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Das Leben ist schwarz...schwarzblau

Zwei Welten krachen aufeinander
von

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Kapitel 1 Teil 1und 2

Kapitel 1 Teil 1
 

Noch nie hatte ich weniger Lust aufzustehen, als Heute. Nein. Vielleicht sollte ich es anders formulieren: Heute ist mal wieder kein Tag, an dem ich gerne aufstehe. Einer von 365 Tagen im Jahr, an denen ich nicht gerne aufstehe. Ehrlich gesagt kann ich mich an keinen Tag erinnern, an dem es anders gewesen ist, seit… ist wohl zu lang her.
 

Nach langem Zögern und Winden schäle ich mich endlich aus meinem gemütlichen Bett, dem einzigen Ort in diesem Haus, an dem ich mich manchmal entspannen kann. Warum noch länger gegen das Unvermeidliche ankämpfen? Das habe ich schon lange aufgegeben.
 

Einen Kampf zu kämpfen, den man nicht gewinnen kann ist nicht nur sinnlos sondern auch dumm, eine Qualität die ich glücklicherweise nicht besitze. Ein Blick in den Spiegel sagt mir, ich werde am ersten Tag in dieser neuen Folteranstalt beschissen aussehen. Lässt sich jetzt auch nicht mehr ändern, denn der Wecker erinnert mich freundlicherweise daran, dass ich auch noch zu spät kommen werde.
 

Was für ein mieser Tag, wie jeder dieser 365 Tage, an denen es besser gewesen wäre im Bett zu bleiben!
 

Als ich den verlassenen Gang entlang gehe, merke ich, wie meine Schritte immer langsamer werden. 210…211…212. Ich bleibe stehen. Ich könnte mich jetzt einfach umdrehen, langsam und gelassen diesen trostlosen, mit krankenhausgrünen Spinden voll gestellten, muffigen Schulgang zurücklaufen, die Treppe nach unten nehmen und hinaus in die nicht vorhandene Sonnen treten, um einen schönen Tag in irgendeinem einsamen, nasskalten Park zu verbringen.
 

Ich glaube ich würde mir jetzt sogar lieber ne Stunde Musikantenstadel reinziehen, als diesen Raum zu betreten und das will schon was heißen! Aber stattdessen hebt sich meine Hand wie von allein, um gegen die rostrote Tür mit der Nummer 212 zu klopfen.

Mein Hirn wehrt sich verzweifelt gegen diese Bewegung, es arbeitet auf Hochtouren, stemmt sich mit aller Kraft dagegen, ächzt und stöhnt, bäumt sich verzweifelt auf uuuund…verliert den Kampf. Scheiß Hirn!
 

Mir ist als könnte ich die Schnüre sehen, mit denen ein unsichtbarer Puppenspieler meinen blassen, dünnen Körper (vom Hirn im Stich gelassen) meiner Kontrolle entreißt und mich zu Dingen zwingt, die kein vernünftiger Mensch tun sollte. Unter seinen geschickten Fingern tanze ich ganz nach seinem Willen, ohnmächtig auch nur einen Schritt entgegen seinen Absichten zu tun.
 

Hätte ich Fantasie, würde ich mir vielleicht etwas in der Art vorstellen und wer weiß, ich würde mich dann ob meiner Ohnmacht vielleicht etwas besser fühlen, aber die habe ich leider nicht und selbst wenn ich sie hätte, würde ich mir das nie abkaufen. Göttliche Marionettenspieler, wie alt bin ich denn, drei?
 

Ich bin mit der zerstörerischen Gabe gesegnet, der Realität ungeschönt ins Gesicht sehen zu können. Das nenne ich echt Glück, ein Hoch auf den göttlichen Marionettenspieler, der entschieden hat, welche Gaben er in das Set: „Elija“ packt, er hatte wirklich einen außerordentlich schlechten Geschmack.

In dieser Realität, hätte es Konsequenzen, wenn ich jetzt einfach gehen würde, Konsequenzen, vor denen ich mehr Angst habe, als vor allem Anderen und die zu tragen ich nicht bereit bin; nicht schon wieder.
 

Jemand scheint mein Klopfen bemerkt zu haben.

„Herein!“, ruft eine Frauenstimme durch die Tür.

Sie ist mir schon jetzt unsympathisch; unangenehm schrill und aufgesetzt fröhlich.
 

Die letzte Chance mich zu verdrücken, habe ich verschenkt, das Tor zu Hölle hat sich geöffnet. Ein schneller Blick durch den Raum offenbart etwa 25 Übungsteufel, die alle mit erwartungsvollem Blick an mir hängen und jeden meiner Schritte mit Argusaugen verfolgen.

„Ah, du musst Elija sein. Der Direktor hat schon angekündigt, dass ein neuer Schüler in unsere Klasse kommt“, dringt es an meine Ohren.

„Willst du dich nicht kurz vorstellen?“

Wow, ich wusste gar nicht, dass die Hölle gefrieren kann, aber meine rapide sinkende Laune hat das geschafft. Man lernt eben nie aus.

Erwartungsvoll liegt ihr Blick auf mir.
 

Ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, mich mit diesem neuen und überaus nervigen Exemplar der Spezies Lehrer genauer auseinander zu setzen. Als ich jetzt meinen Blick kurz hebe, wird mein erster Endruck sofort bestätigt. Karierte Hochwasserhosen, hochgezogen bis kurz unter die Brust, eine orange Weste über einem grünen Wollpulli, schaut sie mir, unter einer akkurat gescheitelten Nichtfrisur, durch eine vergoldete Brille mit Leopardenoptik, direkt in die Augen. An diesem außergewöhnlich schönen Exemplar können sie alle Merkmale dieser Spezies in vollster Ausprägung bewundern. So was habe ich ja noch nie gesehen, das ist ja museumsreif.
 

Noch lächelt sie. Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und wende mich, auf der Suche nach einem freien Platz, der Klasse zu. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie dieses falsche Lächeln langsam von ihrem Gesicht tröpfelt und sie die Stirn runzelt, als wüsste sie was da noch auf sie zukommt.
 

Viel Glück, kann ich nur sagen! Ich bin hier und das muss reichen, mehr wird sie von mir nicht kriegen.
 

Ganz hinten an einem Zweiertisch ist ein Platz neben einem Jungen mit braunen verstrubbelten Haaren frei. Es wird noch mal um ein paar Grad kälter; kein Einzeltisch mehr. Auf meinem Weg durch den Raum begegnen mir viele verwunderte und überraschte Blicke. Kein Wunder ich hätte wahrscheinlich auch nicht anders ausgesehen, wenn ich mich hier vorne gesehen hätte:
 

Ein 17-Jähriger Trottel: mittelgroß, blasse, fast weiße Haut, rabenschwarzes Haar, das ihm wirr ins Gesicht hängt und seine grünen Augen beinahe gänzlich verdeckt. Ganz und gar unauffällig und durchschnittlich, wären da nicht diese feindseligen Augen, die manchen Schüler schnell den Blick senken lassen, wenn er vorbeikommt, und diese Kleidung, an der kein Fleckchen Farbe zu erkennen ist. Schwarz, schwarz wie sein Haar. Überhaupt scheint alles an ihm Schwarz zu sein, sodass die unnatürlich blasse Haut und die grünen Augen das Einzige sind, was sich von der Dunkelheit abhebt.
 

Ich glaube nicht, dass ich mich gefreut hätte, wenn sich jemand wie ich neben mich gesetzt hätte. Es ist also das gute Recht meines neuen Nebensitzers das Gesicht zu verziehen, genervte Blicke mit den Nachbarn zu tauschen, ein Stückchen von mir weg zu rutschen und mich für den Rest des Schuljahres nicht mehr anzusprechen. Unvorsichtigerweise riskiere ich einen Blick nach links und werde fast von einem gigantischen Lächeln erschlagen. Eine Frohnatur, das hat mir gerade noch gefehlt!
 

„Hi, ich bin Denis“, er streckt mir seine Hand hin und wieder lächelt er, „Du warst ja nich’ gerade nett zu der alten Kramer“, stellt er fest.

Memo an mich selbst: Schildchen mit „Kramer“ vor dem Schaukasten im Museum für exotische Spezies aufstellen.
 

Als ich weder seine Hand nehme, noch ihm antworte, verebbt auch dieses Lächeln und erlaubt meinen geblendeten Augen eine kleine Erholungspause. Ja, darin bin ich gut, bis jetzt habe ich noch jeden Anflug eines Lächelns, das auch nur irgendwie an mich gerichtet war, verschwinden lassen. (Ich bin ein zweiter Houdini.) Bei manchen dauert es länger, bei anderen geht es überraschend schnell. Ich hoffe mal, er gehört zur letzteren Sorte, denn jedes Lächeln birgt für mich eine Erwartung.
 

Das heißt bei keinem Lächeln: keine Erwartung. Niemand, den ich enttäuschen könnte…
 

„Du scheinst ja eher von der ruhigen Sorte zu sein. Aber das macht nichts, denn meine Freunde und zu meinem Leidwesen auch die Lehrer, sagen ich rede für mindesten Zwei. Wir müssten also gut miteinander auskommen…“

Dieser erneute Kontaktversuch meines Nebensitzers reißt mich aus meinen Gedanken. Völlig überrumpelt, ich hatte nicht mit diesem Wortschwall gerechnet, entweicht mir ein leises:

„Häh?“

Ein amüsiertes Funkeln ist in seinen Augen zu sehen: „Du kannst ja doch sprechen! Und ich hatte schon gefürchtet Gebärdensprache lernen zu müssen.“

„…“

„…“
 

Hab ich ihn zum schweigen gebracht? Mein Gott, für zwei? Der redet für Zehn! Und selbst das ist noch maßlos untertrieben.

Hoffnungsvoll schwenkt mein Blick aus dem Fenster, doch leider ist kein Ufo in Sicht, um mich aus dieser Hölle zu entführen und ein paar perverse Tests mit mir durchzuführen. Wenn man sie mal brauchen könnte, sind die nicht da!
 

Dass ich es neben… wie hieß er noch… ach ja, Denis, lange aushalte, bezweifle ich stark. Vielleicht sollte ich schon mal meinen letzten Willen zu Papier bringen. Plötzlich spüre ich einen Blick auf mir ruhen und eine böse Vorahnung überkommt mich, als ich mich umwende.

„Ich hab mich schon gefragt, wie lange es dauert“, er starrt mich unverwandt an, ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel.
 

Langsam geht er mir wirklich auf die Nerven. „Was willst du!?“, zische ich.

„Hey, warum so aggressiv? Ich hab nur versucht ein normales Gespräch mit dir zu führen, aber du bist so wortkarg, dass selbst Regenwürmer neben dir gesprächig aussehen... und bei denen bin ich mir nicht mal sicher, ob sie überhaupt Laute von sich geben können. Haben die überhaupt einen Mund?“, er kratzt sich nachdenklich am Kopf und fährt fort (Bitte ihr Aliens kommt und rettet mich!):

„Du beantwortest mir jetzt ein Paar Fragen und…“, eine Kurze Geste erstickt meinen Protest „…und wage es ja nicht, nur zu schweigen…“, er wartet auf einen erneuten Protest. Ich bin still, will nichts tun, was ihn dazu veranlassen könnte noch mehr zu sagen. Er zuckt nur mit den Schultern.
 

„Na dann, Erstens: Wie kommt unsere Schule zu der Ehre dich hier als neuestes Opfer begrüßen zu dürfen: Bist du neu in der Stadt? Zweitens: Hast du irgendwelche Hobbys oder Interessen, die sich für einen zivilisierteren Smalltalk eignen? Denn weißt du, das machen normale Menschen, wenn sie neue Leute kennen lernen: Reden. Und Drittens, und das interessiert mich am meisten: Kannst du mit den ganzen Haaren vor den Augen überhaupt noch was sehen?“
 

Ich glaube, ich muss ziemlich dämlich aussehen, denn er jedenfalls bricht in schallendes Gelächter aus und die ganze Klasse dreht sich verwundert zu uns um.
 

„Du“, quetscht er zwischen einzelnen Lachsalven hervor, „bist echt komisch!“

Das Kompliment kann ich gerne zurückgeben. Ich kann mich nicht erinnern, wann jemand zum letzten Mal in meinem Beisein so bescheuert… und herzlich gelacht hat…
 

Ist wohl zu lange her.
 


 

Kapitel 1 Teil 2
 

Elija sitzt jetzt schon seit eineinhalb Monaten neben mir und ich weiß eigentlich immer noch nicht viel mehr über ihn als in der ersten Stunde. Wahrscheinlich hat er es mir sehr übel genommen, dass ich diesen Lachanfall hatte, aber er sah einfach zu komisch aus, wie er da so zwischen seinen Haaren hervorlugte, die Augen überrascht geweitet.
 

Seitdem jedenfalls, hat er nicht mehr als zwei, drei Worte mit mir gewechselt und das, ehrlich gesagt, geht mir langsam ziemlich auf die Nerven. Ich bin ja sonst sehr geduldig, aber bei ihm stoße ich langsam aber sicher an meine Grenzen. So was Stures hab ich noch nie erlebt. Wenigstens ist er konsequent, das muss man ihm lassen.
 

Ich blicke auf meine rechte Seite. Er ist nicht da. Wenn er hier wäre, säße er jetzt da, seinen Kopf auf die Arme gestützt, mit trübem Blick ins Nichts starrend. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er dabei mit offenen Augen schläft.

Nicht, dass er nicht schlafen würde. Er schläft eigentlich dauernd, während des Unterrichts, in den Pausen, sogar während des Sportunterrichts habe ich ihn schon schlafen gesehen: Den Kopf in die Hände gebettet, seelenruhig, als ob er zu Hause im Bett sei. Wenn er dann mal wach ist (und das ist echt selten) scheint er mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein.

Ich frage mich wirklich warum er überhaupt kommt, wenn er nie etwas mitkriegt. Erstaunlicherweise schafft er es trotzdem in den meisten Fächern zumindest sechs Punkte zu kriegen, auch wenn er die Lehrer in den Wahnsinn treibt. Er meldet sich nie und wenn er aufgerufen wird, weigert er sich schlicht und ergreifend.
 

Der Vorfall während der Biostunde letzte Woche schleicht sich in meine Gedanken. Da hat er sich echt was geleistet:
 

„Was meinen sie denn zum Thema Genmanipulation Elija?“

Den Blick aus müden Augen suchend durch den Raum gleiten lassend, versuchte er offenbar die störende Stimme zu orten, bis er schließlich die Lehrerin anvisierte.

„Schön, dass sie wieder bei uns sind, ich wiederhole mich ja nur ungern, aber ich würde gerne ihre Meinung zu Genmanipulation hören!“

Dass er sich überhaupt aufsetzte, grenzte schon an ein Wunder und dass er etwas sagen würde, hatte ich sowieso nicht erwartet. Das folgende Schweigen war also voraussehbar. Langsam schien auch die sonst recht geduldige Frau Witzbacher ihre Geduld zu verlieren.
 

„Elija, wenn sie jetzt nicht sofort antworten, muss ich ihnen einen Eintrag wegen Arbeitsverweigerung erteilen! Ich habe langsam genug von ihnen und ihren anderen Lehrern geht es genauso! Sie kommen hier in die Schule, schlafen, beteiligen sich nie und antworten nicht mal auf Fragen! Das wird noch ernsthafte Konsequenzen haben! Das wird in ihrem Zeugnis vermerkt und ich werde ihre Eltern kontaktieren. Solches Verhalten kann und werde ich nicht mehr dulden!!“

Ich hatte die Frau noch nie so in Rage gesehen. Der sonst so ruhigen und stillen Frau Witzbacher reißt der Geduldsfaden und sie brüllt durchs Klassenzimmer. So was war seit Jahren nicht mehr passiert.
 

In der Klasse war es Mucksmäuschen still, alle Blicke waren auf Elija gerichtet. Was ich sah schockierte mich. Noch nie hatte ich ein derart feindseliges Glitzern in den Augen eines anderen Menschen gesehen. Doch nicht nur Feindseligkeit und unverhohlene Wut, etwas anderes, das ich nicht deuten konnte, lag in seinem Blick.
 

Die Fingerknöchel der Hände traten selbst durch seine blasse Haut deutlich weiß hervor. Ich konnte hören, wie sein Atem merklich schneller ging, so als würde er kurz vor einem Wutausbruch stehen. Er rang offensichtlich um die Beherrschung und man konnte sehen, wie sich ganz langsam seine Hände entspannten, sein Atem sich beruhigte und er kurz die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, war er völlig ruhig. Fast schon zu ruhig für meinen Geschmack. Der Endruck, dass es in seinem Inneren immer noch brodelte ließ mich nicht los.
 

Was zum Teufel hatte ihn derart aus der Fassung gebracht? Es war nicht das erste Mal, dass die Lehrer ihn wegen seines Verhaltens rügten.
 

„Wissen sie Frau Witzbacher in diesem wunderbaren Klassenraum sitzen 25 Schüler, die wie willige kleine Schweinchen, die nichts ahnend auf den Metzger zulaufen, nur darauf warten eine ihrer bescheuerten Fragen zu beantworten. Aber sie haben nichts Besseres zu tun, als sich den einzigen Schüler auszusuchen, von dem sie wissen, dass er nicht antworten wird. Warum? Nun, das kann ich ihnen sagen.

Ihr bemitleidenswertes Lehrerleben ist so bedeutungslos und nichts sagend, dass sie die Schüler, die so viel mehr haben als sie, die sich noch nicht, wie sie, jede Chance verbaut haben aus dieser grauen Einöde zu flüchten, die sie Leben nennen, abgrundtief hassen.

Wissen sie, was ich denke: Sie sitzen jeden Abend zu Hause, verfluchen ihr Lehrerdasein und bemitleiden sich selbst, fragen sich, warum kein Mann jemals mit ihnen ausgegangen ist und ob sie alleine sterben werden. Und dann irgendwann im Laufe des Abends, wandern ihre Gedanken zur Schule, zu den Schülern und sie sehen, was diese Drecksbälger, die ihnen das Leben schwer machen, alles haben und sie nicht.

Ganz allmählich wird diese Eifersucht dann zu Hass, den sie dann an armen Schülern auslassen, denen es auch nicht anders geht als ihnen.

Und das, ist einfach nur erbärmlich!“
 

Man konnte eine Stecknadel fallen hören. Nicht nur, dass sich niemand je getraut hätte so etwas zu einem Lehrer zu sagen, keiner von uns hatte Elija je so viele Worte auf einmal sagen hören.
 

Das entsetzte Gesicht unserer Lehrerin werde ich nie vergessen.
 

Seitdem ist eine Woche vergangen. Kurz darauf hatte er einfach den Unterricht verlassen und war seitdem nicht mehr in der Schule. Die ganze Klasse fragt sich, was er wohl für eine Strafe bekommen hat und unsere gute Frau Witzbacher hat seitdem besonders schlechte Laune.
 

Manchmal frage ich mich ob Elija nicht nahe an der Wahrheit vorbeigeschrammt ist, so wie sie sich gerade aufführt, könnte man meinen sie hasst die Schüler wirklich. Vielleicht hasst sie aber auch nur einen ganz speziell…
 

„Denis! Hey Denis, sag mal schläfst du? Es hat schon längst geklingelt. Wir haben Pause“, reißt mein bester Freund Sebastian mich aus meinen Gedanken.

„Sorry, hab vor mich hin geträumt.“

„Ja das scheint mir auch so“, grinst er. „Wer ist sie denn?“

„Häh?“

„Mann bist du heute intelligent. Ich meine das Mädchen von dem du gerade geträumt hast.“
 

„Oh, ach so! Nein, ich denk nicht dauernd nur Mädels, ich bin ja nicht du“, grinse ich ihm entgegen, “Ich hab mich bloß gefragt wo Elija steckt. Er war schon seit einer Woche nicht mehr in der Schule.“

„Du meinst den Neuen? Na ja, nach dem, was der sich geleistet hat, würde ich auch nicht mehr in die Schule kommen… Warum machst du dir überhaupt Gedanken um diesen Freak, der kann dir doch völlig egal sein und glaub mir, du bist ihm mit Sicherheit vollkommen schnuppe.“
 

„Ich…“

„Ja, ja“, lachend zieht er mich von meinem Platz hoch, „ich kenne doch deine soziale Ader. Nur weil er jetzt dein Nebensitzer ist, fühlst du dich für ihn verantwortlich. Aber du solltest dich besser von ihm fernhalten. Er ist unfreundlich, griesgrämig und so wortkarg wie eine Friedhofsmauer. Außerdem ist er mir unheimlich. Schau doch mal wie der sich schon anzieht, n’ Trauerzug könnte nich gegen den anstinken, so schwarz ist der. Glaub mir, wenn du dich mit dem abgibst, dann endest du mit Depressionen beim Psychiater. Oder noch schlimmer auf’m Tisch vom nächsten Leichenbestatter. Du weißt ja, da gibt es mysteriöse Verbindungen zwischen zu viel Schwarz und Selbstmord…“
 

„Jetzt hör schon auf“, meine ich scherzhaft, das Zucken um seine Mundwinkel hat mich besänftigt, „So was sagt man nicht. Er ist doch eh schon ein Außenseiter, da musst du ihn nicht auch noch schlecht machen.“

„Aber wenn’s doch wahr ist…“
 

Genervt schmeiße ich meine Schultasche in die Ecke meines Zimmers. Wie kann dieser Biodrachen es wagen, uns einen fünfseitigen Aufsatz über Genmanipulation aufzugeben. Die hat sie doch nicht mehr alle. Das ist alles nur die Schuld von diesem schwarzen Freak. Hätte er sie nicht so auf die Palme gebracht, hätte ich jetzt einen schönen, ruhigen Nachmittag.
 

Missmutig, stampfe ich in die Küche, um mir einen kleinen Snack zu holen.

„Was ist dir den für eine Laus über die Leber gelaufen?“, meine Mutter schaut mich fragend an, „Oder wohl doch eher eine ganze Lausarmee?“

„Ich hab nur viel Arbeit für die Schule, das ist alles“, meine ich kurz angebunden.

„Na, dann musst du dich halt beeilen mit Einkaufen. Du weißt doch noch, was du mir gestern versprochen hast, oder?“

„Oh Mist! Das hatte ich total vergessen.“ Das hat mir gerade noch gefehlt. Aber, versprochen ist versprochen. Noch missmutiger als vorher trample ich geradezu in den Flur um meine Schuhe anzuziehen.

„Bis später Mum.“
 

Ich habe Glück, denn im Supermarkt scheint es relativ leer zu sein. Suchend laufe ich mit meiner Einkaufsliste durch die Gänge. Brühwürfel…Brühwürfel… Ich glaube sie haben den Markt umgeräumt; anders kann ich mir nicht erklären, warum ich diese dämlichen Brühwürfel einfach nicht finden kann. Hilfe suchend blicke ich mich um und tatsächlich sehe ich an der nächsten Ecke einen Supermarktschergen in grüner Uniform, der mit einem mehr als siffig aussehenden Wischmopp den Boden schrubbt.
 

Ich nähere mich ihm von Hinten und tippe ihm vorsichtig auf die Schulter.

„Entschuldigen sie bitte, ich bin auf der Suche nach den Brühwürf…“, als der Angestellte sich umdreht stocke ich mitten im Satz.
 

Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt, die grünen Klamotten lassen ihn ganz anders aussehen, aber es besteht kein Zweifel, dieser grüne Putzmann ist doch wirklich…
 

„Elija, was machst du denn hier?“

Kapitel 2 Teil 1 und 2

Kapitel 2 Teil 1
 

Gott, wie ich diese Arbeit hasse! So was Stumpfsinniges dürfte niemandem zugemutet werden. Bodenwischen. Was tut man nicht alles für ein bisschen Geld. Nicht mehr lange, bald habe ich alles zusammen, dann kann ich diesen Scheißladen endlich verlassen. Aber davor; ein seltenes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen; werde ich dem Chef hier mal ordentlich die Meinung geigen.
 

Meine Gedanken Schweifen bei dieser hoffnungslosen Unterbeschäftigung umher und bleiben an einem äußerst unangenehmen Thema hängen: Schule. Ich habe mich schon länger nicht mehr dort blicken lassen, vielleicht sollte ich Morgen wieder hingehen, nicht, dass sie auf die Idee kommen, meinen Vater anzurufen oder jemanden vorbeizuschicken um mir Hausaufgaben zu bringen. Obwohl ich bezweifle, dass jemand dazu bereit wäre. Ich könnte ja beißen.
 

„Entschuldigen sie bitte, ich bin auf der Suche nach…“
 

Dass die Leute immer meinen, nur weil man in eine scheußlich grüne Uniform gezwängt wurde, wie Personal aussieht und zufällig auch zum Personal gehört, einen auch wie Personal behandeln zu müssen. Ich bin nur eine verdammte Putze, ich habe keine Ahnung, wo der Krempel ist, den sie suchen und ehrlich gesagt ist es nicht mein Problem, wenn sie zu blöd sind ihn selbst zu finden.

Wenn ich aber meinen Job behalten will, muss ich lammfromm, immer scheiße freundlich sein und den Kunden ihre Wünsche von den Augen ablesen, obwohl ich sie am liebsten angeschrien hätte. Was es dann doch wieder zu meinem Problem macht. Das heißt, King Kunde bekommt was immer seine Hoheit wünschen.
 

„…den Brühwürf…“, als ich mich genervt umwende stockt nicht nur dieser King.

„Elija, was machst du denn hier?“
 

Denis! Ich wurde auf frischer Tat ertappt. Ein leuchtender Ritter in froschgrüner Rüstung, der den wehrlosen Boden mit einem gefährlich scharfen Wischmopp ersticht. Weglaufen ist zwecklos, der König hat’s gesehen, also kann ich mich genauso gut dem Kampf stellen.
 

Herausfordernd blicke ich Denis direkt im seine azurblauen Augen, in denen es belustigt funkelt. Ich ahne Schlimmes; nur zu gut ist mir sein letzter Lachanfall noch im Gedächtnis.
 

„Wage es ja nicht!“, zische ich durch zusammengebissene Zähne hervor.

Er kann ein Glucksen nicht mehr unterdrücken. „Ich muss sagen, dieses Grün steht dir ausgezeichnet, solltest du immer tragen.“

Als er mein Gesicht sieht, wird er sofort wieder ernst. Für ihn mag das vielleicht lustig sein aber für mich wird es langsam bitterer Ernst.
 

In den ersten Wochen, in denen ich hier gearbeitet habe, hatte ich jeden Moment Angst, einer meiner Klassenkameraden oder ein Lehrer würde mich hier sehen. Dieser ausgeprägte Verfolgungswahn hat sich erst wieder gelegt, als nach einem Monat immer noch niemand vorbeigekommen war. Niemand, der mich in dieser lächerlichen Kluft gesehen hat, Niemand, der es in der Schule rumerzählen würde, vor allem keine Möglichkeit, dass mein Vater davon erfahren könnte.
 

Alles war „perfekt“. Dann kommt dieser grinsende Idiot und macht alles kaputt.

Wenn er in der Schule erzählt, dass ich arbeite, während ich doch eigentlich krank zu Haus liege, kann ich mich auf noch mehr Ärger gefasst machen.

Nicht zu sprechen von den Hänseleien, die ich dann über mich ergehen lassen müsste. Bis jetzt war ich einfach der missachtete Außenseiter, dem sich niemand auch nur auf zehn Meter Entfernung nähert und das war mir gerade Recht. Das kann sich jedoch schnell ändern, ehe du dich versiehst, bist du schon von allen gemobbt und nicht nur gemieden. Dazu hab ich nun echt keinen Bock, das darf ich unter keinen Umständen zulassen.
 

„Tut mir Leid“, murmelt er zerknirscht. „Aber du musst doch zugeben, dieses Grün fordert einen geradezu auf sich darüber lustig zu machen. Ich frag’ mich ernsthaft, wer dermaßen an Geschmacksverirrung leidet.“

„Also ich bin’s bestimmt nicht. Wenn ich hier das Sagen hätte, wäre das Farbspektrum deutlich beschränkter.“
 

Er schaut mich an als hätte ich ihm gerade einen rosa (oder besser grünen) Elefanten vorgeführt.

„Was! Man wird doch wohl mal was sagen dürfen.“

„Man schon, aber von dir hätte ich das nicht erwartet. Das waren jetzt tatsächlich mehr als…“, er zahlt es an den Fingern ab, „…drei Worte. Ein absoluter Rekord, die Biostunde von neulich mal ausgenommen. Herzlichen Glückwunsch!“, herausfordernd grinst er mich an.
 

Dieser Typ ist ja richtig ironisch, hätte ich nicht gedacht, und hartnäckig noch dazu, dafür muss ich ihm widerwillig Respekt zollen. In den letzten Wochen habe ich alles getan um dieses Lächeln von seinem Gesicht zu wischen. Hab ihn nur angezischt, wenn er nett war, hab ihn ignoriert und bin auf keinen seiner Versuche eingegangen.
 

Trotzdem steht er hier und lächelt, lächelt mich in seiner unnachahmlich naiven Art an. Vielleicht ist er einfach nur unsagbar dämlich, jeder normale Mensch hätte schon längst aufgegeben, hätte es gemacht wie all die Anderen in der Schule und mich einfach wie einen Aussätzigen behandelt.
 

Sein haselnussbraunes, kurzes Haar steht wie wild in alle Himmelsrichtungen ab, er trägt lockere Jeans und einen grau gestreiften Pullover: Normal durch und durch. Und doch blitzt mir aus seinen blauen Augen nichts als der Schalk entgegen. Keine Verachtung, keine Abscheu, nichts darin verrät, dass er mich anders behandelt, als er seine Freunde behandeln würde. Wer ist der Kerl, ein Alien im Menschenkostüm?
 

Wie er da steht mit seinen kleinen Grübchen, die entstehen, wenn er lacht.

Was zum…Warum zum Teufel weiß ich so was? Er ist mir doch eigentlich total egal, sogar mehr als das, also warum? Warum fällt mir so was dann auf? Wahrscheinlich habe ich sein Lächeln schon zu oft gesehen, das passiert mir selten. Ich weiß nicht ob ich ihm dafür dankbar sein oder ihn dafür hassen soll, dass er es immer noch versucht.
 

„Apropos Biostunde…“, ich schrecke aus meinen Gedanken. Ich hab ihn doch nicht etwa angestarrt!? Offensichtlich hat er nichts bemerkt, denn er redet munter weiter, „…ich wette du hast dir eine saftige Strafe eingefangen. Was musst du denn machen?“
 

Irgendwie habe ich das dämliche Gefühl ich schulde ihm eine Antwort, wofür will mir allerdings nicht in den Sinn kommen.

„Na ja, ich muss für eine Woche das Jungenklo putzen. Wie du siehst“, ich schwenke den Wischmopp, „bin ich noch in Übung, also wird das kein allzu großes Problem.“

„Bist du noch ganz bei Trost? Hast du dich da drinnen mal umgesehen. Ich bin Heil froh, dass ich die Sauerei nicht wegmachen muss und du glaubst, dass das kein Problem ist?! So schlimm war das Ganze nun auch wieder nicht, dass du so eine Strafe verdient hättest. Du hast mein vollstes Mitgefühl.“
 

Meine sorgfältig aufgebaute Mauer aus falschem Optimismus stürzt sang- und klanglos in sich zusammen. Besonders stabil kann sie ja nicht gewesen sein, wenn dieser von Denis geworfene Kieselstein sie zum Einsturz bringt. Ich bin schon echt erbärmlich, jeder Depp kann anständige Mauern bauen. Natürlich wird es ein Problem werden. Es ist widerlich, es ist entwürdigend und demütigend. Wenn die anderen Schulmonster das mitkriegen, sieht mein Leben noch beschissener aus, als es eh schon ist.
 

Missmutig fange ich wieder an meinen Mopp zu schwingen; hätte ich bloß nichts gesagt.

„Auf dein Mitleid kann ich verzichten, das hilft mir nicht weiter.“
 

Wenn er doch nur verschwinden würde. Ich kann ihn langsam nicht mehr ertragen. Seine Art ist so was von entwaffnend, dass ich mir völlig wehrlos vorkomme, ein Gefühl, das ich hasse, das ich nie wieder erfahren möchte, das mich dazu bewegt mich von ihm abzuwenden, nur um seiner erdrückenden Präsenz zu entkommen. Er ist zu viel.
 

„Du hast doch nach den Brühwürfeln gefragt. Die sind da hinten, den Gang entlang, dann rechts; das unterste Regal links.“

Er soll ruhig merken, dass er zu weit gegangen ist, soll ruhig merken, dass er nicht erwünscht ist. An seinem Blick kann ich sehen, dass die Botschaft durchaus angekommen ist. Na also, wir verstehen uns.

Nichts wie weg hier.
 

„Machst du das eigentlich immer so?“, er klingt sauer. „Stößt alle Leute vor den Kopf, die nett zu dir sein wollen, als ob du vor nichts mehr Angst hättest, als dass dir Menschen auf irgendeine Weise zu nahe kommen könnten? Glaubst du wirklich, dass die Menschen so schlecht sind?“
 

Ich bleibe Stehen. „Das geht dich nichts an. Du hast ja keine Ahnung!“

Ich habe diese „Menschen“ gesehen und hinter ihrer scheinheiligen Fassade sind sie hässlich. Verzerrte Fratzen, gierig und verdorben. Abstoßend, so wie ich.

Das Holz des Besenstiels drückt sich in meine Handflächen, so fest schließen sich meine Hände darum. Ein Zittern durchläuft meinen Körper während meine Kiefer sich so fest aufeinander pressen, dass es wehtut.
 

Seine Worte gingen tiefer als er gedacht hätte; haben mich dort verletzt, wo ich am verwundbarsten bin und die scheußliche, eitrige Wunde dort weiter aufgerissen. In einem Versuch die Situation zu entspannen meint er: „Tut mir Leid, ich hätte das nicht sagen dürfen. Ich…“
 

„Da hast du Recht und jetzt verschwinde!“ Ich kann meine Wut kaum noch beherrschen, sie durchströmt meinen immer stärker bebenden Körper bis in die letzte Vene.

„Aber ich h…“

Wenn er jetzt noch eine Sekunde länger bleibt, passiert ein Unglück.

„Verdammt noch mal verschwinde endlich!“
 

Entsetzt bemerke ich wie eine Träne meine Wange herunterrollt, als ich meinen Kopf herumreiße und die letzten Worte in den Raum schreie. Es regnet. Zumindest wäre das eine Möglichkeit für dieses widerliche Nass in meinem Gesicht. Ich hab schon lange nicht mehr geheult, wenn jemand dabei war.
 

Einfach erbärmlich.
 

Beschämt wende ich mich ab, nur zu deutlich hat sich sein schockiertes Gesicht in mein Gedächtnis gebrannt, wie ein glühendes Brandsiegel; schmerzhaft und lange sichtbar.
 

Alles in mir schreit danach so schnell wie möglich zu verschwinden, mich in eine dunkle Ecke zu verkriechen, mich langsam in den Schlaf zu weinen und dann hoffentlich nie wieder aufzuwachen. Aber es gibt noch ein Letztes, was ich unbedingt klären muss, was mich daran hindert sofort die Flucht zu ergreifen, was lebensnotwendig ist, da ich bedauerlicherweise auch Morgen wieder aufwachen werde.
 

Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und versuche meine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen; ich will auf keinen Fall, dass sie weinerlich klingt, wäre ja noch schöner!
 

„D…Du wirst es doch keinem Erzählen, oder?“
 

Ich verfluche mich innerlich für den flehenden Unterton. Elija, was bist du doch für ein Weichei. In seinen Augen wirbeln im Moment hunderte von Gefühlen durcheinander und allmählich kristallisiert sich eines ganz deutlich heraus.
 

Oh bitte, lass es kein Mitleid sein, was da in deinen Augen schimmert! Ich will kein Mitleid von dir, nur eine einfache Antwort, mehr brauche ich nicht!
 

Er löst sich aus seiner Starre und räuspert sich: „Meine Lippen sind versiegelt!“

Ich habe das Gefühl, eine zentnerschwere Last fällt von meinen Schultern ab.
 

„Danke“, flüstere ich ihm in Gedanken zu. Auszusprechen wage ich es nicht, kann es nicht. Ein „Danke“ verbindet zwei Menschen und das darf ich nicht mehr zulassen.
 

Niemals.
 


 


 

Kapitel 2 Teil 2
 

Verwirrt bleibe ich allein im Gang des Supermarktes zurück. Das hatte ich nicht erwartet. Immer wieder sehe ich sein tränennasses Gesicht. Aber noch mehr spuken mir seine Worte im Kopf herum: „D…Du wirst es doch keinem Erzählen, oder?“
 

Er sah so verdammt einsam, verlassen und hilflos aus. Die unerwartet starke Welle des Mitleids, die mich daraufhin überkam, schwappt noch immer in meinem Inneren und will einfach nicht zur Ruhe kommen. Vom Gedanken an sein gequältes Gesicht, als er sich meines Mitleides bewusst wurde, immer wieder aufgewiegelt,

peitscht sie durch meine Gedankenwelt und bringt alles durcheinander. Sein angespannter Gesichtsausdruck hat mir viel verraten, hat mir mehr verraten, als er je über sich preisgeben wollte.
 

Ich muss seit fünf Minuten unbewegt mitten um Gang stehen, denn einige Leute schauen mich schon komisch an. Langsam mache ich mich auf den Weg in Richtung Kasse, nur um dann festzustellen, dass ich noch immer keine Brühwürfel habe. Den Weg den Elija mir beschrieben hat, habe ich vergessen, darum beschließe ich, dass meine Mutter eben ohne sie auskommen muss.
 

