorbei kommen, der ihn fragte was er hier mache und ihn womöglich auf eine Polizeiwache bringen, weil er kein Wort sagte. Und außerdem waren hier zu viele Überwachungskameras.

Lange konnte er hier also nicht bleiben, sonst würde er Aufsehen erregen. Für eine Stunde oder so konnte er allerdings ruhig hier sitzen bleiben. Dann würde die Aufseher ihn schon für einen Reisenden halten und ihn nicht ansprechen.

Doch nicht mal eine Stunde später sah Ryan durch die Menschenmaßen zwei Typen in Uniform mit ihren abgerichteten Hund die sich umsahen. Die würden zwar nicht sofort und direkt auf ihn zukommen, aber das Risiko bestand immer. Also stand Ryan besser auf als weiter hier zu bleiben.

Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht und ging unauffällig zu den Ausgängen.

Draußen angekommen blickte er zum grauen Himmel hinauf während ein kalter Windstoß ihm fast die Kapuze wieder heruntergeweht hätte. So wie es aussah würde es bald regnen oder schneien. Beides wäre schlecht für Ryan wenn er nicht bald was fand wo er sich unterstellen konnte.

Er lief zwischen den vielen Menschen hindurch und lies dabei den Kopf auf den Boden gerichtet. So das kaum einer ihm ins Gesicht sehen konnte.

Ein weiterer Windstoß wehte den Duft von heißem Glühwein zu ihm rüber. Auf dem großen Vorplatz des Bahnhofes hatte ein Stand mit Weihnachtsgebäck eröffnet. Die Menschen standen drum herum und tranken und lachten.

Ryan lief weiter und ging hinunter in die nächste U-Bahnstation. Eine Karte kaufte er sich nicht. Das Geld hätte dafür aber auch nicht ausgereicht. Er stieg in die nächste Bahn ein die eintraf und fuhr bis zu einer Haltestelle an der er sich gut auskannte und wo er hoffte einen geeigneten Platz zu finde wo er eine Zeit lang bleiben konnte.

Er wurde mit den andern Leuten hinaus geschoben und ging oder schlenderte fast die Treppen hinaus. Ein paar Straßen weiter befand sich eine Bushaltestelle mit einem kleinen Häuschen. Ryan setzte sich hinein auf die kalte Bank und hauchte seine Hände an die ihm vor Kälte schon wehtaten. Dann zog er die Beine an sich und schlang die Arme um die Knie, wie er es immer tat wenn er sich alleine und verlassen fühlte.

Am liebsten würde er natürlich zu seiner Mutter zurück. Aber das konnte er nicht. Zu seinem Vater wollte er auch nicht. Der würde ihn wahrscheinlich so derart ausschimpfen wie er es noch nie erlebt hatte. Ryan hatte sowieso die Absicht gehabt nie wieder zu diesem miesen Vater zurück zu gehen. Er konnte auch ganz gut alleine zurechtkommen. Dazu brauchte er niemanden.

Kaum einen Moment später, wie es ihm schien, öffnete er die Augen und merkte erst jetzt dass er eingeschlafen war. Für wie lange konnte er nicht sagen. Eben so wenig konnte er sagen wie spät es war. Aber er schätzte dass es wohl nicht mehr lange dauern würde bis es ganz dunkel wurde und da wollte er nicht unbedingt noch immer an dieser Haltestelle sitzen. Auch hier würde es irgendwann auffällig werden wenn er lange blieb.

Er erhob sich etwas steif vor Kälter. Die ersten paar Schritte schmerzten ihn ein wenig vor Kälte. Er musste sich dringend irgendwo aufwärmen. Hunger hatte er auch wieder bekommen. Aber diesmal konnte er sich nicht einfach was kaufen, sein Geld reichte nicht mal um das allerbilligste zu kaufen.

Er beschloss sich mehr Geld zu besorgen und ging dazu ein paar Straßen weiter. Auf dem Weg überlegte er ob er das jetzt wirklich durchziehen wollte. Aber er hatte keine andere Möglichkeit an Geld zu kommen.

Nun stand er in einer engen Seitengasse und schaute nach ob sich der Straße entlang niemand befand der ihn sehen konnte. Als er sich versichert hatte, dass niemand in der Nähe war lief er schnell über die Straße und um die Ecke. Nun schlich er sich an einem Haus vorbei und stand vor dem alten Schuppen vor seinem Haus. Oder besser gesagt das Haus seines Vaters.

Wie gewohnt kletterte er mit Hilfe der brüchigen Holzkiste am Schuppen hinauf und schaute von da aus in das Fenster hinein in sein Zimmer. Es war leer und dunkel.

Ryan tastete nach dem kleinen Stein den er immer zwischen die Öffnung klemmte um das Fenster von außen zu öffnen. Er war zum Glück noch an seiner Stelle. Er schob das Fenster hinauf, hielt sich am Sims fest und sprang gekonnt hinauf. Er hatte das mittlerweile so oft gemacht dass es kein Problem mehr für ihn war. Auch wenn das Fenster etwas zu hoch lag als das andere hinauf kommen könnten.

Bevor er es wagte den Raum zu betreten blieb er einen Moment auf der Fensterbank hocken und herrschte ob jemand kam oder ob man ein anderes verräterisches Geräusch hören konnte. Doch alles blieb still.

Sein Vater war sicher an der Arbeit oder auch oben in seinem Arbeitszimmer.

Ryan atmete erleichtert aus und stieg ins Zimmer. Das Fenster ließ er offen. Er ging zu der Kommode und nahm aus der Schublade die kleine Silberdose heraus. Unter dem Bild seiner Mutter befand sich noch der Rest des Geldes das er für den Fall der Fälle gespart hatte. Nachdem er es eingesteckt hatte betrachtete er nachdenklich das Bild.

Heute Morgen war er noch bei ihr gewesen. Doch jetzt schien es ihm als wäre es schon Wochen her. Ryan legte das Foto nicht zurück und steckte es in seine Jackettasche. Wegen diesem Foto konnte er sich wieder Mut zusprechen. Wenn er es ansah dachte er fest daran das alles eines Tages anders sein würde und er zufrieden leben konnte. Dann stellte er die Dose zurück und ging zum Kleiderschrank. Er nahm Handschuhe heraus und einen langen Schall den seine Mutter vor langer Zeit für ihn gemacht hatte. Er schlang ihn sich um den Hals, setzte seine Kapuze wieder auf und sah sich ein letztes Mal in seinem Zimmer um. Zurückkommen würde er nicht. Auf keinen Fall.

Als er wieder draußen an der Straße stand, schaute er wieder nach rechts und links ob ihn jemand sehen konnte. Am Fenster der alten Schreckschraube die Ryan einmal verraten hatten war auch keiner. Nur dieser schwarze Mercedes der vor dem Haus parkte störte Ryan.

Wegen denn schwarz getönten Scheiben konnte er nicht sehen ob jemand drin saß. Aber wieso sollte jemand noch darin sein, wenn dann gehörte dieser Wagen sicher einem Geschäftspartner seines Vaters und war nun oben bei ihm um über Geld zu reden.

Also schlich Ryan die Straße hinunter. Hier durfte er nicht rennen. Damit würde er umso verdächtiger erscheinen. Er überlegte sich wo er jetzt hingehen sollte. Vielleicht in eins dieser Häuser für Obdachlose. Da würde er sicher auch etwas zu essen bekommen und schlafen konnte er dort auch.

Plötzlich riss ein Geräusch Ryan aus seinen Gedanken. Schritte. Hinter sich hörte er ganz deutlich schwere Schritte. Erst wollte Ryan ganz normal weiter laufen, denn es könnte ja auch jemand ganz normales sein der gerade aus seinem Haus herauskam und nur den gleichen Weg wie Ryan hatte. Aber dann hörte er noch ein Geräusch. Es klang wie kleine Metallstücke die einander stoßen. Mit einem Mal kam ihm die Erinnerung an den Verfolger der ihn durch die halbe Stadt gejagt hatte bis er dann auf Chris traf und er keine Wahl gehabt hatte als ihn mit sich zunehmen.

Ryan versuchte sich einzureden dass es schon nicht der Typ von damals sein konnte. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und er bekam langsam Panik. Er konnte nicht anders und lief etwas schneller. Dann rannte er los. Wenn das ein normaler Typ war würde er ihm ja kaum nachlaufen.

Jetzt packte ihn wirklich die Angst. Die Schritte hinter ihm verschwanden nicht sondern wurden sogar noch lauter und kamen näher. Ryan rannte schneller. Doch wegen der Kälte die seine Glieder steif hat werden lassen konnte er nicht so wie sonst laufen. Und ehe er verstand was geschah hatte der Typ hinter ihm seinen kräftigen Arm um Ryans Schultern gelegt und hielt ihn fest. Er versuchte dagegen anzukämpfen. Doch vergeblich. Kaum einen Herzschlag später fühlte Ryan einen betäubenden Schmerz im Magen. Das letzte was er hörte was das Geräusch eines Motors und das fiese Lachen des Typen. Dann wurde alles um ihn herum schwarz.

Der endgültige Schicksalsschlag

Dunkelheit. Alles war dunkel. Ryan öffnete langsam die Augen. Aber noch immer war es stockfinster um ihn herum. Träumte er vielleicht. Nein, der Schmerz in seinem Magen war echt. Wo zum Teufel war er?

Allmählich kamen ihm die Erinnerungen wieder. Da war dieser Typ der ihn erwischt hatte. Und dann wusste er gar nichts mehr. Er versuchte sich zu bewegen, aber das gelang ihm nicht. Er war gefesselt worden und saß auf einem Stuhl.

Er packte die Angst wieder. Er versuchte sich los zu machen. Vergebens. Dann schaute er sich genauer um. Es war doch nicht so dunkel wie er zuerst dachte. Neben ihm schien ein breiter Lichtstreifen unter einer Tür hindurch. Ein paar Schatten huschten über das Licht. Und als Ryan genauer hinhörte konnte er ganz klar Stimmen hören. Aber er verstand kein Wort. Lag es daran das die Typen zu weit weg waren oder daran das ihm schwindelig war und ihm das Rauschen in seinen Ohren wie ein tosender Wasserfall vorkam?

Er beobachtete die Schatten ganz genau. Vielleicht gingen sie bald weg. Dann könnte er versuchen zu fliehen. Er versuchte noch mal sich los zu machen. Aber die Fesseln saßen zu fest. Er fluchte innerlich. Er musste etwas finden womit er die Fesseln durchtrennen konnte. Aber hier konnte man nicht mal die Hand vor Augen sehen. Auch wenn er frei wäre.

Er schloss die Augen wieder. In der Hoffnung sie würden sich an die Dunkelheit gewönnen. Nach einer Minute öffnete er sie wieder. Und tatsächlich. Er konnte ein paar Schemen erkennen. Vor ihm an der Wand stand ganz eindeutig ein Schrank oder auch eine große Kommode. Aber wie sollte er da ran kommen? Es würde schwer werden, aber versuchen musste er es.

Er sah noch mal zur Tür. Einer der Schatten wurde kleiner. Ging er? Nein, er kam näher.

Ryans Puls beschleunigte sich wieder und ihm wurde wieder schwindelig. Er zwang sich ruhig zu atmen und holte tief Luft. Aber die Angst hatte ihm die Kehle zugeschnürt und er konnte nicht mal gleichmäßig atmen. Er machte die Augen zu und versuchte an etwas anderes zu denken, um sich zu beruhigen. Ihm kam ein Gedanke an Chris und mit einem Mal brannten in seinen Augen die Tränen. Er zwang sich wieder an was anderes zu denken. Weinen war jetzt das letzte was er tun durfte.

Er hörte wie die Tür leise quietschte als sie aufgemacht wurde. Durch seine Augenlieder sah er wie das Licht einen Moment heller wurde. Mit einem leisen klicken wurde der Raum in flackerndes Licht getaucht.

Dann hörte er das Knarren der Dielen und wusste mit Sicherheit dass jemand im Raum war. Und wie er sich eigentlich schon denken konnte war dieses Geräusch von den aneinander schlagenden Metallstücken wieder zu hören.

Ryan traute sich nicht seine Augen zu öffnen und dem Kerl ins Gesicht zu schauen. Für kurze Zeit dachte er daran einfach so zu tun als wäre er noch bewusstlos. Dann konnte ihm der Typ fürs erste nichts tun.

“Du brauchst mir hier gar nichts vorzuspielen, Junge”, sagte eine tiefe raue Stimme.

Dann wurde Ryan der stinkende Rauch einer Zigarette ins Gesicht geblasen. Und er machte die Augen zögerlich ein Stück weit auf. Das erste was er sah waren zwei schwere Stiefel mit vielen Nieten. Die bei jedem Schritt klirrten. Er trug eine Lederhose und ein ärmelloses Hemd, worüber er eine zerfetzte Weste trug. Auf seinen Kräftigen Armen zeichneten sich unzählige Tätowierungen ab. Bis auf einen Zopf am Hinterkopf hatte er keine Haare mehr, was ihn umso gefährlicher aussehen ließ.

“Keine Angst. Ich hab nichts Schlimmes mit dir vor”. Wenn in seiner Stimme nicht so ein Ton von Spot und Verachtung mitzuhören gewesen wäre hätte man seine Worte vielleicht sogar glauben können.

Aber allein die Tatsache dass er gefesselt und brutal entführt wurde widerlegten seine Worte.

Ryan wagte es den Kopf anzuheben und den Kerl anzusehen. Er hatte ein kantiges Gesicht mit stechenden Augen die Ryan gefährlich ansahen. Er sah noch furcht einflößender aus als Ryan ihn sich vorgestellt hatte. Mit seinen großen groben Händen hielt er eine halb aufgerauchte Zigarette.

Er zog noch einmal an ihr und schaute Ryan durchdringend an. Ryan lief es bei diesem Blick eiskalt den Rücken hinunter.

“Nun, ich hasse es um den heißen Brei herum zu reden. Also sag ich´s mal klipp und klar”. Er beugte sich ein Stück vor und sah Ryan direkt ins Gesicht. “Wenn du hiervon irgendjemanden erzählst schnapp ich dich wieder und dann bist du dran”. Er grinste breit und blies Ryan wieder den Rauch ins Gesicht.

Ryan wagte es kaum zu atmen, geschweige denn sich zu bewegen. Er zwang sich den Kopf zu senken und schaute nur noch auf seine Knie. Langsam aber sicher wurde ihm bewusst dass dies kein gutes Ende nehmen würde. Sonst war er immer irgendwie davon gekommen. Aber diesmal sah es schlecht für ihn aus. Er könnte vor Angst schreien und vor Trauer weinen aber er brachte keinen Laut heraus und auch keine Träne rann aus seinen Augen. Es war nur noch eine Frage der Zeit wie lange er noch Leben würde. Vielleicht noch ein paar Stunden oder gar ein paar Tage.

Doch plötzlich wurde ihm durch ein klirren bewusst das es womöglich nur noch ein paar Minuten sein könnten. Aus dem Augenwinkel konnte er nur erkennen dass der Typ etwas an seinem Gürtel machte.

Kaum Sekunden später sah Ryan auch schon was der Kerl an seinem Gürtel getan hatte. Er zog den Reizverschluss von Ryans Jacke hinunter und grinste schief.

Unter Ryans Kinn hielt der Typ ein fünfzehn Zentimeter langes Messer in seiner Hand.

Ryan stockte der Atem. Was hatte dieser Mistkerl mit ihm vor?

Er ließ das Messer etwas weiter hinunter wandern und hielt es dann mit der Spitzte voran knapp unterhalb von Ryan Herz. War das sein Ende? Wurde er einfach so umgebracht?

Mit den Worten: “Das soll die eine Warnung sein”, schnitt das Messer quer über Ryan Brust.

Ryan schrie auf. Der Schmerz betäubte ihn. Er fühlte wie warmes Blut seine Brust hinunter lief. Vor seinen Augen verschwamm alles und er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen.

Undeutlich hörte er die Worte des Typen der sich nahe zu ihm gebeugt hatte und flüsterte: “Du hast eine einzige Minute um zu verschwinden”.

Ryan merkte das der Druck an seinen Handgelenken nach ließ. Und sah wie das Seil das ihn fesselte zu Boden fiel. Doch er konnte sich nicht sofort bewegen. Der Schmerz und die Angst waren zu groß.

“Na los, du verschwendest deine Zeit, Junge”. Der Kerl lachte und zog Ryan am Arm hoch und schubste ihn in Richtung Tür die schon offen stand. Dahinter sah man in einem Raum von wo aus eine weitere Tür in einen Gang führte und schließlich die Haustür die hinaus führte.

Ryan dachte an nichts mehr anderes als ans rennen. Seine Beine wollten sich nicht richtig bewegen und er kam nur stockend vorwärts. Beinahe wäre er gestolpert, doch er fing sich wieder und hatte endlich die Tür erreicht. Als er den Arm hob um sie zu öffnen brannte seine Wunde und er presste die Hand darauf. Er drückte die Türklinke hinunter und trat ins Freie.

Er lief die Straße entlang. Wo er hin ging war ihm egal. Hauptsache weg von hier. Als er in der nächsten Straße war ging er in eine kleine Seitengasse. Er konnte nicht mehr. Sein Atem stieg vor ihm in weißen Wölkchen hinauf und er sackte an der Steinmauer zusammen. Kurz schloss er seine Augen und hoffte dass der Kerl ihn nicht verfolgte. Er musste sich einen Moment ausruhen sonst würde er irgendwo zusammen brechen. Mühsam nahm er seinen Schall ab und sah auf seine Brust. Auf seiner schwarzen Jacke konnte man das Blut kaum sehen. Er versuchte sie auszuziehen, wobei die kleinsten Bewegungen so sehr schmerzten das er dachte jeden Moment ohnmächtig zu werden. Dann hatte er es geschafft und wickelte nun, so fest er konnte, den Schall um die Wunde um die Blutung zu stoppen. Dann zog er sich wieder die Jacke an.

