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Wolfsmond

von

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Prolog

Prolog
 

Die Luft in der Stadt war kalt und feucht. Überall hatten sich die Menschen in ihre Häuser verkrochen. Aus den Fenstern schien kein Licht, fast schon wirkte die Stadt wie ausgestorben. Die dreckigen Fassaden der Häuser ließen auf kein Leben schließen. Aufgegeben und vergessen, wie alles in dieser kleinen abgelegenen Stadt, von der aus man fast zwei Stunden zum nächst größten Ort brauchte.

Doch einige Straßen weiter, in der Petersstraße, rührte ein Lichtschein.

In der heruntergekommenen Telefonzelle stand eine dunkle Gestalt, doch man konnte sie durch die von Kälte beschlagenen Fenster nicht erkennen.

„Pssst... Sag es keinem! Morgen um drei Uhr...“, sprach die Gestalt.

Ihre Lippen bewegten sich kaum. Aus ihrem Mund stieg der vereiste Atem langsam zum Boden hinab.
 

Die Gestalt wirkte in dieser Stadt so fehl am Platz, wie sie in der flackernden Telefonzelle stand und so geheimnisvoll sprach. Die Lampe, die über ihr baumelte, leuchtete ein letztes mal auf und für einen kurzen Augenblick konnte man die Gestalt durch die beschlagenen Scheiben der Telefonzelle erkennen.

Es war eine junge Frau, nicht älter als fünfzehn, vielleicht sogar sechzehn Jahre, das ließ sich in der kurzen Zeit schlecht einschätzen. Jedenfalls trug sie einen schwarzen Hut, eine Sonnenbrille und ein schwarzes Jackett. Fast schon konnte man sie mit einem Mann verwechseln.
 

Die Lampe gab endgültig den Geist auf, doch das Mädchen schien sich nicht daran zu stören. Sie verschmolz mit der Dunkelheit der Umgebung und war nicht mehr sichtbar. Nur ein kleiner Schimmer des Mondes, der gegen die Wolken kämpfte, die ihn verdeckten, warf ein kleines Licht auf die Konturen des Gesichtes des Mädchens. „...unter der Brücke, ich und du, ich in schwarz gekleidet, so wie immer...“, sprach sie erneut in den Hörer und wartete einen Moment, bevor sie weiter redete, wieder, ohne den Mund groß zu bewegen, als fürchtete sie, dass jemand ihre Lippen lesen könnte. „... ich mit dem Koffer.. du holst dir ein Hotelzimmer!“, beendete sie das Gespräch und ließ das Telefon fallen, das fortwährend tutete. Das Mädchen schaute sich um, zog vorsichtig die Tür der Telefonzelle hinter sich zu und verschwand unbemerkt in der Dunkelheit der Nacht.
 

*
 

Zeitgleich, nur 600 Kilometer weiter ging ein achtzehn jähriges Mädchen auf der Brücke auf und ab. Unter ihr sausten die Autos vorbei. Morgen ist der große Tag, dachte sie, während sie sich über das Brückengeländer lehnte und ihr Handy fest in ihrer Handfläche hielt. Ohne mit der Wimper zu zucken ließ sie es schließlich fallen und drehte sich wieder um. Keiner würde jemals etwas merken, wenn die Übergabe morgen erfolgreich ablaufen sollte. Sie ließ ein leises Lachen ertönen und fixierte den Mond. Das Licht schimmerte auf ihrem Antlitz. Sie war ein hübsches Mädchen mit klaren Augen. Ein letztes Mal schaute sie hinunter auf die Autobahn und entdeckte mit Freuden die vielen kleinen Teile des Handys.

Niemand würde je etwas nachweisen und auf sie schließen können, denn sie hatte den einzigen Beweis vernichtet.

Ankunft

Kapitel 1.
 

Ankunft
 

Kiyo schaute auf ihre Armbanduhr und gähnte. Schon seit über vier Stunden saß sie in diesem Zug. Gelangweilt presste sie ihr verschlafenes Gesicht gegen die Fensterscheibe und starrte nach draußen, ohne irgend etwas bestimmtes anzuschauen. Das Abteil war so gut wie leer, nur drei Reihen vor ihr saß ein alter, dicker Mann, der lässig eine Zigarette rauchte und dabei die Zeitung des heutigen Tages las. Kiyo hasste den Geruch von Zigaretten.