Wie vernagelt starre ich auf das Blatt, auf dem bis jetzt Nichts steht als die Überschrift und selbst die dringt nicht bis in mein Hirn. Mist! So kann das nicht weiter gehen, ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Wütend wird das Papier mit samt den Stiften von Schreibtisch gewischt. Der Vorfall von heute Nachmittag geht mir nicht mehr aus dem Kopf, wie ein lästiger Ohrwurm.

Seufzend hebe ich alles wieder auf, lasse mich dann auf mein Bett fallen und starre an die weiße Decke.
 

Bis jetzt hatte ich eigentlich nur aus purer Neugier immer wieder versucht mehr aus Elija herauszuquetschen. Ich bemerke immer öfter, dass ich erschreckend viel vom Unterricht mitkriege, seit er neben mir sitzt. Das kann doch nicht gesund sein; ich brauche dringend jemanden, der mich ein bisschen von dem ermüdend lehrreichen Gelaber ablenkt und ihn kann ich da leider vergessen. Ein weiterer Grund ihn zum Reden zu bringen.
 

Aus ihm einen gesprächigen Menschen zu machen, würde wahrscheinlich mehrere Jahrhunderte dauern, die ich leider nicht habe, oder in meinem vorzeitigen und höchstwahrscheinlich gewaltsamen Tod enden, also habe ich das längst aufgegeben. Irgendwas an ihm lässt mich aber immer noch nicht los, sonst wäre ich ja kaum so hartnäckig, selbst, wenn das bei ihm keine Wirkung hat.
 

Diese ungewollte Faszination hat sich in etwas verändert, was ich nur mit Sorge beschreiben kann. Seit ich ihn derart aufgelöst erlebt habe, kommt er mir ganz anders vor. Immer wenn ich daran denke schnürt sich mir die Brust zu. Ich kann mir nicht vorstellen was er erlebt hat, aber es muss schlimm gewesen sein, dass er so ausflippt.
 

Er wirkt auf mich immer so stark und unnahbar, so als würde ihn nichts interessieren und ihm nichts wirklich nahe gehen. Heute ist seine Maske kurz gefallen und in ihm brodeln Gefühle, von denen ich keine Ahnung habe, von denen Niemand in seinem Alter Ahnung haben sollte, mit einer Intensität, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, die mir sogar ein bisschen Angst macht.
 

Ich mache mir ernsthafte Sorgen. Sorgen um einen Menschen, von dem ich absolut nichts weiß, dem ich wahrscheinlich egal bin, der mich nicht leiden kann und der auch mir egal sein könnte.

Sein sollte.
 

Aber aus einem unerfindlichen Grund ist er es nicht und das irritiert mich gewaltig. Ich bin halt, wie Sebastian schon sagte, ein sozialer Mensch. Beruhigt ist mein Gewissen, das mich vor der Einmischung in fremde Angelegenheiten warnt, aber nicht wirklich …
 

„Drrrrrrrrrrrrrrrrrring, drrrrrrrrrrrrrrrring!“
 

Ein unangenehmes und durchdringendes Geräusch, das nur von meinem Wecker stammen kann, reißt mich aus dem Schlaf. Schlaf? Ich muss wohl gestern Abend beim Grübeln eingenickt sein, denn es ist kurz vor Sieben morgens: Zeit in die Schule zu gehen. Hastig suche ich meine Sachen zusammen und stürze aus dem Haus um meinen Bus noch zu erwischen.
 

Als ich das Klassenzimmer betrete, stelle ich verwundert fest, dass der rechte Platz neben mir besetzt ist und das, wie könnte es anders sein, von einem schwarzen Etwas, wie immer schlafend. Ich sacke hinunter auf meinen Platz, was ihn zum Aufschrecken bringt.
 

„Morgen!“, flöte ich ihm entgegen. Ich habe beschlossen erst mal nicht auf gestern einzugehen und meinem Ich-zermürbe-Elija-so-lange-bis-er-genug-redet-um-mich-vom-Unterricht-abzulenken-Plan treu zu bleiben.

Er hebt eine Augenbraue und mustert mich skeptisch durch seinen Wasserfall aus schwarzen Haaren hindurch.

„Morgn...“
 

Das habe ich nicht erwartet. Sebastian, den vor mir sitzt, dreht sich verwundert um und wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich kann nur mit den Schultern zucken, mir ist nicht ganz klar, was das jetzt zu bedeuten hat, wo ich doch vermutet hatte, dass er mich noch mehr ignoriert als vorher. Aber es stimmt mich fröhlich. Vielleicht taut er ja noch etwas auf. (Schritt 1: Morgendliches grüßen: geschafft!)
 

Vor Ende der Stunde fordert die Lehrerin Elija auf kurz da zu bleiben, da sie ihm noch etwas mitzuteilen hat. Langsam und bedächtig räume ich meine Schulsachen zusammen und bald sind nur noch er, ich und die Lehrerin übrig. Man will ja schließlich auf dem Laufenden bleiben.
 

„Elija wie sie bereits wissen, werden sie zur Strafe das Jungenklo putzen, kommen sie also bitte nach der letzten Stunde zum Hausmeister, der kann ihnen die Putzutensilien geben. Ich hoffe sie haben aus dieser Sache gelernt. Sie können jetzt gehen…“
 

Unauffällig versuche ich aus dem Raum zu kommen; beim offensichtlichen Lauschen erwischt zu werden, wäre dann doch peinlich; und habe ihn gerade verlassen, als hinter mir noch einmal eine Stimme ertönt:

„Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen. Die Schulleitung hat heute Morgen ihren Vater von der Sache unterrichtet. Er schien nicht besonders begeistert zu sein und als ich ihre Krankheit erwähnte, meinte er, dass er nichts davon wüsste.

Ich möchte ihnen nicht unterstellen, dass sie geschwänzt haben, deshalb bringen sie mir doch bitte ein Attest, sonst muss ich ihnen, so Leid es mir tut noch einen Eintrag geben und das in ihrem Zeugnis vermerken.“
 

Ich habe es für unmöglich gehalten, dass Elija noch blasser werden kann. Ich habe mich geirrt. Das was jetzt an mir vorbei aus der Tür herausstürmt, würde selbst einen Schneemann neidisch machen.
 

In der Hoffnung unentdeckt zu bleiben, folge ich ihm durch die halbe Schule aufs Jungenklo. Meine neu entwickelte Sorge treibt mich voran und lässt meinen Vorsatz, sich nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen, schmelzen wie Eis in der Saharasonne.
 

Es hat bereits geklingelt, sodass das Klo wie ausgestorben ist. Ich sehe gerade noch, wie er schnell in eine leere Kabine hechtet und sie hinter sich verschließt. Schon wieder benimmt er sich so seltsam.
 

Wie ich da so allein mitten im Raum stehe, dringt ein Würgen an meine Ohren, gefolgt von einem Ekel erregenden Platschen.
 

Ich kann nicht glauben, dass er sich übergeben hat. Ich sehe, wie er sich langsam auf den Boden der Kabine setzt. Sein tiefes und schnelles Atmen hallt von den Wänden wider; ich wage nicht auch nur das leiseste Geräusch zu machen. Plötzlich kracht es, gefolgt von einer Folge von Flüchen, die selbst mir rote Ohren bescheren. Wieder schlägt seine Faust gegen die Tür, immer wieder, bis er schließlich aufhört und sich langsam erhebt.
 

Panisch sehe ich mich nach einem Versteck um, finde, wie sollte es auch anders sein, keines, sodass er mir beim Türöffnen direkt gegenüber steht. Wie würde ich mich wohl fühlen, wenn jemand mich dabei beobachtet hätte, wie ich mich erst übergeben und dann einen nicht zu verachtenden Wutanfall gekriegt habe.

Grauenvoll; und schon zum x-ten Mal tut mir mein unbedachtes Handeln ungeheuer Leid. Dass ich meine Nase auch überall reinstecken muss!

Ich mache mich auf eine wütende Reaktion gefasst.
 

Diese bleibt jedoch aus.
 

Wie ferngesteuert geht er auf das Waschbecken zu, um sich das Blut abzuwaschen, das langsam von seinen Knöcheln rinnt und sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzten. Noch immer keine Reaktion auf meine Anwesenheit. Ich bin mir sicher, dass er mich sehr wohl bemerkt hat.
 

Kurz vor der Tür dreht er sich um, sieht mich mit undeutbarem Blick an und geht.
 

Wortlos.
 

Ich bleibe zurück. Wieder einmal sprachlos, seltsam traurig und verwirrter als je zuvor.

Kapitel 3 Teil 1 und 2

Kapitel 3 Teil 1
 

Das Kotzen bringt keine wirkliche Erleichterung, denn mein Magen zieht sich immer noch schmerzhaft zusammen und mein Gesicht könnte allen Geistern der Welt ernsthafte Konkurrenz machen.
 

Dann ist da auch noch Denis… Verdammt!

Warum, muss er schon wieder aufkreuzen und mich in einer Lage erwischen, in der mich absolut niemand sehen sollte. Zweimal, zweimal hat er schon zu viel gesehen. Ich sollte darüber nachdenken einen guten Killer zu finden, sonst wird’s gefährlich für mich.
 

Oh ja, ich hab es in seinen Augen gesehen… Sorge und Mitleid für mich, einen Fremden. Das passt zu ihm; die Rolle des barmherzigen Samariters, der alles aufs Spiel setzt um einem fremden Schwächling zu helfen. Solche Leute waren für mich immer schon suspekt, das kann auf Dauer nicht gesund sein. Andererseits sind sie wohl alle verkappte Masochisten, wer sonst würde sich diesem dauernden Bombardement mit Elend freiwillig aussetzten.
 

Bei ihm bin ich mir sicher, dass es, wenn man meine Situation bedenkt, nur schlecht ausgehen kann. Andererseits ist auch die Rolle des tragischen Helden ihm wie auf den Leib geschrieben. Sie passt wie angegossen. Und mal ehrlich ein tragischer und dazu noch perverser Held ist doch was Nettes.
 

Ich glaube allerdings nicht, dass er es bis zu mir in die unterste Hölle schaffen wird. Er wird irgendwann kurz vor dem Höllentor stehen bleiben, erschaudern, bei dem Anblick, der sich ihm dort bietet, und dann schnurstracks umkehren, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an mich zu verschwenden. Eigentlich schade, denn trotz der immer neuen Grausamkeiten, die genug Abwechslung in diese schwelenden Gluten bringen, wäre doch ein wenig Gesellschaft manchmal nicht schlecht. Warum nur eine Sorte Grillfleisch, wenn man zwei haben kann?
 

Mist, verdammter!

Jetzt werd ich auf einmal noch sentimental. Die Einsamkeit ist, mit ihrem herrlich verzweifelten und bodenlosen Schwarz, das einzige Gewand, das mir wirklich steht. Außerdem schwören so außergewöhnliche Modeikonen, wie der Tod höchstpersönlich auf diese Farbe und so, wie der Tod niemals Rosa tragen würde, so würde ich etwas anderes als einsame Schwärze gar nicht ertragen.

Ein bisschen Stil muss schon sein.
 

In den Unterricht zurück… ich könnte vor Freude Luftsprünge machen. Mir wird erneut schlecht. Auf weiteres unentschuldigtes Fehlen kommt es sowieso nicht mehr an. Mein Schicksal ist besiegelt, sobald ich heute nach der Schule einen Fuß über die Türschwelle unseres Hauses setze. Mein Magen zieht sich noch stärker zusammen, rumort und ein unangenehmes Brennen zieht sich meine Speiseröhre hinauf. Kloschüssel ich komme!
 

Nein!

Ich kann nicht zurück, weder in den Unterricht noch nach Hause.

Mein ganzer Körper ist auf einmal bleischwer, jeder weitere Schritt kostet mehr Kraft, als ich je aufbringen könnte. Der leere Schulgang beginnt von meinen Augen zu verschwimmen, alles dreht sich, wilde Formen und Muster wirbeln um mich herum.
 

Stimmen, Bilder, Schmerzen, immer wieder Schmerzen und eine Stimme die sich aus allen anderen deutlich hervorhebt. Wie ein Messer sticht sie in meinen Kopf und treibt mich schier in den Wahnsinn. Verzweifelt reiße ich meine Hände nach oben und presse sie mir auf die Ohren, kneife die Augen fest zusammen.
 

Lass sie doch bitte verschwinden!

Mach, dass sie sofort verschwindet! Lass mich taub werden oder lass mich einfach sterben, nur mach, dass es aufhört!
 

Je verzweifelter ich gegen diese Erinnerungen ankämpfe, umso lauter dröhnen sie in meinem Schädel. Ich spüre den kalten Boden unter meinem Rücken; kalter Schweiß bedeckt meinen Körper… Kalt, mir ist so furchtbar kalt.
 

Ich habe das Gefühl zu ertrinken, in einem Meer aus tiefschwarzen Erinnerungen, das mich eiskalt in die Tiefe zerrt, mir die lebensnotwendige Luft aus den Lungen presst und mich dazu zwingt immer mehr dieses schwarzen Wassers zu trinken, das wie Gift durch meine Adern pulsiert und mit jedem Herzschlag mehr Erinnerungen freisetzt. Säure in meinen Gedanken.
 

Das Glitzern der Wasseroberfläche schwindet langsam aus meinem Blick, hinterlässt nichts als Schwärze.
 

Einen letzten Versuch sollte ich starten… aber wozu? Selbst, wenn ich es diesmal schaffen sollte, werde ich an einem anderen Tag untergehen. Warum dann unnötig Kraft verschwenden? Lass dich doch einfach niedersinken… ertrinke… ergib dich den Erinnerungen… jetzt wäre es so einfach. Du musst nur aufhören zu kämpfen.
 

Immer weiter gleite ich hinab…
 

Hör auf, wehr dich nicht!

Ich kann nicht… ich kann nicht! Tränen benetzen mein Gesicht.

Gib auf!

Was erwartet dich an der Oberfläche?


 

Langsam, ganz langsam gebe ich den Widerstand auf, werde ganz ruhig und lasse mich einfach mitreißen. Die Erinnerungen überfluten mich ungehindert, strömen auf mich ein und prasseln von allen Seiten auf mich nieder. Es hat niemand behauptet, dass es schmerzlos sein würde und doch bin ich überrascht. Es schmerzt, tut höllisch weh, nimmt mir den Atem.
 

Die Oberfläche ist nicht mehr zu sehen, die Schwärze ist vollkommen, immer wieder durchzuckt von Bildern, jedes davon bohrt sich wie ein Messer in meine Brust…
 

Das war’s also?
 

Plötzlich verändert sich das Bild: Statt schwarzen zähen Wassers bin ich von leichten azurblauen Wellen umgeben und…warm, es ist warm?
 

Unzählige Schauer durchrieseln meinen tiefgefrorenen Körper und geben mir Gefühl zurück. Eine Wärme, die mich hauchzart umschmiegt, die diesen tödlichen Frost vertreibt und all die schrecklichen Bilder an einen Ort verbannt, an dem sie, zumindest jetzt, nicht mehr gefunden werden können. Fast, wie zwei starke, warme Arme, die mich aus dem Wasser fischen und mich sanft wiegen. Geborgen und völlig sicher fühle ich mich in dieser behaglichen, leichten Umarmung, die eine undurchdringliche Barriere gegen die herrschende Kälte bildet.
 

Wieder spüre ich Tränen, doch die sind nicht kühl, sie sind fast schmerzhaft heiß, als ob sie mich bestrafen wollten. Ein Schluchzen entringt sich meiner Kehle. Ich hatte mir doch geschworen niemals aufzugeben, was auch immer kommen möge, weiter zu kämpfen.
 

Aber ich habe aufgegeben, war des Kämpfens müde, dachte es gäbe nichts wofür es sich zu kämpfen lohnt und es gibt Nichts. Nichts bis auf eines; selbst wenn es nur meiner Einbildung entspringt, dieses wohlige Gefühl, von fließenden Händen, Armen, die mich ganz sachte Hin und Her wiegen.
 

Vielleicht genug um darum zu kämpfen, vielleicht auch nicht.

Jetzt völlig unwichtig.
 

Noch enger schmiege ich mich an diese Wärme, um so viel wie möglich davon abzubekommen, bevor ich meine Augen öffne und merke, dass alles ein Hirngespinst war. Jeder Atemzug in dieser lang vermissten Sicherheit ist wie ein Geschenk von unschätzbarem Wert, das es unter allen Umständen zu bewahren gilt.
 

Mein Körper ist vollkommen entspannt, während die Minuten verstreichen. Wenn die Zeit doch einfach nur stillstehen könnte, mich für immer diesem lauen, blauen Meer überlassen könnte. Irgendwann drängt sich die Realität wieder in mein Bewusstsein, macht mir klar, dass ich mich mitten in der Schule befinde, jeden Augenblick jemand vorbeikommen könnte und ich hier wild phantasierend auf dem Boden liege. Das wird mit Sicherheit einen guten Eindruck machen. Schweren Herzens entschließe ich mich endlich die Augen zu öffnen:
 

Blau…
 

Immer noch ist alles Blau, aber etwas ist anders.

Es ist nicht das Wasser.

Es sind zwei unglaublich blaue Augen die mich besorgt mustern und Braun…

Moment mal! Blaue Augen, braunes Haar…?
 

Denis!
 

Was geht hier vor?
 

Langsam quält sich die Erkenntnis, wem diese wärmenden, schützenden Arme gehören, bis in mein Bewusstsein. Ruckartig setze ich mich auf und rutsche erstmal ein Stück von ihm weg.
 

Panik spült das wohlige Gefühl von Eben sofort hinweg. Da sind sie wieder, die altbekannten, vertrauten Gefühle: Angst, Verwirrung und Scham. Nicht nur, dass Denis mich in einem schwachen Moment erwischen musste. Nicht nur, dass er mich getröstet und mich im Arm gehalten hat.

Er hat mich gerettet, hat mich vor mir selbst gerettet und mir etwas gegeben, nach dem ich mich so lange gesehnt habe, das ich genossen habe und das noch mal zu erleben, ich, wenn ich ehrlich bin, alles geben würde. Wobei das in meinem Fall wohl selbst für den ärmsten Menschen unter der Sonne ein schlechtes Geschäft wäre.
 

Das hätte nicht passieren dürfen! Ich wollte nicht zulassen, dass jemand mir so nahe kommt und solche Sehnsüchte in mir weckt.
 

Dann erscheint da er, der mir auf mehr Arten nahe kommt, als ich es je für möglich gehalten hätte und meine Welt mit seiner unsagbar dämlichen, fürsorglichen, aufdringlichen Art durcheinander wirbelt.

Verdammt!
 

Ein widerliches heißes Kribbeln in meinem Bauch erinnert mich daran, warum ich diese Art Menschen eigentlich hasse. Sie sind bis zum Bersten voll gestopft mit nutzlosen, überflüssigen Gefühlen; die Liebe quillt ihnen aus allen Poren, sie sind so voll von all den Dingen, die mich krank machen.
 

Aber so sehr ich mich weiter in meinem Selbstmitleid suhlen möchte, muss ich mich dem dringenderen Problem widmen, das sich jetzt vor mir auf dem Boden befindet und mich mit einem Blick mustert, den ich lieber nicht allzu genau analysieren sollte.
 

Wie ich mich verhalten soll ist mir schleierhaft. Ich meine, wenn man die Szene mal ganz neutral betrachtet, hat mich gerade ein Kerl im Arm gehalten, mich gestreichelt und gewiegt. So was findet man sonst nur in bestimmten Filmen oder Büchern, die in Geschäften ganz versteckt in der Ecke stehen und nur unter der Ladentheke verkauft werden, während sich sowohl Verkäufer als auch Kunde klammheimlich in ein anderes Universum wünschen. Wir sind aber nicht in so ner Schwulenschnulze, wir sind in der Wirklichkeit.

Ich will wirklich nicht wissen, was er gerade von mir denkt. Ich glaub mir wird schon wieder schlecht.
 

Darum mache ich mir aber noch die wenigsten Sorgen, er hat mich immerhin von sich aus getröstet, was schon merkwürdig genug ist; mehr beunruhigt mich die Tatasche, dass er mich, am Boden liegend, vor Angst wimmernd, zitternd und weinend, ohne meine schützende Maske gesehen hat, dass er erkennen konnte, wer ich wirklich bin.
 

Ganz egal, was ich ihm jetzt noch vormache, er wird mir nichts davon glauben, weil er „Mich“ gesehen hat. Hässlich, mickrig, abstoßend, widerlich und erbärmlich. Eigentlich könnte er einem ja Leid tun; so was sollte man niemandem zumuten. Würde ich diese Scheußlichkeiten nicht jeden Tag aus nächster Nähe begutachten, hätte ich wahrscheinlich jede Nacht Alpträume von diesem Anblick.
 

Unter seinem wachen Blick, der unverwandt auf mich gerichtet ist, fühle ich mich nackt und ausgeliefert, wie ein Soldat, der mit nichts als seiner Haut ausgerüstet hinaus aufs Schlachtfeld treten muss. All meine altbewährten Kampftechniken kann ich hier nicht anwenden, er hat mich durchschaut und auf die hinterhältigste Art handlungsunfähig gemacht, die man sich nur vorstellen kann: er gibt mir das Gefühl in seiner Schuld zu stehen.
 

Etwas in mir sträubt sich dagegen ihn erneut abweisend zu behandeln und dieses widerwärtige Etwas meint doch tatsächlich, ich solle sogar nett zu ihm sein. Nett ist ein Wort, das in meinem Wortschatz nicht vorkommt. Der Eintrag:
 

Wie bin ich nett zu meinen Mitmenschen;

eine einfache Anleitung für soziale Krüppel
 

aus meinem inneren Lexikon ist so vergilbt und eingestaubt, dass ich nichts entziffern kann.
 

Wie ein Fisch öffne und schließe ich meinen Mund, ohne auch nur einen Laut von mir zu geben. Ich schaffe es immer wieder mich noch tiefer in die Scheiße zu reiten.
 

„Ist schon gut, du muss nichts sagen, wenn du nicht willst.“
 

Warum muss er nur so verdammt verständnisvoll sein und mir damit noch mehr schlechtes Gewissen verpassen. Reib’s mir ruhig unter die Nase. Ich bin unsozial. Noch immer haben wir uns nicht vom Platz gerührt. Er wartet auf etwas ganz Bestimmtes.
 

Ich war nie gut in so was und dass ich es jetzt überhaupt versuche, zeigt schon wie viel schlechtes Gewissen er mir gemacht hat. Verdammt soll er sein, mich so weit zu treiben.
 

Schon einmal war ich zu feige meinen Mund aufzumachen, diese Blöße will ich mir nicht ein weiteres Mal geben. Vor ihm habe ich mich sowieso schon mehr zum Affen gemacht als gesund ist. Ich hoffe bloß, er hat keine Affinität zu Zootieren.
 

„Danke…Denis.“
 

Das Lächeln, das sich diesmal in seinem Gesicht ausbreitet macht mir seltsamerweise nichts aus, im Gegenteil, es fühlt sich gut an, sehr gut sogar. Der Gedanke, dass ich jetzt gerne zurückgelächelt hätte, rast durch mein Hirn und ich habe den überwältigenden Drang mich dafür sofort einweisen zu lassen. Ich kann nur froh sein, dass meine Gesichtsmuskeln sich so lange nicht mehr zu dieser Art von Grimasse verziehen mussten, dass ich schlicht und ergreifend vergessen habe wie.
 

Meine Maske sitzt wieder tadellos, sie ein weiteres Mal in seiner Gegenwart zu verlieren könnte fatal sein.

Eine Hand reckt sich in mein Gesichtsfeld: „Was hältst du davon, wenn wir erst mal aus der Schule verschwinden. Ich glaube ein bisschen frische Luft könnt dir echt gut tun.“

„Nichts einzuwenden.“
 

Ich ergreife seine dargebotene Hand und lasse mir vom Boden aufhelfen. Offenbar ist mein Selbstschusssystem noch nicht ganz hochgefahren. Die Wärme, die von ihr ausgeht, lässt mein Herz schneller schlagen.
 

Ich bewege mich auf einem gefährlichen Grat; links und rechts von mir ist nichts als Dunkelheit. Ich werde seine Hand schon sehr bald loslassen müssen, wenn ich nicht fallen will und dennoch ist sie, in dem Eissturm, der unaufhörlich über diesen Grat fegt, so wunderbar warm…
 


 

Kapitel 3 Teil 2
 

Elija wankt im Moment neben mir her, wie eine wandelnde Leiche, von der er sich ungesunderweise auch die Farbe abgeschaut hat. Feuchte Spuren auf seinen Wangen glitzern im Sonnenlicht, der Wind spielt mit seinen tiefschwarzen Haaren und wirft sie ihm mit sanfter Wucht in die erstaunlich grünen Augen, aus denen er sie mit unwirschen Bewegungen wieder entfernt.

Noch immer sieht er ziemlich mitgenommen aus, obwohl schon ein bisschen Leben in sein Gesicht zurückgekehrt ist.
 

Die ganze Zeit kann ich fühlen, wie er in meinen Armen lag. Hilflos, weinend, zitternd und beängstigend kalt. Ich konnte nicht anders, als ihn zu umarmen und ihn zu trösten.
 

Schock. Angst. Sorge. Mitleid. Hilflosigkeit. Sie alle überfielen mich, haben mich auch jetzt noch fest in ihrem Würgegriff. Nie habe ich einen Menschen so gesehen. So verängstigt, so vollkommen verloren, so allein. Wie ein kleines Kind, das nichts nötiger hat, als eine einfache Umarmung und ein bisschen von der Zuwendung, die jedem Kind selbstverständlich und ohne nachzudenken zusteht. Die es braucht, genauso wie Essen und ein Dach über dem Kopf.
 

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dass ich ihn tatsächlich wie ein Baby im Arm gehalten habe, verspüre ich ein leichtes Brennen in meinen Wangen. Ich habe ihn Hin und Her gewiegt und ihn sogar gestreichelt, das Brennen verstärkt sich. Bewusst versuche ich das Gefühl abzuschütteln. Was ist nur in mich gefahren, jeder, absolut jeder hätte in dieser Situation das Gleiche getan. Kein Grund gleich Rot zu werden.
 

Ich kann fühlen, wie sein Blick mich streift und die Röte auf meinen Wangen vertieft sich noch. Mann ist das peinlich!
 

Ich steuere eine Bank am Ende des Schulgeländes an, merke jedoch auf halbem Weg, dass er immer noch an der Stelle steht an der ich ihn zurückgelassen habe und mich seltsam mustert.

„Elija, jetzt beweg dich schon her!“

Während er sich, zu meinem Erstaunen, langsam in Bewegung setzt um meiner Aufforderung Folge zu leisten, beobachte ich ihn genau, zum x-ten mal an diesem Tag.
 

Ein gebrochener Junge kommt da auf mich zu, die Schultern eingezogen, wie ein geschlagenes Tier, den Blick gesenkt, einen Fuß vor den Anderen setzend, wie unter großer Anstrengung, von Oben bis Unten in Schwarz gehüllt. Kraftlosigkeit und Müdigkeit liegen auf seinen Bewegungen und eine ganz und gar unpassende Aura von Alter umgibt seine junge Gestalt.
 

Wieder schnürt es mir die Brust zu. Kein Junge im meinem Alter sollte so aussehen. Er macht den Endruck eines Menschen, der des Lebens bereits müde ist und das noch bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Kurz bevor ich ihn in diesem Flur in die Arme nahm, wurde seine angespannte Haltung plötzlich weich. Gegen was auch immer er gekämpft hatte, er gab auf, ließ sich einfach fallen, als ob ihm alles egal wäre.
 

Ich muss sagen, das macht mir Angst. Zum Einen, weil ich ihn nicht verstehe und zum anderen, und gerade diese Tatsache macht mir zu schaffen, weil ich ihn nicht verstehen will. Ein kleiner Teil meines Kopfe weigert sich beharrlich allzu tief einzutauchen und mit einem Schaudern und dem Bild von Elija mitten auf dem Schulgang, frage ich mich, ob er nicht einen guten Grund dazu hat.
 

Elija lässt sich neben mir auf die Bank fallen und schaut in den Blauen Himmel. Einen kurzen Moment sind seine Augen leer und leblos, bevor er angestrengt blinzelt, um den teilnahmslosen Schleier aus ihnen zu verbannen.

Was ist dir nur geschehen?
 

Die Stille, die uns umgibt ist nicht drückend und feindselig sondern eher ruhig. Nicht nur die Stille hat sich verändert, auch zwischen uns ist etwas anders. Schon vorhin, als er sich bedankt hat, habe ich es gespürt.

„Weist du, ich war ehrlich überrascht, dass du ich bei mir bedankt hast, a…“, fange ich an.

„Und ich erst.“

„Ähhh...?“

„Ich meinte: Ich war auch überrascht. Diese Funktion hatte ich eigentlich aus meinem Programm gelöscht. Jemand anderes hätte auch keinen müden Ton zu hören bekommen“, er murmelt noch ein paar ärgerliche Worte hinterher, die ich aber, wahrscheinlich glücklicherweise, nicht verstehen kann. Ein Grinsen formt sich auf meinem Gesicht.

„Willst du damit andeuten, ich bin was Besonderes für dich?“

„So ein Schwachsinn…“, ein leichter Rosaschimmer liegt auf seien Wangen, während er mit der sorgfältig beachteten Schuhspitze einen bemerkenswerten Graben in die Erde ritzt.
 

Ich glaub ich spinne! Das ich das mal erleben darf.
 

„Ich nehm’ das jetzt mal als ja. Ich fühle mich geehrt.“ Das meine ich auch so. Wer kann schon von sich behaupten einer seiner Auserwählten zu sein; ich schätze mal, die kann man an ein bis zwei Fingern abzählen.
 

Elija dagegen scheint nicht besonders begeistert zu sein, wie sich unschwer an seinen zusammengezogenen Augenbrauen erkennen lässt, und es folgt ein langes Schweigen, in dem jeder von uns seinen Gedanken nachhängt.
 

„Darf ich mal was fragen?“

„Mhm…“, gedankenverloren starrt Elija gen Himmel.

„Du musst mir nicht antworten, wenn du nicht willst. Wenn es dir unangenehm ist, dann…ich will dich zu nichts zwingen…i-“

„Jetzt fang schon endlich an, bevor ich’s mir anders überlege!“, genervt sieht er mich an.

„Da vorhin im Flur…“, sein Gesicht verdüstert sich, „Was ist da mit dir passiert, ich meine, dass du so, so…“

„Nichts!“, kommt es sofort zurück.
 

Ich ziehe skeptisch eine Braue nach oben. „Wenn es etwas gibt, was mehr von 'Nichts' abweicht als die Szene von gerade Eben, dann fress ich ein Dutzend Besen und zwar mit der Bürste voran.“

„Stell mich nicht vor lösbare Aufgaben, du könntest Magenprobleme bekommen. Sag mir auf jeden Fall Bescheid, wenn du dein Mahl zu dir nimmst, das darf ich nicht verpassen,“ gereizt funkelt er mich an. „Ich kann dir auch gern bei der Auswahl deiner Speisen behilflich sein, du weißt ja, mit Putzkram kenn ich mich aus.“

Ungerührt sehe ich ihn weiter an. So leicht lasse ich ihn nicht vom Haken.

„Meine Fresse, du nervst!“, spuckt Elija mir förmlich entgegen, bevor er sich merklich zusammenreißt, „Ich weiß es auch nicht so genau... Erinnerungen... es sind wohl ein paar alte Erinnerungen hochgekommen…“

„Und woran hast du dich erinnert?“

Erschreckend kalt kommt es zurück: „Das, geht dich nichts an!“
 

Er scheint mein Zurückzucken bemerkt zu haben, denn er setzt nach: „Tut mir Leid - nein eigentlich nicht- aber du hast nun mal eine Frage gestellt, auf die ich dir keine Antwort geben kann und will. Ich kenne dich nicht und selbst wenn… es gibt niemanden, lebend, tot oder irgendwas dazwischen, der mich so weit bringt, zu ihm auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Also schmink’s dir gleich ab.“
 

„Verstehe.“ Deutlicher braucht er es mir nicht zu sagen.
 

Verwundert bin ich dagegen nicht wirklich, ich hatte nie erwartet, dass er tatsächlich mit etwas herausrückt. Einen Versuch war es wert und dass er mich überhaupt einer Antwort für würdig befunden hat, muss ich schon als gigantischen Erfolg verzeichnen. Dieser Kerl erfordert ganz neue Maßstäbe.
 

Im nun folgenden Schweigen kann ich seine Augen unverwandt auf mir spüren, bis es mir schon fast unangenehm ist, auch wenn ein keiner aberwitziger Teil von mir sich abartig geschmeichelt fühlt. Ich muss seinen Blick irgendwie in andere Bahnen lenken, vorzugsweise weit weg von mir.
 

„Was machen wir denn jetzt. In den Unterricht zurück zu gehen, ist glaube ich keine so gute Idee. Wie wär’s, wenn wir in die Stadt gehen. Ich hab schon lang nicht mehr Blau gemacht.“

Wie erwartet folgt erstmal keine Antwort. Dann sehr zögerlich:

„Ich mache mir nichts aus so was. Vielleicht sollte ich lieber nach Ha…“, er stockt mitten im Satz. Seine Augen weiten sich ein wenig und er wird wieder blass. Etwas ist definitiv nicht in Ordnung. Ich traue mich allerdings nicht mehr zu fragen.
 

Er scheint mit sich zu ringen und würgt dann ein nicht sehr überzeugendes „OK“ heraus.
 

Mehr kann ich von ihm nicht erwarten. Immerhin kommt er mit. Innerlich klopfe ich mir für diesen Verdienst auf die Schulter. Voller Vorfreude springe ich auf und werfe mir meinen Rucksack über sie Schulter. Er schaut mich an als wäre ich der Yeti höchstpersönlich.
 

„Welche Pillen schluckst du denn? Bist du sicher, dass du nicht zu viele erwischt hast, das ist doch nicht mehr normal!“, meint er kopfschüttelnd.

Ich kann mir ein breites Grinsen nicht mehr verkneifen und klopfe ihm wohlmeinend auf die Schulter.

„Wenn du willst kannst du gerne was abhaben, allerdings befürchte ich, dass selbst meine enormen Vorräte nicht ausreichen um dir gute Laune zu verschaffen.“
 

Jetzt wo ich so darüber nachdenke habe ich ihn wirklich noch nie mit auch nur ansatzweise guter Laune erlebt. Ich würde zu gerne wissen, wie er aussieht, wenn er lächelt.
 

Was für ein absurder Gedanke.
 

Ich laufe zum dem Eisentor, das in alter Gefängnismanier, die Schüler von der Außenwelt trennen soll. Vielleicht lerne ich ihn ja ein bisschen besser kennen, jetzt, wo das Eis gebrochen ist. Und vielleicht werde ich ja auch sein Lächeln zu Gesicht bekommen. Was mir daran allerdings so diebische Freude bereitet, dass mein Herz wie wild klopft, ist mir nicht klar.
 

Ich wende mich vor dem Schultor noch mal um. Er ist mir nicht gefolgt.
 

„Wo bleibst du denn! Der nächste Bus in die Innenstadt fährt gleich.“

Kapitel 4 Teil 1 und 2

Kapitel 4 Teil 1
 

Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich mich zu so was habe überreden lassen. Missmutig wandert mein Blick durch den Bus. Denis und ich müssen den Altersdurchschnitt hier drin um mindestens 50 Jahre senken. Sind denn vormittags nur Rentner unterwegs, oder hat hier irgendwo in der Nähe eine Massenausbruch aus dem Altersheim stattgefunden?
 

Eine alte Frau im Sitz gegenüber bemerkt, dass ich sie beobachte, schaudert kurz und wendet sich zu ihrer nicht minder verstaubten Nachbarin.

„Die Jugend von heute ist mir nicht mehr ganz geheuer. So unverschämt und Furcht einflößend“, sie schaudert noch einmal, „Nur gut, dass wir gleich aussteigen müssen.“

Geht’s noch? Sehe ich etwa aus wie ein Schwerverbrecher?
 

Noch so ein Grund, warum ich solche Ausflüge hasse: Menschen. Menschen, die mir aus dem Weg gehen, als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder als würde ich gleich ein Messer ziehen und mich wie ein Irrer auf sie stürzen, um anschließend ihr Blut zu trinken und mir damit satanische Muster auf die nackte Haut zu malen.

Das in der Schule ertragen zu müssen reicht normalerweise für einen Tag, da muss ich mich nicht auch noch freiwillig unter Leute begeben. Das Problem ist, dass wenn man sich nicht gerne unters Volk mischt und sein zu Hause auch nicht gerade prickelnd findet, ziemlich wenige Möglichkeiten bleiben seien Tag zu verbringen.
 

Alleine irgendwo rum zu sitzen, wo mich niemand sehen kann ist normalerweise genau das Richtige für mich, nur nicht Heute. Heute kann ich mit meinen Gedanken nicht alleine sein, da sie sich unweigerlich um das Vergangene und das noch Kommende drehen werden.

Oh ja, sie werden dann richtig aktiv, diese kleinen Scheißviecher. Ich brauche Ablenkung. Jemanden, der mich genug beschäftigt, damit ich bis zum Abend über nichts mehr davon nachdenken muss.
 

Meine Ablenkung sitzt im Moment neben mir, starrt aus dem Fenster und schweigt. Gerade dann, wenn man sie mal brauchen könnte, ist die Sprachfunktion kaputt. Er sieht zufrieden aus. Wer weiß was sich in seinem kranken, optimistischen Hirn für Geschichten abspielen. Ich hoffe nur ich bin kein Teil davon. Allein schon die Vorstellung mich dadrin zwischen lauter Vöglein, tapsigen Hundewelpen und Regenbogen wiederzufinden...
 