Keuchend richtete er sich auf und sah sich auf der Straße um. Niemand war zu sehen. Er ging immer noch etwas schwankend weiter die Straße entlang. Dann nach schier endloser Zeit kam er endlich in eine Gegend die schon freundlicher aussah. Aber wo wollte er jetzt eigentlich hin? Das Beste wäre wohl wenn er seine Wunde behandeln würde. Aber er wusste nicht, wo es hier ein Krankenhaus gab. Er musste es sich wohl trauen und jemanden danach fragen. Derjenige würde ihn sicher schief ansehen. Deshalb bemühte er sich halbwegs normal zu laufen. Das letzte was er wollte war das Gefrage von fremden Leuten die wahrscheinlich sonst was Schlimmes dachten wenn sie merkten dass er verletzt war.

Er kam an Wohnhäusern vorbei ohne jemanden zu sehen. Oder war da jemand und er konnten ihn nicht sehen weil er keine Kraft mehr hatte um seinen Kopf zu drehen und sich umzuschauen. Ryan lachte innerlich über sich selbst. In was für eine Lage hatte er sich da wieder gebracht? So etwas konnte aber auch nur ihm passieren.

Als er an einem Hauseingang vorbei lief sah er eine Zeitung auf dem Boden liegen. Es war die heutige Abendausgabe. Als er das Bild unter der Schlagzeile sah überkam in pure Angst. Er starrte wie gebannt darauf ehe er es wagte die Zeitung aufzuheben und sie sich genauer anzusehen. Zitternd hielt er sie mit einer Hand und war sich jetzt über die Tatsache, die er nicht wahrhaben wollte sicher.

Auf dem Bild war das Haus abgebildet in dem seine Mutter wohnte. An der Seite des Hauses stieg schwarzer Rauch auf. Die meisten Fenster waren kaputt und ein riesiges Loch befand sich genau dort wo die Wohnung seiner Mutter war. Er überflog den Artikel in dem stand: “Ein verheerendes Feuer brannte heute Morgen in einem Mehrfamilienhaus. Die Wohnung in der das Feuer ausbrach brannte nahezu völlig aus. Ein Mensch kam dabei ums Leben. Noch ist unklar was die Ursachen dafür waren. Brandstiftung wird daher nicht ausgeschlossen. Laut einer Bewohnerin war kurz vor dem Brand eine verdächtige Person in der Wohnung in der das Feuer ausbrach. Die Polizei sucht diese Person dringend, da Tatverdacht besteht”.

Ryan lies die Zeitung fallen. Er hatte das Gefühl in ein tiefes Loch zu fallen und alles verloren zu haben. Das durfte einfach nicht wahr sein? Die Angst um seine Mutter lähmte ihn. Er sank auf die Knie und hielt sich die Hände vor die Augen. War seine Mutter wirklich tot? Warum geschah das alles nur? Was hatte er den getan das ihm ein Unglück nach dem nächsten widerfuhr? Er wollte das nicht. Er wollte dass es aufhörte und er endlich seine Ruhe hat. Aber jetzt gab es keinen Platz mehr für ihn wo er glücklich werden würde. Dieser Platz wurde ihm heute genommen. Es hatte keinen Sinn mehr. Er wusste einfach nicht wo er noch hin sollte oder was er tun sollte. Es würde doch so oder so alles sinnlos sein.

Minuten oder gar Stunden vergingen bis Ryan sich wieder aufrappeln konnte. Niemand hatte ihn beachtet als er in dem Hauseingang saß. Allen war er egal.

Er stützte sich an der Wand ab, als er die ersten Schritte ging. Ihm war kalt. Seine Beine waren schwer. Wenigstens tat die Wunde jetzt nicht mehr so weh. Ryan sah alles um sich herum in tiefes schwarz getaucht. Er war wie blind. Aber er wusste wo er jetzt hingehen musste. An den einzigen Ort wo er sich Ruhe verschaffen konnte.
 

Chris

Ich beobachtete Maria wie sie sich fröhlich lachend die Spielsachen ansah. Meine Mutter hatte mich gebeten mit ihr noch ein paar Weihnachtseinkäufe zu machen. Was ihr, wie ich fand, sehr spät einfiel. Weihnachten war schon in weniger als einer Woche. Nichts desto trotz genoss ich es mal wieder mit meiner Schwester etwas zu machen. In ihrer Gegenwart fühlte man sich froh. Sie lachte immerzu und man kam nicht drum rum mit ihr zu lachen. Ich verdrängte all die Sorgen und Ängste und versuchte wieder so wie früher ein normales Leben zu führen. Aber ich wusste dass mich, sobald ich wieder mit meinen Freunden zusammen sein werde, die schlimmen Gedanken mich wieder einholen würden. Man konnte einfach nicht so tun als wäre alles plötzlich wieder in Ordnung. Jedoch konnte man es für einige Zeit ausprobieren.

Maria kam mit einem Puppenkleid in der Hand auf mich zu gelaufen, sah mich wie ein kleines Hündchen an und sagte: “Kaufst du mir das, bitte? Das ist so schön. Schau mal”. Sie hielt das Kleid hoch so dass ich es bewundern konnte.

“Ok, aber dann gehen wir mal langsam nach Hause. Wir haben schon alles was wir holen sollten”.

Sie nickte zustimmend und rief “Juhuu”, und lief vor mir her als wir zur Kasse gingen. Davor war natürlich eine lange Schlange und die Kassiererinnen hatten alle Hände voll zu tun. Sie huschten hinter dem Tresen hin und her. Als ein älterer Mann mit so viel Kleingeld bezahlte das die Frau erst verlegen lächelte, es aber dann geduldig abzählte, kam es mir schon so vor als würde ich hier schon ewig stehen. Ich war über Stunden schon unterwegs. Und trotz des noch frühen abends war ich so müde das ich einfach nur noch nach Hause wollte um mich hinzulegen.

Endlich kamen wir dran. Ich gab der Frau das Geld passend und sie verabschiedete sich mit den Worten: “Schöne Feiertage”. Ich sagte nichts.

Als wir draußen waren nahm Maria meine Hand so wie sie es immer tat wenn wir durch große Menschenmaßen liefen. Ich sah auf meine Uhr. Es war noch genug Zeit bis die nächste Bahn kam. Und ich war froh dass ich mich nicht noch beeilen musste.

Maria rieb sich mit der freien Hand ihr Auge und gähnte kurz. Überall um uns herum waren lachende Kinder mit ihren Eltern. Und alles war hell und pompös mit Weihnachtsschmuck verziert. Über uns spannten sich Leinen mit Leuchten und Sternenform die Maria staunend ansah. Es fand es immer wieder erstaunlich was für eine Mühe sich die Leute jedes Jahr um diese Zeit gaben, das alles hell erstrahlte und das nahezu jeder fröhlich erschien.

Ich sah über die große Brücke die über den größten Fluss führte der durch diese Stadt floss. Auch da war alles hell. An den Seiten hatte man unzählige Lämpchen angebracht. Mansche leuchteten in verschiedenen Farben und beleuchteten die ganze Brücke. Nur wenige Leute gingen über diese Brücke. Da dahinter das Einkaufsviertel endete und es dort nur Wohnblocks gab.

Ich wollte gerade wieder weg schauen da sah ich jemanden am Ende der Brücke laufen der ganz in schwarz gekleidet war. Wie ein Schlag traf mich der Gedanke dass es vielleicht Ryan sein konnte. Ich versuchte erstmal mehr zu erkenne und wartet bis die Person näher kam. Maria zipfelte derweil an meinem Ärmel und wunderte sich warum ich stehen geblieben war. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Es war ganz klar ein Junge und er trug die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen aber ich musste es wissen ob er es war. Ich stellte die Einkaufstüten ab und sagte zu Maria: “Bleib hier stehen, ich muss kurz mit jemandem reden”.

Sie schaute etwas verwirrt, nickte und lies meinen Ärmel los.

Ich ging auf die Brücke und wusste gar nicht wie ich mich verhalten sollte. Desto näher ich dem Jungen kam umso mehr war ich mir bald sicher dass es wirklich Ryan war. Ja, ich bin sicher er ist es. Ich erkannte seine Jacke.

Inzwischen war er in der Mitte der Brücke stehen geblieben, legte seine Hände auf die Brüstung und schaute hinunter. Ich war schon beinahe bei ihm nur noch ein paar Meter. Ich wollte ihn rufen und ihn so ansprechen wie ich es sonst auch tat.

Doch plötzlich hatte ich das Gefühl mein Herz würde stehen bleiben. Ryan kletterte auf das Geländer blieb kurz darauf stehen und dann sprang er. Ich war starr vor Schreck. Eine Frau die es beobachtet hatte schrie. Aber niemand tat etwas.

Verzweifelt rief ich seinen Namen. “Ryan”.

Ich rannte so schnell ich konnte zu der Stelle und schaute hinunter. Das Wasser war tief schwarz. Ich schaute hektisch über das Wasser und hoffte ihn zu finden. Doch er war nicht mehr aufgetaucht. Dann tat ich das einzig richtige. Ich kletterte über das Geländer. Um mich herum hatten sich schon einige Schaulustige versammelt. Jemand versuchte mich noch aufzuhalten und packte meinen Arm. Aber ich riss mich los und sprang in die Tiefe. Plötzlich wurde es eisig kalt. Ein Schmerz als würden tausende Nadeln in mich stechen lähmte mich. Ich zwang mich die Augen offen zu lassen und tauchte tiefer. Wie konnte ich ihn nur finden. Es war alles schwarz. Ich musste noch tiefer. Dann sah ich etwas weißes aufsteigen. Es schwamm an mir vorbei und ich erkannte das Taschentuch dass ich Ryan damals gab. Mit aller Kraft tauchte ich tiefer. Ich konnte so gut wie nichts sehen. Doch dann bekam ich auf einmal etwas zu fassen. Ich taste mich voran und bekam Ryan Arm zu fassen. Ich zog Ryan hoch und drückte ihn an mich. Er bewegte sich nicht. Ich wollte so schnell ich konnte wieder auftauchen doch meine Glieder waren wie steif gefroren. Es fiel mir so schwer mich zu bewegen dass ich glaubte kein Stück weiter zu kommen. Die Dunkelheit von Grund des Flusses schien immer näher zu kommen und mich hinunter zu ziehen. Ich wusste nicht mehr wo oben und unten war oder wo lang ich schwamm. Ich drückte Ryan fester an mich. Ich durfte ihn nicht verlieren. Aber ich hatte keine Kraft mehr. Die Luft war mir schon lange ausgegangen.

Traum oder Realität?

Chris
 

Die Kälte schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte nicht mehr atmen und nicht mehr lange wach bleiben. Plötzlich spürte ich einen Ruck und der Druck auf mir lies nach. Ich hörte leise Stimmen die wie aus weiter Ferne klangen. Rufe und das Weinen eines Kindes. Maria!

Ich versuchte die Augen zu öffnen. Ich konnte nur schemenhaft erkennen was vor mir war. Ich spürte noch einen Druck auf meinem Arm. Ryan. Er lag neben mir. Er war blass, seine Lippen blau vor Kälte. Er rührte sich nicht. Dann wurde er von mir fort gebracht. Ich schloss die Augen und lies es zu das der Schlaf mich einschloss.

Schluchzend hörte ich noch Marias Stimme. “Chris”.
 

Alles um mich herum war dunkel. Aber ich hatte keine Angst. Es war weder kalt noch warm. Ich lies mich einfach treiben.

Vor mir bildete sich auf einmal ein Umriss. Jemand stand dort. Er war zu weit weg. Langsam kam ich näher und dann erkannte ich Ryan. Sein Kopf war gesenkt und er machte ein trauriges Gesicht. Ich wollte zu ihm aber er verschwand ehe ich ihn erreichen konnte.

Dann wurde es heller und ich sah Bäume. Ich war in einem Park. Dort wo ich Vincent und die andern zum ersten Mal sah. Neben Vincent saß eine schwarze Gestalt die von niemandem wahrgenommen wurde. Er bewegte sich nicht und sagte auch nichts. Er saß einfach nur da und schaute teilnahmslos.

Die andern schienen Spaß zu haben. Sie lachten. Bianca und Jessy machten Blödsinn auf der Wiese.

Ich sah Ryan der mit jeder Sekunde in der gelacht wurde sich weiter zu entfernen schien.

Dann wurde es wieder dunkel. Ich fragte mich wie es für Ryan war wenn Vincent und die andern ausgelassen lachten und er dabei zusah. Plötzlich tat es mir Leid mit den andern Spaß gehabt zu haben. Wie konnte ich mich nur amüsieren während Ryan Qualen litt die ich mir nicht mal vorstellen konnte?

Ich fühlte mich Mitschuld an seiner Trauer.

Ich hörte leises schluchzen. Ich stand wieder in dem Garten in den Ryan geflohen war als er Streit mit seinem Vater hatte. Damals war es das erste Mal das ich ihn näher kam. Er saß wieder genauso wie damals vor mir. Seine Schultern bibberten und er weinte leise. Ich setze mich neben ihn. Ich wollte ihn in meine Arme nehmen. Ihm sagen dass es mir Leid tat nicht für ihn da gewesen zu sein. Doch er verschwand ehe ich ihn berühren konnte.

Es war als würde er vor mir flüchten. Ich war wieder allein in der Dunkelheit. Genauso allein wie Ryan. Nein, ich war nie alleine gewesen. Ich hatte meine Freunde und meine Familie immer an meiner Seite. Ich würde nie verstehen wie sich Ryan fühlen musste.

Plötzlich stand ich wieder auf der Brücke. Es kam mir vor als wäre es eine Ewigkeit her. Ich spürte den Wind um mich. Mir war so kalt. Es war eine Kälte die nicht nur meinen Körper betraf, auch mein Herz schien einzufrieren. Ich stand auf der breiten Brüstung und blickte ins schwarze Wasser. Es schien mich anzuziehen. Ich machte einen Schritt vor. Aber ich wagte es nicht zu springen. Ich dachte an meine Freunde und Familie. Dann sah ich Ryan. Er stand direkt vor mir. Der Wind strich durch seine schwarzen Haare. Er sah mich mit einer Traurigkeit an die mir beinahe das Herz zerriss. Tränen rannen ihm über die Wangen und hinterließen dunkle Spuren. Ich wollte nach ihm greifen. Ihn fest halten. Doch ich konnte mich kaum bewegen.

Ein kräftiger Windstoß blies mir entgegen. Ryan öffnete den Mund und sagte etwas. Der Wind verschlang seine leisen Worte fast völlig. Aber ich konnte sie dennoch verstehen.

“Hilf mir”.

Ryan fiel nach hinten. Er fiel der Dunkelheit entgegen. Ich wollte ihm folgen, doch ich bewegte mich nicht. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Das Schwarz verschlang ihn und ich konnte nur dabei zusehen.

Mir wurde die schmerzliche Wahrheit klar. Ich konnte ihn nicht erreichen, nicht berühren. Und ihm nicht helfen.
 

Stück für Stück ließ der Schmerz der Angst nach und die Leichtigkeit die um mich war verschwand. Ich fühlte sich matt und schwach. Noch hatte ich die Augen geschlossen. Und versuchte meine Hand zu bewegen. Doch ich konnte nicht. Doch es ging. Das war kein Traum mehr.

Zögerlich öffnete ich die Augen. Das Licht tat weh und ich schloss die Lider wieder. Dann öffnete ich sie wieder. Nur schemenhaft erkannte ich etwas. Ich lag. Jemand hielt meine Hand. Ich drehte meinen Kopf. Selbst diese kleine Bewegung verlangte mir alles ab.

Das Bild wurde klarer und ich erkannte meine Mutter die neben mir saß. Sie sah traurig aus. Als sie mich ansah veränderte sich ihr Blick und sie lächelte wobei ihr gleichzeitig die Tränen kamen.

Sie sagte leise: “Chris, ich hab mir solche Sorgen gemacht”. Sie drückte meine Hand fester.

Einen Moment sah ich meinen Vater über mir. Neben ihm stand Maria. Sie kam näher, tat ein Knie auf das Bett und schlang dann ihre Arme um mich. Sie flüsterte: “Du hast mir Angst gemacht. Ich dachte schon du wachst nie mehr auf”.

Es dauerte eine ganze Weile bis sie mich wieder los ließ. Und auf dem Bettrand sitzen blieb.

“Du hast mehr als einen ganzen Tag durch geschlafen. Aber du bist sicher noch sehr müde. Du solltest dich weiter ausruhen”, sagte meine Mutter.

Ich fühlte mich wirklich so müde, dass ich jeden Moment wieder einschlafen konnte. Aber vorher musste ich noch etwas wissen: “Was ist mit Ryan?” Ich hörte meine Worte selbst kaum, aber sie verstand.

Sie sah auf ihre Hände die auf ihren Knie ruhten und sagte: “Das ist der Junge den du gerettet hast, nicht wahr?” Sie machte eine kurze Pause. “Ich weiß nicht wie es ihm geht. Er ist immer noch auf der Intensivstation. Mehr weiß ich nicht”.

Mich überkam Angst. “Ich muss zu ihm”. Ich versuchte aufzustehen doch ich bekam gerade mal meinen Oberkörper hoch. Meine Knochen taten irgendwie weh.

“Bleib bitte liegen, du hast noch Fieber”. Meine Mutter drückte mich sanft an der Schulter zurück.

