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Licht ins Dunkel

Kurzgeschichten verschiedener Charaktere
von

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Assassini - Ashraf

Arabien, in der Nähe von Jerusalem

1173
 

Die Hitze schien unerträglich. Sie lastete schwer auf sämtlichen Lebewesen und brachte die Luft zum Flimmern. Ein Sirren, gefolgt von einem kurzen, dumpfen Ton, durchbrach die Stille.

"Treffer!" Tarik stand neben seinem älteren Bruder Ashraf, dessen freier Oberkörper vor Schweiß glänzte. Ahsraf nahm die Hand von der Sehne seines Bogens und griff nach einem weiteren Pfeil. Sein Bruder musterte die Zielscheibe, die in einiger Entfernung aufgestellt war. Einige Pfeile steckten rund um die Mitte in dem Holz.

Tarik schob das Band aus grobem Stoff, das er sich um die Stirn gebunden hatte, etwas weiter nach oben. "Nicht schlecht", sagte er anerkennend. Ashraf warf ihm einen Seitenblick zu.

"'Nicht schlecht'? Mach es besser!" Er hielt ihm den Bogen hin. Tarik lachte.

"Ich kann das nicht, das weißt du doch!" Er wies auf sein Schwert, über dessen Klinge eine feine Scharte verlief. "Damit kann ich besser umgehen."

"Dann hör auf so anzugeben." Ashraf gab ihm einen kleinen Stoß und stellte dann den Bogen weg. "Ich verstehe sowieso nicht, warum du immer noch nicht mit dem Schießen angefangen hast. Irgendwann wird dir das nochmal das Genick brechen."

"Wenn es nicht jemand anderes tut.", warf Tarik ein.

"Streitet ihr schon wieder?" Eine neue Stimme, aber keine, die Ashraf erwartet hätte. Eine weibliche Stimme. Er drehte sich um und sah Arisha dort stehen.

Man sah auf den ersten Blick, dass sie mit Shareef verwandt war, nur ihre Gesichtszüge waren etwas feiner. Ihr Hals glänzte feucht, sie hatte gegen die Hitze Wasser darauf verrieben. Ihre dunklen Augen musterten sie beide.

Frauen bei den Assassinen waren ungewöhnlich, Arisha war ein Sonderfall. Sie war nur wegen Shareef, ihrem Bruder, aufgenommen worden, aber es hatte sich gelohnt: Arisha war eine Kämpferin, durch und durch.

"Rashid will mit euch reden.", sagte sie ohne Übergang. "Und mit Yasif auch. Wo steckt der eigentlich?" Ihr Blick wanderte suchend über den Hof.

"Er ist bei den Pferden", antwortete Tarik.

"Mit Shareef", ergänzte Ashraf. Eigentlich hatte er Shareef helfen wollen, aber der hatte gesehen, dass er sich um Tarik kümmerte und sich kurzerhand Yasif geschnappt. Ashraf und Shareef hatten sich seit ihrer ersten Begegnung verstanden und respektiert. Vielleicht lag es daran, dass sie sich in der gleichen Situation befanden. Beide waren ältere Brüder, die auf ihre jüngeren Geschwister aufpassten und sich für sie verantwortlich fühlten.

Arisha nickte. "Gut, dann kann er auch gleich mitkommen." Sie verschwand Richtung Stall.

Ashraf griff nach seinem Hemd, das in der Nähe lag, zog es über und ging dann mit Tarik zu Rashid. Wenige Minuten später tauchte auch Arisha auf, Shareef und Yasif im Schlepptau.

Rashids Augen schienen ihnen entgegen zu blitzen, aber das konnte auch am Licht der Fackeln liegen, die den Raum erhellten.

Kein anderer der Assassinen war hier, nicht einmal einfache Wachen. Das, was Rashid ihnen zu sagen hatte, war anscheinend nur für ihre Ohren bestimmt.
 

Ashraf sah zur Burg, deren erleuchtete Fenster sich vom dunklen Hintergrund abhoben. Dank seiner schwarzen Kleidung war er praktisch unsichtbar, ein Schatten in der Nacht. Eine seltsame Ruhe erfüllte ihn, wie immer vor einem Auftrag.

Es war kein direkter Anschlag auf den Tempelmeister. Angeblich wollte Raschid nur Pläne, damit er wusste, ob er in der nächsten Zeit Ruhe vor den Templern hatte.

Aber sie alle wussten es besser.

"Der Tempelmeister ist jetzt auch wieder auf der Burg.", hatte Rashid so beiläufig wie möglich bemerkt. "Es kann nicht schaden, wenn er stirbt."

Es war ein versteckter Befehl. Rashid hatte es schlau angestellt. Zum einen hatte er den Befehl nicht direkt ausgesprochen, sodass er nicht seine besten Krieger bestrafen musste, falls sie versagten; zum anderen schickte er eben diese, weil sie die größten Aussichten auf Erfolg hatten.

Neben ihm bewegte sich Arisha und verlagerte ihr Gewicht. Er wusste, dass ihr Gesicht unter dem dunklen Tuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, ausdruckslos war. Er wusste, dass Yasif, der an seiner anderen Seite stand, die Arme verschränkt und den Blick starr auf die Burg gerichtet hatte. Er wusste, dass Tarik und Shareef sich Zugang zur Burg verschafften. Er wusste das alles, ohne es zu sehen. Sie waren ein eingespieltes Team.

Ashraf hörte den Pfeil fast bevor er ihn sah. Er landete direkt vor seinen Füßen, Flammen leckten am Holzschaft empor. Shareef war ein hervorragender Schütze.

Ashraf bückte sich kurz und löschte das Feuer, indem er Sand darüber schaufelte, dann erhob er sich wieder. Zusammen mit Arisha und Yasif näherte er sich der Burg.

In dem alten Gemäuer waren Lücken und Vorsprünge, zum Klettern perfekt.

Arisha war als erste oben, schwang sich elegant durchs Fenster und reichte dann Yasif die Hand, um ihm zu helfen. Schließlich standen alle drei Im Gang.

Ashraf sah sich um. „Wo sind Shareef und Tarik?“

Die beiden anderen zuckten hilflos mit den Schultern. Vielleicht war etwas schief gelaufen. Darauf konnten sie keine Rücksicht nehmen.

Arisha warf einem to am Boden liegenden Templer einen Blick zu. „Immerhin waren sie hier.“ Ihre Stimme schwankte zwischen Erleichterung und Anspannung.

Ashraf nickte nur und ging zum Ende des Ganges. Seine Schritte waren lautlos. An der Ecke wartete er und lauschte auf die Geräusche seiner Umgebung. Er meinte, von oben ein Klirren zu hören. „Sie wurden entdeckt.“, zischte er Arisha und Yasif zu.

Die Kampfgeräusche wurden lauter. Die drei Assassinen eilten die Gänge entlang. Der Tempelmeister war wahrscheinlich beim Kampf, aber Yasif wollte sichergehen. Er legte eine Hand an die Tür zu dessen Zimmer. Im nächsten Moment zog er sie mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück und ein Dolch fiel klirrend zu Boden. Arisha und Ashraf wirbelten herum. Der Messerwerfer war ein schmächtiger Junge, keine fünfzehn Jahre alt.

Ashraf konnte die Angst in seinen Augen sehen. Sie war unbegründet. Dieser Junge würde nicht sterben.

Shareef tauchte plötzlich hinter ihm auf. Er erfasste die Situation mit einem Blick und setzte den Jungen mit einem gezielten Schlag außer Gefecht. Der Junge sank ohnmächtig zu Boden. Shareef sah zu seiner Schwester, die mit einem ihrer Dolche etwas Stoff von ihrem Ärmel abgetrennt hatte und damit die Blutung von Yasifs Hand stoppte- Sein Blick verriet nicht, was er dachte. Er wandte sich an Ashraf und schien etwas sagen zu wollen.

„Schickt Rashid euch?“ Die Stimme gehörte dem Tempelmeister. Er hatte sein Schwert gezogen.

Ashraf durchzuckte es kalt. Wo war Tarik? Er bemerkte den beruhigenden Blick Shareefs. „Er ist unten.“, sagte er leise auf arabisch.

Ashraf antwortete in der gleichen Sprache, den Tempelmeister ignorierend: „Geht nach unten und dann raus hier. Ich kümmere mich um den.“

Shareef zögerte, nickte dann aber. Er zog sich mit Arisha und Yasif zurück.

Ashraf wandte sich wieder an den Tempelmeister. Jetzt, endlich, beantwortete er dessen Frage.

„Ja, Rashid schickt uns, Robert von Metz.“
 

Ashraf war im Kampf durchaus nicht schlecht, aber Robert von Metz war eine Klase für sich. Obendrein besaß er Sangreal, es war praktisch unmöglich ihn durch Verletzungen zu schwächen.

Ashraf spürte seine Arme schwerer werden. Templer begannen zu rufen, ihre Stimmen mischten sich mit dem Geklirr der Waffen, wodurch man sie nicht mehr verstand. Eine Sekunde später war der Grund klar: Flammen schlugen plötzlich an sämtlichen hölzernen Einrichtungsgegenständen empor, einschließlich den Türen.

Den kurzen Augenblick der Ablenkung nutzte Robert zu seinem Vorteil. Er führte vier schnelle Schläge.

Ashraf ging zu Boden, doch Robert nahm sich nicht die Zeit, nachzusehen, ob sein Gegner noch lebte. Er eilte zum Rest der Templer, um mit ihnen das Feuer zu löschen.

Ashraf setzte sich unter Schmerzen auf. Robert hatte mit jedem seiner letzten Schläge getroffen, vier lange Schnittwunden zogen sich nun über Ashrafs Oberkörper, die längste reichte von der linken Schulter bis knapp über den rechten Hüftknochen. Ashraf hoffte, dass er noch die Kraft hatte, die Burg zu verlassen. Templer begegnete er auf seinem Weg nicht, vermutlich hatten sie die Burg verlassen. Was er aber sah, war ein Schwert, dass auf dem Boden lag. Die Klinge schimmerte im Licht der Flammen, nur die feine Scharte, die sich über das Eisen zog, blieb dunkel. Tariks Schwert.

Ashrafs Verstand weigerte sich, das naheliegende zu begreifen. ‚Er muss es verloren haben.’, sagte er sich stattdessen. Er nahm sich das Schwert. Es brannte in seiner Handfläche, weil es vom Feuer erhitzt worden war, aber Ashraf ignorierte den Schmerz. Sein Kopf dröhnte und ihm war schwindelig, doch er schaffte es aus der Burg heraus. Er sah Shareef, Arisha und Yasif in einer Entfernung dastehen, die Gesichter vom Feuer erleuchtet.

Shareef hatte seiner Schwester eine Hand auf die schmale Schulter gelegt. Es schien wie eine beruhigende Geste zwischen Geschwistern, aber Ashraf erkannte nach längerem Hinsehen, dass er sie festhielt. Erleichterung spielte auf seinem Gesicht, als er Ashraf bemerkte, gefolgt vom Ernst, als er die Verletzungen sah. Auf Ashrafs Frage nach Tarik schüttelte er nur den Kopf, aber das war keine Antwort.

Wie in Trance stieg Ashraf auf sein Pferd. Sein Blickfeld verengte sich.

Arisha griff nach den Zügeln seines Reittieres, weil sie merkte, dass er immer schwächer wurde. „Er hat es nicht hinaus geschafft.“, sagte sie, bevor er das Bewusstsein verlor.
 

Ashraf brauchte eine Weile um sich zu orientieren, als er erwachte. Er lag im Bett, seine Wunden waren verbunden und hatten aufgehört zu bluten. Sein und Tariks Schwert standen an der Wand gelehnt da. Er richtete sich auf und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Er befand sich wieder auf der Burg der Assassinen. Mit einer schnellen Bewegung verließ er seine Schlafstätte und das Zimmer. Er musste mit jemandem reden. Als erstes kam ihm Shareef in den Sinn, aber er verwarf den Gedanken wieder. Er wusste, dass sie beide sich von nun an auseinanderleben würden, ganz einfach, weil Shareef nicht versagt hatte. Seine Schwester lebte noch, Tarik wahrscheinlich nicht.

Ashraf wollte Gewissheit. Wenn er nicht mit Shareef reden konnte, würde er es eben mit Arisha tun. Er fand sie in ihrem Zimmer.

Sie kniete auf dem Boden, mit dem Rücken zur Tür, den Mantel bis zur Hüfte abgestreift, das Haar fiel ihr über die Schulter, während sie Schmutz und Blut abwusch. Das Symbol der Assassinen auf ihrem linken Schulterblatt schien ihm entgegenzuleuchten. Er wartete, bis sie fertig war, in der Gewissheit, dass sie ihn bemerkt hatte.

Schließlich streifte sie sich die Kleider wieder über, stand auf und drehte sich zu ihm um. „Du bist aufgewacht.“, stellte sie fest. „Wir dachten, du stirbst an den Verletzungen. Du hast eine Woche kein Lebenszeichen von dir gegeben.“ Sie versuchte, ihre Sorgen zu überspielen und sie wusste, dass Ashraf es merkte.

Er hatte keine Lust, sich darauf einzulassen. „Was ist mit Tarik?“

Sie sah an ihm vorbei zur Tür und Ashraf begann sich zu fragen, ob sie überhaupt antworten würde. „Du warst nicht mit draußen, als das Feuer ausbrach.“, sagte sie endlich. „Er war sich sicher, dass etwas geschehen war, also ist er noch mal reingegangen. Er ist nicht wiedergekommen.“

Ashraf sah sie an. „Warum habt ihr ihn nicht aufgehalten?“ Er sagte ‚ihr’, aber er meinte ‚du’. Wenigstens Arisha hätte soviel Geistesgegenwart besitzen sollen.

Ihre schlanken Finger verkrampften sich im Stoff ihrer Kleidung. „Du weißt doch, wie er war. Er hat nicht auf mich gehört.“ Ihre Stimme war belegt, das schlechte Gewissen war ihr anzusehen.

Ashraf warf ihr einen erbitterten Blick zu und ging. Sie konnte ja nun wirklich nichts dafür, aber in diesem Moment musste er seine Wut einfach an jemandem auslassen, um nicht nachzudenken. Jetzt aber war er allein und konnte sich nicht ablenken. Er irrte sich, wie er ganze zwei Minuten später feststellte, nachdem ihm einer der Assassine mitgeteilt hatte, dass Rashid ihn sehen wollte.
 

Rashid ließ ihnen keine Zeit zum ausruhen. Kaum hatte er mitgekriegt, dass Ashraf wieder auf den Beinen war, hatte er auch schon Shareef, Arisha und Yasif herbeigerufen. Ashraf merkte, dass Arisha seinen Blick sorgsam mied. Sie schwiegen, während Rashid ihnen erzählte, dass er mit der Großmeisterin der Prieuré eine Vereinbarung getroffen hätte. Drei der Assassinen würden zur Burg der Prieuré gehen, um dort gegen die Templer zu kämpfen, ein weiterer würde regelmäßig zu ihnen reiten und sich erzählen lassen, was so geschah. Es würde nicht amüsant werden, erklärte Rashid, weil sie dort als Sklaven betrachtet werden würden, aber es musste getan werden, nur um sicherzustellen, dass die Prieuré ihnen nicht in den Rücken fielen.

Er kommandierte Shareef, Arisha und Yasif dazu ab, bei den Prieurén zu arbeiten und sagte Ashraf, dass dieser alle zwei Monate dorthin reiten würde. Die vier verließen den Raum wieder, ohne etwas zu sagen.

Ashraf sah Shareef an, dass dieser mit ihm sprechen wollte, aber er verschwnad in seinem Zimmer, ohne ihm die Gelegenheit dazu zu geben. Von einer seltsamen Leere erfüllt, starrte er vom Bett aus die Decke an.

Tarik war aus seinem Leben verschwunden, er hatte zugelassen, dass sein Bruder gestorben war. Aber vielleicht war er nicht tot, vielleicht war es ihm gelungen das Gebäude zu verlassen.

Normalerweise hätte Ashraf ganz entschieden gesagt, dass er sich etwas vormache, aber nicht jetzt. Ihm war soeben klar geworden, dass er auf das Überleben seines Bruders hoffen musste und versuchen würde, ihn zu finden, ganz einfach weil er die Wahrheit nicht ertragen und akzeptieren konnte; weil er wusste, dass ihn die Schuldgefühle umbringen würden, wenn er einsah, dass sein Bruder in jener Nacht gestorben war.