Der Bus hält an und der alte Drache steigt aus, vergisst dabei aber nicht mir noch einen vernichtenden und angewiderten Blick zuzuwerfen. Ich zeige ihr den Stinkefinger. Sie hat ihn nicht gesehen (schade eigentlich) dafür aber Denis.
 

„So geht das aber nicht! Hast du denn keine Manieren? Du hättest wenigsten warten können, bis sie deine freundliche Geste bemerkt. Sie hätte dann zwar wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen, wäre aber mit der Gewissheit gestorben, wenigstens mit ihrer Meinung über die Jugend Recht gehabt zu haben.“

Ein verräterisches Ziehen im Bereich meiner Mundwinkel lässt sich gerade noch unterdrücken. Das war jetzt schon das zweite Mal, dass ich in seiner Gegenwart versucht war zu Lächeln.

Vor dem muss man sich echt in Acht nehmen.
 

Es will mir nicht Recht in den Kopf, dass ich tatsächlich gerade durch die Klamottenabteilung eines Kaufhauses latsche. Das passiert doch nicht wirklich oder? Freiwillig hätte ich niemals einen Fuß hier rein gesetzt. Denis musste mich förmlich rein zerren.

Er bräuchte dringend neue Klamotten hat er gesagt. Warum er sich ausgerechnet mich ausgesucht hat, ist mir allerdings nicht ganz klar. Ich meine selbst sein krankes Hirn muss auf den ersten Blick erkannt haben, dass ich auf diesem Gebiet eine absolute Null bin. Mein Hiersein kann also nur eines bedeuten: Er will mich zu Tode langweilen.
 

„Elija, komm doch mal her. Was hältst du von dem Hemd hier? Und der Hose?“

Ich zucke mit den Schultern. „Das fragst du mich? Aber immerhin ist es schwarz.“

Er mustert mich skeptisch von oben bis unten und meint dann: „Da hast du wohl Recht… Komm ich probiers mal an.“

Bevor ich mich recht versehe, hat er mich schon durch den halben Laden geschleift und mich in einen Sessel vor den Umkleidekabinen gedrückt.
 

Ich komme mir vor wie in einem schlechten Kinofilm, während ich hier sitze und er sich umzieht. Als ob ich hier auf meine zugespachtelte Freundin warten würde, die kurz zuvor mit einer Frachterladung Kleidung in die Kabine verschwunden ist. Nicht, dass ich schon mal eine gehabt hätte. Zugespachtelt oder nicht.

Die meisten Mädchen machen einen kilometerweiten Bogen um jemanden wie mich und den wenigen, die der irrsinnigen Auffassung waren ich sei, ich zitiere: „total süß und schnuckelig“, „einfach nur schüchtern“ oder sogar „ganz Gut aussehend“, habe ich einen Korb gegeben.
 

Ich mag zwar bekloppt sein, aber mit Irren muss ich mich deswegen noch lange nicht abgeben. Davon einen Psychiater über ihren zweifelhaften Geisteszustand in Kenntnis zu setzten, habe ich mal abgesehen. Außerdem ist dieser ganze Liebes- und Beziehungsquatsch einfach nur für den Arsch.
 

Neben mir ertönt plötzlich ein Poltern. Ein völlig fertig aussehender Typ, voll bepackt mit Einkaufstüten sinkt in den Sessel neben mir. Seine Freundin verschwindet mit einem Arm Klamotten in einer Umkleide. Meine Damen und Herren, abgeht's in einen schlechten Kinofilm, es sind noch Rollen zu haben!
 

„Frauen!“, er verdreht die Augen und meint an mich gewandt, „Deine bessere Hälfte hat dich wohl auch hier zurückgelassen. Wir Männer haben’s nicht leicht.“

Die erwartete Zustimmung bleibt ihm verwehrt, denn in diesem Augenblick kommt Denis aus seiner Kabine. Er trägt ein beinahe hautenges schwarzes T-Shirt mit weißem Aufdruck und sieht verdammt gut damit aus, richtig sexy. Er sollte öfter Schwarz tragen…
 

Shit! Shit!!

Was sind das für kranke Gedanken. Sexy… Nun gut, er hat einen gut gebauten Körper und dieses Shirt betont seinen Oberkörper sehr vorteilhaft. Wenn mich nicht alles täuscht zeichnet sich da sogar ein Ansatz von Sixpack ab. Zudem passt Schwarz hervorragend zu seinen braunen Haaren und den blauen Augen… aber verdammt! Ihn deshalb als sexy zu bezeichnen ist schon irgendwie krank.
 

Er ist ein Junge, ich bin ein Junge, mein Hirn sollte bei Denis’ Anblick keine Wörter wie sexy ausspucken. Schwerer Rechenfehler, umgehend herunterfahren und neustarten. Es hat sich wie festgefressen, ist nicht mehr raus zu bekommen.

Ich bin echt abartig. Ich sehe es noch vor mir, irgendwann prangt nicht nur der Stempel Loser, sozialer Krüppel und manisch Depressiver auf meiner Stirn, sondern ich kann dem auch noch ein dekoratives 'schwuler' voranstellen. Aber ich sollte in dieser Hinsicht nicht so schwarz malen, davon trag ich schon genug. Dieser vorübergehende Totalaussetzer meiner Rechenzentrale ist hoffentlich bald behoben.
 

„Na, was meinst du, kann man das tragen?“

Oh ja, man kann! Schon wieder taucht dieses Wort in meinen Gedanken auf. Verflucht!

„Hmmm…es ist schwarz.“

Seine Augen funkeln belustigt. „Das bedeutet dann so viel wie ja. Mir gefällt es auch, aber ich bin dir für dein qualifiziertes Urteil sehr dankbar.“
 

Kaum ist er wieder in der Umkleide verschwunden bemerke ich, wie der Typ neben mir mich anstarrt. Was gibt’s denn da zu glotzen, hält der mich etwa auch für einen Serienkiller? Herausfordernd starre ich zurück.
 

Auf ein Mal fängt der an wie blöd zu grinsen. Hab ich gerade was verpasst?

Ich beschließe, dass der bedauernswerte Mann einfach schon zu lange shoppen musste und dabei offenbar eine beträchtliche Menge Gehirnzellen eingebüßt hat, was letztendliche Ursache dieses hohlen Grinsens ist. Am Besten ich ignoriere ihn einfach, bevor ich sich meine Wut durch die wohlverstopften Dämme frisst, was in letzter Zeit erschreckend häufig passiert.
 

Sein Blick huscht immer wieder zwischen mir und Denis’ Umkleide Hin und Her und sein Grinsen wird anzüglich. Endlich fällt auch bei mir der Groschen.
 

Wie ich die Menschen doch hasse.
 

„Wie sieht’s aus El, können wir gehen?“

El? Ich glaub dem guten Denis geht es zu gut. Was erlaubt der sich eigentlich? El!?

„Ich glaub du tickst nich mehr richtig, Wie hast du mich eben genannt…“

„Hey…“, auf ein Mal steht er viel zu nahe bei mir und wispert mir verschwörerisch ins Ohr. Sein warmer Atemhauch überzieht meinen Rücken mit Gänsehaut. „…was grinst der Typ da so dämlich.“

Er rückt ein Stück von mir ab um mich kritisch zu mustern. „Du hast doch nichts angestellt oder?“
 

Meine einzige Antwort besteht aus einem vernichtenden Blick, der ihn nicht nur völlig kalt lässt, sondern ihm auch noch ein Grinsen entlockt. Der macht mich noch wahnsinnig.

Sein Gesicht nähert sich wieder meinen Ohr. „Jetzt sag schon, was hat der Typ!“

In der Hoffnung ihn damit zu mehr Abstand zu bewegen, seine Nähe wirkt sich nämlich ungesund auf meine blasse Gesichtsfarbe aus, meine ich: „Der hält mich für deinen Freund.“

„Aber ich bin d…“

„Bist du schwer von Begriff? Nicht so ein Freund.“
 

Nach ein paar Sekunden spiegelt sich Verständnis in seinen blauen Augen, Mann, hat der ne lange Leitung, und kurz darauf glitzern sie schelmisch. Er beugt sich etwas vor und legt einen Arm um meine Schulter.

„Was hast du vor?“

„Wirst schon sehen…“
 

Den Arm um meine Schulter, schiebt er mich Richtung Kasse und vergewissert sich aus dem Augenwinkel, dass der Kerl uns auch beobachtet. Vielleicht liegt es an meiner leicht paranoiden Ader, oder meinem unguten Verhältnis zu abgrundtief peinlichen Vorfällen, aber mir schwant Böses.
 

Seine Hand rutscht immer tiefer, befindet sich schon fast an meiner Taille. Entsetzt schaue ich ihn an. Er sieht ganz unbeteiligt nach vorne, während sein Hand immer weiter nach unten wandert. Seine Augen haben einen geradezu scheinheiligen Ausdruck und wenn er nicht bald damit aufhört mit ihnen so viel Glitzer durch die Gegend zu werfen, könnte man ihn ohne Probleme in einer Barbiewerbung unterbringen.
 

Was zum Teufel veranstaltet der hier. Mein Gesicht fühlt sich schon unnatürlich heiß an und ich will gerade nach dieser unverschämten Hand greifen, um sie Denis mit gebührenden, für die Öffentlichkeit möglicherweise unpassenden Bemerkungen und alles andere als lieben Grüßen, postwendend zurück zu schicken, als sie plötzlich auf meinem Allerwertesten zum Liegen kommt.
 

Eine knallrote Ampel wäre ein Witz zu dem, was da im Moment auf meinen Schultern thront. Ich bring ihn um! Möglichst grausam und ohne die geringste Spur von Reue.

Ich möchte augenblicklich im Erdboden versinken und ihn von mir stoßen. In der Sekunde, in der ich mich aus der Starre befreien kann und zum Handeln bereit bin, nimmt er sie von selbst weg und boxt mir freundschaftlich in die Seite.
 

„Schau dir mal den an, dem fallen beinahe die Augen aus dem Kopf. Das war’s echt wert.“

Ich muss zugeben, der Ausdruck ist wahrhaft einmalig und innerlich muss ich sogar fast grinsen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das die Sache wert war.

Ihn scheint die ganze Aktion völlig kalt zu lassen, aber ich kann das von mir nicht behaupten.

Noch immer kann ich seine Hand als kribbelnde Stelle auf meinem Hintern spüren. Ich sollte deswegen wütend auf ihn sein, niemand darf mich ungestraft angrabschen. Das erwartete Gefühl bleibt jedoch gänzlich aus und zurück bleibt nichts als Verwirrung und eine ordentliche Portion Scham, gemischt mit einer undeutlichen und unheilvollen Vorahnung.
 

Ich schaff es doch immer wieder mich noch tiefer in die Scheiße zu reiten. Wenn es tatsächlich das ist, was ich denke, dann habe ich keine andere Wahl. Warum muss so was immer mir passieren? Ich darf auf keinen Fall zulassen, dass dieses… dieses Etwas noch mehr Boden gewinnt.
 

Bei dem Gedanken, was ich dafür tun muss, zieht sich dieses kalte, verschrumpelte Ding in meiner Brust schmerzhaft zusammen. Genau das ist der Grund es abzutöten. Es zu töten, diesen winzigen Hauch davon, der sich bereits eingenistet hat, bevor der Schmerz so unerträglich werden kann, dass er alles auffrisst.
 

Mit einem Seitenblick auf Denis, der fröhlich schwatzend neben mir hergeht, wird mir klar, dass es wehtun wird, schon mehr als ich gehofft hatte. Wie konnte das passieren?

Ich hatte mir doch geschworen…
 

Meine Augen werden feucht, schnell blinzle ich die Tränen weg. Ich werde den Typ verklagen, der so nah am Wasser gebaut hat.

Es ist besser so. Besser für ihn und besser für mich.

„… und dann haben Seb und ich…“, leise kichert er in sich hinein.

Es wird sehr schmerzhaft werden… aber es ist besser so…

…für ihn.
 


 

Kapitel 4 Teil 2
 

Genervt schaue ich aus dem Fenster. Welcher Idiot hat Französisch erfunden. Mann sollte ihn nachträglich dafür in die Hölle schicken, dass er es heute noch schafft tausende von Schülern mit unregelmäßigen Verben zu Quälen.
 

Und zum wiederholten Male ist keine Ablenkung in Sicht. Elija war seit dem Nachmittag in der Stadt nicht mehr in der Schule. Der war schon vor drei Tagen. Ich frage mich, was diesmal mit ihm los ist. Ich dachte, er hat schon genug Ärger mit Fehlstunden und jetzt ist er wieder nicht da.
 

Wenn ich im Nachhinein so darüber nachdenke, war er neulich gegen Ende unseres Stadtbummels sehr merkwürdig. Er hat sich erneut total abgekapselt und hat auf nichts mehr reagiert, was ich zu ihm gesagt habe. Er war richtig unfreundlich und abweisend, aber als wir uns dann verabschiedet haben, sah er auf einmal traurig aus. Er hat mich nicht mal angeschaut und ist dann wortlos verschwunden, allein in die anbrechende Dunkelheit. Irgendwas lag ihm auf dem Herzen.
 

Ich war wieder zu feige um zu fragen.
 

Dieses nagende Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung, ist lässt mich seitdem nicht mehr los. Vielleicht sollte ich mal bei ihm vorbei schauen, auch wenn er mich dann wahrscheinlich mit einem bis an mein Lebensende reichenden Vorrat an Schimpfwörtern bedenken würde.
 

Ja, das sollte ich wirklich tun, denn unser Lehrer kündigt gerade eine Arbeit für nächste Woche an. Wenn das nicht ein Grund ist um Elija zu Hause zu besuchen, dann weiß ich auch nicht.
 

Obwohl es eigentlich nichts Besonderes ist einen Mitschüler zu Hause zu besuchen, bin ich doch ein bisschen nervös. Ich besuche immerhin nicht irgendeinen Mitschüler sondern Elija, das ist schon was anderes. Ich wette ne menge Leute würden einiges dafür geben zu wissen, wie er so wohnt.

Die Gegend in der sein Haus liegt ist nicht schlecht. Auf meinem Weg bin ich bisher an mindesten zehn gigantischen Villen vorbeigelaufen und der Rest ist auch nicht gerade von schlechten Eltern.
 

Sein Zuhause ist hier wohl eines der kleinsten, trotzdem staune ich nicht schlecht. Eine gut gepflegte Hecke führt um das Grundstück herum und ein offen stehendes, schmiedeeisernes Tor gibt den Weg zum Haus frei. Das Haus selbst ist strahlend weiß und ist bestimmt mehr als 80 Jahre alt, mit hohen großen Fenstern und Ornamenten, die dem ganzen Haus trotz seiner strengen geraden Linien ein gewisse Verspieltheit verleihen.
 

Das hätte ich nicht erwartet. Ich meine Elija macht so gar nicht den Endruck von verwöhntem Bengel aus reichem Hause. Außerdem ist wirkt das Bild, das Elija in dieser Umgebung zweifellos abgeben muss ziemlich grotesk. Da sieht man mal wider, wie wenig ich doch von ihm weiß.
 

Etwas eingeschüchtert und nach einer unangemessen langen Bedenkzeit vor den Flügeln des mächtigen Tores, kann ich mich schließlich dazu durchringen zur Tür zu gehen. Nach einer ausgedehnten Weile schaffe ich es endlich die Klingel zu drücken. Angespannt warte ich. Nachdem nach über einer Minute nichts passiert ist, versuche ich es noch einmal. Er tut sich wieder nichts.
 

Das kann doch nicht wahr sein! Er muss doch zu Hause sein. Ich versuche es mit Sturmklingeln.
 

Na warte, wenn du doch da bist, wirst du mir irgendwann aufmachen müssen. Und tatsächlich nach über zwei Minuten Dauergeklingel und leisen Gebeten, dass seine Eltern nicht plötzlich die Tür aufreißen, ertönt eine genervte Stimme aus der Sprechanlage.

„Verdammt noch mal, ich brauche nichts. Ich bin mit Viagra versorgt, habe bereits ein Abo von 'Gartenzwerge und ihre Freunde', züchte die weltgrößte Schimmelpilzkolonie auf meinem seit Jahren ungesaugten Teppich und Gott habe ich letzte Woche in kleine Stückchen zerhackt, bewahre ihn derzeit in meiner Kühltruhe im Keller auf und werde ihn demnächst mit meinen dunklen Brüdern in einem satanischen Ritual verspeisen, also verschwinden sie endlich!“
 

„Behandelst du Besucher immer so freundlich?“

„…Denis?“

„Richtig geraten. Darf ich vielleicht rein kommen? Ich verspreche auch keine Bibel mitzubringen.“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute I…“

„Ach komm schon ich hab mir extra die Mühe gemacht… und weißt du es ist nicht gerade ein Katzensprung von mir zu dir also… Bitte!“

„I… Ich bin hochgradig ansteckend!“ Die Ausreden werden ja immer besser.

„Das Risiko nehme ich auf mich.“
 

„…Mist, verdammter!“, er klingt irgendwie in die Ecke gedrängt, „Du wirst auch nicht verschwinden, wenn ich dir erzähle, dass unsere fleischfressenden Pflanzen, die zufällig neben der Tür stehen, schon länger nicht mehr gefüttert wurden?“, kommt es dann noch fast hoffnungsfroh.

„Da muss ich dich leider enttäuschen. Ich hab bis jetzt noch jedes Grünzeug in die Knie gezwungen.“

Am anderen Ende herrscht lange Schweigen, bevor sich die Tür mit einem Klicken und unter resigniertem Schnauben entriegelt.
 

Na also, geht doch.
 

„Aber… erschreck dich nicht!“

Jetzt bin ich aber wirklich gespannt. Langsam und vorsichtig öffnet sich die Tür nur einen schmalen Spalt. Drinnen ist es stockdunkel, sodass ich nur seine Umrisse hinter der Tür sehen kann. Ich schlüpfe schnell rein, bevor er es sich noch anders überlegt. Das fehlende Licht macht es mir unmöglich etwas zu erkennen.
 

„Sag mal, hast du plötzlich eine Lichtallergie oder warum ist es hier so finster?“

„Nein, das nicht aber…mir wär’s lieber wenn du das Licht ausl…“

Ich kann hinter mir an der Wand einen Lichtschalter fühlen und ohne groß nachzudenken, lege ich ihn um.

„Sag bloß du hast einen Kater?“

Das Licht blendet meine Augen, die sich schon an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Gequält kneife ich sie zusammen und öffne sie nur langsam.
 

Bei dem Anblick, der sich mir bietet wünsche ich, ich hätte das Licht nicht angeschaltet, die Augen zugelassen. Der Rucksack, den ich bis dahin noch in der Hand hatte, fällt mit einem, in der entstandenen Stille, ohrenbetäubend lauten „Womph“ zu Boden.
 

Ich kann nicht anders als Elija mit entsetztem Gesicht anzustarren. Beschämt und wütend zugleich fixiert er den Fußboden neben sich und reibt sich nervös die Schulter. Er tut alles um meinem forschenden Blick auszuweichen, während ich ziemlich erfolglos versuche meine entgleisten Gesichtszüge wieder in Ordnung zu bringen.
 

„Starr mich nicht so an verdammt!“, bricht es gequält, ja fast verzweifelt aus ihm heraus. Für einen kurzen Augenblick treffen sich unsere Blicke. Blau auf Grün.
 

„Hab ich vielleicht Dreck auf der Nase, oder gibt’s sonst noch einen Grund, warum du mich so bescheuert anstarrst?!“

„E…Elija“, ich merke, wie meine Stimme zittert, „w…was ist mit dir passiert!?“
 

Sein rechtes Auge ist geschwollen und dunkelblau umrandet. Es scheint ihm Mühe zu machen damit etwas zu sehen. Ein beinahe flächendeckender Bluterguss ist von seinem Gesicht übriggeblieben, kaum eine Stelle unversehrt blasser Haut zu sehen. Seine sonst so vollen Lippen sind zusammengepresst, an einigen Stellen sind sie von Krusten bedeckt.

Die schmalen weißen Arme, die aus seinem T-Shirt hervorragen, sind mit zahlreichen frischen Schnitten übersät und an seinem Oberarm, so wie an seinen Handgelenken zeichnen sich deutlich die dunklen Spuren zweier Hände ab, die ihn dort offenbar mit viel Kraft gepackt hatten.
 

Seine ganze Haltung sieht seltsam angespannt und gleichzeitig kraftlos aus. Immer wieder verzieht sich sein Gesicht, wie unter Schmerzen.

„Nichts!“, zischt er wütend. Seine Hand presst sich auf seine Rippen und er beißt sich so fest auf die Lippen, dass sie erneut anfangen zu bluten, Schmerz huscht über sein geschundenes Gesicht. Nichts... Nichts, aber sicher doch.

„Lüg mich nicht an!“, meine Augen fühlen sich feucht an. „Wer hat dir das angetan?“

„Niemand! Hab ich nicht erwähnt, dass ich unter die Artisten gegangen bin? Ich hab nicht aufgepasst, als ich meine Seiltanznummern geübt hab. Wenn ich sie besser draufhab, dann zeige ich sie dir... du siehst, nichts dramatisches“, kommt es immer noch wütend aber schon deutlich schwächer als vorher zurück.
 

Meine Brust ist wie zugeschnürt.
 

„Verdammt noch mal, du wurdest verprügelt! Sag nicht das ist Nichts!“

Inzwischen stehe ich direkt vor ihm und habe ihn in meinem Schock an den Schultern gepackt, lasse ihn jedoch sofort wieder los, da er vor Schmerzen aufstöhnt. Etwas Heißes läuft mein Gesicht herab.

„Halt mich nicht für bescheuert! Wer hat das getan?“
 

Mit großen, beängstigend leeren Augen schaut er mich an. Sein Blick geht direkt durch mich hindurch und verliert sich in der Ferne. Sein Körper scheint auf ein Mal wie erschlafft.

Na komm schon schnauz mich an! Sei wütend aber sie mich nicht so an, das passt nicht zu dir.
 

„Elija?“, vorsichtig lege ich meine Hand auf seine Schulter, darauf bedacht ihm nicht nochmal wehzutun. Keine Reaktion. Behutsam nehme ich seinen Kopf in meine Hände und bringe ihn dazu mich anzusehen. Fast körperliche Schmerzen durchfahren mich, als sich mein besorgtes und entsetztes Gesicht in seinen beinahe toten Augen spiegelt.
 

„Elija…“, ein heftiges Schluchzen schüttelt mich. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen, aber ich habe Angst ihn noch mehr zu quälen, „Komm zu mir zurück hörst du…“

Sein Ausdruck bleibt leblos, ähnlich wie der, der mir schon im Korridor solche Angst eingejagt hat.

„Du darfst jetzt nicht aufgeben!“
 

Nichts.
 

„Ich bin hier, wegen dir! Bequem dich endlich und komm zurück!“ Der Gedanke, dass er sich in dieser Leere verlieren könnte, erscheint mir in diesem Moment unerträglich.
 

Eine einsame Träne löst sich aus seinem Augenwinkel und fällt zu Boden, Leben kehrt in die überraschend grünen Augen zurück, die im Wasser zu ertrinken scheinen.

Unsere tränennassen Blicke bohren sich ineinander, halten sich gegenseitig fest und lassen sich nicht mehr los, wie zwei Ertrinkende, die sich verzweifelt aneinanderklammern, in der irrsinnigen Hoffnung, dass es sie vor dem sicheren Tod bewahrt. Nur werde ich nicht zulassen, dass dieses leuchtende Grün wieder in den Fluten versinkt.
 

„Du bist auch unter die Heulsusen gegangen“, stellt er überrascht fest. Noch immer ruht sein Gesicht in meinen Händen, er macht jedoch keine Anstalten das zu ändern. „Ich heiße dich herzlich willkommen im Klub, allerdings ist der Mitgliedsbeitrag hoffnungslos überteuert und die Vorteile sind echt mickrig. Willst du deine Entscheidung vielleicht noch mal überdenken?“
 

„Dummkopf…“, ich wische mir mit dem Arm die Tränen aus dem Gesicht, „Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Um… Mich?“ Der schmerzvolle Ausdruck kehrt in seine überrascht geweiteten Augen zurück, er entwindet seinen Kopf meinem Griff und wendet sich ab.

„Das brauchst du nicht, mir geht es gut.“
 

Ich gehe um ihn herum und halte ihn so fest, dass er sich nicht mehr abwenden kann.

„Verkauf mich nicht für dumm. Jemand hat dir sehr wehgetan und es geht dir alles andere als gut. Bei jeder Bewegung zuckst du vor Schmerz zusammen und gerade eben dachte ich wirklich es ist aus mit dir. Erzähl mir also nicht, dass es dir gut geht. Das ist nicht wahr! Ich will dir doch nur helfen.“
 

„Ich brauche deine Hilfe nicht! Mir geht es doch prächtig, wie du siehst. Ich habe all die Zeit immer alles bestens im Griff gehabt. Allein. Da gibt es nichts zu helfen.“

„S… soll das heißen, das geht schon länger so?“

„…“ Sein Blick weicht mir immer noch aus, aber er sieht aus, als wolle er sich am liebsten selbst eins überbraten.

„Wer tut dir das an? Irgendwelche Schlägertypen aus der Schule?

„Nein.“
 

„Andere Schlägertypen? Erpresst dich wer?“

„Nein! Ich dachte, ich lege mir einen neuen Look zu: blaugrün. Gefällt er dir?“, er fixiert mich mit verächtlicher Bitterkeit.

„Wenn es niemand von denen ist dann vielleicht… sag nicht es ist jemand aus der Familie!?“

„…“

„Jemand aus der Familie… dein Vater?“

„…“
 

„Dein Vater!?“
 

Plötzlich dämmert mir etwas Furchtbares. Das Gespräch mit der Lehrerin. Das blasse Gesicht Elijas. Der Vorfall im Klo und auf dem Flur. Die verängstigte Miene, immer wenn es darum ging nach Hause zu gehen. All das fügt sich zu einem hässlichen Puzzle zusammen.
 

Ich kann und will mir keine Vorstellung davon machen, wie es wohl ist vom eigenen Vater aufs schwerste misshandelt zu werden, über Jahre hinweg so wie es aussieht. Aber ich habe gesehen, was die alleinige Erinnerung daran mit einem Menschen machen kann und das reicht, um jeden zu hassen, der einem andern so was antut.
 

Nach dem Nachmittag in der Stadt kam er wahrscheinlich nach Hause, wo sei Vater schon auf ihn wartete und so wie er danach aussah, immer noch aussieht, konnte er in den letzten Tagen wohl kaum in die Schule kommen.
 

Unbändige Wut kocht in mir hoch. Wut auf einen Mann, den ich nicht mal kenne, den ich nie gesehen habe, der Elija so etwas Furchtbares angetan hat. Ich merke, wie meine Hände sich um seine Oberarme verkrampfen. Schnell lasse ich ihn los und sinke erst mal zu Boden. Ich muss mich beruhigen. Der Schock und die Angst steckten mir noch in allen Gliedern.
 

Das war nicht ganz das, was ich erwartet habe, als ich beschloss ihn hier zu besuchen. Ich dachte er wäre arbeiten oder schwänzt die Schule oder sei sogar wirklich krank aber das, das hatte ich sicher nicht erwartet.
 

Ganz und gar nicht…

Kapitel 5 Teil 1 und 2

Kapitel 5 Teil 1
 

Seit Minuten schon sitzt Denis hier vor mir auf dem Boden und sagt kein Wort. Normalerweise wäre das mein Part, aber an dieser Situation ist nichts normal.
 

Noch immer frage ich mich, wie unsagbar dämlich ich gewesen sein muss, ihn überhaupt reinzulassen, wo ich doch genau wusste, was er vorfinden würde. Ich könnte mich im Nachhinein dafür verprügeln.

Glücklicherweise ist das nicht nötig, da dieser Teil freundlicherweise schon von einem Anderen übernommen wurde. Außerdem würde nur der Versuch mich selbst gebührend zu bestrafen so wehtun, dass das allein als Strafe völlig ausreichend wäre.
 

Ich muss mit den Konsequenzen meiner Handlungen leben, seinen sie auch noch so unbedacht.
 

Gnadenlos, mit Freuden und einem süffisanten Lächeln schnürt das Leben mir auf was ich verdient habe, lädt ab was lästig geworden ist, bis mein Rückgrat unter der Last zu knacken beginnt. Bis das Mahlen und Knirschen der überlasteten Wirbel meine Ohren durchdringt und meine geplagten Rückenmuskeln schreien, flehen doch den Kopf aus dem Dreck zu heben, den Rücken zu strecken.

Aber ich beuge mich, krümme mich unter der Macht der Folgen, weil ich der Last nicht standhalten kann und hinterlasse dabei eine Schar lechzender Chiropraktiker, von meiner mehrfach ruinierten Wirbelsäule fasziniert.
 

Ich bin ein Schwächling. Ich habe meine Konsequenzen allein zu tragen, auch wenn sie mich in die Knie zwingen.

So war es immer schon.
 

Wenn ich es mir Recht überlege, reicht meine Blödheit sogar noch weiter, man könnte sie schon fast als Selbstzerstörung deuten und müsste dafür nicht einmal besonders scharfsinnig sein.

Ich hatte meinen Entschluss gefasst, ich wusste, was ich zu tun hatte… und doch habe ich es nicht getan.

Hier haben wir den glücklichen Gewinner von Deutschland sucht den super Versager. Er hat uns eine eindrucksvolle Demonstration seines Könnens geliefert.
 

Als Denis plötzlich vor meiner Tür stand, da habe ich einen winzigen, mikroskopisch kleinen Moment der Schwäche zugelassen. Ich habe ihn nicht, wie es besser für mich gewesen wäre, wie ich es mir geschworen hatte, einfach weggeschickt. Ich bin nicht kalt und abweisend zu ihm gewesen, wie ich es mir vorgenommen hatte.
 

Nein. Nein verdammt!

Ich habe mich, wenn auch nur minimal, gefreut, dass er gekommen ist um mich, mich allein, zu sehen.

Ich habe diesem Gefühl nachgegeben, das ich nie wieder haben wollte.
 

Und jetzt sind wir Beide hier:

Ich das perfekte Klischee, des vom Vater Geschlagenen. Da habe ich mich immer redlich bemüht keinem Klischee zu entsprechen und nun scheine ich jedes nur denkbare zu erfüllen. Da fragt man sich doch, ob das Leben nicht ein bisschen ungerecht ist.
 

Wenn schon Klischee, warum kann ich nicht einfach der verzogene Sohn aus reichem Hause, oder der mufflige, einsame Superstreber sein? Ich wäre ja schon mit dem kleinkriminellen Asozialen zufrieden, aber nein. Warum muss da jemand seine dramatische Ader ausleben und mir gleich die volle Dröhnung verpassen. Jeder Verleger würde ein Buch darüber mit den Worten: „Viel zu abgedroschen, zu dramatisch. So was will doch keiner lesen“, ablehnen. Und mal ehrlich er hätte Recht.
 

War ja klar, dass ich immer den Mist abbekomme, den sonst keiner haben will. Ich hätte hier abgekaute Klischees, prügelnde Väter und nervige Klassenkameraden im Angebot. Zwei zum Preis von Dreien. Einkaufstüte gibt’s gratis dazu.
 

Auf der anderen Seite Denis. Nun, der ist eben Denis. Er hat noch mehr von meiner hässlichen und schwachen Seite gesehen. Er war entsetzt, geschockt, wütend. Er hat mich angeschrien, mich geschüttelt, nach mir gerufen, mir in fest in die Augen geschaut, Angst gehabt und… um mich geweint.
 

Das hätte nicht passieren dürfen. Niemals.
 

Langsam aber sicher geht mir dieses Geschweige auf die Nerven.

„Bist du hier festgewachsen oder was? Wenn du schon mal hier bist, dann kannst du auch mit hoch kommen.“

Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Jemanden in mein Zimmer zu bitten ist das Letzte, das ich je tun wollte. Sagen wir das Vorletzte, denn diese Situation macht eindeutig den letzten Platz. Am liebsten hätte ich ihn sofort nach Hause geschickt, aber er darf unter keinen Umständen ein einziges Wort hierüber verlieren, sonst bin ich geliefert.
 

Entweder muss ich ihn so lange beschäftigen, bis ich mir den perfekten Mord ausgedacht habe, oder ich muss mit ihm reden. Ich bevorzuge eindeutig die erste Variante; ich fürchte nur, dass er an Altersschwäche gestorben ist, bevor mein Hirn einen genialen Plan ausspuckt.

Also Reden… vielleicht sollte ich auch die Möglichkeit eines professionellen Killers in Betracht ziehen.

„Also was ist jetzt?!“, irritiert mustert er mich und macht keine Anstalten sich zu erheben. Ich schenke ihm einen meiner besten Todesblicke und siehe da, er bequemt sich endlich zum Aufstehen.
 

Langsam gehe ich die Treppe hinauf, immer darauf bedacht mich nicht zu viel zu bewegen. Schmerzen hatte ich in letzter Zeit sowieso schon genug und es ist ja nicht so, dass ich masochistisch veranlagt wäre. Ich kann hören, wie Denis hinter mir immer wieder stehen bleibt und wartet. Ich komme mir vor wie ein hundertjähriger Krüppel. Gott sei Dank ist es im Treppenhaus einigermaßen dunkel. Mein Gesicht hat in letzter Zeit eine ungesunde Affinität zu Ampeln.
 

„Hast du Stift und Papier dabei?“, kommt es plötzlich von hinten. Ungläubig starre ich ihn an.

„Ich wollte“, eines seiner schiefen Grinsen huscht ihm über den Mund, „nur schon mal mein Testament aufsetzen. Für den Fall, dass ich es nicht mehr bis nach Oben schaffe.“
 

Ich drehe mich um und krieche weiter nach oben.

„Arsch!“ Einem Zucken um die Mundwinkel gebe ich nicht nach. Wie gesagt ich bin nicht masochistisch. Aber einen schnellen, lauten Herzschlag gestatte ich mir. Wie schafft dieser Mistkerl es nur, dass ich ihm selbst für Beleidigungen unendlich dankbar bin?
 

Scheiße, ich hab nicht aufgeräumt. Überall liegen meine Klamotten und Bücher rum und ich hätte mir beinahe den Hals gebrochen, als ich mein Zimmer betrete, wenn (verdammt soll er sein!) Denis mich nicht im letzten Moment davor bewahrt hätte. Rettet er mich noch einmal, dann stürz ich mich von der nächsten Parkbank.
 

Interessiert sieht er sich um; er scheint jeden Zentimeter in sich aufzusaugen und das entschieden zu lange. Was soll denn daran so interessant sein? Obwohl, vielleicht hat er ja eine Art Höhle oder Folterkammer erwartet. Dann tut es mir herzlich Leid, dass ich ihn enttäuschen muss, aber meine eiserne Jungfrau bewahre ich auf dem Dachboden auf. Zusammen mit ausgesuchten Mitschnitten aus Klingeltonwerbung, unter Lebensgefahr gewonnen und die letzte Option falls jede andere Foltermethode unwirksam bleibt.
 

Ich lasse mich aufs Bett fallen und warte bis seine Augen wieder am richtigen Platz sitzen. Ich hätte ihn nicht mit Hoch bringen sollen. Falsch, ich hätte ihn gar nicht erst rein lassen sollen. Nicht in mein Zimmer, nicht ins Haus und absolut nicht in mein Leben.
 

Dieses Geheimnis war nicht für Fremde bestimmt und so muss es auch bleiben. Es dürfen nicht noch mehr Leute davon erfahren. Jetzt, wo ich fast soweit bin.

Entschlossen setzte ich mich auf und atme tief durch. Bereit zum Gefecht.

„Wenn du fertig bist mit starren, dann setzt dich endlich hin!“

„Wenn du mich so freundlich bittest.“ Er plumpst neben mich aufs Bett, aber nicht ohne vorher einen demonstrativen Slalom durch mein Chaos zu machen. Ich möchte bloß mal wissen wie es bei ihm im Zimmer aussieht. Wehe man kann dort nicht vom Fußboden essen.
 

Sein blauer Blick durchbohrt mich. Und plötzlich fällt mir wieder ein, warum sein Hiersein nicht nur in einer Hinsicht katastrophal ist. Meine uneinnehmbare Festung hat unter seinen andauernden Angriffen sehr gelitten und dieses Etwas, was da so gierig an den bröckelnden Mauern kratzt, darf unter keinen Umständen durchbrechen. Jedes Mal, wenn ich mit Denis zusammen bin, wächst es gewaltig.
 

Irgendwann könnte ich nicht mehr stark genug sein, um es zurück zu halten und dann bin ich erledigt…
 

Im Moment kann ich ganz deutlich spüren, wie es gegen meine Brust rennt. Bumm-bumm, Bumm-bumm. Kapitulation kommt nicht in Frage.
 

„Denis, du darfst niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von dem erzählen, was du heute hier gesehen hast. Hast du verstanden!“, meine Stimme wird ungewollt lauter. Das hier ist verdammt wichtig für mich. Sieg oder Niederlage, Leben oder Sterben.

„Das kann ich nicht!“
 

Tödlicher Schuss. Entsetzen steht mir ins Gesicht geschrieben. Das kann doch nicht sein Ernst sein. Er kann mir doch nicht kurz vor dem Ziel ins Bein schießen.

„Du verdammter…“, ich müsste mich zur Ruhe ermahnen, ich brauch sein Wort jetzt mehr als alles Andere.
 

Ich kann nicht.
 

Kalter Zorn brodelt in mir. Habe ich mich so in ihm getäuscht? Ich dachte er wäre nicht so ein Bastard wie alle Anderen, aber genau das war ein fataler Fehler. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich wusste es doch eigentlich immer schon. Wusste, dass man niemandem trauen kann, dass sie alle nur Ärger machen, dass sie dir nur wehtun.
 