Dann sagte mein Vater: “Du musst dir keine Sorgen um deinen Freund machen. Er ist hier in besten Händen. Es wird ihm sicher bald besser gehen. Aber du musst dich jetzt erstmal ausruhen”.

Ich sah ein dass ich so nicht zu Ryan kommen konnte. Trotz der großen Angst um ihn konnte ich jetzt nichts für ihn tun. Mir kam immer wieder dieses Bild vor Augen: Ryan wie er leichenblass und regungslos neben mir lag. Es ließ mir keine Ruhe.

Irgendwann ohne es zu merken schlief ich ein. Maria lag an meiner Seite und hatte einen Arm um mich gelegt. Ihre Wärme tat mir gut. Doch im Traum sah ich dieses schreckliche Bild noch tausende male vor mir.
 

Als ich wieder aufwachte war es draußen schon längst dunkel. Ich schaute einen Moment aus dem Fenster, dessen weiße Vorhänge noch nicht zugezogen wurden.

Das Zimmer wurde nur von der Nachtischlampe erhellt die neben mir auf einem kleinen Tisch stand und ein warmes Licht ausstrahlte.

Ich atmete einmal tief ein und aus. Die Schmerzen und die lähmende schwäche waren fast verschwunden. Ich fühlte mich gleich viel besser.

Meine Mutter saß auf einem Stuhl. Kopf und Arme hatte sie auf mein Bett gelegt und schlief. Als ich mich aufrichtete machte sie die Augen auf und lächelte. Sie strich die langen Haare, die ihr ins Gesicht gefallen waren, beiseite und fragte: “Wie fühlst du dich?”

“Schon viel besser. Du musst wirklich nicht die ganze Zeit hier bleiben. Ich komme schon zurecht”.

Sie schüttelte leicht den Kopf: “Das macht mir nichts aus. Ich bleibe bei dir. Wenigstens noch diese Nacht. Du hast doch sicher Hunger”. Sie nahm eine Apfel die in der Schale auf dem Tisch lagen und schnitt in mit einem kleinen Messerchen in vier Teile und gab sie mir. “Hier ist”.

Ich fühlte mich als hätte ich Wochen nichts mehr gegessen und war doch dankbar das meine Mutter hier war.

Sie redete noch über Weihnachten. Wie wir es dieses Jahr feiern würden und machte mir klar dass ich sicher bis dahin wieder entlassen werden würde. Kaum eine Stunde später schlief ich wieder ein. Diesmal träumte ich nichts. Und so konnte ich mich richtig ausruhen.
 

Am Morgen als ich aufwachte war meine Mutter noch immer bei mir und wünschte: “Guten Morgen”. Sie hatte ringe unter den Augen. Ihr Lächeln wirkte fast gezwungen.

“Du kannst jetzt wirklich nach Hause gehen. Du siehst müde aus”.

Sie antwortete nicht sondern überlegte was sie tun sollte. Nach einiger Zeit sagte sie: “Du hast wohl recht. Ich könnte etwas schlaf vertragen”. Sie stand auf und nahm ihre Jacke die sie über die Stuhllehne gelegt hatte. “Ich komme später noch mal um nach dir zu sehen. Soll ich dir etwas von zuhause mitbringen?”

“Nein, ich brauche nichts”.

“Also gut. Dann bis nachher”. Mit diesen Worten ging sie zur Tür hinaus.

Ich überlegte ob ich nicht doch schon aufstehen konnte. Gut genug ging mir es dazu. Aber selbst wenn ich herum laufen konnte würde ich nicht zu Ryan kommen. Es durfte sicher niemand zu ihm. Und mein Vater hatte schon irgendwie Recht. Ryan war hier gut aufgehoben und ich sollte mir nicht solche Sorgen machen. Aber eins gab mir doch zu bedenken. Warum ging es Ryan so viel schlechter als mir? Ich hatte den Sprung ins kalte Wasser doch auch relativ unbeschadet überstanden. Sicher, Ryan war länger drin als ich, aber trotzdem kam es mir komisch vor. Und genau deswegen machte ich mir doch Sorgen.

Ich lies mich auf das Kissen fallen und starrte die weiße Decke an. Es roch typisch nach Krankenhaus. Bis jetzt war ich nie oft in einem gewesen. Das einzige Mal war als ich Mama besuchte als Maria zur Welt kam. Eins war gleich geblieben. Krankenhäuser machten mich irgendwie schwermütig. Bei einem Blick durch das Fenster sah ich das es angefangen hatte zu schneien.

Ich schloss die Augen wieder und stellte mir vor ich wäre woanders. Es wäre wieder Sommer und ich wäre bei meinen Freunden. Ryan war auch da. Alle lachten und hatten Spaß. Ich wollte das Ryan auch lachte. Aber ich konnte es mir nicht vorstellen. Warum nicht? Etwa weil ich ihn nie lachen gesehen habe?

Ich fasste einen Entschluss. Wenn ich hier heraus kam würde ich dafür sorgen das Ryan lachen konnte und das ihm nichts mehr geschehen würde. Er musste sich ja mal helfen lassen. Egal ob er es verweigerte. Ich würde es tun, er musste einfach. Das alles musste endlich ein Ende haben.

Ich war so tief in meine Gedanken vertieft dass ich gar nicht merkte dass die Tür aufging und jemand herein kam. Vor mir stand ein älterer Doktor im weißen Kittel. Freundlich fragte er: “Na, wie geht es dir heute?”.

Ich setzte mich im Bett auf. “Ganz gut”, sagte ich knapp.

Mit einem Lächeln sagte er: “Du klingst aber ´nicht gerade so als würde es dir gut gehen”.

Ich sah ihn nicht an. Er hatte recht damit, dass es mir nicht gut ging. “Was ist mit Ryan?”

“Ist er ein Freund von dir? Du kannst stolz auf dich sein, du hast ihm wohl das Leben gerettet”.

Ich sah denn Doktor jetzt direkt an. Er lächelte noch immer etwas. Wahrscheinlich war er es gewohnt immerzu freundlich zu lächeln um den Patienten ein gutes Gefühl zu geben.

“Wie geht es ihm? Sagen sie es mir, bitte”.

Das Lächeln viel von ihm ab und er schaute ernst. “Du hast ihn gerettet. Noch eine Minute länger im Wasser und wir wüssten nicht was mit ihm gewesen wäre. Im Moment ist er noch nicht aufgewacht. Aber sei sicher dass wir alles tun um ihm zu helfen”.

Ich wusste nicht woran es lag aber es kam mir so vor als würde er mir etwas verschweigen. “Erzählen sie mir alles. Ich muss wissen was mit ihm ist. Warum ist er immer noch auf der Intensivstation?”

Der Doktor schaute noch etwas ernster und sagte mit tiefer Stimme: “Dein Freund hat viel Blut verloren und eine schwere Unterkühlung. Ich nehme an der Grund dafür dass er immer noch nicht aufgewacht ist, ist ein Schock den er erlitten hat”.

Ich war wie erstarrt. Und blickte den Arzt ungläubig an. Was meinte er mit viel Blut verloren? Mir schnürte es die Kehle zu. Nur schwer bekam ich meine Frage heraus. “Blut? War er verletzt?”

“Er hatte eine Schnittwunde auf der Brust. Sie war nicht besonders tief. Allerdings hielt die Blutung lange an. Wir mussten die Wunde mit dreißig Stichen nähen”. Nach einer kurzen Pause sagte er noch. “Er ist jetzt außer Lebensgefahr. Mach dir nicht so viele Gedanken Er wird schon wieder”.

Seine Worte konnten mich nur wenig beruhigen. Meine Hände zitterten. Ich war wütend. Warum geschah Ryan so etwas? Wer hatte ihm das angetan?

Der Mann sagte eine Zeit lang nichts, fragte dann aber: “Es ist jetzt womöglich nicht der richtige Zeitpunkt, aber weißt du warum dein Freund in den Fluss sprang? Hat ihn vielleicht jemand dazu gezwungen?”

Mit zitternder Stimme sagte ich, “Ich weiß es nicht”.

Er machte ein zustimmendes Geräusch. “Da ist noch etwas anderes. Er hat Abdrücke von einem Seil an den Handgelenken und mehrere blaue Flecken. Das ganze sieht aus als wäre er Opfer eines Verbrechens geworden. Ich will dich jetzt nicht darüber ausfragen. Aber du solltest darauf vorbreitet sein das die Polizei dich zu diesem Vorfall befragen wird”.

Er ging zur Tür, legte eine Hand auf die Klinke und blieb noch kurz stehen: “Ich werde dafür sorgen das die Polizei dich nicht so bald belästigt. Als Arzt habe ich darauf Einfluss. Du kannst dich also noch etwas ausruhen und alles bedenken”.

Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zu Stande. Mit einem Mal packte mich wieder dieses Gefühl von Hilflosigkeit. Alles in mir schrie: “Nein”.

Das Licht in der Dunkelheit

Chris
 

Am Morgen war meine Mutter kurz zu Besuch gekommen, weil mein Fieber wieder etwas anstieg. Und das wo es doch fast schon völlig weg war. Bestimmt wegen den Sorgen die ich mir wegen Ryan machte, sagte meine Mutter. Ich freute mich dass sie kam, aber ich fand es auch etwas unnötig. Mir ging es ja wieder gut. Das Fieber war nicht der Rede wert und ich konnte wieder quietschfidel herumspringen. Eigentlich könnte ich schon heute nach Hause. Ich mochte diese beklemmende Krankenhausatmosphäre nicht mehr.

Vorhin war wieder der Doktor bei mir. Er sagte ich müsse noch einen Tag bleiben. Über Ryan sagte er, sein Zustand hätte sich nicht geändert. Und ich konnte noch immer nicht zu ihm.

Außerdem war, die von Doktor angekündigte, Polizei bei mir gewesen und hatte mich ausgefragt. Warum ist dein Freund von der Brücke gesprungen? Woher hat er die Abdrücke an seinen Handgelenken? Wer hat ihn diese Schnittwunde zugefügt? Wo war er vorher? Und so weiter. Ich konnte ihnen auf all diese Fragen keine Antwort geben. Dann gingen sie, nachdem sie mich wer weiß wie oft noch gefragt hatten ob ich wirklich nichts wusste.

Ich seufzte. Heute war Heiligabend. Und ich musste ihm Krankenhaus hocken. Mir war so entsetzlich langweilig. Ich schaute mich im Zimmer um. Hier war einfach nichts was man machen konnte. Raus gehen konnte ich laut dem Doktor nicht. Dafür war es zu kalt.

Ich legte mich auf die Seite und stütze mich auf den Ellenbogen. Auf den kleinen Tisch neben mir stand nur eine Lampe. Mir fiel ein dass ich meine Mutter vielleicht doch lieber gebeten hätte mir etwas von zu Hause mitzubringen. Selbst ein Buch würde ich lesen. So langweilig war mir. Ich schaltete die Lampe an. Und wieder aus. Lämpchen an. Lämpchen aus.

Dann lies ich mich auf das Kissen fallen und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Doch an die Decke zu starren wurde auch schnell zur nerv tötenden Sache. Sollte ich vielleicht noch ein Nickerchen machen? Doch auf einmal kamen wir wieder Gedanken an Ryan hoch. Ihm musste es miserabel gehen. Und ich ärgerte mich hier dass es so langweilig war. Ich fühlte mich wieder schlechter wenn ich daran dachte. Nein, einfach nicht dran denken, sagte ich mir. Ryan wird bald wieder gesund sein.

Ein leises klopfen war kurz zu hören. Ich setze mich auf und glaubte der Doktor würde gleich rein kommen. Aber kaum eine Sekunde später hatte ich Bianca am Hals.

“Hey, Bianca. Nicht so fest!” Nicht nur das sie mich so was von erschrocken hatte jetzt quetschte sie mich auch noch zu Brei.

“Ach, lass dich knuddeln”, sagte sie belustigt.

Hinter ihr kam auch schon gleich der Rest der Truppe herein. Vincent und Jessy. Sara war nicht mitgekommen, da sie über Weihnachten zu ihren Eltern gefahren war. Und Robert, von dem will ich gar nicht reden. Der sollte da bleiben wo der Pfeffer wächst.

“Hi, Chris”, sagte Jessy.

“Hallo. Wie geht es dir? fragte Vincent.

Nachdem Bianca endlich etwas lockerer wurde konnte ich wieder normal reden. “Soweit ganz gut”.

“Da bin ich froh. Wir hatten uns alle schon Sorgen gemacht”.

Ok, um eins klar zu stellen. Ich hatte Vincent vor einer Stunde mal angerufen weil mir so langweilig war. Aber dass er hier auftauchen würde und auch noch die Mädchen mitbrachte hätte ich nicht gedacht. Sicher, er klang am Telefon schon ziemlich geschockt als ich sagte von wo ich anrief. Dabei war es auch unvermeidbar das ich ihm die ganze Geschichte erzählte.

“Weißt du wie es Ryan geht?”, fragte Bianca.

Ich antwortete nicht sofort weil ich nicht so genau wusste wie. “Er wird wieder”. Ich hoffte das klang nicht so deprimierend. Aber wie es nicht anders kommen konnte, machten alle drei ein trauriges Gesicht. Jessy war die erste die wieder fröhlich drein sah.

“Na, dann ist ja alles ok. Kommt schon, macht nicht solche Gesichter, das hilft auch nichts”, sagte sie.

Und hatte damit eigentlich vollkommen Recht. Es half nichts. Warten und hoffen war das einzige dass wir tun konnten.

“Ja, lasst uns über was anderes reden. Sich Sorgen machen ist nicht gut für die Gesundheit”. Bianca die noch auf dem Bett saß und an mir hing, hob ihre Hand und legte sie auf meine Stirn. “Du siehst noch ein bisschen rot aus. Hast du noch Fieber?”

Ich schob ihre Hand langsam wieder weg. “Es geht”.

“Also ich könnte es keine Minute lang alleine in einem Krankenhaus aushalten. Mir läufst schon eiskalt den Rücken runter wenn ich es nur von außen sehe. Wenn Jessy Und Vinc nicht mitgekommen wären würde ich mich gar nicht rein trauen. Aber ich wollte dich auch unbedingt sehn”. Sie lächelte süß und drückte mich wieder fester mit ihrem Armen um meinen Hals. Lies aber gleich wieder los und setzte sich gerade hin. “Du kannst aber jederzeit sagen wenn wir dir auf die Nerven gehen. Du brauchst doch sicher noch Ruhe”.

“Ist schon in Ordnung. Ich freue mich dass ihr gekommen seid”.

“Wirklich? Kann ich verstehen, dir muss hier ja furchtbar langweilig sein”. Sie schaute sich im Zimmer um. “Wenn wenigstens noch jemand hier liegen würde. Dann wäre es nicht so langweilig. Anderseits hast du so deine Ruhe”.

“Sollen wir dir nächstes mal was mitbringen wenn wir kommen?” fragte Vincent.

“Nein, nicht nötig. Ich werde Morgen schon entlassen”.

Bianca horchte auf. “Das ist ja toll. Dann können wir vielleicht doch auf das Treffen. Darauf hab ich mich doch schon das ganze Jahr gefreut”.

“Ja, mal sehn”.

“Dass man entlassen wird heißt nicht dass man wieder alles machen kann, Bianca”. Gab Vincent zu bedenken.

Darauf sagte sie: “Dann pack dich ganz dick ein. Dann geht das schon. Und es ist ja nicht so das wir die ganze Zeit draußen sind. Das wird alles in einer großen Halle gemacht. Und da gibt’s auch heiße Getränke”.

“Ja, das wissen wir”. Jessy verschränkte die Arme vor der Brust.

“Was ist denn mit dir? Fragte Vincent.

Bianca antwortete für sie: “Sie ist nur beleidigt weil Robert sich so lang nicht bei ihr gemeldet hat”.

“Na und”, gab sie zickig zurück.

“Hey, ihr seid nicht hier um zu streiten”, mischte sich Vincent ein.

“Wer streitet denn?” Bianca machte einen Schmollmund und sah weg.

Ich sagte nichts dazu. Mädchen konnten bei so was echt giftig sein. Da war es besser sich nicht einzumischen.

Nach einiger Zeit, in der noch die ein oder andere zickige Bemerkung gesagt wurde, beschlossen die drei zu gehen. Damit ich mich weiter erholen konnte, sagten sie. Aber das einzige was es bewirkte, war das ich mich wieder langweilte. Ich machte, um die Zeit tot zu schlagen, noch ein Schläfchen.

Als ich wieder aufwachte schaute ich auf die Uhr an der Wand und sah dass nicht mal eine Stunde vergangen war. Die Zeit konnte manchmal echt grausam sein.

Dann hörte ich es wieder an der Tür klopfen. Und sogleich wurde die Tür geöffnet und der Doktor kam herein. Er hatte wieder dieses Lächeln aufgesetzt. Doch diesmal wirkte es anders. Irgendwie echter. Er stellte sich an das Bettende und breitete kurz die Arme aus und wieder zusammen. “Gute Nachrichten. Dein Freund ist vor ein paar Minuten aufgewacht. Er ist auf dem Weg der Besserung und soweit das wir ihn von der Intensivstation hohlen können”.

Ich war heil froh dass diese Nachricht endlich kam. Die Ungewissheit wann Ryan endlich wieder aufwachte zerrte so sehr an meinen Nerven das ich schon an ein Koma dachte. Aber das war völliger Quatsch.

Noch jemand klopfte an der Tür und der Doktor rief: “Kommen sie rein”.