Sie ließ ihren Blick wieder vom Fenster schweifen und hustete laut, doch der Mann machte keine Anstalten sich auch nur umzudrehen. So ein mieses Arschloch, dachte sie und trippelte mit den Fingern auf der Lehne des Sitzes. „Rauchen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist strengstens verboten!“, rief Kiyo dem Mann dem spöttisch zu, doch dieser zeigte immer noch kein Interesse. „..Und wird mit hohen Kosten bestraft!“, sagte sie nun so laut, dass die Frau im hinteren Abteil aufmerksam wurde und mit ihrem Getränkewagen hineingefahren kam.
 

„Du kleine miese Kröte!“, knurrte der fette Mann und ballte wütend die Zeitung, während er langsam und mit hochrotem Kopf aufstand. Kiyo umklammerte ihren Koffer, den sie schon die ganze Zeit auf ihrem Schoß liegen hatte.

Mit bösem Blick starrte sie den Mann genau in die Augen. Obwohl er immer noch mehr als vier Meter von ihr entfernt war, konnte er das Weiß in den Augen des Mädchens sehen. Er ging einen Schritt zurück. Diese Augen, sie machten ihm Angst. Schweiß lief ihm die Stirn herunter.

Was war das für ein Mädchen?

Und warum stieß sie ihn mit ihrem Anblick in den Wahnsinn?

Er verspürte schreckliche Kopfschmerzen. Alles um ihn herum verschwamm, wurde zur Hölle, unerträglich. Unauffällig stand Kiyo auf und verließ das Abteil, ohne das sie die Frau mit dem Getränkewagen, die immer noch den Mann beäugte, der sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte, sie auch nur im geringsten bemerkte.
 

*
 

Es musste schon nach drei Uhr sein. Die Sonne stand hoch am Himmel und nur wenige Wolken waren zu sehen. Trotzdem war es kalt. So kalt wie auch in den Nächten zuvor. Mit schnellen Schritten lief eine in dunkle Gestalt über das nasse Gras und wirbelte das Wasser auf. Wie ein Blitz raste sie durch den Wald an der Autobahn. Ein menschliches Wesen konnte es nicht sein, denn es war nicht größer als einen Meter und hatte den Körperbau eines Hundes.

Im Licht der Sonne, das durch die dichten Baumkronen schien, verwandelte sich der Schatten des Wesens in den eines Menschen. Sie verlangsamte ihren Schritt und lehnte sich an einen Baum, schwer keuchend. „Ich sollte mich nicht so oft am Tag verwandeln..“, sprach sie zu sich selber und schaute sich um. Erleichtert blickte sie über das am Boden liegende Laub.
 

Das junge Mädchen trug einen schwarzen Baskenmütze und ein schwarzes Jackett. Sie wischte sich den Mund mit ihrem Handrücken und drückte sich vom Baum ab. Mit der anderen Hand griff sie nach ihrem Koffer und lief wieder los.

Die Autobahnbrücke war schon in Sicht und das Mädchen achtete darauf, nicht von den Autofahrern gesehen zu werden. Auffliegen wäre das Schlimmste gewesen. Im Notfall hätte sie einen Plan gehabt, doch diesen einzusetzen, nur um den Koffer und ihre Identität zu schützen, wollte sie noch nie realisieren.

Sie zog ihre Sonnenbrille aus der Jackentasche und beeilte sich, nicht noch später zu ihrem vereinbarten Treffpunkt zu kommen, der so wichtig war, dass sie alles hinter sich gelassen hatte.
 

Das Mädchen lächelte, als sie endlich an der Brücke angekommen war.

Erstaunt schaute sie sich um, als sie ihre Partnerin nicht entdecken konnte.

„Halb vier, Kiyo...“, lachte jemand und trat hinter einer Säule der Autobahnbrücke hervor. Dieser Standort war klasse, genau die richtige Wahl. Durch die hohen Bäume, die sich am Straßenrand drängelten waren sie völlig ungestört und von der Autobahn aus konnte sie niemand sehen. Das Mädchen drehte sich um. „Tut mir Leid, es gab nen kleinen Zwischenfall im Zug und ich musste das letzte Stück bis hierhin durch den Wald laufen...“, sagte sie und legte den schweren Koffer ab. Forsch betrachtete das ältere Mädchen, dass nun einige Schritte näher an Kiyo heran kam, den Koffer. Sie zuckte leicht mit dem Mundwinkel, doch dann lachte sie. „Kiyo, hast du dich wieder verwandelt?