Das hab ich jetzt davon, dass ich wieder schwach geworden bin. Ich kann den scharfen Stich in meiner Brust fühlen, der mehr schmerzt als die Wunden, die meinen Körper bedecken, sogar mehr als die Schläge selbst. So weit sollte es nie mehr kommen…
 

„Verstehe“, meine Stimme ist eiskalt und ruhig, „Verstehe... Wenn das so ist, dann geh doch. Geh doch und erzähl deinen kleinen begierigen Freunden, dass du beim Spinner zu Hause warst. Erzähl ihnen, dass dieser erbärmliche Schlappschwanz sich von seinem Vater Grün und Blau prügeln lässt und dann lach mit ihnen über diesen Versager. Na los g…“
 

KLATSCH!!!
 

Die hat gesessen! Die Ohrfeige ist so heftig, dass es mich auf den Boden schleudert. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich hielt ihn für einen unverbesserlichen Pazifisten. Noch ein Irrtum. Die Liste meiner Irrtümer könnte ich bald dem Guinnesbuch vorstellen. Ich hätte wirklich gute Chancen auf die längste je angefertigte Liste menschlicher Irrtümer.
 

In meinem Schädel arbeitet eine Armada von Presslufthämmern und meine Wange schmerzt höllisch. So viel Kraft hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich bleibe einfach liegen, fühle mich auf einmal so müde und seine wütende Stimme dröhnt ohrenbetäubend laut in meinen Ohren.
 

„Du verdammtes Arschloch! Was denkst du eigentlich von mir. Ich meinte…“

Das plötzliche Verstummen dieser Lärmquelle lässt mich die Augen leicht öffnen. Ist er endlich fertig? Endlich weg?

„Oh Gott, das wollte ich nicht! Ich hab nicht mehr dran gedacht… es tut mir so Leid… hab ich dir… geht’s dir Gut?“, sein besorgtes und aufgeregtes Gesicht tanzt verschwommen vor meinem.

„Lass mich allein…“, kommt es schwach über meine Lippen. Mein Körper ist bleischwer; ich kann meine Augen nicht länger offen halten. Eine wohlige Schwärze durchdringt mein Bewusstsein, ich scheine zu schweben.
 

Mit offenen Armen empfange ich das herannahende Nichts…
 

Als ich wieder zu mir komme, liege ich in meinem Bett. Wie bin ich denn hier her gekommen? Mein Blick wandert durchs Zimmer und da sitzt er. Auf einem Stuhl direkt neben dem Kopfende, die Augen starr auf mich gerichtet. Sie sehen rot und verweint aus. Bei meiner Bewegung zuckt er zusammen.
 

„Du siehst echt scheiße aus.“ Ich sehe ihn dabei nicht an. „Was willst du noch hier?“

„Elija, bitte hör mir zu. Es tut mir so Leid. Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist. Ich… ich hab einfach die Kontrolle verloren.“

Hör auf, ich will keine Entschuldigungen hören. „Schon gut, ich bin das ja gewöhnt und jetzt verpiss dich!“ Vielleicht sollte ich ihn noch bitten mein Zehnerkärtchen abzustempeln. Zehn mal und ich krieg eine umsonst. Das darf ich mir doch nicht entgehen lassen.

„Nein, es ist nicht gut! Ich hab dich geschlagen…“, ein leises Schluchzen ist zu hören, „Das wollte ich nicht…“
 

Er sieht erbärmlich aus, so zusammengesunken auf seinem Stuhl. Ein Anblick, der mir wider Willen ein schlechtes Gewissen beschert. So bescheuert muss man erst mal sein, immerhin hat er mich geschlagen und nicht ich ihn; immerhin ist er der Bastard und nicht ich. Mit Sicherheit bin es also nicht ich, der ein schlechtes Gewissen haben sollte und doch nagt es an mir, reißt kleine Bröckchen aus mir heraus. Ein Grund mehr ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Auf Dauer ist das echt zermürbend.
 

„Ich möchte, dass du jetzt gehst“ und das will ich wirklich.

Er schluckt trocken und wischt sich mit dem Ärmel über die Augen.

„Gut, aber vorher muss ich dir noch was erklären. Du hast mich gebeten nichts davon zu erzählen, dass dein Vater dich verprügelt. Dich verprügelt, dass du am Ende so... so aussiehst.“ Der Blick der mich dabei trifft, gefällt mir überhaupt nicht.

„Das kann ich nicht! Das kann ich nicht und will ich nicht, weil ich mir Sorgen um dich mache. Dir geht’s hundsmiserabel und ich soll so tun als ob Nichts passiert wäre? Das läuft wahrscheinlich schon seit Jahren und wird auch so weitergehen, wenn niemand etwas ändert und ich soll einfach weg sehen? Ich soll einfach ruhig stehen bleiben und zusehen, wie du dich jeden Tag weiter quälst?“
 

Unsere Augen treffen sich. Aus seinen sprechen echte und ehrliche Sorge und Wut, aus meinen nur Abweisung und Kälte.
 

„Tut mir Leid, das kann ich nicht. Dazu bist du mir nicht egal genug.“
 

Ohne ein weiteres Wort steht er auf und verlässt mein Zimmer. Ich lausche seinen Schritten auf der Treppe und höre, wie die Haustür zufällt.

Ich bin wieder allein.
 

Die untergehende Sonne wirft lange Schatten durch mein Fenster und taucht alles in ein goldenes Licht. Ich sehe zu, wie der Glanz sich langsam zurückzieht und nichts als kalte, vertraute Schwärze zurücklässt, die mir langsam meine Brust hinaufkriecht und ihre besitzergreifenden Arme um mich schließt, mir die Luft abschnürt. Die Stille drückt unerträglich auf meine Ohren. Ich habe das Gefühl, als würde dieses kalte, leere Haus mich erwürgen und ich bin gefangen, wie die Ratte in der Falle.
 

Ich spüre sie schon, wie sie eine nach der andern meine Wange hinunterrollen und sich unbemerkt in der Dunkelheit verlieren. Ein nicht enden wollender Strom, der mich, wie so oft in den Schlaf begleiten wird.
 

Ganz klein rolle ich mich zusammen, ziehe die Decke über mich, die mir doch keinen Schutz geben kann, vor der Alles verschlingenden Schwärze, schlinge die zitternden Arme um meinen Oberkörper, die mich doch nicht wärmen können, in dieser Alles durchdringenden Kälte und warte.
 

Warte auf den betäubenden Schlaf, der mich in ein paar Stunden, vielleicht aber auch gar nicht, für kurze Zeit von all dem erlösen wird.
 


 

Kapitel 5 Teil 2
 

„Denis!?“, meine Mutter klingt entsetzt, „Was ist denn mit dir passiert? Du bist so blass und deine Augen… hast du etwa geweint?“

Sehe ich wirklich so schlimm aus? Nun, das würde zumindest die komischen Blicke im Bus erklären.
 

„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich bin nur ein bisschen müde, das ist Alles.“

Ich kann ihrem Gesicht ansehen, dass sie mir das nicht abkauft, aber sie fragt nicht weiter nach, wofür ich ihr im Moment sehr dankbar bin. Ich bin mir selbst nicht im Klaren wie es mir geht.

„Ich hab nicht gewusst, dass du so spät kommst, aber ich habe dir was vom Abendessen aufgehoben. Soll ich es dir warm machen?“

„Nein Danke, ich hab keinen Hunger. Ich geh schon ins Bett.“
 

Ich kann fühlen, wie meine Mutter mir besorgt hinterher schaut. Sie hat Grund sich Sorgen zu machen, aber nicht um mich, mir geht es im Vergleich zu ihm wirklich blendend.

Völlig erschöpft lasse ich mich aufs Bett fallen. Ich will nur noch schlafen. Für heute habe ich genug gesehen, genug gehört und genug getan. Morgen sieht alles vielleicht etwas anders aus, aber im Augenblick ist es nur dunkel. Auf den beruhigenden Schlaf brauche ich nicht lange zu warten, er überfällt mich auf der Stelle.
 

Mein Blick fällt auf den Wecker. Neun Uhr Vierzig, beruhigt drehe ich mich noch mal um… Neun Uhr Vierzig! Wie von der Tarantel gestochen fahre ich auf. Ich hab verschlafen!
 

Während ich versuche, mit der einen Hand meine Socken anzuziehen und mich mit der anderen in mein Hemd zu wursteln, übersehe ich den Haufen mit Schulsachen, der den kürzesten Weg zwischen mir und der Tür blockiert. Fluchend gerate ich ins Taumeln und da keine Hand frei ist, um mich abzustützen, knalle ich ungebremst mit dem Schädel gegen meine Schranktür.

„Fuck!“, das gibt ne ordentliche Beule.
 

Mein Blick wandert noch mal zum Wecker zurück. Warum zum Teufel hat der eigentlich nicht geklingelt?

Eine fürchterliche Erkenntnis rastet in meinem, sich noch im Tiefschlaf befindenden, Hirn ein. Ich gehe vorsichtig ein paar Schritte näher.
 

„Fuck!!!!“, wütend trete ich gegen den Nachttisch. OK, keine gute Idee, denn jetzt schmerzt nicht nur mein Schädel, sondern auch noch meine Zehen fühlen sich an, wie gebrochen.
 

Samstag. Heute ist Samstag. Ich könnt mir echt in den Arsch beißen.
 

Da an Weiterschlafen nicht mehr zu denken ist, beschließe ich meinem knurrenden Magen nachzugeben und mache mich auf den Weg in die Küche. Beim Essen wandern meine Gedanken wieder zurück zu Gestern. Dass ich ihn tatsächlich geschlagen habe, kann ich mir nicht verzeihen. So was ist sonst nicht meine Art, ganz und gar nicht, aber mir ist einfach eine Sicherung durchgebrannt.
 

Was er gesagt hat war so verletzend. Aber, Scheiße! Im Nachhinein schnürt es mir die Brust zu; Elija trifft überhaupt keine Schuld. Aus ihm sprachen unerträgliche Schmerzen, Einsamkeit und Enttäuschung… Und ich hab ihm weitere zugefügt, ihn ganz allein zurückgelassen.
 

Schon fühle ich mich hundsmiserabel. Der Löffel, der sich eben noch Richtung Mund bewegt hat, wandert zurück in die Schüssel, der Appetit ist mir erstmal gründlich vergangen. Eigentlich hatte ich vor mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Jemandem, der ihm aus dieser Situation helfen kann. Jetzt komme ich mir vor, als ob ich ihn verraten würde, wenn ich das tue. Die Situation aber einfach so zu belassen kommt nicht in Frage.
 

Mein Entschluss ihn noch mal zu besuchen steht fest. Wir müssen dringend noch mal miteinander Sprechen. Eine kurze Nachricht für meine Eltern und schon bin ich weg.
 

Wieder stehe ich vor seiner Tür und mein Herz veranstaltet einen Trommelwettbewerb, schlimmer noch als gestern, nur diesmal gibt es wirklich einen guten Grund dafür. Wird er mir überhaupt aufmachen? Ich glaube ich würde es nicht tun.
 

Kaum, dass ich die Klingel gedrückt habe, ertönt der Summer. Nun bin ich doch etwas überrascht. Vorsichtig öffne ich die Tür und da steht er an der Treppe, sieht mich ausdruckslos an.

„Was willst du hier?“
 

Ich schließe die Tür und hole tief Luft. Bloß keinen Fehler machen, ich darf’s mir mit ihm nicht endgültig verscherzen.

„Ich glaube, wir habe da noch einiges zu klären. Darf ich hochkommen?“

„…“

„Bitte.“

Schweigend geht er die Treppe nach oben. Ich deute das jetzt einfach mal als ja.
 

Im Zimmer angekommen sitze ich ohne Umschweife auf seinem Bett.

„Du hast ja immer noch nicht aufgeräumt. Schon vergessen, dass du dir gestern fast den Hals gebrochen hättest?“, so wie ich heute in meinem eigenen Zimmer, meldet sich eine gehässige Stimme; ich sollte mein Maul nicht so aufreißen.
 

Er mustert mich verwirrt. Die Mauer, die sich wie ein gigantischer Festungswall zwischen uns auftürmt, scheint unüberwindbar hoch. Höher, als sie schon einmal war. Über Nacht sind einige Reihen neuer Ziegelsteine dazugekommen. Es schmerzt mich ungewöhnlich heftig, zu sehen, wie er sich wieder weiter vor mir zurückzieht.

Er wartet mit verkrampfter Haltung, dass ich endlich ausspucke, was zu sagen ich hergekommen bin.
 

„Ich werde niemandem etwas erzählen“, sein Gesicht entspannt sich ein wenig, „aber nur unter einer…“, mein Blick fällt auf den mitgebrachten Rucksack, „Zwei Bedingungen.“

Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, seine Züge sind starr. Sein Blick ist immer noch abweisend und hart.
 

„Erstens: Hör auf, vor mir wegzulaufen und dich vor mir zu verstecken. Sooo schlecht wie du denkst bin, ich auch nicht, hoffe ich jedenfalls. Ich bin gern mit dir zusammen und ich habe nicht vor dir noch mal auf irgendeine Art weh zu tun. Das musst du mir glauben. Und hör endlich auf mich mit diesem Mörderblick zu löchern, eine angemessene Bestattung können sich meine Eltern im Moment nicht leisten.“
 

Diesmal sieht er mich mit seinen grünen Augen direkt an. Ein Abgrund tut sich darin auf, in dessen Tiefen Schmerz, Einsamkeit und stumme Verzweiflung miteinander ringen, in tonlosem Todeskampf ineinander verbissen und quasi nicht mehr zu trennen. Er läuft nicht weg, aber es scheint ihn große Überwindung zu kosten. Unendlich traurig sieht er aus und ich habe das beklemmende Gefühl, ich bin der Grund dafür.
 

Ganz langsam nickt er. „Und die zweite Bedingung?“
 

„Du lässt dich von mir verarzten.“ Ein Grinsen kann ich mir nicht mehr verkneifen, so belämmert sieht er aus.

„Du willst was?“

„Naja, ich hab mir Gestern schon gedacht, dass ein Paar der Schnitte und Prellungen echt übel aussehen und darum hab ich“, feierlich ziehe ich einen Verbandskasten und mehrere Salben aus meiner Tasche, „ein bisschen was zur Pflege dabei.“

„Sonst geht’s dir aber noch gut?“
 

Grinsend klopfe ich neben mir aufs Bett. „Selbst du musst inzwischen mitgekriegt haben, was für ein fürsorglicher Mensch ich bin.“

Nachdem er fertig ist mich mit einer Mine ernsthafter Besorgnis zu mustern, als würde er um meine geistige Gesundheit zu fürchten, setzt er sich resigniert mit dem Rücken zu mir.

„Das wirst du mir büßen.“

„Irgendwann gerne, aber jetzt zieh dich aus. Oder muss ich das erledigen?“

Ich hab schon die Hände an seinem T-Shirt, als er sie mit leicht rotem Gesicht beiseite schlägt.

„Das mach ich selbst!“
 

Das T-Shirt gleitet langsam zu Boden und ich muss schlucken. Vorsichtig berühre ich einen der Blutergüsse, die seinen Rücken über und über bedecken. Die Haut fühlt sich unerträglich heiß an und Elija schauert, als meine kalten Hände sie berühren. Was hat dieses Monster nur mit dir gemacht.
 

Ich nehme eine der Salben und beginne sie sanft auf seinem Rücken zu verteilen. Die verkrampften Muskeln fangen an sich zu entspannen, doch immer wieder zuckt er zusammen.

„Ich tu dir doch nicht weh, oder?“

„Nein“, kommt es überraschend sanft zurück, „es ist nur kalt, das ist alles.“

„Wirklich?“

„Nein…,“ er rollt mit den Augen, das weiß ich auch ohne es zu sehen. „In Wirklichkeit habe ich schrecklich Angst vor gelben Lastwagen und jedes Mal, wenn ich das Postauto vor meinem Fenster sehe, bekomme ich eine kleine Panikattacke.“

So schlimm können die Schmerzen also nicht sein.
 

Erneut fallen mir die Schnitte an seinen Armen auf. Selbst wenn sein Vater ihn verprügelt und ihn, bei dem Gedanken wird mir schlecht, ihn Grün und Blau schlägt, erklärt das nicht diese Schnitte. Es geht mich nichts an, aber ich muss fragen, denn es erscheint mir auf einmal ungeheuer wichtig.

„Elija, diese Schnitte… hast du sie dir… ich meine r…“

„Nein!“ Hastig bedeckt er sein linkes Handgelenk.
 

Zu spät, ich hab sie schon gesehen. Auf seiner hellen Haut kaum zu erkennen, ein einzige schmale, weiße Narbe. Sie sieht alt aus, schon lange verheilt. Fast verzweifelt presst er seine rechte Hand darauf, seinen Kopf gesenkt, sodass sein Gesicht fast vollständig von seinen Haaren bedeckt wird.

„Dieses Mal bin ich in unsere Glasvitrine gefallen. Sie ist kaputt gegangen… Da waren Scherben. Überall...“
 

Mein Hals fühlt sich seltsam trocken an und die Augen brennen. Der Drang, ihn ganz fest in die Arme zu schließen und einfach nur zu halten, ist übermächtig.
 

Wie kann ein Mensch so viel aushalten ohne daran zu zerbrechen?

Die Antwort ist einfach:

Gar nicht.

Er ist bereits zerbrochen, wie diese Glasvitrine, in tausend messerscharfe Scherben.
 

Vorsichtig, fast schon zärtlich, sprühe ich jeden einzelnen der Schnitte mit Desinfektionsmittel ein und klebe Pflaster drüber.

Fast zwanzig Minuten bin ich beschäftigt, bis ich mit dem Letzten fertig bin.

„So“, meine ich zufrieden. Er ähnelt inzwischen einem Model für Heftpflasterwerbung, „jetzt nur noch das Gesicht.“
 

Ich setze mich ihm gegenüber und er blickt mir gerade in die Augen. Den Ausdruck darin kann ich nicht deuten. Mein ganzer Körper ist auf ein Mal unnatürlich heiß und mein Herz schlägt so laut, dass ich mir sicher bin, er kann es hören.
 

Ich streiche ihm die Haare aus dem Gesicht; er schließt seine Augen und einen Moment kann ich nichts anders tun als ihn zu betrachten, bis ich mich vage erinnern kann, dass das alles hier irgendeinem merkwürdigen Zweck dient.

Meine Finger streichen über sein Gesicht: seine Nase, seine Wangen, seine Stirn auch seine Lippen; mein Herz tut einen begeisterten Hüpfer, es bekommt gar nicht genug davon. Obwohl ich dabei die kühlende Salbe verteile, habe ich schon lange nicht mehr das Gefühl, dass es darum geht. Seine Wange schmiegt sich an meine Hand, seine Augen sind immer noch zu. Ich fahre mit dem Daumen über sein geschlossenes Augenlid.

Er wehrt sich nicht.
 

Was zum Teufel tue ich hier?
 

Unsere Körper sind so nahe beieinander, dass ich die Wärme spüren kann, die von ihm ausgeht. Die Haut unter meinen Fingern fühlt sich trotz der Verletzungen samtweich an, meine Handfläche kribbelt. Mein Bauch ist seltsam hohl. Noch immer liegt meine Hand an seiner Wange. Ich kann mich einfach nicht dazu bringen, sie weg zu nehmen.
 

Was tue ich hier?
 

Plötzlich zuckt er zusammen. Als hätte ich einen Stromschlag verpasst bekommen ziehe ich schnell meine Hand zurück.

Wir haben da gerade eine unsichtbare Grenze überschritten. Wohin kann ich allerdings nicht sagen. Hastig zieht er sein Hemd wieder an, tunlichst darauf bedacht mich nicht anzusehen und doch, in dem kurzen Augenblick, in dem sich unsere Blicke kreuzen, bin ich mir sicher, Angst darin zu sehen. Angst wovor, doch nicht vor mir?
 

„Hast du Hunger?“

„Äh, was?“ Diesem Gedankengang hätte ich selbst in meinen wacheren Momenten nicht folgen können. In diesem Zustand fortgeschrittener..., ja was eigentlich?- Ist es absolut unmöglich.

Er schüttelt nur den Kopf und ruft, schon halb zur Tür draußen: „Essen gibt’s unten.“

Schon ist er weg. Das ganze sah mir irgendwie verdächtig nach einer Flucht aus. Seufzend folge ich ihm. Und da sag noch mal einer, Frauen wären schwer zu verstehen.
 

Zum ersten Mal sehe ich mich richtig im unteren Stockwerk um, unser erstes Zusammentreffen hier hat das irgendwie verhindert. Es ist offen, hell einladend aber einen Tick zu steril um eine wohlige Atmosphäre zu vermitteln.

Küche, Esszimmer und Wohnzimmer sind in einem riesigen Raum, der gegenüber dem Eingangsbereich von einer ausladenden Glasfront abgeschlossen wird. Alles stilvoll und modern eingerichtet. Alles sehr schick, aber ich kann den Eindruck nicht abschütteln, dass etwas fehlt. Das Gefühl von bewohnt sein liegt nur oberflächlich über diesem Werk geschmackvoller Einrichtungskunst.
 

Das Auffälligste aber ist ein schöner schwarzer Flügel, der mitten im Raum steht. Ehrfürchtig gehe ich zu ihm hinüber. Der schwarze Lack glänzt makellos, nicht ein einziger Fingerabdruck ist darauf zu sehen und trotz dieser peniblen Sauberkeit, oder vielleicht gerade deswegen, wirkt er als einziger Gegenstand im Raum, mit mehr als nur Pflichtbewusstsein umsorgt. Hinter mir höre ich Elija näher kommen.
 

„Der gehörte meiner Mutter.“ Fast zärtlich streicht er über die Tasten.

„Gehörte?“ Ich ahne schlimmes.

„Ja, sie ist gestorben als ich 12 war.“

Ich wünsche mir ich hätte nicht gefragt. Ich und mein vorlautes Mundwerk.

Er sieht traurig aus, aber irgendwie wirken seine Gesichtszüge weicher, als er weiterspricht.

„Sie liebte das Klavierspielen“, ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht; das Erste, das ich je zu Gesicht bekommen habe. Er ist richtig schön, wenn er lächelt, geht es mir durch den Kopf. Schade, dass er das nicht öfter tut.
 

Langsam setzt er sich auf den Schemel. „Sie hat auch mir beigebracht zu spielen…“ Sein Blick gleitet ab, sucht in den Tiefen des Flügels nach etwas, das nur er sehen kann. „Dann saß die ganze Familie bis spät in die Nacht gemeinsam hier. Wir haben sogar manchmal vergessen zu Abend zu essen, bis mein... Aber seit sie tot ist, kann ich nur noch heimlich spielen. Er hasst es, wenn ich spiele…“
 

„Spiel was für mich!“ Ich würde ihm zu gerne einmal beim Spielen zusehen.

„Kommt nicht in Frage, ich spiele nur für mich selbst.“

„Ach komm schon. Bitte!“ Ich setze meinen herzerweichendsten Hundeblick auf. „Bitte…bitte, bitte, bitte…“
 

Ha! Ich wusste doch, dass mein Blick wirkt. Schnell wendet er sein Gesicht von mir ab. Habe ich da einen leichten Rotschimmer gesehen? Er beißt sich auf die Lippe, verharrt zögernd mit den Händen über den Tasten. Noch immer kann er sich nicht überwinden.

„Bitte Elija. Nur ein Mal.“
 

In dem Moment, als seine schlanken weißen Finger die Tastatur berühren, hat er mich völlig vergessen, befindet er sich in seiner eigenen Welt. Ganz sachte bewegen sie sich über die Tasten, weben ein hauchzartes Klanggewebe, das leicht durch den Raum schwebt. Wie etwas unendlich Kostbares spielt er jeden Ton. Die Augen geschlossen. Sein Gesicht ist so ruhig und entspannt, wie ich es noch nie gesehen habe.
 

Schön.

Nie schien mir dieses Wort passender. Schön, trotz all seiner Verletzungen.
 

Immer schneller fliegen seine Hände über die Tasten, immer lauter klingt die Musik in meinen Ohren. Sie wird drängender, fordernder und doch vibriert in jedem Ton eine unaussprechliche Traurigkeit.
 

Anmutig, virtuos führen seine Finger ein Ballett auf, wie ich es noch nie gesehen habe.
 

Die Musik fließt durch jede Faser seines Körpers, spiegelt sich in einem kaum sichtbaren Beben seiner vollen Lippen, einem Flattern der geschlossenen Augenlider, einem leichten Runzeln der Stirn. Mal bewegt sich sein Kopf ganz nah zu den Tasten, als würde er sich vor Schmerzen winden. Dann wieder bewegt er sich fließend zurück, legt ihn stolz in den Nacken. Seine glänzenden schwarzen Haare, die es zuvor noch versteckten, geben sein Gesicht frei.
 

Während er spielt stehe ich einfach nur da, kann mich nicht rühren, traue mich nicht auch nur ein einziges Mal zu Blinzeln, aus Angst etwas zu verpassen. Schon längst habe ich es aufgegeben gegen die Tränen zu kämpfen, die jetzt unaufhörlich über mein Gesicht rollen.

Es ist mir egal.
 

Im Moment, ist nur eines wichtig: Die süße, mal schmerzhafte, mal leidenschaftliche, dann quälende, mal zornige oder ruhige Melancholie der Musik, die mich nicht mehr loslässt.
 

Aber das ist es nicht, was mich bis in mein tiefstes Inneres gefangen nimmt, was mich wie einen Idioten mit offenem Mund dastehen lässt, was meinen Brustkorb so schwer macht, dass atmen zu anstrengend wird.
 

In jedem Ton, in jeder noch so winzigen Bewegung steckt so viel Gefühl, so viel Wesen, so viel Seele. Keine Mauern, keine schwarzen Tücher verbergen ihn im Moment vor mir.
 

Gerade jetzt kann ich „Elija“ hören, genauso, wie er ist. Und er ist die schönste und traurigste Melodie, die ich je gehört habe, so kostbar und… zerbrechlich aber gerade deshalb so unendlich wertvoll und schützenswert.
 

Während ich so dastehe, überwältigt von dieser Flut von Gefühlen, die durch den Flügel, direkt aus seinem Inneren auf mich einströmen, da weiß ich es.
 

Weiß es mit unerschütterlicher Gewissheit.
 

Seit der erste Ton mein Ohr erreicht hat, ist es entschieden, war es bereits zu spät.
 

Diese Melodie hat mich betört, mich eingewoben in ihr feines, zartes, schwarzes Netz und ich habe mich darin verfangen.
 

Mein Herz hat sich entschieden. Ohne mich zu fragen, hat es sich entschieden.
 

Als der erste Ton mein Ohr erreicht hat, da war es bereits zu spät.
 

Da gehörte mein Herz schon dir.

Kapitel 6 Teil 1und 2

Kapitel 6 Teil 1
 

„Ich weiß ja, dass ich nicht der beste Klavierspieler bin. Aber so schlecht, dass es dir Tränen in die Augen treibt, bin ich auch nicht!“

„Ich glaube du missverstehst da was, ich heul doch nicht, weil du schlecht bist. Du warst einfach… fantastisch. Und das meine ich wirklich ernst!“ bekräftigend nickt er mit dem braunen Schopf und schaut mich dabei mit diesem treuherzig ehrlichen Hundeblick an, der mir vorher schon den Rest gegeben hat.
 

Ich weiß ja nicht, was er mit dieser widerlichen Schleimerei erreichen will. Und es würde mir ja auch nichts ausmachen, wenn er derjenige wäre, den nachher diese Sauerei wegmachen müsste, da dem nicht so ist, wäre es mir lieber er würde das bleiben lassen. Ich habe nämlich absolut keine Lust länger als nötig den Feudel zu schwingen.

Die akute Rutschgefahr ist aber bei Weitem nicht das Schlimmste. Dieses Gefühl, als wäre mein ganzer Brustkorb mit diesem ekligen, warmen Schleim gefüllt, der meine Pumpe daran hindert richtig zu schlagen, ist es, was mir wirklich zu Schaffen macht.
 

„Du bist nicht zufällig auf den Kopf gefallen, oder?“

„Doch, heute Morgen bin ich… woher weißt du das!?“

„Ach, war nur so’n Gedanke.“ Damit wäre sein merkwürdiges Verhalten geklärt.

Mein Blick bleibt an den Pflastern hängen, die meinen Arm über und über bedecken. Damit wäre geklärt, was da in ihn gefahren ist. Für mich dagegen, habe ich keine einleuchtende Entschuldigung parat, dass ich mich aufgeführt habe, wie eine liebeskranke Schwuchtel. Einfach nur erbärmlich.
 

„Sag mal, was ist denn heute Morgen mit deinem Schädel passiert?“ Das interessiert mich jetzt schon.

„Naja“, irgendwas scheint ihm schrecklich peinlich zu sein und ich bring es nicht über mich, mich darüber nicht ein kleines gigantisches Bisschen zu freuen, „ich dachte, ich würde zu spät in die Schule kommen und war etwas hektisch.“

„Du weißt aber schon, dass heute Samstag ist?“

„Ja, du Idiot, das hab ich später auch gemerkt. Jedenfalls bin ich über Schulbücher gestolpert und hab mir den Kopf ordentlich am Schrank angehauen. Ich hab gedacht, mein Schädel sei gespalten.“

„Du erwartest doch jetzt kein Mitleid, oder?“ Danke! An was auch immer da oben zwischen den grauen Wolken rumgammelt und das Leben der Menschen, auf diesem dreckigen Erdklumpen, ordentlich verpfuscht. Offenbar gibt es doch noch Gerechtigkeit.
 

„Nein, aber eine kleine, tröstende Umarmung wär’ nicht schlecht.“, grinst er und reckt erwartend die Arme.
 

Fuck! Was auch immer da Oben rumgammelt ist ein hinterhältiges, mieses… mir so in den Rücken zu fallen. Ich bin sicher, meine Ohren leuchten schon im Dunkeln.

„Wichser!“

Etwas energischer als gewollt, schlage ich die Klappe des Klaviers zu und aus dem nahe gelegenen Regal segelt ein kleines Stück Papier zu Boden. In dem Moment, in dem Denis es aufhebt, erkenne ich, was es ist.
 

In diesem verdammten Haus gibt es so viele uninteressante, unwichtige Dinge, die ihm hätten in die Hände Fallen können, aber es muss ja natürlich ausgerechnet dieses alte Foto sein. Wütend balle ich meine Fäuste, ich hätte dieses Foto schon längst vernichten sollen; es verbrennen, vergraben, in klitzekleine Stückchen reißen und von der nächsten Brücke schmeißen oder dem kleinen Kläffer der Nachbarn damit das Maul stopfen; stattdessen ist es immer noch hier, in den Händen desjenigen, der schon zu viel weiß, mehr als genug um mir…
 

„Gib das her!“, hastig greife ich nach dem Bild. Ein reißendes Geräusch ist zu vernehmen. Jeder von uns hält plötzlich einen Teil der Fotografie.

„Oh nein, das wollte ich nicht! Vielleicht kann man es wieder zusamm…“
 

Nachdenklich betrachte ich meine Hälfte, sie zeigt einen großen, stattlichen, attraktiven und durchaus sympathischen Mann Anfang Vierzig. Weiches braunes Haar fällt ihm locker in die Stirn und klare, graue Augen schauen aus diesem lachenden Gesicht direkt in die Kamera. An seinen linken Hemdärmel klammert sich eine blasse Hand, die zu dem kleinen, schwarzhaarigen Jungen gehört, der nun mittendurch gerissen ist. Das strahlende Gesichtchen wirkt durch den Riss seltsam verzerrt.
 

Lange habe ich das Foto nicht mehr in den Händen gehalten und doch weiß ich genau, was auf der anderen Hälfte zu sehen ist, kann mich an jedes, noch so winzige Detail, exakt erinnern. Wochenlang habe ich nichts anderes gesehen, bestand meine Welt nur aus dieser zerknitterten Fotografie. Nächtelang hab ich mich bei diesem Anblick in den Schlaf geweint, bis ich es irgendwann nicht mehr ertragen konnte, all diese glücklichen Gesichter zu sehen. Für immer sollte es verschwinden, aber egal wie oft ich ein Feuerzeug darunter hielt, verbrannt ist es nie…
 

„Ist das deine Mutter? Sie ist wunderschön“, flüstert Denis fast ehrfürchtig. „Du siehst ihr so ähnlich, wie aus dem Gesicht geschnitten.“
 

Ja, das tue ich und ich verfluche sie dafür, dass sie mich zu einem männlichen Spiegelbild ihrer Selbst gemacht hat, dass sie mich als unperfekte, mangelhafte und fehlerhafte Kopie hier zurückgelassen hat.
 

Wie sie so dasteht, in ihrem leichten Sommerkleid, in dessen Blumenmuster ich jedes Blütenblatt in und auswendig kenne, ihren glänzenden schwarzen Haaren, die sich in einer ewigen, unsichtbaren Sommerbrise kräuseln und mit ihren leuchtenden, grünen Augen, die den meinen so ähnlich sind, liebevoll auf den kleinen Jungen schaut, so als würde sie gar nicht sehen, dass er mittendurch gerissen ist; da will ich sie nur noch zerstören und dieses falsche und trügerische Bildnis immerwährenden Sommers vernichten.
 

„Elija?“ Vorsichtige Fingerspitzen streichen über meine Wange, ziehen sich aber gleich wieder zurück. Sie hinterlassen ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut.
 

„Das Foto hat dir viel bedeutet stimmt’s? Ich kann versuchen es zu reparieren, wenn du willst.“
 

„Das wird nicht nötig sein, ich wollte es sowieso wegwerfen.“, mit diesen Worten zerknülle ich beide Teile und werfe sie in den Mülleimer in der Küche. Nicht ohne vorher kurz zu zögern, wie nicht anders zu erwarten vom unangefochtenen König der Loser. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er mich mit seinen blauen Augen verdutzt und besorgt mustert und dann resigniert den Kopf schüttelt.

Als der Deckel zufällt überkommt mich eine merkwürdige Beklemmung, schnell verlasse ich die Küche. Nicht ohne noch einen letzten Blick auf das schwarze Plastik zu werfen, das mich von einem anderen Leben trennt.
 

Denis steht noch immer im Wohnzimmer wie bestellt und nicht abgeholt. Er sagt nichts. Sein morgendlicher Unfall hatte offenbar größere Auswirkungen, als ich gedacht habe. Seine Augen kleben unverständlicher Weise förmlich an mir. Prüfend schaue ich an mir herunter. Ich habe weder meine Unterhose über die Hose angezogen noch trage ich einen rosa Strampelanzug, nichts was es rechtfertigen würde mich mit diesem Röntgenblick zu durchleuchten.

„Würde es dir was ausmachen, mein Krebsrisiko so niedrig wie möglich zu halten?“

„Dein Was?!“

„Krebsrisiko. Röntgenstrahlen sind ungesund.“
 

Er mustert mich verwirrt. Meine Güte, vielleicht habe ich seinen IQ doch etwas überschätzt, im Moment ist wahrscheinlich selbst ein Kochtopf intelligenter als er und der enthält immerhin noch Luft.

„Vergiss es!“ Bei dem ist schon alles zu spät.
 

Welche Fehlfunktion meiner Gesichtsmuskeln, ihn auch immer veranlasst haben mag die folgende Frage zu stellen, um das Schweigen zu brechen, sie sollte dringend behoben werden. Da korrigierende OPs zu teuer sind, werde ich wohl endlich mein Handbuch lesen müssen. Sonderlich kompliziert kann es ja nicht sein.
 

„Dieser Mann auf dem Foto. War das dein Vater?“
 

Möööp! Tut mir Leid, das war die falsche Frage. Und damit scheidet der Kandidat in der 4. Runde aus. Als Trostpreis hätten wir hier diese Socke, die der bekannte griechische Marathonläufer Sokis Stinkis während seines Siegeslaufes getragen hat, ungewaschen versteht sich.
 

Warum musste er mich ausgerechnet jetzt daran erinnern? Meine Laune ist gerade bungeejumpen und Denis war so freundlich das Gummiseil durchzuschneiden, das sie aus dieser bodenlosen Tiefe wieder nach Oben befördern sollte. Wenn sie ganz unten aufschlägt, ist es besser, Denis ist nicht hier. Niemand sollte dann hier sein, man stelle sich nur mal das Massaker vor vor.
 

Ich bin mir sicher, ein harsches und kaltes Wort genügt um ihn zum Verschwinden zu bringen. Mein Hirn hat sich da was besonders Schönes ausgedacht:

„Ich will jetzt allein sein.“

Äh? Wo zum Teufel sind die zu Recht gelegten Worte verloren gegangen, das klingt ja fast nett, so gar nicht nach mir. Jetzt bin ich ernstlich besorgt, ich hatte ja schon früher Differenzen zwischen Hirn und Körper, so schlimm war es allerdings noch nie.
 

Er sieht enttäuscht aus: „Na gut, aber nur, wenn ich Morgen wieder kommen kann.“

Warum ist der Kerl so scharf darauf Zeit mit mir zu verbringen? Ich bin ein Magnet für Bekloppte.

Im Wissen darum, dass ich es teuer bezahlen werde, stimme ich zu. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich nicht doch etwas masochistisch geworden bin, gewisse Tendenzen lassen sich einfach nicht mehr leugnen. Damit kann ich ein weiteres Stichwort auf meinem verkorksten Loserlebenslauf hinzufügen; langsam aber sicher wird der Platz ziemlich knapp.
 

Völlig überrumpelt finde ich mich in einer engen Umarmung wieder. Seine Haare kitzeln meinen Nacken und mir wird bewusst, wie unglaublich gut er doch riecht. Eine Mischung aus Blumen und Wind, ein bisschen Sonne und Wärme, fast wie Sommer. Wie ein nasser Sack stehe ich da, während er mich an sich presst als ob er mich zerquetschen wollte. Die verzweifelten Notrufsignale meiner Rechenzentrale verlieren sich irgendwo zwischen Rückenmark und Gliedmaßen; nichts rührt sich. Seine behagliche, wohlige Wärme hüllt mich vollkommen ein, macht mich benommen, jagt einen Schauer nach dem Anderen durch meinen kalten Körper.

