Gotta heal 'em all! von ougonbeatrice ================================================================================ Kapitel 1: Blüten, Holz und Zinn -------------------------------- Seltsame Träume war ich gewöhnt. Öfter, als ich mich erinnern könnte, wurde mir die Lächerlichkeit der imaginären Situationen bewusst, die ich nachts durchlebte. Das waren meine liebsten Träume. In diesen Momenten bekam man Macht über das eigene Unterbewusstsein und für die Dauer einer Nacht war alles möglich. Mein Bewusstsein sagte mir in diesem Moment jedoch, dass es absolut ausgeschlossen war, Gerüche wahrzunehmen. Zumindest nicht in dieser Intensität. Und der Geruch nach Holz war beinahe überwältigend. Glockenhelles Lachen ließ mich hochschrecken. Mein Fenster war für gewöhnlich die ganze Nacht geöffnet, weshalb ich mit einem Vogel in meinem Zimmer rechnete. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sich so ein Vieh in mein Zimmer verirrte. Doch vor mir sah ich nicht meinen Kleiderschrank, den ich erwartete als Erstes zu sehen. Dutzende, wenn nicht sogar hundert Menschen in bunten Klamotten standen wenige Meter vor mir, völlig stumm und starrten mich an. Wieder hörte ich den Klang einer Glocke und mein Blick schweifte automatisch in dessen Richtung. Wenige Zentimeter vor meinem Gesicht schwebte ein pinkes Etwas mit riesigen blauen Augen, die mich fixierten. Viel zu nah, als das ich mir ein gutes Gesamtbild von dem Wesen hätte machen können. Ich selbst sagte mir, dass ich definitiv träumen musste. Wieder eine dieser lächerlich verrückten Einbildungen. Mein Gehirn sagte mir jedoch, dass ich in einer Einbildung die Bäume nicht hätte riechen können oder die frische Brise auf meinen nackten Beinen hätte spüren können. Das Wesen kniff seine unnatürlichen Augen zusammen, lachte ein letztes Mal und verschwand mit einem Zwinkern. Es war das Geräusch seines Lachens, dass mich das Herz in tiefere Regionen hat rutschen lassen. Das Ding gerade hatte sich angehört wie ... nein. Weiter kam ich nicht mit meinen Gedanken, da brach um mich herum die Hölle aus. Noch immer unschlüssig, was hier eigentlich passierte, bewegte ich mich nicht vom Fleck, auch wenn es ein unbequemer Backsteinboden war. Die Menge, egal ob jung oder alt, sprang in die Höhe und verbeugte sich schließlich. Doch nicht vor mir? Die Szene hatte etwas von einer japanischen Feier an sich. Unangenehm war sie alle mal, weshalb ich verstört etwas nach hinten lehnte. Meine Gedanken rasten, aber ich konnte die Gesamtsituation einfach nicht beurteilen. Sollte ich vielleicht doch rennen? Schnell überblickte ich meine Umgebung. Sehr unscharf. Natürlich, meine Brille ist neben meinem Bett. Betonung liegt auf 'neben'. Was ich erkannte waren Bäume, Bäume überall. Soviel zum Thema wegrennen. Hinter mir war eine Sackgasse in Form einer...Pagode? "Ruhe! Das Legendäre hat unsere Bitte erhört!", rief ein alter Mann. Zumindest dachte ich, dass es ein alter Mann war auf Grund seines Ganges, doch die Menge ließ sich nicht von ihm beruhigen. Er wendete sich mir zu, was mir gar nicht gefiel und ging auf mich zu. Mit jedem weiteren Schritt erkannte ich sein faltiges Gesicht besser. Der Blick, mit dem er mich anschaute, war verlangend, neugierig, aber auch flehend. Rennen ist vielleicht doch nicht so blöd! Mit einem Ruck zog ich mich hoch und rannte Richtung Wald. Die Menge verschloss mir jedoch schneller den Weg, als es mir lieb war. Kinder liefen auf mich zu und wollten mir ihre Hand geben. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Was wollen die von mir? Ich spürte eine Hand an meinem Rücken und hüpfte vor Schreck zur Seite. Der alte Mann stand vor mir und deutete auf die Pagode. "Hab' keine Angst. Dort drinnen wirst du zur Ruhe kommen." Noch immer lag etwas Flehendes in seinem Blick, aber seine Ausstrahlung hatte etwas Tröstliches. Der Wunsch, endlich von der Straße und von all den Menschen weg zu kommen, war größer, weshalb ich mich von ihm hinein in die Pagode leiten ließ. Kaum hatte sich die Tür hinter mir geschlossen, kehrte angenehme Ruhe ein. Auch hier herrschte der Geruch nach süßem Holz vor. Das Holz unter meinen nackten Füßen fühlte sich glatt an, perfekt um darauf zu laufen. So etwas hatte ich schon einmal gespürt, als ich einen Tempel in Kyoto besucht hatte. Der Boden war über Jahrhunderte von Füßen glatt poliert worden und heutzutage hatte man das Gefühl, als liefe man auf Wolken. Die Pagode selbst war gebaut, wie man sich eine Pagode vorstellte; in der Mitte befand sich der Meter dicke Herzpfeiler, der durch die Decke verschwand und irgendwo mehrere Meter über uns in einer Spitze endete. Der restliche Raum war völlig frei von Mobiliar. Nur die Wände waren herrlich verziert. Es schien, als wären falsche Fenster angebracht worden, durch die es unmöglich war, das Innere zu erkennen, aber durch die Licht eindringen konnte. Ein Gitter aus dünnen Holzbalken schützte die halb transparenten Bereiche. Als Kunstliebhaberin zog es mich näher an die Fenster, wobei ich mit jedem Schritt meine Zehen an den Boden schmiegte. Als ich direkt vor dem Gitter stand sah ich, dass es sich nicht um ein zufälliges Muster handelte. Die Balken formten ein Bild. Jedes Fenster wurde von zwei Vögeln flankiert, die sich gegenüber saßen. Fast sahen sie aus, wie Pfaue. Solche Darstellungen waren mir gut bekannt. Während meines Kunststudiums hatte ich oft solche Darstellungen eines Phönix gesehen. Er war ein beliebtes Motiv in der asiatischen Welt. Ihre Flammen, aus denen der Vogel zu bestehen schien, wurden von winzigen Schnitzereien im Holz dargestellt, was ich erst bei näherem Betrachten erkannte. Wirklich eine schöne Arbeit. "Dieser Turm ist Ho-Oh geweiht. Deshalb finden sich hier überall Abbildungen." Der Alte stand lächelnd neben mir. Er musste mich beobachtet haben, wie ich das Fenster untersuchte. Seine Worte hallten in meinem Kopf. Dieser Turm ist Ho-Oh geweiht. Im selben Moment erinnerte ich mich an den Glockenklang von eben. Da hatte ich bereits das Gefühl gehabt, dass....nein. Und doch dieser Turm... Mein Herzschlag verdoppelte sich und ich musste mich räuspern. "Dieser Turm... Damit meinen Sie den Zinnturm?" In meinen Ohren hörte sich meine Stimme völlig falsch an. Der alte Mann schenkte mir ein warmes lächeln. "Oh! Wie erfreulich, dass Sie von unserem Turm gehört haben." Scheinbar hatte er unentschieden und sprach mich nun höflich an, er hatte mich doch gerade noch geduzt. "Der Zinnturm ist unser ganzer Stolz", sagte er mit einem weit ausholenden Schwenker seiner Hand. Plötzlich hatte ich das Gefühl mich setzten zu müssen. Das ist doch wohl ein Scherz?! Ich griff mir an die Brust und konzentrierte mich auf meine Atmung. Das Lächeln des alten Mannes verschwand und er berührte mich besorgt am Arm. Durch das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren hörte ich nicht mehr, was er sagte. Zinnturm! Ja, der ist Ho-Oh geweiht. Mein bisher Erlebtes zog vor meinen Augen vorbei. Dieses pinke Etwas mit den blauen Augen, sein Lachen und dieser Turm... Mit einem Mal hörte ich, wie