The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Prolog: Der Niederlage schmerzende Fessel ----------------------------------------- Schmach. Tiefschwarze Schande. Demütigung, sengend wie Feuer, zehrend wie ein Eissturm und unersättlich nagend wie ein Parasit. Schlimmer als der gnadenlose Kampf um Macht konnte nur der Fall danach sein - unerbittlich, hart und schmerzend. Und seine Wunden musste nun der Wolf allein in seinem Käfig lecken, da er sich gegen sein Rudel gestellt hatte. Vor einiger Zeit noch war er voller Zuversicht gewesen, sich das erobern zu können, was ihm sein Leben lang schon zustand; er hatte den Verheißungen der Chitauri nur zu begehrlich gelauscht und ihren Worten geglaubt, immerhin hatten sie genau jene Seite in ihm angesprochen, die verletzt und verzweifelt war, gierig nach Wiedergutmachung. Anerkennung. Macht. All das hätte ihm gehören können. Eine Herde kniender Sklaven, die zu ihm aufsahen und ihm huldigten; die einzig wahre Art einem Gott wie ihm zu dienen. Er hätte es seinem Vater zeigen können. Und seinem Bruder. Er hätte es ihnen allen gezeigt; hätte bewiesen, dass er weder schwach noch minderwertig war, obwohl durch seine Adern nicht das Blut der Asen floss. Er war es wert zu herrschen. Es war sein Geburtsrecht. Es war die einzige Entschädigung für all die Zurückweisung; für diesen Schatten seines Bruders, in welchem er all die Jahre über dämmern und leben musste. Egal, was er auch getan hätte, es wäre doch nie genug gewesen; niemals genug, um neben Thor bestehen zu können und schlussendlich den Thron Asgards zu besteigen. Nein…dieser Thron war niemals für den Spross eines Eisriesen bestimmt gewesen. Egal wie viel er lernte, wie gewissenhaft er studierte oder sich geschickt im Umgang mit Magie, Wort und Schrift zeigte - niemals wäre das Recht zu herrschen das seine gewesen. Und dabei wäre er doch ein wahrlich besserer König als sein hohlstämmiger Bruder gewesen; er besaß mehr Verstand, mehr Geist, mehr Klasse. Wo sich Thor zumeist nur auf seine Muskeln und seinen verfluchten Hammer verließ, besaß er selbst doch die Gabe, seinen Kopf zu gebrauchen - und nicht nur, um mit jenem voreilig durch die nächste Wand zu stürmen. Warum nur hatte der Allvater das nie gesehen? Warum hatte er nie das Potenzial seines zweiten Sohnes anerkannt? Diese Frage musste er sich doch eigentlich gar nicht stellen. Er kannte die Antwort darauf bereits. Weil Odin ihn nie geliebt hatte. Weil er nicht dessen Sohn war. Nicht sein Fleisch und Blut. Weil er ihn wahrscheinlich im Grunde seines Herzens verabscheute. Fürchtete. Hasste. Der Ledereinband des Buches in Lokis Händen gab ein protestierendes Ächzen von sich, da sich die schlanken Finger des Mannes fest in das vom Alter geschundene Material pressten. Die grünen Augen waren starr auf die Buchstaben auf dem bereits vergilbten Pergament gerichtet, ohne das jene die Bedeutung wirklich zu erfassen vermochten; die schwarzen Lettern verschwammen vor seinem Blick und tanzten wabernd aus seinem verengten Gesichtsfeld. Kurz war er versucht, seiner schwelenden Wut und Verzweiflung Raum zu geben und das Buch an die gegenüberliegende Glaswand seiner Zelle zu werfen, doch was hätte das schon gebracht - wohl nicht mehr als ein müdes Aufwallen der magischen Barriere; ein zartes Schimmern auf dem unzerstörbaren, mit magischen Fäden verstärkten Glas, fast ähnlich eines spöttischen Zwinkerns. Außerdem konnte er kaum riskieren eines der kostbaren Bücher zu beschädigen, die ihm hier in der Einsamkeit allein wie schweigsame Freunde waren. Das Lesen war zumeist die einzige Ablenkung, die es jetzt noch für ihn gab, wenn er der Enge seines Gefängnisses überdrüssig wurde und die Gedanken immer und immer wieder die gleichen, trägen Kreise zogen; sich enger um ihn schlossen und ihm den Atem nahmen, die Wände näher rücken ließen. Obwohl seine Zelle genügend Licht hereinließ, war der Verlust von Freiheit beengend und drückte ihm vermehrt wie eine tonnenschwere Last auf die Brust, unter welcher er oft zu ersticken schien. Nie verirrte sich jemand hier herunter zu ihm, um ihn zu besuchen. Außer der tonnenschweren goldenen und mit Sicherheit mehrfach verriegelten Tür des Raumes und einigen brennenden Fackeln gab es auch nichts zu sehen; nichts außer sich immer und immer wiederholenden steinernen Wänden, die jenen Raum einfassten, in welchem sich seine Zelle befand. Einmal am Tag öffnete sich die goldene Doppeltür, um einer Dienstmagd den Durchlass zu gewähren, die in Begleitung mehrerer schweigsamer Wachen und seiner Mahlzeit erschien. Die junge Frau hielt den Blick stets gesenkt, wenn sie die Stufen zu seiner Zelle herabschritt, um ihm das Essen zu bringen und sich nach seinen Wünschen zu erkundigen. Wahrscheinlich hatte das einfältige Mädchen Angst, dass er sie allein mit einem Blick verhexen oder töten würde. Wahrscheinlich hatte man ihr auch genau das erzählt. Ihm sollte das ganz recht sein; solange man ihn noch fürchtete konnte er zumindest sicher sein, dass seine Bemühungen nicht gänzlich für umsonst gewesen waren. Furcht konnte doch um einiges berauschender sein als bloße Demut. Anfangs hatte er sich noch den Spaß erlaubt, Wünsche zu äußern, die dem jungen Mädchen die Wangen brennen ließen oder ihr stattdessen jegliches Blut aus dem Gesicht geraubt hatten. Natürlich hatte man keinen davon erfüllt. Doch am Ende war selbst das nicht mehr befriedigend und er begnügte sich mit den einfachen Bitten nach neuen Büchern oder Pergamentrollen aus der Bibliothek. Eh der einzige Wunsch, den man ihm gewähren würde, so vermutete er. Natürlich gab man anbei noch besonders Acht darauf, dass seine Lektüre ungefährlich blieb und er nicht schlussendlich doch einen Weg fand, seinem Gefängnis zu entfliehen. So verweilten seine kostbaren Magiebücher außerhalb seiner Reichweite und er durfte sich mit leichter Kost begnügen; unterhaltsamen, aber kaum fordernden Geschichten, sodass sein Verstand oft in einem trägen Schwebezustand verharren musste, wenn er nicht auf der Suche nach Nahrung sich selbst zu verschlingen drohten sollte. Die Tage zogen sich träge dahin, jedes Korn in der Sanduhr der Zeit so lang wie Äonen. Dieses Nichtstun war müßig. Es war zermürbend. Es war Folter für einen wachen Geist wie den Lokis. Vielleicht bezweckte ja genau das der Allvater - dass er seinen Verstand verlor und als hirnlos sabbernder Fußabtreter in Zukunft neben der Palastwache vor den Toren Gladsheims angeleint sein Dasein fristen durfte. Ein ewiges Mahnmal und Warnung für all jene, die nach mehr streben wollten, als ihnen offenkundig zustand. Er konnte sich bereits die Gesichter seiner Familie vorstellen, die dann mitleidig auf ihn herabblicken würden. Seine Mutter Frigga, tränenfeuchte Augen und ein bedauernder Blick, neben ihr der Allvater, das Gesicht gemeißelt aus Stein wie immer, allein im verbliebenen Auge Enttäuschung glimmend und nicht zu vergessen sein Bruder - der göttliche, perfekte Thor - der wohl mit Genugtuung sein Mitleid heucheln würde. Doch besser wohl geheuchelt, als wenn es ehrlich wäre. Alles könnte er wohl ertragen…doch das Mitleid seines Bruders wäre zu viel. Mitleid brauchten nur die Schwachen. Doch nicht er. Nicht Loki. Erneut bekam das Buch in seinen Händen eine verführerische Schwere und die brodelnden Emotionen ließen ihn nun doch unkontrolliert handeln. Das Leder donnerte mit einem dumpfen Laut gegen die Glaswand, die daraufhin wie erwartet nur ein müdes Schimmern sehen ließ; Wellen gleich auf einem stillen See, in welchen man einen Stein warf. Das Buch fiel mit wehenden Seiten der Schwerkraft folgend zu Boden und riss in seinem Fall die Karaffe mit Wasser mit sich, die auf einem kleinen Beistelltisch stand. Scheppernd landete diese auf dem Boden und verteilte ihren Inhalt großzügig über die Glaswände der Zelle. Einen tiefen Atemzug schöpfend ließ sich Loki in seinem Sessel wieder zurücksinken, verschränkte die Finger zu einer Stütze, auf der er sein Kinn betten konnte und betrachtete so dieses winzige Fleckchen Chaos konzentriert, das er erzeugt hatte. Die herabperlenden Wassertropfen an der Glaswand hatten doch etwas unheimlich Beruhigendes, ebenso wie die kleine Pfütze, die sich langsam auf dem Steinboden ausbreitete und die ersten gierigen Finger nach dem herabgefallenen Buch greifen ließ. Wasser ließ sich nicht aufhalten. Es fand immer seinen Weg oder bahnte sich jenen stetig und ausdauernd. Genauso würde er sein. Unaufhaltsam. Nicht zu zähmen. Sie waren allesamt Schwachköpfe, wenn sie glaubten, dass diese Zelle ihn ewig aufhalten könnte. Allerdings hoffte er, dass man ihm neues Wasser gewähren würde, solange dieser beengende Raum eben noch seine Heimat war. Seine Kehle war doch plötzlich recht ausgedörrt. Ein bekannter, doch zu dieser Zeit unerwarteter Klang ließ ihn aufblicken. Die große, goldene Doppeltür schwang langsam mit dem typisch schabenden Geräusch auf und herein spazierte - oh welch unsägliche Freude - Thors persönliche Eskorte geistreicher Begleiter und Stiefelputzer. Blieb ihm hier denn auch gar nichts erspart? Grundsätzlich war er über jede Ablenkung dankbar, allerdings war er sich ziemlich sicher, dass er auf diese verzichten konnte. Ein resigniertes Seufzen konnte sich der schwarzhaarige Gott kaum verkneifen, allerdings hielt er sich gerade noch davon ab die Augen entnervt in die Höhe zu rollen. Betont gelangweilt sah er den vier Besuchern entgegen, die langsam die Stufen herabkamen und sich gemächlich umsahen. An der Spitze lief Fandral, ganz der aufgeblasene Trottel, wie man ihn kannte; nicht zum ersten Mal fragte sich Loki, wie der blonde Möchtegern-Schönling es schaffte, nicht über seine Stiefel zu stolpern, wenn er die Nase derart hoch in den Wolken trug. Wie Frauen so etwas anziehend finden konnten, war dem Magier ein völliges Rätsel. Wahrscheinlich besaßen einige Frauen grundsätzlich weniger Hirnwindungen, um dieses Gehabe überhaupt länger als einen Atemzug ertragen zu können. Glückliche Weiber… Hinter Fandral schritten Hogun und Volstagg die Treppen herab. Der bärtige Riese hielt wie immer etwas essbares in einer seiner Hände und kaute genüsslich an der saftigen Schweinekeule, während er in der anderen Hand einen Krug Met mit sich führte und abwechselnd von beidem ordentlich zu sich nahm. Mit Essen konnte man Volstagg gewiss auch zu einer Reise ohne Wiederkehr zu Hel überreden - Hauptsache, er bekam genug Proviant. Dagegen war Loki der eher schweigsame Hogun fast schon sympathisch. Immerhin sprach der kaum, wenn es nicht wirklich angebracht war und das ließ zumindest auf ein Maß an Intelligent hoffen. Als letztes trat Sif durch die Tür, bevor jene sich hinter der Kriegerin wieder schloss und Loki somit den Blick nach draußen verwehrte. Für einen Augenblick verspürte er tatsächlich so etwas wie Enttäuschung…aber wirklich nur für einen Augenblick, bevor jenes wage Gefühl in Wut umschlug. Er hatte doch wohl auch nicht wirklich geglaubt, dass Thor ihn hier besuchen würde. Oder der Allvater. Nein, die zwei saßen sicher gesellig beisammen bei einem rauschenden Fest und amüsierten sich über seine Niederlage. Zumindest Frigga hätte er erwartet, doch vielleicht hatte Odin seiner Frau schlicht untersagt, diesen Ort zu betreten. Stattdessen durfte sich Loki nun an der Gesellschaft von Thors Freunden laben. Er selbst besaß ja von dergleichen eher wenig, was beinahe untertrieben war. Die vier hatten ihn als „Sonderling“ schließlich auch nur akzeptiert, weil er nun einmal der Bruder Thors war - so unglaublich das in ihren Augen wohl auch gewesen sein musste. Sie mussten sich ja alle ziemlich gefreut haben, als offenbart wurde, dass Loki nicht Odins leiblicher Sohn war und es endlich eine Erklärung für dessen Andersartigkeit gab. Bestimmt war es unheimlich erleichternd einen Grund vorgesetzt zu bekommen, warum man jemanden all die Jahre einfach nie gemocht hatte. Sif hatte nun auch die letzten Stufen genommen und war hinter den Männern an Lokis Zelle angelangt. Sie war wohl die einzige aus diesem Haufen, der der Magier ein Fünkchen Anerkennung entgegen bringen konnte, immerhin war sie grundsätzlich gar nicht so anders als er selbst. Sie hatte sich gegen die Normen und Traditionen gestellt und sich aus der Rolle als Ehe- und Hausfrau gewunden, um eine ganz passable Kriegerin zu werden. Ja, ihr konnte Loki definitiv etwas abgewinnen. Zumindest ihrer Lage und dem Streben, das eigene Schicksal für sich umzuschreiben. Das kam ihm irgendwie bekannt vor. Allerdings saß er jetzt in dieser Zelle. Sie nicht. »Meine Freunde! Wie schön euch zu sehen.« begann Loki gespielt erfreut, während er sich in seinem Sessel entspannt zurücklehnte und die langen Beine elegant übereinander schlug. »Was verschafft mir denn die Ehre eures seltenen und doch so erquickenden Besuches?« Jeden der vier bedachte er mit einem breiten, aufgesetzten Lächeln, welches so falsch wirkte, dass selbst diese umnachteten Krieger das bemerken mussten. »Die Neugier, Loki. Die Neugier…« begann Fandral, der sich gelassen an die Glaswand der Zelle lehnte und Loki über die Schulter hinweg musterte, bevor der Blick des blonden Kriegers weiterglitt und das eher spärlich eingerichtete Gefängnis des Magiers in Augenschein nahm. »Wir wollten einmal schauen, wie du so deine schier grenzenlos neugewonnene Freizeit genießt. Mit ausreichend Lesestoff, wie ich sehe…« Fandral hatte das Buch auf dem Boden entdeckt, dessen Seiten sich bereits mit dem Wasser aus der herabgefallenen Karaffe vollgesogen hatten. »Kleiner Wutanfall, Loki?« Der Blonde konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, nachdem er sich gänzlich umgewandt hatte, um nun direkt in die Zelle zu spähen, die Hände an die Glaswand gestützt. Lokis Blick folgte dem von Fandral zu jenem Buch, bevor sein Lächeln noch breiter wurde und er dem Krieger in die Augen sah, noch immer gelassen, beinahe gelangweilt auf seinem Platz verweilend. »Aber nicht doch, mein Freund.« Loki genoss es, wie sich Fandrals Gesicht recht widerstrebend bei dieser vertrauensvollen Anrede verzog. »Ich übe mich nur weiterhin in der Kunst der Magie, immerhin sollte man sich stets verbessern und üben, um nicht einzurosten.« Die magische Druckwelle traf ohne Vorwarnung auf die Barriere der Zelle und ließ diese ein zartes Summen von sich geben, während sich schimmernde Wellen durch die magischen Fäden auf dem Glas bildeten, welches den plötzlichen Angriff des Magiers abfing. Fandral stolperte zurück und riss die Hände so rasch von dem Glas, als hätte er sich verbrannt. Das selbstgefällige Grinsen war aus seinem Gesicht gewichen und hatte Schrecken Platz gemacht, der sich sogleich in Empörung und Wut wandelte. Sif war sofort zu dem Krieger geeilt und untersuchte dessen Hände, die unversehrt schienen, bevor sie Loki einen finsteren Blick zuwarf. Hogun hatte beinahe sogleich alarmiert zu seinem Morgenstern gegriffen. Ohne das gelangweilt überhebliche Lächeln von den Lippen zu nehmen, breitete Loki die Arme aus und ließ ein Schnalzen der Zunge vernehmen. »Aber, aber, meine Freunde. Nicht gleich so grimmig. Das war doch nur ein kleiner Scherz. Ein Willkommensgeschenk quasi.« Volstagg trat nun an das Glas, allerdings hielt der nun einen gewissen Sicherheitsabstand, als würde er der Barriere schlussendlich doch nicht gänzlich trauen. Der bärtige Riese nahm die Zelle ebenfalls in Augenschein, während er immer noch an dem Fleisch in seiner Faust kaute und sich nicht die Mühe gab, seine Geringschätzung zu verbergen - weder in seiner Stimme, noch in seinem Blick. »Hübsch hast du es hier, Loki. Beinahe werde ich ganz neidisch auf dein lauschiges Reich. Empfängst du auch ausreichend Damenbesuch? Ist bestimmt ganz aufregend, wenn die Wachen durch die Wände zusehen können.« Volstagg brach in grollendes Gelächter aus. Loki stimmte für einen Augenblick mit einem humorlosen, knappen Lachen ein, bevor er seicht den Kopf schüttelte. »Im Gegensatz zu dir, Volstagg, benötige ich keine Zuschauer. Ich weiß auch ohne Applaus und Bewunderung meine Taten zu würdigen.« »Ach tatsächlich?! Da bedenke man doch die vielen Menschen auf Midgard, die deiner Zerstörung und deinem Wahnsinn zusehen mussten.« warf Hogun ein und erntete dafür von Loki einen giftigen Blick aus ebensolchen stechend grünen Augen. »Menschen sind schwach.« zischte Loki. »Würden sie ihrem Instinkt und der natürlichen Ordnung folgen, so gäbe es keinen anderen Platz als jenen kniend vor einem Gott. Sie wollen doch geführt und beherrscht werden. Sie wollen jemanden, den sie anbeten können.« »Ach, und gerade du hältst dich also für diesen anbetungswürdigen Gott?« Fandral prustete amüsiert los, verschluckte sich aber beinahe an seinem Lachen, als Lokis Kopf einer Schlange gleich bereit zum Angriff herumfuhr und der ihn fixierte. »Ich habe mehr Anrecht auf diesen Platz, als irgendjemand sonst.« spie der Magier förmlich aus. »Ich besitze Macht, von der ihr oder mein Bruder nur träumen könnt und wesentlich mehr Verstand als ihr alle zusammen.« Die grünen Augen Lokis hatten sich verengt und glommen in einem ungestümen Licht; er musterte jeden der vier Krieger nacheinander, während sich seine Lippen wieder zu einem süffisanten Grinsen verzogen. Die Arme hatte er nun auf die Lehnen des Sessels gebettet und sich so ein Stück weit nach vorn gelehnt, näher an das Glas heran. »Warum sollte ich also nicht herrschen?« »Weil du wahnsinnig bist, Loki.« meldete sich nun Sif zu Wort und trat näher an die Zelle heran. Ihre Stimme erklang ohne Herablassung oder Geringschätzung, sondern schlicht kühl und sachlich. Mit einem Hauch von Bedauern. Doch das mochte sich Loki vielleicht einbilden. »Du kannst nicht herrschen, weil du verrückt geworden bist. Einst war das anders, doch nun sind deine Ziele reiner Irrsinn, dein Wesen verdorben von Neid, Gier und Zorn, fehlgeleitet von den Chitauri. So jemand wie du darf nicht herrschen. Niemals.« Sif war vor dem Glas stehen geblieben und begegnete Lokis Blick unerschrocken und direkt. Der Magier fixierte die Kriegerin abschätzend, das Grinsen auf seinen Lippen war verblasst. »Du begreifst den Ernst der Lage noch immer nicht. Du wirst in dieser Zelle verrotten, Loki. Das ist dir hoffentlich bewusst. Das wird dein Grab, wenn du dich nicht wieder erinnerst, wer du einst warst. Wenn du nicht lernst, die Schwächeren zu behüten und Achtung vor allem Leben zu haben, denn das ist es, was Götter tun. Ich hoffe, du erkennst irgendwann, dass auch du geliebt wirst. Deine Familie will dich noch immer nicht aufgeben-« »Genug! Schweig still, Weib!« Eine erneute Energiewelle donnerte auf die Wand der Zelle und ließ jene magisch aufleuchten; Loki war aus seinem Sessel aufgesprungen, der Körper angespannt vor Zorn und Aufregung. Die Hände des Magiers klammerten sich um die Lehnen des Sessels, so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Sein Gesicht hatte sich zu einer Maske aus Wut verzerrt. »Ich bin der Gott der Lügen, also richte nicht dergleichen an mich, denn ich erkenne sie sofort.« Sif war erschrocken zurückgewichen, während Fandral und Hogun sogleich schützend neben sie getreten waren. »Wenn du dich da mal nicht irrst…« wisperte die Kriegerin mehr zu sich selbst, bevor sie sich resigniert umwandte und mit wehendem Umhang die Treppe hinaufstieg. »Kommt, das ist Zeitverschwendung hier…« rief sie ihren Begleitern zu. Ihre Faust schlug gegen die Tür, woraufhin sich diese wieder öffnete. Ohne einen Blick zurück war sie verschwunden. Loki sah ihr noch einen Moment nach, dann fuhr er sich mit einer Hand durch sein schwarzes, deutlich länger gewordenes Haar und gab ein knappes, leicht unsicheres Lachen von sich, während sich seine Züge wieder entspannten und er die verbliebenen Krieger mit altbekanntem Grinsen ins Auge fasste. »Frauen. Sie reden einfach zu viel.« erklärte er den Männer, ohne Zustimmung zu erwarten, bevor er sich wieder betont gelassen in seinen Sessel zurücksinken ließ, als wäre nichts gewesen. Hogun bedachte ihn mit einem langen Blick, bevor er sich ebenfalls abwand und schweigend hinter Sif hereilte. Volstagg verdrückte eben den letzten Bissen seines Bratens und gab ein langes Rülpsen von sich, dann hob er den Metbecher Loki entgegen. »Nun, schönen Abend noch, Prinz der Lügen. Ich muss zurück auf das Fest. Dort wartet noch ein halbes Schwein auf mich.« Mit grollendem Lachen verschwand der bärtige Krieger ebenso. Auch Fandral wand sich nun zum Gehen, doch er hielt kurz inne und verbeugte sich spöttisch vor dem Magier hinter der Glaswand. »Ihr entschuldigt, Eure Hoheit. Eure Lügenhaftigkeit. Doch auf mich wartet man ebenso und Frauen soll man bekanntlich nicht warten lassen.« Er richtete sich selbstgefällig grinsend wieder auf und erntete von Loki ein giftiges Zischen. »Grämt Euch nicht, Majestät. Die Feierlichkeiten hätten Euch eh nicht gefallen, ist der Anlass doch Eure Niederlage.« Hinter dem blonden Krieger fiel die schwere Tür mit einem dumpfen, endgültig scheinenden Laut ins Schloss und ließ Loki wieder allein mit sich und seinen Gedanken. Lange noch starrte der Magier auf die geschlossenen Türflügel und unterdrückte die aufwallenden Gefühle, für die der unerwartete Besuch wie dürres Holz für ein ersterbendes Feuer gewesen war; gierig leckten die Flammenzungen an der neuen Nahrung und breiteten sich rasend schnell aus. Unruhig stand Loki wieder aus seinem Sessel auf, durchquerte die Zelle mit wenigen Schritten, um die herabgefallene Wasserkaraffe vom Boden aufzuheben. Mit ein wenig Glück wäre noch etwas Flüssigkeit darin… Ein paar einsam verbliebene Tropfen fielen in seinen Becher. Oben in Gladsheim trank man sicher gerade den köstlichsten Wein, den besten Met, das stärkste Bier. Wahrscheinlich hob Thor gerade mit seinen Freunden die Becher und trank auf Lokis Gefangenschaft, gütig und zufrieden dabei belächelt vom Allvater. Der Wasserbecher landete wie zuvor das Buch an der magischen Barriere der Zelle, bevor jene unter der Wut des Magiers erzitterte, als eine Energiewoge nach der anderen auf das Glas donnerte und jenes sirren und unruhig flackern ließ; ein heftiges Entladen von Magie auf Magie, ein tobender Sturm aus Macht und Emotionen, in dessen Zentrum Loki den Kopf in den Nacken warf und seine zornige Verzweiflung hinausbrüllte. Kapitel 1: Eine einmalige Chance -------------------------------- Ungefähr zwei Jahre später... »Frigga…Frigga…« Ein seichtes Säuseln, gleich einem Windhauch, der durch raschelndes Astwerk fuhr. Irgendjemand wisperte da ihren Namen. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie diese gesichtslose Stimme zaghaft wahr, welche in ihren Schlaf drang und sanft um Aufmerksamkeit buhlte. »Frigga…« Langsam öffnete sie die Augen und blinzelte in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers. Die Vorhänge des Balkons blähten sich im milden Nachtwind und ließen silbernes Mondlicht in den Raum fluten. Neben ihr lag Odin in den tiefsten Träumen; sein Atem war gleichmäßig und ruhig zu vernehmen. »Frigga…« Die unbekannte Stimme hauchte erneut ihren Namen, lockend, leicht wie ein Nebelfetzen über Frühlingswiesen. Und doch lag auch Dringlichkeit darin; eine flehende Bitte, die Frigga die Bettdecke leise zurückschlagen und die nackten Füße auf den kühlen Boden setzen ließ. Langsam trugen sie ihre Schritte zu den geöffneten Flügeltüren des Balkons hin, auf welchen die wehenden Vorhänge die Sicht verbargen. Kurz hielt die Königin der Asen inne, schickte einen Blick zurück zu ihrem schlafenden Mann, bevor sie einen Arm hob und die Vorhänge beiseite zog. Ihr stockte der Atem. Vor ihrem Balkon in der lauen Luft der Sommernacht schwebte eine überirdische schöne Frau; ein Antlitz so strahlend wie die Sterne am Nachthimmel und so weise wie das Universum selbst. Ihr Gesicht war gütig, ihre Augen alt wie die Zeit; in ihnen spiegelten sich das Entstehen und der Fall von Königreichen. Sie trug ein einfaches Gewand, welches ihre schlanke Gestalt umhüllte, kaum zu trennen von dem langen, weißen Haar, welches die unwirkliche Erscheinung einrahmte, als würde sie schwerelos im Wasser schweben. Die Frau streckte Frigga die Hand entgegen. »Komm, Herrin der Asen. Erfahre meine Weissagung. Lausche den Worten, die von kommenden Tagen künden.« Ihre Stimme ging durch Mark und Bein, war Alt und Jung zugleich, tot und lebhaft, kalt und doch voller Wärme. Skuld. Die Norne der Zukunft. Frigga trat langsam auf die Schicksalsfrau zu; ihre Füße bewegten sich wie von selbst, als wäre sie an einen unsichtbaren Faden gebunden, dessen Ende die andere Frau in den Händen hielt. Ohne zu zögern legte Frigga ihre Hand in jene der Norne. Deren Fingers waren kühl und von unglaublicher Kraft beseelt, welche in den schlanken Gliedern steckte. Und doch war der Griff Skulds weich und tröstend, als sich ihre Finger um die Friggas schlossen. »Frigga. Tapfere, gütige Frigga. Dunkel waren deine Nächte und voller Tränen. Tränen, die für deinen Sohn fielen. Und der Hoffnung bist du immer ferner. Entschwindest ihr gar fast.« Das ätherische Gesicht der Norne zeigte wahres Mitgefühl und Frigga spürte erneut Feuchte in ihren Augen, die nagende, bittere Verzweiflung im Leib. Loki. Skuld sprach von Loki. Die Lippen der Norne verzogen sich zu einem warmen Lächeln, ein Lächeln voller Hoffnung und Zuversicht, als sie weiter sprach. »Doch verzage nicht, Frigga. Gib niemals deinen Glauben auf. Gib deinen Sohn nicht auf. Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Er kann der Dunkelheit entkommen, muss nur dem Licht folgen. Lasse das Licht niemals von seiner Seite weichen.« Skuld drückte Friggas Hand ein letztes Mal, bevor sie deren Finger losließ und in die Nacht zu entschwinden begann; sich auflösend wie eine Wolke, die vom Wind zerrissen wird. »Er muss dem Licht folgen, Frigga. Sonst wird es das Ende sein…für ihn…für euch alle…« Die letzten Worte Skulds verhallten unheilvoll in der Nacht. Die Norne war verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Frigga schlang die Arme um sich, ein Frösteln überzog ihre Haut. Ihr Nachtgewand umwehte ihre nackten Füße. Sie sah zu den funkelnden Sternen auf und schöpfte tief Atem. Seit Äonen hatten die Schicksalsfrauen keine Weissagungen mehr getätigt. Gerade Skuld war die Zurückgezogene unter ihnen. Und nun besuchte sie jene hier in Asgard. Konnte es wirklich sein…gab es noch Hoffnung? Hoffnung für ihren Sohn? Und von welchem Ende hatte die Norne gesprochen? Was stand ihnen allen bevor? New York »Gweny, Liebes, wir freuen uns schon unheimlich auf dich. Deine Mutter will extra deinen Lieblingskuchen backen und hat dein altes Kinderzimmer wieder für dich hergerichtet. Es wird schön sein, unsere Kleine wieder im Haus zu haben.« »Dad…bitte nicht „Gweny“ oder „Kleine“, okay? Ich bin jetzt fünfundzwanzig und spiele inzwischen mit den großen Jungs, weißt du?!« Gwen konnte den tiefen Atemzug ihres Vaters hören und sich dazu den bestürzten Gesichtsausdruck bildlich vorstellen, sodass sie unweigerlich schmunzeln musste, als sie den Hörer des Telefons zwischen Schulter und Ohr klemmte, um ihre Hände für die Tastatur des PCs frei zu haben. »Erinnere mich bloß nicht daran…« stöhnte er resigniert. »Lieber wäre es mir, du wärst das kleine, brave Mädchen mit den süßen Zöpfen geblieben, das so unschuldig mit seinen Puppen spielte-« »Daaaad…« Gwen rollte mit den Augen, doch das Schmunzeln blieb auf ihren Lippen. Ihr Vater am anderen Ende der Leitung lachte herzlich. »Schon gut. Ich wollte dich nur ein wenig ärgern, meine Liebe.« Er wurde wieder ernster. »Sag, wie geht es dir in der großen Stadt, Kind? Behandelt man dich auch gut?« Die Sorge ihres Vaters rührte sie und ließ sie für einen Augenblick Heimweh verspüren; ein Sehnen nach der Geborgenheit ihres Elternhauses, nach gemütlichen Stunden am Kamin bei den Geschichten ihres Vaters und den leckeren Keksen ihrer Mutter. Seit einem Jahr lebte sie nun in New York, nachdem sie hier ein verlockendes Jobangebot in einem der größten Pressehäuser der Stadt angenommen hatte. Dieses auszuschlagen wäre keine Option gewesen, wenn sie ihre Karriere als Journalistin vorantreiben wollte. In ihrem Heimatort waren die Möglichkeiten wesentlich begrenzter und die Karriereleiter bedeutend kürzer als hier in der Metropole. Natürlich vermisste sie ihre Heimat manchmal noch; die Ruhe dort, die Nähe zur Natur, die Einfachheit und Urtümlichkeit. Ebenso wie ihre Eltern. Obwohl Harry und Marian Lewis nicht ihre leiblichen Eltern waren, so fühlte sie sich doch wie deren eigene Tochter. Sie hatten sie nie spüren lassen, dass sie adoptiert war, sondern sie stets mit der Liebe behandelt, die einem Kind von seinen Eltern zustand. Und dafür war sie den beiden unendlich dankbar. Anfänglich hatte sie Neugier auf ihre eigentlichen Wurzeln verspürt, doch das hatte sich rasch gelegt. Wer ein Kind sang- und klanglos bei Nacht und Nebel vor einer Polizeiwache liegen ließ wie gemeinen Unrat konnte es nicht wert sein, dass sie überhaupt einen Gedanken an diese unbekannte Person verschwendete. Ihre Eltern hatten ihr die genauen Umstände ihrer Adoption vorenthalten, um sie wohl zu schützen und nicht zu verletzen. Doch Neugier war stets Gwens größte treibende Kraft gewesen und so hatte sie sich eigenständig auf die Suche begeben, um mehr über die Nacht zu erfahren, in welcher ihr Leben begonnen hatte. Diese Aktion war am Ende wohl der Grundstein für ihre Berufswahl neben der Leidenschaft, Dingen auf den Grund zu gehen und sie ans Licht zu bringen. Natürlich hatte sie es als „Mädchen vom Land“ oft nicht einfach sich gegen die Männer und Frauen in ihrem Job durchzusetzen, doch Gwen hatte schon frühzeitig gelernt, sich durchzubeißen und zu behaupten - gegenüber beiden Geschlechtern. »Es geht mir gut, Dad.« sprach sie sanft ins Telefon. »Wirklich. Es ist zwar nicht immer einfach hier, aber die Arbeit macht mir Spaß. Hier kann ich mich endlich frei entfalten und mich verwirklichen. Und das macht mich glücklich.« »Das freut mich. Das freut mich wirklich sehr.« Sie konnte die Rührung in seiner Stimme hören und verspürte tiefe Zuneigung zu ihrem Vater. Ihre Eltern wussten, dass Gwen sich nie wirklich wohl gefühlt hatte in ihrer Heimatstadt. Schlussendlich war es wohl doch nur ein größeres Dorf und die Leute redeten eben gern. Und eine Adoption war stets ein Grund für Spekulationen und wilde Geschichten, gerade wenn ein Kind unter so mysteriösen Umständen auftauchte wie sie. Ihr Vater räusperte sich und holte sie damit ins Hier und Jetzt zurück. »Wann kommst du eigentlich an, Liebes? Damit wir wissen, wann wir dich vom Bahnhof abholen müssen.« Gwens Blick flog zu ihrem Kalender auf dem Tisch, auf dem das folgende Wochenende dick rot eingekreist war - die goldene Hochzeit ihrer Eltern. Dafür hatte sie sich extra ein verlängertes Wochenende freigenommen. Sie musste lächeln. Die beiden hatten sehr frühzeitig geheiratet und waren selbst jetzt noch verliebt wie am ersten Tag. Das perfekte Traumpaar. Reine, wahre Liebe. Gwen fragte sich oft, ob sie auch einmal dieses Glück haben würde; ob sie jemals diesen einen, diesen einzigartigen Mann finden könnte, mit dem sie ebenso bedingungslose, tiefe Liebe verbinden würde. Bisher hatte sie mit dem anderen Geschlecht eher weniger Erfolg gehabt. Und der Glaube an die wahre Liebe war ihr auf diesem Weg wohl irgendwann verloren gegangen. Ihr Bahnticket war bereits besorgt und mit einer Büroklammer an ihren Kalender geheftet. »Gegen sechs morgen Abend sollte der Zug ankommen.« Sie setzte einen Punkt hinter dem Satz, den sie nebenher auf ihrem offenen Worddokument getippt hatte, nahm das Telefon wieder in die Hand und lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück. Das eigene Büro war der erste Erfolg, den sie hier zu verbuchen hatte. Der Raum war zwar mehr als klein, eher ein begehbarer Kleiderschrank als ein Büro, doch es war ihr Reich. Ihr Rückzugsort, wo sie ungestört arbeiten konnte. »Ich freue mich wirklich, euch mal wieder zu sehen, Dad. Der letzte Besuch ist wirklich schon zu lang her und langsam hab ich ein paar Tage Urlaub echt mal nötig. Und natürlich Moms köstlichen Apfelkuchen.« Beide mussten lachen; selbst über Meilen hinweg waren sie sich in einigen Dingen immer einig und verstanden sich ohne große Worte. Ein Klopfen an der Tür ließ Gwen aufblicken. »Moment kurz, Dad.« Ashlyn steckte den Kopf zur Tür herein. »Gwen, der Boss will dich sehen.« Sie blickte flüchtig auf die Papiere in ihrer Hand, bevor sie sich eine Strähne hinters Ohr schob, die sich aus ihrer perfekten Frisur gelöst hatte. »Er sagt, es sei dringend.« Die Brünette hob bedeutsam die Augenbrauen und schürzte die Lippen, bevor sie die Augen entnervt verdrehte. Gwen schmunzelte. »Ist okay. Danke, Ash.« wisperte sie zu ihrer Kollegin. Die deutete kurz auf ihre Armbanduhr, bevor sie die freie Hand zum Mund hob und eine Trinkbewegung imitierte - ihre Frage nach einem späteren Kaffee bei ihr zuhause. Gwen nickte sogleich, daraufhin warf Ashlyn ihr schmunzelnd eine Kusshand zu und schloss mit einem Winken die Tür wieder. Die große Brünette war hier eine echte Freundin geworden, obwohl sie beide eigentlich kaum unterschiedlicher sein konnten. Ashlyn war das typische Großstadtmädchen; immer perfekt gekleidet, immer perfekt gestylt, immer perfekt in Auftreten und Gestik, immer auf dem aktuellsten Stand was Partys, Mode oder Promis betraf. Neben ihr kam sich Gwen oft klein, plump und unscheinbar vor, obwohl sie nicht gerade hässlich und auch nicht auf den Kopf gefallen war. Aber man musste Ashlyn einfach mögen, denn obwohl sie manches Mal den Anschein erwecken wollte, oberflächlich zu sein, so war sie doch ein herzlicher und lieber Mensch, auf den man sich verlassen konnte. »Dad, ich muss Schluss machen. Mein Chef will mich sehen. Bis morgen Abend, okay?« Gwen startete den Druckvorgang für das eben aufgerufene Dokument. Garantiert wollte ihr Boss den in Auftrag gegebenen Artikel heute noch haben, da sie ab morgen frei hatte. Deshalb rief er sie wohl noch zu sich, obwohl ihr Feierabend beinahe schon greifbar vor der Tür stand. »Alles klar, Liebes. Dann bis morgen. Pass auf dich auf.« »Mach ich, Dad. Sag Mom einen schönen Gruß. Ich hab euch lieb.« Sie legte auf und sah dem Drucker beim Ausspucken des Papiers zu, während sie kurz auf ihre Uhr schielte. Hoffentlich dauerte die Unterredung mit Bill nicht allzu lang, immerhin musste sie heute noch packen und Winston zu Ashlyn bringen. Winston war ihr Kater; der einzig männliche Anteil zurzeit in ihrem Leben, mit dem sie freiwillig ihre Wohnung und ihr Bett teilte. Hoffentlich würde der Gute es ihr nicht zu sehr übel nehmen, dass sie ihn für ein paar Tage versetzte. Der Drucker hatte sein Werk beendet und Gwen schnappte sich das Papier rasch, dann verließ sie ihr Arbeitszimmer und eilte den Gang hinunter zum Büro ihres Chefs. Von allen Seiten stürmten jetzt Geräusche auf sie ein; das Klingeln von Telefonen, das Klappern von Tastaturen, die Stimmen ihrer Kollegen, das Quietschen von Bürostühlen, das Rascheln von Papier, das Piepen von Faxgeräten, klappernde Kaffeetassen. Beinahe wäre sie mit einem jungen Mann zusammengestoßen, der hoch konzentriert auf ein Papier in seiner Hand starrte, während er durch die Gänge lief, hektisch dabei in das Handy an seinem Ohr sprechend. Gwen bremste gerade noch vor ihm und drückte sich die Mappe mit ihrem Artikel an die Brust, dann schob sie die randlose Brille auf ihrer Nase wieder gerade und klopfte an die Tür von Bill Freeman, Chefredakteur des Daily View. Bill war wohl genau das, was man sich unter einem Chefredakteur vorstellte - knallhart, launisch, direkt. Er führte seine Mitarbeiter mit eiserner Hand und forderte stets einwandfreie Leistungen, ganz nach dem Motto: „Das Beste ist uns nicht gut genug.“ Diese Verbissenheit hatte ihn und seine Zeitung in der gesamten Stadt höchst bekannt gemacht; der Daily View genoss tagtäglich die besten Auflagenzahlen und Bill Freeman konnte sich in den gehobenen Kreisen New Yorks aufhalten. Allerdings musste man ihm zugute heißen, dass er sich auch für seine Leute einsetzte und außergewöhnliche Leistungen eben auch honorierte. Außerdem war er für einen solchen Posten noch recht jung mit seinen Ende dreißig und er sah recht passabel aus, was ihm natürlich einen guten Stand bei der weiblichen Belegschaft einbrachte; die rissen sich ja nur zu gern ein Bein aus, um vor ihm glänzen zu können. Gwen natürlich nicht; zumindest bemühte sie sich nicht aus diesem Grund um stets ausgezeichnete Leistungen. Wahrscheinlich war sie eh nicht sein Typ. Er stand sicher auf Frauen wie Ashlyn. Da machte sich Gwen gar nichts vor. Davon mal abgesehen war Bill Freeman ganz sicher kein Mann, bei dem sie schwach wurde. Ihr Chef begrüßte sie mit einem knappen Nicken, bevor er - noch sein Telefon ans Ohr geklemmt - einen dicken Briefumschlag aus einem Schubfach seines Schreibtisches zog und diesen ungeöffnet mit einem Blick in Gwens Richtung auf die Tischplatte warf. Ein aufforderndes Winken folgte, während er noch angeregt mit irgendjemanden zu diskutieren schien. Gwen fühlte sich sogleich ein wenig unwohl, immerhin wollte sie nicht lauschen, doch er hatte sie ja hereingebeten. Und was sollte das eigentlich mit dem Umschlag? War der für sie? Etwas unsicher trat sie die wenigen Schritte zu dem Schreibtisch ihres Chefs heran. Der war wieder völlig mit seinem Laptop beschäftigt und schien mit dem ominösen Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung über irgendetwas zu verhandeln. Sie beäugte den Umschlag erneut skeptisch und blickte unschlüssig zu ihrem Boss in der Hoffnung, er möge ihr doch einen Wink geben, was das zu bedeuten hätte. Sollte sie ihn öffnen? Bill schielte kurz zu ihr herauf, verdrehte die Augen in einer ungeduldigen Geste, die man gern unverständigen Kleinkindern gegenüber zeigte, bevor er ihr den Umschlag mit einem fast befehlenden Nicken schon quasi unter die Nase schob. Nun, zumindest fast vom Tisch. Gwen fing den Umschlag gerade noch auf und ertastete etwas Eckiges darin. Sie legte die Mappe mit ihrem Artikel auf dem Tisch ab und öffnete den Umschlag vorsichtig. Zum Vorschein kam eine Art Ausweis; eine ID Karte an einem Schlüsselband mit ihrem Foto darauf. Allerdings kannte sie den Namen daneben ganz und gar nicht. Mit fragend gehobener Braue hob sie die Karte an ihrem Bändchen hoch und blickte so zu ihrem Chef, die Schultern ratlos gehoben. »Mary-Ann Morris? Geophysikerin? Was…?« Bill hatte sein Telefonat gerade beendet und wandte sich ihr nun endlich zu, entspannt und lässig in seinem Bürosessel zurückgelehnt. »Das, meine Liebe, ist dein Ticket zum Erfolg. Quasi die Eintrittskarte zur ganz großen Story.« »Ich fürchte, ich verstehe nicht…« »Es gibt eine Handvoll auserlesener Menschen, die eine einmalige Chance erhalten werden. Bei S.H.I.E.L.D läuft wieder irgendeine große Sache. Natürlich alles streng geheim. Doch meine Quellen hegen die Vermutung, dass es etwas mit diesen ominösen Asen zu tun hat. S.H.I.E.L.D karrt haufenweise Wissenschaftler zusammen. Und du gehörst ab heute dazu. Du wirst mit einer ausgewählten Delegation von Forschern höchstwahrscheinlich nach Asgard reisen. Offensichtlich steckt doch etwas hinter den Gerüchten einer recht praktischen Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der neu entdeckten Götterwelt.« Gwen entgleisten die Gesichtszüge. »Moment? Das ist dein Ernst? Du meinst…ich reise nach Asgard?! DAS Asgard? Aber wie…?« Sie konnte es gar nicht glauben. Ihr Boss musste sie eindeutig auf den Arm nehmen. Sollte es dieses Vorhaben tatsächlich geben, über das bisher nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde?! Asgard. Heimstatt der… „Götter“. Noch immer war es seltsam, diesen Begriff in den Mund zu nehmen oder ihn auch nur zu denken. Doch vor nun fast zwei Jahren wurde bewiesen, dass es sie durchaus gab. Und das die Menschen weder allein im Universum noch die höchst entwickelte Lebensform waren. Noch bevor Gwen nach New York gekommen war, hatte es hier einen Angriff gigantischen Ausmaßes gegeben; die Invasion einer fremden Spezies, die mit einer Armee einmarschieren und die Menschheit unterjochen wollte. Diesen Angriff schlug eine kleine Gruppe von außergewöhnlichen Helden zurück, bekannt als die Avengers; Superhelden, die von der Bevölkerung seitdem gefeiert und förmlich verehrt wurden. Sämtliche Zeitungen rissen sich um eine Story mit den Helden, die die Stadt gerettet hatten; nur ein Interview mit Tony Stark, Captain America und Co. konnte schon den großen Durchbruch für einen Journalisten bedeuten. Natürlich waren die Menschen nun auch neugierig auf diese anderen Welten geworden, auf die sie einen kurzen Blick erhascht hatten. Mythen und Legenden schienen plötzlich gar nicht mehr so unglaubwürdig; die ganze Geschichte, alles was die Menschheit zu wissen geglaubt hatte, wurde förmlich auf den Kopf gestellt - von einem Tag auf den anderen musste man neue Wahrheiten akzeptieren. Es gab fremde Völker. Es gab fremde Welten. Und es gab Superhelden. In den Reihen der Avengers hatte der Donnergott Thor gekämpft, dessen Heimat das sagenumwobene Asgard war. Seit dem Vorfall in New York unterhielt eine geheime Regierungsorganisation namens S.H.I.E.L.D wahrscheinlich weiterhin Kontakt mit Asgard und stand in Austausch von Informationen mit dem Göttergeschlecht der Asen. Allerdings war das natürlich nur durch ein paar undichte Stellen gesickert und offiziell drang davon wenig an die Öffentlichkeit. Aber nach dem Angriff auf die Stadt ließ sich auch kaum mehr alles verschleiern, auch wenn sich S.H.I.E.L.D. in der Hinsicht natürlich noch immer große Mühe gab. Doch jedes Quäntchen an Information reichte natürlich schon aus, dass sämtliche Wissenschaftler, Historiker und Mythologen davon träumten nur einmal einen Fuß in diese mystische Welt setzen zu können. Und natürlich nicht nur die; für einen Journalisten wäre diese Möglichkeit der schiere Wahnsinn, quasi die Erfüllung eines Traumes. Und Gwen sollte jetzt wirklich diese einzigartige Möglichkeit bekommen? Womöglich als erste Reporterin?! »Genau DAS Asgard. Heimat von Odin, Thor und wie sie alle heißen.« Bill schob ein paar Papiere auf seinem Schreibtisch umher, bevor er wohl das fand, was er suchte; tief vergraben unter Akten zog er ein ältlich wirkendes Buch hervor und schob es Gwen hinüber - nordische Göttersagen und Heldenlieder. »Deine Lektüre für den Abend. Du solltest dich etwas vorbereiten.« Sie nahm das Buch völlig überrumpelt an sich, während sie sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken ließ. Ihre Knie waren plötzlich wie Wachs. Sie musste sich definitiv erst einmal setzen. »Äh, danke…« Das konnte doch wirklich nur ein Scherz sein. Sie sollte wirklich nach Asgard reisen?! Das war einfach unglaublich. In ihrem Magen kribbelte es bereits vor Tatendrang und Vorfreude, allerdings auch vor Nervosität. Das war keine einfache Story, die man ebenso nebenher schrieb. Das war DIE Story; die Möglichkeit, sich zu beweisen und sich einen Namen zu machen. Völliger Wahnsinn. Gwen musste erst mal ihre Gedanken ordnen und plötzlich wurde sie sich wieder der Karte in ihrer Hand bewusst. »Aber…ähm, was hat es jetzt damit auf sich?« Bill tippte sich mit einem Kugelschreiber nachdenklich an die Lippen, während er in seinem Stuhl leicht vor und zurückwippte, sie dabei nicht aus den Augen lassend. »Na, was denkst du denn, was es damit auf sich hat?« Etwas hilflos hob Gwen erneut die Schultern und kam sich unwohl unter dem prüfenden Blick ihres Chefs vor. Die ganze Sache hatte offensichtlich einen Haken… Und langsam dämmerte ihr auch, welcher das wohl war. »Gwen, Süße, diese S.H.I.E.L.D-Typen lassen bei dieser Mission keine Presse anwesend sein. Das kann ich dir zu hundert Prozent bestätigen, denn ich habe es bereits versucht und alle Hebel in Bewegung gesetzt. Alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die wollen nur hochrangige Wissenschaftler bei diesem Trip dabei haben. Also bist du eben genau das - Wissenschaftlerin. Mary-Ann Morris, Geophysikerin.« Bill zeigte ihr ein selbstzufriedenes Grinsen, wohl ganz überzeugt von seiner genialen Idee. »Bill, bei allem Respekt, aber das klappt doch nie.« Sofort legte sie den Ausweis auf den Tisch und schob ihn demonstrativ ein Stück von sich. »Ich bin keine Wissenschaftlerin. Garantiert werden die mich auch überprüfen und dann fliegt alles auf. Diese Typen sind doch nicht blöd. Dann bin ich geliefert.« Ihr Chef tat diese Zweifel mit einer müden Handbewegung ab. »Ich habe ein paar Beziehungen spielen lassen. Gewisse hochrangige Personen schuldeten mir noch den ein oder anderen Gefallen. Deine Biographie ist wasserdicht, dein Lebenslauf lückenlos, deine Referenzen lupenrein und erstklassig. Mach dir keine Sorgen, das wird nicht auffallen, wenn du dich entsprechend verhältst.« »Eben. Ich bin keine Wissenschaftlerin. Ich habe überhaupt keine Ahnung von Geophysik.« Anklagend deutete sie auf das Kärtchen. »Jeder echte Physiker wird mich durchschauen.« Bill quittierte ihre Worte mit einem langgezogenen, müden Seufzen. »Ach Schwachsinn.« Erneut tat er ihre Bedenken mit einem Winken ab. »Verhalte dich einfach wie alle anderen. Kratze ein bisschen an Steinen, sammle Staub auf - so schwer kann das doch nicht sein. Und rede einfach nicht zu viel, halte dich im Hintergrund. Dann merkt das überhaupt niemand.« Er lehnte sich in seinem Stuhl wieder nach vorn und sah sie eindringlich an. »Beschaff mir ein paar gute Informationen, Schätzchen. Wie ist das Wetter da oben? Wie lebt ein Gott? Müssen sie essen, werden sie krank? Was läuft zwischen Asgard und S.H.I.E.L.D? Kommen neue Bedrohungen auf uns zu? Wie ticken diese sogenannten Götter überhaupt? Wollen die uns womöglich selbst übernehmen und wiegen uns nur in Sicherheit?« Bill wandte sich wieder seinem PC zu und griff nach seinem Handy. »Wühl ein bisschen in der schmutzigen Unterwäsche dieser Götter. Und in der von S.H.I.E.L.D. Das packst du schon, meine Liebe.« Für ihn war damit das Gespräch offensichtlich beendet, denn er tippte bereits eine Nummer auf dem Telefon ein. »Alle weiteren Informationen findest du im Umschlag. Viel Spaß.« Gwen blickte kurz in den Umschlag; darin konnte sie flüchtig ein Flugticket erspähen und einige andere Dokumente sowie eine offizielle Einladung. »Wann soll es eigentlich losgehen?« Bill starrte bereits schon wieder völlig konzentriert auf den Bildschirm seines Computers, das Handy am Ohr. »Morgen.« Morgen schon?! Das war verdammt kurzfristig und….vor allem völlig unmöglich! Sie wollte morgen zu ihren Eltern fahren. Dafür hatte sie extra Urlaub genommen. Das konnte sie unmöglich sausen lassen. Die beiden wären furchtbar enttäuscht. Oh nein, was für eine verdammte Zwickmühle. Dieser Auftrag lockte sie, mehr als alles sonst. Das wäre womöglich ihre große Chance, wenn auch mit unkalkulierbaren Risiken verbunden. Doch sie hatte es ihren Eltern versprochen, dass sie zur Feier vorbei kommen würde. Sie hatte die beiden nun schon so lange nicht besucht… Gwen seufzte leise. »Bill…« Sie musste diesen Auftrag ablehnen. Es ging nicht. Ihr Chef hatte seinen Gesprächspartner wohl endlich in der Leitung, denn er begrüßte einen Tom recht energisch, Gwen schon völlig vergessen. Diese saß etwas hilflos noch immer vor dem Schreibtisch und versuchte so dezent wie möglich die Aufmerksamkeit ihres Bosses zurückzugewinnen, indem sie den Umschlag am Rande seines Gesichtsfeldes schwenkte. »Bill…« Der Angesprochene schloss kurz die Augen und holte tief Luft. »Moment, Tom.« Dann deckte er das Mikro mit der Hand ab und drehte den Kopf zu Gwen. »Was gibt es denn noch?« »Ich kann das nicht machen. Ich kann den Auftrag nicht annehmen. Du musst dir jemand anders suchen.« Sie legte den Umschlag zurück auf seinen Tisch, auch wenn ihr dies recht schwer fiel. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte sie diese Reise unternehmen. Unbedingt. Und das nicht nur wegen ihres Jobs. Der Gedanke an Asgard zog sie beinahe magisch an, als wäre es ein Frevel, diese Möglichkeit verstreichen zu lassen. »Ich habe ab morgen Urlaub eingereicht. Ich wollte wegfahren.« »Ja und? Wo ist das Problem? Das ist doch hervorragend. Dann hast du ja bereits gepackt.« Bill zog die Brauen zusammen und fixierte sie mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß. Manches Mal verstand Gwen die Kollegen, die sich über die Skrupellosigkeit von Bill Freeman beschwerten. Eben in diesem Augenblick verstand sie das nur zu gut. »Ich-« »Hör mal, Gwen…« begann er langsam, beinahe beschwörend und auffällig ruhig; schnitt ihr damit das Wort ab. »Ich glaube, du verstehst da gerade etwas nicht. Das hier ist keine Bitte. Dieser Auftrag ist einzigartig. Diese Möglichkeit selten und unendlich kostbar. Ich habe viele Telefonate geführt und unzählige Kontakte gepflegt, um diese Reise für dich möglich zu machen. Ich werde jetzt nicht dabei zusehen, wie diese einzigartige Gelegenheit an uns vorüber zieht ohne dass wir sie nutzen. Das ist deine Chance, zu den ganz Großen zu gehören.« Die Botschaft hinter den Worten war klar. Entweder, sie nahm den Job an oder aber das wäre vermutlich ihr letzter Tag hier beim Daily View. Scheiße. »Habe ich mich diesmal verständlich ausgedrückt?« Ihr Boss sah sie nun recht ungeduldig an, sein Telefonat wartete noch immer. »Ja, Bill.« Gwen erhob sich von ihrem Stuhl und nahm den Umschlag und den Ausweis wieder an sich, bevor sie das Büro verließ und die Tür leise hinter sich schloss. Soviel also zum Urlaub. Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass sich ein kleiner, schäbiger Teil in ihr doch freute, dass sie diese Aufgabe nun quasi übernehmen musste. Sie fühlte sich schlecht bei dieser Freude, immerhin warteten ihre Eltern bereits eine ganze Weile darauf sie einmal wieder zu sehen. Und so wie es aussah würden sie noch etwas länger warten müssen… Kapitel 2: Die Reise beginnt ---------------------------- Gwen würde Bill Freeman umbringen. Definitiv würde sie das tun. Vorausgesetzt, sie überlebte diesen Trip hier und landete nicht in irgendeiner dreckigen Zelle irgendwo im amerikanischen Niemandsland, wo man sie mit Schlafentzug und Daumenschrauben foltern würde, um herauszufinden, warum sie sich mit einem falschem Namen unter eine Horde Wissenschaftler geschmuggelt hatte, die unter strikter Geheimhaltung auf dem Weg nach Asgard waren. Gestern Abend hatte die ganze Sache noch furchtbar verlockend geklungen, als sie ihre Sachen gepackt und sich für die Abreise vorbereitet hatte. Als sie Winston bei Ashlyn ablieferte, kam ihr das Ganze schon gar nicht mehr so reizvoll vor. Der Kater hatte schrecklichen Terror gemacht, als sie gegangen war und sie vermisste den verwöhnten Stubentiger schon jetzt. Die Nacht war kurz und unruhig gewesen, da sie Nervosität und unzählige Schreckensszenarien geplagt hatten, die ihr phantasievolles Hirn ausgespuckt hatte. Am Morgen war sie wieder von Tatendrang erfüllt gewesen und hatte es kaum abwarten können, endlich in den Zug zu steigen, der sie zum Flughafen bringen würde. Jetzt saß Gwen endlich in der kleinen Maschine, die wohl von der Geheimorganisation S.H.I.E.L.D. extra zur Verfügung gestellt worden war und starb tausend Tode. Überall saßen oder standen furchtbar wichtig und intellektuell aussehende Männer und Frauen, die sich angeregt unterhielten und bereits jetzt Thesen aufstellten und verwarfen oder sich in Spekulationen und Diskussionen verstrickten, denen Gwen schon nach zwei Sätzen kaum noch folgen konnte. Himmel, hoffentlich sprach sie bloß keiner an um nach ihrer Meinung zu irgendwelchen hochtrabenden Themen zu fragen… Vorsorglich ließ sie ihren gefälschten Ausweis unter ihre Bluse gleiten. Vielleicht ging sie ja mit viel Glück als Studentin irgendeines Wissenschaftlers durch und niemand würde sich mit ihr befassen. Im Notfall konnte sie sich ja noch schlafend stellen. Allerdings waren die vielen „echten“ Wissenschaftler noch nicht mal das Schlimmste. Viel mehr beunruhigten sie da eher die ganzen Agenten, die sich ebenfalls im Flugzeug aufhielten und die Mission wohl begleiten würden. Natürlich war S.H.I.E.L.D. mit von der Partie. Mit Sicherheit wollten sie den reibungslosen Ablauf der Reise überwachen. Hier und da sah sie Waffenholster unter den perfekt gebügelten Anzugjacken aufblitzen und unter Garantie konnten die Männer und Frauen der Geheimorganisation damit umgehen. Gwen schluckte und ließ sich tiefer in ihren Sitz sinken, scheinbar ganz in das Buch auf ihrem Schoß vertieft. Einfach nicht auffallen, wie Bill es ihr geraten hatte. Das war das Geheimnis. Der Kerl hatte echt gut reden. Er saß ja jetzt nicht hier zwischen einer Horde mitteilungsbedürftiger Wissenschaftler und äußerst aufmerksamen Agenten, die hoffentlich nicht gleich auf alles schießen würden, was sich außerhalb ihres Registers bewegte. Zu alldem kam noch das schlechte Gewissen ihren Eltern gegenüber dazu. Natürlich hatten die beiden mit Verständnis reagiert, statt ihr Vorwürfe zu machen oder ihre Enttäuschung als Druckmittel zu verwenden. Ihr Dad hatte sie lachend in ihren Entschuldigungen unterbrochen und beruhigt, sie schlussendlich noch damit aufgezogen, dass er nun Moms köstlichen Kuchen ganz für sich allein haben würde. Sie hatte einfach die besten Eltern der Welt. Gwen fühlte sich wirklich elend. »Miss Morris?« Eine männliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie zusammenzucken. Es dauerte ein paar Herzschläge, bevor sie überhaupt registrierte, dass man ja sie angesprochen hatte. »Miss Morris?« Die raue Stimme wurde fragender, nachdrücklicher. Dieser verfluchte Name. Hoffentlich würde sie sich noch daran gewöhnen, dass sie jetzt so hieß. »Äh, ja?!« Gwen wandte den Kopf nach links und blickte in das Gesicht eines definitiv wahnsinnig gutaussehenden Agenten, der sich über die beiden freien Sitze zu ihr gebeugt hatte, die blauen Augen über den Rand einer Sonnenbrille aufmerksam auf sie gerichtet. Das kurze, braue Haare fiel ihm leicht in die Stirn, sein markantes Gesicht lockerte ein schmales, verwegenes Lächeln auf, das gerade auf seinen Lippen entstand. Sein kräftiger Körper steckte ebenfalls in einem Anzug, an dessen Brusttasche ein Ausweis baumelte, der ihn als Andrew Preston vorstellte. Der Griff einer Waffe lugte unter dem Stoff hervor. Na hervorragend. Prinz Charming war hoffentlich nicht gekommen, um sie dezent darauf hinzuweisen, dass sie im falschen Flieger saß. Oder noch besser - um sie gleich zu erschießen. Ein kurzes Räuspern, dann hatte sie ihre Stimme wiedergefunden. Sie setzte sich auf. »Verzeihung, ich war wohl zu sehr in mein Buch vertieft.« Entschuldigend tippte Gwen auf den Einband des Wälzers auf ihrem Schoß. »Das habe ich bemerkt.« sprach der Agent amüsiert, bevor er sie gründlich musterte, als würde er irgendetwas an ihr suchen. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?« Gwen fühlte sich unwohl unter diesem Blick; als wollte er ihre Identität auf den Prüfstand stellen. Zum Glück hatte sie sich nur für eine leichte, einfache Bluse entschieden, denn die Nervosität ließ sie bereits jetzt schwitzen. »Haben sie Ihren Ausweis nicht dabei?« Er hob eine Braue und sah sie unverwandt an. »Oh, doch. Natürlich.« Schnell zog sie das Bändchen mit der Karte unter der Bluse hervor und hielt es ihm vorausschauend entgegen. Der Agent schickte einen knappen Blick auf das Kärtchen, dann überflog er eine Liste, die er auf einem Klemmbrett dabei hatte und setzte einen Haken auf dem Papier. »Also doch Miss Morris. Sie habe ich nämlich noch gesucht.« bemerkte er mit einem Lächeln, bevor er den Stift wieder in seine Brusttasche gleiten ließ. Offenbar war er mit der Kontrolle und Überprüfung der Vollzähligkeit der Fluggäste betraut. Gwens Anspannung ließ ein wenig nach und sie fiel gelöst in ihren Sitz zurück. Himmel, sie musste sich wirklich beruhigen. »Sie sehen ein wenig blass aus. Geht es Ihnen nicht gut?« Der Agent war noch immer da und legte den Kopf ein wenig schief, als er sie noch immer über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg besorgt ansah. »Flugangst?« Er grinste mitfühlend, wobei sich seine geraden, weißen Zähne zeigten und ein Grübchen in seiner Wange entstand. Gwen nutzte diesen Aufhänger sogleich. »Ja, recht große Flugangst, wenn ich ehrlich sein soll. Noch dazu die Aufregung und Spannung vor der Reise. Immerhin macht man ja nicht alle Tage Urlaub in Asgard und besucht Götter.« Sie lächelte schief und setzte ihre Brille ab, um sich den Nasenrücken zu massieren. Sie war wirklich innerlich völlig unruhig, aber tatsächlich aus anderen Gründen als er vielleicht vermutete - oder glücklicherweise dachte. Der Agent lachte erheitert. »Sie sind wohl die Einzige hier, die das als Urlaub bezeichnen würde. All ihre Kollegen sind völlig aus dem Häuschen wegen der ganzen Arbeit, die auf sie zukommen wird.« Er deutete mit dem Daumen auf die Meute quasselnder Wissenschaftler hinter sich, bevor er eine Stewardess mit dem Servierwagen anhielt und für Gwen eine Flasche Wasser besorgte. Die hielt er ihr auffordernd hin. »Trinken Sie einen Schluck.« »Danke.« Sie nahm das Wasser mit einem verlegenen Lächeln entgegen. »Naja, man soll ja nicht nur die Arbeit sehen. Uns wird eine einmalige Chance zuteil, da wäre es doch Verschwendung die Nase nur in Reagenzgläser und Tabellen zu stecken. Asgard ist sicherlich grandios.« »Und wie es das ist. Habe ich zumindest gehört.« Der Agent zog mit einem Grinsen nun auch die Sonnenbrille von der Nase und ließ sie ebenfalls in seiner Brusttasche verschwinden. »Darf ich?« Mit einem einnehmenden Lächeln deutete er auf den Sitz neben Gwen. Die nickte sogleich und zog ihre Jacke von dem Polster. »Herzlich willkommen an Bord unseres International Airlines Fluges. Die Flugzeit wird etwa 1 Stunde und 15 Minuten betragen….« begann die Flugbegleiterin ihren Text vorzutragen und brachte damit Bewegung in die Wissenschaftler, die bisher in kleinen Grüppchen zusammengestanden oder gesessen hatten. »Oh, wo sind meine Manieren. Ich hab mich gar nicht vorgestellt. Andrew Preston.« Der Agent streckte Gwen die Rechte hin, nachdem er das Klemmbrett in die andere Hand gewechselt hatte. Gwen stellte ihre Flasche in die dafür vorgesehene Halterung, wischte die feuchten Hände an ihrer Jeans ab, bevor sie ihm die Hand reichte. »Mary-Ann Morris.« »Schnallen Sie sich jetzt an und ziehen Sie Ihren Sitzgurt fest. Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir Ihnen während des gesamten Fluges angeschnallt zu bleiben.« Die restlichen Fluggäste hatten nun ebenfalls Platz genommen. Gwen konnte hören, wie die Triebwerke der Maschine starteten. Nun gab es also kein Zurück mehr. »Schön Sie kennenzulernen, Miss Morris. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich Ihnen beim Flug ein wenig Gesellschaft leiste, um Ihnen die Angst zu nehmen?« Er lehnte sich gelassen zurück und lockerte seine Krawatte ein wenig, bevor er sich den Gurt umlegte und verschmitzt zu ihr herüber grinste. »Oh, nein, natürlich nicht. Ich bin ganz froh über ein bisschen Gesellschaft.« Nebenher mühte sich Gwen unauffällig mit ihrem Gurt ab, dessen Verschluss einfach nicht einrasten wollte. Allerdings war der Agent höchst aufmerksam, wie man es wohl von einem Mann in seinem Job erwarten konnte. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Er beugte sich zu Gwen herüber und verschloss ihren Gurt mühelos. Nebenher stieg ihr sein angenehm männlicher Duft in die Nase. »Sehen Sie, ganz einfach.« Er richtete sich wieder auf und sie konnte einen ausgezeichneten Blick in seine blauen Augen erhaschen. »Danke schön.« Gwen zeigte sich mit einem Lächeln erkenntlich und ließ sich bequem in ihren Sitz zurücksinken. »Sagen Sie, Mister Preston. Wollen Sie mir nicht die Flugzeit mit ein paar Geschichten Ihres abenteuerlichen Lebens verkürzen?« Der Agent lachte leise. »Wenn Sie die Flugzeit lieber schlafend verbringen wollen ist das genau das Richtige.« Gwen musste ebenfalls lachen und konnte sich bereits um ein ganzes Stück mehr entspannen. Naja, vielleicht wurde der Trip ja doch gar nicht so übel. Immerhin versprach Andrew Preston angenehme Gesellschaft, eine Quelle für Informationen über S.H.I.E.L.D… und noch dazu sah er verdammt gut aus. Der Flug verlief tatsächlich mehr als angenehm und ohne Zwischenfälle. Und Gwen hegte die leise Hoffnung, dass sie diese Reise vielleicht wirklich unbeschadet und mit einer fantastischen Story im Gepäck überstehen könnte. Andrew Preston hatte sich als wirklich unterhaltsamer Begleiter während des Fluges ausgezeichnet. Obwohl sein und ihr Job eher weniger zur Sprache gekommen waren - worüber Gwen schlussendlich auch gar nicht traurig war - hatten sie ausreichend Themen gefunden, über die sie sich austauschen konnten; angefangen von Hobbys bis hin über kulinarische Vorlieben und dem Hang zu Schmusetigern in der Wohnung. Die Zeit war wortwörtlich im Fluge vergangen und Gwen war selbst erstaunt darüber, wie viel man in einer Stunde und fünfzehn Minuten über einen Menschen lernen konnte. Andrew Preston war ihr sympathisch. Sehr sympathisch sogar. Er war witzig, geistreich, charmant und ein Gentlemen. Eigentlich all das, was sie sich immer bei einem Mann gewünscht hatte. Noch dazu war er Single. Eigentlich fast schon zu gut, um wahr zu sein. Allerdings hätte sie ihn wesentlich lieber in irgendeinen New Yorker Café kennengelernt als auf einer Reise, die sie unter einem falschen Namen und verschleierten Motiven angetreten hatte. Ein denkbar ungünstiger Ausgangspunkt für alle weiteren Dinge. Dinge, die sie sich eh aus dem Kopf schlagen sollte, da sie nicht zum Spaß unterwegs war, sondern einen Job zu erledigen hatte. Und Ablenkung konnte sie sich dabei gar nicht leisten. Wenn das Ganze sie nicht ihren Kopf kosten sollte, täte sie nämlich gut daran, mit den Gedanken ganz bei ihrem Auftrag zu bleiben. Nach ihrer Landung war die Gruppe Wissenschaftler in einen Bus weitergeleitet worden, der bereits auf der Landebahn auf sie gewartet hatte. Der Flughafen schien nicht sonderlich viel genutzt zu werden, denn ihre Maschine war in jenem Augenblick die Einzige auf dem Rollfeld. Ebenso fehlte das geschäftige Treiben, welches man einfach von solchen Orten kannte; keine Gepäckwagen, keine Busse, die die Passagiere zu ihrem Flug brachten, keine Mechaniker, die sich sogleich eifrig über die gelandete Maschine hermachten. Aber eine ganze Menge S.H.I.E.L.D Agenten überall. Wahrscheinlich gehörte der kleine Flughafen sogar inoffiziell der Organisation. Andrew Preston hatte Gwen allerdings nach der Landung aus den Augen verloren. Wahrscheinlich fuhr er in einem der schwarzen Geländewagen mit, die den Bus auf dem weiteren Weg eskortierten. Die Fahrt zog sich noch eine ganze Weile dahin, bis der Bus irgendwann eher unwirtliches und kaum bewohntes Gebiet durchquerte. Die Landschaft änderte sich langsam, die Vegetation wurde spärlicher, das Gelände felsig und zerklüftet; ab und an passierten sie kleinere Ortschaften, doch zum größten Teil schienen sie sich völlig außerhalb der Zivilisation aufzuhalten, während sie durch zunehmend bergigeres Areal fuhren. Gwen hatte sich zwar Mühe gegeben Anhaltspunkte zu finden, wo sie sich gerade aufhielten, doch vergeblich. Mit einem Seufzen ließ sie sich schlussendlich in ihren Sitz zurückfallen und gab es auf, aus dem Fenster zu spähen, um irgendetwas Interessantes oder Aufschlussreiches zu entdecken. Dann nutzte sie die Zeit eben ein wenig produktiver. Sie zog ihr Notizbuch aus ihrer Umhängetasche, blickte sich dann noch einmal vorsichtig um, doch die Luft war rein - niemand interessierte sich sonderlich für sie, da die meisten der Wissenschaftler erneut in angeregte Dialoge verstrickt waren. Perfekt. Sie kramte einen Stift heraus und begann die bisherigen Eindrücke und Ereignisse ihrer Reise zu notieren. Inzwischen passierten sie die ersten Tore, die in Stacheldraht eingelassen waren und durchquerten einen Kontrollposten; dort warf ein Soldat einen knappen Blick in den Bus und sprach dann etwas in sein Funkgerät, während er das Fahrzeug durch die geöffnete Schranke winkte. Gerade bog der Bus um eine Ecke und rollte auf eine massive Felswand zu, in die ein Tor eingelassen war, welches Gwen Stift und Buch senken ließ. Himmel Herr Gott…dieses Tor war riesig. Und so massig, dass es wahrscheinlich einem geballten Angriff der Avengers und einer Atomrakete standhalten würde. Noch dazu wurde es flankiert von zwei Bunkern mit Wachposten, die die ankommende Fahrzeugkolonne mit Überwachungskameras genauestens im Auge behielten. Du meine Güte. Wozu brauchte denn S.H.I.E.L.D solche Sicherheitsvorkehrungen? Was wollten sie sich denn erwehren? Godzilla? Allerdings kamen Gwen sogleich wieder die Bilder des Angriffes auf New York in den Sinn und sie konnte sich plötzlich vorstellen, dass es durchaus von Vorteil war einen Ort mit solchen Türen zu besitzen. Als der Bus durch das Tor fuhr, welches nur eine Flügelseite geöffnet hatte und trotzdem genug Platz geboten hätte, um fünf Busse nebeneinander einzulassen, stellte Gwen indes mit Verwunderung fest, dass dieses Tor nicht nur von innen gesichert war - ebenso waren draußen massive Riegel und Schlösser angebracht. Als würde man die Tatsache ebenso in Betracht ziehen, das man hier etwas einschließen müsste. Interessant… Das Ganze fand ebenfalls eine Erwähnung auf Gwens Notizblock, bevor sie wieder aus dem Fenster sah. Der Bus rollte jetzt in eine Art Hangar, der allerdings die Dimensionen einer Kleinstadt zu besitzen schien. Riesige elektronische Leuchten schickten ihr künstliches Licht von der Decke auf eine imposante Ansammlung an Fahrzeugen und militärischem Spielzeug, von dem Gwen nicht einmal die Hälfte zuordnen konnte. Einiges war eindeutig Waffentechnik, anderes konnte durchaus als Forschungsarbeit durchgehen, ein paar Motorräder und teure Sportwagen waren ebenso unter dem Fuhrpark, der jeden Milliardär vor Neid hätte erblassen lassen. So ein Mist aber auch, dass sie keine Fotos machen konnte. Ihre Kamera befand sich in ihrer „Forschungsausrüstung“ im Gepäckfach des Busses; außerdem hätte sie wahrscheinlich sogleich einer der Soldaten, die geschäftig um den Bus eilten, mit gezogener Waffe herausgezerrt, wenn sie hier fröhlich Blitzlichter verschossen hätte. Nun gut, da musste wohl ihre Erinnerung reichen. Mit einem Schnaufen der Bremsen hielt der Bus schließlich an. Gwen straffte die Schulter und ließ ihr Notizbuch flink wieder in ihrer Tasche verschwinden. Nun ging es also los. Sie verließ mit dem Rest der Wissenschaftler den Bus, vor dem ihnen ihr Gepäck gereicht wurde. Die ganze Zeit waren sie von Soldaten umgeben und Gwen begann sich doch wieder ein wenig unwohl unter den wachsamen Augen zu fühlen. Sie war froh, dass sie ihr langes Haar heute offen trug; dezent ließ sie es sich ein wenig mehr ins Gesicht fallen und setzte eine besonders große Brille mit markantem Rand auf die Nase, welche sie eben aus ihrer Tasche gekramt hatte. Man wusste ja nie, ob diese Männer und Frauen nicht doch auch ab und an einen Blick in den Daily View warfen. Lieber kein Risiko eingehen. Die Gespräche der Wissenschaftler verstummten plötzlich, als sich die Reihe der Soldaten teilte und einem Mann Platz machte, der allein durch seine Erscheinung und sein Auftreten solche Autorität ausstrahlte, dass kein Zweifel daran aufkommen konnte, wer hier das Sagen hatte. Die auffällige Augenklappe und das grimmige Gesicht bestätigten Gwen noch in ihrem Verdacht, als der Mann mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor ihnen stehen blieb. Er trug einfache schwarze Kleidung und dazu einen ebenso schlichten schwarzen Mantel, jedoch keine erkennbare Bewaffnung, was seiner gebieterischen Erscheinung allerdings keinen Abbruch tat. Nick Fury, der mysteriöse Direktor von S.H.I.E.L.D. war persönlich gekommen, um sie willkommen zu heißen. Es existierten nur wenige Bilder von dem Kerl, doch seit der Sache in New York war er deutlich öfter an die Oberfläche geschwappt - ob gewollt oder ungewollt. Zumindest war sein Gesicht nicht mehr das eines völlig Fremden. Allerdings war an den Typen unter normalen Umständen genauso schwer ranzukommen wie an den Präsidenten. Hinter ihm trat der Scharfschütze Clint Barton hervor, der der zivilen Bevölkerung wohl besser unter dem Namen Hawkeye bekannt war. Der blieb in einigem Abstand stehen, das Gesicht konzentriert, während er die Reihen der Wissenschaftler überflog. Gwen senkte unauffällig das Haupt, als sein Blick sie streifte. Verdammt nochmal…sie hätte jetzt wirklich alles dafür getan, nur ein Foto schießen zu können. Der Direktor von S.H.I.E.L.D und deren wohl bester Scharfschütze auf einem Haufen, so nah, fast schon greifbar. Ihr kribbelte es in den Fingern, solch eine Chance ungenutzt verstreichen lassen zu müssen. Und dieser Clint Barton war ein echt heißer Kerl, das musste sie zugeben; was würde doch so manches Frauenmagazin an Geld springen lassen für eine Nahaufnahme von dem Agent, auf das die weibliche Bevölkerung ihn heimlich zuhause unter der Bettdecke anschmachten könnte. Nun ja, dann würde zumindest sie sich diesen Anblick gönnen. »Ich heiße sie heute hier alle herzlich willkommen. Die meisten werden mich bereits kennen, doch für jene unter ihnen, die das nicht tun stelle ich mich nochmals vor. Mein Name ist Nicholas Fury, Direktor von S.H.I.E.L.D und ihr Willkommenskomitee an diesem denkwürdigen Tag.« begann der Chef der Geheimorganisation seine Rede. »Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass alles, was sie von diesem Moment an hören, sehen, erfahren und erleben strengster Geheimhaltung unterliegt. Allerdings weise ich auch gern noch einmal darauf hin, dass jeglicher Informationsaustausch mit der Öffentlichkeit Folgen haben wird - für ihr Leben oder ihre Gesundheit.« informierte sie der Direktor mit ruhiger, fast schon abgeklärter Stimme, als würde er übers Wetter reden, während sein Gesichtsausdruck kaum eine Regung zeigte. Der Mann war definitiv abgebrüht oder konnte einfach gut bluffen. Gwen schielte flüchtig in die Gesichter der Wissenschaftler, doch die hingen wie gebannt an den Lippen des S.H.I.E.L.D Chefs und schienen diese Drohung gar nicht wirklich wahrzunehmen. Oder sie machten sich schlicht keine Sorgen deswegen. Während Gwen recht flau im Magen wurde und sie schlucken musste, um das trockene Gefühl im Hals loszuwerden, schien der Rest ihrer Reisegesellschaft mit reinem Gewissen hier zu stehen. Ganz wunderbar… Bill hatte sie nicht darauf hingewiesen, dass dieser Job auch in einer Holzkiste mit ihrem Namen darauf enden könnte. Dieser Mistkerl! Unfälle passierten ja so schnell. Ein Pfeil im Rücken beim Joggen und niemand würde je wieder von Gwendolyn Lewis hören. Hoffentlich hatte der S.H.I.E.L.D Boss nur einen Scherz gemacht, um sie einzuschüchtern. Allerdings sah er nicht wie der Typ für Scherzchen aus. »Sie gehören alle zu der Elite in ihren Bereichen der Wissenschaft und wurden deshalb ausgewählt an dieser einzigartigen Mission teilzunehmen, die es in solcher Form noch nie gegeben hat. Asgard hat sich bereit erklärt, die Pforten für uns Menschen zu öffnen und einen Einblick in die Mysterien dieses Reiches zu gewähren, um die Beziehungen zur Erde zu stärken. Und genau diese Beziehungen benötigen wir, ebenso wie das Bündnis mit Asgard. Denn die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass wir nicht allein sind im Universum und es jederzeit zu Angriffen kommen kann, denen wir allein nicht gewachsen sind. Eine enge Zusammenarbeit mit den Asen - in wissenschaftlichen wie militärischen Bereichen - ist unser höchstes Ziel. Sie werden die Missionare sein, die das hoffentlich möglich machen.« Nick Fury überflog die Reihen der Wissenschaftler vor sich kurz, bevor er sich mit wehendem Mantel umwandte. »Bitte folgen sie mir nun.« Die Männer und Frauen schnappten mit begeistert glimmenden Augen ihre Koffer und Ausrüstungsgegenstände, bevor sie dem Direktor mit Stolz erhobenen Häuptern folgten. Gwen beeilte sich ebenso aufzuschließen und in der Gruppe unsichtbar zu werden. Flankiert wurden sie wieder von einer Reihe Soldaten, ebenso auch S.H.I.E.L.D Agenten sowie Hawkeye, der sich in die Menge gemischt hatte. Über einige Köpfe hinweg entdeckte Gwen Andrew Preston, der sie in diesem Moment ebenfalls erblickte und ihr ein freundliches Lächeln wie ein Winken herüber schickte. Sogleich fühlte sie sich ein wenig sicherer. Der nette Agent würde sie doch ganz sicher nicht kaltblütig erschießen…oder doch? Nick Fury führte die Gruppe in einen Seiteneingang des Hangars, wo sie durch einen Gang noch tiefer in den Berg gelangten. Hin und wieder passierten sie Schleusen und Tore, die ihnen Soldaten nach einem Nicken des Direktors öffneten, um sie durchzulassen. Schlussendlich endete der Gang vor ihnen in einer kreisrunden Halle, die zwar nicht ganz die Ausmaße des Hangars hatte, allerdings auch ziemlich imposant war. In der Mitte der kuppelförmigen Halle öffnete sich die Decke und gewährte den Blick durch einen kreisrunden Schacht auf das Blau des Himmels; das Tageslicht fiel auf eine riesige Plattform, die in der Mitte der Halle aufgebaut war. Um diese eilten eine Handvoll Männer und Frauen in weißen Kitteln herum und kontrollierten die technischen Anlagen an den Seiten. »Willkommen in der Regenbogenhalle, wie wir das hier liebevoll nennen.« Der S.H.I.E.L.D Direktor war stehen geblieben und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die Plattform vor ihnen. »Mit Hilfe des zurückgewonnenen Tesserakts war Asgard in der Lage, den Bifröst neu zu erbauen, nachdem dieser durch einen Zwischenfall zerstört wurde. Somit sind wieder Reisen zwischen den Welten möglich. Mit ein wenig Überredungskunst und Wohlwollen der Asen werden einige von ihnen sicher Gelegenheit haben, dieses magische Artefakt genauer unter die Lupe zu nehmen.« erklärte Nick Fury den Wissenschaftlern, woraufhin er ein begeistertes Raunen erntete. Gwen verstand nicht alles von dem, was der Direktor ihnen erklärte, doch zumindest mit dem Wort Tesserakt konnte sie etwas anfangen. Dieses machtvolle Artefakt hatte bei dem Angriff auf New York eine entscheidende Rolle gespielt. Es hieß, der Würfel konnte Dimensionsportale erschaffen. Kein Wunder, dass die Wissenschaftler völlig aus dem Häuschen waren. »Bitte bedenken sie aber stets, dass sie zum Beobachten und Forschen aufbrechen. Es wäre sehr unklug sich in die Angelegenheiten der Asen einzumischen. Sie werden Unterkünfte erhalten und man wird ihnen Möglichkeiten bieten, ihre Forschungen auszuüben. Allerdings sollten sie bitte jeglichen Weisungen Folge leisten und sich nie unerlaubt frei bewegen.« Gwen war doch beinahe geneigt, diesen Belehrungen Gehör zu schenken. Sollte sich Bill seine Enthüllungsstory doch in die Haare schmieren. Sie würde definitiv nicht Kopf und Kragen für diesen Job riskieren und sich mit S.H.I.E.L.D oder irgendwelchen Göttern anlegen. Einer der Weißkittel eilte von der Plattform zu Nick Fury herüber und wisperte diesem etwas ins Ohr, woraufhin der Direktor nickte und sich wieder den Wissenschaftlern zuwandte. »Es scheint, als würde ihre Eskorte nun eintreffen.« Gwen runzelte gerade noch fragend die Stirn, als Leben in die Forscher um die Plattform kam. Überall begannen Lämpchen an den Apparaturen zu leuchten und hektisch zu blinken, während eine Sirene um Aufmerksamkeit bat. Seitentüren der Halle öffneten sich und herein stürmten Scharfschützen, die um die Plattform in einem weiten Kreis Stellung bezogen; unter ihnen ebenso Clint Barton, der seinen Bogen kampfbereit spannte. Gwen sah sich wie die Wissenschaftler ihrer Gruppe irritiert und auch ein wenig beunruhigt um, der S.H.I.E.L.D Direktor erhob jedoch seine markante Stimme über das Trampeln von Stiefeln und das Schrillen der Sirene. »Machen sie sich keine Sorgen. Eine einfache Vorsichtsmaßnahme, um unerwünschten Besuch sogleich gebührend zu empfangen. Man weiß ja nie, wer von draußen anklopft.« Plötzlich begann sich die Luft um die Plattform statisch aufzuladen und seltsam zu schimmern, während ein Luftwirbel die Kittel der Forscher umher erfasste und hektisch flattern ließ. Im nächsten Moment schoss eine Art Energiestrahl durch das Loch in der kuppelförmigen Decke der Halle, so hell, dass Gwen die Augen mit der Hand abschirmen musste. Blinzelnd versuchte sie etwas zu erkennen, doch das gelang ihr erst wieder, als sich das Licht zurückzog und aus der wirbelnden Luft ein Mann trat, dessen Anblick Gwen die Augen aufreißen ließ. Eine glänzende Rüstung unter einem wehenden roten Umhang. Eine imposante, kräftige Gestalt. Und natürlich der Hammer Mjölnir in seiner Hand. Kein Zweifel, er war es. Der Donnergott Thor. Die Soldaten umher ließen ihre Waffen langsam sinken, während die Sirene verstummte und der blonde Gott mit einem heiteren Lächeln von der Plattform stieg, um zu ihnen herüber zu kommen. Der Direktor und er begrüßten sich mit einem kräftigen Händedruck und einem respektvollen Nicken. Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen der Wissenschaftler um Gwen herum. Oh man, das war ja fast wie Ostern und Weihnachten zusammen. So viele Berühmtheiten auf einem Haufen und sie hatte keine Möglichkeit, dass zu nutzen außer wie der Rest mit offenem Mund zu starren, weil sie die Helden einmal aus der Nähe zu Gesicht bekam, welche sie sonst hauptsächlich aus Zeitungen oder dem Fernsehen kannte. Warum sahen diese Typen alle nur so verdammt gut aus? Thor, Clint Barton, Tony Stark - nicht nur, dass sie unheimlich mächtig und begabt waren, nein, sie mussten auch noch aussehen wie einem Hochglanzmagazin für Männermodels entsprungen. Das war doch wirklich nicht fair. »Direktor.« Thor ließ die Hand des S.H.I.E.L.D Chefs los und sein Blick wanderte dann über die versammelten Wissenschaftler, bevor er sich vor ihnen achtungsvoll verbeugte. »Thor, darf ich vorstellen - das ist sie nun, die Elite unseres Landes in Sachen Forschung und Entwicklung.« erklärte Nick Fury, während er die Hände zufrieden in die Hüften stemmte und zwischen der Gruppe und dem Donnergott hin und her sah. »Sie sind bereit zum Aufbruch und sicherlich auch äußerst begierig darauf, Asgard einmal aus der Nähe zu sehen.« Über das sonst so strenge Gesicht des Direktors huschte ein flüchtiges Lächeln. »Nun, dann sollten wir sie wohl nicht mehr warten lassen.« erhob der blonde Gott mit amüsierten Grinsen seine Stimme und wandte sich dann an die versammelten Forscher. »Es wird mir eine Ehre sein, sie alle nun nach Asgard zu begleiten. Der Allvater Odin zeigt am heutigen Tag größte Güte und Wohlwollen gegenüber Midgard, indem er die Tore seines Reiches für die Menschen öffnet - ein Zeichen friedliebender Absichten und eines guten Willens, auf das die Asen beweisen können, dass sie noch immer ehrliche Verbündete der Erde sind.« Gwen runzelte nachdenklich die Stirn, während sie erneut ihren Koffer ergriff und der Gruppe folgte, die angeführt von Thor und Direktor Fury zu der Plattform marschierte. Das klang ja fast so, als hätte Asgard etwas wiedergutzumachen. Seltsam… bei dem Angriff vor zwei Jahren hatte Thor den Kampf der Avengers doch unterstützt. Dieser Sache sollte sie bei Gelegenheit vielleicht einmal nachgehen. Auch wenn sie es sich ungern eingestand, doch möglicherweise hatte Bill ja doch recht gehabt und Asgard hatte mehr Leichen im Keller, als anfänglich gedacht. »Wenn man das erste Mal mit dem Bifröst reist, kann das ein wenig unangenehm sein.« begann der Donnergott gerade, der in der Mitte der Plattform Aufstellung genommen hatte und die Gruppe Wissenschaftler zu sich heranwinkte, die eher zögerlich und verhalten das Gebilde erklommen. »Aber keine Sorge, außer ein wenig Übelkeit und Schwindel sollte es keine Nebenwirkungen ernsterer Natur geben.« Gwen schielte nach oben und erblickte den blauen Himmel meilenweit über sich durch das kreisrunde Loch in der Hallendecke. Sie musste schlucken und versuchte nicht daran zu denken, dass ihre Moleküle gleich verstreut durch das kalte Universum fliegen würden. Das war keine gerade beruhigende Vorstellung. Wirklich nicht. Übelkeit stellte sich schon jetzt bei ihr ein, als sie sich nervös an den Griff ihres Koffers klammerte und auf ihrer Unterlippe kaute. »Keine Angst, so schlimm wird es nicht. Es ist schnell vorbei und dann werdet Ihr mit einem himmlischen Anblick belohnt, Lady.« sprach der blonde Gott sie ermutigend an und drückte ihr aufmunternd die Schulter. Sein Griff war warm und beruhigend, ebenso wie sein herzliches Lächeln und das Strahlen seiner herrlich grau-blauen Augen. Oooookay…sie war schon gar nicht mehr nervös, allerdings fühlte sie sich plötzlich seltsam schwerelos unter seinem Blick. Jetzt nimm dich mal zusammen, Gwendolyn Lewis. Du bist doch kein hirnlos kreischender Groupie. Gwen holte tief Luft und straffte sich, nickte Thor dankend zu und machte sich bereit für das Unvermeidliche. Direktor Fury blieb vor der Plattform stehen und gab seinem Personal mit einem Nicken zu verstehen, dass es losgehen konnte. »Dann wünsche ich ihnen eine gute Reise und einen erfolgreichen Aufenthalt, meine Damen und Herren. Und vergessen sie nicht, dass sie dort oben die Vertreter der Erde sind.« »Heimdall.« erhob der Donnergott seine Stimme gen Himmel. »Hol uns heim.« Für einen Moment dachte Gwen schon, dass nichts passieren würde, bevor sie ein zaghaftes Ziehen an sich verspürte. Und im nächsten Moment schon wurde ihr Körper in die Höhe gerissen und durch Raum und Zeit katapultiert. In den tiefen, unendlichen Weiten des Universums… Einst gab es an jenem Ort, wo später die Welt entstand, nur den Urschlund - ein tiefer gähnender Abgrund, ein bodenloses Loch, in dem es weder Himmel noch Erde gab, kein Licht, nur Schatten, alles tot und leer, kein Funke Leben weit und breit. Nördlich des Schlundes lag Niflheim, das Land der Kälte und des ewigen Eises. Und südlich des Abgrundes erstreckte sich Muspelheim, die Heimstätte des unsterblichen Feuers. Und wie die Geschichte es lehrte, so entstand aus dem Widerstreit und der Verbindung von Feuer und Eis das Urwesen Ymir - ein Ungeheuer, aus dessen Leib die Götter später die Welt formten, nachdem sie den Ur-Riesen erschlagen und seinen Körper in den Urschlund geworfen hatten. So zogen die Äonen dahin und das Leben gedieh prachtvoll; Licht breitete sich aus und beseelte die Reiche der Esche Yggdrasil. Alles schien friedlich, ruhig und voller Leben. Doch in den unendlichen Tiefen des Urschlundes hatte etwas überlebt; in den tiefsten Schatten, welche das Licht nie erreichen konnten - leblos und kalt, beseelt vom Hass des Ur-Riesen, dessen dunkler Geist ewiglich seines Mordes Sühne begehrte, neidisch und zornig auf alles Leben. Als die Welt entstand floh dieser finstere Rest des Schlundes; wich zurück wie Schnee vor der erstarkenden Sonne. Er hatte Zuflucht gefunden in den lichtlosen, unentdeckten Winkeln des Universums. Hatte ausgeharrt. Und gewartet. Bis zur heutigen Zeit… Eine gewaltige Flotte nomadischer Wesen verirrte sich in jene dunklen Grenzregionen des Universums auf der Suche nach Ressourcen - doch alles, was sie finden sollten war das Grauen. Denn der untote Schatten begann sich nun zu regen - nach all den ewigen Zeiten schlummernd am Rande des Kosmos spürte er eine Veränderung im Lauf der Dinge. Und seine Chance zum Greifen nahe. Das Volk der friedlichen Nomaden wurde verschlungen, bevor die Wanderer überhaupt wussten, was ihnen da geschah - einer tiefschwarzen Woge gleich fiel der Schatten über ihre Schiffe, saugte das Leben aus schreienden Kehlen, ersetzte Licht durch Dunkelheit und das Leben durch eine unselige Existenz. Das uralte Schattenwesen eroberte die Flotte der Nomaden und gab sich selbst aus den toten Leibern der geschlagenen Rasse eine Form; unfähig, selbst Leben hervorzubringen, erschuf es aus der eigenen Substanz und den toten Körper ein Volk; Krieger so seelen- und leblos wie er selbst, nur getrieben von seinen hasserfüllten Gedanken an Vergeltung. Ein Aufblitzen reinen Lichtes vom anderen Ende des Universums zog die Aufmerksamkeit des Schattens auf sich. Die Zeit war gekommen. Wie aus finsterem Nebel löste sich die schwarze Flotte aus der Dunkelheit und setzte Kurs auf die helleren Regionen des Universums - ein nicht enden wollender Überfluss an Schiffen, deren Ziel das Leben war… dessen Unterwerfung und Auslöschung. Kapitel 3: Seltsame Zimmernachbarn ---------------------------------- Asgard war wirklich atemberaubend. Zumindest, wenn man die Übelkeit der Reise endlich hinter sich lassen konnte, um die überwältigende Schönheit dieses Ortes gebührend zu würdigen. Gwen hatte von allen am meisten mit den Nachwirkungen des Bifröst zu kämpfen. Den anderen Wissenschaftlern schien diese Art des Reisens kaum etwas auszumachen; nur Gwen fühlte sich, als hätte man ihr Innerstes nach außen gekehrt, alles ordentlich durchgemischt und es dann wieder in ihre leibliche Hülle zurückgestopft. Kurzzeitig hatte sie kaum noch das Gefühl, sie selbst zu sein. Sie war nach der Ankunft so schwach auf den Beinen gewesen, dass sie Schwierigkeiten gehabt hatte allein zu stehen und sich beinahe direkt vor die Füße des riesenhaften, dunkelhäutigen Heimdall übergeben hätte, der die Ankunft der Wissenschaftler schweigend überwachte; doch Thor hatte die Situation glücklicherweise erkannt und sie gestützt, um sie etwas abseits der Gruppe zu führen. Ging es eigentlich noch peinlicher?! Da musste ihr der Donnergott die Haare aus dem Gesicht halten, während sie trocken an ihrem leeren Magen würgte. Zum Glück hatte sie aus Nervosität vor ihrer Reise nichts essen können. Heimdall hatte Gwen die ganze Zeit seit ihrer Ankunft beobachtet; das unergründliche Gesicht des Wächters hart wie Stein, die dunklen Augen uralt und wissend. Sie hatte seinen bohrenden Blick förmlich im Rücken spüren können und kam sich sogleich noch elender vor. Die restlichen Forscher hatte der allsehende Heimdall nur flüchtig mit seinem Blick gestreift, doch auf ihr war sein Fokus unbeirrbar hängengeblieben. Hoffentlich konnte er nicht in ihr Innerstes sehen und hatte damit ihre Lüge entdeckt. Wahrscheinlicher war allerdings, dass er sich insgeheim über ihr Elend wunderte und sie lieber im Auge behielt, um seine Stiefel vor ihr in Sicherheit zu wissen. Himmel…am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Thor hatte die Gruppe nach Asgard hinein geführt und während die Wissenschaftler völlig begeistert am liebsten gleich über jedes Quäntchen der Regenbogenbrücke hergefallen wären und bereits vor Tatendrang und Ungeduld schier zu platzen schienen, hatte Gwen atemlos über die Schönheit dieses Ortes gestaunt. Der Donnergott hatte sie weiterhin mit seinem kräftigen Griff gestützt und ihr immer wieder durchaus besorgte Blicke zugeworfen, doch nach und nach hatten sich ihre Beschwerden verzogen; sie war auch viel zu beschäftigt damit den Anblick, der sich ihr bot förmlich aufzusaugen. Die Stadt der Asen wuchs wie ein vergoldeter Fels in der Brandung in den von Sternen und Galaxien überzogenen Himmel; umher schwappte das glasklare Meer an die imposanten Mauern, umspülte das Reich der Götter wie eine sanfte Liebkosung. Die Luft war rein und frisch, als hätte es gerade erst geregnet und füllte die Lungen mit Lebensgeistern, während die Strahlen der Sonne sanft wärmten und die hohen, schlanken Türme und mächtigen Bauten des Reiches in goldenem Licht erstrahlen ließen. Der prächtige Palast des Allvaters erhob sich in der Mitte wie die glänzende Bergspitze eines gewaltigen Gipfels; unzählige Türme, Terrassen und kunstvolle Fensterbögen schmückten das Heim Odins, das sich prachtvoll über allen anderen Häusern und Palästen erhob. Irgendetwas lag in der Luft, umschmeichelte diesen Ort wie ein unsichtbarer Atemhauch; Gwen konnte es fast schon auf der Zunge schmecken - etwas machtvolles, etwas mächtiges, was Asgard gänzlich von der Erde unterschied, als hätte dieses Reich eine Seele, welche in jedem Torbogen, jedem Fahnenwimpel, Stein und Grashalm lebte. Ein eigener Herzschlag, der tief in der Erde zu vernehmen war - wenn man nur genau hinhören würde. Hier konnten Legenden Wirklichkeit werden, Wunder geschehen und Magie war keine Illusion von rein begabten Straßenkünstlern mehr. Gwen konnte es sich nicht erklären, doch für einen Moment fühlte es sich wie heimkommen an als sie die Regenbogenbrücke entlang nach Asgard hinein schritt. Ihr Geist formte das Wort „zuhause“ in ihrem Kopf und sie schüttelte jenen beharrlich, um selbigen wieder frei zu bekommen. Was für ein Blödsinn. Wie kam sie nur auf diesen Quatsch? Thor hatte sie alle schlussendlich dann zu ihren Unterkünften geleitet, die sich in einem kleineren Nebengebäude von Odins Palast befanden. Nun hatten sie etwas Zeit, um sich häuslich einzurichten, bevor man sie am Abend wieder abholen und ihnen die Räumlichkeiten für ihre Forschungen zeigen wollte, ehe sie bei einem Bankett den Allvater selbst treffen sollten. Gwens Zimmer war klein, aber sauber und ordentlich und für sie mehr als ausreichend. Die Zimmer in diesem Gebäude waren einst für die Unterbringung von Soldaten - Kriegern - bereitgestellt worden, wie Thor ihnen erklärt hatte und so fehlte hier jeglicher Luxus. Doch das störte Gwen ganz und gar nicht. Sie hatte es gern einfach und schlicht und schon in wesentlich schlimmeren Absteigen übernachtet. Nachdem sie sich nach der Ankunft sofort auf das schmale Bett geworfen und ein Nickerchen gehalten hatte, um ihren Schwächeanfall wieder auszugleichen, fühlte sie sich nun wesentlich frischer und fast schon wieder in Topform. Sie konnte sich noch immer nicht erklären, warum es gerade ihr allein so schlecht bekommen war mit dem Bifröst zu reisen. Sonst war sie doch auch nicht aus Zucker. Naja, egal. Es ging ihr ja wieder besser. Das Einzige, was nun noch fehlte war eine heiße Dusche. Und das angekündigte Festmahl. Langsam begann sich ihr Magen nämlich beharrlich mit einem Knurren zu melden. Doch zuerst räumte sie ihre Klamotten in den kleinen Schrank und zog Notizbuch, ihre Kamera und das kleine Diktiergerät aus ihrer Tasche, um alles kurz auf dem Bett zwischenzulagern. Für die Dinge würde sie später noch ein sicheres Versteck suchen müssen. Dann wählte sie ein paar frische Kleider für den Abend und warf diese ebenfalls aufs Bett. Der andere Koffer mit ihrer fingierten Forschungsausrüstung stand noch immer unangerührt neben der Tür. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah das gute Stück grübelnd an. Schlussendlich zuckte sie mit den Schultern. Sollte er da stehen bleiben. Sie konnte den Kram auch die nächsten Tage in einem der bereitgestellten Labore auspacken. Flink schlüpfte sie dann aus ihren verschwitzten Sachen und genoss in dem winzigen, angrenzenden Badezimmer die heiß ersehnte, wohltuende Dusche. Nachdem sie das frische Wasser ausgiebig über ihren Körper hatte perlen lassen, drehte sie das Wasser aus und wickelte sich in ein großes Handtuch ein. Mit nassen Füßen tapste sie zurück in ihr Zimmer und trocknete sich die Haare mit einem weiteren Tuch, während sie am Fenster stehen blieb und die Aussicht genoss. Die Sonne war bereits deutlich tiefer gesunken und tauchte die Umgebung in mildes, warmes Licht. Von ihrem Zimmer aus hatte sie einen herrlichen Blick über den üppigen Garten des Palastes und einen großen Teil der Stadt sowie die angrenzenden Wälder und Gebirge. Am Horizont glitzerten die Wellen des Meeres unter dem Abendrot. Geschäftiges Stimmengewirr und das Klappern von Hufen drang von Asgard herauf und die verschiedensten Gerüche erfüllten die Luft; Gwen fühlte sich wirklich gänzlich in eine andere Welt versetzt. Hier schein alles so ruhig und friedlich, einfach magisch. Plötzlich landete ein kleiner, brauner Vogel von einem Baum auf dem Fenstersims vor ihr und hüpfte dort auf zierlichen Beinchen umher, während er sie mit dunklen Knopfaugen fixierte und ein leises Piepen von sich gab. Gwen wagte sich kaum zu bewegen, um den kleinen Kerl nicht zu verschrecken. Doch der Vogel schien gar keine Angst zu haben. Er flatterte mit den Flügeln, als wollte er ihre Aufmerksamkeit erregen und sah sie noch immer unverwandt an. Ihr fiel auf, dass einer seiner Flügel in einem seltsamen Winkel abstand und er ihn scheinbar nicht richtig bewegen konnte. »Hey Kleiner, hast du dir den Flügel verletzt? Du armer Kerl.« Sie warf das Handtuch, mit dem sie sich eben noch die Haare getrocknet hatte über einen Stuhl und streckte die Hand ganz langsam nach dem Vogel aus. »Lass mich mal sehen.« Allerdings rechnete sie damit, dass er jeden Augenblick davon hüpfen würde. Doch der Vogel blieb. Und ließ ihre Hand sogar soweit heran, dass sie ihn berühren konnte. Nun gut, vielleicht waren die Tiere hier einfach zutraulicher. Das sollte sie nicht weiter verwundern. Obwohl sie nicht viel von Tierheilkunde verstand, tastete sie doch seinen Flügel vorsichtig ab und erfühlte eine Bruchstelle in einem der hauchdünnen Knochen. Sie seufzte und sah den Vogel mitleidig an, während sie ihm mit dem Zeigefinger den kleinen Kopf kraulte. Der Arme. Mit solch einem gebrochenen Flügel würde er sicher nicht lang überleben. Der Vogel fiepte sie kläglich an, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Tut mir leid, mein Kleiner, aber da kann ich dir leider nicht helfen.« sprach sie leise und bedauernd, fühlte sogleich Trauer um das Schicksal des Vogel. Er legte den Kopf schief, sah sie beinahe eindringlich an und drückte sich wieder gegen ihre Hand. In seinen winzigen Augen lag eine unaussprechliche Bitte neben einer Intelligenz, die Gwen verwundert blinzeln ließ. In ihr erwachte ein seltsamer Drang zu helfen; ein unwiderstehliches Ziehen, welches sie die Hand erneut ausstrecken ließ. »Na schön, ich sehe es mir noch einmal an, okay?« Erneut befühlte sie den Flügel des Vogels, auch wenn sie nicht wusste, was das schlussendlich bringen sollte. Abermals ertastete sie die gebrochene Stelle und schloss die Augen. Sie wünschte sich wirklich, sie könnte dem kleinen Kerl helfen und damit wahrscheinlich sein Leben retten. Sie verspürte plötzlich ein Kribbeln in den Fingerspitzen und…wie sich die hauchzarten Knochen unter ihrer Berührung bewegten. Gwen riss die Augen auf sah ihre Hand in einem seltsamen Schimmer glühen. Erschrocken zog sie die Hand zurück und starrte entgeistert auf ihre Finger. Ihre Haut schien von innen heraus zu leuchten. »Oh mein Gott…« keuchte sie entsetzt, während das Licht bereits zu verblassen begann und im nächsten Moment ganz verschwunden war. Gwen drehte ihre Hand hin und her, doch sie sah wieder völlig normal aus. Kein seltsamer Schimmer, kein Licht unter ihrer Haut. Der Vogel indes streckte die Flügel auf dem Fenstersims aus und piepte glücklich, dann schien es, als würde er sich in ihre Richtung verbeugen, bevor er ein paar Mal probeweise mit seinen wieder völlig intakten Schwingen schlug und in das Licht der untergehenden Sonne davon flog. »Was zur Hölle…war das denn?« Wurde sie jetzt verrückt? Das hatte sie sich doch eben nicht nur eingebildet. Sie rieb sich die Augen, blinzelte ein paar Mal und schlug sich probeweise einmal leicht gegen den Arm, nur um ganz sicher zu gehen, dass sie nicht noch schlief. Okay, ganz ruhig. Sie fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und holte tief Luft. Wahrscheinlich gab es für das alles eine logische Erklärung. Vielleicht hatte dieser Ort nicht nur Auswirkungen auf die Tiere hier, sondern auch auf sie. Möglicherweise sollte sie an einem Ort wie Asgard gar nichts seltsam finden. Sie musste sich bei Gelegenheit einmal mit den Wissenschaftlern ihrer Gruppe unterhalten. Womöglich hatte ja noch jemand anders fremdartige Veränderungen an sich festgestellt. Erneut hob sie die Hand vors Gesicht und starrte ihre Finger beschwörend an. Nichts. Keine Flammen, keine Energiekugeln, keine Blitze. Obwohl sie sich sogleich ziemlich lächerlich dabei vorkam, streckte sie die Hand aus und konzentrierte sich auf das Bücherregal an der Wand ihres Zimmers; stellte sich vor, eines der Bücher zu bewegen. Wieder nichts. »Was hast du erwartet, Gwendolyn Lewis - das du der neue Houdini wirst?« Mit einem Kopfschütteln ließ sie die Hand sinken und lachte über sich selbst. »Absolut lächerlich.« Natürlich besaß sie nicht plötzlich magische Kräfte, nur weil sie sich in einem magischen Reich wie Asgard aufhielt. Und das war auch ganz gut so. Sie wollte nicht anfangen an ihrem Verstand zweifeln zu müssen. Sie war immer noch stinknormal. Und so entschied sie sich den Vorfall einfach zu vergessen und machte sich für den Abend fertig, indem sie in das schlichte grüne Kleid schlüpfte, das bereits auf ihrem Bett bereit lag und gut zu ihren kupferroten Haaren passen würde - zumindest war Ashlyn dieser Meinung. Ein paar einfache flache Schuhe rundeten das Bild ab. Gwen machte sich gerade daran, ihre noch feuchten Haare mit der Bürste zu bändigen, als ein Klang an ihr Ohr drang, den sie im ersten Moment gar nicht einordnen konnte. Sie hielt inne und lauschte. Von draußen drangen noch immer die fernen Stimmen zum Fenster herein, ebenso wie das Zwitschern der Vögel und das leise Rauschen des Windes in den Wipfeln. Auf dem Gang vor ihrem Zimmer vernahm sie ein leises Gespräch. Nein, das war es nicht was sie gehört hatte. Sie runzelte die Stirn angestrengt und spitzte die Ohren erneut. Und da vernahm sie es wieder. Unter all den Geräuschen hörte sie eine Stimme heraus. Jemand sang da irgendwo. Es war ein Mann mit der Stimme eines Engels. Das Lied war kaum zu vernehmen, drang nur seltsam gedämpft an ihr Ohr und berührte dennoch sofort ihr Herz auf seltsame Art und Weise. Die fernen Töne drangen zu Gwen heran, perlten in der Luft wie zarte Wassertropfen auf der stillen Oberfläche eines Sees und wanden sich einnehmend und bezaubernd um ihren Geist. Obwohl sie die Worte nicht verstand, da sie in einer ihr unbekannten Sprache gesungen wurden, war die Bedeutung hinter den betörenden Klängen doch deutlich. Unendlich traurig klang das Lied dieser wundervollen Stimme, verzweifelt und von solchem Schmerz beseelt, dass ihr ungewollt die Tränen in die Augen stiegen. Sie legte den Kopf auf die Seite und ließ die Bürste sinken, um die Quelle dieser anmutigen Töne ausfindig zu machen. Völlig gebannt begann sie ihr Zimmer abzuschreiten, die Ohren auf jedes Geräusch lauschend. Als sie an dem Bücherregal ankam hatte sie das Gefühl, dass die Stimme deutlicher werden würde. Sie drückte ihr Ohr an die Wand daneben und tatsächlich…irgendwo dahinter musste der unbekannte Sänger sein. Ihre Neugier war geweckt. Sie war völlig gefesselt von dieser Stimme und konnte dem Drang einfach nicht wiederstehen, diesem Lied auf den Grund zu gehen. Da sie wusste, dass neben ihrem Zimmer kein weiteres lag, tastete sie das Holz nach irgendeinem versteckten Mechanismus ab; womöglich gab es ja eine Geheimtür. Sie konnte jedoch nichts finden. Frustriert stieß sie die Luft aus und ließ sich gegen das Regal sinken. Dieses gab überraschend unter ihrem Gewicht nach und verschob sich mit einem Knirschen, um tatsächlich einen finsteren Durchgang freizugeben, der dahinter zum Vorschein kam. Gwen hielt gerade noch ihr Gleichgewicht und spähte in das pechschwarze Loch, welches sich da offenbart hatte. Die gesichtslose Stimme war nun bereits viel deutlicher zu vernehmen. Na sieh mal einer an…Offenbar gab es hier tatsächlich so einiges zu entdecken. Flink schnappte sich Gwen eine kleine Taschenlampe aus ihrem Reisegepäck und leuchtete damit in den düsteren Gang. Der Lichtkegel erhellte ein paar Spinnweben und felsigen Boden, bevor er sich in der Dunkelheit verlor. Sie holte tief Luft, dann schritt sie entschlossen in die Dunkelheit und folgte den Klängen der fremden Stimme, welche sie durch die Finsternis leitete und wie eine Motte zum Licht zog. Langsam tastete sie sich voran und hatte zunehmend das Gefühl abwärts zu gehen. Hin und wieder sah sie sich um, doch das Licht aus ihrem Zimmer war bereits lang hinter ihr verblasst. Nach einigen weiteren Metern stieß sie auf eine massive Felswand. Schluss. Der Gang war hier zu Ende. Systematisch begann sie den Felsen vor sich mit der Taschenlampe abzuleuchten und folgte dem Kegel des Lichtes mit ihren Fingern. Irgendwo musste es hier doch eine Art Mechanismus geben. Dieser Weg musste ja schließlich auch ein Ziel haben. Das Lied verstummte und sie lauschte nun einzig und allein ihrem Atem in der schwülen Düsternis des Ganges. Sie stieß ein kleines, triumphierendes Lachen aus, als ihre Finger einen gut versteckten Knopf entdeckten, der sich kaum vom restlichen Felsen abhob. »Bingo.« wisperte sie und drückte den lockeren Stein. Mit einem dumpfen Knirschen bewegte sich die Felswand zur Seite und gab den Weg frei. Gwen wurde erst jetzt bewusst, dass sie vielleicht nicht so gutgläubig hier herunter hätte kommen sollen; sie wusste überhaupt nicht was sie erwarten würde. Zumindest eine passende Ausrede hätte sie sich zurechtlegen können. Direktor Furys Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Nun, genaugenommen bewegte sie sich ja nicht unerlaubt hier - immerhin hatte es ja auch niemand so direkt verboten. Das war zwar ihre ganz eigene, freie Auslegung dieses Verbotes, doch als Journalistin lernte man frühzeitig, dass man nach Lücken in Worten und Gesetzen suchen musste. Vorsichtig spähte sie aus der Dunkelheit und entdeckte eine Art von Fackeln erleuchtete Höhle, in welcher der Gang endete. An einer Seite war eine goldene, geschlossene Tür in den Felsen eingelassen und in der Mitte befand sich eine Art Raum mit gläsernen Wänden und steinernen Ecksäulen. Es war völlig still. Und niemand war hier - weder in der Höhle, noch in diesem seltsamen Glasraum, dessen Wände ab und an ein flüchtiges Schimmern überlief, als würden sie einen eigenen Herzschlag besitzen. Noch einmal sah sich Gwen nach allen Seiten um und lauschte einen Augenblick mit angehaltenem Atem, doch als sie nichts vernahm, wagte sie sich auf leisen Sohlen hinter der Felsentür hervor. Angezogen wurde ihre Aufmerksamkeit noch immer von diesem seltsamen Raum aus Glas in der Mitte. Vorsichtig ging sie darauf zu. Und mit Raum hatte sie wirklich offenbar gar nicht so falsch gelegen; wie eine Art Zimmer wirkte das Gebilde. Hinter den Glaswänden konnte sie nun ein schlichtes Bett erkennen, dessen Laken zerwühlt waren, als wäre eben jemand aus ihnen gestiegen; ebenso sah sie einen reich verzierten Tisch, auf dessen Platte sie einen Teller mit Speisen ausmachen konnte, der jedoch unberührt schien. In einer Ecke des Raumes stand ein opulenter Sessel und daneben ein kleiner Beistelltisch auf zierlichen Beinen, auf dem sich einige Bücher stapelten. Das Oberste lag aufgeschlagen, als hätte hier eben noch jemand gelesen. Sie runzelte die Stirn und sah sich abermals in der Höhle um, bevor sie den Raum in der Mitte einmal umrundete und gründlich in Augenschein nahm. Nichts. Hier war niemand. Das konnte doch nicht sein. Sie hatte doch diese Stimme gehört und sie war sich ziemlich sicher, dass sie von hier gekommen war. Sollte der unbekannte Sänger bereits so schnell verschwunden sein? »Mist.« stieß sie frustriert aus und seufzte. Offenbar war sie wirklich zu spät gekommen. Wahrscheinlich sollte sie sich eh auf den Weg zurück machen. Garantiert würde man sie bald abholen wollen und sie konnte nicht riskieren, dass man in ihrem Zimmer diesen geöffneten Geheimgang vorfinden würde; ganz zu schweigen von ihren persönlichen Arbeitsutensilien, die offen auf ihrem Bett lagen, weil sie vergessen hatte, diese zu verstecken. Dann wäre ihr Aufenthalt in Asgard gewiss schneller vorbei als ihr lieb war. Sie wollte sich gerade abwenden, als die gläsernen Wände erneut ihre Aufmerksamkeit erregten; wieder überlief die Oberfläche ein funkelndes Schimmern von einer Seite des Raumes zur anderen und Gwen vernahm ein seichtes Summen, als wäre eine Menge Energie in Bewegung. Fasziniert trat sie näher heran und inspizierte das Glas etwas genauer. Tatsächlich befanden sich in der Scheibe vor ihrer Nase eine Art magische Leitungen; filigrane glänzende Linien, in denen eine schimmernde Flüssigkeit floss, die mal mehr und mal weniger in einem beständigen Rhythmus aufleuchtete und somit das wellengleiche Flimmern erzeugte, dass regelmäßig über die Oberfläche rollte. Interessiert tippte sie mit dem Zeigfinger leicht gegen die Scheibe und sofort begann sich die leuchtende Flüssigkeit um ihre Fingerspitze zu verdichten und intensiver zu strahlen, als würde das Glas auf ihre Berührung reagieren. Gwen zog den Finger rasch zurück und rieb die kribbelnde Haut abwesend an dem Stoff ihres Kleides, während sie erneut mit gefurchter Stirn in den Raum hinter dem Glas blickte. Das musste so eine Art Gefängnis oder Arrestzelle sein, vermutete sie. Sie hatte keine Tür oder sonstigen Durchgang im Glas entdeckt. Wahrscheinlich öffneten die Asen ihre Gefängnisse auch auf ganz andere Weise. Aber für wen oder was war die Zelle gedacht? Der Insasse schien zumindest ausgeflogen oder gerade nicht da zu sein. Doch irgendjemand musste vor kurzem noch in diesem Zimmer gewesen sein, davon zeugte zumindest das unangerührte Essen auf dem Tisch. Gwen begann sich unwohl zu fühlen. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und ein Frösteln lief ihren Rücken herab. Sie war hier nicht allein. Unruhig sah sie über ihre Schulter. In der Höhle war noch immer niemand. Doch sie wurde das Gefühl nicht los beobachtet zu werden. Als sie sich wieder umwandte, blickte sie plötzlich in die unglaublichsten grünen Augen, die sie jemals gesehen hatte und die sie mit einem solch intensiven Blick fesselten, dass ihr der Atem stockte. Er wusste bereits schon nicht mehr, welcher Tag gerade war; ganz zu schweigen von der Tageszeit - war es Nacht? War es Tag? Hier unten verlor die Zeit jegliche bekannte Bedeutung. Sie quälte nur noch verzehrend seinen Geist und war Folter allein durch ihr zähes Dahinscheiden. Wie lang war er hier schon eingesperrt? Tage? Monate? Jahre? Äonen? Anfangs hatte er die Zeit noch an den Besuchen jenes Mädchens errechnet, die ihm täglich einmal etwas zu essen brachte. Doch schon seit einer ganzen Weile hatte er das aufgegeben. Kam sie überhaupt noch, um ihm seine Mahlzeit zu bringen? Er war sich nicht sicher. Odin hatte ihn in all der Zeit hier unten nie besucht. Ebenso wenig Thor. Auch Frigga war nie aufgetaucht. Noch nicht einmal Thors Freunde hatten sich je wieder sehen lassen seit diesem einen Besuch vor so vielen Monden. Wie hätten sie alle ihre Verachtung auch wirkungsvoller ausdrücken können, ihm noch direkter verdeutlichen, dass er nicht zu ihnen gehörte - es nie wieder würde und es noch nie getan hatte. Diese Erkenntnis schmerzte. Noch immer. Die Tage waren ein Dahinsiechen in einem trägen Dämmerzustand; Wirklichkeit und Traum vermischten sich immer mehr, bis er die Grenzen kaum noch auseinander halten konnte. In einem Augenblick fühlte er sich zurückversetzt in seine Vergangenheit, seine Kindheit; rannte mit Thor lachend dem Schein der aufgehenden Sonne entgegen, ein Wettstreit unter Brüdern, beaufsichtigt von ihrem Vater, der hoch zu Pferd auf sie achtgab. Unter dem nächsten trägen Herzschlag wechselte das Bild; zeigte ihm erneut den Tag seiner Gefangennahme und Rückkehr nach Asgard. Gefesselt und stumm wurde er unter dem gnadenlos kühlen Gesicht Odins und den Tränen seiner Mutter Frigga in die Verdammung geführt. Von seinem eigenen Bruder. Mit dem nächsten Herzschlag zerstob das Bild in der Finsternis. Wann hatte er das letzte Mal gegessen? Er konnte sich nicht erinnern. Der Hunger nagte an ihm und doch war ihm das Verlangen nach Nahrung so fremd wie das Licht der Sonne, welches seine Augen so lang schon nicht mehr erblickt hatten. Sein Geist begann zu zerfallen, sein Verstand sich zu zersetzen. Es war ein schleichender Prozess - wie Gift, das sich Tropfen für Tropfen durch die Venen fraß; langsam, aber unaufhaltbar. Loki wusste das. Es passierte genauso wie er es selbst vorausgesagt hatte. Schlussendlich würden sie wohl doch alle ihren Willen bekommen und ihn brechen. Schlussendlich hätte er doch versagt. Nichts erreicht. Schlussendlich würde er zu einem kümmerlichen Rest seiner selbst zusammenschrumpfen, bis nichts mehr von ihm bliebe als der Wahnsinn allein. Verspürte er da Angst vor der kriechenden Finsternis, die sich in seinem Kopf ausbreitete? Ja, es war tatsächlich Angst. Ein seltsames, ein unbekanntes Gefühl, welches seine Lungen in eine eisige Faust schloss und den Atem aus ihm presste, während die Dunkelheit über ihn kroch und ihn langsam einhüllte. Doch durch all diese Schatten stach plötzlich ein Lichtschimmer. So sanft und so warm, dass er sein Haupt unwillkürlich der unbekannten Quelle zuwandte, während zarte Strahlen über sein Gesicht streiften und die Dunkelheit vertrieben. Diese zog sich zwar für den Moment geschlagen zurück, doch war sie nicht gänzlich verschwunden - sie würde weiterhin in den Schatten seines Seins verharren und lauern. Der Geruch des Frühlings, der Hauch erwachenden Lebens drang in seine Nase und fuhr wie Thors Hammer in seine müden Glieder, erweckte seinen Geist heftig und ließ sein Herz drängend gegen sein Brustbein trommeln. Er fühlte sich, als hätte man ihn plötzlich an eine unerschöpfliche, magische Energiequelle angeschlossen. Loki riss die Augen auf und blinzelte im ersten Moment mit verengtem Sichtfeld gegen einen unendlich hellen Lichtschein, sodass er tatsächlich bereits glaubte, die Sonne zu erblicken. Doch schon im nächsten Augenblick zog sich das Licht zurück und sein Blick klärte sich; er wischte sich über die Augen, um die Schlieren seiner Sicht zu vertreiben und entdeckte eine Frau. Irritiert zog er die Stirn in Falten und veränderte seine Position auf dem Bett so, dass er sie besser beobachten konnte, während er eine Illusion über seine Gestalt legte und somit für sie unsichtbar wurde. Es war ungewohnt, die Magie in seinen Adern wieder zu nutzen, nachdem er so lang kaum Gebrauch von ihr gemacht hatte. Das Kribbeln unter der Haut war vertraut und er begrüßte das Gefühl wie einen altbekannten Freund. Die Frau stieg gerade vorsichtig aus einem Loch in der Felsenwand und sah sich neugierig in der Höhle um. Ihre Kleidung war fremdartig, genau wie ihre Erscheinung und Gestalt selbst. Sie war keine Asin. Wie kam sie hier herein? Und was wollte sie hier? Loki ließ sich unsichtbar für die Augen der Fremden vom Bett gleiten und trat an die Scheibe seines Gefängnisses heran, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Sie inspizierte gerade seine Zelle, dann runzelte sie die Stirn und sah sich erneut in der umgebenden Höhle um, bevor sie sein Gefängnis rasch umrundete, als würde sie etwas suchen oder hätte etwas erwartet, was nun nicht hier war. »Mist.« hörte er sie frustriert seufzen. Er schloss die Augen, hing dem Klang ihrer Stimme nach, die ganz tief in ihm etwas zum Klingen brachte, was er schon gänzlich verloren gewähnt hatte. Ein Funke Sehnsucht, begierig nach dem Leben. Begierig nach der Stimme eines anderen. Nach Konversation und Gedankenaustausch. Die fremde Frau trat näher an das Glas heran, sah direkt durch ihn hindurch, während er seinerseits die wenigen Schritte bis zur Wand überbrückte und vor ihr stehen blieb. Sie war kleiner, zierlicher als die Frauen Asgards, doch wirkte sie nicht zerbrechlich. Ihr Kinn hatte einen entschlossenen Schwung, genau wie die Bögen ihrer Brauen und die gerade Linie ihrer Nase. Ihre Haut war recht hell, ohne dabei kränklich blass auszusehen und ihr Haar von einem interessanten Rotton, als hätten sich Sonnenlicht und Flammen zu einer Woge aus glänzenden Wellen vereint. Es war feucht, als wäre sie eben erst aus der Dusche gestiegen und kräuselte sich um ihr herzförmiges Gesicht. Ihre Augen leuchteten in einem blassen Grauton, welcher fast an geschmolzenes Silber erinnerte. Fasziniert stieß sie eben ihren Zeigfinger gegen die Wand seiner Zelle und löste damit eine Reaktion aus, die er nicht erwartet hätte. Die Magie in den Grenzen seines Gefängnisses sammelte sich um ihren Finger, als wäre sie völlig begierig darauf, von ihr berührt zu werden; als wäre die Frau ein Magnet, der jegliche Energie anzog und bündelte. Dergleichen hatte er noch nie gesehen. Loki verengte seinen Blick argwöhnisch. Irgendetwas an ihr war seltsam - faszinierend seltsam. Er konnte nicht genau benennen, was es war, doch an ihrer Erscheinung stimmte etwas nicht. Sie war zu rein, einfach zu perfekt; ihre Aura ein vollkommener Funken Sonnenlicht, als hätte sich jemand besonders viel Mühe gegeben, hinter dem Bild von scheinbar beispielloser Unauffälligkeit etwas zu verbergen. Viel zu schnell nahm sie den Finger von dem Glas und rieb ihn am Stoff ihres grünen Kleides, während sich ihr Blick veränderte. Loki konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn zu arbeiten begann, die plötzlich von nachdenklichen Falten gekennzeichnet war. Ihre Augen wurden unruhiger, ihre Haltung wachsam, als würde sie jeden Moment einen Angriff erwarten. Er erkannte, dass sie seinen Blick spürte. Sie konnte seine Anwesenheit fühlen und wusste, dass sie hier nicht allein war. Interessant. Bisher hatte niemand seine Täuschungen je durchschaut, nicht einmal der allsehende Heimdall. Als sie nervös über ihre Schulter sah, ließ er seine Illusion wie einen Mantel von sich fallen und enthüllte seine Gestalt. Sie drehte den Kopf und die grauen Augen begegneten seinem Blick, weiteten sich überrascht, sodass er die goldenen Sprenkel in ihrer Iris erkennen konnte. Gwen sah in diese fremden, faszinierenden Augen auf und konnte sich kaum von diesem Blick losreißen, der direkt bis in ihre Seele zu gelangen schien. Himmel Herr Gott…was für wahnsinnige Augen. Noch niemals hatte sie in solch einzigartige Augen gesehen. Dessen war sie sich sicher. In dem intensiven Grün der Iris schienen Sterne zu schwimmen, während die schwarzen, klaren Pupillen von so vielen Emotionen angefüllt waren, dass beinahe eine Art Feuerwerk an Licht und Schatten in ihnen wirbelte. Das Gesicht des auf einmal erschienenen Mannes dagegen war so scharf geschnitten wie ein Fels und ebenso hart und ausdruckslos. Flüchtig huschte ein Bild durch ihren Kopf und sie meinte ihn irgendwoher zu kennen, doch dieser Gedanke verschwand so schnell wie er gekommen war. Wie hatte er so rasch auftauchen können? Und wo war er nur so plötzlich hergekommen? Sie war sich völlig sicher, dass er eben noch nicht dagewesen war und er konnte sich doch unmöglich in diesem Glaskasten vor ihr versteckt haben. Regungslos sah er auf sie herab, da er sie mindestens um einen Kopf überragte, während sie kaum zu atmen wagte und ihn noch immer unverhohlen anstarrte. Seine Gesichtszüge waren hoheitlich edel und von erhabenem Schwung, gutaussehend, obwohl das Bild getrübt war; seine Wangen wirkten eine Spur zu eingefallen, die Wangenknochen einen Tick zu scharfkantig, seine helle Haut einen Ton zu blass. Die schmalen Lippen waren eine dünne ausdruckslose Linie unter einer geraden Nase, das schmale Gesicht umrahmt von schwarzem, glattem Haar, das bis über seine Schultern reichte. Alles an seiner Gestalt strahlte Verbissenheit und Stolz aus; das Kinn würdevoll gereckt, die schmalen Brauen leicht über die stechenden Falkenaugen erhoben, als wäre es in seinem Blut verankert, sich über andere zu erheben und auf diese herabzublicken. Normalerweise konnte Gwen genau diese Art Menschen überhaupt nicht ausstehen. Sie verachtete sie. Verabscheute Arroganz. Doch bei ihm war es irgendwie anders. Irgendetwas an ihm sprach sie an. Und auf seltsame Art und Weise baute sich eine Verbindung zwischen ihnen in diesem Augenblick auf; Gwen konnte es nicht benennen, doch es war fast so, als würde sie einen Blick durch eine angelehnte Tür erhaschen und auf ihr Schicksal sehen. Nur der Wimpernschlag eines Momentes, kaum einen Herzschlag andauernd, in dem sich ihre Sicht seltsam zu klären schien wie ein Vorgang, der beiseite gezogen wurde und sie auf seine Qual sehen ließ; in den eingegrabenen Zügen seines Gesichtes, der verbitterten Linie seiner Lippen und den Tiefen seiner leuchtenden Augen, die mehr als alles sonst ein Tor zur Seele darstellten - und seine Seele litt. Sie konnte es fast körperlich spüren, fühlte die nagende Verzweiflung unter ihre Haut kriechen und Hoffnungslosigkeit durch ihre Eingeweide rollen. Ein lähmender, eisiger Griff drückte sich um ihr Herz und presste ihr das Leben aus dem Leib. Er hatte gesungen. Dieser Mann war die Quelle des Liedes, das sie gehört hatte. Sie war sich nicht klar darüber, woher sie diese Überzeugung nahm. Sie wusste es einfach. Seine Augen verrieten ihn. Unwillkürlich hatte sie eine Hand gehoben und jene auf Höhe seines Gesichtes gegen die Scheibe gepresst, dem absurden Drang folgend, ihn unbedingt berühren zu müssen; sofort schoss das Kribbeln wieder in ihre Fingerspitzen, doch sie spürte es kaum, war noch immer gefesselt von seinem Anblick und diesem seltsamen Band, das zwischen ihnen zu bestehen schien und selbst durch das Glas nicht aufzuhalten war. Sein Blick löste sich von ihrem und wanderte zu ihrer Handfläche, die sich gegen die Scheibe drückte. Seine Brauen senkten sich argwöhnisch, sodass eine steile Falte zwischen ihnen auf seiner glatten Stirn entstand, während er ihre Hand und das magische Leuchten um ihre Fingerspitzen musterte, welches sich erneut verdichtete. Und dann hob er plötzlich seine Hand und legte sie ebenfalls auf das Glas, genau über Gwens. Wie in Zeitlupe fielen die nächsten Augenblicke im Stundenglas der Zeit, als sich die Magie um Gwens Hand ballte und beinahe so hell zu leuchten begann, dass sie nur blinzelnd noch etwas erkennen konnte. Doch dafür spürte sie umso mehr - denn das Glas löste sich unter ihrer Hand auf, zog sich zurück wie das Meer bei Ebbe und ließ ihre Handfläche auf die des Fremden treffen. Ihre Fingerspitzen berührten sich warm, die Handflächen verbanden sich mühelos, als wären sie füreinander erschaffen; die Berührung selbst beinahe wie ein magischer Stromschlag. Gwen keuchte überrascht auf und ihr Blick schnellte von ihren beiden Händen zurück zu seinem Gesicht, dass sie über das andauernde Leuchten nur blinzelnd erkennen konnte. Fassungslos starrte sie ihn erneut an und endlich zeigte sich auch in seinem Gesicht eine Regung - völlige Ungläubigkeit. Eigentlich wusste er nicht, was er sich dabei gedacht hatte, als er sich ihr zeigte. Sie versprach eine Unterbrechung in dem monotonen Fluss der Zeit hier unten und wenn man in jenem einmal gefangen war, so hieß man jede Abwechslung willkommen. Er wusste auch nicht, was er von ihr erwartet hatte. Vielleicht, dass sie überrascht zurückschrecken würde, wenn sie ihn erblickte. Vielleicht, dass sie einfach wieder verschwinden würde, nichts weiter als ein Produkt seines unausgelasteten Geistes. Vielleicht, dass sie eine Waffe aus den Falten ihres Kleides ziehen würde - eine Meuchelmörderin, geschickt von seinen vielen „Freunden“, die sich des Schmutzes in den Verliesen Asgards endlich entledigen wollten. Sicherlich hätte er vieles erwartet, doch ganz bestimmt nicht, dass sie ihn einfach schweigend anstarren würde. Ein schweigendes Gegenüber war schwer einzuschätzen. Durch Worte, Stimmlage, Gestik und Mimik war es für einen Meister der Täuschung wie ihn kaum eine nennenswerte Schwierigkeit, die Wahrheit und das Wesen hinter einer Person zu erkennen. Doch diese Frau war ihm ein schlichtes Rätsel. Ihr Blick war eindringlich und unerschrocken, beinahe fasziniert auf ihn gerichtet; ein intensives Mustern, unter welchem er tatsächlich den Anflug von Unbehagen verspürte, denn ihre Augen glichen auf seltsame Art und Weise beinahe jenen Heimdalls. Loki fühlte sich unter ihrem Blick für einen Atemzug schutzlos entblößt, als hätte sie jegliche Mauern und Masken herabgerissen und könnte sehen, was dahinter lag. Und diese Vorstellung war äußerst verstörend. Niemals sollte es irgendjemanden gelingen, sein Innerstes zu erblicken, denn das hätte ihn angreifbar gemacht. Emotionen waren eine Schwäche, die er sich nicht zugestehen wollte - schon gar nicht vor anderen. Sie waren Hindernisse, Steine auf dem Weg zum Ziel, Anlass für schwachsinnige Taten und Angriffsfläche für seine Feinde. Ein Arsenal von stets wechselnden Masken war seine beste Waffe. Schon immer gewesen. Der Blick der Fremden veränderte sich. Wo zuvor so etwas wie Interesse und Faszination gelegen hatte, trat nun Mitgefühl an jene Stelle. Nicht jene Art Mitleides, was einen schwach und unfähig zurückließ und Loki anwiderte - nein, sie sah für einen Augenblick wirklich so aus, als könnte sie seine verletzte Seele förmlich spüren und seinen Schmerz nachempfinden, ohne das Worte dafür von Nöten waren. Einen winzigen Moment lang, der sich in dem Schweigen zwischen ihnen zu Äonen dehnte, bestand eine Verbindung zwischen ihm und der Unbekannten; Loki konnte diese Empfindung weder benennen, noch konnte er sie sich erklären. Er kannte diese Frau nicht, hatte sie noch nie gesehen. Und doch…das leise Flüstern einer Ahnung drang in seine Seele und kündete ihm von Schicksal. Etwas, worüber er normalerweise amüsiert lachen würde. Normalerweise… Wer war sie nur? Die Unbekannte hob eine Hand und presste jene beinahe sehnsüchtig gegen die Scheibe in Höhe seiner Wange, als würde sie den Drang verspüren ihn zu berühren. Argwöhnisch blickte er auf ihre Hand, bevor er sie wieder ansah. Sein Misstrauen allem und jedem gegenüber blieb nicht schweigsam. Was bezweckte sie? Was waren ihre Beweggründe? Warum war sie hier? Hatten sich Thor und der Allvater eine neue Bestrafung für ihn ausgedacht; ihm diesen hübschen Lockvogel geschickt, um seinen Geist weiter zu verwirren und zu foltern? Erneut sammelte sich die Magie der Zellenwände um ihre Finger, was Lokis Aufmerksamkeit abermals auf sich zog und sein Interesse weckte. Er musste einfach hinter ihr Geheimnis kommen. Und damit hob er die Hand ebenso und legte sie sachte auf das Glas genau über ihre. Die nächsten Augenblicke vergingen gedehnt; die Zeit stand fast still, doch dafür konnte er jede Empfindung plötzlich überdeutlich wahrnehmen. Das Glühen der Magie verstärkte sich, bis ihrer beiden Hände kaum noch zu erkennen waren. Das Glas unter seiner Haut erwärmte sich, bis es sich plötzlich einfach auflöste. Knisternd zog sich die Barrikade zurück und von einem Augenblick auf den anderen war jene Grenze verschwunden, die ihn so lang von der Außenwelt getrennt hatte. Unvermittelt traf seine Hand auf die Haut der Fremden. Die Berührung schoss wie ein Stromschlag durch seine Finger und war beinahe ein Schock; so lang schon hatte er die Nähe eines anderen nicht mehr gespürt, weder Berührungen ausgetauscht noch empfangen, sodass ihm gar nicht bewusst gewesen war, dass er diese kurzzeitigen körperlichen Verbindungen vermisst hatte - sei es nur ein Händedruck oder das stolze, schwere Gewicht einer Hand auf der eigenen Schulter. Wie war das möglich? Wie hatte sie das geschafft? Allein Odin besaß einen Schlüssel, mit dem man die Zelle öffnen konnte; jenes Artefakt führte einer der Wächter mit sich, die das Mädchen begleiteten, welches seine tägliche Mahlzeit brachte. Ungläubig traf sein Blick den der Frau über das Leuchten. Sie schien genauso verwirrt und überrascht wie er, als hätte sie das selbst nicht erwartet. Und Loki konnte sehen, dass diese Reaktion nicht gespielt war. Midgards Hauch drang durch die Öffnung; ihr haftete der Geruch der Erde an. Sie kam also von diesem mickrigen Planeten, den zu erobern ihm nicht gelungen war. Erinnerungen seines Feldzuges stürmten auf ihn ein, blasse Momentaufnahmen von Gesichtern und Orten, die in der Vergangenheit lagen. Sie war also ein Mensch. Allerdings…wie konnte sie nach Asgard gelangen? Und was wollte sie hier? Rache für ihre Welt? »Wer seid Ihr?« richtete er das Wort an die Frau, fixierte sie mit seinem Blick, der sicher nicht halb so eindringlich gelang, wie er es beabsichtigt hatte. »Wer seid Ihr?« fragte der Mann raunend. Seine Stimme klang dunkel und kratzig, als hätte er sie lang nicht mehr benutzt. Sein Blick war fordernd, als wäre er es gewohnt, dass man ihm sofort antwortete. Und doch flackerte über seine gebieterischen Züge immer wieder Überraschung und Ratlosigkeit, was seinem harten Gesicht ein wenig der Schärfe nahm. Vielleicht hätte Gwen nicht antworten sollen, doch die befehlende Nachdrücklichkeit in der Stimme des Mannes ging auch an ihr nicht spurlos vorbei. Außerdem fühlte sie sich ihm noch immer so seltsam verbunden, diese Empfindung noch gestärkt durch ihre Handflächen, die aufeinander ruhten. Sie verspürte das Verlangen, ihre Finger mit seinen zu verschränken, doch wagte es nicht. »Mary-Ann Morris. Ich…ich bin Wissenschaftlerin.« Zumindest besaß sie noch die Geistesgegenwart nicht ihren wahren Namen zu nennen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht veränderte sich von ungläubigem Interesse zu kalter Verschlossenheit. Seine Züge verhärteten sich und bekamen etwas beinahe bedrohliches. Es war fast so, als wäre jene Tür, durch die Gwen soeben einen Blick erhascht hatte, vor ihrer Nase nun donnernd ins Schloss gefallen. »Ihr lügt.« verkündete er unvermittelt, keine Wärme in der Stimme. Eine schlichte Feststellung. Das Unbehagen kehrte zurück und die Magie dieses seltsamen Augenblickes verflog. Was tat sie hier eigentlich? War sie gänzlich verrückt geworden? Sie wusste weder, wer dieser Kerl war, noch warum er hier unten - offensichtlich eingesperrt - verweilte. Schmiegte sie wirklich gerade ihre Hand gegen jene eines mutmaßlichen Verbrechers? Vielleicht war er ein Psychopath, der nur darauf wartete, seiner Zelle zu entkommen. Die Asen würden ihn sicher nicht hier unten so fern von allen anderen in diesem Raum gefangen halten, wenn er harmlos wäre. Sie musste tatsächlich den Verstand verloren haben. Was war nur in sie gefahren? Auf einmal war sie sich auch gar nicht mehr so sicher, ob er wirklich der Mann sein sollte, dessen Lied sie vorhin gehört hatte. Wie sollte jemand mit solch einer gebieterischen Arroganz und einem so eiskalten Blick auch eine solch traumhafte Stimme besitzen? Die magische Barriere zog sich weiterhin langsam knisternd vor ihren Händen zurück; wenn das so weiterginge wäre bald ein Durchgang geschaffen, groß genug, um dem schwarzhaarigen Mann die Flucht zu ermöglichen. Und nur Gwen würde dann noch in seinem Weg stehen… Sie hätte niemals hier herunter kommen dürfen. Wäre sie doch bloß in ihrem Zimmer geblieben und nicht ihrer Neugier gefolgt. »Wer seid Ihr wirklich?« fauchte er ungehalten. »Antwortet. Was wollt Ihr hier? Wie ist es Euch möglich, die Zelle zu öffnen?« Sein stechender Blick fixierte sie bedrohlich und sie fühlte seine Finger, die sich plötzlich um ihre klammerten und sie bestimmt festhielten. Durch seine heftigen Worte und seinen Griff wallte Panik in Gwen auf; brandete in ihr wie das stürmische Meer gegen die Klippen der Küste. Ängstlich stemmte sie sich gegen seinen Griff. Ohne Vorwarnung schoss die magische Barriere der Zelle mit einem Sirren in ihre Ursprungsform zurück; die Öffnung schloss sich wieder und ihre Hände wurden mit einem Ruck getrennt, der Gwen zurückstolpern ließ, den Unbekannten jedoch mit Macht zurückkatapultierte. Der Mann wurde förmlich von den Füßen gerissen und krachte mit einem Scheppern von umstürzenden Gegenständen an die gegenüberliegende Wand der Zelle. »Was in aller Welt…!?« Geschockt starrte Gwen auf die wieder völlig intakte Glaswand vor sich, bevor sie ihre eigene Hand fragend ansah. Dann tat sie das Einzige, was ihr in diesem Moment logisch erschien. Sie nahm die Beine in die Hand und flüchtete durch das Loch im Felsen zurück in ihr Zimmer. Ins Tageslicht. Sie würde gewiss nicht bleiben, um zu schauen, ob es diesem Mann in der Zelle auch an nichts fehlte. Kapitel 4: Neue Fragen ---------------------- »Andrew?!« Gwen stoppte mit einem überraschten Keuchen in der Bewegung, nachdem sie die Tür ihres Zimmers aufgerissen hatte und beinahe in den Agent hineingerannt wäre, der eben an ihre Tür klopfen wollte. Verdattert blieb sie stehen und sah zu dem Mann auf, der genauso erstaunt aussah wie sie selbst. »Äh, ich meine, Mister Preston. Was machen Sie denn hier?« Gwen warf atemlos einen flüchtigen Blick zurück in ihr Zimmer, um sich zu versichern, dass der Geheimgang auch wieder ordnungsgemäß verschlossen war. Mit der Tür in der Hand grenzte sie das Sichtfeld des Agenten ein, der gerade ihrem Blick folgen wollte, Neugier in den Zügen. »Wir können auch gern bei Andrew bleiben.« meinte er mit einem amüsierten Schmunzeln, bevor er seinen Blick zu ihr zurücklenkte und sie kritisch in Augenschein nahm. »Sie sind ja schon wieder so blass, als hätten sie einen Geist gesehen. Alles in Ordnung?« Abermals versuchte der Agent um Gwen herum einen Blick in ihr Zimmer zu erhaschen, doch die zog die Tür einfach hinter sich ins Schloss. Immerhin lagen ihre Kamera und das Diktiergerät noch immer offen auf ihrem Bett; lieber kein Risiko eingehen. »Ja, alles in bester Ordnung. Das ist einfach meine natürliche Hautfarbe. Die Leute denken ständig, dass ich kurz vor der Ohnmacht stehe.« wiegelte sie mit einer hektischen Handbewegung ab. Oh Gott, was erzählte sie denn da für Schwachsinn? Der Agent hob skeptisch eine Braue und musste sich wohl mühsam ein Grinsen verkneifen. »Tatsächlich?« Gwen nahm einen tiefen Atemzug und versuchte ihr rasendes Herz zu beruhigen, indem sie eine Hand flach auf ihre Brust bettete. Sie war wie der Teufel kopflos aus diesem unterirdischen Verlies geflohen und hatte das Regal ihres Zimmers gar nicht schnell genug wieder vor die Öffnung in der Wand schieben können. Der Schock über das Geschehene saß ihr noch immer in den Gliedern und eigentlich sollte sie nicht verwundert darüber sein, dass man das eben auch sah - wahrscheinlich bot sie wirklich einen recht gehetzten Anblick. Das mit dem Geist war vielleicht auch gar nicht so falsch… Für einen Moment hatte sie das Gefühl einen bohrenden Blick aus grünen Augen im Nacken zu spüren; hastig versicherte sie sich mit einem Ziehen am Griff der Tür, dass jene auch wirklich geschlossen war. Gwen versuchte ihre Gedanken wieder zu sortieren und fuhr sich dann mit beiden Händen durch das nun inzwischen trockene Haar, um zumindest den Hauch von Ordnung darin herzustellen. »Ich…äh, ich muss eingeschlafen sein. Eigentlich wollte ich mich nur ein wenig ausruhen und bin völlig weggedämmert. Ich bin eben erst aufgewacht. Ich dachte schon, ich hätte das Bankett verpasst, daher wollte ich mich gerade selbst auf den Weg machen. Bei solch einem wichtigen Anlass sollte man schließlich nicht zu spät kommen, nicht wahr?« Sie zeigte dem Agent ein schiefes, entschuldigendes Lächeln und hoffte zumindest, dass ihre Ausrede plausibel genug klang. Himmel, das war wirklich knapp gewesen. Ein paar Minuten länger da unten und sie wäre tatsächlich Gefahr gelaufen, dass Andrew Preston auf der Suche nach ihr alles entdeckt hätte. Das Herz, das ihr nach dem Erlebten in der Höhle eh schon im Magen hing, rutschte nun noch gänzlich in ihre Kniekehlen beim Gedanken an die Folgen, wenn man ihr Geheimnis lüften würde. Sie musste wirklich umsichtiger vorgehen. Um ein Haar wäre ihre Tarnung schon am ersten Tag aufgeflogen. Sie musste ihre Neugier zügeln. Ihre Gedanken beisammen behalten. »Ich kann Sie beruhigen, Miss Morris. Sie haben nicht verschlafen. Ich wollte Sie gerade zum Abendessen abholen.« erklärte ihr der Agent schmunzelnd. Gwen stieß die Luft gespielt erleichtert aus. »Da bin ich ja beruhigt.« Erst jetzt nahm sie den Mann vor sich genauer in Augenschein und wunderte sich über sein Dasein. »Mit Ihnen hatte ich hier überhaupt nicht gerechnet. Ich wusste gar nicht, dass S.H.I.E.L.D auch Leute nach Asgard schicken wollte.« »Nur eine kleine Delegation. Ich bin auch eben erst angekommen.« erklärte ihr der Agent zuvorkommend. »Wir sollen sie ein wenig bei ihren Forschungen unterstützen.« Damit meinte er wohl eher, dass S.H.I.E.L.D hier alles im Auge behalten wollte - Wissenschaftler wie gewiss auch die Asen. Direktor Fury überließ wohl nichts dem Zufall. »Ah.« gab sie wenig geistreich von sich; ihr Verstand war wohl noch nicht gänzlich mit ihr an die Oberfläche zurückgekehrt und hing noch in den Tiefen einer gewissen Höhle. Andrew Preston bot ihr seinen Arm an. »Ich möchte Sie vor dem Essen noch zu unseren Ärzten geleiten. Ich habe von Ihrem Schwächeanfall bei der Ankunft gehört und möchte mich gern versichern, dass mit Ihnen alles wieder in Ordnung ist.« Ganz fantastisch. Wahrscheinlich wusste bereits halb Asgard und die gesamte S.H.I.E.L.D Organisation von diesem peinlichen Zwischenfall… Eigentlich war das genau jene Art von Aufmerksamkeit, die sie unbedingt vermeiden sollte, damit ihre Person nicht zu sehr ins Interesse von Agenten oder Asen geriet. »Das ist wirklich nicht nötig. Mir geht es prima.« versuchte Gwen den Agent sogleich zu beruhigen. »Wahrscheinlich hab ich einfach-« »Keine Widerrede, Miss.« unterbrach dieser sie bestimmt. »Direktor Fury hat mich persönlich damit beauftragt, über das Wohlergehen seiner Wissenschaftler zu wachen. Und ich werde gewiss nicht riskieren, dass er unzufrieden mit mir ist. Wenn Sie nicht freiwillig mitkommen, muss ich Gewalt anwenden…und Sie tragen.« Seine Lippen kräuselten sich zu einem Grinsen und in seinen Augen stand die Versicherung, dass er genau das tun und es wahrscheinlich noch genießen würde. Sie konnte definitiv nicht noch mehr Aufmerksamkeit riskieren. »Okay, schon gut. Ich komme mit.« Gwen hob sogleich beschwichtigend die Hände, bevor der Agent noch auf falsche Gedanken kommen konnte. »Nur einen Moment…« Bevor Andrew Preston etwas erwidern konnte, war sie in ihr Zimmer geschlüpft und drückte ihm die Tür vor der Nase zu. Hastig stopfte sie jetzt endlich ihre Kamera, das Diktiergerät und das Notizbuch hinter ihre Sachen im Schrank, sodass sie auf den ersten Blick nicht zu sehen waren. Das hätte sie gleich als erstes bei ihrer Ankunft tun sollen. Dann kramte sie ihre Brille aus ihrer Tasche und schob sie sich auf die Nase, bevor sie wieder zu dem Agent auf den Gang trat. »So, fertig.« Sie hakte sich bei ihm unter und zusammen verließen sie das kleine Nebengebäude, um durch den Garten und einen traumhaft bewachsenen Bogengang schließlich Gladsheim zu betreten. Andrew Preston erläuterte ihr nebenher ein paar grundlegende Eigennamen und Begriffe Asgards, nachdem sie ihm gestanden hatte, dass sie sich eigentlich kaum mit der Kultur der Asen beschäftigt hatte. Immerhin war das ja nicht ihr „Fachgebiet“. Den Agent schien das nicht zu wundern und er klärte sie liebenswürdig über alles auf, was er wusste, während er Gwen durch die endlos langen und verschlungenen Gänge führte, die Odins Palast aushöhlten und zu einem wahren Labyrinth machten. Prachtvoll war gar kein Ausdruck für das Heim des Allvaters - überall funkelten Juwelen und golden verzierte Türen und Wände, selbst die Fenster waren aus beispiellosem Glas gefertigt, das im schwindenden Sonnenlicht in allen möglichen Farben glitzerte. Der Boden der weitläufigen Hallen und Gänge bestand aus feinstem Marmor, in den in gewissen Abständen kunstvolle Mosaike eingebracht waren, die die Geschichte Asgards wiedergaben - Krieger auf Pferden, mächtige Trolle und Riesen, Frauen bei der Ernte oder Gesänge darbringend für ihre heimkehrenden Männer aus ruhmreicher Schlacht. Gwen konnte sich gar nicht satt sehen an all diesen wundervollen Bildern, ebenso wenig an den filigran gearbeiteten Wandteppichen, die die Gänge zierten oder den Asen selbst, die ab und an ihren Weg kreuzten und die beiden Menschen mit einem höflichen Nicken grüßten, bevor sie in wehenden Gewändern weiter ihrer Wege gingen. Dieser Ort war so gänzlich anders als ihre Heimat. In New York war alles schnell, hektisch und übertrieben bunt; die ganze Erde ein stetiger Mahlstrom von Aufstieg und Verfall, Schnelllebigkeit und der Suche nach immer neuen Belustigungen und noch verrückteren Zeitvertreiben. Hier in Asgard war alles so still und ruhig, beinahe gemächlich schien die Zeit zu vergehen. Die Asen selbst wirkten einfach viel friedlicher und besonnener als die Menschen. Dieser Ort hatte einen gänzlich anderen Herzschlag als ihre Welt und doch fühlte sich Gwen nicht unwohl, sondern auf seltsame Art und Weise angekommen. Wahrscheinlich erinnerte sie der friedliche Hauch hier auch einfach nur an ihre wahre Heimat; an ihren kleinen Heimatort in den abgeschiedenen Weiten Kanadas. Der S.H.I.E.L.D Agent blieb mit ihr vor einer Tür stehen, nachdem sie um eine weitere Ecke gebogen waren und Gwen es bereits aufgegeben hatte sich den Weg merken zu wollen. »Da wären wir.« Er klopfte an, bevor er die Tür öffnete und sie in einen größeren Raum führte, der zu einer Krankenstation umgebaut worden war. Einige Bettreihen waren vorhanden, ebenso jegliche nötige Gerätschaft, die man sich als Arzt nur wünschen konnte. S.H.I.E.L.D hatte definitiv keine Kosten und Mühen gescheut. Gwen zählte drei Ärzte, von denen einer sich nun zu ihnen umwandte und zu ihnen herantrat, während die anderen beiden mit einer Gruppe Asen in ein Gespräch vertieft waren. Die Asen waren an ihrer Kleidung auszumachen, sie trugen eine Art weiter, weißer Tunika, die nur an der Hüfte von einer schmucklosen Kordel gerafft wurde. Sie ließen sich gerade einige Gerätschaften erklären und wechselten immer wieder erstaunte und faszinierte Blicke; wahrscheinlich die hier ansässigen Heiler. Der Arzt, der auf Gwen und den Agent zukam, zog sich gerade seine Handschuhe aus und warf diese in einen bereitstehenden Mülleimer, bevor er erst Gwen und dann Andrew die Hand reichte und sich als Dr. Feron vorstellte. »Mister Preston. Bringen Sie mir eine neue Patientin?« begrüßte er den Agent mit einem freundlichen Lächeln auf dem gebräunten, markanten Gesicht. Unter seiner weißen Arztkappe lugten bereits gräuliche Haare hervor. »Das ist die junge Dame mit dem Schwächeanfall, von der ich Ihnen bereits berichtet habe.« klärte der Agent den Arzt auf. Der nahm Gwen nun genauer in Augenschein. »Ah. Unverträglichkeit gegenüber dem Bifröst, wie ich hörte?!« fragte er mit einem neckenden Zwinkern. Gwen nickte seufzend. »Langsam glaube ich, dass bereits ganz Asgard davon gehört hat…« Sie schenkte dem Arzt ein schiefes, resigniertes Lächeln. »Dabei geht es mir wirklich schon wieder gut.« Dr. Feron schmunzelte amüsiert, bevor er sie sachte beiseite nahm und zu einem der Untersuchungstisch führte. »Davon überzeuge ich mich lieber selbst.« Gwen ergab sich in ihr Schicksal und ließ zu, dass der Doktor ihr etwas Blut abnahm und sie einem gründlichen Herz-Kreislaufcheck unterzog, bevor er sie mit gutem Gewissen wieder in die Hände des Agenten übergab. »Im ersten Moment kann ich wirklich nichts feststellen. Die junge Dame erfreut sich bester Gesundheit. Ich warte noch die Bluttests ab und gebe Ihnen später darüber Bescheid, Mister Preston. Allerdings glaube ich nicht, dass irgendetwas auffälliges zu Tage treten wird.« Der Arzt verabschiedete sie beide und draußen auf dem Gang konnte es sich Gwen nicht verkneifen, dem Agent einen bedeutsamen Blick mit gehobener Braue zuzuwerfen, der förmlich nach „Ich habe es Ihnen ja gesagt“ schrie. Diesen Weg hätten sie sich auch sparen können. Gwen wäre lieber sofort zum abendlichen Bankett marschiert, denn ihr Magen hing ihr bereits irgendwo in den Kniekehlen und meldete sich nun mit einem vernehmlichen Knurren. »Okay, schon gut.« wiegelte der Agent sofort lachend mit gehobenen Händen ab. »Ich sehe, es geht Ihnen ausgezeichnet. Und Ihrem Magen offensichtlich auch.« »Ich sterbe vor Hunger. Der nächste Schwächeanfall wird Ihre schuld sein, Mister Preston.« Gwen stieß dem Agent den spitzen Zeigfinger auf die Brust und hinterließ damit eine kleine Falte auf dem makellos gebügelten Hemd. Vorwurfsvoll sah sie zu ihm auf. »Dann verschieben wir den Ausflug zu ihrem Labor wohl lieber auf später.« lenkte Andrew ein. »Ich bitte darum.« Gwen wollte sich schon umwenden und im Notfall selbst den Weg zu Odins Bankettsaal suchen, als der Agent sie noch einmal an der Schulter zurückhielt. Fragend blickte sie ihn an. Seine blauen Augen ruhten freundlich auf ihr und zeigten einen Hauch von Erleichterung. »Ich bin beruhigt, dass Ihnen nichts fehlt, Miss Morris. Ich habe mir wirklich ein wenig Sorgen um Sie gemacht, wenn ich ehrlich sein soll.« Gwen blinzelte ihm nur sprachlos entgegen, da sie gar nicht wusste, was sie auf diese Eröffnung im Moment wohl passendes entgegnen sollte. Er nahm ihr diese Last ab, indem er ihr mit einem kleinen, wirklich einnehmenden Lächeln die Rechte hinstreckte. »Wie wäre es mit Andrew anstatt Mister Preston, hm?« schlug er zwanglos vor. »Einmal hat es ja bereits geklappt.« Ein heiteres Schmunzeln erhellte sein Gesicht. Gwen hob ihren Zeigfinger und bat um Aufmerksamkeit; verschaffte sich damit eine Unterbrechung und einen Augenblick Bedenkzeit. »Vorschlag meinerseits: Sie bringen mich sofort dahin, wo ich etwas zu essen bekommen kann und ich werde geneigt sein, Ihrem Angebot Gehör zu schenken.« Siegesgewiss zeigte sie ihm ein keckes Grinsen und hielt ihm ihre Hand auffordernd entgegen. »Wie die Lady wünscht.« Der Agent ergriff schmunzelnd ihre Hand in einem sanften Griff, knickste gespielt demütig vor ihr, bevor er sie durch den Irrweg der vielen Gänge zum Bankettsaal leitete. Vor der geschlossenen Tür der Halle trafen sie auf den Rest der Wissenschaftler, die eben schwatzend aus einem anderen Teil des Palastes kamen, geleitet von zwei weiteren S.H.I.E.L.D Agenten. Offensichtlich wurden sie wie versprochen herumgeführt und in die bereitgestellten Forschungseinrichtungen eingewiesen. Gwen sah mit einer süffisant gehobenen Braue und einem Schmunzeln zu dem Agent neben sich auf. »Mir scheint, ich genieße eine Sonderbehandlung.« Der räusperte sich peinlich berührt und konnte ein verlegenes Grinsen nicht gänzlich verkneifen. »So offensichtlich sollte das ja nun nicht werden…« Träumte sie gerade oder zeigte der Agent tatsächlich Interesse an ihr und versuchte ihr näher zu kommen? Gwen kam es beinahe schon unwirklich vor, dass ein Mann wie Andrew Preston sich ehrlich für sie interessieren sollte und sie stand dem Ganzen doch recht skeptisch gegenüber, denn in ihrer Welt hatte sie einfach kein gutes Händchen für anständige und aufrichtige Männer. Andrew Preston war definitiv einfach zu gut, um wirklich wahr zu sein. Ashlyn wäre in diesem Moment wahrscheinlich völlig aus dem Häuschen gewesen; ihre Freundin würde den heutigen Tag garantiert rot im Kalender anstreichen und sie sofort auf einen Sekt einladen, um gebührend zu feiern, dass Gwen endlich einmal einen achtbaren Mann an der Angel hatte. Gwen fühlte sich definitiv geehrt und seine Sorge von vorhin rührte sie, doch trotzdem blieb auch der fade Nachgeschmack ihrer Lüge bei der ganzen Sache. Was würde er wohl von ihr halten, wenn er herausfände, dass sie gar keine angesehene Wissenschaftlerin sondern nur eine Journalistin auf der Jagd nach der großen Story war? Wahrscheinlich wäre sein Interesse nicht mehr ganz so groß…oder es würde sich darauf beschränken sie unauffällig aus dem Weg zu räumen. Sie hatte einfach kein Glück mit Männern. Entweder waren es die Falschen oder - wie in diesem Fall - der falsche Zeitpunkt. Und warum zur Hölle musste sie jetzt gerade an diese verdammten grünen Augen denken, die einem Kerl gehörten, den Gwen garantiert nicht wiedersehen wollte? Das wollte sie ganz gewiss nicht! Niemals! …oder? Der Agent neben ihr unterbrach ihre Gedanken zum Glück, indem er sie sanft am Arm nach vorn führte, wo die Wächter zu beiden Seiten der riesigen Flügeltür diese gerade für die ankommenden Gäste öffneten und ihnen damit Einlass in die Hallen Odins gewährten. »Der Allvater empfängt sie nun.« Gwen schritt mit Andrew beinahe als Letzte der Gruppe durch die mächtige Holztür, die mit filigranen Schnitzereien und asischen Schriftzeichen geschmückt war, welche Böses fernhalten und die Gesundheit der Königsfamilie gewährleisten sollten. Gwen war überwältigt von dem Anblick, der sich ihr dahinter bot. Odins Palast war gewiss prächtig, doch seine privaten Hallen waren einfach atemberaubend schön - auf eine simple und urige Art und Weise, die einen vor Ehrfurcht erbeben ließ und ohne viel Aufhebens klar machte, dass man zu Gast in einer völlig anderen Welt war. Der Festsaal war riesig; eine in die Länge gezogene Halle mit stämmigen Holzsäulen zu beiden Seiten, welche die prächtige Decke stützten, auf der ein üppiges Deckengemälde prangte; so groß und detailliert, dass man kaum auf einen Blick alles zu erfassen vermochte und trotzdem nicht umhin kam, das Geschick des Künstlers zu bewundern. In der Mitte der Halle war eine massive Tafel aufgebaut, die beinahe von einem Ende des Saales bis zum anderen reichte und deren gesamte Länge mit solch üppigen Speisen beladen war, dass man damit wohl ganz Asgard hätte verpflegen können. Ein köstlicher Duft stieg Gwen in die Nase und ließ sie verzückt seufzen; es roch wunderbar nach gebratenem Fisch und Fleisch, herzhaften Gewürzen, frischem Gemüse und gebackenem Brot, dazwischen immer wieder die süße Note von warmen Kuchen und Honigwein. Das heitere Raunen der Festgesellschaft erfüllte den Saal. Gelächter und Trinksprüche waren zu vernehmen, während das Klirren von Bierkrügen und Methörnern immer wieder durch das Gemurmel der anwesenden Asen stach, die bereits an der Tafel Platz gefunden hatten. Gwen entdeckte Thor neben einer umwerfend schönen, dunkelhaarigen Kriegerin, die ihm gerade seinen Trinkbecher nachfüllte und mit einem verstohlenen, verzückten Lächeln zu dem Donnergott aufsah, während er seinem Gegenüber mit großen Gesten etwas erklärte; offenbar gab er gerade die Episode einer Schlacht zum Besten, denn seine Hand schnellte nach vorn und imitierte eine zustoßende Bewegung, woraufhin die Umsitzenden erschrocken zurückwichen, bevor alle in heiteres Lachen ausbrachen. Feuerschalen erhellten die Halle und tauchten alles in ein warmes, angenehm gedämpftes Licht; die Flammen spiegelten sich in imposanten Schilden, kunstvollen Schwertern und Speeren, die wirkungsvoll die Wände des Saales schmückten. An einem Ende der Tafel befand sich ein etwas erhöht gelegenes Podium, auf dem zwei mächtige, aus Holz gefertigte Stühle thronten, deren Sitzflächen mit rotem Samt überzogen waren; geschnitzte Widderköpfe zierten die Lehnen des einen, Pferdeköpfe die des anderen. Beide waren im Moment noch unbesetzt. In einer Ecke der Halle hatte sich eine Gruppe Spielleute niedergelassen, die ihren Instrumenten geschickt heitere Klänge entlockten und die Festgesellschaft mit ihren Melodien unterhielten. Allerdings unterbrachen diese nun ihr Spiel, als die Gruppe menschlicher Wissenschaftler durch die Tür der Halle trat; das eben noch gehörte Lied verklang mit sanft schwingenden Tönen und ließ eine erwartungsvolle Stille zurück, die sich selbst über alle Anwesenden legte. Beinahe alle Köpfe wandten sich zu den ankommenden Menschen um; Gwen erkannte Neugier in den Augen der Asen, gespannte Erwartung, zurückhaltendes Interesse. Hier und da schickte man ihnen ein Lächeln oder ein freundliches Nicken entgegen. Allerdings gab es auch weniger willkommene Blicke; Gesichter, die ihre Ankunft regungslos und beinahe geringschätzig betrachteten. Offenbar waren nicht alle Asen mit der Entscheidung Odins im Einklang, die Tore ihres Reiches für die Menschen zu öffnen. Thor hob gerade seinen Krug und prostete den Anwesenden zu, bevor die plötzliche Ruhe auch zu ihm und seinen Freunden durchdrang. Mit einem heiteren, erfreuten Lächeln erhob sich der blonde Gott und durchbrach damit die andauernde, abwartende Stille. »Freunde aus Midgard. Kommt und nehmt Platz an unserer Tafel. Seid unsere Gäste an diesem wundervollen Abend.« Einladend breitete er die Arme aus; etwas Met schwappte dabei aus seinem Becher und traf einen recht grimmig dreinschauenden, dunkelhaarigen Krieger mitten ins Gesicht. Der wischte sich den Honigwein mit äußerst verstimmten Bewegungen von den Wangen, während ein imposanter, rotbärtiger Krieger in grollendes Gelächter ausbrach, seinem blonden Nebenmann amüsiert auf die Schulter klopfte und auf den Getroffenen deutete. »Fandral, sieh nur. Zumindest an diesem Abend überzieht Hoguns Züge ein freundliches, einnehmendes Leuchten…auch wenn es nur vom Met herrührt.« Beide Männer prosteten sich lachend zu, während sich Thor mit breitem Grinsen zu seinem dunkelhaarigen Freund beugte, um sich zu entschuldigen. Die Ansprache des Donnergottes hatte die unangenehme Stille durchbrochen wie der Bug eines Schiffes das Meer; Gespräche wurden wieder aufgenommen, die Spielleute zückten erneut ihre Instrumente, um den Saal mit Klängen zu füllen und die menschlichen Forscher mischten sich nun zögerlich unter das Volk der Asen, die den fremdartigen Gästen höflich in ihren Reihen Platz machten. Gwen trat an der Seite von Andrew Preston nun ebenfalls näher an die Tafel heran und überflog die Länge der Tafel nach einem freien Platz. Allerdings kam ihr Thor bei dieser Suche rasch zur Hilfe, denn er hatte sie nun ebenfalls entdeckt und kam mit wehendem Umhang zu ihr herüber. »Lady Mary-Ann. Welche Freude.« Ohne Umschweife hatte er ihren Arm dem Agent entwunden und zog ihre Hand an seine Lippen für einen angedeuteten Handkuss, während er sich höflich verbeugte; sie spürte seinen angenehm warmen Atem und das Kitzeln seines Bartes auf der Haut. »Ich hoffe, es geht Euch wieder besser? Ich war in Sorge um Euch und Euer Wohlbefinden.« Der Donnergott erhob sich wieder zu voller Größe, sodass Gwen zu ihm aufsehen musste. Etwas verlegen zog sie die Hand zurück an ihre Brust, nachdem der Blonde sie aus seinem warmen Griff entlassen hatte. So viel Aufmerksamkeit war sie gar nicht gewohnt. Schon gar nicht von solch einem imposanten Mann…äh, Gott. Außerdem war das wieder ein Moment, in welchem zu viele Augen auf ihr ruhten. Unauffälligkeit war in ihrem Job eine wichtige Verhaltensweise. Komisch…sonst hatte sie wirklich nie Probleme mit zu viel Aufmerksamkeit. Der große, rothaarige Krieger hatte sich nun ebenfalls interessiert zu ihr umgewandt, während selbst die dunklen Augen der schönen Kriegerin wachsam auf ihr weilten; beinahe kam sich Gwen unter ihrem Blick vor, als hätte sie einer Löwin ein Stück Fleisch streitig gemacht. Das Räuspern des Agenten neben ihr rief Gwen in Erinnerung, dass man ihr eine Frage gestellt hatte. »Äh, ja, alles wieder in bester Ordnung. Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Ich-« Ein sanfter Griff legte sich auf ihrer Schulter nieder, beinahe fast ein wenig besitzergreifend, was Gwen überrascht eine Braue heben ließ. »Keine Sorge. Die Lady ist in besten Händen. Für ihr Wohl wurde bereits allumfassend gesorgt.« erklang Andrew Prestons Stimme sachlich neben ihr. Holla - wo war sie denn hier hingeraten? Wenn Gwen etwas nicht leiden konnte, dann waren es Männer, die meinten, sie bevormunden zu müssen. Sie besaß durchaus selbst die Fähigkeit zu sprechen. Die Rolle des Beschützers war ja wirklich niedlich und ehrte sie in gewissem Sinne - allerdings wusste sie gar nicht, wovor sie nun beschützt werden sollte; doch nicht etwa vor dem Donnergott?! Aber sie hatte bestimmt nicht jahrelang um Selbständigkeit und ihr Durchsetzungsvermögen gekämpft, um dieses nun sang- und klanglos in die Hände eines Mannes abzugeben. Das würde auch Andrew Preston lernen müssen. Sie konnte gut für sich selbst sprechen. Thor schien von der Ansage des Agenten gar nicht beeindruckt, sondern grinste nur breit und enthüllte dabei strahlend weiße, ebenmäßige Zähne. Dann streckte er Gwen die große Hand einladend entgegen. »Möchte die Lady vielleicht mit bei meinen Freunden und mir sitzen? Es wäre mir wirklich eine Ehre. Außerdem könnte ich sicher gehen, dass Ihr auch mit allem versorgt werdet, was Ihr braucht.« War das eine unterschwellige Anspielung, die sie nicht verstand? Blaue Augen kreuzten flüchtig den Blick des S.H.I.E.L.D. Agent, bevor sich der Donnergott abermals leicht vor ihr verneigte. »Liebend gern.« kam Gwen Andrew diesmal zuvor, der wahrscheinlich schon wieder zu einer Antwort für sie ansetzen wollte. Zumindest ließ das scharfe Luftholen so etwas vermuten. Allerdings würde sie die Chance nicht vertun, bei Thor und seinen Freunden zu sitzen, immerhin floss an solchen Abenden stets eine Menge Alkohol und der lockerte bekanntlich fast jede Zunge. Und für Informationen jeglicher Art war sie schließlich hier. Das sollte sie nicht vergessen. Sie legte ihre Hand in die des blonden Gottes und ließ sich von ihm zum Tisch führen. Über die Schulter warf sie dem Agent einen knappen Blick zu, der ihn in die Schranken weisen sollte, falls er den Aufstand proben würde, doch dieser quittierte ihr Verhalten nur mit einem amüsierten Kopfschütteln und einem leichten Schmunzeln, bevor er in der Menge verschwand. »Fandral, würdest du der Lady Platz machen?« Thor klopfte dem gutaussehenden Krieger auf die Schulter, dessen Aufmerksamkeit gerade an einer brünetten Asin hing, die mit weit übergebeugten Oberkörper neue Speisen auf dem Tisch abstellte und somit einen ausgezeichneten Blick in ihren Ausschnitt gewährte, während sie dem blonden Krieger ein verführerisches Lächeln schenkte. Ein wenig verstimmt, da er gerade von diesem erstklassigen Anblick abgelenkt wurde, wandte sich Fandral zu seinem Waffenbruder um; sogleich erhellten sich seine Züge allerdings wieder, als er Gwen erblickte und rasch sprang er von seinem Stuhl auf, um sich vor ihr zu verbeugen und ihr seinen Platz anzubieten. »Aber natürlich! Solch einem reizenden Wesen kann ich doch nicht das Recht verwehren, an meiner Seite zu sitzen.« Die dunkelhaarige Kriegerin auf der gegenüberliegenden Seite der Tafel verdrehte die Augen mit einem amüsierten Kopfschütteln in die Höhe, während die braunhaarige Dienstmagd mit einem Schnauben bemerkte, dass sie offensichtlich zu Luft geworden war. Verärgert sammelte sie bereits leere Teller wieder ein und machte sich aus dem Staub. Kaum hatte Gwen zwischen dem blonden Fandral und dem rothaarigen, großen Krieger Platz gefunden, der wohl auch zu Thors Gefolgschaft gehörte, stapelten sich schon die köstlichsten Speisen auf dem Teller vor ihr; allerdings eine solche Menge, von der sie wohl hätte einen ganzen Monat leben können. Und der bärtige Krieger neben ihr wurde auch nicht müde immer mehr Köstlichkeiten auf ihren Teller zu laden. »Esst, werte Lady. Ihr seht aus, als könntet Ihr es vertragen.« brummte der Riese gutmütig und schenkte einen ordentlichen Schluck Wein in ihren Becher. »Volstagg, wenn du so weiter machst, wird die Dame bald deine Ausmaße haben. Keine schöne Vorstellung.« meldete sich Fandral mahnend zu Wort und stibitzte sich ein Stück Brot von Gwens überladenem Teller, während er ihr ein verschmitztes Zwinkern schenkte. »Nun, nicht jeder Mann bevorzugt eben solch Knochengerüste wie du, lieber Freund.« hielt Volstagg dagegen und füllte die eben leer gewordene Stelle auf Gwens Teller sogleich mit einem saftigen Hühnerschenkel auf. Gwen schmunzelte still in sich hinein, bevor sie allerdings auch nicht mehr an sich halten konnte, die köstlichen Speisen endlich zu probieren. Ihr Hunger war inzwischen so nagend und durch die himmlischen Düfte angefacht, dass ihr bereits der Magen schmerzte - mit einem Mal erschien ihr der Berg auf ihrem Teller auch gar nicht mehr so gewaltig. Hungrig begann sie zu essen und lauschte nebenbei den Gesprächen von Thor und seinen Freunden, die sich ihr als die „Tapferen Drei“ vorstellten. Dazu gehörte der rotbärtige Volstagg, der blonde Krieger Fandral und der grimmige Hogun. Die schöne Kriegerin neben Thor lernte Gwen als Sif kennen; sie war die tapfere Kampfgefährtin der Männer. Allerdings ließen ihre verstohlenen Blicke vermuten, dass sie im Grunde ihres Herzens nicht nur Thors Kampfgefährtin sein wollte… Und wer hätte es der Frau auch verübeln können. Der Donnergott war ein Bild von einem Mann; groß, muskulös, gutaussehend, heldenhaft, ehrbar und herzlich. Sein Lachen verbreitete gute Laune und in seiner Nähe musste man sich einfach sicher und gut beschützt fühlen. Allerdings hatte er auf Gwen nicht annähernd eine solch magische Wirkung wie auf die Kriegerin Sif und die anwesenden Asenfrauen, die bei jedem volltönenden Lachen des blonden Gottes schmachtende Blicke in seine Richtung schickten. Während sie geistesabwesend an einem Stück gebratenem Huhn kaute, schweiften ihre Gedanken entgegen aller guten Vorsätze wieder zurück zu diesem einen besonderen Paar grüner Augen, die sich faszinierend in ihre Erinnerung gebrannt hatten. Sie wollte wirklich nicht an diesen Kerl in der Zelle denken, doch konnte sie es kaum verhindern, dass sein hoheitlich arrogantes Gesicht wieder in ihrem Geist auftauchte. Ob sie es nun wollte oder nicht, dieser Mann hatte irgendetwas an sich, was sie interessierte und förmlich gebieterisch anzog. Eigentlich hatte sie den Vorfall in der Höhle einfach vergessen wollen, allerdings drängte das Geschehen nun mit Macht in ihre Gedanken zurück. Was war da unten nur mit ihr passiert? Normalerweise war Gwen nicht die Art Frau, die sogleich den Verstand verlor, wenn sie einem gutaussehenden Mann gegenüberstand; ein wenig träumen war sicherlich drin, doch sie war immer bemüht einen kühlen Kopf zu bewahren und war stolz darauf, die Dinge stets langsam anzugehen - seit einigen unschönen Beziehungen in der Vergangenheit war sie den meisten Männern gegenüber eh zuerst misstrauisch, bevor sie sich die rosarote Brille aufsetzte. Doch dort unten war sie völlig verzaubert gewesen. So etwas war ihr wahrlich noch nie passiert. Wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ihr der Mann nicht aus dem Kopf gehen wollte und sich nun erneut einen Platz in ihren Gedanken sicherte. Wer war er nur? Und warum hatte man ihn eingesperrt? Sie warf einen knappen Blick in die Runde und war tatsächlich für einen Augenblick versucht Thor und seine Freunde nach dem Unbekannten zu fragen, um ihrer Neugier gerecht zu werden; allerdings verwarf sie den Gedanken ganz schnell wieder, denn dann müsste sie auch erklären, warum sie überhaupt dort unten herumgeschnüffelt hatte. Mit einem leisen Seufzen griff sie nach einem Stück noch warmen Brotes und schob es sich in den Mund, während sie den Weinbecher nachdenklich mit den Fingern auf dem Tisch hin und her schob. Die dunkelrote Flüssigkeit darin schimmerte im Fackellicht und schwappte sanft gegen den Becherrand. Und was hatte es überhaupt mit dieser Zelle auf sich? Warum hatte sie diese öffnen können? Und wie? Dass dies offenkundig nicht der Normalität entsprach hatte ihr die Überraschung des schwarzhaarigen Mannes verraten; er hatte ebenso wenig mit dem Geschehenen gerechnet wie sie. Wahrscheinlich hatte er sie für einen Feind, für einen Eindringling gehalten und war ihr deshalb so forsch begegnet; möglicherweise hätte sie an seiner Stelle nicht anders reagiert. Das ungute Gefühl von vorhin verschwand und ließ nur ihre Reue und ihr schlechtes Gewissen zurück. Sie erinnerte sich an sein blasses, ausgezehrtes Gesicht und verspürte augenblicklich Sorge um den unbekannten Mann. Er war mit Wucht gegen die Zellenwand zurückgeprallt, als sich das Glas wieder geschlossen hatte; das Geräusch des dumpfen Aufpralles klang ihr überdeutlich in den Ohren nach. Hatte die magische Energie in der Zellenwand tatsächlich auf ihre Emotionen reagiert…? Vielleicht war er gar kein übler Kerl und saß nur wegen einer Banalität in dieser Zelle. Und nun war er womöglich verletzt - ihretwegen. Vielleicht hatte er Schmerzen. Möglicherweise brauchte er Hilfe. Und er war ganz allein dort unten… Gwen sackte auf ihrem Stuhl zusammen und fühlte frostige Kälte unter dem Tisch nach ihren Knöcheln greifen; die kalten Finger krochen ihre Waden hinauf, ließen ihre Beine taub zurück und überzogen ihren Rücken dann mit einem eisigen Schauer. Warum war sie nur sofort geflohen? Sie hätte doch nach ihm sehen sollen. Was, wenn er tot war? Hatte sie ihn womöglich unbeabsichtigt umgebracht? Oh Gott… Vor Schreck blieb Gwen ein Stück des Brotes im Halse stecken und keuchend schnappte sie nach Luft. Sie griff sich an die Kehle und versuchte das trockene Stück durch Räuspern und Husten irgendwie zu bewegen, doch vergeblich. Bevor sie den zweiten, peinlichen Zusammenbruch an diesem Tag erleiden konnte, erbarmte sich ihr das Schicksal - in Form einer großen, schweren Hand, die mit Wucht auf ihren Rücken herabsauste und das festhängende Stück Brot aus ihrer Kehle löste. Allerdings hatte der gut gemeinte Schlag so viel Kraft in sich, dass Gwen der Meinung war, dass ihre Lunge auch gleich mit auf dem Teller vor ihrer Nase landen würde. »Himmel, Volstagg! Du brichst dem armen Mädchen ja gleich sämtliche Knochen!« Fandral richtete Gwen sanft wieder auf und reichte ihr zuvorkommend eine Serviette. »Alles wieder in Ordnung?« Besorgte Blicke hingen nun ebenfalls von der anderen Seite der Tafel an ihr, wo Hogun, Thor und Sif eben ihr Gespräch unterbrochen hatten. Der rotbärtige Krieger hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte nur helfen.« »Danke, schon in Ordnung. Es geht wieder. Ich habe wohl etwas zu hastig gegessen.« Gwen lächelte beruhigend in die Runde¸ die erneute Aufmerksamkeit war ihr unangenehm. Thor wollte gerade zu einem Wort ansetzen, als sich erneut Stille über die feiernde Gesellschaft legte; die Gespräche verstummten, ebenso das Lied der Spielleute, die respektvoll ihre Instrumente senkten. Eine Seitentür der Halle hatte sich nun geöffnet und durch diese traten eine Handvoll schwer gerüsteter und bewaffneter Wachen herein, um dann zu beiden Seiten der Tür Aufstellung zu nehmen. Die klirrenden, schweren Schritte der Männer tönten deutlich durch den stillen Saal. Dann kamen ein Mann und eine Frau durch die Tür in die Halle und es konnte kein Zweifel daran aufkommen, wer die beiden waren. Die beinahe greifbare Demut, die nun durch den Saal zog und sich auf Gesichtern und in gesenkten Häuptern manifestierte, offenbarte Gwen sehr deutlich, wer da eben angekommen war. Sie selbst blieb von diesem Hauch Erhabenheit der beiden Gestalten nicht unberührt und erschauderte ehrfürchtig. Odin trug eine aufwändig geschmiedete, schimmernde Rüstung und den Speer Gungnir in seiner Hand; trotz seines deutlich hohen Alters - oder vielleicht auch gerade deswegen - strahlte der Gott eine gebieterische Stärke und Weisheit aus, der man einfach nur Respekt entgegenbringen konnte. Sein rechtes Auge war hinter einer goldenen Augenklappe verborgen, dennoch hatte man das Gefühl, dass seinem durchdringendem Blick nichts entging. Die Frau an seiner Seite, Frigga, war in ein kunstvolles, langes Gewand gekleidet, welches ihre hoheitliche Gestalt vorteilhaft und edel umschmeichelte. Ihr blondes Haar war stilvoll frisiert und hochgesteckt, ihr Gesicht gütig und freundlich, als ihr Blick über die Anwesenden im Saal glitt und dann an ihrem Sohn Thor hängen blieb. In ihren Zügen spiegelte sich sofort mütterliche Zuneigung und Liebe. Der Donnergott erhob sich von seinem Platz und alle Anwesenden an der Tafel taten es ihm respektvoll gleich; allein das Scharren der Stühle war zu vernehmen, als sich Asen wie Menschen erhoben, um dem Herrscherpaar Achtung zu erweisen. Gwen erhob sich ebenfalls höflich, als Odin und seine Frau an die Tafel herantraten. Thor eilte zu den beiden hin und begrüßte zuerst seine Mutter mit einer herzlichen Umarmung und einem Kuss auf die makellose Wange. Frigga strahlte ihren Sohn liebevoll an und schob ihm ein paar der wilden, blonden Strähnen aus der Stirn. Dann trat der Donnergott zu seinem Vater und sank vor diesem respektvoll auf die Knie. Odin legte eine schwere Hand auf Thors Schulter und lächelte stolz auf seinen Sohn herab, bevor sein einseitiger Blick erneut über die Anwesenden im Saal strich. »Dies ist er nun, der wohl denkwürdigste Tag in der Geschichte Asgards.« Odins volltönende Stimme schwang weithin hörbar durch die Halle; eine Stimme, in der sich Macht und Kraft vereinten. Thor hatte sich wieder erhoben und war erneut zu seiner Mutter getreten, die die Hände vor dem Körper züchtig miteinander verflochten hatte. Der Donnergott hob einen Arm und bettete die Finger sanft auf ihrem Rücken, als müsste er sie stützen. Dankbar lächelte Frigga zu ihrem Sohn auf, bevor ihr Blick wieder auf die Menge vor sich fiel. Für einen winzigen Moment hatte Gwen das Gefühl, dass die Augen der Königin etwas oder jemanden suchen, jemanden vermissen würden, der ebenso an dieser Tafel sitzen sollte; ihre Züge überflackerte für einen Wimpernschlag tiefer Kummer, der sie wesentlich älter wirken ließ, als sie auf den ersten Blick erschienen war. Die Finger hatte sie nicht ohne Grund miteinander verflochten, denn sie zitterten unmerklich. Was bereitete der schönen Asin nur solche Sorgen? Und dann fiel der Blick Friggas auf Gwen und blieb unbeirrbar auf ihr haften. In den Augen der Königin glomm ein Funke auf, den Gwen nicht zuordnen konnte; war das Erkennen in ihrem Blick? Neugier? Wachsamkeit? Sie fühlte sich deutlich unwohl unter den Augen Friggas und konnte erst wieder frei durchatmen, als der Blick der Königin weiterzog. »Zum ersten Mal haben wir unsere Tore für die Bewohner Midgards geöffnet. Wo wir in der Vergangenheit als Götter und Schutzherren von Asgard aus über die Geschicke der Menschen wachten, so kommen wir nun zu ihnen als Lebewesen aus Fleisch und Blut, nicht anders als sie selbst.« Odin trat nah vor die Tafel, jeder seiner Schritte untermalt durch das metallische Klirren seiner Rüstung und das Klopfen Gungnirs auf dem Boden, welchen er als Stab nutzte. »Wir reichen ihnen die Hand und werden Wirklichkeit. Nicht länger Götter, die unnahbar und allmächtig erscheinen, sondern gleichgestellte Brüder in dieser neuen Ära, die jener Tag heute einleiten soll. Ein Umbruch in alten Gesetzen und Traditionen ist nötig. Wir müssen mit der Zeit gehen und dürfen nicht länger in vergangenen Tagen weilen. Die Welten haben sich gewandelt, das Universum ist älter geworden. Und auch die Menschen sind nicht länger vollkommen hilflos und bedürfen unseres Schutzes. In Zukunft können wir alle voneinander lernen - und das sollten wir auch, wenn wir die Zeit überdauern wollen.« Alle Anwesenden hingen gebannt an den Lippen des Allvaters und auch Gwen konnte sich der Inbrunst seiner Rede nicht entziehen. Selbst über die Züge jener Asen, die bisher skeptisch auf die Menschen geblickt hatten, zeigte sich nun Toleranz, vielleicht sogar so etwas wie Zustimmung. »Die Vorfälle der Vergangenheit haben uns gezeigt, dass eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen den Welten uns durchaus zum Vorteil gereichen kann. Denn Feinde lauern überall…« Der Blick des Allvaters legte sich eindringlich auf alle Anwesenden, deren Gesichter sein sehendes Auge überflog. »Und manchmal sogar in den eigenen Reihen. Lasst uns wachsam sein und der Zukunft gestärkt und vereint entgegen sehen.« Odin schloss für einen Moment sein Auge und senkte das Haupt um eine Wenigkeit, während er tief in den eigenen Gedanken zu versinken schien. Thor unterbrach die folgende Stille, indem er die rechte Faust in die Höhe trieb und mit grollender Stimme leidenschaftlich rief: »Für Asgard. Für Midgard. Für den Allvater!« Die Anwesenden hoben nun ihre Bierkrüge oder Weinbecher und stemmten diese in die Höhe, während sich alle Stimmen wie eine erhoben, beinahe einem Schlachtruf gleich. »Für Asgard! Für Midgard! Für den Allvater!« Auch die menschlichen Wissenschaftler, Forscher und Gelehrten ließen sich von dem Ruf anstecken und hoben ihre Trinkbecher auf das Wohl der beiden Welten und des Allvaters. Selbst die S.H.I.E.L.D. Agenten stimmten - wenn auch verhalten - in den Ruf mit ein. Odin hob seinen Blick zufrieden wieder an und nickte der inbrünstigen Menge zu, bevor er sich umwandte und zu seiner Frau trat, um mit ihr die beiden Plätze einzunehmen, die bisher frei geblieben waren. Nach der Rede Odins wurde ausgelassen weiter gefeiert und auch Gwen ließ sich zu ein paar Tänzen überreden, als die Spielleute schnellere, fröhliche Lieder zum Besten gaben. Auf der Tanzfläche traf sie dann auch Andrew Preston wieder, der sie mit geschickten Drehungen den Händen Fandrals entzog. Der blonde Krieger hatte sie wahrscheinlich mit einem Tanz gerettet, nachdem sie sonst wohl Gefahr gelaufen wäre, dass Volstagg sie weiter gutgemeint gemästet hätte. »Konnten Sie sich endlich der einnehmenden Art des Donnergottes entziehen, Miss Morris?« zog sie der Agent mit einem schiefen Schmunzeln auf, als er sie geschickt über die Tanzfläche führte. »Eifersüchtig, Andrew?« gab Gwen sogleich zurück, während er sie in eine Drehung lenkte und sie dadurch den Donnergott entdeckte, der die Kriegerin Sif gerade auf die Tanzfläche zog. Die wehrte sich peinlich berührt mit hochroten Wangen. Der Agent sah Gwen forschend, beinahe etwas überrascht an, als sie zurück in seinen Armen lag, bevor ein selbstsicheres Grinsen auf seinen Lippen entstand. »Warum sollte ich eifersüchtig sein, wo wir doch nun schon wieder bei Andrew sind, Mary-Ann?« Gwen wollte gerade etwas erwidern, als ein Geräusch sie aufblicken ließ. Über die Köpfe der Tanzenden schwebten zwei Raben durch ein Fenster in die Halle; das seichte Rauschen ihrer Flügelschläge war der Ton, den Gwen vernommen hatte. Die Raben flogen zielgerichtet zu Odin hinüber, der mit seiner Frau noch immer an der Stirnseite der Tafel saß. Der Allvater streckte den Arm aus und die beiden Vögel landeten mit flatternden Schwingen sanft auf dem Leder seiner Armschiene. »Das sind Hugin und Munin. Sie gehören Odin.« klärte Andrew Gwen auf, nachdem er ihrem Blick gefolgt war. »Sie ersetzen sein fehlendes Auge und sind ihm das Ohr für seine Welt. Er erfährt stets Neuigkeiten von ihnen und bleibt so auf dem aktuellsten Stand, was das Geschehen in seinem Reich angeht.« »Ah, eine fliegende Zeitung sozusagen.« Fasziniert beobachtete Gwen Odin, der dem Krächzen der Raben auf seinem Arm zu lauschen schien. Andrew bestätigte ihre Worte lachend mit einem Nicken. »So könnte man das wohl sagen, ja.« Der Gesichtsausdruck des Allvaters verfinstere sich plötzlich und tiefe Falten zogen sich über seine Stirn, als sich die Raben wieder von seinem Arm erhoben und aus der Halle flogen. Odin beugte sich auf seinem Stuhl nach vorn und bettete die Faust nachdenklich an den Lippen, während Frigga sich fragend zu ihm beugte und ihn sanft an der Schulter berührte. Der Allvater sah zu ihr hin, dann erhob er sich von seinem Platz und reichte ihr die Hand. Beide verschwanden unbemerkt aus der Halle, gefolgt von den Wachen, die sie vorher schon begleitet hatten. Gwen runzelte die Stirn. Hatte Odin schlechte Neuigkeiten erhalten? Nachdem sie Andrew noch einen weiteren Tanz gewährt hatte, zog sich Gwen aus der Festhalle zurück, um etwas frische Luft zu schnappen. Sie hatte einen kleinen Durchgang entdeckt, der in den riesigen, üppigen Garten führte, den sie von ihrem Zimmer aus sehen konnte. Die leichten Klänge der Spielleute begleiteten sie auf dem schmalen Pfad, der durch prächtige Hecken und Büsche und unter Bäumen hinweg führte; der Kies des Weges knirschte leise unter ihren Schuhen und war neben dem gedämpften Lied aus der Halle und einem entfernten Plätschern von Wasser das Einzige, was sie im Moment vernahm. Die Nacht hatte sich über die Welt gesenkt und doch war es nicht vollkommen finster. Die Sterne am imposanten Himmel über Asgard spendeten traumhaftes, mildes Licht und in einigen Abständen waren kleine Feuerschalen am Rande des Weges aufgestellt worden, um den Garten zu erhellen. Die Flammen knisterten leise beruhigend in der friedlichen Nacht. Der Duft von frischem Gras und nachtblühenden Knospen lag in der Luft; ein bezauberndes Gemisch, das Gwen tief durchatmen ließ. Ihre Gedanken schweiften ab und näherten sich mit beängstigender Bestimmtheit wieder einem Mann, dessen Gesicht und Schicksal sie nach dem Essen erneut erfolgreich verdrängt hatte. Bevor ihre Gedanken jedoch wieder allzu reale Form annehmen konnten, bog sie um eine Ecke des Pfades und sah sich unvermittelt einer großen Gestalt gegenüber, die auf dem Weg in den Schatten vor ihr stand. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück, bevor sich der Mann aus der Dunkelheit löste und in den Schein einer Feuerschale trat. »Entschuldigt, Lady. Ich wollte Euch nicht erschrecken.« Thor kam ihr mit seinem entwaffnenden Lächeln entgegen und Gwen entspannte sich sogleich wieder. »Das haben Sie nicht.« beteuerte sie. »Ich habe nur einfach mit niemanden hier gerechnet.« Der Donnergott sah sich knapp um, dann strich er liebevoll über eine weiße, wunderschöne Blüte, die neben ihm aus den tiefgrünen Blättern eines Busches ragte. »Ich komme oft hierher zum Nachdenken. Der Garten ist der Stolz meiner Mutter. Sie hat ein Händchen für Blumen.« »Das hat sie wirklich.« Gwen trat wieder an den Gott heran und beugte sich näher an die traumhaften Blüten, die einen betörenden Duft verströmten. »Beschäftigt Sie etwas?« entschlüpften ihr die Worte, bevor sie sie aufhalten konnte. Hastig richtete sie sich wieder auf und wiegelte die Frage mit den Händen ab. »Entschuldigen Sie, das geht mich wirklich nichts an.« Normalerweise entschuldigte sich Gwen niemals für ihre Fragen. In ihrem Beruf konnte sie sich das auch kaum leisten. Sie musste fragen und neugierig sein. Allerdings fühlte sie nicht zum ersten Mal eine seltsame Verbundenheit zu diesem Ort und der ganze Grund ihres Hierseins erschien ihr abermals frevlerisch und schlichtweg falsch. Sie hatte einfach nicht das Recht, in den Angelegenheiten dieser Götter zu wühlen, in deren Geschichte und Vergangenheit, um womöglich Geschehnisse ans Tageslicht zu zerren, an denen Gefühle hingen. Thor lachte leise und zog die Hand von der Blume zurück, dann hob er den Blick in den vielfarbig schimmernden Himmel und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mich beschäftigen so einige Dinge…« wisperte er kaum hörbar, bevor er seinen Fokus zu ihr zurücklenkte. »Habt Ihr Euch hier bereits ein wenig eingelebt? Ich schätze, Asgard muss für einen Menschen ziemlich fremdartig anmuten. Unsere Gebräuche erscheinen Euch sicherlich altmodisch und albern, immerhin stammt Ihr aus einer aufgeklärten, fortschrittlichen Welt.« »Oh nein, nicht doch. Ich finde es ganz wunderbar hier.« beteuerte Gwen sofort und schenkte dem Donnergott ein ehrliches Lächeln. Und ihre Worte entsprachen tatsächlich der Wahrheit, sie musste noch nicht einmal lügen. Der Zauber Asgards war an ihr nicht spurlos vorüber gegangen. »Die Stadt ist traumhaft. Ich habe noch nie solch außerordentliche Baukunst gesehen. Und der Palast ihres Vaters ist ein Traum. Man fühlt sich fast in ein Märchen versetzt. Ganz zu schweigen von der Schönheit der Natur und der Ruhe dieses Ortes. Und dieser Himmel erst - der Wahnsinn!« Thor schmunzelte über ihre Begeisterung. »Ich finde es ganz und gar nicht albern oder altmodisch hier. Eure Welt ist eben anders als meine, aber das bedeutet wohl kaum, dass sie besser oder schlechter ist - einfach anders. Und mir persönlich gefällt sie unheimlich gut.« Sie nickte abschließend bekräftigend zur Bestätigung ihrer Worte und kam sich dann augenblicklich lächerlich vor, dass sie vor dem Donnergott losgesprudelt hatte wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal den Weihnachtsmann erblickt hatte. Vielleicht hätte sie den letzten Becher Met lieber weglassen sollen. Doch Thor schien sich nicht daran zu stören, sondern kam zu ihr herüber und bettete ihr eine warme, schwere Hand auf der Schulter. »Das freut mich. Wirklich. Wollt Ihr noch ein Stück mit mir gehen, Lady Mary-Ann?« Gwen nickte und hakte sich bei Thor unter, als der ihr seinen Arm bot. Das schlechte Gewissen wallte übermächtig wieder in ihr auf, als er sie mit ihrem falschen Namen ansprach. Der Donnergott war ein wirklich freundlicher und herzlicher Kerl, eigentlich verdiente er es nicht, dass sie ihn anlog. Wahrscheinlich verdiente das niemand hier. Gwen war gewiss bereit so manches für eine gute Story zu tun, doch diese Lüge hier lastete plötzlich schwer auf ihr - ebenso wie der Grund ihres Hierseins und ihr Auftrag. Nachdem sie die Asen nun ein wenig besser kennengelernt hatte und die ihr mit Freundlichkeit begegnet waren, kam sie sich ziemlich schäbig dabei vor, in deren Geheimnissen zu wühlen, um sich selbst einen guten Stand in ihrer Welt zu sichern. Vielleicht sollte sie sich mehr auf S.H.I.E.L.D konzentrieren. Ihr kam ein Gedanke. »Ist das wirklich das erste Mal, dass Menschen Asgard betreten?« fragte sie Thor, während sie nebeneinander durch den Garten schritten. »Soweit ich mich erinnere, ja. Die Asen haben Midgard oft besucht in der Vergangenheit eurer Welt, doch bisher hat noch kein Mensch einen Fuß in unser Reich gesetzt. Warum fragt Ihr?« Neugierig sah Thor zu ihr herab. Gwen kaute nachdenklich auf ihre Unterlippe und senkte den Blick auf ihre beiden Füße, die im Gleichtakt über den knirschenden Kies gingen. Sie suchte nach den richtigen Worten, damit der Gott sie nicht für völlig verrückt hielt. »Also…naja, also gibt es auch keine Berichte oder Erfahrungen darüber, wie sich eure Welt auf einen Menschen auswirken könnte?« »Nein, die gibt es nicht. Aber was meint Ihr mit „auswirken?“« Thor hob fragend eine Braue und musterte sie forschend. »Naja…also es ist so…es könnte sein, dass ich…ähm…merkwürdige Veränderungen an mir bemerkt habe, seitdem ich hier bin.« sprach Gwen dann zögerlich weiter. Der Donnergott blieb mit ihr stehen und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste. Seine blauen Augen blickten nachdenklich und besorgt auf sie herab. »Was meint Ihr denn damit? Geht es Euch nicht gut? Fehlt Euch etwas, seitdem Ihr hier seid?« Ohje, sie hätte gar nicht erst mit dem Thema anfangen sollen. »Äh, nein, das nicht gerade. Mir geht es gut.« beruhigte sie ihn. Was sollte sie denn jetzt sagen? Von der seltsamen Sache in der Höhle konnte sie Thor auf keinen Fall erzählen. »Ich, also…naja, ich habe das Gefühl, dass Asgard irgendwie Auswirkungen auf mich hat. Als ich nach der Ankunft in meinem Zimmer war hat meine Hand plötzlich… seltsam geleuchtet und ich glaube, ich habe einem Vogel den Flügel geheilt…oh Himmel, das klingt ja völlig verrückt.« Gwen warf die Arme in die Luft, bevor sie das Gesicht in den Händen versteckte und nuschelte: »Bitte halten Sie mich jetzt nicht für verrückt.« Thor lachte amüsiert auf. »Das tue ich nicht. Versprochen.« Zögerlich ließ sie die Hände wieder sinken und holte tief Luft, während sie skeptisch zu dem Donnergott aufsah. Nervös zog sie sich einen Zweig aus einem nahen Strauch heran und beschäftigte ihre Finger mit dem trockenen Astwerk; die Blüten und Blätter waren wohl kränklich und bereits halb verdorrt. Nachdenklich sah Thor auf sie herab, während sich seine Stirn furchte und er wohl ernsthaft über das Gesagte grübelte. »Von dergleichen habe ich noch nie gehört. Vielleicht sollten wir die anderen Menschen ihrer Gruppe befragen, ob denen auch etwas Ähnliches passiert ist. Leider kenne ich mich mit Magie nicht wirklich aus, doch das klingt, als könnte die magische Essenz unseres Reiches dafür verantwortlich sein. Ich kann allerdings kaum abschätzen und sagen, welche Auswirkungen Asgard wohl auf einen Menschen haben könnte. Die meisten Asen halten nicht viel von Magie. Für solche Fälle wäre mein Bruder-« Der Donnergott verstummte plötzlich im Satz und presste die Lippen aufeinander, bevor sein Blick zur Seite glitt und ihrem entwich. Gwen wartete unsicher ein paar Augenblicke; unschlüssig, ob Thor weitersprechen würde. Doch der blieb stumm. Die Stille dehnte sich zwischen ihnen unangenehm aus. »Für solche Fälle wäre Ihr Bruder…der Richtige?!« versuchte Gwen ihm vorsichtig auf die Sprünge zu helfen. Komisch, sie hatte seit ihrer Ankunft nichts von einem Bruder Thors gesehen. Auch auf dem Fest war ihr niemand aufgefallen, zu dem jene Beschreibung passen könnte. Und er wäre doch sicherlich auch anwesend gewesen. »Das wäre er.« Endlich fand der Gott seine Stimme wieder. »Allerdings ist mein Bruder tot. Er wird uns nicht helfen können.« presste er erschreckend kühl hervor, bevor er sich einfach abwandte und weiter ging. Gwen blieb für einen Augenblick völlig erstarrt zurück. Das hatte sie ja ganz hervorragend hinbekommen - gleich am ersten Abend mit Anlauf in das wohl größte Fettnäpfchen, was es gab. Sie ließ den Zweig los und beeilte sich zu Thor aufzuschließen. »Es tut mir leid. Ich wollte wirklich kein solch trauriges Thema anschneiden. Bitte verzeihen Sie mir.« Sie hielt ihn sanft am Arm zurück und er blieb stehen. »Schon gut. Es ist lange her…« Erneut bot er ihr seinen Arm, bevor er wieder ein zaghaftes Lächeln zeigte. Dann führte Thor Gwen wieder in den Festsaal. Keiner der beiden warf einen Blick zurück und so bemerkte auch niemand, wie jener bereits abgestorbene Zweig, den Gwen eben noch in den Händen gehalten hatte, zu neuem Leben erwachte; grüne Blätter reckten sich in die Höhe und eine leuchtend rote Blüte entfaltete sich unter dem Schein der funkelnden Sterne. Andrew Preston war gerade auf dem Weg zurück in sein Zimmer, als er Schritte in dem stillen Gang hinter sich ausmachte. Schritte, die eilig näherkamen. Der Agent sah über die Schulter zurück und entdeckte Dr. Feron, der ihm folgte. Er blieb stehen, bis der Arzt zu ihm aufgeschlossen hatte. »Alles in Ordnung, Doktor? Sie sehen ein wenig gehetzt aus.« »Sie müssen mit mir kommen, Agent. Ich muss Ihnen unbedingt etwas zeigen.« Dringlichkeit sprach aus der Stimme des Doktors und sein Gesicht zeigte Aufregung. Der Arzt war sonst die Ruhe selbst. Wenn ihn etwas derart aus der Fassung brachte, musste es wirklich wichtig sein. Andrew folgte dem Doktor zurück auf die Krankenstation, die er heute bereits schon einmal betreten hatte - mit der jungen, rothaarigen Geophysikerin an seiner Seite, die ihm viel zu eindringlich im Kopf herumspukte, als gut für ihn war. Er sollte sich wirklich mehr auf seinen Job konzentrieren. Dr. Feron führte Andrew in einen kleinen Nebenraum, der als Labor diente. Nur auf einem Tisch brannte noch Licht zu dieser späten Stunde und ein Mikroskop war eingeschaltet. Der Arzt deutete auf den Stuhl vor dem Tisch und Andrew setzte sich. »Schauen Sie durch das Mikroskop, Agent.« »Und was soll ich hier zu sehen bekommen, Doktor? Es wäre freundlich, wenn Sie mich über den Grund Ihrer Aufregung informieren würden.« Andrew lehnte sich nach vorn und stellte die Sichtschärfe des Gerätes für sich passend ein. »Sie erinnern sich sicherlich an die junge Frau, die sie vor kurzem wegen des Schwächeanfalls hier vorbeigebracht haben. Ich habe Ihr doch Blut abgenommen. Nun…das ist ihre Blutprobe.« Der Arzt war neben dem Tisch stehen geblieben und rang ruhelos die Hände, während er den Agent beobachtete. Andrew sah durch das Mikroskop und versteifte sich augenblicklich. »Was in Gottes Namen…?!« Er sah wieder zu dem Arzt auf, ergründete dessen Züge, suchte eine Lüge darin, bevor er wieder in das Gerät starrte. »Und es gibt keinen Zweifel? Das ist ihr Blut?« »Ich schwöre es. Zweifel ausgeschlossen.« Der Doktor sah abwartend auf den Agent herab. »So etwas habe ich noch nie gesehen.« Andrew nahm die Augen von dem Mikroskop und ließ sich in dem Stuhl zurücksinken; verschränkte die Hände und bettete das Kinn darauf, während er das Gerät vor sich beinahe beschwörend anstarrte und nachdachte. »Soll ich Direktor Fury informieren lassen?« fragte der Arzt sogleich vorsichtig, aber pflichtbewusst nach. Andrew schüttelte geistesabwesend den Kopf, der Blick noch immer starr geradeaus gerichtet auf das Mikroskop. »Nein…nein, das mache ich selbst. Danke, Doktor.« Kapitel 5: Nächtliche Besucher ------------------------------ Gwen erwachte durch einen Schrei. Erschrocken setzte sie sich in ihrem Bett auf und lauschte; im ersten Moment nichts vernehmend außer ihrem rasenden Herzen und ihrem hektischen Atem. Angespannt sah sie sich in ihrem Zimmer um und hielt Ausschau nach der Quelle jenes Geräusches, das sie geweckt hatte. War es tatsächlich ein Schrei gewesen? Der Schlaf hing ihr noch immer an und in diesem halbwachen Zustand war das schwer zu sagen; vielleicht hatte sie auch einfach nur schlecht geträumt. In ihrem Zimmer war es dunkel. Keine völlige Finsternis, denn auch hier spendeten die Sterne und Monde über Asgard fahles Licht, welches durch das Fenster hereinfiel und die Einrichtung in geisterhaften Schein tauchte, doch der Morgen war noch fern. Sie konnte noch nicht lang geschlafen haben. Gwen hatte sich nach dem Bankett nur kurz auf ihr Bett gelegt; hatte sich nur einen Moment ausruhen wollen, um der Wirkung des Metes Einhalt zu gebieten, denn die Umgebung war ihr bereits schwankend begegnet. Sie hätte wirklich nicht so viel trinken sollen, immerhin wusste sie ja, dass sie kaum etwas vertrug wenn es um Alkohol ging. Doch der liebliche Honigwein war so köstlich gewesen und die Wirkung verschleiert durch die verlockende Süße. Ihr Vorhaben war es eigentlich gewesen, noch vor dem Schlaf erneut in die Kerkerhöhle hinabzusteigen und das eigene Gewissen zu beruhigen, indem sie sich versicherte, dass der dunkelhaarige Mann dort unten noch lebte. Zumindest hatte sie gehofft, dass er das noch tat. Alles andere wäre für sie auch nicht akzeptabel gewesen und hätte Konsequenzen nach sich gezogen, an die sie nicht einmal zu denken wagte. Allerdings hatten ihr Erschöpfung und Alkohol einen Strich durch die Rechnung gemacht. Gwen trug noch das Kleid vom Abend, als sie jetzt die Füße vom Bett schwang und in ihre Schuhe schlüpfte. Angestrengt hielt sie den Atem an und lauschte in die Schatten der Nacht, doch es blieb still. Wahrscheinlich hatte sie nur der Ruf eines Vogels vor dem Fenster geweckt. Doch da sie nun schon einmal wach war, konnte sie auch einem körperlich dringenden Bedürfnis nachgehen, bevor sie sich wieder schlafen legen würde. Sie stand auf und ging kurz in das angrenzende Badezimmer, um sich zu erleichtern. Als sie wieder aus der Tür trat, fiel ihr Blick auf das Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe, verwarf den Gedanken dann aber, jetzt noch den Weg dort hinab zu wagen. Es war wahrscheinlich mitten in der Nacht und wenn der Mann wirklich nicht schwer verletzt war - wovon sie einfach hoffnungsvoll ausging - dann würde er jetzt wahrscheinlich schlafen. Und wohl nicht gerade begeistert darüber sein, wenn sie ihn schon wieder stören würde. Mit einem kleinen Seufzen trat sie an das Fenster heran und goss sich etwas Wasser aus der bereitstehenden Karaffe in einen Becher. Dieser unbekannte Mann beherrschte selbst jetzt noch ihre Gedanken und beinahe hatte sie das Gefühl, dass sein stechender Blick erneut auf ihr ruhen würde. Ein Schauder durchlief sie und ließ ihre Haut prickeln - allerdings nicht allein durch furchtsame Faszination, wie sie sich eben eingestehen musste. Es war ein zarter Hauch von Erregung, der sie durchdrang, als sie an seine Augen dachte und an dieses hoheitlich stolze Gesicht, welches so gebieterisch auf sie herabgesehen hatte. Gwen schüttelte über sich selbst den Kopf und verscheuchte die Gedanken an diesen Mann entschlossen aus ihrem Geist. Sie würde ihn noch genau einmal sehen, nämlich dann, wenn sie sich versicherte, dass es ihm gut ging und damit wäre diese Geschichte für sie abgehakt. Und das wäre definitiv besser so. Sie nahm einen Schluck aus dem Becher in ihrer Hand und sah nebenher aus dem Fenster. Milde Nachtluft blies sanft von draußen herein und umschmeichelte ihre Haut, versetzte ihre Haare in Bewegung. Der Garten unter ihrem Fenster erstreckte sich finster in der Nacht, nur stellenweise erhellt von den Feuerschalen des Weges. Der Wind fuhr durch Büsche und Bäume und das Rascheln der Blätter drang leise an ihr Ohr. Sonst war es vollkommen still. Gwen runzelte die Stirn. Merkwürdig. Außer dem Wind und dem Rauschen des Meeres in der Ferne hörte sie tatsächlich nichts. Keine Tiere, die nachtaktiv durchs Unterholz streiften. Keine Grillen, keine Vögel. Keine Schritte. Keine Stimmen. Nichts drang aus der Stadt herauf. Auch in Odins Palast schien alles verstummt. Doch es war keine beruhigende, friedliche Stille. Die feinen Härchen auf Gwens Unterarmen stellten sich alarmiert auf, während ein Gefühl wie ein eisiger Finger über ihren Nacken glitt. Es war eine unnatürliche Ruhe - als würde die Welt den Atem anhalten und ängstlich ausharren vor einer Woge von Ereignissen, die in der Ferne heranrollte; gewaltig, düster und nicht aufzuhalten. Gwen hob die freie Hand und rieb sich sachte seufzend über die Schläfe. Wahrscheinlich hätte sie wirklich weniger trinken sollen. Sie sah ja schon Gespenster. Gerade als sie sich vom Fenster abwenden wollte, zog eine Bewegung am Himmel ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie furchte die Stirn und lehnte sich weiter nach draußen, die Augen forschend verengt; blinzelte, um ihren Blick zu schärfen. Dort zog ein Schatten über den Himmel Asgards und verdeckte die leuchtenden Sterne, Monde und Galaxien. Zuerst hielt Gwen es für eine Wolke, doch diese zogen normalerweise nicht entgegen der Windrichtung, noch dazu so schnell. Und aus einer Wolke pflegten sich auch keine Teile abzuspalten und zielgerichtet auf die Stadt herabzufallen… Über dem Palast des Allvaters schälte sich ein Raumschiff aus der Dunkelheit; kaum zu erkennen in dem fahlen Licht der Nacht, welches das riesige Gebilde wie ein Schattenfetzen am Himmel wirken ließ. Das Schiff war gewaltig; nach und nach nahm es deutliche Gestalt an, als würde man einen Vorhang beiseite ziehen und die Form dahinter enthüllen, die man bisher nur schemenhaft erahnt hatte. Von der Hülle des Schiffes lösten sich viele kleinere Gebilde, die senkrecht in Richtung Erde fielen, um erst kurz vor den Dächern der Stadt Fahrt aufzunehmen und sirrend über jene hinwegzugleiten. Gwen verdrehte sich fast den Hals, als sie eines der kleineren Objekte mit dem Blick verfolgte und dieses gerade hinter dem Palast des Allvaters verschwand. Die kleineren Schiffe glichen dem Großen beinahe aufs Haar; sie waren allesamt pechschwarz und besaßen eine längliche Form, die sich am Ende ein wenig verbreiterte und auf deren Oberseite eine Art Finne saß. Bläuliche Lichter blitzten hin und wieder an der Vorderseite auf, während der Antrieb in unheilvollem Dunkelrot glühte. Etwas an den Schiffen war auffällig seltsam; ihre Außenhülle überzog in regelmäßigen Abständen schwarzer Nebel, glitt aus Öffnungen wie ein beinahe lebendiges Wesen, um in einer anderen Ritze wieder zu verschwinden. Dieser Dunst ließ die Form und Gestalt der Schiffe immer wieder undeutlich flackern. In Gwens Erinnerung blitzten die Bilder der New Yorker Invasion von vor zwei Jahren auf und das ungute Gefühl von vorhin verstärkte sich noch; schaudernd sah sie zu dem riesigen Mutterschiff auf, das gerade über dem Palast Stellung zu beziehen schien. Nun war es vollständig aus der Illusion der Unsichtbarkeit enthüllt; wahrscheinlich besaß es eine Art Tarntechnologie, wodurch das Schiff überhaupt so nah an die Stadt hatte herankommen können. Ein gellender Schrei irgendwo draußen ließ Gwen zusammenfahren. Der Wasserbecher fiel ihr aus der Hand und landete mit einem dumpfen Platschen zu ihren Füßen. Als wäre dieser Schrei der Auftakt für die Schlacht gewesen, so brach plötzlich die Hölle los. Asgard erwachte aus seiner Starre; Befehle wurden gerufen, die schweren Schritte der Wachen erfüllten den Palast, während panische Schreie der Bevölkerung aus der Stadt heraufhallten. Das energetische Sirren der Schiffe erfüllte die Luft, ähnlich eines zornigen Bienenschwarmes, der zum Angriff überging. Die Verteidigungsanlagen Asgards begannen damit, die fremden Schiffe mit Dauerfeuer zu beschießen und einige der kleineren Raumschiffe stürzten mit schwelenden Antrieben trudelnd ab; hinter sich eine Spur aus Rauch durch den Nachthimmel ziehend. Plötzlich war der Himmel erhellt vom Beschussfeuer der Abwehrtürme und dem Widerstand der fremden Angreifer, die ihre Bordwaffen auf die Stadt entluden; die Schüsse trafen donnernd in Häuser, Brücken und Straßen - ein grausiges Aufleuchten von Explosionen und Feuerbällen in welches sich der Lärm des Angriffes und die Panik der Bevölkerung mischte. Asgard wurde tatsächlich angegriffen. Ein Schuss krachte pfeifend in den Garten des Palastes; die Druckwelle fegte die Büsche und Bäume fauchend beiseite, riss eine feurige Schneise durch das zarte Grün und ließ Gwen an ihrem Fenster erschrocken zurücktaumeln, bis sie die Tür ihrer Unterkunft im Rücken spürte. Auf dem Flur vor ihrem Zimmer wurden Stimmen laut, die ängstlich durcheinander riefen, bevor hektische Schritte an ihrer Tür vorbeirannten. Das vertrieb auch endlich Gwens Schock, die entgeistert auf den Schein der Flammen starrte, welche sich nun knisternd durch den wunderschönen Garten der Königin fraßen. Das war ein furchtbarer Albtraum. Das konnte doch nur ein Albtraum sein. Sie riss die Tür ihres Zimmers auf und stolperte sogleich hustend einen Schritt zurück, da dicke Rauchschwaden durch den Flur waberten. Der bissige Dunst kroch arglistig in ihre Lungen und ließ ihre Augen tränen. Mit einer Hand vor Nase und Mund wagte sich Gwen blinzelnd und geduckt auf den Flur; einige der menschlichen Wissenschaftler liefen panisch an ihr vorbei, die vor Schreck geweiteten Augen ziellos umherirrend, die Gesichter blass und fassungslos. »Was ist hier los?« fragte sie laut, aber keiner gab Antwort; ein junger Mann schenkte ihr ein Achselzucken, bevor er weitereilte. Alle waren nur damit beschäftigt so schnell wie möglich das Weite zu suchen und sich irgendwie in Sicherheit zu bringen. Doch in jedem Gesicht spiegelte sich die gleiche Verwirrung, die auch sie verspürte. Durch den Rauch, der von draußen hereinzog, konnte Gwen kaum etwas erkennen. Oder brannte es womöglich auch hier im Gebäude? Die Umrisse der Menschen verschwanden bald in der Ferne und im Rauch, nur ihre Stimmen und Schritte waren weiterhin zu vernehmen, ebenso das Krachen und Donnern der Schüsse von draußen. Der Boden vibrierte unter Gwens Füßen. Sie tastete sich an der Wand vorwärts, noch immer geduckt, da die Luft am Boden nicht ganz so rauchgeschwängert war. Die vereinzelten Fackeln an der Wand vermochten es kaum, die Schwaden zu durchdringen. Eher gaben sie dem Ganzen einen düsteren, unheilvollen Hauch, als würde man sich in einer flammenden Hölle bewegen. Sie musste es in den Palast des Allvaters schaffen. Dort hatte sie wahrscheinlich die größten Möglichkeiten, den Angriff unbeschadet zu überstehen. Dort gab es Wachen. Und Krieger. Und von denen waren sicher alle damit beschäftigt, ihre Heimat vor den fremden Eindringlingen zu beschützen. Gwen musste an Thor denken und fragte sich sogleich, ob er bereits zum Kampf gerüstet sein Land verteidigte. Ob überhaupt jemand Zeit hätte, an die menschlichen Wissenschaftler hier zu denken? Ein durchdringender Schrei irgendwo vor ihr ließ Gwen abrupt innehalten. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, das Rauschen des Blutes in den Ohren dämpfte ihr Gehör. Blinzelnd starrte sie in den Rauch vor sich, während sie sich näher an die Wand drückte und abwartete. Dann weitete sie angsterfüllt die Augen. Oh Himmel. Sie waren schon hier… Eine düstere Gestalt schälte sich einige Schritte vor ihr aus dem Dunst; ein groteskes Monstrum von einem Krieger in einer pechschwarzen Rüstung, die überzogen von Dornen und mächtigen Platten undurchdringlich wirkte - einer der Angreifer Asgards, eine Figur, aus Alpträumen entsprungen, deren bloßer Anblick Gwen furchtsam erstarren ließ. Der Hauch des Unheils, des Bösen ging von dem Krieger aus und ließ Gwen erzittern, ihre Beine zu Blei werden, ihr Herz zu einem tiefschwarzen Klumpen aus Angst und Panik verkümmern. Sie wagte kaum zu atmen, als dieses Wesen mit schweren Schritten zu einem der Wissenschaftler trat, der dem Krieger nur erstarrt entgegensehen konnte. Gwen erkannte den jungen Mann von vorhin. Sie wollte ihn warnen, wollte ihm zurufen, dass er verschwinden sollte, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. War sie wirklich so feige, dass die Sorge und Furcht um ihre eigene Haut sie schweigen ließ? Das fremde Wesen trat vor den Menschen, der noch immer wie festgewurzelt auf der Stelle stand. Von der Seite konnte Gwen sein kalkweißes Gesicht erkennen. Die Züge des fremden Kriegers waren hinter einer Art Maske verborgen; eine starre, furchteinflößende Fratze, die aus tiefschwarzen, schmalen Augen und einem zahnbewehrten Schlund bestand, in dessen Tiefe das gleiche unselige Licht schimmerte, wie Gwen es schon bei den Antrieben der Schiffe aufgefallen war. Doch nicht nur das war gleich - jede Bewegung, jede Regung des fremden Wesens begleitete ein wabernder Nebel aus schwarzem Dunst; kein Rauch, der vom Feuer rührte, sondern eine Essenz, die aus dem Krieger selbst zu kommen schien. Mit einem weiteren Schritt war das Wesen bei dem Mann angelangt und mit einer schnellen, groben Bewegung hatte es ihn an der Kehle gepackt und zu sich herumgerissen; die Spitze einer dunklen Klinge drang aus der Brust des Menschen, als der Krieger ihn an sich drückte und sein Schwert ruckartig durch das Fleisch bohrte. Gwen erstickte einen Schrei hinter ihrer zitternden Hand. Der junge Mann zappelte im Griff des Wesens, die Augen geschockt aufgerissen, während sich seine Hände hilflos um das Metall klammerten, dass aus seinen Rippen ragte. Blut benetzte seine bebenden Lippen, der Blick irrte unstet umher - auf der Suche nach Hilfe, einer Antwort, einem Anzeichen für einen Traum… Gwen hatte bestimmt unzählige Male beim Daily View über Morde berichtet; hatte die Fakten und Hintergründe aufgezählt, die Opfer benannt, Hinterbliebenen Beileid ausgedrückt. Der Tod war allgegenwärtig. Er war ein Geschäft. Doch noch nie war sie so nah am Geschehen gewesen. Hatte noch nie diesen letzten Blick aus verzweifelten Augen aufgefangen, in welchem ungläubige Fassungslosigkeit lag; völliges Befremden, Betäubung…und Angst. Angst vor der Ungewissheit und vor einem Weg, den man allein beschreiten musste. Sie sah keinen Schmerz in den brechenden, glasigen Augen des jungen Mannes, als sich sein Geist langsam zurückzog und eine leere Hülle zurückließ, die sich aufgespießt von der Waffe des Feindes ein letztes Mal aufbäumte, bevor der Körper kraftlos in sich zusammenfiel. Kein Schmerz. Nur Verwirrung. Und Trauer über ein viel zu kurzes Leben. Gwen schluckte ein aufsteigendes Schluchzen in der Kehle herab, als der düstere Krieger den Menschen mit einer beiläufigen Bewegung von seiner Klinge schob; der Körper landete mit einem dumpfen, weichen Laut auf dem Boden. Das Wesen stieg über den toten Mann hinweg und kam nun in ihre Richtung. Hinter ihm wurden weitere, schwarze Schemen im Rauch deutlich, die dem Krieger zu folgen schienen. Gwen fühlte sich schlecht dabei, den toten Mann wie Unrat liegen lassen zu müssen, doch wenn sie noch länger an Ort und Stelle verweilen würde, wäre sie gewiss der nächste leblose Körper auf dem Steinboden. Ganz in der Nähe schlug krachend ein Schuss in das Gebäude ein und ließ die Wände sowie den Boden beben; Staub und Steine rieselten von der Decke und machten das Atmen und Sehen noch schwerer - allerdings bot ihr wohl genau das auch den nötigen Schutz, um nicht sogleich entdeckt zu werden. Gwen trat den Rückzug an, wandte sich um und tastete sich an der Wand wieder zurück in Richtung ihres Zimmers. Ihre Finger fuhren über feine Risse im Stein, während sie die freie Hand wieder über Nase und Mund presste und verzweifelt versuchte, das Kitzeln im Rachen zu ignorieren. Nur ein verräterischer Laut konnte jetzt ihren Tod bedeuten. Hektisch schob sie sich voran und ertastete nach einer gefühlten Ewigkeit den Rahmen ihrer noch offenstehenden Zimmertür. Hinter sich konnte sie das Brechen und Splittern von Holz vernehmen, dann raue, knurrende Laute, die diese Wesen ausstießen, um sich zu verständigen. Sie brachen offenbar die Türen auf und stürmten die Zimmer. Gwen schlüpfte schnell in ihres und drückte die Tür hinter sich vorsichtig und leise wieder ins Schloss. Dann wirbelte sie herum und sah sich hektisch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Allerdings wurde ihr schnell bewusst, dass sie in der Falle saß. Das Krachen der Türen draußen kam näher; ein spitzer Schrei erstarb kurz darauf in den entsetzlichen Lauten der fremden Wesen. Im Garten vor ihrem Fenster brannte noch immer das Feuer und panische Asen flohen vor den Flammen und den unheimlichen Kriegern, die ihnen mit Schwertern, Äxten und Hämmern folgten. In einigen Händen der Angreifer sah Gwen auch eine Art Energiewaffe, die einige der fliehenden Asen im Laufen niederstreckten. Entsetzt wich Gwen vom Fenster zurück. Das war ihre einzige Möglichkeit gewesen. Was sollte sie jetzt tun? Wohin sollte sie…? Ihr Blick fiel auf das Bücherregal. Natürlich. Ihr blieb nur dieser Weg. Panisch stemmte sie sich gegen das Holz des Regales und öffnete den Weg erneut, der hinab in die Dunkelheit führte. Ihre Augen behielten nebenher die Zimmertür furchtsam im Blick; jeden Moment rechnete sie damit, dass jene splitternd aus den Angeln fliegen und eine Horde mordlüsterner Wesen hereinstürmen würde. Doch die Tür blieb zu und Gwen schlüpfte in den Geheimgang. Angsterfüllt schob sie das Regal dann knirschend wieder zurück an seinen Platz; viel zu langsam bewegte sich das Holz und der Schweiß lief Gwen kalt über die Schläfen und den Rücken hinab. Gerade, als das Regal wieder an seinem angestammten Platz einrastete, konnte Gwen dahinter das Zersplittern ihrer Zimmertür vernehmen, gefolgt von den Schritten der Eindringlinge. Oh Himmel, das war knapp gewesen... Hektisch atmend wandte sie sich um und breitete die Arme nach beiden Seiten aus, um sich am rissigen Felsen in die Dunkelheit hinab zu tasten. Völlige Finsternis umfing sie; stickige Wärme hüllte sie ein wie ein Kokon, der eigene Atem hallte ihr überdeutlich in den Ohren nach. Entschlossen schluckte sie die Panik hinunter und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die ausgestreckten Finger fuhren durch klebrige Spinnweben und über messerscharfe, herausragende Steine, die ihr in die Handflächen schnitten. Entschieden stieg sie zitternd weiter in die Finsternis hinab und hatte bald das Gefühl, in der Dunkelheit zu ertrinken; der Weg schien gar kein Ende zu nehmen. Der Angriff an der Oberfläche hallte wie fernes Donnergrollen hier unter der Erde und herabrieselnder Staub schwebte durch die Luft. Nach einer gefühlten Ewigkeit stießen ihre Finger endlich auf das Ende des Ganges in Form einer massiven Felswand. Gwen ließ sich in die Hocke sinken und tastete den Stein nach dem versteckten Mechanismus ab, der den Durchlass öffnen würde. „Der Täter kehrt immer an den Ort des Verbrechens zurück.“ Loki hatte diesen Spruch irgendwann einmal aufgeschnappt; er wusste nicht mehr wann und wo, doch die Worte waren ihm im Gedächtnis geblieben. Und offensichtlich lag tatsächlich Wahrheit in dieser Aussage, sinnierte er jetzt, als der Geruch von Frühling wieder an seine Nase drang und ihn tief einatmen ließ. Das vertrieb zumindest einen Teil der hämmernden Kopfschmerzen, die ihm der unfreiwillige Flug durch sein Gefängnis beschert hatte. Die Reaktion der magischen Zellenwand war heftig gewesen und sein Aufprall nicht weniger schmerzhaft. Er nahm den Arm langsam von seinem Gesicht, den er als Schutz vor dem Licht dort gebettet hatte und öffnete die Augen blinzelnd. Sein Blick traf die Zellendecke über seinem Bett, auf das er sich gelegt hatte, um der Pein in seinem Kopf Einhalt zu gebieten. An Schlaf war nicht zu denken gewesen; zum einen wegen seines schmerzenden Kopfes, zum anderen wegen seiner Grübeleien. Außerdem ließ ihn das gedämpfte Donnern an der Oberfläche nicht zur Ruhe kommen, welches nun schon seit einer ganzen Weile den Boden unterschwellig zum Vibrieren brachte - die Asen schienen wieder eines ihrer rauschenden Feste zu feiern. Wahrscheinlich schwang Thor wieder einmal Mjölnir, um die Festgesellschaft zu beeindrucken und beschwor dabei Blitz und Donner - erbärmlicher Angeber. Nicht einmal hier unten hatte Loki wirklich Ruhe vor seinem aufgeblasenen Bruder. Allerdings wurden die Gedanken an seine Familie jetzt beharrlich in den Hintergrund gedrängt. Sie war also wiedergekommen. Er musste sie nicht einmal sehen, um sich da sicher zu sein. Er konnte sie fühlen. Er hatte gewusst, dass das geschehen würde. Irgendwie hatte er es gewusst. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war - was für einen Gott der Lügen durchaus eine Herausforderung darstellte - so musste er sich eingestehen, dass er es auch gehofft hatte. Die rothaarige Frau hatte sein Interesse geweckt und das konnten definitiv nicht viele von sich behaupten; nicht das Loki nun in romantische Schwärmereien verfallen wäre - nein, das nicht. Ihn faszinierten die seltsame Verbindung, die zwischen ihnen auf eine unbegreifliche Weise zu bestehen schien und natürlich das Geheimnis hinter der Hülle dieses menschlichen Wesens. Sie war niemals nur das, was sie vorgab zu sein - nicht nur ein Mensch, das hatte er auf den ersten Blick erkannt. Außerdem hatte sie die Nebel gelichtet, die seinen Geist umnachtet hatten; sie hatte auf unerklärliche Weise wieder Licht ins Dunkel gebracht und die Schatten vertrieben, die seinen Verstand verschlingen wollten. Er war begierig darauf, hinter ihre Fassade zu blicken; das Rätsel zu lösen und die Wahrheit zu erkennen. Das konnte ein definitiv spannendes und forderndes Spiel werden, welches ihm in ausreichendem Maße die Zeit vertreiben dürfte. Und von jener hatte er ja mehr als genug hier in seinem Verlies. Unter den Hauch des Frühlings, der von ihr ausging, hatte sich allerdings nun noch ein anderer Duft gemischt; der Geruch eines herannahenden Sturmes, aufgeladene und unruhige Luft, die nach Gefahr, Furcht und Spannung duftete, vermischt mit dem Aroma von knisternder Energie und warmem Kupfer. Blut? Loki stemmte sich ruckartig auf dem Bett in die Höhe und wandte den Kopf in jene Richtung der Höhle, in welcher er sie vermutete - und da war sie tatsächlich, stolperte gerade aus dem Durchgang, welcher sich erneut im massiven Felsen aufgetan hatte. Sie wirkte völlig verschreckt, ihre Kleidung überzogen mit Staub, der sich auch auf ihrer blassen Haut niedergelegt hatte und diese wie ein gräulicher Schleier überzog. Ihre Haare waren wirr, ebenso sprach ihr geweiteter Blick von Schrecken und Angst. Sie stemmte sich keuchend gegen die Felsentür und schloss sie hinter sich wieder; Loki bemerkte dabei einen feinen Rinnsal Blut an einem ihrer Unterarme. Seine Frau war verletzt. Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz. Und ließ ihn die Stirn in Unverständnis über sich selbst runzeln. Die Formulierung war tatsächlich seltsam gewählt. Sie war gewiss nicht -seine- Frau. Betrachtete ein Teil von ihm sie wirklich als sein Eigentum, weil sie hier zu ihm heruntergekommen war; sein kleines, süßes Geheimnis, was nur ihm gehörte? Inzwischen war er sich fast sicher, dass sie niemand geschickt hatte. Odin und Thor wären kaum in der Lage solch einen perfiden Plan in die Tat umzusetzen - ganz zu schweigen davon, dass sie kaum den Verstand besaßen, sich so etwas überhaupt erst auszudenken. Außerdem hatte das Verhalten der Frau auch einfach nicht auf ein so forciert geplantes Vorhaben gedeutet. Sie wich eben vor dem nun wieder geschlossenen Durchgang zurück, ließ diesen dabei jedoch nicht aus den Augen, als müsste sie sich versichern, dass er sich nicht von selbst wieder öffnen würde - oder vielleicht hatte sie Angst, dass ihr jemand gefolgt sein könnte. Befangen rieb sie sich die Arme, als wäre ihr kalt, während sie ihre rückwärtigen Schritte näher an seine Zelle brachten. Loki erhob sich von seinem Bett und kam ihr nun ebenfalls entgegen; zumindest soweit, wie es sein Gefängnis eben zuließ. Er stemmte beide Hände gegen die magisch verstärkte Scheibe und sah auf die Frau herab, die nun mit dem Rücken an seiner Zelle angelangt war. Sie schien sich gar nicht so recht bewusst zu sein, wo sie war und auch ihn hatte sie bisher keines Blickes gewürdigt, ihn wohl noch nicht einmal bemerkt. Aus einem unerfindlichen Grund ärgerte das Loki. Ja, er war selbstsüchtig. Und er hasste es ignoriert zu werden. Ihre Schultern bebten unter heftigen Atemzügen, die Arme hatte sie noch immer um sich geschlungen, ließ allerdings eine Hand nun sinken, um sie geistesabwesend am Stoff ihres Kleides abzuwischen. Dabei fiel ihr wohl erst auf, dass ihre Handfläche blutete - feine Schnitte zogen sich über ihre Haut. Selbst durch die Scheibe hindurch konnte Loki die magische Energie fühlen, die wellenartig von ihrer verletzten Hand ausstrahlte; jeder Herzschlag der Frau brachte ihr Blut förmlich zum schimmern und ließ die spürbare Macht durch die Luft pulsieren. Andere nahmen dieses Übermaß an Energie wahrscheinlich kaum wahr - die Frau selbst schien gar nicht zu bemerken, welche Kraft diese Wunde freigesetzt hatte - doch Lokis Sinne waren mit und auf Magie geschult; er fühlte sich augenblicklich wie berauscht und lehnte die Stirn mit einem sehnsüchtigen Seufzen gegen die Scheibe. Seine Hände, sein gesamter Körper begann unwillkürlich zu beben und nach der Quelle dieser Energie zu verlangen. So viel Macht. So nah. Und doch so unerreichbar für ihn. Niemals war sie nur ein einfacher Mensch. Das war sicher. »Was ist passiert - habt Ihr Euch ungeschickt im Umgang mit dem Messer erwiesen?