Der Griff ist ja ganz voll gesabbert!“ Kiyo schien das ziemlich peinlich zu sein und sie trat mit dem Fuß einige Steine vor sich herum. „So war ich schneller, Well...“, verteidigte sie sich selber und schaute ihre Partnerin verlegen an. „Schon okay, das weiß ich doch!“ Well wuschelte Kiyo durch ihre kurzen dunklen Haare und bückte sich nach dem Koffer. „Ich habe schon alles organisiert... uff, ist der schwer!“, fügte sie hinzu und tat sich schwer, den Koffer hoch zuheben.
 

*
 

„Wenn der Vollmond nicht bald kommt, werde ich noch Wahnsinnig!“, beschwerte sich Kiyo und ließ sich auf das weiche Bett fallen. In diesem Zimmer roch es wunderbar. Sie schnüffelte an dem Geruch, der sich langsam in dem Hotelzimmer verbreitete. Well kam in den Raum und lächelte Kiyo fröhlich an. Sie hielt ihren linken Arm hinter ihrem Rücken während sie mit der anderen Hand den Schlüssel umdrehte und die Kette vorhängte.

„Du hast Essen mitgebracht, dachtest du ich rieche das nicht?“, fragte Kiyo erstaunt und setzte sich aufrecht. Sie hatte schon seit fast zwei Tagen nichts mehr gegessen, zu nervös war sie der Übergabe wegen gewesen.

Well grinste. „Ja, und kannst du auch riechen, was ich hier hinter meinem Rücken halte?“ Dieses Spiel war zu leicht für Kiyo. Sie ließ sich zurück aufs Bett fallen. „Hühnchen und Reis...“, gab sie zurück und das Grinsen auf Wells Gesicht verschwand. „Du bist gemein! Du hast Zuhause heimlich geübt, stimmt’s?“ Well wirkte leicht angekratzt. Sie setzte sich neben Kiyo aufs Bett und stellte den Teller auf den Nachttisch. Kiyo hatte recht gehabt – Hühnchen und Reis! Erfolgreich lächelnd schaute sie Well an.
 

„Ich hab auch geübt!“

„Lass sehen!“, forderte Kiyo. Well schaute sie entsetzt an und blies ihre Wangen auf. „Tu doch nicht so, du weißt, dass ich das hier nicht machen kann!“

Sie schüttelte wieder willig den Kopf. „Schade... das hätte lustig werden können..“, stöhnte Kiyo und nahm sich eine Hühnchenkeule vom Teller.

„Pfo pfast du pfeigentpflich den Pfoffer pferpfeckt?“, frage Kiyo, während sie an der Keule knabberte. Well deutete wortlos auf den Boden. Dort lag ein Teppich. Kiyo verstand, ihre Freundin hatte den Koffer wohl in einem Hohlraum unterhalb des Holzbodens versteckt und den Teppich darauf gelegt. Der Teppich würde keinem auffallen, denn vor dem Bett gegenüber lag auch so einer.
 

*
 

Es würde noch mindestens zwei Tage dauern, bis der Mond sein volles Bild zeigen würde und das Licht der Vollmondnacht auf die Erde fällt, spekulierte Well. Sie stand auf dem Balkon und lehnte sich gegen das Geländer, Kiyo war längst eingeschlafen. Der kalte Wind zerrte an ihren Haaren. Was würde passieren, wenn man sie doch erwischen würde und der Koffer entdeckt wird? Well schüttelte sich bei diesen gedanken und kuschelte sich stärker in die Wolldecke ein. Diese Kälte vertrug sie nicht, aber trotzdem war sie hinaus auf den Balkon gegangen, um den Mond zusehen.

Kiyo hatte es gut, sie konnte essen, was sie wollte, aber bei ihr war es anders.

Es gab nur eines, was sie wollte:
 

Blut, frisches Menschenblut....