Und auf ein Mal, ist da dieses Gefühl, von etwas unglaublich Weichem und Zartem, das mich kurz unter meinem Ohr flüchtig berührt und meinen Herzschlag kurz aussetzten lässt.

Das war doch nicht etwa…
 

Minuten später stehe ich immer noch dort wo er mich zurückgelassen hat. Wie Denis gegangen ist, habe ich nicht mitbekommen, er war plötzlich einfach weg. Ganz langsam legt sich das Trommelkonzert in meinem Inneren, bis es zu einer erträglichen Lautstärke abgeklungen ist, nur die heiße Stelle unter meinem Ohr bleibt überdeutlich.
 

Auf was habe ich mich da nur eingelassen?
 

Panik schwappt in Wellen durch mich hindurch, überfällt mich im einen Moment mit eisiger Kälte, nur um im nächsten Lava durch meinen Körper zu pumpen.

Ich stecke schon viel zu tief drin, um noch halbwegs heil aus der Sache raus zu kommen. Nur zu deutlich kann ich das Brennen an meinem Hals spüren, seine Finger auf meinem Augenlid.
 

Wie Frankenstein hat er einem toten Fleischklumpen das Leben zurückgegeben. Ein gigantischer Stromstoß: das rohe Fleisch beginnt zu pulsieren und die rote Flüssigkeit, die Gefühl in lange taube Glieder zurück bringt, durch die Venen zu pumpen. Und mit jeder neu belebten Nervenfaser wünsche ich mir die schützende Taubheit zurück.
 

Ich muss handeln, bevor es sich weiter ausbreitet, bevor auch die letzte von ihnen wieder gnadenlos ihren Dienst tut.

Meine Finger krallen sich in meinem Arm fest. Jetzt wären die Schmerzen des absterbenden Gefühls gerade noch so zu ertragen… Die Sache ist so glasklar, und doch…

Und doch wünsche ich mir jedes Mal, wenn der Geruch von Sommer, sein Geruch, der immer noch in der Luft liegt, in meine Nase steigt, mich einfach in dieses süße Verderben fallen zu lassen. Was scheren mich schon zukünftige Schmerzen, wenn ich jetzt, mit diesem neu erwachten Sinn, nur eine warme Berührung richtig spüren kann?
 

Ich wollte ich könnte diesem Wunsch nachgeben, aber ich bin zu feige, zu schwach, um ihnen noch einmal bei vollem Bewusstsein ins Gesicht zu blicken.

Ein rotes Rinnsal bahnt sich seinen Weg zwischen den Pflastern hindurch, Richtung Boden.
 

Zwei zerknitterte Hälften eines Fotos, sorgfältig glatt gestrichen und vorsichtig mit Tesa zusammengeklebt, liegen auf meinem Nachttisch, während ich mich unruhig im Bett Hin und Her wälze.

Den erlösenden Schlaf finde ich heute Nacht nicht.
 

„Du siehst echt beschissen aus“, flötet es mir entgegen.

„Dir auch guten Morgen, oder lieber gute Nacht. Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“

„Aber sicher, es ist:“ er blickt auf seine Armbanduhr, „Genau 8 Uhr 39 und 42 Sekunden. Ich hab auch Frühstück mitgebracht.“

Wie ein Verkehrspolizist auf Ecstasy wedelt er mit einer Bäckertüte vor meiner Nase herum. Wie kann man um diese Uhrzeit schon so viel Energie haben? Er sollte seine Wohnung mal auf radioaktive Strahlung testen lassen.

„Und?“

„Und was?“

„Was willst du hier? Außer mich um meinen wohlverdienten Schönheitsschlaf zu bringen.“

„Bist du sicher, dass du überhaupt geschlafen hast? Die Ringe unter deinen Augen könnte man auf Felgen aufziehen.“
 

Geschlafen? Das ich nicht Lache. Ich hab heute Nacht so lange Schäfchen gezählt, dass ich die Türklingel, irgendwann Richtung Morgen, mit dem Blöken eines dieser Wollknäule verwechselt habe, was mich ernsthaft an meinem Verstand zweifeln lässt. Und der Grund dafür steht mir jetzt putzmunter gegenüber, so als wäre es normal an einem Sonntagmorgen um 8 zum Frühstücken aufzukreuzen.

Genervt trete ich einen Schritt zurück, um ihn herein zu lassen. Was muss man tun, um den wieder loszuwerden?
 

Als ich langsam die Tür schließe, höre ich es schon aus der Küche klappern. Der ist ja schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe und er sorgt für mindesten genauso viel Unbehagen.

Mit einer merkwürdigen Vorahnung gehe ich in Richtung Esstisch. Der Anblick der sich mir jetzt bietet lässt mich ernsthaft am Wohlbefinden meines Besuchers zweifeln.
 


 

Kapitel 6 Teil 2
 

Kritisch mustere ich den gedeckten Tisch. Mit viel Wohlwollen könnte man es durchaus als Frühstück durchgehen lassen. Prüfend schiebe ich die Teller etwas herum, rücke die Milch in die Mitte, ziehe die Brötchen ein Stück vor, zupfe am Tischset, so als könnte ich damit einen kleinen Teil der Energie loswerden, die mich seit heute Morgen im Überfluss durchströmt.
 

Dieser Tatendrang hat mich um halb Sieben aus dem Bett getrieben und nur ein Anflug von Vernunft hat mich daran gehindert, den ersten Bus zu nehmen, der zu Elija fährt. Ein bisschen unheimlich ist es schon, selbst meinen Eltern ist gestern Abend aufgefallen, dass etwas anders ist.

Allerdings war es dann doch zu auffällig. Wer übersieht schon jemanden, der erst beim vierten Versuch merkt, dass er die Sprudelflasche mit dem Milchdeckel zumachen will, oder verzweifelt versucht sein Steak mit der stumpfen Seite des Messers zu bearbeiten, bevor er freundlicherweise von seinem Bruder darauf aufmerksam gemacht wird. Ich war wirklich zu nichts zu gebrauchen.
 

Ich glaube inzwischen hat sich meine Zerstreutheit etwas gelegt und an ihre Stelle ist ein Gefühl getreten als würde die Sonne nur für mich scheinen, während ich, wie mit Helium gefüllt, durch die Gegend schwebe.

Beängstigend.

Von ganz unten, durch die dicke Schicht aus rosaroter Zuckerwatte, schleicht sich plötzlich ein Gedanke in mein Bewusstsein, der mich mitten im Verrücken der Butter innehalten lässt:
 

Ich bin schwul.
 

Komisch, dass mir der Gedanke erst jetzt kommt. Dass er ein Junge ist hat für mich bis jetzt keine Rolle gespielt, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke; ist Elija tatsächlich ein JUNGE, mit allem was dazugehört.
 

Das ist eine unumstößliche Tatsache.

Dass ich mich trotzdem in ihn verliebt habe, ist die andere.
 

Ich liebe das, was er mir Gestern, in einem kurzen Augenblick, von sich, seiner Seele preisgegeben hat, aber das ist nicht alles. Ich begehre auch seinen Körper, seinen eindeutig männlichen Körper. Nur zu gut ist mir meine Umarmung noch im Gedächtnis, sein Geruch, meine Lippen an seinem Hals…
 

„Denis?“, eine Hand wedelt vor meinen Augen. „Was soll das hier?“, er deutet verständnislos auf den Tisch.
 

Verwirrt blinzle ich ihn an. Mit seinen noch leicht verstrubbelten, schwarzen Haaren hinter denen ich nur eines seiner grünen Augen sehen kann, das mich fragend mustert; seinen rosa Lippen, die sich scharf gegen die blasse Haut abheben, die nur noch an manchen Stellen einen leichten Grünton aufweist und dem schmalen, aber nicht zu dünnen Oberkörper, der sich unter einem lockeren schwarzen T-Shirt versteckt, ist er einfach nur schön und begehrenswert.
 

Mein Herz jubiliert bei diesem Anblick, schlägt mir bis zum Hals; kleine Ameisen beginnen über meine Haut zu wandern… Wie gerne würde ich ihn jetzt küssen.

Die vorher nie gekannte Intensität der Gefühle erschreckt mich.
 

Bin ich schwul?

Vielleicht bin ich das wirklich.
 

Und ich bin verwirrt. Verwirrt, dass mich diese Tatsache nicht völlig aus der Bahn wirft.

Ich hatte nie was gegen Homosexuelle und um ehrlich zu sein habe ich auch noch nie so besonders intensiv über dieses Thema nachgedacht. Ganz bestimmt habe ich mich aber bis jetzt nie gefragt, ob ich nicht auch einer 'von Denen' bin.

Einer 'von Denen' die von vielen Leuten immer noch mit Abscheu bedacht werden, über die man hinter vorgehaltener Hand spricht und die von so vielen immer noch für abartig und abnormal gehalten werden.

Schwuler, Schwuchtel, Homo... nein!
 

Nein, ich werde diesem Gefühl kein Label verpassen, weil es egal ist was es ist, was ich bin. Ich mag diesen neuentdeckten Teil von mir, ich mag was er jetzt gerade mit mir anstellt und wenn er mich zu dem macht, was man als 'Schwulen' bezeichnet, dann bin ich eben einer.
 

Einer 'von Denen'. Was soll’s.
 

Und obwohl ich mir bewusst bin, was es bedeuten wird, diesen Teil zuzulassen, was es alles ändern wird, an der Art, wie mir die Welt begegnet, brauche ich nur einmal aufzusehen in sein fragendes Gesicht und mein Kopf ist frei von allen Bedenken.

Vulkanier, Hetero, Amöbe, Mensch, Schwuler... ist doch völlig egal?!
 

„Das ist Frühstück, sieht man das nicht?“ Mein Blick irrt über den Tisch. OK, vielleicht erkennt man es wirklich nicht. Durch meine andauernden Verrückungsaktionen ist der Tisch so durcheinander, dass man meint, eine Bombe habe einen zufällig vorbeifahrenden Lebensmitteltransport getroffen und dabei seine Ladung überall verteilt.
 

„Schon klar.“ Er zuckt mit den Schultern, „Zumindest war’s mal eins, aber das meine ich nicht. Warum um alles in der Welt kreuzt du morgens um halb Neun bei mir auf, um Frühstück zu machen?!“
 

Ich glaube, das willst du nicht wissen, es ist mir selbst ja schon megapeinlich mich wie ein verliebtes Schulmädchen aufzuführen. Außerdem wäre es sehr unvorteilhaft ihn noch vor einem ordentlichen Essen mit der Tatsache zu überfallen, dass ich nicht nur schwul, sondern zudem in ihn verliebt bin. Ich würde ihn nur vergraulen und das ist das Letzte, was ich will.
 

„Pure Freundlichkeit und Nächstenliebe. Nicht jeder bekommt am Sonntag ein Frühstück freihaus, also beschwer dich nicht, sondern iss!“

Da ist er wieder, dieser Blick, als ob er mich für vollkommen durchgeknallt hält. Im Moment, das muss ich zugeben, ist er durchaus berechtigt.

Seufzend lässt er sich mir gegenüber auf einem Stuhl nieder und angelt nach einem Brötchen, sucht eine Weile nach der Butter, die er schließlich hinter zwei Saftflaschen findet, und beginnt die Suche nach einem Messer.
 

Ich sitze nur da und starre ihn mit offenem Mund an.

„Was?“, schnauzt er mich an, „Oder ist das etwa nicht zum Essen gedacht? Eine Art abstrakte Skulptur?“

Ich schüttle den Kopf, er fährt fort sein Brötchen zu bestreichen. Mein Grinsen reicht schon von einem Ohr zum anderen. Wir frühstücken tatsächlich zusammen! Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.
 

„Sag mal, wo steckt eigentlich dein Vater? Er war weder Gestern noch heute hier, als ich da war.“

Langsam kaut er den Bissen zu Ende, den er gerade im Mund hat und würdigt mich keines Blickes. Ich denke schon ich muss meine Frage wiederholen, als er endlich antwortet:

„Auf Geschäftsreise, er ist eigentlich so gut wie nie zu Hause. Dass er ausgerechnet an dem Tag da sein musste, an dem die beschissene Lehrerin hier angerufen hat, war ein dummer Zufall. In… vier Tagen kommt er zurück.“ Bei diesen Worten fällt sein Gesicht in sich zusammen, träge rührt er in seinem Kaffee.
 

Wenn ich doch nur irgendwas tun könnte. Ihn so leiden zu sehen macht mich ganz krank, aber er will sich ja nicht helfen lassen.

„Hey, jetzt guck doch nicht so grimmig. Immerhin hast du ja noch mich, oder?“

Der Ausdruck der daraufhin in seinen grünen Augen auftaucht, lässt einen gewaltigen Stein in meinen Magen plumpsen. Warum spiegelt sich Angst darin, ist ihm meine Nähe so unangenehm?
 

„Ich weiß“, ein tiefer Seufzer, der absolut nicht so kling, wie ich ihn hören wollte. Die Angst ist fast aus seinen Augen verschwunden, aber eben nur fast.
 

Das erhebende Gefühl von vorhin ist weg; eine bohrende Unsicherheit nagt an meinen Gedanken. Warum fürchtet er meine Nähe?

Aus ihm werd ich einfach nicht schlau.

Ich seufze ebenfalls. Es bringt nichts noch länger zu grübeln, er duldet mich bei sich und das ist fürs Erste genug, mehr als ich Gestern noch erwartet hatte. Ich werde den Grund für seine Angst finden und vielleicht kann ich sie ihm irgendwann nehmen.
 

Ich nippe gerade an meinen Kaba als mein Blick auf sein Gesicht fällt. Unter Husten und Prusten versprühe ich einen Mund voll brauner Flüssigkeit über den ganzen Tisch.

Angewidert springt er auf, sieht mich an und schüttelt seine besprenkelten Hände. „Was zum…!“

Ein heftiger Lachanfall lässt mich unter dem Tisch abtauchen. Verzweifelt presse ich mir die Faust vor den Mund, aber er lässt sich nicht ersticken. Mein Bauch schmerzt, als ich einen kurzen Blick über die Tischkante riskiere… sofort tauche ich prustend wieder ab.
 

„Was ist denn bitte so witzig?“, inzwischen klingt er beleidigt.

Nach Atem ringend und meinen Bauch haltend, schaffe ich es endlich mich in eine halbwegs aufrechte Position zu bringen.

„D… das schaust du… du dir besser selbst an…mmmmmpffff…“, eine weitere Kicherattacke überkommt mich. Ich sehe gerade noch wie er offenbar in Richtung Badezimmer verschwindet. Den Anblick will ich auf keinen Fall verpassen, also mühe ich mich ab ihm zu folgen.
 

Er steht vor dem Badezimmerspiegel und mustert sein über und über mit braunen Sprenkeln bedecktes Gesicht.

„Das ist nicht witzig. Das ist überhaupt nicht witzig…,“ wütend packt er sich ein Handtuch und wischt sich die Sprenkel aus dem Gesicht. Tödliche Blicke erdolchen mich geradezu und alle bösen Geister dieser Erde müsste sich jetzt eigentlich erzürnt auf mich niederstürzen.

Wieder einigermaßen bei Atem gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu.

„Du hast da…“, meine Hand nähert sich seinem Gesicht, seine Augen werden immer größer. Sanft streiche ich mit meinem Daumen über seinen Mundwinkel, „einen Krümel.“
 

Belustigt verfolge ich, wie sein Blick, über den Krümel auf meinem Finger, bis zu meinem Gesicht wandert, bevor sich seine Wangen in einem dunkelroten Ton färben. Mein Herz tut einen Hüpfer, der Anblick ist einfach göttlich. Hastig tritt er einige Schritte zurück, verheddert sich dabei im Badezimmerteppich und wäre beinahe gestürzt, wenn ich ihn nicht im letzten Moment aufgefangen hätte.

Nun leuchten auch seine Ohren in einer kräftigen Signalfarbe. Fahrig versucht er sich so schnell wie möglich aus meinen Armen zu befreien. Das Gefühl ihn so nahe bei mir zu haben ist einfach berauschend, nur widerwillig gebe ich ihn frei.
 

Eine unangenehme Stille breitet sich aus.
 

„Die Sauerei im Esszimmer darfst du selbst wegmachen. Und merk dir Eines: Niemand bespuckt mich ungestraft mit Kaba. Irgendwann wenn du es am wenigsten erwartest wird Elija der Rächer zuschlagen und er kennt keine Gnade.“ Ich bleibe allein im Bad zurück.
 

War das gerade...?

Habe ich gerade wirklich den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht gesehen, bevor er sich umgedreht hat?

Ich muss mich irren.
 

„Weißt du ich könnte schon etwas Hilfe gebrauchen.“

„Ich denk nicht dran!“ Demonstrativ setzt er sich auf den Stuhl und schaut mir mit einem Das-ist-die-Strafe-dafür-dass-du-über-mich-gelacht-hast-Blick beim Putzen zu. „Du sollst ruhig auch mal in den Genuss des Saubermachens kommen, ich möchte dir diese wertvolle Erfahrung nicht vorenthalten.“

Mit einem freundlichen Lächeln präsentiere ich ihm meinen Mittelfinger und mache mich daran den Boden zu wischen. Da ich genau weiß, dass er mich beobachtet, kann ich es mir nicht verkneifen, dabei aufreizend mit dem Hinterteil zu wedeln.
 

„Naaaa, gefällt dir die Aussicht?“

Wenn es nach ihm ginge, wäre ich wahrscheinlich gerade tot umgefallen; diese Todesblicke sind echt gruselig. Allerdings verfehlt er diesmal seine Wirkung, der Hauch von Rot auf seinen Wangen passt einfach nicht dazu.

Ich würde mal sagen: Ein Punkt für mich!
 

Als er daraufhin aufsteht und den Tisch verlässt, beginne ich mir Sorgen zu machen. Ich bin doch nicht zu weit gegangen? Zu meiner Verblüffung zieht er sein T-Shirt aus und steht plötzlich mit nacktem Oberkörper da. Ich kann meine Augen beim besten Willen nicht mehr bei mir behalten. Mein Starren wird jedoch so offensichtlich, dass er sich auf dem Weg ins Bad noch einmal umdreht und mich mit einem traurig, ängstlichen Ausdruck fixiert.
 

Die Badezimmertür fällt hinter ihm zu. Ein dumpfer Schlag ist zu hören, ein leiser Fluch, dann ist es wieder still.

Kapitel 7 Teil 1

Kapitel 7 Teil 1
 

Fuck! Fuck, Fuck!! Was sollte das eben?
 

Wütend werfe ich das klebrige T-Shirt in den Wäschekorb. Aber seine Augen lassen sich immer noch nicht abschütteln, wie zwei schleimige Blutegel, nur viel blauer und nicht ganz so abstoßend. Ganz und gar nicht. Ein dumpfes Pochen kriecht meine Hand hinauf; so wie sich meine Knöchel anfühlen, könnten sie durchaus gebrochen sein.
 

Also doch Masochist, gut zu wissen.
 

Was hat dieser intensive Blick von eben zu bedeuten? Ich würde fast sagen er hat mich damit ausgezogen, wenn ich nicht sowieso schon halb nackt gewesen wäre, fast als wolle er mich aufessen. Allerdings ist dann eine Lebensmittelvergiftung vorprogrammiert, so viel Bitterkeit übersteht kein Magen unbeschadet.
 

Die kalten Kacheln der Badewanne, fühlen sich an, wie Eiswürfel die sich in meinen Rücken bohren und doch ist dieses Stechen im Moment ein willkommener Schmerz. Er erlaubt mir klarer zu denken, kühlt meinen überhitzten Körper auf erträgliche Temperatur.
 

Und da kullern sie wieder, verursachen ein leises Platschen auf der harten Oberfläche der Fliesen. Eine kleine salzige Pfütze bildet sich zu meinen Füßen, viel zu flach um sich darin zu ertränken. Der schmale Lichtstrahl, der durch die enge Türritze in die Schwärze des Raumes sticht, lässt sie silbern erscheinen.
 

Bitte nicht!

Bitte nicht Denis!

Du darfst mich nicht gern haben!
 

Deine Blicke, dein Verhalten, deine Gesten, deine Mimik. Seit du heute Morgen das Haus betreten hast, ist etwas darin, das mich schaudern lässt; heiße Schauer, die mein Gesicht mit der verhassten Farbe füllen, dumpfe, kalte Schauer aufkeimender Panik, warme Schauer, die kein Härchen meines Körpers unbewegt lassen, solche, die mich vor Angst in die Knie zwingen könnten, wenn ich es zulassen würde.
 

Du darfst mich nicht gern haben!

Nicht mich!
 

Man müsste schon tot sein, um all diese Zeichen zu übersehen, für Untote gilt das leider nicht. Die wenigen ihrer verrottenden Sinne, die sie noch mit der Außenwelt verbinden, reichen vollkommen um sie mit dem zu beliefern, was sie wissen müssen.
 

Die Umarmung gestern zum Abschied, das prickelnde Gefühl an meinem Hals, Sonntagsfrühstück um halb Neun, heimlichen Blicke, ein ehrliches Lachen, zarte Fingerspitzen an meinem Mundwinkel, der Duft von einem warmen Sommertag und zwei lebendig funkelnde blaue Saphire. Die Tatsache, dass er nicht schon längst schreiend das Haus verlassen hat, dass ich noch keinen Einzeltisch in der Schule habe und dass noch immer keine Polizei und kein Jugendamt auf der Matte stehen.
 

Und am aller meisten, dass er jetzt gerade hier ist, weil ich ihn reingelassen habe.
 

Ich darf dich nicht gern haben!

Ich will dich nicht gern haben!
 

Meine Stirn presst sich gegen den glatten Steinboden, widerlich warmer Atem schlägt mir ins Gesicht, silberne Flüsse rinnen durch die Fugen und bilden ein glitzerndes Netz.

Meine Finger krallen sich in meine Brust, als ob sie auch nur die geringste Chance hätten, die kalte Hand, die es mit eisernem Griff festhält, daran zu hindern mein Herz zu zerquetschen.
 

Da ist er wieder mein verhasster alter Freund, den nie wieder zu sehen, ich mir geschworen habe. Ich habe leider keine Hand mehr frei, um ihn gebührend zu umarmen, da ich gerade damit beschäftigt bin, mir das gequälte Herz aus der Brust zu reißen, wenn ich nur könnte; um ihn loszuwerden, bevor er sich heimisch fühlt.
 

Aber Schmerz ist ein dankbarer Zeitgenosse, leicht zu handhaben, man muss ihn nicht lieben, ihm keine Gefälligkeiten erweisen und trotzdem ist er treu und weicht nicht mehr von meiner Seite, wie ein Schatten. Er folgt mir wohin auch immer ich nicht will, um sich dann und wann daran zu erfreuen, wie ich mich unter jeder seiner Berührungen vor Qualen winde, bis ich ihn anflehe endlich zu gehen. Dann nimmt er die Hand aus meiner Brust, lacht mir ins Gesicht, geht einen Schritt zurück und wartet darauf, dass ich weitergehe; seine Schritte immer dicht hinter meinen…
 

Wann habe ich nicht aufgepasst? Wann ist mir dieser fatale Fehler unterlaufen?
 

Gedämpft höre ich eine Stimme vor der Tür, die meinen Namen ruft. Ich antworte nicht, meine Stimme würde im Moment eher einem Terrier mit eingeklemmtem Schwanz ähneln und auf diese Blamage kann ich getrost verzichten. Außerdem bin ich nicht in vorzeigbarem Zustand. Still warte ich, bis die Stimme leiser wird, doch anstatt dann zu verschwinden, geht plötzlich die Tür auf.
 

Da steht er, aus meiner Position kann ich nicht mehr als seine Füße erkennen. Das zugehörige Gesicht, will ich mir nicht vorstellen, geschweige denn sehen. Es gibt Schöneres, als ein Häuflein zerflossenes Elend vorzufinden. Der irrwitzige Gedanke, dass er mich übersehen könnte, wenn ich mich einfach nicht bewege, verfliegt wie ein übler Gestank im Wind.
 

„Elija?“
 

Nein, ich bin nicht hier. Das, was du hier siehst, ist mein jämmerlicher Zwillingsbruder, den ich mir für alle Fälle im Keller halte. Die Füße kommen näher.
 

„Elija…d…du weinst…“
 

Ich weine immer noch? Dann kommt dieses erbärmliche Schluchzen, das schon die ganze Zeit so nervtötend von den Wänden widerhallt, also von mir? Aber so sehr ich es auch versuche, es lässt sich nicht ersticken; im Gegenteil es scheint sogar noch lauter zu werden. Wenn er jetzt ein Loch im Erdboden öffnen wurde, das mich mit Haut und Haar verschlingt, würde ich dem Teufel meine ramponierte Seele verkaufen; ein Geschäft, bei dem ich eindeutig den besseren Deal machen würde.

Ich warte.
 

Keine Rauchwolken, in denen ein ziegenartiges Wesen auftaucht, um mir ein unmoralisches Angebot zu machen, keine Löcher im Boden, aber ein andauerndes Wimmern.

Könnte mich bitte jemand ersticken?

Helfende Hände nähern sich, doch nicht um mir zu einem gnädigen Ende zu verhelfen, ganz sanft schließen sie mich in eine feste Umarmung.
 

„Pssssssssst, nicht mehr weinen.“
 

Als ob sie mich verhöhnen wollten, fließen sie erst Recht. Mein Kopf ist merkwürdigerweise an seine Schulter gebettet. Sein weicher blauer Pullover dämpft die Schluchzer und saugt sich voll, mit der heißen Nässe, die unaufhaltsam aus meinen Augen sickert. Dass meine Finger sich so fest in den Stoff krallen, dass ich ihm wahrscheinlich wehtue, nehme ich nur am Rande wahr.
 

Jetzt, wo ich die wärme eines anderen Körpers fühle, merke ich erst, wie kalt mir ist. Ein Zittern durchläuft mich; sofort schließen sich die Arme enger um meinen Oberkörper und ich habe nicht die Kraft, nicht den Willen, dagegen aufzubegehren.
 

Mein Ohr liegt direkt an seiner Brust und Denis’ Stimme, die unaufhörlich Worte bildet, deren Sinn nicht bis zu mir durchdringt, klingt dadurch seltsam dumpf. Nur ein stetiges Brummeln, ein leichtes Vibrieren; beides hat eine eigentümlich beruhigende Wirkung auf mich, genauso wie die Finger, die federleicht durch mein Haar streichen.
 

Die Abstände zwischen den Schluchzern, die meinen ganzen Körper schütteln, werden immer größer, bis sie schließlich ganz aufhören. In der entstandenen Ruhe kann ich seinen Herzschlag gegen meine Wange klopfen hören. Ein tiefer Atemzug, ein kurzes Schniefen und der süße Duft nach Sommer kitzelt meine Nase. Auch das Brummen seiner Stimme ist verschwunden, er hält mich nur noch fest.
 

Mir sehr wohl bewusst, in was für einer Lage wir uns gerade befinden, beschließe ich, mein bestimmt arg verquollenes Gesicht, von seinem inzwischen klatschnassen Pullover zu nehmen. Das Gewicht seiner Arme auf meinen Schultern ist nur allzu deutlich. Unsere Blicke treffen sich, als ich mich aufsetze. Etwas darin hindert mich wegzusehen, obwohl das Verlangen diesen intensiven Augen zu entkommen übermächtig ist.

Viel zu nahe sind unsere Gesichter schon beieinander; ich kann seinen Atem als warmen Hauch auf meinen tränennassen Wangen spüren. Kein einziges Mal haben wir den Kontakt unserer Augen unterbrochen. Der Abstand schrumpft weiter, bis auf eine beinahe unerträgliche Nähe zusammen. Den Blickkontakt kann ich jetzt nicht mehr aufrechterhalten. Ich könnte seine Nasenspitze mit meiner berühren, wenn ich mich nur zwei Millimeter nach vorne lehnen würde.
 

Als auch diese letzte Distanz zwischen uns verschwindet, droht mein Herz beinahe zu platzen, so fest schlägt es gegen meine Rippen. Zaghaft streifen seine Lippen die meinen, nicht länger als ein Wimpernschlag, bevor er sie, diesmal bestimmter, ein weiteres Mal auf meine legt.
 

Entweder ist mein Hirn gerade verstorben oder es befindet sich auf Wanderschaft, jedenfalls fühlt sich mein Kopf seltsam luftig an. Ich kann das Blut in meinen Ohren rauschen hören und jeder der schnellen Herzschläge hallt in dem entstandenen Hohlraum laut wider. Jeder Millimeter Haut, der mich im Moment mit ihm verbindet kribbelt, als würden tausend Ameisen darüber laufen.
 

Seine Hände ziehen unsere Gesichter näher zusammen, wie von selbst öffnet sich mein Mund, um mir noch mehr von diesem atemberaubenden Gefühl zu ermöglichen, um noch mehr Fläche herzugeben, auf der er mich berühren kann. Jedes Mal, wenn sich unsere Zungen anstupsen, springen britzelnde elektrische Ladungen zwischen uns Hin und Her. Mein ganzer Körper steht unter Strom, genug um die Stadt ein Jahr lang damit zu versorgen.

Weiße Sternchen blitzen vor meinen geschlossenen Augen, der Sauerstoff wird bedenklich knapp, aber dieser Rausch ist gefährlich gut, viel zu gut um ihn auch nur für Sekunden zu unterbrechen. Doch letztendlich bleibt uns keine andere Wahl. Schwer atmend unterbrechen wir die Verbindung gerade lange genug, um die kleinen Sternchen zu vertreiben.
 

Mit jedem Sauerstoffatom, das meine Lunge füllt, kommt ein winziger Funken meines Verstandes zurück, fließt die Realität brutal in mein Bewusstsein. Meine Arme drücken Denis ein Stück von mir, unterbrechen den Kuss endgültig.
 

„I…ich k…kann nicht!“
 

Gedanken wirbeln durch meinen Kopf, wie Früchte durch einen Mixer. Er…ich…wir beide…

Was habe ich getan? Was tue ich hier?

Noch immer rast mein Herz als wollte es ein Formel 1 Rennen gewinnen.

Blicke löchern mich.
 

„Elija, was…?“

Enttäuschung, Verletztheit huschen über sein Gesicht.
 

Entsetzt weiten sich meine Augen, Tränen kullern auf meine nackte Brust, der alt bekannte Schmerz kehrt zurück, so stark, dass mir kurz die Luft weg bleibt.

Nicht auch du…
 

Wieder fange ich an zu beben und zu zittern. Fast flehentlich sehe ich ihn an.

„Bitte, i…i…ich k…kann nicht…“

Ich versuche mich von ihm zu befreien, doch er hält mich weiterhin fest. Ich kann ihm nicht in die Augen blicken, will den verletzten, enttäuschten Ausdruck darin nicht sehen.
 

„Elija.“
 

Ich betrachte meine zitternden Hände.
 

„Elija… sieh mich an“, kommt es ruhig. Mit sanfter Gewalt hebt er mein Gesicht an, zwingt mich ihn anzusehen.

Liebevoll schaut er mich an, nur noch Sorge und Verständnis stehen in seinen Zügen geschrieben. Vorsichtig zieht er mich in eine erneute Umarmung und flüstert mir leise ins Ohr:

„Es ist OK…“
 

Während ich in seinen Armen liege, bricht ein lauter Schluchzer aus mir hervor.
 

Nichts ist OK.
 

Ich hab ihn an mich ran gelassen, viel zu nahe an mich heran gelassen und genau das, was nie wieder passieren sollte ist passiert.
 

Er ist mir so wichtig geworden, dass er mir wehtun kann. Auf eine Art wichtig, von der ich gar nicht mehr wusste, dass ich dazu noch fähig bin. So wichtig wie kaum ein Anderer jemals war, so wichtig, dass er mir furchtbar wehtun kann.
 

Und daran lässt sich nun nichts mehr ändern.
 

Nichts ist OK.

Absolut gar nichts ist OK.
 


 


 

Der Zweite Teil aus Denis' Sicht folgt bald^^

Kapitel 7 Teil 2

Kapitel 7 Teil 2
 

Ich glaube nicht, dass sich der Grad meines augenblicklichen Gefühlschaos noch steigern lässt. Zumindest nicht nach meinem Ermessen. Die Achterbahn, die ich gerade durchfahren habe, hat allerwenigstens achtzehn Loopings, direkt hintereinander. Wem würde da nicht der Kopf schwirren?
 

Und doch weiß ich, dass mein Schwindel im Vergleich zu Elijas nahezu nichtig ist. Was in ihm vorgeht kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, aber es hat ihn zu diesem absolut aufgelösten, bemitleidenswerten, vor Angst zitternden Bündel gemacht, das ich im Arm halte. Die panische Angst vor Nähe, die mich ihm gegenüber so hilflos macht und die ihn jedes Mal, wenn wir uns näher kommen, in dieses bodenlose Loch stürzt, ist schuld daran.
 

Dieses Mal sind wir uns wirklich nahe gekommen. Beim bloßen Gedanken daran wie nahe, überfällt mich ein, in der Situation eigentlich völlig unpassendes Hochgefühl.
 

Wir haben uns geküsst!
 

Kein Ich-streif-mal-kurz-deine-Lippen Kuss, sondern ein richtiger Kuss. Und das Beste dabei: Elija hat sich nicht nur von mir küssen lassen, er hat eindeutig zurückgeküsst! Für dieses überraschende Wunder sollte ich Gott auf Knien danken.
 

Wenn ich ehrlich bin, habe ich meine Chancen, meine Gefühle jemals auf irgendeine Art erwidert zu sehen, als beinahe nicht existent eingeschätzt. Genug, um es trotzdem zu versuchen, auch wenn nur eine rein platonische Freundschaft dabei rausspringen sollte.
 

Den eindeutigen Beweis, dass da, entgegen allen Widrigkeiten, doch mehr sein könnte, so schnell zu erhalten, kommt in der Tat einem Wunder gleich. Ich müsste eigentlich vor Freude jauchzen und jubilieren.

Ich tu es nicht, denn genau hier endet der rosarote Traum, mit diesem außergewöhnlichen Geschöpf an meiner Brust, das, nur von kilometerlangen Klebestreifen zusammengehalten, verzweifelt um seine Existenz kämpft.
 

Ich war verdammt selbstsüchtig, so viel auf ein Mal von ihm zu fordern, ihn mit meiner Zuneigung zu überfallen, ihm meine Enttäuschung zu zeigen, als er mich zurückwies, ohne dabei an ihn zu denken. Ich habe ihn in die Enge getrieben und dort sitzen wir beide jetzt fest.
 

Ich für meinen Teil, bin ratlos. Meine Augen ruhen auf seinem jetzt ruhigen Gesicht; fast als würde er schlafen. Das könnte das Erste und letzte Mal sein, dass ich ihm so nah sein darf. Mir wird fast schlecht. Wenn ich ihn zu sehr bedrängt habe und er sich ganz von mir zurückzieht… Ich presse seinen zerbrechlichen Körper noch fester an mich.
 

Auf ein Mal bin es ich, dem Tränen in den Augen glitzern. Komisch, bedenkt man, dass ich ihn noch gar nicht so lange kenne, aber dieses nicht so lange dehnt sich in meinem Gedächtnis zu Wochen und Monaten aus, die länger scheinen, als sie tatsächlich sind.

Nur Freundschaft könnte ich ertragen, mit schwerem Herzen ertragen, aber gar nichts…
 

Entschlossen wische ich mir die Perlen aus den Augenwinkeln. So weit lasse ich es nicht kommen!
 

Ein erneuter Blick auf den schwarzhaarigen Engel; ja Engel, dieser Schmalz schmerzt zwar fast in meinen Ohren, aber es will mir bei diesem Bild einfach nichts passenderes und gleichzeitig weniger kitschiges einfallen; der tatsächlich in meinen Armen eingeschlafen ist, bekräftigt meinen Entschluss. Ich muss ihm beweisen, dass es kein Fehler sein muss, sich auf Andere, mich im Speziellen, einzulassen.
 

Nach beinahe einer Stunde, in der ich das Gefühl genossen habe ihn zu umarmen, meldet sich allmählich mein Rücken, der vom langen Sitzen auf dem kalten Badezimmerboden ganz steif geworden ist. Vorsichtig versuche ich meine Sitzposition zu verändern ohne Elija dabei aufzuwecken. Ein leises Grummeln meldet mir dann, dass mein Versuch nicht von Erfolg gekrönt war. Zwei müde grüne Augen blinzeln mir verwirrt entgegen.
 

„Na, gut geschlafen? Hattest du’s auch bequem?“
 

Er mustert mich kurz und wenn ich mich nicht sehr täusche, huscht ein leichter Rotschimmer über sein Gesicht, aber es ist zu dunkel um mir sicher zu sein. Sein Gewicht verschwindet von meinem Körper und ich rutsche halb erleichtert, halb enttäuscht in eine bequemere Position. Er räkelt sich und reibt sich den Nacken. Niemand kann mir einen Vorwurf machen, dass ich ihn dabei verstohlen mustere. Wie oft bekommt man schon halbnackte Engel zu sehen?
 