« erhob er die Stimme nun raunend, um sich die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu sichern. Und um zu erfahren, wie sie sich solche Verletzungen hatte zuziehen können. War sie in einen Kampf verwickelt gewesen? Ruckartig wirbelte sie zu ihm herum und starrte ihn aus erschrocken geweiteten Augen an. Aus der Nähe betrachtete sah sie tatsächlich völlig verängstigt aus; in ihren hellen Augen flogen Schatten umher, als hätte sie Dinge erblickt, die ihr Verstand noch zu verarbeiten suchte. »Du…!?« stieß sie atemlos aus, allerdings schien sie sich sogleich ein wenig zu beruhigen, als sie ihn erblickte. Er seufzte gespielt mitleidig auf. »Ja, ich bin auch entsetzt darüber, dass ich noch immer hier weile.« gab er dann in spöttischem Tonfall von sich. »Mir wäre es ebenfalls lieber, ich hätte Euch meinen Anblick ersparen können, indem ich an einem anderen Ort weilen dürfte.« Kritisch nahm er sie nun genauer in Augenschein; die staubigen Kleider, die blasse Haut, die fahlen Wangen, auf denen sich feuchte Spuren durch den Staub zogen. Hatte sie geweint? »Ihr seht aus, als hätte man Euch auf dem Übungsplatz ordentlich in die Mangel genommen.« Verständnislos blickte sie zu ihm auf und er löste eine Hand von der Scheibe, um in einer knappen Geste ihre gesamte Gestalt einzufassen. »Die schmutzige Kleidung. Der Schrecken in Eurem Gesicht. Ihr blutet.« zählte er beinahe gelangweilt auf, wobei er am Ende auf ihre verletzte Hand wies. Sie drückte die blutende Handfläche daraufhin schützend an ihre Brust, als würde sie sich der Schmerzen erst jetzt wirklich bewusst. »Ich…ich…« Sie wirkte verwirrt und schüttelte den Kopf, als müsste sie ihre Gedanken sortieren. Abwartend beobachtete Loki sie und studierte ihre Regungen. Flüchtig sah die Frau über ihre Schulter zurück zu dem geschlossenen Durchgang, der wohl zu einem Geheimgang gehörte, wie der Magier vermutete. Dann blickte sie ihn wieder an. »Der Palast…die Stadt…Asgard wird angegriffen.« »Was?« Loki stemmte sich sogleich von der Scheibe wieder in eine aufrechte Position und verengte die Augen kritisch, um abschätzend auf sie herabzusehen. »Was gebt Ihr da für Unsinn von Euch? Habt Ihr Euch den Kopf angeschlagen? Mir scheint es fast so.« Äußerst skeptisch zog er eine Braue in die Höhe. Ein Angriff auf Asgard?! Das konnte ja nur ein Scherz sein. Seit vielen Äonen hatte es niemand je gewagt, das Reich der Asen anzugreifen. Der Frieden zwischen den neun Welten war zwar hauchdünn und zerbrechlich, doch er hatte Bestand, da ein jeder den Zorn Odins und die Kampfkraft der Asen fürchtete. Niemand wäre so dumm und würde es wagen, Asgard offen anzugreifen. Sie schüttelte entschieden den Kopf und trat näher an seine Zelle, um eindringlich zu ihm aufzusehen. »Es ist die Wahrheit. Da waren plötzlich Schiffe am Himmel, die das Feuer eröffnet haben…überall war plötzlich Chaos…sie haben Asen getötet…und Menschen…ich…ich habe es gesehen…« In ihren Augen standen noch immer Fassungslosigkeit und Schrecken, als sie sprach. Loki konnte keine Lüge in ihren Worten verspüren. »Menschen?! Wie kommen denn Menschen nach Asgard?« Die Geschichte wurde ja immer verrückter. Hatte er hier unten wirklich so wenig mitbekommen? Wie konnten diese erbärmlichen Geschöpfe hierher gelangen? Gut, auf der anderen Seite…sie war ja immerhin auch hier. Was wollte er sich selbst vormachen - er hatte die letzten Jahre hier unten rein gar nichts von der Welt oben erfahren. »Die…die Wissenschaftler?! Die…die Delegation der Forscher, die wegen der Zusammenarbeit zwischen den Welten hergeschickt wurden…« Jetzt sah sie ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Oder als wäre er eben völlig unwissend - was er ja in gewissem Sinne auch war. War Odin nun völlig verrückt geworden?! Menschen in Asgard - der alte Narr hatte sich wohl von Thor beschwatzen lassen. Sein Bruder hatte ja schon immer eine Schwäche für die sterblichen Schafe und Lämmer gehabt. »…sie…sie haben ihn einfach getötet…den Mann…ohne Grund-« fuhr die Frau fort, doch Loki interessierte das Schicksal eines Menschen gerade herzlich wenig. Das waren ziemlich viele Informationen für so kurze Zeit; sein Kopf begann ihn bereits wieder mit hämmernden Schmerzen zu peinigen. Allerdings gab es da etwas, was ihn brennend interessierte. »Wer? Wer greift Asgard an?« unterbrach er sie entschieden und rieb sich nachdenklich das Kinn, während ein beinahe schadenfrohes Schmunzeln flüchtig um seine Mundwinkel spielte, welches er hinter den Fingern verbarg. Das war ja alles unheimlich amüsant. Sollte tatsächlich jemand den Mumm besitzen und in das Reich der Asen einfallen? Der selbstgerechten Herrschaft des Allvaters trotzen und jener die Stirn bieten? Zu schade, dass er die Gesichter seines Bruders und Vaters nicht sehen konnte - würde wohl Schrecken auf ihren Zügen liegen, wenn sie erkennen mussten, dass ihre Heimat angegriffen wurde? Fassungslosigkeit? Furcht? Würden die starren Züge des Allvaters endlich einmal eine Regung zeigen? Der Angriff geschah ihm ganz recht. Wenn er bereits für Menschen seine Tore öffnete war Asgard eh verloren. Welche Schande, dass Loki hier unten verweilen musste, während dort oben offensichtlich das Chaos tobte. »Ich…weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wer sie sind. Diese Wesen-« Die Frau wurde durch ein lautes Krachen unterbrochen, das unheimlich laut durch die Höhle hallte. Die goldene Tür des Gefängnisses erbebte unter einem gewaltigen Schlag. »Oh Gott…sie sind hier. Sie kommen hier her…« Sie wich mit bleichem Gesicht und angststarren Augen vor der schweren Tür zurück, die abermals unter einem Angriff erzitterte. Der Magier sah der Frau hinterher. »Loki reicht für gewöhnlich.« murmelte er. Doch selbst er verspürte einen Hauch von Unbehagen, als er den Kopf wandte und hinauf zu der großen Flügeltür sah, die sich unter dem unsichtbaren Ansturm von draußen deutlich bog. Egal, was dort Einlass begehrte, es war definitiv nichts, was er kannte. Durch die noch geschlossene Tür wehte der Atem des Unheils; eine fremde Lebensessenz, die mit keiner der ihm bekannten Rassen und Völker übereinzustimmen schien. Jedes Lebewesen besaß eine eigene Aura, eine persönliche Prägung ähnlich eines Fingerabdruckes - ein Magier konnte diese Präsenz spüren, wenn er nur genug geschult war, sie manchmal sogar sehen. Doch die Wesen vor der Tür besaßen…nichts. Ihre Aura war leer. Dunkel. Und kalt. »Diese Tür wird nicht so schnell nachgeben.« versuchte Loki die Frau zu überzeugen; sie war inzwischen hinter seine Zelle getreten und ließ den Blick zwischen ihm und dem Eingang hin und her fliegen. Im nächsten Moment zerbrach die goldene Pforte mit einem Knall; Staub und Gestein wurde in den Raum geschleudert, während die Überreste der Flügeltür mit lautem Krachen auf dem Boden aufschlugen. Der Lärm war ohrenbetäubend und selbst Loki trat in seiner Zelle einen Schritt zurück. »Oh…da habe ich mich wohl geirrt.« bemerkte er recht gleichgültig und blickte neugierig die Treppe hinauf. Aus Staub und Rauch, der durch die gewaltsam geschlagene Öffnung in die Höhle drang, lösten sich drei fremdartige Gestalten und kamen mit gemächlichen, schweren Schritten die Treppe zu seiner Zelle herab. Die unbekannten Wesen waren gut gewappnet durch tiefschwarze Plattenrüstungen und jeder der Eindringlinge trug eine schimmernde, dunkle Klinge in den sechsfingrigen Händen. Ihre Gesichter waren hinter Masken verborgen, die offensichtlich die Furcht schüren sollten - starre, unheimliche Gesichter mit wahnsinnigen Augen und kreisrunden Löchern, die wohl Münder darstellten. Ihre Gestalten umwob eine Art Nebel, der magischen Ursprungs sein musste, wie Loki auf den ersten Blick erkannte; jede Bewegung schien auf seltsame Art und Weise gesteuert, als würde die schwarze, wabernde Essenz die Körper führen. Die drei Krieger schritten auf seine Zelle zu und fassten ihn ins Licht ihrer unselig glimmenden Augen. Die Frau hinter seiner Zelle hatten sie wohl noch nicht bemerkt. Und warum auch immer, aber Loki wollte, dass dies auch so blieb. Hoffentlich würde sie sich nicht durch eine Dummheit verraten. »Willkommen in meinem bescheidenen Reich. Ich muss zugeben, dass ich heute keinen Besuch mehr erwartet hatte.« sprach er die unbekannten Eindringlinge schmeicheln an, während er die Arme hinter dem Rücken verschränkte und vor der Glaswand seiner Zelle stehen blieb. Sein Gesicht zeigte ein aufgesetztes Lächeln, während er die fremden Wesen studierte. Diese neigten ihre Häupter beinahe synchron zur Seite und betrachteten ihn forschend, als wüssten sie nichts so recht mit ihm anzufangen. Dann hob einer der Krieger sein Schwert und schwang es in einem hohen Bogen gegen die Glaswand der Zelle; der Aufprall der Klinge ließ die Magie aufleuchten und den Angreifer den Boden unter den Füßen verlieren. Der Krieger wurde heftig zurückgeworfen und landete mit einem Scheppern seiner Rüstung auf dem Rücken. Loki lachte amüsiert auf, bevor er mit einem Schnalzen der Zunge das Tun des Wesens tadelte. »Das habe ich ebenfalls bereits mehr als einmal versucht. So klappt das nicht.« Die anderen Beiden sahen sich nun scheinbar fragend an, bevor sie angriffsbereit näher an die Zelle herantraten. Plötzlich stoppten sie jedoch und wandten die Köpfe in jene Richtung, in der Loki noch immer die Frau vermutete. Die Krieger gaben etwas in einer animalischen, grollenden Sprache von sich, bevor sie sich von Loki abwandten und um seine Zelle herumschritten. Sie hatten sie entdeckt. Verflucht. Die knurrenden Laute der Wesen veränderten sich plötzlich und er hörte eine andere Stimme, die verständlich sprach; eine Stimme, die anorganisch und kalt erklang, so düster wie der tiefste Schlund der Hel, rachsüchtig und zornig und dem Raum die Wärme entzog - beide Krieger sprachen gleichzeitig und stießen die Worte beinahe überrascht aus. »Licht...so viel Licht…« Die hallende Stimme ließ Loki frösteln; ein seltener Schauer lief ihm über den Rücken und er war gewiss niemand, der schnell in Unruhe verfiel. Offensichtlich hatten die Krieger genau wie er selbst die Macht im Blut der Frau wahrgenommen und wollten diese nun in ihren Besitz bringen. Das konnte er nicht zulassen. Sie gehörte ihm. Er hatte sie zuerst entdeckt. Ihre Macht war sein Eigentum; er würde hinter ihr Geheimnis kommen und es für sich nutzen - würde allen beweisen, dass er etwas wert war und sein Blut weder besudelt oder unrein. Er würde sich erheben, aus diesem Loch seiner Zelle zu jenem Thron, der ihm zustand. Allerdings nicht, wenn diese Wesen die Frau vorher bekamen. Einer der Krieger gab dem anderen einen Wink und sie teilten sich auf, um über beide Seiten der Zelle zu der rothaarigen Unbekannten zu gelangen. Auch der Krieger, der durch den Rückstoß der Zelle wohl kurz ohnmächtig geworden war, begann sich langsam wieder zu regen. Nur einmal im Leben wollte Loki etwas ganz für sich. Und diese Frau mit der Magie im Blut würde Sein werden. Dafür würde er sorgen. Er wirbelte auf dem Absatz herum und eilte zu der rückwärtigen Wand der Zelle; dort war sie, drückte sich verängstigt gegen den Felsen in ihrem Rücken und starrte den beiden näherkommenden Wesen aus panisch geweiteten Augen entgegen. Sie zitterte heftig; ihr Blick traf den seinen und die flehende Bitte in ihren hellen Augen ging ihm durch Mark und Bein. Diese Verbindung zwischen ihnen, dieses Band - was auch immer es war - Loki konnte es fortwährend spüren und es riss an ihm wie der unerbittliche Zug der Schwerkraft; er hatte den Fuß bereits über die Klippe gesetzt und würde fallen. Dieser Bestimmung hatte er nichts entgegenzusetzen. Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustieß. Er konnte es nicht. Diese unseligen Wesen würden ihre dreckigen Hände nicht an sie legen und ihre reine Aura beschmutzen. »Lass mich raus.« rief er ihr entgegen und hämmerte als Untermalung seiner Worte mit den Handflächen heftig gegen die magische Glaswand. »Lass mich raus. Ich kann dir helfen.« raunte er beschwörend. Er hielt ihren ängstlichen Blick gefangen und sah sie eindringlich an. »Oder willst du sterben, Weib?« »Lass mich raus. Ich kann dir helfen. Oder willst du sterben, Weib?« Die Worte drangen in Gwens Verstand und flehten dort um Gehör, doch es dauerte einen Augenblick, bis sie die Bedeutung auch wirklich erfassen konnte. Die eigenständige, aufgeklärte Frau in ihr begehrte gegen das „Weib“ auf, allerdings hatte sie gerade gar keine Zeit, über diese Bezeichnung empört zu sein. Die entsetzlichen, fremden Wesen kamen zu beiden Seiten der Zelle immer näher und es würde kaum mehr lang dauern, da hätten sie Gwen erreicht; sie konnte bereits das eiskalte Glimmen ihrer Augen hinter den Masken erkennen. Die Schwerter in ihren Händen spiegelten den Fackelschein - das Licht auf den Klingen zwinkerte ihr zu, als wollte es sie von einem grausamen Scherz überzeugen. Ihre Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen, der kalte Schweiß der Angst ließ ihr den Stoff des Kleides unangenehm am Körper kleben. Das Bild des jungen Wissenschaftlers blitzte in ihrer Erinnerung auf; wie er sterbend ins Leere gestarrt hatte, als der Tod viel zu schnell und zu grausam für ihn kam. Sie musste handeln. Sich sofort entscheiden. Ihr Blick glitt zurück zu dem Mann in der Zelle. Seine Augen hielten ihre gefangen und die Bestimmtheit in seinen grünen Pupillen erweckte sie aus ihrer Starre. Nein, sie wollte definitiv nicht sterben. Doch konnte sie ihm vertrauen? Er war ein Gefangener. Vielleicht war er gefährlich. Womöglich würde er sie sofort im Stich lassen und fliehen, sobald er frei war… Doch was hatte sie schon für andere Möglichkeiten, als ihm zu glauben? Und - Himmel, warum auch immer - doch sie vertraute ihm und verließ sich auf seine Worte. Entweder war das die letzte Dummheit in ihrem Leben oder aber sie könnte die Nacht überleben. So oder so…sie würde es bald wissen. Denn sie hatte sich entschieden. Gwen stieß sich von der Felsenwand im Rücken ab und überbrückte die kurze Strecke zur Zellenwand mit großen Schritten; dort schlug sie beide Handflächen gegen das Glas und ließ den Wunsch in sich Gestalt annehmen, dass die Barriere verschwinden möge. Flehend kniff sie die Augen zusammen. Sie war nie sonderlich religiös gewesen, allerdings betete sie jetzt. Bitte, lass es klappen! Hoffentlich war das letzte Mal nicht einfach nur reines Glück oder Zufall gewesen… Sofort reagierte die Magie im Glas auf ihre Berührung, beinahe noch schneller als beim ersten Mal hier unten. Die energetischen Leitungen schienen das Blut ihrer verletzten Hand förmlich aufzusaugen, bevor sich das Glas mit rasender Geschwindigkeit knisternd zurückzog. Gwen ließ die Hände langsam wieder sinken und trat einen vorsichtigen Schritt zurück. Wie ein Raubtier, das man aus seinem Käfig lässt, schoss es Gwen augenblicklich durch den Kopf - genauso bewegte sich der schwarzhaarige Mann nun, nachdem er flüchtig die Augen geschlossen und ein feines Schmunzeln seine Lippen gekräuselt hatte. Er atmete gemächlich tief ein, sodass seine Nasenflügel genießend bebten, bevor er den intensiven Blick auf sie senkte und sie fixierte. Selbst im Angesicht der Gefahr, in der sie schwebten, stieg er anmutig aus seiner Zelle, als wäre er anmaßend genug, allen Dingen mit erhobenem Haupt zu trotzen; jeden Schritt wählte er mit Bedacht, als würde er das Gefühl der Freiheit bewusst auskosten wollen. Seine Gestalt veränderte sich in einem Schimmern. Wo er zuvor nur eine einfache, formlose Tunika und Stoffhosen getragen hatte, schmiegte sich nun eine grün-goldene Rüstung um seinen schlanken, hochgewachsenen Körper; sie erschien wie aus dem Nichts und Stoff sowie dunkles Leder umhüllten ihn wie eine zweite Haut - perfekt angepasst an seine sehnigen Glieder und gestärkt von goldenem Metall. Ein dunkelgrüner Mantel schwang sich um seine Füße, die nun in schweren, langen Stiefeln steckten, als er neben Gwen stehen blieb und ein süffisantes Lächeln auf sie herabschickte. »Habt Dank, Mylady.« raunte er auf herablassende Weise und neigte das Haupt spöttisch vor ihr. Gwen musste schlucken. Das war es also. Das Ende. Er würde sie töten. Oder besser noch - er würde es diese Wesen tun lassen, die für kurz unschlüssig und vorsichtig in ihren Schritten innegehalten hatten, als der Mann seinem Gefängnis entstiegen war. Nun hoben sie allerdings angriffsbereit ihre Schwerter und stürmten auf sie beide zu. Für einen Augenblick war Gwen tatsächlich der festen Überzeugung, sterben zu müssen. Sie würde ihre Eltern nie wiedersehen. Ashlyn und Andrew auch nicht. Und auch Winston nicht. Sie sah den schwarzhaarigen Mann an, konnte nicht verstehen, warum er sie einfach im Stich ließ und hinterging; da war etwas zwischen ihnen, sie hatte es doch gespürt. Hatte sie sich wirklich so sehr getäuscht? Hatte sie ihr Gefühl so hinterhältig betrogen? Gwen holte tief Luft und wappnete sich innerlich für den Stoß der Klinge eines heranstürmenden Kriegers, dessen Spitze bereits auf ihre Brust zielte. »So wenig Vertrauen.« seufzte der Mann resigniert. Er sah tadelnd auf sie herab und ließ erneut ein Schnalzen der Zunge vernehmen; währenddessen erschien in einem erneuten Flackern der Luft ein filigraner Dolch in seiner Hand - auf ebenso geisterhafte Weise wie zuvor seine Rüstung. Er musste ein Magier sein. Und die schmale Klinge flog schon im nächsten Augenblick aus seiner Hand zielgerichtet auf einen ihrer Angreifer; bohrte sich mit einem feuchten Geräusch in die Schwachstelle der Rüstung zwischen Schulter und Hals. Mit einem röchelnden Geräusch ging das Wesen in die Knie und kippte scheppernd auf die Seite. Sein Schwert rutschte aus der kraftlosen Hand und über den Boden davon, während sich der düstere Nebel um den Krieger auflöste. Gwen blinzelte unverständig; sie starrte das tote Wesen einen Moment an, bevor ihr Blick zu dem Mann zurückschoss. Seine Bewegung war so fließend und kontrolliert gewesen, der Wurf der Klinge so präzise, dass keine Frage darin bestehen konnte, ob er im Kampf geschult war. Er wusste definitiv, was er tat. »Vorsicht!« rief Gwen, als der andere Krieger mit einem Brüllen die letzten Meter bis zu ihnen überwand; angestachelt von der Wut über den Tod seines Kampfgefährten hob er sein Schwert in einem weiten Bogen über den Kopf und ließ die Klinge mit Wucht auf den schwarzhaarigen Mann niedersausen. Dieser Schlag würde ihn zweiteilen - ihn töten. Der Kopf des Mannes ruckte zu ihr herum und ein heftiger Stoß seinerseits ließ sie zurück gegen die Felswand taumeln - aus der Reichweite des Schwertes. Und dann verschwand seine Gestalt in einem Flirren der Luft, als wäre er nur eine Illusion gewesen. Gwen starrte genauso überrascht auf die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte wie das Wesen, dessen Klinge in einem Funkenregen mit dem Steinboden kollidierte, ohne auf Fleisch getroffen zu sein. Der Krieger ließ den Kopf herumfahren und gab ein wütendes Knurren von sich. Dann fiel sein Blick auf Gwen und er hob sein Schwert erneut. Bevor er jedoch den ersten Schritt in ihre Richtung setzen konnte, durchbrach eine düstere Klinge seine Brustrüstung mit Gewalt; Einzelteile der gesplitterten Platte flogen klappernd davon, während das Wesen die eigene Waffe scheppernd fallenließ und überrascht auf die Spitze des Schwertes blickte, dass aus seiner Brust ragte. Mit einem schmerzlichen Grollen kippte das Wesen zur Seite und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Boden, als die Klinge wieder herausgezogen wurde; der wabernde Dunst, welcher den Krieger bisher umhüllt hatte, zerstob in der Luft und Blut verteilte sich rasend schnell unter ihm wie ein grotesker See. Hinter dem gefallendem Wesen kam der dunkelhaarige Mann wieder zum Vorschein, in der Hand die blutgetränkte Klinge des Feindes, die er wohl vom Boden aufgehoben hatte - er stand dort wie ein fleischgewordener Dämon; die leuchtenden Augen wild, die Lippen von einem teuflischen Grinsen geteilt, der Körper gespannt und beinahe begierig auf den Kampf. Vielleicht hätte Gwen Angst vor ihm verspüren sollen, doch selbst jetzt konnte sie es nicht wirklich. Er war furchteinflößend, beeindruckend in seiner Erscheinung und seinen Fähigkeiten; und doch - das Band zwischen ihnen war noch immer da und ließ Gwen nun die zitternden Schritte ohne Zögern wieder in seine Richtung setzen, als er das Schwert achtlos beiseite warf und ihr die Hand entgegenstreckte. »Komm.« sprach er mit dieser samtweichen, einnehmenden Stimme, die noch immer durch einen dunklen Hauch angeraut war, als müsste er sie erst wieder in Geschmeidigkeit erproben. Er umfing ihre Hand mit einem festen, entschlossenen Griff, als sie ihre Finger in seine bettete - und abermals war das Aufeinandertreffen ihrer Hände beinahe magisch; Gwen war fast der Meinung, dass man Funken sehen müsste, so kribbelte die Berührung auf ihrer Haut, durchfuhr Muskeln und Knochen und brachte ihr Innerstes zum Beben. Er musste es auch gespürt haben, denn sein scharfer Blick überflackerte für einen Moment ihr Gesicht, bevor sein Fokus ebenfalls auf ihre beiden Hände fiel; ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, bevor er sie entschieden mit sich zog. »Und nun…raus hier.« Sie hatten den letzten Krieger vergessen. Gerade, als sie hinter der Zelle hervortraten, sahen sie sich unvermittelt dem dritten Wesen gegenüber, dessen Kopf mit einem Grollen zu ihnen herumruckte; die Augen hinter der Maske leuchteten erbost auf und aus dem zahnbewehrten, geifernden Maul der Maske drang ein tiefes, warnendes Grollen. »Es gehört mir, Magier…das Licht gehört mir…« Die wabernden Schatten um den Krieger wurden unruhiger und bäumten sich wie eine Schlange über dem Wesen auf. Da war sie wieder - diese unbekannte, entsetzliche Stimme, welche durch jeder Faser zu dringen schien; durch Haut, Fleisch, Blut und Knochen - ein unseliger Grabeshauch, der von Zerstörung und Tod kündete. Gwen schlang ihre Finger unbewusst fester um die des Mannes an ihrer Seite und schob sich instinktiv ein Stück hinter ihn, als sich das Wesen in ihre Richtung wandte und mit gezogener Klinge auf sie zukam. Von was für einem Licht sprachen die Wesen da nur ständig? Bereits zuvor hatten die anderen zwei diese Bezeichnung benutzt. »Da sind wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung.« bemerkte der schwarzhaarige Mann mit einem selbstsicheren, herablassenden Lächeln. Seine freie Hand fuhr unter den Stoff seines Mantels. »Das tut mir wirklich außerordentlich lei-« Er unterbrach sich selbst, indem er sich auf die Zunge biss und gespielt nachdenklich den Blick senkte, bevor ein tückisches Grinsen seine Lippen erneut teilte. »Nein, eigentlich tut es mir doch nicht leid.« Er zog die Hand unter dem Stoff hervor, erneut einen schimmernden Dolch zwischen den Fingern, welchen er in einer fließenden, zielgerichteten Bewegung gegen ihren Angreifer schleuderte. Die Klinge drang mit einem ekelhaft feuchten Geräusch in eine Augenöffnung der Maske und blieb dort stecken, während der Krieger ein ohrenbetäubendes Schmerzgeheul ertönen ließ. Der Magier streckte die Hand in Richtung des Wesens aus und ruckartig bohrte sich der Dolch weiter in das Fleisch des Feindes; begann sich quälend langsam um die eigene Achse zu drehen - synchron dazu schraubte sich das Geschrei des Kriegers in die Höhe. »Ich denke, es ist Zeit zu verschwinden.« Der Mann zog Gwen mit sich und beide kämpften sie sich über die Trümmer der Tür die Treppe hinauf. Auf dem Gang vor der Höhle schlug ihnen Rauch und Lärm entgegen; von irgendwo waren Kampfgeräusche zu vernehmen, das Ächzen von Rüstungen und das Klirren von Stahl auf Stahl. Der Boden erbebte noch immer unter dem Donnern von Schüssen - ein nahes Fenster gab den Blick frei auf den Nachthimmel über Asgard, an dem die Schlacht noch unvermindert weitertobte. Eines der kleineren Raumschiffe schoss gerade in jenem Augenblick pfeifend an ihrem Standort vorbei und krachte in einem Feuerball gegen die Mauer des Palastes. Der Magier schlang einen Arm um Gwen, schützte sie mit dem eigenen Körper und zog sie geistesgegenwärtig vom Fenster weg, das in der folgenden Druckwelle splitternd in tausend glänzende Scherben zerbrach. »Ich weiß, dieser Anblick da draußen ist unheimlich fesselnd, allerdings sollten wir jetzt schleunigst weitergehen.« schrie er gegen den Lärm an. Sie gab ein erschrockenes Nicken von sich, starrte weiter auf das eben zerstörte Fenster, während sie sich von dem Mann vorwärts ziehen ließ, immer weiter den Gang entlang. Der Palast hatte bereits unheimlich gelitten - Säulen waren eingestürzt, Wände zerstört und brüchiges Mauerwerk ragte wie das grausige Gebiss eines riesigen Ungeheuers in die Nacht; der kunstvolle Marmorboden war unter ihren Füßen an einigen Stellen aufgebrochen und Fackeln aus ihren Halterungen gefallen, um nun schwelend am Boden ihr Leben auszuhauchen. In einiger Entfernung brannte ein Vorhang lichterloh und der beißende Rauch raubte Gwen den Atem und die Sicht. Durch die dichten Schwaden konnte sie einige Schemen ausmachen, die sich einen erbitterten Kampf lieferten. Als sich der Rauch ein wenig verzog, erkannte sie Fandral und Volstagg, die von einer Übermacht der fremden Wesen an die Wand gedrängt wurde. Es stand nicht gerade günstig für Thors Freunde und ein wenig Beistand wäre ihnen garantiert mehr als recht. Gwen wollte sofort voranstürmen, doch ein stahlharter Griff hielt sie am Arm zurück. »Sie brauchen Hilfe!« begehrte sie empört auf und wehrte sich gegen die Hand des Magiers, der ihrem fragenden Blick gleichgültig begegnete, bevor sein grüner Fokus auf die zwei Kämpfer fiel, die sich noch immer tapfer dieser Übermacht erwehrten; allerdings war die Erschöpfung auf ihren Gesichtern nur allzu deutlich sichtbar. Dagegen waren die Züge des schwarzhaarigen Mannes erschreckend gleichgültig; er betrachtete den Kampf in der Ferne regungslos, den Kopf leicht auf die Seite geneigt, als würde er einer Stimme lauschen, die nur er selbst vernehmen konnte. »Wir müssen ihnen helfen!« versuchte Gwen es erneut und riss an ihrem Arm, doch der Magier lockerte seinen Griff nicht. Sie sah ihn ungeduldig an, ließ ihren Blick eindringlich um Unterstützung flehen. Er war mächtig. Er könnte helfen. Was war nur mit ihm los? Natürlich…wie konnte sie nur so dumm sein!? Er war ein Gefangener gewesen, wahrscheinlich ein Feind Asgards. Was sollte es ihn schon kümmern, wenn diese Asen starben. Vielleicht war es ihm sogar ganz recht. Sie würde wohl von ihm keine Hilfe erwarten können. Doch Gwen war fest entschlossen, den beiden Freunden Thors zu helfen; auch wenn sie allein war und keinen blassen Schimmer hatte, wie und womit eigentlich. Ihre Kampferfahrung beschränkte sich auf ein paar Stunden Selbstverteidigung, die sie auf Grund von Ashlyns gutem Rat in ihren ersten Tagen in New York absolviert hatte - nicht gerade die Grundlage, mit der man in einem Krieg gut gerüstet war. Doch der junge Wissenschaftler von vorhin war genug verschuldeter Tod ihrerseits gewesen; sie würde sich nie wieder der Reue und dieser Schmach erwehren wollen, selbst zu feige gewesen zu sein in einen Kampf einzugreifen. Lieber wollte sie das Risiko eingehen, selbst verletzt zu werden - das war um einiges besser als ein Feigling zu sein. Auf dem Gesicht des Magiers veränderte sich etwas; der leere, ausdruckslose Blick verschwand und er schien Gwen wieder richtig zu sehen, fixierte sie forschend und zog die Stirn in Falten. Sie konnte es beinahe spüren - diesen Kampf in ihm, als sein Fokus von ihr zu den beiden Männern in Bedrängnis glitt, bevor er kurz zur Seite aus einem der nahen Fenster sah. Ein sehnsüchtiger Ausdruck huschte wie ein Schatten flüchtig über sein Gesicht, bevor er mit einem Seufzen murmelte: »Ich werde es bereuen…« Dann hoben sich seine Mundwinkel erneut zu diesem diabolischen Grinsen, während seine grünen Augen in leidenschaftlichem Licht aufleuchteten. Gwen fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er nicht vielleicht verrückt war; der Hauch von Gefahr und unterschwellig brodelndem Wahnsinn umwehte ihn beinahe greifbar. Tja, dann war sie wohl auch nicht besser - immerhin hatte sie ihn aus seiner Zelle geholt und ihm ihr Leben anvertraut. Welch beruhigende Vorstellung... Er ließ sie los und stürmte an ihr vorbei in Richtung der verbissen kämpfenden Krieger. Gwen beeilte sich ihm zu folgen. Noch im Laufen schwang der Magier einen Arm zu einer wegwischenden Bewegung; die fremden Wesen, die die Freunde Thors belagert hatten, wurden wie Marionetten zurückgerissen und durch die Luft geschleudert. Sie krachten mit brechenden Gliedern an die gegenüberliegende Wand und fielen an jener nacheinander mit dumpfem Scheppern ihrer Rüstungen herab. Fandral und Volstagg hielten ihm Kampf inne, sahen zunächst sich gegenseitig irritiert an, bevor sie ihre Waffen fragend musterten; erst dann bemerkten sie Gwen und den schwarzhaarigen Mann, die in ihre Richtung liefen und ihnen zu Hilfe eilten. Die Augen der beiden tapferen Kämpfer weiteten sich auf beinahe groteske Größe, während sie ihnen entgegenstarrten und entgeistert ihre Waffen sinken ließen. Moment - nein - sie starrten nur den Magier an, der eben eines der Wesen mit einem schnellen Hieb seines Ellenbogens vor dessen Kehle außer Gefecht setzte. Zwei der fremden Eindringlinge hatten sich wieder aufgerappelt und attackierten nun den Magier, der sich zwischen ihnen und Thors Freunden platziert hatte. Die beiden Kämpfer wirkten auch nicht so, als würden sie im nächsten Moment wieder fähig sein, sich zu verteidigen - sie sahen völlig schockiert aus. »Loki?!« rief Volstagg fassungslos und seine Axt glitt ihm mit einem Krachen aus der Hand. »Was - in Hels Namen - machst du hier?!« Auch Fandrals Degen verblieb ungenutzt in dessen Hand. »Ich freue mich auch, euch zu sehen.« warf der schwarzhaarige Mann über die Schulter spöttisch zurück, während er das letzte verbliebene Wesen mit einem Tritt in den Magen auf Abstand hielt; dieses gab ein wütendes Fauchen von sich und taumelte getroffen, bevor es erneut auf den Magier einstürmte. Der wirbelte herum und riss Fandral den Degen aus der kraftlosen Hand. »Ich darf doch kurz…« Mit einer geschmeidigen Wendung drehte er sich um die eigene Achse und stieß dem herannahenden Wesen die Klinge durch die Kehle. Das Blut schoss in einer schimmernden Fontäne aus der Wunde, als der Magier den Degen wieder zurückzog; der düstere Krieger stolperte über die eigenen Füße, die bleichen Hände auf die Wunde gedrückt, bevor er kraftlos in die Knie sackte. Loki schöpfte tief nach Atem und Gwen sah ihn für einen Augenblick schwanken; doch er fing sich wieder. Allerdings war er nun noch blasser als zuvor schon in seiner Zelle. Mit der Spitze des Degens deutete er auf das tote Wesen zu seinen Füßen. »Ihre Rüstungen haben Schwachstellen am Hals und-« Er wurde grob unterbrochen, indem Volstagg den Magier an seinem Mantel packte und zu sich herumzog; der schwarzhaarige Mann krachte daraufhin mit dem Rücken gegen die nächste Wand, Volstaggs Hand hielt ihn an der Kehle gefangen und hinderte ihn am Fliehen, sowie wohl auch am Atmen, denn er schnappte keuchend nach Luft. Der rotbärtige Krieger baute sich drohend vor ihm auf und Fandral trat an dessen Seite. »Was machst du hier, Loki?! Das ist doch dein Werk, nicht wahr?!« schrie Volstagg den Magier an und schüttelte ihn. »Ist dieser Angriff wieder einer deiner seltsamen Scherze?!« fragte Fandral drohend. Der Magier gab ein ersticktes Lachen von sich, welches bitter klang. »Natürlich - es geschieht ein Unglück und der Erste, der euch als schuldig erscheint, bin ich.« stieß er krächzend aus. »Nichts hat sich geändert. Wirklich gar nichts.« Er stemmte sich gegen den atemraubenden Griff des rothaarigen Riesen und verzog die Lippen zu einem humorlosen, resignierten Grinsen. Gwen stürmte zu Volstagg, nachdem sie endlich aus ihrem Schock erwacht war und riss an dessen Arm, der den Magier unerbittlich gegen die Wand presste. »Nicht! Lass ihn los! Was soll das denn!?« Fandral und Volstagg nahmen erst jetzt wirklich Notiz von ihr und sahen sie entgeistert an, als wäre sie plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. »Mary-Ann?! Was…wie kommt Ihr denn hier her? Was macht Ihr hier? Und vor allem…mit dem?!« Der Krieger stieß den Magier in seinem Griff erneut grob gegen die Wand, als wäre er ein lästiges Insekt, was es zu zerquetschen gelte. »Nein! Hör auf damit!« Erneut zerrte Gwen an dem Arm des Riesen, doch genauso gut hätte sie auch versuchen können einen Berg mit bloßen Händen zu bewegen. Hilflos hämmerte sie dann mit den Fäusten auf Volstagg ein, da sie sich nicht anders zu helfen wusste. Sie sah das Leid des Magiers; die Qual und die Erschöpfung in seinem bleichen Gesicht und sein Schmerz ging ihr näher, als er das wohl sollte - er hatte sie gerettet und nun war es an ihr, diese Schuld abzugelten. »Lass ihn endlich los! Er hat mich gerettet! Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre ich wohl bereits tot. Und ihr zwei genauso!« Anklagend schleuderte sie den beiden Männern die Worte entgegen und endlich zeigte sich auf deren Gesichtern eine andere Regung als Abneigung gegen den Magier. »Was?« Volstagg sah sie an, als wäre sie völlig verrückt geworden; allerdings ließ er endlich von Loki ab. Dieser schnappte keuchend nach Luft, als der eisenharte Griff um seine Kehle verschwand und krümmte sich in einem Hustenanfall. »Euch gerettet?! Was redet Ihr da für Unsinn, Mädchen?« Gwen war mit einem schnellen Schritt zu dem schwarzhaarigen Mann getreten und wollte ihn stützen, doch er wehrte ihre Hilfe mit einer knappen Handbewegung ab. Ihr zornfunkelnder Blick traf die beiden Männer, die unschlüssig zwischen ihr und dem Magier hin und her sahen. »Ja, gerettet. Das ist kein Unsinn, sondern die Wahrheit. Ich bin noch recht klar im Kopf.« Sie wusste noch immer nicht, wer der Mann war. Die beiden hatten ihn Loki genannt. Sie kannten ihn offensichtlich. Und so, wie sie auf ihn reagiert hatten, mochten sie ihn nicht gerade. Sie hatte keine Ahnung, was er verbrochen hatte - doch sie schuldete ihm ihr Leben, dass wusste sie mit Sicherheit. Und sie würde ihn verteidigen, so es nötig sein sollte. Auch gegen die Freunde Thors. »Was - im Namen der Hel - geht hier vor sich?« donnerte plötzlich eine gebieterische Stimme aus dem Nichts durch die Halle. Fandral und Volstagg traten einen Schritt beiseite und gewährten Sicht auf Odin, der respekteinflössend in seiner Rüstung auf sie zuschritt; der Speer Gungnir kampfbereit in seiner Hand. Auch der Allvater musste dem Kampf beigewohnt haben, denn Ruß und Asche überzogen seine Rüstung sowie sein Haar. Sein Umhang war an einer Stelle zerfetzt und getrocknetes Blut klebte auf seiner Wange, welches aus einem Schnitt unterhalb des sichtbaren Auges geflossen war. Neben ihm gingen Thor und Heimdall, ihnen folgte die Königin Frigga und hinter ihr ein Trupp Palastwachen. Auch der Donnergott war von der Schlacht gezeichnet; die Rüstung beschmutzt, die Haare wirr und verklebt von Staub und Blut. Alle Augen waren nun auf den Magier neben Gwen gerichtet - die Schritte der Herannahenden stockten kurz und in jedem Blick sah sie die gleiche Reaktion; zuerst ungläubige Verwunderung, die sich schnell in Zorn und eisige Verurteilung wandelte. Allein im Gesicht der Königin erkannte Gwen neben dem Schock auch…Zuneigung?! Nur Heimdalls wie gemeißelte Züge blieben ausdruckslos. »Wie bist du deiner Zelle entkommen, Sohn?« Odin blieb ein paar Schritte vor ihnen stehen und sein hartes Gesicht zeigte kaum eine Regung, obwohl sein Auge den Aufruhr in ihm nicht gänzlich verbergen konnte, als er auf den Magier sah, der sich neben Gwen gerade wieder in eine aufrechte Position erhob. Dessen Mundwinkel zuckten leicht, als müsste er sich ein Lachen verkneifen. Moment mal - Sohn?! Wie "Vater und Sohn"?! Bestürzt sah sie den schwarzhaarigen Mann an. Das war doch nicht etwa Thors Bruder, von dem jener gesprochen hatte - der angeblich tote Bruder?! So langsam fügten sich die Teile des Puzzles zusammen. »Hast du noch immer nicht begriffen, dass ich nicht dein Sohn bin…?« wisperte der Magier beinahe amüsiert. »Diese Bezeichnung ist vergebliche Liebesmüh, Vater.« Das letzte Wort spuckte er fast aus, als hätte er eine besonders bittere Frucht gekostet. Sein grüner Blick begegnete dem des Allvaters stolz und funkelnd. »Loki…« hauchte die Königin und hob die zitternde Hand an die bebenden Lippen. In ihren Augen schwammen Tränen. Heimdall hielt sie mit einer sanften Berührung am Arm zurück, als sie Anstalten machen wollte hinter Odin hervorzutreten. Thors Blick ruhte zurückhaltend auf dem Magier; Gwen erkannte Mitgefühl in seinem Blick, eine alte Verbundenheit, allerdings auch harte Resignation, als hätte er schon lang mit einem Tag wie diesem gerechnet. Odin wirkte völlig ungerührt, seine Züge eine harte Maske aus Strenge und der jahrelangen Bürde des Throns; der Gewissheit, nötige Urteile fällen zu müssen, für die andere nicht die Kraft hatten. Die Worte seines Sohnes schien er gar nicht gehört zu haben oder er ignorierte sie schlicht. »Ist das wieder dein Werk, Loki? Ist dieser Angriff dein verfluchtes Werk?!« fuhr er den Magier hart an. »Wie bist du aus deiner Zelle entkommen? Antworte!« Selbst unter dem Zorn des Allvaters hob Loki das Kinn widerspenstig und begegnete seinem Gegenüber mit arroganter Haltung, indem er auf bewusst nachsichtige Weise lächelte und überheblich auf seinen Vater herabsah. »Wen wirst du als Sündenbock brandmarken, wenn ich einmal nicht mehr da bin, Vater? Wer wird dann das Opferlamm für all deine Fehler und falschen Entscheidungen sein?!« »Warum finden wir es nicht gleich heraus?« erwiderte der Allvater aufgebracht und richtete seinen Speer auf die Kehle Lokis. Dieser zuckte nur ein unmerkliches Stück zurück und begegnete der Waffe mit einem spöttischen Grinsen. »Ich hätte sofort das nötige Urteil über dich sprechen sollen, als der Liebe und Fürsprache deiner Mutter nachzugeben! Der Tod ist die einzig wahre Strafe für dich!« »Dann tue es!« zischte der Magier nun, seine Augen hatten sich herausfordernd verengt. »Tue es, Vater! Gleich hier und sofort!« »Nein!« Noch bevor Frigga den Arm ihres Mannes ergreifen konnte, um ihn zurückzuhalten, war Gwen zwischen Loki und den Allvater getreten; schob den Speer Gungnir kurzentschlossen beiseite und stellte sich schützend vor den Magier. Ihrer Handlung wurde sie sich erst so richtig bewusst, als nun alle Augen mit einem Mal auf ihr ruhten - plötzlich war sie der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Selbst der Blick Lokis hing nun auf ihr; forschend, stutzig und völlig überrascht. Gwens Herz begann zu rasen und sie musste schlucken, als der vernichtende Blick Odins auf sie traf, doch sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie reckte das Kinn entschlossen und sah alle Anwesenden nacheinander an. Egal, was Thors Bruder auch verbrochen haben mochte, ihr hatte er das Leben gerettet. Und sie hatte nicht einfach tatenlos dabei zusehen können, wie man ihn einer Sache anklagte, an der er vielleicht gar keine Mitschuld trug. Alle hatten nur von seiner zweifelsfreien Schuld gesprochen; Gwen fühlte sich ihm noch immer verbunden und konnte den Drang einfach nicht ignorieren, für ihn zu sprechen. Irgendjemand musste es doch tun. »Aus dem Weg, Sterbliche!« grollte der Allvater warnend und Thors Blick war beinahe bittend, als er sie ansah und unmerklich den Kopf schüttelte, um sie vor weiteren Unbedachtheit zu warnen. Ja, Gwen musste sich wohl in Gedanken berichtigen - die Dummheit des Tages war es nicht gewesen, den Magier aus seiner Zelle zu befreien, sondern nun vor den Allvater zu treten und dessen Urteil und Strafe in Frage zu stellen. Hatte sie eigentlich vollkommen den Verstand verloren? Wie war das doch gleich mit Direktor Furys gutem Rat gewesen, sich nicht in die Angelegenheiten der Asen einzumischen? Das hatte sie ja ganz hervorragend hinbekommen… »Nein. Ich schulde ihm mein Leben.« erwiderte sie entschieden. Bevor sie erneut zu einem Wort ansetzen konnte, verspürte sie eine Regung hinter sich; Loki hob unerwartet eine Hand und jeder der Anwesenden spannte sich alarmiert an. Jedoch plante der Magier gar keinen Angriff… Unbemerkt von allen hatte sich einer der fremden Eindringlinge an die Gruppe herangeschlichen und stand nun breitbeinig in einem der zerbrochenen Fenster; über die Brüstungen und Terrassen des Palastes war er ihnen nahe genug gekommen, um eine Armbrust zu spannen und einen Pfeil zielgerichtet in die Ansammlung der Asen zu schießen. Sein auserwähltes Opfer war die Königin. Weder Odin noch Thor hätten schnell genug reagieren können, um den tödlichen Pfeil abzuwehren; alle wirbelten herum, doch das Geschoss stoppte in letzter Sekunde wie durch Geisterhand in der Luft vor der Kehle Friggas, die einen erschrockenen Laut ausstieß. Die Luft um den Pfeil vibrierte magisch und das Holz blieb wie in einer durchsichtigen Membrane stecken, bevor das Geschoss im nächsten Augenblick gefahrlos klappernd zu Boden fiel. Die Palastwache war sofort zu dem fremden Angreifer geeilt; ein Speer durchbohrte den Krieger, der daraufhin rückwärts vom Fensterbrett fiel und aus dem Sichtfeld verschwand. Thor war sofort an der Seite der Königin und schob den Pfeil mit dem Fuß angewidert beiseite. »Geht es dir gut, Mutter?« Gwen verspürte plötzlich Wärme im Rücken, als sich ein Körper gegen sie drückte; nein, nicht drückte - fiel. Sorgenvoll drehte sie sich herum und konnte gerade noch die Arme um den Magier schlingen, der das Bewusstsein zu verlieren schien. Sein Gesicht glich nun einer weißen Leinwand ohne jegliche Farbe des Lebens; seine Lippen waren blass und die Lider sanken über die dunkler werdenden Augen des Mannes herab, unter denen tiefe Schatten lagen. »Oh Gott…« Gwen fing Loki auf und ging mit ihm in die Knie, da sein Gewicht für sie allein zu viel war. Sofort wallte Sorge um ihn in ihr auf; sie bettete seinen Kopf an ihrer Schulter und strich ihm das dunkle Haar von der bleichen Wange, welche völlig eingefallen wirkte. Plötzlich überkam sie furchtbare Angst, dass er sterben könnte; sie hatte das unbestimmte Gefühl, das sie das nicht ertragen würde. Sorge überschwemmte sie wie das aufbrausende Meer, wollte sie erdrücken und ihr den Atem rauben. Die seltsame Verbindung zwischen ihnen hatte noch immer bestand; fesselte sie an ihn und ließ ihre Emotionen noch deutlicher auflodern wie ein frisch genährtes Feuer. Er hatte schon in seiner Zelle ungesund ausgezehrt gewirkt; der Kampf und die Anstrengung mussten einfach zu viel für ihn gewesen sein, noch dazu hatte er eine Menge an Magie verbraucht und gewirkt. Sein Herz schlug langsam und dumpf neben ihrem, als sie ihn beschützend an sich drückte und den Blick mit grimmiger Entschlossenheit zu den Umstehenden hob. Sollte es auch nur einer wagen, Hand an ihn zu legen…sie würde ihn verteidigen - bis aufs Blut. Doch alle sahen völlig fassungslos auf sie herab und keiner machte Anstalten, sich zu bewegen - als hätte das Bild, was Gwen mit dem Magier bot, ihnen allen sämtliche Entschlossenheit und Wut geraubt. Über die Lippen der Königin huschte der flüchtige Hauch eines gerührten Lächelns. »Bitte…helft ihm…« wisperte Gwen flehend und spürte Feuchtigkeit aus ihrem Augenwinkel rollen. Der ganze Schrecken der Nacht brach erbarmungslos über sie herein. Sie blinzelte gegen die unkontrollierbaren Tränen an, die ihrem aufgewühlten Inneren eine Gestalt gaben. »Bitte…tut ihm nichts« hauchte sie. Kapitel 6: Gespräche -------------------- Die Sonne kroch am Horizont langsam aus den düsteren Tiefen des Universums hervor; erhellte den Himmel in einem schmalen, roten Streifen über dem Meer und vertrieb die Schatten der Nacht, nicht jedoch deren Schrecken und unübersehbare Zeugnisse. Eine trügerische Stille lag nun im Morgengrauen über dem Reich der Asen, nachdem der Angriff in den letzten Stunden vor dem Morgen geendet hatte. Die fremden Angreifer hatten sich zurückgezogen - die Verteidigung Asgards hatte gesiegt und die unbekannten Schiffe waren schlussendlich genauso lautlos und unsichtbar abgezogen wie sie auch gekommen waren, nachdem sie herbe Verluste erlitten hatten. Allerdings hatte Asgard ebenfalls einen hohen Preis gezahlt für diesen Sieg - die Stadt lag da wie ein verwundetes Tier und ächzte unter den Schmerzen der geschlagenen Wunden; Rauchsäulen stiegen in den Himmel auf, da überall noch Brände schwelten und ab und an zerstörte ein Krachen und Donnern die trügerische Illusion von Stille, wenn instabile Gebäude den Gesetzen der Physik doch nicht mehr standhielten und in sich zusammenfielen. Die gleichmäßigen, schweren Schritte der Patrouillen von Odins Palastwache waren wie das beständige Ticken einer Uhr; ein unterschwelliges, fortwährendes Geräusch, dass sich in die Laute der erwachenden Stadt mischte, welche sich nach einer schockstarren Atempause langsam wieder regte. Die zahllosen Hilferufe und Schreie waren schon vor einer Weile verklungen; nun arbeiten die Asen eher schweigsam Hand in Hand, um die Verletzten zu versorgen, die Toten zu bergen und ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Wie immer nach einer Schlacht würden die Zeugnisse des Kampfes irgendwann verschwinden; hinfort getragen von fleißigen, entschlossenen Händen, die ihre Heimat wieder aufbauen und Tod und Schicksal trotzen würden. Seltsam, wie sehr ein Volk in Zeiten der Not zusammenwachsen konnte, um für das eigene Land zu kämpfen und jenes zu bewahren. Obwohl Asgard nicht ihre Welt war, so fühlte Gwen doch mit den Asen; empfand Mitleid und Trauer mit ihnen, denn diesem Volk war etwas Schreckliches wiederfahren. Ihre Heimat war angegriffen worden, genau jener Ort, an dem man sich eigentlich sicher und geborgen fühlen wollte. Wenn dieser Rückzugsort keine Sicherheit mehr bot, wohin sollte man dann noch gehen? Wo konnte man dann noch bedenkenlos Rüstung und Schild ablegen? Ihr Job hatte Gwen hierher geführt und obgleich es anfangs wirklich nur eine Aufgabe gewesen war, um sich selbst im eigenen Leben weiterzubringen, so war sie sich bewusst darüber, dass bereits jetzt viel mehr daraus geworden war - durch die Ereignisse der Nacht, durch die Veränderungen ihrer Selbst, durch diese seltsame Bindung zu einem Mann namens Loki… Gwen ließ sich mit einem schweren Seufzen auf die harte Bank zurücksinken, nachdem sie der Aussicht aus dem winzigen Fenster müde geworden war. Ihr Blick glitt zum wiederholten Male durch den kargen Raum, der ihr nun schon seit der Nacht als Aufenthaltsort diente, ohne dass sie etwas Neues entdeckt hätte - es gab eine Tür und das winzige Fenster, einen zerkratzten, schiefen Holztisch und die schmale Pritsche, auf der sie nun saß. Die Ketten an ihren Händen klirrten leise und erinnerten sie wie ein schadenfrohes Kichern wieder an ihre momentane Lage, in die sie so überraschend geraten war. Sie lehnte den Kopf gegen die kalte und steinharte Wand im Rücken und schloss für einen Moment die Augen, nachdem sie sich ungeduldig versichert hatte, dass sich die Tür zu ihrer Kammer noch immer nicht öffnen würde; bisher war niemand gekommen, um sie vor den Allvater zu führen. Schlimmer noch als die Angst vor dem weiteren Verlauf ihres Aufenthaltes hier in Asgard waren das Warten und die Ungewissheit. Das würde sie noch verrückt machen. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Gwen ließ die Stunden der Nacht Revue passieren und gelangte zu jenem Moment, in welchem sie den ohnmächtigen Loki in ihren Armen gehalten hatte; dieser Augenblick, in welchem ihre Welt durch einen heftigen Ruck jäh aus dem Gleichgewicht geraten war - und das nur durch eine volltönende Stimme, die sich plötzlich über das Schweigen der Anwesenden erhoben hatte wie der unheilvolle Schatten eines aufziehenden Unwetters. Gwen hatte die Gefahr förmlich schon auf der Zunge schmecken und einem Abgrund entgegensehen können, auf den sie ungebremst zugerast war. »Die Sterbliche hat Loki aus seiner Zelle befreit.« hatte Heimdall mit der Stimme der Wahrheit verkündet. Diese schlichten Worte waren es gewesen, die alles geändert hatten - von einem Moment auf den anderen. Sofort hatte sich die Stimmung der Umstehenden verändert; Gesichter hatten sich verschlossen, Blicke waren forschend und argwöhnisch geworden - es war beinahe so gewesen, als hätten Heimdalls Worte schlagartig die Jahreszeit geändert. Von lieblichem Sommer zu frostigem Winter, denn genauso eisig hatte sich das Kribbeln angefühlt, dass Gwens Rückgrat hinaufgekrochen war. Der Allvater musste daraufhin eine Entscheidung getroffen haben; sein unergründlicher Blick hatte noch für einen Augenblick auf ihr und Loki geweilt, bevor er die Palastwache mit einem knappen Befehl und herrischem Wink seiner Hand dazu aufgefordert hatte, den ohnmächtigen Magier von ihr zu trennen. Gwen hatte sich gegen diese Verfügung Odins heftig gewehrt, denn sie hatte Blut an ihren Händen entdeckt - Blut, das nicht das ihre war. Loki war verletzt gewesen; wahrscheinlich war er durch die Splitter des Fensters verwundet worden, vor denen er Gwen mit dem eigenen Körper beschützt hatte. Unbemerkt musste er bereits einiges an Blut verloren haben, noch dazu die Anstrengung der Nacht… sein Gesicht war so erschreckend blass gewesen. Wie ein frisches Laken, das gänzlicher Farbe entbehrte. Er hatte sie in dieser Nacht mehr als einmal beschützt; ihr Leben bewahrt und sich selbst dadurch in Gefahr begeben, obwohl er es ganz sicher nicht hätte tun müssen. Sie schuldete ihm mehr als nur ihren Dank. Sie schuldete ihm alles. Ein Teil der Palastwache hatte den verletzten Magier einfach ihren Armen entrissen, während sie noch ungestüm gegen die Hände angekämpft hatte, die sie zurückgehalten hatten; Loki war von den Männern weggebracht worden, ohne dass man Gwen gesagt hätte, was nun mit ihm geschah. Allein die Königin war den Wachen mit ihrem verwundeten Sohn gefolgt und das hatte Gwen zumindest um ein Stück beruhigt. In ihrer Erinnerung hatte Odin das Wort „Heilkammer“ gebraucht - offensichtlich wollte man Loki zumindest nicht sofort einfach töten. Und Frigga würde doch sicher nicht zulassen, dass man ihm etwas antat; Gwen hatte die Liebe der Königin für ihren Sohn förmlich spüren können. Mutterliebe war eine Magie, der kaum etwas trotzen konnte, das wusste Gwen aus eigener Erfahrung. Sie selbst hatte in ihrer Jugend ein paar Dinge angestellt und ausprobiert auf die sie heute nicht sonderlich stolz war - ihre Mutter allerdings hatte immer zu ihr gehalten; zumindest nachdem sie Gwen eine ordentliche Standpauke gehalten und die Ohren langezogen hatte. Beim Gedanken an Marian stiegen Gwen Tränen in die Augen, welche sie allerdings mit einer entschlossenen Handbewegung wegwischte; die Ketten an ihren Handgelenken klirrten erneut laut in der kleinen Kammer. Entnervt ließ sie sich zu der völlig unsinnigen Tat hinreißen, die Arme aufbegehrend gegen die Kettenglieder zu stemmen - immer und immer wieder, natürlich ohne Erfolg. Allerdings war das laute Rasseln irgendwie befreiend und vielleicht würde das ja auch einen Wachmann anlocken, damit sie endlich hier herauskäme. Diese Warterei war schrecklich. Jetzt - nachdem der Schock der Nacht zurückgewichen und das Adrenalin im Blut abgeklungen war, erschien ihr das ganze Geschehen wie ein seltsamer Traum; so weit entfernt und verschwommen im Nebel ihrer Erinnerung, dass sie sich selbst darin kaum erfassen konnte. Gwen hatte sie vor dem Allvater und allen anderen aufgeführt wie eine Furie, als man ihr den Magier aus den Armen entrissen hatte; sie hatte geschrien und geflucht, sich gegen den Griff der Palastwache aufgebäumt und verbissen gewehrt, als diese ihr die Ketten angelegt hatten - ihr aufgeputschtes Blut hatte ihr Kraft und Entschlossenheit verliehen. Sie hatte für einen Mann gekämpft, den sie eigentlich überhaupt nicht kannte; hatte für ihn geweint und um sein Leben gefleht. Dieses Verhalten war völlig untypisch für sie - jetzt, zurückblickend, war es ihr unverständlich, fast peinlich, wie sie sich aufgeführt und damit wahrscheinlich ins eigene Verderben gestürzt hatte. Und trotzdem…es hatte sich einfach richtig angefühlt in diesem Moment - wie die einzig bestehende Möglichkeit zu handeln. Ihr bewusstes Denken war einfach ausgeknipst worden wie eine unnötige Straßenlaterne; sie hatte sich vollkommen von ihrem Gefühl und Instinkt leiten lassen. Sie erkannte sich selbst nicht wieder. Wo war in diesem Augenblick die abgeklärte, vernünftige Gwendolyn Lewis geblieben? Normalerweise überdachte sie ihre Schritte lieber mehrmals gründlich, bevor sie sich für eine Richtung festlegte; ließ ihre Emotionen niemals die Oberhand über ihre Entscheidungen bekommen. Sie hatte völlig entgegen ihre sonstigen Grundsätze und Gewohnheiten gehandelt. Hatte sich vor den todbringenden Speer des Allvaters gestellt und dessen Urteil verhindert - das getan, wovor man sie auf der Erde noch gewarnt hatte. Sie hatte sich in die Angelegenheiten der Götter eingemischt. Und nun saß sie hier in dieser Kammer als eine Gefangene Asgards. Bereute sie ihr Verhalten?! Sie wusste es nicht. War es falsch gewesen sich für diesen Mann - für Loki - in Gefahr zu begeben? Ihr Verstand schrie ihr ein glasklares „Ja“ entgegen, doch ihr Herz erwiderte ein entschiedenes „Nein“. Womöglich hatte er wirklich verdient, wie die anderen mit ihm umgegangen waren; sie wusste immerhin rein gar nichts über seine Vergangenheit und seine Taten. Was hatte er nur getan, was sich schuldig gemacht, dass man mit solcher Wut auf ihn reagiert hatte? Doch sie konnte nicht von der Hand weisen, dass er sie gerettet hatte - er hatte für sie Blut vergossen. Sie konnte ihn nicht verurteilen für die Verbrechen, die er vielleicht begangen haben mochte. Sie konnte im Moment nur über sein Handeln ihr gegenüber richten; obwohl er durchaus arrogant und selbstgefällig wirkte, vielleicht sogar verrückt auf gewisse Weise, so war es doch einfach eine Tatsache, dass sie ihm noch immer ihr Leben schuldete. Reue verspürte sie nicht, doch Angst vor der ungewissen Zukunft auf jeden Fall; wie würde man hier in Asgard über jemanden urteilen, der einem Gefangenen aus seiner Zelle geholfen hatte? Womöglich hielt man sie für eine Verbündete Lokis… Da hast du dich ja in einen ganz schönen Schlamassel befördert, Gwendolyn. Sie konnte wirklich nur hoffen, dass S.H.I.E.L.D in ihrer Angelegenheit nicht untätig bleiben würde; immerhin war die Organisation verantwortlich und zuständig für die menschlichen Forscher. Lieber wollte sie dem Zorn Direktor Furys begegnen, als der Gnade des Allvaters ausgeliefert zu sein. Das erschien ihr wirklich als das kleinere Übel. Der Schlüssel im Schloss ihrer Zelle wurde gedreht und die Tür schwang knarrend auf; Gwen öffnete die Augen schlagartig und setzte sich sofort aufrecht hin, als ein Mann der Palastwache hereinkam. »Der Allvater will Euch nun anhören.« verkündete der Wächter tonlos und deutete auffordernd aus der Tür. Gwen schluckte hart, dann ließ sie sich von ihrer Pritsche gleiten und trat aus der Tür, wo bereits zwei weitere Männer in schweren Rüstungen warteten; ihre persönliche Eskorte, bewaffnet und äußerst wachsam. Die drei Männer ließen sie nicht aus den Augen, als Gwen zwischen ihnen durch die Gänge des Palastes geführt wurde wie eine niederträchtige Sünderin. Die Ketten, die ihre Hände fesselten, rasselten zu jedem schweren Schritt der Wächter, die schweigend neben ihr gingen und die Waffen bewusst auffällig in den Händen trugen. Nun war sie also nichts weiter als eine gemeine Verbrecherin. Gwen wurde schlecht und sie musste die Übelkeit unter größter Anstrengung in der Kehle hinabzwingen. Ihre Knie fühlten sich weich an und die Hände eisig kalt. Die riesige Flügeltür zu Odins Thronsaal öffnete sich vor der kleinen Gruppe mit einem dumpfen, unheilvollen Laut; die gerüsteten und behelmten Wächter zu beiden Seiten der Tür beäugten Gwen schweigend, ohne auch nur den Kopf zu bewegen. Die achtsamen Augen folgten ihren Schritten wie lauernde Raubtiere im Unterholz. Der Saal, in welchem der Allvater Gäste, Abgesandte und Bittsteller empfing, öffnete sich vor Gwen in gewaltigem, imposantem Ausmaß; mächtige Marmorsäulen begleiteten jeden Hereinkommenden zu beiden Seiten auf dem Weg zu Odins Thron. Bis hierher waren die Angreifer wohl nicht gelangt, denn der Thronsaal wirkte unbeschädigt; er war länglich und offen gehalten - hinter den Säulen einer Seite konnte man auf die Stadt hinabblicken. Ein prächtiger Ausblick auf Asgard, auf das glitzernde Meer und die schneebedeckten Gipfel in der Ferne - ein sonst gewiss atemberaubender Anblick, der jetzt jedoch durch die zahlreich aufsteigenden Rauchsäulen getrübt war, die sich wie störende Risse durch ein wunderschönes Bild zogen. Allerdings hatte Gwen in diesem Augenblick eh überhaupt keinen Sinn für diese einmalige Aussicht; ihre Augen waren starr geradeaus gerichtet auf den Thron des Allvaters, dem sie mit jedem Schritt über den makellos polierten Marmorboden näher kam - eine äußerst kunstvolle Darstellung der Weltenesche Yggdrasil war in die Bodenplatten eingelassen. Die metallischen Schritte der Palastwache ertönten überdeutlich in der Stille des Saales und hallten in Gwen wie der eigene, heftige Herzschlag wider. Allerdings erwartete sie Odins Thron verwaist, sehr zur Verwunderung und momentanen Erleichterung von Gwen. Nur die beiden Raben Hugin und Munin saßen auf der weitläufigen, goldenen Verzierung des Herrschaftsstuhles und betrachteten sie aus intelligenten Augen, während ihr Krächzen einem leisen, unheilvollen Willkommensgruß glich. Die Männern, die Gwen begleiteten, hielten im Schritt jedoch nicht inne, sondern führten sie hinter eine der - mit kunstvollen Borden verzierten - Säulen zu einer beinahe unscheinbaren Holztür. Einer der Wächter öffnete diese und bedeutete Gwen mit einem Nicken einzutreten. Dahinter erwartete sie ein überraschend behaglicher Raum; eine gemütliche Sitzecke schmiegte sich an einen steinernen Kamin, in dem jetzt allerdings kein Feuer brannte. Ein paar bunte Gemälde zierten die Wände neben Landkarten und stilisierten Darstellungen der neun Welten um die Weltenesche. Der Boden des Raumes bestand aus dunklem, edlem Holz, ebenso wie ein Teil der Wandvertäfelung. Von der hohen Decke hing ein schwerer Kerzenleuchter. Eine Seite des Raumes öffnete sich in einer gläsernen Front auf einen weitläufigen Balkon, von dem man die Stadt überblicken konnte; davor stand ein massiver, länglicher Holztisch, auf dem jetzt einige Landkarten ausgebreitet lagen. Über diesen brütete Odin gebeugt, die Hände auf der Tischplatte abgestützt. Sein Gesicht wirkte alt; die Schatten darauf länger und tiefer - die Schrecken der Nacht schienen auch an dem Allvater nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Er trug noch immer seine Rüstung; auch das Blut auf seiner Wange erinnerte an den Kampf der vergangenen Stunden. Die Königin stand auf dem Balkon im Licht der aufgehenden Sonne; nun wandte sie sich um und trat zurück in den Raum, als sie die Schritte der Palastwache vernahm. Ihre Robe des Abends hatte sie gegen ein schlichtes, zweckdienliches Gewand eingetauscht. Gwen wollte sofort zu einer Frage nach Loki ansetzen, hielt sich jedoch im letzten Moment mit einem Biss auf die Zunge zurück - wahrscheinlich würde man es als Unhöflichkeit ihrerseits ansehen, wenn sie einfach so unaufgefordert das Wort ergriff und sie täte wohl gut daran, sich jetzt keinen Fehler mehr zu leisten. Friggas Blick ruhte intensiv auf Gwen und sie meinte ein winziges Lächeln um die Lippen der Königin wahrzunehmen, als hätte sie Gwens Gedanken gelesen, bevor die Asin auf dem gemütlichen Polster vor dem Kamin Platz nahm. Auch Odin sah nun von seinen Karten auf und gab der Palastwache einen befehlenden Wink, den Raum zu verlassen. Die Männer verbeugten sich ehrerbietig und schlossen die Tür leise hinter Gwen; ein so seltsam endgültiger Laut, als sie das Klicken des Schlosses hinter sich vernahm. Sie holte tief Luft und hob das Kinn entschlossen an. Bevor jedoch irgendjemand das Wort ergreifen konnte öffnete sich eine andere Tür zu dem Raum, die Gwen vorher gar nicht aufgefallen war. Durch diese kam nun Thor herein, gefolgt von dem Wächter Heimdall. Auch die beiden Männer waren noch immer von Staub und Blut gezeichnet; ihre Rüstungen schmutzig, die Umhänge schlammbespritzt und an einigen Stellen zerfetzt. Der Donnergott ging vor seinen Eltern respektvoll in die Knie, erst dann bemerkte er Gwen, nachdem er sich wieder erhoben hatte. Der Blick aus seinen stürmisch grau-blauen Augen war nicht zu deuten; distanziert begegnete sein Blick dem ihren und sie musste sich mächtig beherrschen, um die Augen nicht reumütig zu senken. Verflucht nochmal! Sie hatte ja wirklich nichts Unrechtes getan. Und doch schmerzte es sie, dass der Donnergott offenbar das Vertrauen in sie verloren hatte. Sie mochte ihn. Heimdall bedachte Gwen mit einem wie immer ausdruckslosem Gesicht; allein seine goldenen Augen schienen einmal mehr bis direkt in ihre Seele zu sehen. »Mein Sohn.« richtete Odin das Wort an Thor. »Rufe die „Tapferen Drei“ und Lady Sif zusammen. Sie sollen sich bereit zum Aufbruch halten. Nach dieser Unterredung hier möchte ich, dass du mit deinen Waffenbrüdern alle neun Welten besuchst, um zu erkunden, ob auch andere Reiche von derlei Angriffen heimgesucht worden. Wir müssen herausfinden wie weitläufig diese Bedrohung ist und ob wir nur die Spitze des Eisberges gesehen haben.« »Jawohl, Vater.« Mit wehendem, rotem Umhang verschwand der Donnergott wieder aus jener Tür, durch die er eben getreten war. »Heimdall…« sprach der Allvater nun den dunkelhäutigen Wächter an. »Ein anderer Hüter ist bereits an meinen Platz getreten und wird für die Zeit meiner Abwesenheit meinen Posten bewachen.« kam der Wächter Odin zuvor, der wohl eben eine solche Frage in jene Richtung formulieren wollte. Der Allvater nickte zufrieden und richtete sich wieder zu voller Größe auf, während er eine der Karten sorgfältig zusammenrollte. »Sehr gut. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir wieder so überraschend und unvorbereitet einem solchen Angriff ausgeliefert sind. Aber ich brauche dich hier, Heimdall.« Der einseitige Blick Odins wandte sich nun Gwen zu und blieb bedeutungsvoll auf ihr ruhen. »Natürlich, mein König.« Der Allvater zog einen Stuhl heran und bedeutete Gwen mit einer wohlwollenden Geste, sich zu setzen. Allerdings vermittelten seine harten Züge keine so tiefgehende Gutmütigkeit. Gwen straffte die Schultern und trat an den Tisch heran, um den dargebotenen Platz einzunehmen; vielleicht war das auch besser für ihre zittrigen Beine, denen sie ihr Gewicht eh kaum länger zumuten wollte. Nervös verschränkte sie die Hände im Schoß und zog die Unterlippe befangen zwischen die Zähne. Thor betrat den Raum wieder und schloss die Tür leise hinter sich, vor der er mit vor der Brust verschränkten Armen stehen blieb und so das Zimmer überblicken konnte. »Nun gut, es scheinen alle anwesend zu sein. Fangen wir also an.« Odin strich flüchtig mit der Hand über eine der ausgebreiteten Karten auf dem Tisch, bevor er die Arme hinter dem Rücken verschränkte und sich umwandte, um mit erhobenem Haupt aus dem Fenster zu sehen. Gwen fiel die Ähnlichkeit zu Loki in jenem Moment auf; dieselbe edle und stolze Haltung, als wäre der Allvater ein älteres Spiegelbild seines Sohnes. Königliches Blut ließ sich also nicht verleugnen. »Nun, Sterbliche. Beginnen wir mit einer einfachen Frage. Wer seid Ihr?« richtete Odin das Wort an Gwen, ohne sie jedoch anzusehen. Er kehrte dem Raum noch immer den Rücken. Allerdings waren dafür alle anderen Augen auf sie gerichtet; sie war sich der beobachtenden Blicke der anderen nur allzu bewusst. Sie musste sich räuspern, bevor sie ihrer Stimme trauen und antworten konnte. »Mein Name ist Mary-Ann Morris.« Odin lauschte ihrer Antwort regungslos und sah weiterhin nach draußen; es verging ein gedehnter Augenblick in Schweigen, in welchem Gwen bereits unruhig wurde und unschlüssig verstohlen von einem zum anderen sah. Erwartete man noch mehr von ihr? »Heimdall…?« durchbrach der Allvater die Stille. »Sie lügt, mein König.« verkündete der Wächter tonlos, was Odin ein resigniertes Seufzen entlockte, während er die Augen flüchtig schloss und den Kopf in den Nacken legte. Gwens Herz tat einen holprigen Satz, bevor es seinen Dienst gänzlich zu quittieren schien. Was in aller Welt…? Deswegen hatte der Allvater also nach Heimdall verlangt - er sollte ihre Antworten auf den Wahrheitsgehalt überprüfen. Sie wusste bereits, dass der Wächter vieles sah und wahrnahm, was andere nicht erkennen konnten, doch ihr war nicht klar gewesen, dass er selbst Lügen ohne große Mühe enttarnen konnte. Bereits Loki hatte ihre falsche Identität durchschaut. War er etwa auch allsehend? Gwen hatte ja damit gerechnet, sich hier wegen der Freilassung eines Gefangenen verteidigen zu müssen, allerdings nicht damit, dass ihre erfundene Person der Geophysikerin ebenfalls auf dem Prüfstand stehen würde. Der Allvater wandte sich dem Raum nun wieder zu und sprach sie direkt an. »Euch scheint nicht klar zu sein, in welcher Lage Ihr Euch befindet. Im Moment sitzt Ihr hier vor mir als eine Feindin Asgards. Ihr habt einem meiner Gefangenen die Flucht aus dem Kerker ermöglicht, zu einem Zeitpunkt, da ein unerwarteter Angriff über mein Reich hereinbrach und viele Leben forderte. In diesem Augenblick muss ich annehmen, dass Ihr mit all diesen Ereignissen in Verbindung steht und das lässt am Ende nur einen Schluss zu - Ihr seid eine Gefahr für mein Reich.« Odin schlug die Handflächen donnernd auf den Tisch, was Gwen erschrocken zusammenzucken ließ und beugte sich zu ihr hinüber, lauernd und entschlossen wie ein Tiger vor dem Sprung, bereit sich auf seine Beute zu stürzen. Sein hohes Alter konnte täuschen; die Durchsetzungskraft und Härte eines wahren Herrschers war noch immer vorhanden. »Und ich werde keine weiteren Gefahren für mein Volk dulden. Ich werde sie ausmerzen. Und ich habe weder das Interesse, noch die Zeit für Spielchen.« Der Klang seiner Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er die Wahrheit sprach - er könnte und würde Gwen vernichten, so er eine Bedrohung in ihr sehen sollte. »Also…« Odin richtete sich wieder zu voller Größe auf und sah über den Tisch hinweg auf sie herab. »Beginnen wir doch noch einmal von vorn. Wer seid Ihr?« Gwens Blick huschte aus den Augenwinkeln zu den anderen anwesenden Personen hinüber, doch von keinem hier hatte sie Hilfe oder Beistand zu erwarten. Das war allein ihre Sache und niemand würde ihr die Hand reichen, um sie aus dem Morast zu ziehen, in dem sie schon bis zum Hals steckte… Verflucht sollte Bill Freeman sein - ihr Leben würde sie bestimmt nicht für ihn oder ihren Job riskieren, das hatte sie sich geschworen. Und sie befand doch wirklich in einer Situation, in der man ihr nicht vorwerfen konnte, dass sie ihre eigene Haut retten wollte. »Okay…« Gwen holte tief Luft und kniff die Augen kurz zu, bevor sie den Allvater wieder ansah. »Okay, gut. Mein wahrer Name ist Gwendolyn Lewis. Ich bin auch keine Geophysikerin, sondern Journalistin. Ich wurde heimlich in die Gruppe der Wissenschaftler eingeschleust, um Informationen über Asgard in Erfahrung zu bringen. S.H.I.E.L.D weiß nichts von meiner Mission.« Besser, sie offenbarte gleich die ganze Wahrheit, bevor sie es darauf ankommen ließ, ob der Allvater seine Drohung wohl wahrmachen würde. Denn das würde er, da war sie sich beinahe sicher. »Aber bitte glauben sie mir…ich hatte keine bösen Pläne. Ich habe auch mit diesem Angriff nichts-« Odin unterbrach sie mit einer unwirschen Handbewegung und Gwen verstummte sofort; ließ die Hände wieder in den Schoß sinken, die sie eben instinktiv als Untermalung ihrer Worte genutzt hatte. Das Klimpern der Ketten schwang leise durch den Raum. Odin suchte Heimdalls Blick und der dunkelhäutige Wächter nickte ihm schweigsam zu. »Gut, offenbar sind wir nun bei der Wahrheit angelangt.« ließ der Allvater beinahe zufrieden verlauten und verschränkte die Hände wieder hinter dem Rücken, bevor er begann, hinter dem Tisch auf und ab zu gehen; seine Schritte verursachten gedämpfte Geräusche auf dem hölzernen Boden, untermalt vom metallischen Klirren seiner Rüstung. Thors abweisende Haltung hatte sich leicht verändert; obwohl er die Arme noch immer vor der breiten Brust verschränkt hielt, so drückte sein Gesicht jetzt eher milde Überraschung und Neugierde aus. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt, doch auch er schwieg weiterhin. Ebenso wie die Königin, die still abseits saß und das Geschehen ruhig, aber aufmerksam beobachtete. »Was ist eine Journalistin?« hinterfragte Odin, während er auf dem Absatz kehrt machte, als er am Ende des Tisches angelangt war. Er stützte die Hände wieder auf die Tischplatte und sah sie forschend an. Gwen sollte es nicht wundern, dass die Asen mit einigen - für sie alltäglichen - Dingen der Erde nichts anfangen konnten. »Eine Journalistin sammelt Informationen über verschiedene Ereignisse, Personen oder Gegenstände. Ich trage Berichte und Hinweise zusammen, bringe sie in schriftlicher Form auf Papier und mache sie den Menschen meiner Welt zugänglich. Es geht um die Bekanntmachung von Neuigkeiten und Aufklärung über gewisse Sachverhalte. Meine Aufgabe ist es sozusagen, die Leute auf dem Laufenden zu halten.« Sie dachte kurz nach. »Es funktioniert wohl so ähnlich wie mit ihren Raben. Sie tragen doch ebenfalls Informationen zusammen. Auf der Erde erledigen das Journalisten und Reporter.« versuchte sie es dem Allvater bildlich zu erklären. Der nickte langsam. »Ich verstehe...« Sein Blick bohrte sich in ihren. »Seid Ihr mit schlechten Absichten für Asgard hierhergekommen? Wolltet Ihr uns mit Euren Informationen schaden?« Gwen schüttelte sofort den Kopf. »Nein! Ich…nein, das war nur ein Job. Eine Aufgabe. Ich sollte nur beobachten und interessantes über die Asen und Asgard zusammentragen. Der einfachen Bevölkerung werden Informationen in diese Richtung durch S.H.I.E.L.D vorenthalten, doch die Menschen sind neugierig. Aber es lag nie in meinem Interesse, eurer Welt zu schaden - das schwöre ich! Ich habe mit diesem Angriff nichts zu tun.« Sie blickte eindringlich zu Thor hinüber, versuchte nicht nur Odin, sondern auch ihn von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen. Der Donnergott verengte die Augen nachdenklich und sah flüchtig zu Heimdall hinüber, der sie unentwegt ins Licht seiner goldenen Augen gefasst hatte. »Sie spricht die Wahrheit.« bestätigte der Wächter ihre Worte. Eine unsichtbare Anspannung schien von den Anwesenden abzufallen wie Laub von einem Baum, der sich für den Winter von seinen Blättern verabschiedete. »Vielleicht habt Ihr wirklich nichts mit diesem Angriff zu tun, doch erklärt das alles jedoch nicht, wie Ihr einen Gefangenen aus meinem Kerker befreien konntet - oder warum Ihr das getan habt.« griff der Allvater Gwens Worte auf und begann erneut, hinter dem Tisch auf und ab zu gehen. Sein Gang sollte Gelassenheit vermitteln, doch sie konnte sehen, wie er sie aus dem Augenwinkel beständig im Blick behielt und jede ihrer Reaktionen abschätzte. Gwen hatte gewusst, dass diese Sache zur Sprache kommen würde, allerdings hatte sie nicht einmal für sich selbst befriedigende Antworten in Bezug auf das wie und warum. Wie sollte sie das Ganze also anderen verständlich und nachvollziehbar erklären? »Ich…ich habe ihn aus seiner Zelle gelassen, weil…weil ich Angst hatte. Todesangst! Ich bin vor diesen Wesen geflüchtet, die euer Reich angegriffen haben und durch Zufall im Kerker gelandet. Er meinte, er könnte mir helfen. Mich beschützen. Drei dieser Wesen konnten in den Kerker eindringen und wenn ich Loki nicht befreit hätte, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich tot. Er hat mich vor den Angreifern gerettet.« endete sie und blickte unsicher in die Runde. Die Tatsache, dass sie schon vorher den geheimen Weg in die Höhle gefunden hatte verschwieg sie lieber vorerst. Eigentlich tat das ja auch nun nicht wirklich etwas zur Sache. »Gut. Eure Geschichte mag mir vielleicht glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen, doch ich verstehe noch immer nicht, wie Ihr das anstellen konntet. Wie habt Ihr es geschafft, diese Zelle zu öffnen - jene Zelle, zu der ich allein den Schlüssel besitze und die durch Magie und allerlei Bannsprüche gesichert ist!?« Erneut blieb der Allvater stehen und bedachte Gwen mit einem langen, forschenden Blick. »Tja, das…« Gwen sah unsicher auf ihre im Schoß verschränkten Hände, dann zeigte sie ein ratloses Achselzucken. »…offen gestanden weiß ich das selbst nicht.« Sie blickte wieder in die Runde, begegnete fragenden Gesichtern. »Es war mir irgendwie einfach möglich. Seitdem ich in Asgard bin…ich weiß auch nicht…ich fühle mich irgendwie anders. Ich kann es nicht beschreiben, aber das Gefühl ist da. Hier drinnen.« Gwen hob eine Hand und bettete sie auf ihrer Brust. Odin sah sie weiterhin mit nachdenklicher Skepsis an. »Seitdem ich hier bin, sind seltsame Dinge passiert. Das mit der Zelle und auch vorher schon…ich…« Gwen stockte erneut im Wort und ließ die Schultern kraftlos wieder sinken, die sie bis eben beinahe schützend hochgezogen hatte. Wie sollte sie nur erklären, was sie in ihrem Zimmer gesehen hatte? Womöglich wurde sie ja doch verrückt und der Allvater würde am Ende ihres Gespräches zu genau der gleichen Ansicht kommen - dann wäre ihr eine hübsche, trostlose Zelle in seinem Gefängnis gewiss. »Erzählt meinem Vater, was Ihr mir berichtet habt.« meldete sich nun Thor ermutigend zu Wort und ließ die verschränkten Arme sinken, um nun ebenfalls an den Tisch heranzutreten. Seine Züge waren nicht mehr so verschlossen wie zuvor, nun wirkte er eher aufmerksam und interessiert. Gwen hoffte wirklich, dass sie sein Wohlwollen und Vertrauen zurückgewinnen konnte. Sie nickte zögerlich, dann sah sie Odin wieder an, der seinem Sohn einen fragenden Seitenblick zugeworfen hatte. »Also...ich glaube, ich habe irgendwie einem Vogel den gebrochenen Flügel geheilt. Nicht durch Medizin, sondern durch eine Art…Magie…« sprach sie das Wort vorsichtig aus, den Klang selbst erst für ihre Zunge und ihren Verstand erprobend. »Er landete auf dem Fensterbrett meines Zimmers und konnte nicht mehr richtig fliegen. Ich weiß auch nicht warum, aber plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis ihm zu helfen…und irgendwie auch das Gefühl, dass ich es könnte. Und dann war da dieses seltsame Licht in meiner Hand…also wirklich in meiner Hand, als würden meine Knochen von innen heraus leuchten…« Gwen brach kurz ab und schüttelte den Kopf über sich selbst und ihre Erzählung. Abwehrend zog sie die Brauen zusammen. »Ich weiß, das klingt verrückt. Es erscheint mir selbst völlig bizarr. Aber…« Beinahe hilfesuchend sah sie zu Thor hinüber. »…Thor meinte, dass Asgard vielleicht Auswirkungen auf mich haben könnte. Die magische Essenz ihres Reiches. Irgendetwas hier scheint mich zu verändern und wahrscheinlich konnte ich nur deshalb die Zelle im Kerker öffnen. Die Energie in den Wänden hat einfach auf meine Berührung und Gedanken reagiert.« Alle Anwesenden im Raum warfen sich kurze Blicke zu und schienen sich auf eine wortlose Weise zu verständigen, der Gwen nicht folgen konnte. »Und diese Wesen…« setzte sie rasch noch nach, jeden Hinweis zu ihrer Verteidigung wie einen Rettungsring auswerfend. »…sie sprachen von irgendeinem Licht, als sie mich sahen. Sie waren ganz versessen darauf, in meine Nähe zu gelangen. Loki kann das bestätigen. Er hat es ebenfalls gehört. Vielleicht haben sie diese Veränderung in mir erkannt und etwas wahrgenommen, was keiner sonst sehen kann…« ließ sie diese Theorie hoffnungsvoll in den Raum fallen wie einen Wassertropfen in einen still daliegenden See. Eine schmale, perfekte Braue der Königin hob sich merklich an; sie wirkte äußerst überrascht und wechselte einen knappen, wachsamen Blick mit dem Wächter Heimdall. »Tatsächlich…?« fragte Frigga gedehnt nach - das erste Wort, dass sie überhaupt sprach, seitdem Gwen den Raum betreten hatte. »Ja, so war es. Ich schwöre es.« bestätigte Gwen ihre eigenen Worte und sah die Asin dabei offen an. Jene musterte die rothaarige Menschenfrau mit aufmerksamen Augen, die Stirn in Falten gelegt. Thor und Odin tauschten einen abwägenden Blick, bevor Heimdall plötzlich die nachdenkliche Stille durchbrach. »Ich konnte sie auf der Erde nicht sehen.« Alle Köpfe wandten sich nun dem dunkelhäutigen Wächter zu. »Wie meinst du das, Heimdall?« hakte der Allvater nach. »Ich konnte Gwendolyn Lewis auf Midgard nicht sehen. Sie war meinem Blick nicht einfach nur entzogen, es war, als wäre sie bis zu dem Moment, als sie in Asgard aus dem Bifröst trat, gar nicht da gewesen. Als hätte es sie nie gegeben. Als würde sie nicht existieren.« »Was?!« hauchte Gwen fassungslos und blinzelte Heimdall verständnislos an. »Aber…ich bin doch da…ich war immer da…« Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, was der Wächter da sagte. Nun waren wieder alle Augen auf sie gerichtet, doch diesmal konnte sie den fragenden Blicken nur ebenso verwirrt und ratlos begegnen. Heimdall musste sich irren. Anders konnte es gar nicht sein. Zu ebendiesem Schluss schien auch Thor zu kommen. »Und da bist du dir ganz sicher, Heimdall? Könnte es nicht vielleicht sein, dass du sie nur einfach nicht wahrgenommen hast?« »Du weißt, dass mein Blick unfehlbar ist, Thor Odinson.« erwiderte der Hüter entschieden, der Hauch von Tadel in der klaren, kühlen Stimme. »Ich selbst hielt es anfangs für einen Fehler meinerseits und ließ die Sache vorerst auf sich beruhen, denn anders konnte ich es mir nicht erklären. Doch nun, nach diesem Gespräch, bin ich mir zweifelsfrei sicher, dass ich mich nicht geirrt habe. Vielleicht steckt mehr hinter der ganzen Sache, als wir im Moment zu erkennen vermögen. Denn um meinen Blick zu täuschen bedarf es wahrlich mächtiger Magie.« Wieder richteten sich alle Blicke auf Gwen, doch Heimdall schüttelte den Kopf und zerstreute damit die aufkeimenden Vermutungen sogleich im Wind. »Nein, sie war das nicht. Ihre Verwirrung ist echt. Sie weiß tatsächlich nicht, was mit ihr los ist. Und im Moment sehe ich in ihr auch nicht mehr als einen einfachen, sterblichen Menschen. Doch wenn wirklich Magie im Spiel ist, dann wird mein Blick nicht ausreichen, um die Wahrheit zu erkennen.« Odin schöpfte tief Atem und rieb sich in einer müden Geste über die Stirn. »Und ich hoffte, ich könnte etwas Licht ins Dunkel bringen. Stattdessen blicke ich nun mehr auf neue Schatten…« murmelte er resigniert. Dann wandte er sich an den Donnergott. »Thor, nimm deine Freunde und zieh nun los. Eure Reise duldet keinen Aufschub mehr. Unterrichtet die anderen Welten über den Angriff und warnt sie, sofern sie nicht selbst schon Opfer dieser unbekannten Wesen waren. Sammelt alles an Hinweisen und Wissen, was ihr finden könnt.« forderte der Allvater seinen Sohn nun auf und drückte ihm in einer flüchtigen Geste bestärkend die Schulter. »Und seid vorsichtig.« Thor nickte und verneigte sich vor Odin, dann sah er noch einmal zu Gwen hinüber. »Was wird nun mit ihr geschehen, Vater?« »Ich werde noch über ihr Schicksal entscheiden. Ich muss nachdenken. Aber ihr wird vorerst nichts geschehen, sei unbesorgt, mein Sohn.« Gwen fiel im wahrsten Sinne des Wortes ein Stein vom Herzen; sie sank erleichtert auf ihrem Stuhl zusammen. Zumindest musste sie im Augenblick wohl nicht damit rechnen, den Kopf zu verlieren. Das war immerhin etwas. Auch wenn der Verlauf des Gespräches einen gänzlich anderen Abschluss gefunden hatte, als sie sich vielleicht gewünscht hätte. Am Ende musste sie sich nur mit noch mehr Fragen konfrontiert sehen und war nun doch der Gnade des Allvaters ausgeliefert. Der Donnergott wirkte beruhigt und schenkte Gwen ein kurzes, aufmunterndes Lächeln, bevor er sich ebenfalls von seiner Mutter verabschiedete und dann durch die Seitentür verschwand. Seine Sorge rührte Gwen und sie hoffte, dass er unversehrt und wohlbehalten von seiner Reise zurückkehren würde. »Heimdall, kehre zurück auf deinen Posten. Unterrichte mich über alles, was dir seltsam erscheint und sei es noch so unwichtig.« wies der Allvater den dunkelhäutigen Hüter an, der sich daraufhin mit einem folgsamen Nicken zum Gehen wandte. »Und Heimdall…damit meine ich wirklich alles…« fügte Odin an den Rücken des Wächters gerichtet hinzu; ein scharfer Unterton schwang in seiner Stimme wie eine Zurechtweisung. »Natürlich, mein König.« erwiderte Heimdall ruhig, bevor er ebenfalls durch die Tür trat, aus der Thor eben verschwunden war. Mit einem schweren Seufzen stützte sich Odin dann wieder mit den Händen auf dem Tisch ab, verharrte so gebeugt und sah Gwen mit einem langen, nachdenklichen Blick an. Die Vorstellung, dass er genau in jenem Moment über ihr Schicksal entscheiden konnte, war nicht gerade beruhigend. Gwen fühlte sich unwohl unter seinem durchdringenden Blick und senkte den eigenen wieder auf ihre gefesselten Hände. »Wachen!« erhob der Allvater seine Stimme dann und sogleich hörte Gwen das Öffnen der Tür hinter sich, gefolgt von den metallischen Schritten der Männer, die wohl draußen gewartet hatten. »Bringt die Sterbliche in eines der Gästezimmer Gladsheims. Ihre Hände bleiben allerdings in Ketten und ein Mann wird Posten vor ihrer Tür beziehen.« Die Schritte der Palastwache näherten sich und gleich darauf spürte Gwen schon schwere Hände auf ihrer Schulter, die sie aus dem Raum geleiten würden. Sie stand langsam auf. »Ihr werdet dort bleiben, bis ich über Euer Schicksal entschieden habe. Versucht nicht zu fliehen oder unüberlegte Dummheiten anzustellen. Dergleichen habt Ihr in dieser Nacht wahrlich schon genug getan…« sprach der Allvater sie ermahnend an und Gwen konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen ein Hauch von beschämter Röte überzog. »Wenn Ihr etwas benötigt, ob Speisen oder Kleidung, so scheut Euch nicht danach zu fragen. Man wird es Euch bringen.« »Danke.« entgegnete Gwen ehrlich und meinte es auch so. Sie war froh, dass sie nicht in den kargen, kleinen Raum zurückkehren musste, in dem sie bisher gewartet hatte. Der Allvater nickte ihr knapp zu, dann trat er zu einem der Männer seiner Palastwache. »Ich möchte, dass die menschlichen Forscher noch heute nach Midgard zurückkehren. Ich kann mich nicht auch noch mit der Sorge um ihr Wohlergehen beladen und im Moment nicht zweifelsfrei für ihre Unversehrtheit garantieren. Informiere die Abgesandten des Direktor Fury darüber. Ich befürchte, dass Asgard im Augenblick kein sicherer Ort mehr ist. Auf der Erde sind sie besser aufgehoben. Sie sollen abreisen.« wies Odin dem Wächter an, der sogleich gehorsam nickte. Gwen blinzelte entgeistert und fühlte sich mit einem Mal plötzlich sehr allein. Die anderen ihrer Gruppe würden auf die Erde zurückkehren können, nur sie musste hierbleiben. Sie verstand die Beweggründe des Allvaters; sie waren einleuchtend und nachvollziehbar, jeder weise Herrscher hätte so entschieden. Doch die Vorstellung, ganz allein in Asgard zurückzubleiben wie ein Gepäckstück, das man irgendwo vergessen hatte, behagte ihr ganz und gar nicht. Unvermittelt überrollte sie Heimweh und die Sehnsucht nach etwas vertrautem, in dessen Nähe sie sich in Sicherheit fühlen konnte. Gwen musste an Winston denken und hätte in diesem Augenblick wirklich alles dafür getan, den verwöhnten kleinen Teufel in ihre Arme schließen zu können. Sie verspürte einen bestimmten, jedoch nicht groben Griff am Arm, als einer der Männer sie aus dem Raum führen wollte. Auf halbem Weg zur Tür drehte sie sich jedoch noch einmal um und blieb stehen, suchte den Blick der Königin, die eben von ihrem Platz aufgestanden war. »Wie geht es ihm?« platzte es aus Gwen heraus. »Geht es Loki gut?« fügte sie hastig an, für den unwahrscheinlichen Fall, dass nicht klar war, nach wem sie sich erkundigen wollte - die Sorge in ihrer Stimme blieb wohl niemanden verborgen. Furchtsam studierte sie jede Reaktion der Königin; hatte Angst vor einer Antwort, die sie vielleicht gar nicht hören wollte. Die Vorstellung, dass das Licht in seinen einzigartigen Augen erloschen sein könnte, war unerträglich. Sie hatte die Frage einfach nicht mehr länger zurückhalten können; schon die ganze Zeit hatte sie wie ein erwachter Vulkan in ihr gebrodelt. Frigga hielt überrascht inne, eine Hand noch auf dem Polster, von welchem sie sich eben erhoben hatte. Ihre Finger strichen in einer gedankenverlorenen Geste über den dunkelroten Stoff, während sich ihre Mundwinkel um nur ein winziges Stückchen in die Höhe erhoben. »Er lebt. Und es geht ihm besser.« beantwortete die Königin ihre Frage nach einer kleinen Weile, in welcher ihr Blick Gwens gefangen hatte. Sie fühlte sich Frigga in jenem Augenblick verbunden durch die Sorge um den gleichen Mann. Gwen atmete befreit aus und neigte den Kopf vor der Asin, als Dankbarkeit und Erleichterung sie durchströmten. Sie konnte gar nicht beschreiben, was in jenem Moment in ihr stattfand; war so unendlich froh darüber, dass Loki offensichtlich nicht ernsthaft verletzt wurde und er noch am Leben war. Somit hatte sie die verschwindend kleine Chance, dass sie ihn noch einmal sehen könnte - um ihm für alles zu danken. »Danke.« wisperte Gwen und erntete dafür von der Königin ein wohlwollendes Nicken, bevor die Wächter sie schließlich aus dem Raum führten und die Tür hinter ihr schlossen. Odin schälte sich mit mühsamen Bewegungen aus seiner Rüstung, die ihm über die vielen Jahre stets ein treuer Verbündeter und Schutz gewesen war - in Kämpfen, Kriegen oder zäh dahintröpfelnden Stunden zwischen Verhandlungen, Streitgesprächen und Kundgebungen zum Wohle Asgards. Nun allerdings spürte er immer öfter das Alter in seine Knochen kriechen und die kunstvollen Metallplatten waren immer schwerer zu tragen; beinahe so, als würde selbst seine Rüstung dem Ende seiner Herrschaft entgegen sehen - nur hatte das Metall sich mit dem Abschluss jener Ära bereits abgefunden. Odin dagegen nicht. Er konnte seinen Thron noch nicht räumen; Asgard noch nicht den Jüngeren und Stärkeren überlassen. Thor war noch immer nicht völlig bereit für die Herrschaft - ein Hitzkopf, ehrlich und mutig, aber viel zu oft noch unüberlegt. Er musste noch so viel lernen… Vielleicht redete sich Odin das aber auch nur selbst ein, um den unvermeidbaren Moment hinauszuzögern, damit er seinen Sohn so gut wie möglich auf eine Aufgabe vorbereiten konnte, für die es am Ende nie eine Vorbereitung geben würde. Keine Lehrbücher. Keine Richtlinien. Keinen Leitfaden. Der Thron war eine Bürde und man konnte nur mit und durch ihn wachsen; indem man Entscheidungen traf - die Richtigen wie die Falschen. Und Loki…ja, Loki hätte an der Seite Thors stehen sollen, um ihn mit Rat und Tat zu unterstützen; ein wacher, kluger Geist, der unablässig für die Herrschaft war. Er wäre der perfekte Berater und seinem Erstgeborenen in schweren Zeiten eine wertvolle Stütze gewesen - Thor, die treibende Kraft, der Hammer und das Schwert, um Feinde zu bezwingen; Loki, der nachsinnende Geist, Schild und Rüstung, um das Volk durch schlaues Geschick und Verstand zu beschützen. Allerdings hatte sich sein zweiter Sohn lieber dazu entschlossen, dem Wahnsinn und seiner Selbstsucht zu frönen. Loki war schon längst keine Option mehr, die Odin ernsthaft in Betracht ziehen konnte. Eine Schande…wahrlich eine Schande. Der Allvater wusste, dass er alt wurde. Dieser Angriff der letzten Nacht hatte es ihm wieder deutlich vor Augen geführt; er fühlte sich müde, ausgelaugt und wünschte sich in einigen, verstohlenen Augenblicken nichts sehnlicher, als seinen Speer und seinen Thron abzugeben, um sich in den Odin-schlaf sinken zu lassen. Keine Entscheidungen mehr. Keine Kämpfe. Keine Verpflichtungen. Vertraute, schlanke Arme schlossen sich von hinten um seine Brust und sanfte Hände halfen ihm mit dem Lösen der ledernen Bindungen seines Brustpanzers. Dankbar überließ Odin seiner Frau diese Aufgabe, der die eigenen, kraftlosen Finger heute nicht Herr geworden waren. »Du solltest dich ein wenig ausruhen. Die Nacht war lang und unser Volk braucht einen wachen, ausgeruhten König, der sie schützt.« sprach die Königin leise und liebevoll auf ihn ein, während sie die einzelnen Teile seiner Rüstung sorgfältig auf das dafür vorgesehene Polster auf einem Tisch neben ihnen ablegte. Nun kümmerte sie sich um seine Armschienen und sah ihn dabei mit ihren klugen Augen mahnend an. Odin seufzte schwer. »Unsere Feinde schlafen vielleicht auch nicht. Und wir tappen völlig im Dunkel, was diese Wesen angeht. Was ist, wenn wir wieder angegriffen werden? Was ist, wenn ich vorher nichts herausgefunden habe, was uns hilfreich-« Die Königin unterbrach ihn, indem sie ihrem Mann eine warme Hand auf die Wange legte und seinen Blick ihr zuwandte. »Heimdall ist auf seinem Posten. Thor mit seinen Gefährten unterwegs. Die Grenzposten des Reiches wurden verstärkt, die Wachen zu besonderer Aufmerksamkeit angehalten und die Aufräumarbeiten laufen bereits. Im Moment gibt es nichts, was du tun könntest, um einen weiteren Angriff zu verhindern. Wenn das Schicksal es will, dann wird er sowieso stattfinden. Doch zumindest solltest du dann ausgeschlafen sein.« Sie strich ihm sanft über die Wange und fuhr mit besorgter Miene über das getrocknete Blut auf seinem Gesicht. »Du musst endlich lernen, Verantwortung an andere abzugeben, Odin. Zumindest um ein Stück. Du kannst nicht immer überall sein. Vertraue jenen, die dich umgeben; vertraue deinen Söhnen und ich bin sicher, du würdest nicht enttäuscht werden…« Frigga zog ihre Hand langsam von seiner Haut und wandte sich ab, um die privaten Räume der Königsfamilie zu durchschreiten. In der Mitte des Zimmers war ein Tisch mit frischen Speisen beladen, doch keiner der beiden verspürte sonderlich viel Hunger nach der anstrengenden Nacht. Frigga goss sich einen Becher Wein ein und verdünnte diesen durch einen Schluck Wasser. Scheinbar gedankenverloren sah sie in die schimmernde Flüssigkeit, während der Schein der Morgensonne durch die Fenster fiel und ihre Gestalt in ein sanftes Licht hüllte. Odin betrachtete sie eine Weile versonnen und zärtlich; wurde erneut der Schönheit in ihren Zügen gewahr, sah die Intelligenz in ihren Augen, Stolz und Würde in ihrer Haltung. Doch darunter war auch ihre erhabene Gestalt getrübt von Schatten, gezeichnet von Sorge und beladen mit Kummer. Die Jahre hatten ihnen beiden zugesetzt und sie gekennzeichnet. »Du wirst es wohl nie müde, zu hoffen und an ihn zu glauben…« sprach der Allvater schließlich aus; anfangs als grollende Frage gedacht, formten sich seine Worte nun zum Ende als seufzende Gewissheit. Es war unnötig zu erwähnen, von wem er sprach. Frigga würde es wissen. Sie war wohl die Einzige, die noch immer an das Gute in Loki glauben konnte. Und sie würde es wohl auch noch tun, wenn alle anderen ihn schon längst aufgegeben hatten. Die Königin schloss kurz die Augen, bevor ein wehmütiges Lächeln um ihre Lippen spielte. Die Hände hatte sie um den Becher gelegt, welchen sie nun an ihre Lippen hob. Bevor sie jedoch einen Schluck nahm, sprach sie entschieden: »Nein. Niemals. Er ist mein Sohn.« »Du weißt, dass das nicht stimmt…« versuchte Odin sie sanft zu berichtigen, doch ihr warnender Blick ließ ihn verstummen. »Seitdem du ihn damals als Säugling in meine Arme gelegt hast, seitdem ist Loki mein Sohn. Versuche nicht mir dieses Gefühl abzusprechen, denn du würdest verlieren. Du hast diese Verbindung selbst heraufbeschworen, Odin, indem du ihn vertrauensvoll in meine Obhut gegeben hast.« zerschmetterte sie seine Worte mit felsenfester Entschlossenheit. Für eine Weile schwiegen sie beide wieder; Odin griff sich ein sauberes Tuch und begann sich das Blut und den Schmutz der Schlacht aus dem Gesicht zu waschen, während Frigga zu einem massiven, schweren Eichenholzschrank hinüber ging und aus diesem einige Kräuter und Tinkturen herausholte, um diese gewissenhaft auf einem Tablett aufzureihen. Sie würde später noch den Weg zu den Heilern suchen und jenen zur Hand gehen, um beim Versorgen der Verletzten zu helfen. Odin beobachtete sie dabei, während er das Tuch in seinen Händen langsam sinken ließ und sich selbst gegen den Tisch im Rücken lehnte. »Warum hast du mich nicht darüber aufgeklärt, dass die Sterbliche bereits vor dem Angriff den Weg in den Kerker gefunden hat? Heimdall hat dir Bericht erstattet, doch mich hat er darüber nicht in Kenntnis gesetzt. Warum kam mein Wächter mit dieser Auskunft zuerst zu dir und nicht zu mir, wie es das Gesetz verlangt, frage ich mich…?« sprach der Allvater den Rücken seiner Frau an und bemerkte das unmerkliche Stocken in ihren Bewegungen, bevor sie routiniert ihr Tun fortsetzte. »Heimdall hat wegen eines Wunsches meinerseits so gehandelt. Ihn trifft keine Schuld. Er hat die Frau nur beobachtet, da er in meinem Auftrag über Loki wachen und mich über besondere Vorkommnisse in Bezug auf meinen Sohn informieren sollte. Ich allerdings hatte nicht das Gefühl, dass sie in irgendeiner Weise eine Gefahr für Asgard darstellen könnte, daher habe ich es nicht für dringend notwendig erachtet, dich mit dieser Auskunft zu belasten.« Frigga schloss die Schranktüren wieder und trug dann das beladene Tablett hinüber zum Tisch. Ihr Kinn war stolz erhoben und ihre Züge durch kein schlechtes Gewissen gekennzeichnet. Sie begegnete seinem Blick offen und direkt. Odin allerdings widerstrebte das eigenmächtige Handeln seiner Königin sehr. Wie sollte er ein Reich regieren und sich auf irgendjemanden verlassen, wenn selbst seine engste Vertraute hinter seinem Rücken ihre eigenen Fäden zog? »Keine Gefahr für Asgard?! Wie würdest du es dann nennen, dass sie Loki einfach aus seiner Zelle befreien konnte?!« donnerte der Allvater und warf das Tuch mit einem wütenden Schnaufen neben die Wasserschüssel auf den Tisch. Frigga sah seinem Ausbruch ungerührt zu. »Deine Zuneigung für Loki trübt dein Urteilsvermögen. Deine Gefühle, Frigga, mögen dich in letzter Zeit vielleicht täuschen und daran hindern, die Dinge klar zu sehen.« »Wenigstens habe ich noch Gefühle, Odin!« warf sie ihm aufgebracht entgegen und setzte ihr Tablett mit einem lauten Scheppern auf dem Tisch ab. Der Allvater zuckte getroffen zusammen und fuhr sich in einer erschöpften, resignierten Geste mit der Hand über das Gesicht, bevor er die wenigen Schritte zu seiner Frau eilig nahm, um ihre zitternden Hände in seine zu betten. »Es tut mir leid. Lass uns nicht streiten, meine Liebste. Ich hätte dich heute fast verloren und das wäre gewiss mehr gewesen, als ich hätte ertragen können…« Er zog die Königin in seine Arme und drückte sie fest an sich; spürte ihren vertrauten Körper, roch den ihr eigenen Duft und erbebte in Ehrfurcht vor dem Wunder, dass sie noch am Leben war. Frigga schmiegte sich an ihn und seufzte leise. »Und wir wissen beide, wem ich mein Leben verdanke…« drang sie mit sanften Worten der Wahrheit in seinen verstockten Geist. Zu ihrer beider Überraschung sprach er keine abwehrende Entgegnung aus. Nach einer Weile löste sich Frigga aus seiner Umarmung und sah mit ernsten Augen zu ihm auf. »Odin, du wirst Loki brauchen…« begann sie bestimmt. Er seufzte nachsichtig. »Ich weiß, was du sagen wirst und unter anderen Umständen würde es mir als weise erscheinen…« Er wollte den Blick bereits abwenden; wollte der Rede entgehen, welche nur eine Mutter sprechen konnte, doch die Königin fasste sein Gesicht in ihre warmen Hände und hielt seinen Blick beharrlich auf ihren gerichtet, sodass er sie ansehen musste. »Du brauchst sein Wissen und seine Magie. Er ist gebildet und klug; er kann dir helfen, mehr über unsere Angreifer herauszufinden und über die Sterbliche, deren Geheimnis uns vielleicht helfen kann. Deine Gelehrten konnten ihm noch nie das Wasser reichen - das weißt du. Du kannst nicht Monate warten, bis du Ergebnisse sehen wirst. Du brauchst sofort Wissen und Unterstützung. Ich spüre, dass eine dunkle Bedrohung aufzieht - etwas, dem wir uns alle nicht entziehen können. Du wirst dich aller Waffen bedienen müssen, die dir zu Verfügung stehen.« »Und was schlägst du vor, Frigga? Soll ich Loki fröhlich und frei durch den Palast und durch Asgard spazieren lassen, auf das er genug Zeit hat, um einen Weg zu finden, wieder Unheil zu stiften?! Oder uns in den Rücken zu fallen?!« appellierte er beständig an ihren Verstand. Allerdings konnte er die Wahrheit und Weitsicht hinter ihren Worten nicht gänzlich leugnen; Loki konnte ihnen helfen. Er hatte bereits in jungen Jahren all die gelehrten Asgards in Wissen und Verstand überflügelt, ganz zu schweigen von seiner Begabung für die Magie. Wenn jemand die Rätsel lösen konnte, dann er. Doch man konnte ihm einfach nicht trauen. »Ich glaube nicht, dass er das tun würde. Er hat diese Sterbliche gerettet. Er hat Fandral und Volstagg geholfen. Er hat mich gerettet, Odin. Und er hätte das wahrlich nicht tun müssen. Er hätte fliehen können, als sich ihm die Gelegenheit geboten hat, doch er ist geblieben. Ich sehe noch Licht und ich weiß, dass nicht alle Hoffnung vergebens ist. Irgendetwas Gutes schlummert noch in ihm, nur müssen wir diesem Rest auch die Möglichkeit geben, sich zu offenbaren und zu entfalten. Er ist noch nicht gänzlich verloren.« versuchte ihn die Königin zu überzeugen. »Frigga, du weißt selbst, dass seine Motive und Beweggründe nie so offen und klar lagen, wie wir es meist dachten. Deine Hoffnung kann eine Illusion sein; geschickt gewoben und durchdacht von ihm, um genau diese Worte zwischen uns zu provozieren. Wer sagt uns denn, dass er diese Frau nicht aus ganz bestimmten Gründen gerettet hat? Oder dich? Vielleicht gehört das alles zu einem Plan, den er bereits in seinem Kopf ersonnen hatte. Genug Zeit hatte er ja wahrlich in den letzten zwei Jahren. Deine Hoffnung ist trügerisch.« hielt Odin entschlossen dagegen. »Was wäre ich für eine Mutter, wenn ich die Hoffnung aufgeben und aufhören würde, für meine Kinder zu beten?!« wisperte die Königin und senkte den Blick betroffen, da ihre Augen in einem verräterisch feuchten Schimmer glitzerten. Odin zog sie wieder in seine Arme und bettete das Kinn mit einem nachgiebigen Seufzen auf ihrem weichen Haar. »Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken. Bete du dafür, dass das kein Fehler ist…« Andrew Preston eilte durch die Gänge Gladsheims und schielte im Laufen auf die schmale Armbanduhr, die ihn über die Zeit in Asgard und auf der Erde unterrichtete. Er hatte in aller Eile sein Team und einige der wichtigsten Gerätschaften zusammengepackt, um heute noch das Reich der Asen wieder zu verlassen. Zugegeben, es war ein recht kurzer Aufenthalt gewesen, doch Direktor Fury hatte ebenso wie Odin darauf bestanden, dass die Wissenschaftler auf die Erde zurückkehren sollten, nachdem dieser überraschende Angriff Asgard in der Nacht erschüttert hatte. S.H.I.E.L.D musste ebenfalls auf diese unbekannte Bedrohung reagieren und sich für eventuelle Übergriffe auf die Erde wappnen. Andrew hatte alle überlebenden Forscher nun endlich wieder zusammengesammelt, nachdem im Chaos der Nacht alles durcheinandergeraten war; viele der Wissenschaftler waren verstört geflohen und erst viel später in den Gassen der Stadt oder einem entlegenen Winkel des Palastes wieder aufgetaucht. Nun fehlte dem Agent nur noch eine Person; die Wichtigste überhaupt. Die rothaarige Geophysikerin mit dem außergewöhnlichen Blut. Direktor Fury war sehr gelegen daran, sie kennenzulernen und in die Obhut von S.H.I.E.L.D zu überführen und Andrew redete sich ein, dass er nur deshalb so hektisch durch die Gänge eilte, weil er den Auftrag seines Bosses unbedingt zu dessen Zufriedenheit ausführen wollte - und nicht etwa, weil er sich verdammt große Sorgen um die junge Frau machte, die seit dem Abend spurlos verschwunden war. Hätte er sie doch bloß nicht aus den Augen gelassen! Er bog um eine Ecke und erkannte vor sich die Königin der Asen, die in einer Gruppe schlicht gekleideter Frauen den Gang hinabging. Begleitete wurden die Frauen von einem Trupp der Palastwache. Andrew beeilte sich, zu der Gruppe aufzuschließen. »Eure Hoheit! Wartet!« rief er bereits mit Dringlichkeit, noch bevor er bei den Frauen ankam. Aus der Nähe erkannte er, dass alle einheitliche, zweckmäßige Kleidung trugen und Körbe bei sich hatten, in denen Fläschchen, Kräuter, Tiegel und Verbandszeug lagen. Sie waren wahrscheinlich auf dem Weg zur Krankenstation. Die Königin hatte sich umgewandt und sah ihm fragend entgegen, die Palastwache hatte bereits wachsam die Speere gezückt, doch Frigga bedeutete ihnen mit einer abwehrenden Geste, die Waffen wieder zu senken. Der Agent stoppte vor der Gruppe und sein Blick überflog die Reihen der Frauen unbemerkt, doch Mary-Ann Morris war nicht unter ihnen. »Eure Hoheit, meine Männer und die Gruppe der Wissenschaftler sind bereit zur Abreise, doch fehlt mir noch eine junge Frau der Delegation, die ich seit dem Abend nicht mehr sah. Sie ist unauffindbar und ich bin in Sorge, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Ist sie womöglich bei euren Verletzten aufgetaucht?« wandte sich Andrew sogleich an die Königin, die im Laufe seiner Worte die Brauen zusammenzog und ihn auf abwägende Weise musterte. »Von welcher Frau sprecht Ihr denn?« begann sie dann nachzufragen. »Unsere Heiler versorgen eine Menge verletzter Frauen und Männer…« »Mary-Ann Morris.« beeilte sich der Agent zu antworten. »Eine junge Geophysikerin. Rote Haare, recht auffällig würde ich fast sagen…« Andrew sah Erkenntnis in den Augen der Königin aufblitzen, abermals musterte sie ihn, diesmal auf eine beinahe kritische Weise, als würde sie seine Motive in Frage stellen. »Ja, ich kenne die Frau. Ich habe sie gesehen.« Bevor der Agent allerdings Erleichterung verspüren konnte, wandte sich die Königin ab und machte sich daran, ihren Weg fortzusetzen. »Sie befindet sich bis auf weiteres in der Obhut Asgards.« »Äh…was?« Andrew musste sich verhört haben. Hastig überbrückte er die wenigen Schritte, um wieder an die Seite der Königin zu gelangen. Mit einem bestimmten, aber sanften Griff hielt er sie am Arm zurück. »Was soll das bedeuten?« Die Palastwache reagierte recht empfindlich auf die unerlaubte Berührung der Königin und die Männer rückten warnend näher, die Hände an den Waffen. Frigga war abermals stehen geblieben und seufzte leise, bevor sie den Agent wieder ansah. »Es bedeutet genau das - die junge Frau, nach der Ihr sucht, befindet sich bis auf weiteres in der Obhut Asgards. Sie ist ein Gast des Allvaters. Ihr werdet wohl ohne sie abreisen müssen…Mister Preston.« fügte sie nach einem knappen Blick auf seinen Ausweis hinzu, der am Jackett seines Anzuges angeheftet war. Andrew ließ die Königin allerdings noch immer nicht los. Skeptisch studierte er ihre Züge. Irgendetwas stimmte hier nicht… »Ist sie eine Gefangene?« fragte er alarmiert nach. »Die junge Frau hat in der Nacht einen Gefangenen aus dem Kerker befreit. Des Weiteren besitzt sie offensichtlich einige verborgene Fähigkeiten, deren Ursprung wir bisher nicht zweifelsfrei bestimmen können. Bis auf weiteres verbleibt sie unter der Aufsicht und dem Schutz des Allvaters.