Sometimes dead - Jaque

„Also dann, bis heute Abend.“ Selima Jones gab ihrem Freund einen flüchtigen Kuss auf die Wange und sah ihm nach, wie er das Gebäude verließ. Dann drehte sie sich zu den Schreibtischen um. An einem saß ihr Kollege, der jetzt die Zeitung zusammenfaltete und sie ansah.

„Ich wusste gar nicht, dass du schon wieder einen Freund hast.“

Sie seufzte. „Sei nicht albern, Jaque. Ich muss dich nicht über jeden neuen Schritt informieren.“

„Das hab ich nie behauptet. Es überrascht mich bloß, dass du nicht mit dem gleichen jungen Mann unterwegs bist wie letzte Woche.“

„Ich hab dir doch schon mal erklärt, ich will mein Leben genießen, solange ich noch jung bin.“ Sie ließ sich auf ihren Stuhl sinken. „Nicht jeder hat so eine romantische Einstellung vom Leben wie du.“

Jaque begann zu lachen und Selima zog einen Schmollmund. „Ich hasse es, wenn du mich auslachst.“

„Das tue ich doch gar nicht.“

„Und ob du das tust! Aber ich hab doch recht.“ Sie schüttelte den Kopf und stützte sich mit dem Ellenbogen auf der Tischplatte ab. „Deine letzte Freundin liegt fünf Jahre zurück, fünf! Du kannst doch nicht ewig auf ‚die Richtige’ warten.“

Ein amüsiertes Lächeln umspielte Jaques Lippen. „Wir werden sehen. Aber du solltest was an deiner Einstellung ändern.“

„Denkst du etwa, für mich gibt es ein Happy End?“

„Wer weiß?“

„Jetzt bist du wirklich albern.“

Ihr Kollege zuckte mit den Schultern. „Das macht der allabendliche Einfluss von Film und Fernsehen. Das kann ja nur schiefgehen.“

„Du solltest mal ausgehen.“

„Ich bitte dich...“

„Wirklich! Wenn du nicht so viel arbeiten würdest...“

„Was ich nicht tue!“

Selima ließ sich nicht beirren. „Wenn du nicht so viel arbeiten würdest, hättest du auch mal Zeit für dein Privatleben und dann könntest du- hör auf, so zu grinsen!“

„Das kannst du mir nicht verbieten.“

„Und ob ich das kann!“ Sie warf ihm einen giftigen Blick zu. „Und unterbrich mich nicht immer.“

„Du hast dich doch unterbrochen.“

„Ach, still. Wo war ich?“

„Bei meinem Privatleben.“

„Richtig. Du hättest bestimmt eine Freundin.“

„Ich will doch gar keine.“

„Falsch, du kriegst keine.“

Jaque zog eine Augenbraue hoch und klopfte auf die Zeitung. „Erzähl keinen Blödsinn.“

„Tu ich nicht. Wenn du nicht so schrecklich...konservativ wärst...“

„Ich bin nicht –!“ Das Klingeln des Telefons unterbrach die Diskussion. Jaque zischte noch ein „-konservativ!“ in Selimas Richtung und nahm den Hörer ab, bevor sie etwas erwidern konnte.

Selima beobachtete Jaque, während er zuhörte, was derjenige an der anderen Leitung zu sagen hatte. Er hatte den Blick auf das Telefon gerichtet, als wäre das sein Gesprächspartner und nicht die Person am anderen Ende der Leitung. Das Schweigen wurde länger, es hing bedrohlich im Raum und in diesem Moment wusste Selima, dass es Probleme gab. Sie stand auf und nahm ihre und Jaques Jacke.

In diesem Moment legte Jaque mit einem bestätigenden „Wir kommen.“ auf und erhob sich. Er sah leicht verwirrt aus, als Selima ihm seine Jacke reichte, nahm sie dann aber wortlos an sich und ging zum Auto, nachdem er die Nachricht durchgegeben hatte.

Selima setzte sich auf den Beifahrersitz, überschlug die Beine und wartete darauf, dass Jaque ihr erzählte, was vorgefallen war. Er ließ nicht lange darauf warten.

„In der ‚Jefferson High’ ist einer der Schüler durchgedreht. Er hat eine Waffe bei sich, hat sich in der Sporthalle eingeschlossen und lässt niemanden an sich ran. Der Rektor meint, er sei nicht für Geld und gute Worte dazu zu bewegen, die Waffe wegzulegen.“

Selima legte den Kopf schief und sah ihn ungläubig an. „Sie haben es mit Geld versucht?“

Jaque lächelte schwach. „Ich denke nicht. Sonst würde bald jeder Schüler, der sein Taschengeld aufstocken will, einfach mal ein wenig in der Gegend rum schießen. Angeblich soll der Schüler nicht einmal schlechte Noten haben und er ist eigentlich auch ganz beliebt in der Klasse. Er hat keine Geldprobleme, trinkt den Angaben zufolge keinen Alkohol, raucht nicht und nimmt keine Drogen. Keiner weiß, warum gerade er jetzt solche Probleme macht.“

„Das hast du alles aus dem kurzen Gespräch mit dem Rektor?“

„Er hat sehr schnell geredet.“, erklärte Jaque, während er den Wagen durch den Großstadtverkehr Richtung Schule manövrierte. Er überfuhr mehrere rote Ampeln und als Selima ihn darauf aufmerksam machte, winkte Jaque nur ab und meinte, wer bei der Polizei sei, dürfe so etwas.

„Das ist bestimmt der Grund, weshalb du zur Polizei gegangen bist.“, stichelte Selima, wurde aber wieder ernst, als sie vor der Schule hielten, vor der sich eine ziemlich große Menschenmenge versammelt hatte.

Ein großer Mann mit Halbglatze und im braunen Anzug kam auf sie zu, während er aufgeregt mit den Armen fuchtelte. Anscheinend war er der Direktor. Ihm folgte ein nervös wirkender, zusammengesunkener Mann mit Hornbrille und schütterem Haar, der vom Rektor mit dröhnender Stimme als „Mister Joulie“ vorgestellt wurde.

Mister Joulie hatte, wie Jaque und Selima mit der Zeit aus der Erzählung des Rektors heraushörten, die Klasse unterrichtet, in der auch Mark gewesen war, „So heißt er nämlich, wissen sie?“ Er hatte Mark zum Lösen einer Aufgabe nach vorne gebeten und in dem Moment hatte der Junge die Waffe gezogen und angefangen, herumzuballern. Anschließend sei er in Rekordzeit in die Sporthalle gerannt und hatte die Türen verbarrikadiert.

Als Selima sich bei Mister Joulie nach der Art der Waffe erkundigte und wie viel Schuss Mark abgegeben hätte, sagte der Lehrer, er könne sich nicht erinnern. Er schien unter Schock zu stehen, seine Haut war ungewöhnlich blass und seine Hände zitterten und wollten damit gar nicht mehr aufhören.

Jaque erkundigte sich, ob es Verletzte gäbe, was sowohl der Lehrer als auch der Rektor verneinten, woraufhin Jaque ihnen riet, trotzdem einen Krankenwagen anzurufen. Man konnte ja nie wissen. Außerdem hatte es den Anschein, dass Mister Joulie ein gutes Beruhigungsmittel gebrauchen könnte.

Sein Handy begann monoton zu Summen. Jaque gab Selima ein Zeichen, bitte ohne ihn weiterzufragen und ging dann dran. Es war Harry Kyle, sein Vorgesetzter. Kaum hatte Jaque sich gemeldet, begann er auch schon zu wettern.

„Was soll das? Wieso sind sie noch nicht drin?“

Jaque ließ sich Zeit mit seiner Antwort, es war besser, seinen Chef nicht zu reizen. „Entschuldigen sie Sir, aber der Junge ist bewaffnet. Ich dachte, wir warten besser auf-„

„Gedacht, soso! Sie werden aber nicht fürs Denken bezahlt. Der Kerl ist doch alleine, oder?“

„Ja“

„Und Junge, sagen sie? Wie alt ist er? Vierzehn, fünfzehn?“

„Siebzehn, Sir.“

„Na also! Sie werden doch wohl zu zweit mit einem Siebzehnjährigen fertig werden, der keine Ahnung von Waffen hat!“

„Entschuldigen sie, Sir, aber das ist nicht geklärt. Vielleicht hat er in seiner Freizeit-„

Kyle ließ ihn nicht einmal aussprechen. „Papperlapapp, alles Ausflüchte! Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass ein sechzehnjähriger-“

„Siebzehn“

„-ein siebzehnjähriger Junge gegen zwei ausgebildete Polizisten ankommt?“

„Das habe ich nie behauptet.“

„Was soll dann die Rumjammerei?“

„Ich habe lediglich gesagt...“

Kyle schlug einen neuen Ton an. „Hören sie mal zu.“, zischte er aggressiv. „Entweder sie gehen da jetzt rein und bringen diesen Burschen wieder zur Vernunft oder ich komme persönlich vorbei und dann können sie sich auf was gefasst machen!“ Er legte ohne ein weiteres Wort auf.

Mit einem Seufzen schob Jaque das Handy zurück. Es war ein offenes Geheimnis, dass er Kyle nicht ausstehen konnte und Kyle verheimlichte nicht, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte.

Selima beendete ihr Gespräch mit den beiden Männern und kam zu ihm. „Sie wollen nicht, dass wir mit den Schülern reden.“, erklärte sie. „Sie haben Angst, dass die Schüler überreagieren.“ Sie ahnte offensichtlich nicht, wie das Gespräch mit Kyle verlaufen war, denn sie fuhr munter fort: „Weißt du, was der Grund ist, warum deine letzte Freundin sich von dir getrennt hat? Du hast sie zu viel sich selbst überlassen. Wenn du ihr mal ein wenig hinterher gerannt wärst...“

Natürlich hatte sie recht. Jaque genoss seine persönliche Freiheit sehr und ging davon aus, dass jeder andere Mensch das auch tun wollte. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um über längst vergangene Beziehungen zu reden, über deren Ende er ihm Nachhinein froh war. „Kyle will, dass wir den Schüler aus der Halle holen.“

Sie runzelte die Stirn, verwirrt über seinen offensichtlichen Widerwillen. „Natürlich müssen wir das.“

„Er will, dass wir es jetzt tun, ohne die Verstärkung.“

Auch auf Selimas Gesicht zeichnete sich jetzt Unglauben ab, der im krassen Gegensatz zu ihren Worten stand. „Nunja, er ist der Chef, oder?“

„Selima! Du kannst doch nicht wirklich...Das ist unverantwortlich!“

Sie zuckte mit den Schultern. „Er zerreißt uns in der Luft, wenn wir nicht das machen, was er sagt.“ Damit wandte sie sich ab und ging zielstrebig auf das Schulportal zu.

Kopfschüttelnd folgte Jaque ihr. Er hatte ja gewusst, dass sie vieles sehr locker nahm, aber bis jetzt war sie immer vernünftig gewesen. Kurz hinter den Türen holte er sie ein. Selima hatte ihre Waffe bereits gezogen.

„Das ist Irrsinn.“, beschwerte sich Jaque, aber er tat es ihr nach. Gemeinsam gingen sie den Flur zur Sporthalle entlang.

Die Türen der Halle waren rot und aus Stahl. Jaque verspürte keine Lust, diese Türen aufbrechen zu müssen, aber bevor er etwas in dieser Richtung andeuten konnte, hatte Selima bereits die Klinke gedrückt. „Sie ist offen.“, sagte sie verblüfft. „Der Rektor meinte doch, der Schüler habe sich verbarrikadiert.“

„Vielleicht hat er sie wieder aufgeschlossen.“

„Wozu?“

„Um dumme, kleine Polizisten reinzulocken, die nicht vorhaben auf die Verstärkung zu warten.“

Selima sah ihn einen Augenblick lang an. „Ich glaube nicht, dass er daran gedacht haben könnte.“ Sie legte einen Finger auf die Lippen und schlüpfte dann in die Halle.

Jaque hätte ihr gerne zum wiederholten Male gesagt, wie unüberlegt sie handelte, aber er verkniff es sich. Immerhin wollte er den Amokläufer nicht unnötig auf sich aufmerksam machen.

Die Halle schien leer. Ein paar Geräte, Barren und Kästen, standen noch herum, sowie einige Matten. Offenbar war hier eine Sportstunde abgebrochen worden.

Jaque begann die Halle an der Wand entlang zu umrunden, Selima tat es ihm an der anderen Seite nach. Anscheinend war wirklich niemand anwesend, hinter den Kästen hatte sich jedenfalls keiner versteckt. Aber wo war er dann? Jaque warf seiner Kollegin einen Blick zu, die nur hilflos mit den Achseln zuckt und sich umdrehte, um zur Tür zurückzugehen. Plötzlich riss sie die Augen auf. „Jaque!“ Ihre Stimme klang panisch.

Alarmiert wirbelte Jaque herum. Im selben Augenblick spürte er, wie die Kugel seine Schulter traf. Brennende Schmerzen schossen durch seinen Körper. Krampfhaft hielt er seine Waffe fest und zielte auf die Tribüne, auf der der Amokläufer stand und die Selima und Jaque übersehen hatten.

Der Junge kümmerte sich gar nicht darum, ob er sein Opfer getroffen hatte oder nicht, sondern richtete seine Waffe auf Selima. Sie sah ihn nicht, weil sie zu Jaque rannte, aus Sorge um ihn.

„Selima, nicht!“ Jaques Warnung kam zu spät. Es war kein Geräusch zu hören, aber die Kugel hatte eindeutig getroffen. Selima ging zu Boden.

Jaque fluchte und suchte hinter einem der Kästen Deckung. Der Junge war verdammt zielsicher und offensichtlich benutzte er einen Schalldämpfer. In Gedanken verwünschte er Kyle und sah zu seiner am Boden liegenden Kollegin.

Sie rührte sich nicht; er konnte nicht sagen, ob sie noch lebte. Und wo war dieser verdammte Junge hin? Die Tribüne war wie leergefegt.

Jaque erhob sich und sah sich um. Er hörte Schritte. Mark kam also die Treppe herunter. Das dumpfe Pochen in seiner getroffenen Schulter ignorierend, hob Jaque die Waffe. Er ging auf den Durchgang zu, der zur Treppe führte und drückte sich gegen die Wand. Er musste nicht lange warten.

Mark schien es offensichtlich nicht für notwendig zu halten, sich umzusehen. Jaque wunderte sich gar nicht erst, woher diese unglaubliche Arroganz kam. Was er bemerkte, war die entsicherte und geladene Pistole in der Hand des Jungen, um dessen Abzug sich der Zeigefinger krümmte. Er wusste also Bescheid, oder vermutete zumindest etwas.

Jaque entschied sich gegen die übliche „Hände hoch und Waffe auf den Boden“- Floskel und zog Mark kurzerhand mit der Waffe eins über den Hinterkopf. Schwierige Situationen erforderten nun mal schwierige Maßnahmen.

Jaque ließ den ohnmächtigen Schüler liegen, wo er war und ging, nachdem er ihm die Waffe abgenommen hatte, zu Selima. Der Blutfleck zeichnete sich deutlich auf ihrer Bluse ab, aber zumindest atmete sie noch.

Jaque hob sie vorsichtig hoch. Sie reagierte nicht. Was sollte er auch erwarten? Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass Mark noch eine Weile liegen bleiben würde. Dann verließ er die Halle. Offenbar hatte der Lehrer seinen Rat befolgt, jedenfalls stand ein Krankenwagen vor der Schule. Einer der Sanitäter entdeckte ihn und reagierte sofort. Er nahm ihm Selima ab, brachte sie zum Wagen und begann sich mit zwei seiner Kollegen um sie zu kümmern.

Jaque ließ den Blick schweifen. Er fühlte sich seltsam dumpf, als wäre nichts von allem wirklich geschehen. Gleichzeitig überkam ihn große Erleichterung. Selima befand sich in ärztlicher Behandlung. Sie lebte. Das war die Hauptsache.

„Jaque!“ Einer der Kollegen vom Präsidium hastete ihm entgegen. „Wir sind eben angekommen. Was ist passiert? Wo ist-?“ Er brach ab. „Meine Güte, du blutest ja!“

Jaque winkte ab. „Halb so schlimm, Carl. Kannst du mir einen Gefallen tun? Könntest du den Amokläufer aus der Sporthalle holen? Er ist ohnmächtig.“

Carl nickte und winkte zwei anderen Polizisten, die ihm daraufhin in das Gebäude folgten.