„Nein, ich hab eindeutig schon besser geschlafen und dass mein Kissen schaukelt, wie ein Kamel, ist da nicht gerade förderlich.“
 

Jetzt bin ich doch etwas beleidigt. Allerdings eher erleichtert, dass er sich so „normal“ verhält. Schmollend stehe ich auf, drehe mich in der Tür noch mal um und meine:
 

„Ich werd’s mir merken, wenn du mich das nächste Mal zum Kissen degradierst. Eine kleine Anerkennung, dass ich immerhin eine Stunde lang still gehalten habe, hab ich doch wohl verdient?“
 

„Hmm… du hast die Ehre, meine Unterstützung beim Wegmachen der Sauerei am Frühstückstisch zu bekommen. Wie ist das?“ Er wirft einen imaginären Blick durch die Wand ins Esszimmer. „Das ist mehr als du verdient hättest. Wage es ja nicht dich zu beschweren.“
 

Oh nein, das hatte ich total vergessen. Ich möchte nicht wissen, was mich dort erwartet. Horrorszenarien laufen vor meinem inneren Auge ab, aber die Aussicht auf Elijas Mithilfe rückt das doch in ein ganz anderes Licht. Ich nicke ergeben.
 

„Ich muss mir vorher noch was anziehen. Wir wollen doch nicht, dass du zu abgelenkt bist um richtig sauber zu machen und die Arbeit dann an mir hängen bleibt.“ Mit diesen Worten drückt er sich an mir vorbei durch die Tür und ist auf der Treppe verschwunden, bevor ich mich richtig wundern kann.
 

Was ist denn jetzt los?

Eben noch ist er ganz aufgelöst darüber, dass ich ihn mag und jetzt reißt er schon Witze darüber. Ich glaube um ihn zu verstehen brauche ich noch viel, viel Zeit, mehr, als ich je haben werde, fürchte ich.
 

Missmutig stapfe ich ins Esszimmer, nur um genau das vorzufinden, was ich mir im schlimmsten Fall ausgemalt hatte. Ich sollte in Zukunft lieber Wasser trinken, das klebt wenigstens nicht. Ein roter Wassereimer mit zugehörigem Putzlappen schiebt sich in mein Sichtfeld und reißt mich aus meinen Gedanken.
 

„Da hast du alles, was du brauchst, also fang an!“ Da ist er wieder, freundlich und zuvorkommend wie immer und zu meinem größten Missfallen jetzt vollständig bekleidet.
 

„Ja Meister! Und was machst du um mir zu helfen?“
 

„Ich stehe hier und pass auf, dass du nichts übersiehst.“
 

„Das ist ja sehr nett von dir aber…“, ich nehme den nassen Lappen aus dem Eimer und klatsche ihn mitten in sein verdutztes Gesicht, „darauf kann ich genauso gut verzichten. Pack lieber mit an!“
 

Beinahe in Zeitlupe zieht er das nasse Stück Stoff von seinem Gesicht, kleine Wassertröpfchen rollen ins frisch angezogene T-Shirt. Ein Blick in seine Augen sagt mir, dass ich da wohl eine gewaltige Lawine losgetreten habe. Alle vorherigen Todesblicke sind ein Witz im Vergleich dazu.

Er macht ein paar Schritte auf mich zu. In böser Ahnung kneife ich meine Augen zu und halte mir die Hände vor den Kopf. Das erwartete feuchte Gefühl im Gesicht bleibt jedoch aus. Stattdessen merke ich plötzlich wie etwas kaltes und ziemlich nasses meinen Rücken hinunterläuft. Entsetzt springe ich auf. Was war d…!
 

„Oh, da ist mir wohl der Sprudel umgekippt. Das so was auch immer mir passieren muss…“, er entfernt sich langsam aus meiner Reichweite.
 

Dieser kleine fiese Hund! Das hätte ich ihm jetzt nicht zugetraut. So kann ich das nicht auf mir sitzen lassen. Auf der Suche nach einer geeigneten Waffe, immer in Erwartung eines neuen Angriffs, wandert mein Blick zwischen Tisch und Elija hin und her. Das, nie zuvor gesehene, ehrlich amüsierte Funkeln in seinen Augen lässt mein Herz höher schlagen. Wenn er wüsste, wie schön er jetzt gerade aussieht.
 

Wahllos greife ich die nächstbeste Flasche und mache mich auf den Weg zum Feind, als ein schrilles Trillern die Stille durchbricht. Beide frieren wir mitten in der Bewegung ein und lassen die Blicke suchend durchs Zimmer schweifen. Nach längerer Zeit kann ich das Trillern irgendwo in meinem näheren Umkreis lokalisieren und es kommt mir sogar vage bekannt vor. Es vergehen noch weitere dreißig Sekunden, bevor ich das Klingeln auf den Bereich meiner Hosentasche eingrenzen kann und dann zu meiner größten Verwunderung ein klingendes Handy aus ihr hervorziehe.
 

Das Display verrät mir den ungebetenen Störenfried. Seb, du Idiot, warum musst du ausgerechnet jetzt anrufen! Entschuldigend blicke ich zu Elija, der sich inzwischen gesetzt hat. Das Funkeln ist wieder aus seinen Augen verschwunden. Genervt nehme ich ab.
 

„Hallo…“
 

»Hallo? Was heißt hier Hallo?! Hast du dein Handy wieder mit der Hose in die Wäsche geschmissen oder warum muss ich es erst tausendmal klingeln lassen, bevor du rangehst?«
 

„Seb ich…“
 

» Und überhaupt, wo steckt du eigentlich?! Warum bist du zu dieser nachtschlafenden Zeit nicht zu Hause? Ich hab deinen Bruder aus dem Bett geklingelt - Mann, war der vielleicht sauer - nur um zu erfahren, dass du anscheinend schon ausgeflogen bist. Wo zum Teufel bist du? «
 

„Darf ich vielleicht auch mal zu Wort kommen?“ …Schweigen. „Danke. Ich bin gerade bei…“
 

Ich stocke. Ich bin gerade bei Elija, du weißt schon, dieser komische schwarze Typ, der in der Schule immer neben mir sitzt. Wir haben vorher ein bisschen rumgeknutscht und sind gerade dabei uns mit Frühstück zu bewerfen. Schon allein der Gedanke Seb das zu sagen ist so dermaßen lächerlich, dass ich mir auf die Lippe beißen muss um nicht laut loszulachen.
 

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Elija mich genau beobachtet und jedem meiner Worte lauscht. Ein beinahe bitteres Lächeln liegt auf seinen schönen Lippen. Sehr wohl hat er dieses Zögern verstanden.
 

» Haaaaalllloooo… Ist da noch wer am anderen Ende der Leitung? Denis lebst du noch? «
 

Ich kann jetzt nicht lügen, das wäre Elija gegenüber einfach nicht fair, auch wenn das heißt, dass ich Seb so einiges werde erklären müssen. Ich seufze:

„Ich bin gerade bei Elija.“
 

Stille. »…Wer? «
 

Der Lauscher ist noch immer sehr aufmerksam. Ein leichter Rotschimmer überzieht meine Wangen. Ich versuche etwas leiser zu sprechen; mit mäßigen Erfolg, wie ich befürchte.
 

„Elija. Er sitzt neben mir in der Schule. Daran kannst du dich doch hoffentlich noch erinnern.“
 

» Jetzt, wo du es sagst… aber was machst du den bei dem? «
 

Ein rascher Blick zu Elija, mein Gesicht wird noch heißer.

„Du weißt doch, er war eine Weile krank und da dachte ich, ich bring ihm die Hausaufgaben und sag ihm über die anstehenden Arbeiten Bescheid.“
 

» Und das Sonntagmorgens in aller Herrgottsfrühe was? «

Er klingt nicht sehr überzeugt, dafür kennt er mich einfach zu gut. Auf längere Diskussionen kann ich mich in Elijas Anwesenheit nicht einlassen ohne irgendwann als vor Scham gurgelndes Etwas im Boden zu versinken. Auf meinem Gesicht könnte man jetzt schon Spiegeleier braten.

„Später. Warum rufst du eigentlich an?“
 

» Wir waren für heute Nachmittag verabredet. Sag bloß das hast du vergessen? «
 

Mist. In meinem Delirium ist mir das offenbar irgendwie entgangen. „Tja…“
 

» Naja, auch egal, obwohl das Folgen haben wird, Freundchen! Ich wollte dir nämlich sagen, dass ich dich versetzen muss. Meine Tante feiert Geburtstag und meine Eltern sind der irrwitzigen Auffassung, dass meine Anwesenheit ihr Freude bereiten wird. Kurzum, ich werde den langweiligsten Nachmittag meines Lebens verbringen und du musst heute leider ohne meine angenehme Gesellschaft auskommen. «
 

„Ich werd’s überleben. Dann sehen wir uns also Morgen in der Schule. Viel Spaß heute Mittag.“
 

»Jaaaaaah… Bis morgen. Ach, und grüß Elija von mir! «
 

Ein kurzes Lachen, dann kommt nur noch ein Tuten aus der Leitung. Langsam klappe ich das Handy zu und stecke es in meine Tasche zurück.
 

Da wäre also noch ein Problem, an das ich nicht gedacht habe.
 

Für die ganze restliche Welt, ist eine Freundschaft zwischen mir und Elija nahezu undenkbar, von mehr als Freundschaft gar nicht zu sprechen, aber alle deswegen anzulügen bringe ich nicht fertig. Ich bekomme ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen Eltern eine miese Arbeit verschweige und wie sich gerade herausgestellt hat, bin ich nicht sonderlich gut darin mein Gefühle zu verbergen. Um mich zu durchschauen muss der Gesprächspartner ja noch nicht mal anwesend sein.
 

Zumindest die Personen, die mir viel bedeuten, sollten davon wissen, das bin ich ihnen und vor allem auch Elija schuldig. Womit ich beim nächsten Problem wäre. Will er das überhaupt? Sollte sich je mehr entwickeln, würde er wollen, dass noch andere davon wissen? Ein ziemlich unangenehmer Gedanke schleicht sich in diese Fragenkette. Was, wenn einer von ihnen es nicht akzeptiert, uns nicht akzeptiert? Mich nicht akzeptiert?

Was, wenn...
 

Aber bevor ich mir darüber Gedanken mache, sollte ich vielleicht lieber darüber nachdenken, was ich tun kann um Elija überhaupt so nahe zu kommen, dass es überhaupt zum Problem werden kann.
 

Elija sitzt auf dem Küchenstuhl und beobachtet mich. Das vage Gefühl, dass er direkt in mich hineinsehen kann, hinterlässt einen unguten Nachgeschmack. Warum muss das alles so furchtbar kompliziert sein?
 

„Das war Sebastian. Ich soll dich von ihm grüßen.“
 

Mit leerem Gesichtsausdruck steht er auf. „Wir sollten das jetzt langsam mal wegmachen.“

Er fängt an das Geschirr einzusammeln und es in die Küche zu tragen. Resigniert schnappe ich mir den Lappen und beginne den Tisch sauber zu wischen. Was geht denn jetzt wieder in deinem hübschen Köpfchen vor?

Die ganze Aktion verläuft in ungebrochenem Schweigen, bis wir wieder einen tadellos sauberen Tisch vor uns haben. Das unangenehme Schweigen setzt sich nach der Säuberung fort. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus:
 

„Vielleicht sollte ich jetzt gehen.“
 

Zu meiner Enttäuschung widerspricht er mir nicht. Hatte ich etwas Anderes erwartet? Wohl eher nur geträumt.

Ich bin schon auf dem Weg Richtung Haustür, als mir noch etwas einfällt.
 

„Ähm, mein T-Shirt ist ein bisschen nass am Rücken. Könnte ich vielleicht…?“
 

„Warte ich hol dir eins von meinen.“ Schon ist er die Treppe hinauf verschwunden.

Kurz darauf kehrt er mit einem, wie sollte es anders sein, schwarzen Shirt zurück. Unsere Hände berühren sich kurz, als er es mir reicht und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich nicht der Einzige bin, dem das Gänsehaut bereitet. Schnell ziehe ich mir das trockene T-Shirt über, wobei ich deutlich seine interessierten Blicke im Rücken spüren kann.
 

Das heiße Gefühl auf meinen Wangen kehrt zurück. Die Luft zwischen uns scheint auf ein Mal elektrisch aufgeladen, auch auf seinem Gesicht kann ich leichte Rotnuancen ausmachen.
 

„Also, du kommst morgen noch nicht in die Schule, nehme ich an.“
 

Ein kurzer Schatten huscht über seine Züge.

„Eher nicht. Außer du kannst allen glaubhaft versichern, dass ich beim Einkaufen neulich von einer Horde Elefanten auf Schnäppchenjagd, niedergetrampelt wurde und deshalb aussehe, wie ein Model für neue Tarnfarben.“
 

Ich verziehe meinen Mund. „Das dürfte selbst mir, mit meiner überaus überzeugenden Art schwer fallen.“
 

„Tja dann…“
 

„…Dann komm ich dich nachmittags mal besuchen und halt dich auf dem Laufenden.“
 

Unschlüssig stehen wir herum. Sich einfach die Hand zu geben kommt mir bei der Erinnerung an die Szene im Bad äußerst unpassend vor. Ich riskiere eine flüchtige Umarmung; das dürfte ihn nicht zu sehr abschrecken. Bevor ich mich zu mehr hinreißen lasse, meine Hände gehen schon gefährlich auf Wanderschaft, mache ich die Schritte hinaus.
 

Ein leises „Bis dann.“ und die Tür fällt hinter mir zu.
 

Unter den Strahlen der warmen Sonne glaube ich, einen leisen Hauch seines Duftes auf dem schwarzen Stoff wahrzunehmen, der jetzt meine Brust bedeckt.

So fein und berauschend, dass es fast Einbildung sein könnte.

Kapitel 8 Teil 1

Kapitel 8 Teil 1
 

Der Drang ganz laut „Scheiße!“ zu brüllen, lässt sich gerade noch abwürgen, äußert sich aber in einem heftigen Tritt gegen ein Paar herumliegende Treter. Einer davon fliegt unerwartet weit und knallt mit doch beachtlicher Wucht gegen die nahe stehende Kommode.
 

Die Blumenvase darauf gerät ins Wanken und in meinen Gedanken kann ich sie schon fallen sehen.

Schwarze Blitze zucken vor meinen Augen vorbei und meine Knie geben leicht nach.

Nicht diese Vase!
 

Wäre ich jetzt Sprintweltmeister, begnadeter Akrobat oder einfach nicht das Lieblingskind des Pechs, hätte ich vielleicht noch eine Chance. Ich könnte aufspringen und mit ein paar Saltos oder einem atemberaubenden Sprint die Vase auffangen bevor sie auf dem Boden auftrifft; vielleicht würde sie aber auch nur ein bisschen wackeln und dann doch, wie von Geisterhand, stehen bleiben.
 

Leider kann ich nicht auf einen so exquisiten Lebenslauf oder Stammbaum zurückblicken: geliebter Sohn des Pechs, geschätzter Bruder des Unglücks, unterster Mitarbeiter der Einsamkeit, Versager Zertifikat niedrigsten Ranges erhalten und die Loserprüfung mit Hängen und Würgen bestanden. Die Situation kann also nur einen einzigen Ausgang nehmen und so kommt es, wie es kommen muss.

Ein helles, widerwärtiges Klirren dröhnt durch das stumme Haus und mir ist, als wäre da eben nicht die Vase zerbrochen, sondern etwas anderes ganz tief in meinen Inneren. Glitzernde Scherben bedecken den Fußboden.
 

Scherben.
 

Nicht die ersten in diesen paar Tagen, nicht die ersten seit jenem Tag vor vielen Jahren und wahrscheinlich auch nicht die letzten. Ich lasse mich, unfähig mich weiter zu bewegen, mitten im Scherbenhaufen nieder, nehme den stechenden Schmerz in meiner Hand kaum wahr und plötzlich muss ich lachen, so laut lachen, dass mir die Tränen kommen und mein Bauch schmerzt. Wahnsinn alter Freund, komm setz dich zu mir.
 

Was machen schon ein paar mehr Scherben in diesem Scherbenmeer, das mir schon so lange bis weit über den Kopf hinaus reicht. Wo ich gehe und stehe lasse ich eine Spur von glänzenden Trümmern zurück, habe alles zerbrochen, was je von Bedeutung für mich war.
 

Kleine rote Perlen zerschellen an den messerscharfen Klippen, bis sie blutrot schimmern.
 

Das Lachen ebbt ab und zurück bleibt nichts als gähnende Leere. Gleichmütig betrachte ich meine Handfläche, die mit lauter kleinen blutigen Diamanten gespickt ist. Ein brennender Schmerz lässt mich zusammenzucken als ein feiner Tränenregen auf sie niedergeht.
 

Wenn ich nicht an dem haushohen Scherbenhaufen ersticke, der sich rings um mich auftürmt, dann werde ich zweifellos irgendwann in meinen eigenen jämmerlichen Tränen ertrinken.
 

Mein Blick fällt auf die blutgetränkten Splitter und ich kann nicht verhindern, dass die Erinnerungen an jenen Tag zurückkehren, an dem mein Leben mit einem lauten Knall in Milliarden kleine rote Fragmente zertrümmert wurde. Wie sie glitzernd und funkelnd über den grauen Asphalt tanzten und in der unbarmherzigen Sonne wunderschönen Rubinen ähnelten, die die Landschaft mit leuchtenden Blutstropfen übersäten, während ich nur einen einzigen Punkt fixierte:

schwarze fließende Haare, lieblos auf der Straße verteilt.
 

Hastig stehe ich auf, trete dabei in eine weitere Scherbe, doch das ist mir in diesem Moment egal. Bilder ziehen vor meinen Augen vorbei wie ein Kinofilm, mit dem einzigen Unterschied, dass ich mir an den schlimmen Stellen nicht die Augen zuhalten kann um so zu tun, als würden sie nicht passieren. Denn egal, wie fest ich meine Augenlider zusammenpresse, sie verschwinden einfach nicht. Wie Säure brennen sie sich in meine Netzhaut und die Leere in meinen Inneren füllt sich mit brennender, schmerzhafter, bohrender und verzehrender Schuld.
 

Meine Füße tragen mich wie von selbst an den einzigen Ort, der mir jetzt noch helfen kann, diesen Brand im Keim zu ersticken. Ohne meine Klamotten auszuziehen, steige ich in die Badewanne und drehe die Dusche auf die kälteste Stufe. Ganz klein kauere ich mich zusammen und öffne den Duschhahn.

Das eiskalte Wasser sticht auf meiner Haut, als würde mich jemand mit Rasierklingen bewerfen, presst die Luft aus meinen Lungen und doch ist es mehr als willkommen. Je mehr davon auf mich herunterprasselt, desto kleiner wird die verheerende Flamme in meiner Brust, desto weiter schrumpft sie zusammen.
 

Allmählich stellt sich die ersehnte Taubheit ein, kein Gefühl in Händen und Beinen, mein Körper ist bleischwer, die alles durchdringende Kälte hat in ihrer grenzenlosen Machtgier alles andere daraus vertrieben. Nichts bleibt zurück außer der Kälte, die meine wirren Gedanken einfriert, meine Lippen zittern lässt und ihnen einen blauen Anstrich verleiht.
 

Meine Augenlider werden schwer, eine wohlige Müdigkeit schleicht sich trotz der brennenden Haut, in mein Bewusstsein und in diesem Moment der Schwäche bin ich geneigt ihr nachzugeben. Ganz vage streift der Gedanke, dass man sich im Schnee niemals hinlegen und einschlafen sollte, es sei denn, man hat nicht mehr vor aufzustehen, mein erstarrtes Denken. So ein Unsinn! Hier ist doch weit und breit kein Flöckchen Schnee. Beruhigt lasse ich den Schlaf immer näher kommen…
 

Elija!

Blaue Augen funkeln mich wütend und besorgt an.

Denis.
 

Als hätte mich jemand in die Seite getreten schrecke ich auf und drehe das Wasser ab. Da sitze ich nun, schlotternd vor Kälte, mit eisblauen Lippen; die nasse Kleidung klebt mir wie eine zweite Haut am Körper, jeder begossene Pudel wäre neidisch auf dieses Aussehen.
 

Elija, was bist du doch für ein erbärmlicher Idiot!

Wütend balle ich meine Finger zur Faust, was mir allerdings nicht so einfach gelingen will, da sie eher gefrorenen und sehr toten Fischstäbchen ähneln als lebendigen Fingern.
 

Ich verschließe den Abfluss der Wanne mit dem Stöpsel und lasse heißes Wasser hineinlaufen. Als die ersten Tropfen davon meine Zehen berühren, habe ich den Eindruck jemand mit sehr geringen Kenntnissen versucht mir, mit tausend Nadeln gleichzeitig, nicht sehr behutsam eine Akupunktur zu verpassen. Umständlich schäle ich mich aus T-Shirt und Hose und mache am eigenen Leib die Erfahrung, wie es wohl ist, wenn der Hummer mit kochendem Wasser übergossen wird.
 

Dampfschwaden wabern um mein Gesicht und sowohl Taubheit, als auch das Stechen ziehen sich nach und nach aus meinen Gliedmaßen zurück. Ein Pochen in Hand und Fuß erinnert an die Splitter darin, die ich in minutenlanger, mühevoller Kleinarbeit, mit beinahe chirurgischem Geschick herausarbeiten kann.

Jetzt, da sich mein Körper in der angenehmen Wärme wieder entspannt hat, rollt eine Welle von heftigen Gefühlen über mich hinweg und trifft mich völlig unvorbereitet und schutzlos, sodass mir gegen meinen Willen die Tränen kommen.
 

Erst wenige Stunden ist es her, dass er mich hier geküsst hat. Erst wenige Tage ist es her, dass er hinter meinen Stahlpanzer gesehen hat und nicht davongelaufen ist. Erste wenige Wochen ist es her, dass er mich zum ersten Mal getroffen hat.

Also warum?
 

Warum fühle ich mich so furchtbar einsam, weil er nicht da ist?

Warum war der Gedanke vorhin, dass ich ihn nie wieder sehen werde, wenn ich einfach nachgebe, so unerträglich?

Warum, verdammt noch mal, wünsche ich mir mehr als alles andere, dass er jetzt bei mir ist?!
 

Ich verfluche mich für die Worte, die zusammen mit den Tränen in das lauwarme Badewasser fallen, hasse mich für die Wahrheit, die in ihnen steckt und schäme mich dafür, dass sie meinen schwachen, kaputten Kern so deutlich offenbaren:
 

„Denis, lass mich nicht allein.“
 

Nachdem meine Haut irgendwann die Struktur einer getrockneten Rosine annimmt und der Salzgehalt im Badewasser hoch genug angestiegen ist, um Salzwasserfische glücklich zu machen, beschließe ich, dass sich manche Sachen nicht länger aufschieben lassen. Eine davon ist das Verlassen der Badewanne. Die andere begegnet mir, in Form der nun kaputten Lieblingsvase meiner Mutter, im Flur.
 

Früher stellte meine Mutter alle paar Tage frische Blumen hinein, später war sie nur noch eine leeres Erinnerungsstück, das, ohne das Lächeln, das meiner Mutter beim Anblick der Blumen immer über das Gesicht huschte, genauso tot war, wie sie.

Während ich vorsichtig die Scherben zusammenkehre, weiß ich, dass mich die kaputte Vase weit mehr kosten wird, als die kleinen Schnitte an meiner Hand und meinem Fuß.

Nur zu gut weiß ich, dass sein Blick immer zu Erst an der leeren Vase hängen bleibt, wenn er nach Hause kommt; er mich daraufhin kurz anschaut und doch nicht mich sieht und dann, wenn er den Irrtum bemerkt, gequält das Gesicht abwendet als gäbe es mich nicht.
 

Aber diesmal wird sein Blick mich finden. Abscheu wird sich darin zeichnen und Wut, darüber, dass ich ihm noch einen Teil von dem weggenommen habe, was ihm so viel mehr bedeutet hat als alle Universen zusammen, mehr als ich, der ich nur ein winziger Teil eines einzigen davon bin.
 

Ich werde in der Schule noch mehr Stoff verpassen, vielleicht verliere ich den Job im Supermarkt, damit die Aussicht bald von hier weg zu kommen und Denis wird sich noch mehr Sorgen machen.

Klirrend verschwinden die Glasstücke im Mülleimer.

Schade nur, dass ich gerade wieder damit beginne, eher einem Menschen als einer matschigen blaugrünen Pflaume zu ähneln.
 

Wenn ich nicht so wenig Lust hätte, den Rest meines Lebens in Gesellschaft von sabbernden Irren zu verbringen, würde ich mich auf der Stelle selbst einweisen. Schon zum zehnten Mal schaue ich jetzt auf die Uhr, um dann festzustellen, dass Denis sich wahrscheinlich gerade mit Mathe abquält und ich demnach nicht damit rechen kann, dass er so schnell hier aufkreuzt.
 

Bereits die letzte Nacht habe ich miserabel geschlafen und das nur, weil die ganze Zeit dieser verfluchte Kuss durch mein Hirn gegeistert ist und mein Herz dabei so laut geschlagen hat, dass ich unmöglich an Schlafen denken konnte. Außerdem wurde ich, nachdem mich der Sandmann irgendwann gnädigerweise mit einen Holzhammer ins Reich der Träume befördert hatte, von einem üblen Albtraum heimgesucht, in dem Denis wenig, ich dagegen viel zu viel anhatte und mich das seltsamerweise sehr zu stören schien.
 

Die Krankheit, mit der mich Denis angesteckt hat beginnt offenbar gerade damit meine Hirnzellen zu degenerieren. Die Auswirkungen sind unangenehmer Natur; seit dem Aufstehen warte ich darauf, dass die Schule endlich aus ist, Denis mich aus der erdrückenden Stille dieses Hauses erlöst und ihm, mit seinen dummen Späßen und seinem nervenden Lachen, ein wenig Leben einhaucht.
 

So weit bin ich also schon gesunken und ich dachte wirklich weiter runter ginge es gar nicht mehr, ohne auf der anderen Seite der Erdkugel wieder herauszufallen.

Jetzt, da ich sowieso verrückt werde und das Innere meines Kopfes bald einer Schüssel Gulasch ähneln wird, habe ich beschlossen, dass mir fürs Erste alles egal ist. Ich bin zu müde und erschöpft, ständig all diese Gefühle nieder zu kämpfen. Meine Kräfte sind schlicht und ergreifend am Ende.
 

Irgendwann werde ich es bitter bereuen, spätestens dann, wenn die Realität mal wieder grausam zuschlägt und ich blutigen Tränen vergieße, aber bis dahin werde ich es einfach zulassen.
 

Ich habe vergessen, wie langsam die Zeit vergeht, wenn man auf etwas Erfreuliches wartet. Das einzige Warten, an das ich mich noch erinnern kann ähnelt dem eines zum Tode Verurteilten, der in der Nacht vor der Hinrichtung betet, die Zeit möge stehen bleiben. Wie zum Hohn läuft sie dann schneller und trägt dich mit Lichtgeschwindigkeit dem Ende entgegen.
 

Aber jetzt scheint sie still zu stehen, bewegt sich keinen Millimeter vorwärts und ich wünsche mir die Zeit zurück, in der ich einfach vom Strom mitgerissen wurde. In der Stunden und Tage, ja manchmal sogar Wochen im einzelnen Flügelschlag einer nervigen Fliege vorüberziehen und sowohl die erträglichen, wie auch die unerträglichen Momente zu einem einzigen grauen Brei verschmelzen, der darum so viel leichter zu schlucken ist, weil die pechschwarzen Körnchen in der Masse verschwinden.
 

Der gestrige Tag war selbst für meine Verhältnisse besser und schlechter, als die meisten in vielen Jahren davor. Ich habe haushoch und katastrophal gegen Denis und vor allem gegen mich selbst verloren und als Trostpreis eine trügerische Hoffnung erhalten…
 

Das Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen wirren Gedanken. Da ist es wieder, dieses schleichende Etwas, das mich schneller als nötig aufspringen lässt, wie ein ausgehungertes Tier, das die lebensrettende Nahrung wittert, und meinen Herzschlag in ärztlich bedenkliche Regionen katapultiert.

Mit der Hand über dem Hörer verharre ich, sehe das leichte Zittern meiner blassen Finger mit gerunzelter Stirn und schelte mich einen Narren, wegen dem beschissenen Telefon so aufgeregt zu sein.
 

Missmutig nehme ich schließlich ab.
 

„Hallo?“

»Elija, bist du’s? « Ein warmer Schauer rieselt über meinen Rücken, als ich die Stimme erkenne.

„Nein, hier ist der technische Wartungsdienst der Klinikpathologie aber ich kann gerne eine Nachricht weitergeben, wenn sie mir bitte die Nummer des Empfängers mitteilen würden.“

Ein kurzes Kichern am anderen Ende und ich habe den Eindruck gerade mindestens 40 Kilo leichter geworden zu sein. Mit dieser Diätmethode könnte ich steinreich werden.
 

» Idiot! «

„Gleichfalls. Du hast dir ganz schön Zeit gelassen. Die Schule ist immerhin schon seit mehr als drei Stunden aus.“

Stille. Und auf ein Mal klingt seine Stimme ganz aufgeregt.

» Heißt das du hast auf meinen Anruf gewartet? Sag jetzt nicht, du hast mich vermisst! «

Ich kann fühlen, wie sich Hitze auf meinem Gesicht ausbreitet. Wann lerne ich endlich die Klappe zu halten?
 

„Red keinen Scheiß! Warum sollte ich eine krankhafte, aufdringliche, fröhliche Nervensäge wie dich vermissen?“

» Nicht mal ein kleines Bisschen? «

„Nein!“

» Ein ganz, ganz kleines Bisschen? «

„Nein, verdammt noch Mal! Hör auf mit dem Scheiß!“

» Du bist echt herzlos. «

„Und das ist dir vorher noch nie aufgefallen?“
 

Plötzlich ist ein Knacken und Rascheln zu hören, es klingt als würde am anderen Ende der Leitung ein kleiner Kampf ausgetragen. Im Hintergrund sind gedämpfte Stimmen zu hören. In einer davon erkenne ich Denis, die andere habe ich noch nie gehört.

» Lass das du Idiot, ich bin gerade am Telefon! «

Gedämpftes Murmeln; ich muss mich schon sehr anstrengen um es zu verstehen.

»… ja das hab ich mitbekommen, dein Rumgesäusel ist ja kaum zu überhören, aber du kannst auch später noch Liebesgrüße mit deiner Freundin austauschen. Im Moment hast du genug zu tun. Sag ihr einfach wie sehr du sie vermisst, wie sehr du sie liebst und dann beeil dich und hilf mir. Papa wartet schon seit ner Viertelstunde auf dich…«
 

Ein dumpfer Schlag, ein kurzes Gerangel und dann Gelächter.

» Verpiss dich du Idiot! « Noch mal ein Lachen im Hintergrund, dann ist es kurz still.

Inzwischen müsste jeder noch so winzige Quadratzentimeter meiner Haut einen saftigen Rotton angenommen haben und als Denis das Wort wieder an mich richtet bekomme ich zunächst nichts davon mit.

» Sorry, das eben war mein Bruder. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht mich zu nerven… Elija, bist du noch dran? «

Ich nicke, bis mir auffällt, dass er mich ja gar nicht sehen kann und signalisiere ihm mit einem kurzen „Hmhm“, dass ich noch da bin.
 

»Gut! Naja, also ich kann heute und wahrscheinlich auch morgen nicht vorbeikommen. Mein Vater hat den Wahn, den Dachboden auf Vordermann bringen zu wollen und hat mich und meinen Bruder dazu verdonnert ihm dabei zu helfen. Bis dahin darf keiner von uns was anderes machen. «

„Verstehe.“

Nicht nur ich merke, dass meine Stimme um einige Grad kühler klingt. Die Enttäuschung ist mir zu meinem größten Missvergnügen deutlich anzuhören.

» Hey, ich ruf dich auch Morgen an und am Mittwoch komm ich dann vorbei. Versprochen! «

„Hmhm…“

» Elija, ich…«
 

Was er dann noch sagt, höre ich nicht mehr. Mit einem leisen Klack fällt der Hörer auf die Gabel.
 

Weißt du, dass du grausam bist?
 

Du hast mich aus dem reißenden Strom gefischt und lässt mich jetzt triefend und frierend am Ufer zurück, wo ich nur zuschauen kann, wie die Strömung die Grausamkeiten des Lebens direkt auf mich zu trägt. Wo ich sie von weitem kommen sehen und ihnen doch nicht ausweichen kann, weil meine Füße den festen Boden schon so lange nicht mehr gespürt haben, dass ich vergessen habe zu gehen. Weil ich mich nicht auskenne in dieser Gegend, nicht weiß, wohin ich denn weglaufen sollte, wenn ich könnte und du meine einzige Hoffnung bist.
 

Meine einzige Hoffnung, weil du mich stützen kannst, wenn meine Beine mich nicht tragen und du den Weg weißt, den ich ohne dich nicht finden kann, der weg führt von diesem dunklen Mahlstrom.

Aber du kommst nicht um mich zu retten.
 

Weißt du, dass du grausam bist?
 

Mein Blick bleibt an der leeren Stelle auf der Kommode hängen.
 

Lässt mich hier allein in der schwarzen Kälte zurück.

Kapitel 8 Teil 2

Sorry für die lange Verzögerung TT^TT
 

Kapitel 8 Teil 2
 

„Mann, langsam fange ich wirklich an mir Sorgen zu machen. Du ziehst eine Schnute, als hätte man dir deinen Lieblingsteddybären weggenommen und…Vorsicht!“

Mit einem lauten Rumpeln geht eine Bücherlawine direkt neben mir zu Boden. Eine gewaltige Staubwolke hüllt mich ein und zwischen meinem Röcheln und Prusten kann ich meinen älteren Bruder fluchen hören.
 

„Fuck, die hab ich gerade erst aufgestapelt! Mach deine Augen auf du Idiot!“, wütend tritt er gegen einen Dachbalken und wird mit einem Staubregen belohnt.

„Scheiße!“, erschöpft lässt er sich auf den Boden fallen und klopft sich den Staub aus dem Haar, „Seit Gestern bist du echt zu nichts mehr zu gebrauchen.“
 

Als ich den Mund öffne, um ihm zu widersprechen, entweicht mir nur ein raues Krächzen. Beim Versuch mich zu ihm zu gesellen, übersehe ich eines der herumliegenden Bücher und lande unsanft auf meinem Allerwertesten. Ich sollte mich in Zukunft lieber von Büchern fernhalten, wenn ich vorhabe noch ein paar Jährchen unversehrt zu verbringen.

Seufzend bleibe ich an Ort und Stelle sitzen. Vielleicht hat er ja doch Recht.
 

Schon nach dem Anruf gestern hat mir mein schlechtes Gewissen arg zugesetzt, aber nach dem heutigen, habe ich das Gefühl ihn geradewegs dem Henker vorgeführt zu haben. Hätte jemand mit der Stoppuhr daneben gestanden, als ich heute versucht habe mit Elija zu sprechen, hätte er den Startknopf gar nicht loslassen müssen. Eiskalt, mich fröstelt beim Gedanken daran, waren seine Worte und so weit weg, als hätte ich den Kontakt zu ihm gänzlich verloren.
 

Da ist diese nagende Gewissheit, dass ich besser wo anders sein sollte und nicht hier auf einem staubigen alten Dachboden und der quälende Verdacht, dass ich dadurch unbewusst die Tür zugestoßen habe, die ich unter Einsatz all meiner Kraft, so mühsam einen klitzekleinen Spalt aufgezwängt habe. Damit habe ich nicht nur mich ausgeschlossen, sondern ihn gleichzeitig in der lichtlosen Dunkelheit eingesperrt.
 

Ich hab’s verbockt! Und das vielleicht endgültig.
 

Kleine dunkle Flecken bilden sich vor mir auf dem trockenen Holz. Ich schaue nach oben um festzustellen, ob das Dach unter den Regengüssen, die seit Montag unaufhörlich ihre eintönige Sinfonie auf den Ziegeln spielen, nachgegeben hat. Zu meiner Überraschung jedoch, liegt die Quelle der Nässe viel weiter unten.

Eine Hand klopft mir auf den Rücken und erschrocken wische ich mir die feuchten Wangen ab. Freundlicherweise tut mein Bruder so, als hätte er nichts bemerkt und mustert mit größtem Interesse einen kaputten, mit hellblauen Teddys bedruckten Lampenschirm, während er sich neben mir niederlässt.
 

„Hey kleiner Bruder, so kenn ich dich gar nicht. Ich hab dich immer für einen Menschen gehalten, der jeden Tag mit der Sonne um die Wette strahlt. Trotzdem, das heißt noch lange nicht, dass du jetzt auch noch diesem Dauerregen Konkurrenz machen musst.“

Nachdenklich dreht er den hässlichen Schirm in den Händen.

„Weißt du, ich mag zwar nicht der Aufmerksamste sein, aber selbst einem Halbblinden wie mir fällt auf, dass du Kummer hast. Und ich bin auch nicht der große Ratgeber oder so was…“, sein Blick richtet sich jetzt direkt auf mich, „aber ich könnte dir zuhören. Vielleicht…“
 

Diese lieb gemeinten Worte, von dem Kerl, der sonst nur das Ziel zu haben scheint, mich möglichst bald ins nächste Sanatorium zu befördern, lassen statt dem großen Kiesel, der schon seit Sebs andauernden Fragereien nach Elija in meinen Inneren rumort, einen zentnerschweren Stein in meinen Magen fallen.
 

Auch wenn es bisweilen so aussieht, also ob ich meinen Bruder nicht leiden könnte, verstehen wir uns eigentlich sehr gut. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen und meine Geheimnisse noch dazu, weil ich wüsste, dass sie bei ihm, trotz seiner großen Klappe und seiner lauten Art, sicher sind.
 

Das dachte ich zumindest bis eben.
 

Bei dem Geheimnis, das ich jetzt mit mir herumtrage, geht es nicht um zerbrochene Teller oder darum, dass ich mein Essensgeld für Süßigkeiten ausgegeben habe. Es geht um etwas Größeres, Wichtigeres, etwas Essentielles, das, einmal ausgesprochen, mein Leben für immer verändern kann.