Raben und Vampire

Kapitel 2.
 

Raben und Vampire
 

Sanft streichelte sie über das weiche Fell des Wolfes. Für einen kurzen Moment stellte sie sich vor, das Kiyo ein echter Mensch wäre. Auf ihrer Zunge spürte sie den Geschmack von Blut. Hungrig schaute sie auf ihre Freundin herunter, die sich auf dem Bett zusammen gerollt hatte und schlief.

Am liebsten würde sie sich selbst für solche Gedanken bestrafen, doch es fiel ihr schwer an etwas anderes zu denken. Seufzend lies sich Well auf das gegenüberliegende Bett fallen und schaute eine weile lang an die Decke, bis sie schließlich, eingerollt in ihre Wolldecke, langsam einschlief.
 

Der Wecker klingelte ohrenbetäubend laut und flog noch fast im gleichen Moment gegen die Wand. „Wer hat dieses dumme Ding so laut gestellt?“, meckerte Kiyo, sich das Kopfkissen auf die Ohren pressend. Während des Schlafes hatte sie wieder ihre menschliche Form angenommen. In letzter Zeit konnte sie ihre Verwandlungen immer weniger kontrollieren, was ein großes Problem darstellte, da immer die Gefahr drohte, dass, wenn sie raus gehen sollte, jemand ihr Geheimnis erfährt. Stöhnend setzte sie sich auf und rieb sich die Augen, unter denen nun dunkle Augenringe zu sehen waren. Auch Well schien es nicht besser zu gehen.

Sie drehte sich noch ein paar mal, bis ihr die hellen Sonnenstrahlen des späten Morgens schließlich in den Augen weh taten und sie sich entschied, aufzustehen. „Heute müssen wir zu Raenef... dann haben wir endlich frei!“, sagte Well und streckte die Arme von sich.

„Heute schon? Na endlich...“, kicherte Kiyo. Sie begann sich anzuziehen, während Well den Koffer aus dem Versteck holte.
 


 

*
 

„Beeil dich! Wir kommen sonst schon wieder zu spät!“, rief Well die Straße hinunter. Kiyo folgte ihr keuchend. Sie war es einfach nicht gewohnt, so lange zu laufen, und das auf nur zwei Beinen! In ihrer wahren Form wäre so ein Sprint überhaupt kein Problem gewesen, aber hier, auf dieser dicht belaufenden Straße war das Risiko viel zu hoch, gesehen und man würde sie garantiert anzeigen.

Man hatte zwar schon seit über zehn Jahren keine Werwölfe mehr gefangen, und die meisten Menschen waren wohl auch der Überzeugung, dass sie diese Rasse komplett ausgerottet hatten, aber einen so großen Hund würde jeder erkennen und es würde nicht allzu lange dauern, bis sie dort hinkommt, wo auch ihre Eltern waren, auf dem Scheiterhaufen....

Die lauten Straßen teilten sich immer mehr in kleinere Gassen und wurden zu Labyrinthen der Stadt, in denen sich der Gestank aus den Kanalisationen unterhalb des Asphalts tummelte. Kiyo rümpfte ihre Nase, auch als Mensch war ihr Geruchssinn sehr ausgeprägt. Well verlangsamte ihren Schritt, als sie nach einigen kleinen Gassen vor einem Laden stehen blieb. Sie betrachtete ihn näher, während Kiyo sich leicht misstrauisch umschaute. Nirgendwo war ein Mensch zusehen, trotzdem fühlte sie sich schon die ganze Zeit lang beobachtet.

Das Tageslicht kam kaum bis auf den kühlen Boden, denn die Dächer der schmutzigen Häuser verdeckten die Sonne und nur hier und da, wo einige Holzbretter fehlten, fiel ein einsamer Lichtstrahl auf die Steine.
 

„Hier ist es..“, sagte Well in die Stille hinein und Kiyo zuckte vor Schreck heftig zusammen. „Aber warum ist Raenef noch nicht da?“, erwiderte Kiyo.

Diese ganze Situation kam ihr ziemlich merkwürdig vor. Well lächelte und zeigte auf einen Raben, der auf einer heruntergekommenen Bank vor dem Laden saß.

Kiyo hatte den Raben gar nicht bemerkt und noch immer haftete kein Geruch an ihm.