jemand hysterisch lachte. Machte sich der Opa etwa lustig? Ich schaute ihm in die Augen, doch er stand noch immer neben mir mit völlig ernster Miene. Da wurde mir klar, dass ich diejenige war, die hysterisch lachte. Ich versuchte aufzuhören, doch ich konnte einfach nicht. Die Situation war einfach zu lächerlich. Ich stand hier, in meinen kurzen Schlafhosen, Schlabbershirt und barfüßig mitten im Zinnturm und ein weise aussehender, alter Mann erzählte mir stolz von Ho-Oh, einem verdammten - ich konnte das Wort nicht aussprechen, ohne dass es absurd klang - Pokemon. Über eine solche Situation konnte man nur lachen, wenn man nicht verzweifeln wollte. Als Kind hatte ich mir immer vorgestellt, ein eigenes Pokemonteam zu besitzen. Hatte den Traum vom besten Freund, der mit mir durch dick und dünn geht, so versprachen es die Werbefilme und Serien. Doch da war ich 13 Jahre alt. 10 Jahre später hatte auch mich die Realität eingeholt und der Wunsch nach eigenen Pokemon wanderte immer tiefer hinein in meinen Erinnerungen. Bis es schließlich nur das war: eine schöne Erinnerung. Doch dieser Zinnturm war real. Das Holz war echt und der Geruch brannte sich bereits in meine Nase ein. Ich war dem alten Mann dankbar, dass er mit ein paar Momente gegeben hatte, um mich zu fangen. Scheinbar war auch ihm bewusst, wie fremd die Situation für mich sein musste, was er respektierte. Ich nickte ihm zu und wartete darauf, etwas von ihm zu erfahren. Mittlerweile wurde mir klar, dass ich nicht nur zufällig hier war und dass dieser Mann, wenn auch passiv, eine Rolle in meiner Ankunft gespielt haben musste. Die Menge schien auf mich gewartet zu haben und war schließlich außer sich vor Freude gewesen, als ich endlich vor ihnen erschienen war. Dafür musste es einen Grund geben. Ich konnte mir schlimmeres vorstellen, als hier in Johto zu landen. Immerhin kannte ich Kanto und auch diese Gegend, wie meine Westentasche. Der Zinnturm befand sich schon immer in Teak City. Es beruhigte ein wenig zumindest den genauen Ort zu wissen, wo ich mich gerade aufhielt. Wobei "genau" hier ebenso vage war eindeutig. Wo genau WAR Teak City? Wenn man von dem Pixel absah, der in meinem alten Gameboy die Stadt angezeigt hatte. "Im Namen der Einwohner von Teak City heiße ich Sie in unserer Stadt willkommen", begann er. Er hatte sich beim Sprechen ein wenig entfernt und verbeugte sich nun tief vor mir. Unschlüssig, wie ich reagieren sollte, erwiderte ich die Verbeugung, wobei seine bei weitem besser ausgeführt gewesen war, als meine. "Mein Name ist Tahmoh. Ich bin der Hohepriester der Stadt und Behüter der Geheimnisse des Zinnturms. Mit welchem Namen darf ich Sie anreden?", gestikulierte er und beendete seine Ausführung mit einer weiteren Verbeugung. Hohepriester? Das erklärte die Federn. Sein Gewand bestand aus allen Farben des Regenbogens und schien grob zusammengestrickt worden zu sein. An seinen Ärmeln hatte man Federn befestigt. Vermutlich war seine bunte Erscheinung dem legendären Vogel Ho-Oh nachempfunden. "Sie müssen nicht so förmlich sein". Mir war nicht wohl dabei gewesen zuzusehen, wie sich ein älterer Mann derart respektvoll vor mir verbeugte. Was sah er nur in mir? "Ich bin Mimi." "Ich bin geehrt, dich kennen lernen zu dürfen", sagte er mir zunickend. Wenigstens hatte er sich nicht wieder bis zum Boden verneigt. "Priester Tahmoh, bei allem Respekt, aber was soll ich hier? In einem Moment bin ich zu Hause und im nächsten liege ich zu Füßen des Zinnturmes." Hoffentlich klang ich nicht verzweifelt. Mit