Eine junge Krankenschwester schaute herein. Dann verschwand sie aus meinem Blickfeld ohne die Tür wieder geschlossen zu haben. Und in den folgenden Sekunden stand mir fast der Atem still. Die Schwester schob ein Bett herein. Und darauf lag Ryan. Sie schoben das Bett neben das leere neben mir. Der Doktor hob Ryan hoch, als wäre er ganz leicht und legte ihn in sein neues Bett. Die Schwester deckte ihn zu und befestigte dann die Infusion, die am Bett gefestigt war, an Ryans Arm. Man sah noch deutlich die Abdrücke, von denen der Doktor gesprochen hatte. Sie waren blau rot verfärbt. Dann legte die Schwester Ryans Arm unter die Decke und machte sich daran das Bett wieder hinaus zu schieben.

Ich konnte nicht weg sehen von Ryan. Er hatte die Augen zu und atmete ruhig. Noch immer war er sehr blass. Seine Wangen waren leicht gerötet.

“Er schläft im Moment wieder. Da wird das Fieber auch bald zurückgehen. Aber er muss noch einige Tage hier bleiben. So dann will ich euch nicht weiter stören. Ruh dich auch noch etwas aus, Chris. Du willst doch nicht länger hier bleiben als nötig, nicht wahr”. Er ging zu Tür hinaus.

Ich wollte zwar so schnell wie möglich hier raus, aber jetzt wo Ryan neben mir lag war das anders. Jetzt wünschte ich, ich könnte so lange hier bleiben bis auch er gehen konnte.

Ich beobachtete ihn wie er schlief. Seine Brust senkte und hob sich langsam. Er sah so friedlich aus.

Draußen wurde es allmählich dunkel. Ich sah Ryan noch lange an. Bis das Licht verschwand und ich langsam einschlief. Diesen fürchterlichen Traum den ich in jeder vergangenen Nacht hatte, kehrte diesmal nicht wieder. Ich hatte meine Angst über ihn verloren und konnte unbekümmert schlafen.

Mitten in der Nacht, oder war es bereits Morgen, wachte ich auf. Durch das Fenster schien schwaches Licht der Straßenlaternen herein. Ich hörte etwas. Ich sah zu Ryan. Die Lampe wollte ich nicht anmachen. Ich konnte ihn auch so durch das schwache Licht erkennen. Er lag auf dem Rücken und hatte einen Arm über die Augen gelegt. Er atmete schneller und gelegentlich gab er ein leises schluchzen von sich. Er weinte.

Ich wollte mich nicht bewegen. Er sollte nicht wissen dass ich wach war. Ich ließ ihn eine Zeit lang in Ruhe. Jeder brauchte mal einen Moment in der er einfach weinen konnte. Das machte all die Trauer erträglicher.

Doch mit jeder Sekunde wurde es unerträglicher Ryan so zu sehn. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ihn weiter in Ruhe lassen und warten bis er sich beruhigte? Oder versuchen mit ihm zu reden und ihn trösten? Wenn er merkte dass ich mitbekam wie er weinte war ihm das sicher unangenehm. Und wenn ich versuchte ihn zu trösten würde er dann, wie schon früher, abblocken und sagen ich solle in ihn Ruhe lassen. Und überhaupt, mir fielen sicher nicht die richtigen Worte ein. Ich wusste ja nicht mal warum er weinte. Er hatte sicher schreckliche Sachen durchgemacht. Wie konnte ich ihn dann mit billigen Worten aufmuntern. Ich hatte doch keine Ahnung von seinem Leid.

Ich ließ ihn. Doch er beruhigte sich nicht. Es kam mir vor als würde er schon Stunden vor sich her weinen. Oder waren es nur Minuten? Ich konnte es bald nicht mehr mit anhören. Es zog mir das Herz zusammen ihn so zu sehn. Ich wollte etwas tun. Egal was es war, ich hoffte das richtige zu tun.

Ich setzte mich auf. Wollte etwas sagen. Aber mir fiel nichts ein. Ich stand auf.

Ryan hatte mich gehört und drehte mir den Rücken zu. Er zog sich mit zusammen und vergrub das Gesicht im Kissen.

Ich trat näher und stand nun direkt hinter ihm. Unter der Decke zeichnete sich deutlich sein Körper ab. Er sah klein und zerbrechlich aus. So hilflos. Er hatte aufgehört zu schluchzen aber seine Schultern bebten.

“Ryan”, flüsterte ich.

Er murmelte ins Kissen, “Geh weg!”

Ich wollte ihm die Hand auf die Schulter legen. Aber ließ es dann doch lieber bleiben weil es mir so unpassend schien. Und zog meine Hand wieder zurück. Ich dachte an den Traum. In dem ich Ryan verloren hatte. Ich musste ihn wieder zurück hohlen. Ich musste endlich ernst machen. Ich ging um sein Bett herum und blicke auf ihn hinunter.

Er sah mich nicht an. Bewegte sich nicht mal. Und ich sah ihn einfach nur an. Plötzlich fielen mir die Worte wieder ein die Ryan in meinem Traum sagte: “Hilf mir”.

Ich setzte mich neben ihn aufs Bett. Und hätte erwartet das er wieder sagte ich solle weg gehen. Aber nichts dergleichen. Er blieb regungslos.

Mir war so als müssten in diesem Moment all meine Gefühle und Gedanken, die ich für Ryan hatte, heraus. Ohne noch weiter zu zögern, packte ich Ryan an den Schultern, zog ihn zu mir und umarmte ihn. Er zuckte kurz zusammen, weil es so plötzlich kam. Hielt aber still. Ich war so glücklich ihn endlich zu spüren und genoss es. Ich wusste dass er mich wahrscheinlich gleich weg schubsen würde. Doch er tat es nicht. Er ließ es zu das ich ihn fest hielt. Und ich war froh dass er endlich seine Verteidigung fallen gelassen hatte.

Ich hielt ihn noch lange fest. Ich spürte seinen Kopf an meiner Schulter, meine Hände an seinem Rücken, der sich so knochig anfühlte. Er war so klein und dünn das ich fürchtete ihm weh zu tun wenn ich ihn fester halten würde. Ich hörte seinem Atem zu. Noch weinte er leise, aber beruhigte sich stück für stück.

Es war eine Stille eingekehrt die ich mir schon so lange wünschte. Ich wollte dass dieser Moment nie verging. Oder dafür sorgen dass er wieder kam. Ryan sollte bei mir bleiben. Ich hielt ihn fester. Er gab ein ächzendes Geräusch von sich. Etwas verlegen fragte: “Tu ich dir weh?”

Ich spürte das Ryan leicht den Kopf schüttelte.

Es verging ein Moment in Schweigen.

“Bitte, sag mir was passiert ist”.

Er antwortet nicht.

Flüsternd sagte ich: “Ich will dich beschützen”.

Plötzlich versuchte Ryan mich weg zu schupsen. Ich ließ ihn los. Ich wollte ihn nicht wütend machen. Er saß vor mir. Den Kopf gesenkt und die Hände zu Fäusten geballt. Ein paar schwarze Strähnchen hingen über seine Augen die durch seine Tränen glänzten. Kaum merkbar nickte er.

“Erzähl mir bitte alles. Wer hat dir das angetan?”

Ryan schluckte schwer und sagte: “Ich weiß nicht wer der Typ war”. Seine Stimme zitterte noch etwas. “Er hat mich einfach geschnappt und dann wieder gehen lassen. Ich weiß dass er schon länger hinter mir her ist. Aber nicht was er von mir will”. Er machte eine kurze Pause und sagte dann den Tränen nahe: “Ich will das nicht mehr. Ich will nicht mehr verfolgt werden. Ich will endlich meine Ruhe”.

Ich sagte einen Moment nichts. Ich wollte nichts überstürzen. “Warum bist du von der Brücke gesprungen?”

“Weil ich es nicht mehr ertragen konnte. Und weil meine Mutter…” Er brachte kein Wort mehr heraus.

Und ich auch nicht.

Langsam kamen mir die Tränen. Es war schwer zuhören was er erlebt hatte. Aber noch schwerer musste es für ihn sein, es zu erzählen. Ich wusste es zu schätzen, dass er es tat. Er schien mir endlich zu vertrauen.

Ich stellte ihm eine letzte Frage: “Wo hat dieser Typ dich hingebracht?”

Zerbrochen

Chris

Heute Morgen wurde ich entlassen und konnte gehen. Aber ich blieb noch bis zum späten Nachmittag. Ich wollte Ryan nicht alleine lassen. Er schlief zwar die meiste Zeit doch wenn er wach wurde, redeten wir miteinander. Es kam mir vor als hätte ich noch nie mit ihm gesprochen. Jedenfalls nicht so richtig. Es war nicht so wie früher als wir uns, nach nicht mal fünf Minuten, gestritten hatten. Zwar war das worüber wir sprachen nicht sehr schön, aber es freute mich dennoch alles zu erfahren. Ich sagte ihm immer wieder dass jetzt alles gut werden würde. Und ich hatte auch vor dies zu halten. Ich hatte ihm versprochen ihn zu beschützen.

Als ich mich verabschiedete schloss er die Augen und sagte leise “Bis bald”.

Ich verließ das Zimmer ohne ein unnötiges Geräusch zu machen. Meine wenigen Sachen die ich während meines Kranhausaufenthalts gebraucht hatte, waren alle in meiner Tasche verstaut und als ich hinaus in die Kälte trat wartete mein Vater mit dem Auto auf mich um mich abzuholen.

Zu Hause wurde ich freudig empfangen. Kaum hatte ich meine Jacke ausgezogen, sprang mir Maria förmlich an den Hals und lies nicht mehr so schnell los. Sie hatte eine rote Weihnachtsmütze auf und strahlte übers ganze Gesicht. Ich trug sie auf den Arm mit in die Küche wo meine Mutter das Abendessen kochte.

“Schön dass du wieder da bist”, sagte sie. “Wir haben mit der Bescherung und allem andern auf dich gewartet. Heute Abend werden wir alle zusammen Weihnachten feiern”.

Ich wollte Maria auf einem Stuhl absetzten. Nur widerwillig ließ sich mich los und sagte als sie saß: “Wollen wir spielen? Du hast so lang nicht mehr mit mir gespielt”

“Eigentlich wollte ich mich vor dem Essen noch etwas ausruhen”.

Maria verschränkte die Arme und machte einen Schmollmund. “Menno, dann weiß ich nicht was ich jetzt machen soll”.

“Ich spiel später mit dir, ok?”

“Wirklich”, lachte sie.

Ehe ich antworten konnte sagte meine Mutter zu Maria: “Wenn dir langweilig ist kannst du mir beim Kochen helfen. Lass Chris erstmal schlafen. Ihr beide habt noch genug Zeit zum spielen”.

Trotzig sagte Maria “Ok”.

Ich ging in mein Zimmer und setze mich aufs Bett. Ich musste darüber nachdenken was ich jetzt machen sollte. Mir musste etwas einfallen wie ich Ryan am besten helfen konnte. Ich legte mich hin und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Ohne es zu merken schlief ich ein. Lange konnte ich mich nicht ausruhen. Schon wurde ich von Maria geweckt die mich zum Abendessen rief.

Alle machten einen unbekümmerten Eindruck und ich fühlte mich Zeit langem mal wieder geborgen. Doch etwas ließ mir keine Ruhe. Ein Gedanke ging mir nicht aus dem Sinn.

Es war erst sechs Uhr als ich fertig war. Aber es kam mir vor als würde mir die Zeit ablaufen. Ich hatte das Gefühl unbedingt heute noch etwas tun zu müssen. Und den ersten Schritt dazu tat ich jetzt.

Meine Mutter räumte mit Maria den Tisch ab während mein Vater ins Wohnzimmer ging und Zeitung las.

Als sie Maria Teller in die Hand gab die sie weg räumen sollte sagte sie zu mir: “Du kannst ruhig schon ins Wohnzimmer gehen. Wir kommen auch gleich”.

Ich stand auf aber ging noch nicht sondern fragte sie: “Hast du was dagegen wenn noch schnell ein Freund von mir vorbei kommt? Er bleibt nicht lange”.

Sie schaute etwas verwundert. “Ist in Ordnung. Aber vergiss nicht dass wir nachher noch zusammen sitzen wollen”.

Maria lief einmal im Kreis mit erhobenen Händen und rief “Ja, Bescherung”.

Ich ging hinaus und telefonierte kurz.

Als es an der Tür klingelte war ich froh dass er so schnell kam. Ich ging aufmachen und lies Vincent herein. Meine Mutter schaute neugierig wer da kam und sagte freundlich “Hallo”.

Vincent sagte das gleiche und wir gingen in mein Zimmer.

Wir setzen und aufs Bett und er sagte: “Also, was willst du tun?”

“Ryan hat mir erzählt was ihm passiert ist. Ich denke das Beste wäre wenn wir alles der Polizei überlassen”.

“Weiß Ryan das du die Polizei einweihen willst”.

“ Ich hab es ihm nicht gesagt. Aber es hat doch keinen Sinn es noch alleine regeln zu wollen. Ich weiß nicht wie ich weiter kommen soll. Das alles ist zu viel”.

“Da hast du Recht. Aber was willst du der Polizei schon sagen?”

“Bevor Ryan von der Brücke sprang wurde er von jemandem festgehalten. Er hat mir gesagt wo das war. Ich werde erzählen wo das Versteck dieses Typen ist und die werden ihn festnehmen. Als ich im Krankenhaus war sprach schon jemand von der Polizei mit mir und fragte mich aus. Wenn ich jetzt sage dass ich weiß was passiert ist, werden die schon alles regeln. Damit hat das Ganze dann ein Ende”.

Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer die mir der Polizeibeamte gegeben hatte. Es ging auch sofort jemand dran und es war, wie es der Zufall will, der gleiche der mich befragt hatte. Ich erzählte ihm alles was ich wusste. Er bedankte sich für den Hinweis und sagte, ich solle nur alles der Polizei überlassen.

Als ich auflegte fühlte ich mich als wäre eine große Last von mir gefallen. Aber dieses eine beklemmende Gefühl blieb. Was war das nur? Hatte ich etwas vergessen?
 

Robert

Die Sirenen der Polizeiwagen wurden langsam leiser, bis man sie nur noch schwach aus weiter Ferne hören konnte. Robert schaute vom flachen Dach hinunter, auf dem er sich versteckte. Als er die Sirenen hörte rannte er die Feuerleiter an der Seite hinauf und beobachtete das Ganze vom Dach des Hauses das früher mal als Lagerhalle gedient hatte. Trotz der Dunkelheit konnte man wegen denn Polizeiautos gut erkennen was dort unten geschah.

Die Polizei hatte sich vor ihrem Unterschlupf versammelt und ihn umstellt. Mehrmals hatten sie gerufen dass die Bande heraus kommen sollte. Als niemand kam stürmten sie hinein. Die Tür mit dem dicken Sicherheitsschloss hatten sie schnell mit einem Schuss geöffnet. Man hörte ein paar wütende Rufe. Und dann kam schon der erste Bulle heraus. In Handschellen führte er Franco mit sich.

Der Typ war zu dämlich, was ließ er sich auch so einfach schnappen.

Außer Franco wurden außerdem noch zwei andere von der Bande weg geführt. Aber die waren nicht weiter von Belang. Diese zwei waren zwar erst vor kurzen zu ihnen gestoßen, aber hatten schon großen Respekt und vor allem Angst vor Oscar. Sollten sie verhört werden würden sie auf jeden Fall dicht halten. Die Angst vor Oscar war größer als die vor dem Knast. Nur um Franco machte sich Robert Sorgen. Der Kerl war dermaßen bescheuert das man ihm schon mit ein paar Lügen, die besagten das es besser wäre auszupacken, zum Reden bringen konnte.

Robert war noch eine Zeit lang auf dem Dach geblieben, als alles vorbei war. Nur um sicher zu gehen. So tat er es schon Zeit den vier Jahren die er bei Oscar ist. Das einzige was er tun musste war, sich nicht erwischen lassen, egal was man tun musste. Und was noch wichtiger war, immer genau das tun was Oscar verlangte. Tat man das nicht, hatte es verheerende Auswirkungen. Insbesondere was die Gesundheit anging.

Dies musste Robert schon am eigenen Leib erfahren. Deshalb wusste er auch was er jetzt zu tun hatte.

Er ging zum Rand des Daches und kletterte vorsichtig die Feuerleiter hinunter. Unten schaute er sich noch auf der Straße um. Dann ging er in das gestürmte Versteck das wohl in Zukunft nicht mehr als solches herhalten würde. Drinnen war es stockfinster. Es war ein Risiko aber er schaltete das Licht an. Es sah ein heilloses Durcheinander. Sofern man es noch schlimmer machen konnte als es schon vorher war. Alles war umgeschmissen und was zerbrechen konnte lag in tausend Scherben auf dem schmutzigen Holzboden verteilt.

Unter jedem Schritt knackste es leise. Im hintersten Raum durchsuchte Robert einen Schrank und nahm schließlich ein Messer heraus. Er hatte es das letzte Mal als er hier war liegen gelassen. Er steckte es in die längliche Ledertasche die er an seinem Gürtel befestigt hatte und verließ das Haus wieder.

Schnellst möglich lief er aus dem Viertel hinaus. Es konnte nicht mehr lange dauern und andere Typen die mitbekommen hatten dass das Versteck jetzt verlasen war würden kommen und hohlen was noch zu hohlen war. Normalerweise wäre es jetzt Roberts Aufgabe, zu verhindern das genau dies passierte. Aber alleine hatte er keine Chance sich zu verteidigen.