Der Rabe breitete seine Flügel aus und sein Körper veränderte sich. Ein schlanker, gutaussehender junger Mann erschien an seiner Stelle und verneigte sich freundlichen vor den beiden. Kiyo schaute ihn immer noch verwirrt an.

Sie kannte Raenefs Geruch doch, warum konnte sie ihn jetzt nicht mehr Wahrnehmen?

Hatte das doch damit zu tun, dass sie wegen der langen Zeit als Mensch immer mehr zu gerade diesem wurde? „Freut mich, dass ihr gekommen seit..“, begann Raenef die Unterhaltung. Well reichte ihm den Koffer, doch Raenef schüttelte nur den Kopf. „Tut mir Leid, Lady, aber ich kann den Koffer leider noch nicht annehmen...“, sagte er verlegen. Kiyo kicherte und nun war es Well, die ihn verwirrt anschaute. „Warum denn nicht?“, fragte sie und Raenef zog seinen Ärmel hoch. Die beiden Mädchen schluckten tief bei diesem Anblick. Auf dem Arm des Mannes war eine Riesige Fleischwunde die nur behelfsmäßig zusammengenäht war.

Um die Wunde herum war ein merkwürdiges Mal gezogen worden.
 

Kiyo schaute es entsetzt an. „Die...die AGW ist dir auf die Spur gekommen?!“, sagte sie ungläubig. Raenef war nicht so einer, der sich einfach fangen ließ, schließlich war ein wirklich intelligenter Raben Dämon und konnte sich für gewöhnlich, und dass Bewunderte Kiyo jedes mal aufs neue, sehr gut tarnen und verstecken. „Ja... Diese Mistkerle haben mir einen Spion angeheftet, der mir die ganze Zeit gefolgt ist, bis ich einen Moment nicht aufgepasst habe, dann hat er mich einfach Angegriffen, ganz ohne Beweise!“, beschwerte sich Raenef und stemmte die Hände in die Hüften. „Hmm... Das Ministerium würde so etwas doch eigentlich gar nicht zulassen, oder? Also ich meine, dass sie einfach Leuten ohne Beweise hinterher spionieren und dann noch einfach angreifen... für einen Fehlgriff wäre das Risiko doch viel zu groß, dass alles an die Öffentlichkeit gerät, oder?“, sagte Well plötzlich. Raenef nickte. Wahrscheinlich hatte er sich genau das auch schon oft gedacht. Das Ministerium des Landes genoss hohes Ansehen bei der Bevölkerung, vor allem bei der oberen Schicht. AGW war eine der Abteilungen des Ministeriums, die sich vor allem mit illegalen und gefährlichen Wesen beschäftigte. Normalerweise brachte man diese gefährlichen Wesen eher mit Tieren wie Tigern und Löwen, sowie giftigen Reptilien in Verbindung.

Doch seit letzer Zeit hatte sich eine Extraeinheit der AGW gegründet, die immer noch der festen Überzeugung waren, dass dort unter den Menschen in der Stadt immer noch irgendwo diese Wesen lebten, die alle fürchteten – Dämonen.
 

„Das ist es wohl auch genau, was sie wollen... Mein Aussehen kennen sie jetzt jedenfalls und ich kann mich längere Zeit nicht mehr in meiner menschlichen Form zeigen“, führte Raenef fort und holte tief Luft. „...deshalb bitte ich euch beide, noch ein wenig auf den Koffer aufzupassen. Die AGW darf ihn auf keinen Fall in die Hände bekommen, sonst sind wir alle geliefert!“

Well öffnete gerade ihren Mund und wollte etwas sagen, doch Kiyo war schneller. „A.. Aber wie sollen wir zwei das schaffen, wenn du es schon nicht geschafft hast, Meister Raenef?!“, fragte sie erstaunt und ihre großen Augen schauten direkt in die des Rabendämons. Kiyo war nicht gerade die Person, die sich unbedingt zurücknahm, einfach so aus Höflichkeit, aber vor Raenef, sowie auch vor ihrer Freundin Well hatte sie riesigen Respekt und vertraute ihnen voll und ganz.