Mit einem erleichterten Seufzer lehnte Jaque sich gegen sein Auto. Nur am Rande bekam er mit, wie der Krankenwagen mit heulenden Sirenen und Blaulicht abfuhr. Als ein Sanitäter sich ihm näherte, um sich um seine Schulter zu kümmern, ließ er die Prozedur schweigen über sich ergehen. Er nutzte die Gelegenheit, den Mann nach dem Krankenhaus zu fragen, in das Selima gebracht wurde. Kaum war der Sanitäter mit seiner Arbeit fertig und hatte ihm die Adresse genannt, stieg Jaque in sein Auto.

Kyle konnte warten.
 

Jaque musste nicht lange warten, bis er mit einem der Ärzte sprechen konnte. Auf seine Frage nach Selimas Zustand, machte der Mann ein bekümmertes Gesicht, was sein Gesicht noch faltiger wirken ließ, als es ohnehin schon war.

„Die Kugel hat ihre linke Herzkammer gestreift.“, erklärte er. „Wir mussten operieren, um sie zu entfernen. Die Kugel, meine ich.“

Jaque ahnte nichts Gutes. Das Zimmer schien plötzlich um mehrere Grad kälter zu werden. „Schafft sie es?“

Eine Weile herrschte Schweigen. Dann schüttelte der Arzt den Kopf. „Nein. Sie wird es nicht schaffen. Tut mir Leid.“

Jaque atmete tief durch, während er versuchte, zu verstehen, was das bedeutete. Etwas in ihm weigerte sich dagegen, etwas, das sagte: Noch lebt Selima, sie kann es schaffen. Sie muss.

„Kann ich zu ihr?“

Der Arzt tat Jaque den großen Gefallen ,nicht nachzufragen, ob er zur Verwandtschaft gehörte. Er ließ ihn zu Selima ins Zimmer.

Sie war an einen Haufen Geräte angeschlossen, deren Bedeutung Jaque nicht kannte. Ihre Haut stellte fast keinen Kontrast zur Bettdecke dar. Die persönlichen Gegenstände –Schlüssel, Handy, Ausweis und Portmonee- hatte jemand auf einen kleinen Nachttisch neben dem Bett gelegt. Sie schien zu schlafen.

Jaque nahm auf einem der Stühle Platz. Er betrachtete seine junge Kollegin. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, sah sie friedlich aus, aber das Lächeln, dass sie sonst immer auf den Lippen hatte, war verschwunden. Er dachte darüber nach, wie eng die Verbindung zwischen ihnen beiden war. Selima hatte oft gescherzt, sie ständen kurz davor ein Paar zu werden, aber das war nie geschehen. Letztlich waren sie nur Freunde und Kollegen geblieben. Aber fast zwei Jahre lang war Selima die einzige Person gewesen, zu der er Kontakt hatte. Sie war ihm ans Herz gewachsen und er hatte vor, sich wenigstens von ihr zu verabschieden, wenn er sie schon nicht retten konnte.
 

Gegen ein Uhr morgens scheuchte eine Krankenschwester ihn aus dem Zimmer und sagte, er könne morgen wiederkommen. Ohne große Widerreden fuhr Jaque nach Hause zu seiner kleinen Mietwohnung. Eigentlich hätte er in Deutschland ein Haus besessen, dass er nach dem Tod seiner Eltern geerbt hatte, aber er hatte sich vorgenommen, sich alles selbst zu erarbeiten.

Noch so eine Sache, die Selima nie verstanden hatte, neben seiner Warterei auf die Richtige.

Jaque ging ins Bad. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er noch immer das blutige Hemd trug. Er zog es aus und ließ es zu Boden fallen. Der Verband um seine Schulter hatte sich gelockert. Anstatt ihn wieder festzuziehen, legte er auch ihn ab, zusammen mit seinen restlichen Kleidungsstücken. Dann drehte er den Warmwasserhahn seiner Dusche voll auf und ließ sich das heiße Wasser auf die Haut prasseln. Der Schmerz in seiner Schulter war auf seine Weise wohltuend, er lenkte ab.

Jaque duschte solange, bis kein warmes Wasser vorhanden war, danach legte er sich schlafen.

Sein Wecker begann um sechs Uhr zu klingeln. Jaque brachte ihn zum Schweigen und rief dann im Präsidium an, um sich krank zu melden. Er wollte Kyle wenn möglich aus dem Weg gehen und außerdem wollte er zurück ins Krankenhaus, selbst wenn er dort nichts tun konnte.
 

Zwei Wochen lang verbrachte Jaque den größten Teil seiner Zeit im Krankenhaus. Die Geräte zeigten an, dass Selima lebte, aber ansonsten gab sie keinerlei Lebenszeichen von sich. Erst vierzehn Tage nach ihrer Einlieferung schlug sie die Augen auf und war sichtlich erfreut, Jaque zu sehen.

„Weißt du“, sagte sie schwach. „Ich denke, du hattest von doch recht mit deiner Einstellung. Ich kann mir richtig vorstellen, dass du mal Vater wirst.“ Sie lächelte müde. „Aber es scheint kein Happy End für mich geben.“

Jaque hätte ihr gerne gesagt, dass es nicht so war, aber er wollte sie nicht anlügen.

Selima deutete sein Schweigen richtig. Sie schloss die Augen. „Ich habe es dir von Anfang an gesagt.“, murmelte sie. „Danke, dass du gekommen bist. Das bedeutet mir sehr viel.“

Jaque erwiderte nichts. Jetzt, wo es soweit war, wusste er nicht, was er sagen sollte und so wartete er darauf, dass Selima weiterredete, doch sie tat es nicht. Erst nach einer Weile bemerkte er den monotonen Pfeifton. Über das EKG zog sich eine gerade, grüne Linie. Jaque wandte den Blick wieder Selima zu. Er drückte kurz ihre Hand. „Viel Glück, wo auch immer du jetzt bist.“ Dann verließ er das Zimmer, um in seine kleine Wohnung zu fahren.

Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, überkam ihn ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Kurzfristig entschloss er sich, nach Deutschland zurückzukehren. Er konnte sofort packen, ein Haus besaß er ja. Und vielleicht schaffte er es, den Schmerz durch Selimas Verlust zu mindern, wenn er das Land verließ.

Während des Packens stieß er auf einen Stapel Fotos. Er musste sie nicht durchsehen, um zu wissen, dass sie Selima zeigten, manchmal mit diversen Freunden. Sie hatte ihn immer gebeten Fotos zu schießen.

Ohne zu überlegen, schob er sie in einen Briefumschlag und warf diesen in den Koffer. Viel hatte er ohnehin nicht zu packen, außer Kleidung und einigen Kleinigkeiten besaß er nichts.

Er reservierte sich über Telefon einen Platz in einem Flugzeug nach Berlin und meldete sich dann bei seinem Vermieter ab.

Jetzt kam der Teil, der ihm am wenigsten behagte. Nachdem er den Koffer auf der Rückbank und den Rucksack auf dem Beifahrersitz verstaut hatte, fuhr er ins Präsidium. Ohne diverse Kollegen zu beachten, die ihn ansprachen, ging er zu Kyles Büro und trat ohne anzuklopfen ein.

Kyle saß hinter seinem Schreibtisch, das Gesicht hinter einer Zeitung verborgen. Er legte sie nieder, als Jaque die Tür schloss. „Ah, Claudé!“, schnauzte er. „Bequemen sie sich also auch mal wieder her!“ „Zum letzten Mal.“, erwiderte Jaque. Er fischte in seiner Jackentasche nach dem Ausweis und warf dabei einen Blick auf die Zeitung.

‚Amokläufer verurteilt’, teilte die Überschrift mit, darunter folgten Informationen über Marks Verhandlung und Selima, die zu dem Zeitpunkt noch gelebt hatte. Von beiden war ein Foto abgebildet, das aussah wie ein Passbild.

Jaque wandte den Blick ab und legte seinen Ausweis auf den Tisch. „Sie werden in Zukunft ohne mich auskommen müssen.“

Kyle schlug einen neuen Ton an. „Hören sie, Claudé, was soll das?“, fragte er mit weicher Stimme. „Sie sind ein guter Polizist, noch ein Vierteljahr und ihre SWAT-Ausbildung ist beendet. Wollen sie das alles so hinwerfen? Was wollen sie denn tun?“

„Ich wüsste nicht, was sie das angeht.“

Kyles Tonfall blieb einfühlsam und passte überhaupt nicht zu dem, was er danach sagte: „Sie sollten sich keine Vorwürfe machen, immerhin können sie nichts dafür, dass Jones nicht intelligent genug war, um zu...“

In Jaque zerbrach der letzte Widerstand zur Realität, der ihn bis jetzt geschützt hatte. Zorn und Trauer brachen über ihm zusammen. Seine Hand knallte auf die Tischplatte und schnitt Kyle so das Wort ab. „Fangen sie gar nicht erst von Selima an“, sagte er, vor unterdrückter Wut zitternd. „Wenn einer überhaupt nichts für das, was passiert ist, kann, dann ist sie es!“

„Jetzt beruhigen sie sich mal wieder!“, rief Kyle erschrocken.

Jaque dachte gar nicht daran. „Falls es sie interessiert, Selima ist vor nicht einmal drei Stunden gestorben.“ Er bekam seine Stimme wieder unter Kontrolle und trat einen Schritt zurück. „Das war dann alles.“, sagte er kühl und ließ den sprachlosen Kyle in dessen Büro.
 

Spät am Abend landete in Berlin das Flugzeug, das Jaque zurück in sein Heimatland gebracht hatte. In der Halle des Flughafens ließ er sich auf eine Bank sinken und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er hatte seinen Wagen in Amerika verkaut und damit seine letzte Verbindung zu diesem Land gelöst.

Jaque ließ die Hand auf das kühle Metall der Bank sinken und zog sie sofort wieder zurück, als er etwas Pelziges berührte. Erstaunt sah er auf das graue Kätzchen, das neben ihm auf der Bank saß und ihn unverwandt anstarrte.

Es maunzte jämmerlich.

„Hey, was ist denn mit dir los?“ Jaque kraulte die Katze zwischen den Ohren. ‚Verrückt’, dachte er bei sich. ‚Jetzt rede ich schon mit einer Katze.’ Er besah sich das verwahrloste Tier genauer. Eine der Pfoten war blutverkrustet, die Katze selbst abgemagert. Sie sah nicht aus, als ob sie jemandem gehören würde.

„Wo bist du her?“, fragte er die Katze, ohne eine Antwort zu erhoffen.

Sie legte den Kopf schief und sah ihn an. Auf verrückte Weise erinnerte sie ihn an Selima.

„Sieh mich bloß nicht so an!“

Das Tier begann, seine Finger abzulecken. Jaque seufzte und hob sie hoch. „Na gut.“, sagte er. „Schauen wir mal, was wir für dich tun können.“

Mit der Katze im Schlepptau ging er zum Haus seiner toten Eltern. Während er den Schlüssel hervorsuchte, den er schon vor Monaten per Post erhalten hatte, beobachtete er die Katze, die er im Stillen nach seiner toten Kollegin benannt hatte.

Kaum war die Tür offen, war sie auch schon hineingeflitzt. Jaque folgte ihr nach drinnen und legte den Fotoumschlag auf eine Kommode, wo er sie auch ließ. Er warf noch einen Blick auf Selima, die sich auf dem Teppich zusammengerollt hatte und ließ sich dann aufs Sofa sinken, den protestierenden Schmerz seiner Schulter nicht beachtend. Er brauchte erstmal Ruhe, um seine nächsten Schritte zu planen.

Die Schritte, mit denen er sein Leben neu aufbauen würde.

Shelters Mountain - Hill

London, 1925
 

Kyle betrat die stickte Kneipe und sah sich suchend um. Der Zigarettenrauch machte es ihm schwer, seine eigene Hand vor Augen zu erkennen. Wie sollte er da den Mann finden, den er suchte?

Doch besagter Mann war unübersehbar. Er saß in der Ecke und winkte ihn zu sich, während er an seiner Pfeife zog. „Sie sind gekommen.“, sagte er mit rauer Stimme. „Gut, gut. Bestellen sie sich was zu trinken.“

„Ich habe nicht viel Zeit.“, erwiderte Kyle. „Sie haben gesagt, sie hätten Informationen für mich.“

„Sicher, sicher.“ Der alte Mann schien die Gewohnheit zu haben, alles doppelt zu sagen. „Aber das mit dem Erzählen wird ’ne ganze Weile dauern. Also setzen sie sich. Mary, bring dem Herrn doch was zu trinken.“

Kyle setzte sich wortlos auf einen der Hocker, die genauso brüchig aussahen, wie der ganze Laden hier. Er war nicht im geringsten überrascht, dass die Bedienung Mary hieß. Wahrscheinlich ein falscher Name, aber dem Klischee war damit Genüge getan. „Nun, Mister.“, begann Kyle, nachdem eine junge Polin, die ganz sicher einen anderen Namen als „Mary“ trug, ihm ein klares Getränk in einem weniger klaren Glas gebracht hatte. „Sie hatten sich geweigert, ihren Namen zu sagen, daher hoffe ich, dass sie wenigstens nicht meine Zeit verschwenden wollen und gute Informationen haben. Wenn nicht, werde ich sie erschießen.“ Er sagte das ruhig und sachlich und er ließ keinen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen.

Der Alte jedoch ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Das ist aber nicht ihr Job.“, stellte er fest. „Ihr Job ist es sie umzubringen, nicht mich. Und sie wollen sie doch erwischen, oder?“

Kyle blickte von dem schmierigen Glas zu seinem Informanten. „Genau. Und deshalb schlage ich vor, fangen sie jetzt an. Ganz von vorne.“

Der Alte schüttelte den Kopf und nahm erneut einen Zug seiner Pfeife. „Erstmal erzählen sie. Wie sind sie überhaupt hierher gekommen? Und keine Ausflüchte!“

Kyle fügte sich. Was sollte er auch tun? Aber er würde die Sache abkürzen, der Mann musste nicht jede Einzelheit wissen. „Ich bekam vor ein paar Wochen einen Brief. Darin stand, dass Inspector Sharon hier die Leiche eines jungen Mannes gefunden hatte, der zwei Löcher in der Halsgegend aufwies, genau dort, wo sich die Schlagader befindet. Zuerst gingen sie davon aus, dass jemand hineingestochen hatte, aber dann wäre das Opfer verblutet. Es wurde jedoch kein Blut gefunden. Mit einem dunklen Verdacht wandte er sich an den Vatikan und fragte nach einem Vampirjäger.“

Kyle behielt sein Gegenüber genau im Auge. „Man schickte mich los und Inspector Sharon zeigte mir den Ort des Verbrechens und die Leiche selbst. An besagtem Platz sah ich die Täterin. Sie stand unter einer Straßenlaterne und blickte zu Boden. Dann, als ob sie meinen Blick gespürt hätte, hob sie den Kopf uns ah mich direkt an. Eine Gruppe Fußgänger versperrte mir für einen Augenblick die Sicht. Als sie endlich vorbei waren, war das Mädchen verschwunden. Inspector Sharon erzählte mir, dass das Mädchen Hill heiße, sie sei auch am Mordabend vernommen worden. Anscheinend war sie sehr interessiert an dem Fall, dass ständige Hin und Her mit den Zeugen, Beweisen und Überlegungen schien sie zu amüsieren.“

Kyle lehnte sich gegen die Wand. „Sie trug einen schwarzen Mantel, aber das war das einzig Warme. Schon ihre Ausstrahlung ist kühl. Sie ist ungewöhnlich blass, ungesund blass trifft es eher. Sie trägt weder Schal noch Mütze. Sie trägt keine Schuhe.“

Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. „Wir haben Mitte Januar und es hat die letzten vier Tage geschneit. Wer trägt da schon keine Schuhe? Nur jemand, der die Kälte nicht fühlt!“

Der Alte nickte bedächtig, ein schwaches Lächeln zog sich um seinen Mund. „Ja, so habe ich sie in Erinnerung. Sie hatte einen unnatürlichen Drang nach Freiheit. Alle Entscheidungen wollte sie selbst treffen. Eine kleine Rebellin. Das sie keine Schuhe trug, war nur ein Teil ihres Widerwillens. Aber sie wusste, wann sie zu weit ging und dass sie sich manchmal unterordnen musste, nicht nur ihr zuliebe, sondern ihrer Familie wegen.“

Mit einem Schluck kippte er die trübe Flüssigkeit aus einem Glas, das nicht minder dreckig als Kyles war, hinunter. Dann sah er den Vampirjäger fest an. „Wenn sie wollen, erzähle ich jetzt.“

Kyle nickte. „Nur zu.“ Die Worte des Mannes hatten ihn neugierig gemacht.

Der Alte begann.
 