Er konnte von Glück sprechen das Oscar nicht wusste dass er in der Nähe war als die andern fest genommen wurden. Kurz zuvor war Oscar nämlich weg gefahren um einen Auftrag zu erledigen. Es war selten dass er es selbst tat. Aber dieses Mal war es sehr wichtig nicht zu scheitern. Für diesen Auftrag würde die Bande nämlich ein ordentliches Sümmchen bekommen.

Deshalb musste auch Robert dafür sorgen dass alles glatt ging. Er würde Oscar gehorchen. Wenn da tief in ihm nicht dieses unbeherrschbare Gefühl von Rache gewesen wäre.

Robert stand jetzt in einer leeren Straße. Hier kam zu so einer späten Stunde selten jemand vorbei. Ein paar Schritte weiter stand ein unverwechselbares schwarzes Auto. Robert zog das Messer.
 

Ryan

Ryan hatte einen leichten Schlaf. Zeit dem Anfang seiner Pechsträhne, vor mehr als einem halben Jahr, hatte er keine ruhige Nacht mehr. Wie eine Katze war er immer halb wach und horchte was um ihn herum geschah. Er erschrak bei dem kleinsten Geräusch und sah sich aufgeregt um. Nach schier endlosen Minuten, war er sich erst sicher dass dort nichts war. Trotzdem fiel es ihm danach schwer noch einmal einzuschlafen. Das ganze fühlte sich an als hätte er einen Albtraum nach dem nächsten.

Aber hier im Krankenhaus konnte er aufatmen. Hier war nichts. Es war sicher. Man hörte ab und zu jemanden der im Gang ein Bett schob oder eine Schwester die eiligen Schrittes wo hin lief. Hier konnte Ryan endlich mal wieder ruhig schlafen. Noch in der vorherigen Nacht hatte ihn die Anwesenheit von Chris beruhigt. Jetzt wo er fort war, kam er sich etwas einsam vor. Aber er würde ihn bestimmt bald wieder sehn. Er nahm sich vor sich mit Chris besser zu verstehen.

Nachdenklich schaute er aus dem Fenster. Es war zwar noch nicht so spät aber draußen war niemand zu sehen. Kein Wunder, es war immerhin Weihnachten. Da saßen alle zusammen zu Hause und feierten. Ryan beobachtete wie einzelne Schneeflocken durch den Schein der Laternen vielen die der Wind vom Dach geweht hatte. Man konnte fast über den gesamten Hof des Krankenhauses sehn. Dahinter war der Park in dem er Chris das erste Mal getroffen hatte. Er mochte diesen Park. Er war groß und es gab viele Orte an denen man ungestört sein konnte.

Ryan wurde langsam schläfrig. Er schloss die Augen und schlief ein. Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte. Er lag zum Fenster hin. Plötzlich war ihm als hätte er etwas gehört. Aber wie oft hatte er dies und dann war da doch nichts. Wahrscheinlich war nur jemand etwas lauter an seinem Zimmer vorbei gelaufen. Hier und jetzt konnte einfach nichts sein. Er zwang sich, sich wieder zu beruhigen. Er brauchte dringend etwas Schlaf. Noch immer fühlte er sich schwach.

Doch da war es wieder. Er horchte auf. Deutlich hatte er es gehört. Da, schon wieder. Ryan fühlte sich im ersten Moment starr vor Angst. Dann drehte er sich langsam um.

Gerade noch rechtzeitig. Etwas sauste über ihm auf ihn nieder. Reflexartig rollte er sich zur Seite. Er fiel aus dem Bett und stand hastig auf. Der Ständer mit der Infusion war umgefallen und die Nadeln aus Ryans Arm gerissen worden. Er schaute angestrengt in die Dunkelheit. Dann konnte er es erkennen. Auf der andern Seite des Bettes erkannte er im schwachen Licht das Gesicht all seiner Albträume. Ryan konnte es nicht fassen. Was wollte dieser Typ schon wieder von ihm. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Ryan musste weg. Er musste wieder weglaufen. Er ging einen Schritt rückwärts und beobachte was sein Gegenüber machte.

Der Kerl stand nur da. In seiner Hand blitze ein Messer auf. Er sah Ryan mit diesem fiesen Lächeln an das einem die Angst hoch kam.

Leise, fast flüsternd sagte er mit tiefer Stimme: “Das ist das letzte mal. Diesmal bist du dran”.

Ryan stieß an das Fenster. So schnell er konnte riss er es auf und sprang gekonnt hinaus. Was für ein Glück hatte er dass das Zimmer im Erdgeschoss war. Und was für eins das es dunkel war. Dunkel wie sein ganzes Leben, dachte er bitter.

Kälte umfing ihn. Seine Lunge brannte bei jedem Atemzug. Unbewusst gelangte er in den Park. Hier standen nicht viele Laternen. Das würde ihm helfen zu entkommen. Er merkte kaum wie die Kieselsteine in seine Füße stachen. Merkte nicht wie seine Wunde anfing schmerzlich zu pochen. Sah nicht nach hinten. Alles an was er dachte war rennen.

Bald konnte er nicht mehr. Es ging einfach nicht. Seine Kraft hatte ihn verlassen. Nach Luft ringend blieb er an einer dunklen Stelle, unter einem Baum, stehen. Er griff sich an die Brust. Etwas Warmes klebte an seiner Hand. Ein dunkler Fleck zeichnete sich auf seinem Hemd ab. Seine Wunde war aufgegangen. Jetzt erst bemerkte er wie es wehtat. Ein Schmerz der ihn nicht klar denken ließ.

Tief atmete er ein und aus. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Ihm war schwindelig. Er schwitze und spürte umso mehr die eisige Kälte die ihn wie tausende Stiche in den Körper stach. Aber er musste weiter. Irgendwohin wo hin wo ihn niemand finden würde. Gab es so einen Ort überhaupt?

Er lehnte gegen den Baum mit der morschen Rinde. Er musste sich ausruhen. Nur einen Moment. Doch plötzlich hörte er vor sich Blätter rascheln. Er schaute angestrengt in das Gestrüpp. War da jemand? Er glaubte einen dunklen Schatten gesehen zu haben. Aber er war wieder weg. Schlich sich der Typ vielleicht an ihn ran? Ryan dachte das er ihn vielleicht gerade nicht sah. Vorsichtig ging er um den Stamm herum und lief los.

Ein Stich ging ihm durch den ganzen Körper als seine Wunde sich noch weiter geöffnet hatte. Er versuchte den Schmerz zu unterdrücken. Doch es ging nicht. Das Rauschen seines Blutes dröhnte in seinen Ohren. Er fiel auf die Knie. Es viel ihm schwer zu atmen. Sein Blick wurde trüber. Es wurde immer schlimmer. Krampfhaft hielt er sich die Brust. Nur noch schwach konnte er wahrnehmen dass ganz in seiner Nähe die Blätter raschelten, der Kies knirschte und leise Stimmen redeten unverständlich.
 

Jessy und Bianca

Die beiden Mädchen betraten das Polizeirevier und sahen sich suchend um. Sie liefen durch einen langen Gang und blieben vor einer Tür stehen, die in einen großen Büroraum führte. Durch große Scheiben konnte man hinein sehen. Dann gingen sie schnurstracks auf einen jungen Polizisten zu und fragten ihn etwas. Der junge Mann bat die beiden sich zu setzten, er würde ihnen gleich die Auskunft geben die sie wollten.

Jessy hatte vor etwa einer halben Stunde einen Anruf von Vincent bekommen. Er sagte er und Chris hätten der Polizei alles erzählt. Und das der Unterschlupf der Verbrecher gestürmt wurde. Darauf sagten die Mädchen dass sie auch etwas tun wollten. Sie konnten doch nicht untätig zusehen.

Also sagte Vincent dass beide zur Polizeiwache gehen könnten und gucken sollten ob sich da was tat. Die Polizisten müssten eigentlich bald wieder von ihrem Einsatz zurück sein. Das hatte der den sie gefragt hatten auch gesagt.

Beide Mädchen fühlten sich sichtlich unwohl. Sie schauten halb verängstigt halb besorgt zu den Polizisten. Sie beobachteten sie, das beruhigte ein wenig. Immer wieder hörte man das schrille Klingeln des Telefons. Danach gingen ein paar Männer raus und wieder rein. Durch das Fenster das nach draußen zeigte, sah man Polizeiautos die kamen und fuhren. So ging das die ganze Zeit.

Und dann kamen auf einmal zwei Autos mit Sirenen angefahren. Die Türen knallten. Und sogleich liefen ein paar Polizisten mit einem Gefangenen in Handschellen in dessen Mitte an der großen Scheibe des Büros vorbei. Die Gefangenen sahen dermaßen zwielichtig aus das es den Mädchen eiskalt den Rücken runter lief.

Und dann kam auf einmal Bewegung in die Gruppe. Zwei Polizisten liefen hinaus aus dem Büro. Ehe der junge Mann den sie gefragt hatten auch raus ging kam er zu den Mädchen und sagte freundlich: “Sobald die Verbrecher verhört wurden, sag ich euch was sie über euren Freund gesagt haben. Ihr müsst euch keine Sorgen mehr machen. Wir haben hier alles unter Kontrolle”.
 

Chris

Ich und Vincent stiegen aus Saras Auto aus, mit dem Vincent gefahren war, und rannten ins Krankenhaus. Niemand begegnete uns. An Ryans Zimmer angekommen wagte ich kaum die Tür zu öffnen. Ich zitterte. Ich hatte Angst vor dem was mich darin erwarten könnte. Doch ich riss mich zusammen und machte zögerlich die Tür auf. Drinnen war es dunkel. Ein Luftzug kam mir entgegen.

Ich tastete nach dem Lichtschalter und fand ihn schnell. Im Zimmer schien niemand zu sein. Hektisch schaute ich mich um. Sogar unter den Betten sah ich nach. Aber ich fand Ryan nicht.

Dann gab es nur eine Möglichkeit wo er sein konnte. Ich schaute aus dem Fenster dessen weiße Vorhänge im Wind wehten und schaute in die tief schwarze Nacht.

Vincent nickte nur als ich ihn fragend ansah. Er dachte wohl das gleiche wie ich. Aus der Tür zu laufen kam mir zu umständlich und zeitaufwendig vor also kletterte ich aus dem Fenster. Gleich hinter mir Vincent der sich wie ich nach allen Seiten umsah. Wo konnte Ryan nur hingelaufen sein? Und wieso war er überhaupt aus dem Zimmer gegangen? Aber ich konnte mir denken warum. Dieses unangenehme Gefühl das ich die ganze Zeit hatte und mich nicht zur Ruhe kommen ließ, obwohl ich dachte das richtige getan zu haben, hatte es sich bewahrheitet. Das was ich bei meinem Plan vergessen hatte war die Tatsache dass die Verbrecher vielleicht wussten wo Ryan war. Und da Ryan mir erzählt hatte wo sie waren und ich ihnen die Polizei aufgehetzt hatte war Ryan nicht in Sicherheit, sollte auch nur einer dieser Kerle der Polizei entwischt sein.

Konnte es sein das sie Ryan wieder geschnappt hatten? Nein, Ryan konnte sicher entkommen. Er war doch immer so schnell. Er ließ sich nicht so einfach schnappen. Allerdings hätte er in seinem Zustand nicht so reagieren können wie früher. Wo konnte er nur sein?

Vincent und ich suchten den ganzen Parkplatz ab, weil wir hofften Ryan hätte sich hinter einem Auto versteckt. Aber nirgends war er zu finden. Er musste weiter weg sein. Weit laufen konnte er aber wahrscheinlich nicht. Also musste er sich irgendwo verstecken. Ich dachte angestrengt nach. Was war hier in der Nähe wo er sich verstecken konnte.

Dann fiel es mir ein. “Vincent, hier ist doch irgendwo der Park, oder?”

Er begriff schnell worauf ich hinaus wollte. “Da hinten”.

Jetzt sah ich es auch. Die Laternen führten einen Kieselweg entlang der zwischen Bäumen hindurchführte. Von weiten sah der Park so finster und unheimlich aus.

Wir rannten los. Kaum gingen wir durch das Tor das in den Park führte wurde es schlagartig dunkler. Man konnte nur ahnen wo der Weg war. Wenige Laternen schienen durch die Bäume und spendeten nur wenig Licht.

Ich zuckte zusammen als ich jemanden nicht weit weg vor uns laufen sah. Erst dachte ich es wäre Ryan gewesen aber diese Gestalt sah kein bisschen so aus. Er war zu groß und Ryan wäre nicht von uns weg gelaufen. So schnell er gekommen war, war er auch wieder weg.

Aber wegen dieser Gestalt bekam ich langsam ein ungutes Gefühl. Ich zwang mich weiter zu gehen. Trotz meiner Angst dass jeden Moment jemand aus dem Gebüsch springen kommen könnte.

Wir liefen den Weg entlang und schauten dabei nach allen Seiten. Rufen konnten wir nicht. Wenn Ryan von jemandem weg lief und derjenige noch hier war durften wir nicht unnötig auf uns aufmerksam machen.

Wir liefen tiefer in den Park. Die Angst wurde größer. Es kam mir wie Stunden vor die wir jetzt schon suchten. Langsam dachte ich er wäre doch nicht hier. Wenn das so wäre dann könnte er wieder im Versteck dieser Verbrecher sein und ihm wurde sonst was angetan. Nein, daran durfte ich nicht denken. Das Versteck war doch sicher schon längst von der Polizei gestürmt worden. Da konnte er also nicht sein.

Ein Nachteil war das es an den meisten Stellen so dunkel war das man nicht mal seine eigenen Füße sehen konnte. Aber gerade an diesen Plätzen suchten wir genauer. Ich strengte mich an um überhaupt etwas sehen zu können. Ich horchte genau hin um zu hören wenn sich etwas durch die Blätter schlich. Aber außer kleiner Tiere war da nichts. Ich war nah dran Ryan so laut ich konnte zu rufen. Könnte er antworten würden wir ihn schnell finden. Anderseits war es für ihn riskant zu antworten.

Plötzlich hörte ich etwas. Schritte auf dem Kiesweg. Es war zu laut als das es ein Tier gewesen sein könnte. Ich lief schnell in die Richtung aus der das Geräusch kam. Jetzt war es mir egal ob es der Verfolger war oder sonst jemand. Ich hoffte inständig dass es Ryan war. Ich wollte ihn so schnell wie möglich von hier fort bringen. Vincent konnte gar nicht so schnell reagieren wie ich los lief. Er kam hinter mir her und wäre beinahe über einen dicken Ast, der auf der Wiese lag, gestolpert.

Ich trat wieder auf den Weg. Hinter einer Biegung um die ich wegen den Bäumen nicht herumblicken konnte, musste es sein. Eine Laterne erleuchtete den Platz mit schwachem gelblichem Licht. Mein Herz schlug schneller als ich die paar Schritte in diese Richtung ging. Und dann traf es mich wie ein Schlag. Dort sah ich das was ich wollte, doch nicht so wie ich es wollte. Langsamen Schrittes ging ich auf Ryan zu der am Boden zusammengekrümmt auf den Knien saß. Er hielt sich die Brust und keuchte.

Dann lief ich schneller. Ich rannte zu ihm wollte ihn in die Arme nehmen. Doch plötzlich trat ein Schatten aus der Dunkelheit und versperrte mir den Weg. Das Licht der Laterne schien ihn von hinten an und lies ihn noch größer wirken. Soweit ich erkennen konnte war der Kerl ganz in schwarz und hatte eine zwielichtige Visage. Das musste der Kerl sein der Ryan hier her gejagt hatte. Er schaute uns herausfordernd an. Oder lachte er uns aus?

Mich packte Wut, die jede Angst vertrieb. Ich wollte den Kerl packen und ihn niedermachen. Ich machte einen Schritt auf ihn zu. Vincent, der hinter mir stand, legte seine Hand auf meinen Arm und wollte mich zurück halten.

Der Kerl gab einen Laut von sich der halb wie lachen halb wie bellen klang. “Wer seid ihr denn? Ihr solltet schleunigst verschwinden Kinder, sonst wird es euch schlecht ergehen”. Er hatte eine raue tiefe Stimme die seinen Worten Glaubwürdigkeit verlieh.

Ich blieb stehen. Aber noch immer war ich fest entschlossen den Kerl zu vertreiben. In meiner Wut fühlte ich mich als könnte ich jeden bezwingen. Außerdem war ja Vincent bei mir. Irgendwie würden wir ihn schon kriegen.

Der Kerl machte einen Schritt zurück, lachte glucksend und stand nun direkt neben Ryan. Ich wollte zu ihm, aber Vincent hielt mich noch immer fest. Ich sah ihn panisch an. Sein Blick sagte alles. Er hatte die Augen aufgerissen und starrte den Kerl an. Hatte er etwa Angst vor ihm? Oder was war los?

Dann sagte die raue Stimme: “Ihr wollt nicht? Dann seid ihr als nächstes dran. Aber zuerst muss ich hier noch einen Job erledigen”.

Er sah uns genau an und beobachtete was wir taten. Er trat noch etwas näher an Ryan der immer noch zusammengekrümmt am Boden saß.

Nein, er durfte ihm nicht näher kommen. Das wollte ich nicht zulassen. Ich riss mich von Vincent und wollte mich gerade auf den Kerl stürzen. Da holte er ein Messer heraus und hielt es demonstrativ hoch. Ich stoppte vor Schreck. Und plötzlich trat er Ryan. So das er zur Seite kippte. An Ryans Hemd zeichnete sich deutlich etwas Dunkles ab. Seine Hände die reglos da lagen waren blutverschmiert. Der Kerl packte Ryan mit einer Hand am Kragen zog ihn hoch und hielt ihn vor sich.