« erklärte ihm die Königin klar und entschieden, bevor sich ihr Blick beinahe warnend auf die Hand an ihrem Arm senkte. Der Agent zog seine Finger zurück. Das Gesagte musste er erst einmal verdauen… Was hatte Mary-Ann nur angestellt - einen Gefangenen aus dem Kerker entlassen?! Und die Asen mussten ebenfalls schon bemerkt haben, dass an ihr etwas besonders war. »Mary-Ann Morris ist ein Mensch und untersteht somit den Gesetzen Midgards und dem Befehl Direktor Furys. Über ihr Schicksal wird nach unserem Recht auf Midgard entschieden werden. Ich muss darauf bestehen, dass die Frau mit mir auf die Erde zurückkehrt. Dort wird man über sie urteilen und ihre Fähigkeiten studieren. Ihr habt nicht das Recht, sie hierzubehalten.« erklärte Andrew der Königin sachlich, aber mahnend. Direktor Fury wäre garantiert nicht erfreut über diesen Lauf der Dinge. Frigga zeigte ein hauchfeines, beinahe spöttisches Lächeln. »Ihr dürft Euren Vortrag gern dem Allvater noch einmal vorbringen. Ich bin sicher, dass er voller Freude Euren Ausführungen lauschen und gewiss alle Zeit der Welt für die Befindlichkeiten eines Abgesandten Midgards aufbringen wird, wo sein Reich doch eben erst überraschend angegriffen wurde…« Andrew musste schlucken und trat einen knappen Schritt zurück. Der scharfe Blick der Königin verwies ihn in seine Schranken. Sie hatte Recht - im Moment waren ihm die Hände gebunden. »Die Frau wird hierbleiben, Mister Preston. Sie befindet sich auf asischem Boden und untersteht damit auch dem asischen Recht. Der Allvater wird jetzt über ihr Schicksal entscheiden.« Die Königin gab ihrer Gruppe einen Wink weiterzugehen. Sie selbst wandte sich dem Agent noch einmal zu und trat an ihn heran; ihr Blick war sonderbar wissend und entschlossen. Sie beugte sich zu ihm heran, damit ihre folgenden Worte nur er hören würde. »Schlagt sie Euch aus dem Kopf. Sie ist nicht für Euch bestimmt.« wisperte die Königin beinahe einfühlsam, dann richtete sie sich auf und ging den anderen Frauen hinterher. Andrew Preston blieb verwirrt auf dem Gang zurück, während der Geschmack der Niederlage bitter auf seiner Zunge lag. Kapitel 7: Loki --------------- Fesseln. Natürlich waren es die Fesseln um seine Handgelenke, die er als erstes wahrnahm, nachdem sich sein Bewusstsein aus dem Sog des klebrig düsteren Morastes zurückgekämpft hatte, in welchem es eine Weile unfreiwillig stecken geblieben sein musste. Die Fesseln und die Tatsache, dass sein Kopf noch auf seinem Hals saß. Langsam kehrte sein Verstand an den angestammten Platz zurück. Loki begann sich verschwommen zu erinnern; an einen Pfeil, der für Frigga bestimmt gewesen war…und an das erschrockene Gesicht der rothaarigen Sterblichen, gegen die er kraftlos gesunken war, bevor sich sein Denken verabschiedet hatte und bei ihm die Lichter ausgegangen waren. Loki Laufeyson war ohnmächtig geworden. Und das vor der versammelten Gemeinschaft seiner - ach so geliebten - „Familie“. Diesen Augenblick konnte man definitiv in jene Kategorie einreihen, über der in dicken, fetten Lettern „nie wieder zu erwähnen“ prangte; wie entwürdigend, dass er genau zu solch einem Zeitpunkt aus den Latschen kippen musste, als alle Augen auf ihn gerichtet waren. Das musste ja ein wahrer Festtag für Odin und seine Sippe gewesen sein, ganz zu schweigen von dessen Freunden, die sich garantiert köstlich über seinen Zusammenbruch amüsiert hatten. Was war eigentlich auch in ihn gefahren, dass er diesen geistlosen Idioten tatsächlich geholfen hatte!? Warum war er nicht einfach verschwunden, als sich ihm die Gelegenheit geboten hatte?! Er hätte jetzt schon meilenweit entfernt sein können, vielleicht sogar schon in einer anderen Welt und niemand hätte ihn jemals gefunden, wenn es nicht sein eigener Wille gewesen wäre. Warum nur hatte er…? Ach ja - er erinnerte sich. Die Sterbliche. Wegen der rothaarigen Sterblichen war er geblieben. Wenn er gegangen wäre, hätte er jede noch so verschwindend kleine Chance vertan, ihr Geheimnis zu lüften; und er konnte sich irren, doch bisher hatte er in keiner der neun Welten etwas vergleichbares verspürt als jene Macht, wie sie verborgen in ihr innewohnte. Ihr Rätsel lösen zu können war jene Versuchung gewesen, der er nicht hatte widerstehen können; die Aussicht auf ein amüsantes und unterhaltsames Spiel hatte ihn zum Bleiben bewogen. Vielleicht war sie die Möglichkeit, Vergeltung zu üben und doch noch das zu bekommen, was ihm zustand - jene zierliche Gestalt, die sich ohne zu zögern zwischen ihn und den Speer des Allvaters gestellt hatte, um sein Leben mit dem ihren zu beschützen. Und die Volstagg zornig mit den Fäusten bearbeitet hatte, um ihm zu helfen - die Erinnerung daran ließ Lokis Mundwinkel um eine Winzigkeit amüsiert in die Höhe klettern. So etwas war dem bärtigen Krieger garantiert auch noch nie passiert; dass er sich von einer Frau prügeln lassen musste, die ausgerechnet dem geächteten Gott der Lügen zu Hilfe kommen wollte. Da musste Loki sich in Gedanken wohl berichtigen - es gab offensichtlich doch durchaus Anblicke, die es wert waren, dass man dafür ohnmächtig wurde. Dieses Bild würde er nicht so schnell vergessen. Nicht, dass Loki die Hilfe der Sterblichen unbedingt benötigt hätte - allerdings fand er die Sorge und den Einsatz der Menschenfrau durchaus faszinierend. Bisher hatte sich noch nie jemand so selbstlos für ihn eingesetzt; gehandelt, ohne auf die Konsequenzen zu achten und dabei kannte sie ihn noch nicht einmal. Sie war ihm nichts schuldig gewesen. Er hatte ihre Welt angegriffen, da wäre es eigentlich eher logisch gewesen, dass sie Odins Speer noch den letzten Stoß verpasst hätte. Offenbar hatte sie Loki wirklich nicht wiedererkannt. Was hatte sie dazu veranlasst sich so zu verhalten? Es wäre durchaus interessant, sie einmal danach zu fragen - vorausgesetzt, er sollte sie überhaupt je wiedersehen. Diese Möglichkeit war doch eher unwahrscheinlich. Dass er nun jedoch erwachen durfte und sich weder in seiner altbekannten Zelle, noch in einem anderen stinkenden Loch in Ketten geschnürt wiederfand, überraschte ihn allerdings ein wenig und ließ die Frage aufkommen, ob die Sterbliche auch dafür verantwortlich war. Hatte ihn ihr Einsatz wirklich vor dem Tod bewahrt? Denn Loki hätte eigentlich damit gerechnet, dass der Allvater ihn nach all den Ereignissen schlussendlich nun seines Lebens berauben und sich seiner entledigen würde; und doch war der überstrapazierte Geduldsfaden Odins offensichtlich noch immer nicht gerissen, sonst hätte Loki jetzt kaum die Augen öffnen können, um an eine saubere, helle Decke über sich zu blinzeln. Er wandte den Kopf und sah sich kurz um, erblickte ein sauberes, spartanisch eingerichtetes Zimmer mit weißen Wänden und einem großen Fenster, das geöffnet den Blick auf einen klaren blauen Himmel gewährte. Die dünnen Vorhänge bauschten sich leicht im milden Wind. Das Bett, in dem er lag, war schmal, aber bequem und das Bettzeug roch nach frischen Lilien. Es gab keine erkennbaren Sicherheitsvorkehrungen; keine Gitter vor den Fenstern, keine magischen Wände, die ihn umgaben, keine Ketten vor der Tür. Interessant. Wirklich interessant. Was war nur während seiner Ohnmacht passiert, dass man augenscheinlich nicht mehr der Ansicht war, dass man ihn hinter Schloss und Riegel halten müsste? Hatte Odin wegen der Rettung Friggas seine Meinung über ihn noch einmal überdacht? Das hielt er für unwahrscheinlich. Loki konnte sich vorstellen, dass die Königin für ihn gesprochen hatte, doch ihr Wort allein würde wohl kaum ausreichen, um den Standpunkt des Allvaters zu ändern und alle Verbrechen Lokis ungeschehen zu machen. Auch, wenn er sich selbst gern etwas anderes einreden wollte - Friggas Rettung war keinem Plan gefolgt. Er hatte die Gefahr erkannt, in welcher sich die Königin befunden hatte und sie gerettet, weil es ihm einfach als richtig erschienen war. Ob er für Thor oder Odin das Gleiche getan hätte…darüber wollte er eigentlich gar nicht so genau nachdenken. Doch Frigga hatte es definitiv nicht verdient, durch den hinterhältigen Pfeil eines stinkenden Feindes zu sterben. Nein, nicht die Frau, die ihn immer gleich auf wie Thor behandelt und nie einen Unterschied zwischen ihren Söhnen gemacht hatte. Sein Respekt vor dieser Asin hatte ihn die Hand heben lassen, um das tödliche Geschoss kurz vor dessen Ziel abzufangen. Für seine Gutmütigkeit durfte er sich nun mit bohrenden Kopfschmerzen plagen, ganz zu schweigen von einer Stelle an der unteren Seite seines Rückens, die einen pochenden, dumpfen Schmerz in seinen Leib sandte. Mit einem Ächzen schlug Loki die Bettdecke zurück und erhaschte dabei einen Blick auf die funkelnden Fesseln an seinen Handgelenken. Interessiert hob er die Hände und wandte diese vor seinen Augen hin und her, um die lästigen Metallringe prüfend zu betrachten; er erkannte sie als jene, die ihm Thor bereits nach dem Kampf gegen die Avengers angelegt hatte, um ihn nach Asgard zu überführen - hübsche Schmuckstücke, die seine Magie unterdrückten und so jeglichen Zauber unmöglich machten. Mit einem amüsierten Schnaufen ließ er die Arme wieder herabfallen. Offenbar traute man ihm doch nicht so weit über den Weg, dass man ihn gänzlich ohne Sicherheitsvorkehrungen in der Freiheit zurückließ. Kluge Narren… Loki stemmte sich mühsam in die Höhe und schwang die Beine über den Rand des Bettes. Seine Füße waren nackt und trafen unvermittelt auf den kühlen Boden, während seine langen Beine in einer einfachen Stoffhose steckten. Darüber trug er ein schlichtes Hemd, das er jetzt vorsichtig anhob, um die weißen Bahnen des Verbandes um seinen Leib zu betrachten. Mit zusammengezogenen Brauen versuchte er sich zu erinnern, woher er die Verletzung… Ach, das Fenster. Er schien ein paar verirrte Splitter für die Sterbliche abgefangen zu haben; wo sein Körper eine solche Wunde rasch geheilt haben würde, wäre ihr schwächlicher Leib mit Sicherheit tödlich durchbohrt gewesen. Er ließ den Stoff des Hemdes wieder sinken und verlagerte sein Gewicht auf die Füße, sodass er aufstehen konnte. Im ersten Moment schwankte er ein wenig und sein Kopf schien mit sich selbst Karussell zu fahren, doch er blieb zumindest auf den Beinen. Das war ja schon einmal etwas. Er hätte damit rechnen müssen, dass sein Körper Tribut fordern würde; er hatte lange Zeit in seiner Zelle keine Nahrung zu sich genommen, hatte dann den magischen Schlag seines Gefängnisses wegstecken müssen, noch dazu der Kampf mit den fremden Wesen, seine Verletzung, der Einsatz seiner Magie… Selbst für seine Verhältnisse hatte er sich und seinem Körper eine Menge zugemutet. Da war es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass er aus seinen Stiefeln gekippt war. Er musste dringend wieder zu Kräften kommen. Langsam ging er die wenigen Schritte zur Tür hinüber und drückte die Klinke herab - verschlossen. Das war zu erwarten gewesen. Loki bettete eine Handfläche auf der hölzernen Tür und verspürte dahinter zwei wachsame Präsenzen, die folgsam an Ort und Stelle verweilten; Männer der Palastwache, die wohl zu seiner Bewachung abgestellt waren. Gleichmütig wandte er sich wieder um und durchquerte das kleine Zimmer, um an das geöffnete Fenster zu treten. Neugierig lehnte er sich hinaus. Er musste sich in einem der oberen Stockwerke von Odins Palast befinden, denn unter ihm fiel die Außenmauer steil und sehr lang ins Nichts ab, bevor erst weit am Boden die ersten Dächer wieder zu erkennen waren. Flucht auf diesem Weg war also ausgeschlossen; ohne seine Magie würde er bei dem Versuch wahrscheinlich abstürzen und auf dem Asphalt der Stadt zerplatzen wie eine überreife Frucht. Keine angenehme Vorstellung und kein akzeptables Ende für einen Gott wie ihn. Loki hob den Blick wieder. Vor ihm erstreckte sich Asgard im Schein der Morgensonne; ein immer wieder grandioser Anblick, den jetzt jedoch die Spuren des zurückliegenden Kampfes durchzogen wie grausam geschlagene Narben. Die Stadt hatte mächtig unter den fremden Angreifern gelitten; Loki sah auf eingestürzte Türme und Häuser, die schwarzen Streifen von Bränden, die gewütet hatten und die Rauchsäulen von noch immer schwelenden Feuern, die zu löschen wohl der Mühe nicht wert gewesen wäre, da betroffene Gebäude und Plätze eh verloren waren. Allerdings waren die Asen bereits eifrig dabei, ihre Stadt wieder herzurichten und aufzubauen. Auf einigen Häusern erkannte er gehisste, weiße Fahnen - das Zeichen für einen Todesfall in der Familie. Hatte Asgard die Angreifer am Ende zurückschlagen können oder waren diese freiwillig wieder abgezogen? Ihre Art war fortschrittlich gewesen, diese Raumschiffe von höchst beachtlicher Technik, die Asgards bei weitem übertraf. Noch immer interessierte Loki, was diese Wesen eigentlich bezweckt hatten - die Vernichtung Asgards konnte es nicht gewesen sein, denn dann wären sie kläglich gescheitert. Da sie augenscheinlich aus keinem bekannten Reich der neun Welten stammten - woher kamen sie dann? Und was waren ihre Ziele? Mit scheinbar teilnahmsloser Miene blickte der Gott der Lügen auf das Reich unter sich, welches er so lange Jahre für seine Heimat gehalten hatte und versuchte zu ergründen, ob er etwas bei dem Anblick der attackierten Stadt fühlte. War da Mitleid? Zorn? Der Hunger nach Vergeltung? Nein, nur eine kalte, bodenlose Leere. Und Gleichgültigkeit. Dass sich seine Nägel von ihm unbemerkt in das Holz des Fensterbrettes gegraben hatten, fiel Loki nicht auf. Die Tür hinter ihm öffnete sich leise und schwang geräuschlos auf, woraufhin weiche, sanfte Schritte über den steinernen Boden in den Raum traten. Loki richtete sich auf, allerdings machte er sich nicht die Mühe sich umzudrehen - er erkannte die Präsenz hinter sich auch so. Selbst ohne seine magisch verstärkten Sinne hätte er die Person identifizieren können - an jenem vertrauten Duft, der ihn schon seit den ersten Erinnerungen seiner Kindheit durch das Leben begleitet hatte. »Ich habe geahnt, dass der Allvater jemanden schicken würde, um mir ins Gewissen zu reden und das Gute in mir zu suchen - dass er allerdings seinen besten Redner, seinen größten Trumpf, entsenden würde, hatte ich zu dieser Zeit noch nicht erwartet.« sprach der Gott ruhig aus und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, wie er es so oft zu tun pflegte. »Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen, mein Sohn.« erklang die warme Stimme Friggas hinter ihm. Auf seine Worte ging sie gar nicht ein, was Loki einmal mehr verdeutlichte, wie vernunftbegabt diese Frau doch war. Das Schließen der Tür verriet ihm, dass sie allein waren. Keine Wachen - überraschend. »Du hast zwei Tage lang geschlafen. Es stand nicht sonderlich gut um dich.« Die Sorge in ihrer Stimme rührte etwas in ihm an, von dessen Existenz er lieber verschont geblieben wäre. »Der Schlaf war wohl nötig, Mutter.« erwiderte er kühl und fragte sich sogleich, was sie antrieb. Kam sie wirklich im Auftrag des Allvaters oder war es ihr eigener Wille, der sie zu ihm geführt hatte? »Nach all der Zeit suchst du mich erst jetzt auf. Meinst du nicht, dass deine Sorge nun ein wenig spät kommt?« fragte er zynisch nach und wandte sich mit gehobener Braue zu ihr um. Die Königin sah ihn direkt an und er erkannte das Schuldbewusstsein in ihrem Blick, bevor sie sich einen der beiden Stühle heranzog, die an einem kleinen Tisch standen. Beinahe kraftlos ließ sie sich darauf nieder und starrte angespannt vor sich hin. Er bemerkte die Schatten auf ihren Zügen; die Linien, die sich tiefer gegraben hatten. Sie sah müde aus und erschöpft. Einen Moment verbrachte sie damit, die schlanke Glasvase mit der einzelnen Orchidee unnötigerweise auf dem Tisch auszurichten, bevor sie begann zu sprechen. »Ich konnte dich nicht besuchen. Odin hat es mir untersagt. Wenn ich gegen seine Weisung verstoßen hätte, dann wäre dein Urteil der Tod gewesen. Du durftest vorerst nur weiterleben, weil ich mich damit einverstanden erklärte, jeglichen Kontakt zu dir zu unterbinden.« Sie sah zu ihm auf, suchte seinen Blick und einen Funken Verständnis darin - keine Vergebung. Dafür war sie zu klug. »Weiterleben…willst du das wirklich Leben nennen, was ich da unten in diesem Loch hatte!?« zischte er aufgebracht. »Odin hat mich da unten verrotten lassen!« Die Königin ließ die Schultern hängen. »Es war besser als der Tod…« wisperte sie schwach, wohl selbst nicht gänzlich überzeugt. »Oh, da bin ich mir gar nicht so sicher, werte Mutter.« erwiderte er spöttisch und fixierte sie mit einem vernichtenden Blick, der sie bewusst verletzen sollte. »Wenn ich tot gewesen wäre, hätte ich zumindest nicht den Gedanken ertragen müssen, dass selbst du mich vergessen hast!« »Das ist nicht wahr!« fuhr sie ihn entrüstet an. »Zügle deine Zunge, mein Sohn, bevor du etwas sagst, was du vielleicht noch bereuen könntest…« Schwer atmend maßen sie sich gegenseitig einen Moment mit Blicken, bevor sich Loki mit einem Zischen abwandte und seinen Fokus lieber wieder aus dem Fenster lenkte. Eine Hand hatte er an den Rahmen aus Holz gelegt, während der laue Sommerwind auffrischte und sein langes Haar in Bewegung versetzte. Seine Gefühle waren für einen Augenblick mit ihm durchgegangen und er schob es auf die Schwäche seines Körpers und die lange Isolation in seiner Zelle - er hätte nicht gedacht, dass es ihn tatsächlich so aufwühlen würde, seiner Mutter so unvermittelt wieder gegenüber zu stehen. Der Königin, berichtigte er sich in Gedanken. »Also, warum bist du hier? Sicher nicht, um unsere Familienzusammenführung zu feiern.« fragte er dann, als er sicher war, dass seine Stimme in den altbekannten, gleichgültigen Klang zurückgefunden hatte. »Zuerst einmal will ich dir danken. Dafür, dass du mir das Leben gerettet hast.« sprach sie seinen Rücken an; ihre Worte fügten sich in Ehrlichkeit, Würde und der Liebe einer Mutter. Er drehte sich nicht um, sah sie nicht an, denn er traute sich selbst noch nicht wieder soweit über den Weg, dass man in seinen Augen nicht vielleicht doch hätte lesen könnte, was seine Lippen nie verraten würden. Er schnaubte nur geringschätzig. »Ich brauche deinen Dank nicht. Und überhaupt - bist du etwa nicht der Ansicht, dass deine Rettung nur „Teil eines perfiden und hinterlistigen Planes ist“?!« Seine Stimme imitierte die des Allvaters erschreckend genau. »Ich wette, Odin ist dieser Ansicht.« Frigga schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Ihr zwei seid euch so ähnlich und kennt euch so genau und doch ist eine unüberwindbare Mauer zwischen euch gewachsen…« murmelte sie mehr für sich selbst, bevor sie das Wort deutlich wieder an ihren Sohn richtete. »Ja, der Allvater denkt tatsächlich so.« »Und du? Was denkst du?« kam die Frage sofort von Loki; scharf wie die Schneide eines Schwertes und genauso präzise gesetzt. Seine Haltung versteifte sich unmerklich - für ein ungeschultes Auge kaum zu sehen, doch Frigga hatte viele Jahre Zeit gehabt, um die Eigenarten ihres Sohnes zu erkennen und auf jede Regung zu achten, denn bei Loki waren es oft nur die kleinen Dinge, die Auskunft darüber gaben, was in ihm vorging und wie er sich fühlte. Wo Thor stets mit seinen Emotionen ehrlich herausplatzte - ein offenes Buch für jedermann, so war Loki eben eher das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln. »Ich denke das nicht.« antwortete sie mit jener Überzeugung, die sie als Mutter empfand. Loki erwiderte nichts darauf, sondern sah weiterhin regungslos aus dem Fenster. Der Wind wehte ihm eine Strähne seines dunklen Haares ins Gesicht und er wischte sie in einer geistesabwesenden Geste beiseite. Ich werde sie wieder abschneiden, formte sich der Gedanke zu einem Entschluss. Nun, vorausgesetzt, er bekäme die Gelegenheit dazu - scharfe Gegenstände würde man ihm sicher nicht in seine Zelle liefern. »Ich komme im Auftrag des Allvaters mit einem Anliegen zu dir. Er unterbreitet dir einen Vorschlag, den du überdenken solltest. Odin bietet dir deine momentane Freiheit als Gegenleistung für dein Wissen und deine Unterstützung.« ergriff die Königin das Wort nach einer Weile wieder, klar und sachlich, kaum eine Spur mehr von den Gefühlen des vorangegangenen Gespräches vorhanden. Sie waren demnach bei den Verhandlungen angelangt, die Loki bereits die ganze Zeit über schon erwartet hatte. Ein Ultimatum also. Das bot man ihm an. Deswegen hatte man ihn nicht sogleich wieder in seine Zelle gesteckt. Sein Interesse war geweckt. Auch wenn er das nie zugeben würde. Und die lockende Freiheit war ein Köder, dem er in seiner momentanen Lage nur schwerlich widerstehen konnte; und das würde Odin wissen. Loki schloss für einen Atemzug die Augen und gestattete sich, den warmen Wind auf seiner Haut zu genießen, den Duft der Welt in seine Lungen zu saugen, jede Nuance genüsslich zu filtern und auszukosten wie ein Weinkenner einen lieblichen Tropfen auf seiner Zunge. Er konnte das Salz des Meeres riechen und die würzige Frische der Kiefern am Waldesrand, den köstlichen Duft eines frisch zubereiten Mahles, welcher aus der Stadt heraufwehte, Friggas Parfüm…und dazwischen den scharfen Geruch von verkohltem Holz und Asche. Er lauschte den Geräuschen der Stadt unter sich, dem Flattern von Fahnenwimpeln, dem Schrei einer Dohle, die mit rauschenden Flügelschlägen an seinem Fenster vorbeiflog. Seine Sinne erblühten langsam wieder und erinnerten sich an ihre Aufgaben, nachdem sie so lange hatten ruhen müssen. In seinem Gefängnis hatte er kaum einen von ihnen benötigt, weil es kaum etwas zu sehen, zu hören oder zu riechen gab. Diese Zelle in den Kerkerhöhlen Gladsheims, sie würde sein Grab werden, wenn er wieder dorthin zurückkehren müsste - abgeschottet von der Welt würde sein Geist verkümmern und seine Sinne mit der Zeit verschwinden...genau wie sein Verstand. Auch wenn er es wohl niemals zugeben würde, so hatte er doch die Stimmen der anderen vermisst; zog die hitzigen Wortgefechte mit dem Allvater, Thor oder dessen Freunden der erdrückenden Ruhe seiner Zelle definitiv vor, denn das war es, wofür er lebte. Er war ein Meister der Manipulation und der Lügen, ein Spieler mit dem Wort - woran sollte er in der endlosen Stille des Kerkers seine Silberzunge schärfen?! Alles, was ihn ausmachte und ihm Macht verlieh, hatte man ihm genommen und das allein durch die kargen, felsigen Wände eines Gefängnisses, in welchem er sich selbst die einzige Gesellschaft war. Egal, was der Allvater verlangen würde - alles war besser, als in dieses Loch zurückzukehren. Seine eben zurückgewonnene Freiheit würde er so schnell nicht aufgeben. Allerdings musste ja niemand wissen, dass er durchaus zur Kooperation bereit war. »Wobei braucht der allmächtige Odin denn bitte meine Unterstützung und mein Wissen? Sollte es tatsächlich etwas geben, dessen er allein nicht Herr wird?« hinterfragte Loki mit dem gehässigen Heben eines Mundwinkels, während er sich nun doch der Königin neugierig zuwandte. In bewusst gelangweilter Haltung lehnte er sich gegen den Fensterrahmen im Rücken. Dass der Allvater tatsächlich um seine Hilfe ersuchte war beinahe ein Festtag. Ein beispiellos auserlesener Moment. Schade, dass Odin selbst nicht gekommen war, um seine Bitte vorzutragen. Der Allvater hätte es selbst gewiss nie so genannt, doch genau das war es - eine Bitte. Ein Flehen, da der alte Mann mit seinen eigenen Weisheiten offensichtlich am Ende war, denn sonst hätte er niemals nach Loki geschickt. »Dieser Angriff, der Asgard so unvermittelt getroffen hat - wir müssen herausfinden, was das für Wesen waren, was ihre Ziele und ihre Schwächen sind, bevor wir einem erneuten Angriff unvorbereitet gegenüberstehen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir diesen Feind nicht zum letzten Mal gesehen haben. Ihr Angriff kam überraschend und genauso rasch sind sie wieder abgezogen. Ihr Handeln scheint keiner Logik zu folgen. Sie haben weder etwas gestohlen, noch haben sie gezielt versucht, unsere Ressourcen oder den Allvater anzugreifen. Ihr Erscheinen glich eher einem unausgereiften-« »…Versuch.« kam Loki der Königin in einem grübelnden Raunen zuvor, während er die Arme vor der Brust verschränkte und nachdenklich auf den Boden starrte. Frigga zog die Brauen zusammen und sah ihren Sohn erstaunt an, dann nickte sie bestätigend. »Ja, genau.« bekräftigte sie seinen Schluss. »Ebenso schätzen Odin und ich diesen Angriff ein. Doch begreifen wir das große Ganze nicht. Was steht dahinter? Was wollen sie?« Loki hob eine Braue und seinen Blick wieder an, um die Königin so forschend anzusehen. »Und ich soll das für euch herausfinden?!« mutmaßte er über seine Rolle in diesem Vorhaben. Erneut nickte Frigga. »Ja, das sollst du. Deine langen Studien - darunter die Zeit in Vanaheim - haben dir Wissen und Lehren verschafft, welche unsere Gelehrten nicht besitzen und das hat selbst Odin eingeräumt. Darüber hinaus sind deine Fähigkeiten in der Magie-« Loki hob sogleich die Hände und verwies auf die silbernen Fesseln an seinen Handgelenken mit argwöhnisch gehobenen Brauen, unterbrach die Königin damit kurz in ihrem Redefluss. »-beispiellos, allerdings wirst du sie zunächst nicht benötigen und es ist wohl zu unser aller Besten, wenn deine magischen Fähigkeiten auch vorerst unter Verschluss bleiben.« beendete sie dann ihren Satz und Loki ließ mit einem spöttischen Schnaufen die Arme wieder fallen, woraufhin die Handfesseln ein helles Klimpern von sich gaben. »Euer Vertrauen scheint ja nicht sehr weitreichend zu sein.« gab Loki ironisch von sich. »Niemand hier vertraut dir, Loki.« korrigierte ihn Frigga sachlich. »Niemand würde das Risiko eingehen wollen, dich mit all deiner Macht uneingeschränkt durch Asgard wandeln zu lassen.« »Nicht einmal du, Mutter?« hakte der Gott lauernd nach. »Nicht einmal ich wage dir mein Vertrauen wieder so weit zu schenken.« gab die Königin offen zu und begegnete seinem abschätzenden Blick direkt. »Nur unsere Taten können zeigen, wer wir wirklich sind. Worte allein reichen dafür nicht aus. Du musst dir Vertrauen erst wieder verdienen.« »Wie überaus großzügig von euch, dass man mir jetzt zumindest die Gelegenheit dazu einräumt. Ich wette, ich müsste nun eigentlich in einer äußerst theatralischen Geste in den Staub auf meine Knie sinken und euch für dieses Angebot danken - aber verzeih, das lange, untätige Liegen der letzten Tage hat mir einen Krampf im Oberschenkel beschert.« sprach Loki gespielt bedauernd. »Dein Spott ist unangebracht.« entgegnete die Königin ermahnend, während sie eine unsichtbare Falte aus dem Rock ihrer makellosen Robe strich. Loki hatte das Gefühl, dass sie nur ihre Hände beschäftigen wollte. »Du wirst alle Gerätschaften und Hilfsmittel erhalten, die du benötigst. Ebenso wird dir der Zutritt zur Bibliothek gestattet und du darfst dein Zimmer wieder beziehen.« fuhr sie fort. »Allerdings wird dich ein Trupp der Palastwache ständig begleiten und ein Auge auf dich haben. Ebenso ist Heimdall angewiesen, über dich zu wachen. Du wirst keinen Handgriff unbeobachtet tun.« »Darf ich wenigstens noch allein schlafen oder muss ich das Bett auch mit der Palastwache teilen?« warf Loki spöttisch ein, eine Braue anzüglich gehoben. Frigga sah ihren Sohn wieder an und der Ernst in ihren klaren Augen ließ seine Silberzunge schwer werden und ihn allen weiteren Hohn vorerst bei sich behalten. »Das ist deine letzte Chance, Loki. Die Allerletzte, verstehst du? Mein Wort wird dich nicht noch einmal retten können. Mein Einfluss ist erschöpft. Nun liegt es allein an dir. Wenn Odin oder Heimdall - wenn nur irgendjemand das Gefühl hat, dass du gegen uns oder Asgard intrigierst und übles im Schilde führst, wirst du sterben. Der Allvater wird nun nicht mehr zögern, ein offenes Exempel an dir zu statuieren. Nutze diese Chance weise.« »Und wenn ich euch geholfen habe, was dann? Werde ich dann begnadigt?« hinterfragte Loki die Worte der Königin sarkastisch. »Ich meine, wo ist der Vorteil für mich bei der ganzen Sache?« »Du solltest lernen, die kleinen Dinge um dich besser wahrzunehmen und auch diese zu schätzen. Wir bieten dir all deine alten Gewohnheiten und Privilegien anstatt einer kargen, isolierten Zelle. Das ist vorerst genug. Alles Weitere wird die Zukunft zeigen.« belehrte ihn Frigga, blieb ihm eine direkte Antwort jedoch schuldig. Natürlich würden sie ihn wieder hinter Schloss und Riegel stecken. Davon war auszugehen. Odin war kein völliger Narr. Der Allvater wusste, dass eine momentane Kooperation niemals auch Loki Einsicht und geistige Wandlung bedeuten würde. Er ging bereits ein großes Risiko ein, indem er seinen geächteten Sohn überhaupt auf freien Fuß setzte und sei es auch nur für eine begrenzte Zeit. Allerdings hatte Frigga recht; die Aussicht auf seine Freiheit, seine Bücher und Folianten, seine Kleidung, ein Bad und Sonnenschein…das war viel zu verlockend und wertvoll, als es unbedacht einfach abzuweisen. Und Loki wäre sicher nicht Loki und der Gott der Lügen und Täuschung, wenn ihm nicht eine Möglichkeit einfallen würde, sich seiner Strafe schlussendlich doch zu entziehen. Und gewiss ließe sich bei einem Glas Wein in Freiheit wesentlich besser darüber grübeln. In diese Zelle im Kerker des Allvaters würde er nie wieder einen Fuß setzen - das schwor er sich. »Nun dann. Worauf warten wir noch? Ich denke, ich sollte mich an die Arbeit machen oder etwa nicht?« Auffordernd zog Loki die Brauen in die Höhe und stieß sich vom Fensterrahmen im Rücken ab. »Ach, eine kleine Sache noch…« bremste ihn die Königin in seinem gestellten Eifer. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und rückte jenen peinlich genau wieder zurecht. »Du wirst nicht allein arbeiten. Du wirst Unterstützung erhalten. Das ist eine weitere Bedingung.« »Ich brauche keine Hilfe. Ich arbeite und denke allein am besten. Das solltest du eigentlich wissen, Mutter.« erinnerte er sie und genoss es, soviel Missachtung wie möglich in das letzte Wort zu legen. Loki trat zu dem kleinen Kleiderschrank hinüber, der neben dem Bett eines der wenigen Einrichtungsgegenstände war und zog dessen Türen auf. Darin entdeckte er wie erwartete seine Rüstung, die säuberlich auf einem Bügel hing - die Spuren des Kampfes waren jedoch noch zu sehen und Loki strich beiläufig über die Risse in Stoff und Leder, wo ihn die Glassplitter getroffen hatten. Diesen Makel würde er beheben müssen. »Ich brauche Thor nicht-« »Es ist nicht Thor.« unterbrach ihn Frigga sogleich und zerstörte damit seine so sichere Vermutung. Es hätte ihr eigentlich ähnlich gesehen, dass sie ihm seinen Bruder an die Seite stellte, damit die beiden durch die erzwungene Nähe wieder zusammenwachsen sollten. »Nicht Thor…« murmelte er. »Wer dann…?« Irritiert zog er eine schmale Braue in die Höhe. »Die Sterbliche.« erklärte ihm die Königin überraschend und schaffte es damit tatsächlich Loki zu erstaunen. Verblüfft wandte er sich Frigga wieder zu und studierte ihr Gesicht genauestens nach den Zeichen einer Lüge. »Die Sterbliche?!« wiederholte er ihre Worte ungläubig. Es war unnötig zu erwähnen, welche Sterbliche Frigga wohl meinte. So viele gab es in Asgard gewiss nicht. Und wohl kaum eine andere Menschenfrau, die ihn aus seiner Zelle befreit und mit dem eigenen Leben beschützt hatte. So recht wusste Loki nicht, was er mit dieser Eröffnung anfangen sollte. Bisher hatte es nicht vieles in seinem Leben gegeben, was ihn wirklich hatte überraschen können. Nun, außer vielleicht der Tatsache, dass er ein Eisriese war - diese Offenbarung hatte ihn wahrlich erschüttert bis in die Grundfesten seiner selbst. Und vielleicht diese rothaarige Menschenfrau mit ihrer absurden Tat. Sie war also wirklich noch da… Loki konnte es natürlich leugnen, doch die Neugierde auf ihr Wesen und ihre Macht - diese ganz spezielle Anziehung, die sie auf ihn ausübte - erwachte sogleich wieder in ihm in Aussicht auf neuen Zündstoff für seinen wissbegierigen Geist. Eine prickelnde Unruhe erfasste ihn, geschürt von Tatendrang und zog kribbelnd über seine Haut; schien sich in seinen Handflächen zu ballen - auf eben jenem Fleckchen Haut, dass die Sterbliche berührt hatte. Er erinnerte sich an ihre ineinander verschlungenen Hände, als sie gemeinsam seinem Kerker entstiegen waren. »Ihr wollt tatsächlich eines dieser schwächlichen Geschöpfe in meine Obhut übergeben?« stellte Loki das Vorhaben mit hochgezogenen Brauen skeptisch in Frage und konnte sich ein anmaßendes Grinsen nicht verkneifen. »Ihr meint doch nicht wirklich, dass dies gutgehen kann, wenn sie mich erst wiedererkennt und ihr einfällt, wer ich bin und was ich in ihrer Welt angerichtet habe.« »Das wird ihr nicht einfallen.« erklärte ihm die Königin seelenruhig. »Weil sie es nicht weiß. Weil kein Sterblicher auf Midgard dieses Detail je kennen wird - außer ein paar erwählten Oberhäuptern und Führungspersonen. Die Organisation S.H.I.E.L.D hat ganze Arbeit geleistet, um deinen Beitrag bei diesem Angriff auf die Erde zu verschleiern.« Ungewohnt langsam sickerte die Erkenntnis in Lokis Verstand und er musste wahrhaft ein paarmal ungläubig blinzeln, weil er das Gehörte zu verarbeiten suchte. Das durfte nicht wahr sein… Sie hatten ihm wirklich alles genommen… Nicht nur seine Freiheit, seine Macht und die Möglichkeit, mehr für sich zu erschaffen - nein, sie hatten selbst seine Taten aus den Geschichtsbüchern gewischt; herausgerissen wie eine überschüssige, unnütze Seite. Als hätte es ihn nie gegeben. Als würde Loki Laufeyson gar nicht existieren. Selbst das verwehrte man ihm; die Angst und die Verzweiflung der Menschen - deren schreckhafte Erinnerung an einen Tag, den sie eigentlich nie hätten vergessen sollen, um seinen Namen nur hinter vorgehaltener Hand ängstlich zu wispern… Die Wut kochte unvermittelt in ihm hoch; hilfloser Zorn bemächtigte sich seiner und ließ ihn die Fäuste ballen. Angespannt begegnete sein Blick dem der ruhigen Gestalt seiner Mutter. »Ihr wagt es…ihr habt es tatsächlich gewagt, mich einfach zu einem Nichts zu degradieren?!« knurrte er aufgebracht und schlug eine Faust donnernd gegen die hölzerne Schranktür im Rücken. Frigga zuckte unmerklich zusammen; sofort öffnete sich die Tür und ein Mann der Palastwache steckte seinen Kopf herein, um Loki sowie die Königin mit alarmiertem Blick zu mustern. Die Asin aber bedeutete dem Wächter, die Tür wieder zu schließen und sie allein zu lassen. »Es war nötig.« begann sie dann vorsichtig, jedoch mit jener ernsthaften Bestimmtheit, die sie selbst bei dieser erforderlichen Maßnahme empfand. »Es war nötig, um die Zusammenarbeit mit Midgard zu sichern. Der Allvater hat nach all den Jahren erkannt, dass es keine Schande ist, den Menschen die Hand zu reichen und es hätte nur viel Unruhe und Misstrauen unter der Bevölkerung der Menschen geschürt, wenn bekannt geworden wäre, dass ein Ase ihre Welt angegriffen hat.« »Ich bin kein Ase!« schleuderte Loki ihr entgegen; Frigga konnte den Aufruhr in ihrem Sohn erkennen und seine Wut sogar um ein Stück verstehen, doch dies verhinderte nicht, dass sie instinktiv ein Stück zurückwich, als sich Lokis Augen für einen Wimpernschlag blutrot einfärbten. Das Erbe der Eisriesen war noch immer stark in ihm. »Doch, das bist du.« entgegnete sie ruhig. »Und vielleicht wird irgendwann der Tag kommen, an dem du unsere Entscheidung nachvollziehen und verstehen kannst.« »Ich gebe einen Dreck auf eure Entscheidungen! Ich wette, Thor habt ihr aus diesem Vorfall nicht herausgehalten. Er durfte bestimmt den strahlenden Helden spielen und mit seinen Taten prahlen. Mir habt ihr sogar die Rolle des Feindes in diesem Stück abgesprochen! Ohne mich hätte Thor doch gar nichts gehabt, gegen das er hätte kämpfen können!« fauchte er. »Deine Logik entbehrt jeglicher Realität, Loki.« versuchte die Königin abermals mit Vernunft in den angegriffenen Geist ihres Sohnes zu dringen. »Und Thor ist nun gewiss auch gar nicht der Inhalt unseres Gespräches. Du wirst dich mit dieser Tatsache abfinden müssen - ob du nun willst oder nicht.« Ach tatsächlich? Musste er das? Da war er sich noch gar nicht so sicher. »Die Sterbliche wird dich begleiten und dir helfen.« fuhr Frigga dann ungerührt in ihrer Bedingung fort, als könnte sie damit diese ungeheuerliche Schandtat an Lokis Person einfach vergessen machen und überdecken, wie man es mit einem Fleck auf dem makellosen Tischtuch tat, indem man einfach eine Vase darauf platzierte. »Im Gegenzug wirst du sie überwachen und ihre Fähigkeiten ergründen. In ihr scheint mehr zu stecken, als wir zu sehen vermögen und wir müssen wissen, warum diese Wesen offenkundig so interessiert an ihr waren - ob sie eine Gefahr für Asgard darstellen oder uns womöglich helfen kann. Dein Gespür für die Magie wird dir dabei hoffentlich eine Hilfe sein. Finde heraus, was mit ihr passiert ist und ob Asgard für ihre Veränderungen verantwortlich ist.« Die Königin raffte ihre kunstvolle Robe und machte sich daran zu gehen. »Und natürlich wirst du kein Sterbenswort über die Sache auf Midgard in ihrem Beisein verlieren. Sie hat über den Grund ihres Hierseins gelogen und sich als eine…« Frigga überlegte kurz. »…Journalistin herausgestellt. Ja, so hat sie es genannt. Ihre Aufgabe auf Midgard ist es, Informationen und interessante Neuigkeiten zu sammeln und diese ihrem Volk zu übermittelt. Ich muss wohl nicht gesondert darauf hinweisen, dass es überaus unklug wäre, gerade ihr dieses Detail über deine Person zuzuspielen. « mahnte sie noch an, die schlanke Hand bereits auf der Türklinke liegend. Sie hat also gelogen, durchfuhr es Lokis Gedanken. Ich wusste es. Loki war sicher alles andere als gewissenhaft im Befolgen von Anweisungen und Befehlen und eigentlich hätte er nichts lieber getan, als die Erinnerung der Menschen ein klein wenig aufzufrischen und gerade der rothaarigen Sterblichen mit Genugtuung die Wahrheit über den Angriff auf ihre erbärmliche Welt zu unterbreiten… Allerdings musste er sich eingestehen, dass dies ihre Zusammenarbeit auf keine Weise fördern und ihm wahrscheinlich jegliche Chance verwehren würde, ihr Zutrauen zu erlangen - das jedoch benötigte er, damit sie sich ihm gegenüber öffnen und kooperieren würde. Damit war die Forderung Friggas durchaus in seinem Sinne und nur, weil es ihm selbst nützen könnte, würde er seine Zunge im Zaum und sich an diese Anweisung halten, obwohl sich grundsätzlich alles in ihm dagegen sträubte, seine Natur und seine Taten zu verleugnen. »Und was soll ich ihr dann erzählen? Sie wird wissen wollen, warum ich in dieser Zelle saß.« gab Loki zu bedenken. »Lass das meine Sorge sein.« sprach die Königin bestimmt und wandte den Kopf noch einmal, um ihren Sohn anzusehen. »Ich werde mit ihr reden und sie alles wissen lassen, was sie wissen muss.« Damit drückte sie die Klinke entschieden hinab und verließ das Zimmer. Die Tür fiel geräuschlos hinter ihr ins Schloss. Gwen stand vor der mächtigen, dunklen Eichenholztür und starrte auf die Maserung des Holzes vor ihrer Nase, als wären diese Linien das Interessanteste, was sie je gesehen hätte - was wohl auch erklären würde, warum sie nun schon ein paar geschlagene Minuten hier verweilte, ohne es fertig zu bringen, an die Tür zu klopfen. Die Wächter zu beiden Seiten beäugten sie bereits argwöhnisch; sie konnte ihre Blicke aus den Augenwinkeln verspüren, die sie prüfend musterten, doch zum Glück richtete keiner der Männer das Wort an sie. Still und stumm standen sie da in ihren glänzenden Rüstungen, die Speere neben sich auf dem Boden aufgestellt und bewachten jenes Zimmer, in das sie nun nicht zu gehen wagte. Die Königin hatte Gwen nach drei endlosen Tagen voller Grübeleien und Langeweile heute endlich in ihrem Zimmer aufgesucht und sie um ein Gespräch gebeten. Danach hatte die Asin sie hierher geführt und mit einem auffordernden Nicken vor der Tür alleingelassen. Vor der Tür zu Lokis Gemächern. Gwen hatte ihn unbedingt wiedersehen wollen; unzählige Male hatte sie die Wächter nach ihm gefragt, doch jegliche Bitte ihn zu besuchen war ihr verwehrt worden. Und nun stand sie endlich hier, womöglich nur durch das Holz einer Tür von ihm getrennt - von ihrem Retter, so peinlich heroisch das auch klingen mochte - und sie war zu feige, um einzutreten. Gwen war unerklärlich aufgeregt und wischte die feuchten Hände an dem edlen Stoff ihres Kleides ab; die asische Robe hatte ihr die Königin besorgt und Gwen fand das Gewand wirklich bezaubernd - eine pastellfarbene Flut aus vielen Lagen zarten Stoffes, die an ihr herabglitten und ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachten, ohne freizügig zu wirken. Frigga hatte sogar gemeint, dass sie darin fast etwas Elfenhaftes innehätte, ähnlich der Alben aus Alfheim - allerdings fühlte sich Gwen nun darin schrecklich unwohl und völlig fehl am Platz. Lieber hätte sie ihre eigene Kleidung getragen. Das hätte ihr zumindest ein Stück weit das nötige Selbstvertrauen gegeben, um dem Prinzen Asgards entschlossen entgegenzutreten und sich bei ihm zu bedanken. Denn genau dafür war sie ja schließlich hier. Sie musste sich diese Tatsache noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ein Prinz Asgards - wie Thor. Er stand somit unweit hinter dem Allvater Odin; ein Gott, ein Mann, dem Macht, Prunk und hoheitliches Auftreten somit in die Wiege gelegt waren. Dagegen war sie klein und unbedeutend. Und genauso fühlte sie sich in diesem Augenblick vor der riesigen Tür zu seinem Zimmer auch. Sie war nur ein Mensch. Was wollte sie eigentlich hier? Gewiss würde jemand wie er gar keinen Wert auf ihren Dank legen. Wahrscheinlich würde er sich nicht einmal an sie erinnern… Da konnte sie auch keine Zuversicht und Entschlossenheit aus dem Gespräch mit der Königin ziehen; obwohl diese ihr so einiges über Loki verraten hatte, was ihn eigentlich menschlicher hätte erscheinen lassen müssen, blieb die Wirkung bisher aus. Gwen blickte verstohlen den langen Bogengang zu beiden Seiten auf und ab, doch niemand schien sich in diesen Teil des Palastes zu verirren, der noch einigermaßen unversehrt von dem zurückliegenden Angriff geblieben war. Nur ein paar der äußeren Säulen der Arkade wiesen Risse auf und an einigen Stellen war das steinerne Geländer zerstört, an das man nur treten musste, um einen fantastischen Blick auf den naheliegenden See vor dem Palast zu genießen. Die Sonne stand bereits hoch im Zenit und ließ die Wasseroberfläche wie mit tausenden Diamanten überzogen glitzern; ein leichter Wind säuselte durch die Pappeln und Trauerweiden am Ufer. Loki war also adoptiert. Genau wie Gwen. Ein Frostriese, den der Allvater als Säugling aus Jotunheim gerettet hatte, um ihn in Asgard als einen seiner Söhne aufzuziehen. Der Kopf schwirrte Gwen immer noch von dem Gespräch mit Frigga. Sie hatte unheimlich viele Dinge in kurzer Zeit erfahren; über die neun Welten, Politik und das asische Reich selbst. Die Königin hatte sie mit Wissen und Begriffen in kurzer Zeit fast schon bombardiert, um ihr einen knappen Abriss der Geschichte um Asgard und Loki zu vermitteln, dass Gwen durchaus darüber nachgedacht hatte, sich lieber Notizen zu machen. Sie hatte jetzt bereits Angst, dass sie etwas Wesentliches vergessen würde, was später einmal wichtig sein könnte; die Informationen über Loki hatte sie allerdings aufgesaugt wie ein Schwamm - bei jedem Wort der Königin aufmerksam an den Lippen gehangen, um bloß nichts zu verpassen, während die restliche, rahmenbildende Geschichte über Krieg und Feindschaft vielmehr beiläufig an ihr vorbeigeplätschert war. Gwen hatte schon zugehört; zumindest hatte sie sich bemüht, alles zu verstehen, was ihr die Königin in einer sehr kompakten Version von der Entstehung der Welten bis zum heutigen Tage vermittelt hatte, nur waren die Stellen, in denen sie etwas über Loki erfahren durfte eben wesentlich interessanter für sie als die Politik und Staatsführung des Allvaters. Frigga hatte Gwen eröffnet, dass sie wohl eine Weile in Asgard bleiben würde - so hatte es der Allvater entschieden - und es für somit wichtig erachtet, dass sie über das Reich der Asen im Bilde war. Und über den zweiten Sohn Odins, der gewissermaßen Gwens erzwungene Gesellschaft für die nächste Zeit darstellen sollte. Da Loki offensichtlich als einer von wenigen Asen äußerst bewandert in den magischen Künsten und Wissenschaften war; der fähigste Magier und Gelehrte, den Asgard wohl zu bieten hatte, sollte er sie im Auge behalten und folglich herausfinden, was mit ihr los war und woher ihre Veränderungen stammten. Gwen wusste eigentlich selbst jetzt noch nicht so wirklich, was sie von dieser Idee halten sollte; zumindest machte sie die Aussicht auf viele gemeinsame Stunden mit diesem Mann seltsam nervös. Sie kannte ihn ja auch überhaupt nicht; sie kannte seine Geschichte, ja, vom Tag seiner Ankunft in Asgard als Säugling über seine zugedachte Rolle in der Politik des Reiches bis hin zu jenem Tag, an dem er im Kerker Asgards gelandet war, weil er eine Dummheit begangen hatte, die den zerbrechlichen Frieden zwischen den Welten aufs Äußerste gefährdet hatte. Gwen schauderte jetzt noch bei dem Gedanken an die Erzählung der Königin; an die Schilderung jenes Tages, an welchem Loki versuchte hatte, Jotunheim zu zerstören - der schreckliche Höhepunkt einer Reihe von Intrigen und Straftaten, die der Prinz im Wahn begangen hatte, nachdem er herausfinden musste, wo seine wahren Wurzeln lagen. Es musste ein wahrer Schock für ihn gewesen sein, die Wahrheit durch einen eher unglücklichen Zufall herauszufinden, als sie in einem ruhigen Gespräch verständig vermittelt zu bekommen; eben jene Wahrheit, die ihm seine Eltern wissentlich so lange vorenthalten hatten. Gwen konnte sich vorstellen, wie Loki sich gefühlt haben musste - verraten und hintergangen von jenen, die er liebte. Da sie selbst ihre eigenen Wurzeln nicht kannte, war ihr Mitgefühl für seine Verzweiflung und Wut echt. Allerdings entschuldete das alles natürlich nicht seine Taten und Gwen konnte kein wahres Verständnis dafür aufbringen, dass er auf Grund dieser Erkenntnis gleich ein ganzes Volk hatte auslöschen wollen - obwohl Frigga durchaus eingeräumt hatte, dass der Allvater und sie ebenso ihren Anteil zu Lokis Wahnsinn beigetragen hatten. Ja, Gwen kannte seine Geschichte, doch den Mann dahinter kannte sie nicht. Die wenigen Worte, die sie im Laufe der zurückliegenden, schicksalshaften Nacht gewechselt hatten, konnte man kaum als Grundlage nehmen, um einen anderen wahrhaft einzuschätzen; die Bedingungen waren extrem gewesen, gefährlich und kaum geeignet für ein unvoreingenommenes Kennenlernen. Gwen hatte Stolz in ihm erkannt, Entschlossenheit sowie eine durchtriebene Arroganz - allerdings auch das flüchtige Funkeln von Wahnsinn in seinen fantastischen Augen; gefährlicher Wahnsinn, der unter der Oberfläche einer perfekten Maske lauerte, stets wachsam und bereit, den Angriff aus der Deckung zu wagen. Vielleicht war einiges davon ebenso ein Grund, dass sie noch immer nicht an seine Tür geklopft hatte, wie die unsichere Anspannung, die sie immer wieder schlucken ließ, wenn sie daran dachte, erneut in den Fokus seines intensiven Blickes zu geraten. Sie schuldete ihm ihr Leben. Das war noch immer eine Tatsache. Und der Allvater würde ihn wohl kaum in die Freiheit entlassen und sie in seine Obhut übergeben, wenn die Möglichkeit bestünde, dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnte…oder? Nun komm schon, Gwendolyn. Benimm dich nicht wie ein Kleinkind. Du hast schon misslichere Situationen überstanden - einen Wutausbruch von Bill Freeman zum Beispiel. Schlimmer konnte das hier doch gar nicht werden. Ein Kinderspiel sozusagen. Gwen straffte die Schultern und holte tief Luft, dann hob sie endlich die Hand und klopfte entschlossen an die schwere Tür. Das Geräusch kam ihr unheimlich laut vor; nachhallend in der Weite des langen Ganges und erst nach zwei endlosen Herzschlägen verebbend. Sie lauschte, doch es blieb still. Keine Stimme verlangte, dass sie eintrat. Unsicher schielte Gwen zu den Wächtern, die stur geradeaus starrten und sich wohl entschlossen hatten, sie einfach zu ignorieren. Daraufhin blinzelte sie die Tür fragend an, bevor sie einfach für sich selbst die Schultern zuckte und sich gegen das mächtige Holz stemmte, um eben unaufgefordert einzutreten. Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartet hatte; vielleicht die düstere Höhle eines verrückten Sünders oder das karge Reich eines schuldigen Büßers, doch die Gemächer hinter der Tür erwarteten sie überraschend - und auch beruhigend - normal, sogar durchaus geschmackvoll und edel eingerichtet. Gwen hatte gar nicht bemerkt, dass sie angespannt den Atem angehalten hatte; jenen ließ sie nun erleichtert entweichen. Loki schien nicht da zu sein. Zumindest sah sie ihn auf den ersten Blick nicht und damit nutzte sie die Gelegenheit, um sich neugierig umzusehen. Das Dominanteste im Raum waren wohl die Bücher, die einem sogleich förmlich ins Auge sprangen; Bücher, wohin man auch sah. Eine riesige Regalwand gefüllt damit fügte sich an ein mannshohes, kristallklares Fenster - dieses ließ genügend Licht herein, sodass man in der sich anschließenden Sitzecke auf einem etwas erhöhten Platz aus vertäfeltem Holz sicher gemütliche Tage und Abende mit Lesen verbringen konnte. Die Vorhänge, die die Fenster einrahmten, waren schwer, von edlem Stoff und in einem satten Grünton gehalten. Überhaupt beherrschten Grün und Gold das riesige Zimmer; angefangen von den Polstern der ausgewählten Möbel über einen kostbaren Teppich, der den polierten Holzboden schmückte bis hin zu jenem beinahe gewaltigem Bett auf der anderen Seite des Raumes - mit hoher Wahrscheinlichkeit die Lieblingsfarben des Asenprinzen. Gwen erinnerte sich an Lokis Rüstung, die er im Kampf getragen hatte; auch bei ihr waren jene Farben vorherrschend gewesen. Die Einrichtung war wirklich ausgewählt und edel; allerdings suchte man jeglichen Tand und Schnickschnack vergebens. Der Bewohner dieses Zimmers hatte Wert auf klare Linien und eine zweckdienliche Unterbringung gelegt - Dekoration schien da nur zu stören. Allein das mächtige Bett wies so etwas wie Verzierungen an den dunklen, hölzernen Eckpfosten auf, die in filigraner Arbeit mit Schnitzereien überzogen waren; Gwen wagte sich einen weiteren Schritt in das still daliegende Zimmer, um einen besseren Blick auf die Schlafstätte Lokis zu erhaschen, da das Bett durch einen stofflichen Sichtschutz vom Rest des Raumes abgegrenzt war. Ihre Neugierde wurde jäh abgebremst; durch Loki, der eben genau in diesem Augenblick hinter diesem leichten Stoffbehang in ihr Sichtfeld trat. Er hat sich die Haare geschnitten, war ihr erster Gedanke - warum auch immer ihr Gehirn der Meinung war, dass dies die momentan wichtigste Entdeckung sein sollte. Wo sich das dunkle Haar zuvor noch in einer wilden Flut bis über seine Schultern ergossen hatte, reichte es nun nur noch bis knapp unter sein Kinn, war streng zurückgekämmt, was seine aristokratischen Züge noch extra betonte und kräuselte sich in widerspenstigen Spitzen nach außen, obwohl es feucht war, als wäre er eben erst aus der Dusche gestiegen… Nach dem nächsten Blinzeln fiel ihr auf, dass sein Haar eigentlich völlig unwichtig war - denn der Prinz war nackt. Naja, so gut wie, denn er war eben dabei, die Knöpfe einer dunklen Lederhose zu schließen, die sich hauteng an seine langen Beine schmiegte. Warum nochmal waren Gwen seine kürzeren Haare bitte zuerst aufgefallen…? Er musste wirklich gerade erst aus einem Bad gestiegen sein, denn winzige Wassertropfen perlten glitzernd über seine helle Haut, die schlanken Muskeln, den flachen Bauch, bis einige von ihnen an einer Stelle jenseits seiner markanten Hüftknochen verschwanden, über die Gwen eigentlich überhaupt gar nicht nachdenken wollte - und die der asische Prinz zum Glück gerade hinter seinen Händen und den Knöpfen seiner Hose verbarg. Einer Hose, die unverschämt tief auf seinen schmalen Hüften saß… An seinen Handgelenken funkelten silberne Metallringe, die beinahe wie Fesseln wirkten. Gwen war sich im Klaren darüber, dass sie ihn unverhohlen anstarrte, war allerdings nicht in der Lage sich zu bewegen oder durch einen Laut bemerkbar zu machen; dieser Augenblick war irgendwie magisch und verflucht anziehend - eben wie es die wenigen Momente gewesen waren, die sie bereits mit Loki hatte teilen dürfen. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie attraktiv er eigentlich war; jetzt, nachdem die unnatürliche, kränkliche Blässe verschwunden war und er nicht mehr so erschreckend hager wirkte, fiel ihr erst auf, wie anziehend er tatsächlich auf sie wirken konnte - sein Anblick hämmerte sich wie ein in Stein gehauenes Meisterwerk in ihren Verstand. Er war gefährlich schön; der Körper eines Raubtieres, unter dessen Haut man die Kraft in den sehnigen Muskeln erahnen konnte. Er wirkte definitiv nicht wie ein plumper Eisriese… Bevor Gwen allerdings Gefahr lief, dass dieser Moment durchaus peinlich enden würde, stoppte sie der Anblick von zwei auffälligen, roten Narben in ihrer Begeisterung, die sich halb um seine rechte Seite wandten - die Spuren der Fenstersplitter, vor denen er sie beschützt hatte. Augenblicklich kam sich Gwen furchtbar schäbig vor, da sie ihn so offen angegafft hatte wie das achte Weltwunder; das war doch wirklich nicht das erste Mal, dass sie einen Mann nackt sah. Warum also führte sie sich auf wie eine pubertierende Halbwüchsige? Peinlich berührt wollte sie den Blick endlich abwenden und sich durch ein Räuspern bemerkbar machen, da hob Loki schon sein Haupt, als hätte er die Anwesenheit einer anderen Person bereits gespürt. Seine grünen Augen weiteten sich nur ein unmerkliches Stück in Überraschung, bevor sich sein durchdringender Blick in ihren bohrte und Gwen somit an Ort und Stelle fesselte. Dieser Moment, in dem sie sich so schweigend gegenseitig maßen, dauerte wohl nur ein paar Sekunden, doch ihr kam es wie eine halbe Ewigkeit vor - eine Ewigkeit, in welcher sie wieder verbunden waren, durch den Raum hindurch und ein unsichtbares Band, das noch immer Bestand hatte. Die Magie der Anziehung war wieder vorhanden, als wäre sie nie weg gewesen seit jenem ersten Blick, der sie in der düsteren Höhle eines Kerkers verbunden hatte. Gwen sah ein spöttisches Grinsen auf Lokis Lippen erblühen, als ihm wohl dämmerte, dass sie schon eine ganze Weile hier stehen musste und sie konnte spüren, wie ihr die Röte flammend heiß ins Gesicht schoss. Himmel, wie peinlich! Das war eine Katastrophe! Der Fluchtreflex war wohl etwas, was die Evolution den Menschen nicht ohne Grund mitgegeben hatte und über die Zeit fortdauern ließ; normalerweise sollte man sich damit aus gefährlichen Situationen retten. Leider meldete sich dieser Instinkt bei Gwen allerdings ein paar Minuten zu spät, denn als sie sich jetzt auf dem Absatz umwandte, war ihr nicht nur diese verfluchte Röte im Gesicht im Weg, die sie wirken ließ wie einen verschreckten Teenager - sondern auch die Tür. Einer der Wächter musste diese in pflichtbewusster und anständiger Weise hinter Gwen leise wieder ins Schloss gezogen haben, nachdem sie den Raum betreten hatte, was ihr unbemerkt geblieben war. Daraufhin kollidierte also nicht nur ihr peinlich angeknackstes Selbstwertgefühl mit dem Holz; nein, auch ihre Nase donnerte unvermittelt in einem dumpfen Laut gegen die Tür und machte damit alles nur noch viel schlimmer. »Oh scheiße…verdammte Scheiße…« fluchte Gwen ungehalten und drückte sich den Handballen in einem Reflex gegen die schmerzende Nase, die glühend heiße Pein in ihren Schädel schoss. Sie drehte sich wieder um und lehnte sich und ihren Kopf gegen das Holz im Rücken, während sie gegen die aufsteigenden Tränen anblinzelte und ruhig zu atmen versuchte. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Ehrlich, das Schicksal musste sich gerade einen Scherz mit ihr erlauben. Solche Tollpatschigkeiten waren ihr ja seit den frühesten Tagen ihrer Jugend nicht mehr passiert, als sie noch für einen Jungen geschwärmt hatte, der mit Daddys Motorrad täglich zur Schule fahren durfte. Natürlich war er damit der erklärte Schwarm aller Mädchen gewesen; was hätte doch jede dafür gegeben, nur einmal von ihm nachhause gefahren zu werden. Und gerade Gwen hatte er damals erwählt. Allerdings hatte sie es geschafft in ihrer ungeheuerlichen Nervosität das Ganze von einem vielversprechenden Nachmittag zu einem peinlichen Fiasko umzugestalten; besonders energisch hatte sie sich auf sein Motorrad schwingen wollen, war dabei allerdings mit ihrem Fuß am Sitz hängen geblieben und gegen die Maschine und den Jungen gestolpert, woraufhin alle drei am Ende auf der Straße gelandet waren - sehr zur Belustigung und Schadenfreude natürlich aller anderen Mädchen. Gwen hatte dem Jungen nie wieder in die Augen sehen können, nachdem er an diesem Tag das Motorrad seines Vaters nachhause schieben musste, da auch das neben ihrer Würde auf dem Asphalt gelitten hatte. Seit diesem Tag war Gwen auf keines dieser zweirädrigen Monster mehr gestiegen. Türen konnte sie allerdings nicht für den Rest ihres Lebens meiden… Das Nächste, was sie hörte, war das amüsierte Lachen des Prinzen, der sie mit einem überheblich mitleidigen Blick bedachte, während er sich ein maßgeschneidertes, dunkelgrünes Hemd über die Schultern streifte. »Wisst Ihr, wir in Asgard pflegen Türen zu öffnen, bevor wir sie durchschreiten. Man könnte meinen, Ihr wärt ein Zögling meines Bruders. Der hätte vielleicht auch diese eher primitive Methode gewählt.« wagte es Loki tatsächlich unverschämt zu höhnen, während seine schlanken Finger die Knöpfe des Stoffes vor seiner glatten Brust schlossen. Was für ein arroganter Mistkerl! Und mit diesem Mann sollte sie wirklich die nächsten Tage verbringen? In ihrer Vorstellung sollten Prinzen eigentlich zuvorkommend, freundlich, galant und höflich sein - diese Zeiten waren wohl schon lange vorbei oder eben doch nur Phantasiegespinste von träumenden Mädchen; Märchen eben. Gwen war kurz davor, Loki mit einer schneidenden Beleidigung anzufauchen, besann sich dann allerdings und versuchte es allein mit einem wütend verengten Blick; noch immer stand sie einem Prinz Asgards gegenüber, auf den sie angewiesen war - ob sie wollte oder nicht. Sie sollte es nicht gleich mit ihm verscherzen. Und wahrscheinlich sollte sie auch nicht vergessen, dass er ihr immer noch das Leben gerettet hatte. »Unheimlich witzig…« nuschelte sie nur angesäuert. Loki kam langsam zu Gwen herüber, nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Hand noch immer gegen ihr Gesicht presste und offensichtlich wirklich Schmerzen hatte. »Lasst mich mal sehen.« Schon war seine Stimme überraschend weich und samtig, beinahe besänftigend geschmeidig. Der Ausdruck von belustigter Überheblichkeit auf seinem Gesicht war verschwunden und hatte etwas ähnlichem wie Sorge Platz gemacht. Er streckte eine Hand in ihre Richtung aus, die Gwen allerdings in einer Überreaktion beiseite schlug. »Finger weg!« Dieser Kerl dachte wohl auch, er könnte mit ihr umspringen wie mit seinen Untergebenen - mal freundlich und dann wieder arrogant bis aufs Blut; Zuckerbrot und Peitsche. Das konnte er bei ihr aber gleich vergessen. »Nun seid nicht so biestig und stur.« konterte er seelenruhig und fing ihre Hand noch in der Bewegung ein, um diese neben ihrem Kopf an das Holz der Tür zu pinnen. Biestig?! Stur?! Gwen funkelte aufgebracht zu dem Prinzen hoch, der amüsiert auf sie herabgrinste und sich durch ihre drohenden Blicke offensichtlich kein Stück bedroht fühlte. Mit einer Sanftheit, die sie ihm gar nicht zugetraut hätte, zog er ihre andere Hand von ihrem Gesicht und neigte den Kopf ein wenig, um sich ihre Nase genauer zu betrachten. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er ihre Hand gar nicht losließ, sondern diese in seinen warmen, eleganten Fingern geborgen hielt; dieses elektrisierende Prickeln war wieder da - glitt Gwens Arm hinauf und breitete sich in ihrer Brust aus, woraufhin die wütende Anspannung nachließ und sie augenblicklich für die Tür im Rücken dankbar war, da Schwäche in ihre Beine kroch. Er war nah…viel zu nah. Sie konnte seinen reinen Duft einfangen, der durch kein Parfüm verfälscht war; sein Eigengeruch war betörend - der Hauch einer dunklen, würzigen Note schwang darin mit. Sie starrte regungslos zu ihm auf und konnte sich einmal mehr der fesselnden Anziehung seiner grünen Augen nicht entziehen; die Ähnlichkeit zu jenem Moment im Kerker wurde ihr bewusst. Nun löste er doch eine Hand von Gwen, aber nur, um ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigfinger zu fangen, damit er ihr Gesicht leicht wenden und in seinen Blick drehen konnte. »Es scheint nichts gebrochen zu sein…« raunte er beruhigend, bevor er sich ebenfalls bewusst zu werden schien, dass sie hier in einer sehr intimen Position verweilten; seine beiden Hände lagen an ihr und es fehlte wirklich nicht viel, da hätte seine Hüfte sie berührt, so nah stand er bereits bei ihr. Er zog die Brauen zusammen, wirkte für einen Moment beinahe irritiert, bevor er sie ruckartig losließ, als hätte er sich verbrannt. »Das nächste Mal solltet Ihr die Tür allerdings vorher wirklich öffnen.« riet er ihr in sachlich abgeklärtem Ton und wandte sich von ihr ab, um eine einfache Tunika aus dunklem Leder von einem Stuhl aufzulesen, wo jene schon bereitgelegen hatte. Gwen rieb sich probeweise mit einem Finger über den Nasenrücken, der sich glücklicherweise mit einem dumpfen Pochen zufrieden gab, während sie Loki missmutig hinterher sah. »Danke für den Rat, Eure Hoheit…« murrte sie spöttisch, obwohl sie diesen stichelnden Unterton aus ihrer Stimme eigentlich hatte heraushalten wollen. Loki schien es allerdings nicht zu stören; er schlüpfte in die Tunika und band diese mit einem goldfarbenen Gürtel, bevor er einen milde belustigten Blick über seine Schulter zu ihr zurück schickte. Allerdings schwieg er dazu. Er schritt zu einem mächtigen Schreibtisch hinüber, der die Mitte des Raumes beherrschte und ließ sich geschmeidig dahinter nieder. Dann zog er eine Kristallkaraffe zu sich heran, offenbar mit Wein gefüllt, denn die blutrote Flüssigkeit darin schimmerte im hereinfallenden Sonnenlicht. »Lasst mich gleich zu Anfang etwas grundlegendes klären…« begann er in einem Ton, der Gwen stark an ihren Chef erinnerte - autoritär, kühl und ausgesprochen impertinent. Sie entschied in diesem Augenblick, dass sie Männer - die Gespräche mit diesem Satz anfingen - wirklich nicht leiden konnte. Loki goss sich einen Schluck des Weines in ein feingliedriges Glas und schwenkte die Flüssigkeit für einen Augenblick versonnen, das Spiel der Lichtreflexionen betrachtend, bevor er sich ihr wieder zuwandte. »…ich stehe weder in Eurer Schuld, noch werde ich Euch dafür danken, dass Ihr Euch vor den Speer des Allvaters gestellt habt. Das war unendlich dumm und unüberlegt.« Sein Blick traf sie mit herablassender Gleichgültigkeit, eine schmale Braue leicht angehoben. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Die Königin hatte Gwen ja bereits davor gewarnt, dass ihr Sohn schwierig sein konnte; das allerdings erschien ihr im Moment wirklich maßlos untertrieben. Gwen hatte nicht wirklich seine ewige Dankbarkeit erwartet, aber diese Worte trafen sie dann doch irgendwie verletzend. Zumindest hatte sie gehofft, dass man die guten Absichten hinter ihrer Tat zumindest anerkennen würde. Allerdings war sie wohl wirklich dumm gewesen - so dumm anzunehmen, dass er ihrer Tat den gleichen Wert beimessen könnte wie sie der seinen. »Das wäre ja auch sicherlich unter Eurer Würde.« erwiderte sie provokativ und kam ein paar Schritte näher an den Tisch heran, da sie sich nicht weiterhin wie ein verschrecktes Kaninchen an die Tür drücken wollte. Loki sah ihr entgegen, doch die Höflichkeit, ihr einen Stuhl anzubieten, besaß er nicht. Also blieb Gwen stehen. »In der Tat. Das wäre es.« entgegnete er ungerührt und hob das Glas an seine Lippen, um einen winzigen Schluck zu kosten. Über den Rand hinweg behielt er sie weiterhin im Blick - lauernd, forschend. Er spielt mit mir, durchfuhr es Gwen. Sie würde ihm allerdings nicht die Genugtuung geben, auf seine herausfordernden Worte zu reagieren. Himmel, hatte sie wirklich irgendwann noch Mitgefühl für ihn und die Lüge seiner Abstammung empfunden? Hatte sie tatsächlich vor Odin um sein Leben gefleht? Der Kerl brauchte sicherlich vieles, aber ihr Mitgefühl ganz bestimmt nicht. Die Tage mit ihm konnten ja ein wahrer Spaß werden… »Wisst Ihr, selbst wenn Ihr Euch wie ein Ase kleidet, so seid Ihr doch noch lange kein Ase.« nahm Loki das Gespräch dann wieder auf und beäugte sie auf eine Weise, dass sich Gwen wie eine Ameise unter einer Lupe vorkam - die er mit einem Sonnenstrahl zu vernichten gedachte. Allerdings war sie aufmerksam genug, um diesen Funken von männlichem Interesse in seinen Augen zu erkennen, der flüchtig aufglomm, als er ihre Gestalt musterte, bevor die Maske des herablassenden Prinzen wieder perfekt auf seinem Gesicht saß. Da war der werte Herr wohl doch nicht so eiskalt und gleichgültig, wie er sie glauben machen wollte. Diese Erkenntnis sollte sie sich unbedingt bewahren. »Seid Ihr das dann nicht ebenso wenig?« waren Gwen die Worte bereits provokativ entschlüpft, bevor sie sich diese noch hatte verbeißen können. Sie hielt sich jedoch daraufhin zurück, die Unterlippe zwischen die Zähne zu ziehen, wie sie es so gern tat, wenn sie sich unsicher fühlte. Überraschend schnell hatte sie in die höfliche Anrede dieser Welt gefunden. Lokis Brauen schnellten in die Höhe und für einen Moment wirkte er tatsächlich überrascht, fast achtend ihres Mutes, bevor ein verächtliches, kühles Grinsen seine Lippen teilte. In seinen Augen lag kein Funke Wärme. »Selbst als Jotune habe ich hier noch mehr Einfluss und Macht als Ihr, schwache Sterbliche.« nahm er ihr jedoch gleich den Wind aus den Segeln und machte ihr abermals klar, wo ihr Platz als Mensch zu sein hatte - ganz weit unter ihm. »Man hat es Euch also erzählt.« Eine Feststellung, keine Frage. »Das hat man.« bestätigte Gwen wahrheitsgemäß, während sie sich Mühe gab, bloß nicht zu sehr über seine erniedrigenden Worte nachzudenken. »Was hat man Euch denn noch erzählt?« Er beugte sich nach vorn und betrachtete Gwen interessiert, nachdem er das Glas auf der Tischplatte abgestellt und das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt hatte. Leider nicht, dass Ihr ein ausgesprochen arroganter Kotzbrocken seid! Da konnte auch keine - zugegeben - äußerst ansprechende, äußere Hülle darüber hinweg täuschen. »Die Königin hat mich darüber aufgeklärt, dass Ihr vorhattet…« Gwen dachte kurz angestrengt nach. »…Jotunheim zu zerstören, nachdem Ihr erfahren musstet, dass Ihr wohl Dank Eurer Wurzeln nie auf dem Thron sitzen würdet. Daraufhin hat man Euch in diese Zelle gesteckt, um Euch Genügsamkeit zu lehren und Zeit zu geben, um über Eure maßlose Machtgier nachzudenken.« gab sie die Worte dann beinahe in gleichem, sachlichen Tonfall wieder, wie es die Königin getan hatte. Loki lachte humorlos auf. »Das hat sie Euch erzählt, ja? Tatsächlich…« Er schob das Weinglas zwischen zwei Fingern über den Tisch und Gwen bemerkte seine angespannten Knöchel, die sich spitz unter der blassen Haut seiner schlanken Hand erhoben. Es mutete beinahe an, als würde ihn etwas beschäftigen, fast wütend machen, denn er zog die Brauen kurz eng zusammen, sodass eine steile Falte zwischen ihnen entstand. Sein Grinsen wirkte noch um einige Spuren eisiger, während sich sein Blick in die Tischplatte vor ihm zu bohren schien. »Wie großzügig von der Königin, Euch mit der ganzen Wahrheit über meine Taten bekannt zu machen...« Es wirkte, als würde ihm noch etwas anderes auf der Zunge liegen, bevor er sich wohl besann und Gwen wieder scheinbar gelangweilt ins Auge fasste. »Wie heißt Ihr? Und diesmal Euren wahren Namen.« fügte er sogleich mit hochgezogener Braue warnend an. »Man hat es Euch also erzählt.« gebrauchte sie seine schlichten Worte von vorhin und erntete dafür ein knappes Schmunzeln des Prinzen. »Das hat man. Also?« »Gwendolyn Lewis.« beantwortete sie seine Frage dann; irgendwie fühlte es sich seltsam befreiend und angenehm an, ihren richtigen Namen in seiner Gegenwart nennen zu dürfen. »Gwendolyn…hm…« raunte er leise vor sich hin, während er sich gedankenverloren über sein schmales Kinn rieb, als müsste er seine Zunge erst an dieses Wort gewöhnen. Der seidige Klang ihres Namens aus seinem Mund gefiel ihr irgendwie. Dann leerte Loki in einem Ruck sein Glas und erhob sich entschlossen. »Wir werden jetzt einen kleinen Ausflug unternehmen, Gwendolyn.« »Werden wir das…?« murmelte sie misstrauisch und musterte ihn skeptisch, als er um den mächtigen Schreibtisch zu ihr herumkam. Ein Ausflug mit ihm? Klang ja wirklich verlockend… »Das werden wir in der Tat. Und die Zeit könnt Ihr nutzen, um mir von Euch zu berichten, da wir ja nun offensichtlich einige Zeit miteinander verbringen werden.« schlug er in einem Ton vor, der allerdings viel mehr einer Forderung glich - sonderlich begeistert wirkte er auch nicht bei der Aussicht auf die gemeinsame Zeit mit ihr. Allerdings beruhte das immer mehr auf Gegenseitigkeit. Ungerührt ging er an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. »Ihr habt mir Euren Namen nicht verraten.« wies sie auf dieses Versäumnis an seinen Rücken gewandt hin, was den Prinzen auf halbem Wege zur Tür in seinen Schritten innehalten ließ. »Den wisst Ihr doch bereits.« bemerkte er leicht gereizt, als wäre ihm diese Verzögerung in einem Plan - in welchen er Gwen natürlich nicht eingeweiht hatte - äußerst zuwider. »Trotzdem. Die Höflichkeit gebietet es, dass Ihr Euch ebenfalls vorstellt.« Beinahe trotzig blieb sie an Ort und Stelle stehen, um auf diesem Standpunkt zu beharren, falls es nötig sein sollte. Besser, er gewöhnte sich gleich daran, dass sie einen äußerst sturen Dickkopf an den Tag legen konnte und eben keine seiner Untergebenen war. Mensch hin oder her - sie war kein Fußabtreter. Er seufzte fast resigniert und atmete tief ein - und als Gwen schon fast nicht mehr damit rechnete, wandte er sich doch wieder zu ihr um. »Loki…Laufeyson.« Das kurze Zögern war kaum wahrnehmbar, aber doch vorhanden. Gwen trat daraufhin an ihn heran und streckte ihm die Hand entgegen, die der Prinz misstrauisch beäugte - oder angewidert, so genau konnte man das bei ihm nicht sagen. »Ein Ritual auf der Erde. Man reicht sich die Hände, wenn man sich vorstellt.« erklärte sie ihm sachlich. Loki stieß die Luft geringschätzig aus. »Ts, was für eine Geistesarmut und unnütze Handlung.« Allerdings ergriff er ihre Hand dann doch. Gwen konnte den Hauch von Freude über diesen Triumph nicht unterdrücken und hasste sich bereits sofort dafür. »Ich allerdings danke Euch.« sprach sie dann ehrlich aus und hielt seine Hand noch einen Moment länger fest; das Gefühl verstohlen genießend, was diese Berührung in ihr auslöste und sein Blick nicht minder, der sie intensiv und abschätzend in das Licht dieser fantastisch grünen Augen fasste. »Ich danke Euch, dass Ihr mich gerettet und in dieser Nacht nicht im Stich gelassen habt, obwohl Ihr es hättet tun können. Ich stehe in Eurer Schuld.« Egal, wie Loki die Sache sehen wollte, Gwen wusste, was sein Tun ihr bedeutete. Auch wenn er noch so arrogant war, wenn er auch noch so weit über ihr stehen sollte - er hatte ihr das Leben gerettet. Und sie war sich gewiss nicht zu fein dafür, dass selbst vor einem wie ihm anzuerkennen. Sollte er sich doch darüber lustig machen… »Ihr solltet jemanden wie mich niemals daran erinnern, dass Ihr eine Schuld zu begleichen habt.« erwiderte er nach einer Weile ungewöhnlich ernst, ihr beinahe schon abratend von ihren ehrlichen Ansprüchen an sich selbst. Dann ließ er ihre Hand los und wandte sich wieder ab, während Gwen noch nachdenklich seinen Rücken ansah, bevor sie sich ebenfalls in Bewegung setzte, um ihm zu folgen. Konnte man aus einem Mann wie ihm eigentlich jemals schlau werden? Kapitel 8: Auf dem Rücken der Pferde.... ---------------------------------------- Der geplante Ausflug des Prinzen würde sie also aus dem Gelände Gladsheims führen. Das konnte sich Gwen nun selbst zusammenreimen, als sie durch das schwere Eingangstor des Palastes schritt und die breiten, steinernen Treppen in den weitläufigen Vorhof hinabstieg, in welchem Loki bereits auf sie zu warten schien. Umringt von einem Trupp Palastwachen, die hoch zu Ross thronten und ihn argwöhnisch beäugten, stand der Prinz selbst ungerührt auf dem ausgedehnten Platz, der für die Pferde von Besuchern und Gästen des Allvaters angrenzende Stallungen beherbergte, selbst zwei wunderschöne, bereits gesattelte Hengste an den Zügeln halten, während er ihr mit ausdrucksloser Miene entgegen sah. Flüchtig schickte er einen Blick zum Himmel und schätzte blinzelnd den Stand der Sonne ein, dann hob er demonstrativ eine Augenbraue und verlagerte das Gewicht ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Er musste wohl einfach besonders betonen, dass es ihm zuwider war, auf sie warten zu müssen. Dabei war er es doch gewesen, der Gwen dazu angehalten hatte, sich in etwas anderes zu kleiden, da die geliehene Robe in seinen Augen - wie hatte er es genannt - äußerst „unzweckmäßig“ für ihr Vorhaben wäre. Wenn er sich gleich dazu entschlossen hätte ihr zu erklären, was er vorhatte oder wo er hinwollte, dann hätte die Kleiderauswahl auch sicher nicht so lange gedauert. Allerdings wollte der Herr ja lieber den undurchsichtigen, arroganten Prinzen spielen. Schön. Dann musste er eben auch warten. Glücklicherweise hatte sich Gwen mit einer einfachen, bequemen Lederhose und einem leichten Hemd ausstatten lassen; als sie jetzt die Pferde entdeckte war sie wirklich froh über ihre Weitsicht und hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft. Loki würde es ja gewiss nicht tun. Beschwingt nahm sie die letzten Stufen der breiten, langen Treppe und kam nicht umhin, ihrer Freude mit einem kleinen Lächeln Ausdruck zu verleihen. Die Aussicht, dem Palast und den Räumen darin entkommen zu können, etwas mehr von Asgard zu sehen, war doch recht verlockend, denn so schön Gladsheim auch sein mochte - sie war die letzten Tage eine Gefangene gewesen und darüber konnte sie auch die Behaglichkeit ihres Zimmers nicht hinwegtrösten. Überraschenderweise dachte sie in diesem Moment nicht einmal an ihren Job und die grandiose Story, die sie aus all dem hier ziehen könnte; weder der Allvater, noch die Königin hatten ihr zwar verboten, Informationen an die Erde zu tragen, doch Gwen selbst wollte das eigentlich überhaupt nicht mehr. Der Job war bedeutungslos geworden. Zu viel verband sie schon mit dieser Welt hier - ob nun die Ereignisse oder die Asen - irgendwie hatte sie sich zu einem Teil davon entwickelt und sie verspürte kein sonderliches Verlangen danach, ihre Karriere auf den Schultern dieser Welt zu erbauen. Ein unfreiwilliger Gast des Allvaters war sie zwar noch immer, aber zumindest wurde sie nicht mehr wie eine Schwerverbrechern behandelt - auch wenn dieses Privileg durch einen gewissen schwarzhaarigen Prinzen ein wenig gedämpft wurde. Nach den kühlen Schatten des Palastes empfing sie nun strahlender Sonnenschein und der warme Atem des Sommers, welcher sie mit dem süßen Duft der Freiheit einhüllte. Der großzügige Park, der den Vorhof des Palastes umgab, stand gerade in voller Blüte und leuchtete in satten Grüntönen gegen das intensive Blau des Himmels. Efeu rankte sich verspielt um marmorierte Säulen und Rosenbüsche warteten mit zauberhaften Knospen auf, die sich freudig der Sonne entgegenreckten. Gwen ging Loki und den beiden wartenden Hengsten entgegen, die ihre Köpfe wandten und sie aus klugen Augen musterten, bevor beide ein leises Schnauben von sich gaben. Wenn er nicht diesen ständig arroganten Zug um seine Mundwinkel getragen hätte, ohne diese hoheitliche Überheblichkeit auf seinem attraktiven Gesicht - Loki hätte wirklich wie ein Prinz aus einem Märchen wirken können, wie er da so stand mit den Pferden am Zügel und in dieser mittelalterlich angehauchten Aufmachung seiner Kleidung. Der Stoff und das Leder waren schlicht, aber edel und kleideten seine hochgewachsene Gestalt hervorragend; vermischten sich zu einer interessanten Kombination, die ihm erstklassig stand. Leider war er alles andere als der Traum von kleinen Mädchen… »Frauen scheinen tatsächlich ein anderes Zeitempfinden als Männer zu besitzen.« gab er ihr als Begrüßung kühl entgegen, bevor er Gwen schon die Zügel des schwarzen Hengstes zuwarf. »Ich sagte, Ihr solltet Euch etwas anderes anziehen und das möglichst schnell. Ich sagte nicht, dass ihr Euch beinahe einen ganzen Tag Zeit lassen solltet.« Das war ja wohl maßlos übertrieben. »Es wäre bestimmt schneller gegangen, wenn Ihr mir gesagt hättet, was Eurer Meinung nach denn angemessen für Euren Ausflug wäre.« entgegnete Gwen ihm empört. »Und überhaupt, es hat nur so lange gedauert, weil ich den Moment hinauszögern wollte, Euch wiedersehen zu müssen.« fügte sie mit grimmigem Blick auf Loki an, der beide Brauen missbilligend in die Höhe zog, bevor er sich mit einer geschmeidigen Bewegung in den Sattel seines Hengstes beförderte - ein wunderschönes Tier mit glänzendem weißen Fell und kräftigen Muskeln. Das Pferd tänzelte kurz auf der Stelle und schnaubte erregt, doch der Prinz brachte es mit einem gekonnten Zug am ledernen Zaumzeug zur Ruhe und klopfte dem Hengst anerkennend den schlanken Hals. »Euer Anblick ehrt meine Augen auch nicht gerade sonderlich. Selbst asische Kleidung bringt keinen Reiz an einen reizlosen Körper.« gab er ihr vom Rücken seines Pferdes beleidigend zurück und lenkte das Tier bewusst neben sie, um Gwen in aller Seelenruhe in Augenschein nehmen zu können. Also das war ja wohl die Höhe! Lügner! Sie hatte genau bemerkt, wie er sie vorhin gemustert hatte, als sie die Treppe herabgekommen war - einen Moment zu lange und zu intensiv, um wirklich abgeneigt sein zu können. Und obwohl sich Gwen bewusst war, dass sie vielleicht ein wenig zu klein und zierlich für eine Frau war, so hatte sie doch durchaus die richtigen Rundungen an den richtigen Stellen. Und das wusste sie auch. »Ach, ist das der Grund, warum Ihr mir gerade auf den Hintern starrt?« gab Gwen prompt über ihre Schulter zurück, wo der Prinz mit seinem Pferd stehen geblieben war. Sofort biss sie sich auf die Zunge - sie wusste nicht, ob ihre Worte der Wahrheit entsprachen, doch gerade eine Lüge würde ihn sicherlich auf die Palme bringen. Vielleicht sollte sie es mit ihrem Übermut nicht zu weit treiben; die Erzählung von Lokis Wahnsinnstat in Bezug auf Jotunheim kam ihr wieder in den Sinn. Vielleicht war es nicht wirklich sonderlich klug, ihm die Stirn bieten zu wollen… Die Wächter rundherum lachten unterdrückt im Schatten ihrer Helme; Lokis Züge verfinsterten sich augenblicklich und ein kühles Grinsen huschte über seine Lippen, bevor er an den Zügeln seines Pferdes zog und dieses ab von ihr lenkte. Er stieß zischend die Luft aus. »Ts, als ob es da etwas zu sehen gäbe…« meinte er höhnisch. »Nun steigt endlich auf Euer Pferd. Wenn Ihr überhaupt wisst, wie so etwas-« Noch bevor er den Satz beenden konnte, hatte Gwen einen Stiefel in den Steigbügel gestellt und war mit einem fließenden Ruck im Sattel gelandet. »Keine Sorge, ich weiß, wie man reitet. Ich sitze nicht zum ersten Mal auf einem Pferd, Eure Hoheit.« erklärte sie ihm mit ausreichend Genugtuung, da er wohl offensichtlich erwartet hatte, sie würde sich anstellen wie ein dummes Kleinkind - oder eben wie der schwächliche Mensch, für den er sie ja hielt. »Ein Problem weniger, mit dem ich mich belasten muss.« war seine gleichgültige Antwort darauf, bevor er seinen Hengst zum geöffneten Haupttor des Palasthofes lenkte. Der Trupp der Wache folgte ihm sofort und wandte die stämmigen Pferde, die ebenfalls wie die Männer in die Farben Asgards gehüllt waren. Natürlich. Ein bisschen Anerkennung von ihm wäre ja auch zu viel verlangt gewesen… Gwen seufzte, dann ließ sie ein Schnalzen der Zunge verlauten und gab ihrem Pferd mit sanftem Druck der Fersen die Richtung, um den Männern zu folgen. Die Stadt öffnete sich vor der Gruppe so eindrucksvoll und wunderschön, wie Gwen sie noch vom ersten Tag ihrer Ankunft in Erinnerung hatte. Die Häuser wuchsen hoch in den klaren, von Planeten und Monden übersäten Himmel; reich verziert waren die Fassaden mit goldenen Fresken und kunstvollen Balkonen sowie Terrassen. Gläserne Kuppeln wölbten sich über der Stadt wie schimmernde Perlen; riesige Statuen von mutigen Kriegern und behelmten Wächtern erhoben sich majestätisch über den Straßen und bewachten die Stadt aus starren, strengen Augen. Imposante Gebäude, wie die scharfen Segel eines Schiffes geformt, stachen in die zarten Wolken über Asgard wie der ungeduldige Seefahrer in sein geliebtes Meer; mächtige Bäume reckten ihre Äste schattenspendend über die Stadt, zu ihren Wurzeln flossen klare Bäche und vereinten sich hier und da zu traumhaften Seen und Teichen, an denen Asen spazieren gingen. Das Volk hatte ganze Arbeit geleistet, denn bereits jetzt - ein paar Tage später - waren die Spuren des zurückliegenden Angriffes beinahe vollständig verschwunden; die Asen trotzte diesem Ereignis entschieden und manches Mal war es wahrscheinlich die sicherste Methode, den Schmerz und die Angst zu überwinden, indem man das Zerstörte wieder aufbaute und die Kraft der Emotionen darin investierte, die nötige Normalität wiederherzustellen, um vergessen zu können. Die Hufe der Pferde klapperten auf dem Asphalt der Straße; das Geräusch war weithin zu vernehmen, hallend in den Gassen und zwischen hohen Mauern, sodass nicht wenige Köpfe sich neugierig nach der kleinen Gruppe umwandten. Mehrere vorwitzige Kinder stoben kichernd um die Pferde herum, während ihre Eltern sie mit mahnenden Worten wieder zurückbeorderten; einige ältere Asen blickten schweigend aus Fenstern und von Balkonen auf die Prozession und gerade Gwen war sich der vielen schaulustigen Blicke bewusst. Sie musste im Volk der Asen hervorstechen wie eine Birke zwischen Eichen; es war kaum zu übersehen, dass ihre Wurzeln nicht in Asgard lagen - überall ringsumher waren die Frauen und Männer außergewöhnlich schön und allesamt von hochgewachsener und athletischer Statur. Die Männer schienen nur so vor Kraft zu strotzen; ein jeder hier konnte gewiss eine mächtige Waffe ohne große Mühe führen und Gwen hätte es einigen durchaus zugetraut, ihr Pferd zu stemmen - mit ihr noch obendrauf. Ein Volk von Kriegern, das war nicht zu übersehen. Der Kampf musste einem jeden Asen im Blut liegen, ebenso wie die Waffe wahrscheinlich bereits in der Wiege als Ersatz für ein Plüschtier. Doch nicht nur Gwen stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; auch Loki wurde ebenso gemustert wie sie, allerdings waren die wenigsten Gesichter freundlich und gezeichnet von Begeisterung, wenn der Prinz ins Auge gefasst wurde. Irritierte und überraschte Blicke folgten ihm; manche der Leute wirkten regelrecht schockiert, fast ängstlich und andere überrascht, während einige Loki mit offener Abneigung hinterher sahen, bevor sich die Asen abwandten, um tuschelnd die Köpfe zusammenzustecken. Gwen sah selbst zu dem Prinzen hinüber, der ein paar Pferdelängen vor ihr ritt, um in seinen Zügen zu lesen, doch die Miene Lokis war ausdruckslos und kühl, sein Blick starr geradeausgerichtet. Entweder interessierte es ihn wirklich nicht, was die Blicke der Leute sprachen oder aber er war nur besonders gut darin, seine wahren Gefühle zu verbergen; Gwen hätte in diesem Augenblick zu gern gewusst, was in ihm vorging. Hatte der Allvater seinem Volk von den Verfehlungen seines Sohnes berichtet? Gwen konnte es sich fast nicht vorstellen, doch gewiss war es in Asgard nicht anders als auf der Erde auch - undichte Stellen gab es immer und bestimmt hatte auch Odin diese nicht alle schließen können; die Abstammung Lokis über die Jahre zu verschleiern war sicher so schon schwer genug gewesen. Wenn Gwen sich Thor in Erinnerung rief und Loki dagegen sah…nun, es gehörte nicht viel dazu, dass einem auffiel, wie gegensätzlich die beiden Brüder doch waren. Und das nicht einmal nur äußerlich - auch ihre Art hätte nicht unterschiedlicher sein können. Gwen musste bei Thor unweigerlich an die Sonne und den Tag denken; ein strahlend ehrliches und freundliches Gemüt mit einem warmen Lächeln und einer kräftigen Statur - ein geborener Held und Krieger. Loki dagegen war wie der Mond und die Nacht; ein verschlagener, geheimnisvoller Charakter mit hochmütig funkelnden Augen, einer hochgewachsenen, schlanken Gestalt und blasser Haut - ein Kämpfer mit dem Wort, Magier und Gelehrter. Selbst wenn das Volk nicht um seine Abstammung oder seine Verbrechen wusste; es hatte Augen im Kopf und Ohren ebenso - und Loki hatte sich bestimmt nie mit seinem Charakter sonderlich beliebt gemacht. Dessen war sich Gwen fast sicher. Nach einer ganzen Weile auf den Straßen der Stadt ließen sie die Häuser irgendwann hinter sich und Asgard lag vor ihnen mit saftigen Wiesen und dunkler, gesunder Erde; kleinere Bauernhäuser und Gutshöfe schmiegten sich an die Stadtmauern - sie ritten an Pferdekoppeln und blökenden Schafherden vorbei, an bestellten Feldern und bunten Obsthainen. Der Geruch von Weizen und frisch geschnittenem Gras lag in der Luft. Das Summen von Bienen und das fröhliche Zwitschern von Vögeln drangen an Gwens Ohr, als sie sich im Sattel ein wenig aufrichtete und genießend tief einatmete. Beinahe war es, als würde eine Last von ihr abfallen, etwas Altes von ihr zurückbleiben und einem neuen, frischen Gefühl Platz machen - die Kraft der Freiheit, der Natur, schien sie förmlich zu durchströmen und in jede Zelle zu dringen, während sie sich in diesem kostbaren Augenblick auf dem Rücken des Pferdes beinahe so lebendig fühlte wie selten zuvor in ihrem Leben. Diese Welt hatte wirklich etwas Magisches in sich; man konnte es regelrecht in der Luft spüren, in jedem dumpfen Hufschlag der Pferde, in jedem Windhauch und jedem Sonnenstrahl. Gwen musste kurz die Augen geschlossen haben, denn als sie jene nun blinzelnd wieder öffnete, wurde sie sich des Prinzen bewusst, der sie unverhohlen anstarrte. Er hatte sein Pferd ein wenig zurückfallen lassen, um nun neben ihr reiten zu können; ihre Schenkel berührten sich fast, so nah hatte er sein Pferd an das ihre herangelenkt. Die Männer der Palastwache hatten ihren Trupp inzwischen locker um sie verteilt und waren in leise Gespräche vertieft. »Woher könnt Ihr es?« richtete Loki das Wort an sie, unvermittelt und kühl wie immer. Seine Züge wirkten gelangweilt, doch seine grünen Augen blieben beharrlich auf ihr haften; ein Funke von Neugier in den faszinierenden Seelenkreisen. Gwen begriff nicht gleich, worauf er hinauswollte und sah ihn fragend an. »Bitte…ich verstehe nicht. Was meint Ihr?« »Reiten. Ihr meintet vorhin, Ihr würdet nicht zum ersten Mal im Sattel sitzen. Woher könnt Ihr es? Hat es Euch Euer Vater beigebracht?« Loki legte den Kopf leicht schräg und musterte sie intensiv, während er in einer beiläufigen Bewegung kurz beruhigend über den Hals seines Hengstes strich, der schnaubend den Kopf zurückgeworfen hatte; Gwen konnte die ungestüme Energie in dem Tier regelrecht fühlen - dieses Pferd war für den Galopp über weite Wiesen und Felder gemacht, nicht für gemächliche, sittsame Ausritte. Der Hengst des Prinzen war ein stürmischer, wilder Geist - eine beinahe seltsame Wahl für einen Mann wie ihn. Oder vielleicht doch nicht…? »Oh, das meint Ihr. Naja, also mein Vater hat es mir nicht direkt beigebracht. Meine Eltern haben mir aber in den Ferien früher oft das Reiten auf einem nahen Gestüt ermöglicht. Ich habe mir die Reitstunden selbst finanziert, indem ich beim Ausmisten und Pflegen der Tiere geholfen habe. Meine Eltern hatten nie so viel Geld, wisst Ihr.« Diese Tatsache hatte Gwen nie gestört und tat es auch jetzt noch nicht - nicht einmal im Beisein eines Prinzen, der zwischen Luxus und Prunk aufgewachsen und dieses sicher gewohnt war wie das Atmen. Ihrer Meinung nach gab es Wichtigeres im Leben als einen Haufen Geld. »Gold ist nicht alles.« erklärte Loki überraschend, aber sachlich; er hatte ihr aufmerksam zugehört, nun zog er die Brauen fragend zusammen. »Was sind Ferien?« Sein ungewohntes, plötzliches Interesse war irgendwie komisch und Gwen begann sich zunehmend seltsam unter seinem durchdringenden Blick zu fühlen; unruhig strich sie sich eine Strähne ihres Haares hinters Ohr, welches sie zweckmäßig zu einem lockeren Zopf gebunden hatte. Loki verfolgte ihre Geste mit den Augen. »Ferien, nun…das ist quasi Freizeit vom Lernen und Studieren. Eine Auszeit für Lehrer und Schüler gleichermaßen.« Er hob skeptisch eine Braue. »So etwas gibt es? Auszeit vom Lernen?« Gwen sah nun direkt zu ihm hinüber, ließ sich jedoch gleichzeitig ein wenig nach vorn sinken, um ihrem Hengst ebenfalls besänftigend durch die kräftige Mähne zu streichen, der sich von der ungezügelten Lust auf Freiheit von Lokis Pferd hatte anstecken lassen und nun unruhig tänzelte. »Natürlich. Man braucht doch auch Zeit, um seinen Hobbys und Interessen nachzugehen, sich mit Freunden zu treffen und ein wenig vom Lernen zu entspannen. Den Kopf frei zu bekommen.« erklärte sie dem Prinzen mit einem leichten Lächeln. »Ich brauchte diese Auszeit nie.« erklärte er ihr süffisant. »Das Studieren und Lernen steht stets an erster Stelle, wenn man etwas erreichen will. Alles andere ist unwichtig.« Gwen runzelte die Stirn über seine Worte und musterte sein Profil, da er den Blick wieder nach vorn gewandt hatte; er sprach so sicher von dieser Tatsache und doch fragte sie sich sofort, wen er mit diesen Worten eigentlich überzeugen wollte; sie oder sich selbst? War da nicht ein Funke Wehmut in seinen Worten? Der Hauch von Sehnsucht in den scharfkantigen Zügen des Prinzen? »Habt Ihr denn keine Freunde? Gar keine Interessen neben Euren vielen Büchern und der Magie? Etwas, was Euch Spaß macht…« Sein schneidender Blick brachte sie abrupt wieder zum Schweigen. »Sehe ich aus, als bräuchte ich solch belanglose Dinge wie ihr Menschen!?« fuhr er sie an und spuckte das letzte Wort wie eine Beleidigung aus. Doch Gwen zuckte nicht zurück; sie erkannte eine seltsame Verletzlichkeit in diesem Moment hinter seiner eiskalten, arroganten Fassade, die er sich wie einen Schutzpanzer um seine hoheitliche Gestalt gelegt hatte; er hüllte sich in Einsamkeit wie andere in einen wärmenden Mantel. Er mochte vielleicht aller Welt glauben machen wollen, dass er ein gefühlloser, überheblicher Mistkerl war und selbst Gwen kaufte ihm das durchaus ab, allerdings hatte sie bereits einen Blick hinter diese Maske geworfen; in jenem Augenblick im Kerker des Allvaters, als sie Loki das erste Mal gesehen hatte - als er verletzlich und ungeschützt gewesen war, geschwächt durch die lange Gefangenschaft in seiner Zelle. Sie wollte die Empfindung noch unterdrücken, doch Mitgefühl wallte in ihr auf wie ein frisch entzündetes Feuer und ließ abermals den unbändigen Drang in ihr erwachen, Loki berühren zu müssen; ihm Wärme zu schenken, wo bisher nur Eis und Kälte regiert hatte - sie löste eine Hand von den Zügeln ihres Pferdes und streckte diese in Richtung des Prinzen, bevor sie sich überhaupt so richtig bewusst wurde, was sie da eigentlich tat. Allerdings stoppte Loki ihre Bewegung und hielt ihre Finger kurz vor seiner Wange mit der eigenen Hand auf, indem er ihr Gelenk umfing - ruckartig, jedoch nicht grob. »Was tut Ihr da?« Er sah zuerst ihre Finger misstrauisch an, bevor er Gwen argwöhnisch musterte. Ja, das war eine wirklich gute Frage… Was zur Hölle tat sie da? Sie musste wirklich aufpassen, dass dieser Mann sie nicht noch völlig aus der Fassung bringen würde; auf der einen Seite wollte sie ihn für seine Arroganz und Unfreundlichkeit hassen, sollte ihn fürchten wegen seiner Abstammung und Vergangenheit - doch auf der anderen Seite hatte Loki etwas unheimlich magisches an sich, was sie lockte wie die Motte zum Licht, immer und immer wieder, wie ein Strudel, der sie langsam aber sicher in seinen Bann zog und aus dessen Zauber sie sich immer schwerer würde befreien können. Gwen durfte nicht vergessen, warum sie eigentlich noch hier in Asgard war. Und vor allem durfte sie nicht vergessen, wer Loki war. »Ihr…ein Blatt…hatte sich in Eurem Haar verfangen…« erwiderte sie schwach, die Stimme zum Ende hin immer mehr abfallend, als würde sie sich der eigenen Unglaubwürdigkeit ihrer Worte bewusst. Gwen war noch nie eine sonderlich gute Lügnerin gewesen; ein Wunder, dass man ihre falsche Identität nicht sofort bei ihrer Ankunft hier enthüllt hatte. Und nun stand sie auch noch jemanden gegenüber, der Lügen wahrscheinlich eine Meile gegen den Wind riechen konnte - nicht umsonst war Loki wohl zu seinem Beinamen „Gott der Lügen“ gekommen. Seine Brauen ruckten auch äußerst zweiflerisch in die Höhe, während sich sein Blick förmlich in den ihren bohrte; Gwen musste wegsehen und entdeckte einen der silbernen Ringe an Loki Handgelenk, da sein Hemd um ein Stück verrutscht war, als er ihre Hand ergriffen hatte. »Was ist das?« lenkte sie das Thema neugierig auf das schimmernde Schmuckstück, äußerst froh darüber, etwas gefunden zu haben, was die Aufmerksamkeit von ihrer Person abziehen würde. Loki folgte ihrem Blick zu seinem Handgelenk und dem filigranen Gebilde daran; er ließ Gwens Hand wieder los und senkte den Arm, um den Stoff wieder bedeckend über das seltsame Schmuckstück zu schieben. »Fesseln.« erwiderte er dann kühl. Gwen wollte bereits zu den nächsten Worten ansetzen, doch der Prinz musste ihr Luftholen längst gehört haben, denn er kam ihr zuvor: »Sie sollen meine Magie bannen.« beantwortete er ihre ungestellte Frage. Sein Gesicht war wieder auf den Weg vor ihnen gerichtet, doch sein scharfer Blick weilte aus den Augenwinkeln auf Gwen. »Das im Kerker…als Ihr einfach verschwunden seid…das war Magie, nicht wahr? Ein Trugbild von Euch.« Sie hatte die Brauen nachdenklich zusammengezogen und strich wieder durch die weiche Mähne ihres Hengstes, den Blick kurz gesenkt, bevor sie Loki wieder ansah. Gwen musste sich das erst noch einmal richtig bewusst machen - Loki war ein Magier; nicht nur ein guter Spieler und geübter Techniker, der allein durch Augenwischerei den Menschen Zauber vorgaukeln konnte, nein, dieser Mann besaß tatsächlich Kräfte jenseits ihres Vorstellungsvermögens. Obwohl die Menschen seit dem Angriff vor zwei Jahren auf New York viele neue Wahrheiten akzeptieren mussten, so war doch manches selbst nach dieser Zeit noch immer schwer zu glauben; zu phantastisch, wie die Dinge aus Büchern über Drachen und geheime Königreiche, um sie sich in der realen Welt vorstellen zu können. »Das habt Ihr gut erkannt.« entgegnete er auf eine Weise, die jeglichen Ton von Anerkennung allerdings vermissen ließ. Wahrscheinlich war es für ihn auch keine Besonderheit - er war mit der Magie immerhin aufgewachsen. »Eine kleine Illusion. Kaum der Rede wert.« »Ihr müsst wirklich sehr begabt und mächtig sein, wenn sie Euch nicht ohne diese Fesseln in die Freiheit entlassen…« mutmaßte Gwen achtend, während sie erneut einen Blick auf den silbernen Ring an seinem Handgelenk warf, welcher das Sonnenlicht schimmernd reflektierte. Loki lachte humorlos auf. »Es hat wohl weniger mit Macht zu tun als vielmehr mit Angst. Sie fürchten mich, nicht meine Magie. Würdet Ihr einen Verrückten ungesichert durch Euer Haus wandeln lassen, der Euch die Kehle durchschneiden könnte, ohne sich dafür auch nur einen Schritt bewegen zu müssen?« Er sah sie ungerührt an und schien ihre Reaktionen genauestens zu studieren. Gwen weitete die Augen merklich und musste schlucken, während ihr Blick von seinem Handgelenk zu seinem Gesicht schoss; in seinen grünen Augen sah sie keinen Funken Gefühl, allein seine Mundwinkel zuckten spöttisch. Ein Schauder lief ihr über den Rücken und trotz der warmen Sommerluft fröstelte sie kurz. »Nein. Wahrscheinlich nicht.« räumte sie leise ein und senkte den Blick wieder auf das Leder in ihren Händen. »Doch so seid ihr nicht.« fügte sie bestimmt an. Obwohl Loki diese Worte gleichgültig und nüchtern gesprochen hatte - Gwen konnte sich den Prinzen einfach nicht als so eiskalt und grausam vorstellen; vielleicht war er verbittert und verletzt, vielleicht wohnte sogar die Saat des Wahnsinns in ihm, doch so böse und brutal, wie er sie von sich glauben machen wollte, war er nicht. Vielleicht war es Dummheit, diesem Glauben nachzuhängen, doch irgendetwas in ihr bestätigte sie darin, dass sie Recht hatte. Vielleicht wollte sie aber auch einfach nur die Augen vor der Wahrheit verschließen. Er schnaubte leise und spöttisch. »Wollt Ihr Euch anmaßen über mich zu urteilen? Ihr kennt mich überhaupt nicht.« Die gewohnte Bissigkeit der Worte blieb aus und Gwen hob den Blick erstaunt wieder; Loki sah geradeaus, eine ernste, starre Statue, in deren Zügen wieder einmal nichts zu lesen war. Allein der warme Wind in seinem Haar vermittelte das Gefühl von Lebendigkeit und brachte jenes verspielt durcheinander. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her, bevor Loki unvermittelt wieder das Wort ergriff. »Wie gut könnt Ihr reiten?« fragte er sie. Gwen musterte ihn verunsichert aus dem Augenwinkel und antwortete dann vorsichtig: »Ganz passabel, jedenfalls meiner Meinung nach. Zumindest so gut, dass ich nicht sofort aus dem Sattel falle, wenn das Tempo etwas schneller wird.« »Gut.« Loki zupfte leicht an den Zügeln seines Pferdes und lenkte den Hengst wieder ein Stück fort von Gwen. »Was haltet Ihr von einem Wettrennen?« schlug er plötzlich und überraschend vor, während er Gwen von der Seite gespannt musterte. »Bis zum Waldesrand.« Seine Hand deutete vage in die benannte Richtung. Sie hätte sicherlich mit vielem gerechnet, aber damit nun doch überhaupt nicht. »Was? Ihr meint…mit den Pferden…?« Verdutzt sah Gwen den Prinzen an und wartete irgendwie noch auf den Moment, indem sich seine Lippen zu einem höhnischen Grinsen teilen würden, um die Reihen perfekter, weißer Zähne zu enthüllen. »Ihr könnt natürlich auch versuchen zu Fuß mitzuhalten, allerdings solltet Ihr Euch dann keine besonders großen Siegeschancen ausmalen.« erklärte er ihr mit kühler Ernsthaftigkeit, allerdings entging Gwen nicht, dass seine Mundwinkel auf ehrliche Weise amüsiert in die Höhe zuckten; das kurze, flüchtige Aufblitzen einer wahrhaften Emotion - der Hauch einer Ahnung auf den Mann hinter der Maske. »Gut. Okay.« meinte Gwen dann beherzt und packte die Zügel ihres Pferdes fester. »Worum reiten wir?« Loki hob wieder eine seiner schmalen Brauen. »Um die Ehre natürlich.« erklärte er ihr überzeugt. Gwen schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ein Einsatz. So kenne ich das von der Erde.« entgegnete sie ihm entschlossen. »Jeder verlangt einen Wetteinsatz.« Der Prinz schöpfte tief nach Atem und verdrehte die Augen auf beinahe entnervte Weise zum Himmel. »Ihr mit Euren sonderlichen Gewohnheiten auf Midgard…« Dann zog er die Stirn nachdenklich in Falten, bevor er Gwen wieder ansah. »Schön. Wenn ich gewinne, werdet Ihr mir in all Eurer Zeit auf Asgard nie widersprechen, all meinen Anweisungen ohne zu zögern Folge leisten und diese mit keinem Wort in Frage stellen.« schlug er mit süffisantem Grinsen vor und amüsierte sich wohl köstlich über ihren entrüsteten Gesichtsausdruck. »Das könnte Euch wohl so passen.« murmelte Gwen ärgerlich. In diesem Punkt unterschied sich der Prinz wohl nicht sonderlich von den Männern der Erde - wahrscheinlich waren die Männer aller Welten im Grunde ihres Herzens unverschämte Mistkerle, die eine Frau am liebsten einfach hatten - schweigsam, gehorsam, genügsam. »Aber gut, ich nehme an. Allerdings…wenn ich gewinne, dann werdet Ihr mir erklären, wie sie funktioniert - Eure Magie. Ihr werdet mir erzählen, wie Ihr dazu kamt, wo Ihr es gelernt habt und wie Ihr Eure Zauber wirkt.« verlangte Gwen daraufhin mit entschlossen gehobenem Kinn und sah Loki kämpferisch an. Mit etwas anderem würde sie sich nicht zufrieden geben. Loki erwiderte ihren Blick mehr als misstrauisch, beinahe schon irritiert. »Warum solltet Ihr das wissen wollen?« hinterfragte er kritisch. »Weil es mich interessiert. Ich finde es faszinierend. Außerdem bin ich neugierig.« gab sie ihm prompt zurück. Ihm schien es ja beinahe unbegreiflich, fast schon eine komplett abwegige Vorstellung zu sein, dass sich jemand für ihn und sein Tun interessieren könnte. Der Prinz sah sie noch eine Weile forschend an, dann nickte er knapp. »Gut.« »Und…« Gwen löste eine Hand von ihren Zügeln und stieß einen Zeigefinger in seine Richtung, allerdings ohne ihn zu berühren. Beschwörend blickte sie zu Loki auf. »…Ihr werdet anerkennen, dass Ihr in meiner Schuld steht.« fügte sie mit einem kühlen Lächeln hinzu. Er schnaubte aufgebracht. Seine Brauen zogen sich auf abwehrende Weise zusammen, sodass wieder diese steile, tiefe Falte zwischen ihnen entstand, die Gwen am liebsten mit dem Finger geglättet hätte. »Niemals!« stieß er heftig aus. »Nun, dann solltet Ihr besser nicht verlieren, Eure Hoheit.« Bevor der Prinz daraufhin noch etwas erwidern konnte, drückte Gwen ihrem Pferd die Fersen urplötzlich in die Flanken und trieb dieses somit vorwärts - begeistert kam der Hengst ihrer Aufforderung nach und schoss ungestüm nach vorn und aus der Gruppe der Reiter; Gwen lehnte sich nach vorn und genoss den plötzlichen Rausch der Geschwindigkeit mit einem Lachen. Hinter sich vernahm sie die aufgeregten Rufe der Wächter, die ihre eigenen Pferde sogleich in den Galopp zwangen - und sie hörte das Schnauben von Lokis Pferd, welches hinter ihr herjagte. Die Hufe der beiden Hengste donnerten tosend über die Ebene und wirbelten die Erde auf; ein jeder kraftvolle Schwung wie der eigene, rasende Puls in den Venen, sodass es sich beinahe anfühlte, als würde Gwen eins werden mit ihrem Pferd - der Herzschlag des Tieres übertrug sich in ihre Knochen und ließ sie erbeben. Der Wind schlug ihr schneidend ins Gesicht und riss an ihren Haaren, doch das Lachen auf ihren Lippen ließ sich nicht wegwischen. Entschlossen umklammerte sie die Zügel und spornte ihren Hengst zu noch höherem Tempo an, der ihren Weisungen eifrig nachkam und mit einem Wiehern noch an Tempo zulegte. Über die Schulter warf sie einen kurzen Blick zurück und entdeckte den Prinzen, der ihr verbissen folgte und immer mehr aufholte. In seinen Augen zeigte sich das gleiche begeisterte Funkeln wie in jenen seines Pferdes und in diesem Moment, als sie beide in rasender Geschwindigkeit über die Ebene jagten, da schienen seine Masken und Mauern zu bröckeln und den Blick auf den wahren Loki zu gewähren; auf einen Mann, der durchaus für etwas Begeisterung aufbringen konnte und alles andere als innerlich erkaltet war. Das Feuer in seinem Blick war nicht zu übersehen, sein Körper befand sich in völligem Einklang mit den kraftvollen Bewegungen seines Hengstes; die erhabene Gestalt Lokis auf dem majestätischen Tier ein anziehendes Bild aus Geschmeidigkeit und Stärke, Wildheit und Leidenschaft. Gwen wurde bewusst, dass der Prinz durchaus das richtige Pferd für sich gewählt hatte - beide verschmolzen auf eine so einzigartig feurige Weise miteinander, dass sie sich regelrecht zwingen musste, den Blick abzuwenden und das eigene Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Beinahe gleichauf preschten die Pferde dem Waldrand entgegen; beide Reiter warfen sich immer wieder herausfordernde Blicke zu und spornten sich gegenseitig zu noch mehr Tempo an, während durch Gwens Adern der Rausch der grenzenlosen Möglichkeiten pulsierte. Der Atem der Freiheit blies ihnen entgegen, das Donnern der Hufe war wie das entfernte Grollen eines Gewitters; gefährlich und betörend zugleich. Die ganze Welt schien sich vor ihnen zu öffnen - ein unbeschreiblicher Moment, in welchem alles möglich schien und Vergangenheit sowie Zukunft unwichtig wurden; schrumpften auf diesen einen Augenblick der Gegenwart, in dem nur noch der eigene dröhnende Herzschlag, die eigenen angespannten Muskeln zählten. Gwen hatte ganz vergessen, wie überwältigend so ein rasend schneller Ritt sein konnte; wie nah man sich dem Himmel und dem Fliegen fühlen durfte, wenn man auf dem Rücken eines Pferdes saß. Loki genoss dieses Gefühl ebenso, dass war kaum zu übersehen; nach der langen Gefangenschaft in dieser eintönigen Zelle musste dieser Moment hier eine wahre Offenbarung, ein Hochgenuss für ihn sein. Gwen stoppte ihren schnaubenden Hengst kurz vor dem Rand des Waldes und sah dem Prinzen äußerst selbstzufrieden entgegen, als dieser fast zeitgleich mit ihr am Ziel ankam - aber eben nur fast; ihr Pferd hatte mit einer Nasenlänge die Führung übernommen. »Es sieht so aus, als hätte ich gewonnen.