„Hillary Gregoria Stepford! Das war ihr voller Name, aber sie hasste ihn. Sie war kein armes Kind, durchaus nicht, doch sie war unzufrieden. Sie verbrachte ihr Leben in einem großen Haus, wo Privatlehrer ihr die Benimmregeln des Adels beibrachten.

Sie sehnte sich nach etwas anderem. Nach der Freiheit, zu tun, was sie wollte. Das Haus zu verlassen, wann sie wollte; zurückzukehren, wann sie wollte.

Doch ihre Familie hatte andere Pläne mit ihr. Hillary sollte verlobt werden, mit irgend so einem reichen Kerl aus der obersten Stufe. Tradition und was weiß ich noch alles.

Sie war sechzehn, als ihre Familie diese Entscheidung fällte, sechzehn junge Jahre. Und sie war hübsch. Noch nicht so schön wie ihre Mutter, aber das würde sich noch entwickeln. Spätestens mit zwanzig hätte sie ihre Mutter bestimmt eingeholt, was das Aussehen anging.

Ihr Verlobter hieß Harry Tochs. Ich glaube, er sollte zur Marine, aber ich bin mir nicht sicher.

Die beiden, Hillary und Harry, lernten sich erst auf dem Verlobungsfest kennen. Der Tradition nach tanzten sie zusammen, aber danach zog Hillary sich auf ihr Zimmer zurück und dort blieb sie, bis die Familie ihres Verlobten und er selbst abgezogen waren.

Sie wollte mit niemandem reden. Sie sagte, sie fühle sich nicht gut. Bis zum nächsten Tag kam sie nicht mehr heraus. Sie war verzweifelt. Sie wollte nicht heiraten.

Das hatte nichtmal einen bestimmten Grund: Sie war weder in einen anderen verliebt, noch konnte sie Harry nicht leiden. Sie wollte einfach nicht heiraten. Es wäre ihr wie Gefangenschaft erschienen, wenn ein Mann über sie bestimmen konnte.

Als sie am nächsten Morgen runterkam, war sie sehr blass. Sie war barfuss wie immer und sie trug noch ihr Nachtgewand, dass weiße, dünne Kleid, das sie seither nicht mehr abgelegt hat; warum, sag ich gleich.

Sie brach auf der Schwelle zum Wohnzimmer zusammen. Ihr älterer Bruder brachte sie wieder in ihr Zimmer und die Familie informierte einen Arzt. Das war der Zeitpunkt, zu dem Robert Stanley auftrat. Hätte man ihn nicht dazugerufen, wäre Hillary innerhalb weniger Tage wieder gesund gewesen. Aber man wollte natürlich auf Nummer sicher gehen. Also holte man Robert.

Er hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, als er eintrat, vielleicht, um sich vor dem Schnee zu schützen. Vielleicht wollte er auch einfach nur Eindruck machen. Außerdem hatte er einen ziemlich großen Arztkoffer dabei. Im Schauspielern war er ganz groß, oh ja. Und er spielte seine Rolle gut.

Robert schickte sämtliche Familienangehörige aus dem Zimmer und untersuchte Hillary. Er verabreichte ihr Medizin. Tatsächlich war sie am nächsten Tag wieder munter, sie sollte jedoch noch liegenbleiben.

Der Arzt kam jeden Tag. Und mit jedem seiner Besuche wurde Hillary blasser, doch die Familie ahnte nichts. Hillary sprach wieder mit ihnen. Sie hörte zu. Sie lachte. Auf jeden Fall schien sie nicht krank zu sein.

Nur einmal, an einem Abend, erzählte sie ihrem Bruder, dass sie Angst habe. Sie dürften den Arzt nicht mehr herlassen, bat sie. Natürlich hörte niemand auf sie.

Am nächsten Tag kam Robert kopfschüttelnd aus ihrem Zimmer und verkündete mit angemessen trauriger Stimme, dass Hillary verstorben sei. Die Familie glaubte ihm nicht, bis sie Hillary nicht selbst gesehen hatten.

Aber Hillary war tatsächlich tot. Oder halbtot, je nachdem, wie sie den Zustand eines Vampirs betrachten.

Sagen wir es so: Hillary Gregoria Stepford war zu dem Zeitpunkt gestorben, doch Hill lebte.

Denn als die Familie sie beerdigen wollte, war sie verschwunden. Der Sarg wurde übrigens trotzdem begraben, sie können ihr Grab besuchen.

Robert war natürlich der Vampir gewesen, der Hillarys Leben beendet hatte. Als Vampir konnte sie es fortsetzen, für immer im Körper einer Sechzehnjährigen gefangen. Ihre Augen waren übrigens schon immer grau.“

Der Alte verstummte und zog nachdenklich an seiner Pfeife. „Das Familienanwesen steht heute leer.“, fügte er hinzu. „Seit Jahren schon.“

Kyle hatte genug gehört. Er wusste nun, wo er Hill, oder Hillary Gregoria, finden würde. Ruhig erhob er sich, ohne sein Getränk auch nur einmal angerührt zu haben.

„Ich danke ihnen für ihre Hilfe.“, sagte er höflich. „Das hat mich sehr weitergebracht.“

Der Alte sah zu ihm auf, seine Augen funkelten unter den dichten Augenbrauen. „Wenn sie ihr Grab besuchen wollen, dass ist übrigens nicht hier. Das liegt in Shelters Mountain. Eine Kinderfantasie von ihr. Sie wollte immer nach Shelters Mountain, fragen sie nicht wieso. Vielleicht, weil sie dort geboren wurde. Aber als sie einsah, dass sie nicht mehr dorthin zurück konnte, nannte sie London einfach so.“

Kyle nickte. „Danke, aber ich werde ihr Grab nicht besuchen. Viel Glück noch...Mister Stepford.“

Damit wandte er sich ab und ließ den Vater des Vampirmädchens, dass er jagte, in der düsteren Kneipe zurück.
 

Da Kyle keine Genehmigung zum Betreten des Hauses gekriegt hatte, war er kurzerhand eingebrochen. Es ging hier um die Beseitigung eines Vampirs, da konnten die Behörden jammern, was sie wollten. Vorsichtig ging Kyle den staubbedeckten Boden entlang.

Zum Glück war alles mit dicken Teppichen ausgelegt, was seine Schritte dämpfte. Stapford hatte gesagt, sie sei „am nächsten Morgen runtergekommen.“, also ging Kyle davon aus, dass sich Hills Zimmer im oberen Stockwerk befand.

Die Stufen knarzten etwas, aber ansonsten war alles gespenstisch ruhig.

Soweit Kyle sehen konnte, waren hier oben alle Türen verschlossen, bis auf die hintere. Er ging den Gang entlang und stellte fest, dass es sich nur um eine Besenkammer handelte, wenn auch von beachtlicher Größe. Nachdenklich blickte er in den Spiegel, der an der Wand des Ganges hing. Eine Ahnung machte sich ihn ihm breit, mehr Gefühl als irgendetwas anderes. Er fuhr herum.

Obwohl er sie im Spiegel nicht gesehen hatte, stand Hill nun hinter ihm, auf ein paar Metern Abstand. „Ich kann mich nicht erinnern, sie hier schon mal gesehen zu haben.“, sagte sie kühl. Ihre Stimme hatte etwas unglaublich anziehendes, genauso wie ihre restliche Entscheidung.

Der schwarze Mantel war verschwunden, sie trug das weiße Nachtgewand, von dem der Alte gesprochen hatte. Tatsächlich war sie sehr blass, blasser, als es bei Vampiren sowieso schon üblich war. Sie trug auch jetzt weder Schuhe noch Socken.

Kyle wusste, dass er sie als so anziehend empfand, weil sie es so wollte. Vampire konnten menschliche Eindrücke beeinflussen. Und wenn schon Robert, der Arzt, so gut hatte schauspielern können, hatte er das vielleicht an sie weitergegeben.

Hill sah ihn nachdenklich an. „Ich glaube, ich weiß wer sie sind.“, fuhr sie mit einem geheimnisvollen Lächeln fort. „Sie sind der Vampirjäger, den er gerufen hat. Dieser Inspector. Er ist nicht so dumm, wie er aussieht.“

‚Was für ein Kompliment’, dachte Kyle, doch er schwieg. Vielleicht würde sie näher kommen. Kurz senkte er den Blick, um nachzusehen, ob die Weihwasserflasche in der Nähe war. Als er wieder aufsah, war Hill verschwunden. Ihre nackten Füße hatten keine Spuren im Staub hinterlassen, er sah nur seine eigenen Abdrücke.

Aber jetzt stand die erste Tür nach der Treppe offen. Vorsichtig ging Kyle auf sie zu. Ihr Zimmer. Wie ein Gespenst stand sie in der Mitte des Raumes, fast ganz weiß; wären ihre Haare weiß gewesen und nicht schwarz.

„Was willst du, Vampirmörder?“, fragte sie leise und ließ ihn nicht aus den Augen. Sie ließ sich auf ihrem Bett nieder, während sie sprach. Kyle musste sie schnell loswerden, sonst würde er ihr verfallen. Er spürte bereits, dass seine Abwehr zu bröckeln begann.

Er griff nach der Flasche mit dem Weihwasser. „Willst du nicht endlich Ruhe finden, Hillary?“, entgegnete er, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Ihr Blick wurde spöttisch. „Sollte ich das? Ich habe alles, was ich will. Ich bin frei. Und ich werde nicht sterben. Wünscht ihr Menschen euch das nicht immer?“

„Nicht für diesen Preis.“ Er stürzte auf sie zu, doch er traf daneben. Sie war innerhalb eines Sekundenbruchteils vom Bett verschwunden, auf dem er nun landete. Dann war sie wieder über ihm, er spürte ihre Finger auf seiner Halsschlagader. Sie waren eiskalt.

Kyle konnte sie nicht mehr daran hindern, zuzubeißen, aber während die Welt um ihn herum schwarz vor seinen Augen wurde, erkannte er, dass er sich verrechnet hatte.

Ihr Verhalten hatte ihn davon überzeugt, dass sie noch immer die Schwäche der Krankheit in sich trug, mit der sie zum Vampir gemacht wurde. Doch dem war nicht so, sie hatte mit ihm gespielt und er war auf sie hereingefallen.

Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider. Sie war frei, tatsächlich. Wer wusste, wen sie noch alles töten würde und wo. Vielleicht sogar in Shelters Mountain.

Light of Hope - Selena

Es regnete in Strömen. Selena konnte das dumpfe Plätschern an den Scheiben des Cafés hören. Sie strich sich das nasse Haar aus der Stirn und blickte auf den Tisch, während sie nervös ihr Glas in ihren Händen drehte.

Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie das Haus verlassen und sich unter Leute begeben hatte. Unerlaubt. Und jetzt saß sie in einem überfüllten Café und wartete auf das Ende des Unwetters. Was für ein großartiger Tag. Sie hätte doch daheim bleiben sollen. Andererseits fühlte sie sich zum ersten Mal seit langem nicht mehr gefangen. Aber Khadin würde entsetzlich wütend sein, wenn er zurückkam und sie nicht finden konnte.

„Es war ein großer Fehler, hierher zu kommen.“, erklärte die junge Frau ihrem Getränk.

„Wieso?“

Einen Augenblick war sie verwirrt, bis sie begriff, dass nicht das Glas ihr geantwortet hatte, sondern ein Mann, der es geschafft hatte, bis hierher vorzudringen.

„Ist der noch frei?“ Er weiß auf den Platz gegenüber von Selena.

Sie nickte und sah ihm zu, während er sich hinsetzte. Der Fremde schien sich mitsamt Kleidung unter die Dusche gestellt zu haben, jedenfalls war er genauso nass. „Erstaunlich, dass sie es bis hierher geschafft haben.“, stellte sie fest. „Sind sie Dschungelforscher?“

Er lachte. „Nein, eigentlich nicht.“ Er machte einen gutmütigen Eindruck auf Selena. „Warum war es ein Fehler herzukommen?“, hakte er nach.

Sie suchte nach einer Ausrede. „Wegen dem Wetter.“

Sein Lächeln verschwand nicht. „Natürlich.“ Selena war sich sicher, dass seine Stimme einen ironischen Unterton hatte und er schien es zu merken. „Entschuldigung, das war unhöflich.“ Er wirkte ehrlich zerknirscht.

Sie lächelte. „Ist schon in Ordnung.“ Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Noch war Zeit.

Er folgte ihrem Blick. „Haben sie es eilig?“

„Ja. Nein. Also...ich muss nach Hause, bevor mein Mann zurück kommt.“

Er musterte sie. „Wie alt sind sie?“

„Achtzehn.“

„Und schon verheiratet?“

„Ich wurde schon mit vierzehn verheiratet.“

„Hm.“ Nachdenklich sah er aus dem Fenster. „Ich wusste nicht, dass es so was hier gibt.“

„Stellen sie sich vor, ich vorher auch nicht.“, meinte sie scherzhaft.

Er wandte seinen Blick wieder zu ihr. „Was tun sie dann hier?“

Sie seufzte. „Ich suche meinen Sohn.“

„In einem Café?“

„Nein. Der Regen hat mich überrascht. Aber man wollte mir sowieso keine Auskunft geben.“

Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

„Mein Mann hat meinen Sohn fortgegeben, damit ich nicht so viel zu tun habe. Auf jeden Fall behauptet er das.

„Wie heißt ihr Sohn denn?“

„Ahmed. Vor zwei Monaten ist er vier geworden.“ Selena hatte plötzlich das Gefühl, dass sie sich dem Fremden anvertrauen konnte, dass er zuhören und sie verstehen würde.

„Das muss schwierig für sie sein, Frau...äh...“

Sie schüttelte den Kopf. „Lassen sie den Nachnamen weg. Einfach nur S...“ Sie brach ab. Wenn sie ihren Namen nannte, würde Khadin vielleicht irgendwann von dem Gespräch erfahren. „Raten sie.“, sagte sie daher in dem Versuch, die Situation zu retten.

„Selima.“, meinte er mit einem fast traurigen Lächeln.

„Das kam schnell.“

„Stimmt es denn?“

„Nein.“

Er runzelte nachdenklich die Stirn. „Sarah?“

„Auch nicht.“

„Sophie.“

„Daneben.“ Sie lächelte amüsiert. „Sie werden es ja doch nicht rauskriegen.“

„Wahrscheinlich haben sie recht.“ Er seufzte. „Sandra?“, fügte er dann hoffnungsvoll hinzu.

Sie lachte. „Nein.“

„Na gut. Vielleicht komme ich noch drauf. Sie müssen etwas erzählen, dann fällt es mir ein.“

„Bestimmt. Wo soll ich anfangen?“

„Am Anfang, bitte.“

Selena überlegte kurz. „Meine Eltern kommen aus Pakistan. Sie haben mir nie gesagt, warum sie hierher zogen. Überhaupt sprach meine Mutter eher wenig und hielt sich aus allem raus. Mein Vater hatte das Sagen, wie es sich gehörte.

Ich glaube, er wünschte sich einen Sohn, aber den hat er nie bekommen. Nur meine zwei Schwestern und mich. Deswegen arrangierte er es bei unseren Hochzeiten auch so, dass wir unsere Nachnamen behalten konnten. Dadurch dachte jeder Fremde zuerst, unsere Ehemänner seien seine Söhne.“

Selena sah auf ihr unberührtes Wasser hinab. „Ich wusste nichts von arrangierten Hochzeiten, bis meine Schwester verheiratet wurde. Besser gesagt, sie war einfach fort und Vater behauptete, sie werde irgendwann einmal wiederkommen. Die Wahrheit erfuhr ich erst ein Jahr später, als ich aus der Schule kam. Mein Vater stelle mir Khadin vor, einen Geschäftspartner von ihm. Er war vierundzwanzig, zehn Jahre älter als ich. Ich wusste nicht, dass er mein zukünftiger Ehemann war, bis mein Vater mir zwei Tage später alles erklärte.

Natürlich wollte ich nicht heiraten, noch nicht, vor allem keinen Wildfremden. Ich wollte mir meinen Ehemann später einmal selbst aussuchen. Meinen Vater interessierte das herzlich wenig. Es war schon alles geklärt und unterschrieben und meine Wünsche waren nicht weiter wichtig. Ich hatte gar keine Wahl.

Also ging ich mit Khadin und hoffte, das Beste aus der ganzen Situation machen zu können. Nunja.