In diesem Moment war mir alles egal. Es war so oder so zu spät. Wie schlimm konnte es denn jetzt noch werden? Ich war bereit Ryan um jeden Preis zu retten. Und sollte mir dabei etwas passieren so war es mir ebenfalls egal. Ich ging noch ein Stück auf den Kerl zu. Die Entfernung zu ihm schien mir mit jedem Augenblick weiter zu sein. Doch es konnten nicht mehr als sieben Meter sein.

Noch ehe ich merkte was geschah kam noch jemand und stellte sich knapp hinter den Kerl. Dieser sah kurz hin und sagte: “Schön das du auch mal kommst”.

Im schwachen Licht konnte ich nicht erkennen wer das nun schon wieder war. Er kam näher auf den Kerl zu und sagte leise, aber so dass ich es noch hören konnte: “Die Bullen haben Franco und die andern geschnappt? Wenn wir nicht schnell verschwinden wird Franco uns verpfeifen und wir sind dran”.

Ich erkannte die Stimme sofort. Es war Robert. Auf seine Worte lachte der Kerl, als hätte Robert einen Witz gemacht.

“Hast du etwa Angst? Die Bullen haben mich noch nie erwischt und werden es in Zukunft auch nicht. Ich habe hier noch etwas zu erledigen”. Er strich mit dem Messer über Ryan Brust. Dieser gab keinen Laut von sich, oder rührte er sich. “Es wird endlich Zeit es zu Ende zu bringen. Es hat schon viel zu lange gedauert”. Er setzte die Messerspitze an und ich dachte jetzt wäre alles aus. Doch dann ließ er Ryan los und er fiel zu Boden.

Der Kerl war nach hinten getaumelt als Robert ihm einen Tritt in den Magen verpasst hatte. Doch er fing sich sofort wieder und sah Robert wutentbrannt an. Schnaubend wie ein Stier sagte er: “Was soll das?”

Robert sah ihn mit festem Blick an. Es spiegelten sich keine Angst in seinem Gesicht, da war nur etwas das Verachtung gleich kam. Ruhig sagte er in einem Ton wie man eine Entschuldigung vorbrachte: “Die Bullen werden uns schnappen und dann geht’s uns an den Kragen. Hauen wir ab”.

Der Kerl sah aus als würde er sich gleich auf Robert stürzen. Er hob sein Messer so das Robert es gut sehen konnte: “Sag mal hast du sie noch alle. Das soll deine Entschuldigung sein”.

Als er näher kam zog Robert ebenfalls ein Messer und sagte, immer noch ruhig: “Verschwinde”.

Darauf zischte das Messer knapp an Robert vorbei, er konnte sich gerade noch wegducken. Er ging etwas zurück und schritt an die Seite seines Gegners. Nutze seine offene Deckung nach dem ersten misslungenen Streich und, schlug ihm so schnell das man es kaum sehen konnte, mit dem Ellbogen ins Genick. Das Ganze wirkte wie eine Szene aus einem Actionfilm. Für den Bruchteil einer Sekunde strauchelte der Kerl und Robert gab ihm einen Tritt in den Rücken, stellte seinen Fuß auf ihn als er unten lag und sagte: “Darauf habe ich Jahre lang gewartet”. Er gab ihm noch einen Schlag in den Nacken und der Blick des Kerls wurde trüber. Dann zog Robert noch Handschellen aus seiner Tasche, die er am Gürtel trug, und machte sie dem Kerl um die Handgelenke.

Als er fertig war stand er auf. Er vermied es mich und Vincent direkt anzusehen und sagte: “Die Polizei wird bald hier sein”.

Er machte Anstalten zu verschwinden, doch ehe er auch nur einen Schritt tun konnte rief Vincent: “Warte. Was hat das alles zu bedeuten? Wer ist der Kerl?”.

Mich interessierte das jetzt nicht ich wollte zu Ryan. Doch Vincent hielt mich noch fest.

Robert antwortete: “Das ist Oscar. Der Boss einer Verbrecherbande. Er hatte den Auftrag Ryan zu erledigen”.

“Was ist mit dir. Hast du es auch vor?” Er schaut auf das Messer das Robert immer noch in der Hand hielt.

Darauf steckte Robert das Messer in seine Tasche und sagte als wäre es eine Erklärung: “Ich gehöre nicht mehr zu ihm”. Ohne ein weiteres Wort lief er an uns vorbei und verschwand.

Sekunden dachte ich Robert wollte auf mich losgehen. War er also einer der bösen, er kam mir schon immer merkwürdig vor. Aber im Moment war das nicht wichtig.

Endlich konnte ich mich von Vincent los machen. Er hatte einen starren Blick und wirkte als könne er das alles nicht fassen. Er kam sich total überfordert vor, obwohl er immer so stark tat.

Ich lief zu Ryan. Bei dem Anblick den er bot zog sich alles in mir zusammen. Das was viel schlimmer als alles traurige das ich je gesehen hatte. Ich war beinahe bei ihm. Doch Plötzlich überkam mich ein brennender Schmerz. Mein Arm fühlte sich an als würde er brennen. Ich fiel auf die Knie. Um mich drehte sich alles und mir wurde schlecht. Ich spürte warmes Blut als ich an meinen linken Arm griff.

Ich hörte Vincent erschrocken “Chris” rufen. Dann sagte er leiser und drohend “Du”.

Der Schmerz schien kein Ende zu nehmen. Ich zwang mich wieder aufzustehen. Ich musste es einfach. Irgendwie schafften wieder auf die Beine zu kommen. Mein trüber Blick klärte sich langsam wieder. Vor mir stand jemand in einem langen Mantel. Er hielt den Arm auf mich gerichtet. In der Hand hatte er etwas metallisch Glänzendes. Es war eine Pistole. Dann sah ich das Gesicht und konnte es nicht glauben. Ich kannte ihn. Es war Ryans Vater. Er schien zu allem bereit.

Ich hatte keine Angst. Einzig allein Ryan zählte für mich.

“Wieso tun sie das?” schrie Vincent hysterisch.

“Wieso“, wiederholte er höhnisch. “Ganz einfach, weil Ryan mir im Weg ist. Er taugt zu nichts. Man kann ihn nicht gebrauchen. Genau wie seine Mutter”.

Ich beachtete die beiden nicht. Und auch die Waffe die auf mich gerichtet war nicht. Ich sah nur Ryan an. Er lag mit dem Rücken zu seinem verfluchten Vater. An seinen blassen Händen klebte Blut. Er rührte sich nicht. Ich konnte nicht mal erkennen ob er überhaupt noch atmete. Ich näherte mich ihm so unendlich langsam.

“Du, stehen bleiben. Oder..”. Er richtete die Pistole auf Ryan und sah mich mit zornigen Augen an. Noch ehe ich es richtig wahrnahm, kam Vincent an mir vorbei gerannt und stürzte sich auf den Kerl. Sie fielen beide nach hinten. Vincent verpasste ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Vor blinder Wut passte Vincent einen Moment nicht auf und der Kerl schlug ihm mit der Pistole an den Kopf. Er fiel von ihm runter. Das gab dem Kerl zeit sich aufzurichten. Er zielte auf Vincent der am Boden saß und eine Platzwunde an der Stirn hatte.

“Ihr habt verloren. Ihr seid zu schwach”, es sah so aus als wollte er tatsächlich auf Vincent schießen, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anblickte. Die Pistole klickte leise.

Ich wollte zu ihm doch ich war wie betäubt. Ich konnte nicht hinsehen. Ich machte die Augen fest zu. Das dufte nicht sein. Dann fiel ein Schuss. Ich wollte das nicht sehen.

Flüsternd, fast unhörbar leise hauchte Vincents Stimme: “Nein”.

Ich fiel auf die Knie und hielt mir die Hände vor die Augen. Der Kies knirschte unter den Schuhen des Vaters als er einen Schritt tat. Eisiger Wind blies durch die Blätter und es raschelte, mal lauter, mal leiser. Ich hörte meinem Atem deutlich. Meine Kehle fühlte sich an als wäre sie zugeschnürt. Der Geruch von Eisen lag schwer in der Luft. Die Wunde an meinem Arm pochte unaufhörlich. Es war dunkel um mich. Ich wollte dass alles verschwand. Doch dann hörte ich Schritte wie aus weiter Ferne. Bildete ich mir das nur ein? Das Geräusch wurde lauter und immer lauter.

Der Kerl fluchte leise und lief an mir vorbei. Doch die Schritte wurden nicht leiser, sondern lauter. Es klang nach vielen Leuten, die an mir vorbei rannten.

Dann hörte ich eine vertraute Stimme sagen: “Chris!” Sie kam mir vor wie das Licht das mich wieder aufweckte. Jemand berührte mich sanft an der Schulter. Ich wollte meine Augen nicht öffnen. Wieder sagte die Stimme von Jessy “Chris!” Sie rüttelte an mir.

Dann kam noch eine Stimme: “Chris!”. Ich konnte es nicht fassen es war die von Vincent.

Ich nahm die Hände von den Augen. Langsam öffnete ich sie. Vor mir stand Jessy und sah mich traurig an. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ich sah zur Seite und da stand Vincent. Es schien ihm soweit gut zugehen. Auch er weinte und schaute weg als ich ihn ansah. Was war nur geschehen?

Jessy legte auch ihre andere Hand auf meine Schulter, setzte sich vor mich und umarmte mich fest. Sie zitterte und weinte bitterlich. Fast verzweifelt sagte sie: “Mach die keine Sorgen. Ja? Es wird alles wieder gut. Ganz sicher. Alles wird gut…”, ihr versagte die Stimme.

Ich sah mich um. Es war sicher nicht alles gut. Etwas stimmte nicht. Weiter vor mir sah ich Bianca die auf dem Boden kniete. Und dann sah ich es. Ryan lag dort.

Ohne zu wissen wie, stand ich auf und ging zu ihm. Gebannt schaute ich auf ihn. Aus seinem Mundwinkel kam Blut. Der tief rote Fleck an seinem Hemd vergrößerte sich auch an seinem Rücken. Und es hörte nicht auf. Er lag in einer Lache aus Blut.

Ich fiel vor ihm hin. Zitternd näherten sich meine Hände seinem leblosen Körper. Ich nahm ihn, ganz vorsichtig. Und hielt ihn an mich gedrückt in meinen Armen. Ich war unfähig zu weinen. Ich blickte nur in sein bleiches Gesicht. Alles schien in diesem Moment zerbrochen zu sein. Es gab nichts mehr. Keine Gefühlte. Keine Bewegung. Kein Atemzug. Es war alles zerbrochen.
 

Lautes Sirenengeheul ertönte. Aufblitzendes Licht erhellte die Nacht. Schritte klangen überall. Eine Mädchenstimme rief “Bitte, bitte lass ihn los”.

Dann wurde Ryan von mir weg gezogen und verschwand aus meinem Blickfeld. Jemand zog mich mit einem Ruck am Arm hoch und zerrte mich mit. Ich stieg hinauf wo er mich hin zog. Dann knallten die Türen und die Sirenen heulten los. Stimmengewirr versuchte mir etwas zu sagen. Hände versuchten mich zu erreichen.

Doch es war alles zerbrochen.

Abschied und Anfang

Chris
 

Tage vergingen, in denen ich nichts wahrnahm. Oder wollte ich es einfach nicht? Es spielte auch keine Rolle. Für mich gab es nichts mehr. Alles war weg und kaputt. Ich fand keinen Grund noch weiter zu machen. Die Schule würde bald wieder anfangen doch ich sah mich außerstande hinzugehen. Meine Mutter versuchte jeden Tag mich mit Mühe zu überreden wieder zu mir zu kommen. Sie machte sich Sorgen. Das wusste ich. Aber ich konnte nicht einfach so weiter leben wie früher. Ich hatte versucht zu kämpfen, bin aber am Ende gescheitert. Und Ryan musste dafür bezahlen. Ich konnte ihn nicht beschützen, obwohl ich es ihm doch versprochen hatte. Es war alles meine Schuld. Ich hatte ihn im Stich gelassen. Und deswegen wollte ich alleine sein. Ich wollte niemanden sehen.

Seit dem Tag als alles unterging spürte ich in mir einen Schmerz der alles dunkel und sinnlos erscheinen ließ. Die Wunde an meinem Arm war so gut wie verheilt. Es war nur ein Streifschuss gewesen. Doch dieser Schmerz in mir war viel schlimmer. Er lies mich nicht schlafen, nicht essen und machte jeden Versuch mich aufzumuntern zunichte. Ich fühlte mich mit jedem Tag schwächer und mehr und mehr von meiner Umgebung gelöst.

Meine Eltern hatten vom Doktor den Rat bekommen mich zu einem Psychologen zu schicken. Doch noch hatten sie es nicht getan. Sie hofften dass ich von selbst zu mir kommen würde. Aber für mich schien das undenkbar. Ich konnte mir nicht vorstellen irgendwann wieder glücklich zu sein. Wie könnte ich? Dazu hatte ich nicht das Recht.

Ich legte mich hin und schlief ein. Etwas anderes tat ich schon lange nicht mehr.

Vom Klopfen an meiner Tür wurde ich aufgeweckt. Ich setzte mich im Bett auf, lehnte mich gegen die Wand und zog die Beine ein. Gleich würde meine Mutter herein kommen und mich fragen ob ich nicht doch was essen wollte. So lief das meistens ab wenn es an der Tür klopfte. Doch statt meiner Mutter kam nach einem weiteren klopfen Jessy herein. Gefolgt von Bianca und Vincent. Alle machten ernste Gesichter. Ich hätte es ihnen vielleicht auch übel genommen wenn sie in dieser Situation ihr aufgesetztes Lächeln zeigten. Sie taten das zwar um mich aufzumuntern aber ich fand es eher nervig und falsch.

Die Mädchen setzten sich nebeneinander zu mir aufs Bett, während Vincent sich auf den Stuhl am Schreibtisch setzte. Sie fragten nicht ob sie rein kommen durften, weder ob sie sich setzten durften. Sie wussten dass ich nicht antworten würde. Und ich war erleichtert dass sie es nicht versuchten. Am Anfang hatten sie dies noch getan, aber als sie merkten das ich darauf niemals eine Antwort geben würde hatten sie es aufgeben. Sie fragten mich solche kleine Sachen nicht mehr. Sondern hatten angefangen einfach auf mich einzureden und versuchten die richtigen Worte zu finden.

Jessy gab den Anstoß zu einem langen Gespräch: “ Wie geht es dir heute?” Sie machte eine kurze Pause. “Schätze genau wie gestern, oder? Und Vorvorgestern. Und die Tage davor. Hör mal, ist es nicht bald Zeit damit aufzuhören? Wir können das nicht länger mit ansehen. Wir wollen den alten Chris wieder. Hörst du?” Sie legte eine Hand auf meinen Arm und sah mich fragend an.

Ich zeigte keine Regung. Mein Gesicht blieb gleich. Eine Maske aus Trauer und Einsamkeit.

“Du kannst doch unmöglich wollen dass es so weiter geht? Du weißt dass es nicht länger so bleiben kann. Niemand hält das lange aus. “ Vincent klang wütend aber behielt noch seine typische Ruhe. Er saß etwas verkrampft auf dem Stuhl. So als wolle er jeden Moment aufstehen. “Es passt gar nicht zu dir so zu sein”.

Jessy drücke ihre Hand um meinen Arm fester und sagte mit trauriger Stimme und gesenktem Kopf: “Jetzt sag schon was oder sieh mich wenigstens an”. Sie hob den Kopf wieder und wartete. Doch dann machte sie einen enttäuschten Eindruck. Sie schien es langsam auch mit mir leid zu sein. Ihre Stimme nahm etwas Drohendes an. “Du sitzt nur da und starrst in die Leere. Du machst mir langsam Angst. Also hör sofort auf damit”. Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen dass sie mich so böse ansah wie sie es noch nie getan hatte. Sie schubste mich förmlich und sagte lauter: “Verstanden?”

Es kehrte eine lange Pause ein. In der niemand wagte etwas zu sagen. Aus Angst meine Antwort nicht zu hören oder den Moment zu zerstören in dem ich wirklich überlegte wieder normal zu sein. Sie sahen mich erwartungsvoll an und hofften dass ich nun endlich zur Einsicht kam.

“Du musst wieder anfangen mit uns zu reden, Chris”, sagte Vincent nun als sicher war das von mir nichts kommen würde. “Dein Verhalten ergibt keinen Sinn”.

Er hatte Recht. Es ergab wirklich keinen Sinn. Es hatte nämlich keinen Sinn weiter zu machen. Es würde sich sowieso nichts ändern. Es konnte nur schlimmer werden. Und ich wollte nicht daran schuld sein das es schlimmer wurde. Deshalb schloss ich mich in meinen eigenen Gedanken ein.

Jessy nahm ihre Hand fort. Sie schaute auf ihre Beine. Bianca legte ihren Arm um Jessys Schulter und versuchte sie zu trösten. Sie schien bald anzufangen zu weinen. Und das wegen mir.

Ich hasste mich dafür dass ich allen um mich herum immer nur Ärger machte. Das sollte aufhören. Ich wollte nicht noch mehr anrichten, aber ich sollte dafür Sorgen das meine Freunde sich wegen mir nicht mehr so schlecht fühlten. Ich könnte ja wenigstens wieder anfangen zu reden. Doch ich hatte das Gefühl das kein Laut über meine Lippen kommen würde auch wenn ich es versuchen würde. Aber das war Unsinn. Ich bildete mir alles nur ein. Genauso wie ich mir einbildete ich könnte für immer alleine in meinen Gedanken bleiben und mich zurückziehen ohne das andere sich bemühten mich wieder zurück zu bringen. Ich hatte Freunde und Familie. Und sie waren immer für mich da gewesen. Auch jetzt wo ich sie so offensichtlich zurückwies, waren sie an meine Seite und gaben mich nicht auf. Ich musste ihnen die Wahrheit sagen. Das schuldete ich ihnen.