Ich habe nie mit meinem Bruder über das Schwulsein gesprochen. Warum auch, bis jetzt hatte ich nie den geringsten Grund dazu. Ich habe ihn öfter Ausdrücke wie, „das war voll schwul“ oder „so ne Schwuchtel“ sagen hören, immer nur im Scherz und nie böse gemeint. Er ist ein toleranter und offener Mensch.
 

Ich bin mir sicher, dass er mich nicht verurteilen würde, wenn ich ihm jetzt gestehe, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe. Naja, nicht irgendeinen, sondern den schwierigsten, den ich nur hätte auftreiben können.
 

Und doch würde sich alles verändern.
 

Ich sehe in sein überraschtes und besorgtes Gesicht und schäme mich, dass ich ihm so wenig Vertrauen entgegenbringe.

Immer mehr Tränen purzeln und hinterlassen saubere Stellen in der dicken Staubschicht.

Ich schäme mich, dass ganz weit hinten in meinem Kopf die unsinnige Angst schlummert, dass er mich angeekelt zurückweisen könnte.
 

Ich kann es ihm nicht sagen.
 

Unbeholfen tätschelt er meinen bebenden Rücken, bevor er sich entschließt mich in den Arm zu nehmen, damit ich mich an seiner Schulter erst mal richtig ausheulen kann. Ich traue mich nicht ihn anzusehen und drücke mein Gesicht fester in sein T-Shirt, als er die Stille durchbricht.

„Es hat was mit dem Anruf zu tun, hab ich Recht?“

Ein kurzes Rucken an seiner Schulter.

„Liebeskummer?“

Ein erneuter Ruck, kurz streicht seine Hand über mein braunes Haar. Mir ist schon wieder nach Weinen zu Mute; wie ein Verräter komme ich mir vor.
 

„Denis, Alan! Euer Vater ist vom Baumarkt zurück und wir können essen. Kommt runter!“

Beim Aufstehen wuschelt mir Alan durch die Haare.

„Kopf hoch Brüderchen. Die Wolke muss erst noch kommen, die dich dauerhaft vom Strahlen abhalten kann.“

Kurz bevor sein Kopf in der Dachlukenöffnung verschwindet wendet er sich noch mal um und grinst mich an:

„Du weißt ja, wenn du’s dir anders überlegst; klopf vorher an.“
 

Als ich in dieser schlaflosen Nacht an die Decke starre und versuche im Muster der Tapete merkwürdige Tiere zu entdecken, finde ich stattdessen immer nur Elija in meinen Gedanken. Seufzend drehe ich mich zur Wand. Ich bin sonst nicht der Typ, der sich heulend in der Ecke verkriecht, wenn etwas mal nicht dahin läuft, wo ich es gerne hätte.

Mein Bruder hat Recht, das passt absolut nicht zu mir!
 

Ich werde schon einen Weg finden, mich in sein verschlossenes Herz zu schleichen, sonst wäre ich ja nicht Denis. Was passiert, wenn es nicht klappt, darüber denke ich erst nach, wenn, oder besser falls, es so kommen sollte. Mit diesem Entschluss im Hinterkopf, legt sich der innere Sturm zumindest so weit, dass sein Tosen einschläfernde Wirkung hat.
 

Bevor ich mich jedoch den watteweichen und rosaroten Träumen überlasse, schwöre ich mir, dass ich meinem Bruder irgendwann die Wahrheit sagen werde. So viel Vertrauen hat er verdient und außerdem bin ich absolut der falsche Mensch für ewige Versteckspielchen…
 

Eine starke Windböe weht mir Laub und ein paar aufgeweichte Papierschnipsel entgegen, eine rabenschwarze Wolkenwand hängt drohend über meinem Kopf und obwohl es erst fünf Uhr ist, ist es schon stockdunkel. Wie ein düsteres Omen kommen sie mir vor und im Hinblick auf das, was ich noch vorhabe, steigert sich meine Anspannung, die mir schon seit heute Morgen von allen Seiten verwunderte Blicke einbringt, ins Grenzenlose.

Mit etwas schlechtem Gewissen denke ich daran zurück, wie ich Seb angeschnauzt habe, als er mich zum wohl tausendsten Mal über Elija ausquetschen wollte und daran, dass ich vom Nachmittagsunterricht nicht ein einziges Wort mitbekommen habe. Denn obwohl ich es tatsächlich geschafft habe etwas von meiner nächtlichen Entschlusskraft in den Tag zu retten, ist erschreckend wenig davon übriggeblieben, zu wenig um sie an unnötige Sachen zu verschwenden.
 

Missmutig biege ich den Weg zu unserer Haustür ein. Ich sollte jetzt nicht hier sein. In Gedanken bin ich heute schon hundertmal einen ganz anderen Weg gelaufen. Das schmale aber schwere Päckchen, das ich auf dem Postamt geholt habe, hat mich davon abgehalten gleich nach der Schule zu ihm zu gehen. Seufzend lasse ich die Tür hinter mir zuknallen. Ich bin einfach zu gutmütig.

„Denis, bist du’s? Hast du an mein Päckchen gedacht?“

„Ja Mama.“, den bissigen Unterton in meiner Stimme kann ich nicht verbergen.

„Danke Schatz. Leg’s auf die Anrichte, ja?“

Ich kann nicht glauben, dass ich ihn dafür habe so lange warten lassen.

Falls er überhaupt wartet…
 

Nachdem ich kurz ein paar Bissen heruntergewürgt habe, richtigen Hunger habe ich keinen, tragen mich meine unruhigen Füße zum Telefon. Unser letztes Gespräch schießt mir durch den Kopf und ich beschließe vorher besser nicht anzurufen. Er kann mich weniger gut abweisen, wenn ich vor ihm stehe und mit meinem flehenden Hundeblick direkt angreifen kann.
 

Die Jacke schon in den Händen, erhellt plötzlich ein gleißend weißes Licht den dämmrigen Flur; der nachfolgende Donnerschlag lässt das ganze Haus erbeben und im selben Moment kann ich tausende Liter Wasser hören, die sich mit ohrenbetäubendem Lärm auf unser Dach niederstürzen. Innerhalb weniger Sekunden verwandelt sich die Außenwelt in eine unheimliche, von grellen Blitzen durchzuckte Wasserlandschaft, in der alles zu ertrinken scheint, was dem Regen schutzlos ausgeliefert ist. Nicht nur ertränkt und reißt er alles mit sich fort, er zwingt mich hier auszuharren und voller Ungeduld, jeden der Myriaden von Tropfen zu zählen, in der unbestimmten Hoffnung irgendwann den letzten von ihnen fallen zu sehen.
 

Stunden, scheint es mir, habe ich damit verbracht unruhig in meinem Zimmer Auf und Ab zu laufen und durchs Fenster auf die undurchdringliche Wasserwand zu starren. Ich muss ihn heute noch besuchen sonst, so sagt mir mein Bauch, habe ich jegliche Chance, noch einmal sein Vertrauen zu gewinnen, unwiederbringlich zunichte gemacht. Umso wütender macht es mich, dass jetzt sogar der Himmel mir dabei in den Rücken fällt.
 

Sechs Uhr und noch immer kein Ende in Sicht. Notfalls werde ich wohl oder übel durch den Regen waten müssen, auch wenn ich nicht mal meinem schlimmsten Feind wünschen würde, bei dem Sauwetter nach draußen zu müssen.
 

Ein melodischer Gong hallt durchs Haus, lässt mich aber nur kurz aufhorchen, bevor ich wieder in meine Brüterei verfalle. Die irritierte Stimme meines Bruders holt mich dann schnell zurück.

„Denis, hier ist jemand für dich!“

Die Erkenntnis, dass es sich bei dem Gong vorher um unsere Türklingel gehandelt hat, trifft mich wie ein Schlag. Wer würde bei diesem Wetter…

„Denis, bist du da Oben? Komm endlich runter, er wartet!“

Mein Herz fängt plötzlich an zu Rasen und ein unsinniger Gedanke nach dem anderen jagt durch mein Hirn. Nein, versuche ich mich zu beruhigen, das kann nicht sein…
 

„Denis…“

„Ja, ja ich komme schon!“

Mit einem seltsam mulmigen Gefühl, wanke ich, auf Beinen, die gerade versuchen eine täuschend echte Wackelpudding-Imitation hinzulegen, die Treppe hinunter. Ich wage nicht zu glauben, was ich gegen jede Vernunft da unten erwarte, traue meinen Wünschen alles zu und verabschiede mich nicht ganz ungern von meinem Sinn für Realität. Es ist einfach doch einen gewaltigen Tick zu unmöglich.
 

Ich komme am Ende der Treppe an, biege um die Ecke und… da steht er:

Triefnass und leicht zitternd. Zu seinen Füßen eine kleine Pfütze, die unter dem ständigen Zustrom von Wasser stetig wächst. Aus seinen schwarzen Klamotten, die ihm hauteng am Körper kleben und seinen pechschwarzen Haaren, die sich glatt an sein Gesicht schmiegen, tröpfelt es unaufhörlich zu Boden. Verloren steht er neben meinen Bruder, die Hände unsicher in den Hosentaschen vergraben und schaut mich aus seinen unglaublich grünen Augen an, in deren langen Wimpern Regentropfen wie kleine Perlen glitzern. Den Ausdruck darin kann ich nicht so Recht deuten und doch jagt er mir angenehme Schauer über den Rücken.
 

Wenn er wüsste, dass ich bei diesem Anblick unwillkürlich an ein kleines schwarzes und tropfnasses Kätzchen denken muss, würde er mich auf der Stelle abstechen.

Ich kann nicht anders, mein Gesicht überzieht sich mit einem Strahlen, auf das selbst die Sonne an ihren besten Tagen, neidisch wäre. Doch nicht ganz unmöglich.
 

„Elija…“, ist mein sinnvoller Kommentar.

Noch immer ist mein Blick wie gefesselt, das rauschende Blut in meinen Ohren, übertönt sogar noch das ohrenbetäubende Prasseln des Regens.

„Elija…“

Ein kleines Runzeln zieht sich über seine feuchte Stirn. „Ich glaube, jetzt wo du es erwähnst, so war tatsächlich mein Name, aber danke für den Hinweis, es war mir doch glatt entfallen.“
 

Mit einem einzigen Satz stehe ich genau vor ihm und habe schon meine Arme auf seinen Schultern um ihn in eine feste Umarmung zu ziehen, als mir gerade noch einfällt, dass Erstes, er vielleicht nicht ganz so begeistert davon wäre wie ich und Zweitens, mein Bruder immer noch direkt neben uns steht; und das, mit einem, für meinen Geschmack, viel zu neugierigen und interessierten Blick. Schnell lasse ich sie daher sinken und trete mit leicht geröteten Wangen einen Schritt zurück.
 

„Du? Hier? Was... machst du hier? Ich meine, bei diesem Wetter… warum…“, ich stocke. Mein Blick fällt, von ihm nicht unbemerkt, auf seine Lippen. Wie aus Reflex wendet er das Gesicht ab, doch ich bin schneller, schnappe sein Kinn und drehe es in meine Richtung. Bestürzt sehe ich den leicht eingerissenen Mundwinkel und den dunklen Schatten, der seiner bleichen Wange, diese ganz und gar unpassende Farbe verleiht.

Erst jetzt fällt mir richtig auf, dass er nur ein T-Shirt trägt, obwohl es draußen ziemlich kalt ist, einen Schirm scheint er auch nicht dabei zu haben, so als wäre er in aller Eile aus dem Haus gestürmt.

Ich weiß eigentlich schon, was passiert ist und trotzdem suche ich Bestätigung in seinen Augen, die den meinen beharrlich ausweichen.
 

Ohne darüber nachzudenken, drücke ich ihn so fest an mich, dass seine klamme, kalte Kleidung mich leicht erschaudern lässt. Kurz scheint er sich wehren zu wollen, gibt dann aber auf. Sein nasses Haar kitzelt meine Wange und zum ersten Mal realisiere ich, dass er wenige Zentimeter kleiner ist als ich. Sein unverkennbarer Duft bildet mit dem frischen Regen ein betörendes Parfum, dessen winzigkleine Geruchspartikel ich mit tiefen Atemzügen einzufangen suche, bevor sie sich unrettbar in der Luft verlieren.

Ich bin jetzt schon süchtig.
 

Tastende Fingerspitzen wandern über meinen Rücken, nur hauchzart zu erahnen durch meinen Pullover, und lösen ein kleines Feuerwerk in meinem Magen aus, das die von ihm auf mich einströmende Kälte, mit einem Schlag vertreibt. Mutiger geworden, berauscht von seinem Geruch und der unverhofften Nähe, beginnen meine Hände über seinen Rücken zu streichen, ein lautes Räuspern lässt mich jedoch sofort innehalten.
 

Meinen Bruder, der mit wissendem Grinsen und belustigtem Gesichtsausdruck, die ganze Zeit mit uns im Zimmer stand, habe ich ganz vergessen. Wie von der Tarantel gestochen bringt Elija wieder etwas Luft zwischen uns beide. Dabei überzieht sich sein Gesicht mit einer zuckersüßen Röte, die es mir, in Verbindung mit seinem leicht angesäuerten Ausdruck, sehr schwer macht ihn nicht auf der Stelle mit einem Kuss zu überfallen. Stattdessen begnüge ich mich mit einem zufriedenen Grinsen, das mir einen nicht zu verachtenden bösen Blick einbringt.
 

Alan verabschiedet sich wortlos in die Küche und lässt mich mit dem nassen und wieder zitternden Elija allein.

„Wie wär’s erstmal mit einer warmen Dusche? Reden können wir später immer noch.“

Die Antwort erfolgt in einem knappen Nicken und so führe ich ihn die Treppe nach oben ins Badezimmer, bedeute ihm kurz zu warten, damit ich ihm frische Klamotten holen kann und drücke ihm kurz darauf einen Stapel davon in die Hand.

„Hier hast du Handtuch und Duschgel, falls du welches brauchst. Ich werd solange was Warmes zu trinken machen.“
 

Ich drehe mich zu ihm um und muss feststellen, dass er sich keinen Millimeter bewegt hat und mit beinahe angewidertem Gesichtsausdruck den Wäschestapel auf seinem Arm begutachtet.

„Gibt’s ein Problem damit?“

Er zieht eines meiner Lieblings T-Shirts aus dem Stapel und hält es mir anklagend vor die Nase.

„Allerdings!“

Irritiert wandert mein Blick zwischen Shirt und Elija hin und her und bleibt dann fragend an ihm hängen.

Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass du farbenblind bist, aber das hier“, er wedelt mit dem T-Shirt herum, „ist eindeutig rot.“
 

„Tatsächlich? Dann bin ich jahrelang immer bei der falschen Farbe über die Straße gelaufen.“ Ein fieses Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. „Wenn du ein anderes willst, ich hätte da noch eines in grün, das passt sicher ganz ausgezeichnet zu deinen Aug-…“

Als einzige Antwort schließt sich die Badezimmertür so knapp vor mir, dass zwischen Nase und Tür nur noch ein Streichholz gepasst hätte.
 

Unten in der Küche fülle ich zuerst den Wasserkocher um einen Tee zu machen, die bohrenden Blicke meines Bruders dabei geflissentlich ignorierend. Als ich beim besten Willen nicht mehr vortäuschen kann beschäftigt zu sein, setze ich mich ihm seufzend gegenüber. Mein Bruder ist zwar zeitweilig nicht gerade die größte Leuchte, aber er ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Er hat längst Eins und Eins zusammengezählt und mit seinem Grinsen im Flur bin ich mir sicher, dass er auf Zwei gekommen ist.
 

Das Merkwürdige dabei ist, es ist mir vollkommen gleichgültig. Was Alan von mir hält, was ich bin, all das ist egal, weil Elija jetzt gerade, in diesem Moment, hier unter meiner Dusche steht, weil er zu mir gekommen ist. Er ist hier, hier bei mir. Alles andere ist nebensächlich.
 

„Ihr hättet euch eben von mir nicht stören lassen müssen“, scheinbar desinteressiert schlürft er seinen Kaffee und blättert lässig in einer Zeitschrift. Doch damit kann er mich nicht täuschen. Seine zuckenden Mundwinkel verraten ihn.

„Depp!“

Ein erleichtertes Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen und ich strecke ihm die Zunge raus.
 

Eigentlich wusste ich die ganze Zeit, dass es mit Alan kein Problem geben würde.

Kapitel 9 Teil 1

Noch ein paar kleine Worte zu Beginn:

Es tut mir wirklich Leid, dass es so ewig lange nicht weiterging, aber ich habs in der Zeit immer wieder versucht un es gig einfach nicht...

...aber das ist jetzt hoffentlich Vergangenheit, ich hab es geschafft endlich wieder ein Kapitel zu beenden und ich hoffe dass ihr trotz der sehr...sehr...sehr...>-< langen Wartezeit noch motiviert seid weiterzulesen.

Für alle die dadurch die Lust verloren haben tut es mir nochmal Leid. Das ist natürlich sehr schade, aber das muss ich dann wohl auf meine Kappe schreiben.
 

Ich wünsch euch jedenfalls viel Spaß damit und hoffe, das es euch gefällt ;)

WordlessPoet
 


 


 

Kapitel 9 Teil 1
 

Während ich mich anziehe, versuche ich tunlichst den Blick in den Spiegel zu vermeiden. Ich habe keine Lust schon in jungen Jahren blind zu werden und diese Gefahr bestünde unweigerlich. Wehmütig blicke ich zu dem etwas kläglich wirkenden, nassen Kleiderhaufen vor der Badewanne.

Wenn mich der Gedanke an das klebrige, kalte Gefühl auf meiner warmen Haut nicht jetzt schon schlottern lassen würde, würde ich sie einfach wieder anziehen. Mit ungutem Gefühl trete ich den Weg zur Badezimmertür an, als mir plötzlich ein grellrotes Wesen mitten ins Gesicht springt und augenblickliche Lähmungserscheinungen in meinem Sehzentrum auslöst.
 

Irgendwie habe ich beim Reinkommen übersehen, dass auch die Rückseite der Tür mit einem gigantischen Spiegel zugepflastert ist. Willkommen im Heim der Narzissten.
 

Ich taste mich mit geschlossenen Augen zum Türgriff vor und verlasse das verfluchte Spiegelkabinett in der unverrückbaren Annahme der Spiegel sei kaputt, denn dieses Wesen, das mir da entgegengeglotzt hat, hatte so wenig Ähnlichkeit mit mir, wie eine Salatgurke, ein rote Salatgurke wohlgemerkt. Allerdings verhält es sich wohl eher umgekehrt. Der Spiegel ist absolut in Ordnung, ich bin derjenige, bei dem etwas nicht stimmt.
 

Ich bin nicht in Ordnung.
 

Dieser Psychokoller, oder besser dieser noch weiter fortschreitende Psychokoller; mich vorher als völlig normal zu bezeichnen wäre eine leichte Untertreibung; äußert sich nicht nur in einem absurd veränderten Erscheinungsbild, sondern auch in offensichtlichen Fehlentscheidungen. Einer davon habe ich es zu verdanken, dass ich gerade aus einem fremden Bad komme und durch eine unbekannten Flur laufe, die, und das ist das Schlimmste, sich in Denis' Haus befinden. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass ich mich nicht nur fühle, wie ein Alien, sondern auch noch so aussehe wie eines.
 

Wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort die Flucht ergreifen, aber in diesem Aufzug kann ich mich nicht auf die Straße wagen, ganz zu Schweigen von der Tatsache, dass sich alles in mir dagegen Sträubt das zu tun. Einer der Gründe dafür wirft gerade tonnenweise Wasser gegen das Fenster, ein anderer tobt wahrscheinlich stinksauer zu Hause und der dritte ist gerade dabei warme Getränke zu machen.
 

Meine Schritte haben mich, die Treppe hinunter, vor eine Tür geführt, hinter der ich Denis mit seinem Bruder sprechen höre. Mir bewusst, dass ich letztendlich keine Wahl habe, will ich schon nach der Klinke greifen, als mir klar wird über was, besser gesagt wen, die Beiden da drin sprechen. Meine nicht vorhandene gute Erziehung vergessend, trete ich noch einen Schritt näher und bringe mein Ohr in Lauschposition. Zunächst sind nur Wortfetzen zu verstehen, ich strenge mich noch ein bisschen mehr an, immer darauf bedacht mich dabei nicht allzu sehr zu verrenken.
 

Endlich kann ich die beiden besser verstehen.

„... aber gut, ist ja dein Ding. Allerdings bin ich von deiner Wahl ein wenig überrascht. I- Au! Kein Grund mich gleich zu schlagen! Ich hab ja nicht gesagt, dass er eine schlechte Wahl ist. Wenn ich es mir recht überlege, sieht er eigentlich ganz gut aus für nen Kerl und als er so triefend vor unsrer Haustür stand war er sogar ganz niedlich, aber...“

„Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“
 

Ich kann spüren, dass meine Gesicht eine Portion eiskaltes Wasser jetzt ganz gut vertragen könnte, auch wenn ich vor einer Minute noch geschworen hätte, nie wieder etwas von diesem ekligen Zeug sehen zu wollen. Ich beglückwünsche mich zu meinem außerordentlichen Geschick, das eine Irrenhaus zu verlassen, nur um mich in der nächsten Klapsmühle zu verkriechen; ich sollte mir glatt einen Preis verleihen.
 

„Ach laber keinen Scheiß, ich werd ihn dir schon nicht wegschnappen. Ich versuche doch nur dich nachzuvollziehen. Immerhin muss der Typ irgendwas haben, was dich soweit bringt, der weiblichen Welt den Rücken zu kehren; ein ziemlich krasser Schritt, wenn du mich fragst...

Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ist der Typ nicht ein bisschen zu düster für dich Mr. Sonnenschein? Ich meine, als ich vorhin die Tür aufgemacht habe, bin ich zuerst wahnsinnig erschrocken, weil ich dachte ne Leiche würde auf mich zuwanken. Du musst doch bemerkt haben, dass er nicht gerade die Fröhlichkeit in Person ist, oder? Bei all dem Schwarz ist das doch kaum zu übersehen.“
 

„Er ist nicht gerade einfach, das muss ich ja zugeben. Aber ich kann dir versichern, dass ich weiß was ich tue und im Gegensatz zu einem, sich gerade ziemlich oberflächlich verhaltenden, Idioten neben mir, bin ich sehr wohl in der Lage etwas tiefer zu blicken. Es lohnt sich!“

„Die Worte eines verliebten Trottels, aber Ok, auf deine Verantwortung...

Da ist noch was, das mich brennend interessiert, so von Bruder zu Bruder.“

„Ich glaube ich werde in spätestens einer Sekunde bereuen, dass ich das jetzt sage: Schieß los!“

„Wie weit seid ihr beiden denn schon?“
 

Wie von der Tarantel gestochen fahre ich zurück. Das will ich unter gar keinen Umständen hören, nicht für alles Geld der Welt. Ich könnte mir die Ohren abhacken dafür, dass ich meine beschissene Neugier nicht im Griff habe. Ich kann das Blut durch meinen Schädel rauschen hören, während sich mein Finger um die Türklinke verkrampfen. Mein Innerstes ist schon wieder dabei sich abzukühlen, alle Wärme ist irgendwo zwischen den Worten verloren gegangen. Nur mit Mühe kann ich ein Zittern zurückhalten.
 

Ich dürfte nicht hier sein.
 

Ich bin es dennoch und ich stehe schon mindestens eine Viertelstunde dumm vor verschlossener Türe herum. Man kann mich viele Sachen schimpfen, die Meisten davon sind wahr, aber Feigling... scheiße, Feigling gehört auch dazu. Dann entspreche ich hier wenigstens gerade voll meinem Naturell. Schön, dass sich wenigstens eine Sache im Moment nicht verändert hat.
 

Missmutig, den kläglichen Rest Würde zusammenkratzend, den mir dieses scheußliche Kleidungsstück und mein heutiger Auftritt à la begossener Pudel noch gelassen haben (ich dürfte inzwischen auf dem Niveau einer durchweichten Klorolle angekommen sein), betrete ich endlich die Küche. Ich muss zugeben, dass meine Darbietung größeren Eindruck macht, als ich erwartet hätte. Das liegt mit Sicherheit nicht an meiner imposanten Erscheinung, die sonst immer für genügend Abstand von lästigen Menschenmassen gut ist, mich hingegen immer dann im Stich lässt, wenn sie wirklich mal erwünscht wäre.
 

Schlagartige Stille, ein Zusammenzucken und schuldbewusste Blicke. Für meinen Geschmack dauert dieser Zustand nicht lange genug, die Zwei fangen sofort an, mich mit atomarem Stahlen zu verseuchen. Gottseidank habe ich mir alle Hoffnung auf ein langes, gesundes Leben schon lange abgeschminkt. Ich habe bis jetzt nur nicht damit gerechnet, dass es mal nötig sein wird, mich hinter meterdicken Bleiwänden einsargen zu lassen.
 

„Ich glaub's nicht!“

Denis springt auf, stürzt sich förmlich auf mich und beginnt mich mit kritischer Miene zu umkreisen. An seiner Ausgangsposition angekommen runzelt er die Stirn, macht noch eine letzte Runde und kann es dabei nicht lassen ungläubig an der roten Scheußlichkeit zu zupfen. Wenn er auch nur ein Wort verliert, bring ich ihn eigenhändig zur Strecke.

Das wohl bekannte, schiefe Grinsen beendet die Inspektion.

„Kennen wir uns?“
 

In meinen Fingern beginnt es gefährlich zu jucken aber nur mein Mund bewegt sich.

„Nein, ich glaube nicht, aber darf ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Fred, meine Freunde nennen mich Giselher. Hier würde ich allerdings vorziehen bei meinem Künstlernamen Elija der Abartige angesprochen zu werden.

Ich habe schon seit einigen Jahren gewisse Merkwürdigkeiten an mir festgestellt, die ich aber nicht weiter bedenklich fand. Heute Morgen bin ich allerdings in diesem Kleidungsstück aufgewacht und habe beschlossen, dass es nun doch an der Zeit ist mir Hilfe zu holen. R.A.U.P.I scheint mir da genau das richtige.“

„R.A.U.P.I?“ Denis' Bruder sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.

„Ja, R.A.U.P.I, Richtig Anonyme Union Psychopathischer Irrer. Freut mich, dass ich an eurer Sitzung teilnehmen darf.“
 

Ein gigantisches Grinsen huscht über sein Gesicht und ich kann Denis hinter mir Prusten hören. Denis Bruder steht auf und macht sich daran, meinen Arm durch besonders heftiges Händeschütteln von meinem Körper zu befreien.

„Freut mich Fred äh, ich meine Eure Abartigkeit. Ich will mich auch schnell vorstellen, da man das bisher versäumt hat“, einen kurzen, für mich völlig unverständlichen, brüderlichen Blickwechsel und ein dümmliches Grinsen später, fährt er fort, „Ich bin Horst-Sturmhard aber alle hier nennen mich Alan.

Ich besuche seit drei Jahren unsere Treffen und sie haben mir sehr dabei geholfen nicht mehr mit federgeschmückten Socken an den Ohren herumzulaufen, du kannst dir gar nicht vorstellen was das einem für Blicke einbringt. Außerdem kann ich mich jetzt schon viel besser davon abhalten auf einem Bein und einem Arm zu gehen, schont das Kreuz, glaub mir.

Klar, es gibt manchmal noch Rückfälle, aber insgesamt...“, scheinbar versonnen blickt er in die nicht vorhandene Ferne, „Jedenfalls dir viel Glück, du scheinst da ja ein ernstes Problem zu haben!“

Die Beiden sind auf jeden Fall Brüder, kein Zweifel.
 

Schallendes Gelächter erfüllt die Küche. Meines ist, welch Überraschung, nicht dabei. Eher würde ich auf der Stelle meine Socken ausziehen, sie über meine Ohren stülpen und auf einem Arm und Bein, nackt Tango durch die Küche tanzen. Mal abgesehen von der technisch, anatomischen nicht Realisierbarkeit dieses Vorhabens, ziehe ich Klappehalten eindeutig vor.
 

Die Fähigkeit meinen enormen Fluchtinstinkt unter Kontrolle zu halten, wird im Moment stark strapaziert. Meine Beinen wollen mich zur Tür zerren und mein Verstand quält mich mit recht bizarren Tango Bildern, um mich zum Rückzug zu motivieren. Das einzige, was tatsächlich passiert ist nichts, ein Zustand an den ich mich langsam gewöhnt haben sollte.
 

Mein Körper, dieser Dreckskerl, scheint mich irgendwie verraten zu haben, denn Denis versucht nun mit merkwürdig anmutenden Gebärden seinen Bruder zum Schweigen zu bringen. Die Tatsache, dass er auf seine Faust beißen muss, um sich vom Lachen abzuhalten, verleiht ihm dabei wenig Überzeugungskraft.
 

Ich zähle langsam bis Hundert und will gerade anfangen alle mir bekannten Volksmutanten aufzuzählen, als mit schlagartig zwei Dinge auffallen: Erstens, ich kenne überhaupt keine, und Zweitens, entweder sie sind beide erstickt oder sie haben es tatsächlich geschafft mit dem Lachen aufzuhören. Mir nicht sicher, was von Beidem mir lieber ist, riskiere ich es, meine Aufmerksamkeit in die Küche zurück zu lenken.
 

Sie leben noch.

„Jetzt steh hier nicht rum wie angewachsen, ich hab dir extra Tee gemacht. Ich dachte, von Kaba hast du erst mal genug.“

Er kann es einfach nicht lassen und ich kann nicht verhindern, dass sich eine ganz bestimmte Szene in den Vordergrund drängt, eine die ich in den letzten Tagen bestimmt hundertmal abgespielt habe. Vorwärts, rückwärts, in Zeitlupe und im Schnelldurchlauf. Unfreiwillig.

Shit, ich bin so dämlich.
 

Ich bin nicht aus eigenem Antrieb durch den strömenden Regen hierher gelaufen, ganz sicher nicht, irgendetwas hat mich gezwungen, irgendwer. Das Dumme ist nur, dass ich den Eindruck habe, dieser Jemand befindet sich in meinem Inneren, operativ nicht entfernbar.
 

Ich bin zum Traum eines jeden Psychiaters mutiert, nachdem ich gerade, mit „Schizophren“ das zweite S-Wort innerhalb weniger Tage meiner beängstigend vollen Akte hinzugefügt habe. Geistesabwesend starre ich zur Tür, ganz in der Erwartung, gleich eine Horde goldbebrillter, bärtiger, einer intellektuellen Ü50-„Bad-Taste“-Party entfleuchten, Männer und Frauen hereinstürmen zu sehen, die mich auf Knien anflehen mich auf ihrer Couch niederzulassen.

Vielleicht gebe ich dabei tatsächlich ein etwas debiles Bild ab, denn Denis mustert mich inzwischen leicht besorgt und sein Bruder sieht aus, als würde er ernsthaft an meinem Geisteszustand zweifeln. Ich glaube er weiß gar nicht, wie Recht er damit hat, mir geht es nämlich nicht anders.
 

Plötzlich schnürt sich mein Hals zu, es ist jedoch nicht, wie ich zuerst befürchte, eine der bekannten Panikattacken, auf die ich seit Betreten dieses Hauses bis jetzt vergeblich gewartet habe, sondern Denis, der mich gnadenlos am Kragen packt und zum Tisch zieht, um mir mit angenervtem Grinsen eine dampfende Tasse in die Hand zu drücken.
 

Ich stelle die Tasse auf die Tischplatte und reibe mir fluchend den Hals.

„Lass den Scheiß, ich will verdammt noch mal nicht in diesem Shirt sterben!“

„Kein Problem, ich ziehs dir vorher einfach aus.“

Jetzt kann ich Ton in Ton mit meinem neuen Lieblingskleidungsstück zu Grunde gehen und ich bin wirklich nahe dran. Nahe dran, mich in das stumpfe Buttermesser zu stürzen, das einsam am anderen Ende des Tisches genauso verloren wirkt, wie ich mich gerade fühle.
 

Da ist es wieder, dieses schräge Schmunzeln, das so typisch für Denis ist, zusammen mit einer nicht halb so guten Kopie davon auf dem Gesicht seines Bruders, der die ganze Szene scheinbar sehr erheiternd findet. Er zieht Denis beiseite und flüstert ihm, mit einem provokanten Blick in meine Richtung, nicht gerade leise zu:

„Ich als dein großer Bruder fühle mich hier verpflichtet einzugreifen. Ich bin zwar auf diesem speziellen Gebiet kein Experte, aber ich kann dir sagen, dass es nie ein guter Annäherungsversuch ist, die- Tschuldigung, DEN Auserwählten soweit zu treiben, dass er bereit ist dir ein Buttermesser in den Bauch zu rammen. Stellt zwar faktisch gesehen auch eine Annäherung dar, ist aber, glaube ich, nicht ganz das, was du im Sinn hattest. Also hör auf deinen...“
 

Die Dämpfe des heißen Tees legen sich schwer auf meine Lider, jeder Schluck, der meinen Hals hinunter rinnt, saugt ein Bisschen mehr der letzten Energie aus meinen Gliedern. Ich bin auf ein Mal so unendlich müde. Alle unnötigen Wahrnehmungen werden heruntergefahren, alles ist auf Stumm geschaltet. Zu anstrengend noch zuzuhören, keine Kraft mehr übrig die Spitzen zu kontern, mich über sie zu ärgern, selbst zum schämen reicht es nicht.
 

Diese Selbstverständlichkeit macht mich krank.
 

Die Atmosphäre drückt mich zu Boden, lastet auf meinen Schultern, wie eine Tonne lauwarmer Haferschleim. In der Stille kann ich mein Herz schlagen hören, ganz langsam, regelmäßig und angestrengt.

Todmüde.

Jede Pumpbewegung presst es an die nahen Wände, einer viel zu engen, unnachgiebigen, harten kleinen Kiste. So verdammt fest verschlossen.
 

Ein stechender Schmerz, reißt mich aus der Trance, ein dunkler Schleier löst sich im goldenen Tee auf. Völlig unvorbereitet getroffen, entweicht mir ein kurzes Zischen. Etwas ekelerregend warmes tropft von meinem Kinn auf den Tisch und hinterlässt hässliche rote Flecken auf der makellosen Fläche. Die Lautstärke ist wieder angeschaltet, aber es kommt kein Ton.
 

Bis eben noch in den hintersten Winkeln meines Bewusstseins lauernd, fallen sie jetzt in ihrer vollen Pracht über mich her: die Schmerzen, die jetzt gnadenlos ihre Aufgabe erfüllen. Ein Stechen meiner wieder aufgeplatzten Lippe, ein stetiges Hämmern in meinem Kopf, eine seltsame Spannung über meiner langsam anschwellenden Wange und ein dumpfes Pochen all jener Stellen, die in den letzten Wochen öfter die Farbe gewechselt haben, als ein Chamäleon es in seinem ganzen Leben schafft.
 

Jede der noch so abwegigen Vertuschungsaktionen, die in diesem Moment mein Hirn stürmen, wie ein Haufen Busreisender die einzige Rastplatztoilette auf dem Weg zur internationalen Inkontinenzversammlung, ist absolut wirkungslos gegen ihn, denn er hat mich sofort durchschaut. Und mal ehrlich, wenn einem wie Graf Dracula der Saft vom Mund tropft und dabei das perfekt gebügelte Tischset verschandelt, kann man selbst mit der besten Ausrede nicht mal mehr gehirnamputierte Flöhe täuschen. Somit ist das, was nun unweigerlich folgen wird, zwar außerordentlich unerfreulich, um nicht zu sagen verdammter Dreck, aber durchaus vorhersehbar und ganz und gar meiner himmelschreienden Dummheit zu verdanken.
 

Glückwunsch an mich selbst, der es immer wieder schafft aus jeder Situation das denkbar Schlimmste herauszuholen und sich dann darin bei nächster Gelegenheit noch zu übertreffen.
 

Hastig wische ich mir das Blut vom Kinn, in der Hoffnung, damit diesen Ausdruck aus seinen Augen zu vertreiben. Diesen ganz bestimmten Ausdruck, der bis weit unter die Oberfläche reicht, der mich aufschneidet, mich ausweidet und mein Innerstes herausreißt, um es für alle sichtbar aufzubahren.
 

Wie kann er dieses Schlachtfest, dieses Massaker ertragen, ohne schreiend davonzulaufen?

Wie kann er all die Abscheulichkeiten erkennen und mich trotzdem noch so ansehen, ohne dieses Gefühl in seinen Augen durch Abneigung trüben zu lassen oder es zu verlieren?
 

Sieh mich nicht so an!
 

Aber er tut es dennoch, tut, so wie immer, nicht das, was ich mir wünsche. Ich sehe, wie es in ihm arbeitet, sehe, wie sich seine Fäuste ballen, sehe seine zusammengezogenen Augenbrauen, sehe seine angespannten Schultern und kann dabei seinem sorgenvollen Blick nicht ausweichen, kann ihn aber auch nicht lange ertragen.

Ganz damit beschäftigt, ihn möglichst nicht anzusehen, merke ich erst, dass er neben mir steht, als seine Hand auf meiner Schulter zum liegen kommt. Ganz sachte streicht sie darüber.

Sie zittert.
 

„Ich bin gleich wieder da, rühr dich nicht vom Fleck.“

Schon in der Tür, wendet er sich noch mal um: „Alan, weißt du, wo Mum den Verbandskasten hingeräumt hat?“

„Keine Ahnung, aber wahrscheinlich ist er wieder im Schrank im Keller.“

Ein stummes Nicken und er ist weg. So habe ich ihn bis jetzt noch nie erlebt.
 