Khadins Vater hielt nicht sonderlich viel von mir, da ich die ganze Zeit wie eine Europäerin gelebt hatte und das zeigte er auch. Khadin schien nichts dagegen zu haben. Am schlimmsten war für mich aber, dass ich gerade mal vierzehn war und mit einem Mann schlafen musste, den ich erst vor Kurzem kennengelernt hatte. Und auch noch schwanger wurde.

Es war eine ziemlich schwere Zeit, weil ich trotz der Schwangerschaft meine Pflichten erfüllen musste, aber für Khadins Familie schien das normal zu sein. Vermutlich ist es in Pakistan genauso, ich war noch nie dort.“

Selena warf einen Blick auf die Uhr und sprang erschrocken auf. „Ich muss los!“

Ihr Gegenüber nickte. „Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder und sie setzen ihre Geschichte dann fort.“

Sie lächelte und reichte ihm zum Abschied die Hand. „Sicher. Vielleicht wissen sie ja auch bis dahin meinen Namen.“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Bestimmt. Meiner ist übrigens Jaque.“

„Freut mich.“ Sie ließ seine Hand los, nickte ihm nochmal freundlich zu und hastete dann aus dem Café. Der Regen hatte aufgehört.
 

Zwei Wochen lang hörte Selena nichts von Jaque, dann traf sie ihn durch Zufall wieder. Er saß vor dem Café, in dem sie sich kennengelernt hatten. Beinahe bemerkte sie ihn nicht und wäre an ihm vorbeigegangen,

„Hallo, Lady S.“

Beim Klang der vertrauten Stimme blieb sie stehen und sah zu ihm. „Hallo.“

Er weiß auf einen freien Stuhl. „Haben sie Zeit, ihre Geschichte fortzusetzen? Ich lade sie ein.“

„Danke:“ Sie kam seiner Aufforderung nach und setzte sich. „Und, wissen sie meinen Namen inzwischen?“

Jaque hob die Schultern. „Das einzige, was mir noch eingefallen ist, war Sybille, aber das ist wahrscheinlich falsch.“

„Stimmt:“ Selena nickte.

„Wie hat eigentlich ihr Mann reagiert?“, wollte Jaque wissen.

Sie seufzte. „Er hat es zum Glück nicht gemerkt.“

„Sheherazade.“

„Wie bitte?“

Er lächelte entschuldigend. „Das war nur ein Vorschlag. Fängt auch mit S an und ist sehr passen.“

„Oh. Achso. Aber genauso falsch wie die vorigen.“

„Man kann nicht alles haben. Sie waren schwanger.“

Selena zögerte kurz und musterte Jaque sorgfältig, dann nickte sie. „Ich stand während dieser Zeit sehr unter Stress. Khadin wollte nicht, dass ich zum Arzt ging und ich machte mir ständig Sorgen um das Kind, weil ich nicht wusste ob es gesund war. Als ich im siebten Monat war, misste ich schließlich nicht mehr arbeiten, aber das geschah nicht aus Sorge um mich, sondern wegen des Ungebornen. Khadin hoffte nämlich, dass es ein Junge wurde und er somit einen Erben hatte.

Im achten Monat hatte ich ständig Fieber und meine Angst um das Kind wuchs. Die Geburt einen knappen Monat später war schwer, aber es lief alles gut. Ahmed war gesund, alles war in Ordnung. Dachte ich,

Doch Khadin ließ mir nur wenige Wochen mit meinem Sohn. Dann nahm er ihn mit und brachte ihn irgendwo unter, bei Freunden, wie er sagte. Ich weiß immer noch nicht, wo er ist. Selbst im Computer konnte ich nichts finden.“

„Kinderheime veröffentlichen ihre Mitgliedslisten meist nicht.“, warf Jaque ein,

Selena wirkte verlegen. „Ich hab mich eingehackt.“

„Sie können das?“

„Ja. Aber Ahmend stand nirgends, auf keiner der Listen. Es kann alle möglichen Gründe dafür geben. Vielleicht haben ihn Khadins Freunde in eine andere Stadt gebracht, oder ins Ausland. Vielleicht hat er einen falschen Namen angegeben. Vielleicht ist Ahmed gestorben.“ Sie stockte, bevor sie sich in Panik redete. „Jedenfalls habe ich ihn seit vier Jahren nicht gesehen. Ich ging wieder meinen Aufgaben nach und Khadin machte wieder von seinem Eherecht Gebrauch.

Ich wurde erneut schwanger. Als ich im zweiten Monat war, bekam ich wieder Fieber, bis zum vierten Monat. Es wurde eine Fehlgeburt.

Beim nächsten Mal dauerte es bis zum sechsten Monat und erneut eine Fehlgeburt.“

Bedrückt blickte Selena auf den Tisch. „Wenn ich hätte zum Arzt gehen dürfen, wäre das vielleicht nicht passiert.“

„Warum verklagen sie ihn denn nicht?“

„An wen sollte ich mich denn wenden?“, fragte sie niedergeschlagen. „Und selbst wenn ich gewinnen würde, wo sollte ich denn hin?“

„Sie kommen zu mir“, meinte Jaque leichthin und schrieb seine Adresse auf. „Und dann sehen wir weiter. Ich kenne einige Leute, die ihnen bei der Suche nach ihrem Sohn helfen könnten.“

Sie nahm den Zettel mit der Adresse entgegen. „Danke. Ich werde auf ihr Angebot zurückkommen. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“ Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter und hatte sich schon umgedreht, als Jaque sie nochmal aufhielt. „Selena“

Verwirrt wandte sie sich zu ihm. „Wie bitte?“

„Ihr Name. Sie heißen Selena.“

Ihre Verwirrung schlug in Belustigung um. „Ja, stimmt. Woher wussten sie das?“

„Es steht auf ihrer Tasche.“ Er nickte ihr zu. „Viel Glück, Selena.“
 

Selena blickte von dem Zettel zu dem Haus auf. Sie hatte länger als gedacht gebraucht, um die Straße zu finden, in der Jaque lebte. Er war der Erste gewesen, der ihr eingefallen war. Einen Moment zögerte sie. Es war spätabends, Jaque schlief sicher schon. Dann aber klingelte sie.

Ein hellwacher Jaque öffnete die Tür. „Selena!“ Die Überraschung in seiner Stimme war unüberhörbar. „Was machst du denn hier?“

„Kann ich reinkommen?“ Er nickte und trat einen Schritt zur Seite, damit sie eintreten konnte.

Kaum hatte sich die Tür hinter ich geschlossen, liefen ihr die Tränen über die Wangen, die sie bis jetzt so krampfhaft zurückgehalten hatte. „Er ist tot, Jaque.“, schluchzte sie.

Ihm ging das alles zu schnell. „Beruhig dich.“, sagte er daher sanft und ließ sie sich erstmal setzen. „Wer ist tot?“

„Khadin. Ich habe ihn erstochen.“

Schweigen. Dann...„Oh.“

„Ich wollte das gar nicht.“, fuhr Selena fort und fuhr sich über die Augen. „Er hat rausgekriegt, dass ich draußen war und ist furchtbar wütend geworden. Er hat die ganze Zeit gedroht, ich würde Ahmed nie wieder sehen. Und dann ist er auf mich losgegangen. Ich hab irgendwas zum Verteidigen gesucht und da lag dieses Messer.“

Sie brach ab, sah nur Jaque an, in der stummen Hoffnung, dass er wusste, was zu tun war.

„Hat dich jemand gesehen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Aber das ist egal. Khadins Freunde würden auch so gegen mich aussagen, obwohl keiner da war.“

Jaque nickte und begann im Zimmer auf und abzulaufen, während er die Uhr im Auge behielt.

Selena ließ in der Zeit den Blick durch das Zimmer schweifen und bemerkte das Foto einer jungen Frau. Sie lachte unbeschwert in die Kamera, während sie an irgendeinem Brunnen stand und von Tauben umschwirrt wurde.

Selena betrachtete das Bild. „Wer ist das?“

„Meine Kollegin. Sie wurde erschossen. Der Täter hat drei Jahre dafür gekriegt, weil er noch nicht volljährig war.“ Jaques Stimme klang gepresst, wütend. „Drei Jahre, weil er einen Menschen umgebracht hat. Er müsste jetzt wieder draußen sein. Sie lag im Krankenhaus, für ein paar Wochen und dann starb sie an den Verletzungen und ich hab zugesehen. Das war das letzte Mal, dass ich sie richtig gesehen habe, aber ich wollte sie als den Menschen, der sie wirklich war, in Erinnerung behalten. Deswegen die Fotos.“

Bestürzt sah sie zu ihm. „Das tut mir Leid.“

„Das muss es nicht. Komm mit.“, meinte er dann.

Die beiden gingen nach draußen zu seinem Auto und er fuhr sie zu einem großen Gebäude.

„Mein Arbeitsplatz.“, sagte Jaque, während sie aus dem Auto stiegen, noch bevor Selena die entsprechende Frage stellen konnte. „Übrigens habe ich mit meiner Chefin geredet und du könntest hier arbeiten. Wenn du willst.“

Sie sah ihn an. „Ich denke, ich habe gerade andere Probleme als meine Arbeit.“

Jaque beachtete den Einwand gar nicht. „Du kennst dich mit Computern aus und uns fehlen noch Leute. Übrigens wird dir der Computer jetzt deine Freiheit retten.“ Er hatte sie in einen Raum geführt, in dem mehrere der Geräte standen.

Selena fragte nicht, warum hier so spät noch geöffnet war. Sie wunderte gar nichts mehr. Deswegen ließ sie sich von Jaque erläutern, was genau er vorhatte. Einige Minuten später fand sie sich im Archiv der Polizei wieder. „Woher wusstest du, wie ich da rein komme?“

„Ich hab da mal gearbeitet.“, meint er mit einem gequälten Lächeln. „Lösch den Ordner. Gut, das wars auch schon.“

Selena schaltete den Computer aus. „Was ist das für ein Laden hier?“

„Das darf ich dir nicht sagen, noch nicht. Wie wäre es, wenn wir zurückfahren? Ich bin mir sicher, dass du müde bist.“

Während der Fahrt lehnte Selena ihren Kopf an das kalte Fenster und dachte nach. Ihr fiel auf, wie wenig sie über Jaque wusste, wohingegen er praktisch ihr ganzes Leben kannte. Aber bevor sie etwas in der Richtung andeuten konnte, sagte Jaque schon etwas anderes. „Willst du deinen Nachnamen eigentlich behalten? ‚Hiurin’, oder wie er sich spricht.“

„Man spricht es ‚Jurin’. Und ja, ich werde es behalten. Von Khadin werde ich mir nicht meine Identität nehmen lassen.“

Er zuckte mit den Schultern und schwieg.

„Wie bist du eigentlich zur Polizei gekommen?“

„Eine Empfehlung von meinem Onkel. Mein Vater hat danach nie wieder ein Wort mit ihm geredet.“ Er lächelte schwach. „Mit mir übrigens auch nicht. Mein Onkel ist ein wenig merkwürdig, aber im Grunde ganz in Ordnung. Er will es bloß nicht zugeben und das hat meinen Vater wahnsinnig gemacht. Ich habe seit Jahren nichts mehr von ihm gehört.“

„Von deinem Vater?“

„Nein, von meinem Onkel. Mein Vater ist tot. Und sag jetzt nicht, dass es dir Leid zuz.“

Selena wechselte das Thema. „Lebst du schon die ganze Zeit allein.“

Er seufzte. „Bis vor kurzem hat meine Freundin noch bei mir gelebt.“

„Streit?“

„Nein. Sie war einfach nicht die Richtige, auch wenn ich das anfangs geglaubt hatte oder es wenigstens glauben wollte. Sie war mehr etwas gegen die Einsamkeit.“

Beinahe hätte Selena gelacht. „Du hast die rausgeschmissen?“

„Sie ist von selbst gegangen.“, stellte er richtig. „Nachdem ich ihr erklärt habe, dass das zwischen uns keine Liebe ist, ist sie beleidigt abgerauscht und hat sich seitdem nicht mehr gemeldet. Vermutlich ist es besser so.“

Er parkte das Auto. „Wahrscheinlich sollte ich sowieso allein bleiben, damit nicht noch mehr schief geht.“

„Das gleiche gilt wohl für mich.“ Nach Selenas Erfahrung mit Khadin würde sie wohl vorerst auch keine Beziehungen mehr eingehen. Sie betrat mit Jaque dessen Haus. „Hast du ein Gästezimmer oder so was?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber das ist schon in Ordnung. Ich schlafe auf dem Sofa.“

Ein graues Etwas strich um Selimas Beine und maunzte sie an. Sie nahm die Katze auf den Arm und kraulte ihren Kopf.

„Ach ja, Jaque. Ich würde gern bei euch arbeiten.“

Dark Side of Life - Zoe

Erstes Vogelgezwitscher durchbrach die morgendliche Stille.

Zoe blinzelte verschlafen ins Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel. „Mag!“, murmelte sie müde. „Mach die Vorhänge wieder zu.“

Ihre beste Freundin Maggory grinste sie an. „Nichts da! Deine Mum hat angerufen und gesagt, wenn du um 12 nicht da bist, kriegst du den Hausarrest deines Lebens!“

Zoe drückte ihr Gesicht ins Kissen. „Die macht doch sicher noch mit ihrem bescheuerten Freund rum!“

„Kannst ja mitmachen.“, scherzte Mag. Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, landete Zoes Kissen in ihrem Gesicht.

„Sehr witzig.“, knurrte die Werferin. „Als ob ich mir so was antun würde.“ Murrend richtete sie sich auf. „Oh Gott, wir reichen beide nach Alkohol. Hast du zufällig Kaugummis da?“

„Warte mal kurz.“ Mag ging aus dem Zimmer und stütze sich aufs Treppengeländer. „Muuuuuum!“, brüllte sie nach unten. „Mum, haben wir noch Kaugummi?“

„Nein, Schatz.“, rief ihre Mutter aus der Küche zurück. „Dein Bruder hat die letzte Packung mitgenommen.“

„Scheiße.“, fluchte Mag leise. „Wo ist er hin?“, fragte sie dann wieder in dröhnender Lautstärke.

„Zum Frisör.“

Zoe begann zu lachen. „Was will er denn noch alles mit seinen Haaren anstellen?“, neckte sie ihre Freundin.

„Keine Ahnung.“, murrte sie. „Der scheint seine Haare zum Kunstobjekt umgestalten zu wollen.“

Jason, Maggorys älterer Bruder, war 21 und war durchgedrehter als ein Stall voller Affen. Eigentlich mochten die Beiden ihn, da er immer gut drauf war, wenn er aber die letzten Kaugummis mitnahm, die ihnen die Chance auf Neutralisierung des Alkoholsgeruchs versprachen, waren sie gar nicht gut auf ihn zu sprechen.

„Und was machen wir jetzt?“, wollte Maggory wissen. „Deine Mum bringt dich um, von meiner ganz zu schweigen.“

„Habt ihr Zahnpasta da?“

„Nö, wollten wir heute kaufen.“

„Parfüm?“

Maggory sah sie entgeistert an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

Anstatt einer Antwort packte Zoe Mag am Arm und zog sie ins Bad. „Immer noch besser, als wenn man den Alkohol riecht.“, gab sie zu bedenken.

Mag sah sie noch eine kleine Weile schweigend an, dann zuckte sie mit den Schultern. „Gut.“, meinte sie und griff sich eine der Flaschen. „Irgendwo hast du ja Recht.“

Zoe grinste. „Ich weiß.“, wurde aber im selben Moment von Mag in eine Wolke Parfüm gehüllt und begann zu husten. „Ist das widerlich!“

„Du wolltest es so.“, konterte Mag und schnappte sich die nächste Flasche. Wenig später sah sie erst Zoe, dann sich an. „Ich denke, das reicht. Ich riech schon wie der Blumenladen von um die Ecke.“

Zoe war damit mehr als einverstanden, ersparte sich aber die Erwiderung, weil in dem Moment Mags Mutter „Frühstück!“ die Treppe hinaufschrie.

Die beiden Freundinnen setzten sich gerade unten an den Essenstisch, als Jason die Küche betrat. Bei seinem Anblick prustete Mag in ihren Orangensaft und Zoe musste ihr Lachen mit ihrem Ärmel ersticken. „Bist du sicher, dass du den richtigen Farbtopf erwischt hast?“, fragte Mag ihren Bruder, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war.

„Nein, Schwesterherz.“, sagte er scherzhaft. „Eigentlich wollte ich lila nehmen, aber es ist leider nur grün geworden.“

Zoe, die sich vor Lachen verschluckt hatte, begann zu husten, sodass Jason ihr auf den Rücken klopfte. „Übrigens steht dein Freund vor der Tür.“

„Freund?“, wiederholte Zoe.