Zögernd brachte ich leise ein paar Worte heraus “Ich will nicht”. Es fühlte sich fremd und komisch an wieder etwas zu sagen. Meine Stimme war leise und rau. Alle sahen mich an. “Ich will nicht dass es noch schlimmer wird. Ich bin schuld das es überhaupt so weit gekommen ist”.

Vincent schien froh zu sein das ich endlich den Mund aufmachte aber gleichseitig wütend darüber das ich ausgerechnet so etwas sagte. Aufgebracht sage er: “Das ist nicht wahr. Du hast doch immer gesagt dass alles wieder gut wird. Egal welche Probleme auftauchten. Es ist dank dir immer besser geworden. Und dafür musst du weiter sorgen. Verstehst du?”

Jetzt gab es kein Zurück mehr. “Nein. Ich hab doch schon versagt. Was kann ich jetzt noch tun? Ich würde es nur noch schlimmer machen”.

Wieder kehrte diese bedrückende Stille ein. Jessy die schon den Tränen nahe gezittert hatte beruhigte sich scheinbar wieder. Bianca streichelte ihr behutsam über die Schulter. Doch dann ballte Jessy ihre Hände, die auf ihren Knien lagen, zu Fäusten. Sie gab sich einen Ruck und stand hektisch auf. Ihre braunen Augen funkelten mich wütend und zugleich traurig an. Sie wollte etwas sagen aber brachte keinen Ton heraus. Sie biss sich auf die Lippe. Und ehe ich begreifen konnte was geschah hatte sie mir schon eine verpasst. Meine Wange wurde rot und ich schaute einen Moment erschreckt. Dann wanderten meine Augen wieder langsam zu ihr und suchten ihn ihrem Gesicht einen Grund dafür warum sie so ausgerastet war. Sie biss sich immer noch auf die Lippe, die schon eine dunkle Farbe hatte. Dann öffnete sie den Mund und holte tief Luft. Die Fäuste hielt sie vor ihren Bauch und schrie: “Sei nicht so egoistisch. Denk doch mal an andere. Wie die sich fühlen wenn du hier so eine Show abziehst. Hast du dir mal deine Mutter angesehen? Hast du gesehen welche Sorgen sie sich macht? Sie hat uns mehrmals angerufen und gesagt dass wir versuchen sollten dich aufzumuntern. Und wir sind jedes Mal gekommen und hofften es diesmal zu schaffen. Aber weißt du was, ich habe es langsam satt. Immer geht es nur um dich. Du bist egoistisch”. Sie senkte den Kopf und ihre Schultern fingen an zu zittern. “Denk doch auch mal an Ryan. Weißt du überhaupt wie er sich fühlt?”

Sie stand noch eine Weile vor mir. Bis Bianca sie zu sich hinunter zog und sie sich wieder hinsetzte. Ich schaute weg als Bianca mich ebenfalls wütend ansah. Jedoch sagte sie beruhigend: “Werde bitte wieder wie früher. Und sei für ihn da. Ryan braucht dich”.

“Nein er braucht mich nicht. Ich bin Schuld dass es ihm jetzt so geht. Ohne mich ist er besser dran”.

Einen Moment dachte ich Jessy würde sich zu mir umdrehen und mir noch eine verpassen. Aber sie rührte sich nicht. Stattdessen sagte Bianca: “So ein Quatsch. Niemand hat Schuld. Und am allerwenigsten du. Siehst du nicht wie er dich braucht? Er hat es zwar nie ausgesprochen aber sein Blick wenn er dich ansieht sagt doch alles. Ich hab euch beide zusammen gesehen und er scheint dich mehr zu brauchen als jeden andern. Vom ersten Augenblick an als ihr euch kennen gelernt habt sah man das er nur dich an sich ran lässt. Wir hätten es nie soweit geschafft wie du. Uns verschweigt er was er dir ohne Zögern erzählt. Und deshalb musst du zu ihm. Er wartet doch nur auf dich. Also geh schon!”

Ich reagierte nicht. Ich sah ja ein dass sie irgendwie Recht hatte. Das konnte ich nicht abstreiten. Aber ich konnte einfach nicht weiter machen. Es hatte sich alles geändert.

Drängender sagte Bianca noch einmal: “Los, geh! Ich meine es ernst!”

Ich sah Bianca, die ich so gar nicht kannte, an. Schaute dann aber wieder weg als sie mich nur anlächelte. Ich bewegte meine Hand die auf meinem Knie lag und fast eingeschlafen war. Es kribbelte unangenehm. Dann sagte ich gelangweilt: “Ich will aber nicht”.

Sofort rief Jessy: “Doch du willst”. Sie stand auf und zog dann Bianca am Arm so dass sie auch aufstand. Jessy grinste Bianca einmal kurz an und die hatte wohl verstanden was Jessy wollte. Beide packten mich plötzlich an den Armen und zogen mich hoch. Ich war so erschreckt dass ich mich gar nicht wehren konnte. Und war erstaunt dass sie es tatsächlich schaffen mich hoch zu bekommen. Aber mir blieb auch keine andere Wahl als aufzustehen. Nun stand ich zwischen den Mädchen und die freuten sich offensichtlich über ihren Erfolg.

Keinen Moment später schubst mich Bianca zur Tür und Jessy öffnete sie. Bis hinaus an die Haustür wurde ich regelrecht geschupst. Ich ließ es mit mir machen. Wenn ich mich weiter stur stellen würde, würden beide einfach weiter machen. Darin waren sie echt hartneckisch. Meine Mutter versuchte gar nicht zu fragen was los sei. Ich konnte mir gut vorstellen dass sie durch einen Türspalt dabei zusah wie ich hinaus gedrängt wurde und sie sich darüber sehr freute.

Vincent folgte uns die Treppen hinunter und machte die Türen zu. Als wir hinaus traten wehte ein kühler Wind. Die Straßen waren leer, bis auf ein paar Leute die an der S-Bahnstation standen die sich auf der andern Straßenseite befand. Vincent öffnete die Autotür von Saras Auto, mit dem sie her gefahren waren. Die Mädchen hielten mich die ganze Zeit fest, als ob ich wirklich versuchen würde abzuhauen. Sie schoben mich ins Auto und Jessy rutschte gleich nach. Bianca setzte sich auf den Beifahrersitz und warf mir meine Jacke zu, die sie noch schnell mitgenommen hatte.

Das Auto setzte sich in Bewegung. Mehr zu mir selbst als an die andern sagte ich leise: “Er will mich bestimmt nicht sehen”. Niemand reagierte darauf.

Teilnahmslos schaute ich aus dem Fenster. Die Häuser zogen dahin, Autos huschten und sausten vorbei. Und mit jeder Minute fühlte ich mich unwohler. Sonst freute ich mich wenn ich Ryan sehen konnte. Das war immer so gewesen. Aber diesmal nicht. Ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Es war nicht wie damals als ich ahnte das Ryan etwas geschehen würde nachdem ich die Polizei gerufen hatte. Es war mehr so ein Gefühl das mich vor etwas warnte. Vor etwas das ich nicht ändern konnte und ich am besten nicht erfahren sollte.

Ich wusste es schon damals, am Tag an dem für mich alles zu Ende ging. Als Ryan blutüberströmt in meinen Armen lag fühlte es sich an als wäre etwas aus mir heraus gerissen worden. Das was mich bis dahin aufrecht gehalten hatte war weg. Und das was zurück blieb zerbrach. Ich konnte nicht mehr klar denken. Kein einziger Gedanke wollte sich formen. Mein Kopf war leer und schwer. Ich konnte nichts mehr sehen und nichts mehr hören.

An diesem Tag war ich wie betäubt. Ich wusste nicht mehr was um mich herum geschah. Ich kann mich nur daran erinnern wie der Arzt etwas sagte und danach Jessy ganz nah zu mir kam und sagte: “Chris, er wird wieder. Hast du gehört. Die Operation ist vorbei. Ihm geht es gut”.

Danach war alles komplett in diese nebelhafte Dunkelheit getaucht in der ich mich bis heute befunden hatte.

Wir kamen am Krankenhaus an. Das Auto stand aber niemand stieg aus. Und ich begriff nicht so recht was ich hier eigentlich sollte. Ich wollte doch gar nicht hier her kommen. Letztendlich war ich aber doch zurückgekehrt. Ich sank etwas auf den Sitz hinunter. Ich wollte nicht aussteigen.

“Hör mal Chris”, sagte Bianca ohne mich anzusehen. “Ich weiß nicht ob du es mitbekommen hast. Aber Ryan ist…”

“Nein. Ich will es nicht wissen”, schrie ich. Ich wollte es nicht hören. Auch nicht von ihr.

Sie schwieg. Sie wusste dass ich es irgendwann erfahren würde. Das war sicher. Aber ich war nicht bereit dazu. Noch nicht.

Es vergingen noch einige Minuten in Schweigen. Dann sagte Bianca: “Geh jetzt bitte!” Sie drehte sich um und lächelte. “Er wartet auf dich”.

Ich schaute Jessy an, die starr zu Boden blickte. Sie dachte wohl das gleiche wie Bianca. Vincent war auch ganz still. Es gab keinen Zweifel dass er der gleichen Meinung war wie die Mädchen. Wenn ich noch länger hier sitzen bleibe, konnte ich mir nur noch länger anhören dass ich gehen sollte. Zur Not würden sie mich auch mit Gewalt ins Krankenhaus schieben. Die drei waren schon ein paar Mal bei Ryan gewesen und wussten ganz genau was mich erwarten wird. Und da musste ich alleine durch.

“Ich werde hier warten”, sagte Vincent bevor ich ausstieg und die Autotür schloss.

Mir fiel jeder Schritt so schwer als hätte ich Blei an den Füßen. Doch schon betrat ich das Krankenhaus und wurde an die paar Tage erinnert die ich hier mit Ryan verbrachte. Und jetzt war er wieder hier. Alleine. Ich fand es schon ein wenig ungerecht ihn nicht besucht zu haben. Aber ich konnte es bis jetzt einfach nicht.

Ich fragte an der Rezeption auf welchem Zimmer er lag. Nachdem eine ältere Schwester kurz auf eine Liste schaute und mir es dann gesagt hatte konnte ich mich noch nicht durchringen weiter zu gehen. Ich setze mich auf eine der Bänke die im Warteraum standen. Ich stütze die Ellenbogen auf die Knie und schaute auf den gekachelten Boden. Aufrecht hin setzen konnte ich mich jetzt nicht.

Ich überlegte wie ich Ryan überhaupt begegnen sollte. Was sollte ich sagen? Es schien mir dass es in dieser Situation einfach keine richtigen Worte gab. Man konnte nicht nachvollziehen wie er sich fühlen musste. Da war jedes Wort mit dem ich versuchen würde in zu trösten ohne jeden Sinn und würde kein bisschen helfen. Es würde einfach nur lächerlich klingen.

Die andern hatten mir bei einem ihrer zahlreichen Besuche erzählt was alles passiert war während ich mich abgegrenzt hatte. Sie hatten das erzählt was die Polizei nach ein paar Tagen nach dem Ereignis im Park heraus bekommen hat. Dieser Kerl der Ryan schon eine ganze Weile verfolgt hatte hieß Oscar, und war der Anführer einer Verbrecherbande. Er war der Polizei schon länger bekannt aber bis jetzt konnte er nicht geschnappt werden. Nun waren er wie auch all seine Kumpels eingesperrt, da wo sie hin gehörten. Ein Freund von ihm hatte in einem Verhör schon eine Menge erzählt. Unter anderen das Oscar im Park etwas vorhatte. Als das klar war fuhr die Polizei mit Jessy und Bianca sofort los. Später wurde Oscar noch verhört. Er sagte lange nichts. Aber selbst so ein harter Kerl musste sich bald den Methoden der Polizei ergeben. Er hatte erzählt das er von einem unbekannten Mann beauftrag wurde dessen Sohn zum Selbstmord zu bringen. Oder aber ihn selbst töten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen. Dazu hat er ihn mehrmals verfolgt und ihm gedroht seine Freunde zu ermorden wenn er etwas sagte. Er hatte sogar zugegeben es einmal versucht zu haben. Das war schon eine Zeitlang her. Er hatte einen der Freunde mit seinem Auto anfahren wollen. Das klappe zum Glück nicht.

Aber schlussendlich war nicht er der Hauptverbrecher. Der der ihn angestiftet hatte dies alles zu tun war Ryans Vater. Er wollte seinen Sohn loswerden. Beim Verhör erzähle er was von Alimenten und Verbindungen. Das sei der Grund warum er das Attentat auf seine eigene Frau geplant hatte. Er wollte nicht dass sie die Polizei zu ihm führen konnte.

Erstmal konnte niemand einen wirklichen Grund dafür finden dass er so was tat. Da musste noch etwas anderes sein. Am nächsten Tag fuhr die Polizei zu dem Wohnsitz von Herr Douglas und durchsuchte das gesamte Haus. Gut versteckt in einem Safe im Arbeitszimmer fanden sie schließlich einen Ordner der die Antworten lieferte. Ganz oben drauf befand sich ein Flugticket nach Amerika. Und der Flug ging schon am heutigen Tag. Das erklärte warum er selbst im Park aufgetaucht war. Er wollte es nicht länger Oscar überlassen. Er hatte schon zu oft versagt und es war die letzte Gelegenheit es zu Ende zu bringen was er schon so lange geplant hatte. Dass er kein Ticket für seinen Sohn hatte, den er doch schon gesagt hatte dass sie nach Amerika fliegen, zeigte dass er von Anfang an nicht vorhatte ihn mitzunehmen.

Die weiteren Unterlagen betrafen das Unternehmen für das Heer Douglas arbeitete. Es waren Dokumente über die Buchhaltung und Kontoübersichten der Firma. Es stellte sich heraus dass er viel Geld unterschlagen hatte. Die Summe belief sich auf mehrere Millionen Dollar. Alles weitere in diesem Ordner lies darauf schließen das Herr Douglas die Firma hintergangen hatte. Und nun mit dem Geld irgendwohin abhauen wollte. Zusätzlich fand man Immobilienpapiere die seinen Plan bis ins kleinste Detail aufdeckten. Es wurde spekuliert ob er nicht doch einen Komplizen in Amerika hatte.

Es war alles so schwer zu begreifen warum dass alles passiert war. Aber eins war mittlerweile sicher. Nämlich das es endlich ein Ende hatte. Ryan würde in Zukunft wieder normal leben können. Ohne die Angst verfolgt zu werden. Ich konnte mir vorstellen dass er auch froh darüber war nicht zu seinem Vater zurück zu müssen. Aber deswegen war auch unklar wo er bleiben sollte, wenn er das Krankenhaus verlassen konnte.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen als mich jemand leicht an der Schulter berührte. Ich sah auf und vor mir stand der ältere Doktor den ich schon letztes Mal kennen gelernt hatte. Er lächelte freundlich.

Mit warmer Stimme sagte er: “Schön zu sehen das es dir wieder besser geht. Du bist sicher hier um deinen Freund zu besuchen. Warst du schon bei ihm?”

Ich schüttelte kurz den Kopf.

“Gut. Ich muss vorher mit dir reden. Komm bitte mit in mein Büro”.

Ich stand ohne ein Wort auf und folgte ihm. Wir gingen in einen der hinteren Räume im Erdgeschoss. In seinem Büro war es hell. Überall lagen Berge von Papier. Der Schreibtisch war im Gegenteil zum restlichen Zimmer, sehr ordentlich. Es lag nur eine einzige Akte darauf. Der Doktor setzte sich und wies mich an mich auf einen der beiden Stühle zu setzen die vor seinem Schreibtisch standen.

Als ich mich setzte war es Gewissheit das jetzt der Moment kommen würde vor dem ich mich fürchtete. Der weswegen ich nicht hier her kommen wollte.

Der Doktor erzählte mir alles mit ruhiger Stimme. Ich konnte zu all dem nichts sagen. Ich war zu geschockt von dem was er mir erzählte. Doch seine Rede blieb nicht ohne Hoffnungsschimmer.

Als er endete schloss er die Akte die vor ihm lag. Er verschränkte die Arme und legte sie auf den Tisch. Er ließ mir einen Moment um alles zu begreifen.

Schließlich sagte er: “Da wäre noch etwas. Heute ist die Beisetzung seiner Mutter. Weißt du von diesem tragischen Vorfall?” Wieder nickte ich nur kurz und er sprach weiter. “Ryan will unbedingt zu ihr, was ich auch gut verstehen kann. Aber in seinem Zustand kann ich es als Arzt nicht verantworten dass er das Krankenhaus verlässt. Wenn etwas Unvorhersehbares geschehen sollte, würde man mich verantwortlich machen. Aber wenn du mit ihm gehen würdest, wäre das eine andere Sache. Dann könnte man eine Ausnahme machen. Ich bitte dich ihn zu begleiten”.

Ich wollte ihm sagen dass ich es mir überlegte. Aber das klang als würde ich es abschlagen. Anderseits war ich mir nicht sicher ob ich mitgehen sollte. Ich wusste nicht mal wie Ryan auf mich zu sprechen war. Wie konnte ich da die Entscheidung treffen ob ich mit zur Beerdigung gehe oder nicht. Das musste Ryan entscheiden. Um hier nicht noch länger zu sitzen und über etwas nachzudenken bei dem ich sowieso keine Antwort fand, nickte ich dem Doktor kurz zu und zeigte damit dass ich es wohl tun werde.