Dass auch immer ich in solchen Situationen enden muss. Wäre sie nicht so beschissen und hätte ich dazu nicht noch einen zweijährigen intensiv Workshop nötig, wäre ich beinahe versucht laut loszulachen. Wie ein Trottel sitze ich mit erhobenen, verschmierten Handflächen in einer ordentlich aufgeräumten Familienküche und bin gerade dabei, diese beim erbärmlichen Versuch zu verbluten, gründlich zu versauen. Diese tragische Sterbeszene wird von gebührendem Schweigen seitens Alan begleitet, der natürlich auch die angemessene Musterung drauf hat.
 

Immer noch in absoluter Geräuschlosigkeit steht Denis' Bruder plötzlich auf, durchsucht ein paar Schränke, kommt mit einer Rolle Küchenpapier zurück und streckt mir etwa fünfzig Blatt entgegen.

„Hier, die Schweinerei kann man ja nicht mit ansehen,“ fast lächelt er dabei, nur fast, „Vergiss nicht zu erwähnen, wenn dir schwindlig wird, bei deiner Gesichtsfarbe kann man schwer abschätzen, wann der Blutverlust gefährlich wird.“
 

Tonlos geht er wieder an seinen Platz zurück und schaut mir bei meinem Versuch zu, mich und meine nähere Umgebung wenigstens ein wenig zu säubern. Ich frage mich, mit welchen Superkräften die Eltern aufwarten können, wenn beide Söhne mit diesem Röntgenblick gesegnet sind, dem ich heute schon bedenklich lange ausgesetzt bin. Bye, bye krebsfreie Zellen.
 

Ich spähe vorsichtig unter meinem Papierberg hervor und auf Alans Gesicht kann ich genau das lesen, was ich niemals in irgendeinem anderen Gesicht lesen wollte. Wie blöd muss ich sein zu glauben, hier mit diesem Gesichtshackfleisch auftauchen zu können, ohne dass jemand, vom einzigen ungebetenen Mitwisser mal abgesehen, Verdacht schöpft. Ich frage mich sowieso, wie blöd ich sein muss überhaupt hier aufzukreuzen.
 

Verzweifelt versuche ich einen nicht dröhnenden Teil meines Schädels aufzufinden, der mich mit einer einigermaßen zufriedenstellenden Ausrede versorgen kann. Zu meinem größten Bedauern, kann ich beim besten Willen keinen finden, der nicht mit aller Gewalt auf mich eindrischt. Jeder unnötige Gedanke gräbt sich wie ein Beil in meine Hirnzellen, bald dürfte nur noch Matsch übrig sein.
 

Ich will nicht mehr denken müssen.
 

Ich weiß, dass er fragen will, dass er fragen wird.

Ich sehe es in seinen Augen, in seinem Gesicht, in jeder seiner Bewegungen.

Ich kann jetzt nicht denken, will nur noch weg. Weg von diesen wissenden Blicken. Weg, weg von allem. Ich will meine Ruhe.
 

Ich kann nicht mehr.
 

Er fragt nicht. Nicht heute.

Er sieht mich nur an, diesen müden, dummen, kaputten Jungen.

Er fragt nicht. Nicht heute.

Und ich bin ihm unendlich dankbar dafür.

Kapitel 9 Teil 2

Kapitel 9 Teil 2
 

Ich kann mich nicht erinnern, jemals so wütend gewesen zu sein. Nicht einmal an dem Tag, an dem ich herausgefunden habe was Elijas Vater mit ihm anstellt, war ich so wütend wie jetzt.

Vergeblich versuche ich das Zittern meiner Hände zu unterdrücken. Immer wieder sehe ich den Blutstropfen in den dampfenden Tee fallen. Sehe den feinen Blutstrom, der sich über sein Kinn schlängelt. Aber was mich nicht mehr loslässt sind seine Augen.

Meine Hand verkrampft sich am Treppengeländer. Wie gerne würde ich etwas, jemanden schlagen, ganz egal. Am liebsten jedoch diesen grausamen Menschen, beim Wort 'Vater' wird mir in diesem Zusammenhang fast schlecht.

Wie kann er!
 

Unnötig heftig schlage ich auf den Lichtschalter, der es mir damit dankt, dass er gleich in die Aus-Position zurück springt. Nach einem erneuten Versuch reiße ich die Schranktür auf und der Verbandskasten fällt mir sofort entgegen, nicht ohne noch eine ordentliche Portion anderen Krempels unter lautem Getöse hinterher zu schicken. Schnaubend schiebe ich alles mit dem Fuß auf einen Haufen und lasse ihn so liegen, wie er ist.
 

Noch immer sind meine Finger alles Andere als ruhig. Ich kann mich beim besten Willen nicht bremsen, obwohl ich genau weiß, dass ich muss.

Im Moment muss ich einfach.

Für Elija.
 

Das Dilemma ist nur, dass meine Unfähigkeit wieder Kontrolle über meine Gefühle zu bekommen nur dazu führt, dass sich meine Wut noch weiter hochschraubt. Krieg dich wieder ein verdammt! Doch am Meisten ist es meine eigene Machtlosigkeit, die mich in den Wahnsinn treibt.

Fuck!
 

Ich kann diesen Blick nicht vergessen, diese zusammengesunkene Gestalt, die ich am Küchentisch zurückgelassen habe, die roten Tropfen auf dem Tischset.

Ich kann nicht.

Ich kann ihn nicht gehen lassen.

Nicht wieder dorthin zurück.
 

Mit diesem Gedanken kann ich spüren, wie die Ruhe zurückkommt, wie das Zittern nachlässt und der Wirbel in meinem Kopf sich legt. Gefasst betätige ich den Lichtschalter und gehe wieder nach oben.

Als ich die Küche betrete, schaut mich Elija aus müden Augen an, keine Panik oder Angst mehr darin, jegliche Kraft scheint ihn verlassen zu haben. Ich blicke in zwei grünschwarze Abgründe, auf deren Grund nur eines zu finden ist.

Traurigkeit in Hülle und Fülle, zäh, klebrig und undurchdringlich.
 

Ich sehe ihn dort sitzen und mein Herz brennt, schmerzhaft und doch irgendwie wohltuend.

Nein, ich kann ihn nicht gehen lassen.
 

Alan beobachtet mich genau und ich weiß, was er in diesem Moment in meinem Gesicht lesen kann, weil sie mich überfällt und in ihrer Heftigkeit beinahe zu Boden zwingt, mir Tränen in die Augen treibt. Erkennen steht in seinen Zügen, die plötzlich weich werden und doch entgeht mir nicht, wie sich seine Brauen in Sorge zusammenschieben.

Auf einmal habe ich Angst, dass auch Elija mich lesen kann wie ein offenes Buch, Angst vor seiner Reaktion. Aber er wendet den Kopf ab, als ob er nicht lesen, nichts sehen wolle.
 

Beinahe vorsichtig gehe ich auf ihn zu, setze mich neben ihn und packe wortlos den Verbandskasten aus. Geduldig warte ich darauf, dass er mir sein Gesicht zuwendet. Jetzt ist nicht der Moment um ihn zu bedrängen oder Witze zu reißen, auch wenn ich alles tun würde, um die merkwürdige Stille zu brechen und noch mehr, um ihn einfach in die Arme zu schließen.

Ich spüre, dass er nur in Ruhe gelassen werden will und wie schwer es mir auch fallen mag, werde ich ihm diesen stummen Wunsch gestatten, aber nicht, ohne ihn vorher ordentlich zu verarzten. Vielleicht hat er diesen Gedanken gelesen, denn beinahe dankbar wendet er mir sein Gesicht zu, ohne mich dabei direkt anzusehen. Zum zweiten Mal in einem viel zu kurzen Zeitraum, fahre ich behutsam darüber, um es vom Blut zu befreien und es mit einer abschwellenden und desinfizierenden Salbe zu bestreichen.
 

Diesmal ist es anders, keine knisternde Spannung zwischen uns, sondern Wärme. An seiner Haut, an meinen Fingerspitzen, im Raum zwischen unseren Körpern und in jedem noch so winzigen Molekül meiner Person.

Ich genieße die Berührung, dehne sie jedoch nicht länger aus als nötig. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem ich mir erlaube gierig zu sein, aber er ist nicht jetzt. Ich lasse meine Hände sinken. Seine Wärme liegt darauf, wie ein unsichtbarer Handschuh der allerfeinsten Seide.

„Den Rest verarzte ich in meinem Zimmer“, ich strecke ihm meine Hand entgegen. „Komm“, sage ich sanft und wie damals im Schulflur, nimmt er sie erst nach leichtem Zögern. Ich helfe ihm auf und bedeute ihm voran zu gehen.
 

Als Elija die Küche vor mir verlassen hat, drehe ich mich nochmal um. Alan sitzt immer noch schweigend am Küchentisch und mustert mich mit undeutbarem Blick. Die Fragen sind ihm buchstäblich ins Gesicht getackert. Ich muss es ihm hoch anrechnen, dass er Elija offenbar nicht bedrängt hat, aber er wird Antworten wollen, er ist ebensowenig blind wie ich.

Und genauso ist er kein Mensch, der dann die Augen schließt und so tut, als wäre nichts gewesen. Ich wende ihm den Rücken zu und als ich spüre, dass Alan etwas sagen will, komme ihm zuvor.

„Später.“
 

„Die Türe da vorne rechts.“ Elija bleibt fragend vor der entsprechenden Türe stehen und ich nicke ihm zur Bestätigung zu. Langsam betritt er mein Zimmer und bei dem neugierigen Ausdruck, der dabei kurz über sein Gesicht huscht, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. In mancher Hinsicht ist auch er nur ein ganz normaler Mensch.

„Du bist scheinbar auch schon länger nicht mehr zum Aufräumen gekommen“, stellt er trocken fest. Etwas schuldbewusst sehe ich mich um und muss erkennen, dass ich das Zimmer, durch mein ruheloses Umherwandern in den letzten Stunden, in ein Schlachtfeld allererster Güte verwandelt habe. Ein erleichtertes Grinsen schleicht sich bei seinen Worten auf meine Lippen. Elija steckt also noch irgendwo dadrin, in diesem müden Körper.

„Das dürfte dir nichts ausmachen, du bist Bergsteigen ja gewohnt. Also zeig mir deine Künste und pflanz dich auf mein Bett, damit ich mein Werk vollenden kann.“
 

Mit einem leisen Schnauben sucht er nach einem sicheren Pfad durch meine Sauerei und lässt sich steif auf meinem Bett nieder, nicht ohne dabei schmerzvoll das Gesicht zu verziehen.

Diesmal bleibt die Wut verschlossen, obwohl sie in meinem Inneren tobt und schreit. Sie wird erstickt von dem enormen Kloß in meinem Hals, der Schlucken beinahe unmöglich macht.
 

Plötzlich brauche ich Elijas Nähe, komme ich nicht mehr aus ohne zu wissen, dass seine blasse Haut noch Wärme verströmt, muss ich einfach spüren, dass sein Herz noch arbeitet unter der steifen, müden Hülle.

Vorsichtig streckt sich meine Hand nach dem Saum seines, meines roten T-Shirts aus und trifft auf keinen Widerstand, als sie beginnt es sachte über seinen Kopf zu ziehen. Ganz leicht zittert sie dabei, nicht aus Wut, eher ist es der Drang mich zu vergewissern, ganz sicher zu sein.

Ungeduld.

Angst.
 

Das Shirt fällt mit kaum hörbarem Rascheln zu Boden. Bebend kommt meine Hand nur Millimeter vor seiner Brust zum Stehen, bevor sie sich in Zeitlupe über Elijas Herz legt.
 

Langsam hebe ich meinen Kopf und ertrinke augenblicklich in diesen seltsam, einzigartig grünen Augen, seinen, deinen großen Augen, die meinen Blick beinahe ängstlich festhalten.

Während ich dich ansehe, kann ich die Wärme in meiner Hand spüren. Deine Wärme.

Deine Brust hebt und senkt sich. Du atmest.

Jeder deiner Herzschläge trifft mich wie ein Hammer in die Brust. Dein Herz pulsiert unter meinen Fingern, spürbar, tastbar, lebendig.
 

Dein Herz schickt sie in Wellen, die sich mit ungeheurer Wucht an meinem Oberkörper brechen, durch mich hindurch, bis ich das Gefühl habe an ihr zu ersticken. Du verschwimmst vor meinen Augen.

Jetzt kannst du sie nicht mehr übersehen. Es tut weh, zu wissen, dass du es gerne tun würdest.
 

Du reißt unsre Blicke auseinander, aber meine Hand bleibt liegen. Ruhig, im Gegensatz zu deiner, die sich zur Faust geballt in deinem Schoß verkrampft.

Es tut gut zu wissen, dass meine Hand dort liegen darf, dass sie einen Platz hat, direkt über deinem Herzen. Du weichst meinem Blick aus, deine Knöchel treten weiß hervor, aber ich bin dir dankbar. Meine Fingerspitzen ertasten einen letzten Herzschlag, bevor sie sich von deiner Haut lösen. Sie suchen und finden einen Weg an deine Wange, genauso, wie meine Lippen deine für eine unendlich leichte, flüchtige Berührung finden.
 

Ich kann dich fühlen.
 

„Danke“
 

Kaum hat das Wort meinen Mund verlassen, wage ich es ihn anzusehen. Die Verwirrung in seinen Augen springt mich schier an. Ich lächle in den winzigen Raum zwischen unsren Gesichtern.

Ich streiche eine Strähne seines pechschwarzen Haares hinter sein Ohr, verharre so einen Moment und lasse mich dann mit einem Seufzer rückwärts aufs Bett zurückfallen.

„Du verlangst mir hier ein ganz schönes Stück Beherrschung ab, weißt du das?“

Ich richte mich auf und wende meine Aufmerksamkeit dem aufgeklappten Verbandskasten auf meinem Kissen zu, wobei mir keineswegs der hübsche Rotton auf Elijas Wangen entgeht, den ich aber, taktvoll wie ich heute bin, dezent übersehe.
 

Die richtigen Utensilien bereitgelegt, unterziehe ich Elijas Oberkörper dann doch einer, zumindest größtenteils, gesundheitlichen Inspektion. Einige dunkle Flecken verunstalten seine helle Haut an Brust, Armen und Rücken. Der Gedanke, dass diesmal wenigstens keine Schnittwunden zu sehen sind, klingt bitter sarkastisch, fast wie ich es sonst von Elija gewöhnt bin.

„Bereit für weitere Salbungen?“ Wie erwartet bekomme ich keine Antwort. „Na dann dreh dich um, ich fang mit dem Rücken an.“
 

Ich bin beinahe übervorsichtig bei dem, was ich tue und trotzdem zuckt Elija mehrmals zusammen. Ich frage ihn nicht, ob es die Kälte der Salbe ist, denn ich habe sie zuvor mit meinen Händen aufgewärmt. Ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten hasse ich, obwohl ein rationaler Teil von mir weiß, dass ich ihm eigentlich Linderung verschaffe.

„Sorry... aber ich bin gleich fertig, also ertrag mich noch ne kurze Weile.“

„Geht schon... Langsam kriegst du ja genug Übung“, kommt es zynisch zurück. So verdammt bitter.
 

Schweigend setze ich meine Tätigkeit fort, mir fällt nichts ein, was ich dieser Wahrheit entgegen setzen könnte und genau das macht mich krank. Ich halte inne und lasse meine Arme sinken.
 

„Elija?“

Kein Zeichen, dass er mich überhaupt gehört hat.

„Elija, ich... warum... du, also-“, ich unterbreche mich um meine Gedanken zu ordnen, straffe meine Schultern für die Frage die ich ihm stellen muss.

„Warum?“

Noch immer kein Signal, doch seine Schultern sinken kraftlos nach unten. Er hört mich, hat mich genau verstanden. All diese warums, die ich auf eines geschrumpft habe, eines, das mehr als ausreicht. Mir ist klar, dass er nicht antworten wird, trotzdem schweige ich und warte, reibe den letzten Rest Salbe auf sein Schulterblatt. „Fertig“, murmle ich kaum hörbar.
 

Als er sich umwendet, sieht er wieder genauso müde aus, wie unten in der Küche. Er braucht mir nicht zu antworten, ich sehe es ganz deutlich in seinen Augen, sie flehen mich an:

'Nicht jetzt'
 

Und auch diesmal gebe ich seinem Wunsch statt, doch ich bin eigennützig, dieser Ausdruck in seinen Augen ist mehr, als ich ertragen kann. Der Rest dieser Verarztungsaktion verläuft in Stille, die ich kurz vor dem Ende noch einmal durchbreche:
 

„Du gehst nicht zurück.“

Schweigend starren wir uns an.

„Du bleibst hier.“
 

Blau und Grün bohren sich ineinander und Grün gibt nach, wendet sich ab.

Die entstellteste Version eines Lächelns, die ich je gesehen habe, quält sich auf seine Züge. Er sieht so unfassbar alt aus während er spricht.

„Ich hab keine Wahl.“

Ich möchte ihn schütteln, ihn beschwören, ihn anschreien. Ich tue es nicht. Stattdessen nehme ich sanft seine Hände in meine und drücke sie leicht. Fest sehe ich ihm in die Augen, lasse sie nicht so leicht entkommen.

„Man hat immer die Wahl. Immer!“

„Nein“, sagt er bestimmt, der Blick hart und unnachgiebig, „Es gibt Momente, in denen hat man keine Wahl.“ Ein Schatten legt sich in Elijas Blick und er bricht ein weiteres Mal mit meinem, fixiert unsere verschlungenen Hände ohne sie wirklich zu sehen.

„Egal, wie sehr man es sich wünscht, manchmal hat man einfach keine Wahl.“
 

Die Worte sind schwer, obwohl sie sich kaum mehr sind als ein Flüstern, ein Hauchen in erkalteter Luft.

Lange sitze ich schlicht da und beobachte ihn, wie er in Gedanken offenbar an ganz andern Orten weilt. Der Anblick schmerzt, zieht sich glühend durch mein Inneres. Wenn ich doch nur wüsste, was ich tun kann. Wenn ich wüsste...

Aber bis dahin, beschließe ich, tue ich einfach das, was ich kann.
 

„Dann-“, er zuckt bei der Lautstärke meiner Stimme zusammen, „Dann..., wenn du keine Wahl hast, ich habe eine.“

Elija blickt auf.

„Du gehst nicht zurück, nicht, wenn ichs verhindern kann.

Niemand hat das Recht dir weh zu tun.

Ich.

Werde.

Dich.

Nicht.

Zurückgehen lassen.

Verstehst du!“

Feurig blicke ich in sein erstarrtes Gesicht, mit den weit aufgerissenen Augen.

„Das lasse ich nicht zu!“
 

Und ich sehe, wie sich eine Träne aus seinem Augenwinkel löst und klanglos seine Wange hinunter rollt, wie sich seine Lippen stumm aufeinander pressen, er schmerzvoll die Augen zukneift und doch den Tränenstrom nicht am Durchbrechen hindern kann. Kein Ton verlässt seinen Mund. Kein Schluchzer entkommt ihm, obwohl sich sein Körper schüttelt. Im Licht meiner Schreibtischlampe glitzern seine feuchten Wangen.
 

Ruhig sitze ich neben ihm und streiche die Tränen von seinem Gesicht. Jede einzelne.

Ich warte.

Warte bis er sich etwas beruhigt hat, drücke ihn dann sanft ins Bett und bevor er sich wehren kann, decke ich ihn mit meiner Decke zu. „Schlaf ein bisschen, ruh dich aus, ich weck dich dann, wenn es was zu Essen gibt.“

Erschöpft lässt er mich gewähren, sagt nichts.

Ich schalte das Licht aus.

Sehe in der Tür nochmal auf die zusammengerollte Gestalt zurück.

Ich schließe die Tür hinter mir.

Und fange an zu weinen.
 

Ich weiß nicht wie lange ich schon da im dunklen Flur stehe und die gegenüberliegenden Wand anstarre, während mir die Tränen übers Gesicht laufen. Aber ich kann mich nicht dazu bringen sie abzuwischen und wieder nach unten zu gehen.

Ich höre meine Mutter in der Küche werkeln, viel zu laut und Schritte auf der Treppe, viel zu nah. Ich bleibe einfach stehen, kann mich nicht dazu durchringen mich zu bewegen.
 

Jemand kommt in den Flur, bemerkt mich und schält das Licht nicht ein. Selbst den Kopf zu wenden um nachzusehen, wer da auf mich zu kommt, bringe ich nicht fertig. Erst als er direkt vor mir steht, kann ich Alan durch den Tränenschleier erkennen. Ich will, will wirklich lächeln um ihm zu zeigen, dass er sich keine Sorgen machen muss, dass alles in Ordnung ist.

Nichtmal ein Zucken der Mundwinkel.

Es ist nicht alles in Ordnung.
 

Er legt mir schwer seine Hand auf die Schulter und bugsiert mich durch das Dämmerlicht in sein Zimmer. Ich werde auf sein Bett gedrückt und das Licht geht an. Es sticht in meinen Augen. Alan schmeißt mir eine Familienpackung Taschentücher in den Schoß und wirft sich mit voller Wucht neben mich auf die Matratze, sodass es mich beinahe auf den Boden katapultiert.
 

„Ich glaubs einfach nich“, belustigt schüttelt er den Kopf, „Hätte nich Mum dich eben im Flur aufgabeln können... Ich bin ne echte Niete in sowas.“

Ein breites, vertrautes Großer-Bruder-Grinsen strahlt mir entgegen und es reicht, um mir ein zaghaftes Lächeln zu entlocken. Mit einem Schiefen ziehe ich eines der Tücher aus der Packung und befreie mich von der Nässe in meinem Gesicht. Ich beobachte, wie das übernatürliche Grinsen langsam abebbt und Alans Gesicht wieder einen ernsten Ausdruck annimmt.
 

Eine Weile lang sagt keiner von uns ein Wort, sieht keiner den anderen an, jeder wartet, dass der andere beginnt. Keiner weiß so genau, wie er anfangen soll. Mal davon

abgesehen, dass ich meiner Stimme im Moment noch nicht so ganz traue. Ich spüre, wie mein Bruder neben mir unruhig hin und her rutscht und vernehme ein trockenes Schlucken. Er fixiert mich mit sehr bestimmtem Gesichtsausdruck, aber als er beginnt zu sprechen, werden seine Züge weich, sein Blick sanft.
 

„Du magst diesen Elija wirklich sehr gern.“

Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung.

Es ist keine Antwort nötig und trotzdem muss ich eine geben, weniger für ihn als für mich.
 

„Ich liebe ihn.“
 

Einmal ausgesprochen, weiß ich, das es genau das ist, was ich tue.

Mein Gott, ich liebe ihn.

Ich liebe ihn wirklich.
 

Ich habe sie gespürt, die Wellen von Zuneigung, als ich Elija vorhin in der Küche sitzen sah, als ich den Schmerz in seinem Gesicht lesen konnte, während er sich auf meinem Bett niederließ. Sie haben mich beinahe umgehauen, in ihrer Wucht, mich völlig unvorbereitet getroffen, in ihrer Heftigkeit.

Noch immer fühle ich Elijas Herz unter meiner Hand schlagen, seinen Atem unter meinen Fingern, seine Wärme an meiner Haut. Diesen Augenblick kann ich nicht mehr vergessen.

Ein Herzschlag genügte und ich war plötzlich so schmerzhaft voll von Liebe zu ihm, dass ich glaubte daran zu ersticken. So dankbar. Es war schlicht genug, dass er einfach da war, dort mir gegenüber, atmend, warm und lebendig.

Lebendig...
 

„Hey, nich weinen.“

Meine Finger tasten ungläubig über meine feuchten Backen, ich kann doch spüren, dass ich lächle... Ich begegne Alans besorgtem Blick, bin aber unfähig, auch nur einen geraden Ton heraus zu bringen.
 

„Es ist in Ordnung. Ok? Es ist in Ordnung, dass du einen Junge liebst.“

Alan drückt meine Schulter, fest und nachdrücklich, als wolle er ganz sicher gehen, dass ich verstehe, ernst nehme, was er mir sagt.

„Ich freue mich wirklich und ehrlich für dich, das musst du mir glauben und ich bin mir sicher auch Mama und Paps werden das so sehen. Es wird zwar immer Leute geben, die dir vorwerfen, dass du... du schwul bist, aber... Verdammt noch mal!“, er springt von Bett auf und läuft energisch im Zimmer auf und ab, „Scheiß auf die, du bist schlau genug um zu wissen, dass an Liebe nichts falsch sein kann! Egal, wie sie im einzelnen aussehen mag. Wir, ich werd dich immer lieb haben und unterstützen und... und hör doch jetzt einfach auf zu weinen, ja?“
 

Seine Stimme, die mit Fortschreiten dieser feurigen Rede immer lauter geworden ist, nimmt jetzt einen bittenden Ton an. Er wirkt leicht verzweifelt.

„Liebe ist was Schönes, etwas das dich zum Lachen bringen sollte. Also lach wieder.

Es ist vollkommen in Ordnung, einen Jungen zu lieben.“
 

Ich starre ihn einfach nur an und habe plötzlich das drängende Bedürfnis meinen nervigen, albernen und furchtbar lieben großen Bruder ganz fest in den Arm zu nehmen. Stattdessen schüttle ich nur den Kopf und versuche meine Stimme wieder zu finden.

„Danke“, und das meine ich wirklich, „aber das Problem ist nicht, dass ich einen Jungen liebe, es ist eher der ganz spezielle Junge, den ich liebe.“

Der Kloß in meinem Hals ist zurück, begleitet von einem bekannten Brennen in meiner Brust.
 

Alan hat inzwischen damit aufgehört, wie ein Wahnsinniger im Zimmer hin und her zu laufen und setzt sich wieder ruhig neben mich, den Blick abwesend auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Es herrscht ein langes, aber nicht unangenehmes Schweigen.

Noch immer in die Ferne starrend, sagt Alan plötzlich:

„Er sieht ziemlich einsam aus... traurig. Elija ist ganz schön fertig, oder?“

Erneut schafft sich die Stille ihren Platz im Raum, weitet sich aus, aber ich lasse nicht zu, dass sie ihn vollkommen ausfüllt.

„Ich hätte nie gedacht, dass es so verdammt weh tut, jemanden, den man liebt, leiden zu sehen.“

Eine warme Hand legt sich beruhigend auf meinen Rücken. Gemeinsam starren wir in die Ferne, jeder in seine eigenen Gedanken verstrickt und ich genieße den stillen Beistand, den die Hand an meinem Rücken ausdrückt.

„Denis, was ist mit Elija passiert? Ich meine, er sieht ziemlich lädiert aus und...“
 

Ich habe mich vor dieser Frage gefürchtet, doch mir war klar, er würde sie mir früher oder später stellen. Ich habe nur einfach gehofft, dass es später passieren würde. Dann, wenn ich mir im Klaren bin, was ich ihm darauf antworten kann.

Ich habe ein Versprechen gegeben, eines, das wichtiger ist als alle, die ich je gegeben habe, eines, das zu brechen mich Elija kosten könnte.
 

Aber ich habe mir auch geschworen nicht tatenlos zuzusehen, zu tun, was ich kann und im Moment fühle ich mich damit restlos überfordert. Wie gut es tun würde die Last zu teilen, mir vielleicht einen Rat, Hilfe zu holen und wie verdammt egoistisch ist es, Elijas Geheimnis preiszugeben, sein Vertrauen zu verraten, nur um es mir leichter zu machen.
 

Ich habe so gehofft diese Frage nicht zu bald zu hören, weil ich sie nicht beantworten kann.

Ich kenne eine hässliche Wahrheit und doch ist da noch so viel mehr verborgen, so viel mehr Schmerz vergraben hinter Elijas bröckelnden Mauern. So viel, von dem ich keine Ahnung habe.

Ich kann diese Frage nicht beantworten. Selbst wenn ich wollte könnte ich nicht.
 

Ich knete meine Hände und hänge dem unsinnigen Tagtraum nach, dass Alan vielleicht vergessen wird, was er gefragt hat, wenn ich nur lange genug warte. Ich warte lange, eigentlich lange genug, ohne dass er Anzeichen von Amnesie zeigt, bis es mir unerträglich wird.

„Ich kann es dir nicht sagen, ohne Elija vorher zu fragen.“

Ich kann das wenige Vertrauen, das ich Elija abgerungen habe nicht enttäuschen.

„Es ist kompliziert und ich weiß selbst nur sehr wenig, aber ich habe ein Versprechen gegeben und daran gedenke ich mich auch zu halten. Warte-“, unterbreche ich Alans Einwand, noch bevor er ausgesprochen ist.

„Er hat Probleme, und bevor du weiter stocherst“, ich muss trotz des ernsten Themas grinsen, als ich das angesäuerte Gesicht meines Bruders sehe, „ mehr wirst du im Moment nicht von mir hören.“
 

Ich weiß, dass dieses Mückenfürzchen an Information ihn nicht lange bei Laune halten wird, aber für den Moment muss es reichen. Diesmal ist es mir wichtig, dass er versteht: Hier kann ich keine Fehler machen.

„Er hat Probleme, ja, aber ich... ich tu, was ich kann um ihm zu helfen, auch wenn ich nicht weiß... und ich kann jetzt einfach nicht darüber sprechen. Ich... du darfst aber auch nichts sagen, weil...“
 

„Gut.“

Erstaunt blicke ich auf, ich hatte mit mehr Widerstand gerechnet. Ich warte auf weitere Proteste, aber er scheint es ernst zu meinen.

„Gut... nicht gut, aber... Gut.“, seufzt er resigniert, während er sich die Haare rauft.

„Irgendwas muss ich falsch gemacht haben. Warum werd ich mit so einem herzensguten, Samariter gestraft, der sich für auserwählt hält, die ganze Welt vor ihren Problemen zu erretten? Das ist doch unfair, neben so einem kann man ja nur schlecht aussehen. Und wie soll ich denn je-“
 

Ein Tritt in seine Seite beendet diese Jammerei und er stürzt sich erbost auf mich um mich zur Rache ordentlich durchzukitzeln.

Als ich mich schließlich schweißgebadet aus seinem Griff befreien kann, schmerzt mein Bauch vor Lachen. Wütend kann ich nicht auf ihn sein, im Gegenteil.

Irgendwie ist jetzt alles leichter, weniger unschaffbar.
 

Ein letztes Zungerausstrecken bevor ich mich aus seinem Zimmer verabschiede um mich in der Küche über den Fortschritt des Essens zu erkundigen und, bei dem Gedanken, füllt sich mein gestresster Bauch mit einem angenehm warmen Gefühl, einen zusätzlichen Esser anzukündigen.

„Ach Denis“, ich warte gespannt, „Man muss nicht alles alleine schultern... dafür sind selbst deine Schultern nicht breit genug. Also denk dran, wenn du soweit bist: Vorher immer anklopfen!“



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Von: abgemeldet
2012-08-28T15:23:15+00:00 28.08.2012 17:23
OMG. ~^o^~
War schon lange nicht mehr bei Animexx, aber wär vor Freude über's neue Kapitel fast in die Luft gesprungen!
Klar, in dem Kapi gesteht sich Denis ein wie sehr er an Elija hängt.. Aber ein gaaaaaaanz klitzekleines bisschen weniger Schnulz wär nicht schlecht gewesen. Sorry. x.x

Aber rotzdem echt gut geschrieben und.. WHEE! ~^o^~
Freu mich schon irre auf die Fortsetzung!! ^O^/
Von:  Nanami_Michiko
2012-06-04T06:55:37+00:00 04.06.2012 08:55
Endlich bin ich dazu gekommen das Kapitel zu lesen! Ich hab mich so gefreut, als ich gesehen hab, dass es endlich weiter geht :)
Das Kapitel war wirklich schön geschireben und ich mag Alan so gerne C:
Freu mich schon auf weitere Kapitel!
Nana
Von:  Inan
2012-04-18T14:12:07+00:00 18.04.2012 16:12
Ein Kapitel <3
Alan wird wirklich immer symphatischer, er schafft es, aufmunternde Witze zu reißen, dabei den Ernst der Lage zu würdigen und dabei auch noch hilfreich zu sein, das will ich auch können D:
Er und Denis sind aber toll, Elija wäre alleine wohl irgendwann als leere Hülle geendet oder in Depressionen verfallen oder sonstiges...nicht, dass er nicht so schon nah dran ist >.>
Super Kapitel x3
Von:  Yunna
2012-04-15T11:02:08+00:00 15.04.2012 13:02
Jaaaaaaaaaaaaa es ist weitergegangen <3 und auch wenn es diesmal ein nicht allzu lustiges Kapitel war, sehr schön geschrieben :)
Freu mich schon wie es weitergeht :D
Von:  Inan
2012-03-11T20:06:45+00:00 11.03.2012 21:06
Die Tragik! T_T
*gerade nochmal drübergelesen hat*
Ehrlich, ich bin aufs neue beeindruckt, der Schreibstil ist toll, man leidet richtig mit, die Atmosphäre kommt super rüber, die Charaktere sind super dargestellt und überhaupt fällt mir nichts auf, was hieran nicht toll wäre <3
Ich hoffe, es geht noch weiter, wäre schade drum, wenn nicht :)
Von: abgemeldet
2011-12-14T14:56:31+00:00 14.12.2011 15:56
Ohhh. Mein Gott.
Ich habe den FF eben gerade erst gefunden und gleich verschlungen ^-^
Dein Schreibstil ist großartig und die Kontroversen zwischen den Beiden machen alles so unglaublich spannend, ich lieebe das! *.*
Am liebsten lese ich die Parts von Elija, klar hat der Junge echt ein schweres Päckchen zu tragen.. Aber dieser schwarze, bodenlos sarkastische Humor den er an den Tag legt ist einfach zum Schießen.^^

Ich hoffe die Fortsetzung kommt schneller als letztes Mal, bin jetzt schon total gespannt. ;]

Lg :]
Von:  Yunna
2011-07-12T14:43:32+00:00 12.07.2011 16:43
Eigentlich ist alles schon gesagt worden, aber ich wiederhole es gerne nochmal: Ich liebe diese Fanfiction über alles *________* als ich vor ein paar Tagen gesehen habe, dass ein "neues" Kapitel da ist (ich bin nicht so oft bei Animexx online xD) habe ich Luftsprünge gemacht und gleich die ganze Ff nochmal von vorne gelesen :3 ich steh ja total auf deinen Schreibstil *____* meinetwegen kannst du noch 100000 FF's hochladen :$ ich würde sie alle lesen :)
Und das Krea-Tief hat weder dem Stil noch der Geschichte geschadet - ich finde sie genauso toll wie vorher <3
Bitte bitte bitte schreib sie weiter *bettel*
Von: abgemeldet
2010-05-23T14:35:49+00:00 23.05.2010 16:35
Eine sehr schöne Geschichte bis jetzt =). Hat richtig Spaß gemacht sie zu lesen, auch wenn mir Elija zum Teil sehr leid tat. Die Kapitelteile aus seiner Sicht sind besonders spannend/interessant zu lesen.
Insgesamt hier und da mal Rechtschreibfehler, aber die Story gefällt mir so gut, dass ich sie locker ignorieren kann ;).
Ich hoffe du schreibst nochmal dran weiter.
Von:  Giluli
2010-05-07T13:56:57+00:00 07.05.2010 15:56
ach herrje....jetzt dacht ich mir nach ewig langer zeit , ich guck mir mal wieder meine ff-liste durch,weil ich ja schon so lang keine zeit mehr hatte un dann seh ich dass es hier, tatsächlich HIER (!!!), ein neues kapitel gibt O,ô ok verhältnismäßig neu...für mich wars neu :D und ich hab mich voll gefreut weil ich bis zuletzt den Glauben nicht aufgegeben hab dass es hier eines Tages weiter geht (ich habs mir so gewünscht >.<)
Das Kapitel is toll >.< Ich finds toll dass, obwohl es aus Elijas icht geschrieben ist irgendwie immer noch furchtbar witzig zu lesen ist...obwohl der arme Kerl eigentlich nen furchtbar tragisches Schicksal hat Q_Q Un ganz wirklich...so wirklich ganz richtig im Kopf is er glaub ich wirklich nicht xD Die Gedankengänge die der hat, sind teilweise ja echt Irrenhaus-reif :'D Aber kein wunder dass er ein bisschen durchdreht...ich hoff nur, dass er denis mehr an sich ranlässt...ich glaub dass auch denis´ Familie ihm vielleicht ein bisschen helfen könnte...er war jetzt zwar sein Leben lang allein aber jetzt wo er endlich mal Hilfe erwarten könnte, soll er die nicht auch noch ablehnen >.< so ein dummer >.<
Ahhahahha aber ich fands so geil, wie er an der Tür gelauscht hat :'D hatte so leichte Fremdschamgefühle, als Alan denis da so ausgefragt hat >.< ayyyy >.< aber iwie ja auch süß ^__^

ich hoffe es geht hier bald wieder weiter....März ist ja schon auch wieder ne Zeit her Oo....hoffentlich muss ich diesmal nciht soooo arg lang auf das nächste Kapitel warten >.< ....bitte Q_Q

lg giuli<33
Von:  koennte-sein
2010-05-02T20:07:10+00:00 02.05.2010 22:07
Ich habe deine Geschichte vor kurzem angefangen zu lesen und muss sagen das ich ziemlich beeindruckt bin. Von deiner Art zu schreiben, wie du die Handlung glaubhaft rüberbringst. Und das bei einem komplzierten Thema.
Eljas Sichtweise ist sehr düster.
Trotzdem verliert er nicht seinen Humor.
Ich mag Alan.
Und mir ist grad aufgefallen das bis jetzt - in 11 Kapiteln - relativ wenige Charaktere vorkamen.
Aber ich muss jetzt aufhören.
Auch wenn ich gern noch ein wenig ausführlicher werden würde.
Liebe Grüße.



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