„Freund?“, echote Mag und sah Zoe schief an. „Welcher Freund?“

„Das frag ich mich auch gerade.“

Diesmal war es Jason, der anfing zu lachen. „Eure Gesichter hättet ihr mal sehen sollen!“

„Jason, du bist ein Arschloch.“, stellte Zoe sehr sachlich fest. „Ich habe mir gerade echt Sorgen gemacht.“

Auch Mag schüttelte den Kopf über ihren Bruder. „Übrigens glaube ich, dass du los musst.“

Zoe sah zur Uhr und begann zu fluchen. „Stimmt.“ Schnell stand sie auf. „Wir sehn uns morgen in der Schule!“, verabschiedete sie sich noch, bevor sie sich ihre Jacke schnappte und in rannte den Weg nach Hause in Rekordzeit. „Hallo, Ma, ich bin wieder hier!“, rief sie in die Wohnung, nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte.

Ihre Mutter kam aus der Küche. „Hallo, Schatz. Was hast du denn gemacht? Du riechst ja wie eine ganze Parfümerie.“

„Ein Unfall im Bad.“, schwindelte sie. „Das Regal ist abgekracht.“

„Hast du dich verletzt?“

„Nein, Ma.“ Die dauernde Sorge ihrer Mutter nervte sie, aber das zeigte sie nicht. Ihre Mutter war ihr immer noch lieber als deren Freund.

„Schatz, ich komme heute Abend erst spät nach Hause. Könntest du kochen?“

„Geht klar.“ Zoe nickte. Warum auch nicht?

„Gut. Ich bin dann jetzt weg. Tschüss.“ Sie gab ihrer Tochter einen kurzen Kuss auf die Wange, den diesem mit genervtem Augenverdrehen quittierte. Immerhin war sie siebzehn.

„Tschüss, Noah.“, rief ihre Mutter Richtung Wohnzimmer, dann verließ sie das Haus.

Super. Das hieß, sie war jetzt mit diesem Arschloch von Freund allein. Womit hatte sie das nur verdient? Zoe schlich sich am Wohnzimmer vorbei, bevor Noah auf sie aufmerksam wurde und schloss sich in ihrem Zimmer ein, wo sie sich aufs Bett sinken ließ. Dann zog sie ihr linkes Hosenbein hoch und betrachtete die orangene Schlange, die sich um ihr Fußgelenk wand. Es war eine Tätowierung, die sie sich vor zwei Wochen hatte machen lassen, wobei Jason ihren Onkel gespielt und sein Einverständnis gegeben hatte, da sie ohne Erlaubnis eines Vorgesetzten niemals daran gekommen wäre. Ihre Mutter wusste nichts davon und das war auch gut so. Zoe hatte die Schlange auf einem alten Foto ihres Vaters entdeckt und sie sich darauf hin auch stechen lassen. Wenn sie ihn schon nicht kennenlernen konnte, dann wollte sie wenigstens so in seiner Nähe sein.

Ihre Eltern hatten geschieden gelebt, als ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Ihre Mutter behauptete, dass ihm der Unfall das Leiden erspart hätte, weil ihr Vater früher oder später sowieso gestorben war. Er war krank gewesen. Deshalb war die Übernachtung bei Mag eigentlich nur ein Vorwand gewesen , statt also mit ihrer Freundin durch die Straßen zu ziehen war Zoe mit ihr zum Arzt gegangen. Vielleicht war die Krankheit ja vererbbar? Das Ergebnis würde sie leider erst morgen kriegen. Mit einem Finger strich Zoe sacht über die Schlange, als Noah an die Tür hämmerte. „Zoe, mach die Tür auf!“

Schnell krempelte sie das Hosenbein wieder herunter und verfluchte Noah in Gedanken. Der Kerl dachte immer, dass sie sich umbringen wollte, wenn sie die Tür abschloss, deswegen achtete er darauf, dass sie nicht dazu kam. Und das alles nur, um sich bei seiner Mutter einzuschleimen. Noah hielt sie sowieso für irre- als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er sie tatsächlich gefragt, ob sie eine Satanistin sei, weil sie schwarz trug.

„Nein.“, hatte Zoe erwidert. „Ich bin eine Sadistin. Und am allerliebsten quäle ich kleine, dumme Arschlöcher wie dich.“

Seit diesem Tag konnten die beiden sich nicht ausstehen.
 

Nachdem Zoe die Tür aufgeschlossen hatte, gab Noah Ruhe und verschwand wieder im Wohnzimmer. „Idiot.“, murmelte Zoe, setzte sich an ihren Schreibtisch und starrte die Uhr an der Wand an, deren Sekundenzeiger sich viel langsamer als sonst zu bewegen schien. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit sich anfangen sollte, bis es vier Uhr war und sie damit eine Erklärung hatte, warum sie ihr Zimmer verließ. Noch fast drei Stunden...Mit einem Seufzen erhob sie sich und legte sich wieder aufs Bett.

Morgen war wieder Schule. Das hieß, früh aufstehen und dann eine halbe Stunde Bus fahren mit diesen dummen Hühnern, die immer in einer Gruppe zusammenhingen und nicht alleine aufs Klo gehen konnten, obendrein noch so kurze Tops trugen, dass sie gleich ganz nackt in die Schule kommen könnten, ohne dass es jemandem auffallen würde und die sich jedem Jungen, der ihren Weg kreuzte an den Hals schmissen. Ohne Mag wäre Zoe an dieser Schule schon lange gestorben und trotzdem hatte sie sich mit ihrer Mutter gestritten, als diese vom Umziehen sprach. Sie wollte hier nicht fort. Na gut, die Schule war nicht die beste, aber hier hatte sie Mag und Jason...wer wusste, was war, wenn sie umzogen?

Ohne hinzusehen, schaltete Zoe ihren CD-Player an, worauf lautstark eine Männerstimme zu undefinierbarer Hintergrundmusik zu singen begann.

„Zoe!“, kam es aus dem Wohnzimmer. „Mach die Musik leise!“

„Du kannst mich mal.“, murmelte Zoe.
 

Knappe drei Stunden später stand sie in der Küche und kippte das kochende Wasser ins Spülbecken. Nur Sekunden danach hielt sie einen Finger unter das kalte Wasser, um die Verbrennung zu kühlen. „Du kriegst wirklich gar nichts allein auf die Reihe, was?“, spöttelte Noah hinter ihr.

„Halt die Klappe.“, knurrte Zoe und drehte das Wasser ab.

„Hey, wer von uns beiden ist eigentlich der Ältere? Du benimmst dich immer als wärst du der Chef im Haus!“

„Ach, warum wohl?“ Sie funkelte ihn zornig an. „Vielleicht, weil du hier nicht hergehörst?“

Er betrachtete sie mit hochgezogener Augenbraue, dann zuckte er mit den Schultern und verließ die Küche. „Setz mal deinen süßen Hintern in Bewegung und bring die Kartoffeln!“

„Hol sie dir doch selber!“, gab Zoe zurück. Ihr war der Appetit vergangen, Noah konnte sich ja wohl noch selber versorgen. Sie verzog sich wieder auf ihr Zimmer. Diesmal ignorierte sie das Geklopfe von Noah.
 

Der Tag wurde noch schlimmer, als Zoe angenommen hatte. Als sie das Haus verließ (unter bösen Blicken von Noah), ballten sich draußen bereits die ersten schwarzen Wolken zusammen. Das hieß, sie durfte heute im Regen zum Arzt latschen. Großartig. Heute war also wieder ein Pechtag. Es konnte also nur noch schlimmer kommen.

Sämtliche Mitfahrer im Bus ignorierte sie heute, auch wenn sie das nervtötende Getuschel und Gekicher natürlich mitbekam. Sollten die doch, ihr war es egal.

Der Unterricht zog sich hin, aber Zoe war nicht bei der Sache. Ihre Gedanken schweiften ständig ab. Sie hatte mit Mag vereinbart, dass sie nach der Schule zu ihr kommen würde, aber alleine zum Arzt ginge. Mag war sozusagen ihr Alibi.

„Hey, Zoe, was ist los? Nervös?“, fragte Mag, als sie sich im Bus neben sie setzte.

Zoe schüttelte den Kopf. Sie war nur ausgelaugt, das war alles.

Mag verstand sie auch ohne Antwort. „Weißt du, was du brauchst? Du musst mal wieder was machen, dass deine Mutter auf dich aufmerksam wird, sonst ignoriert sie dich die ganze Zeit.“

„Zum Beispiel?“

„Naja, Jason macht das mit seinen Haaren...warum du nicht auch?“

Zoe sah sie ungläubig an. „Ich soll mir die Haare abschneiden, meinst du jetzt?“

Mag nickte. „Nicht ganz natürlich, nur bis hier.“ Sie zeigte mit der Hand die ungefähre Länge an.

Ein Grinsen stahl sich auf Zoes Gesicht. „Du spinnst.“

„Ich weiß doch. Du aber auch.“

Mag hatte ihr Ziel erreicht, Zoe war jetzt viel entspannter. „Weißt du was? Ich glaube, dass mach ich. Aber nur, wenn du schneidest.“

„Damit ich die Verantwortung trage, oder was?“

„Genau deswegen.“

Mag schüttelte den Kopf. „Wenn du meinst...aber bei Unzufriedenheit wird das Geld nicht zurückerstattet.“
 

Zoe ließ den Blick nicht von dem großen, kahlen Arztgebäude. Der Wind blies ihr in den Nacken und ließ sie frösteln. Die kurzen Haare waren für sie ungewohnt. Es begann zu tröpfeln, ein Grund mehr für Zoe, in die Eingangshalle zu treten.

Die junge Dame vom Empfang brachte sie zum Zimmer des Arztes, welcher ihr die Akte gab. Er versicherte ihr, dass er sich die Ergebnisse nicht angesehen hatte. Zoe bedankte sich hastig und verließ das Gebäude so schnell wie möglich. Unter einer Überdachung blieb sie stehen.

Der Regen plätscherte inzwischen in Strömen auf die Straße. Zoe schlug die Akte auf und las das Ergebnis mehrere Male. Dann warf sie sie in die nächste Mülltonne. Das hier ging niemanden etwas an.

Ohne länger nachzudenken, machte sie sich auf den Rückweg zu Mag. Dass sie dabei nass wurde, interessierte sie nicht. Stattdessen hob sie den Kopf und ließ sich den Regen übers Gesicht rinnen, spürte, wie die kleinen Tropfen aufschlugen und die Haut hinunter liefen.

Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl zu leben.
 

Als sie bei Mag ankam, hatte der Regen aufgehört. Zoes Kleidung klebte kalt an ihrem Körper. Mag ließ sie in die Wohnung und achtete gar nicht darauf, dass sie den Boden voll tropfte. „Und?“, wollte sie wissen. „Was ist das Ergebnis?“

Zoe lächelte sie an. „Alles in Ordnung.“, sagte sie. „Es ist alles in Ordnung.“, wiederholte sie nochmal leise, für sich.

Mag umarmte sie erfreut, ungeachtet der Tatsache, dass sie dabei selbst nass wurde. „Das ist toll, Zoe!“ Sie löste sich wieder von ihr. „Und jetzt?“

Zoes Gesichtsausdruck wurde traurig. „Wir werden umziehen.“

Mag verzog das Gesicht. „Nicht wirklich, oder? Du machst nächstes Jahr dein ABI!“

„Erzähl das mal meiner Mutter. Die interessiert das nicht. Wir ziehen nach Berlin.“

„Wann?“

„Nächste Woche.“

„Und warum erfahr ich das jetzt erst?“ Mag spielte beleidigt.

„Weil gehofft habe, sie entscheidet sich noch um.“

Mag nickte. „Du schickst mir deine neue Adresse, ja?“

„Natürlich.“ Zoe wusste, dass sie es nicht tun würde und diese zweite Lüge schmerzte sie fast noch mehr als die erste. Nichts war in Ordnung. Aber das würde Mag nie erfahren. Eine heile Welt als Illusion...sie würde umziehen und nie wieder von ihrer Freundin hören, weil sie nicht wollte, dass Mag ihre Sorgen tragen musste. Irgendwie war es ihr Recht. Zoe war noch nie ein Mensch von großen Abschiedsworten gewesen.

Ihr war es lieber ‚Bis bald’ zu sagen und dem Menschen die stille Hoffnung zu lassen, als ‚Auf Nimmerwiedersehen’ und damit die Hoffnung zu zerstören.

„Bis bald, Mag.“

Chevaliers de Sangreal - Jullien

Genervt saß Jullien auf der Wehrmauer der Burg, auf der er jetzt schon die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Der zehnjährige Junge war schon vor Jahren mit seiner Mutter Sefia, den beiden Assassinen Shareef und Arisha, dem Schwertmeister Ares und dessen Gefährtin Alecia aus dem heiligen Land nach Frankreich geflohen, um dem Tod zu entgehen. Kurz darauf hatte Alecia ihren Sohn Alessio zur Welt gebracht, was die Flucht erheblich schwieriger gemacht hatte.

Das alles war jetzt ziemlich lange her. Waren es inzwischen acht oder neun Jahre? Jullien wusste es nicht. Er wusste auch nicht, ob sie jemals in dieses Land zurückkehren würden, an das er so gut wie keine Erinnerungen hatte.

Er erinnerte sich daran, dass es sehr heiß gewesen war und er fast die ganze Zeit Durst gehabt hatte, aber das war auch alles.

Seine Mutter redete nicht gerne darüber, da sie mit diesem Land auch eine Menge unangenehmer Erinnerungen zurückgelassen hatte, die sie jetzt nicht wieder hervorholen wollte und Shareef - die nächste Person, an die Jullien sich gewendet hatte, da er inzwischen fast so etwas wie ein Vater für ihn war – tat Sefia den Gefallen und erzählte ebenfalls nichts.

Auch über seinen richtigen Vater hörte Jullien nie auch nur ein Wort. Das einzige was er wusste, war, dass Shareef nicht sein Vater war, wie er anfangs geglaubt hatte. Der Araber hatte ihn nicht anlügen wollen und es ihm deshalb erklärt.

Offensichtlich hatte sich Sefia nicht freiwillig mit Julliens Vater eingelassen, sondern war gezwungen worden. Shareef meinte auch, dass Julliens Vater nicht der Typ war, den er gerne kennen lernen würde und Jullien glaubte ihm.

Allerdings hatte das sein Verhältnis zu Shareef etwas geändert, denn es war nicht zu übersehen, dass er und seine Mutter ein Paar waren. Inzwischen spürte Jullien immer leichte Eifersucht in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, denn Shareef war weder sein Vater, noch war er mit Sefia verheiratet und trotzdem verbrachten die beiden soviel Zeit miteinander.

Noch unverständlicher war es für den Jungen, dass seine Mutter die Gefühle des Assassinen offensichtlich erwiderte, obwohl sie doch einen Sohn hatte. Dachte sie, Shareef könnte seinen Vater ersetzen, auch wenn er diesen nie kennen gelernt hatte?

Am meisten verwirrte es Jullien, dass er Shareef ja eigentlich mochte. Er mochte seine ruhige Art und die Tatsache, dass er immer ein aufmunterndes oder tröstendes Wort wusste. Aber Jullien wollte ihn nicht mögen. Nun, eigentlich schon, aber er dachte, er dürfe ihn nicht mögen, immerhin war er nicht sein Vater und trotzdem mit seiner Mutter zusammen.

Seine eigenen Gedankengänge irritierten Jullien. Betrübt stützte er den Kopf auf seinen Händen ab und blickte über den Horizont. Warum musste das alles auch so kompliziert sein? Wieso konnte nicht Shareef sein Vater sein? Dann wäre alles so viel einfacher.

„Warum ziehst du so ein langes Gesicht?“, fragte eine weibliche Stimme hinter ihm.

Jullien zuckte erschreckt zusammen und drehte sich um. Vor ihm stand Arisha, Shareefs Schwester. Sie war die Einzige, die mit ihm über das heilige Land redete, weil sie selbst es auch nicht vergessen wollte. Von ihr hatte er das Wissen, das er darüber besaß. Sie war es auch gewesen, die ihn beruhigt hatte, als er mit fünf Jahren geglaubt hatte, in seinem Zimmer würde ein Geist wohnen, indem sie ihm erklärt hatte, die europäischen Geister seien harmlos, verlorene Seelen, die irgendetwas nicht zuende gebracht hätten. Die orientalischen Geister seien viel rachsüchtiger und vor allem blutrünstiger.