„Keine Sorge..“, erwiderte Raenef und lächelte in Kiyos verwirrtes Gesicht. „Glaubst du wirklich, ich lasse meine geliebten Gehilfinnen alles allein erledigen?“ Er schnippte mit den Fingern und eine dunkle Wolke erschien hinter ihm. Well hustete und rieb sich die Augen um besser sehen zu können.

Aus der Wolke stieg ein Junge, nicht viel älter als Kiyo. Er hatte hellblondes, fast weißes Haar, das ihm bis zum Nacken reichte und dunkel blaue Augen.

Er lächelte die beiden leicht nervös an und verneigte sich dann vor seinem Meister Raenef. Kiyo betrachtete ihn gespannt und wollte unbedingt seine Stimme hören.
 

„Darf ich vorstellen?“, sagte Raenef und hustete leicht. „Das ist Eurutis. Er wird euch begleiten und euch auch sicherlich nützlich sein.“

Raenef gab ihm einen kleinen Schubs hinüber zu den beiden Mädchen.

„Er ist wirklich sehr talentiert und genau wie du..“, er musterte Kiyo.

„..ein Werwolf aus dem Norden.“ Eurutis lief bei den Worten seines Meisters rot an und Kiyo kicherte leise.
 

*
 

„Wann kommst du wieder?“, sagte Well und wendete sich besorgt an Raenef.

Er ging einen Schritt auf sie zu und schaute in ihre Augen. „Ich sagte doch bereits, macht euch keine Sorgen..“ Dann schaute hinauf zu den Dächern der Häuser. Plötzlich packte Well Raenefs Arm und er zuckte zusammen.

Kiyo und Eurutis beobachteten das Schauspiel erstaunt. „Ich weiß doch, dass du Schmerzen hast!“, schrie sie ihn an. Aus ihren Augen quollen dicke Tränen.

Das Lächeln auf Raenefs Gesicht verschwand und er wirkte auf einmal so fremd. Ohne sein Lächeln erkannte man ihn kaum. „Bitte! Ich will dich nicht gehen lassen!“ Sie hielt weiterhin seinen Arm fest und zitterte am ganzen Körper.

„Tut mir Leid“, erwiderte er und löste sich aus ihrem Griff. „Macht eure Aufgabe bitte gut..!“ Er drehte sich um und rannte in eine Gasse. Schniefend lief ihm Well nach, doch dort, wo er hingegangen war, baute sich lediglich eine hohe Wand vor ihr auf. Enttäuscht ließ sich Well auf die Knie fallen und hielt die Hände vor die Augen. „Warum... Raenef.. WARUM?!“

Sehnsucht

Kapitel 3.
 

Sehnsucht
 


 

„Well...“, flüsterte Kiyo leise, setze sich neben sie und streichelte ihr sanft über den Rücken, um sie zu beruhigen. Kiyo wusste, wie viel Raenef Well bedeutete, er war schließlich ihr Meister und die beiden haben es immer genossen, von ihm zu lernen. Eurutis stand die ganze Zeit über am Ende der Gasse und beobachtete die zwei Mädchen, die er ab jetzt begleiten sollte.

Er fand nicht die richtigen Worte, wollte nichts sagen, nichts, was Well hätte verletzen können, dafür kannte er die beiden zu wenig. Die ganze Situation war ihm einfach nur unangenehm.
 

Kiyo reichte Well ein Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Ihre Augen waren ganz rot geworden. Sie schluckte tief, bis sie schließlich aufstand, wenn auch noch leicht schwankend, doch Kiyo half ihr, nicht umzufallen. „Keine Sorge“, beruhigte Kiyo sie. „Er kommt wieder, das hat er doch gesagt, und Meister Raenef hat doch noch nie gelogen, oder?“ Kiyo grinste und auf Wells Gesicht ließ sich ein kleines Lächeln sehen.

„Du hast recht, was würde ich nur ohne dich machen?!“, erwiderte sie und rieb sich die Augen.
 

Umso besser sie auf den Koffer aufpassen würden, desto zufriedener wäre Raenef mit ihnen, dachte Well. „Lass uns unsere Sache gut machen!“, entspannte sich Kiyo und winkte Eurutis zu sich hinüber. Eurutis kam, ein wenig verwundert, auf die beiden zu. „Gut, unsere einzige Aufgabe besteht darin, den Koffer hier“, sie klopfte auf den Koffer den Well neben sich gestellt hatte.