« merkte sie betont sachlich an. Loki hielt neben ihr und klopfte dem schnaufenden Hengst lobend den schweißnassen Hals. »Nur, weil Ihr betrogen habt. Ihr seid zu früh gestartet.« widersprach er ihr geringschätzig und mit zurechtweisender Miene. Sie lehnte sich schmunzelnd zu ihm hinüber und wisperte: »Ihr habt recht. Aber ich wusste, ich würde sonst wohl keinen Erfolg gegen Euch haben. Außerdem habt Ihr nicht gesagt, dass mogeln verboten wäre.« Gwen lächelte verhalten zu ihm hinauf und Loki blickte nun mit fast amüsierter Anerkennung auf sie herab; über das Schnauben ihrer erhitzten Pferde hinweg sahen sie sich fast einen Moment zu lang in die Augen, verflochten ihre Blicke in einem erneut magischen Moment zwischen ihnen, der aus der Hitze des Rittes und dem Rausch der Geschwindigkeit entsprungen war. Der Augenblick wurde jäh unterbrochen, als die trampelnden Hufe der Palastwache hinter ihnen laut wurden; die Pferde der Wächter hatten kaum eine Chance gegen ihre Hengste gehabt - stämmig waren sie hervorragend geeignet für die Schlacht, jedoch nicht für schnelle Geschwindigkeiten. Einer der Männer wandte die donnernde Stimme an den Prinzen, der daraufhin fast erzürnt den Blick von Gwen abzog, um sich mit dem Mann auseinanderzusetzen. Sie erwischte sich dabei, wie sie diese Störung durchaus bedauerte. Und das sollte sie eigentlich nicht. Das sollte sie ganz und gar nicht. Nachdem der Prinz die aufgebrachten Wächter beruhigen konnte, stiegen er und Gwen von ihren Pferden und sie banden die beiden Hengste an einen nahen Baum, wo sich die Tiere geschützt vor der Sonne ausruhen und ausreichend grasen konnten. Loki gab Gwen daraufhin mit einem Wink zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte; neugierig kam sie der Weisung nach und betrat hinter dem Prinzen den Wald, der sie mit schattiger Kühle empfing - eine himmlische Wohltat nach diesem aufregenden Ausritt. Goldene, verirrte Sprenkel von Sonnenlicht fielen durch das dichte Astwerk über ihnen und tanzten über Blätter und Gräser, sowie das Moos und die zarten Blumen auf dem Waldboden; ein frischer, erdiger Geruch lag in der Luft neben dem Rauschen des tiefgrünen Blättermeeres und den vereinzelten, klangvollen Singstimmen von einigen Vögeln. Die friedliche Ruhe wurde nur durch das Stapfen und Klirren der Palastwache gestört, die weniger umsichtig durch das Unterholz brach als Loki, der sich beinahe leichtfüßig durch das dichte Grün bewegte und überraschend zuvorkommen für Gwen den Weg ebnete, indem er ihr einige Äste und kleinere Büsche aus dem Weg hielt. »Wohin gehen wir eigentlich?« richtete sie das Wort nach einer Weile leise an seinen Rücken. »Das werdet Ihr gleich sehen.« gab er knapp zurück und verschwand vor ihr hinter dem mächtigen Stamm eines Baumes. Gwen folgte ihm bestimmt und trat neben Loki auf eine kleine Lichtung, die allerdings nicht durch einen natürlichen Ursprung entstanden schien; vor ihnen öffnete sich der Wald durch gebrochene Stämme und Äste, die ein schwarzes, bekanntes Gebilde auf seinem Sinkflug förmlich niedergemäht hatte. In einiger Entfernung erkannte Gwen eines dieser kleineren Raumschiffe, die Asgard angegriffen hatten; es schien in noch ganz intaktem Zustand zu sein, nicht ausgebrannt oder in einem Feuerball explodiert wie die anderen, die über der Stadt abgestürzt waren. »Das Ziel unseres Ausfluges. Vielleicht finden wir hier ein paar Anhaltspunkte auf unsere nächtlichen Besucher, um zu offenbaren, wer Asgards neue Feinde sind.« erklärte Loki; er sah sich äußerst aufmerksam um und behielt die Umgebung kritisch im Blick, bevor er sich dem abgestürzten Schiff näherte. Der Trupp der Palastwache trat hinter ihnen geräuschvoll aus dem Unterholz und scheuchte damit eine Gruppe Vögel in der Nähe auf, die sich zwitschernd und mit lauten Flügelschlägen in die Luft erhoben; der Prinz wirbelte herum, den Männern mit zornigen Gesten bedeutend, dass sie leise sein sollen. Verständnislos sahen ihn die Wächter an. »Du meine Güte, ich bin von unfähigen Idioten umgeben…« bemerkte Loki mit einem resignierten Kopfschütteln. Gwen sah den Prinzen von der Seite missmutig an. »Ich hoffe, mich schließt das nicht auch ein…« Loki seufzte. »Seid nicht albern. Habt Ihr Euch aufgeführt wie ein trampelndes Bilgenschwein? Nein. Also...« Er wollte sich wieder umwenden und die Wächter ihm dementsprechend folgen, als Loki abermals zu den Männern herumfuhr und ihnen mit der ausgestreckten Hand zu verstehen gab, dass sie auf Abstand bleiben mögen. »Ihr werdet mir nicht folgen. Ihr bewegt euch ungeschickter als ein junger Welpe, der mit den eigenen Beinen noch nicht umzugehen weiß. Euer Getöse raubt mir den letzten Rest Verstand und stört meine Konzentration, ganz zu schweigen davon, dass wahrscheinlicher jeder Waldbewohner im Umkreis von Meilen inzwischen von unserer Anwesenheit in Kenntnis gesetzt wurde…« zischte der Prinz finster. Einer der Wächter löste sich aus der kleinen Gruppe und trat vor Loki, den Speer entschlossen in der Hand, das behelmte Haupt stolz und grimmig erhoben. »Der Allvater gab uns den Befehl-« »Ich weiß, was euch der Allvater befahl.« unterbrach Loki den Mann unwirsch. »Allerdings ist Odin jetzt nicht hier und ich sage euch, dass ihr mir nicht folgen werdet. Bleibt hier und wartet. Ruht euch aus. Tut was ihr wollt. Aber verhaltet euch leise. Heimdalls Blick wird wohl im Moment ausreichen, um mich im Auge zu behalten. Und ihr wollt ja wohl nicht andeuten, dass der allsehende Hüter seine Aufgaben nicht gewissenhaft verfolgt?« hinterfragte der Prinz seelenruhig, jedoch mit der Schärfe drohender Verleumdung in der samtigen Stimme. Die Männer der Wache wechselten unsichere Blicke und wirkten unschlüssig, bevor der Sprecher ein nachgiebiges »Nein, Herr.« raunte. Dann gab er seinen Männer mit einem Wink zu verstehen, dass sie zurückbleiben sollten. Loki schritt daraufhin wieder in Richtung des still daliegenden Raumschiffes und Gwen folgte ihm leise; doch der Prinz bemerkte sie durchaus und warf ihr einen knappen Blick über die Schulter zu, ohne im Gehen innezuhalten. »Diese Weisung gilt für Euch ebenso, Weib.« ermahnte er sie mit hochgezogener Braue. Weib!? Und Gwen hatte tatsächlich gedacht, dass sie über diese urtümliche Bezeichnung endlich hinaus wären. Tja, da hatte sie sich wohl getäuscht… Sie hob das Kinn störrisch. »Ich bin nicht einer dieser Männer, die Ihr nach Belieben herumscheuchen könnt.« Außerdem hatte sie wirklich keine Lust wie ein unnützes und lästiges Kind hier warten zu müssen; sie war ebenso neugierig auf dieses Raumschiff und auf die Geheimnisse, die es wohl enthüllen könnte. »Vielleicht kann ich Euch helfen. Vier Augen sehen immerhin mehr als zwei.« Loki holte tief Luft und wandte sich zu Gwen um, woraufhin diese stoppte, um nicht in den Prinzen hineinzulaufen. »Vielleicht könntet Ihr mir aber auch im Weg sein oder Euch in Gefahr bringen. Ich habe keine Lust Euren Aufpasser spielen zu müssen. Ich weiß nicht, was ich in diesem Ding vorfinden werde und es wäre für alle Beteiligten sicherer, wenn Ihr einfach hier draußen warten würdet.« sprach er mit Nachdruck, während sie seine grünen Augen eindringlich ansahen. Vielleicht lag ein Fünkchen Wahrheit in seinen Worten, allerdings widerstrebte es Gwen doch sehr, dass eingestehen zu müssen. Wenn sie etwas hasste, dann war es das Gefühl, nutzlos zu sein. Sie wollte ebenso aufklären, wer für den Angriff auf Asgard verantwortlich war; die Gewohnheiten ihres Berufes und daraus resultierender Eifer waren eben nicht so einfach abzustellen. Allerdings hatte Loki wohl Recht. In einer gefährlichen Situation würde sie ihm wohl mehr Last als Hilfe sein. Gwen verschränkte die Arme unzufrieden vor der Brust, bevor sie mit einem resignierten Seufzen einlenkte. »Gut. Schön. Ich warte hier draußen. Und versuche nicht allzu viele Grashalme umzuknicken.« murrte sie spöttisch. Ein Mundwinkel des Prinzen zuckte flüchtig in die Höhe, dann hatte er sich auch schon umgedreht und war zu dem abgestürzten Schiff hinübergelaufen; dieses umrundete er rasch, eine schlanke Hand an die schwarze Außenhülle gelegt, um wohl einen Durchlass nach drinnen zu finden. Im nächsten Augenblick war er in dem Schiff verschwunden, was trotz der äußerlichen Schäden noch immer bedrohlich und so seltsam fremd in diesem friedlichen und sattem Grün umher wirkte - verschluckt wie die Maus vom gierigen Maul der Katze. Der Vergleich gefiel Gwen irgendwie nicht. Sie hoffte, dass Loki vorsichtig sein würde. Und vor allem bald wiederkäme. Unschlüssig sah sie sich um, bevor sie sich auf einen flachen, von der Sonne gewärmten Stein in der Nähe neiderließ; gebannt starrte sie das beschädigte Raumschiff an und wartete darauf, dass sich irgendetwas tun würde - doch es blieb still, zumindest bis auf das Zwitschern der Vögel umher und das entfernte Wispern der Palastwächter, die in einiger Entfernung an Bäume gelehnt oder im Gras sitzend auf die Rückkehr des Prinzen warteten. Gwen seufzte und schlug die Beine übereinander, dann stützte sie das Kinn gelangweilt in eine Handfläche und starrte eine Weile so vor sich hin, bis sie das Rascheln der Grashalme hinter sich aufmerksam werden ließ. Loki trat in das düstere Innere des Schiffes ein und fühlte sich sogleich verschlungen von der vorherrschenden Finsternis; nach dem hellen Sonnenschein benötigten seine Augen eine Weile, um sich an das Dunkel zu gewöhnen. Das Licht von draußen, welches durch die Öffnung drang, die er entdeckt hatte, reichte kaum ein paar Schritte ins Innere des Schiffes und verlor sich bereits vor den Spitzen seiner Stiefel in schwarzer Unendlichkeit. Loki tastete nach einem der Beutel an seinem Gürtel und griff in diesen hinein, um einen spitz geschliffenen Kristall herauszuziehen; ein knappes Wort der Magie und der Stein begann in seiner Hand zu schimmern - anfänglich schwach, bis sich das Flackern gelegt hatte und der Kristall ein helles Leuchten verströmte, welches die Umgebung in diffuses, gelbliches Licht tauchte. Da der Allvater seine ureigene Magie gebannt hatte, musste er eben auf diese altmodische Methode der Spruchzauber zurückgreifen. Das war zwar wesentlich umständlicher, doch besser, als vollkommen ohne Magie auskommen zu müssen. Der Kristall in seiner Hand strahlte eine angenehme Wärme aus; ein beinahe tröstlicher Hauch in der unnatürlichen Kälte des Schiffes, in welches sich Loki nun tiefer hineinwagte. Hier drinnen schien ein ganz eigenes Klima zu herrschen; frostige Luft schlug ihm aus der Tiefe der stillen Finsternis entgegen und auf einigen Apparaturen schien tatsächlich Raureif zu glitzern. Wie überaus seltsam. Wenn Loki kein Eisriese gewesen wäre, so hätte er jetzt sicherlich gefroren. Unbeabsichtigt musste er an die Sterbliche denken, die hoffentlich gehorsam draußen warten würde ohne Dummheiten anzustellen; er hatte das aufbegehrende Funkeln in ihren Augen deutlich gesehen. Es hatte ihr nicht gefallen, dass sie untätig warten sollte. Sie hatte Feuer in sich wie der Hengst, den er für sie ausgewählt hatte; eine Tatsache, die Loki gleichermaßen überraschte wie beeindruckte, wobei er natürlich letzteres niemals zugegeben hätte. Besonders nicht vor ihr - er war kein Narr. Frauen hatten einfach die unschöne Angewohnheit, sich Dinge und Worte über Ewigkeiten zu merken und immer dann damit herauszuplatzen, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte. Sif war das beste Beispiel dafür; eine großartige Kriegerin - das musste selbst Loki anerkennen - doch Thor hatte einst den Fehler begangen und ihr dies auch gesagt. Nun, seitdem war die dunkelhaarige Kriegerin unausstehlich geworden; nämlich immer dann, wenn Thor sie lieber aus Gefahr herausgehalten hätte - genau in diesen Momenten hatte sie ihn mit den eigenen Worten schachmatt gesetzt, bis sein armer Bruder keinen einzigen Grund mehr finden konnte, warum Sif einer Schlacht fernbleiben sollte. Nein, solche Dinge offenbarte man einer Frau niemals. Denn damit gab man bewusst Macht in ihre Hände; und Loki hielt es lieber andersherum. Er hatte einfach gern die Kontrolle über alles. Allerdings gefiel ihm die selbstbewusste Sterbliche mehr, als sie sollte - ihre herausfordernde Art, ihm ständig die Stirn bieten zu wollen war recht unterhaltsam. Ihre Gesellschaft war angenehmer als jene der schweigsamen, geistlosen Palastwächter, die ihn mit ihren stillen Blicken und der permanenten Kontrolle sicher noch in den Wahnsinn treiben würden. Sie war jemand, mit dem man sich durchaus auch auf geistiger Ebene verständigen und messen konnte; gerade bei einem Menschen hätte er das am allerwenigsten erwartet. Seine Abneigung den gemeinen Sterblichen gegenüber schwappte natürlich immer wieder an die Oberfläche, doch in einigen Momenten hatte er beinahe vergessen, dass sie nur ein Mensch war. Gerade in jenem Augenblick, als sie auf dem Rücken ihrer Pferde über die Ebene geprescht waren… Gwendolyn Lewis hatte sich als äußerst geschickte Reiterin erwiesen. Es gab nicht viele, die mit Loki und seinem Hengst mithalten konnten; wenn er etwas neben der Magie exzellent beherrschte, dann war es das Reiten auf diesem Pferd, welches ihm der Allvater einst als Geburtstagsgeschenk überreicht hatte. Und sie schien Loki - oder besser seiner männlichen Gestalt - auch nicht gänzlich abgeneigt zu sein. Er erinnerte sich an ihren Blick in seinen Gemächern, als sie ihn so unverfroren angestarrt hatte; weibliche Faszination, der Hauch von Begierde hatte in ihren klaren Augen geflackert. Das würde Loki natürlich hervorragend in die Hände spielen und es noch zusätzlich vereinfachen, in ihren Geist zu dringen und ihr Zutrauen zu gewinnen, damit er endlich ergründen konnte, was hinter ihrer sterblichen Hülle verborgen lag. In seine Gedanken versunken war Loki tiefer in das Innere des Schiffes vorgedrungen und befand sich nun wohl in einer Art Kontrollraum. Überall ringsumher befanden sich unzählige Apparaturen, Messinstrumente und kleine Lampen, die sich jetzt jedoch allesamt verloschen und inaktiv im dämmrigen Licht seines Kristalles vor ihm ausbreiteten. Loki wusste eigentlich selbst nicht so recht, was er hier zu finden hoffte; vorsichtig ließ er die freie Hand über einige der Apparaturen wandern und entdeckte hier und da unbekannte Symbole - womöglich Schriftzeichen - die sich spürbar aus dem kühlen Metall unter seinen Fingern erhoben. Er brachte das Licht seines Steins näher heran und fasste die fremden Zeichen stirnrunzelnd ins Auge, ohne ihre Bedeutung oder Herkunft auf den ersten Blick bestimmen zu können. Seine Finger glitten weiter und tauchten plötzlich unvermittelt in etwas sehr weiches und nachgiebiges - rasch zog er die Hand zurück ins Licht des Kristalls und entdeckte eine schwarz glänzende Flüssigkeit auf seinen Fingerspitzen, die er interessiert betrachtete und leicht verrieb, um dann vorsichtig daran zu riechen. Kein wahrnehmbarer Geruch. Kein Blut. Aber wahrscheinlich auch nichts, was aus dem Inneren des Schiffes stammte. Mit der freien Hand kramte er in seinen Gürtelbeuteln nach einem kleinen Behältnis und nahm vorsorglich eine Probe von der undefinierbaren Substanz, damit er die später noch genauer analysieren könnte. Sein Fokus glitt weiter und Loki entdeckte ein Buch auf einem der Kontrollpulte; ein riesiger Wälzer, der aufgeschlagen dort verweilte, einige der Seiten angerissen oder mit Ruß beschmutzt. Er nahm das Schriftwerk vorsichtig an sich; ein Blick genügte, um ihm zu zeigen, dass die Symbole darin mit denen auf den Apparaturen identisch waren. Wenn er das Buch mitnehmen würde, könnte er vielleicht in der Bibliothek Gladsheims nach Anhaltspunkten für diese sonderliche Schrift suchen und womöglich auf die Spur der Herkunft ihrer Angreifer kommen. Loki hatte sich das in Metall gebundene Buch gerade unter den Arm geklemmt und wandte sich um, als eine bleiche, sechsfingrige Hand aus der Dunkelheit fuhr und seine Kehle packte; den Magier selbst zurück gegen die Amateuren im Rücken stieß und ihn Kristall sowie das Buch aus den Händen fallen ließ. Sein Kopf kollidierte schmerzhaft mit der Bordwand im Rücken. Hel - verdammt! Warum eigentlich immer mein Schädel? Der leuchtende Stein rollte klirrend über den Boden und blieb in einiger Entfernung liegen, von wo er die Szene und das Gesicht von Lokis Angreifer nur schwach beleuchten konnte; jenes Gesicht, welches nun aus der Dunkelheit auftauchte und ihm doch unglaublich bekannt vorkam - zumindest jene starren Züge einer grausamen Maske, die über dem Antlitz seines Angreifers lag. Das war natürlich…ungünstig. Loki war eigentlich beinahe fest davon ausgegangen, dass die Wesen beim Absturz entweder gestorben oder sich danach schleunigst verflüchtigt hatten. Allerdings hatte wohl eines überlebt und sich in der Dunkelheit versteckt gehalten. Er war weder bewaffnet - was er wahrscheinlich seinem eigenen Leichtsinn zuschreiben musste - noch konnte er auf seine Magie zurückgreifen, wofür allein der Allvater die Schuld trug. Kurzgesagt hatte er keine Möglichkeit der Gegenwehr und die Wächter draußen würden ihn hier drinnen wohl kaum hören, ganz zu schweigen davon, dass er wahrscheinlich tot wäre, bevor er auch nur einen Ruf nach Unterstützung von sich geben könnte. Das Wesen grollte Loki in seiner gutturalen Sprache drohend an und verengte den Griff um die Kehle des Magiers noch zusätzlich; doch aus dem grausigen Schlund jenes zahnbewehrten Loches, das wohl ein Maul darstellen sollte, war das angestrengte Atemröcheln des Angreifers zu vernehmen, als hätte die Kreatur Mühe nach Luft zu schöpfen. Auch der eisige Griff um Lokis Hals war nicht so fest, wie es wohl beabsichtigt sein wollte - allerdings trotz allem noch immer äußerst unangenehm. Und das Wesen stank. Es stank zum Himmel, sodass der Magier die Nase angewidert rümpfte und betont durch den Mund atmete; dieses Ding roch, als hätte es bereits eine Woche tot in der prallen Sonne gelegen und sich nun spontan dazu entschlossen, noch einen Spaziergang zu machen. Noch immer fauchten die animalischen Laute Loki entgegen, der ein humorloses Lachen ausstieß, bevor er atemlos krächzte: »Wenn Ihr etwas zu sagen habt, dann tut es gefälligst in meiner Sprache. Ich verstehe kein Wort.« Das Wesen versteifte sich augenblicklich und die seltsamen Schatten, die noch immer um seine Gestalt waberten, verdichteten sich und krochen durch die Augen- und Mundöffnung der Maske, woraufhin die folgenden Worte für Loki verständlich an sein Ohr drangen; allerdings mit jener unnatürlich kalten Stimme, die noch immer klang, als würde sie aus den Tiefen des Hel herauftönen - hallend und bösartig. »Magier. Du hast mein Licht genommen. Ich erkenne dich.« Loki musterte das Wesen vor sich kritisch und äußerst argwöhnisch. Das konnte gewiss nicht jene Kreatur aus dem Kerker sein, denn die war tot. Mit Sicherheit. »Tatsächlich? Ich Euch allerdings nicht. Ich glaube, wir wurden einander nicht vorgestellt-« Die Stimme erstarb Loki in einem schmerzhaften Stöhnen, als das Wesen ihn überraschend kraftvoll gegen die harte Metallapparatur im Rücken stieß. Dann lockerte sich der Griff um seine Kehle. Die Kreatur beugte sich näher und Loki hatte augenblicklich Mühe, sein karges Frühstück nicht wieder herauszuwürgen, welches er am Morgen notgedrungen zu sich genommen hatte, um seinen Körper zu stärken, obwohl der Hunger fernblieb. »Ich erkenne Wut in dir, Magier. Und die Gier nach Macht.« dröhnte die entsetzliche Stimme in Lokis Ohren und schien in jede Faser seines Körpers zu kriechen wie ein Schwarm hungriger Insekten. »Deine Venen sind voll davon. Dein Blut pulsiert. Voller Gier. Und Zorn. Und Hunger nach Vergeltung.« sprach das Wesen jetzt fast interessiert und beäugte den Magier mit unselig glänzenden Augen hinter der starren Fratze seiner Maske. Loki hob eine Braue und kräuselte die Mundwinkel zu einem kühlen, überheblichen Grinsen. »Das könnte wohl jeder Blinde in mir sehen. Keine beeindruckende Erkenntnis.« Irgendetwas wollte das Wesen, sonst hätte es Loki wohl schon lange getötet. Und er war äußerst interessiert daran, was diese Kreatur wohl antrieb; sehr oft verrieten sich alle wahnsinnigen Kriegsherren in ihren selbstgefälligen Reden, daher war es wohl gar keine schlechte Fügung des Schicksals, dass dieser hier offensichtlich in Plauderlaune war. Immerhin konnte Loki somit vielleicht entscheidende Details über die Angreifer erfahren. »Wer seid ihr? Was wollt ihr von Asgard? Warum habt ihr uns angegriffen?« richtete er das Wort an das Wesen, um herauszufinden, was dessen Volk begehrte. »Nicht wir. Nur ich. Es gibt nur mich. Sie sind ich. Ich bin sie.« grollte ihm die leblose Stimme entgegen. Loki runzelte die Stirn. Dieses Geschwafel ergab überhaupt keinen Sinn - das wirre Gerede eines offensichtlich verletzten Kriegers, der an der Schwelle zum Reich des Todes stand. »Ich besitze Macht, die du dir nicht einmal vorstellen kannst, Magier.« Noch näher kam der stinkende Schlund der Kreatur, als jene sich erneut näher beugte und fast schon einen lockenden Tonfall anschlug; sofern man in dieser bodenlos finsteren Stimme überhaupt etwas in der Art einer Verheißung erahnen konnte. »Du und ich, wir sind uns ähnlich. Wir könnten alles besitzen. Jede Welt. Das ganze Universum. Du könntest über alles herrschen, was dir beliebt. Der einzig wahre König auf einem Thron der Welten, gebaut aus den Gebeinen deiner Untergebenen-« Loki gähnte betont desinteressiert. »Ihr kommt ein wenig zu spät mit Euren Versprechungen. Dieses Gerede habe ich bereits vor einigen Monden schon gehört. Es langweilt mich.« Tatsächlich erinnerten ihn die Worte des fremden Wesens fast haargenau an die haltlosen Versprechen von Thanos, denen er vor Monaten noch begehrlich gelauscht hatte; eingebracht hatten ihm die schönen Worte jedoch nichts - nur eine Zelle im Kerker Asgards. »Du wirst es noch bereuen, mein Angebot abgelehnt zu haben, Magier.« zischte die Kreatur drohend. Loki würde sich nur noch auf jene eine Person verlassen, der er vorbehaltlos vertrauen konnte - sich selbst. Sein Schicksal würde er von nun an allein in die Hand nehmen. Diese Machtversprechen ließen ihn kalt. Bevor das Wesen realisierte, was geschah, bediente sich Loki der einzigen Waffe, die er im Moment hatte - seiner magischen Fesseln. Er donnerte der Kreatur das Metall von unten vor jene Stelle der Maske, hinter der er die Nase vermutete und das vernehmliche Knacken und folgende Ächzen ließen Loki ahnen, dass er gut gezielt hatte. Das Wesen taumelte grollend, während aus der Mundöffnung der Maske dunkles Blut floss. Loki stemmte sich an den Konsolen im Rücken in die Höhe und stieß seine Stiefel machtvoll in den Leib der Kreatur, die daraufhin förmlich durch den Raum flog und sich selbst mit einem ekelhaften Geräusch an einem herausragenden Metallträger des Schiffes aufspießte. Die scharfkantige Spitze bohrte sich durch die Brust; das Wesen bäumte sich in einem schmerzhaften Stöhnen auf, bevor sich die Schatten um seine Gestalt ballten und dann in einer lautlosen Explosion zerbarsten, um durch winzige Öffnungen in der Hülle des Schiffes nach draußen zu entschwinden. Loki hatte definitiv genug gesehen. Rasch hob er das Buch der Fremden und seinen Kristall auf, dann suchte er schleunigst wieder den Weg nach draußen. Das Sonnenlicht begrüßte ihn grell nach der Dunkelheit und er hob eine Hand, um das Gesicht abzuschirmen, während er sich blinzelnd orientierte. Nachdem sich seine Augen wieder an den Tag gewöhnt hatten, ließ er den Kristall zurück in einen seiner Beutel gleiten und wandte sich zu der Sterblichen um, deren roten Haarschopf er in einiger Entfernung ausgemacht hatte. Er stockte noch im Schritt bei dem Bild, was sich ihm bot; seine Augen weiteten sich und die Brauen fuhren ungläubig in die Höhe. »Was - in Hels Namen…« murmelte er fassungslos. Die Menschenfrau saß auf einem Stein unweit des abgestürzten Schiffes, hatte die Knie an die Brust gezogen und die Arme um die Beine geschlungen während ihr Gesicht sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, ob es amüsiert, beunruhigt oder ängstlich aussehen wollte. Das allerdings war nicht das Unglaublichste an der ganzen Szene… Die Sterbliche war umringt von Tieren - von allen möglichen Tieren des Waldes, die sich zu ihren Füßen, neben ihr oder auf ihr selbst niedergelassen hatten. Ein Wolf und ein paar Rehe lagen in friedlichem Einverständnis nebeneinander, während ein wilder Eber die borstigen Haare an dem Stein kratzte, auf dem die Menschenfrau saß. Einige Vögel hatten auf ihren Knien oder Schultern Platz gefunden, wo sich auch flinke Eichhörnchen und winzige Mäuse tummelten. Ein Fuchs schmiegte sich an ihre Beine und vor ihren Stiefeln hatte sich eine Gruppe Igel eingefunden, auf deren Stacheln bunte Schmetterlinge saßen. Ein Dachs sprang gerade auf den Stein, um an die Seite der Sterblichen zu gelangen, während hinter ihr im Schatten des Waldes der Umriss eines mächtigen Bären auftauchte. Ein Bär?! Ehrlich…? So etwas hatte Loki in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. Und er hatte wahrlich schon viel gesehen. »Was - im Namen aller Welten - tut Ihr da?« zischte der Magier der Frau entgegen, nachdem er sich ein paar Schritte näher an diese seltsame Versammlung gebracht hatte, den riesigen Wolf sowie den gemächlich herantrottenden Bären dabei aufmerksam beobachtend. In den hellen Augen der Sterblichen blitzte augenblicklich Erleichterung auf, als sie die Stimme des Magiers vernahm und ihm mit einem Blick entgegensah, der durchaus Verwirrung beinhaltete. »Ich tue gar nichts. Sie sind einfach so gekommen. Ich saß nur hier und habe gewartet wie Ihr es befohlen habt. Ich schwöre es!« erwiderte sie entrüstet, aber in einem schneidenden Wispern, als wollte sie die Tiere nicht aufschrecken. Dafür war Loki augenblicklich dankbar, denn der Wolf hob seinen majestätischen Kopf und beäugte den Magier aus dunklen, intelligenten Augen abschätzend. »Ihr seid verletzt…« bemerkte die Menschenfrau plötzlich fast besorgt und erhob sich von ihrem Stein, um Loki entgegenzueilen. Die Tiere reckten allesamt wachsam ihre Köpfe; die Vögel schwangen sich von ihr auf in die Lüfte und flatterten aufgeregt umher. Der Magier folgte ihrem Blick und erkannte tatsächlich eine Stelle an seinem rechten Oberarm, wo der Stoff des Hemdes durch einen schmalen Schnitt zerrissen war; darunter das helle Rot von Blut. Er musste sich unbemerkt an einer scharfen Kante im Schiff verletzt haben. »Nur ein Kratzer. Kaum der Rede wert.« Die Tiere zogen sich nun langsam in die Schatten des Waldes zurück, als die Sterbliche vor ihm stehen blieb und die Hände instinktiv hob, um sich seine Verletzung näher zu betrachten. »Aber Ihr blutet. Vielleicht muss die Wunde gereinigt-« Loki unterbrach sie, indem er eines ihrer Handgelenke in der Luft einfing und gebannt auf jenes Wunder blickte, was ihm bisher gar nicht aufgefallen war - und ihr offensichtlich auch nicht, denn sie sah ihn irritiert an. »Eure Hände…« wisperte er erstaunt. Erst jetzt lenkte sie selbst ihren Blick auf die eigenen Finger; ihre Augen weiteten sich beinahe entsetzt. »Oh Gott….was…« hauchte sie fassungslos. Die Hände der Frau glühten in einem sanften Licht; doch nicht ihre Haut war es, die strahlte - das Leuchten schien aus ihr selbst zu kommen. Die zarten Knochen loderten förmlich unter ihrer blassen Haut - jeder knöcherne Strang war detailliert auszumachen und von einem glänzenden, inneren Schimmern erfüllt, das beinahe schon an die Energie in Lokis verhassten Zellenwänden erinnerte. Das faszinierende Glühen zog sich über ihre Handgelenke die Unterarme hinauf, welche unter dem leichten Hemd, das sie trug, hervorlugten. Der Magier zog die Hand der Frau näher zu sich; sie stolperte kraftlos hinterher, den Blick noch immer starr auf das Leuchten in ihren Knochen gerichtet. Fasziniert fuhren Lokis Finger über ihre Haut; sofort kroch eine kribbelnde Wärme in seine Hand - wohlig warm, tröstend, beruhigend und äußerst machtvoll. Fast war es, als würde alles Leid, jede Sorge und jede Angst aus seinem Leib weichen und sich in alle Winden zerstreuen; eine unbekannte Zufriedenheit und Ruhe erfasste ihn, wie er sie noch nie gespürt hatte. »Wie macht Ihr das?« verlangte er in einem ehrfürchtigen Wispern zu wissen, während er sie über ihrer beide Hände hinweg beschwörend ansah. Diese Kraft, die in ihr wohnte, war der schiere Wahnsinn - eine berauschende Verlockung, eine selten machtvolle Verheißung. Sie war der Schlüssel zu seinem Schicksal; Loki wusste es. Mit dieser Macht in seinen Händen konnte er alles erreichen. Einfach alles. Die Sterbliche erwiderte seinen Blick verwirrt, beinahe ängstlich. »Ich…ich weiß es nicht…ich hab keine Ahnung…ich wollte das nicht…« Ihr Fokus huschte zwischen seinem Gesicht und ihren Händen hin und her und Loki erkannte in ihren geweiteten, bestürzten Augen für einen Moment sein eigenes Spiegelbild - aus einem Augenblick, der lang in der Vergangenheit lag. Er erkannte seinen eigenen ungläubigen Blick, als sich seine Haut unter dem Griff eines Eisriesen in frostiges Blau eingefärbt hatte; die gleiche Fassungslosigkeit, die gleichen Fragen, denselben Funken einer verzweifelten Hoffnung auf einen Traum. Einen Irrtum. In ihren hellen Augen erkannte er sich selbst wieder; seine eigene Angst vor einer Wahrheit, die er nicht akzeptieren wollte - die Furcht vor der Erkenntnis, dass man selbst nicht das war, was man sein ganzes Leben lang zu glauben dachte. »Was geschieht mit mir…? Was ist das…?« hauchte sie mit der flehenden Bitte nach einer Erklärung, der Loki allerdings mit einem ratlosen Blick begegnen musste. »Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.« versprach er ihr entschlossen; oh ja, er würde dieses Rätsel lüften - doch nicht nur für sie. Auch für sich selbst. Ein seltsames Grollen drang an Lokis Ohr; ein gedämpftes Rumpeln, dem das spürbare Vibrieren des Bodens unter seinen Stiefeln folgte. Alarmiert ließ er die Hand der Sterblichen los, die sich ebenso wie er nun wachsam umsah. Die Erde erbebte unter schweren Schritten, die deutlich näher kamen; ein dumpfes Zittern des Bodens unter ihren Füßen, als würde sich eine Herde aufgescheuchter Tiere nähern. Unbewusst traten der Magier und die Menschenfrau näher zusammen, Rücken an Rücken, während sie die umgebenden Ränder des Waldes mit den Augen absuchten; jene Richtung auszumachen versuchten, aus der die unsichtbare Gefahr auf sie zurollte. »Was ist das…?« wisperte die Sterbliche hinter ihm; eine Spur von ängstlicher Nervosität in ihrer Stimme. »Ich fürchte, das ist der Grund, warum ich mich lieber leise und unbemerkt fortbewege…« erwiderte ihr Loki gefasst. Er hatte beinahe schon damit gerechnet, dass ihre Anwesenheit nicht geheim bleiben würde; nicht nachdem sich dieser Trupp hirnloser Krieger so laut aufgeführt hatte wie eine Horde wildgewordener Bilgenschweine. Auch die Männer der Palastwache, die bisher recht teilnahmslos und fast schon gelangweilt in einiger Entfernung gesessen hatten, erhoben sich nun und zogen vorsorglich ihre Waffen, während ihre Blicke ebenso wachsam die Umgebung absuchten. Es gab wirklich Momente, in denen es Loki hasste, ständig recht zu behalten… Dieser entwickelte sich gerade zu einem davon. Ganz in der Nähe brach plötzlich eine große Gestalt durch die Reihen der Bäume, stürmte grollend auf die Lichtung und schwang in den riesigen Pranken eine steinerne Keule, die allein die Ausmaße eines ausgewachsenen Mannes besaß und einen Wächter mühelos beiseite fegte, der sich mutig in den Weg der Kreatur gestellt hatte. Ein Steintroll; ein gewaltiges, haushohes Wesen mit massigen Schultern und Muskeln, mit Haut so hart wie Felsen und einem breiten Kopf, indem ein massiver Kiefer saß, dessen gewaltige Hauer wohl selbst einen Bären aufspießen konnten. Diese Wesen galten allgemein hin als nicht gerade intelligent, doch was sie an Verstand nicht besaßen, glichen sie mit schierer Gewalt und Masse aus. Der erste von insgesamt drei Trollen bewegte sich mit weit ausholenden Schritten auf Gwen und Loki zu, während seine kleinen, dunklen Augen in einem hungrigen Licht glitzerten. Der Geifer tropfte ihm aus dem geöffneten Maul, das bereits in Aussicht auf die scheinbar hilflose Beute gierig geöffnet war. Der Troll holte kraftvoll aus und seine Keule schwirrte mit einem unheilvollen Pfeifen durch die Luft; im letzten Augenblick wirbelte Loki herum und riss die Sterbliche mit sich zu Boden, sodass die steinerne Waffe um Haaresbreite ihre Köpfe verfehlte. Die Frau gab ein Keuchen von sich und sah den Magier aus ängstlichen, geweiteten Augen an. Der Troll brüllte wütend auf, als sich sein so sicher geglaubtes Essen widerspenstig zeigte und hob die Keule nun weit über seinen Kopf, um mit dieser die beiden Gestalten vor sich zu Brei zu zermalmen. Loki war rasch wieder auf den Beinen und stellte sich schützend vor die Menschenfrau, welche entsetzt zu dem riesigen Wesen aufblickte und vor Angst wie gelähmt schien. Sie würde nicht fliehen können - der Magier musste schnell reagieren. Er hob das Einzige als Schild, was er noch besaß; das in schwarzes Metall gebundene Buch der fremden Angreifer. Die Waffe des Trolls donnerte so kraftvoll auf den eisernen Einband, dass die Wucht des Aufpralls durch Lokis Knochen vibrierte wie der Schlag von Mjölnir, den er einst bei einer Kampfübung mit Thor eingesteckt hatte. Seine Stiefel gruben sich unter der Gewalt des Angriffes in den weichen Erdboden und er musste sämtliche Kraft aufbringen, um nicht ächzend in die Knie zu sinken. Noch so einen Schlag würde er wahrscheinlich nicht abwehren können; er war zwar ein Gott, doch ohne seine Magie gewissermaßen schutz- und machtlos. Und er würde den Troll wohl kaum mit einem Buch in die Flucht prügeln können. Die zwei anderen dieser gewaltigen Wesen waren inzwischen aus der Tiefe des Waldes gebrochen und attackierten nun die Gruppe der Palastwache, die sich zwar tapfer, allerdings auch nicht wirklich erfolgreich gegen die Trolle verteidigte. Die Speere der Männer waren plötzlich nur noch Zierde, als sie an der steinernen Haut der Wesen wirkungslos zerbrachen. Der Troll, der Loki attackiert hatte, schnaubte wütend und hob seine Waffe erneut, um zum wahrscheinlich tödlichen Schlag auszuholen. Die Sterbliche hinter Loki gab einen ängstlichen, erstickten Laut von sich. Nie im Leben hatte der Magier das Grollen von entferntem Donner mehr begrüßt als in diesem Augenblick, als das Krachen der Naturgewalten beinahe zu Musik in seinen Ohren wurde. Der Himmel über der Lichtung verdunkelte sich urplötzlich und helle Blitze zuckten warnend durch die hoch aufgetürmten Sturmwolken. Im nächsten Augenblick schon schoss ein silberner Hammer rasend schnell durch die Luft und krachte gegen den massigen Schädel des Steintrolles, der einen Augenblick haltlos schwankte und seine Keule irritiert wieder sinken ließ. Sein verblüffter, geistloser Gesichtsausdruck war beinahe amüsant. Thor landete in einem knisternden Entladen von Energie auf dem Boden der Lichtung; die Erde gab unter der Wucht seines Aufpralles deutlich nach. Kurz darauf kamen die Tapferen Drei hinter ihm an, gefolgt von Lady Sif, die sich sogleich kampfbereit ins Getümmel stürzte. »Lassen wir der Frau nicht den ganzen Spaß allein!« rief Fandral Volstagg zu, der sofort mit dröhnendem Lachen seine Axt zog und Sif in den Kampf folgte. Hogun attackierte bereits mit seinem Morgenstern einen der Trolle und trieb ihn von der Gruppe der Wächter weg, die kraftlos an den Waldesrand zurückgewichen waren. Thor streckte den Arm aus und Mjölnir kehrte sirrend in seine Hand zurück, nur um gleich darauf in einem weiten Bogen geschwungen zu werden, der den Troll von unten gegen das Kinn traf und diesen stöhnend zurückstolpern ließ - weg von Loki und der Sterblichen. Der Magier wirbelte sofort herum, das wichtige Buch an die Brust gepresst und half der Menschenfrau wieder auf die Beine, die sich schutzsuchend an ihn klammerte. »Kommt mit.« Zusammen eilten sie zu dem abgestürzten Raumschiff hinüber, in dessen Schatten der Magier die Sterbliche schützend an die Bordwand drückte und hinter sich verbarg, während Thor den Steintroll mit seinem Hammer bearbeitete und diesem so mächtig zusetzte. Auch die anderen Krieger schlugen sich wacker gegen die zwei verbliebenen Trolle; Fandral unterstützte die Gruppe der Wächter, während Sif einem der Wesen gerade ihre Schwertspitze in die Ferse trieb, einem der wenigen wunden Punkte dieser Kreaturen, bevor Volstagg dem in die Knie gehenden Troll seine mächtige Axt mit einem gewaltigen Hieb in die Brust schlug. Thor setzte seinen Troll gerade mit einem gezielten Schlag vor die Schläfe außer Gefecht und der massige Körper schlug mit einem weitläufigen Beben des Bodens ohnmächtig auf der Erde auf. Der letzte, verbliebene Troll suchte sein Heil in der Flucht, als er bemerkte, dass seine Gefährten gefallen waren; mit großen Schritten verschwand er im Wald, verfolgt von Hogun und hinterließ eine Schneise aus umgeknickten Bäumen und zerdrückten Büschen. Thor versicherte sich mit einem Tritt seines Stiefels, dass der Troll vor seinen Füßen auch wirklich nicht wieder aufstehen würde, bevor er Mjölnir an seinen Gürtel hing und zu Loki und der Frau herüberschritt. »Wir kamen gerade aus Vanaheim zurück, als uns Heimdall davon in Kenntnis setzte, dass sich eine Gruppe Steintrolle nach Asgard verirrt hat. Die Grenzen zwischen den Welten scheinen zu verwischen. Er erwähnte auch, dass ich dich wohl hier finden würde, Bruder.« Der Donnergott blieb vor ihnen stehen und musterte Loki äußerst wachsam und recht ungläubig. »Ich hätte nicht gedacht, dass Vater tatsächlich in Erwägung ziehen würde, deine Unterstützung einzufordern.« Loki wusste nicht recht, was er empfand, als er sich plötzlich seinem Bruder wieder gegenübersah; jenem Mann, an dessen Seite er aufgewachsen war, mit dem er sich gebalgt, gestritten und in Kämpfen gemessen hatte, mit dem er Streiche geteilt und die fantastischen Abenteuer seiner Kindheit erlebt hatte, als ein Hügel noch zu einem unbezwingbaren Berg und ein Rascheln im Gebüsch zu einem mächtigen Feind werden konnte. Jener Mann, der ihn auf Midgard in seinen Plänen gebremst und bezwungen hatte; der seinen bestimmten Platz als Herrscher zu einem flatternden Schemen im Wind gemacht hatte, welchem er nur noch aus der Ferne hinterherblicken konnte. Jener Mann, in dessen Schatten er schon immer gestanden hatte als der ewig Zweite, dessen Leistungen und Taten nie gut genug waren. Und der ihn nun auch noch gerettet hatte. Allerdings konnte Thor von Loki dafür keinen Dank erwarten und das wusste der Donnergott sicherlich auch. Die Sterbliche wagte sich langsam wieder hinter dem Magier hervor, jedoch blieb sie an seiner Seite und zog ihre Hände auch nicht zurück, die sie vorhin schutzsuchend um seinen Arm geschlungen hatte. Ihr Blick weilte dankbar auf Thor, allerdings sah Loki keine jener verzauberten Bewunderung in ihren hellen Augen, welche die meisten Frauen in Gegenwart seines Bruders nur zu oft kaum verbergen konnten. Loki wusste nicht warum, aber irgendwie verschaffte ihm das eine seltsame Genugtuung und ließ den Schatten seines Bruders nicht so weit reichen, dass er ihn wieder einhüllen könnte. »Überraschung!« verkündete Lokis humorlos mit kühlem Grinsen. »Der Allvater ist wohl mit seiner unendlichen Weisheit am Ende, sodass er auf die Fähigkeiten seines ungeliebten Mündels zurückgreifen muss. Erzürnt dich das, mein Bruder?« fragte er spöttisch an Thor gewandt. »Ärgert es dich, dass du nicht die einzige Hoffnung für Asgard sein darfst - der strahlende Held, der alle rettet? Macht es dich wütend, dass man selbst mich offensichtlich noch braucht? Mich - deinen geächteten Bruder?« drang er mit spitzen, bissigen Fragen auf den Donnergott ein. Oh ja, es würde Loki reine Freude bereiten, diesen Ärger und diese Wut in Thors Gesicht zu sehen, wenn er sich eingestehen musste, dass sein Verstand niemals an jenen Lokis heranreichen würde; dass es durchaus Dinge gab, die er allein mit seinem allmächtigen Hammer nicht bezwingen und bewältigen konnte. »Nein, Bruder.« erwiderte Thor ruhig und der Blick seiner stürmisch grau-blauen Augen glitt flüchtig über die Sterbliche an Lokis Seite, woraufhin sich eine seiner blonden Brauen kurz überrascht in die Höhe zog. »Es würde mich mit Stolz und Freude erfüllen, wenn wir wieder einträchtig nebeneinander in die Schlacht reiten könnten. Wenn der Wahnsinn endlich von dir abfallen würde, damit du erkennen kannst, wohin du wirklich gehörst. Ich wünschte, ich könnte dir wieder vertrauen, Bruder.« Die Rede Thors hatte Loki so unvermittelt den Wind aus den Segeln genommen, dass des Magiers Bitterkeit sich auf leisen Sohlen davonstahl und nur eine kalte Leere zurückließ, die unangenehm in der Brust brannte. Er schnaubte spöttisch. »Wenn du das tun würdest, dann wärst du der Narr, für den ich dich immer gehalten habe.« gab der Magier zurück; dem Drang folgend, das letzte Wort zu dem seinen zu machen. Die Menschenfrau neben ihm hatte das Wortgefecht der beiden Brüder schweigend verfolgt, war aber offensichtlich klug genug, sich nicht einzumischen. Thors Blick blieb noch einen Augenblick auf Loki hängen; resignierte Trauer lag auf seinen markanten Zügen, flüchtig wie ein Schatten in seinen blauen Augen, bevor er mit einem kaum hörbaren Seufzen einlenkte: »Ja, wahrscheinlich.« Dann wandte er sich um und der rote Umhang folgte der Bewegung flatternd. »Kommt jetzt, lasst uns nach Gladsheim zurückkehren. Wir bringen Kunde aus den Welten für den Allvater. Es gibt interessante Neuigkeiten.« Schwarzalbenheim Die kargen Ebenen Schwarzalbenheims lagen brach und leblos unter der Herrschaft der tosenden Sandstürme, die tote Erde aufwirbelten und jene über die trostlosen Weiten jagten; das stetige Verändern der Landschaft die einzige Regung, welche in dieser düsteren Welt noch an Gewicht besaß. Städte und Dörfer waren längst vom Angesicht jenes Landes verschwunden und eine unnatürliche Stille lag über den Ebenen, nur unterbrochen vom Pfeifen des Windes und brechenden Steinen, die nach Äonen den Mächten der Stürme kraftlos nachgaben. In dieser Welt war der Anführer der Dunkelelfen aus seinem langen Schlaf erwacht; urplötzlich hatte ihn der finstere Schlund eines endlosen Traumes ausgespuckt, als die alten Verteidigungsanlagen seines Reiches eine unbekannte Bewegung auf den Ebenen gemeldet hatten. Eine Regung, die weder vom Wind, noch von besonders zähen Tieren herrührte, die sich immer einmal wieder mutig an die Mauern der schwarzen Festung der Schwarzalben heranwagten. Nun stand Malekith, der Herr Schwarzalbenheims, in der düsteren Empfangshalle seiner Festung, die gleichzeitig auch das gewaltige Mutterschiff seiner Flotte darstellte; nun allerdings eingegraben von den Dünen des Sandes über die langen Jahre seines Schlafes - die letzten Reste seines einst besiegten Volkes. Ein Wink seiner bleichen Hand genügte, damit sich die gewaltigen, schwarzen Eingangstore knirschend öffneten und jener Gestalt den Weg ebneten, die allein und unbewaffnet in den Wirbeln des tosenden Sandes vor seiner Tür auftauchte. Der fremde Krieger fand selbstsicher seinen Pfad und betrat die Halle der Schwarzalben ohne zu zögern. Die Tore schlossen sich hinter ihm wieder und ließen Malekith und den Fremden in der plötzlichen Stille zwischen schwarzen Säulen allein. Der Herr der Dunkelelfen beäugte den unbekannten Besucher kritisch, während er seinen dunklen Umhang beinahe beiläufig lüftete und sein königliches Schwert darunter enthüllte, was so scharf glänzte wie das Silber seiner Rüstung. »Was führt einen Fremden in mein Reich? Wer stört meinen Schlaf?« fragte Malekith den unbekannten Besucher mit kratzender, dunkler Stimme. Er klang missmutig über die Unterbrechung seiner Ruhe. »Jemand, der Euch ein Angebot zu unterbreiten hat.« erhob sich die seltsam schallende Stimme des unbekannten Kriegers in der Stille der Festung, als würde der Sprecher in weiter Ferne weilen. Die Schatten zwischen den Säulen schienen sich augenblicklich zu verdichten und selbst Malekith verspürte einen Hauch von Unruhe, als er dem Unbekannten nun argwöhnisch entgegensah. »Ein Angebot? Welcher Art ist dein Angebot, Fremder?« hinterfragte er misstrauisch, obwohl seine Neugier bereits geweckt war. »Ich biete Euch die Rache und die Vergeltung, die Ihr in Euren langen Träumen so oft schon in den Händen hieltet, Herr der dunklen Alben. Ich biete Euch Macht und die Möglichkeit, dies alles einzufordern.« Der Unbekannte trat ein paar Schritte näher und die fahlen Lichtstreifen, die von draußen hereinfielen, enthüllten eine starre Maske über dem Antlitz des fremden Besuchers. »Ich bin aus den Tiefen des Kosmos gekommen, um die Regeln zu ändern. Um Dunkelheit dahin zu bringen, wo Licht ist - um das Universum in seinen reinen Urzustand zurückzubringen; ohne Licht und die kränkliche Saat der Schöpfung, welche sich immer weiter in den Welten ausbreitet.« Ein Mundwinkel Malekiths hob sich flüchtig in die Höhe; nur der Hauch einer Regung. »Und welche Rolle gedenkt Ihr mir dabei zu? Was ist es, was Ihr von mir als Gegenleistung für Eure sogenannte Macht erwarten würdet?« hakte der Herr der Dunkelelfen bedachtsam nach. Einen weiteren Schritt trat der fremde Krieger näher und Malekith erkannte, dass sein Körper nicht so kraftvoll wirkte wie seine Stimme; die Gestalt mit der Maske schleppte sich mühsam vorwärts, als hätte sie Mühe sich auf den Beinen zu halten. »Ich benötige Wissen über die Welten. Und Krieger. Wahre Krieger, die mir freiwillig folgen. Ich habe Schiffe, doch keine Krieger. Ich bemächtigte mich jener in den Weiten des Alls, doch ihre Körper sind schwach - zerfallen unter meiner Macht wie bröckelnde Steine unter dem Fuß eines Riesen. Ich brauche einen Körper, den ich mit meinem Wesen anfüllen kann und der meiner Kraft gewachsen ist. Einen Körper, der stark ist, der führen kann und mir freiwillig geboten wird, auf das ich mich mit ihm vereinen kann - einen Körper wie den Euren, Herr der schwarzen Alben.« Malekith war ungewollt ein paar Stufen von seinem erhöhten Podest herabgekommen; der weite Umhang strich mit einem sanften Säuseln hinter ihm über die staubigen Stufen. »Wer seid Ihr…?« raunte er mit kritisch verengten Augen, der Hauch einer Ahnung erwachend in seiner Brust. Der Unbekannte gab ein ersticktes Geräusch von sich, was wohl wie ein Lachen hätte klingen können, wenn das atemlose Röcheln hinter der Maske nicht gewesen wäre. »Ich bin der Zorn. Ich bin die Angst. Ich bin der Tod.« Eine Hand des Fremden hob sich und zog die starren Züge von seinem Gesicht; enthüllte ein Antlitz hinter der Maske, in dessen bodenlosen, schwarzen Augen die Finsternis des Kosmos schwelte und bei dessen Anblick selbst dem Herrn der Dunkelelfen ein eisiger Schauer über den Rücken kroch. »Ich bin das Ende aller Tage.« Kapitel 9: Blut --------------- Gwen bog zuversichtlich um eine Ecke in den Gang zu Lokis Gemächern, blieb allerdings sogleich mit einem resignierten Seufzen wieder stehen. Unschlüssig sah sie den langen Korridor hinauf, der sich still und leer vor ihr ausbreitete. Schon aus der Ferne konnte sie erkennen, dass die Wächter nicht vor der Tür des Prinzen Stellung bezogen hatten; er hielt sich also nicht in seinem Zimmer auf. Doch wo war Loki dann? Seit dem gestrigen Tag, als sie von ihrem Ausritt zurückgekehrt waren, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er war weder beim Abendessen aufgetaucht, welches sie schweigsam mit der Königsfamilie und deren Freunden auf Wunsch von Frigga eingenommen hatte, noch hatte er sich heute zum Frühstück blicken lassen, das Gwen - glücklicherweise - allein einnehmen durfte, da sie offenbar ein paar Minuten zu lange geschlafen hatte und bereits alle anderen ausgeflogen waren. Der Allvater hatte sie beim Essen die ganze Zeit schweigsam beobachtet und auch die Blicke von Thors Freunden und einigen Adligen waren mehrmals an ihr hängengeblieben, als hätte sie jene magisch angezogen. Da sie sich fast sicher war, dass dies nicht an ihren Tischmanieren liegen konnte - die Dank ihrer Mutter und ein paar kleinen Unterweisungen von Ashlyn, um sich im Großstadtdschungel behaupten zu können, tadellos waren - konnte eigentlich fast nur ihre Person die Ursache sein. Vielleicht lag es daran, dass sie ein Mensch war und sich mit einer Lüge nach Asgard geschlichen hatte. Oder daran, dass keiner, sie eingeschlossen, so recht wusste, was da nun eigentlich in ihr schlummerte und ob sie nicht vielleicht doch ein Feind der Asen war. Oder - und das war wohl der wahrscheinlichste Grund - daran, dass sie mit Loki verkehrte; ob nun gezwungenermaßen oder freiwillig, sich in der Nähe des Prinzen aufzuhalten schien für einige hier durchaus ein Grund für Misstrauen zu sein. Mit einem Verbrecher zu verkehren war wohl nicht der richtige Weg, um sich Freunde in den oberen Reihen zu machen. Auch wenn es möglicherweise niederträchtig war, doch Gwen hätte es durchaus begrüßt, wenn sich Loki zu den Mahlzeiten ebenfalls hätte sehen lassen, damit sie nicht allein im Interesse dieser kritischen Aufmerksamkeit gestanden hätte… Wahrscheinlich war er aber genau deshalb nicht aufgetaucht oder aber er war schlicht nicht erwünscht am Tisch des Allvaters. Seufzend trat Gwen an die äußere Balustrade des Bogenganges und legte die Arme auf der vom Sonnenlicht gewärmten, steinernen Brüstung ab, um auf den traumhaften See vor dem Palast hinauszublicken. Seichte Wellen platschten leise gluckernd gegen das sandige Ufer und der Wind fuhr rauschend durch die prächtigen Bäume, sodass sie immer wieder von Flecken hellen Sonnenscheins umtanzt wurde. Das Wetter war ausgesprochen schön; das Klima herrlich mild und Gwen fragte sich, ob es in Asgard überhaupt Jahreszeiten gab, wie sie es von der Erde kannte. Irgendwie konnte sie sich keine Schneeflocken über der Stadt vorstellen oder jenen zauberhaften See vor ihrer Nase von Eis und Frost überzogen. Es war still ringsumher und doch war sie sich des einzelnen Wächters durchaus bewusst, der ihr dezent durch den Palast gefolgt war und nun hinter einer Marmorsäule Stellung bezogen hatte; sein Blick weilte ihr spürbar im Nacken. Er war ihr Schatten, wenn sie nicht eh schon durch Lokis Wachgarde unter Beobachtung stand. Der Allvater vertraute ihr nicht vorbehaltlos und Gwen konnte es ihm nicht verübeln; er war ein König und musste ein ganzes Volk führen und beschützen - leichtsinniges Vertrauen konnte er sich einfach nicht leisten. Sie war sich ja selbst nicht einmal mehr sicher, ob sie nicht vielleicht doch gefährlich war... Nachdenklich betrachtete sie ihre Hände, die nun gewöhnlich wie immer auf dem Stein vor ihr lagen und kaum noch erahnen ließen, was gestern erneut passiert war. Gwen erschauerte innerlich und schüttelte die Ärmel ihres weiten Hemdes in einer kindlich naiven Geste über ihre Finger - ganz nach dem Motto: „Was ich nicht sehe ist auch nicht da.“ Sie hatte die ganze Sache mit dem Vogel schon völlig verdrängt gehabt; nicht vergessen, jedoch so weit von sich geschoben, dass es wie ein ferner Traum angemutet hatte. So fern, dass sie sich bereits einreden konnte, dass ihr die überreizten Nerven einfach einen Streich gespielt hatten - dass sie sich einfach geirrt und etwas gesehen hatte, was gar nicht da war. Dass alles in bester Ordnung und sie völlig normal war. Gestern allerdings hatte Loki diesen Traum ebenfalls gesehen - und das, obwohl sie beide hellwach und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen waren; dafür gab es keine Ausrede und kein Verdrängen mehr. Etwas stimmte nicht mir ihr. Und diese Erkenntnis erfüllte Gwen nicht gerade mit Freude. Was auch immer da in ihr war; was auch immer da gerade mit ihr geschah, sie wollte, dass es aufhörte und es loswerden. Und das möglichst schnell, damit sie irgendwann einfach wieder nachhause konnte. Noch niemals zuvor war ihr langweilige Gewöhnlichkeit so verlockend erschienen. Als Kind mochte man sich sicherlich oft wünschen etwas Besonderes an sich zu entdecken wie es in phantastischen Büchern doch immer stets so märchenhaft beschrieben wurde; doch die Realität sah irgendwie ganz anders aus. Es gab keinen Beifall. Keine Lobeshymnen und Gesänge. Keine ehrfürchtigen Blicke. Keine Bewunderung. In der Realität wurde man wahrscheinlich festgehalten und studiert, untersucht bis zur letzten Zelle - behandelt wie ein selten exotisches Tier, dessen Besonderheit man vorgab zu beschützen, indem man es in einen Glaskasten einsperrte, damit alle es angaffen konnten… Gwen musste in diesem Augenblick an Dr. Bruce Banner denken; diesen genialen Nuklearphysiker, der ebenfalls erst durch den Kampf der Avengers ins Fadenkreuz des öffentlichen Interesses geraten war - oder besser seine andere, deutlich grünere Seite. Der Hulk. Würde ihr so etwas auf der Erde auch blühen - von Militär und Forschern verfolgt, die begierig auf ihr Geheimnis waren? Gwen hoffte wirklich, dass der Ursprung ihrer Veränderungen in Asgard lag…und diese damit spätestens auch dann verschwinden würden, wenn sie nachhause zurückkehren durfte. Sie schloss kurz die Augen und versuchte sich auf den lauen Sommerwind zu konzentrieren, der ihr über die Haut strich, um ihre Gedanken zu klären. Dann ließ sie erneut die Szene des gestrigen Tages aus Odins Thronsaal Revue passieren, um sich abzulenken… »Odin. Vater. Wir bringen Kunde von den Reichen - wie du es gewünscht hast.« Thor lief mit weit ausholenden, entschlossenen Schritten auf den Thron des Allvaters zu, gefolgt von den Tapferen Drei und Lady Sif. In einigem Abstand dahinter betraten auch Loki und Gwen den Saal, die ihrerseits von der Gruppe gewissenhafter Palastwächter begleitet wurden, bevor sich das schwere Eingangstor hinter ihnen wieder schloss. Odin sah der Gruppe still und ernst entgegen, Gungnir in seiner Hand und die Königin an seiner Seite. Auf seinen Schultern saßen seine beiden Raben und krächzten gedämpft als Begrüßung für die Krieger. »Ich bin froh, dass ihr alle wohlbehalten zurückgekehrt seid.« erhob der Allvater seine volltönende Stimme, während der Donnergott sowie seine Gefährten ehrerbietend in die Knie sanken und die Rechte auf der Brust betteten. Auch Gwen ging respektvoll in die Knie, nachdem die Wächter hinter ihr dem Beispiel Thors gefolgt waren. Allein Loki blieb mit hoch erhobenem Haupt etwas abseits stehen. »Hugin flüsterte mir, dass ihr einen Zusammenstoß mit Steintrollen auf eurem Rückweg hattet.« warf Odin jene Feststellung in den Saal und strich beiläufig über das Gefieder des wohl benannten Vogels, während sein einseitiger Blick flüchtig über Loki glitt. Ob der König Anstoß am respektlosen Verhalten seines zweiten Sohnes nahm konnte man kaum sagen, da Odins Züge regungslos blieben. »Das ist richtig, mein König.« bestätigte Fandral die Worte des Allvaters. »Allerdings hatten die Trolle eher einen Zusammenstoß mit uns.« fügte Volstagg amüsiert an und bewirkte damit ein verhaltenes Lachen unter seinen Kampfgefährten. Selbst über die Lippen der Königin huschte ein flüchtiges Schmunzeln, während Odin völlig ernsthaft blieb. Thor war als erster wieder auf den Beinen, nachdem der Allvater ihnen allen mit einem knappen Wink bedeutet hatte, dass sie sich erheben sollten. »Nun, berichtet mir, was ihr in Erfahrung bringen konntet. Was vermelden die Reiche?« verlangte Odin daraufhin zu wissen. Thors Blick wanderte über die eigene Schulter zu Loki und Gwen zurück und auch seine Freunde taten es ihm gleich; in ihren Zügen spiegelte sich eine fragende Unsicherheit. »Sie sollen es ebenfalls hören.« Die Königin hatte ihrem Mann eine schlanke Hand auf dem lederumwundenen Unterarm gebettet und blickte entschlossen auf ihren Sohn Thor und seine Kampfgefährten hinab. »Sprecht frei.« Der Donnergott nickte seiner Mutter gehorsam zu, dann begann er mit seinem Bericht: »In Asgard ist der Hammer hier über der Stadt wohl am härtesten niedergegangen; das restliche Reich vermeldete noch keine Angriffe in dieser Art, doch häufen sich die Vorfälle der übergreifenden Welten zunehmend und die verborgenen Pfade werden sichtbar. Die Grenzen scheinen vermehrt zu verschwimmen.« »Vanaheim erlitt ebenfalls einen überraschenden, urplötzlichen Angriff bei Nacht - in der gleichen Nacht, als auch Asgard unter Beschuss stand.« meldete sich nun Hogun zu Wort. In der Stimme des sonst eher stillen und gefassten Kriegers schwang unterschwellig Aufruhr. »Sie gingen nach dem gleichen Schema vor; kamen als alle schliefen und mordeten sich wahllos durch die Hauptstadt. Kein erkennbares Ziel. Keine Forderungen bisher. Keine Gefangenen. Vanaheim konnte sie nach einer Weile ebenfalls zurückschlagen.« »Auch Alfheim blieb nicht verschont.« führte Sif den Bericht fort. »Die Lichtalben sprachen von den gleichen Schiffen, wie wir sie auch über Asgard sahen. Auch dort kamen sie in der Nacht und griffen die Stadt der Herren Alfheims scheinbar ziellos an, bevor sie wieder verschwanden.« »Die Zwerge Niflheimes wollten zuerst nicht mit uns sprechen.« erhob nun Volstagg die grollende Stimme und lehnte sich nebenher bequem auf den Stiel seiner Streitaxt, die er neben sich auf dem polierten Boden abgestellt hatte. »Sie sind mürrisch und misstrauisch wie eh und je, ein zurückgezogenes Volk unter dem ewigen Eis der Polarnacht, wo sie seit jeher nach Schätzen und Metallen graben. Doch nach einer Weile schickte man uns einen Sprecher an die Oberfläche, der ebenfalls von diesen unbekannten Schiffen am Himmel berichtete. Die Stadt der Zwerge wurde ebenso attackiert, doch da sich der größte Teil ihres Reiches unter der Erde erstreckt, hielten sich ihre Verluste in überschaubaren Grenzen.« Gwen war einen Schritt zu Loki hinübergetreten, der an einer der mächtigen Säulen des Saales lehnte, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der Kopf an den Stein gebettet. Sein Blick war inzwischen hinaus auf Asgard gerichtet gewesen und seine lockere Haltung hätte Desinteresse vermitteln können, doch seine konzentrierten Züge hatten seine Aufmerksamkeit verraten. »Die Wesen Muspelheims begegneten uns - wie zu erwarten - mit Aggression und Feuer.« setzte Fandral nun an. »Aus ihrem Fauchen und Zischen war nicht viel herauszuhören, doch selbst sie schienen Eindringlinge in ihrem Reich bemerkt zu haben. Allerdings hielten wir es für klüger, nicht näher darauf einzugehen und stattdessen das Weite zu suchen, bevor einer der größeren Kerlchen dort Hunger bekommen hätte. Dagegen sind Steintrolle fast liebenswürdige Schoßhunde...« Der blonde Krieger schüttelte sich theatralisch und strich sich in einer perfekten Geste eine Strähne aus der Stirn. »Was für Wesen leben denn in Muspelheim?« wisperte Gwen neugierig zu Loki, der einen Mundwinkel in die Höhe zog, ohne ihr jedoch sein Gesicht zuzuwenden. »Auf Midgard würdet Ihr sie wohl Dämonen nennen.« erklärte ihr der Prinz dann süffisant mit einem kühlen Schmunzeln. »Dämonen!? Ich bitte Euch…ist das Euer Ernst?!« Gwen blinzelte ungläubig; als sie allerdings bemerkte, dass Loki keinen Scherz gemacht hatte, sondern ihr nur einen knappen Blick mit erhobener Braue aus dem Augenwinkel zuwarf, ließ sie sich mit dem Rücken und einem schweren Seufzen neben ihm an die steinerne Säule sinken. Einige Fragen konnten durchaus ungestellt bleiben. Und einige Dinge wollte sie auch gar nicht wissen, entschied sie in diesem Moment. »Jotunheim empfing uns natürlich alles andere als willkommen.« griff Thor den Bericht wieder auf und warf erneut einen bedeutsamen Blick zu Loki zurück, als würde er von seinem Bruder eine Reaktion erwarten. Der allerdings schien völlig ungerührt, beinahe gelangweilt; der Prinz lehnte weiterhin gelassen am kühlen Stein und lenkte seinen Fokus auch nicht ab von der malerischen Aussicht, auf der seine Augen weilten. Allein das Schmunzeln auf seinen schmalen Lippen wurde um eine Spur tiefer - allerdings blieb der Hauch von Spott darin aus. »Die Riesen drohten uns offen mit Vergeltung und machten Asgard für einen erst kürzlich erfolgten Angriff auf ihre Heimat verantwortlich. Ich kann es ihnen nicht verdenken.« fuhr der Donnergott dann an Odin gewandt fort. »Alles, was wir erlangen konnten waren sehr karge Informationen, bevor uns die Aussicht auf einen erneuten Krieg aus Jotunheim fliehen ließ. Allerdings sind wir uns wohl alle einig, wer die Angreifer der Riesen waren…« Thor ließ jene These im Raum stehen und endete in seinem Bericht. Odin und Frigga warfen sich einen bedeutsamen Blick zu. »Was ist mit den anderen Reichen?« meldete sich nun Loki überraschend zu Wort; erhob die samtige Stimme über das weilende Schweigen und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Sif räusperte sich, nachdem die Königin der Gruppe ein aufforderndes Nicken geschenkt hatte. »Die Tore des Hel sind verschlossen und unzerstörbar wie eh und je; die Totengöttin hält ihr Reich. Diese Grenzen sind unüberwindbar, so es die Herrin nicht selbst will, dass jene überwunden werden. Wir konnten keinen Hinweis auf einen Angriff finden, doch muss ich zugeben, dass wir auch keine besondere Mühe in die Suche legten - selbst vor den Toren des Hel sind keine Lebenden geduldet.« Eine spürbare Kälte und Furcht schlich durch die Reihen der Krieger und Wächter, entzog den Sonnenstrahlen für einen Wimpernschlag die Wärme des Tages. Unbehagen legte sich wie eine Decke über die Anwesenden, nur Loki bewahrte sich das stille, kühle Schmunzeln. »Schwarzalbenheim liegt brach und still wie es diese Welt schon seit des großen Krieges pflegt. Es gab keine Anzeichen auf Leben oder irgendeine Regung und auch keine auf einen Angriff. Malekiths Festung versinkt langsam im Sand seines eigenen Reiches, bald nichts weiter als ein stummes, lebloses Mahnmal in den Dünen der Einöde.« berichtete Hogun. »Aus Midgard erreichten uns bisher keine Berichte eines Angriffes. Womöglich haben unsere Warnungen und die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen der Erde die Angreifer abgehalten.« erklärte Odin den Versammelten nachdenklich, während Gwen erleichtert durchatmete. Zumindest schienen ihre Freunde und Familie in Sicherheit zu sein. »Bisher abgehalten…« murmelte Loki kaum hörbar, sodass allein Gwen seine Worte vernahm. Irritiert sah sie zu ihm auf, doch er blickte weiterhin geradeaus. »Wie wir es geahnt haben…« sprach Frigga ihren Gemahl an und lockte einen der Raben zu sich. Der Vogel kletterte willig von der Schulter des Allvaters und nahm seinen Platz auf dem Unterarm der Königin ein. »Unsere Vermutung scheint sich zu bestätigen.« Odin hatte einen Arm auf die Lehne seines Thrones gestützt und das Gesicht nachdenklich in eine Handfläche gebettet; so verharrte er einen Moment in völliger Versunkenheit, während sein verbliebenes Auge in einer unerreichbaren Ferne weilte - als würde er Dinge sehen, die sich dem Verstand der Anwesenden entzogen. Dann nickte der Allvater langsam und schöpfte tief nach Atem, bevor sich sein Griff um Gungnir festigte. »Tatsächlich scheinen unsere Angreifer einem bestimmten Plan gefolgt zu sein, da sie überall ähnlich vorgingen.« Sein sichtbares Auge fokussierte sich auf die Gruppe der Krieger vor sich. »Ich verfolge die Annahme, dass diese Angriffe allein dem Zweck dienten unsere Verteidigungsanlagen zu prüfen und zu studieren. Das war nichts weiter als eine Probe. Eine Prüfung für den Ernstfall.« Thor und seine Freunde warfen sich sogleich beunruhigte Blicke zu, während die Botschaft dieser Worte erschreckend schnell in ihre Glieder sickerte und die Erkenntnis auf ihren Zügen Einzug hielt. »Sie wollten wissen, wie gut die Reiche gerüstet sind und wie sie sich verteidigen. Das wissen sie nun. Und sie werden sich für den entscheidenden Angriff vorbereiten. Dies war erst der Anfang.« hallte die Verkündung Odins unheilvoll durch den Saal. »Ich wusste es...« raunte Loki und stieß sich überraschend neben Gwen plötzlich vom Marmor im Rücken ab. Der Prinz ließ sich sein erbeutetes Buch von einem der Wächter aushändigen, welcher dieses für Loki bewahrt hatte; dann drehte er sich auf dem Absatz herum und verließ ohne ein weiteres Wort oder einen Blick zurück den Saal, während ihm der Trupp der Palastwache sogleich folgte. Thor und seine Freunde hatten ziemlich erschreckende Neuigkeiten von ihrer Reise mitgebracht. Wenn dieser Angriff erst der Anfang gewesen war - was würde ihnen allen dann noch bevorstehen? Gwen gab sich nicht der Illusion an eine Hoffnung hin, dass die Erde verschont bleiben könnte. Die Ereignisse vor zwei Jahren haben mehr als deutlich gezeigt, dass eine fremde Invasion nicht mehr nur reine Fiktion von phantasievollen Filmemachern war. Schritte näherten sich ihr und ließen Gwen aus ihren Gedanken auffahren; das fehlende Scheppern von Rüstungen verriet ihr sogleich, dass sich dort weder Loki noch ihr Schatten nähern konnten. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, dass es Thor war, der mit gemächlichen Schritten auf sie zukam. Seine Rüstung hatte der Donnergott gegen einfache, bequeme Kleidung getauscht, statt des roten Umhangs bauschte sich ein brauner Mantel nun um seine Stiefel, welcher von einer silbernen Brosche auf der breiten Brust des Mannes zusammengehalten wurde. Sein blondes Haar hatte er ordentlich zu einem einfachen Zopf gebunden und sein Bart war gestutzt. Er begegnete ihrem Blick mit einem leichten Lächeln, welches Gwen zaghaft erwiderte. Seit ihrem Verhör hatte sie nicht mehr mit Thor allein sprechen können; sie war unsicher, wie er wohl inzwischen zu ihr stand. Er hatte überrascht gewirkt, als er sie an der Seite Lokis erblickt hatte - überrascht, aber nicht verurteilend. Der Donnergott trat an ihre Seite und stützte die Hände ebenfalls auf die steinerne Balustrade, während er fast beiläufig den Korridor zu Lokis Gemächern hinaufblickte. »Ihr sucht meinen Bruder?« fragte Thor, nachdem er Gwen sein Haupt zugewandt hatte. Diese nickte zögerlich. »Ja. Ja, das stimmt. Ich…ähm…naja, ich dachte, ich sollte ihn vielleicht aufsuchen wegen der Ereignisse…von gestern…« Gwens Stimme verklang fast in einem Wispern, während sie den Blick auf ihre ineinander verschlungenen Hände gesenkt hatte. Thor wusste ja wahrscheinlich noch gar nichts von den Geschehnissen im Wald - zumindest nicht von diesem seltsamen Leuchten, was sich erneut gezeigt hatte. Sie schilderte ihm kurz, was passiert war. »Es tut mir leid.« sprach sie dann unvermittelt aus und sah den Donnergott fest an, nachdem sie den Blick entschlossen zu ihm angehoben hatte. »Es tut mir Leid, dass ich Euch angelogen habe. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es eigentlich nicht wollte, denn das wäre auch wieder eine Lüge. Mir war bewusst, dass ich euch alle für meinen Job täuschen musste, aber…ich bereue es. Es fühlte sich nicht richtig an. Und es tut mir aufrichtig leid. Ich schwöre Euch, dass ich keine Feindin Asgards bin.« Thor musterte Gwen eine Weile schweigsam und nachdenklich, bevor er den Blick auf den See hinaus lenkte. »Wisst Ihr, ich glaube Euch, Gwendolyn Lewis. Und ich nehme Eure Entschuldigung an. Immerhin hat wohl jeder von uns in seinem Leben schon einmal gelogen.« Auf seinen Lippen zeichnete sich ein kleines, warmes Lächeln ab und er sah wieder zu ihr herüber. Gwen fielen sicher eine Million Steine vom Herzen in diesem Augenblick. Das Bewusstsein dieser Lüge hatte die ganze Zeit wirklich schwer auf ihr gelastet. Sie hasste es einfach lügen zu müssen. Als Kämpferin für die Wahrheit und dafür, jene unter die Menschen zu bringen, war ihr das Lügen stets das schwerste Werkzeug bei dieser Aufgabe. »Lady Gwendolyn-« begann der Donnergott. »Gwen. Bitte.« unterbrach sie Thor bestimmt, bevor sie den Blick reumütig senkte. »Verzeiht. Das war jetzt bestimmt unhöflich von mir. Aber ich bin keine Lady. Und die meisten Leute nennen mich einfach nur Gwen.« Sachte schielte sie wieder zu Thor hinauf, der amüsiert anmutete und dann wohlwollend nickte. »Na schön. Dann eben Gwen.« Er lächelte, bevor er den Faden wieder aufnahm. »Ich war äußerst überrascht, als ich Euch gestern an der Seite Lokis erblickte. Meine Mutter hat mich über Euren andauernden Aufenthalt hier in Kenntnis gesetzt. Ich hätte nie gedacht, dass Odin diese Möglichkeit tatsächlich in Erwägung ziehen könnte, Euch in die Obhut meines Bruders zu übergeben - und ihn freizulassen. Frigga muss stark auf ihn eingewirkt haben, damit er eine solch riskante Entscheidung trifft.« Thors Züge waren nachdenklich geworden; er hatte die verschränkten Arme auf dem Geländer gebettet und sah so erneut auf den See hinaus - äußerlich das Bild von Gelassenheit, doch Gwen bemerkte die Spannung in seiner Haltung, in seinen verkrampften Wangenmuskeln. »Ich glaube nicht, dass es nur die Königin war, die ihn so handeln ließ.« begann Gwen vorsichtig. »Ich glaube, der wahre Grund, warum der Allvater diese gewagte Entscheidung getroffen hat ist der, dass er Angst hat.« Thor gab ein verhaltenes, tiefes Lachen von sich und sah kurz mit gehobener Braue zu ihr hinüber. »Ihr seid mutig, so etwas zu behaupten. Sagt ihm das bloß nicht ins Gesicht, es könnte Eure letzte Tat sein. Angst ist eine Schwäche in einem Volk von Kriegern.« Gwen blickte unsicher auf ihre verschränkten Hände, dann allerdings schüttelte sie entschieden den Kopf. »Das denke ich nicht. Es gibt durchaus gute Arten von Angst.« Thor runzelte fragend die Stirn und sie fuhr bestimmt fort: »Die Angst um Freunde. Um die Familie. Um einen geliebten Menschen. Und um ein ganzes Volk.« Gwen hob den Blick wieder und sah den Donnergott offen in die blauen Augen. »Wenn Euer Vater keine Angst hätte, dann wäre er nicht in der Lage sie alle zu beschützen. Angst ist ein mächtiger Antrieb. Sie lässt manchmal unmögliches möglich werden, uns Dinge tun und Entscheidungen treffen, die zwar riskant sind - aber sich am Ende als richtig erweisen.« »Ihr sprecht sehr geistreich für ein so junges Geschöpf wie Ihr es seid.« raunte Thor anerkennend und sah sie lange forschend an, bevor er die Augen nachdenklich verengte. »Habt Ihr Euch deshalb vor den Speer des Allvaters gestellt und meinen Bruder beschützt?« fragte er dann nach einer Weile. Gwen hatte gewusst, dass Thor diese Frage stellen würde. Er hatte zu diesem Schluss kommen müssen. Sie lächelte unsicher und senkte den Blick wieder auf ihre Finger, die beiläufig nun verschlungene Kreise auf dem Stein der Balustrade malten. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich weiß nicht, warum ich es getan habe. Aber ja, ich hatte Angst um Euren Bruder.« gab sie dann offen zu und sah Thor ehrlich an. »Und ich hielt es für die richtige Entscheidung in diesem Moment. Mein Gefühl hat mir gesagt, dass es richtig ist.« »Euch verbindet nichts mit Loki.« Es war eine Feststellung und doch klang es wie eine Frage formuliert. In Thors Augen lag ehrliche Neugier, jedoch kein Funke von Abneigung. Egal, was sie ihm sagen würde - er würde sie nicht verurteilen. Er wollte nur verstehen. Und - Himmel - ja, das wollte Gwen auch. Doch obwohl sich die Welt inzwischen weitergedreht und sie genug Zeit zum nachdenken gehabt hatte, konnte sie diese Frage noch immer nicht angemessen beantworten. Noch nicht einmal für sich selbst. »Ja, ich weiß.« lenkte sie dann nach einem Moment ein. »Zumindest vereint uns nichts Greifbares wie unser Blut oder viele Jahre einer gemeinsamen Vergangenheit. Wir kennen uns nicht. Und doch…« Sie stoppte kurz und blinzelte angestrengt, in den eigenen Empfindungen nach den rechten Worten suchend. »…irgendetwas verbindet uns. Ich kann es nicht erklären und nicht in Worte fassen, aber es ist da. Wie ein unsichtbares Band…« endete sie zaghaft. Thor zog die Stirn in tiefe Falten; blickte eine Weile schweigsam und nachdenklich zu Gwen herüber, bevor er einen ernsten Ton anschlug: »Nehmt Euch vor Loki in acht, Gwen. Egal, was Euer Gefühl Euch in Bezug auf ihn raten mag - glaubt ihm nicht leichtfertig. Er weiß Gefühle und Gedanken zu manipulieren. Vertraut ihm nicht. Er saß nicht grundlos in dieser Zelle.« erinnerte sie der Donnergott mahnend. Vielleicht sollte sie Thor darüber informieren, dass Frauen gern genau das taten, was man ihnen eigentlich ausreden wollte - gute Ratschläge und Warnungen hatten da oft eher eine gegenteilige Wirkung. »Ich weiß…« erinnerte Gwen ihn und sich selbst auch an diese Tatsache; daran, dass sie wusste, was Lokis Verbrechen waren, da es ihr die Königin bereits sehr gründlich geschildert hatte. Gwen kam das Gespräch der beiden so unterschiedlichen Brüder vom gestrigen Tag in den Sinn. Eine unsichtbare, aber beinahe greifbare Spannung hatte zwischen den Männern in der Luft gelegen; Loki hatte so seltsam verbittert gewirkt - obwohl er dieses Gefühl sicherlich niemals zugegeben hätte. Und Thor war so resigniert erschienen, als hätte er seinen Bruder bereits aufgegeben - oder als wäre es zumindest nicht mehr weit bis zu jenem Punkt. Konnten viele gemeinsame Jahre - die Familie - so einfach ausgelöscht und vergessen werden? Konnte man Gefühle und Zuneigung so einfach untergraben? Der Donnergott hatte seinen Bruder vor einer Weile noch als tot bezeichnet, erinnerte sich Gwen. Er musste es können. Vielleicht hatte die Erkenntnis über Lokis Herkunft diesen Prozess unbewusst beschleunigt... Wie sie herausgehört hatte, waren Jotunheim und Asgard ja nie sonderlich dicke Freunde gewesen. »Ihr mögt Euren Bruder nicht mehr besonders, oder?« wagte sich Gwen dann vorsichtig zu fragen, an Thor gewandt, dessen Blick wieder geradeaus auf den schimmernden See gerichtet war. Der laue Sommerwind zupfte an den einzelnen, widerspenstigen Strähnen seines blonden Haares, die sich nicht durch einen Zopf hatten bändigen lassen. »Nein.« begann er dann leise und Gwen wollte bereits ein bedauerndes Seufzen über jene Wahrheit ausstoßen, als er sie mit festen Worten überraschte. »Ich liebe ihn.« Verdutzt sah sie Thor an, der ihr nach einem Moment sein Gesicht wieder zuwandte. »Wie könnte ich je aufhören ihn zu lieben? Er ist mein Bruder. Er wird es immer sein.« Darauf hatte Gwen keine Erwiderung. Sie konnte dieses Gefühl nicht beurteilen, was Geschwister miteinander verband - sie hatte keine. Zumindest wusste sie von keinen. Womöglich hatte sie irgendwo eine Schwester oder einen Bruder, nur würde sie das wahrscheinlich nie erfahren. »Doch ich fürchte dieser Teil in Loki, der einst mein Bruder war, wird immer schwächer.« fuhr Thor dann langsam fort. In seinen Augen lag eine tiefe Traurigkeit; Bedauern über einen Verlust, den er noch nicht erlitten, aber auf den er sich bereits eingestellt hatte. »Irgendwann hat er einfach aufgehört zu wissen, wer er ist und wo er hingehört.« Der Donnergott richtete sich wieder auf und bot Gwen seinen Arm, welchen sie nach einem kurzen, unsicheren Zögern ergriff. »Kommt, Gwen. Ich bringe Euch zur Bibliothek. Wenn mein Bruder nicht in seinem Zimmer weilt, so hat er sich bestimmt dort verkrochen.« Thor führte sie durch die viel verzweigten Gänge des Palastes, während ihnen in einigem Abstand Gwens Schatten folgte. Allein fand sie sich in Gladsheim noch immer kaum zurecht; sie war schon froh, wenn sie den Weg von ihrem Zimmer zum Speisesaal und zurück ohne große Umwege schaffte. Der Donnergott war wieder in nachdenkliches Schweigen verfallen, das Gwen nach einigen unruhigen Minuten einfach nicht mehr aushielt und durch eine neugierige Frage unterbrach. »Loki war nicht immer so, oder?« Vorsichtig schielte sie zu Thor hinauf, der ein kleines, amüsiertes Schmunzeln sehen ließ. »Wie - so arrogant, durchtrieben und rechthaberisch?« hinterfragte er und Gwen nickte zaghaft. »Doch, so war er schon immer.« erklärte ihr Thor mit einem kurzen Lachen, bevor er wieder ernst wurde. »Allerdings hat sich dieser grausame Funken Niedertracht erst vor einer Weile in ihm eingenistet, von dem sich keiner so recht erklären kann, wie er entstanden oder wo er hergekommen ist.« Er unterbrach sich kurz, bevor er entschieden fortfuhr: »Ich wünschte, ich könnte meinen Bruder zurückbekommen. Den Loki von früher.« Gwen verspürte die ehrlichen Emotionen des Donnergottes wie ihre eigenen und drückte ihm bestärkend und tröstend den Arm. Sie mochte sich nicht einmal vorstellen wie es wäre einen geliebten Menschen zu verlieren - nicht an den Tod, sondern an den Irrsinn. Beide Arten waren schlimme Verluste, doch wobei man bei ersterem Trauer und Schmerz vielleicht irgendwann überwinden konnte, so blieb bei letzterem beides hartnäckig bestehen, während man die betreffende Person ständig wie durch eine Glasscheibe sehen musste - man sah die Illusion von dessen, was einst war, in dem Bewusstsein, dass es niemals wieder so werden würde. »Wie war Loki früher? Erzählt mir etwas über Euren Bruder.« sprach Gwen dann vorsichtig aus, bevor sie ein höfliches und anständiges »Bitte.« nachfügte. Für einen Moment wirkte es, als wollte Thor nicht antworten; seine Stirn zog sich in tiefe Falten, er wirkte unschlüssig und mit sich selbst ringend und Gwen verfluchte sich innerlich schon dafür, dass sie das Thema überhaupt zur Sprache gebracht hatte - da ergriff er doch wieder das Wort. »Loki war schon immer der Geistreichere von uns beiden gewesen, war redegewandter und überlegter. Er verstand die Dinge stets schnell und vollkommen, wofür ich ihn immer bewundert und beneidet habe.« Obwohl Thor von Neid sprach lag keine Niedertracht in seiner Stimme; eher war es der warme Klang von glücklichen Erinnerungen an Tage, die weit zurücklagen. »Wenngleich ich die Breitschwerter, Äxte und Hämmer allein wegen meiner kräftigen Statur schneller schwingen und beherrschen konnte, war er es doch, der die Techniken dahinter begriff und als erster wusste, wie man ein Schwert exakt zu führen hatte. Seine Auffassungsgabe war schon immer beachtlich gewesen. Jeden Makel, den andere wegen seiner eher schlanken Gestalt in ihm sahen, glich er durch seinen flinken und beispiellos vielschichtigen Geist wieder aus. Er lernte sehr frühzeitig das Schreiben und Lesen, drang in die Geheimnisse der Alchemie und Mathematik ein, machte sich mit Politik und den Feinheiten der Diplomatie vertraut und entdeckte die Magie für sich als Waffe, derer er sich müheloser bedienen konnte als mancher Krieger seiner starren, schweren Axt. Die Asen verachten das Nutzen von Zaubern und Magie. Ich glaube, weil sie es nicht verstehen und Dingen prinzipiell nicht trauen, die sie nicht sehen und anfassen können. Sie haben Loki für seine Begabung verurteilt - weil sie Angst vor ihm hatten. Weil sie neidisch auf seine Macht waren.« Thor schwieg kurz, während sie um eine Ecke des Ganges bogen und er die Asen höflich mit einem Nicken grüßte, welche eben an ihnen vorbeikamen. »In allem, was er tat, war Loki perfekt. Er hat stets hohe Ansprüche an sich selbst und seine Fähigkeiten gestellt.« Gwen hörte den Stolz eines Bruders aus den Schilderungen Thors und sah verstohlen zu dem stattlichen Mann neben sich auf. Ja, sie konnte sich durchaus vorstellen, wie schwer es für den Donnergott gewesen sein musste, seinen Bruder in einer Zelle des Kerkers und um seine Verbrechen zu wissen. Langsam verstand sie auch, warum Thor Loki einst als tot bezeichnet hatte - manchmal wäre das wohl leichter zu verkraften als die Wahrheit. Ob Loki wusste, wie sehr sein Bruder ihn doch achtete? »Loki musste mir oft bei den Studien der Schriften helfen, die ich im Gegensatz zu ihm als vertane Zeit erachtete.« fuhr Thor dann amüsiert fort. »Dafür habe ich ihn dann oft zu kopflosen Dummheiten und riskanten Abenteuern überredet. Einmal haben wir heimlich das Schlachtross unseres Vaters aus den Stallungen geholt und sind damit geflüchtet - Loki vor einer erneuten Trainingseinheit mit der Streitaxt und ich vor einer langweiligen Stunde Politik und asische Geschichte.« In den blauen Augen des Donnergottes funkelte jugendlicher Schalk und sein Blick schien in der Vergangenheit zu weilen; in einer Zeit, als die Tage noch leichter und glücklicher waren. Gwen lauschte seinen Ausführungen äußerst begehrlich und interessiert und konnte sich selbst das Schmunzeln nicht verbieten, als sie sich die beiden Jungen auf ihrer Flucht vor ihren Verpflichtungen vorstellen musste. Das Leben eines Prinzen musste weniger verlockend sein, als man sich das durch Märchen und Geschichten vielleicht vorstellte. Eine unheimliche Bürde lastete bereits auf schmalen Kinderschultern, die zu tragen für manchen einfach zu schwer wurde. »Odin hat uns natürlich nach einer Weile dank Hugin und Munin gefunden und eine ordentliche Standpauke und Strafe verabreicht. Aber wir haben zusammengehalten - weder Loki hat mich verraten, noch habe ich ein schlechtes Wort über ihn verloren. Wir haben Unfug zusammen begangen und ihn auch zusammen bereinigt und dafür geradegestanden. Doch diese Tage liegen in der Vergangenheit und werden wohl auch nicht wiederkommen…« endete Thor mit einem leisen, wehmütigen Seufzen, bevor er die breiten Schultern straffte und mit Gwen vor einer hohen, massiven Tür stehen blieb. An deren Seiten hatten die Männer der Palastwache Stellung bezogen, die Gwen bereits kannte - und die damit Thors Vermutung bestätigten. »Da wären wir. Die Bibliothek.« erklärte er ihr mit einem Lächeln. Loki hielt sich bereits seit den ersten Nachtstunden in der Bibliothek Gladsheims auf. Nachdem Thor am gestrigen Tag mit seinen Neuigkeiten wieder heimgekehrt war, hielt es der Magier für durchaus angebracht seine Nachforschungen zu vertiefen und sich schleunigst um Antworten zu kümmern. Natürlich lag hinter seinem Eifer nicht das Bestreben, seiner Familie einen sonderlichen Gefallen zu tun und deren Anweisungen zu aller Zufriedenheit zu erfüllen, um sich Anerkennung zu sichern - über diese Torheit war er längst hinaus. Allerdings lag die Weisung des Allvaters in diesem Moment einmal mehr in seinem Interesse; er strebte noch immer den Thron Asgards an und würde wohl nicht viel zu regieren haben, wenn die fremden Invasoren erneut zuschlugen. Niemals konnte er zulassen, dass ihm jemand das Privileg entriss über Asgard zu herrschen. Der Thron gehörte ihm - wenn das Reich der Asen untergehen würde, dann nur, weil er es so wollte. Und nicht, weil der Angriff eines fremden Volkes Asgard aus den Geschichtsbüchern strich. Demzufolge hatte er sich nun in die vertraute Abgeschiedenheit der Bibliothek zurückgezogen, um in Ruhe nachzudenken und die einsortierten Werke nach hilfreichen Schriftstücken zu überprüfen. Asgard besaß eine der größten Bibliotheken der Neun Reiche; noch umfangreicher waren allein die Büchersammlungen Alfheims und Vanaheims. Die Asen horteten gern Wissen, allerdings verirrte sich sehr selten jemand in die Bibliothek, sodass Loki hier bereits schon viele Stunden in stiller Einsamkeit zwischen den haushohen Regalen verbracht hatte, die über und über vollbepackt waren mit historischen Werken, von denen einige wohl bereits ihre Existenz seit Anbeginn der Zeit zählten und nun ihr Dasein zwischen Staub und Holz fristeten. Es gab nur wenige Gelehrte in Asgard, die diesen Hort des Wissens nutzen, da die meisten Asen keinen Sinn für das geschriebene Wort aufbringen konnten und Geschichten lieber des Abends am Feuer bei einem Becher Met grölend und mündlich austauschten. Eine Waffe lag vielen besser in der Hand als lederumwundenes, hauchzartes Pergament, welches wahres Fingerspitzengefühl erforderte, wenn man einige der uralten Werke nicht zu einer bloßen Erinnerung unter bröselnden Seiten zerstören wollte. Die hohen Fenster ließen genügen Licht in die Halle, sodass der Staub im stillen Sonnenlicht beinahe magisch glitzernd flirrte. Die Luft war angereichert vom Geruch der hölzernen Regalwände und dem unverkennbaren Duft von altem Leder und Pergament. Die Ruhe hier war angenehm und friedlich; obwohl Loki eigentlich die letzte Zeit in Gefangenschaft mehr als genug davon bekommen hatte, genoss er trotzdem die altvertraute Umgebung, die verblasste Erinnerungen wieder aufleben ließ. Und hier stand ihm zumindest eine Tür zur Verfügung, durch die er jederzeit entschwinden konnte. Vor eben jener Tür tauchten nun zwei Präsenzen auf, die nicht zur königlichen Garde gehörten; Loki erkannte Thor und die Sterbliche, die eben vor der Bibliothek angekommen waren. Überrascht klappte der Magier das Buch zu, in welchem er gerade gelesen hatte und sah abwartend auf die schwere Tür der Halle - doch jene öffnete sich entgegen seiner Erwartungen nicht. Irritiert brach er seine Zelte an einem der massiven Schreibtische ab, die zum Lesen und Nachforschen dienten; erschöpft rieb er sich über die Schläfen, während er mit entschiedenen Schritten zur Tür der Bibliothek hinüber schritt. Eine Unterbrechung seiner Recherchen wäre jetzt wahrscheinlich eh mehr als angebracht, da die Buchstaben der Texte vor seinen Augen bereits verschwommen waren und seine Konzentration durchaus eine auffrischende Pause benötigen konnte - die Müdigkeit schob er entschlossen beiseite; schlafen konnte er später noch. Daher war es beinahe mehr als praktisch, dass die Sterbliche jetzt den Weg hierher gefunden hatte. So musste er sie nicht aufsuchen, was er am heutigen Tage eh noch im Sinn gehabt hatte. Das helle Lachen der Menschenfrau ließ ihn im Schritt stocken. Kurz darauf ertönte das unverkennbare, grollende Lachen Thors, woraufhin Loki die Brauen unbewusst missgünstig zusammenzog. Die zwei schienen sich ja hervorragend zu verstehen… Da stand das Reich womöglich vor einem erneuten, verheerenden Angriff und sein Bruder brachte tatsächlich die Zeit auf, diese rothaarige Sterbliche zu umgarnen - und Odin zog es tatsächlich noch immer ernsthaft in Betracht, Thor auf den Thron zu setzen? Manchen Personen konnte man einfach nicht helfen… Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte und riss die schwere Flügeltür schon förmlich auf - als wäre er ein Vater, der erwartete, seine Kinder bei Unfug und Dummheiten zu erwischen. »Ach nein, sie verachten Euch nicht, Gwen. Da liegt Ihr falsch. Sie waren nur anfangs etwas misstrauisch, was sie als Krieger und Beschützer des Reiches auch sein müssen. Doch jetzt hat Sif sogar vorgeschlagen, dass sie Euch in der Handhabung eines Schildes unterweisen könnte und auch Fandral bot an, Euch im Schwertkampf zu lehren. Sie sind der Meinung, dass Ihr nicht schutzlos durch Asgard wandeln solltet. Sie machen sich Gedanken um Euch.« Der Donnergott hatte eine große Hand auf der zierlichen Schulter der Menschenfrau gebettet und sah sie mit einem warmen Lächeln an, während sie mit zaghafter Unsicherheit zu ihm aufblickte. »Ich und ein Schwert? Ich weiß ehrlich nicht-« Loki bekam die letzten Wortfetzen dieses wohl bereits länger andauernden Gespräches mit, bevor die beiden sich seiner Anwesenheit gewahr wurden und ihre Köpfe sich dem Magier zuwandten. Thor zog seine Hand beinahe wie ein ertapptes Kind von der Süßigkeitenschüssel zurück und Loki kam nicht umhin sich zu fragen, wann die beiden denn zu der so vertrauten Anrede gefunden hatten. Der Donnergott hatte die Sterbliche beim Namen genannt und das störte den Magier seltsamerweise. »Loki-« begann Thor gerade, während der Magier die Flügeltür hinter sich geräuschvoll wieder ins Schloss zog, bevor er seinen Bruder achtlos in dessen Worten unterbrach. »Du gedenkst hoffentlich nicht wirklich sie in die Hände Fandrals zu übergeben, mein „Bruder“?!« Bissigkeit troff förmlich aus Lokis Worten. »Das Einzige, was der ihr wohl beibringen würde, wäre die Handhabung eines gänzlich anderen Schwertes, das man nur zwischen Laken und nicht auf dem Schlachtfeld benutzt.« sprach der Magier mit überheblich in die Höhe gezogener Braue. Thor brauste sofort empört auf. »Fandral ist ein ehrbarer Mann! Er würde niemals-« »Er ist wahrscheinlich so wenig ehrbar, wie ich ehrlich bin.« wischte Loki die Verteidigung seines Bruders mit einer lapidaren Handbewegung beiseite, bevor er den Fokus seiner grünen Augen auf die Sterbliche richtete. »Ich meine mich zu erinnern, dass die Anweisung des Allvaters darin bestand, dass Ihr Eure Zeit an meiner Seite verbringen solltet und nicht an jener Thors - oder irre ich da womöglich?« fragte er sie in anmaßendem Tonfall und sah gebieterisch auf sie herab. Die plötzliche Röte auf ihren Wangen, die nicht von Scham herrührte, amüsierte den Magier. Noch dazu das angriffslustige Funkeln in ihren Augen; ja, sie war durchaus unterhaltsam. »Nein, da irrt Ihr Euch nicht. Thor war allerdings so nett, mir zu helfen. Ihr seid gestern einfach verschwunden und habt mir weder gesagt, wohin Ihr geht, noch wo ich Euch finden kann. Wie sollte ich da-« Loki unterbrach die Menschenfrau in ihren entrüsteten Worten, indem er sie am Oberarm ergriff und einfach mit sich führte; seine Finger schlossen sich bestimmt um ihren schlanken Arm, doch er achtete darauf, dass er ihr nicht wehtun würde. Einen knappen Blick schickte er zu Thor, der die beiden unschlüssig ansah und offensichtlich nicht wusste, ob er sich einmischen sollte oder nicht. »Danke für deine Mühe, sie zu mir zu führen. Aber jetzt werden deine Dienste nicht weiter benötigt, Bruder.« gab er in herablassendem Tonfall an den Donnergott zurück. »Du entschuldigst uns? Wir haben noch zu tun.« Ohne auf die Antwort Thors zu warten, zog er die überrumpelte Frau mit sich. Deren überraschte Starre währte allerdings nicht lange und schon begann sie sich gegen seinen Griff zu wehren, allerdings eher halbherzig als wirklich forciert. »Lasst mich los. Ich bin durchaus fähig allein zu laufen. Außerdem tut Ihr mir weh…« fuhr sie ihn ärgerlich an. »Ihr lügt.« erwiderte Loki seelenruhig. »Mein Griff ist sanft. Eure Aura ruhig. Ihr könnt gar keine Schmerzen haben.« Zurechtweisend sah er zu ihr hinüber und ertappte sie dabei, wie sie den Blick flüchtig verlegen senkte und ihre Unterlippe unsicher zwischen die Zähne zog, bevor sie sich wieder gefangen hatte. »Was wisst Ihr schon über die Empfindungen einer Frau…?« fragte sie dann missmutig. Loki ließ sie nun doch los und ging voran, sich darauf verlassend, dass sie ihm schon folgen würde wie die Horde trampelnder Palastwächter, die ihnen in einigem Abstand mit scheppernden Schritten nachkamen. »Nicht viel, dass muss ich zugeben. Allerdings wären Studien in diese Richtung auch verschwendete Zeit.« »Bei Euch wäre das gewiss verschwendete Zeit, da habt Ihr Recht. Mit dieser unheimlich charmanten Art, die Ihr an den Tag legt, wird sich wohl auch nie eine Frau mehr als zwei Schritte an Euch heranwagen.« gab sie ihm prompt Kontra und entlockte Loki damit ein ehrliches Schmunzeln; das allerdings versteckte er hinter der aalglatten Fassade seines Gesichtes, bevor er abrupt stehen blieb und sich auf dem Absatz umwandte. Unvermittelt prallte die Sterbliche gegen ihn und starrte dann mit leicht geweiteten Augen zu ihm auf; irritiert, überrascht und mit einer weiteren Empfindung, die er noch nicht einordnen konnte - ein verlockend sinnlicher Schatten huschte durch ihre hellen, silbernen Augen. Die Hände hatte sie intuitiv erhoben und jene lagen nun auf dem grünen Stoff seiner Robe gebettet. »Ach tatsächlich?« grinste er dann mit süffisant gehobener Braue auf sie herab. Sie war wirklich eine schlechte Lügnerin. Ihre Hände blieben einen Augenblick zu lange auf seiner Brust, als das sie wirklich abgestoßen von ihm und seiner Art hätte sein können, bevor sie sich mit einem kleinen Schnauben von ihm drückte, da ihr wohl ebenso bewusst wurde, dass sie zu lange in seiner Nähe verweilt hatte. Er konnte förmlich sehen, wie zurechtweisende, feurige Worte auf ihrer Zunge Gestalt annahmen; das kämpferische Aufblitzen in ihren Augen erinnerte ihn an ihren Wettstreit zu Pferd. Allerdings schien sie sich im letzten Moment eines besseren zu besinnen und schluckte die bissige Entgegnung wohl herab. Ob sie Angst vor ihm hatte? Zum ersten Mal stellte sich Loki diese Frage bewusst; und zum ersten Mal erschien ihm diese Möglichkeit durchaus beklagenswert. Obwohl er die Angst der Menschen einst mehr als genossen, sie sogar bewusst heraufbeschworen hatte - bei dieser Sterblichen hier war es irgendwie anders. Er bedauerte es fast, dass sie aus Angst oder Respekt sich selbst und ihre Zunge im Zaum halten könnte. Er hätte dieses Feuer in ihr liebend gern noch länger beobachtet; dem stürmischen Ausbruch zugesehen und ihren impulsiven Worten gelauscht. Er war neugierig darauf, dass musste er zugeben. Ihre Wortgefechte waren vergnüglich. Und das kam Loki in den Sinn - ihm, der nie sonderlich viel auf Vergnügen gegeben hatte. Irgendetwas schien sie zu bremsen und ihren Eifer ab und an zu dämpfen. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn als einen Prinzen Asgards sah - als Thors Bruder und Odins Sohn. Wahrscheinlicher war allerdings, dass die Erzählungen der Königin unterschwellig furchtsamen Respekt in ihr beschworen hatten und sie sich deshalb zurückhielt, da sie ihn nicht einzuschätzen wusste. »Sagtet Ihr nicht, dass wir zu tun hätten?« erwiderte sie dann nur lapidar, bevor sie ihn fragend ansah und die Arme auf eine abwehrende Weise vor der Brust verschränkte. »Richtig.« lenkte er sachlich ein und wandte sich wieder um. Sie folgte ihm und schweigend setzen sie ihren Weg fort, welcher von den klirrenden Schritten der Palastwache begleitet wurde. Nach einer Weile erreichten sie die Aufzüge Gladsheims und Loki trat vor der Sterblichen auf eine der kreisrunden Plattformen, welche durchsichtig schimmernd vor ihnen ausgebreitet lag und von kunstvollen Mustern und stilisierten Blüten durchzogen war. Die Konstruktion des Aufzuges war freischwebend und offen nach allen Seiten; die Podien glitten lautlos in elfenbeinfarbenen Schächten in die Höhe, die auf der abgewandten Seite des Palastes durch eine gläserne Front geziert waren. So offenbarte sich auf jeder Fahrt in die oberen Stockwerke ein herrlicher Ausblick über die Stadt. Die menschliche Frau setzte ihren Fuß ziemlich zögerlich auf die gläserne Plattform, während ihr Blick sich hob und Unsicherheit sowie ein furchtsamer Schatten über ihre Züge huschten, als sie in den luftigen Schacht hinaufsah und den vorgegebenen Weg des Aufzugs mit den Augen verfolgte. Das obere Ende des Schachtes war durch eine Glaskuppel geschützt und ließ den Blick auf den Himmel somit frei. Die Männer der Palastwache zögerten weniger und reihten sich sogleich wachsam um Loki auf. Alles wartete nun auf die Menschenfrau. Loki folgte ihrem Blick nach oben und hob einen Mundwinkel, bevor er die Sterbliche fragend ansah. »Angst?« Sie sah ihn verärgert an, allerdings gelang das weniger intensiv durch die verräterische Blässe um ihre zierliche Nase. »Ich habe lieber festen Boden unter den Füßen. Luftige Höhen meide ich normalerweise...« gab sie dann aber zögerlich zu; er spürte, dass es ihr nicht gefiel, sich diese Schwäche vor ihm eingestehen zu müssen. Er trat zu ihr hinüber und streckte ihr eine Hand auffordernd, allerdings auch anbietend entgegen; immerhin waren ihm Verzögerungen in seinen geplanten Abläufen äußerst zuwider. Niemals hätte er zugegeben, dass es ihn durchaus lockte, sie erneut berühren zu können; dass er neugierig auf diese Empfindung war, die eine Berührung von ihr hervorrief. »Kommt, es ist weniger schlimm, als es aussieht. Ich gewähre Euch meine Hand, in die Ihr Eure Nägel furchtsam krallen könnt - wenn Ihr denn die Nähe von gewiss weniger als zwei Schritten zu mir ertragen könnt.« sprach er mit spöttisch gehobener Braue, allerdings milderte seine sonstige Überheblichkeit ein ehrlich amüsiertes Schmunzeln, was sich gänzlich ohne sein Zutun auf seine Lippen geschlichen hatte. Die Sterbliche blickte grimmig zu ihm auf und murmelte ein verhaltenes: »Sehr witzig, Eure Hoheit…« bevor sie sich entschlossen straffte und seine Hand ergriff. Das elektrisierende Prickeln war sofort wieder da und überzog Lokis Arm mit einer feinen Gänsehaut. Sie war offensichtlich zu nervös, um es zu bemerken; ihr Blick war bereits schon wieder nach oben gerichtet, während sie befangen auf ihrer Unterlippe kaute. Dem Magier war bereits aufgefallen, dass sie das oft zu tun pflegte, wenn sie innerlich unsicher war. Er nutzte ihre momentane Ablenkung, um sie noch ein Stück zu sich zu ziehen, damit er verstohlen einen Hauch ihres Duftes einfangen konnte, bevor er einem der Wächter bestimmt zunickte. »Zur Ebene der Heiler.« Der Mann trat an das eingelassene Kontrollpult und dirigierte dem Aufzug somit die gewünschte Ebene; schon setzte sich die Plattform gleitend und sanft in Bewegung. Sofort klammerte sich die Menschenfrau an die Hand des Magiers und rückte näher zu ihm, was allerdings wohl eher unbeabsichtigt geschah, denn ihr Fokus hatte sich wie paralysiert zu Boden gesenkt und sie verfolgte mit großen Augen, wie sich der Erdboden unter ihnen immer weiter entfernte. »Nicht nach unten sehen.« raunte Loki ihr entgegen, nachdem er sich ein Stück zu ihr herabgebeugt hatte und sein Gesicht nun fast neben ihrem weilte. »Seht nach draußen.« Sie zuckte unmerklich zusammen, da seine Stimme plötzlich so nah an ihrem Ohr erklang, folgte dann jedoch seiner Anweisung und riss den Blick vom schwindenden Boden los, um ihre Aufmerksamkeit auf die gläserne Front des Aufzuges zu lenken. Die Sonne schien kräftig vom Himmel und das Licht ihrer Strahlen brach sich tausendfach in dem Glas der halbrunden Wände; alle Farben des Spektrums ergossen sich in zahlreichen Funken auf die Wächter sowie den Magier und die Sterbliche - dazu zauberte dieses Lichterspiel einen traumhaft glänzenden Schleier über den Ausblick der Stadt. Ohne, dass sich Loki dessen bewusst wurde, hatte sich sein Daumen selbstständig gemacht und zog träge, beruhigende Kreise auf dem Handrücken der Menschenfrau, was beinahe sogleich Wirkung zeigte; ihr verkrampfter Griff lockerte sich ein wenig und sie sah flüchtig aus dem Augenwinkel zu ihm herüber. »Das ist wunderschön.« hauchte sie, die Stimme noch etwas zittrig von der nervösen Anspannung ihrer Angst. Ihre hellen Augen waren leicht geweitet und präsentierten Loki ein fabelhaftes Schauspiel, da sich das gebrochene Licht in ihnen spiegelte und die verirrten goldenen Sprenkel in ihrer Iris äußerst faszinierend aufleuchten ließ. »Hm. Das ist es.« bestätigte er mit einem samtigen Raunen und wurde sich augenblicklich bewusst, dass er überhaupt nicht wusste, was er selbst damit eigentlich meinte - die fantastische Aussicht auf Asgard oder die außergewöhnlichen Augen der Sterblichen. Kontrollverlust über die eigenen Gedankengänge war Loki äußerst fremd und er quittierte diese neue Empfindung mit einem verwirrten Stirnrunzeln, als der Aufzug auch schon mit einem sanften Ruck in den oberen Ebenen zum stehen kam. Eine gläserne Tür öffnete sich im glatten Stein der Wand und gab den Blick auf einen langen, hellen Korridor frei. Loki ließ die Hand der Frau mit einem kleinen irritierten Kopfschütteln los, dann trat er in den Gang ein, den einige Asen in schlichten, weißen Gewändern bevölkerten. Sie wirkten geschäftig und nur einige hoben den Blick, um die Ankömmlinge neugierig zu beäugen, bevor auf den meisten Gesichtern kritische Verwirrung Einzug hielt, als sie Loki erkannten. Frigga hatte ihm erzählt, dass viele der Bevölkerung Asgards lange Zeit im Glauben gewesen waren, dass der Magier bei der Zerstörung des Bifröst umgekommen war. Odin hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, diesen Irrtum aufzuklären, nachdem Loki auf Midgard äußerst lebendig wieder aufgetaucht war und versucht hatte, die Erde für seine Zwecke zu unterwerfen; die Schande, die der Prinz über die Königsfamilie gebracht hatte, war so schon groß genug. Allerdings hatte es Gerüchte gegeben; gesprächige Wächter, die von Loki in den Kerkern Gladsheims berichtet hatten und so machte die Geschichte vom untoten Asenprinzen rasch die Runde unter der Bevölkerung. Nur wenige von Odins ausgewählten Ratsmitgliedern wussten um die Wahrheit und der Rest würde es nie wagen, danach zu fragen. Und so sahen wohl viele der Asen in Loki eine schaurige Erscheinung; seine Berufung zur Magie kam da wohl noch zusätzlich gelegen und gab Anlass und genügend Stoff für viele geistreiche Ausschmückungen der Geschichte, wo er doch so plötzlich wieder auf der Bildfläche erschienen war. Allerdings hatte der Allvater - äußerst überraschend für Loki - angewiesen, dass jeder den Magier mit dem gebührenden Respekt zu behandeln hatte und ihm zur Hilfe verpflichtet war, so er sie benötigen sollte. Eine dunkelhaarige Asin trat an die Gruppe heran und verbeugte sich ein wenig steif vor Loki, als wäre es ihr eine besonders schwere Aufgabe, diese Respektsbekundung vor ihm auszuführen. »Eure Hoheit…« kamen die Worte anfänglich ein wenig stockend über ihre Lippen, bevor sie flüssiger fortfuhr. »…wie können wir Euch helfen?« »Ich benötige eine der Heilkammern.« kam er gleich zur Sache und sah die Frau fordernd an, die sich wieder aufgerichtet hatte und sogleich ein verstehendes Nicken sehen ließ. »Natürlich. Gerade ist eine der Kammern freigeworden. Ihr könnt sie sofort in Benutzung nehmen. Noch dazu werde ich Euch gern den fähigsten unserer Heiler zur Verfügung-« Loki wiegelte ihre hilfsbereite Fürsorge sogleich mit einer knappen Handbewegung ab und brachte sie damit zum Schweigen, während er bereits an ihr vorbei ging und die Dringlichkeit seines Anliegens damit verdeutlichte. »Ich brauche keine Hilfe. Ich bin selbst genügend mit der Benutzung und Bedienung vertraut.« gab er klar und sachlich zurück, bevor er sich mit einer auffordernd gehobenen Braue umwandte. Die Asin raffte ihr Gewand und eilte sogleich voraus, um ihm den Weg zu zeigen. »Natürlich, Eure Hoheit.« Die Gruppe kam an einigen geschlossenen Türen vorbei, bis die Frau vor einer der goldenen, bogenförmigen Türen stehen blieb und diese zuvorkommend für den Prinzen und seine Begleitung öffnete. Loki bedeutete der Sterblichen, dass sie eintreten möge und sie folgte seiner Anweisung auch nach einem kleinen, unsicheren Zögern. Dann betrat der Magier selbst den Raum und schloss die Tür hinter sich vor den Nasen der Wächter. Die kuppelförmige Kammer öffnete sich vor ihnen im hellen, warmen Schein von einigen Fackeln; die goldenen Wände warfen das Licht schimmernd zurück. Die Decke der Kuppel war gläsern und präsentierte Tageslicht. In dem Raum selbst gab es eher wenig zu sehen; eine bettartige, ausreichend behagliche Kapsel, in die Verwundete gebracht wurden, um ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren und zu unterstützen, daneben eine Art erhöhter Sockel - die Untersuchungsplattform, auf der man den Körper eines Kranken durchleuchten konnte. Auf diese deutete Loki nun. »Legt Euch dort hin.« wies er der Menschenfrau an, die sich bis eben interessiert im Raum umgesehen hatte. Unsicher schritt sie zu dem Sockel hinüber. »Was habt Ihr mit mir vor?« fragte sie dann vorsichtig und ließ die Finger befangen über den Stein wandern, bevor sie Loki ansah. Der Magier selbst war an das Fußende der schmalen Plattform herangetreten und brachte mit einem Wisch seiner Hand die eingelassenen Kontrollelemente zum Vorschein, welche hell leuchtend unter seinen Fingern zum Leben erwachten. »Eine Untersuchung. Wenn tatsächlich die magische Essenz Asgards an Euren Veränderungen Schuld sein sollte, so wird es Rückstände in Eurem Körper geben. Irgendwo muss sich diese Energie eingelagert und Spuren hinterlassen haben. Jeder Zauber hinterlässt eine Resonanz.« erklärte er ihr entgegenkommend, nachdem er sich bewusst gemacht hatte, dass sie wohl nicht kooperieren würde, wenn sie nicht wusste, was er mit ihr vorhatte. Er blickte kurz auf und sah sie beruhigend an. »Es wird nicht wehtun.« versicherte er so ehrlich, wie es ihm eben möglich war. Das schien die Menschenfrau zumindest um ein Stück weit zu beruhigen und sie stieg auf den goldenen, leicht gewärmten Sockel, dessen Oberfläche sich sofort sanft an die Umrisse ihres Körpers anpasste und das Liegen somit bequem machte. »Ist dieses Phänomen Eurer leuchtenden Hände bereits vorher aufgetreten?« fragte Loki sachlich; seine Finger aktivierten die Untersuchung und aus der Plattform schossen unzählige, hell leuchtende Funken, die sich über dem Körpers der Frau zu einem schimmernden Hologramm ihrer Gestalt verbanden. Sie hob bereits fasziniert einen Arm, um die Finger durch das leuchtende Bild gleiten zu lassen, doch der Magier stoppte sie mit einem herrischen Befehl. »Nicht bewegen!« Beinahe erschrocken zog sie den Arm zurück und bettete die verschränkten Hände verunsichert in ihrem Schoß; ihre Finger rangen nervös miteinander, bevor sie zögerlich auf seine zuvor gestellte Frage antwortete. »Ja…ja, das ist es. Kurz nach meiner Ankunft auf Asgard.