Daraufhin hatte sie Jullien eine ganze Weile nach diesen Geistern und anderen Mythen gelöchert und war schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass Arisha selbst einer war –einer der guten Sorte, verstand sich- da sie die Angewohnheit hatte, sehr leise und plötzlich hinter einem aufzutauchen, meistens dann, wenn man am wenigsten mit ihr rechnete. So wie in dem Fall.

Jullien fiel auf, dass er noch immer nicht auf ihre Frage geantwortet hatte. „Ich habe nachgedacht.“, sagte er.

Die Assassinin ließ sich neben ihm nieder und sah ihn an. „Worüber?“ In diesem Punkt glich sie ihrem Bruder, sie konnte genauso gut mit Menschen umgehen. Zwar besaß sie nicht seine Verschwiegenheit, unerschütterliche Ruhe und Geduld, sondern war etwas hitziger, aber wenn man reden wollte, war sie eindeutig der bessere Ansprechpartner.

„Über meine Mutter und Shareef.“

„Aha. Ein völlig neues Thema.“

Jullien bemerkte die leise Ironie in ihrer Stimme durchaus, aber er störte sich nicht groß daran. Das war eine weitere ihrer Eigenschaften, ihr beißender Sarkasmus. „Ich kann doch ruhig öfter darüber nachdenken. Außerdem, was machst du eigentlich hier?“

„Dich holen.“, antwortete sie, ohne auf seine erste Bemerkung einzugehen. „Alessio sucht nach dir.“

Alessio, der Sohn von Alecia und Ares, war knapp ein Jahr jünger als Jullien, besaß ebenfalls Sangreal und schwierige Eltern. Die beiden verstanden sich normalerweise sehr gut, aber es war nicht zu ignorieren, dass Alessio adliger Abstammung war – er war ein Saintclair.

Sein Vater Ares war der Bruder der Herrin der Prieuré von Sion und deren Schwertmeister...oder war es zumindest gewesen, bis er zusammen mit Alecia, die auch eine Prieuré und verstoßen worden war, versucht hatte zu fliehen und dabei geschnappt wurde. Er hatte sich damit zum Verräter gemacht und war im Kerker der Prieuré gelandet, wieder gemeinsam mit Alecia.

Sefia, die damals schon die Todesstrafe erwartete, hatte versucht die beiden zu befreien, ebenso wie Arisha. Beide waren erwischt worden, konnten aber mit Ares und Alecia fliehen, begleitet von Shareef, der weder Arisha noch Sefia allein irgendwohin gehen lassen wollte.

Eine Zeit lang hatte zwischen Shareef und Ares ein angespanntes Verhältnis geherrscht, da der Assassine dem Europäer die Schuld an allem gab und jedes kleine Wort wurde als Beleidigung aufgefasst. Ein Glück, das Shareef nicht viel redete, denn Ares war das genaue Gegenteil des Arabers und mit der Hand schneller an der Waffe, als man „Sangreal“ sagen konnte.

Mit der Zeit hatte sich das jedoch gelegt und beide hatten eingesehen, dass sie auf die Hilfe des jeweils anderen angewiesen waren, wenn sie überleben wollten. Freundschaft konnte man das bis heute zwar immer noch nicht nennen, aber zumindest zeigten sie sich jetzt gegenseitig ihren Respekt. Meistens jedenfalls, denn manchmal musste Ares immer noch klarstellen, wer von ihnen das Sagen hatte, was Shareef aber gleichmütig hinnahm. Solange er mit seiner Schwester, Sefia und deren Sohn zusammenleben konnte, war er zufrieden und da störten ihn auch Ares’ kleine Sticheleien nicht.

Seufzend erhob sich Jullien und begab sich nach unten in den Hof. Ihm fiel auf, dass Arisha ihn und Alessio beobachtete, tat jedoch so, als bemerke er das nicht.

Es war eine allgemein bekannte Tatsache, dass Arisha ab und zu auf die beiden Jungen aufpasste, damit deren Eltern mal Zeit für sich hatten. Und da sie die einzige der Erwachsenen war, die keinen Partner hatte, hatte sie auch genug Zeit, auch wenn sie immer wieder betonte, sie besäße nicht die Nerven, auf zwei laute, chaotische Kinder zu achten.

Meistens fingen Alecia und Sefia dann an zu lachen, Ares gab einen abfälligen Laut von sich, Shareef lächelte milde und Arisha zog sich gespielt beleidigt zurück.

„Hey, Jullien!“, riss Alessio seinen Freund aus den Gedanken. Auch wenn er erst neun Jahre alt war, besaß er bereits ein perfektes Äußeres. Sämtliche Erwachsenen, die ihn sahen, meinten, sie hätten noch nie ein so hübsches Kind gesehen. Er hatte die schwarzen Haare und das makellose Gesicht seines Vaters und die eisblauen Augen seiner Mutter, die jetzt noch kindlich groß waren und ihn niedlich wirken ließen, zugleich aber auch über seine Intelligenz hinwegtäuschten, die für sein Alter schon sehr groß war.

Angeblich lag es am Sangreal, denn auch Jullien war seinem Alter weit voraus. Allerdings wurde er nicht ganz so bewundert, da seine Haut und seine Augen dunkler waren und Ausländer hier nicht so respektiert wurden.

Seine Mutter, Shareef und Arisha hatten lange dafür kämpfen müssen, bis sie nicht mehr schief von der Seite angesehen wurden und auch jetzt gab es noch Menschen, die die drei am liebsten tot oder zumindest in einem anderen Land gewusst hätten. Sefia hatte Jullien geraten, einen großen Bogen um diese Leute zu machen und der Junge hielt sich pflichtbewusst daran.

„Jullien!“, wiederholte sich Alessio, als keine Reaktion kam.

„Was ist los?“ Jullien war wesentlich ruhiger als Alessio, der eine Energie besaß, die scheinbar nie zuende ging, auch ein Erbe seines Vaters. Allerdings verlor er nicht so schnell die Fassung und schaffte es auch zu lächeln, ohne das einem dabei ein kalter Schauer über den Rücken lief.

Alessio erklärte ihm in Kurzfassung, dass er seinem Vater zwei seiner Dolche hatte abknöpfen können. Die beiden Jungen verband eine eigenartige Faszination von Waffen, sie konnten sich stundenlang darüber unterhalten. Ihr Gebettel, selbst kämpfen lernen zu dürfen, war aber abgelehnt worden.

Jullien beäugte die Dolche skeptisch. Ihm gefiel die Idee nicht, schon jetzt mit wirklichen Waffen zu kämpfen. Besser, wenn sie noch mit ihren Holzschwertern trainierten, die sie in mühevoller Kleinarbeit hergestellt hatten.

Alessio nickte zu diesem Vorschlag und legte die Dolche vorerst beiseite, um sich dann die Holzwaffen zu schnappen und damit auf seinen Freund loszugehen.

Von oben betrachtete Arisha amüsiert, wie sich die Jungen gegenseitig bekriegten, ohne dabei wirklich eine Technik oder Vorgehensweise zu haben, als Shareef hinter sie trat. „Immer noch keine Nachricht von Yasif oder Ashraf?“, wandte sie sich an ihren Bruder.

Er schüttelte den Kopf und betrachtete die beiden ‚Kämpfer’. An seinem Gesichtsausdruck erkannte Arisha, dass ihm die Waffenbegeisterung der zwei nicht gefiel.

„Es ist nur ein Spiel.“, sagte sie aufmunternd.

„Ja, aber wie lange noch?“ Shareef wandte den Blick ab und sah zu ihr. „Ab wann wird es Ernst?“

„Ich weiß es nicht.“ Arisha zuckte mit den Schultern. „Vielleicht nie, vielleicht bald. Keine Ahnung.“

„Sie sollten das Kämpfen nicht jetzt schon lernen.“, meinte er ernst. „Und du wirst es ihnen nicht beibringen, wenn sie dich darum beten.“

„Wie ihr wünscht, Sihdi.“, lachte Arisha und ignorierte seinen verärgerten Blick.

„Lass das, Arisha. Ich meine es ernst.“

Sie bemerkte an seinem Tonfall, dass es wirklich so war. „Gut. Ich werde sie nicht trainieren. Zufrieden?“

Shareef nickte. „Danke.“

„Keine Ursache, Bruderherz.“

Ein weiterer strafender Blick, aber nicht ganz so ernst wie zuvor. Shareef konnte es nicht leiden, wenn man ihn mit „Herr“ ansprach. Andere Namen waren zwar besser, aber ebenso unerwünscht.

Seine Schwester hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. Ich hör ja auf.“

Der Assassine stützte sich auf der Wehrmauer ab und sah wieder auf die beiden Kinder hinab. „Denkst du, wir hören noch was von Yasif und Ashraf?“, wechselte er das Thema.

Arisha folgte seinem Blick und schwieg eine Weile. „Nein.“, sagte sie schließlich. „Vielleicht sind sie tot. Und wenn nicht, kann es sie das Leben kosten, zu antworten.“

Shareef seufzte und wandte sich dann ab.

„Grüß Sefia von mir.“, rief Arisha ihm hinterher.

Er warf ihr einen undefinierbaren Blick über die Schulter zu. „Du siehst sie doch oft genug.“

Die Araberin zuckte mit den Schultern. „Trotzdem.“

„Meinetwegen.“ Mit diesen Worten verschwand Shareef und Arisha wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Jullien und Alessio zu, die den Holzschwertkampf aufgegeben und sich in den Schatten eines Baumes zurückgezogen hatten.

„Vater meint, wir können bald zurück, nach...äh...wo auch immer wir vorher waren.“, meinte Alessio zum Älteren. Er hatte Arabien nie kennen gelernt. „Dann treffe ich meine Tante Lucrezia!“, fügte er noch hinzu, allem Anschein nach ganz aufgeregt. Bis vor kurzem hatte er nicht einmal gewusst, dass er eine Tante hatte.

Auch Jullien freute sich. „Bleiben wir dann dort?“

Sein Freund zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Da muss ich Vater fragen. Aber ich denke nicht, dass wir dann noch woanders hingehen.“ Zumindest hoffte er das.

Leicht bedauernd sahen die beiden sich um. Sie hatten die Burg mit den umliegenden Ländereien und dem nahen Dorf zwar ins Herz geschlossen, gleichzeitig wollten sie aber auch, dass sich endlich etwas veränderte. Und die Aussicht auf die eise in ein nahezu fremdes Land war da genau das Richtige.

Eine Weile diskutierten sie, wie es dort wahrscheinlich werden würde und was anders sein würde als hier in Frankreich.

Natürlich mussten sie sich erst mal an die Temperaturen gewöhnen, aber ansonsten konnten sie sich nicht vorstellen, worin die Veränderungen liegen würden. Dass es welche geben würde, war ihnen aber klar.

Alessio lehnte sich zurück und verschränkte die Arme unter seinem Kopf. „Was denkst du, wie wird es?“

Jullien blickte erst zu ihm und dann zum Himmel, wo zwei Greifvögel ihre Kreise zogen. „Lassen wir es einfach auf uns zukommen.“

Family Conflicts - Yasif

Nächtliche Stille hatte sich über die Wüste gelegt und somit auch über die Burg der Assassinen. Die Kälte drang durch die Mauern und erreichte jeden, der nicht in seinem Bett lag.

Inmitten der Dunkelheit flackerte ein schwaches Licht, das von einer einzelnen Kerze ausging. Vor der Kerze kniete eine junge Frau, die inbrünstig betete. „Allah, nimm dich meiner an...“, kam es fast lautlos von ihren Lippen

Neben ihr stand ein kleiner Junge, vier oder fünf Jahre alt, der sie ratlos beobachtete. „Mama?“ Es klang hilflos.

Die Frau sah auf und blickte ihren Sohn mit sanften, warmen Augen an.

„Mama, was tun wir hier?“

„Wir warten...und beten.“ Sie nahm den Jungen in den Arm. „Allah wird uns helfen.“

Der Junge fröstelte und drückte sich enger an den vertrauten Körper seiner Mutter. „Wobei helfen, Mama?“

Das Gesicht seiner Mutter wurde traurig und sie strich ihm mit einer ihrer schlanken Hände eine Strähne aus der Stirn. „Ach, Yasif...du wirst es sehen.“ Große, dunkle Augen blickten sie verwirrt an, aber sie sagte nichts mehr dazu. „Allah wird uns helfen.“, wiederholte sie nur leise, als wollte sie sich selbst davon überzeugen.

Yasif spürte, dass seine Mutter sich fürchtete und diese Furcht übertrug sich auf ihn. Was war bloß los? Warum hatte seine Mutter ihn mitten in der Nacht hierher gebracht? Warum betete sie so verzweifelt? Er konnte auf all das keine Antwort finden.

Laute Schritte und Rufe rissen ihn aus den Gedanken. Unten an der Tür war eine hitzige Diskussion im Gange.

Yasifs Mutter erhob sich und blickte die Treppe hinunter, die den Turm mit dem großen Zimmer verband, in dem die Frauen untergebracht waren.

„Ihr könnt hier nicht hinein.“, empörte sich gerade Ireén, die älteste der Frauen.

Der angesprochene Assassine stieß sie einfach zur Seite und trat ein. Mit einem Blick erfasste er die Umgebung und stellte fest, dass die Gesuchte nicht da war. Wütend drehte er sich zu Ireén. „Wo ist Hasial?“

Ireén sah zu Boden. „ich weiß nicht, was ihr meint, Herr.“

„Tu nicht so.“ Die Stimme des Kriegers war nun so laut, dass jeder im Raum sie hören konnte, ebenso wie Yasif und seine Mutter Hasial oben im Turm. „Hier kann keiner fort ohne deine Einwilligung. Wo ist sie?“

Ireén schwieg beharrlich.

Der Zorn stand dem Araber ins Gesicht geschrieben. Er wandte sich an eine der jüngeren Frauen, fast noch ein Mädchen. „Wo ist sie?“, wiederholte er seine Frage.

„Die Frau mit dem Jungen, Herr?“, kam es eingeschüchtert zurück.

„Genau die.“

„Ich weiß es nicht, Herr.“

Natürlich wusste sie es, jede der Frauen hier wusste es. Der Mann sah sich noch einmal genauer um. Jede von ihnen mied seinen Blick, sah hierhin und dorthin, nur zu einer Stelle nicht. Dem Turm.

„Danke für die Auskunft.“, knurrte der Assassine und gab seinen Männern einen Wink ihm zu folgen. Im Raum herrschte ängstliches Schweigen.

Oben im Turm wich Hasial entsetzt an die Wand zurück und drückte Yasif schützend an sich. Mit bebenden Lippen wiederholte sie stumm ihr Gebet.

„Sieh mal einer an.“ Die erbarmungslosen Augen des Assassinen ruhten auf Hasial und ihrem Sohn. „Gib mir den Jungen.“, forderte er schroff.

Hasial schüttelte den Kopf und zog Yasif dichter an sich.

„Du sollst mir den Jungen geben!“

Die laute Stimme ließ Yasif zusammenzucken, gleichzeitig spürte er die Tränen seiner Mutter auf seiner Haut.

„Bitte, Kune...“, flüsterte sie. „Er ist auch dein Sohn.“

Verächtlich blickte Kune auf die beiden hinab. „Er ist eine Missgeburt und hat das Leben nicht verdient. Geh zur Seite.“ Sein Schwert glänzte bedrohlich, als er es zog.

„Nein!“ Hasial stellte sich so, dass Kunde den Jungen nicht erreichen konnte. „Bitte...“ Flehend sah sie ihn an. „Du kannst doch deinen Sohn nicht umbringen.“

„Für wen hältst du dich?“, brauste Kune auf, in seinem Gesicht war keinerlei Mitleid. „Ich tue, was immer ich will. Diese Schande von einem Sohn wird sterben und du mit ihm!“ Mit diesen Worten stieß er sein Schwert durch den Körper der jungen Frau. „Dachtest du ernsthaft, du würdest davonkommen?“, fragte er fast mild, als Hasial zu Boden sank.

Yasif stürzte zu seiner Mutter. „Mama!“ Verzweifelt rüttelte er an ihrer Schulter, ihr Blut klebte an seinen kleinen Händen. „Mama, wach doch auf.“ Tränen rannen seine Wangen hinunter und verschleierten seinen Blick. „Bitte.“

Der harte Schlag seines Vaters kam völlig unvorbereitet und traf ihn mitten ins Gesicht. „Ein Assassine weint nicht!“, herrschte Kune seinen Sohn an, der zurückgetaumelt war.

Yasif schluchzte leise, aber es kamen keine Tränen mehr. Unschlüssig sah er seinen Vater an. Er verstand nicht, warum Kune Hasial umgebracht hatte. Er verstand überhaupt nichts mehr.