„Solange zu beschützen, bis Raenef zurückkommt!“ Eurutis schaute Kiyo verwirrt an. „Was ist denn überhaupt in dem Koffer drin?“, fragte er und Kiyo lief rot an. „Nunja... das wissen wir auch nicht..“, versuchte sie zu erklären.

„Es geht uns auch gar nichts an, der Koffer gehört schließlich Raenef und wir haben geschworen, nicht rein zu gucken, solange er es uns nicht erlaubt!“, griff Well ein und schaute Eurutis neugierig an. Kiyo hingegen war selber enttäuscht, nicht zu wissen, was sie denn schon die ganze Zeit mit sich herumgetragen haben, aber dann erinnerte sie sich an den Schwur, den sie Raenef gegeben hat und sie wollte sein Vertrauen auf gar keinen Fall missbrauchen.
 

„Ich würde sagen“, begann Kiyo und schaute Eurutis ein wenig schüchtern an, dann blickte sie hinüber zu Well, die rechts von ihr stand. „Dass wir wieder ins Hotel gehen sollten...“ Well nickte, Eurutis zuckte mit den Schultern.
 

*
 

Die Lobby des Hotels war menschenleer, kein Wunder, denn es war bereits nach elf Uhr. Die drei hatten die Zeit total vergessen und konnten nur von Glück reden, dass der Hausmeister sie noch rein gelassen hat. Eurutis ließ sich erschöpft auf eins der Sofas fallen, die sich in dem großen Raum befanden. Seine hellen Haare fielen ihm ins Gesicht und er atmete tief ein und aus. Kiyo und Well hingegen schauten sich in dem Zimmer um. Nach einiger Zeit schüttelte Kiyo den Kopf und schob den Vorhang des Fensters gegenüber der Sitzecke zu. Well nickte daraufhin. „Gut, Wanzen, Kameras und so weiter scheint es hier also nicht zu geben!“, sagte sie erleichtert und ließ sich neben Eurutis fallen. Schon seit Tagen hatte sie sich nicht mehr richtig ausgeruht und sie machte sich immer noch Sorgen um Raenef, doch in diesem Moment fühlte sie sich völlig entspannt. Eurutis blickte schüchtern das Mädchen neben ihm an. So eine hübsche Dämonen Frau hatte er noch nie gesehen und er konnte einfach nicht den Blick von ihr lassen.
 

„Hey, aufwachen!“, sagte Kiyo und rüttelte an Eurutis Schulter.

Er war neben Well eingeschlafen, die ihn jetzt ziemlich überrascht anschaute. Eurutis, immer noch verschlafen, öffnete langsam die Augen und blickte zu Kiyo hinauf. „Was ist denn los?“, nörgelte er und rieb sich die Wange, auf der er dicke Streifen von dem Sofa hatte. „Wir können doch nicht hier in der Lobby bleiben! Was ist denn dann mit dem Koffer?!“, antwortete sie und schaute ihn erstaunt an. Raenef hatte zwar gesagt, dass Eurutis ebenfalls ein Wolfsdämon aus dem Norden sei, aber trotzdem sah er Kiyo überhaupt nicht ähnlich.

Kiyo seufzte und half ihm auf, während Well den Koffer nahm und Richtung Aufzug ging. Eurutis stützte sich an sie, er war einfach zu müde, um allein zu gehen. „Nehmt ihr den Aufzug“, sagte Well und drückte bereits die Taste für das zweite Stockwerk. „Ich nehm die Treppe, ich habs nicht so mit diesen Dingern...“, fuhr sie fort und rannte mit dem Koffer unterm Arm die Treppenstufen hinauf.
 

*
 

Im Aufzug herrschte eine merkwürdige Stimmung. Kiyo wollte irgendwas sagen, aber ihr fiel einfach nichts ein. Eurutis hatte sich müde gegen die Wand gelehnt und gähnte. Einen kurzen Moment lang betrachtete Kiyo ihn. Er war wirklich sehr gutaussehend und Kiyo mochte seine hellen Haare, sein junges Gesicht und seine leicht gebräunte Haut, wie sie sie nur aus diesen Zeitschriften, die sich die jungen Mädchen aus dem Waisenheim in Norwegen, in dem sie aufgewachsen war, immer gekauft hatten. Trotzdem war Eurutis ganz anders.