« Sie schilderte ihm kurz und bündig einen Vorfall mit einem verletzten Vogel. Ihr Kopf hob sich kurz an und ihr Blick suchte wohl den seinen, doch Loki hatte seinen Fokus konzentriert auf die Feineinstellung der Geräte gesenkt. Seine Finger flogen flink über das Bedienfeld, während er ab und an die Stirn bei ihrer Erzählung in nachdenkliche Falten zog. »Seit wann beobachtet Ihr Veränderungen an Euch? Gab es einen Zeitpunkt, seitdem Ihr einen Wandel verspürt habt?« Der Magier schob noch ein paar Regler auf dem glatten, gläsernen Kontrollpult in die richtige Position, bevor er fragend wieder zu der Sterblichen aufsah, die nicht sogleich antwortete. Loki trat um das Fußende des Sockels herum und blieb an ihrer Seite stehen, den Kopf in den Nacken gelegt, um die dreidimensionale Abbildung ihres Inneren forschend zu betrachten. Ihre Aufmerksamkeit schien ebenfalls von dem funkelnden Schauspiel gefesselt zu sein - über ihr verbanden sich Muskeln und Knochen zu leuchtenden Pfaden, der Fluss ihres Blutes erschien wie Sternenstraßen, die rasch vorbeizogen; der pulsierende Kern des Ganzen ihr pochendes Herz, das fast wie die glühende Spirale einer eben erwachenden Galaxie anmutete. Sie wurde sich mit einem Räuspern seiner Frage bewusst. »Seit der Reise mit dem Bifröst.« antwortete sie dann. Loki sah mit einer erwartungsvoll gehobenen Braue auf sie herab. »Ist etwas ungewöhnliches passiert?« »Naja…irgendwie habe ich diese Art des Reisens offensichtlich schlechter vertragen als die anderen Menschen meiner Gruppe. Mir war furchtbar übel, als ich hier ankam und ungewöhnlich schwindelig. Es fühlte sich fast an, als…als…naja, als hätte man mein Inneres herausgerissen und alles neugeordnet zurückgestopft…« erklärte sie ihm unsicher, ihre Stimme gegen Ende hin immer mehr abfallend, bis es fast kaum noch mehr als ein Wispern an Lokis Ohren schaffte. Er hatte während ihrer Antwort die Arme gehoben und diverse Bereiche ihres Körpers durch gezielte Handbewegungen vergrößert oder gedreht, um sich verschiedene Perspektiven zu verschaffen. Jetzt hielt er allerdings inne und sah wieder ergründend auf sie herab, die Augen leicht verengt. »Wie meint Ihr das?« raunte er wachsam und hellhörig geworden. Die Sterbliche schielte flüchtig zu ihm auf und zog die Unterlippe kurz zwischen die Zähne, bevor sie schon in einer hilflosen Geste die Hände anheben wollte. Allerdings drückte der Magier ihre Finger auf halbem Weg wieder in ihren Schoß zurück und sah sie beschwörend mit gehobener Braue an. »Ich weiß auch nicht, wie ich das beschreiben soll…« begann sie dann in einem entnervten Seufzen. Die Fragerei schien ihr zuwider zu sein und Loki konnte sie beinahe verstehen. Wahrscheinlich hätte sie das Ganze lieber unter den Tisch gekehrt und endlich vergessen. Doch unschöne Wahrheiten ließen sich leider nicht so einfach von der Bildfläche wischen. »…es fühlte sich einfach seltsam an mit dem Bifröst zu reisen. Als ich in Asgard ankam…ich hatte kurz das Gefühl…naja, nicht mehr ich selbst zu sein. Irgendetwas fühlte sich anders in mir an…verdreht, als wäre nicht mehr alles dort, wo es hingehört.« Er ließ ihre Finger wieder los und widmete sich erneut dem holografischen Abbild ihres Körpers. »Ist Euch etwas Ähnliches auf Midgard schon einmal passiert? Ein unerklärlicher Vorfall? Eine seltsame Empfindung? Irgendetwas?« Seine Hände schoben die Darstellung ihrer Knochen und Sehnen auseinander und wieder zusammen; er tauchte die Finger in ihre Muskeln und Eingeweide und hielt ihr schlagendes Herz in den Händen. Doch nirgendwo fand er ein Anzeichen darauf, dass sich die magische Energie Asgards eingenistet hatte. Vor ihm lag eine ganz normale Sterbliche. Kein Funke einer fremden Essenz in ihrem Leib. Keine Veränderungen. »Nein. Noch nie.« antwortete sie ihm fest und sicher. »Mein Leben verlief bisher eigentlich stinknormal.« Mit einem frustrierten Seufzen ließ Loki die Arme sinken und stützte die Handflächen auf dem Stein neben ihr ab, dann starrte er angestrengt mit finster zusammengezogenen Brauen vor sich hin. Irgendetwas musste er übersehen, etwas nicht bedenken. Doch was mochte das sein? Asgard konnte nicht für die seltsamen Phänomene ihrer Person verantwortlich sein - weder dafür, dass sie seine Zelle öffnen konnte, noch für das seltsame Licht in ihrem Leib oder das bizarre Verhalten der Tiere in ihrer Nähe. Loki schielte zu dem schimmernden Abbild ihres Körpers hinauf. Hier hatte er den Beweis. Sie war tatsächlich nur ein Mensch ohne die Spur einer magischen Veränderung. Ihre Erzählung vom Bifröst klang fast nach einer Art Bannspruch; eine magische Fessel, welche durch die Reise zwischen den Welten angebrochen sein konnte. Vielleicht lag der Ursprung ihrer Macht auch gar nicht in Asgard… Womöglich suchte er am völlig falschen Ort nach des Rätsels Lösung? »Eure Familie - Eure Eltern…« begann er dann in einem nachdenklichen Raunen, während er ihr das Haupt zuwandte und sie ergründend ansah. »…haben sie jemals von seltsamen Vorkommnissen berichtet? Hat irgendjemand aus Eurer Familie „Fähigkeiten“?« Einer plötzlichen Eingebung folgend schob er eine Hand über den warmen Stein und betätigte einen Knopf am seitlichen Rand der Plattform, woraufhin sich eine kleine Mulde in der Oberfläche des Sockels öffnete; ähnlich einer flachen Schale mit einem Loch am Boden. »Äh…nein. Nicht das ich wüsste…« antwortete ihm die Menschenfrau nach einem kurzen Zögern - eine Unsicherheit, die Loki durchaus wahrnahm und mit einem kurzen Stirnrunzeln quittierte. Dieses Schwanken in ihrer Stimme ließ ihn wachsam werden und vermuten, dass sie nicht die ganze Wahrheit sprach. Doch vorläufig würde er es dabei belassen. Er würde wahrscheinlich mehr aus ihr herausbekommen, wenn sie es ihm freiwillig offenbarte, als das er alle Einzelheiten mühsam aus ihr herauspressen müsste. Vielleicht hatte er sich ja auch geirrt und ihr Zögern unterlag einer anderen Ursache. »Eure Hand.« verlangte Loki daraufhin kühl; sie sah ihn einen Moment unschlüssig an, bevor sie ihm eine ihrer Hände langsam reichte, ihn dabei jedoch nicht aus dem Fokus ihres vorsichtigen Blickes entließ. Er ergriff ihre Finger und zog einen schmalen, verzierten Dolch aus einer Geheimtasche seiner bodenlangen Stoffrobe. Die Augen der Sterblichen weiteten sich sofort ängstlich, doch noch bevor ihr Körper den aufkeimenden Fluchtreflex in die Tat umsetzen konnte, hatte er die Klinge in einer blitzschnellen, fließenden Bewegung über ihre Handfläche gezogen. Ein feiner, flacher Schnitt zog sich über ihre blasse Haut, aus welchem ein paar träge Blutstropfen sickerten, die Loki zielgerichtet in die erschienene Mulde des Steines tropfen ließ. Dann gab er ihre Hand wieder frei, nicht jedoch ohne zuvor unter dem mächtigen Ansturm dieser geöffneten Wunde zu erbeben und die flatternden Lider einen Augenblick über die Augen zu senken. Seine Sinne konnten ihn nicht trügen; mächtige Magie lag in ihrem Inneren verborgen. Die Menschenfrau zog die Hand sofort an ihre Brust und starrte ihn aus äußerst ärgerlich verengten Augen an; in ihren Pupillen stoben hitzige Funken. »Ihr hättet mir ruhig sagen können was Ihr vorhabt.« fuhr sie ihn wütend an. Loki musste anerkennen, dass sie keinen weinerlichen Schmerzenslaut von sich gegeben hatte, wie er es eigentlich von einer sterblichen Frau wie ihr erwartet hätte. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte sie die zugefügte Verletzung stumm hingenommen und das konnte er durchaus achten. Trotz ihrer zierlichen Erscheinung war sie im Inneren eine Kämpferin. Bewiesen hatte sie das bereits im Kerker Gladsheims, als sie sich für die riskante Variante entschieden hatte, Loki aus seiner Zelle zu befreien, statt sich hilflos in ihr Schicksal zu ergeben - ganz zu schweigen von der Wahnsinnstat sich vor Gungnir und Odin zu stellen, um einen völlig Fremden zu schützen. »Das hätte ich.« war Lokis lapidare Erwiderung, bevor er das leuchtende Hologramm ihres Körpers mit einer beiläufigen Handbewegung beiseite schob und der Abbildung ihres Blutes damit Platz machte, welche soeben über die Plattform projiziert wurde. Die kleinen, linsenförmigen Blutkörperchen zogen träge über die kuppelförmige Decke des Raumes und bestätigten den Magier nur in dem, was er bereits vermutet hatte. Ein völlig gewöhnlicher Mensch. Und doch…er hatte es erneut gespürt. Dieses Aufwallen von Macht; dieses unterschwellige Beben von Magie, als ihr Lebenssaft floss. Die Sterbliche verfolgte die detaillierte, schimmernde Darstellung ihres Blutes ebenso, bevor ihr Blick zu Lokis Zügen wanderte und an dessen Gesicht ergründend hängen blieb, als müsste sie jede Regung des Magiers genauestens beobachten. »Was stimmt mit mir nicht?« fragte sie dann nach einer Weile, in welcher Loki seinen Dolch mit einem bereitliegenden Tuch gereinigt hatte und diesen wieder in den Falten seiner dunkelgrünen Robe verschwinden ließ. Sein Blick hing unbeirrbar an dem Hologramm ihres Blutbildes, während sich die schalenförmige Öffnung im Stein mit einem leisen Sirren wieder schloss. »Konntet Ihr einen Anhaltspunkt finden?« Beinahe hoffnungsvoll setzte sie sich nun langsam auf und ließ den Blick von ihm zu dem trägen Schimmern über ihrem Kopf wandern, bevor ihr Fokus schon zu dem Magier zurückkehrte. »Was ist los mit mir?« Er schöpfte tief nach Atem und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe keine Ahnung…« war seine zerknirschte Antwort; Loki widerstrebte es sehr, dass er keine Antworten auf seine brennenden Fragen fand. Jeder Moment, den er in Unwissenheit verweilte, war ein weiteres Korn in der Sanduhr der Zeit, welches unnütz und unwiederbringlich fiel - seine Ziele und Pläne weiter von ihm abrücken ließ. Was war nur ihr Geheimnis? Asgard kam als Ursache nicht mehr in Frage, dessen war sich Loki nun mehr als sicher. Und dabei war diese Möglichkeit die wahrscheinlichste von allen gewesen. Er war keinen Schritt weiter gekommen. Er wusste weder, welche Art Macht in ihren Knochen steckte, noch welchem Ursprung diese entstammte. Irgendwie passten alle Puzzleteile nicht zusammen. Unzufrieden wandte er sich ab, um in einem der bereitstehenden und vorsorglich gut gefüllten Regale nach Verbandszeug für die Hand der Sterblichen zu suchen. Er hielt gerade eine sauber aufgerollte Stoffbahn in den Händen, als das verwirrte Wispern der Frau an seine Ohren drang. »Loki…« hauchte sie eindringlich; ihm fiel unsinnigerweise auf, dass sie ihn zum ersten Mal beim Namen nannte. Die nervöse Bedrängnis in ihrer Stimme ließ ihn sofort auf dem Absatz herumfahren - und erstarren. Die menschliche Frau hatte sich auf dem Podest aufgesetzt und war an dessen Ende gerutscht, die Knie erschrocken angezogen; sie starrte mit ungläubig geweiteten Augen angestrengt in die noch immer bestehende Projektion ihres Blutes - und Loki konnte ihre Verwirrung augenblicklich nachvollziehen. Das schimmernde Hologramm veränderte sich; ein paar der bisher trägen und zahlreichen Blutkörperchen durchlief ein seltsames Zittern, als würden sie sich in Krämpfen schütteln, bevor die ersten von ihnen in einem glitzernden Funkenregen zerstoben - ähnlich eines Wassertropfens, der platschend auf einen Stein fiel, nur das dieser Vorgang hier völlig lautlos vor sich ging. Gebannt beobachtete Loki dieses unglaubliche Schauspiel und trat wieder näher an die Plattform heran, während er die Hand mit dem weichen Verbandszeug achtlos an seine Seite sinken ließ. Die berstenden Blutkörperchen schienen beinahe eine Kettenreaktion auszulösen; die glühenden Punkte trafen auf die nahen Plättchen und brachten diese ebenfalls in Bewegung - eines nach dem anderen zersplitterten die holografischen Gebilde und hinterließen am Ende nichts weiter als ein flimmerndes Meer aus aufleuchtenden Funken, dessen machtvolles Strahlen den gesamten Raum so hell erleuchtete, dass die Sterbliche sowie der Magier die Augen abwenden mussten. Loki sah die Frau fassungslos an und sie erwiderte seinen Blick ebenso bestürzt und irritiert. »Was…« hauchte sie atemlos und schluckte hart, während sie flüchtig erneut in das funkelnde Meer über ihren Köpfen sah, bevor ihre Augen wieder die des Magiers suchten. »Was hat das zu bedeuten…?« Das hätte er allerdings auch zu gern gewusst… Solch eine Reaktion hatte er noch nie erlebt. Er brauchte unbedingt Ruhe. Er musste nachdenken. Loki schloss kurz die Augen und rieb sich in einer ratlosen Geste über die schmerzenden Schläfen; das Ganze bereitete ihm schon jetzt üble Kopfschmerzen. Schlussendlich drückte er der Sterblichen die Rolle des Verbandszeuges in die Hand. Er wollte den Arm zurückziehen, doch sie krallte die Finger in den Stoff seines Ärmels und zog sich so zu ihm heran. Der Magier erkannte erneut Angst in ihren hellen Augen und das sich spiegelnde Funkenmeer über ihnen - allerdings musste er sich eingestehen, dass der Schatten der Furcht diesen Anblick weniger reizvoll gestaltete, als er ihn noch in diesem kurzen Moment im Aufzug erachtet hatte. Der hartnäckige Schleier von Angst kleidete die Frau nicht halb so gut wie ihre atemlose Begeisterung. »Werde ich sterben? Bedeutet es das? Oder werde ich nur verrückt? Was zur Hölle ist los mit mir?!« fuhr sie ihn aufgelöst an und schüttelte in einer hilflosen Geste seinen Arm, da er keine Reaktion auf ihre aufgewühlten Fragen zeigte. »Verdammt nochmal…sag doch etwas, du elender Mistkerl! Sag mir endlich, was-« Ruckartig hob er den freien Arm und drückte ihr einen Zeigefinger auf die bebenden Lippen. Diese überraschend intime Geste verfehlte ihre Wirkung nicht und ließ sie augenblicklich verstummen, wobei er das Beben ihrer Lippen unter der Fingerkuppe verspüren konnte. Ihre nun furchtsam großen Augen sahen abwartend zu ihm auf, während ihr beschleunigter Atem über seine Haut strich. »Beruhigt Euch. Panik bringt uns jetzt nicht weiter.« sprach er dann beschwörend auf sie ein, die Stimme ein schneidend glattes Raunen. »Wir werden gemeinsam eine Antwort auf Eure Fragen finden. Doch wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren. In Ordnung?« Loki hatte ziemlich wenig Erfahrung mit zwischenmenschlichen Beziehungen; er wusste nicht, wie man eine aufgelöste, angsterfüllte Person am besten beruhigen sollte und doch war er sich der Dringlichkeit dieser Sache durchaus bewusst, denn wenn sie in kopflose Panik verfiele, wäre sie ihm am Ende wohl so hilfreich und nützlich wie Thor beim Sortieren von Büchern und uralten Folianten - eine überflüssige Anstrengung, einem Krieger den Sinn von Ordnung erklären zu wollen. Sie mussten sich beide einen kühlen Kopf bewahren, obwohl Loki ihre Aufregung durchaus nachvollziehen konnte. Sie nickte nach einer Weile zögerlich und er zog seinen Finger von ihren Lippen zurück, nicht jedoch, ohne das für einen Herzschlag zu bedauern. Entschieden schob er diese seltsame Klage in einen entlegenen Teil seiner selbst, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Loki schloss die freie Hand um ihre verkrampften Finger und löste diese langsam von seinem Ärmel. »Ihr werdet nicht sterben. Wenn es an dem wäre, so wärt Ihr wahrscheinlich schon längst tot.« begann er dann eindringlich und hielt ihren Blick gefangen, während er nebenher das andauernde Leuchten über ihren Köpfen mit einer beiläufigen Handbewegung beendete. Sirrend schossen die glühenden Punkte in die Plattform zurück. »Diese Reaktion ist ungewöhnlich. Das gebe ich zu. Aber Ihr lebt und erfreut Euch augenscheinlich bester Gesundheit, also muss es eine logische Erklärung geben. Und ich werde sie finden.« versprach er entschlossen. »Und zuerst sollten wir vielleicht einmal genauer überprüfen, ob Ihr wirklich über eine heilende Berührung verfügt…« Kapitel 10: Magie ----------------- »Das ist einfach nicht möglich…« Nachdem seine Sterbliche den Rückweg aus der Heilkammer in einer Art schweigsamen Schockzustand verbracht hatte; bestärkt durch ihr erneut furchtsames Anrücken an Loki während der Fahrt mit dem Aufzug, erfreute sie sich nun plötzlich wieder äußerster Lebhaftigkeit, als hätte sie der feste Boden unter den Füßen von ihrer Starre geheilt. Wo Loki sie vorher schon fast hatte mit sich ziehen müssen, wirbelte sie nun entschieden zu ihm herum, nachdem sie die Plattform des Aufzuges verlassen hatten und drückte ihm die Hände auf die Brust, um ihn am weitergehen zu hindern. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht schwankte zwischen Verwirrung und vorsichtiger Hoffnung. »Es kann einfach nicht sein. Eure Geräte müssen einen Fehler gemacht haben!« Loki sah mit irritiert gehobenen Brauen auf ihre Hände hinab, die auf dem Stoff seiner Robe verweilten, bevor er einfach einen Schritt beiseite trat und seinen Weg an ihr vorbei fortsetzte. »Unsere Geräte machen keine Fehler.« Allerdings hatte er nicht mit der Beharrlichkeit der Menschenfrau gerechnet, deren Finger sich sofort um seinen Unterarm schlossen und ihn erneut im Gang aufhielten. »So hört mir doch wenigstens erst einmal zu!« fuhr sie ihn aufgebracht an, während in ihre Stimme unterschwellig die Verzweiflung kroch. Loki blieb erneut stehen und schöpfte tief nach Atem, bevor er sich eher widerwillig zu der Sterblichen umwandte. Menschen waren wirklich seltsame Geschöpfe. Warum konnten sie die Wahrheit einfach nie akzeptieren? Dieses Verhalten hatte er bereits auf Midgard häufig beobachtet. Die Sterblichen konnten sich einfach selten mit der Wirklichkeit abfinden und bäumten sich selbst im Angesicht des sicheren Todes oder einer unverrückbaren Realität kämpferisch auf, um zu versuchen die Vorsehung doch noch abzuändern - mutig, doch schlichtweg dumm. Sie waren ein sturer, kleiner Haufen - trotz ihrer schwachen Körper und sterblichen Hüllen waren sie entschlossen, verbissen und unterwarfen sich nicht gern; weder einem Gott, noch ihrem Schicksal. Auch seine Sterbliche bildete da keine Ausnahme. Loki rieb sich in einer missmutigen Geste mit der freien Hand über die Schläfe. Er musste endlich damit aufhören, sie als Sein zu betrachten und zu bezeichnen. Mit auffordernd gehobener Braue und recht entnervt sah er ihr entgegen. »Schön. Dann sprecht.« verlangte er ungeduldig. Der Trupp der Palastwache war ebenso stehengeblieben und verweilte abwartend hinter den beiden; eine weitere Tatsache, die Loki wohl bald den letzten Nerv rauben würde. Die ständige Beobachtung durch diese hirnlos dressierten Kämpfer ging ihm mächtig gegen den Strich. Er konnte keinen Schritt und keine Bewegung ohne die argwöhnischen Blicke von Odins Wachen tun; obwohl er das Misstrauen ganz Asgards durchaus nachvollziehen konnte, so war diese permanente Überwachung doch irgendwie auch ziemlich ernüchternd. Denn Loki wurde damit zu jeder Tages- und Nachtzeit erneut vor Augen geführt, dass er ein Ausgestoßener war; ein Geächteter, dem man jegliches Vertrauen abgesprochen hatte - dem selbst die eigene Familie, wenn auch nicht die wahre, keinen einzigen Schritt mehr über den Weg traute. Vor der Zeit seiner Gefangenschaft hätte ihn diese Erkenntnis gewiss noch mit hinterhältiger Freude erfüllt, doch jetzt - nach allen den Monden in Einsamkeit - war das Bewusstsein darüber nur noch wie ein bösartig hungriger Wurm, der sich unermüdlich durch seine Eingeweide fraß und nichts als Leere hinterließ. In den dunklen Stunden der Nacht wurde sich Loki dieser sich ausbreitenden Leere immer mehr bewusst; vielleicht auch ein Grund, warum er den Schlaf bewusst mied und seinen Verstand nicht zur Ruhe kommen lassen wollte. Die Sterbliche straffte sich entschieden und schlug dann einen eindringlichen Tonfall an: »Ich war auf der Erde regelmäßig beim Blutspenden. Man hätte mich doch benachrichtigt, wenn mit meinem Blut etwas nicht gestimmt hätte. Meint Ihr nicht, dass die Regierung meiner Welt schon viel eher auf mich aufmerksam geworden wäre, wenn mein Blut solche Phänomene entwickelt hätte?« Sie blickte abwartend zu ihm auf, Zuversicht auf den zarten Zügen, während sie ihn noch immer festhielt. Loki zog eine Braue fragend und kritisch in die Höhe, während er sich ihr gänzlich wieder zuwandte. »Blutspende…?! Was muss ich mir darunter vorstellen? Welchen Zweck soll das erfüllen?« fragte er dann, doch neugierig geworden. Die Menschenfrau wirkte augenblicklich fast erleichtert und ließ seinen Arm nun zögerlich wieder los, da sie offensichtlich der Überzeugung war, seine gewonnene Aufmerksamkeit würde ihn sicherer an Ort und Stelle halten als ihr Griff. »Bei einer Blutspende gibt man freiwillig eine gewisse Menge an Blut ab. Das wird dann kontrolliert und untersucht, um es in Notfällen kranken und verletzten Menschen zur Verfügung stellen zu können, wenn die einen schweren Blutverlust erlitten haben.« Loki rümpfte missbilligend die Nase. »Ihr vermischt euer Blut untereinander und macht es damit unrein?! Solch Unsinn kann es auch nur auf Midgard geben…« Sie sah ihn völlig entgeistert an, bevor sich Entrüstung bei ihr breitmachte. »Das ist doch jetzt gar nicht das Thema. Und überhaupt…das ist eine ehrenvolle Spende und ein sehr gutmütiges Opfer! Es ist überhaupt nichts unreines oder verwerfliches daran, einem anderen Menschen damit das Leben zu retten!« Der Magier hatte ihren Worten ungerührt und distanziert zugehört, was ihre Empörung erst noch recht zu schüren schien - besonders, nachdem er eine Braue süffisant skeptisch in die Höhe gezogen hatte. »Aber ein egoistischer Kerl wie Ihr wird das wohl kaum verstehen.« fuhr sie ihn wütend an, die schmalen Brauen grimmig zusammengezogen. »Für Euch steht ja das eigene Wohl an höchster Stelle, nicht wahr?« giftete sie höhnisch. Ihre zierliche Gestalt wirkte angespannt, die Hände hatte sie intuitiv zu Fäusten geballt und der Magier musste unwillkürlich feststellen, dass der Schein der hereinfallenden Sonnenstrahlen ihr rotes Haar flammend aufleuchten ließ und ihr fast schon das Aussehen einer entschlossenen Rachegöttin verlieh. Das war irgendwie…reizvoll. Loki gab ein gleichgültiges Nicken von sich. »Richtig.« war seine lapidare Antwort. Die Worte der Sterblichen berührten ihn nicht wirklich, da man ihm schon schlimmere Dinge an den Kopf geworfen hatte. Wenn er sich stets alles zu Herzen genommen hätte, als was man ihn im Laufe seines Lebens schon bezeichnet hatte, so wäre er wohl bereits zu einem kümmerlichen Häufchen Selbstmitleid verkommen. Er musste Emotionen an seiner mühsam erbauten, eiskalten Fassade abperlen lassen wie wütende Regentropfen in einem Sturm von der schützenden Fensterscheibe. Allerdings konnte er sich die Wut der Sterblichen eigentlich nicht leisten - er rief sich in Erinnerung, dass er ihr Vertrauen benötigen würde, wenn er jemals das Geheimnis um ihre Macht lösen wollte. »Wollt Ihr mich jetzt weiter beleidigen oder mir Eure Vermutung offenlegen?« fügte er dann seelenruhig an und erntete dafür von ihr ein ungläubiges Schnauben. Fassungslos wandte sie den Blick ab und schien mit sich selbst zu ringen. Sie holte tief Luft und schüttelte den Kopf, erst dann sah sie ihn wieder an. »Wie ich bereits sagte - eure Geräte scheinen nicht zu stimmen. Vielleicht ist Euch auch ein Fehler bei der Untersuchung unterlaufen. Mein Blut hat noch niemals zuvor solche Veränderungen-« Loki drehte sich ungerührt auf dem Absatz herum und setzte seinen Weg fort, ohne auf ihren empörten Protest zu achten, da er sie einfach stehen ließ. »Mir ist kein Fehler unterlaufen und unsere Geräte funktionieren einwandfrei. Das beweist gar nichts - außer vielleicht, dass dieses Phänomen tatsächlich erst nach Eurer Ankunft in Asgard zum Vorschein kam.« In Gedanken versunken durchschritt der Magier die Gänge Gladsheims, nachdem die erzürnten Worte der Sterblichen an ihm abgeprallt waren, die sich über seine unhöfliche Art beschwert hatte. Nun folgte sie ihm wie der Trupp der Palastwache schweigsam. Also war die Frau auf Midgard wirklich noch völlig normal gewesen. Erst durch die Reise mit dem Bifröst schienen diese Phänomene Gestalt angenommen zu haben, als hätte der Transfer zwischen den Welten irgendetwas in ihr „aktiviert“. Doch wo lag dann der Ursprung ihrer Macht; dieser brodelnden Energie in ihrem Blut? Loki konnte es sich einfach nicht erklären. Sie schien sich zu einem unlösbaren Rätsel zu entwickeln. Die kleine Gruppe erreichte eben die Vorhalle Gladsheims und die Wächter des Eingangstores öffneten jenes mit einem schweren Schaben für den Magier und seine Gefolgschaft; Sonnenlicht flutete in die Halle, in welches Loki seine Schritte setzte und eilig die Stufen zum Vorhof von Odins Palast hinablief. Das helle Tageslicht hämmerte wie Thors Hammer gegen seine Schläfen und ließ ihn die Augen blinzelnd verengen; erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er ziemlich viel Zeit im schattigen Zwielicht der Bibliothek zugebracht hatte, über seinen Büchern brütend, ohne sich eine Pause oder Schlaf zu gönnen - ganz zu schweigen von einer Mahlzeit. Bohrende Kopfschmerzen drängten forsch in den Vordergrund und erinnerten ihn daran, dass er vielleicht ein wenig besser auf sich und seinen Körper achtgeben sollte - Gott hin oder her, auch seine Reserven waren nicht unerschöpflich. Die schweren Schritte der Palastwache folgten ihm die Treppe hinab, doch seine Sinne vermeldeten ihm augenblicklich, dass die Sterbliche zurückblieb. Ein Blick über die Schulter zeigte Loki, dass die Frau auf einer der oberen Stufen stehen geblieben war und starrsinnig die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Mit einem beinahe vernichtenden Blick sah sie zu ihm herab, während der milde Wind an ihrem Haar zerrte und einzelne Strähnen in ihr Sichtfeld wirbelte. Sie machte keine Anstalten sich weiter zu bewegen und ihm zu folgen. Himmel. Frauen waren wirklich komplizierte Wesen. Loki hätte so einiges dafür gegeben, damit er ihre Gedankengänge nachvollziehen könnte. Unter normalen Umständen hätte er sich niemals die Mühe gemacht, mit einem resignierten Seufzen umzukehren und die Stufen zu ihr zurück zu erklimmen; er hätte sich einfach genommen, was er wollte - sie wenn nötig auch mit Gewalt oder Magie unter seinen Willen gezwungen und die Treppe hinabgezerrt. Doch die Umstände waren leider nicht normal - daran erinnerten ihn die penetranten Fesseln um seine Handgelenke und der Trupp der Wächter, die wartend auf den Stufen stehengeblieben waren. Und der Gedanke, dass es ihm irgendwie zuwider wäre, in den hellen Augen der Menschenfrau Angst vor ihm aufflackern zu sehen - natürlich nur, weil ihre Kooperation damit gefährdet wäre. Bewusst gemächlich stieg er die Treppe wieder hinauf und blieb ein paar Stufen vor ihr stehen, sodass sie sich auf gleicher Augenhöhe befanden; sie war ja gut einen ganzen Kopf kleiner als er selbst. »Was ist los?« fragte er dann ruhig nach und bemühte sich einen nicht so gänzlich ungeduldigen Eindruck zu vermitteln. Wenn er bei ihr weiterkommen wollte, so musste er sich wohl oder übel darauf einlassen, freundlicher zu sein und auf ihre Bedürfnisse zu achten. »Ich finde, wir sollten jetzt mal ein paar Dinge klarstellen.« begann sie mühsam beherrscht, was ihre unterschwellig zitternde Stimme verriet. Sie war wütend, kaum zu übersehen durch das kämpferische Funkeln in ihren Augen; ihr Blick bohrte sich direkt und unbeirrbar in seinen und verschaffte ihr damit Lokis äußerst kostbare Aufmerksamkeit. Sie unterlag noch immer einer gewissen Furcht vor ihm, was ihr angespannter Körper nicht gänzlich verbergen konnte; ihre ganze Haltung wirkte, als könnte sie bei der kleinsten, verdächtigen Regung seinerseits ihr Heil in der Flucht suchen, doch ihr Kinn war entschlossen gereckt und der Magier musste ihren Mut mit einem winzigen Schmunzeln wertschätzen. Ja, Menschen waren wirklich seltsame Geschöpfe. Obwohl sie ihr Instinkt vor Gefahr warnte, erhoben sie sich und trotzten ihr, weil sie immer nach Freiheit und Gerechtigkeit streben würden. Loki schwenkte die Hand in einer auffordernden Geste. »Bitte. Nur zu. Klärt, was Ihr als zu klären erachtet.« erwiderte er und hielt den Hohn krampfhaft aus seiner Stimme fern. Ein recht schwieriges Unterfangen, wenn man es sein Lebtag gewohnt war, mit süffisanten Worten auf die Bemerkungen anderer zu reagieren. »Ihr…« begann sie dann bestimmt und löste die Verschränkung ihrer Arme, um ihm einen Zeigefinger wie einen Dolch auf die Brust zu setzen, den der Magier mit hochgezogener Braue irritiert musterte. »…werdet mich endlich angemessen behandeln und nicht mehr einfach so stehen lassen wie einen Eurer Untergebenen. Das bin ich nämlich nicht, falls es Euch noch nicht aufgefallen sein sollte. Ich habe Eure arrogante und selbstgefällige Art langsam satt. Ich bin nicht freiwillig immer noch in Asgard und noch unfreiwilliger bin ich in diesen ganzen Schlamassel hier geraten. Ich könnte mir jetzt auch schönere Dinge vorstellen, die ich lieber tun würde, als Zeit mit Euch verbringen zu müssen, doch leider sitze hier fest, bis Ihr dem Allvater Odin eine angemessene Erklärung über meine seltsamen Veränderungen liefert. Bis dahin müssen wir wohl oder übel miteinander auskommen, ob wir das nun wollen oder nicht und ich denke, gegenseitiger Respekt würde dieser Zusammenarbeit nicht unbedingt schaden. Mir ist durchaus bewusst, dass Ihr uns Menschen nicht mögt und ich verlange auch gar nicht, dass Ihr mich gern habt, doch ich erwarte einen gewissen Hauch Achtung und Anstand von Euch. Ich bin nämlich kein Fußabtreter und auch nicht Euer Diener oder Sklave. Und naiv und dumm bin ich schon gar nicht, also behandelt mich nicht ständig als wären wir auf der Erde allesamt schwachsinnige Dummköpfe. Vielleicht mache ich ja auch nicht gerade Freudensprünge darüber, mit einem ehemaligen Häftling kooperieren zu müssen, doch mich fragt man da leider genauso wenig wie Euch.« Loki hatte ihrer Rede schweigend gelauscht, während seine Brauen gleichauf immer weiter in die Höhe gewandert waren. Verblüfft sah er die Menschenfrau an, die sich in Rage geredet hatte und nun schweratmend eine Pause einlegte, um ihre Worte auf ihn wirken zu lassen, bevor sie entschieden, beinahe drohend anfügte: »Also werdet Ihr jetzt gefälligst etwas netter sein, sonst bin ich womöglich versucht, dem Allvater zu berichten, dass Ihr Pläne gegen ihn und Asgard schmiedet.« Sie schürzte die Lippen eigensinnig und starrte felsenfest auf ihn herab, wobei ihr zitternder Zeigefinger auf dem Stoff seiner Robe doch ihre Unsicherheit verriet. Der Magier blickte erneut auf ihren schlanken Finger hinab, bevor er in ein amüsiertes, seidiges Lachen ausbrach, was die Sterbliche ihre Hand ruckartig zurückziehen ließ. Offensichtlich hatte sie Angst, dass er nun völlig überschnappen würde. Loki versuchte sich angestrengt zu erinnern, wann es jemals irgendjemand gewagt hatte, so mit ihm zu sprechen und das noch ungestraft zu überleben - allein Frigga hätte er es vielleicht gestattet ihn so in seine Schranken zu verweisen, doch gewiss hatte er sich solche Worte noch nie von einem Menschen anhören müssen. Noch dazu eine Drohung! Entweder war die Frau wirklich gänzlich verrückt, unheimlich dumm oder ausnehmend mutig. So recht wusste er nicht, wo er sie einordnen sollte. Er schnappte sich ihre Finger und zog jene zu sich, umschlang ihr zartes Handgelenk mit einem bestimmten Griff und hob ihre Hand zu sich an, um ihre schlanken Glieder interessiert zu betrachten, bevor er sie mit einem schneidend intensiven Blick in den Fokus seiner grünen Augen fasste. »Ihr wollt mir tatsächlich drohen?« wisperte er in samtig mahnendem Ton. »Haltet Ihr das für klug, Mensch?« fügte er mit einem warnenden Raunen an. Die Sterbliche weitete die Augen überrascht und unsicher, doch wich sie nicht vor ihm zurück und machte auch keine Anstalten, ihm ihre Hand zu entziehen. »Offen gesagt, nein. Aber ich fürchte fast, dass eine Drohung das Einzige ist, worauf Ihr reagieren werdet.« gab sie dann ehrlich zu und ließ die angespannten Schultern ein wenig sinken, als wäre sie insgeheim betrübt über diese Tatsache. Sie wirkte fast, als würde sie sich ein Umdenken von ihm ohne solch eine Erpressung wünschen. Bei allen neun Welten - zog er es tatsächlich in Betracht, ihren Worten Gehör zu schenken? Ja, das tat er. Weil sie sich ein Stück seines raren Respektes allein durch ihre beherzten, furchtlosen Worte gesichert und versucht hatte, durch eine Drohung ihre Ziele zu erreichen - ihre Denkweise gefiel ihm irgendwie. Außerdem hätte er wahrscheinlich eher seine Ruhe, wenn er sie in dem Glauben ließ, dass er sein Handeln überdenken und sich ein wenig freundlicher zeigen würde. »Da irrt Ihr Euch.« Entschieden zog er ihre Finger an seine Lippen und hauchte mit einem amüsierten Schmunzeln einen angedeuteten Kuss auf ihren blassen Handrücken; eine wahrlich seltene Ehrerbietung seinerseits, über die sich die Frau eigentlich glücklich schätzen konnte. »Ich bin durchaus auch für Schmeicheleien empfänglich.« Dass er diese eigentlich verhasste Respektsbekundung in diesem Augenblick genoss - die Andeutung einer Berührung, den Anflug der Wärme ihrer Haut unter seinen Lippen, während jene nur einen Atemhauch über ihrer Hand schwebten - konnte er sich selbst nur schwerlich eingestehen. Das magische Prickeln war erneut da und ließ ihn in einem tiefen Atemzug ihren Duft einfangen und Haltung bewahren; diese ständige Verlockung ihrer verborgenen Macht, zum Greifen nah und doch so unerreichbar, war beinahe mehr Folter als die endlose Stille seiner Zelle. Ihr Blick verriet sie, als ihre hellen Augen seine Geste gebannt verfolgten und ein Funke in ihnen aufglomm, der alles andere als Abneigung oder Widerwille seiner Person gegenüber bekundete; ihre Lippen öffneten sich leicht, eine kleine, atemlose Regung, als wäre sie äußerst gespannt und begierig darauf, dass seine Lippen ihre Haut wirklich berühren und nicht nur um jene Winzigkeit streifen würden, wie sie es eben in diesem Augenblick taten. Da schien es sie doch gerade gar nicht zu interessieren, dass er eigentlich ein Verbrecher und Häftling Asgards war… Sein Blick hielt den ihren gefangen, während er sie über ihren Handrücken unentwegt ansah. »Aber ich willige in Eure Bedingungen ein, Gwendolyn Lewis.« Der Klang ihres Namens auf seiner Zunge war ungewohnt, aber seltsam angenehm. Er spürte, wie sie darunter erschauderte. »Und werde versuchen, ein wenig netter zu sein.« Einen winzigen Moment noch hielt er ihre Finger umschlungen, bevor er sie aus seinem Griff entließ. Die Sterbliche blinzelte ein paar Mal fast ungläubig, als hätte sie eigentlich etwas anderes als seine Zustimmung und Einlenkung erwartet, bevor sie ihre Hand zu sich zurückzog und beinahe schützend an der Brust barg. »Äh…gut. Dann wäre das ja geklärt.« »Schön. Können wir unseren Weg dann fortsetzen?« Loki trat einen Schritt beiseite und machte eine ausladende Geste die Treppe hinab, während er sie abwartend ansah. Sie nickte nach einem kurzen Zögern und der Magier stieg die Stufen vor ihr herab, vorbei an den Männern der Palastwache, die das unterhaltsame Schauspiel schweigend, aber äußerst aufmerksam beobachtet hatten, ohne jedoch den genauen Inhalt verstanden zu haben. »Also, kein Fehler der Geräte, sagt Ihr?« Die Menschenfrau hatte zu Loki aufgeschlossen und lief nun neben ihm über den Platz des Vorhofes in Richtung der königlichen Stallungen. »Welche Erklärung habt Ihr dann?« Er sah aus dem Augenwinkel zu ihr hinüber und überlegte flüchtig, ob er ihr wirklich von seinen Gedankengängen und Vermutungen berichten sollte, bevor er entschloss, dass sie ihm wohl kaum schaden könnte, wenn er sie darüber in Kenntnis setzte. »Ich vermute, dass alles mit der Reise im Bifröst anfing. Diese magische Art, die Welten zu überbrücken, hat womöglich eine Art Fessel gelöst oder gelockert, sodass diese Macht, die in Euch bisher geschlummert hat, erwacht ist. Daher fragte ich auch nach Euren Eltern und möglichen Phänomenen in der Familie.« Er zuckte kurz die Schultern. »Aber wie gesagt, es ist nur eine Vermutung meinerseits.« »Ihr meint, dass dieses…dieses Leuchten schon immer in mir war…?« Sie war kurz stehengeblieben und hatte die Stirn verwirrt in Falten gezogen, bevor sie mit eiligen Schritten wieder an seiner Seite ankam. »Es ist die einzig logische Erklärung, wenn Asgards Essenz nicht für Eure Veränderungen verantwortlich ist. Und das ist sie nicht, wie ich zweifelsfrei bewiesen habe.« Die Gruppe war eben an dem hölzernen Tor der Stallungen angelangt und Loki schob eine Seite der Flügeltür auf, um der Sterblichen daraufhin eine einladende Geste entgegenzubringen. Sie schien noch über seine Worte zu grübeln und trat mit nachdenklich zusammengezogenen Brauen in das milde Zwielicht der Ställe ein. Der Magier selbst wandte sich zu seinen Wächtern um und bedeutete jenen mit gehobener Hand zu warten. Dann allerdings kam ihm ein Gedanke und er winkte einen der Männer zu sich heran. »Ihr kommt mit. Der Rest wartet hier.« Loki betrat mit dem einzelnen Wächter hinter sich die Stallungen und schob das Tor wieder zu; drinnen wurde er sofort von warmer Luft umhüllt, die den Geruch von Pferd und Heu herantrug. Das Licht war gedämpft und der Magier benötigte erneut einen Moment, um seine Augen an die dämmrige Helligkeit zu gewöhnen. Hier und da vernahm man das Schnauben von Rössern, das Scharren von Hufen und das Mahlen von Zähnen. Eine urtümliche Ruhe lag über dem Ort, der sich selbst Loki nicht entziehen konnte. Er trat an die Seite der Menschenfrau heran, die bereits einige Schritte vorausgegangen war und in einem der Verschläge ihren Hengst von gestern entdeckt hatte. Loki berührte die Sterbliche leicht am Arm, welche dem verzückten Tier gerade die Nüstern kraulte und deutete ihr mit einem Nicken seines Hauptes die Richtung. Recht widerwillig löste sie sich von dem Pferd und folgte dem Magier und dem Mann der Wache weiter hinein in das riesige, mit mächtigen Holzbalken gestützte, Gebäude. Ein einzelner Verschlag am anderen Ende der Stallungen war ihr Ziel. Ein majestätischer Pferdekopf erhob sich neugierig über dem Holz der Box und aufmerksame Ohren zuckten wachsam nach oben. Der weiße Hengst schnaubte erfreut und warf die lange, prächtige Mähne mit einem Schütteln seines kräftigen Halses in die Höhe, bevor er gemächlich an das Tor herantrottete und die Ohren folgsam anlegte, als Loki die Hand ausstreckte, damit das Tier daran riechen konnte. Mit einem leisen Wiehern erkannte der Hengst den Magier und drückte ihm die Nüstern in die Handfläche, während die Menschenfrau sich ebenfalls an den Verschlag des mächtigen Pferdes heranwagte und neugierig über das Holz der Tür schielte. »Ach du meine Güte…oh mein Gott…« wisperte sie entgeistert und sah Loki mit großen Augen an, der ihre Verblüffung mit einem amüsierten Schmunzeln quittierte. »Es…hat acht Beine!« »Er. Nicht es.« berichtigte der Magier die Sterbliche und strich dem kräftigen Hengst sanft über die breite Nase. »Sleipnir ist der Hengst des Allvaters. Sein Schlachtross, mit dem er schon viele Kämpfe bestritt.« Das Pferd schnaubte beim Klang seines Namens wohlwollend; die klugen, dunklen Augen funkelten unter der dichten Mähne hervor. »Er war einst ein Geschenk von mir für meinen V-…für Odin.« korrigierte sich Loki im letzten Moment selbst. Alte Gewohnheiten ließen sich schwer ablegen; so viele Jahre über hatte er Odin immerhin als seinen Vater betrachtet, sodass ihm diese Lüge bereits in Fleisch und Blut übergegangen war. Die Sterbliche blickte kurz in seine Richtung. Er las eine Frage in ihren hellen Augen, doch sie war so klug und schwieg, wendete sich lieber wieder dem Pferd zu, dass nun ihre Hand entdeckt hatte und die Nase auffordernd dagegen stieß, um gestreichelt zu werden. Loki trat um die Menschenfrau herum und öffnete den Verschlag, damit sie beide hineingehen konnten. »Sleipnir ist krank.« begann Loki dann selbst für sich ungewohnt sanft, während er an den weißen, kräftigen Hengst herantrat und diesem über die mächtigen Flanken strich. »Seine Knochen zerfallen langsam unter einer rätselhaften Krankheit, der bisher nichts Einhalt gebieten konnte. Odin reitet schon lange nicht mehr auf ihm, da jeder Schritt Sleipnir Schmerzen bereitet. Er weilt hier gefangen in diesem Stall ohne seiner wahren Bestimmung nachgehen zu können…« Die Stimme des Magiers hatte sich um ein paar Nuancen abgesenkt und sein Blick war gedankenverloren geworden, als ihm die Ähnlichkeit von Sleipnirs Schicksal zu seinem eigenen auffiel. »Eine grausame Fügung. Eine Schande…« Loki straffte sich, dann wandte er sich der Menschenfrau zu, die ihn und das Pferd nachdenklich ins Auge gefasst hatte. »Ihr werdet ihn heilen.« »Bitte…!?« Sofort blinzelte sie bestürzt, bevor sie mit abwiegelnden Handbewegungen zurückwich. »Was? Nein. Nein! Ich…kann das nicht. Ich wüsste nicht mal, wie ich das machen sollte. Bitte verlangt das nicht von mir…« Sie sah den Magier beinahe schon flehend an. Loki konnte die Beklemmung in ihren Augen erkennen, die sich allerdings weniger auf ihn oder den Hengst richtete, sondern mehr gegen sich selbst - sie wollte sich nicht eingestehen müssen, dass da etwas in ihr war, was sie weder kannte noch zu beeinflussen vermochte. »Ihr könnt die Augen nicht ewig vor der Wahrheit verschließen.« raunte er ihr kühl entgegen. »Ihr seid womöglich seine letzte Hoffnung. Nutzt die Macht in Euch. Versucht es zumindest. Einmal hat es doch bereits geklappt, wie Ihr berichtet habt.« »Das war bei einem Vogel. Das hier…« Sie wedelte mit der Hand in Richtung des Hengstes. »…das ist etwas völlig anderes. Ich kann das nicht steuern. Ich kann das auch nicht einfach aktivieren. Was, wenn ich ihm wehtue oder es noch schlimmer mache?!« Sie schob sich mit dem Rücken gegen die hölzerne Wand des Verschlages und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust. »Wir werden es nie wissen, wenn Ihr es nicht wenigstens versucht...« sprach er mit abwartend gehobener Braue. Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Tut mir leid, aber ich kann das nicht.« »Euer letztes Wort?« hakte Loki lauernd nach und erntete dafür einen beunruhigten, wachsamen Blick der Frau. »Ja…« sprach sie dann zögerlich aus. »Na schön.« Loki trat von Sleipnir zurück und hinüber zu dem einzelnen Wächter, der sich eben an das Holz des Verschlages gelehnt hatte und recht gelangweilt wirkte. Im nächsten Moment allerdings weiteten sich die Augen des Mannes erschrocken hinter dem Visier seines Helmes, da der Magier ohne zu Zögern den Griff seines Schwertes ergriffen hatte und dieses mit einem schleifenden Geräusch aus der Scheide der Rüstung zog. Sleipnir tänzelte bei dem scharfen Geräusch unruhig auf der Stelle und verdrehte die Ohren angespannt nach oben; als Schlachtross wusste der Hengst durchaus, was solch ein Geräusch zu bedeuten hatte. Der Wächter wollte sogleich pflichtbewusst auf Loki losgehen, doch hielt jener den Mann mit der Spitze des eigenen Schwertes auf, welche drohend auf dessen Kehle zeigte. »Bleibt zurück.« raunte der Magier warnend. »Und kommt nicht auf die Idee nach Unterstützung zu verlangen…« fügt er schneidend an, da er bemerkt hatte, wie sich die Augen des Wächters verstohlen in Richtung des Eingangstores bewegten. Seelenruhig schritt Loki dann zu Sleipnir hinüber und strich dem Hengst beruhigend über die Nüstern, während die Sterbliche sich gewarnt vom Holz im Rücken abgestoßen hatte und wieder vorsichtig zu ihm herüber kam. »Was habt Ihr vor…?« fragte sie argwöhnisch. »Das einzig Logische - der Gnadenstoß für das Tier. Er sollte sich nicht weiter in Schmerzen quälen.« »Was?! Seid Ihr vollkommen verrückt geworden?! Das könnt Ihr doch nicht machen!« Bestürzt wanderte ihr Blick aus geweiteten Augen zwischen ihm und dem Pferd hin und her. »Herr…« begann jetzt selbst der Wächter beunruhig und warnend. »Ich glaube nicht, dass Odin das gutheißen würde…« »Warum nicht? Wenn er nicht mehr in der Lage ist seinen Reiter zu tragen, so ist er unbrauchbar.« Loki ließ das feingeschliffene, lange Schwert geschickt in der Handfläche kreisen, bevor er die Klinge ungerührt am Hals des Hengstes ansetzte. Sleipnir verdrehte die Augen nervös und schnaubte aufgeregt. »So ist es besser für ihn…« »Nein! Hört auf!« Die Sterbliche stürzte auf den Magier zu und schlug die schimmernde Klinge entschlossen beiseite, bevor sie sich schützend zwischen das Pferd und Loki stellte. Ihm kam die Ähnlichkeit zu jener Nacht in den Sinn, als sie sich genauso mutig und beherzt vor ihn selbst gestellt hatte, um den tödlichen Stoß von Gungnir abzuwehren. Sie schlang die Arme um den Hals des Hengstes und blickte den Magier aus aufgebracht funkelnden Augen an; ihre Brust hob und senkte sich unter hektischen Atemzügen, während sie wütend fauchte: »Ihr seid ein grausames, abartiges, gemeines, durchtriebenes-« »-Genie.« beendete Loki mit einem zufriedenen Schmunzeln ihre entrüsteten Worte und ließ das Schwert wieder sinken, welches er daraufhin ohne Umschweife dem Wächter zurückreichte, der die Klinge unsicher und irritiert wieder entgegennahm. Die Sterbliche blinzelte ihn verständnislos an und Loki trat wieder auf sie zu; er hob die Hände beschwichtigend, da sie sich sogleich versteifte und die Arme schützend um den mächtigen Hals des Hengstes schlang, während sie Sleipnir mit dem eigenen Körper abschirmte. Der Hengst schnaubte gutmütig und drückte sich ihr leise wiehernd entgegen. »Seht Eure Hände…« raunte Loki leise und deutete mit einem Nicken auf ihre Finger, die sich in der Mähne des Pferdes festgekrallt hatten. Sie folgte seinem Blick und starrte völlig entgeistert auf ihre schimmernden Hände, die erneut in diesem magischen Licht aufleuchteten. Langsam löste sie ihre Finger aus der dichten Mähne Sleipnirs und betrachtete diese von allen Seiten, bevor sich Erkenntnis in ihren Zügen spiegelte. Zögerlich sah sie zu dem Magier hinüber, der bedeutsam eine Braue in die Höhe zog. »Ihr hattet nie wirklich vor Sleipnir zu töten…nicht wahr?« wisperte sie verstehend. Loki schüttelte den Kopf, dann streckte er eine Hand aus und strich dem Hengst damit ungewohnt liebevoll über die weiche Stirn. »Nein. Ich könnte ihm nie etwas antun. Er ist ein wunderbares und wertvolles Tier. Aber ich musste herausfinden, ob Emotionen der Schlüssel zu Euren Fähigkeiten sind und diese antreiben. Offensichtlich hatte ich recht mit meiner Vermutung. Und nun…versucht es. Bitte. « Er nickte auffordernd in Sleipnirs Richtung und sah sie überrascht über seine Bitte die Stirn runzeln, bevor sie verhalten nickte. Fasziniert sah der Magier zu, wie die Sterbliche ihre glühenden Hände zurück auf den Hals des Hengstes legte; anfangs unentschlossen und sehr vorsichtig, doch nach einer Weile wurden ihre Bewegungen bestimmter und beherzt glitten ihre leuchtenden Finger über die kräftigen Flanken, den starken Rücken, den schlanken Kopf - die Menschenfrau hatte die Augen dabei geschlossen und schien sich allein von ihren Sinnen leiten zu lassen. Ihre Brauen zuckten ab und an in die Höhe und ihre Stirn zog sich angestrengt in Falten, während Sleipnir wohlig schnaubte und den großen Kopf immer wieder in einer Geste reiner Freude in die Höhe warf. Die Strahlen der hereinfallenden Sonne brachten seine Mähne zum leuchten. Doch nicht nur die… Loki beobachtete die Menschenfrau hingerissen, deren eigene Gestalt selbst immer mehr zu schimmern schien, je länger sie die kranken Glieder des Hengstes berührte; das geheimnisvolle Leuchten zog sich ihre Arme hinauf und breitete sich langsam in ihrem ganzen Körper aus - die Sonnenstrahlen hüllten sie in ein magisches Licht, das ihr eine beinahe unwirkliche Erscheinung verlieh. Selbst der Wächter außerhalb des Verschlages zog seinen Helm langsam vom Haupt und starrte die Sterbliche mit offenem Mund und Ehrfurcht in den Augen an. Die gewaltige Macht, die in diesem Moment von ihr beinahe greifbar ausstrahlte war wie das reine Licht der Sonne, wärmend und erneuernd; eine urgewaltige Energie, die in dieser zarten Gestalt der Menschenfrau geborgen lag und allein in solchen Augenblicken an die Oberfläche drängte. Ihr gesamter Körper schien inzwischen in gleißend hellen Flammen zu stehen; jeder Knochen zeichnete sich leuchtend unter ihrer Haut ab und selbst der Ansatz ihres roten Haares begann sich weiß zu färben und vereinzelte Strähnen schlängelten sich wie reiner Schnee durch die gesamte Länge der roten Flut. Die geheimnisvolle Energie fuhr ebenso in Lokis Glieder und ließ ihn auf der Stelle taumeln; diese Essenz war unglaublich - der Magier fühlte sich erneut belebt bis in jede kleinste Zelle, als hätte er Zugriff auf jede Energie aller neun Welten. Die Sterbliche wandte Loki dann das Gesicht zu; ein Gesicht, was nur noch sehr entfernt an das der menschlichen Frau erinnerte - die Weite des Universums schwamm in ihren Augen und das gleißende Licht von Sternen waberte durch ihre Knochen. »Loki….« Sie streckte ihm eine Hand entgegen und stolperte im nächsten Moment kraftlos von Sleipnir zurück. Loki war sofort an ihrer Seite und fing sie in einem kräftigen Griff auf, bevor sie zu Boden stürzte. Er schob ihr einen Arm unter die Beine und hob sie an seine Brust. Sie wog kaum mehr als eine Feder und rollte sich erschöpft in seinen Armen zusammen, eine Hand in den Stoff seiner Robe gekrallt, während das Schimmern ihrer Gestalt langsam nach und nach verblasste. Auch ihre Haare nahmen wieder ihre ursprüngliche Farbe an. »Ist er geheilt…? Hat es geklappt…?« wisperte sie dünn gegen seine Brust, bevor sie den Kopf anhob und den Magier fragend ansah. Loki trat einen Schritt zu Sleipnir hinüber und schloss konzentriert die Augen, um dessen Aura mental zu erfühlen. Doch eigentlich war dies unnötig, denn bereits das nervöse und energiegeladene Tänzeln des Hengstes hätte ihm sagen können, was er zu wissen verlangte. Mit einem winzigen Lächeln öffnete der Magier die Augen wieder und nickte der Menschenfrau in seinen Armen zu. »Ja. Er ist geheilt. Und Ihr habt dieses Wunder vollbracht. Ich gratuliere.« Er grinste zufrieden auf die Sterbliche herab, während der Hengst seine Nase liebevoll gegen die Schulter der Frau drückte und diese dankbar anstieß. Sie kraulte Sleipnir flüchtig die dichte Mähne, bevor sie das Gesicht erneut an Lokis Brust verbarg. »Himmel…bitte sorgt dafür, dass ich so etwas nie wieder tun muss…die Nummer mit der lebenden Glühbirne ist wirklich zu viel für mich…wenn Ihr mich nochmal dazu zwingt, erschlage ich Euch mit einem Schwert…« murmelte sie dumpf gegen den Stoff seiner Robe. Loki lachte ehrlich amüsiert auf und trug seine kostbare Fracht dann vorsichtig und äußerst sorgsam wieder hinaus ins Tageslicht. Mit der Frau würde es gewiss noch interessant werden. Wenn er erst herausgefunden hatte, wie er diese unglaubliche Energie in ihr nutzen konnte, würde ihn nichts mehr aufhalten können. * Gwen balancierte ein Tablett mühsam durch die Gänge Gladsheims, welches vollbeladen mit einer Menge köstlicher Speisen war; neben duftend gebratenem Fleisch und noch warmen Brot türmten sich auch Fisch und frisches Gemüse, Obst in allen Variationen und einige süße Kuchenstücke als Dessert auf der silbernen Platte. Sie hatte das Abendessen knapp verpasst, da sie nach dem äußerst seltsamen Zwischenfall am Nachmittag in einen langen, traumlosen Schlaf gefallen und erst zur Abenddämmerung in ihrem Zimmer wieder erwacht war. Die Königin hatte Gwen deshalb gebeten, eine Auswahl der Speisen ihrem Sohn Loki auf seine Gemächer zu bringen, da er das Abendessen offensichtlich lieber dort einnehmen wollte und vorgeschlagen, dass Gwen gleich mit ihm speisen könnte. Bisher hatte er bei den Mahlzeiten ja immer gefehlt. Gwen hatte eingewilligt und das silberne Tablett, welches sie jetzt durch den Korridor zu Lokis Zimmer trug, mit einigen ausgewählten Köstlichkeiten beladen, da sie sich nicht sicher war, welche Vorlieben der Prinz in Bezug auf seine Mahlzeiten hatte. Sie selbst war da eher wenig wählerisch. Okay, als sie jetzt so auf das Tablett vor ihrer Nase schielte, fiel ihr auf, dass sie es vielleicht ein klein wenig zu gut mit ihnen beiden gemeint hatte - das würden sie wahrscheinlich unmöglich alles essen. Allerdings hatte Loki heute wieder so seltsam ausgelaugt und unterschwellig erschöpft gewirkt, dass sie durchaus der Meinung war, er könnte ein paar kräftige Bissen vertragen. Nicht, dass sie sich etwa Sorgen um ihn machte….auf keinen Fall! Sie selbst hatte sich nach der unheimlichen Nummer mit der lebenden Fackel recht schnell wieder erholt, nachdem Loki sie auf ihr Zimmer getragen hatte, damit sie sich dort ausruhen konnte. Nach diesem erneuten, äußerst seltsamen Erlebnis hatte sie sich völlig erschlagen gefühlt, vollkommen ausgelaugt, als wäre alle Kraft aus ihr gewichen. Und doch… Sie hatte genau gewusst, was sie tun musste, um den Hengst zu heilen. Oder besser - es hatte sich angefühlt, als würde diese komische Energie in ihr genau wissen, was zu tun wäre; als wäre das Wissen um ihre Fähigkeiten schon immer da gewesen, schlummernd in ihr und Gwen hatte sich diesem Wissen nur bedienen müssen. Dennoch war das Ganze einfach verdammt unheimlich und Gwen hätte gewiss einiges dafür getan, um dieses seltsame Licht in sich loszuwerden. Ein wenig Schlaf hatte allerdings wahre Wunder gewirkt und sie fühlte sich beinahe wieder gänzlich frisch und kräftig; das üppige Abendessen würde sicher den Rest erledigen. Beim Gedanken daran, dass Loki sie hatte tragen müssen, stieg ihr ungewollt die Schamesröte ins Gesicht; das war bestimmt ein gefundenes Fressen für ihn gewesen - sie hatte sich damit ja als genau das erwiesen, für was er sie die ganze Zeit schon hielt. Einen schwachen Menschen. Hoffentlich würde er es sich verkneifen, nun ständig darauf herumreiten zu müssen. Gwen wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, dass es sich eigentlich recht gut angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen - ganz zu schweigen von diesem angedeuteten Handkuss… Sie hätte niemals erwartet, dass er so schnell sein Verhalten ändern und auf ihre Forderung eingehen würde. Wenn er sich ein wenig Mühe gab und sein großspuriges und unfreundliches Benehmen einmal ablegte, so konnte Loki durchaus charmant und erträglich sein, fast schon freundlich… Gwen schüttelte entschieden den Kopf. Sie sollte diese Gedanken gar nicht erst weiterspinnen - er war ein Gott, ein Prinz, noch dazu ein nur kurzweilig begnadigter Gefangener des Allvaters, der beinahe Zerstörer Jotunheims und ein arroganter Eisklotz. Flüchtig kam ihr Thors Warnung in den Sinn, dass sie Loki nicht über den Weg trauen sollte. Ihr würden sicher beinahe hundert gute Gründe einfallen, warum dieser winzige Funken Interesse in ihr äußerst falsch und widersinnig war. Leider ließ er sich schwer wieder löschen. Mit einem kleinen Seufzen blieb sie vor der Tür zu Lokis Gemächern stehen und versuchte das Tablett so zu arrangieren, dass sie zumindest eine Hand frei hätte, um die Tür zu öffnen. Allerdings gelang das irgendwie nicht. Geschlagene fünf Minuten mühte sie sich starrköpfig unter den Augen der stillen Wächter mit dem Essen ab, bevor sie resigniert die Schultern sinken ließ und die Männer auffordernd ansah. »Wäre vielleicht einer der Herren so gnädig…« murrte sie ergeben und einer der Wächter öffnete ihr mit einem Schmunzeln die Tür. Loki saß hinter seinem gewaltigen Schreibtisch im Licht des schwindenden Tages über unzähligen Büchern, die er gewissenhaft studierte. Ein paar Kerzen verbreiteten einen warmen Schein im Raum; eine Wärme, die den Zügen des Magiers sichtbar fehlte, als er nun mit gerunzelter Stirn beinahe missmutig das Haupt hob, um seinen späten Besucher zu mustern. Die Störung schien ihm nicht gerade zu gefallen. »Ihr scheint Euch offensichtlich erholt zu haben.« war seine gleichgültige Bemerkung, als er Gwen erkannt hatte, bevor er sich wieder seinen Büchern zuwandte. »Was wollt Ihr?« fragte er desinteressiert. Was für eine nette Begrüßung… Gwen schob die Tür hinter sich mit dem Fuß wieder zu und stieß ein kleines, enttäuschtes Seufzen aus. Eigentlich hatte sie nach dem heutigen Nachmittag ein bisschen mehr Freundlichkeit von dem Prinzen erwartet, aber da hatte sie sich wohl getäuscht. Er schien schon wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. »Ich bringe Euch das Essen, wie Ihr es verlangt habt. Und wollte Euch dabei Gesellschaft leisten.« erklärte sie ihren Besuch und schritt entschieden zu dem Tisch der Leseecke hinüber. Loki hob erneut flüchtig den Blick und beäugte das Tablett mit den Speisen aus dem Augenwinkel kritisch, bevor er eine Seite seines Buches umblätterte und seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schrift vor seiner Nase senkte. »Ich habe kein Essen verlangt.« war seine kühle Erwiderung. »Nicht?« »Nein.« Gwen blinzelte irritiert und blieb einen Augenblick unentschlossen stehen, bevor sie das Tablett kurzerhand doch einfach auf dem niedrigen Holztisch abstellte. Hervorragend. Offensichtlich hatte sich die Königin da einen Scherz mit ihr erlaubt und sie unter diesem Vorwand zu Loki geschickt. Aber warum? Sie sah zu dem Magier hinüber, der versunken in seine Schriften wirkte; das dämmrige Licht von draußen und der Schein der Kerzen ließen seine Züge noch kantiger als sonst erscheinen - eine Landschaft aus scharfen, spitzen Klippen, über die man stolpern oder sich daran schneiden konnte. Gwen fragte sich sofort, ob er seit seiner Freilassung überhaupt schon wieder einmal etwas Richtiges gegessen hatte. Er hatte bisher bei jeder Mahlzeit gefehlt und Gwen dämmerte langsam, dass der Grund offensichtlich nicht der gewesen war, dass er in seinem Zimmer allein essen wollte… Entschlossen ging sie zu einem kleinen Beistelltisch hinüber und schnappte sich von dort eine Karaffe mit Wasser und zwei Becher. »Ihr solltet aber etwas essen. Seid Ihr denn gar nicht hungrig? Eine Pause tut Euch sicher gut und mit vollem Magen lässt es sich bestimmt auch besser nachdenken.« versuchte sie Loki zu überzeugen. Der Magier tauchte gerade eine Schreibfeder in ein Glas mit Tinte und notierte sich auf einem Blatt Pergament ein paar Worte. »Wenn ich jemanden benötige, der mich bemuttert, dann lasse ich nach der Königin schicken.« war seine ernüchternde Antwort. Er sah sie nicht einmal an dabei. Gwen donnerte die Becher und die Karaffe hörbar auf den Tisch, sodass ein paar Spritzer des Wassers auf der hölzernen Tischplatte landeten. Zumindest schien das Lokis Aufmerksamkeit zu erregen, denn sein Blick wandte sich ihr widerstrebend wieder zu. »Warum seid Ihr eigentlich schon wieder so unmöglich? Ich will Euch nicht bemuttern, aber Ihr seht nun mal aus als wäre Eure letzte Mahlzeit schon eine Weile her. Und wahrscheinlich ist keinem damit gedient, wenn Ihr bald geschwächt aus den Latschen kippt. Jeder braucht mal eine Pause. Eure Nachforschungen laufen schon nicht weg. Oder fällt es Euch wirklich so schwer, sich auch mal eine Schwäche einzugestehen?« fuhr sie ihn starrsinnig an. »Ich habe keine Schwächen. Und keine Sorge - so schnell werde ich schon nicht sterben.« wischte er ihre gutgemeinten Worte einfach gleichgültig beiseite und fuhr damit fort, die Feder kratzend über das Pergament zu führen. »Vielleicht mache ich mir aber Sorgen.« erwiderte sie beinahe trotzig und Lokis Hand verharrte in der Bewegung, während er zuerst den Blick hob und dann mit gefurchter Stirn fast irritiert zu ihr herüber sah. »Ihr macht Euch Sorgen? Um mich?« hakte er verwirrt nach und versuchte diese winzige Unsicherheit in seinen Augen mit einem spöttisch müden Schmunzeln zu überdecken. »Wohl kaum.« Bereits, als sie es ausgesprochen hatte, war Gwen bewusst geworden, dass es die Wahrheit war - sie machte sich ja doch Sorgen um ihn. Wahrscheinlich verdiente er das nicht, aber davon ließ sich dieses Gefühl nun auch nicht aufhalten. »Interessant, dass Ihr so genau wisst, was in mir vorgeht…« murmelte sie gut hörbar für ihn, während sie die Becher und das Tablett auf dem Tisch anrichtete. Dann hob sie vorsichtig die beiden Teller von den noch warmen Speisen, die sie damit abgedeckt hatte und drapierte diese ebenso wie das mitgebrachte Besteck auf der Tischplatte. »Ich mache mir aber Sorgen. Und ja, um Euch. Das darf ich ja wohl oder ist das auch so ein „Schwachsinn von Midgard“?« äffte sie seinen überheblichen Tonfall nach und warf die Hände entnervt in die Höhe. Bebten die Schultern des Prinzen da gerade durch ein unterdrücktes Lachen? Bestimmt nicht. »Also ich werde jetzt essen und ich würde mich freuen, wenn Ihr mir Gesellschaft leisten würdet.« Gwen ließ sich eigensinnig auf die bequeme Sitzecke fallen und schnappte sich ihre Gabel, um damit in Richtung des Prinzen zu deuten, der sie bisher recht regungslos beobachtet hatte. »Nebenher könntet Ihr gleich noch Eure Wettschulden einlösen und mir von Eurer Magie erzählen wie Ihr es versprochen habt.« Ungerührt begann Gwen sich ein Stück des duftenden Fleisches auf den Teller zu laden und verkniff es sich sehr mühsam, bloß nicht wieder in die Richtung des Magiers zu schauen; sie fühlte sich fast, als müsste sie ein verschrecktes Tier zu seinem Futternapf locken und davon überzeugen, dass von ihr keine Gefahr ausging - dieser Mann war wirklich seltsam schwierig. Da war es eigentlich zu blöd, dass gerade die kniffligen Dinge Gwen immer gereizt hatten… Das leise Rascheln von Stoff neben sich ließ sie den Atem flüchtig anhalten, während sie vehement auf ihren Teller starrte und sich eine Scheibe des weichen Brotes vom Tablett nahm. Das Sitzpolster gab sanft unter ihr nach, als sich Loki unweit von ihr ebenfalls niederließ. »Ihr seid eine sture Frau, Gwendolyn Lewis.« drang das samtige Raunen des Prinzen an ihr Ohr. »Ach, das ist noch gar nichts.« entgegnete sie mit einer lapidaren Handbewegung. »Meine Mutter hatte immer ihre wahre Freude mit mir als Kind, wenn ich mich vor den scheußlich langweiligen Geburtstagen meiner Tante drücken wollte. Einmal hatte ich mich im Keller zwischen alten Möbeln versteckt und mein neues Kleid damit völlig ruiniert, ein anderes Mal musste sie mich fast durchs ganze Haus schleifen, während ich mich an jedem Teppich und Vorhang festgekrallt habe. Ich hab sogar wirklich den Teppich an einer Stelle mit meinen Nägeln…« Gwen hatte nebenher ihr Fleisch fachmännisch zerteilt und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie völligen Schwachsinn redete - sie sah zu Loki hinüber, der sie interessiert musterte und ihr aufmerksam zugehört hatte; seine fantastisch grünen Augen versprühten den Hauch eines amüsierten Funkelns. »Äh, ja…und das wollt Ihr sicher auch gar nicht hören. Entschuldigt. Ich neige manchmal dazu in vermehrten Redefluss zu verfallen, wenn ich nervös bin…« Schleunigst schob sie sich ein Stück Tomate zwischen die Lippen. Himmel, was erzählte sie denn da für Schwachsinn? Wenn sie so weitermachte war es bald kein Wunder mehr, dass der Prinz sie für einen dümmlichen Menschen hielt. Loki hatte den Becher ergriffen, den Gwen zuvorkommend für ihn mit Wasser gefüllt hatte und hob ihn an die Lippen, die sich belustigt kräuselten. »Ihr seid nervös?« Ganz klasse, Gwen. Sie verschluckte sich fast an dem Bissen im Hals und schluckte diesen beharrlich hinab. Unter einem kleinen Husten klopfte sie sich auf die Brust und sah dann erst wieder zu Loki hinüber. »Ihr wolltet nicht gerade von Eurer Magie erzählen?« versuchte sie das Thema mit einem schiefen Grinsen zu wechseln und erreichte damit ein recht ansprechendes, wenn auch sehr kurzes Schmunzeln des Prinzen, der nun selbst seine Gabel ergriff. »Warum habt Ihr mich gerettet, Gwendolyn?« fragte er dann übergangslos, scheinbar beiläufig, während sein Fokus nun auf dem Tablett weilte und er nebenher einige Stücke der köstlichen Speisen auf seinen Teller lud. Die unvermittelte Frage überraschte Gwen und ließ sie aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber sehen. Seine Züge waren wieder ernst geworden; die scharfen Konturen seiner Wangenknochen zeichneten sich deutlich unter seiner blassen Haut ab. »Warum habt Ihr Euch vor Gungnir gestellt und das Urteil des Allvaters verhindert? Vielleicht war er ja im Recht mit seiner Strafe.« »Ja, vielleicht war er das…« begann sie gedehnt, während sie noch nach den richtigen Worten suchte, um Loki ihr Handeln zu erklären. Vor Thor war es ihr seltsamerweise nicht schwer gefallen, von diesem unbestimmten Gefühl zu sprechen, das sie und Loki zu verbinden schien, doch vor dem Prinzen war das etwas anderes. Sie schielte zu ihm hinüber; er wirkte so ernst, stets so gefasst und rational, kühl und sachlich - wahrscheinlich würde er über Dinge wie Schicksal und vage Gefühle müde schmunzeln oder ihr einen mitleidigen Blick zuwerfen. »…aber Ihr habt mir das Leben gerettet da unten im Kerker. Und das hättet Ihr nicht tun müssen. Ich fühlte mich einfach verpflichtet, ein Stück dieser Schuld zu begleichen und für Euch zu sprechen. Die Situation war außerdem viel zu verworren und chaotisch, als das der Allvater ein angemessenes Urteil hätte fällen können. Eure Schuld an diesem Angriff war immerhin nur eine Vermutung und keine Gewissheit. Und wie sagt man bei uns auf der Erde - „im Zweifel immer für den Angeklagten“. Und ich wusste ja, dass ich Euch aus dieser Zelle geholfen hatte und Ihr nicht geflohen seid.« endete sie in einem flüchtigen, selbstquittierenden Schmunzeln und sah zu Loki hinüber. Ob er mit der Antwort zufrieden war konnte Gwen kaum sagen; in seinem Gesicht war nichts zu lesen, da es in völlige Ernsthaftigkeit zurückgefunden hatte. Er sah sie schweigend an, nur seine Augen verengten sich um eine Winzigkeit, als würde er über ihre Worte nachdenken. »Außerdem…« Gwen senkte den Blick wieder und beschäftigte sich intensiv mit dem Stück Fleisch auf ihrem Teller. Warum sie es nicht einfach bei der vorangegangenen Aussage belassen konnte wusste sie wohl selbst nicht. »…fühlte es sich einfach nicht richtig an, dass Euch der Allvater verurteilte. Ich weiß auch nicht, der Gedanke, dass Ihr sterben könntet…naja, der fühlte sich halt einfach falsch an.« Angestrengt starrte sie auf das Essen vor sich, während ihre Hände in der Bewegung verharrten. »Ehrlich gesagt…ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich Euch einfach retten müsste.« Gwen stieß den Atem beinahe erleichtert aus; irgendwie war sie froh, dass es jetzt raus war - egal, was Loki davon halten mochte. Doch irgendwie war es ihr wichtig, dass er wusste, was sie angetrieben hatte. Er blinzelte flüchtig, dann nickte er knapp und senkte den Blick ebenfalls wieder auf seinen Teller, um sich seinem Essen zuzuwenden. Seine Tischmanieren waren exzellent, sein Umgang mit Messer und Gabel makellos perfekt. Jede Bewegung war akkurat und vollendet wie irgendwie alles an Loki. „In allem, was er tat, war Loki perfekt. Er hat stets hohe Ansprüche an sich selbst und seine Fähigkeiten gestellt“, kamen Gwen Thors Worte augenblicklich wieder in den Sinn. Ob dieser Mann jemals von diesen irrsinnig hohen Erwartungen an sich selbst ablassen konnte? Eine einfache Mahlzeit schien da schon zu einer Prüfung zu werden. Wahre Entspannung schien er gar nicht zu kennen. Eine ganze Weile beschäftigten sie sich schweigend mit ihrem Essen, bevor Loki überraschend wieder das Wort ergriff. »Wo soll ich anfangen? Was wolltet Ihr wissen in Bezug auf die Magie?« fragte er sie zögerlich entgegenkommend und Gwen war überrascht, dass er offensichtlich wirklich bereit war, seine Wettschuld einzulösen. »Nun ja…« Sie zupfte sich eine Weintraube von der Rebe auf dem Tablett und setzte sich etwas bequemer hin, ein Bein leicht angewinkelt auf dem gemütlichen Polster, sodass sie Loki offen ansehen konnte. »Warum die Magie? Warum habt Ihr Euch dafür entschieden? Ich meine, Asgard ist unübersehbar ein Volk von Kriegern-« »-und ich bin das ja unübersehbar nicht.« unterbrach er sie sachlich in ihrem Redefluss und deutete vage auf seine Gestalt, bevor er seinen Becher erneut an die Lippen hob. Darüber hinweg beobachtete er sie allerdings aufmerksam, während der Hauch von Bitterkeit wieder aus seinen Augen verschwand. Gwen folgte dem Wink seiner Hand natürlich, die in einer knappen Geste seine gesamte Gestalt eingeschlossen hatte; er trug noch immer die bodenlange, leicht ausgestellte Stoffrobe vom Nachmittag, welche sich maßgeschneidert an seine hochgewachsene Figur schmiegte. Obwohl man kaum einen Flecken unbedeckter Haut zu sehen bekam, da sich selbst der hohe Kragen eng um seinen Hals zog, bedurfte es nicht wirklich viel Phantasie, den männlichen Körper unter den dunkelgrünen und goldenen Stoffschichten zu erahnen. Ja, er war nicht gebaut wie ein Krieger - zumindest war da schon ein deutlicher Unterschied zwischen seinem Bruder Thor und ihm. Doch als schwächlich hätte sie ihn niemals bezeichnet. Gwen konnte sich gut definierte, sehnige Muskeln unter der Hülle seiner Robe vorstellen, was auch keine Schwierigkeit für sie darstellte, immerhin hatte sie ihn ja schon halbnackt gesehen - dieses Bild war ihr sehr einprägsam im Gedächtnis geblieben; augenblicklich griff sie selbst nach ihrem Wasserbecher, um einen Schluck zu nehmen und sich die trocken gewordenen Lippen zu befeuchten. Er war ein durchaus attraktiver Mann. »Das wollte ich damit nicht andeuten.« beeilte sie sich zu sagen. »Zugegeben, Ihr seid jetzt vielleicht nicht gerade ein Thor oder ein Volstagg, doch Ihr seid kräftiger und wendiger als so mancher Mann, den ich kenne. Ich habe Euch im Kampf beobachtet. Ihr seid geschickt.« »Aber nicht ausdauernd genug.« sprach Loki dann und setzte den Becher wieder auf dem Tisch ab. »Es gibt einige Waffen, die ich nicht in der Lage bin zu führen. Und die Magie erwies sich da als wesentlich leichtgängiger. Dafür muss man keine besonderen, körperlichen Merkmale aufweisen. Dafür reicht allein Verstand, Geduld und Ehrgeiz. Wiederrum Tugenden, die vielen Asen nicht innewohnen. In der Magie fand ich etwas, was sonst niemand wirklich beherrschte; ich war der Einzige, der die Vorgänge dahinter begriff und somit war ich plötzlich all den Kriegern und Soldaten Odins mit ihren Äxten und Hämmern überlegen. Und das schon in den frühen Jahren meiner Kindheit.« erklärte er selbstgefällig und stieß seine Gabel in ein Stück Fleisch, welches rasch hinter seinen Lippen verschwand. Er kaute konzentriert und Gwen beobachtete ihn dabei aufmerksam - so aufmerksam, wie sie seinen Worten gelauscht hatte. Obwohl er bewusst Anmaßung in seine Stimme gelegt hatte, so war ihr doch der unterschwellige Klang von ehrlichem Stolz dahinter nicht entgangen. Für ihn musste es wichtig gewesen sein, diese Art von Waffe für sich gefunden zu haben; sie konnte sich vorstellen, wie erniedrigend es gerade für jemanden wie Loki gewesen sein musste, mit den anderen Kindern seines Alters nicht mithalten zu können. Doch durch die Magie hatte sich ihm eine Tür geöffnet, durch die ihm sonst niemand folgen konnte. »Die Asen verabscheuen die Magie, nicht wahr? Es gibt nicht viele, die sich damit beschäftigen.« griff Gwen dann den Faden wieder auf und lehnte sich nach vorn, um ihren Teller mit dem restlichen Brot und Fleisch zu schnappen, den sie dann vorteilhaft auf ihrem Schoß platzierte. »Also wo habt Ihr es dann gelernt? Habt Ihr Euch alles selbst durch Bücher beigebracht?« fragte sie ehrlich interessiert, während sie nebenher ein Stück Brot auf ihrem Teller zerbröselte und sich einen Bissen in den Mund schob. Loki lud sich gerade eine erneute Portion Fleisch und Gemüse auf seinen Teller, sogar noch einen der herrlich süßen kleinen Kuchen, die Gwen so gern mochte. Dieser Anblick erfüllte sie augenblicklich mit unerklärlicher Freude und sie musste über seinen erwachten Hunger verstohlen schmunzeln. Und er nannte sie stur… »Anfänglich habe ich natürlich die Bücher befragt. Einige, bereits vergessene, Werke in der Bibliothek waren es auch, die mich erst auf die Geheimnisse der Magie aufmerksam gemacht haben. Und natürlich beschäftigt Odin eine Handvoll Gelehrter, die ebenfalls ein Mindestmaß an Magie beherrschen, um einfache Zauber anwenden zu können. Nichts weltbewegendes, ein paar Sprüche für den täglichen Gebrauch - schwebende Tassen und Teller und solcher Unsinn, wohl um die Faulheit zu schüren.« erklärte ihr der Prinz und verzog geringschätzig das Gesicht, bevor er sich kurz unterbrach, um einige Bissen seines Mahls zu sich zu nehmen. Gwen ließ ihm die Zeit und beschäftigte sich inzwischen selbst mit ihrem Teller. Das vollwertige, frische Essen tat ihr gut und brachte ihre Kräfte rasch zurück; sie musste sich schuldbewusst eingestehen, dass sie sich zuhause einfach von zu viel Fastfood ernährte. Zum Glück hatte sich das noch nicht auf ihre Figur niedergeschlagen. Vielleicht sollte sie doch einmal anfangen an ihren Kochkünsten zu arbeiten, wenn sie wieder zurück in New York wäre. Das würde bestimmt auch Winston freuen. Heimweh wollte sich augenblicklich bei ihr breitmachen, wurde jedoch von Loki zurückgedrängt, der seine Erzählung fortsetzte. »Nachdem unsere Mentoren endlich erkannt hatten, dass ich im Gegensatz zu Thor mehr Eifer in die schriftlichen und mündlichen Studien legte und eine Begabung für die Magie entwickelte, unterbreiteten sie Odin den Vorschlag, dass ich eine Weile in Vanaheim studieren sollte.« »Und in Vanaheim gibt es mehr Magier.« mutmaßte Gwen vorsichtig und steckte sich gewohnheitsmäßig Daumen und Zeigefinger in den Mund, um die köstliche Bratensoße aufzulecken. Loki schluckte gerade den letzten Bissen seines Hühnchens herab und wischte sich dann die Hand kultiviert an einer Serviette sauber, was Gwen beschämt auf ihre eigenen Finger sehen ließ. »In der Tat. Vanaheim hat sich im Gegensatz zu Asgard wesentlich intensiver auf die Magie spezialisiert. Es gibt eine prächtige Akademie in der Hauptstadt, wo bereits junge und begabte Vanen in der Kunst der Magie geschult werden. Asgard ist in dieser Hinsicht wohl etwas altmodisch.« »Wie viel Zeit verbrachtet Ihr denn in Vanaheim?« hakte Gwen interessiert nach und schenkte ihnen beiden noch etwas Wasser in die leeren Becher. »Einige Jahre. Ich ging als Kind und kam als junger Mann wieder.« gab ihr Loki bereitwillig Auskunft. »So lange…« hauchte Gwen verblüfft und stellte die Karaffe zurück auf den Tisch. »Hattet Ihr denn in all der Zeit gar kein Heimweh?« Sie stibitzte sich noch ein Stückchen des gebratenen Fisches vom Tablett, sah den Magier aber weiterhin aufmerksam an. Loki lehnte sich entspannt zurück, nachdem er seinen Teller bis auf den letzten Bissen leergeräumt hatte. »Nein. Warum auch?« antwortete er ungerührt. »Ich bekam die Gelegenheit meine Fähigkeiten zu verbessern und viele Dinge zu lernen, die ich in Asgard nie erfahren hätte. Für eine hinderliche Aktivität wie Heimweh hatte ich gar keine Zeit. Außerdem durfte ich Asgard an Festtagen natürlich besuchen. Nach einer Weile unterhielt ich außerdem eine gute Beziehung zu den Geschwistern Frey und Freya, beides sehr magiebegabte Vanen. Somit hatte ich stets Gesellschaft, Unterhaltung und zwei kluge Geister gefunden, mit denen ich auf gleicher Ebene kommunizieren konnte.« Wie strebsam und verbissen Loki doch war - selbst schon in Kindertagen schien für ihn das Ziel und Ergebnis einer Sache das Wichtigste gewesen zu sein; egal, was man tun oder opfern musste, um es zu erreichen. Gwen entdeckte neben dem Obst auf dem Tablett das Letzte der unglaublich leckeren, kleinen Törtchen und entschied, dass ein Dessert gewiss noch im Rahmen des möglichen wäre. »Und wie funktioniert es nun? Erklärt mir, wie Ihr es macht. Wie wirkt man einen Zauber?« Entschlossen streckte sie die Finger zu ihrem erwählten Nachtisch aus, hatte allerdings nicht auf Lokis Bestreben und Blick geachtet - denn der Prinz hatte sich offensichtlich wohl auch gerade für dieses letzte, begehrte Stück Backwerk entschieden. Ihre Finger berührten sich flüchtig, als beide gleichzeitig nach dem Törtchen greifen wollten; Gwen zog ihre Hand mit einem Räuspern zurück und blickte den Prinzen beinahe entschuldigend an, der ein schmales Grinsen zeigte. »Ich erzähle es Euch, wenn Ihr dieses Törtchen für mich übrig lasst.« verlangte Loki unverschämt. Kurzentschlossen griff Gwen nach ihrem Messer und teilte den Kuchen in der Mitte einfach durch. Dann schob sie dem Magier seinen Anteil zu und schnappte sich selbstzufrieden ihren eigenen. »Man kann auch einfach teilen, Eure Hoheit. So haben beide etwas davon. Ein Kompromiss quasi.« belehrte sie ihn mit einem amüsierten Schmunzeln und erntete dafür von ihm ein überraschtes Heben seiner Braue, bevor er seelenruhig den übrig gebliebenen Teil des Törtchens auf seinen Teller lud. »Es ist schwer, einem Außenstehenden die Geheimnisse der Magie erläutern zu wollen…« begann Loki dann nachdenklich. »Versucht es einfach. Auch wenn ich von der Erde komme, ich werde versuchen es zu verstehen.« zog sie ihn gespielt bissig auf und knabberte genüsslich an ihrem Teil des Törtchens. Loki beobachtete sie dabei und verstohlen hoben sich seine Mundwinkel um eine Winzigkeit an. »Nun, stellt Euch zuerst jede Welt wie ein riesiges Netzwerk an Energien vor. Alles ist miteinander verbunden, ob nun hier auf Asgard, in Vanaheim oder auf Midgard. Jeder Baum, jeder Grashalm, jeder Stein - alles hat seine eigene Aura und Energie. Natürlich fließt diese in leblosen Objekten weniger kräftig und machtvoll als in Lebewesen mit einem Herzschlag, einem Tier oder Menschen zum Beispiel. Doch auch Pflanzen besitzen ihren eigenen Puls, selbst ein Fels oder ein Stück Holz, nur ist dieser so versteckt und gering, dass ihn allein geübte Magier verspüren können. Ich glaube, ihr auf Midgard bezeichnet diese Energien als „Seelen“.« Loki machte eine kleine Pause und stellte seinen leeren Teller auf dem Tisch ab, nachdem er sich das Stück des Törtchens ganz ungeniert mit den Fingern zwischen die Lippen geschoben hatte. Dann griff er nach seinem Wasserbecher. »Bis hierhin verständlich?« Fragend sah er Gwen an. Die hatte bisher gebannt seiner Erklärung gelauscht und nickte nun fast ungeduldig, äußerst begierig darauf zu erfahren, was Loki noch erzählen würde. »Ich denke schon.« Der Prinz nippte an seinem Wasser und stellte den Becher dann locker auf seinem Knie ab, das er in einer Spiegelung zu Gwens Position bequem auf dem Polster angewinkelt hatte. »Nun, ein Gelehrter der Magie kann diese Energien nutzen. Er hat die Gabe sich Zugriff auf die Ströme und Netzwerke zu verschaffen. Ein Magier bemächtigt sich somit der Energien des ihn umgebenden und ist in der Lage, diese für sich zu verändern und zu gebrauchen, wenn er die dazugehörigen Verknüpfungen und Sprüche gelernt und verinnerlich hat. Damit ist es ihm möglich, alles zu erschaffen - einen Feuerball, eine Illusion, einen Becher Wasser…« Bedeutsam hob er den eigenen in die Höhe, bevor er mit einem knappen Nicken auf die Fesseln an seinem Handgelenk deutete. »Dieses Metall hemmt diese Verbindung zwischen mir und den Energien, die mich umgeben und verhindert somit, dass ich einen Zauber wirken kann. Ich kann eine Aura weiterhin spüren, doch keinen Gebrauch von ihr machen.« Gwen hatte sich begeistert aufgesetzt und war unbemerkt näher zu dem Prinzen hinüber gerutscht; fasziniert musterte sie das Metall um seine Handgelenke, bevor sie ihn wieder ansah. »Aber wenn Ihr die Energie eines Lebewesens nehmt… wenn Ihr meine zum Beispiel nutzen würdet…würde ich dann nicht sterben?« Loki schüttelte den Kopf. »Nein. Als eine der ersten Lektionen lernt ein Magier, dass es verboten ist ein Lebewesen durch diesen Entzug zu töten. Das wäre ein Frevel und würde dem Zaubernden für immer und ewig den Zugang zu den Netzwerken der Energien versperren. Man nimmt nur einen winzigen Teil, kaum der Rede wert, sodass sich dieser schnell wieder selbst regenerieren kann. Ihr würdet gar nicht spüren, dass Euch etwas entzogen wurde.« »Verblüffend…« hauchte Gwen ehrfürchtig und blickte zu Loki hinüber. »Könnt Ihr auch meine Aura sehen? Jetzt in diesem Moment? Ich meine, spürt Ihr meine Seele…?« fragte sie äußerst neugierig nach. Das war ja unglaublich. Waren die Geschichten über eine Seele also doch nicht nur frei erfunden?! Wenngleich die Religion diese Kräfte und deren Sinn sicher anders auslegen würde, schlussendlich war es doch auf allen Welten das gleiche - eine pulsierende Lebensenergie, die sie alle durchströmte und miteinander verband. »Ja, das tue ich. Interessiert es Euch, wie sie aussieht?« Loki hob seine schmalen Brauen fragend in die Höhe; der sonstige, anmaßende Unterton war aus seiner Stimme gänzlich verschwunden. Er wirkte schon fast erschreckend normal, beinahe freundlich, als würde es ihm gefallen, dass sich jemand für die Magie und ihn zu interessieren schien. Gwen nickte sofort. »Ja. Natürlich. Also…wenn es keine Umstände macht…« fügte sie unsicher an. Loki wischte sich erneut an seiner Serviette die Hände sauber, bevor er jene auf seinen abgestellten Teller warf und ihr auffordernd eine Hand entgegen streckte. »Gebt mir Eure Hand.« verlangte er dann ungewohnt entgegenkommend. Gwen stellte ihren Teller sofort beiseite und rutschte näher zu dem Prinzen heran; hastig wischte sie ihre Hände am Stoff ihrer dunklen Hose ab und reichte ihm dann ihre Finger. »Aber nur, wenn Ihr nicht plötzlich wieder einen Dolch zieht!« scherzte sie warnend. Loki schmunzelte verhalten. Sein Griff war warm und unglaublich sanft, als seine langen, schlanken Finger ihre Hand umfassten; Gwens Herz begann sogleich deutlich schneller zu arbeiten und sie hoffte augenblicklich, dass ihr Gesicht nicht rot anlaufen würde. Aufgeregt zog sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Loki schloss konzentriert die Augen und Gwen nutzte diesen Moment sofort, um ihn ungeniert mustern zu können. Jetzt, nach dem Essen war ein wenig Farbe auf seine Wangen zurückgekehrt. Seine Wangenknochen stachen noch immer so markant und scharf ins Auge, verliehen ihm aber auch etwas unheimlich anziehendes. Seine schmalen Brauen waren leicht zusammengezogen, ein paar konzentrierte Falten zogen sich über seine hohe, glatte Stirn. Die Linien um seine schmalen Lippen lagen jetzt geglättet und beinahe entspannt, sodass dieser andauernd verbissene Ausdruck einmal gänzlich aus seinem Gesicht gewichen schien. Er hob die Lider an und offenbarte somit einen hinreißenden Blick in seine tiefgrünen Augen - Gwen erinnerte sich, dass diese Augen das Erste gewesen waren, was ihr an Loki aufgefallen war und auch jetzt noch konnte sie sich der Magie seines Blickes nur schwerlich entziehen. Allein mit seinen Augen hielt er sie gefangen, während seine Finger ihr eine zarte Gänsehaut verschafften, da diese sich verstohlen sanft über die Haut ihrer Hand bewegten. »Eure Aura ist unglaublich rein.« begann er dann mit samtiger Stimme zu sprechen. »Ein helles, warmes Flimmern, das keine eigene Farbe zu besitzen scheint. Zumeist ist jedem Lebewesen eine bestimmte Farbe eigen.« fügte er erklärend an, nachdem Gwen die Brauen etwas verwirrt zusammengezogen hatte. »Eure Aura schillert allerdings wie ein Regenbogen; ein gleißend helles Licht, vermischt mit einem bunten Schimmern, das offensichtlich keine Farbe bekennen will…« wisperte er nachdenklich. Gwen fühlte Unruhe in sich erwachen. »Ist das…jetzt schlecht? Oder gut?« Loki zuckte flüchtig die Schultern, während er sie weiterhin unverwandt ansah. »Ich weiß es nicht. Es wäre möglich, dass diese unbekannte Energie in Euch Eure eigene Energie stört und überlagert. Ihr solltet Euch keine zu großen Gedanken darüber machen.« »Hm…« Gwen blickte auf ihre Finger, die noch immer in Lokis Hand lagen und ihr kam flüchtig in den Sinn, dass sie sich ihm eigentlich viel zu unbedarft und leichtgläubig näherte; Thor hatte sie vor Loki gewarnt und die rationale Seite in ihr würde sicher sofort alle Verfehlungen des Prinzen herabbeten können, doch…irgendwie konnte sie so keine rechte Angst vor ihm aufbringen. Sie hatte noch immer Respekt, natürlich, aber sie fürchtete ihn seltsamerweise nicht. »Habt Ihr so etwas schon einmal gesehen…so etwas ähnliches wie das heute Nachmittag?« fragte sie dann zögerlich nach, unsicher, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte. »Dieses Leuchten in mir…habt Ihr jemals zuvor so etwas gesehen?« Langsam blickte sie wieder zu ihm auf. Loki schüttelte den Kopf. »Nein. Niemals.« erwiderte er unumwunden. »Aber für jedes Rätsel gibt es eine Lösung und ich habe Euch bereits versichert, dass ich sie finden werde.« Er konnte gut reden. Er hatte sich ja auch nicht in eine wandelnde Energiesparbirne verwandelt. »Diese Macht in Euch ist ein Geschenk, Gwendolyn.« begann er plötzlich eindringlich und sanft. »Ihr habt Sleipnir allein durch eine einfache Berührung geheilt, woran Gelehrte und Heiler zuvor jahrelang gescheitert waren. Bedenkt nur, was Ihr mit solch einer Gabe alles erreichen könntet. Ihr solltet keine Angst vor dieser Macht haben.« »Mich hat aber niemand gefragt, ob ich dieses Geschenk überhaupt haben will.« erwiderte sie trotzig. »Und sonderlich erpicht bin ich auch nicht darauf. Was ist, wenn dieses Leuchten irgendwann einfach nicht mehr verschwindet? Laufe ich mein Leben lang dann als lebende Christbaumkugel durch die Gegend?« fuhr sie Loki unnötigerweise ärgerlich an. Er konnte ja auch nichts für diesen ganzen Schlamassel. »Was ist, wenn ich mich verändere? Wenn ich nicht ich selbst bleibe? Oder was ist, wenn mich dieses Glühen irgendwann umbringt? Wenn ich einfach verpuffe wie ein Stück Papier in einer Flamme?« stieß sie bestürzt aus und konnte die aufwallende Furcht nicht mehr gänzlich zurückdrängen. Panik schwappte in ihr herauf, wurde aber plötzlich durch einen tröstlich bestimmten Griff gestoppt; Loki hatte ihre Finger jetzt sicherer mit einer Hand umschlossen und die andere noch gänzlich darübergelegt, sodass ihre Finger fast vollständig zwischen seinen großen Händen verschwunden waren. »Nichts dergleichen wird geschehen. Das kann ich Euch versichern. Wir werden das Geheimnis lüften und dann werden wir eine Lösung finden, um diese Kraft in Euch entweder zu bannen oder einen Weg aufzutun, damit Ihr sie besser beherrschen könnt. Macht Euch keine Sorgen.« endete er in einem völlig ungewöhnlich weichen Raunen. Gwen starrte ihn verblüfft an, während die Panik geschlagen in ihre düstere Höhle zurückwich; Lokis Züge wirkten auf einmal so gänzlich anders - die altbekannte Härte schien fast völlig verschwunden und hatte einem seltenen Hauch von Gefühl Platz gemacht. Fast war es, als würde sich Verständnis in seinen Augen spiegeln; als könnte er ihre Ängste und Sorgen nur zu gut nachempfinden. Der seltsame Moment der Verbundenheit zwischen ihnen verschwand urplötzlich, als Loki beinahe von seinem Platz aufsprang und ihre Hand ruckartig wieder freigab, als hätte er sich an ihr verbrannt. »Ich sollte jetzt weiterarbeiten. Ich habe bereits zu viel Zeit mit Nichtstun verschwendet.« Da war er wieder - der alte Loki. Anmaßend kühl blickte er auf sie herab, bevor er sich ohne Umschweife abwandte und an seinen Schreibstich zurückkehrte. Gwen blinzelte ihm irritiert hinterher und blieb verwirrt sitzen. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Unschlüssig sah sie sich um, wusste nicht, ob sie gehen oder bleiben sollte, bevor sie sich kurzentschlossen erst einmal daranmachte, die Teller und das Besteck auf dem Tisch zusammen zu räumen. Gwen gab sich Mühe leise zu sein und schielte ab und an zu Loki hinüber, der allerdings wieder völlig in seinen Büchern versunken schien. Sie konnte es natürlich leugnen, doch eigentlich wollte sie nicht gehen. Die Gesellschaft des Prinzen war sonderbar angenehm gewesen und sie musste sich eingestehen, dass sie sich in seiner Nähe irgendwie wohl fühlte. Die Stille ihres prächtigen Gästezimmers erschien ihr dagegen wenig verlockend, langweilig und erdrückend. Viel zu viel Zeit, um ihren schwachsinnigen Ängsten und Gedanken nachhängen zu können. Sie schenkte sich den letzten Rest des Wassers in ihren Becher und hob ihn an die Lippen, als ihr das seltsame Buch ins Auge fiel, dass Loki aus dem abgestürzten Raumschiff geborgen hatte; es lag aufgeschlagen auf seinem Tisch und seine schlanken Finger fuhren konzentriert über die dunklen Seiten. Neugierig geworden ging Gwen zum Schreibtisch hinüber und blieb halb hinter dem Prinzen stehen, der ihr einen flüchtigen Blick über die Schulter zuwarf. »Darf ich?« fragte sie vorsichtig und wies mit einem Finger in Richtung des Buches, was komplett in Metall gebunden war. Loki zögerte, doch dann wandte er seinen Blick wieder auf die Schriftstücke vor sich und wedelte mit einer gleichgültigen Handbewegung in Richtung des seltsamen Buches. »Bitte. Von mir aus. Nur zu…« Gwen trat näher an den Tisch heran und ließ die Finger vorsichtig über die schwarzen Seiten schweifen, welche mit eingestanzten, silbernen Symbolen gefüllt waren. Sie konnte die Schrift natürlich nicht lesen, doch womöglich war Loki mit der Übersetzung ja schon weitergekommen. Auf seinem Tisch stapelten sich unzählige Bücher und Schriftrollen, vor ihm ausgebreitet lag ein Stück Pergament, auf dem er sich Notizen mit Feder und Tinte vermerkte. Schon seltsam... Da waren die Götter so mächtig, konnten sogar Magie nutzen und zwischen den Welten reisen, doch die Benutzung eines Computers hatten sie offensichtlich noch nicht gelernt, sodass sie auf beinahe altertümliche Methoden wie Feder und Tinte zurückgreifen mussten. Ein weiterer Punkt, der Gwen verdeutlichte, dass Loki und sie aus völlig unterschiedlichen Welten stammten. »Könnt Ihr das lesen?« fragte sie dann und strich ehrfürchtig über die kühlen, beinahe metallartigen Seiten des Buches. »Ein wenig. Ich habe ein paar Schriften in der Bibliothek gefunden, die ganz ähnliche Symbolik aufweisen.« Er deutete vage auf einen Stapel lederumwundener Bücher. »Doch irgendwie will das alles keinen Sinn ergeben.« murmelte er mehr zu sich selbst und stützte das Haupt einen Augenblick erschöpft in die Handfläche. »Was meint Ihr?« hakte Gwen zögerlich nach. Loki schüttelte fast widerstrebend den Kopf, doch dann begann er zu ihrer Überraschung doch zu reden. »Dieses Buch…« Er bettete ebenfalls seine Finger unweit von Gwens auf der aufgeschlagenen Seite. »…ist eine Abhandlung über verschiedene Himmelskörper und deren Ressourcen. Es schildert und beschreibt Sternenstraßen; Handelsrouten und den Ertrag einiger Planeten, von denen ich noch nie gehört habe. Es scheint ein Nachschlagewerk über natürlich vorhandene Metalle, Mineralien, Energielieferanten, Pflanzen und Organismen zu sein; wo man sie finden kann und wie man zu ihnen gelangt. Auf Grund dieser vagen Übersetzung habe ich ein anderes Buch zu Rate gezogen…« Loki zog eines der vielen Bücher unter einem Stapel hervor und schlug es an einer markierten Stelle auf. Eine stilisierte Zeichnung kam zum Vorschein; eine recht grobe, aber doch unverkennbare Illustration ihrer Angreifer. Gwen erkannte die fürchterliche Maske auf dem Gesicht des dargestellten Wesens wieder, ebenso deren typische Rüstungen. »Dieses Volk wird nur sporadisch in einigen Schriften erwähnt, da sie sich bisher kaum bemerkbar gemacht haben. Allerdings…« Loki sah zu Gwen hinauf. »…ist dieses Volk eine nomadische Rasse. Sie ziehen friedfertig von Planet zu Planet und füllen ihre knapp gewordenen Ressourcen auf, bevor sie weiterreisen. Es hält sie nie lang an einem Ort. Sie haben keine Heimat in diesem Sinne, wahrscheinlich wurde ihr Planet schon vor langer Zeit durch eine natürliche Ursache zerstört. Die Masken tragen sie zur Abschreckung, da sie kaum Waffen besitzen. Sie wollen vorwiegend einfach ihre Ruhe. Das sind keine Eroberer. Das ist ein Wandervolk. Es gibt keinen einzigen, logischen Grund, warum sie Asgard und all die anderen Welten angreifen sollten, vor allem, da sie es ja noch nicht einmal auf unsere Ressourcen abgesehen hatten.« Lokis Finger vergruben sich verkrampft in seinem Haar, während er unzufrieden und finster auf die Bücher vor sich starrte. Gwen hätte ihm gern geholfen und eine Lösung präsentiert, doch sie hatte von alledem wahrscheinlich die wenigste Ahnung. Sie konnte sich gleich gar nicht erklären, warum ein nomadisches Volk mit einem mal urplötzlich zu den Waffen greifen sollte, um die neun Welten anzugreifen. Wenn Lokis Nachforschungen korrekt waren - und sie ging davon aus, dass sie es waren - so standen sie schon vor dem nächsten Rätsel. »Was ist das?« fragte sie dann, aufmerksam geworden auf ein Stück Papier, das fast vergessen an den Rand des Tisches gerutscht war, eng beschrieben mit der klaren, akkuraten Handschrift des Prinzen. Sie nahm das Pergament vorsichtig an sich. Loki schielte flüchtig darauf, schien ihm aber keinen besonderen Wert beizumessen. »Unsinn. Etwas, was dieser sterbende Krieger von sich gegeben hat, der mich in dem Raumschiff angriff.« raunte er abwesend. »“Nicht wir. Nur ich. Es gibt nur mich. Sie sind ich. Ich bin sie.“« las Gwen leise und ließ den Zettel dann nachdenklich sinken, während in ihrer Erinnerung ein Funke aufblitzte. »Das klingt irgendwie fast nach den Borg...« sinnierte sie dann für sich gedankenvoll. Sie hatte als Kind unheimlich gern die Abenteuer der Enterprise oder des Raumschiffs Voyager verfolgt. »Was?« Lokis Ohren waren allerdings hervorragend. Er blickte hellhörig und fragend zu ihr auf. »Borg? Wer ist das?« Gwen schüttelte sogleich geringschätzend den Kopf und schob den Zettel über den Tisch wieder von sich. »Ach, nur das Hirngespinst einiger fantasievoller Autoren und Filmemacher. Die Borg sind ein außerirdisches Volk aus einer Serie, die ich als Kind gern gesehen habe.« endete Gwen lapidar. »Fahrt fort.« verlangte Loki allerdings. Gwen grübelte einen Augenblick, um sich das längst vergessen Wissen wieder zurückzuholen. »Naja, ihre Gesellschaft besteht aus einem totalitären, aber nicht-hierarchischen Kollektiv, in dem es keine Eigenarten gibt. Individuen und individuelles Bewusstsein gibt es unter den Borg nicht. Sie entwickeln sich weiter, indem sie andere Rassen und ihre Technologien „assimilieren“, das heißt, deren Wissen und Erfahrungen in ihrer Gesamtheit in sich aufnehmen, um durch ein kollektives Bewusstsein die neuen Eigenschaften der Gemeinschaft hinzuzufügen. Das Hive-Bewusstsein ist das Gedankennetzwerk des Borg-Kollektivs. Es ermöglicht jedem Borg, mit dem Rest des Kollektivs zu kommunizieren.« Sie machte eine kurze Pause und sah Loki an, doch der schien ihren Worten ohne Mühe folgen zu können. »Daher dachte ich jetzt bei diesen Worten irgendwie an die Borg. Bei diesem Volk gibt es auch keine Individuen, alle sind durch das Kollektiv miteinander verbunden und dienen dem großen Ganzen. In den Filmen war das dann meist die Borg-Königin, ähnlich wie in einem Insektenstamm.« »Ihr seid genial, Gwendolyn.« stieß Loki plötzlich zu ihrer größten Verblüffung aus und stand ruckartig von seinem Platz auf; die Beine des Stuhles schabten geräuschvoll über den Boden. »Äh…danke…?!« Irritiert sah sie ihm nach wie er zu einem seiner Regale hinüber lief und die Fächer durchwühlte. Gwen hätte ja ehrlich nicht gedacht, dass ihr „Star Trek“-Wissen wirklich mal zu etwas nütze sein sollte. Allerdings glaubte sie nun nicht, dass die Borg wirklich des Rätsels Lösung waren. »Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen…?!« Loki schien gefunden zu haben, was er suchte und kam zum Tisch zurück, eine Art Reagenzglas in der Hand, welches er ihr entgegen hielt. Gwen nahm das Behältnis vorsichtig an sich und hob es vor die Augen, um das darin befindlich Etwas genauer studieren zu können. »Erinnert Ihr Euch an diesen eigenartigen Nebel, der unsere Angreifer umgab? Man konnte ihn fast übersehen, wenn man auf solche Dinge nicht achtete.« Loki sah Gwen gespannt an und sie ließ das Glas ein wenig sinken, um den Magier darüber hinweg anzublicken und dann zögerlich zu nicken. Ihre Stirn zog sich nachdenklich in Falten. »Ja, ich erinnere mich daran. Aber ich hielt es nicht für weiter wichtig.« »Ich anfangs auch nicht. Doch das war mein Fehler…« knurrte er beinahe frustriert und fuhr sich aufgebracht mit einer Hand durch sein schwarzes Haar. »Allerdings ist genau das jenes fehlende Puzzlestück, nachdem ich gesucht habe.« Gwen blickte wieder auf diese eigenartige Substanz, die sich in dem Glas in ihre Hand befand; eine Art schwarzer Schleim oder gallertartige Flüssigkeit, die allerdings weniger leblos schien als auf den ersten Blick noch gedacht. Das dunkle Zeug wandte sich um sich selbst, bevor es beinahe begierig winzige Schleimfinger ausstreckte und jene gegen das Glas presste - genau an jene Stelle, wo Gwens Finger lagen. Schaudernd reichte sie Loki das Behältnis zurück. »Es bewegt sich…« »Ja, das scheint eine Art parasitäre Ablagerung zu sein. Ich fand dies ebenso in dem abgestürzten Schiff. Wenn sich Parasiten in einem Wirt einnisten, so stößt der Wirtskörper manches Mal Teile des Parasiten ab, da sich die Zellen gegen die fremde Übernahme wehren. Und genau das ist hier passiert…« Gwen begann langsam zu verstehen und blinzelte den Magier entgeistert an. »Ihr meint…die Angreifer waren von einer Art Parasit befallen, der sie fremdgesteuert hat?« Loki nickte langsam. »So ähnlich. Ich glaube, dass sie besessen sind.« Er hob das Reagenzglas bedeutsam an. »Und zwar hiervon. Von einer Art magischer Existenz, die sich in ihren Körpern eingenistet hat und sie für ihre Zwecke missbraucht. Daher auch der eigenartige Nebel. Unsere Angreifer sind nicht der Feind. Sondern das hier.« Angewidert warf er das kleine Behältnis auf den Stapel seiner Notizen, bevor sich sein Blick und der Gwens darüber hinweg wieder begegneten; die Gewissheit teilend, dass ihre Probleme damit wohl erst richtig anfingen. Kapitel 11: Cinderella ---------------------- »Haltet das Schild etwas höher. Und dreht Euch seitlich, damit Ihr weniger Angriffsfläche bietet.« Sifs klare Stimme raunte Gwen die Befehle ins Ohr, während sie selbst versuchte den Anweisungen der Kriegerin bestmöglich Folge zu leisten. In einiger Entfernung tänzelte Fandral elegant über den staubigen Übungsplatz, gekleidet in eine leichte Lederrüstung und bewaffnet mit seiner bevorzugten Klinge - einem Degen; eben jenem Degen, der in diesem Augenblick geradewegs auf Gwen zuschoss, die glänzende Spitze auf ihre Mitte zielend. Geistesgegenwärtig riss sie das handliche, schlichte Schild hoch, dass Sifs Initialen trug und ließ die Klinge somit kurz vor ihrer Brust mit einem schleifenden Geräusch an sich vorbei gleiten. »Sehr gut.« lobte sie die Kriegerin erfreut und legte Gwen die Hand in einer freundschaftlich aufbauenden Geste auf die schmale Schulter. »Wir machen doch noch eine echte Walküre aus Euch, Gwendolyn.« Tja, da war sich Gwen nicht so sicher… Sie schwitzte längst nach einigen Angriffsversuchen des blonden Kriegers unter ihrem leichten Hemd und in ihrem Arm machte sich langsam ein angestrengtes Zittern bemerkbar, da sie Sifs Schild verkrampft festhielt. Das war dann doch ein etwas anderes Training als die paar Stunden Selbstverteidigung, die sie in New York hinter sich gebracht hatte. Sie war wahrscheinlich meilenweit davon entfernt eine Lady Sif oder ein geschickter Krieger wie Fandral zu werden. Nichtsdestotrotz war Gwen natürlich jemand, der nicht so leicht einfach aufgab - und Herausforderungen scheute sie schon gar nicht. Eigentlich hatte sie den Tag in völliger Ruhe begonnen, war recht gelangweilt und ziellos durch die Gänge Gladsheims gestreift, ihren Wächterschatten im Rücken, nachdem Loki ihr mitgeteilt hatte, dass er den Allvater aufsuchen wollte, um ihn über die neuesten Entwicklungen zu unterrichten. Daher hatte sie keine Beschäftigung für den Morgen gehabt und war zugegeben etwas enttäuscht darüber gewesen, dass sie nicht sogleich wieder Zeit mit Loki verbringen konnte. Der gestrige Abend war überraschend angenehm ausgeklungen - nach dem Essen, in dessen Verlauf sie so viele neue Dinge über den Prinzen erfahren hatte und der folgenden Enthüllung über ihre Angreifer hatte sie sich noch eine ganze Weile mit Loki fast schon erschreckend normal unterhalten können; er hatte ihr von seiner Zeit in Vanaheim berichtet und ihr noch mehr Einblick in die Vorgänge der Magie gewährt. Sie hatte schlussendlich das Gefühl gehabt, dass diese seltsame Barriere zwischen ihnen - zwischen Mensch und Gott - ein wenig gebröckelt war; Loki war wesentlich zugänglicher gewesen als noch zuvor. Und Gwen musste sich eingestehen, dass sie sich in seiner Nähe nicht nur wohl sondern auch sicher fühlte. Ein seltsamer Gedanke, da sie doch ständig von so vielen Wächtern im Palast umgeben war. Doch all diese unbekannten Männer konnten ihr nicht das ungewöhnliche Gefühl von Sicherheit vermitteln, dass sie in der Nähe des Magiers verspürte. Eigentlich äußerste Ironie in sich selbst - da fühlte sie sich bei genau jener Person geborgen und gut behütet, vor der sie wahrscheinlich die meiste Angst haben sollte. Zumindest nach Aussage aller anderen. Doch gerade Lokis selbstsichere Arroganz ließ ihn bestimmt und gewissenhaft wirken, überlegt in allem was er tat und genau das schuf ein äußerst beruhigendes Bild - so absurd sich das selbst in ihrem eigenen Kopf anhören mochte. Doch der Magier war es, dem sie es zutrauen würde mit jeder Gefahr fertig zu werden. Gwen war gedankenverloren durch die Gänge geschlendert, bis sie einen kleinen Trainingsplatz innerhalb der Palastmauern entdeckt hatte; das sandige Terrain war von einem offenen Bogengang umringt und ohne Überdachung, sodass die Sonne ihren Weg uneingeschränkt auf den Platz finden konnte. Ihre Strahlen brachen sich auf den glänzenden Rüstungen von Thor und seinen Freunden, die eine morgendliche Übungseinheit absolvierten. Staub wirbelte unter den schweren Stiefeln der Männer auf, die sich gegenseitig in ihrem Training spielerisch attackierten; bunte Umhänge flatterten geräuschvoll durch die Luft, während das scharfe Klirren von aufeinandertreffenden Waffen weithin hörbar war. Zwischendurch erscholl immer wieder das grollende Lachen Volstaggs oder der unverkennbar dröhnende Triumphruf Thors, wenn dieser einmal mehr erfolgreich die Angriffe seiner Freunde abwehrte. In den überdachten Gängen umher waren ein paar Asen wie Gwen stehen geblieben, um das Schauspiel interessiert zu verfolgen. Gwen wusste, dass hinter dieser spielerischen Leichtigkeit des Trainings doch eine äußerst ernste Angelegenheit lag; im Moment unbedacht und vielleicht vergessen, doch noch immer anwesend wie das lauernde Maul einer Schlange. Der Angriff, der Asgard getroffen hatte, war nur der Anfang gewesen und jeder hier war sich dessen wahrscheinlich bewusst - denn der Allvater irrte sich fast nie. Und eben jene Krieger, die nun in einem leichtfertigen Spiel ihre Fähigkeiten gegeneinander gebrauchten und trainierten, würden es am Ende womöglich sein, die zwischen Asgard und ihren Feinden stehen würden; Schilde und Waffen entschlossen gehoben, um die letzte Verteidigungslinie zu bilden, die das Reich der Asen vor dem Untergang bewahren würde. Und so konnte man unter den neckenden Sprüchen und dem gelösten Lachen von Thor und seinen Gefährten doch eine unterschwellige Nervosität verspüren; der Hauch einer Ahnung vor der drohenden Gefahr - die Gewissheit, dass ihre Bewegungen auf dem Übungsplatz ebenso schnell auf das offene Schlachtfeld verlegt werden konnten. Es war nur eine Frage der Zeit. Eine Zeit, die sich die Tapferen Drei, Lady Sif und Thor wie all die anderen Asen in ihrem Reich mit den alltäglichen Dingen ihres Lebens vertrieben, um zumindest den Anschein von Normalität zu wahren und die Angst vor der drohenden Gefahr nicht ihre Herzen berühren zu lassen. Gwen hatte eine ganze Weile schweigsam beim Training der Krieger zugesehen, ab und an wie die anderen umstehenden Asen applaudiert, wenn Thor oder einer seiner Freunde wieder einmal eine besonders gekonnte Finte ins Feld gesetzt oder einem fingierten Angriff geschickt ausgewichen war. Es war unübersehbar, dass Thor der erklärte Liebling der Asen war; Männer wie Frauen jubelten dem Donnergott zu und feuerten ihn bestimmt an, was der blonde Mann durchaus zu genießen schien. Immer wieder winkte er der Menge zu und verbeugte sich spielerisch vor der kleinen Schar der Zuschauer, wenn er einmal mehr den Sieg aus einem der Duelle getragen hatte. Allerdings standen die anderen Krieger ihm in Beliebtheit wenig nach; Fandral wurde ebenso von den Asenfrauen angehimmelt wie der Donnergott selbst, nur dass der blonde Krieger bewusst in der Bewunderung der Frauen badete und dafür mehr als einmal einen Seitenhieb von Sif oder Hogun kassierte, wenn er wieder einer reizenden Dame eine Kusshand zuwarf und dadurch einen Augenblick unaufmerksam wurde. Auch Volstagg warf sich mehr als einmal prahlerisch in Pose, wenn er einen seiner Gefährten in den Staub geschickt hatte und ließ sein dröhnendes Lachen hören. Selbst Hogun zeigte dann und wann ein sachtes Schmunzeln, wenn die zuschauenden Asen seine Kampfkünste durch heftigen Applaus wertschätzten. Lady Sif war natürlich die unangefochtene Favoritin aller Männer, die den Trainingskampf beobachteten und Gwen konnte das durchaus verstehen; die dunkelhaarige Kriegerin war wunderschön und mehr als geschickt im Umgang mit dem Speer und ihrem Schild. Doch Sif hatte nur Augen für einen Mann, dass war Gwen bereits früher aufgefallen - selbst jetzt beim Training huschte ihr Blick mehr als einmal zu Thor hinüber und die beiden schienen ab und an bewusst im Kampf die Nähe des jeweils anderen zu suchen. Die zwei würden ein wirklich hübsches Paar abgeben. Diese fünf tapferen Streiter waren die strahlenden Lichtgestalten Asgards; die Helden der Asen, jene Krieger, in die ein ganzes Volk die meiste Hoffnung legte. Sie waren unheimlich beliebt, doch Gwen mochte sich den Druck, der auf ihren Schultern lastete, nicht einmal vorstellen. Auf ihnen lag die projizierte Verantwortung für eine ganze Welt; nicht unähnlich jener Position, die die Avengers auf der Erde einnahmen. Gwen war nicht dumm und sie wusste, wie diese Dinge liefen - Helden waren so lang öffentlichkeitstauglich und beliebt wie sie die Interessen der Menschen vertreten und für Ordnung sorgen konnten. Doch ein Fehltritt, nur einmal versagen und die zuvor geliebten Helden wurden gern als Sündenböcke für all das missbraucht, was in der Gesellschaft schief lief. Auf der Erde waren die Meinungen über die Avengers schon jetzt gespalten; die meisten hielten sie für Helden, doch ein paar andere nur für maskierte Spinner, die das Unheil erst angezogen und eine Menge Schaden angerichtet hatten. Die Position als strahlender Hoffnungsträger konnte schnell zu einer recht undankbaren Stellung werden. Gwen hoffte, dass Thor und seinen Freunden nicht irgendwann dieses ungerechte Schicksal blühen würde. Ungewollt musste sie an Loki denken, als die Menge erneut über einen gut platzierten Schlag Thors mit Mjölnir jubelte; ihm würden die Asen wohl nie so zujubeln, seinen Namen nie begeistert rufen oder nach seiner Aufmerksamkeit gieren. Sie hatte die misstrauischen und argwöhnischen Blicke der Asen bemerkt, wenn Loki in der Nähe war. Der Magier dämmerte im Schatten seines Bruders; jetzt wohl erst recht nach seinen Verbrechen, die sicher durch Gerüchte und geflüsterte Mutmaßungen in dunklen Ecken an die Öffentlichkeit gedrungen waren. Obwohl weder Frigga noch Thor etwas in diese Richtung erwähnt hatten, fiel es Gwen in diesem Augenblick wie Schuppen von den Augen; diese Wut, dieses Unverständnis, das Loki verspürt haben musste als er die Wahrheit über seine Herkunft herausfand musste noch zusätzlichen Zündstoff erhalten haben durch die Gewissheit, hinter Thor zurückzustehen. Der Donnergott liebte seinen Bruder und weder er noch die Königin hatten den Magier diese Gewissheit wahrscheinlich spüren lassen, doch sie war offensichtlich - durch die Blicke und das Verhalten des Volkes. Die Asen hatten Angst vor dem Magier - ob sie nun von seiner Herkunft ahnten oder nicht; doch das Nutzen der Magie war schon genug des Frevels, den der Prinz in ihren Augen wohl begangen haben musste. Gwen wurde unvermittelt aus ihren Gedanken gerissen, als sie ihren Namen von den Lippen Thors vernahm; der hatte sie nämlich gerade in den Reihen der Zuschauer entdeckt. »Guten Morgen, Gwen. Kommt doch her zu uns.