Ruhe würde ich mehr erreichen, als mit Panik. Tahmoh hob fragend die Augenbrauen. "Nun, das hatte ich nicht erwartet. Ich entschuldige mich, falls ich Unannehmlichkeiten bereitet haben sollte." Unannehmlichkeiten? Das ist etwas untertrieben, Opa. "Ich habe eine Zeremonie durchgeführt, während der ich um Hilfe bei den Legendären gebeten habe. Das legändere Mew hat mich und die Gebete des Dorfes schließlich erhört und uns dich gebracht." Das klang gar nicht gut. War ich also diesmal das nicht mehr ganz kindliche 11jährige Gör, das die Welt im Alleingang gegen wütende Monster verteidigen sollte? Hatte man hier noch immer nicht gelernt nicht jedes Problem auf einen Außenstehenden abzuwälzen? Na, vielen Dank auch. "Es hätte mich wenigstens fragen können", murmelte ich vor mich hin. Ausgerechnet der kleine, pinke Flauschball Mew war der Übeltäter gewesen sein. Jedes Spiel, jede meiner Editionen musste ein Mew besitzen. Seit ich in der gelben Edition vergeblich versucht hatte, auf legalem Weg an das Legendäre zu kommen, auch gerne mit allerlei Cheatmodulen. Ja, ich gehörte zu der Gruppe Cheater. Aber ich hatte ja nie an Turnieren oder öffentlichen Kämpfen teilgenommen, da konnte es mir egal sein, woher meine Pokemon kamen. Zu hören, dass nun genau DIESES Pokemon, welches ich mir in der Vergangenheit im Hunderterpack ercheatet hatte, für mein Schlamassel verantwortlich war, grenzte an Ironie. In gewisser Weise hatte Mew selbst einen Cheat ausgeführt, um mich in seine Welt zu transportieren, auf Bitten dieses Mannes vor mir. Plötzlich klang das Lachen des kleinen Mews nicht mehr fröhlich, sondern nur noch spottend in meinen Ohren. Demonstrativ stemmte ich die Arme in die Hüften. "Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Ich habe keine Ahnung, was Sie von mir wollen. Oder warum Mew ausgerechnet MICH vor ihre Füße gedroppt hat." Ein tiefer Seufzer entwich seinem Innersten. Es schien, als läge eine schwere Last auf seinen Schultern. Seit langer Zeit. "Das Legendäre hat dich aus einem Grund ausgewählt. Wenn du mir folgen würdest zeige ich dir, weshalb wir uns an die Legendären gewandt haben." Er deutete auf eine Treppe hinter dem Herzpfeiler, die nach oben führte. Nickend bat ich ihn vorzugehen und den Weg zu weisen. Als ich ihn seufzen gesehen hatte, empfand ich Mitleid mit dem Mann. Ich bezweifelte, dass ich ihm oder irgendwem helfen könnte, schließlich kam ich ja noch nicht einmal aus ihrer Welt. Aber ich konnte ihm wenigstens aus Respekt die Zeit geben, sich zu erklären und mir zu zeigen, was der Grund meiner, nennen wir es, Entführung gewesen war. Ich versuchte dicht hinter dem Hohepriester zu bleiben, da ich immer noch durch meine schlechte Sicht mehr als eingeschränkt war. Jetzt habe ich eben Mew gesehen und wusste noch nicht mal, dass es eins war. Da fühlt man sich ja so dämlich wie- "AH! VERDAMMT", schrie ich. Vor der Treppe befand sich eine kleine extra Stufe, die ich nicht gesehen hatte. Noch immer hatte ich meinen Gang dicht über dem Holzboden gehalten, um die Oberfläche des Untergrundes so lange wie möglich zu spüren. Dadurch hatten meine nackten Zehen unangenehme Bekanntschaft mit der Kante der Stufe gemacht. Die Tränen steigen mir in die Augen, während ich verzweifelt an meinen Zehen rieb. Hohepriester Tahmoh war sofort zurück geeilt und sah mich nun besorgt an, wie ich vor Schmerz die Zähne zusammenbiss. "Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Retter nicht umtauschen wollen?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)