Er hatte etwas Mysteriöses an sich. Die Blicke der beiden Wolfsdämonen trafen sich und Kiyo schaute schnell auf den Boden. Fast im selben Moment öffnete sich der Aufzug und sie half ihm, mit hochrotem Gesicht immer noch auf den Boden starrend, heraus.
 

Well wartete bereits vor der Tür, mit dem Koffer in der Hand.

Kiyo hatte ganz vergessen, ihr den Zimmerschlüssel zugeben, den sie den ganzen Tag über in der Hosentasche mit sich getragen hatte. Sie öffnete die Tür und half Eurutis hinein, Well folgte ihnen. Das Zimmer sah aus, wie sie es verlassen hatten, stellte Well erleichtert fest. Einzig das Bett wurde gemacht, aber sie konnte nirgendwo Wanzen oder Kameras der AGW entdecken. Kiyo legte Eurutis auf das Bett, in dem sie zuvor geschlafen hatte und es dauerte nicht lange, bis er in tiefen Schlaf gefallen war.
 

„Meinst du man kann ihm wirklich trauen?“, fragte Well und unterbrach die Stille. „Ich hoffe es“, antwortete Kiyo und legte eine Decke über Eurutis. „Irgendwas ist komisch an ihm“, bemerkte Well und beugte sich über ihn. „Ja, er hat dich vorhin die ganze Zeit angestarrt...!“, rutschte es Kiyo raus und sie schlug sich die Hände vor den Mund. Well trat zurück und ging auf den Balkon. „Neidisch?“, fragte sie und lächelte Kiyo sanft an. „Überhaupt nicht!“, erwiderte sie angekratzt und folgte ihrer Freundin auf den Balkon. „Naja, so ein bisschen schon...“, flüsterte Kiyo und schloss die Balkontür hinter sich. Der Koffer weilte wieder in seinem Versteck unter der Holzdiele, auf die sie den Teppich gelegt hatte. Well schaute Sehnsüchtig zum Mond hinauf. „Ich wünschte nur, dass alles schnell vorbei ist, und wir endlich wieder bei Meister Raenef leben können“, sagte sie traurig und lehnte sich gegen das Geländer. „Ja, ich hab keine Lust, dass man mich wieder ins Waisenheim steckt“, bemerkte Kiyo und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Kiyo hatte die Zeit im Waisenheim immer gehasst. Dort behandelte man sie wie eine Ware. Drittrangig und ohne jeden Wert. Für den Vorstand waren alle Armen gleich und Kiyo wunderte sich oft, warum er ein Waisenheim errichtet hatte, wenn er arme und kranke Menschen so sehr verabscheute. Aber dann musste sie sich immer daran erinnern, was eine der Schwestern dort immer gesagt hatte.

Du darfst es den Menschen nicht so übel nehmen, sagte sie immer, wenn Kiyo sich über den Vorsteher beschwert hatte, sie würden alles für Geld und Ruhm tun, und glücklicher Weise kommt es auch manchmal uns zugute.

„Weißt du, für mich ist es das Wichtigste, dass wir zusammen bleiben“, sagte Well und Kiyo lehnte sich neben sie. „Wir beide und Raenef.“ Kiyo nickte. Sie konnte dem nichts entgegensetzten. Auch sie konnte Raenef sehr gut leiden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  HoneySun
2008-08-13T21:15:58+00:00 13.08.2008 23:15
voll gut.^^
diesmal hab ich echt nichts auszusetzen.
außer einige wortwiederholungen vllt.xD
Von:  HoneySun
2008-08-03T21:11:33+00:00 03.08.2008 23:11
gut geschrieben.
allerdings erfolgt die handlung irgendwie etwas zu rasch. die ereignisse kommen schlag auf schlag und grundlos.
das is verwirrend und ich musste es zweimal lesen um alles in ne ordentliche reihefolge zu bekommen.
aber die idee an sich gefällt mir.^^
Von:  HoneySun
2008-07-14T15:29:39+00:00 14.07.2008 17:29
wow, echt toll geschrieben.
mir gefällt die geheimnisvolle stimmung.^^


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