« Gwen hob sofort abwehrend die Hände, vor allem da einige der umstehenden Asenfrauen sie sofort argwöhnisch und missgünstig beäugten, doch der Donnergott ließ nicht locker. Entschlossen kam er zu ihr herüber und entlockte damit einer jungen, blonden Asin hinter Gwen ein sehnsüchtiges Seufzen, was Sif augenblicklich dazu veranlasste, die junge Dame mit Blicken zu erdolchen. »Es ist schön Euch zu sehen, Gwen. Und selten, so ganz allein ohne die Begleitung meines Bruders.« Thor lächelte sie heiter an und streckte ihr die große Hand entgegen, um sie die wenigen Stufen zum Platz hinunter zu geleiten. »Schläft Loki etwa noch? Wundern würde es mich nicht. Sicher hat er wieder in der Bibliothek die Nacht zum Tag gemacht.« »Oh, nein. Nein. Euer Bruder ist bereits auf den Beinen, Thor.« berichtigte Gwen sofort seine Vermutung, während sie sich von ihm zu seinen Freunden hinüberführen ließ. Die Menge der zuschauenden Asen zerstreute sich inzwischen; sie waren wohl der Meinung, dass der größte Teil des unterhaltsamen Schauspieles nun eh vorbei wäre. »Er wollte zum Allvater, um ihn über die neuesten Erkenntnisse seiner Nachforschungen zu unterrichten. Wir haben gestern wahrscheinlich einen wichtigen Hinweis auf eure Angreifer entdeckt.« »Wir?!« Thor hob beinahe überrascht eine Braue, während er mit Gwen im Kreis seiner Freunde stehen blieb, die sich gerade den Staub von den Kleidern klopften und ihre Waffen säuberten. »Sagt bloß, mein Bruder hat Euch an seinen Studien und Untersuchungen teilhaben lassen? Sonst verkriecht er sich in solchen Momenten doch zumeist allein in der Bibliothek oder seinem Zimmer.« »Naja, zwangsweise.« gestand Gwen mit einem schiefen, verlegenen Lächeln. »Ich hab ihn gestern mit dem Abendessen überfallen und dann war ich neugierig und hab ihn über den Stand seiner Nachforschungen ausgefragt…« endete sie in einem unsicheren Wispern und ließ den Blick von einem zum anderen huschen. Die Tapferen Drei und Sif bedachten sie mit einem nicht zu deutenden Blick. Thor sah sie beinahe verblüfft an, dann bettete er eine schwere Hand auf ihrer Schulter und fragte sie eindringlich: »Mein Bruder hat etwas gegessen?!« Etwas unsicher nickte Gwen, nachdem ihr Blick abermals durch die Runde geglitten war. »Äh…ja. Naja, zumindest nachdem ich starrsinnig darauf bestanden habe. Eigentlich wollte er nicht, aber-« Der Druck von Thors Hand auf ihrer Schulter wurde freundschaftlich schwer. »Ich danke Euch, Gwen. Wirklich. Loki achtet viel zu wenig auf sich und sein Wohlbefinden. Er ist stur, das war er schon immer. Er sah die letzten Tage müde und erschöpft aus und ich hegte bereits den Verdacht, dass er erneut die Nahrungsaufnahme verweigern würde, wie er es die letzten Tage seiner Gefangenschaft bereits getan hatte.« »Vielleicht entwickelt die Sterbliche einen durchaus guten Einfluss auf deinen Bruder…« gab Sif zu bedenken, bevor sie Gwen gründlich musterte und die angenehme Wärme von Thors Hand von deren Schulter verschwand. Er nickte Sif zu. »Ich hoffe es. Selbst Frigga gelingt es kaum noch zu ihm durchzudringen…« Alle blickten Gwen nun an, als hätte sie sich eben als das achte Weltwunder vorgestellt. Fandral grinste anzüglich. »Vielleicht ist dein Bruder Frauen ja doch gar nicht so abgeneigt, Thor. Vielleicht hätten wir Sif das ein oder andere Mal einfach mehr auf ihn einwirken lassen sollen, dann wäre er womöglich nicht so wahnsinnig und verbohrt-uff…« Fandrals Rede wurde durch Sifs Ellenbogen unterbrochen, den sie dem Krieger unumwunden in den Magen stieß und diesen böse anfunkelte. »Ich bitte dich…« stieß der blonde Krieger gequält aus. »Niemand kann sich sein ganzes Leben nur hinter Büchern und Pergament vergraben und damit glücklich werden. Der Kerl muss doch auch Bedürfnisse haben. Vielleicht ist ihm ein gewisser Druck zu Kopf gestiegen und hat ihn verrückt gemacht-« Abermals wurde er von Sif unterbrochen, die Fandral die Hand in einer zurechtweisenden Geste gegen den Hinterkopf schlug. »Deine Theorie ist lächerlich. Nicht jeder Mann ist wie du, Fandral.« murmelte die Kriegerin missbilligend. Gwen war sich gar nicht sicher, ob sie diesen Teil der Unterhaltung unbedingt mithören wollte; das war doch sehr privat und ging sie eigentlich auch gar nichts an. Trotzdem lauschte sie natürlich aufmerksam - was vielleicht auch ihrem Job als Journalistin geschuldet war - und konnte sich ein Gefühl von Erleichterung irgendwie kaum erklären, als ans Tageslicht kam, dass Loki offensichtlich kein Weiberheld war. »Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte sich weiterhin dem Essen verweigert und wir wären ihn und seinen Wahnsinn bald losgeworden…« brummte Volstagg gleichmütig, während er die Schneide seiner mächtigen Axt gewissenhaft polierte. »Volstagg!« zischte Hogun warnend und der rotbärtige Riese zuckte getroffen zusammen, bevor er seinen Blick zögerlich zu Thor schickte, dessen Augen sich um eine Winzigkeit verengt hatten. »Tut mir leid, mein Freund. Aber du weißt, was ich von Loki halte. Ich kann die Entscheidung des Allvaters nicht gutheißen. Meiner Meinung nach hätte der Magier in seinem Gefängnis verrotten sollen. Er ist gefährlich und verrückt.« versuchte sich der stämmige Krieger zu rechtfertigen. »Dennoch ist er mein Bruder, wenn auch nicht im Blute, so doch im Geiste. Und das solltet ihr alle nicht vergessen.« raunte der Donnergott zurechtweisend und entschlossen. »Und du solltest nicht vergessen, was er getan hat, Thor.« meldete sich nun überraschend Hogun zu Wort. »Auch wenn er momentan scheinbar in seinen alten geistigen Zustand zurückzufinden scheint, so ist das kein Garant dafür, dass er sich ändern wird.« sprach der dunkelhaarige Krieger beschwörend auf den Donnergott ein. »Du weißt am besten, wie listig Loki ist. Gib dich nicht der Illusion einer trügerischen Hoffnung hin.« Thor fuhr sich aufgewühlt mit einer Hand durch seine wilde, blonde Mähne und senkte den Blick betreten. »Ich weiß…doch gebührt nicht jedem Vergebung?« »Seine Taten können nie vergeben werden, Thor.« Fandral schob seinen Degen zurück in die lederne Halterung an seinem Gürtel. »Das Einzige, worauf Loki bauen kann, ist Wiedergutmachung.« Sif nickte bestätigend und bettete eine Hand auf dem kräftigen Unterarm des Donnergottes. »Er kann das Gewicht seiner Schuld, seiner Verbrechen nur durch richtige und gute Taten verringern. Und vielleicht dadurch irgendwann Vergebung erlangen. Er kann sie sich verdienen. Doch geschenkt werden kann sie ihm nicht.« Gwen stand unschlüssig zwischen den Kriegern und fühlte sich augenblicklich recht fehl am Platz. Es war unverkennbar, dass keiner der Männer eine besonders hohe Meinung von Loki hatte; Thor ausgenommen. Auch Sif schien nicht gerade vor Begeisterung zu sprühen, wenn der Magier zur Sprache kam. Eine seltsame Beklemmung schwebte augenblicklich in der Luft, als wäre Lokis Präsenz selbst jetzt vorhanden, obwohl der Prinz nicht anwesend war und der Grund für Unstimmigkeiten zwischen den Freunden sein konnte; Gwen kam in den Sinn, dass dies womöglich auch schon viel früher so gewesen war. Sie konnte sich augenblicklich vorstellen, wie ein wesentlich jüngerer Thor bei seinen Gefährten Partei für seinen ruhigen Bruder ergriff, als diese einmal mehr wenig begeistert darüber waren, dass sie ihn auf ein Abenteuer mitnehmen mussten. »Behandelt Euch der Magier anständig, Lady Gwendolyn?« wandte sich Fandral nun überraschend plötzlich an Gwen, die bereits froh darüber gewesen war nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Sie konnte sich ein erschrockenes Zusammenzucken gerade noch verkneifen, so versunken war sie schon wieder in ihren Gedanken gewesen. »Oh, ähm…ja, das tut er. Er ist keine leichte Persönlichkeit, aber das bin ich ja auch nicht. Wir arrangieren uns schon.« erklärte sie mit einem zögerlichen Lächeln. Sie hätte jetzt natürlich über Lokis Arroganz und Ignoranz den Menschen gegenüber schimpfen können, doch sie verkniff sich jedes negative Wort über den Prinzen sehr bewusst; man musste die aufgepeitschten Wogen nicht noch mehr anstacheln. Schließlich waren Thors Freunde eh schon schlecht genug auf Loki zu sprechen und es war unnötig, den Donnergott mit weiteren Beschwerden über seinen Bruder zu belasten. Dass Thor unter der Situation litt war mehr als deutlich; sicher war es kein schönes Gefühl immer zwischen den Stühlen stehen zu müssen. Außerdem hatte der gestrige Abend Gwen deutlich gezeigt, dass der Magier durchaus auch anders konnte; er war umgänglich gewesen, fast freundlich und sie hätte beinahe vergessen können, warum er in Asgards Kerker eingesessen hatte. Womöglich war sie genauso gutgläubig wie Thor - vielleicht schlummerte in Loki aber doch noch mehr, als ihm alle augenscheinlich zutrauen wollten… »Das überrascht mich fast.« erhob Volstagg die grollende Stimme wieder. »Bei seiner bekannten Abneigung gegen die Menschen…« Der bärtige Krieger unterbrach sich selbst, indem er seinen Blick wieder auf die glänzende Schneide seiner Axt senkte, nachdem ihm Hogun einen mehr als warnenden Blick zugeworfen hatte. Gwen wurde das Gefühl nicht los, dass da noch einiges unausgesprochen in der Luft hing. »Habt Ihr eigentlich neue Hinweise über Eure Veränderungen erlangt?« wandte Sif das Wort unvermittelt an Gwen und lenkte sie somit von Volstagg ab. Sie blickte die Kriegerin neben sich wieder an, die eben ihren Speer zu einem handlichen, kleinen Stab zusammengleiten ließ und diesen an ihrer Rüstung festmachte. »Konnte Loki etwas über Eure seltsamen Fähigkeiten herausfinden?« fragte nun auch Thor nach. »Naja, mehr oder weniger.« begann Gwen zögerlich. »Loki hat nach einer Untersuchung zumindest zweifelsfrei bestätigen können, dass es nicht Asgards Essenz ist, die mich verändert hat. Nach seiner Aussage bin ich noch immer eine gewöhnliche Sterbliche. Allerdings…« Unsicher stockte Gwen in ihrer Erzählung und sah zögerlich in die Runde. Sollte sie wirklich erzählen, was im Stall bei Sleipnir passiert war? Womöglich würden sie Thor und seine Freunde dann wie ein missglücktes Experiment betrachten; oder misstrauisch und abfällig, wie sie Loki so oft musterten, wenn sie ihm über den Weg liefen. Alle Krieger sahen sie abwartend an und Sif hob auffordernd eine Braue, sodass Gwen nach einem Räuspern doch in ihren Ausführungen fortfuhr. »…naja, ich scheine doch so eine Art „heilende Fähigkeit“ zu besitzen.« Ihr kam es selbst lächerlich vor, dass auszusprechen. Normalerweise war Gwen eine rational denkende und aufgeklärte Frau; sie hielt nicht viel von der Kirche und der Religion, von Hokuspokus und Übersinnlichen - wobei all das auf einem Jahrmarkt ganz unterhaltsam sein konnte. Doch auf einmal schien sie unverhofft kopfüber in eines ihrer Märchenbücher der Kindheit gestürzt zu sein - zu Kriegern, Göttern, Magiern und Zauberei. Fehlten eigentlich nur noch die Drachen. Sie rieb sich mit den Händen übers Gesicht und holte tief Luft, bevor sie die Krieger wieder ansah und in knappen Sätzen von dem Vorfall bei Sleipnir erzählte. »Bei allen Welten - Ihr habt tatsächlich das Schlachtross des Allvaters geheilt?!« kam es verblüfft von Volstagg, der für einen Augenblick sogar vergaß seine Streitaxt liebevoll zu reinigen und in der Bewegung innehielt. »Jeder hatte das Pferd schon aufgegeben…« sprach Hogun verwundert und bedachte Gwen mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Wie habt Ihr das gemacht, Gwen?« wandte sich Thor neugierig an sie, doch Gwen konnte nur mit den Achseln zucken. Wenn sie das mal selbst wüsste… »Ich habe keine Ahnung. Ich kann das nicht kontrollieren. Ich kann es noch nicht einmal richtig steuern. Es ist eher so, als wüsste diese „Kraft“ in mir einfach wann die richtige Zeit ist, um sich zu zeigen…und nach Lokis Vermutung scheint sie schon wesentlich länger in mir zu sein, als ich hier in Asgard bin...« »Und Ihr habt wirklich keine Ahnung, wo die Wurzeln dieser Macht liegen könnten?« hakte Hogun fast zweifelnd nach, die dunklen Brauen misstrauisch zusammengezogen. Sie sah ihn entschlossen an. »Nein. Wirklich nicht. Ich habe nie zuvor auf der Erde solche Dinge an mir bemerkt…« antwortete sie ihm wahrheitsgetreu. »Ich weiß nicht, was das in mir ist. Und wenn es nach mir ginge, würde ich es am liebsten auch einfach nur loswerden…« endete sie mit einem recht entnervten Seufzen, was die Krieger veranlasste, sich kurze Blicke zuzuwerfen. »Mit solch einer mächtigen Gabe solltet Ihr nicht schutzlos durch Asgard oder sonst eine Welt wandeln.« sprach Thor bestimmt und nickte Sif knapp zu, die den Wink zu verstehen schien und zu Gwen herüber kam. »Der Meinung bin ich auch.« stimmte Fandral sogleich tatkräftig ein und zog seinen Degen wieder, den er spielerisch durch die Luft warf und geschickt in einer Drehung auffing. »Vor allem solltet Ihr Euch Eurer Haut erwehren können, wenn Ihr mit einem Mann wie Loki unterwegs seid.« Und so fand sich Gwen am Ende zwischen Sif und Fandral wieder, während der Krieger sie mit leichten Angriffen attackierte und Sif ihr hilfreiche Anweisungen gab, wie sie sich mit einem Schild einer Klinge erwehren konnte. Obwohl sie natürlich nach einer ganzen Weile alles andere als perfekt war in dem was sie tat, so musste Gwen doch eingestehen, dass sie dieser Art des Kämpfens durchaus etwas abgewinnen konnte; es machte Spaß und weckte ihren Ehrgeiz, obwohl sie das anfänglich nie erwartet hätte - sie lieferte sich mit Fandral ein spielerisches Duell, passte sich dessen tänzelnden Bewegungen an, sodass sie sich am Ende beide umschlichen wie zwei Raubtiere über dem Kadaver einer geschlagenen Beute. Thor hatte ihr ein leichtes, schlankes Schwert besorgt, das sie nun versuchsweise gegen den blonden Krieger schwingen sollte, der sie immer wieder mit einem herausfordernden Lachen und seinem Degen attackierte und sie kaum einen Augenblick verschnaufen ließ. Die Muskeln ihrer Arme brannten durch die ungewohnte Anstrengung; jeder Schlag auf Sifs Schild vibrierte durch ihre Knochen und ließ Gwen schon jetzt vermuten, dass sie Tage später noch Spuren davon tragen würde. Ihre Oberschenkel zitterten bereits durch die vielen Ausfallschritte, zu denen Sif sie animiert hatte und der Schweiß perlte auf ihrer Stirn, da nicht nur Fandrals Degen unerbittlich auf sie eindrang, sondern auch die Sonne inzwischen hoch im Zenit stand und uneingeschränkt auf den kleinen Übungsplatz herabbrannte. Doch trotz allem hatte sich ein Lächeln auf Gwens Lippen geschlichen, vor allem nachdem Sif sie mit einem ehrlich gemeinten Lob bedacht hatte; die restlichen Männer hatten sich in den Schatten unter den grün bewachsenen Säulen des umgebenden Bogenganges zurückgezogen und beobachteten die beiden aufmerksam und erheitert. Thor und Volstagg ließen sich sogar zu begeisterten Rufen hinreißen, wenn Gwen es ab und an tatsächlich schaffte, einen Treffer bei Fandral zu landen, was wahrscheinlich mehr Glück als wirkliches Können war, da der Krieger sie nie mit voller Härte und Entschlossenheit angriff. »Ich hoffe, ihr lasst mir das sterbliche Mädchen heil und in einem Stück, immerhin wäre alles andere ein ziemliches, diplomatisches Problem.« erscholl eine samtig amüsierte Stimme plötzlich über dem Klirren von Stahl auf Stahl und dem Lachen der Männer, die augenblicklich verstummten. Auch Gwen und Fandral unterbrachen ihren Kampf und wandten sich um, nur um sogleich ebenfalls neben Sif auf die Knie zu gehen. Thor rutschte mit Hogun und Volstagg vom Geländer, auf welchem sie Platz gefunden hatten und die Männer sanken vor der Königin in den Staub des Übungsplatzes, die gerade die Stufen zu ihnen herabkam, begleitet von zwei Palastwächtern, die allerdings im schattigen Durchgang stehen geblieben waren. »Eure Hoheit.« Volstagg und Hogun neigten die Köpfe ehrerbietend, während Thor seiner Mutter strahlend entgegen lächelte. »Mutter. Du leuchtest heute wieder wie die Sonne, ein bezaubernder Anblick für meine unwürdigen Augen.« Gwen musste anerkennen, dass Thor Recht hatte - die Königin sah wunderschön aus, was jedoch nicht nur an der schlichten, hellen Robe lag, die sie trug. Ihre Züge wirkten entspannter und diese tiefen Schatten der Trauer waren aus ihren Zügen verschwunden, die Gwen noch bei ihrer Ankunft hier aufgefallen waren. Obwohl Asgard einen schrecklichen Angriff erlitten hatte und sicherlich in noch immer nicht unbeträchtlicher Gefahr schwebte, so war die Königin ein strahlendes Bild der Hoffnung. Ihr sanftes Lächeln verströmte Zuversicht und Güte. Frigga schmunzelte verhalten auf ihren Sohn herab und blieb neben ihm stehen, um eine Strähne seines schmutzstarren Haares zwischen den Fingern einzufangen. »Was ich von dir nicht gerade behaupten kann, mein Sohn.« erwiderte sie amüsiert. »Ich hoffe doch, dass du dieses Chaos bis heute Abend in eine ansprechende Form bringst?« Eine Frage war es nicht gerade, eher klang es nach einem unterschwelligen Befehl. Thor runzelte einen Augenblick recht verwirrt die Stirn, was die Königin eine schmale Braue zurechtweisend in die Höhe ziehen ließ. »Du hast es doch nicht etwa vergessen, Thor?« Der Donnergott sah beinahe hilfesuchend zu Sif herüber, die ein stummes Wort mit den Lippen formte. »Oh, natürlich nicht, Mutter.« Thor erhob sich wieder und seine Gefährten sowie Gwen taten es ihm gleich. Er ergriff die Hand Friggas und zog diese an seine Lippen. »Natürlich habe ich das Winterfylleth nicht vergessen.« »Gut. Denn deine Anwesenheit wird ebenso erwartet wie die deiner Gefährten.« Der Blick der Königin glitt durch die Runde und blieb an Gwen hängen, die unschlüssig Schild und Schwert sinken ließ und nicht so recht wusste, worum es überhaupt ging oder was von ihr erwartet wurde. »Kommt herüber, Mädchen.« erscholl Friggas warme Stimme über den Platz. Gwen ließ sich von Fandral und Sif ihre Waffen abnehmen, bevor sie sich beeilte, der Anweisung der Königin Folge zu leisten. Im Gehen klopfte sie sich den Staub aus Hose und Hemd und versuchte ihre Haare zumindest in eine halbwegs ansprechende Form zu bringen, bevor sie vor der Königin stehen blieb. »Eure Hoheit…« »Ich werde euch die junge Frau nun entführen, ihr Lieben. Ich hoffe euch alle heute Abend zu sehen.« Bestimmt nickte Frigga Thor und seinen Freunden zu, bevor sie Gwen mit einer grazilen Handbewegung dazu aufforderte, ihr zu folgen. Ein wenig unsicher lief Gwen somit hinter der Königin durch die Gänge des Palastes, während ihr selbst die beiden Palastwächter nachfolgten. Nach einer Weile des Schweigens hielt sie es nicht mehr aus und schloss zu Frigga auf. »Was ist Winterfylleth?« fragte sie zögerlich in Richtung der Königin, die ein seichtes Schmunzeln sehen ließ. »Unser Winternachtsfest. Damit verabschieden wir den Sommer, damit der Winter seinen Platz finden kann.« »Der Winter?« Gwen sah beinahe verwirrt durch ein geöffnetes Fenster nach draußen. »Aber es ist doch gerade erst Sommer.« Seitdem sie in Asgard war hatte sie keinen einzigen kalten Tag erlebt; im Gegenteil, Wetter und Vegetation waren hochsommerlich. »Die Winter in Asgard sind nicht lang, dafür aber heftig.« erklärte ihr die Königin. »Sie kommen schnell und zwingen das Land unter ihre Herrschaft. Hier gibt es keine solch gleitenden Übergänge zwischen den Jahreszeiten wie auf Midgard.« »Und wohin bringt Ihr mich jetzt?« hakte Gwen unsicher nach. Frigga blickte zu ihr hinüber und lächelte amüsiert, während sie eine Braue tadelnd in die Höhe zog. »So neugierig, Gwendolyn Lewis? Ist dies Eurer Berufung auf der Erde geschuldet?« »Zu einem gewissen Teil sicherlich schon. Allerdings bin ich selbst auch gern darüber informiert, was man mit mir vorhat. Immerhin befinde ich mich in einer fremden Welt, bin eure Gefangene und eurer Gnade ausgeliefert.« rechtfertigte Gwen ihre Wissbegier, bevor sie sich ihrer unbedachten Worte bewusst wurde und verlegen auf ihre Unterlippe biss. Sie sollte wirklich öfter zuerst überlegen und dann sprechen, denn sie konnte es sich eigentlich nicht leisten, irgendjemanden hier zu verärgern - schon gar nicht ein Mitglied der Königsfamilie. »Ihr seid keine Gefangene, Gwendolyn.« berichtigte sie die Königin sanft. »Ihr seid unser Gast. Und als solcher gebührt Euch natürlich die gleiche Aufmerksamkeit und Ehre wie allen anderen hier in Asgard. Daher möchte ich Euch gern für das anstehende Fest vorbereiten und einkleiden. Es wäre mir eine Freude, wenn Ihr meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen würdet.« Sie waren inzwischen vor einer großen, hellen Holztür angelangt, die mit unzähligen, filigranen Blättern und Blüten verziert war, welche kunstvoll in das Holz eingeschnitzt worden waren. Die Königin blieb stehen und die beiden Männer der Palastwache traten vor, um die Tür zuvorkommend für die beiden Frauen zu öffnen. Dahinter erstreckte sich ein großer, behaglich eingerichteter Raum in hellen Cremefarben mit einer weitläufigen Fensterfront, die helles Sonnenlicht hereinließ. Einige der glänzenden Kristallfenster waren geöffnet und ein milder Lufthauch brachte die weißen Vorhänge in Bewegung. Der Raum teilte sich in zwei großzügige Bereiche; hinter einer dünnen Stoffwand erkannte Gwen eine Art Badezimmer - eine riesige, goldene Wanne beherrschte diesen Teil des Zimmers, während der andere unübersehbar zum Ankleiden diente. Ashlyn wäre wahrscheinlich in diesem Moment aus ihren meist unheimlich teuren Pumps gesprungen… Ein Kleiderschrank reihte sich an den anderen; gewaltige, beinahe monströse Ungetüme, deren Türen offen standen und den Blick auf eine unglaubliche Vielzahl an Kleidern, Roben und Gewändern preisgaben, die in allen möglichen Kolorierungen leuchteten - eine Symphonie an Farben, als hätte man das gebrochene Licht eines lupenreines Kristalles in Stoff eingefangen. Von überall glitzerte, schillerte und schimmerte Gwen edler und kostbarer Stoff entgegen; selbst wenn man wie sie eher schlichte und einfache Kleidung bevorzugte, so konnte man sich diesem zauberhaften Anblick doch einfach nicht entziehen. Das war der Traum eines jeden Mädchens. Zwei sittsam gekleidete Asenfrauen waren im Raum anwesend, die sich eben umwandten und vor der Königin demütig knicksten. »Lasst ein Bad für unseren Gast ein.« wandte sich Frigga an die beiden Frauen, die sofort gehorsam nickten und sich an die Arbeit machten. »Wir haben eine Menge zu tun…« fügte die Königin leise gemurmelt an und bedachte Gwen mit einem abschätzenden, doch nicht unfreundlichen Blick. Sie kam sich unter den Augen der eleganten Asin sofort unwürdig vor; beschämt wurde sie sich ihrer staubigen Kleidung und wirren Haare bewusst, die sie als Folge des Kampfes mit Fandral davongetragen hatte. Wenn sie geahnt hätte, dass die Königin heute noch nach ihr verlangen würde, dann hätte sie sich bestimmt nicht so unbefangen durch den Staub gerollt… »Kommt, trinkt etwas mit mir bis Eurer Bad bereit ist.« verlangte die Königin einladend und trat zu einer kleinen Sitzecke hinüber, deren Mitte ein schmaler Tisch darstellte, der mit Getränken aller Art und einer üppigen Obstplatte beladen war. Gwen folgte der Asin unsicher nach und Frigga goss ihnen beiden etwas Wein in die bereitstehenden Becher. Gwen nahm ihren dankbar entgegen; ein Schluck Wein würde jetzt vielleicht ihre flatternden Nerven beruhigen. Sie fühlte sich vor der Königin auf dem Prüfstand und sie wusste nicht einmal, warum sie das so unruhig machte; doch sie wollte definitiv den besten Eindruck bei der Asin hinterlassen. Wahrscheinlich tat sie eh gut daran, den bei jedem Asen zu hinterlassen, wenn sie ihren Aufenthalt hier nicht noch unnötig verlängern wollte. Die Königin hatte sich auf einem der bequemen Stühle niedergelassen und musterte Gwen schweigend über den Rand ihres Bechers, was diese bald nicht mehr aushielt und nach einem knappen Räuspern die unangenehme Stille durch eine Frage unterbrach: »Denkt Ihr, dass ich auf eurem Fest willkommen bin? Ich glaube, einige der Asen mögen mich nicht besonders…« Frigga wischte ihre Bedenken mit einer lapidaren Handbewegung beiseite. »Das Volk steht allem Neuen und Unbekannten misstrauisch gegenüber. Das sollte nicht Eure Sorge sein. Ihr seid ein Gast der Königsfamilie.« »In Ordnung….« quittierte Gwen diese Aussage leise und hob den eigenen Becher wieder an die Lippen, bevor ihr Blick aus dem Fenster schweifte. »Ist eine Feier zu dieser Zeit nicht ein wenig…leichtfertig? Versteht mich nicht falsch, aber immerhin kann Asgard jeden Moment wieder angegriffen werden.« gab sie zu bedenken und sah zurück zur Königin, die ihren Becher auf dem Tisch abgestellt hatte und sich eine tiefrote Beere aus der Obstschale fischte. »Auch wenn wir nicht feiern, verringert das die Gefahr eines Angriffes wohl kaum. Das Volk liebt Traditionen. Sie vermitteln eine gewisse Sicherheit und Beständigkeit. Wenn wir die Illusion von Normalität und Stärke für unser Reich aufrechterhalten können, so wird Asgard nicht in Chaos und Angst versinken. Die Asen benötigen ihre Bräuche und Sitten; das gibt ihnen Kraft und Entschlossenheit und genau darauf werden wir angewiesen sein, wenn wir dem trotzen wollen, was uns noch bevorstehen mag.« Die Wahrheit hinter diesen Worten ließ sich nicht verleugnen und der Sinn erschloss sich sogar Gwen in diesem Augenblick. Grundsätzlich lief es auf der Erde doch auch nicht anders; die Menschen wurden mit falschen und fingierten Neuigkeiten und Nachrichten bei Laune gehalten und die Wahrheit oft verschleiert und vertuscht, um keine Panik oder Aufstände unter der Bevölkerung hervorzurufen. »Warum habt Ihr mich gestern Abend unter einem Vorwand zu Eurem Sohn geschickt?« fragte Gwen unvermittelt; über den abendlichen Geschehnissen und Enthüllungen hatte sie dieses kleine Detail fast vergessen, doch mit einem Mal erschien es ihr sehr wichtig, die Antwort auf diese Frage zu erfahren. Ein feines, schuldloses Schmunzeln kräuselte sich um die Lippen der Königin, während diese in aller Seelenruhe eine weitere Beere mit spitzen Fingern aus dem Obst auf dem Tablett sortierte. »Weil ich eine Mutter bin und mir Sorgen um ihn gemacht habe. Ich wollte, dass er endlich wieder etwas richtiges isst.« erklärte ihr die Königin entgegenkommend. »Ihr hättet ihn einfach darum bitten können.« schob Gwen unzufrieden ein. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass mehr hinter den Taten der Königin steckte, als diese vordergründig zugeben wollte. Frigga hob recht skeptisch eine perfekte Braue. »Glaubt Ihr wirklich, dass ein Mann wie er sich noch irgendetwas von seiner Mutter sagen lässt? Ob gut gemeint oder nicht, Loki hat seinen eigenen Kopf. Den hatte er schon immer. Er hätte nicht auf mich gehört…« Die Königin unterbrach sich kurz, um die reife Beere eingehend zu studieren und vor den Augen zu drehen und zu wenden, als würde sie etwas daran suchen. »…aber eine Frau wie ihr besitzt ihre ganz eigenen Möglichkeiten. Ich wusste, dass Ihr es schaffen könntet zu ihm durchzudringen. Ich hoffte, dass Ihr sein Licht sein könntet…« endete sie in einem kaum mehr hörbaren Wispern. Der Blick der Königin war seltsam eindringlich geworden, beinahe schon beschwörend, während über ihre Züge eine Hauch von Zuversicht und Ehrfurcht huschte, den Gwen sich kaum erklären konnte. Sie wollte zu einer erneuten Frage ansetzen, wurde allerdings von einer der Asenfrauen unterbrochen, welche eben um den Stoffbehang herumgetreten war und sich höflich vor ihr und der Königin verneigte. »Das Bad ist bereit, Eure Hoheit.« »Hervorragend.« Frigga klatschte erfreut in die Hände und erhob sich mit dem seichten Rascheln ihrer Robe von ihrem Stuhl. »Kommt, Gwendolyn. Sicher seid Ihr froh, wenn Ihr aus diesen staubigen Kleidern herauskommt.« Abermals blickte Gwen verlegen an sich herab, dann stibitzte sie sich ein Stück Apfel vom Tablett, bevor sie der Königin um den Stoffbehang folgte. Es war wirklich mehr als angenehm, die schmutzigen Klamotten ablegen zu können und so eifrig umsorgt zu werden, wie es die beiden Zofen der Königin mit ihr taten; nachdem Gwen hinter einem Sichtschutz aus ihren Sachen geschlüpft und anschließend in das herrlich duftende Badewasser geglitten war, tauchten die beiden Asenfrauen sofort wieder auf und machten sich daran, Gwen jeglichen erdenklichen Luxus zukommen zu lassen. Wenn man wie Gwen aus einer Familie stammte, die schon seit jeher wenig Geld besessen hatte, so war es nicht verwunderlich, dass man sich irgendwann einfach an eine sparsame und genügsame Lebensweise gewöhnt hatte; bisher hatte es Gwen auch nie gestört, dass sie nicht übermäßig viel besaß - sie legte keinen besonders großen Wert auf Luxus und Prunk und war mit ihrem Leben recht zufrieden. Immerhin hatte sie alles, was sie brauchte. Doch jetzt wurde sie plötzlich umsorgt und behandelt wie eine Prinzessin und sie ertappte sich dabei, wie sie das nach anfänglichem Unwohlsein durchaus genoss. Entspannt seufzend lehnte sie sich in der Wanne unter dem gewaltigen Schaumberg zurück, während die Zofen weitere duftende Öle und Blütenblätter in das Wasser zugaben, bevor sie sanft begannen, den Staub aus Gwens langen, roten Haaren zu waschen. Gwen schloss genießend die Augen, während ihr das leise Rascheln von Stoff verriet, dass die Königin neben ihr angekommen war und auf einem kleinen Hocker Platz genommen hatte. Frigga schmunzelte amüsiert auf sie herab; Gwen hatte blinzelnd ein Auge geöffnet. »Ihr scheint Euch mit den Vorzügen Asgards sichtlich anzufreunden!?« mutmaßte die Königin erfreut. »Naja, ich muss zugeben, dass ich auf der Erde nicht ganz so viel Luxus für mich habe. Normalerweise muss ich mir mein Badewasser da selbst einlassen und die Haare wäscht mir auch keiner. Ich könnte mich glatt daran gewöhnen.« gestand Gwen mit einem verhaltenen Schmunzeln. »In Midgard kennt man den Brauch einer Dienerschaft nicht mehr?« fragte die Königin fast neugierig; natürlich wusste sie wahrscheinlich recht wenig von der modernen, neuen Welt. »Oh doch, schon. Aber dafür benötigt man das nötige Kleingeld oder einen gewissen Stand in der Gesellschaft. Von beidem bin ich sehr weit entfernt.« erläuterte Gwen amüsiert. »Und Ihr habt keinen Gefährten auf Midgard, der Euch diese Dienste erweisen würde?« fragte Frigga in beinahe beiläufigem Tonfall, während sie einer der Zofen einen kleinen Tiegel mit einer wohlriechenden Tinktur für Gwens Haare reichte. Gwen runzelte im ersten Moment ein wenig irritiert über die Frage die Stirn, bevor sie freimütig antwortete: »Nein, den habe ich nicht. Und ich muss zugeben, dass ich von Männern eigentlich auch erst einmal die Nase voll habe.« offenbarte sie unwirsch; eine Handvoll verkorkster Beziehungen war ihrer Meinung nach auch genug Stoff für die nächsten zehn Jahre. »Eigentlich…?« hakte die Königin gedehnt nach. »Aber Ihr sehnt Euch nach einer festen Bindung?« Forschend blickten die klugen Augen Friggas auf sie herab und normalerweise hätte es ihr wahrscheinlich seltsam erscheinen müssen, dass eine eigentlich fremde Frau sie so offen über private Dinge ausfragte, doch Frigga wirkte nicht einfach neugierig; es schien sie wirklich zu interessieren, was Gwen über diese Dinge dachte. »Natürlich.« gestand sie seufzend ein. »Leider beweise ich kein sonderlich gutes Händchen bei der Männerwahl, weswegen meine Beziehungen meist alle in Katastrophen endeten. Aber grundsätzlich möchte ich den Glauben an die Liebe natürlich nicht aufgeben, so naiv das auch sein mag.« Das zufriedene Lächeln der Königin verschwamm im nächsten Augenblick schon hinter einer glasklaren Wasserwand, da die Zofen Gwen die Haare spülten und somit das Gespräch zwangsweise unterbrachen. Frigga erhob sich von ihrem Platz. »Wenn Ihr fertig seid, so kommt zu mir herüber. Ich werde ein passendes Kleid für Euch finden.« Gwen genoss noch eine ganze Weile die fürsorglichen Hände der Asenfrauen, die ihr mit duftenden Cremes und Ölen Haut und Haare massierten, bevor sich die zwei höflich zurückzogen, damit Gwen der Wanne entsteigen konnte. Sie wickelte sich in ein großes, bereitliegendes Tuch und schlang ein weiteres um ihre nassen Haare, bevor sie zögerlich barfuß hinüber in den anderen Teil des Raumes zu der Königin schlich. Frigga winkte sie zu sich heran; die Asin hatte wohl bereits ein Kleid für sie herausgesucht, welches sorgfältig drapiert an einer der Schranktüren aufgehängt war. »Gefällt es Euch?« fragte die Königin sanft und beobachtete Gwen aufmerksam. Gefallen?! Dieses Kleid war einfach umwerfend. Ein prachtvoller Wasserfall aus dunkelgrüner Seide, der glänzend das Sonnenlicht widerspiegelte; am runden Halsausschnitt waren schimmernde Smaragde und Diamanten angebracht, ebenso zogen sich Wellen der kostbaren Edelsteine über die geraffte Taille und den weit auslaufenden, sanft fallenden Stoff des Rockes. Die Ärmel des Kleides waren lang und wie der Rest dieses Kunstwerkes mit silbernen und goldenen Verzierungen versehen, die dem ganzen Kleidungsstück etwas unheimlich edles verliehen. Wahrscheinlich war dieses Kleid mehr wert als Gwens gesamte Wohnung samt Einrichtung in New York. »Du meine Güte…ja, natürlich. Es ist wunderschön.« Bewundernd ließ Gwen die Finger über den glatten Stoff gleiten. »Dann probiert es an.« Sofort zog die Königin den Stoff vom Bügel und schob Gwen damit zu einem Vorhang, hinter dem man sich ungestört umziehen konnte. »Ich bin gespannt wie Ihr darin aussehen werdet.« Unsicher blieb Gwen hinter dem Vorhang zurück und betrachtete den wertvollen Stoff in ihren Händen mit einem ungläubigen Kopfschütteln; niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie etwas Vergleichbares getragen. Eigentlich war sie eher der legere Typ und liebte ihre bequeme Kleidung - hoffentlich würde sie dieses kostbare Kleid nicht gleich beim Anziehen kaputt machen. Doch die Neugier ließ sie flink in den glatten, unheimlich angenehmen Stoff schlüpfen und den Vorhang dann beiseite ziehen, um sich der Königin zu präsentieren. Etwas befangen blickte sie an sich herab und ließ die Finger abermals unsicher durch die glänzenden Stoffschichten des Rockes fahren, während Frigga herantrat und den Verschluss im Rücken zuvorkommend für Gwen schloss. »Ich wusste es. Es steht Euch ausgezeichnet.« sprach die Königin erfreut. »Nun müssen wir nur noch Eure Haare richten.« Sie führte Gwen an den Schultern zu einem zarten, weißen Frisier- und Schminktisch hinüber und ließ sie dort Platz nehmen. Die Königin zog Gwen das Handtuch sanft vom Kopf, sodass deren feuchte Locken herabfielen und sich um ihre blassen Schultern sammelten, die das figurbetonte Kleid großzügig offenliegen ließ. Geschickt machte sich Frigga dann selbst daran, Gwens rote Haare in Form zu bringen, während sie Gwen in ein unbefangenes Gespräch über das anstehende Fest und deren Bedeutung verwickelte, sodass gar nicht auffiel, wie schnell die Zeit doch verging. Gwen musste feststellen, dass Frigga eine wirklich herzliche und würdevolle Frau war, in deren Gegenwart man sich durchaus wohlfühlen konnte; sie war genau das, was man von einer Königin erwartete - eine Frau mit Format und klaren Vorstellungen. Frigga reichte Gwen eine kleine Schatulle, die ein paar wirklich fantastische smaragdgrüne Ohrringe und eine Halskette in eben dieser Farbe beinhaltete. »Tragt das heute Abend. Es passt zu Eurem Haar und zu Euren Augen.« wisperte die Königin fast liebevoll und reichte Gwen auffordernd die Hand, nachdem die sich die Ohrringe angesteckt und die Kette umgelegt hatte. Frigga führte sie vor einen beinahe mannshohen, kristallklaren Spiegel und blieb hinter Gwen stehen, die warmen Hände in einer beinahe mütterlichen Geste auf deren blassen Schultern gebettet. »Ihr seht umwerfend aus, Gwendolyn. Wusste ich doch, dass unter dem Staub eine hübsche Frau verborgen liegt.« sprach die Königin erfreut und äußerst zufrieden. Gwen starrte ihr Spiegelbild mit großen Augen an, während ihr aus dem Glas eine scheinbar vollkommen fremde Frau entgegen sah. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Ihre Haare waren kunstvoll nach oben gesteckt und nur ein paar vereinzelte Strähnen kringelten sich um ihr herzförmiges Gesicht, aus dem ihre hellen Augen wie funkelnde Diamanten hervorstachen, da die Königin sie mit einer dunklen Schattierung betont hatte. Das umwerfende Kleid umschmeichelte ihre Figur in genau richtigem Maß, ohne anstößig offenherzig zu wirken; ihre Schultern lagen verführerisch frei, während im runden Halsausschnitt des Kleides die geborgte, prachtvolle Kette glitzerte. Gwen bettete erstaunt eine Hand auf ihrer Wange, zupfte an einer Strähne ihres Haares, ließ die Finger über die Glieder der wertvollen Kette gleiten, bevor sie den Stoff ihres Kleides ein wenig anhob und sich überwältigt von allen Seiten betrachtete. Nein, sie sah wirklich kaum noch aus wie die Gwendolyn Lewis aus New York - eher wie die asische Version einer Prinzessin ihrer selbst. Sie fühlte sich fast wie Cinderella in dieser schicksalshaften Nacht vor dem großen Ball. »Oh…Schuhe…« merkte Frigga sofort bestürzt an, als sie Gwens nackte Füße unter dem Saum des Kleides hervorlugen sah. Die Königin brachte ihr daraufhin ein paar passende, goldfarbene Schuhe, die wie angegossen passten. Gwen betrachtete noch immer ungläubig schmunzelnd ihr Spiegelbild, während sich feine Röte auf ihren Wangen ausbreitete und sie den Blick der Königin im Glas suchte. »Ihr habt nicht zufällig ganz bewusst die Lieblingsfarben Eures Sohnes für mich gewählt, Eure Hoheit?« Das beinahe ertappte, verhaltene Zucken um Friggas Mundwinkel bestätigte Gwen in ihrem Verdacht; dieser Vorwand am gestrigen Abend war nicht einfach nur bloße Willkür der Königin gewesen. Sie verfolgte ihren ganz eigenen Plan. Allerdings war sich Gwen noch nicht so wirklich sicher darüber, welchen Part sie in dieser Geschichte zu spielen hatte. »Würde es Euch stören, wenn es so wäre?« fragte die Königin dann nach einer Weile und sah Gwen über deren Schulter hinweg im Spiegel an. »Würde es Euch stören, wenn Ihr den Blick meines Sohnes auf Euch ziehen würdet?« verhallte ihre Stimme ergründend im Raum. Gwen antwortete nicht sofort, wenngleich sie sich der Antwort eigentlich fast sogleich sicher war. Doch was wollte die Königin von ihr hören? Sie würde doch wohl kaum eine Verbindung zwischen ihrem Sohn und einer Sterblichen anstreben wollen… Dieser Gedanke war absurd. »Nein, es würde mich nicht stören, Eure Hoheit.« sprach sie dann wahrheitsgemäß und begegnete dem Blick der Königin fest im Spiegel. Ganz im Gegenteil. Die Vorstellung, dass in Lokis Gesicht vielleicht einmal etwas anderes als Gleichgültigkeit und Kälte zu sehen wäre, ließ Gwens Herz überraschend schnell schlagen und zauberte noch einen Hauch Farbe auf ihre Wangen. Verdammt, sie sollte gar nicht so viel Wert auf seine Meinung legen. Es konnte ihr doch eigentlich egal sein, was er von ihr dachte. Ihre Zeit hier war begrenzt und wenn das Rätsel um ihre Kraft gelöst war, würde sie auf die Erde zurückkehren und Loki wahrscheinlich eh niemals wiedersehen. Warum nur behagte ihr dieser Gedanke ganz und gar nicht? Das wissende Lächeln der Königin strahlte auf sie herab, bevor diese sich abwandte und zurücktrat. Doch Gwen wirbelte ebenso herum und ergriff sanft das Handgelenk der Asin, um sie in der Bewegung aufzuhalten. Mit gespannt gehobener Braue sah Frigga zu ihr zurück. »Was erwartet Ihr von mir, Eure Hoheit? Was erwartet Ihr in Bezug auf…Loki?« wagte Gwen hauchend zu fragen; sie musste die Antwort der Königin einfach kennen. »Ich erwarte nichts von Euch, Gwendolyn Lewis.« sprach die Königin dann beruhigend und wandte sich ihr gänzlich wieder zu. »Doch ich glaube nicht an Zufälle. Sondern an das Schicksal. Und vor einer ganzen Weile erhielt ich Besuch, der mich hoffen lässt, dass auch mein Sohn wieder ins Licht zurückfinden kann. Ich bin eine Mutter und das Einzige, was ich erwarte ist meine Kinder glücklich zu sehen.« Frigga hob eine Hand und strich Gwen in einer mütterlichen Geste über die Wange, bevor sie eine rote Strähne an den rechten Platz schob. »Und nun denkt nicht so viel nach, Gwendolyn aus Midgard. Geht auf das Fest und amüsiert Euch.« Kapitel 12: Winterfylleth ------------------------- Lokis Gedanken wurden abermals durch das dröhnende Feuerwerk unterbrochen, welches in einem Knall am Himmel über Asgard zerbarst und schließlich in farbigen Splittern zu Boden schwebte. Entnervt hatte er vor einer Weile schon die Vorhänge seines Gemaches zugezogen, doch der Lärm des Festes war nicht so einfach auszuschließen. Der Magier ließ seine Feder nun fallen, nachdem das begeisterte Raunen der Bevölkerung erneut an seine Ohren gedrungen war; herablassend rollte er die Augen gen Zimmerdecke und fragte sich zum wiederholten Male, was an funkelnden Lichtern am Nachthimmel bitte so besonders war, dass man wie ein geistloser Idiot mit offenem Mund in die Höhe starren musste. Wahrscheinlich war ganz Asgard an diesem Abend vor und in Gladsheim versammelt, um Winterfylleth zu feiern; Thor würde gewiss wieder mit den Tapferen Drei eine Kampfdarbietung zum Besten geben, wie es der Brauch verlangte und zahlreiche Gaukler, Schausteller und Feuerkünstler waren aus allen Ecken des Reiches angereist, um sich an diesem Abend einen Namen unter dem Volk zu machen und die Feiernden zu unterhalten. Gedämpft drangen die Klänge der Spielleute an sein Zimmerfenster, während Loki sich angestrengt die Schläfen massierte und finster auf die Buchstaben vor seiner Nase starrte, die im Schein der Kerzen wabernd aus seinem Sichtfeld tanzten. Wie sollte man sich bei diesem Getöse bitte konzentrieren können? Eigentlich sollte Asgard gerade ganz andere Sorgen haben, als sich mit Met, Tanz und Gesang den Abend möglichst unterhaltsam zu gestalten. Doch Odin hatte Loki heute mehr als deutlich klar gemacht, dass er nicht auf das Winternachtsfest verzichten würde, da dieser Brauch wichtig für das Volk war. Aus der Sicht eines Herrschers gesehen handelte der Allvater durchaus nachvollziehbar; gerade die alten Traditionen gaben Asgard Hoffnung und Kraft, doch Loki befürchtete, dass dieses Fest noch etwas anderes anlocken könnte als allein feierwütige Asen… Solch eine Ansammlung der Bevölkerung war stets ein gutes Ziel und perfekte Gelegenheit für ein Attentat - und sie wussten immer noch nicht, mit was sie es überhaupt zu tun hatten... Loki griff abermals nach dem schmalen, gläsernen Behältnis auf seinem Tisch und drehte dieses mit eng zusammengezogenen Brauen in den Finger; starrte verkrampft auf die schwarze, wabernde Substanz darin, als könnte die ihm all die Antworten auf seine Fragen verraten. Ein schweres Klopfen an seiner Tür ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren. Er räusperte sich und stellte das Glas vorsichtig wieder beiseite in eine dafür vorgesehene Halterung, bevor er sich mit einer zerstreuten Handbewegung durch die Haare strich und ein mürrisches »Tretet ein.« ertönen ließ. Eigentlich hatte er mit der Sterblichen gerechnet, die gekommen war, um ihn auf das Fest zu schleifen. Doch nicht die Menschenfrau stieß nun die Tür auf und trat mit schweren, klirrenden Schritten ein; es war Thor, der in seiner imposanten Kampfrüstung in der Tür erschien und diese leise hinter sich wieder ins Schloss drückte. Loki zog die Brauen missgünstig zusammen und sah seinem „Bruder“ abwartend entgegen ohne auch nur den Hauch einer Begrüßung verlauten zu lassen. Seit dem Vorfall im Wald und dem kurzen Zwischenspiel vor der Bibliothek hatten sie sich nicht mehr gesehen, geschweige denn ein Wort gewechselt und der Magier wusste nicht, was er jetzt von dem Donnergott zu erwarten hatte. Würde es ihm nach einer Versöhnung verlangen? Nach einer Aussprache? War er gekommen, um an Lokis schlechtes Gewissen und seine Vernunft zu appellieren? Thor trat langsam an Lokis Schreibtisch heran, während dieser ihm abschätzend entgegen sah; der Schein der Kerzen beleuchtete sein Gesicht und offenbarte die Unsicherheit in den Zügen des Donnergottes sowie einen verräterischen Glanz in dessen stahlblauen Augen; Thor hatte dem Met wohl schon zugesprochen, was wahrscheinlich der Grund war, warum er jetzt den Weg hierher fand. Anscheinend hatte er sich nun genug Mut angetrunken, um das Gespräch zu suchen, dass er all die Monde von Lokis Gefangenschaft über gemieden hatte - ob gewollt oder ungewollt war dem Magier da schlussendlich egal. »Du bist gar nicht auf dem Fest.« eröffnete Thor das Gespräch wenig geistreich und bekam dafür von Loki nur einen knappen, spöttischen Blick. »Das hast du unheimlich gut erkannt, mein Bruder. Es wundert mich, dass du meine Abwesenheit überhaupt bemerkt hast, wo deine Aufmerksamkeit doch sicherlich von den zahlreichen Bewunderern deiner Kriegskunst beansprucht wurde...oder waren es diesmal Frauen? Metbecher? Oder alles zusammen?« Betont gelangweilt blätterte der Magier eine Seite seines Buches um und machte sich nicht die Mühe aufzublicken. »Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass niemand sonderlich viel Wert auf mein Beisein legt.« »Da irrst du dich, Bruder. Wieder einmal.« grollte Thor leise, nachdem er etwas unbeholfen vor Lokis Schreibtisch stehen geblieben war. Der Magier hob nun doch den Blick und musterte seinen Bruder skeptisch. »Ach tatsächlich?« Er faltete die Hände über dem Buch vor sich und hob abwartend eine Braue an. »Erleuchte mich doch bitte mit deiner unendlichen Weisheit. Wer vermisst mich denn?« »Lass deinen Spott, Loki.« raunte Thor barsch, doch es lag keine Warnung in seinen Worten, vielmehr eine traurige Resignation. »Es gibt so einige, die sich über deine Anwesenheit freuen würden. Zumindest eine Person scheint den ganzen Abend nur auf dich zu warten.« »Ach und wer sollte das bitte sein?« Bereits als Loki das letzte Wort gesprochen hatte kannte er die Antwort selbst. »Die Menschenfrau.« beantwortete Thor seine Frage damit unnötigerweise. »Das Mädchen ist wirklich liebenswert, nicht auf den Kopf gefallen und scheint eine Schwäche für dich zu entwickeln. Sie ist heute Abend eine wahre Augenweide, deine Sterbliche-« »Sie ist nicht meine Sterbliche.« unterbrach Loki den Donnergott mit einem Zischen und schlug das Buch vor sich geräuschvoll zu. »Midgard hat da ein echtes Juwel ausgespuckt. Unheimlich viele Männer haben bereits um ihre Gunst gebuhlt, doch sie scheint sich für keinen zu interessieren. Selbst Fandral beißt sich an ihr die Zähne aus.« fuhr Thor ungerührt fort und erntete dafür einen scharfen, giftigen Blick des Magiers. »Und warum erzählst du mir das? Das kümmert mich nicht, Thor.« sprach er mit schneidender Gleichgültigkeit. Er war ein Meister der Lügen und in diesem Moment belog er sich ganz hervorragend selbst, denn es war ihm nicht so egal, wie es ihm hätte sein sollen. Allein die Vorstellung, dass irgendein Kerl - vielleicht noch Fandral - die Sterbliche berühren und ihre Gunst erlangen könnte, brachte ihn in innerlich rasende Unruhe. Sie sollte sich lieber auf das Ergründen ihrer Kraft konzentrieren, als sich leichtfertigen Vergnügungen hinzugeben. Am liebsten wäre er sofort von seinem Stuhl aufgesprungen, um selbst nach dem Rechten zu sehen und sich zu versichern, dass die Menschenfrau keine Dummheiten beging. Das allerdings hätte Schwäche bedeutet und seinem geistlosen Bruder einen Triumph beschert, den der Magier dem Donnergott keinesfalls schenken wollte. »Warum sträubst du dich so gegen das Leben? Geh hinaus und amüsiere dich. Nutze diese Gelegenheit. Dort draußen ist das wahre Leben. Nicht hier drinnen zwischen alldem…« Thor hatte sich vorgebeugt und die großen Hände auf Lokis Schreibtisch abgestützt, bevor er nun in einer geringschätzigen Geste eines der Bücher in die Finger nahm und dieses dann gleichgültig beiseite warf. »Ich habe dir mehr Verstand zugetraut, als das du nur ein Gefängnis gegen ein anders tauschen würdest, Bruder. Diese Bücher, deine selbst gewählte Einsamkeit, dein ganzer Ehrgeiz - all das wird dein Untergang sein. Nutze deine Chancen und kehre ins Leben zurück…kehre zu uns zurück…« »Diese Bücher…« Der Magier zog das achtlos beiseite geworfene Buch vorsichtig wieder zu sich heran, um es Thor dann anklagend unter die Nase zu halten. »…sind es wahrscheinlich, die dir und allen anderen das verdammte Leben retten!« zischte er aufgebracht. »Trotzdem sind sie nicht alles. Ich dachte wirklich, dass die lange Zeit in deiner Zelle deinen Geist womöglich gewandelt hätte und du nun endlich erkennen könntest, was wirklich wichtig ist…« raunte der Donnergott schwach und suchte den Blick Lokis über die Flamme einer Kerze hinweg. »Ich hoffte wirklich, dass ich irgendwann vielleicht meinen Bruder wiederbekommen könnte…jene, der nicht verdorben von albernem Neid und Wahnsinn war…« Der Magier stöhnte entnervt auf. »Oh bitte, Thor…du bist kein Kind mehr, also mache dich endlich los von derlei Einfalt. Selbst du solltest wissen, dass man gewisse Dinge nicht einfach ungeschehen machen und vergessen kann. Der Allvater weiß das. Frigga weiß das. Deine Freunde hier und auf Midgard wissen das zweifelsfrei auch. Sie werden alle nicht vergessen. Und sie werden nicht vergeben. Niemand gibt sich der albernen Hoffnung hin, dass man die Vergangenheit einfach auslöschen kann, Thor. Dein Bruder war eine Lüge, begreif das endlich. Du jagst einem Gespenst nach!« fauchte der Magier gnadenlos. Er atmete tief ein und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, um sich wieder zu beruhigen. Solch eine Unbeherrschtheit sah ihm gar nicht ähnlich. Doch dieser unersättlich nagende Wurm in seinem Inneren; jener, der diese kalte Leere zurückließ, wandte sich auch jetzt unruhig in ihm, aufgeweckt durch die so unbedacht naiven und zuversichtlichen Worte des Donnergottes. Loki wusste nicht warum, doch er verspürte das dringende Bedürfnis, Thors Hoffnungen und Freundlichkeit zu zerstören, zu zermahlen wie ein Insekt unter seinem Stiefel. Gerade von Thor wollte er diese Worte nicht hören. Gerade von ihm wollte er keine Hand gereicht bekommen, die ihn womöglich aus diesem Morast hätte ziehen können, indem er seit der missratenen Krönung seines Bruders vor so vielen Monden immer tiefer versank. »Du verstehst nicht, dass dies eine Chance ist.« grollte der Donnergott nun ungehalten und schlug seine mächtige Faust auf den Schreibtisch, was Loki unbeeindruckt eine Braue heben ließ. »Dies alles hier.« Thor schloss in einer groben Handbewegung des Magiers Zimmer und ganz Gladsheim ein. »Meinst du wirklich, unser Vater hätte dich ohne Grund aus deiner Zelle entlassen? Denkst du nicht auch, dass mehr hinter dieser kurzzeitigen Begnadigung steht als allein das Argument, dass er deine Hilfe braucht? Du weißt ganz genau, dass hinter Vaters Entscheidungen stets ein tieferer Sinn liegt!« sprach der Donnergott eindringlich auf ihn ein. »Ich weiß, dass hinter seiner Entscheidung wahrscheinlich Friggas Wirken steht.« erwiderte Loki ungerührt. »Und wenn schon…wir wollen schlussendlich alle das Gleiche. Dir noch eine Chance geben, Bruder. Unsere Mutter vermisst dich. Weißt du eigentlich, dass sie nie aufgehört hat an dich zu glauben? Sie betet noch immer für dich. Und Vater denkt ebenso an dich, auch wenn er es niemals zugeben würde. Ich wünschte wirklich, du könntest dich auf das Leben einlassen und deine verirrten Gedanken fahren lassen-« »Genug jetzt!« spie der Magier gefährlich leise aus und schlug die flache Hand auf das dunkle Holz seines Tisches. »Ich bin deiner Reden müde, Bruder. Ich benötige deine Ratschläge und Worte nicht. Vielleicht hätte ich sie gebraucht als ich dort unten in dieser Zelle saß, allein mit mir und Tag um Tag nichts weiter als die Gesellschaft stummer Bücher und Möbelstücke. Da hätte ich dich vielleicht gebraucht, Bruder. Dort hätten deine Worte womöglich etwas erreichen können. Aber du bist nicht gekommen. Nicht ein einziges Mal.« endete Loki in beherrschter Ruhe und bohrte seinen vernichtenden Blick in jenen Thors. Hatte das jetzt wirklich so verletzt geklungen, wie es sich in seinen eigenen Ohren angehört hatte? Der Donnergott senkte das Haupt getroffen und setzte nach einem Räuspern zu einem betretenen Raunen an: »Ich weiß. Aber ich trug dich bereits einmal zu Grabe und trauerte um dich. Ein weiteres Mal wollte ich mir das nicht antun müssen.« gestand Thor ungewöhnlich empfindsam. »Denn nichts anderes war es für mich, dich in dieser Zelle einsperren zu müssen. An jenem Tag starbst du für mich erneut und ich verlor meinen Bruder ein zweites Mal. Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich vermisst habe, Loki?« »Nein, Thor. Und ich will es auch nicht hören. Und nun verschwinde.« Kühl wies Loki seinem Bruder die Tür. »Für mich gibt es kein Zurück mehr. Und für dich ebenso wenig. Werde endlich erwachsen und erweise dich dem Thron würdig, der dir so freigiebig geschenkt wird, Bruder.« Die letzten Worte des Magiers verklangen in gewohnter Bissigkeit und doch war dieser Hauch von Wehmut darin selbst für ihn hörbar. Thor sah ihn lange schweigend an, dann nickte er langsam und gefasst, bevor er sich mit dem sanften Säuseln seines wehenden Umhanges abwandte und die Tür des Zimmers leise hinter sich wieder ins Schloss zog. Loki starrte die geschlossene Tür an, die Nägel in das Holz seines Tisches gegraben, als könnte ihn diese Geste an Ort und Stelle halten, während ihm die Erkenntnis dämmerte, dass die Worte des Donnergottes nicht so spurlos an ihm vorübergegangen waren, wie sie es sonst stets zu tuen pflegen. Er fühlte sich zerrissen; in ihm tobten Wut und Missgunst gegen diesen feinen Funken Sehnsucht an, den Thors Gerede erst wieder spürbar entfacht hatte. Nach der langen Zeit in Isolation wurde es ihm erst jetzt bewusst. Er sehnte sich nach dem Lachen seiner Mutter, nach den strengen Reden seines Vaters und nach Thors unbändigem Eifer; tief in seinem Herzen, weggeschlossen und verdrängt, da sehnte er sich danach, wieder ein Teil dieser Familie zu sein, sei er nun durch Blut mit ihnen verbunden oder allein im Geiste. Er sehnte sich nach diesen lächerlichen Traditionen und Festen der Asen, nach den heiteren Klängen der Musik und albernen Spielen, nach dem Zusammensein beim Abendmahl, nach dem gemeinsamen scherzen und lachen…und wusste doch, dass er nie mehr ein Teil davon sein konnte. Er hatte einen anderen Weg gewählt und seine Entscheidungen getroffen; war den heimtückischen Worten einer Verheißung gefolgt, die ihm die Verdammnis gebracht hatte, sodass es für ihn einfach kein Zurück mehr gab. Es gab nur noch ein Vorwärts. Das war die einzige Richtung, in die er noch zu gehen vermochte. Noch nie war ihm zuvor in den Sinn gekommen, dass seine Entscheidungen der Vergangenheit womöglich die Falschen gewesen sein konnten. Doch er durfte nicht zurückblicken. Er durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren, denn es war das Einzige, was ihm aus den Trümmern seiner zerstörten Vergangenheit noch geblieben war. Und obwohl er noch einen Augenblick zuvor entschieden hatte, genau das nicht zu tun - so stand er doch von seinem Schreibtisch auf und löschte die brennenden Kerzen, bevor er unschlüssig an sich herabsah. Normalerweise hätte ein Wink der Hand genügt und durch seine Magie wäre er schon in eine ansprechende, öffentlichkeitstaugliche Gewandung gekleidet gewesen, doch diese Möglichkeit hatte er nun nicht. Mit einem entnervten Seufzen trat er in seinen Schlafbereich hinüber und suchte sich elegante Kleidung heraus, die dem Anlass genüge tun würde - eine grün, schwarze Tracht aus gleichwertigen Leder- und Stoffanteilen, die aufwändig und edel verarbeitet war. Ein knapper Blick in den Spiegel verriet ihm, dass seine Züge in gewohnte Glätte und Gleichgültigkeit zurückgefunden hatten, bevor er sein Zimmer entschieden verließ. Erst auf dem Weg zum Festsaal, die schweren Schritte der Wächter im Rücken, wurde ihm bewusst, dass er nun genau das im Begriff war zu tun, was sein Bruder ihm eben noch geraten hatte. Die lange Zeit in der Zelle hatte ihn offensichtlich weich gemacht… Er würde nicht lang bleiben; sich nur kurz umsehen, möglichst unentdeckt bleiben, um unsinnigen und nervtötenden Fragen aus dem Weg zu gehen, seine Neugier befriedigen und dann wieder verschwinden, nachdem er sich versichert hätte, das alles in Ordnung war. Womöglich die Gelegenheit für eine kleine Mahlzeit nutzen, denn sein Magen meldete sich eben in jenem Augenblick mit einem seichten Knurren. Die schweren Türen des Festsaales öffneten sich vor dem Magier und das Leben schlug ihm in all seiner Pracht entgegen; eine Welle aus Gerüchen, Klängen und Farben überrollte Loki förmlich, sodass ihm die Ruhe seines Zimmers sogleich wieder sehr verlockend erschien. Doch die Wogen der feiernden Asen zogen ihn ins Geschehen und wie ein Schiff ohne Kurs trieb Loki durch die bunte Menge der feiernden Gesellschaft, bis er sich an eine etwas entlegene, ruhigere Ecke retten konnte, von wo aus er sich einen Überblick verschaffte. Es schien sich wirklich halb Asgard an diesem Abend des Winternachtsfestes in und um Gladsheim versammelt zu haben; der gewaltige Festsaal, in dem sonst offizielle Zeremonien wie Hochzeiten oder Krönungen abgehalten wurden, war gefüllt mit Asen, die sich am gewaltigen Buffet vergnügten oder sich in der Mitte des Saales zum Tanz trafen. Dort spielten einige Musiker fröhliche, heitere Klänge, zu denen sich bereits einige Männer und Frauen lachend im Takt drehten; ein wirbelndes, buntes Durcheinander aus wehenden Gewändern, Röcken, Gliedern und Leibern. Loki entdeckte sogar Thor, der eine hübsche, dunkelhaarige Asin über die Tanzfläche führte…Moment, war das etwa Sif?! Tatsächlich. Die Kriegerin hatte wirklich ihre Rüstung gegen ein silbernes, figurbetontes Kleid getauscht und lag nun etwas unbeholfen in Thors Armen, der begeistert auf sie herablächelte. Mit Sicherheit hatte Frigga da die Finger im Spiel, denn sonst hätte sich Sif doch niemals in solch ein Kleidungsstück zwängen lassen. Etwas erhöht erhob sich ein festlich geschmücktes Podest, auf dessen Rängen der Allvater mit der Königin seinen Platz eingenommen hatte; beide überblickten wohlwollend, aber aufmerksam die Menge und Odin schickte zwischendurch immer einmal wieder Hugin oder Munin auf einen Flug über das Gelände, um die Sicherheit zu gewährleisten. Zumindest schien der Allvater Lokis Warnungen beherzigt zu haben. Der Festsaal öffnete sich zur Stadt hin durch mächtige, goldene Säulen nach draußen in die sternenklare Nacht; am Himmel stiegen noch immer glitzernde, bunte Sterne auf, die den Asen betörtes Raunen und Applaus entlockten. Der Palastgarten war erhellt von unzähligen Feuerschalen und Fackeln, zwischen denen sich die feiernde Bevölkerung drängelte; sich zu gepflegten Unterhaltungen traf, der Musik lauschte oder der Darbietung von zahlreichen Gauklern und Feuerkünstlern zusah, die die Asen mit ihren gefährlichen und faszinierenden Vorstellungen begeisterten. In einer anderen Ecke des angrenzenden Palasthofes umringten Asen einen abgesteckten Kampfplatz, auf dem sich gerade Volstagg und Hogun einen schnellen, harten Schaukampf im Schein der Feuer lieferten; jeder Schlag und Treffer begleitet von der jubelnden Menge, die ihren Favoriten anfeuerte. Loki wandte sich mit einem knappen Kopfschütteln von diesem Schauspiel ab und bahnte sich einen Weg durch die dicht gedrängten Leiber zum hoch aufgetürmten, reichhaltigem Buffet hinüber. Währenddessen hielt er unauffällig Ausschau nach der Sterblichen, doch bisher hatte er ihren roten Haarschopf noch nirgendwo erblickt. Vielleicht - oder eher sehr wahrscheinlich - hatte sich Thor in Bezug auf sie sowieso einen Scherz mit ihm erlaubt, um ihn auf das Fest zu locken; ihm fiel eh kein einziger, vernünftiger Grund ein, warum die Frau gerade auf seine Gesellschaft hoffen sollte. Er musste allerdings zugeben, dass der gestrige Abend mit ihr ganz angenehm gewesen war; sie hatte ihm aufmerksam zugehört, sogar wahrhaftig interessiert an seinen Ausführungen gewirkt und - das Wichtigste überhaupt - sie schien sogar verstanden zu haben, was er ihr da erklärt hatte. Loki belud sich seinen Teller mit einigen ausgewählten Köstlichkeiten, nachdem ihm seine grenzenlose Beliebtheit beim Volk große Dienste erwiesen hatte, den Weg an das Buffet zu eröffnen; die meisten Asen waren fast erschrocken zurückgewichen und hatten ihm Platz gemacht, nachdem sie erkannt hatten, wer da unter ihnen wandelte. Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, stellte Loki seinen Teller achtlos beiseite und schnappte sich ein schlankes Glas mit Wein von einem Tablett, welches ein Diener eben vorbeitrug. Dann machte er sich weiter auf die Suche durch die Menge, immer noch mit der verstohlenen und äußerst albernen Hoffnung in der Brust, dass er zufällig auf die Sterbliche treffen könnte. Und tatsächlich fand er sie nach einer Weile, verharrte jedoch im Schritt und starrte verblüfft auf das Bild, was sie ihm bot, während die Asen eine Schneise um ihn bildeten und mit missbilligenden Blicken an ihm vorüber zogen, vorsichtig darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. Thor hatte wahrlich nicht übertrieben. Die Menschenfrau erstrahlte wie ein glänzender Smaragd in ihrem prächtig grünen Kleid, dass ihr wie auf den Leib geschneidert wirkte; ihre Haare waren ein dazu passendes Meer aus gebändigtem Feuer, nach oben gesteckt und kunstvoll frisiert, sodass der schlanke, blasse Hals der Frau offen lag. Ein reizender Hals, der nun endlich die Aufmerksamkeit bekam, die ihm gebührte - durch eine schimmernde Kette und dazu passende Ohrringe, die lang und glitzernd unter ihren Ohren schwangen. Loki erkannte deutlich Friggas Handschrift; in dem ausgewählten Kleid, den ausgesuchten Farben und dem eleganten Schwung einzelner, feuerroter Strähnen, die sich die Sterbliche immer wieder verstohlen hinter ihre Ohren schob, wenn sie wie jetzt wohl über ein Kompliment verlegen lächelte, das ihr ein hoffungsvoller Ase entgegen brachte. Loki hatte sich noch nie sehr viele Gedanken um Frauen gemacht; weder, ob er sie schön oder anziehend fand, noch darüber, ob sie so unterhaltsam waren, dass er ihre Nähe bewusst suchen wollte. Er hatte dies stets als vertane Zeit erachtet. Die wichtigsten und wohl einzigen Frauen waren in seinem Leben bisher seine Mutter und Sif gewesen; nicht zu vergessen Freya, die ihm in Fähigkeiten und Verstand kaum nachgestanden hatte. Doch über keine von ihnen hatte er sich je mehr Gedanken als nötig gemacht. Doch jetzt glitten seine Gedanken in diese Richtung, die er stets zuvor gemieden hatte; er erkannte die Schönheit der menschlichen Frau, auch wenn ein deutlicher Unterschied zwischen ihr und den Asenfrauen erkennbar war. Vielleicht auch gerade deswegen. Sie war kleiner und zierlicher, doch das machte in diesem Augenblick ihren eigenartigen Reiz aus; sie war wie eine kostbare, zerbrechliche Figur aus Eis, deren Gestalt schon ein kleiner Sonnenstrahl zerstören konnte. Aber sie war unverkennbar schön, dass musste selbst Loki eingestehen. Die Erkenntnis traf den Magier in jener Sekunde wie einer von Thors Blitzen - sie hätte es sein können. Wenn sein Weg anders verlaufen wäre, wenn er nicht dem Neid und seinem unermesslichen Ehrgeiz nachgegeben hätte, so hätte es vielleicht eine Frau wie sie sein können, die sein Schicksal geworden wäre. Vielleicht hätte er eines Tages wirklich heiraten und eine Familie gründen können. Vielleicht hätte er sich wirklich und wahrhaftig verlieben können und wäre glücklich geworden. Seltsam, in diesem kurzen Augenblick, indem er regungslos in der Menge stand und die Menschenfrau aus der Ferne ansah, mehr in ihr erkannte als bloß die sterbliche, schwache Hülle, die er anfänglich in ihr gesehen hatte, da wurde er sich bewusst, dass ihm dieses andere Schicksal durchaus hätte gefallen können. Doch dieser Weg war ihm versperrt, genauso wie der Weg zurück. Und so verwehten seine trügerischen, sehnsüchtigen Gedanken schon im nächsten seichten Luftzug, der den Atem der Nacht von draußen hereintrug; zerstreuten sich in den Klängen und Geräuschen des Festes, bis nichts blieb als das Echo einer Erinnerung, einer Hoffnung an andere Tage. Solch alberne Gedanken waren verschwendete Zeit. Mehr nicht. Fandral stahl sich gerade an die Sterbliche heran und überraschte sie wohl mit einem amüsanten Spruch, denn sie lächelte verhalten und nahm das Glas von ihm dankbar entgegen, welches er ihr eben reichte. Als der Krieger allerdings nach ihrer Hand griff und diese an seine Lippen hob, war Loki kurz davor wie ein zorniger Wirbelsturm durch die Menge zu pflügen, um den schmierigen Kerl wie ein Insekt an die nächste Säule zu nageln. Glücklicherweise war seine Magie versiegelt, denn für einen kurzen, unbeherrschten Moment waren die Emotionen mit ihm durchgegangen; die Fesseln an seinen Handgelenken summten spürbar unter dem Ansturm seiner Macht, doch sie hielten seiner Wut vehement stand. Die ganze aufgepeitschte Atmosphäre umher hätte ihm sicher genug Kraft verliehen, auf das er den halben Festsaal in Asche verwandeln könnte. Warum konnte eigentlich niemand die Finger von seinen Dingen lassen? Warum - bei allen neun Welten - musste ihm ständig jemand das streitig machen wollen, was ihm gehörte? Gwen lächelte Fandral zögerlich entgegen und hob ihr Glas an die Lippen, während ihre Augen zum wiederholten Male suchend über die Menge huschten. Doch Loki hatte sie die ganze Zeit noch nicht erblickt. Wahrscheinlich würde er auch nicht kommen. Sicher waren ihm Feste wie dieses furchtbar zuwider. Anfänglich hatte sie noch überlegt, ob sie ihn auf seinem Zimmer aufsuchen und persönlich um seine Anwesenheit bitten sollte, doch diesen Gedanken hatte sie schnell wieder verworfen. Sie wollte dem Prinzen auch nicht auf die Nerven gehen und mit ihrer Anwesenheit behelligen; schon gar nicht wollte sie die verbuchten Erfolge vom gestrigen Abend wieder zunichte machen, indem sie ihm nun hinterher lief wie ein treudoofer Hund… Gwen seufzte und hörte Fandrals Ausführungen über irgendeinen Kampf nur mit halbem Ohr zu, während sie an ihrem Wein nippte. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem Magier zurück, ob sie das nun wollte oder nicht und beinahe empfand sie es als unglaublich schade, dass er sie nun wohl nicht sehen würde - in diesem Kleid, so perfekt und elegant wie all die anderen asischen Frauen. Sie hätte ihm beweisen können, dass durchaus mehr in ihr steckte, als ein dummer, reizloser Mensch. Viele der anwesenden Männer konnten ihre Augen kaum von ihr lassen und obwohl das Gwen in gewissem Maße durchaus schmeichelte, so musste sie sich eingestehen, dass sie eigentlich nur den Blick eines ganz bestimmten Augenpaares herbeisehnte; einen intensiven Blick aus faszinierend grünen Augen, unter dem sich ihre Haut in ein prickelndes Meer aus tausenden Insektenfüßen verwandelte… Ein ebensolches Prickeln zog gerade über ihren entblößten Nacken und ließ sie sanft erschaudern, während sie das Glas in ihrer Hand enger umfasste. Er war hier. Ihre Sinne verrieten ihr seine Anwesenheit, denn nur seine Präsenz und seine Nähe vermochten es, ihr Blut so drängend durch die Venen zu jagen und ihr Herz schneller anzutreiben. Erneut ließ sie ihren Blick über die unzähligen Gäste des Festes schweifen und sah dann fast beiläufig halb über ihre Schulter zurück; ihre Augen weiteten sich ein merkliches Stück und ihre Lippen öffneten sich unter atemloser Überraschung. Da war er. Er war tatsächlich gekommen. Loki stand in der wogenden Menge der feiernden Asen wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung; die Männer und Frauen trieben um ihn herum, sodass es beinahe wirkte, als wäre er von alldem förmlich unberührt. Er hatte seine Kleidung gewechselt, trug jetzt eine Art Rüstung aus grünen und schwarzen Leder- und Stoffelementen, die seiner Kampfmontur gar nicht so unähnlich war, nur fehlten die goldenen Metallteile und der fast bodenlange Mantel. Seine Füße verschwanden wieder in eng anliegenden schwarzen Stiefeln, die ihm beinahe bis an die Knie reichten. Er sah unheimlich gut aus; wie ein dunkler Ritter in all diesen bunten und farbenfrohen Gewändern umher, aus denen er sich merklich abhob. Regungslos sah er zu ihr herüber, fesselte sie einmal mehr mit seinem eindringlichen Blick, der sich förmlich auf ihr festgehakt hatte. Seine grünen Augen schienen im Schein der vielen Feuer umher von innen heraus zu glühen; lodernde Smaragde unter schwarzen Wimpern. Sein Gesicht war starr und kühl wie immer, unmöglich eine Regung darin lesen zu wollen, als er jetzt ebenfalls ein Weinglas hob und die rote Flüssigkeit in einer trägen Bewegung hinter seinen schmalen Lippen verschwand. Gwen spürte die Röte in ihren Wangen aufsteigen und wandte sich wieder Fandral zu, der kaum bemerkt zu haben schien, dass er ihre Aufmerksamkeit schon lang verloren hatte. Dieser Blick… Unter Lokis Augen fühlte sich Gwen jedes Mal, als hätte man ein glutheißes Feuer unter ihren Füßen entzündet. »Mylady, hört Ihr mir überhaupt zu?« fragte der blonde Krieger nun in gespielter Beleidigung und lächelte sie einnehmend an. »Oh, entschuldigt Fandral. Ich war kurz abgelenkt…« versuchte sie die Situation zu retten, obwohl sich ihr Blick beinahe wie magisch schon wieder in eine gänzlich andere Richtung bewegen wollte. »Ihr könnt ihm auch einfach sagen, dass Euch seine Geschichte langweilt.« raunte eine nur allzu bekannte Stimme plötzlich erschreckend nah an ihrem Ohr, sodass Gwen um ein Haar ihr Glas hätte fallen lassen, das nun allerdings schlanke, blasse Finger vor dem Schicksal auf dem Boden bewahrten. »Da sieh mal einer an, wer sich aus seinem Zimmer hervorgewagt hat.« begrüßte Fandral den Magier mit einem spöttisch überraschten Lächeln. »Willst du dich jetzt doch einmal den Vergnügungen des gemeinen Volkes widmen, Loki? Und ich dachte immer, dass wäre unter deiner Würde.« Der Prinz trat neben Gwen hervor und reichte ihr das Glas zurück, welches sie mit unmerklich zitternden Fingern wieder entgegen nahm. Himmel, warum war sie nur so nervös? Das war ja schließlich nicht das erste Mal, dass sie ihm gegenüberstand. Allerdings das erste Mal in einem solchen Kleid und irgendwie hatte sie Angst vor seinem vernichtenden Urteil, so er abermals der Meinung wäre, dass sie anziehen konnte was sie wollte - es würde nichts an ihrer Reizlosigkeit ändern. »Unter meiner Würde ist allein dein gehaltloses Geschwätz, Fandral. Wenn du die Lady und mich jetzt entschuldigen würdest, so könnte ich mich womöglich sogar mit den Vergnügungen dieses Festes anfreunden und jenen etwas abgewinnen.« Loki prostete dem Krieger ungerührt zu und nahm einen weiteren Schluck seines Weines. Für ihn war das Thema damit offensichtlich erledigt. »Ich muss dich leider darüber informieren, dass ich mich gerade ganz ausgezeichnet mit Gwen unterhalten habe. Vielleicht sollten wir es der Lady überlassen zu entscheiden, mit wem sie lieber ihre Zeit verbringt…« warf Fandral mit zusammengebissenen Zähnen ein und suchte unterstützend nach Gwens Blick. Ebenso konnte sie die geschmälerten, abwartenden Augen des Magiers auf sich fühlen. Ganz fantastisch. Warum zur Hölle musste sie jetzt eine Entscheidung treffen?! Das war wirklich nicht fair. Streng genommen war Fandral als erster da gewesen und ihm gebührte nun wohl ihre Aufmerksamkeit, allerdings… Loki unterbrach sie in ihren Gedanken und bewahrte sie vor dieser Entscheidung, indem er sie einfach am Arm ergriff und mich sich zog. »Frauen sollte man keine weitreichenden Entscheidungen überlassen.« Bitte?! Fandral blieb überrumpelt zurück, während der Prinz Gwen einfach bestimmt mit sich führte und ihr gar keine Gelegenheit gab, für sich selbst zu sprechen. Er mochte eine magische Wirkung auf sie haben wie er wollte, sie würde sich garantiert nicht von ihm vorschreiben lassen was sie zu tun hatte. Das war den meisten Männern bisher nicht gut bekommen. Wenn sie etwas wirklich hasste, dann war es ein Mann, der der Meinung war, ihr Vorschriften machen zu müssen. »Man sollte Frauen keine weitreichenden Entscheidungen überlassen?! Ist das Euer Ernst?!« fauchte sie Lokis Rücken empört an und vermochte so zumindest, dass der Magier stehen blieb und unbeeindruckt auf sie herabsah. Dieser verdammt gutaussehende Teufel schaffte es doch tatsächlich, jeden magischen Augenblick unter seinem Stiefel der Herablassung zu zertreten. »Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Nun, ich zumindest nicht. Wisst Ihr eigentlich wie Ihr Euch anhört? Ihr klingt wie ein eingebildeter-« »Ihr seht heute Abend wirklich fantastisch aus.« unterbrach Loki sie seelenruhig in ihren wütenden Worten und nahm ihr damit so unvermittelt den Wind aus den Segeln, dass sie nach einem ungläubigen Blinzeln schon gar nicht mehr wusste, worüber sie sich eigentlich gerade geärgert hatte. »Bitte…was?« hauchte sie verwirrt. Sie musste sich verhört haben. Der Prinz sah noch immer aus diesen unergründlich tiefen Augen auf sie herab und musterte sie über den Rand seines Glases, das er schließlich in einem Ruck leerte. Gwen beobachtete fasziniert, wie sich seine Kehle unter dem tiefen Zug bewegte. »Ich sagte, dass Ihr heute Abend wirklich fantastisch ausseht.« raunte er dann erneut, nachdem er sein Glas einem vorbeigehenden Bediensteten in die Hand gedrückt hatte und ihres gleich nachfolgen ließ. »Ich muss zugeben, dass ich mich geirrt habe. Mit der richtigen Kleidung könnt Ihr ein durchaus reizvolles Bild bieten.« Gwen zog die Stirn in missmutige Falten. »Ach, dann macht Ihr wohl gerade nur meinem Kleid ein Kompliment? Wie gut, dass ich mich bereit erklärt habe dieses außergewöhnlich schöne Stück asischer Mode auszuführen…« brachte sie mürrisch heraus und ärgerte sich sofort über ihren enttäuschten Tonfall. Die Mundwinkel Lokis zuckten in die Höhe. »Ihr verdreht mir die Worte im Mund. So habe ich das nicht gesagt.« »Aber gemeint.« »Interessant, dass Ihr so genau wisst was in mir vorgeht.« gebrauchte er mit amüsiert funkelnden Augen ihre Worte vom gestrigen Abend und entlockte ihr damit ein verhaltenes Schmunzeln, was sie verbissen herabschluckte. Immerhin war sie ja noch immer verärgert. »Ihr seid nun wirklich nicht schwer zu durchschauen, Loki Laufeyson.« gab sie ihm dann störrisch zurück und hob das Kinn selbstbewusst an. Eine Braue des Magiers ruckte daraufhin in die Höhe. »Teilt Eure Erkenntnisse doch bitte mit mir.« »Ihr seid ein arroganter, überheblicher Eisberg, der nur Augen für sich hat und im besten Fall noch für seine Stiefelspitzen, damit er beim Gehen zumindest nicht stolpert. Ihr seid stur und verbissen, unfreundlich und unhöflich. Wenn man Euch Freundlichkeit abgewinnen kann, dann offensichtlich nur, wenn es Euren eigenen Zielen nützt. Ihr könnt Euch Schwächen ganz schlecht eingestehen und noch schlechter könnt Ihr die vor anderen zeigen. Ihr könntet wahrscheinlich ein echt netter und faszinierender Mann sein, dem die Frauen scharenweise die Tür einrennen würden, wenn Ihr nur einmal aufhören würdet, so maßlos selbstgefällig zu sein.« Schwer atmend unterbrach sich Gwen in ihrem Monolog und wurde sich mit erschreckender Deutlichkeit bewusst, dass sich die Augen des Magiers gefährlich verengt hatten. War sie eigentlich völlig verrückt geworden? Was sollte das denn werden? Dieser Kerl machte sie aber auch wahnsinnig! Hektisch angelte sie sich ein frisches Glas Wein von einem eben vorbeischwebenden Tablett und stürzte das Getränk in einem Zug herab, bevor sie es überhaupt wagte, den Prinzen wieder anzusehen. Ade, schöne Welt. Jeglicher Fortschritt in ihrer Zusammenarbeit wäre damit wohl vergessen. Damit konnte sie wahrscheinlich wieder von vorn anfangen. Wenn er sie nicht gleich hier in der Luft zerreißen würde… Loki starrte mit einem wirklich bedrohlich intensiven Blick auf sie herab, die Funken in seinen Augen waren kaum zu deuten; war das Wut? Empörung? Belustigung?! Erschreckend ruhig nahm er ihr das leere Glas aus der Hand und drückte dieses einem irritierten Asen in die Hand, der gerade vorbeilief, bevor er Gwen an den Schultern rückwärts durch die Menge schob und diese im ersten Augenblick nichts anders tun konnte, als überrumpelt seinen führenden Händen zu folgen. Die Menge teilte sich plötzlich und Gwen wurde sich bewusst, dass sie sich nun auf der Tanzfläche befanden; in einer fast besitzergreifenden Geste zog der Prinz sie an sich und schlang einen Arm um ihre Taille, während seine andere Hand die ihre ergriff und entschlossen anhob. Automatisch kam Gwen seinen Bewegungen entgegen und verschränkte ihre Finger mit seinen, bevor sie ihm die andere Hand vorsichtig auf der Schulter ablegte; da er um so vieles größer war als sie selbst, musste sie den Kopf ein gutes Stück in den Nacken legen, um zu ihm aufsehen zu können. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie das verhaltene Tuscheln und Raunen der Festgesellschaft wahr, als Loki mit ihr die Tanzfläche betrat; für einen Wimpernschlag schienen die Gespräche umher zu verstummen und sich alle Augen auf sie beide zu richten, bevor der Magier begann sie im Takt der Musik zu führen und Gwen augenblicklich alles um sich herum ausblendete. »Wollt Ihr mich jetzt für meine Worte strafen indem Ihr mir beim Tanzen auf die Füße tretet?« wagte sie zu wispern, sah unsicher zu ihm auf und erkannte das verstohlene Zucken seines Mundwinkels. Oh Gott sei Dank…er schien nicht sauer zu sein. »Ich bin ein ganz passabler Tänzer. Offenbar bin ich darin sogar geschickter als im Umgang mit anderen.« Eine seiner Brauen hob sich bedeutsam in die Höhe. »Macht Euch also keine Sorgen um Eure Füße, Gwendolyn Lewis.« raunte er samtig zurück und Gwen musste den Blick auf seine Brust senken, da sie ihrer eigenen Gesichtsfarbe nicht wirklich über den Weg traute. Die Töne eines langsamen, leichten Liedes füllten den Saal und Loki führte sie dazu gewandt über den glänzenden Marmor, welcher ihre nah beieinander liegenden Gestalten verzerrt spiegelte; ein verschwommenes Bild ihrer beiden Körper, die sich sachte im Takt der Musik bewegten. Was machte dieser Mann nur mit ihr? In einem Moment trieb er sie schier zur Weißglut und Verzweiflung und schon im nächsten Augenblick brachte er sie mit seiner fesselnden Art völlig aus dem Konzept, sodass sie kaum noch wusste, wo oben oder unten war. »Ich hatte ehrlich nicht erwartet, dass Ihr hier wirklich noch auftauchen würdet.« sprach sie vorsichtig aus, da ihr die Stille zwischen ihnen beinahe zu intensiv wurde. Der Wein war inzwischen in ihrer Blutbahn angelangt und zog dort seine träge, kribbelnden Kreise. »Ich hatte es tatsächlich nicht vor. Doch mein Bruder ist offensichtlich der Meinung, dass ich mehr am Leben teilnehmen sollte.« erklärte er spöttisch. »Und Ihr hört tatsächlich auf Euren Bruder?« Gwen musste schmunzeln. »Eigentlich eher nicht. Aber ich war neugierig.« erwiderte er sachlich. »Auf das Fest?« »Nein. Auf Euch.« gab Loki unumwunden zu und Gwen hätte sich beinahe an ihrer Überraschung verschluckt. Zum Glück bewahrte sie eine verspielte Drehung des Tanzes vor einer Antwort auf seine Worte; die hätte sie auch gar nicht gehabt. Der Magier hatte nicht übertrieben. Er war ein fantastischer Tänzer, doch etwas anderes hatte Gwen auch fast gar nicht von ihm erwartet. Seine Bewegungen waren makellos und geschmeidig, sein Griff um ihre Taille warm und bestimmt, ohne dabei aufdringlich zu werden. Die Finger seiner anderen Hand hielten die ihren in einem weichen, sanften Griff, der einmal mehr in solchem Gegensatz zu seiner kühlen und beherrschten Fassade stand. Gwen folgte seinen Weisungen mühelos und schon bald hatte sie die umstehenden Asen fast völlig vergessen; sie bemerkte nicht, wie Thor mit Sif an seiner Seite überrascht am Rande der Tanzfläche auftauchte, um sie beide zu beobachten. Sie sah nicht, wie die Königin von ihrem Platz aufstand und an die Balustrade ihres Aussichtspunktes herantrat, um ein verborgenes, fast gerührtes Lächeln auf sie beide herabzuschicken. Sie wurde sich der vielen verblüfften Blicke nicht bewusst, die sie und den Prinzen in diesem Moment begleiteten und jeden ihrer Schritte auf der Tanzfläche verfolgten. In diesem einen, magischen Moment schien es nur sie beide zu geben, losgelöst von allen Hindernissen, Konventionen und Bedenken bestanden sie nur noch aus den elementaren Teilen ihrer selbst; waren nur noch ein Mann und eine Frau, die sich der Nähe des jeweils anderen nur allzu bewusst wurden. Gwens Hand war langsam, aber beständig von Lokis Schulter gerutscht und ruhte nun auf seiner Brust; unter ihren Fingern konnte sie sein Herz schlagen spüren und genoss das Gefühl dieses pulsierenden Lebens unter dem kühlen Leder. Ihr Fokus hob sich wie von selbst wieder an, als würde er durch Fäden gelenkt, sodass sie dem Blick des Magiers erneut begegnete; und erneut ertrank sie in seinen Augen, versank in diesen schimmernden Weiten seiner Seelenteiche, in denen sich die Feuer umher spiegelten und seinem Blick etwas unheimlich intensives verliehen, unter welchem sich eine feine Gänsehaut über ihren freiliegenden Schultern ausbreitete. Wie gebannt hingen ihre Augen an seinem Gesicht, verfolgten jede so markante Kontur, bis sie meinte seine Züge selbst blind nachzeichnen zu können; vom Schwung seiner dunklen Brauen, den Bögen seiner scharfen Wangenknochen über die Gerade seiner Nase bis hin zu den schmal daliegenden Lippen, die eine fast konzentrierte Linie bildeten. An diesem Tanz war nichts Unschickliches, nichts Verruchtes und doch…Gwen spürte dieses vertraute Prickeln in sich aufsteigen; fühlte die tausend kleinen Insektenfüße, die einer Armee gleich über ihre Haut krochen. Überdeutlich nahm sie ihre verschlungenen Finger mit denen des Prinzen wahr, seine warme Handfläche an der ihren, sein Griff, der um nur eine Winzigkeit fester wurde, sein Daumen, der sich auf ihrem Handrücken selbstständig machte. Sie wurde sich seines großen, schlanken Körpers nah an ihrem nur allzu bewusst und obwohl sie beide noch durch einige Lagen Stoff und Leder getrennt voneinander waren, so konnte sie doch die Wärme von Lokis Körper erahnen, immer dann, wenn sie der Tanz näher zusammenführte. Ihre Finger krochen wie von selbst auf seiner Brust wieder nach oben, schoben sich über das glatte Leder, bis sie den Rand seiner Schulter erreichten, wo ihre Fingerspitzen eine Strähne seines Haares streiften; erst zögerlich, doch schließlich glitten ihre Finger bestimmter durch dieses Stück erobertes Terrain. Wie Seide, schoss es ihr durch den Kopf. Das Lied verklang langsam und zu den letzten Tönen verebbten auch Lokis Bewegungen, bis sie beide vollkommen still auf der Tanzfläche standen und keiner Anstalten machte, den jeweils anderen aus seinem Griff zu entlassen. Gwen starrte unverhohlen zu dem Prinzen auf und konnte sich kaum entscheiden, ob sie nun möglichst schnell von ihm fort oder aber sich noch näher an ihn schmiegen wollte. Ihre widersprüchlichen Empfindungen in Gegenwart des Magiers waren wie Loki selbst; zwiegespalten und unergründlich. Er nahm ihr die Entscheidung ab, indem er ihre verschlungenen Finger sinken ließ, gleichzeitig aber seinen Arm von ihrer Taille löste, um jene Hand zu ihrem Gesicht zu heben und mit einem beinahe nachdenklich forschenden Blick eine ihrer losen Strähnen zu fangen. Gwen hielt den Atem an, während Loki diese eine glänzende Strähne zu studieren schien, bevor sich sein Blick wieder zu ihrem bewegte und ein seichtes Schmunzeln über die Linien seines plötzlich so verlockenden Mundes glitt. »War das jetzt selbstgefällig oder habe ich mich womöglich zu einem Mann gewandelt, den Ihr faszinierend und nett finden würdet?« raunte er in samtiger Belustigung; seine Finger hielten ihre Strähne noch immer gefangen und wie beiläufig strich sein leicht angerauter Daumen über ihre Wange, was Gwen augenblicklich die Luft durch bebende Nasenflügel einziehen ließ. Der seltsam zauberhafte Moment zwischen ihnen wurde jäh unterbrochen; von einer panischen Asin, die plötzlich auftauchte und sich verzweifelt den Weg durch die feiernde Menge bahnte, die Kleider zerrissen, die Haut schmutzig und blutend, so drückte sie einen Säugling an ihre Brust und lief mit angsterfüllten, dunklen Augen auf Odin zu. »Bitte…Hilfe! Allvater…helft uns…wir wurden angegriffen…« Beinahe sogleich verstummten die Gespräche umher; die Töne der fröhlichen Musik verklangen abrupt in der Nacht und ein atemlos bestürztes Raunen wurde laut, während die Menge beiseitetrat, um den Blick auf die verletzte Asin zu gewähren. Odin sprang beinahe von seinem Stuhl auf und machte mit einem Wink Gungnirs deutlich, dass die Wächter aus dem Weg treten sollten, die sich eben vor der heranhinkenden Frau aufgebaut hatten, welche flehend zum Allvater aufsah und das Kind schützend an ihre Brust drückte. »Odin…sie kamen aus den Schatten…haben alle getötet…mein ganzes Dorf…Feuer überall…und Tod…so viel Tod…« wimmerte die Frau zusammenhanglos. Frigga stand bestürzt neben Odin und starrte erschüttert auf die rußbedeckte Frau herab, deren Haare ihr wirr ins Gesicht hingen. »Wir brauchen einen Heiler.« wurde Thors Ruf laut. Ein Wächter eilte sofort davon, um Hilfe zu holen. Loki hatte das Geschehen aus einiger Entfernung in der Menge verfolgt, während die Sterbliche ebenso erschrocken wie all die umstehenden Gäste über die plötzliche Unterbrechung des Festes war. Der Magier verengte die Augen argwöhnisch und behielt die verwundete Frau gründlich im Blick, nachdem ihm seine Sinne einen Aufruhr in den Mächten umher vermeldet hatten. Irgendetwas stimmte hier nicht… Die Aura der Frau flackert unruhig wie eine Fackel im Sturm. Sogleich verfluchte er das verdammte Metall um seine Handgelenke, durch welches er nun nicht in der Lage war seinen Empfindungen genauer zu folgen; er spürte ein schwaches Vibrieren am Rande seines Bewusstseins, als würde sich etwas großes und mächtiges durch den Saal winden, doch seine gekappte Verbindung zu den Energien ließ ihn nicht herausfinden, was ihn in diesem Moment so unruhig machte. Die Sterbliche wollte sich gerade von ihm losmachen, um wie der Rest der Menge hilfsbereit zu der Frau zu treten, die nun auf dem kühlen Marmor des Saales auf die Knie gesunken war, während sich erbärmliche Schluchzer ihrer Kehle entrangen. Loki umschlang die Menschenfrau erneut mit einem Arm und zog sie mit sich rückwärts durch die vorandrängende Menge, weg von der Frau, die ihr offensichtlich totes Kind in den Armen wiegte. »Was macht Ihr? Loki, was ist los?« wisperte die Sterbliche verwirrt, folgte ihm jedoch diesmal ohne Widerstand, als würde sie spüren, dass ihm die Sache ziemlich ernst war. »Ich weiß nicht…« raunte er angespannt und ließ seinen Blick über die Köpfe der Versammelten gleiten; suchte den ganzen Saal nach einem Hinweis für sein unbestimmtes Gefühl ab. »Irgendetwas stimmt nicht…« »Was meint Ihr?« fragte die Menschenfrau beunruhigt und sah sich nun ebenso suchend um. Die Gestalt der verletzten Asin zerbarst im nächsten Augenblick in einer Explosion aus Schatten und Rauch, die sich wie eine dunkle Flut rasend schnell im riesigen Festsaal ausbreiteten; erschrockene Schreie wurden laut, die Fackeln und Feuer der Schalen verloschen schlagartig in der Druckwelle des zerplatzten Trugbildes, während ein merkliches Grollen unter den Füßen der Asen erbebte und Angst unter der Festgesellschaft ausbrechen ließ. Die Asen stoben panisch auseinander und wichen entsetzt vor dem Ort zurück, an dem bis eben noch die verletzte Frau gekniet hatte; wie ein lebendiges Wesen schoss Rauch und Finsternis von dieser Stelle aus durch den Saal, rasend schnell wie Schlangen bei ihrem Angriff wanden sich die Schattenfinger um Geländer und Säulen, rollten um Kerzenständer, Tische und Stühle und ringelten sich tastend um die zurückweichenden Asen und alarmierten Wächter, die ihre Speere gezückt hatten, um auf einen Feind zu zielen, den sie nicht sehen konnten. Der Magier sah den aufsteigenden Rauchsäulen beunruhigt zu; erkannte eine bösartige Magie in dieser nebelhaften Dunkelheit, sodass er die Sterbliche beherzt in seine Arme schloss, um sie beschützend immer weiter von der Quelle dieser bodenlosen Dunkelheit wegzuziehen. Der Hauch des Unheils zog über den Köpfen dahin; eine unselige Aura aus Tod und Verderben, deren Präsenz so allumfassend war, dass man sie beinahe auf der Zunge schmecken konnte - ein Gefühl, als würde Asche im Mund zerfallen. Selbst Loki erschauderte unter seinen Fesseln. Was immer dort zwischen ihnen erschienen war; es war uralt und unendlich finster. Plötzlich zogen sich die nebelhaften Schatten wie unter einem stummen Befehl zurück, ballten sich zu einer rauchigen Kugel, in deren schwarzem Kern sich eine Gestalt formte, die im nächsten Augenblick wie ein Geist gleich heraustrat, bevor sich die Konturen um den undeutlichen Körper verdichteten. Aus Rauch und düsterem Nebel formten sich schwere Stiefel, eine silberne Rüstung und ein dunkler, langer Umhang, auf dessen Stoff ein Zopf aus weißem Haar zu liegen kam, der zu einem bleichen Gesicht gehörte, in dessen Zenit sich schwarze Obsidianaugen öffneten, die mit Hass und Verachtung auf die Welt blickten. Schmale Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln, bevor der Blick der eben erschienenen Gestalt hinaufwanderte zu Odin, der merklich erbleicht war und Gungnir verkrampft in der Hand hielt. Das Erkennen dämmerte in den Augen des Allvaters und ließ diesen unter der Gewalt dieser Erkenntnis taumeln. »Allvater…« säuselte der aus Finsternis geborene Mann in schneidender Kälte und schritt gemächlich näher zu dem Podest hinüber, auf dem Odin neben Frigga seinem ungeladenen Besucher schockiert entgegenblickte. Die Schatten begleiteten den Mann wie eine Aura aus finsteren Flammen. Der Saal war plötzlich totenstill und alle umstehenden Asen schienen wie gelähmt, unfähig sich zu rühren. »Malekith...?!« wisperte Loki ungläubig, während sich sein Verstand noch weigerte, das zu akzeptieren, was seine Augen da erblickten. Doch das war nicht allein der Herr der Schwarzalben, der dort so völlig unvermittelt zwischen ihren Reihen aufgetaucht war; in seinen Augen schwamm die unendliche Schwärze des Alls, der Zorn von Äonen glitt durch seine Pupillen, während der Tod aus seiner Kehle rollte. Eine brodelnde Bösartigkeit lag unter seiner bleichen Haut verborgen und wogte gegen die Knochen des Mannes, als wolle sie jeden Moment hervorbrechen. Loki beschlich ein sehr ungutes Gefühl, ein erschreckender Gedanke… Er erkannte diese Schatten, die sich jetzt um die Gestalt des Dunkelelfen ballten; die aus seinen Poren zu dringen schienen wie der frühe Nebel aus dem Feld unter der Morgensonne. Der Magier erkannte diese eiskalte Präsenz in Malekiths Aura, die ihm bereits schon mehrmals in Form der Angreifer Asgards begegnet war, wenngleich sie jetzt allumfassend und um weiten stärker erschien, als wäre die Quelle dieser finsteren Macht nun persönlich unter ihnen eingetroffen… Odin donnerte einen herrischen Befehl, unter welchem sich seine Palastwächter sogleich auf den Dunkelelfen stürzen wollten, um diesen in Gewahrsam zu nehmen. Doch Malekith breitete die Arme aus und seine Hände verschwommen zu einer undeutliche Schattenform; sofort darauf schoss dieser eigenartige Nebel vorwärts und mähte die Männer der Palastwache einfach nieder als wären sie nichts weiter als dürre Zweige im Wind. Rauchfinger glitten um die Kehlen der Unglücklichen und hoben jene in die Luft, sodass die Speere der Männer nach und nach scheppernd auf dem Boden auftrafen und ein unheimliches Echo im totenstillen Saal erzeugten, bevor Unruhe in die geschockten Reihen kam und alle Asen gleichzeitig ins Freie stürzen wollten. Immer mehr dieser schattenhaften Säulen glitten aus Malekiths Gestalt, während dieser ungerührt seinen Weg zu Odin fortsetzte; umher wurden schreiende Asen in die Luft gehoben, deren Glieder von lebendig gewordener Nacht umfangen waren. Loki floh mit der Sterblichen noch näher an den Rand des Saales und versuchte sie um jeden Preis von diesen tastenden Schatten fernzuhalten, die wie die Glieder eines Tintenfisches auf der Suche nach Nahrung durch die Halle schlängelten. »Befehlt Eurem Volk zu bleiben, Allvater.« verlangte Malekith mit erschreckender Ruhe. Zur Untermalung seiner Worte klammerten sich die Schattenfinger enger um die Kehlen der Wächter und Asen, die sich verzweifelt im Griff des magischen Nebels wandten. Odin zog die Luft tief ein und stieß Gungnir dann auf den Boden; ein weithin reichender Ton, der sofort Stille über die panische Menge legte. »Ruhe! Bleibt stehen.« befahl der Allvater seinem Volk, welches dieser Weisung - wenn auch zögerlich - Folge leistete. »Ah…schon besser.« wisperte Malekith zufrieden und blieb vor dem Allvater und der Königin stehen, während die geborenen Schatten aus seinem Leib die Gefangenen weiterhin in seiner Gewalt hielten. »Was willst du, Kreatur?« grollte Odin zerknirscht und hielt Thor mit einem knappen Kopfschütteln auf, der sich eben aus der Menge lösen wollte, um mit Mjölnir auf den Dunkelelfen loszugehen. Mit verspannten Kiefermuskeln blieb der Donnergott stehen, bohrte seinen wutstarren Blick beinahe in den Rücken des Elfen, während Sif ihn am Unterarm zurückhielt. Auch die Tapferen Drei waren kampfbereit in der Menge aufgetaucht, doch warteten sie wie Thor auf den Befehl des Allvaters. Der Magier war mit der Menschenfrau ebenfalls stehengeblieben; sie klammerte sich entsetzt an seinen Arm, während ihre Augen aus Angst geweitet waren. Loki war fast neugierig; normalerweise gönnten sich Kriegsherren wie der Schwarzalb solche Auftritte nur, wenn sie ein Ultimatum vorzubringen hatten. Was wollte Malekith also? Was trieb ihn an, dass er nach Äonen des Friedens und Vergessens nun wieder in Asgard auftauchte? Wie hatte er es geschafft, seine Niederlage vor so vielen Jahrhunderten zu überleben? Oder sprach nun eine gänzlich andere Macht aus dem Dunkelelfen; dieser Schatten, dessen Präsenz der Magier erdrückend fühlen konnte? Loki wollte sich nicht einmal vorstellen, was eine Verbindung dieser beiden Feinde Asgards hervorbringen konnte… Und doch war es offensichtlich geschehen. Malekith schien besessen; von eben jenem Schattenwesen, dass zuvor das Volk der Nomaden befallen hatte. »Was ich will?« wiederholte der Dunkelelf die Worte gedehnt und sah sich gespielt suchend im totenstillen Saal um; allein das Ächzen und Stöhnen der von ihm Gefangenen war weithin hörbar. »Nichts.« »Nichts!? Für nichts bist du sicher nicht hierher gekommen, Malekith.« sprach der Allvater mit beherrschter Wut auf den Elfen herab, der mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor Odin und der Königin stand; ein trügerisches Bild von Ruhe und Besonnenheit. »Ihr habt recht, Allvater. Ich bringe eine Botschaft.« begann Malekith mit eiskaltem Lächeln, bevor er sich dem Volk zuwandte, nun da ihm die Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher war. Wie ein dunkler Prophet breitete er die Arme aus. »Ich bin gekommen, um euch darüber zu unterrichten, dass Ragnarök kommen wird. Ihr werdet alle vergehen. Schmerzhaft und leidend, in Schatten, Feuer und Dunkelheit. Denn das ist es, was euch erwartet, wenn meine Herrschaft beginnt.« hallte die grausame Stimme des Schwarzalben durch den Saal und ließ verstörte und verängstigte Blicke unter den Asen wachwerden. »Ich bin gekommen, um euch über das Ende der Welten zu unterrichten, wie ihr sie kennt. Dunkelheit wird aufziehen und ihren rechtmäßigen Platz im Universum einnehmen.« Als Untermalung seiner Worte ruckten die Hände des Elfen in die Höhe; die Schattenfesseln um die Körper zweier Wächter zogen sich schlagartig zusammen und ließen deren Gestalten in einem glänzenden Scherbenhagel aus Finsternis zerbrechen. Von einem Moment auf den anderen waren die beiden Männer verschwunden; nichts blieb als herabrieselnde Splitter ihrer zerstörten Körper, ähnlich eines trostlosen Aschenregens. Vereinzelt stießen Frauen entsetzte Laute aus. Die Königin erbleichte. Malekith hatte den richtigen Moment abgepasst, um Furcht und Panik unter der Bevölkerung Asgards zu schüren; war unvermittelt zwischen ihnen aufgetaucht zu einem Moment der Freude und Fröhlichkeit, die nun wie ein trockener Ast unter dem Stiefel seiner brachialen Präsenz zerbrach. Angst und Entsetzen legten sich wie eine schwere Decke über den Saal. Plötzlich ruckte Malekiths Kopf herum und seine Nasenflügel blähten sich, als hätte er eine Witterung aufgenommen; ruckartig streckte er einen Arm in Richtung der Menge, aus dem eine Schattensäule hervorschoss und die Asen zurückwarf, die in seinem Weg standen. Bevor Loki erkannte, was der Dunkelelf vorhatte, schlang sich der wabernde Nebeltentakel um die Menschenfrau und riss ihm diese förmlich aus den Armen; die Sterbliche wurde wie durch Geisterhand in Dunkelheit gehüllt, während sie sich augenblicklich panisch gegen die Nebel wehrte, die sie zu Malekith hinüber zogen. »Was haben wir denn hier…?« säuselte der Dunkelelf beinahe verzückt und starrte gebannt zu der Sterblichen auf, die in einer Kugel aus wirbelndem Rauch vor ihm gefangen in der Luft schwebte. »Was habt Ihr mir hier denn vorenthalten, Allvater?« Loki stürzte durch die Menge nach vorn, stieß rücksichtlos die im Weg stehenden Asen beiseite; das bisher ziemlich unbekannte Gefühl von Sorge breitete sich in ihm aus, als Malekith nun mit einem Fingerzeig die Sterbliche in den Wolken der Schatten erstarren ließ und deren Augen sich panisch weiteten. Ihr flehender Blick traf den des Magiers. Wie festgenagelt hing sie in der Luft, ihre Glieder ausgebreitet wie ein dargebrachtes Opfer, während der Schwarzalb neugierig näher trat und fasziniert zu ihr aufblickte. »Ich kenne dich…Offenbare mir dein Geheimnis. Was bist du?« Die Menschenfrau schrie urplötzlich auf, als die rauchartigen Schatten sich um sie verdichteten und an ihrer Gestalt zu zerren begannen wie wilde, hungrige Wölfe an geschlagenem Wild. Sie warf den Kopf in den Nacken und kreischte in unmenschlicher Qual auf, da der Nebel versuchte in ihre gefesselte Gestalt zu kriechen; währenddessen stand Malekith in versonnener Ruhe vor ihr und beobachtete mit glänzenden Augen ihren unter Schmerzen zuckenden Körper. »Komm hervor, mein Licht…zeig dich mir…« Seine Stimme erklang nun seltsam verzerrt; hallend einem weit entfernten Echo gleich, dass aus der Kälte des Universums drang. Alle umher waren wie erstarrt von den Geschehnissen; keiner wagte sich zu rühren, Odin wirkte überfordert mit der Situation, ebenso wie Thor und seine Freunde, die sich hilflose Blicke zuwarfen. Frigga schlug sich entsetzt eine Hand vor den Mund, bevor der Allvater seine Starre abwarf und einen erneuten Angriffsbefehl donnerte. Ein Sturm an entschlossenen Wächtern drang auf Malekith ein, doch die ihn umgebenden Schatten schlugen auch diese Männer zurück, als würde der boshafte Nebel den Dunkelelfen selbstständig beschützen. Erneut wurden Schreie laut, als auch diese Palastwachen wie Puppen durch den Saal geschleudert wurden oder durch die Finger des Rauches zu ersticken drohten. Dann wandten sich die Schattententakeln der Menge zu. Chaos brach aus, panische Asen stießen sich gegenseitig beiseite, während über allem die hohen Schreie der Menschenfrau erklangen wie die grausige Endstrophe dieser grotesken Sinfonie. Loki stolperte durch die hektisch umherstürzenden Asen und blieb für nur einen Augenblick stehen, um einen Blick hin zu seiner Sterblichen zu schicken, die im Zentrum dieses chaotischen Wirbelsturmes mit Malekith verweilte. Er musste unbedingt verhindern, dass dem Schwarzalben das Geheimnis der Menschenfrau in die Hände fiel. Nicht auszudenken, was Malekith mit solch einer Macht anstellen konnte. Doch das war nicht der einzige Grund, warum Lokis Augen nun die Menge hektisch nach dem blonden Schopf seines Bruders absuchten. Er erkannte, dass er die Sterbliche vor Schmerzen und Leid bewahren wollte. Er wollte ihr helfen. Das war er ihr schuldig, nachdem sie sich so völlig selbstlos für ihn geopfert hätte. Und er hasste es, in Schuld zu stehen. Entschlossen bahnte sich der Magier seinen Weg zu Thor hinüber, der sich an der Seite von Fandral und Hogun den hektisch umherschlagenden Schattententakeln zu erwehren versuchte. Der Donnergott schwang Mjölnir entschlossen und das magische Artefakt schien der Finsternis zumindest zusetzen zu können; der Morgenstern Hoguns dagegen glitt nutzlos durch die bedrohliche Dunkelheit und auch Fandrals Degen schien weniger Wirkung zu haben als ein Wassertropfen gegen haushoch schlagende Flammen. Loki riss seinen Bruder an der Schulter zu sich herum und hielt ihm seine Fesseln unter die Nase, während er ihn harsch und befehlend anfuhr: »Nimm mir die Fesseln ab, Thor.« »Was!? Bist du des Wahnsinns, Loki?