Ich stand auf und verließ den hellen Raum. Draußen auf dem Gang überlegte ich ob ich mich nicht doch noch etwas in den Aufenthaltsraums setzten sollte. Aber damit zog ich alles nur in die Länge. Zögern brachte nichts. Also ging ich mit gebeugter Haltung den Gang entlang. Ich wollte niemanden ins Gesicht schauen. Mit dem Aufzug fuhr ich nach oben, ging dann wieder einen langen Gang entlang und stand schließlich vor der richtigen Tür. Traute mich aber nicht sie zu öffnen.

Stumm stand ich da. Eine einzelne Träne lief mir die Wange hinab. Ich wischte sie schnell mit meinem Ärmel weg. Ich durfte jetzt nicht traurig aussehen. Das half keinem. Für einen Moment schloss ich die Augen und versuchte mit aller Kraft an etwas anderes zu denken als das was der Doktor mir erzählt hatte, sonst würden mir gleich wieder die Tränen kommen. Und ich wollte nicht vor ihm weinen.

Ich berührte die Türklinke. Jetzt geh schon, drängte ich mich. Es bringt nichts noch weiter hier zu stehen. Man kann es nicht ewig hinaus zögern.

Ich ließ den Kopf, trotz meinem Vorsatz nicht traurig auszusehen, hängen und betrat nun endlich mit hängenden Schultern den Raum. Ich traute mich nicht mich im Raum umzusehen. Ich ging schnurstracks auf Ryan zu der auf dem Bett saß. Er hatte eine schwarze Hose und eine schwarze Kapuzenjacke an. Die Decke hatte er weg geschlagen. Er saß nicht wie sonst mit eingezogenen Beinen da, sondern hatte sie ausgestreckt und schaute aus dem Fenster. Er tat so als würde er mich nicht bemerken.

Neben dem Bett stand ein Stuhl aber ich setzte mich nicht. Ich stand da, unfähig etwas zu sagen. Ryan sah mich nicht einmal an. Ich konnte sein Gesicht nur halb sehen. Das weiß in seinen dunklen Augen war leicht gerötet. Ich sah ihn direkt an um zu erkennen was er gerade dachte oder fühlte. Doch sein Gesicht war ausdruckslos. Er wirkte ruhig und gelassen.

Ich wusste nicht was ich von ihm erwartet hätte aber das er ruhig da sitzt, hätte ich nicht gedacht. Wenn ich in seiner Situation wäre würde ich wahrscheinlich am Boden zerstört sein. Aber Ryan zeigte es nicht. Das passte zu ihm. Er hatte mir sonst auch nie erzählt was ihn bedrückte. Bis auf das eine mal. Im Moment jedoch schien dieses Vertrauen wieder restlos verschwunden zu sein.

Ich wollte mich bei ihm entschuldigen. Aber für was? Das er wieder im Krankenhaus war? Dass es ihm so ging? Das sollte ich. Es war schließlich alles meine Schuld. Ich sollte auch gar nicht hier sein. Er sah mich ja nicht einmal an. Bestimmt wollte er dass ich gleich wieder verschwinde. Und das konnte ich gut verstehen.

Unerwartet drehte Ryan den Kopf. Aber er sah nicht mich an. Ich folgte seinem Blick und sah einen Rollstuhl der an der Wand stand. Mir tat alles auf einmal so leid, dass ich mir wünschte nie in sein Leben getreten zu sein. Jetzt wurde mir erst richtig klar das Ryan sicher alles schon wusste. Es war ja klar dass der Doktor ihm alles erzählt hatte.
 

Der Himmel war bewölkt und tiefe dunkle Wolken kündigten Regen an. Die Welt schien nur noch grau zu bestehen. Es wehte ein kühler Wind vor dem mich nicht mal meine Jacke schützen konnte. Die schmalen Kieswege zwischen den Gräbern waren frei. Nur noch an wenigen Stellen lag noch Schnee vom Winter. Die letzten Überreste eines Winters der wohl die schlimmste Zeit meines Lebens gewesen war. Und gleichzeitig hatte sich in diesem Winter etwas getan das mein Leben lebenswerter gemacht hatte. Man konnte nicht sagen ob es von nun an ein gutes Leben sein würde. Oder ob es voller Trauer bleiben würde.

Es war ein komisches Gefühl. Ich stand neben Ryan. Aber er stand nicht. Er saß neben mir in einem Rollstuhl. Vor uns war ein ausgehobenes Grab, an dessen Ende ein Pfarrer stand und tröstende Worte sprach. Rundherum waren noch ein paar Leute. Meistens Frauen. Eine von ihnen stand sehr nahe bei Ryan. Sie schienen sich zu kennen. Sie legte ihm kurz die Hand auf die Schulter als wir kamen und sagte es würde ihr leid tun und das sie für ihn da sein würde wenn er sie brauchen würde. Sie sah sehr freundlich aus mit ihren braunen Augen und dem langen hellbraunen Haar.

Danach hatte sie geschwiegen wie alle die hier waren. Ich kam mir fehl am Platz vor. Ich kannte seine Mutter nicht. Ryan hatte aber mit keinem Wort oder Zeichen gesagt das ich gehen sollte. Also blieb ich an seiner Seite. Wenn er aber wollte dass ich ging dann würde ich es ohne Widerworte tun.

Irgendwo in mir war ein Gefühl oder ein Gedanke der mich dazu bewegen wollte bei ihm zu bleiben. Vielleicht war es Reue. Die wollte das ich für das was ich ihm angetan hatte büße und es ihm schuldig bin mich um ihn zu kümmern. Das war das mindeste was ich tun konnte. Dieser Drang wurde immer stärker wenn ich daran dachte wie Ryans Leben in Zukunft aussehen würde. Mir wurde klar dass ich Teil dieser Zukunft werden wollte. Egal wie sie aussah.

Der Doktor hatte mir schonungslos eröffnet wie diese aussehen würde. Die Verletzungen die Ryan erlitten hatten blieben nicht ohne Folgen. Nachdem der Krankenwagen ihn damals in dieser schrecklichen Nacht abgeliefert hatte wurde er sofort Notoperiert. Vier Stunden schwebte er in Lebensgefahr. Die Schnittwunde, die von seiner Brust bis knapp bis zum Bauch ging, war wieder aufgegangen und musste noch einmal genäht werden. Außerdem hatte er viel Blut verloren. Noch ein wenig mehr und man hätte ihm nicht mehr helfen können. Aber das war nicht das schwerste Problem. Sondern die Schusswunde in seinen Rücken. Die Kugel hatte nur knapp die Wirbelsäule verfehlt. Er hatte großes Glück gehabt, hatte der Doktor gesagt. Aber trotzdem hatte die Kugel großen Schaden angerichtet. Das hatte zur Folge das Ryan für lange Zeit im Rollstuhl bleiben musste. Er entging nur knapp einer Querschnittslähmung. Trotzdem konnte er im Moment seine Beine nicht bewegen. Das lag daran das wichtige Muskeln und dein paar Nerven verletzt wurden. Er könne erst wieder normal laufen wenn er langwierig speziell die Beine trainieren würde. Sonst würde er für immer im Rollstuhl sitzen müssen. Und selbst wenn er dieses Training machte bestand die Möglichkeit dass er es nicht schaffte. Dazu hatte der Doktor noch gesagt dass es weitaus schlimmer hätte kommen können. Ryan hatte noch eine Chance. Wenn er nur hartneckisch an ihr halten würde, dann konnte er innerhalb von Monaten wieder richtig laufen.

Wenn ich daran dachte fühlte ich mich schuldig. Und das würde ich wohl für immer. Das konnte ich nicht mehr ändern. Aber ich konnte versuchen diese Schuld wenigstens ein klein bisschen wieder gut zu machen. Ich würde Ryan helfen wo ich nur konnte. Ich wollte für ihn da sein. Selbst wenn er sagen würde das ich gehen sollte.

Ich schaute auf als der Pfarrer seine Rede beendet hatte. Es dauerte noch bis alle gegangen waren. Die junge Frau hatte sich von Ryan verabschiedet und ihm ihr Beileid ausgesprochen. Und so waren Ryan und ich die letzten die noch hier waren.

Er schaute in das tiefe dunkle Grab. Und konnte seinen Blick nicht abwenden. Nur mit Mühe konnte ich den Gedanken daran wie ich mich fühlen würde wenn meine Mutter dort unten liegen würde, verdrängen. Ich blieb solange wie Ryan es wollte und sagte kein Wort. Er hatte die ganze Zeit die ich heute bei ihm war auch noch keinen Ton gesagt, was mich beunruhigte. Anderseits konnte ich es verstehen das ihm nicht nach reden zumute war. Aber gleichzeitig gab es mir auch das Gefühl das er wütend auf mich sein könnte.

Und nach schier endloser Zeit hob Ryan den Kopf. Er sah zum Himmel hinauf von wo die ersten Regentropfen herabfielen. Er wandte mir halb das Gesicht zu und ich wusste was er damit sagen wollte.

Als wir wieder im Krankenhaus ankamen regnete es in Strömen. Vincent der uns schon zur Beerdigung gefahren hatte war inzwischen wieder bei sich zu hause. Zuvor hatte ich mich noch bei ihm bedankt dass er da war. Er wusste anscheinend immer wenn man in brauchte.

Nun waren Ryan und ich wieder in seinem Zimmer. Die Atmosphäre war bedrückend. Das anhaltende Schweigen hing schwer im Raum. Das Licht hatte ich noch nicht eingeschaltet. Der Regen trommelte in ungleichmäßigen Takt gegen die Fensterscheibe und in den Raum schien gräuliches Licht. Draußen würde es bald dunkel sein aber man konnte noch gut sehen wo man hintrat.

Vor Ryans Bett blieb ich stehen. Ich wusste nicht so recht wie ich weiter mit ihm umgehen sollte. Er schien mich ausgeschlossen zu haben. Er redete ja nicht mal mehr mit mir. Obwohl ich wusste das dies bei ihm nichts ungewöhnliches war. Aber wir waren schon den ganzen Tag über zusammen. Da hätte ich erwartet dass er etwas sagte. Dadurch würde ich mich besser fühlen und nicht so als würde ich ihn nur stören.

Er saß einfach nur da. Zusammengesunken und in Gedanken vertieft. In seinem schwarzen Haar glänzten Regentropfen. Eine einzelne lief sacht hinunter und tropfte schließlich auf seine Wange wo sie bald über seine blassen Lippen lief und hinab tropfte. Dann folgte ihr eine weitere. Aber dies war kein Regen mehr. Seine Hände, die er auf seine Beine gelegt hatte, verkrampften sich und er zitterte leicht.

Ich wusste nicht was ich jetzt machen sollte. Die Vertrautheit die wir vor Tagen noch hatten war durch sein Schweigen wie in weite Ferne gerügt. Er beachtete mich nicht einmal und vielleicht brauchte er mich auch nicht mehr. Vielleicht sollte ich ihn alleine lassen. Es war ihm sicher auch unangenehm wenn ich hier noch lange stehen würde und ihn nur beobachte.

Und obwohl es mir jetzt falsch erschien musste ich bevor ich ging noch etwas tun. Ich ging um den Rollstuhl herum und wartete keine Sekunde mehr. Denn sonst würde es mir nur noch schwerer fallen. Ich beugte mich leicht zu ihm hinunter. Seine Hände die ein Stück Stoff seiner Hose fest hielten, lösten sich zögerlich und er legte mir, ohne mich anzusehen, die Arme um den Hals. Meine Hände legte ich auf seine Hüfte und hob ihn sachte hoch. Er war leicht. Leichter als man ihn schätzen würde. Er duftete angenehm nach frischer Luft und Regen. Auf der Bettkante setze ich ihn ab und nahm meine Hände weg. Ich wollte mich wieder aufrichten doch Ryan hatte mich noch nicht losgelassen. Seine Hände lagen auf meinem Rücken und es kam mir seltsam und zugleich vertraut vor. Ich wartete einen Moment ob er mich gleich los lies. Doch er tat es nicht. Er hielt mich immer noch fest und langsam schien seine Umarmung enger zu werden. Stück für Stück zog er mich näher an sich. Ich spürte seinen sanften Atem an meinem Ohr. Es war komisch aber irgendwie beruhigte es mich. Ich fühlte mich ihm so viel näher als je zuvor. Ich hörte seinem Atem zu und genoss seine Wärme. Denn jede Sekunde konnte dieser Moment wieder enden. Ich wünschte er würde ewig dauern.

Ganz leise hauchte Ryan die Worte: “Chris, bleib bei mir”.

Plötzlich fühlte ich mich als wäre die Sonne aufgegangen. Mir wurde warm und ein leichtes Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit. Und trotz der Trauer in mir musste ich in diesem Augenblick lächeln. Ich wusste das dies der schönste Augenblick war den ich je erlebt hatte. Ryan war mir so wichtig das jeder Gedanke daran ihn zu verlieren mir tief ins Herz stach. Und deshalb musste und wollte ich egal was geschehen würde bei ihm bleiben. Ich wollte ihm nahe sein.

Ich wollte ihn fest halten und nie mehr los lassen. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn. Erst war ich etwas unsicher. Dann schlang ich meine Arme um ihn zog ihn zu mir heran und drückte ihn so fest an mich das ich glaubte seinen Herzschlag zu spüren. Gleichmäßig fühlte ich wie er ein und ausatmete. Ich musste nichts mehr sagen. Er wusste dass ich von nun an immer bei ihm bleibe. Ryan war für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben geworden. Denn ich mehr als alles andere liebte. Und ich werde ihn niemals wieder alleine lassen. Egal was kommen würde. Ich lebte nur noch für ihn.



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Kommentare zu dieser Fanfic (97)
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Von:  Ilumynhi
2011-09-01T09:48:41+00:00 01.09.2011 11:48
Juuhhuuuu!
Chrisi ist so toll, will mehr von ihm lesen!
*Chrisi-fähnchen schwing* >o<
so eine tolle story verdient gar nicht genug lob "Chrisiii" >O<
Von:  Marge91
2009-12-02T21:55:07+00:00 02.12.2009 22:55
super kapi
ein dick es lob
mfg Marge91:)
Von: abgemeldet
2009-09-30T14:42:13+00:00 30.09.2009 16:42
deine geschichte war echt wunderschön. wenn auch traurig, unheimlich und bedrückend. das ende hätte ich so nicht erwartet. also, ich dachte mir irgendwie schon, dass ryans vater hinter dem ganzen steckte, aber ich dachte, er wäre von dem schuss gestorben. :( da wollte ich dann gar nicht mehr weiterlesen, aber ein glück hab ich es doch getan. :D
das ende war richtig super! es ist gut, dass nicht alles friede-freude-eierkuchen war (das hätte ja auch gar nicht zu ryans leben gepasst;)).
also: daumen rauf!
mach in deinen anderen storys weiter so! :D

Liebe Grüße Noa

Von: abgemeldet
2009-09-09T18:13:04+00:00 09.09.2009 20:13
awwww... so ein schönes ende..
Im ernst. Das war eine tolle geschichte. eine so richtig tolle.
Ich kam zwar in letzter zeit nicht dazu sie zu lesen, aber was solls. Ich bin eh verzögerungsgenießer. Ich freu mich voll, dass am ende doch noch mehr oder weniger alles gut gegangen ist, obwohl ich eigentlich kein freun von happy-ends bin. aber das hier hat mir gefallen! War echt eine mega story.
lg elmex
Von: abgemeldet
2009-07-23T23:15:38+00:00 24.07.2009 01:15
sehr schönes ende....
es erinnert mich an den anfang der story,wo
du meiner meinung nach besser geschrieben hast...
naja,nich besser....aber...kurz vor dem ende fand ich die story ganz ehrlich ....langweilig
aber durch das ende hat sich das "lange warten" ja ausgezahlt
cia lg
Von: abgemeldet
2009-07-17T19:39:29+00:00 17.07.2009 21:39
das war toll *-*
schade das da nicht
so eine szene mit
"chris, ich liebe dich" war
das wäre total toll gewesen ^^
aber allgemein fand ich dein ff
hammer geil & gut das ryan nicht
gestorben ist :3
Von: abgemeldet
2009-07-17T06:54:44+00:00 17.07.2009 08:54
Ich dachte erst ryan wäre gestorben aber zum glück nicht
Ryan hatte echt kein schönes leben und das mit seinem Vater ist echt voll krass
ich hätte mich echt gefreut wenn es noch weiter ginge, um auch zu wissen was mit Robert passiert is und so
Aber es war echt ein tolles ende und ich hoffe das ryan wieder laufen kann :D
Vielen dank für die ens
Lg
Nicki
Von:  Flusen
2009-07-14T21:31:17+00:00 14.07.2009 23:31
Was soll ich da noch meckern und sagen? einfach toll geworden ^^ Schönes Ende und ich bin traurig das es zu ende ist...
Von: abgemeldet
2009-07-14T10:19:37+00:00 14.07.2009 12:19
uah erste *_*
also da waren wohl ein Paar Rechtschreibfehler xD
aber ich bin kein besondere Deutsch Profi :)
also ich mochte dein Story von anfang an ^^
und das Ende *_*
es war so schön *__*
so toll :)
ich glaube o_O
ich habe zu jedm oder fast jedm Kapitel ein Kommentar abgegeben also xD
muss das reichen :)
ich kann nur nochmal sagen :)
Wundervoll <3
Von: abgemeldet
2009-07-02T17:06:54+00:00 02.07.2009 19:06
ryan darf nicht sterben q___q
aber das kapi war richtig interessant
& ich hoffe das das letzte wird genauso xDD
aber wehe ryan stirbt ò.ó dann gibts riesen
ärger mit mir ^^
ich freu mich schon voll drauf *-*


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