Kune musterte den Jungen eindringlich. „Vielleicht ist es für eine Ausbildung noch nicht zu spät.“ Grob packte er Yasif an der Schulter. „Los, komm mit.“

Einen Moment lang wehrte Yasif sich, was ihm einen weiteren Schlag einhandelte. Dann folgte er seinem Vater widerwillig.

Als sie an Ireén vorbeikamen, bemerkte er ihren traurigen Blick. „Hilf mir.“, wollte er schreien. „Mach, dass sie aufhören. Mach, dass Mama wieder aufwacht.“ Doch er schwieg.

Soweit er sich erinnern konnte, war Ireén immer da gewesen, um ihm und seiner Mutter zur Seite zu stehen, aber irgendetwas sagte ihm, dass sie ihm jetzt nicht helfen konnte.

Kune sah Ireén ungerührt an. „Mach da oben sauber.“, befahl er, bevor er mit Yasif den Raum verließ und die schwere Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.
 

Yasif brachte sein Pferd kurz nach den beiden anderen zum Stehen. Er hatte die Gestalt bemerkt, die im Schatten an der Mauer lehnte.

Ashraf und Shareef tauschten bedeutungsvolle Blicke und wollten Yasif schon vorschlagen zu gehen, als die Gestalt ins Licht trat.

„Na, Yasif, mal wieder einen Auftrag versaut?“

Yasif zeigte keine Reaktion. Er stieg von seinem Pferd und nahm ihm den Sattel ab.

„Die Weichherzigkeit deiner Mutter scheint auf dich übergegangen zu sein.“, fuhr Kune fort. Er wollte Yasif dazu bringen, ihn anzugreifen. Seit er seinen Sohn damals in Ausbildung gegeben hatte, hatte er es bereut. Nicht, dass Yasif nicht gut war, trotzdem wuchs der Hass auf ihn mit jedem Tag. Er wollte Yasif in seinem eigenen Blut liegen sehen, so, wie es seine Mutter auch getan hatte. „Ich wusste schon immer, dass du ein miserabler Assassine sein würdest.“

Yasif wirbelte herum. „Warum hast du mich dann nicht einfach getötet?“, fauchte er gereizt, in seinen Augen stand purer Hass.

Kune schien amüsiert. „So wie Hasial? Ich hatte es ja eigentlich vor. Keine Ahnung, warum ich mich umentschieden habe, aber es war ein fehler.“ Er bemerkte Yasifs Blick. „Was ist, willst du sie rächen? Nur zu! Aber du solltest auch wissen, dass sie selbst Schuld ist. Sie hat ihr Todesurteil selbst gesprochen, als sie beschloss, dich zur Welt zu bringen. Sie war nicht die einzige Frau, die ich geschwängert habe, sie war nur die einzige, die so dumm war, das Kind zu behalten.“

„Du elender, verdammter...!“ Hätten Ashraf und Shareef ihn nicht festgehalten, hätte Yasif sich jetzt auf seinen Vater gestürzt. „Lasst mich los.“

„Vergiss es.“ Ashraf verstärkte seinen Griff. „Tu nichts, was du später bereust.“ Shareef warf ihm einen stummen Blick zu und Ashraf verbesserte sich. „Vielleicht wirst du es nicht bereuen, aber lass es trotzdem.“

„Hör auf deine Freunde, die denken wenigstens nach.“, spottete Kune gehässig.

Yasif, der sich soweit wieder unter Kontrolle hatte, befreite sich aus dem Griff der zwei Assassine. „Irgendwann...“, murmelte er.

Die warme Stimme seiner Mutter...ihre leisen Gebete...ihr Blut an seinen Händen...

Er wandte sich ab, um nicht erneut zu versuchen, seinen Vater anzugreifen und führte das Pferd in den Stall.

„Genauso feige wie der Rest der Bande.“, grinste Kune. „Ich kann nicht glauben, dass ich so einen Schwächling in die Welt gesetzt habe.“

„Das reicht.“ Die Beleidigungen über seinen Freund wurden Ashraf langsam zu viel. Er wollte sein Schwert ziehen, doch Shareef hielt ihn zurück.

„Er gehört Yasif. Nimm ihm nicht seine Möglichkeit auf Rache.“

Ashraf ließ die Hand sinken und fluchte. „Bei Allah, es wird mir schwer fallen.“, knurrte er, bevor er mit Shareef die beiden verbliebenen Reittiere in den Stall führte. „Was für ein Drecksack.“

Im Dunkeln des Stalls hatte Yasif seine Augen geschlossen und ordnete seine Gedanken. Noch konnte er seinen Vater nicht herausfordern, dass wusste er. Kune war stark und nicht umsonst Rashids Leibwache. Also würde Yasif eben trainieren müssen, bis er soweit war.

Er öffnete die Augen wieder und sah in die Dunkelheit. Für einen Augenblick fühlte er sich in die Nacht zurückversetzt, als er noch ein Junge gewesen war. Unwillkürlich ballte er seine Hand zur Faust. „Ich schwöre bei Allah, ich werde ihn töten...“

Look after you - Michel & Marilène

Perlende Klavierklänge schwebten durchs Haus, einzelne Töne, die sich auf eine melodische Weise zusammenfügten und die Zuhörer verzauberte. Wenn es denn welche gegeben hätte.

Denn außer dem dunkelhaarigen Jungen, der still in einer Ecke saß und die Klavierspielerin beobachtete, war niemand anwesend. Michel Travonts Gesicht war ernst, den Blick hatte er auf seine Schwester gerichtet. Seine Mutter beklagte sich häufig, dass er so selten lachte, während sein Vater die Ruhe des Jungen lobte.

Michel kümmerte sich nicht um das, was seine Eltern sagten. Um wen er sich kümmerte, das war Marilène, seine jüngere Schwester. Selbst auf die Entfernung wirkte sie etwas kränklich. Das dunkelbraune Haar hatte sie locker hochgesteckt, sodass einige Locken verspielt herabfielen. Konzentriert blickte sie auf die Tasten unter ihren Fingern. Ihre Haut schien durchsichtig, obwohl sie nicht wirklich blass war. Marilène hatte die feinen Glieder einer Glaspuppe, sie wirkte so zerbrechlich, dass alle Leute um sie herum ständig in Sorge waren.

Ihre Mutter war sogar soweit gegangen, dass sie das Mädchen inzwischen Privat unterrichten ließ, während Michel weiter normal zur Schule ging. Somit war der Vormittag die einzige Zeit, in der er seine Schwester nicht sah.

Marilène ließ die letzten Töne verklingen und ließ die Hände dann auf den Tasten liegen. „Was denkst du?“, fragte sie Michel, ohne sich nach ihm umzusehen. Sie hatte sich schon längst an seine schweigsame Anwesenheit gewöhnt.

“Ich denke, sie übertreiben.“, antwortete er. „Sie sollten mal etwas zurückschrauben.“

Das Mädchen nickte und griff nach einem Wasserglas, das auf dem Flügel stand. Sie steckte sich die glatte Pille, die daneben lag, in den Mund und schluckte sie mit etwas Wasser.

Michel beobachtete Prozedur, die er schon auswendig kannte. „Sie können dich ja nicht ewig einsperren.“

Marilène rutschte vom Klavierhocker. „Eben. Aber auf dich hören sie ja auch nicht.“, klagte sie.

“Sie hören auf niemanden.“, murmelte er. Das brachte ihre Stellung wohl mit sich.

Michels und Marilènes Eltern waren eher einflussreich als berühmt, brachten aber trotzdem eine gewisse Eitelkeit mit sich. Während ihre Mutter eine fröhliche Frau war, die fast nichts ernst nahm, besaß ihr Vater zwar Ernsthaftigkeit, machte aber gern zweitklassige Witze, über die niemand außer ihm lachte.

Geistesabwesend stellte Marilène an eines der großen Fenster. Leise murmelte sie ein einzelnes Wort, dass Michel erst nach kurzem Nachdenken verstand.

“Wahrscheinlich.“
 

Knapp sieben Jahre später schrillte in einer dunklen Wohnung ein Telefon. Ein übermüdeter Michel tastete nach dem Hörer und überlegte, ob er nicht einfach gleich wieder auflegen sollte.

“Michel Travont?“

Es konnte nur seine Mutter sein. Keiner sonst würde sich nicht die Mühe machen, erst mal zu erklären, wer sich am Ende der Leitung befand. „Marilène ist ausgezogen.“, erklärte sie ihm aufgeregt. Sie war schon immer viel zu besorgt um seine jüngere Schwester gewesen. Aber wenn er im Nachhinein darüber nachdachte, war diese Sorge durchaus berechtigt. Immerhin hatte sich Marilène innerhalb der letzten zwei Jahre drei Mal im Krankenhaus befunden.

Michel unterdrückte ein Gähnen. „Ich weiß. Musst du mich deshalb mitten in der Nacht anrufen?“

Seine Mutter schien sich zu verschlucken. „Du wusstest davon? Und hast sie nicht aufgehalten?“

Genervt verdrehte Michel die Augen, was sie zum Glück nicht sehen konnte. „Sie ist neunzehn.“, erklärte er lahm. „Bald zwanzig. Lass sie doch ausziehen, wenn sie will.“ Bei ihm hatte sie doch auch nicht so ein Theater gemacht.

“Aber stell dir vor, sie nimmt ihre Tabletten nicht mehr.“, jammerte seine Mutter. „Was, wenn sie sich dann irgendwas holt und wieder ins Krankenhaus muss und keiner merkt es? Was...“

“Ganz ruhig. Mari ist ein kluges Mädchen, sie weiß, was gut für sie ist.“ Den rebellischen Charakter ließ er hierbei mal weg. Zwar war Marilène, ebenso wie er, gut erzogen worden, allerdings hatte man ihr ihren Übermut nie ganz austreiben können. Irgendwann war sie zwar von selbst ruhiger geworden, allerdings gab es noch immer Anwandlungen an ihr früheres Wesen.

“Sieh doch bitte nach ihr. Auf uns hört sie nicht.“

Michel seufzte. Warum bloß musste er immer den Vermittler zwischen den Fronten spielen? Am liebsten hätte er abgelehnt, aber irgendetwas hinderte ihn daran. „Ist gut, ich geh sie besuchen.“ Er gab sich geschlagen. „Mach dir keine Sorgen.“

Bevor sie antworten konnte, legte er auf. Den Rest der Nacht verbrachte er mit wirren Träumen, in denen schwarze Vögel die Fensterscheiben im Zimmer einschlugen, die für ihre geringe Größe erstaunlich viel Glas enthielten.

Völlig gerädert und durch den vielen Kaffee mit viel zu viel Koffein im Blut setzte er sich am Morgen hinter das Lenkrad seines Kleinwagens. Wie auch Marilène, weigerte er sich, Geld von seinen Eltern anzunehmen. Zum einen nervte es ihn, wenn man ihm den Wohlstand ansah, zum anderen wollte er sich endlich von seinen Eltern lösen, die seiner Meinung nach viel zu sehr an ihren Kindern hingen.

Den Wagen parkte er vor der Adresse, die Marilène ihm bereits vor einer Woche gegeben hatte. Es war eine Mietwohnung, das hatte er nicht anders erwartet, weder wirklich groß, noch klein.

Die großen Fenster fielen ihm sofort auf, ihre Vorliebe für Licht war also geblieben. Als er klingelte, dauerte es nicht lange bis seine Schwester ihm aufmachte.

Sie hatte keine Besuch erwartet, er sah es sofort an ihren Haaren, die ihr locker über die Schultern fielen. Normalerweise steckte sie diese immer hoch, wenn sie jemand besuchte, das hatte sich in den letzten Jahren nicht geändert.

“Michel.“ Überrascht blickte sie ihn an.

Er lächelte schief. „Hallo, Schwesterherz. Kann ich reinkommen?“

Immer noch verwirrt trat sie zur Seite, um ihn hereinzulassen. „Was tust du hier?“

“Darf ich dich nicht einmal mehr besuchen?“, fragte Michel zurück.

Von einem Moment auf den anderen kam die Erkenntnis. „Ma schickt dich, nicht wahr?“

Michel war noch nie ein sonderlich guter Lügner gewesen, deshalb nickte er nur. „Du kennst sie ja. Sie macht sich ewig Sorgen, wegen nichts und wieder nichts. Davon mal abgesehen ist sie geschockt, dass du einfach ausgezogen ist. Aber vergiss sie mal einen Moment. Wie geht’s dir?“

“Gut.“ Es klang ehrlich, aber Marilène konnte sich schon immer besser verstellen als er.

Er blickte sich um und sah zu den weißen Gardinen, die das Licht durchs Fenster ließen.

“Hübsch.“, stellte er fest. „Aber kein Klavier?“

“Ich spiele nicht mehr.“, gab sie trocken zurück.

Erstaunt warf er ihr einen Blick zu. Es war das Letzte, was er erwartet hätte, doch sie zuckte nur mit den Schultern.

“Wie bezahlst du das eigentlich alles?“, wollte er wissen.

“Ich arbeite. Ich verdiene zwar nicht viel, aber es reicht.“ Ihr Blick sagte etwas anderes. Er sagte Michel, warum sie nicht gewollt hatte, dass er jetzt hier auftauchte.

“Du brauchst Geld.“

“Nein.“

“Doch, brauchst du.“

Ihr Gesichtsausdruck verriet Michel, dass er recht hatte. „Ich kann nicht immer arbeiten gehen.“, gab sie zu. „Du weißt schon, Krankheiten und das alles.“

Er erinnerte sich an Tage, als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Damals hatte sie gesagt, Gott müsse sie hassen, weil er sie so oft krank werden ließ. Inzwischen wusste sie es besser, aber anscheinend hatte sie sich immer noch nicht damit abgefunden.

“Ich kann verstehen, wenn du unsere Eltern nicht darum bittest.“, sagte er lächelnd. „Aber du kannst nichts dafür. Und du weißt, dass du mich immer fragen kannst.“

“Ich will dich aber nicht bitten.“, erwiderte sie trotzig. „Immerhin bin ich ausgezogen, weil ich für mich selbst sorgen will.“

Michel schüttelte nur schweigend den Kopf. „Da kannst du machen, was du willst Schwester. Ab jetzt hast du mich am Hals.“

Eine Weile blickte Marilène ihn an, dann resignierte sie. „Wahrscheinlich.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von: abgemeldet
2007-09-10T16:36:38+00:00 10.09.2007 18:36
mal wieder verdammt traurig aber ich finde auch zum Schluss hat sie was, was positives nicht gerade aber was.. ich kann es nicht in Worte fassen
Von:  Ea
2007-09-10T09:04:21+00:00 10.09.2007 11:04
armer yasif, der hat bestimmt ein trauma davon gekriegt :(
dieser blöde vater soll endlich sterben òó
warum haben ashraf und shareef yasif aufgehalten?
Von:  Ea
2007-08-19T16:32:28+00:00 19.08.2007 18:32
mein armer jullien, ich finde er sollte shareef mögen :)
sehr schlne story, gefällt mir richtig gut :)
Von: abgemeldet
2007-08-19T10:27:45+00:00 19.08.2007 12:27
Sehr schön geschrieben und es gefällt mir von der story auch sehr
Von:  Ea
2007-06-20T06:40:53+00:00 20.06.2007 08:40
zoe ist krank?
oh je die arme qq
Von: abgemeldet
2007-06-18T20:36:47+00:00 18.06.2007 22:36
Schön geschrieben
^^
Von:  Ea
2007-06-10T08:19:54+00:00 10.06.2007 10:19
jetzt weiß ich immer noch nicht, wie jaque zur devina gekommen ist --"
und selen war echt verheiratet? mit so vielen geburten? wow oO
warum hat sie eigentlich immer fieber bekommen?
und wo ist ihr sohn geblieben?
Von: abgemeldet
2007-06-08T13:27:23+00:00 08.06.2007 15:27
Ich hoffe es geht noch weiter.
Wird es?
Bin ich die richtige oder werd ich auch rausgeschmiesen?
XD
oh man Alecia hat trotzdem ne anfall bei der zeile bekommen
Von: abgemeldet
2007-04-10T12:51:55+00:00 10.04.2007 14:51
Sehr schön geschrieben^^
und wieder ne Robert
Von: abgemeldet
2007-03-27T21:22:22+00:00 27.03.2007 23:22
Super toll FF
^^
Gefällt mir voll gut auch wenn die sehr traurig ist und mir ein paar tränen kostete aber sie hatte recht das jaque die richtige findest
*knuddel*


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