« bellte der Donnergott entgeistert zurück, in seinen Augen spiegelte sich Unsicherheit und doch auch vorsichtiges Vertrauen, als hätte er Lokis Gedanken längst erraten. »Darüber scheiden sich die Geister…« Der Magier packte seinen kräftigen Bruder grob am Arm und zwang ihn herum, sodass der Donnergott auf das wirbelnde Chaos um Malekiths Gestalt blicken musste, vor allem aber auf Gwendolyn, die wie ein aufgespießter Schmetterling in der Gewalt des Elfen hing, während dessen Schatten an ihrer Substanz zerrten, um an ihr Geheimnis zu kommen. Malekith durfte weder sie noch die Kraft in ihr in seine Finger bekommen. »Willst du dieses Chaos dulden?! Willst du, dass sie stirbt?!« Anklagend wies Loki auf die Menschenfrau, bevor er seinen Bruder befehlend ansah. »Nimm mir diese verfluchten Fesseln ab, Thor. Hier ist Magie im Spiel. Ihr könnt mit Euren Waffen nichts ausrichten.« Eindringlich suchte er den sturmgrauen Blick seines Bruders und versuchte an dessen Verstand zu appellieren. »Du sagtest, du willst mir wieder vertrauen. Dann tu es jetzt, Bruder!« fauchte er ungehalten und hob Thor erneut ungeduldig seine Handgelenke entgegen. Jede Sekunde, die sie hier untätig herumstanden, litt Gwendolyn Qualen; ihre Schreie stachen wie Nadelstiche in Lokis Ohren und peinigten seinen Geist. Aus all den entsetzten Rufen und Schreien umher war es die Stimme der Menschenfrau, welche der Magier überdeutlich vernahm; nur diese eine erschien ihm plötzlich wichtig. »Sagtest du nicht, dass ich ein Narr wäre, wenn ich dies tun würde?« schrie Thor über das Brüllen der Menge hinweg und packte Loki am Arm. Der Magier konnte die zaghafte Hoffnung in Thor spüren, die wohl durch nichts zu zerstören war. Er wollte noch immer an seinen Bruder glauben. »Willst du lieber ein Narr sein oder schuldig am Tod vieler Asen? Entscheide dich schnell, Thor...« Die beiden ungleichen Brüder maßen sich für einen Herzschlag mit Blicken; jeder mit den eigenen Gedanken und Befürchtungen kämpfend, im Augenpaar des jeweils anderen nach einem Funken suchend, der die Wende im Chaos umher bedeuten konnte. Thor schien noch einen Augenblick mit sich zu hadern; einen atemlosen Augenblick, der Loki länger als Äonen erschien, bevor der Donnergott einen winzigen Gegenstand unter seiner Rüstung hervorholte und diesen in einer raschen Bewegung über die metallenen Fesseln an Lokis Handgelenken führte. »Enttäusche mich nicht schon wieder, Bruder…« Mit einem befreienden Klicken sprangen die Fesseln auf; sogleich flutete ein Sturm aus Energie in die Venen des Magiers, sodass er unter einem überwältigten Stöhnen die Augen schloss und zurücktaumelte. Freiheit… Sein Wesen war frei; frei von Begrenzungen, um wieder uneingeschränkt auf die wirbelnden Auren und Netzwerke zuzugreifen. Er war wieder verbunden mit dem Leben, der Welt und fühlte sich auf seltsame Weise geerdet und erneuert, als hätten ihm die Fesseln die ganze Zeit über ein Stück seiner selbst geraubt. Das beständige Wispern und Säuseln der Energien war ihm stets so allgegenwärtig erschienen, dass die umfassende Stille nach seiner Bannung beinahe erdrückend gewesen war. Doch das wurde ihm erst jetzt bewusst, als ihm seine Magie wieder zur Verfügung stand. Loki straffte sich und schritt nun entschlossen auf Malekith zu, während sein Körper die gekappten Verbindungen zu den Mächten der Welt wieder herstellte; begierig sog er die aufgepeitschten Energien der panischen Menge umher in seine Venen, bis sein Blut sich so schwer und rasend vor Macht anfühlte, dass seine Glieder in elektrisches Prickeln gehüllt wurden. Die pulsierende Magie ließ sein Herz einen donnernden Rhythmus anschlagen; seine Haut erwärmte sich unter dem Feuer seiner Macht und die Pupillen seiner Augen weiteten sich auf außerordentliche Größe, sodass das Grün seiner Iris in schwellendem Schwarz verschwand. Loki zügelte sich nur mühsam in seiner erwachten Gier nach Magie; er wusste, dass nur ein Funken zu viel dazu führen konnte, der Magiesucht zu erliegen. Und er war in diesem Moment nur einen Atemhauch davon entfernt, sich selbst in diesem wiedererwachten Machtgefühl zu verlieren; er vollführte eine Gratwanderung zwischen Beherrschung und Hemmungslosigkeit. Doch die Schreie der Sterblichen holten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück; ließen ihn sich besinnen. Menschen waren so schwach. So zerbrechlich. So vergänglich… Die Frau hatte Malekiths Macht nichts entgegenzusetzen. Loki war der Einzige, der sie jetzt noch retten konnte. Und für einen verschwindend winzigen Moment war ihm ihre Kraft sogar egal; das unliebsame Gefühl der Sorge kroch wieder aus den düsteren, vergessenen Winkel seines Geistes, der Hauch einer Emotion aus längst vergangenen Tagen - Sorge um die Sterbliche. Um Gwendolyn Lewis. Nicht um das Geheimnis in ihr. Der Magier hob ruckartig einen Arm und streckte die Finger in Malekiths Richtung, um diesem eine Ladung gebündelter Energie entgegenzuschleudern. Der Dunkelelf taumelte unter dem mächtigen Magiestoß zurück, den Loki ihm verpasst hatte. Erneut setzte er nach und bombardierte Malekith mit unsichtbarem Magiefeuer, das nur ab und an verstohlen in der Luft aufglomm wie flirrende Hitze unter der Glut der Sonne. Zusätzlich verwirrte er den Elfen mit Trugbildern seiner Gestalt, die bedrohlich um Malekith in einem Flackern erschienen. Malekiths Aufmerksamkeit schien gestört; die Schatten umher fielen in sich zusammen und gaben einige der hustenden Wächter und panischen Asen frei, während der Elf seinen Blick wütend durch die Menge schickte, um den wahren Angreifer unter den Illusionen ausfindig zu machen. Die neblige Kugel um Gwendolyn blieb bestehen, doch die Schatten darin hatten sich beruhigt und ihre Schreie waren verstummt, nun hing sie kraftlos in den Wolken aus Dunkelheit. Ihre Haare hatten sich gelöst und wallten nun wie ein blutiger Umhang um ihre erschreckend bleiche Gestalt. »Der Magier…« zischte Malekith mit dieser seltsam bodenlosen Stimme, als der Schatten in ihm den wahren Loki erkannte, der durch die Menge auf den Elfen zuschritt und das Nebelgefängnis der Menschenfrau mit einer Lanze aus Eis attackierte, die er zuvor in seinen Händen geformt hatte. Die glänzende Spitze bohrte sich in die Membran aus magischem Rauch und blieb darin stecken; feine Risse zogen sich durch die schattenhaften Wolken und drohten diese zu sprengen. »Du hättest mein Angebot annehmen sollen, Magier…« grollte Malekiths erneut undeutliche, schattenhafte Gestalt; der Rauch hatte sich um ihn zusammengezogen, bevor nun eine Wand aus Dunkelheit auf Loki zuschoss, die der Elf herrisch in seine Richtung schickte. »Nun wirst du sterben!« Verbissen wehrte sich der Magier gegen den Ansturm aus Dunkelheit und hielt seine Magie wie ein Schild gegen die anstürmende Mauer aus Rauch und Schwärze. Doch er spürte, dass er dieser Macht nicht lange standhalten würde - Malekith, diese uralte Präsenz in ihm war einfach zu stark, geboren vor Äonen hatte Loki kaum die Mittel, sich diesem Ansturm aus Finsternis zu erwehren. Er knickte ein, schwankte zurück und hielt doch beharrlich jene Sphäre aus Magie aufrecht, die ihn und die umstehenden Asen vor den donnernden Schatten schützte, die Wogen gleich eines wütenden Meeres gegen seinen Zauber anbrandeten. »Thor!« schrie Loki gegen das Tosen von Malekiths Attacke an und sank auf ein Knie, während die Last der finsteren Macht tonnenschwer auf seine Gestalt drückte; die Gewalt dieses Sturmes aus Dunkelheit war kaum zu beschreiben - fast fühlte es sich an, als würde der Tod selbst gegen Lokis Schild aus Magie krachen. Thor hatte den Ruf des Magiers gehört und offensichtlich auch verstanden, denn das Grollen von Donner erhob sich über dem Dröhnen von Malekiths Angriff und ein glutweißer Blitz schlug ganz in der Nähe ein; krachend traf Mjölnir mit dem Brüllen des Donnergottes auf die Gestalt des Dunkelelfen, der abgelenkt von Loki nicht bemerkte, wie Thor sich ihm genähert hatte. Der Sturm aus Finsternis löste sich augenblicklich auf, sodass Loki schwankend wieder auf die Beine kam, während Thor Malekith mit seinem Hammer zurücktrieb und die Schatten um den Elfen mit knisternden Blitzen zu Asche zerschlug. Auch der Allvater hatte die Ablenkung des Schwarzalben genutzt und Gungnir auf ihn gerichtet, um nun einen Machtstoß aus dem Speer auf Malekith abzufeuern; der Elf brüllte in grenzenloser Wut und Schmerz auf, als der gleißende Strahl sein Gesicht streifte und eine Hälfte seiner blassen Züge in magischem Feuer verbrannte. Die Schatten beschützten den Elfen selbstständig und stießen Thor und Odin in einer Woge aus Finsternis zurück, bevor die Gestalt Malekiths zu blassem Nebel verschwamm; sich dann gänzlich in einem Wirbel aus Rauch und Schatten auflöste, welcher dann mit einem wütenden Fauchen durch den Saal schoss, um in die Nacht zu fliehen. Zurück blieb allein das Chaos; umgestürzte Gegenstände, zerrissene Banner und Fahnen, verletzte und tote Asen, während Teile der Gesellschaft wie Malekith haltlos in die Nacht hinausstürzten. Das Schattengefängnis um die Sterbliche zerbrach nun in einem hellen Klirren und gab die regungslose Frau frei; Loki war sofort zur Stelle, um Gwendolyn aufzufangen, die leblos in seine Arme fiel und sich nicht rührte. Rein äußerlich waren keine Verletzungen erkennbar, doch der Schaden reichte weit tiefer, als man sehen konnte. Er sank mit ihr auf die Knie und ließ eine Hand über ihren stillen Körper schweben; Fragmente des Schattens waberten tanzend um ihre Gestalt und verdunkelten ihre Aura, bedrohten noch immer das zaghafte Leben in ihr, das wie eine schwache Kerzenflamme im auffrischenden Wind flackerte. Loki spreizte die Finger über ihrem Leib und schloss konzentriert die Augen. Er blendete das Chaos um sich herum aus; die hektischen Schritte, das Klirren von Rüstungen, die verstörten Rufe, die herrischen Befehle des Allvaters, die Schluchzer einiger Frauen... Vorsichtig löste er die verhakten Reste von Malekiths Schattenmacht aus Gwendolyns Aura und befreite sie somit von diesen teerartigen Schlieren, welche die Frau zu verderben drohten. Eine düstere Kugel aus Finsternis formte sich in Lokis Hand, als er die Augen wieder öffnete. Mit einer entschlossenen Bewegung ballte er die Finger zur Faust und zerbrach die übrig gebliebenen Fragmente des Schattens zu verwehendem Staub, bevor er die Finger vorsichtig an der Halsseite der Menschenfrau ansetzte. »Lebt sie noch?« erklang ein furchtsames Raunen. Thor war neben dem Magier angekommen und ließ sich in die Knie sinken; Bestürzung und Sorge in seinen sturmgrauen Augen. Loki nickte knapp, nachdem er das kraftlose Flattern ihres Pulses unter seinen Fingerkuppen erfühlt hatte. »Ja, aber sie ist schwach. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt…« Seine Stimme brach in einem heiseren Kratzen, als er den Blick auf die Frau in seinen Armen senkte und mit verwirrt zusammengezogenen Brauen diese ungeordneten Emotionen in sich bedachte. Nur einen winzigen Schritt war er davon entfernt gewesen, die Sterbliche zu verlieren; nur ein hauchdünner Faden hielt sie noch am Leben, weniger als ein Wimpernschlag im Stundenglas der Zeit zählte - so wenig und sie wäre fort gewesen; unwiederbringlich und endgültig. Menschliche Leben waren so vergänglich… Doch abermals hatte sie sich als zäher erwiesen, als man ihrer zierlichen Gestalt auf den ersten Blick zutrauen wollte; sie hatte wahrscheinlich mehr Schmerzen erduldet als so manch anderer Mensch in seinem ganzen Leben. »Soll ich sie zu den Heilkammern bringen?« riss Thor Loki aus seinen Gedanken, indem er dem Magier eine schwere Hand auf die Schulter legte. Loki schüttelte sofort den Kopf. »Nein, dass mache ich selbst.« antwortete er und fast klang es nach einem warnenden Fauchen. Er erhob sich wieder mit der regungslosen Frau auf den Armen. Thor hielt ihn noch einmal an der Schulter zurück; ein sehr bekanntes Klicken erscholl und die Metallfesseln saßen wieder an ihrem alten Platz an Lokis Handgelenken. Der Blick des Magiers wurde finster. »Dankst du mir so meine Hilfe, Bruder?« fragte er in schneidender Ruhe, während seine Verbindungen zur Welt wieder getrennt wurden und nach dem tobenden Sturm nun erneut bedrückende Stille zurückblieb. Der Donnergott sah seinen Bruder fast reumütig an und hielt dessen Blick nicht lange stand. »Es ist besser so…« Loki stieß die Luft abfällig aus, dann wandte er sich mit schnellen Schritten ab, um die Sterbliche zu den Heilkammern zu bringen. Erst auf halbem Weg durch die verwaisten Gänge des Palastes fiel ihm auf, dass die Wächter nicht folgten; irritiert sah er über seine Schulter zurück, während ihm Heiler in wehenden Roben entgegenkamen, die fieberhaft in Richtung des Festsaales an ihm vorbeistürmten. Wahrscheinlich waren alle Männer der Palastwache abgezogen worden, um Gladsheim und die Stadt vor einem erneuten Angriff zu schützen. Da schien der Magier das kleinere Übel darzustellen. Eilig betrat Loki einen der Aufzüge zur Ebene der Heiler und blickte während der Fahrt nach oben immer wieder in das regungslose, blasse Gesicht der Menschenfrau in seinen Armen. Sie hatte sich noch immer nicht bewegt und der Magier spürte ihre Aura kaum noch unter seinen Händen. Er rannte fast, als der Aufzug endlich stoppte und stieß hektisch die erste Tür auf, die sich auf dem leeren Gang vor ihm offenbarte. Schnell aktivierte er den Mechanismus der Heilkammer mit dem Ellenbogen, bevor er die Sterbliche vorsichtig in die schalenförmige Kapsel bettete; ihr zerbrechlicher Körper wirkte fast verloren in der großen Kammer, die für Götter geschaffen wurde. Surrend schloss sich die schimmernde Kuppel über ihrer Gestalt und das sanfte Glühen rieselte in einem seichten Regen auf sie herab. Die Sekunden dehnten sich zu langen Minuten, die Minuten zu ewigen Stunden; Loki schritt vor der Heilkammer unruhig auf und ab, während er die Arme ungeduldig verschränkte und immer wieder einen Blick auf die Frau warf, um keine Regung ihrerseits zu verpassen. Irgendwann gab sie endlich ein Lebenszeichen von sich; ein ersticktes Keuchen, unter welchem sie sich auf ihrem Lager aufbäumte. Hektisch schöpfte sie nach Atem, während ihre hellen Augen panisch umherzuckten und sie offensichtlich nicht zu erkennen schien, wo sie war. Ängstlich stemmte sie sich gegen die umgebenden Wände der Kammer und schlug ihre zierlichen Fäuste heftig gegen die schimmernde Barriere über sich. Loki trat sofort an die Kammer heran und beendete die Heilung durch einen herrischen Schlag auf die Apparatur; die leuchtende Kuppel glitt sirrend zurück und öffnete die Kammer somit wieder. Der Magier fing die Fäuste der Sterblichen in einem sanften Griff und ließ sich neben ihr auf dem Rand der weichen Unterlage nieder; ihre Augen waren unfokussiert, ihr Blick irrte noch immer ängstlich umher. Sie schien Loki gar nicht wahrzunehmen. Ihn nicht zu erkennen. Ihre roten Haare waren ein wirres Durcheinander und verdeckten halb ihr blasses Gesicht, dem die Schatten des Schreckens innewohnten. »Du bist in Sicherheit.« raunte er so einfühlsam wie ein Gott der Lügen das eben vermochte. »Beruhige dich.« Er erinnerte sich, dass seine Berührungen schon früher Wirkung bei ihr gezeigt hatten und ließ seine Daumen federleicht über ihre angespannten Handrücken streifen. »Sieh mich an.« verlangte er weich, aber eindringlich. Ihm fiel gar nicht auf, dass er völlig überraschend in die persönliche Anrede gewechselt hatte. Langsam schien sie wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden und seine Stimme zu erkennen; ihr Blick legte sich auf ihn, bevor sich ihre Stirn in Falten zog und ein hoffnungsvolles, zaghaftes Wispern über ihre Lippen glitt: »Loki…?!« »Ja, ich bin hier. Es ist alles in Ordnung.« flüsterte er weiter samtig auf sie ein. Ihre verkrampften Fäuste entspannten sich langsam unter seinen Händen. »Oh Gott…das war kein Traum…« hauchte sie atemlos. Loki sah die Erinnerung in ihre hellen Augen zurückkehren; die Schreckensbilder sammelten sich in ihren geweiteten Pupillen, ließen ihre silbernen Augen in einem panischen Sturm feucht aufleuchten. »Scheiße…was für eine verdammte Scheiße…« stieß sie erstickt aus, als die ersten Tränen aus ihren Augen rollten. Das Echo des Schmerzes rollte durch ihre Knochen; der Magier konnte die Resonanz davon spüren, als sich die Sterbliche nun wieder an ihre Marter erinnerte - an Malekiths Angriff. »Warum ich…? Was soll das alles…? Was zur Hölle habe ich falsch gemacht…? Ich will doch einfach nur normal leben…ich will, dass dieser ganze Mist aufhört…« wimmerte sie verzweifelt. Sie blickte flehend aus glänzenden Augen zu ihm auf, während die Panik über ihre bleichen Züge flackerte. Der Magier konnte ihre Verzweiflung sogar verstehen. Sie musste sich mit Dingen konfrontiert sehen, die ihr Verstand sicher nur schwerlich verarbeiten konnte. Ihr einfaches, normales Leben war von einem Moment auf den anderen völlig aus der Bahn geworfen wurden. »Du hast nichts falsch gemacht. Manchmal wählt das Schicksal einfach seltsame Pfade für uns. Wir können uns dem nicht entziehen. Wir können nur kämpfen und standhalten.« Loki löste eine Hand von ihren Fingern und ließ jene einen Moment recht unbeholfen vor ihrer Wange schweben, bevor er in einer zögerlichen, unsicheren Berührung die glänzenden Tränen von ihrer Haut strich; er erinnerte sich, dass Frigga diese Geste als Kind oft bei ihm angewandt hatte, um ihm Trost zu spenden. Überraschend schmiegte sich die Sterbliche seiner Handfläche sofort schutzsuchend entgegen und schloss die Augen, während ihre Lippen unter unterdrückten Schluchzern bebten. Und dann fiel sie Loki urplötzlich entgegen; schlang die Arme um den Hals des Magiers und vergrub das Gesicht am Stoff seiner Rüstung. Die unerwartete Nähe ließ Loki sich versteifen; so enger, plötzlicher Körperkontakt überforderte ihn nach der langen Isolation in seiner Zelle, doch er brachte es nicht fertig, sie von sich zu stoßen. Er hatte sich schon in der Vergangenheit recht schwer getan mit diesem innigen Zeichen von Zuneigung; hatte dergleichen sehr selten zugelassen. Es kostete ihm einiges an Mühe, doch er legte die Arme zaghaft um die so zerbrechlich wirkende Frau und ließ die Finger in einer versuchsweise beruhigenden Geste über ihren Rücken streifen; die kühle Seide ihres Kleides fühlte sich interessant unter seinen Fingerspitzen an, jedoch nicht so angenehm wie die gewärmte Haut ihrer Schulter, über welche seine Hand nun vorsichtig glitt. Ihre schmale Gestalt erbebte unter lautlosen Schluchzern, sie zitterte unter dem Schock des Erlebten und drückte sich auf der Suche nach etwas wirklichem, etwas schützendem näher an ihn. Loki fielen keine Worte ein, die ihr das Grauen sicher genommen hätten; die Silberzunge lag verstummt und wohl zum ersten Mal in seinem Leben konnte er nicht auf seine Worte bauen, sondern musste seine Gesten und Hände für sich sprechen lassen. Einen Moment konzentrierte er sich auf das Ordnen ihrer wirren, doch weichen Haare, bevor er die Kraft aufbrachte, die Finger federleicht auf ihrem Hinterkopf zu betten, um sie dann näher an sich zu ziehen. Sie schien überrascht von dieser Bewegung, bevor sie seine Einladung dankbar annahm; ihre feuchte Wange schmiegte sich in seine Halsbeuge und ihre bebenden Lippen streiften flüchtig seine Haut. Ihre Hände glitten zaghaft aus seinem Nacken hervor, als hätte sie nun keine Angst mehr, dass er vor ihrer schutzsuchenden Berührung flüchten würde; Finger gruben sich in das Leder über seiner Brust, während andere den Weg auf seinen Rücken suchten und sich dort haltsuchend festklammerten. Langsam wich die Anspannung aus dem Magier und es fühlte sich auf eine verwirrende Weise beinahe richtig an, die Sterbliche so zu halten, ihr allein durch seine Anwesenheit Trost zu spenden, ohne das er dafür große Reden gebraucht hätte. Eine ganze Weile saßen sie so eng umschlungen und still; allein das verhaltene Weinen der menschlichen Frau verhallte im Raum, bevor sie sich langsam zu beruhigen schien und den Kopf bewegte, sodass Loki sich fast sicher war, jede ihrer Wimpern zu spüren, die in einem federleichten Kitzeln über die Seite seines Halses glitten. »Tut mir leid…« hauchte sie erstickt, fast peinlich berührt. Ihr warmer Atem wehte über seine Haut, verstärkt durch die Nässe ihrer Tränen. »Ich…wollte dich nicht so überfallen…ich…wollte nur-« »Schon gut.« unterbrach er sie bestimmt und realisierte erst in diesem Augenblick, dass er sie halb auf seinen Schoß gezogen hatte. »Es ist in Ordnung.« Die Seide ihres Kleides raschelte leise, als sie sich zaghaft aufrichtete und durch feuchte und rotgeränderte Augen unsicher zu ihm hinauf blinzelte. »Bist du sicher…?« Beinahe hätte er über ihre Sorge geschmunzelt; da zerbrach sie sich den Kopf über seine Empfindungen, wo sie es doch eben noch gewesen war, der seine Sorge gegolten hatte. »Ich bin sicher.« erwiderte er ehrlich und stellte augenblicklich mit Verblüffung fest, dass es tatsächlich so war - es war in Ordnung. Es war kein Frevel, einem Menschen so nah zu sein und es bescherte ihm keinen Makel, ihr in der Not beigestanden zu haben. Selbst seine verächtlichen Gedanken blieben aus; wo es für Loki normalerweise ein Festmahl gewesen wäre, die Zerbrechlichkeit der Menschen wieder vor Augen geführt zu bekommen, so wollte er nun nicht von diesem Triumph kosten. Er verspürte kein Verlangen danach, sich an dem Schmerz der Sterblichen zu ergötzen. »Kannst du aufstehen?« fragte er sie ungewohnt rücksichtsvoll, bevor er sich ein Stück von ihr löste, um offen auf sie herabblicken zu können. Ihre Gesichter verweilten unweit voneinander entfernt und durch die Schleier ihrer Tränen bemerkte er abermals die außergewöhnlich goldenen Sprenkel in ihren silbernen Augen. Sie sah ihn atemlos an, bevor sie die Arme fast ein wenig fluchtartig von ihm zurückzog und sich schwach mit den Händen über die nassen Wangen rieb, um die Tränen fortzuwischen. »Ich denke schon…« Loki half ihr auf die Beine und schlang stützend einen Arm um ihre Taille, als ihre Knie einzuknicken drohten. »Wird er…denkst du, er kommt wieder…?« wisperte die Sterbliche heiser, als der Magier mit ihr den Raum der Heilkammer verließ, um sie auf ihr Zimmer zu bringen. Sein Blick glitt zu ihr hinüber und er erkannte die lauernde Furcht in ihren Zügen, die Befangenheit in jener Gewohnheit, die Unterlippe flüchtig zwischen die Zähne zu ziehen. Loki wusste sofort, von wem sie sprach. »Im Moment nicht. Er hat eine Niederlage erlitten, aber zweifelsfrei wird ihn das nicht aufhalten.« »Wer ist er?« fragte sie nach; ihre Stimme erklang nicht in gewohnter Neugier und Bestimmtheit und Loki ertappte sich dabei, wie er die störrische, selbstsichere Menschenfrau an seiner Seite vermisste. Mit Reden wollte sie nun ihre Angst verdrängen, da in der Stille die Bilder der Erinnerung lauerten. Der Magier verstand sie nur zu gut. »Ein alter Feind Asgards.« erklärte ihr Loki, während er sie durch die Gänge des Palastes führte. Noch immer schien Gladsheim ausgestorben, als hätten sich alle Bewohner im Festsaal versammelt. »Malekith, Herr über Schwarzalbenheim. Er führte einst ein Heer gegen die Asen, um das Universum in eine zweite Finsternis zu stürzen. Er scheiterte und lange Zeit glaubte man, dass er mit seinem Volk und seiner Flotte untergegangen wäre. Doch er scheint äußerst lebendig und seine Ziele noch immer zu verfolgen…« »Wie geht es denn anderen? Wurde jemand…verletzt?« Ihre Frage klang kraftlos und fast so, als würde sie sich irgendwie für das Geschehene die Schuld geben. Inzwischen war Loki mit ihr auf dem Korridor zu seinen Gemächern angelangt und blieb vor der Tür ihres Zimmers stehen. »Der Allvater und die Königin sind wohlauf. Thor und seine Gefährten auch. Allerdings wurden einige Asen verletzt und ein paar haben den Abend auch nicht überlebt.« Er sah keine Notwendigkeit, ihr die Wahrheit vorzuenthalten. »Doch du solltest dich jetzt nicht um andere sorgen...« Loki schob ihr einen Zeigefinger unters Kinn und hob ihr Gesicht an, sodass sie ihn ansehen musste. Ihre Augen schimmerten noch immer feucht, doch die Tränen waren inzwischen versiegt. »Du warst einer uralten und mächtigen Energie ausgesetzt, deren Ursprung wir noch immer nicht kennen. Niemand in Asgard hat das erlebt, was du durchgemacht hast.« sprach er in eindringlichem Ton. »Ich konnte es fühlen, Loki…« flüsterte sie. Ihre hellen Augen durchzog ein flüchtiger Schatten; Segel gleich des Schiffes Naglfar, dessen Auftauchen Unheil bedeutete. »Dieses Wesen…Malekith ist besessen…dieser Schatten…ich habe seinen Zorn gespürt. Den unendlichen Hass auf alles Leben. Dort war nur Dunkelheit. Erdrückende, allumfassende Dunkelheit. Und Tod…« Loki schüttelte den Kopf und brachte sie zum verstummen, indem er ihr seinen Daumen über die zitternden Lippen legte und jene damit verschloss. Dann zog er die Hand wieder zurück und trat hinüber, um die Tür zu ihrem Zimmer zu öffnen. »Du musst dich jetzt ausruhen. Wir können uns später noch über das Geschehene unterhalten.« Ihr zaghafter Griff hielt ihn in der Bewegung auf; ihre Finger schlangen sich flehend um die seinen. Abwartend sah er zu ihr zurück. »Ich glaube nicht, dass ich jetzt allein sein will…« wisperte sie, das Haupt gesenkt, sodass ihr die roten Haare wie ein Vorhang um die Züge glitten. Ihre unausgesprochene Frage klang deutlich in Lokis Ohren nach, obwohl Gwendolyn wohl niemals offen darum gebeten hätte, um ihn nicht zu bedrängen. Nachdenklich starrte er auf die Tür ihres Zimmers und ergründete die eigenen Empfindungen, bevor er seine Hand langsam von der Klinke zurückzog, die er unbewusst eisern umklammert hatte. Obwohl sie ihn nicht ansah, wahrscheinlich Angst vor seiner Abweisung hatte, so konnte er doch die Furcht in ihrer Aura spüren; sie fürchtete sich vor dem Alleinsein, vor dem Schlaf und der Dunkelheit, da sie wahrscheinlich wusste, dass die Schreckensbilder des Abends zurückkehren würden - nachdem man alle Kerzen gelöscht hatte, krochen sie aus den Schatten des Zimmers, erfreuten sich an der Finsternis, wenn ihre Zeit begann. »Du könntest die Nacht über bei mir bleiben. Wenn du möchtest, kannst du dich bei mir ausruhen…« raunte er mit belegter Stimme. Hatte er diese Worte wirklich gerade ausgesprochen? Das ferne Plätschern des angrenzenden Sees drang durch die Nacht und vermittelte eine trügerische Illusion von Frieden und Geborgenheit; die Sterne am Nachthimmel glitzerten unbeeindruckt von den Geschehnissen der Welt - stumme Zeugen der Zeit, die bereits die Vergangenheit gesehen hatten und auch in der Zukunft ihr blasses Licht über die Welten schicken würden. Gedämpft vernahm Loki Stimmen aus dem Inneren des Palastes, doch konnte er diese keinen Gesichtern zuordnen. Asgard lag unter einer Glocke der Angst; unter einer angespannten Stille, welche die Fröhlichkeit des Abends vollständig vertrieben hatte. Die Sterbliche nickte sofort und Loki nahm sie mit in seine Gemächer, wo er die Tür leise hinter ihnen schloss. Unschlüssig war die Frau stehen geblieben, doch er führte sie sanft, aber bestimmt zu seinem Bett hinüber und schlug die Decke für sie zurück. Sie ließ sich beinahe schüchtern auf seinem Lager nieder, als hätte sie Angst, etwas in Unordnung zu bringen und hielt ihn durch einen zaghaften Griff am Arm zurück, als er sich schon abwenden wollte. »Was…was ist mit dir? Willst du nicht schlafen? Das Bett ist groß genug für uns beide…« Ihre hellen Augen schimmerten in der kargen Beleuchtung des Zimmers. Eine einzige Feuerschale verbreitete noch gedämpftes Licht. Loki schüttelte den Kopf. Jetzt würde er wahrscheinlich eh keinen Schlaf finden. Außerdem behagten ihm die eigenen Empfindungen nicht, welche aus Neugier und verstohlener Sehnsucht bestanden; wie es wohl wäre mit jemanden an seiner Seite einschlafen zu können - zu wissen, dass man den Schrecken der Nacht nicht allein begegnen musste? Zu wissen, dass jemand da war, wenn man erwachte? »Ich muss noch einige Schriften überprüfen. Sei unbesorgt, ich bleibe im Raum. Ich bin gleich nebenan.« »Okay…« Ihre Hand glitt von seinem Arm und er wurde sich der fehlenden Wärme überdeutlich bewusst. »Loki…« hielt sie ihn erneut mit einem zaghaften Wispern auf. »…Danke. Du hast mir schon wieder das Leben gerettet…« Wie leicht es ihr gelang, Danke zu sagen. Wie einfach sie sich der Tatsache bewusst werden konnte, dass sie in seiner Schuld stand. Durch Lokis Geist huschten die Bilder ihres Ausrittes, die Worte ihrer Wette. Einen Teil ihrer Abmachung hatte er noch nicht eingelöst und ihm wurde mit erschreckender Klarheit bewusst, dass er um ein Haar die Gelegenheit dazu verpasst hätte. Gwendolyn hätte heute Abend sterben können. Dann wäre er ihr für ewig seinen Dank schuldig geblieben… Unvermittelt wandte er sich wieder um und sank unter dem weichen Ächzen des Leders in die Knie vor ihr. Ihre Augen weiteten sich überrascht und unsicher; irritiert sah sie auf ihn herab. »Loki…was-« Der Magier unterbrach sie, indem er ihre kühlen Hände ergriff und diese zu sich zog. Ihre Finger zitterten unter der federleichten Berührung seiner Lippen, bevor er ihre Hände schlicht in seinen großen barg und an sein Herz zog. Er sah zu ihr auf. Vor vielen Monden hätte er über die Absurdität dieses Momentes gelacht; über die bloße Möglichkeit dieses sich nun bietenden Bildes den Kopf geschüttelt. Er, Loki, kniete vor einem Menschen und bekannte, dass dieses zerbrechliche Geschöpf wahrscheinlich der Grund war, warum er noch atmete. Auch ein Gott der Lügen musste sich irgendwann eingestehen, dass er am Leben hing. »Ich stehe in deiner Schuld, Gwendolyn Lewis aus Midgard. Es gibt nichts, wofür du dich bedanken müsstest. Du hast mein Leben gerettet und ich das deine. Meine Verantwortung als Ase wiegt schwerer, sodass du dir meiner Schuld auf ewig sicher sein kannst. Ich kann dein Leben wahrscheinlich nicht oft genug retten, um Sühne für deinen Mut zu tun.« endete er in einem rauen Flüstern und tat dann das Unbegreifliche; respektvoll senkte er das Haupt vor der Menschenfrau und brachte diesem zarten Wesen damit eine Achtung entgegen, die nur sehr wenige von Loki jemals erfahren hatten. Und es wahrscheinlich auch nie tun würden. Ihm wurde nicht bewusst, dass er sich völlig selbstständig wieder als Ase bezeichnet hatte… Aus Trotz und dem albernen Drang heraus, die Königin und den Allvater zu verhöhnen, hatte er sich selbst als Laufeyson bezeichnet - doch nach diesem Abend würde er sich irgendwann eingestehen müssen, dass die Asen noch immer sein Volk waren. Welchen Namen er sich auch gab - er hatte für Asgard gekämpft; für seine Heimat. Gwendolyn wirkte beinahe überfordert von seiner plötzlichen Ehrerbietung; ihre Lippen hatten sich verblüfft geöffnet und ein stockendes »Okay…« hauchte sie unsicher in die Stille des Raumes. Er erhob sich geschmeidig wieder und ließ ihre Hände los, um ihr endlich die Ruhe zu gönnen, die sie benötigte. Sie starrte entgeistert zu ihm auf und schien für einen Moment völlig vergessen zu haben, was an diesem Abend passiert war; seine überraschende Wandlung hatte sie zumindest von ihren Ängsten abgelenkt. »Dir ist hoffentlich klar, dass ich dich natürlich töten muss, wenn du irgendjemanden von diesem Moment eben erzählst. Ich gehe vor niemanden auf die Knie…« raunte er warnend, doch klang die feine Note deutlich hervor, die Ernst von Scherzhaftigkeit trennte. Die Sterbliche schien diesen gewissen Unterschied und ihn inzwischen auch gut genug zu kennen; ein flüchtiges Schmunzeln huschte über ihre Lippen, welches jedoch viel zu schnell wieder verschwand. »Natürlich…« wisperte sie. »Ruh dich jetzt aus.« Damit wandte Loki sich endgültig ab und überließ die Menschenfrau der Umarmung der Nacht. Kapitel 13: Feuer ----------------- »Nein.« Dieses eine Wort wirkte wie ein Peitschenknall in Lokis Ohren und machte ihm wieder deutlich, wo sein eigentlicher Platz in Asgard war - nämlich in seiner Zelle. Als unliebsamer Sohn. Als Schandfleck der Familie, dass man gewissenhaft verstecken musste. Odin schritt mit finsterer Miene vor ihm auf und ab, während Frigga am Tisch hinter dem Allvater Platz genommen hatte und das Gesicht flüchtig in einer angespannten Geste in den Händen verbarg. Thor stand neben der Königin und hatte die großen Hände auf der Tischplatte abgestützt, vor ihm eine Karte ausgebreitet, über die er bis eben mit dem Allvater gebrütet hatte. Sie befanden sich in Odins Besprechungsraum neben dem Thronsaal; ein gemütlich eingerichtetes Zimmer, dessen Wände wohl schon so mancher Konferenz gelauscht hatten. Hier wurden Pläne geschmiedet und verworfen, Schlachten organisiert und Kriegshandlungen beschlossen - Odins Thronsaal diente nur zur öffentlichen Bekanntgabe, während in diesem Raum alle wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. »Du willst die Stadt verlassen?! Mit der Sterblichen und ohne Wächter und deine Fesseln?! Zu einer Zeit, da Feinde von allen Seiten auf Asgard einzustürmen scheinen?!« wandte sich Odin aufgebracht wieder an Loki, der ungerührt im Raum stand, nachdem er seine Bitte vorgebracht hatte. Nun, eigentlich war es keine Bitte gewesen - eher eine Forderung. Und auf derlei schien der Allvater recht allergisch zu reagieren - zumindest aus Lokis Mund. »Dies ist mein Begehr, ja.« erwiderte der Magier ruhig und demonstrierte Stolz und Entschlossenheit, so er die Hände hinter dem Rücken faltete und Odins abschätzendem Blick fest begegnete. »Eine kleine Gruppe würde wesentlich weniger Aufmerksamkeit erregen als eine ganze Horde von Asgards Soldaten. Die Männer trampeln wie wildgewordene Trolle durch die Gegend und würden damit jeden Dunkelelfen im Umkreis von Meilen auf uns aufmerksam machen.« Frigga versteckte ein Schmunzeln hinter der Handfläche und räusperte sich verhalten. »Und Aufmerksamkeit kann ich nicht gebrauchen, wenn ich mit der Sterblichen unterwegs bin. Nachdem, was am gestrigen Abend passiert ist, solltest du dem eigentlich zustimmen, sie aus der Stadt zu bringen, Allvater. Und sei es nur für ein paar Tage. Malekith weiß, dass sie hier ist und was immer da in ihr schlummert, er ist interessiert daran. Und das sollte Grund genug für uns sein zu verhindern, dass er sie in die Finger bekommt.« fuhr Loki fort. »Ah ja…« begann der Allvater gedehnt und begann abermals im Raum auf und ab zu schreiten; Gungnir als Stütze dienend, während sein langer Umhang hinter ihm über den Boden säuselte. »…und deine Fesseln soll ich dir warum genau noch einmal abnehmen?« Der abschätzende Blick Odins ruckte aus dem Augenwinkel zu Loki herüber. »Damit ich uns verteidigen kann, so wir in Gefahr geraten sollten.« erklärte der Magier überzeugend. »Natürlich…« lenkte Odin gespielt verständig ein, bevor er stehen blieb und zu dem Magier herumwirbelte. Gungnir donnerte mit einem Knall auf den edlen Holzboden. »Du musst mich wohl für einfältig halten, mein Sohn! Durch deine Magie ist es dir möglich, dich vor Heimdalls Blick zu verbergen. Du kennst die geheimen Pfade zwischen den Welten. Glaubst du wirklich, dass ich so dumm bin und dich einfach so ziehen lasse?!« Frigga holte tief Luft und wollte sich wohl einmischen, doch Thor schob ihr eine große Hand auf die Schulter und hielt sie mit einem Kopfschütteln davon ab. »Mit Verlaub, aber wir brauchen Antworten, Vater.« entgegnete Loki in gelassener Ruhe - wenngleich das letzte Wort einer Beleidigung ähnlich über seine Lippen rollte und Odin verspottete. Der Allvater verengte die Augen; Verärgerung stand in seinem Blick und doch auch eine seltsame Verletzlichkeit - eine tiefgreifende Erschöpfung, als wäre ihm der Speer in seiner Hand zu schwer geworden nach all den Jahren auf Asgards Thron. Und als sehne er friedlichere Tage herbei; andere Tage, in denen er seinem jüngsten Sohn nicht mit so viel Misstrauen begegnen müsste. »Die Bücher können keine Antworten mehr liefern. Ich habe alle relevanten Schriften bis zur letzten Seite studiert; alles zu Rate gezogen, was mir zur Verfügung stand. Es gibt nur noch einen Weg herauszufinden, was von Malekith Besitz ergriffen hat.« setzte Loki seine Ausführungen beständig fort und schritt nun ebenfalls durch den Raum, am Tisch vorbei und hinüber zu der großen Fensterfront, die sich auf einen Balkon öffnete, von dem man die Stadt überblicken konnte. »Du kannst mir diese Reise gern verwehren, Allvater. Doch du wirst schwer gegen einen Feind kämpfen können, den du weder siehst, noch kennst. Mir mag es egal sein, was mit Asgard geschieht…« Loki wandte sich mit einem gleichgültigen Schulterzucken dem Raum wieder zu, nachdem er die Bahn der Wolken am Himmel verfolgt hatte. »…doch dir sollte eigentlich ausreichend daran gelegen sein, dass du mich ziehen lässt. Nur, wenn wir herausfinden, wer unser Feind und was dessen Ziel ist, so haben wir vielleicht eine Möglichkeit, ihn aufzuhalten. Ihr habt alle mit eigenen Augen gesehen, was Malekith vermag. Zu was dieser Schatten in ihm fähig ist. Wir haben keine Chance, dem zu trotzen.« endete Loki in jener Gewissheit, die sie wohl alle in diesem Moment empfanden. Betretene Stille senkte sich über den Raum, während der Wind von draußen die hauchdünnen Vorhänge rascheln ließ. Der Blick des Magiers glitt beinahe beiläufig über die Anwesenden; Frigga senkte betreten das Haupt, so der Königin der Schrecken des letzten Abends noch deutlich anhing. Thors Hände schlossen sich verkrampft zu Fäusten, während er auf die ausgebreitete Karte starrte, auf der durch feuerrote Banner die Orte markiert waren, an denen es in den letzten Stunden zu Sichtungen von Schwarzalben gekommen war, die Hugin und Munin erspäht hatten. Offenbar nutzten die Elfen die verschwimmenden Grenzen, um sich durch die geheimen Passagen zwischen den Welten zu bewegen. Odin hatte in seinen unruhigen Schritten innegehalten; er stützte sich schwer auf den Speer in seiner Hand und ließ die Finger in einer erschöpften Geste über seine tief gefurchte Stirn fahren. »Ich kann keine Wächter entbehren, die dich begleiten, Loki.« durchbrach der Allvater als erstes die Stille. »Nicht zu dieser Zeit, in der ich jeden Moment mit einem erneuten Angriff rechnen muss.« Der Blick des Allvaters suchte den des Magiers und beinahe hatte Loki das Gefühl, dass Odin auf Verständnis hoffte; auf jenes Verständnis, das ein Sohn seinem Vater entgegenbringen sollte, so der ihn in seinen leichtfertigen Ideen und Taten bremste. »Und allein werde ich dich nicht ziehen lassen.« »Ich habe gestern Abend für euch gekämpft!« stieß Loki in einem erzürnten Zischen aus. »Ihr hättet Malekith niemals die Stirn bieten können, wenn ich nicht gewesen wäre. Ich habe dafür gesorgt, dass der gestrige Abend nicht in einem Massaker geendet hat. Ich habe mich gegen ihn gestellt!« schleuderte er seiner „Familie“ bissig entgegen, beugte sich vor wie eine Schlange vor dem Angriff und schlug sich die Hand bekräftigend auf die Brust. Seine Worte klangen überheblich; sie troffen nur so vor Arroganz und Selbstgefälligkeit, doch keiner begehrte nun dagegen auf - weder Frigga, noch Thor, nicht einmal Odin. Weil sie wussten, dass er recht hatte. »Und nun vertraut man mir noch immer nicht?!« Loki lachte humorlos auf; ein hässlich verächtlicher Laut, selbst in seinen Ohren. »Was muss ich noch tun, um euch glaubwürdig zu erscheinen? Mich im Staub wälzen? Oder soll ich mich gleich in Malekiths Schwert stürzen? Würde euch das zur Genüge gereichen, dass man mir nicht ständig das Übel aller Welten unterstellen will?« »Loki…« begann die Königin sanft und beschwichtigend, doch der Magier wandte sich mit einem abfälligen Schnauben wieder um und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust. Er schloss die Augen für einen Moment und versuchte sich wieder zu beruhigen; in letzter Zeit gingen die Emotionen immer öfter mit ihm durch - eine lästige Schmach, die eigenen Gefühle so unkontrolliert hervorbrechen zu lassen. Einst hatte er sich stets auf seine Beherrschtheit und Ruhe verlassen können; auf eine Vielzahl angepasster und starrer Masken, hinter denen die wahren Motive und Gedanken so herrlich zu verstecken waren. Doch die Zeit der Gefangenschaft hatte Spuren an ihm hinterlassen, die wohl keine Maske je wieder überdecken konnte - eine Gewissheit, die er fürchtete. »Ich werde ihn begleiten.« warf Thor nun völlig überraschend in den Raum und richtete sich entschlossen vom Tisch auf. Nicht nur Loki drehte sich auf dem Absatz herum und starrte den Donnergott mit zweifelnd zusammengezogenen Brauen an, auch Odin warf einen Blick auf seinen ältesten Sohn, als würde er fürchten, dass jener nun auch den Verstand verloren hatte. »Ich brauche dich hier, Thor.« hielt der Allvater mahnend dagegen. »Ich brauche dich, um die Stadt zu schützen.« »Aber Loki hat recht.« ergriff der Donnergott Partei für seinen Bruder und stellte eine ungewöhnlich entschlossene Miene zur Schau, die den Hauch einer Ahnung aufkommen ließ, dass Thor sich wandeln könnte; dass er sich wirklich dem Thron würdig erweisen könnte, den er irgendwann sein eigenen nennen sollte. Zumindest einer im Raum schien Verstand zu besitzen, auch wenn es den Magier verblüffte, dass dies gerade Thor war. Loki war fast versucht, ein süffisantes Grinsen in Richtung Odins zu schicken, hielt sich jedoch zurück. Dass Thor einmal das große Ganze betrachten und ihm damit Recht geben würde, ohne das er zuvor mit seiner Silberzunge auf ihn einwirken musste, kam selbst für ihn ein wenig überraschend, aber äußerst gelegen. »Wir können nicht gegen einen Feind kämpfen, den wir nicht kennen. Wir müssen wissen, womit wir es zutun haben, damit wir gerüstet sind, wenn Malekith das nächste Mal auftaucht. Er darf uns nie wieder so unvorbereitet treffen wie gestern Abend.« sprach Thor beharrlich auf Odin ein. »Ich werde Loki mit den anderen begleiten und auf ihn und die Sterbliche acht geben.« Der Regen fiel einem grauen Vorhang gleich zur Erde; erdrückend und schwer platschten die Tropfen auf die Umhänge der kleinen Gruppe, die sich zu Pferd mühsam den schlammigen Hügel hinauf kämpfte. Immer wieder rutschten die Hufe der Tiere auf dem unsteten Untergrund aus und das angestrengte Schnaufen der Pferde untermalte das trostlose Rauschen des Regens, welcher nun schon seit einem Tag ohne Unterlass andauerte. Die Sonne war verschwunden und tiefdunkle Wolkenbänder zogen über den Himmel, dessen blaue Farbe sich nur noch in einem schmalen Streifen am Horizont erahnen ließ; als würde das schlechte Wetter die sonnigen, warmen Tage vor sich hertreiben wie der Schäfer seine Herde. Als wüsste der Sommer, dass sich seine Zeit dem Ende neigt, so waren die Tage bereits kühler geworden und wesentlich feuchter; der Winter bereitete seinen Siegeszug vor und schickte nun die Vorboten seiner Ankunft. Die warmen Atemwolken der Pferde bildeten sich bereits sichtbar in der regenschweren Luft; tapfer trabten die Tiere durch den trüben Tag und trugen ihre durchweichten Reiter, deren Stimmung den grauen Regenwolken wohl in nichts nachstand. Das dröhnende Niesen von Volstagg riss Loki aus seinen Gedanken und ließ ihn sich im Sattel halb umdrehen, um zurückzublicken. Angestrengt blinzelte er die Tropfen aus den Wimpern und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, um dem strömenden Regen Einhalt zu gebieten. »Argh, was für ein verdammtes Wetter. Wären wir nur in Gladsheim geblieben, dann könnte ich mich jetzt am Feuer wärmen und mich an frischem Braten laben.« Missmutig wischte sich der rothaarige Krieger das Wasser aus dem Bart und angelte nach einer Feldflasche an seinem Sattel; fluchend schüttelte er diese, bevor er sie achtlos in einen vorbeiziehenden Busch warf. Ein paar Vögel, die dort Schutz vor dem Regen gesucht hatten, stoben eilig davon. »Sogar der Met ist alle! Kann der Tag noch schlechter werden?!« »Reiß dich zusammen, Volstagg. Immerhin sind wir nicht zum Spaß unterwegs.« wies Thor seinen Freund zurecht; der Donnergott hatte seinen schwarzen Hengst eben neben Volstaggs Pferd gelenkt und klopfte dem Pferd ermutigend den Hals. Das blonde Haar Thors klebte ihm an Stirn und Schläfen; er hatte um der besseren Sicht willen auf eine Kapuze verzichtet. »Gewiss sind wir nicht zum Spaß hier. Ich sehe nämlich nichts, was im entferntesten nach Spaß aussieht.« Fandral löste sich aus der Gruppe und warf dem Magier im Vorbeireiten einen geringschätzigen Blick zu. »Ich hoffe nur, diese Reise lohnt sich auch, Loki. Wenn ich für umsonst auf die Abendgesellschaft mit den hübschen Mädchen der Stadt verzichtet habe, werde ich eigenhändig dafür sorgen, dass du wieder in deine Zelle kommst.« Der Krieger stieß einen Zeigefinger in Lokis Richtung, der diesen abschätzend betrachtete und dann ein breites, jedoch eiskaltes Grinsen auf die Lippen zauberte. »Brauchst du den Finger noch, Fandral…?« fragte Loki trocken und ließ eine Hand vom Zügel unter seinen Umhang gleiten. Fandral weitete die Augen im Schatten seiner Kapuze; das unsichere Glänzen von Beklommenheit darin, bevor er seinen Finger ziemlich schnell wieder zu sich zurückzog. »Fandral, Schluss damit!« rief Thor von hinten. Er reichte Sif gerade seine Wasserflasche, die diese dankend entgegen nahm. »Loki weiß schon, was er tut.« »Ich hoffe es…« war nun das klare Wispern Hoguns unter dessen Kapuze zu vernehmen. Der Krieger hob kurz den Blick und blinzelte in den regenschweren Himmel auf; die Stirn gefurcht saß er angespannt im Sattel, als würde er das schlechte Wetter selbst als böses Omen erachten. Nachdem sie am ersten Tag ihrer Reise die Felder und Ebenen um die Stadt hinter sich gelassen hatten, waren sie nun in wilderes Gelände Asgards gedrungen. Das Bild der Landschaft hatte sich verändert, war felsiger und unwegsamer geworden. Dichte Büsche und Dornensträucher rahmten den Weg ein, dahinter dunkle Wälder oder zerklüftete Abhänge. Nicht selten brachen Teile des Weges unter den Hufen der Pferde weg; losgelöst vom Regen sprangen Felsen und Dreck dann in raue Schluchten oder reißende Bäche hinab. Die friedlichen Flüsse des Landes hatten sich in wütende Ungetüme verwandelt, die donnernd ins Tal preschten; angefeuert vom freigiebigen Himmel, der sein Nass unerbittlich auf sie warf. Loki ließ sein Pferd ein wenig zurückfallen und lenkte es mit einem sanften Ruck der Zügel neben den Hengst der Sterblichen, die seit Anbeginn ihrer Reise ziemlich schweigsam im Sattel verweilte. Er hatte beobachtet, wie sie oftmals bei den kleinsten Geräuschen unter der tief herabgezogenen Kapuze zusammengezuckt war; der Schrecken von Malekiths Angriff saß ihr noch immer in den Knochen. Jene Nacht, die sie bei ihm verbracht hatte, war sie mehrmals aus unruhigen Träumen aufgeschreckt, sodass Loki sie durch seidiges, beruhigendes Flüstern mehr als einmal wieder in den Schlaf wiegen musste. Der Magier empfand diese Entwicklung als besorgniserregend. Ihm war die störrische, eigensinnige Menschenfrau wesentlich lieber als dieses schweigsame Bündel, das nun zusammengesunken im Sattel saß. Er hoffte, dass sie wieder in ihre alte Form zurückfinden könnte. Und es auch würde. Er selbst hatte es am eigenen Leib erfahren - wie einschneidende Ereignisse so tiefe Wunden hinterlassen konnten, dass diese wohl nie vollständig heilen würden. Immer würden Narben zurückbleiben; Narben, die eine Gestalt, eine Seele für immer veränderten. Er hoffte, dass diese Narben keine Auswirkungen auf die Mächte in ihr haben würden… »Alles in Ordnung?« raunte er in Richtung der Menschenfrau, die Stimme ungewöhnlich weich, wenn auch sachlich. Allerdings reichte dieser ungewohnte Ton aus seinem Mund wohl schon, dass Sif verwundert zu ihnen herüber blickte und verwundert von der Sterblichen zu Loki sah. Der ignorierte die Kriegerin bewusst und hielt seine Kapuze in einer auffrischenden Windböe fest, die ihm die Regentropfen wie kühle Nadelstiche ins Gesicht trieb. Gwendolyn sah zögerlich auf, ihre hellen Augen schimmerten aus der Tiefe ihrer Kapuze, während der Rest in grauem Zwielicht geborgen lag. Sie nickte knapp, obwohl auch sie vom Regen völlig durchnässt sein musste. Ihr Zittern war ihm nicht entgangen. Als Mensch hatte sie wesentlich weniger Widerstandskraft als ein Gott. Doch Loki wusste, dass von ihr kein Jammern kommen würde - kleine, verbissene Menschenfrau. Tapfer war sie, das musste man ihr lassen. »Ja, alles okay. Nur ein wenig nass.« drang ihre Stimme zu ihm heran; ein Schmunzeln war herauszuhören. »Und es könnte ein wenig wärmer sein. Und bequemer. Aber sonst kann ich mich nicht beklagen.« Loki lachte verhalten; ein rauer, leiser Klang im Rauschen des Regens. »Und ich dachte schon, du hättest etwas an diesem herrlichen Ausflug auszusetzen.« »Ich kann mir nichts schöneres vorstellen...« erwiderte sie ironisch; er konnte das lauernde Lachen aus ihrer Stimme deutlich heraushören. »Das klang vor einer Weile noch anders, soweit ich mich erinnere…« mahnte er latent amüsiert an und erntete dafür ihren uneingeschränkten Blick, als sie ihre Kapuze ein wenig zurückschob und zu ihm herüber sah. Ihre roten Haare lagen plattgedrückt und feucht an ihrer blassen Stirn und den Wangen an, doch nahm ihr das kaum etwas von ihrer zerbrechlichen Schönheit, wie Loki erkannte. Seit dem Winternachtsfest kam er nicht umhin sie eben mit anderen Augen zu betrachten. Auch wenn er für derlei Ablenkungen eigentlich gar keine Zeit hatte. Oder besser - haben wollte. Denn wenn er aufhörte, sie als reines Objekt zu sehen - als Gefäß für jene Macht, die seine Ziele vorantreiben könnte, würde dies einen weiteren Stein auf seinem Weg bedeuten. Und er konnte sich keine weiteren Steine leisten… »Ehrlich gesagt gibt es viele Dinge, die ich jetzt lieber täte, als hier mit dir durch den Regen zu reiten, Loki Laufeyson.« gab sie ihm gespielt dickköpfig zurück. Obwohl ihre Mundwinkel regungslos verweilten, so war das belustigte Funkeln in ihren Augen doch da. Der Magier war fast erleichtert. Offensichtlich war ihr eigensinniges Selbst noch nicht ganz verschwunden. »Tatsächlich?« Er beugte sich ein wenig zu ihr hinüber. »Was denn zum Beispiel? Was würdest du jetzt wohl gerade auf Midgard machen?« hinterfragte er und wurde sich bewusst, dass es ihn wirklich interessierte. Sie öffnete schon den Mund, bevor sie die Brauen skeptisch zusammenzog und zu ihm hinüber schielte. »Versuchst du mich gerade von dem scheußlichen Wetter abzulenken?« »Vielleicht. Funktioniert es denn?« »Vielleicht…« Seine Mundwinkel zuckten ohne sein Zutun in die Höhe. »Dann tue ich genau das. Also…?« Er fischte einen kleinen Beutel mit getrockneten Beeren aus einer seiner Satteltaschen und bot Gwendolyn etwas davon an. Dankend nahm sie eine Handvoll, bevor sie das Wort wieder ergriff. »Ich würde jetzt definitiv zuhause sein und ein herrliches, warmes Bad nehmen. Mit ganz viel Schaum und diesem tollen Badezusatz, der nach Erdbeeren duftet. Himmlisch…« Mit einem sehnsüchtigen Seufzen zog sie sich die Kapuze wieder in die Stirn, jedoch nur soweit, dass sie Loki weiterhin ansehen konnte. »Und dann würde ich mich auf meine Couch zurückziehen, eingewickelt in eine kuschlige Decke und mit einer Tasse Tee. Vielleicht würde ich an einem Artikel arbeiten oder mit Winston kuscheln…« »Winston ist dein Gefährte…?« Die Frage war Lokis Lippen schneller entschlüpft, als er sich bewusst darüber wurde. Eigentlich interessierte ihn das überhaupt nicht. Die Frau konnte ihr Leben leben, wie sie es wollte und ihre Zeit verbringen, mit wem sie wollte… Doch dieser seltsame Stich in der Brust des Magiers ließ sich nicht verleugnen; ein Schmerz, der ihm bekannt vorkam - ihn an Momente erinnerte, wenn Odin abermals Thor bevorzugt hatte, ob nun mit Lob oder schlichtem Interesse. »Was…? Oh Gott nein. Nein!« Die Sterbliche lachte amüsiert und wischte sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. Loki verfolgte den Weg eines Regentropfens, der sich seinen Weg über ihre Lippen zu ihrem Kinn bahnte und dort glänzend herabfiel. »Winston ist mein Kater. Mein Haustier. Er ist zwar manchmal genauso anstrengend wie ein Mann, aber wesentlich pflegeleichter…« Sie warf Loki einen bedeutsamen Blick zu und schmunzelte. Die eigenartige Beruhigung, die er augenblicklich empfand, sollte wahrscheinlich gar nicht da sein. »Was meintest du mit „an einem Artikel arbeiten?“« »Für meinen Job. Also für meine Arbeit auf der Erde. Irgendwie muss man sich ja seine Existenz finanzieren.« Loki erinnerte sich an das, was Frigga ihm über die Frau erzählt hatte. »Du bist eine „Journalistin“, nicht wahr?« »Ja, stimmt.« Gwendolyn wirkte überrascht, doch beinahe erfreut darüber, dass er offensichtlich etwas über sie zu wissen schien. »Ich schreibe sogenannte „Artikel“ für meinen Arbeitgeber, die dann in einer Zeitung veröffentlicht werden. Das ist ein Informationsblatt für die Menschen meiner Welt.« Sie berichtete ihm von ihrer Arbeit, den täglichen Abläufen und Aufgaben, die dort anstanden; von einigen Kollegen und einer Frau namens Ashlyn, die Gwendolyn sehr wichtig zu sein schien. Sie unterhielten sich eine ganze Weile über das schlichte Leben, während das Rauschen des Regens beharrlich in den Hintergrund rückte und nur das leise Schnauben der Pferde ab und an ihr Gespräch unterbrach wie das helle, leise Lachen der Sterblichen. Loki ertappte sich selbst dabei, dass er völlig abgelenkt war; von ihrem Weg, ihrer Reise, selbst dem Regen und der allgegenwärtigen Nässe, die unaufhaltsam unter die Stoff- und Lederschichten seiner Kampfrüstung kroch. Es war wirklich angenehm, sich mit der Frau zu unterhalten - sie war intelligent, witzig und beantwortete ihm seine interessierten Fragen gewissenhaft und mit erfreuter Bereitschaft. In Momenten wie diesen konnte er tatsächlich fast vergessen, dass sie ein Mensch war. Und erkennen, dass sich die Menschen gar nicht so sehr von den Göttern unterschieden… »Wirst du über Asgard schreiben, wenn du wieder zurückkehrst?« Loki nahm die Wasserflasche wieder an sich, die Gwendolyn ihm eben reichte, nachdem sie sich einen Schluck geteilt hatten. Die Frage war leichthin gestellt, doch sperrte sich irgendetwas in ihm gegen den Gedanken, dass sie tatsächlich eines Tages aus seiner Welt verschwinden könnte. Sie schlang sich die ledernen Zügel fester um die Hände, blieb ihm die Antwort einen Moment schuldig. Der Magier sah aufmerksam zu ihr hinüber. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht…« gestand sie dann verhalten. Ihre Augen suchten seinen Blick für einen Moment, bevor sie wieder auf den schlammigen Weg vor ihnen sah und ihr Pferd ein wenig im Gang korrigierte. Neben ihnen fiel der Hang senkrecht in die Tiefe ab, welche durch neblige Schwaden bodenlos erschien. »Eigentlich bin ich mit genau dieser Aufgabe hierher gekommen. Genau das wollte mein Boss. Und ich wollte das anfangs auch. Aber jetzt…« Sie hielt kurz inne und blickte nach vorn zu Fandral und Volstagg, die eine Metflasche zwischen sich wandern ließen, die der blonde Krieger wohl aus einem geheimen Versteck gezaubert hatte. Thor ritt inzwischen an der Spitze des Zuges, Sif an seiner Seite. Die beiden waren in ein leises Gespräch vertieft, ihre Gestalten im Regenschleier verschwommen. Hogun kam als letzter hinter Loki und Gwendolyn und bildete die schweigsame Nachhut. »Vielleicht sollten manche Geheimnisse doch gewahrt bleiben. Immerhin machen genau sie die Faszination von Mythen, Märchen und Legenden aus…« wisperte die Sterbliche dann nachdenklich, bevor sie fast unsicher wieder zu Loki hinüber sah, als würde sie von ihm Zustimmung erwarten. Der Magier schmunzelte verhalten und hob gespielt überrascht eine Braue. Der Regen tropfte ihm inzwischen ungehindert ins Gesicht; in einer beiläufigen Bewegung zog er den schweren Umhang fester um sich. »Solche Worte aus dem Mund einer „Verfechterin der Wahrheit“?« Sie lachte leise und schüttelte den Kopf wohl über ihre eigenen Worte. »Ja…ich kann es auch kaum glauben, dass ich das eben gesagt habe. Aber die sachliche Wahrheit würde eurer Welt vielleicht den Zauber nehmen, doch gerade der macht sie doch so magisch und einzigartig…« Wieder sah sie zu Loki herüber. »Vielleicht sollten wir Menschen doch öfters einfach glauben, anstatt nach der logischen und wissenschaftlichen Erklärung einer Sache zu suchen…« murmelte sie kaum hörbar und Loki konnte erkennen, dass in ihren Augen einige Fragen entstanden, die sie sich vorher zu stellen wohl nie wirklich gewagt hatte. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wurde jedoch unterbrochen, als die kleine Gruppe unvermittelt stehen blieb. Loki zügelte seinen Hengst, da Fandral und Volstagg plötzlich angehalten hatten. »Was ist los?« zischte Loki und Fandral zuckte knapp mit den Schultern, wies aber mit dem Kinn in Richtung Thor, der sich an der Spitze des Zuges gerade von seinem Hengst schwang. Der Magier bedeutete der Sterblichen zu warten, dann lenkte er sein Pferd vorbei an Volstagg, um zu Sif und Thor zu gelangen. Dort sprang er ebenfalls aus dem Sattel; der Schlamm spritzte um seine Stiefel. Er trat an die Seite seines Bruders, der sich geduckt einem felsigen Vorsprung genähert hatte, von welchem man aus in das tiefer gelegene Tal hinabblicken konnte. Loki ging neben Thor in die Hocke und warf diesem einen fragenden Blick zu; der Donnergott hatte den Zeigefinger über die Lippen gelegt und wies dann mit einer knappen Kopfbewegung vor ihnen den Abhang hinab. Durch dichte Nebelschwaden und Regenschlieren konnte man dunkle Gestalten erkennen, die sich am Grund des Tales zwischen kargen Bäumen und Sträuchern bewegten. »Schwarzalben…« grollte Thor. »Was machen sie hier?« wisperte Sif nun zurück, während ihr der Regen ungehindert über die dunklen, streng zusammengebundenen Haare perlte, da sie ihre Kapuze zurückgeschlagen hatte. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie tatsächlich schon so weit vorgedrungen sind…« »Sie scheinen etwas zu suchen…« Loki hatte die Augen verengt und spähte angestrengt durch den dichten Regenschleier ins Tal. Tatsächlich bewegte sich die kleine Gruppe der Dunkelelfen sehr kontrolliert und präzise; einige trugen seltsame Gerätschaften in den Händen, womit sie die umgebenden Felswände zu untersuchen schienen. Trotzdem waren sie nicht gekleidet wie Forscher, sondern wie die Krieger, die sie waren - in silbern schwarze Rüstungen und schwere, dunkle Umhänge, unter denen ihre Waffen aufblitzen. »Mir gefällt es ganz und gar nicht, dass sie sich nun so frei zwischen unseren Welten bewegen können. Das macht es beinahe unmöglich, einen Angriff vorauszuahnen und abzuschätzen…« raunte Thor finster und verstärkte den Griff um Mjölnir. »Sollen wir angreifen?« Sif zog ihren noch zusammengefalteten Speer mit einem leisen Schaben aus der Halterung ihres Gürtels. »Nein.« Loki hielt die beiden mit einer knappen Handbewegung auf. »Wir sollten keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Vielleicht ist es besser, wenn sie nicht wissen, dass wir hier sind, so wie wir sie in dem Glauben lassen, dass wir sie noch nicht entdeckt haben. Das kann uns einen Vorteil verschaffen.« Der Magier sah seinen Bruder neben sich eindringlich an; der Regen bahnte sich unaufhörlich den Weg über die Züge des Donnergottes, verfing sich in dessen Bart und Haar, während die klaren Sturmaugen davon nicht beeinträchtigt schienen; Blitze zuckten in seinen Pupillen. Die Kiefermuskeln des Gottes spannten sich merklich an, sodass sie wie Klippen wirkten, an denen der Regen hängen blieb. Es widerstrebte Thor sehr, den Feind ziehen lassen zu müssen, der so uneingeschränkt durch ihre Lande - ihre Heimat - zog. Und Loki konnte diesen inneren Kampf seines Bruders durchaus nachvollziehen. Thor sah noch einmal ins Tal hinab, dann nickte er zögerlich. »Na schön...« Die drei wollten sich gerade vom Felsvorsprung zurückziehen, als Loki noch aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie die Schwarzalben am Grunde des Tales durch einen Riss zwischen den Welten scheinbar im Nichts verschwanden…und urplötzlich hinter ihnen wieder auftauchten. Beide Parteien schienen gleichermaßen überrascht über das unerwartete Zusammentreffen, doch die Dunkelelfen fingen sich wesentlich schneller wieder. Ihr Anführer bellte einen harschen Befehl über das Tosen des Regens, woraufhin sich die Elfen den Reitern auf den Pferden zuwandten. Fandral und Volstagg warfen geistesgegenwärtig ihre tropfnassen Umhänge von sich, die sie im Kampf nur behindert hätten, bevor sie sich aus ihren Sätteln schwangen und die Waffen zogen, um den ersten einstürmenden Dunkelelfen mit blanken Klingen zu begegnen. Hogun hatte sich zwischen der Sterblichen und den Angreifern platziert und schwang seinen Morgenstern vom Pferd aus, wenngleich das ein wahres Kunststück auf dem schmalen und vom Regen rutschigen Pfad darstellte. Die Stute des Kriegers drohte mehr als einmal im Schlamm abzurutschen, doch Hogun brachte sie immer wieder auf den Weg zurück, während er einem angreifenden Elfen gerade das Gesicht mit seinem Morgenstern zertrümmerte. Thor und Sif warfen sich nur einen knappen Blick zu, dann hatten sie in stillem Einverständnis ihre Waffen gezogen und attackierten die Gruppe der sich verbissen wehrenden Schwarzalben, die von Volstagg und Fandral auf den Abhang zugetrieben wurden. Loki rollte sich unter der herabsausenden Klinge eines Dunkelelfen zur Seite und warf diesen dann durch einen gezielten Tritt förmlich in Fandrals Degen, der die Klinge mit einem triumphierenden Lachen durch das Fleisch des Elfen bohrte. Der Magier rappelte sich auf dem rutschigen Untergrund wieder auf und bahnte sich an der kämpfenden Menge vorbei seinen Weg zu der Sterblichen, die am Ende des Zuges verängstigt auf ihrem Pferd saß; der Hengst spürte ihre Emotionen und schnaubte erregt, während er unruhig auf dem schmalen Pfad tänzelte und die Augen nervös in den Höhlen rollte, als sich einer der Elfen an Hogun vorbeischlich und die Menschenfrau entdeckte. Der Hengst scheute, als sich der Elf mit gezückten Waffen auf das Tier warf; er stieg wiehernd in die Höhe und drohte den Halt auf dem schlammigen Boden zu verlieren. Die Sterbliche krallte sich verbissen an ihren Zügeln fest und brachte es sogar fertig, den angreifenden Dunkelelfen mit einem gezielten Stiefeltritt zurücktaumeln zu lassen, bevor ihr Hengst erneut in die Höhe stieg. Loki war zu langsam; er wusste es bereits, als er bei dem Elfen ankam, der sich gerade wieder aufrappeln wollte, um erneut auf die Menschenfrau einzustürmen und diesem einen seiner Dolche in die Halsseite trieb. Wenn er seiner Magie habhaft gewesen wäre, hätte er verhindern können, was nun mit erschreckender Schnelligkeit geschah - Gwendolyn rutschte aus ihrem Sattel und stürzte den schlammigen Abhang hinab. Der Magier versuchte noch ihren Umhang zu erwischen, doch brach der aufgeweichte Boden unter seinen Stiefeln weg und er rutschte selbst hinter der Sterblichen die steile Böschung in Richtung Tal hinab. »Loki!« Der entsetzte Ruf seines Bruders folgte dem Magier nach, während er sich irgendwo festzuhalten versuchte, um seinen Sturz zu bremsen; Gwendolyn tat es ihm gleich und angelte nach vorbeirauschenden Wurzeln und Büschen, doch nichts versprach halt auf ihrem Weg hinab. Spitze Felsen tauchten im Nebel vor ihnen auf und Loki kam der Gedanke, dass dieser Ausflug sein letzter sein würde - aufgespießt und zerschmettert am Grund des Tals würde ein Gott also sein Leben aushauchen. Verbissen packte er einen Zipfel von Gwendolyns Umhang und zog die Frau in seine Arme; begegnete ihrem panischen Blick, während sie die Finger in seine Rüstung krallte. »Halt dich fest…« rief er ihr unnötigerweise über das Rauschen des Regens und das Pfeifen des entgegenstürmenden Windes zu, bevor sie über den Rand der Klippe stürzten und ins neblige Nichts fielen. Der Moment der Schwerelosigkeit war fast berauschend; ein Flug ohne Halt, losgelöst von allen Dingen flatterten ihre Umhänge wie aufgeschreckte Vögel im Wind. Loki drehte sich so, dass er die Sterbliche zumindest mit dem eigenen Körper beim Aufprall schützen konnte. Seine Knochen würden wahrscheinlich brechen und sein Körper zertrümmert werden, doch ein Gott wie er hatte zumindest die Chance, so einen Sturz zu überleben - auch wenn jene verschwindend gering war. Ein Mensch wie sie dagegen würde das nie überleben. Doch der erwartete Aufprall blieb aus. Sie fielen und plötzlich war es, als würde ihr Sturz durch eine weiche, undurchsichtige Membrane gebremst werden; ihre Körper sackten durch eine spürbare Grenze in der Luft und gleich darauf erreichten sie den Erdboden. Doch der Aufschlag war seltsam verzögert, als wären sie kaum ein paar Fuß tief gefallen; Lokis Rücken kollidierte unvermittelt mit warmen Untergrund und er quittierte das Ende ihres unfreiwilligen Fluges mit einem kleinen Ächzen, als die Sterbliche kurz darauf auf ihm landete. Loki blinzelte verwirrt in den Himmel über ihnen auf, der sich irgendwie ziemlich von jenem unterschied, der sie nun die letzten Tage ihrer Reise über begleitet hatte. Der Regen war unvermittelt versiegt und rötlich braune Wolken zogen an einem Himmel dahin, der das typische Blau gänzlich vermissen ließ; hier wölbte sich ein glutrotes Firmament über das Land, schwellende Feuer glitten in rauchenden Bahnen durch die vereinzelten Wolken und zogen ihre aschgrauen Linien über das satte Rot des Himmels. Eine beunruhigende Erkenntnis dämmerte dem Magier... Die Luft flirrte vor Hitze und wirkte beinahe wie ein Schock nach dem andauernden Regen der vergangenen Tage; die Feuchtigkeit ihrer Kleider begann bereits zu trocknen und sandte wabernde Dunstwolken aus ihren Umhängen. Gwendolyn richtete sich von Loki auf und sah sich irritiert um; auf ihren Zügen stand eine deutliche Frage neben verblüffter Ungläubigkeit geschrieben, bevor sie den Magier unter sich wahrnahm und mit erwachender Röte auf den Wangen von ihm in die Höhe stemmte. »Entschuldige…« murmelte sie leise und blieb verwirrt neben ihm hocken, während Loki sich nun selbst auf die Ellenbogen stützte und auf die Füße erhob »Wo sind wir hier…?« fragte die Sterbliche leise und zog die Finger ruckartig vom kargen, rissigen Boden zurück, da die heißen Steine ihre Handfläche verbrannt hatten. Der Magier sah sich aufmerksam um; eine felsige, zerklüftete Landschaft eröffnete sich rings umher und ließ den Horizont nur erahnen. Am Himmel zogen immer wieder flammende Glutbrocken vorbei, als würde ein Vulkan in der Nähe seinen feurigen Atem in die Welt spucken. Ein tiefes Grollen vibrierte unter ihren Stiefeln und ließ ein paar kleinere Steine aufgeregt über den Boden hüpfen. Die Luft war heiß und stickig, angefüllt mit Staub und dem unterschwelligen Aroma von Asche. Im Moment wirkte das plötzlich geänderte Klima vielleicht angenehm gegen die kühle Nässe, die in ihre Kleider gekrochen war, doch nach einer Weile würde die Hitze unerträglich werden… »Wir sind nicht mehr in Asgard, oder…?« Gwendolyns Blick glitt zu Loki und dieser schüttelte den Kopf. »Nein.« war die knappe Antwort des Magiers, der nun seinen schlammbespritzten, schweren Umhang abwarf. Gwendolyn war zu ihm herangetreten; ihre Finger klammerten sich um seinen Arm, nachdem ein undefinierbares, heiseres Kreischen irgendwo in der Ferne die brodelnde Stille durchbrochen hatte. »Wo sind wir hier…?« wisperte sie angespannt, wobei die Erkenntnis im Hauch ihrer Stimme zu erahnen war. Sie sah sich ängstlich um. »Muspelheim.« erwiderte er ruhig. »Wir müssen durch einen Riss zwischen den Welten gestürzt sein, was uns wahrscheinlich das Leben gerettet hat.« »Muspelheim?!« wiederholte sie erschrocken und hielt ihn am Arm zurück, als er sich schon zum gehen abwenden wollte. »Scheiße…ehrlich!? Die Welt der Dämonen…?!« Panik blitzte in ihren klaren Augen auf. Loki bettete ihr eine Hand auf der Schulter, um sie zu beruhigen. »Du solltest jetzt nicht so sehr an der Vorstellung der Menschen von Dämonen festhalten. Es scheint uns noch niemand entdeckt zu haben und wenn wir möglichst schnell den nächsten Durchlass zwischen den Welten finden wird das auch so bleiben. Also verhalten wir uns ruhig und brechen nicht in Panik aus.« raunte er ihr beschwörend entgegen, bevor er sie am Ärmel mit sich zog. »Komm mit. Wir müssen da hoch.« Er deutete das felsige Gebirge hinauf, an dessen Fuß sie gelandet waren. Sie mussten sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Loki hatte einen staubigen Pfad die nahen Klippen hinauf entdeckt, den sie nun erklommen. Der Magier wollte der Sterblichen keine Angst machen - was äußerst verwunderlich war, wenn man bedachte, wie sehr er vor geraumer Zeit die Angst der Menschen noch genossen hatte - daher hatte er in typischer Manier gelogen, um sie in Sicherheit zu wiegen. Die Wahrheit war - man hatte sie längst entdeckt. Loki spürte die Unruhe in den Mächten umher; das wachsame Aufbäumen unter den heißen Steinen der Erde. Neben allen Welten musste es sie unbedingt nach Muspelheim verschlagen. Diese Welt war eine der gefährlichsten; noch unschöner konnte wohl nur ein Besuch des Hel enden. Die Wesen Muspelheimes waren wenig vernunftbegabt; sie folgten ihren Instinkten, waren wilde, rohe Bewohner ihrer Welt, denen man nicht mit Logik oder Verhandlungen entgegenkommen konnte. Für sie war ihre Ankunft hier ein gefundenes Fressen - sie würden sich einen Spaß daraus machen, sie zu jagen. Die Luft wurde immer dünner und heißer, je höher sie kamen und jeder Atemzug brannte in der Lunge, doch Loki hastete verbissen den Weg hinauf. Sie mussten hier möglichst schnell wieder weg und hatten einfach keine Zeit für eine Rast. Immer wieder zog er die Sterbliche unerbittlich hinter sich her, wenn er sah, dass sie zurückblieb. Erschöpft und mühsam versuchte sie mit ihm Schritt zu halten. »Hoffentlich geht es den anderen gut…« wisperte sie irgendwann atemlos, während sie sich den steilen Pfad die zerklüfteten, scharfen Felsen hinaufkämpften. Der Magier presste die Lippen missmutig aufeinander. Offenbar hatte er so perfekt gelogen, dass sich Gwendolyn nun lieber Sorgen um seinen Bruder machen wollte als um sie hier in dieser gefährlichen Situation. »Die überleben das schon… Immerhin haben sie ja den mächtigen Thor bei sich.« gab er in bissiger Ironie zurück, bevor er die Felsen am Wegesrand abtastete, um einen möglichen Durchbruch der Grenzen zu erspüren. Die Sterbliche löste gerade ihren Umhang, da es darunter zu warm wurde und klemmte sich diesen unter den Arm, während nun statt Regentropfen Schweißperlen über ihre Stirn rannen und an ihrer Nase hängen blieben. Sie wischte sich mit einem Ärmel ihres Hemdes übers Gesicht. »Auch Thor ist nicht allmächtig.« erwiderte sie atemlos und ließ sich gegen einen abgerundeten Felsen im Rücken sinken, um einen Moment zu verschnaufen. »Warum bist du eigentlich immer so verdammt abwertend ihm gegenüber? Er ist kein Trottel und ein wirklich netter Kerl. Er würde niemals so abfällig über dich reden.« Loki fuhr zu Gwendolyn herum; die Hitze allein setzte ihm unter dem dichten Leder und Stoff seiner Kampfrüstung schon zu und nun raubten ihm auch noch die Worte der Frau den letzten Nerv. »Wenn du ihn so sehr magst, vielleicht wärst du dann ja jetzt lieber mit ihm hier gefangen?! Ich bin sicher, mein weiser Bruder würde Jahre brauchen, um euch hier herauszubringen, da er sich leider nicht so auf das Feingefühl der Mächte versteht. Aber vielleicht hättest du Glück und er würde euch den Weg mit Mjölnir durch den Stein prügeln.« zischte der Magier verächtlich. Die Züge der Sterblichen verfinsterten sich und sie sah ihn ärgerlich an, die Brauen kämpferisch zusammengezogen. »Ja, vielleicht wäre ich lieber mit deinem Bruder hier, denn der würde zumindest das Feingefühl besitzen, nach meinem Befinden zu fragen!« fuhr sie ihn unwirsch an. Erst jetzt fiel dem Magier auf, dass die Menschenfrau offensichtlich bald am Ende ihrer Kräfte war; ihre störrisch vorgeschobene Unterlippe zitterte und die Hitze hatte ihre Kleider vollkommen mit Schweiß durchnässt, sodass ihr der Stoff nun sicher unangenehm am Körper klebte. Sie war blasser noch als zuvor und dunkle, erschöpfte Schatten lagen unter ihren Augen. Der lange Ritt ohne Pause, der andauernde Regen und nun dieser Aufstieg in der Hitze Muspelheims...sie war eben keine Göttin. Unsinnigerweise machten sich seine Augen selbstständig; sein Blick glitt über die nun sehr sichtbaren Konturen ihres Körpers und er wurde sich seines trockenen Mundes überdeutlich bewusst. Ihr zierlicher, doch wohlgeformter Körper war beinahe zu detailliert für den Magier zu erahnen und er sog die brennende Luft durch bebende Nasenflügel ein. Der schmerzhafte Stich der Eifersucht meldete sich wieder. Sie gehörte ihm. Sie sollte Thor nicht ihm vorziehen. Niemals. »Entschuldige, Prinzessin, dass ich es nicht für so wichtig erachtete auf deine geschundenen Füße Rücksicht zu nehmen. Aber mir erschien es im Augenblick wichtiger, dass wir hier verschwinden, sonst ist dein Befinden nämlich bald unser geringstes Problem…« Loki griff nach ihr und wirbelte die Frau ruckartig zu sich herum, sodass er sie mit dem Rücken gegen sich pressen konnte. Ein Arm schlang sich um ihren Leib und hielt sie fest, während seine andere Hand ihr Kinn packte und auf den Anblick zwang, den Loki einige Zeit zuvor bereits entdeckt hatte. Die plötzliche Nähe zu ihr sollte er in dieser Situation wahrscheinlich nicht so genießen, allerdings tat er es trotzdem. »Wir werden schon eine Weile verfolgt…« raunte er nah an ihrem Ohr. Seine Lippen streiften unbeabsichtigt ihre Haut und er versuchte das Gefühl zu ergründen, was diese feine Berührung in ihm auslöste. Sie erbebte in seinen Armen, doch entgegen seiner Erwartung drängte sie nicht weg von ihm, sondern grub die Finger in seinen Arm, als befürchtete sie eher, dass er sie wieder loslassen könnte. »Oh Gott…« hauchte sie schwächlich, als sie der Gestalten am Fuße des Berges gewahr wurde, die ihre Verfolgung aufgenommen hatten. Wie eine winzige Flut aus Insekten krochen die undeutlichen Schemen in der Ferne über Felsen und Steine; Krallen, Flügel und Hörner verschwammen in der flirrenden Hitze zu einer einzigen, dunklen Masse, die sich wie ein grotesker Tausendfüßler den Berghang zu ihnen hinauf schlängelte. Am Horizont spie ein Vulkan tatsächlich seine feurige Schlacke in die Höhe und verdunkelte den Himmel zunehmend durch eine dichte Aschewolke, die unheilvoll heranzog und in deren hoch aufgetürmten Feldern aufgeladene Blitze zuckten. Die Ausläufer eines Bebens erreichten nun ihren Berghang und lockerten faustgroße Felsenstücke, die geräuschvoll den Abhang hinabrollten. »Warum hast du denn nicht….vorhin hast du gesagt, man hätte uns noch nicht entdeckt! Du hast gelogen!« stieß Gwendolyn jetzt aus und wandte sich in seinen Armen um, sodass sie ihn direkt ansehen konnte. Er entdeckte den Funken von Scham in ihren Augen; offensichtlich war es ihr nun peinlich, dass sie sich über seine rücksichtslose Art beschwert hatte. »Was hätte es gebracht, wenn du Angst hast?« gab er ihr forsch zurück und ließ sie aus seiner Umarmung, die er viel zu lange aufrecht erhalten hatte. Sie zog die Brauen skeptisch zusammen. »Du hast das aus Rücksicht auf mich verschwiegen?!« fragte sie ungläubig. Loki hätte fast ein frustriertes Schnauben ausgestoßen. Offensichtlich hielt ihn wirklich jeder für selbstsüchtig und keiner traute ihm zu, dass er nur einmal aus rücksichtsvollen Motiven handeln könnte - nicht einmal die Sterbliche. Wahrscheinlich hätte ihn das nicht wundern und schon gar nicht enttäuschen sollen, doch irgendwie hatte er anscheinend gehofft, dass zumindest sie eine bessere Meinung von ihm haben könnte. »Nein. Aber deine Panik hätte uns auch nicht geholfen.« Ein weiteres Beben unterbrach sie in ihrem Gespräch; wesentlich intensiver als das zuvor. Sie wurden regelrecht auseinander geschleudert, während sich der Boden aufbäumte wie ein bockendes Pferd gegen seinen Reiter. Gwendolyn schlug hart auf dem Boden auf und auch Loki donnerte unvermittelt gegen die Felswand im Rücken, sodass ihm der Aufprall den letzten Rest an Atem aus den Lungen trieb. Das war gar kein weiteres Erdbeben… Vor ihnen begann sich der Felsen zu bewegen; ungläubig beobachteten der Magier und die Sterbliche, wie der Boden zum Leben erwachte. Unter dem nun zerbröselndem Stein kam schuppige Haut zum Vorschein, gefolgt von ledernen Schwingen, die mit einem Ruck in die Luft schossen und sich in einem tosenden Geräusch entfalteten. Loki hastete zu der erstarrten Frau hinüber und zog sie hektisch auf die Füße. »Wir sollten jetzt schleunigst hier verschwinden.« Er zerrte sie schon fast hinter sich her, da sie mit offenem Mund und ängstlich geweiteten Augen an dem Schauspiel hing und sich scheinbar gar nicht davon losreißen konnte. »Sag mir nicht, dass das ist, was ich denke, dass es ist…« stammelte sie entsetzt. »Gut, welche Lüge willst du stattdessen hören?« Loki zog die Frau über den aufbrechenden Boden vorwärts; sie stolperten und schwankten über die bebenden Felsen und Steine, die sich wie das Meer wellenartig bewegten und sie immer wieder umzustoßen drohten. Ein ohrenbetäubendes Brüllen wurde hinter ihnen laut; ein monströses Fauchen, welches das gesamte Gebirge erzittern ließ. Haushohe Felsen lösten sich aus dem Berghang und stürzten an ihnen vorbei in den Abgrund; immer wieder riss Loki Gwendolyn zu sich heran, um die Frau vor herabstürzenden Steinen zu schützen. Sie täten jetzt wirklich gut daran einen weiteren Durchgang zurück nach Asgard zu finden, denn sonst konnte ihre Reise hier bald ein ziemlich unschönes Ende nehmen. »Lauf!« schrie Loki, bevor ein goldfarbener Flügel die Felsen über ihnen traf. Eilig erklommen sie den schmalen Pfad weiter, der kaum noch als solcher zu erahnen war, da das berstende Gebirge die Landschaft in rasender Geschwindigkeit umgestaltete. Vermehrt mussten sie tiefe Schluchten überspringen, die sich urplötzlich vor ihnen im Stein bildeten, während ein bedrohliches Krachen ihnen auf Schritt und Tritt folgte. Gwendolyn und Loki wandten gleichzeitig die Köpfe, um das furchterregende Bild zu erblicken, dass sich ihnen bot - hinter ihnen schlängelte sich ein massiger, geschuppter Körper den Berg hinauf, lederne Schwingen auf dem Rücken, deren Spannweite wahrscheinlich fast die Hälfte Gladsheims hätte bedecken können. Ein mächtiger, spitzer Kopf mit glühenden Reptilienaugen erhob sich auf einem schlanken Hals, unter mannshohen Nüstern schwellte das Feuer Muspelheims. Ein Feuer, welches der Wyrm nun mit einem Brüllen anfachte, den Schlund mit schwertscharfen Zähnen aufriss und die Klauen in den zerbröselnden Stein grub, um sich Halt zu sichern. Der Flammenstoß zischte um Haaresbreite an ihnen vorüber, als Loki und Gwendolyn das Hochplateau erreichten, welches die Spitze des Berges darstellte; fauchend schoss das Feuer den Weg herauf, den sie eben gekommen waren, während sie sich über die Kante rollten und auf der Ebene in Sicherheit brachten. In eine trügerische Sicherheit, denn von hier gab es kein Entkommen… Hustend stemmte sich die Sterbliche neben Loki wieder auf die Füße, die Kleider zerrissen und staubig, Ruß im Gesicht, welcher einen herben Kontrast zu ihrer blassen Haut und den hellen, ängstlichen Augen bildete. »Wohin jetzt…? Loki…wohin?« Sie drehten sich beide im Kreis, doch von hier gab es keinen Weg weiter. Frustriert betrachtete Loki die Fesseln um seine Handgelenke; so war er hilflos, so unnütz - wenn er seine Magie zur Verfügung gehabt hätte, so wäre ihnen die Flucht mit Sicherheit nicht so schwer gefallen. »Verdammt…« fluchte der Magier ungehalten und fuhr sich mit beiden Händen durch das nun wirre Haar. Sie mussten hier weg. Sie mussten… Er hielt inne. Was war das? Irgendwo in der Nähe befand sich ein Durchgang zwischen den Welten; er konnte den Riss in den Mächten beinahe spüren, fühlte die aufgestaute Energie, die wie ein geteilter Fluss um einen hoch aufragenden Felsen floss. Das Donnern des Wyrm kam näher; der Berg erzitterte unter seinem mächtigen Körper und dem ohrenbetäubenden Brüllen, welches die Steine erbeben ließ. Die Spitzen der ledernen Flügel tauchten bereits über dem Vorsprung auf, ebenso wie eine gewaltige Klaue, die sich in die Kante des Plateaus hakte. Loki packte Gwendolyn am Handgelenk und zog sie mit sich, fort von dem Wyrm zur entgegengesetzten Klippe des Berges; hier fiel das Gebirge steil unter ihnen ab und verlor sich in der Tiefe zwischen scharfen Felsvorsprüngen und einem brodelnden Lavafluss, dessen Glut bis hier oben zu spüren war. Der heiße Wind pfiff den Abhang herauf und blies ihnen seinen flirrenden Atem ins Gesicht; die Sterbliche stolperte entsetzt zurück, doch Loki hielt sie bestimmt fest. »Wir müssen springen!« schrie er über das Fauchen des Wyrm, dessen gewaltiger Kopf eben über der Kante des Berges erschien. Die glimmenden Augen des Wesens erfassten sie und die riesigen Nüstern blähten sich unter dem Duft der sicher geglaubten Beute. »Was?! Nein…nein…oh bitte…ich kann nicht…ich kann nicht…« wimmerte Gwendolyn panisch und stemmte sich gegen seinen Griff, bevor sie sich verzweifelt des schuppigen Wesens bewusst wurde, dessen Zähne schon nach ihrem Fleisch gierten. »Loki….bitte…« Der Magier zog die Frau entschieden an sich und zwang sie, ihn anzusehen, während der heiße Wind ihm die dunklen Strähnen ins Gesicht trieb. »Vertrau mir. Hörst du?« Er schüttelte sie leicht, hielt ihre Oberarme fest umfangen, während ihr angstgelähmter Blick beinahe flehend an seinem Gesicht hing. »Du musst mir jetzt vertrauen. Wir müssen springen. Alles wird gut. Glaub mir.« sprach er beschwörend mit einer Versicherung in der Stimme, die er selbst kaum empfand. Wenn er sich irrte, so würde das ihr Ende sein. Unwiderruflich. Er durfte sich einfach nicht irren. Gwendolyn holte zitternd Luft, bevor sie schwach nickte und in einer ihr so typischen Geste die Lippe zwischen die Zähne zog. »Okay…« Er schlang einen Arm um sie und trat den letzten Schritt an die Klippe heran, bereit zu springen, bevor das eindringliche Wispern der Sterblichen ihn aufhielt. »Loki…« Er sah zu ihr hinüber, spürte bereits den Sog der Tiefe und das gründliche Atemholen des Wyrm hinter ihnen, als die Frau unvermittelt eine Hand ausstreckte und ihn am Kragen seines Mantels zu sich herunterzog. Das nächste, was er fühlte, waren ihre Lippen auf den seinen - ein verzweifelter, kurzer Kuss und doch lag ein Versprechen in ihm, Hoffnung und Vertrauen. Der Magier ließ diese Berührung völlig verblüfft über sich ergehen; sein Blick begegnete dem ihren über ihre verbundenen Lippen hinweg. Sie schien nicht minder überrascht über ihr forsches Handeln, ihre hellen Augen glichen riesigen, schimmernden Teichen, in denen Ungläubigkeit schwamm - für die Weile eines fallenden Sandkornes waren sie Eins im Strudel der Zeit. Ihr Kuss war flüchtig gewesen, kaum als innig zu bezeichnen; sie löste die Berührung schneller als sie sie begonnen hatte, sodass Loki sich nach dem nächsten Wimpernschlag kaum sicher war, ob es tatsächlich stattgefunden hatte. Sein Innerstes bestand plötzlich nur noch aus einem Durcheinander von Empfindungen, die er in diesem chaotischen Moment nicht mehr zu ordnen vermochte; der flammende Atem des Wyrm rollte zu ihnen heran, gab keine Zeit mehr zum nachdenken und so packte er die Sterbliche fester und sprang mit ihr in die Tiefe. Der Erdboden rauschte ihnen entgegen; rasend schnell sanken sie in die Tiefe, während das wütende Brüllen des Wyrms über dem Berggipfel erscholl und eine Säule aus Flammen ihnen nachfolgte. Loki verspürte das vertraute Ziehen am Körper, welches ihren Fall bremste und ihn wie durch Watte sinken ließ. Im nächsten Augenblick schon wurde ihr Sturz durch regennassen, nachgiebigen Waldboden gedämpft, der ihren Aufprall mit einem dumpfen Platschen quittierte. Wie zuvor landete Loki als erster auf dem Rücken, bevor die Sterbliche auf ihn fiel; hinter ihnen folgte ein Schwall heißen Atems nach, der jedoch im andauernden Regen Asgards verlosch. Ihre schwelende Kleidung wurde zischend durch die tosenden Tropfen gelöscht, sodass von ihren beiden Körpern dunstige Schleier aufstiegen. Gwendolyn lag zuerst regungslos auf Loki, sodass er in ungewohnter Sorge einen Arm hob und sie berühren wollte. Doch da erbebte ihr Körper schon auf ihm; das Gesicht hatte sie gegen seine Brust gedrückt und ihr Haar breitete sich wie ein chaotischer Feuersturm über sie beide aus. Im ersten Moment dachte der Magier, dass sie weinen würde und bettete ihr zaghaft eine Hand auf der Schulter, doch im nächsten Augenblick hob sie das Gesicht an und…lachte?! Hatte sie jetzt den Verstand verloren? »Verdammt…wir leben tatsächlich noch…?!« stieß sie zwischen beinahe hysterischen Lachern aus. »Ich glaub das nicht….oh Gott…das ist alles so verrückt…es hat tatsächlich geklappt…« Sie schüttelte den Kopf, während der Regen wieder ungebremst über ihr gerötetes Gesicht lief und von ihrem Kinn tropfte. »Ich schwöre es… nach diesem ganzen Mist hier werde ich entweder verrückt oder mache doch noch eine Story daraus und gewinne damit den Pulitzer-Preis…« Ihre leuchtenden Augen suchten seinen Blick und er erkannte Erleichterung darin; eine grenzenlose Erleichterung und tiefe Demut gegenüber dem Schicksal - abermals hatte sie sich aus den Fängen des sicher geglaubten Todes befreit. Ihr Kopf sank wieder auf seine Brust und sie krallte die Finger in den Stoff seiner Rüstung, während sie sich zu beruhigen versuchte; Loki ließ ihr die Zeit, das Erlebte zu verarbeiten - der Regen rauschte monoton zu Boden und überlagerte alle Schrecken mit seinen reinigenden Tropfen, die den Schmutz und den Staub Muspelheims davonwuschen. »Alles in Ordnung bei dir? Bist du verletzt?« raunte Loki nach einer Weile, die er sich selbst gegönnt hatte, um Atem zu schöpfen. Doch sie durften nicht verweilen, da jederzeit Dunkelelfen oder schlimmeres auftauchen konnte. Sie mussten die anderen wiederfinden. Gwendolyn hob das Gesicht an und dem Magier wurde bewusst, wie nah sie sich waren; die Erinnerung an diesen flüchtigen Kuss blitzte auf und ließ ihn die Hand heben, um in einer ungeplanten Geste über ihre schmutzige Wange zu streichen. Sie schmiegte sich ihm mit einem winzigen Seufzen entgegen und nickte verhalten. »Ja, alles gut…mir fehlt nichts…dank dir. Wieder mal.« Ihre Lippen kräuselten sich zu einem sachten Schmunzeln. »Lassen wir das lieber nicht zur Gewohnheit werden. Deine Schuld wird sonst irgendwann erdrückend.« quittierte er ihre Worte in gewohnt süffisantem Ton, um diese seltsame Intimität zwischen ihnen zu unterbrechen, die ihn recht nervös machte. Ihre Gesichter schwebten erneut nur unweit im Regen voreinander und Loki kam der absurde Gedanke, dass er ihre Lippen erneut auf seinen spüren könnte…es vielleicht sogar wollte… Sie hob eine Braue und schlug mit ihrer Stimme einen neckenden Klang an: »Ich erinnere mich an deine Worte, die mir versicherten, dass du mein Leben eigentlich nicht oft genug retten kannst, um Sühne für meinen Mut zu tun. Damit habe ich ja wohl noch ein paar mal frei, oder…?« Sie neigte den Kopf leicht und zeigte ein verhaltenes Grinsen, während sich Loki ihrer Finger gewahr wurde, die sich völlig unbemerkt auf seiner Brust nach oben geschoben hatten und nun beinahe an seiner Wange weilten. Ihre Blicke verhakten sich ineinander und keiner wollte den anderen aus den Augen lassen; erneut baute sich ein eigenartig magischer Moment zwischen ihnen auf - ein Moment, in dem sie sich beide an den Kuss erinnerten, der aus einem Impuls heraus geschehen war. Gwendolyn zog daraufhin die Unterlippe zwischen die Zähne; Loki verspürte die gleiche Unsicherheit, die sie einnahm. Natürlich hatte er auch seine körperlichen Erfahrungen mit Frauen gemacht, doch war dies meist nur eine kurzweilige Vergnügung gewesen, derer er am Ende nicht wirklich viel abgewinnen konnte gegenüber seinen Studien und Wissenschaften. Die Leidenschaft, das gierige Verlangen nach einer Frau hatten ihm stets gefehlt; keine hatte dieses Feuer in ihm je wirklich erwecken können. Jetzt allerdings… »Ich habe sie gefunden! Sie sind hier!« durchbrach plötzlich Volstaggs dröhnende Stimme die rauschende Monotonie des Regens und die angespannte Stille zwischen ihnen; erschrocken standen sie auf und lösten sich fast hastig voneinander, als hätten sie etwas zu verbergen, wo es doch gar nichts zu verstecken gab. Volstagg und Fandral brachen durch das Unterholz, gefolgt von Thor, Sif und Hogun, die die Pferde mit sich führten. »Bruder…« Unvermittelt fand sich der Magier in einer festen Umarmung des Donnergottes wieder, die er steif über sich ergehen ließ. »Bei allen Welten, ein Glück - ihr seid wohlauf. Wir suchen euch schon seit Stunden…« »Wir sahen euch noch über die Klippe stürzen und dann einfach verschwinden…« begann Sif, die sich Gwendolyn zugewandt hatte, um nach deren Befinden zu sehen. »Wo seid ihr nur gewesen…?« Alle Augen richteten sich auf die noch immer schwelenden Kleider der beiden Vermissten. Fandral zupfte am rußgeschwärzten Hemd der Sterblichen und Loki hätte ihn dafür am liebsten augenblicklich die Finger abgeschnitten, da Gwendolyn ihren Umhang auf der Flucht verloren hatte und ihr Körper nun durch den Regen erst recht deutlich sichtbar unter dem Stoff lag. »Sieht mir fast nach Muspelheim aus.« mumaßte der blonde Krieger altklug. Sif breitete rücksichtsvoll ihren Umhang um die schmalen Schultern der Sterblichen und die schenkte der Kriegerin ein dankbares Lächeln. »Wo wart ihr?« hakte nun auch Thor nach. »Später.« wiegelte Loki ab. »Die Dunkelelfen…?« fragte er seinen Bruder und wandte sich aus dessen Umarmung, froh darüber, wieder tief durchatmen zu können. Außerdem war es recht befremdlich, Thor nach all der Zeit und den Geschehnissen wieder so vertraut nah zu sein. »…sind alle erledigt. Die werden keine Meldung mehr an ihren Anführer machen können.« versicherte der Donnergott und reichte Loki die Zügel seines Hengstes, nachdem Hogun mit den Pferden näher herangetreten war. »Trotzdem sollten wir jetzt weiter.« meldete sich der dunkelhaarige Krieger zu Wort und blinzelte gegen den Regen an, so er das Haupt hob und in den stahlgrauen Himmel sah. »Hier können jederzeit wieder Dunkelelfen auftauchen, die irgendwann mit Sicherheit nach ihren vermissten Gefährten suchen werden.« »Wir brauchen eine Rast…« hielt Loki Thor an der Schulter zurück, der sich gerade auf sein Pferd schwingen wollte. »Sie braucht eine Rast.« Der Magier deutete unauffällig mit einem Nicken auf die Sterbliche, der Sif gerade in den Sattel half. »Und uns würden ein paar Stunden Schlaf und etwas zu essen auch nicht schaden.« »Ein wahres Wort aus deinem Mund!« Eine schwere Hand klopfte Loki auf die Schulter; Volstagg trat an seine Seite und blickte Thor an. »Ich gebe es ungern zu, aber dein schwachsinniger Bruder hat Recht. Wir müssen uns ausruhen.« Der stämmige Krieger erntete von Loki einen herablassenden Blick, der mit hochgezogener Braue auf Volstaggs mächtige Körpermaße sah. »Dein Begehr ist sicher weniger der Schlaf…« raunte er kühl und wischte die Hand des Riesen von seiner Schulter. Im Brustton der Überzeugung erwiderte der rotbärtige Krieger ein empörtes: »Niemals!« während Fandral hinter ihm in haltloses Gelächter ausbrach. »Volstagg, du bist überführt!« »Ich meine mich zu erinnern, dass es in der Nähe ein altes Gasthaus gibt.« warf Hogun in das Gespräch ein. »Es liegt fast auf unserem Weg, kaum ein paar Stunden zu Pferd entfernt.« »Dann ist dies unser Ziel.« entschied Thor und stieg auf sein Pferd, welches warme Atemwolken in die regenschwere Luft blies. Er dirigierte dem Hengst am Zügel die Richtung und trabte zu Gwendolyn und Sif hinüber, um sie ebenfalls über ihr Vorhaben zu informieren. Loki landete nun ebenfalls in seinem Sattel und folgte der Gruppe, die sich den Weg zurück auf den steinigen Pfad des Berges bahnte. Unnötigerweise fiel ihm auf, dass die Sterbliche seinen Blick plötzlich bewusst zu meiden schien; sie unterhielt sich leise mit Sif und erzählte ihr wohl von dem Erlebten, während sie bemüht nicht in seine Richtung sah. Loki schnaubte abfällig und trieb sein Pferd an die Spitze der Gruppe neben Thor. Sollte einer die Frauen verstehen… Das versprochene Gasthaus tauchte am Abend im Regenschleier vor ihnen auf und lud mit hell erleuchteten Fenstern zu gemütlichem Feuer und trockener Unterkunft ein, was Gwen ein verstohlen erleichtertes Seufzen ausstoßen ließ. Ein paar Pferde standen bereits in einem kleinen windschiefen, aber trockenem Verschlag, der sich an das Wirtshaus schmiegte und kauten dort zufrieden ihr Heu. Der Schornstein des doppelstöckigen, bäuerlichen Hauses rauchte tapfer gegen den prasselnden Regen und aus einem geöffneten Fenster drang der köstliche Geruch nach Bratenfleisch und Brot zu ihnen heran. Erschöpft stiegen sie alle aus ihren Sätteln; Hogun und Thor brachten die Pferde in den kleinen Stall hinüber, während sich Volstagg bereits die Nase an einem der Fenster platt drückte, um einen Blick auf das angebotene Essen zu erhaschen. Gwen schwankte auf ihren zittrigen Beinen und spürte unvermittelt eine warme Hand an der Schulter, welche sie aufrecht hielt. Lokis große, schlanke Gestalt war neben ihr erschienen; seine grünen Augen blitzten aus dem Schatten seiner tropfnassen Kapuze. »Alles in Ordnung?« drang sein samtiges Raunen an ihr Ohr und verschaffte ihr neben dem Regen, der ihr über den Rücken rann einen weiteren Schauer, der durch ihren Körper rollte. »Es geht schon…« murmelte sie abwehrend und entzog sich seiner Hand fast fluchtartig, indem sie zur Tür des Gasthauses hinüber schritt; zwar schwächlich schwankend und mehr als einmal drohte sie im Schlamm auszurutschen, doch sie schaffte den Weg von vielleicht fünf Schritten mit dem beachtlichen Kunststück zumindest nicht der Länge nach in den Schlamm zu fallen. Ihre Knochen fühlten sich wie zu Brei zermahlen an, von ihrem Hintern ganz zu schweigen, der eindeutig genug von der Reise zu Pferd hatte; sie fror erbärmlich unter ihren völlig durchweichten Sachen und schlang den tropfnassen, schweren Umhang in einer nutzlosen Geste enger um sich. Sie konnte Loki kaum mehr in die Augen sehen. Nicht nachdem ihr das Erlebnis auf der Klippe so richtig bewusst geworden war… Was zur Hölle hatte sie sich nur dabei gedacht? Wie hatte sie ihn einfach so küssen können? In jenem Moment in Muspelheim hatte sie es irgendwie noch für eine gute Idee gehalten. Immerhin hatten sie an der Schwelle zum vermeintlichen Tod gestanden und Gwen hatte definitiv nicht sterben wollen, ohne die Lippen des Magiers gekostet zu haben; ohne zumindest einen Hauch von dem zu schmecken, was sie die ganze Zeit über bereits so unerbittlich gelockt hatte. Allerdings hatte sie sich mit diesem mehr als flüchtigen Kuss, der eher das hektische Aufeinanderpressen ihrer Lippen gewesen war, erst recht ins Aus manövriert. Denn wo sie zuvor vielleicht noch dem Glauben erlegen war, dass ihr diese kleine Kostprobe reichen könnte, um sie davon zu überzeugen, dass dieser Mann ganz gewiss nicht den Reiz hatte, welchen er auf sie ausübte, so musste sie sich nun das Gegenteil eingestehen. Dieser winzige Augenblick hatte bereits gereicht, um ein Feuer in ihr zu entfachen, welches ihr in seiner Intensität völlig unbekannt war. Sie wollte den Prinzen wieder küssen - wollte mehr kosten und spüren; seine Lippen, seine Zunge, seine Hände, seine Haut… »Scheiße…« murmelte sie fast verzweifelt und ließ den Kopf kraftlos gegen die hölzerne Tür des Gasthauses sinken. Sie hatte doch wahrlich genug Probleme, da konnte und wollte sie sich nicht noch mit diesen widerstreitenden Gefühlen für einen Mann auseinandersetzen müssen, der viel zu präsent in ihren Gedanken war, als das sie ihn einfach so vergessen könnte. Sie musste diese Sehnsüchte ganz dringend wieder loswerden. »Du hast anscheinend immer noch nicht gelernt, wie man eine Tür öffnet.« riss sie Lokis Stimme unvermittelt aus ihren Gedanken und sie stolperte haltlos in den Gastraum, da der Prinz die Tür des Wirtshauses einfach geöffnet hatte und ihr ein kühles Schmunzeln schenkte, als sie ihn dafür böse anfunkelte. Hinter ihr stürmten Volstagg und Fandral sogleich in die Gaststube und brachten einige der anwesenden Gäste mit ihrer Präsenz dazu, ihr Mahl zu unterbrechen und sich zu den Neuankömmlingen umzudrehen. Volstagg sog die Luft geräuschvoll in die Lungen und hielt sich den mächtigen Bauch, bevor er entschlossen zur Theke hinüber schritt, hinter der der Wirt eben im Gläserpolieren innegehalten hatte und seinen neuen Besuchern abschätzend entgegen sah; offenbar war er nicht sicher, ob er einen Überfall oder das Geschäft seines Lebens zu erwarten hatte. »Wirt, bringt Essen für mich und meine Freunde.« Ein gut gefüllter Goldsack landete klirrend auf dem abgewetzten Holz der Theke, was nicht nur den Wirt mit großen Augen dazu veranlasste, die unbekannten Neuankömmlinge genauer in Augenschein zu nehmen. Die anwesenden Gäste steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. »Aber bitte frisch und ausreichend.« fügte Volstagg bestimmt an. Als letzte betraten Hogun, Sif und Thor die Gaststube und schlossen die Tür hinter sich wieder, um das miese Wetter auszusperren. Ein prasselndes Kaminfeuer verbreitete heimelige Wärme und die rustikale Umgebung des Wirtshauses hatte etwas Uriges und Gemütliches. Die kleine Gruppe nahm in einer Ecke des Raumes an einem runden Tisch Platz und der Wirt tafelte wirklich großzügige Mengen an Fleisch, Brot, Suppe, Obst und Wein vor ihnen auf, sodass die Gefährten die ersten Momente schweigend damit verbrachten, ihren Hunger zu stillen. Nachdem der erste Hunger gestillt war, fragte Thor erneut nach, wo sie gewesen waren und Loki und Gwen erzählten in knappen Worten, wie sie nach Muspelheim gelangt waren und was ihnen dort widerfahren war. Natürlich ließen sie beide eine gewisse Stelle am Ende ihrer Reise bewusst aus… »Da kannst du ja wirklich von Glück reden, dass du dort mit meinem Bruder gelandet bist, Gwen.« Thor klopfte ihr gutmütig auf die Schulter. »Ich hätte den Weg zurück gewiss nicht so schnell gefunden. Loki ist ein Meister in solchen Dingen.« Der Magier hob bedeutsam eine Braue und begegnete ihrem Blick über den Tisch hinweg, Gwen allerdings verkniff sich eine Antwort dazu, sondern hob hastig den Metbecher an ihre Lippen. Das süße, schwere Getränk floss träge ihre Kehle hinab und breitete angenehme Wärme in ihren Gliedern aus; nach der langen Kälte eine Wohltat. Fandral winkte den Wirt zum Tisch heran, nachdem sie sich alle satt und zufrieden zurückgelehnt hatten. »Herr, wie steht es mit Zimmern für die Nacht in Eurer bescheidenen Unterkunft?« Der glatzköpfige, korpulente Mann rang ein Geschirrtuch nervös zwischen den Händen und verneigte sich demütig vor der kleinen Gesellschaft, die ihm wahrscheinlich mehr Umsatz an einem Abend eingebracht hatte, als er in einem ganzen Monat einnahm. »Verzeiht, ich habe leider nur noch drei meiner Unterkünfte für die Nacht zur Verfügung stehen.« Unsicher blickte der Wirt in die Runde. »Die Betten sind allerdings ausreichend, so sich vielleicht jeweils zwei ein Nachtlager teilen möchten…« schlug er vorsichtig vor. »Leider kann ich nicht jedem ein eigenes Zimmer anbieten.« Offensichtlich hatte er weder Thor, noch Loki oder die anderen erkannt, was wahrscheinlich gar nicht so verwunderlich war, wenn man die Größe Asgards bedachte. Die kleineren Bauern und Wirte aus weiter entfernten Regionen hatten die Königsfamilie wahrscheinlich noch nie im Leben gesehen. »Das ist kein Problem. Habt Dank, werter Herr.« beruhigte Fandral den Mann wohlwollend und entließ ihn mit einem Nicken zurück hinter seine Theke. Kein Problem?! Gwen sah da schon ein Problem. Sie würde sich sicher nicht mit Fandral oder Volstagg ein Bett teilen. Ganz ausgeschlossen. Am Ende wurde entschieden, dass die Tapferen Drei zusammen ein Zimmer beziehen würden; da sowieso jeweils einer Wache die Nacht über halten sollte, konnten sie sich so beim Schlafen abwechseln. Außerdem hatten die Männer wohl schon öfter auf engem Raum zusammengelebt, was wahrscheinlich nicht verwunderlich war, wenn man zusammen in den Kampf ritt. Sif schlug Gwen vor, dass sie sich ein Zimmer teilen könnten und Gwen nahm das Angebot der Kriegerin dankbar an; eine Nacht auf so engem Raum mit Loki hätte ihr flatterndes Nervenkostüm jetzt sicher nicht ausgehalten. Sie mochte ihn - ganz ohne Frage hatte sie ihn und seine Gegenwart irgendwie schätzen gelernt, trotz seiner oft arroganten und egoistischen Art, doch traute sie sich in Hinsicht auf den Magier selbst nicht mehr wirklich über den Weg. Er hatte bereits seit dem ersten Augenblick eine seltsame Schwäche in Gwen heraufbeschworen, eine tiefe Sehnsucht, die sie bisher erfolgreich verdrängt hatte; bis zu diesem Augenblick auf der Klippe in Muspelheim… Gwen verabschiedete sich bald schon nach dem Essen aus der Runde, was zwar ein enttäuschtes Raunen unter den Asen wach werden ließ, doch schlussendlich verstanden die Männer wohl, dass sie einfach ihre Ruhe bräuchte. Nur Loki saß schweigsam am Tisch und nippte an seinem Getränk, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, als sie ging. Müde stieg sie die wenigen Stufen zu den Unterkünften hinauf und schloss die Tür ihres Zimmers hinter sich, nur um kurz dort zu verweilen, erschöpft an das Holz im Rücken gelehnt und die Augen geschlossen. Dann rappelte sie sich mühsam auf und durchquerte das kleine, aber gemütliche Zimmer, um im abgetrennten Badbereich ihre schlammige und noch immer feuchte Kleidung abzulegen. Da sie keine weiteren Sachen dabei hatte, warf sie ihre schmutzigen Klamotten in die kleine Dusche und kümmerte sich zuerst einmal darum, dass die wieder in einen tragbaren Zustand kamen. Sie schrubbte die Sachen sauber und hing sie dann im Raum verteilt zum Trocknen auf. Da der Kamin der Wirtsstube wohl die gesamten Zimmer durch verzweigte Schächte mit Wärme versorgte, war es auch hier drinnen angenehm warm, obwohl der Regen unablässig weiterhin wütend an das kleine Fenster trommelte. Nachdem Gwen ihre Kleidung notdürftig gereinigt hatte, war es endlich an der Zeit, dass sie sich ihrem eigenen, zweifelhaften Zustand widmete. Aufseufzend stellte sie sich unter den warmen Wasserstrahl und ließ das angenehme Nass eine ganze Weile einfach auf Kopf und Rücken prasseln, während alle Ängste, Sorgen und Gedanken zumindest für den Moment wie der Schmutz von ihr abgewaschen wurden, um gurgelnd im Abfluss zu verschwinden. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie regungslos unter der Dusche stand, doch irgendwann vernahm sie das Geräusch der Tür, was sie munter werden ließ. »Ich bin gleich fertig.« rief sie nach draußen und angelte nun endlich nach der Seife, um sich und ihr Haar zu waschen. Sif würde eine Dusche gewiss auch nicht ausschlagen und Gwen hatte diese nun wirklich lang genug besetzt. Sie stellte das Wasser ab und zog ein Handtuch zu sich heran, womit sie zuerst ihre Haare trocknete, bevor sie sich darin einwickelte und barfuß wieder hinüber in den Schlafbereich tapste. Dort blieb sie allerdings erstarrt im Durchgang stehen und zog das Handtuch sofort enger um sich, was nur recht notdürftig ihre Rundungen verdeckte. »Was machst du denn hier?!« stieß sie entgeistert aus. Loki saß seelenruhig auf dem Bett und schnürte seine Stiefel eben auf, um sie auszuziehen. Er blickte nur kurz auf, als sie eintrat, bevor er sich wieder den komplexen Verschlüssen seiner Schuhe widmete. »Wonach sieht es denn aus? Ich will mich waschen und dann schlafen.« »Was?! Nein. Nein! Du sollst dir das Zimmer mit Thor teilen.« Gwen bemerkte, dass sie sich wie eine alberne Furie aufführte, doch sie konnte nichts dagegen tun; sie brach beinahe in Panik aus, als Loki nun seine Stiefel ausgezogen hatte und aufstand, um die Verschlüsse seiner Rüstung zu öffnen. »Sif wird hier schlafen und ich glaube nicht, dass sie sehr erfreut sein wird, wenn du plötzlich in ihrem Bett liegst.« versuchte sie es mit Vernunft und verschränkte die Arme stur vor der Brust. »Sif wird wohl nicht kommen.« erklärte ihr der Magier überzeugt und ließ den schweren, ledernen Mantel von den Schultern gleiten, der bis jetzt seine große Gestalt umhüllt hatte. Schwarze, grüne und goldene Lagen schimmerten im Kerzenschein, als der Magier sich gewissenhaft seiner Kleidung widmete. »Was…? Warum denn nicht…?« fragte Gwen verdutzt nach; sie wusste kaum, wo sie hinblicken sollte - der Raum bot nicht allzu viele interessante Möglichkeiten der Betrachtung und ihre Augen kehrten wie von selbst immer wieder zu dem Prinzen zurück, der sich Schicht für Schicht aus seiner imposanten Kampfrüstung schälte. »Weil sie und Thor gerade eine andere Raumaufteilung verhandeln.« bemerkte Loki trocken und warf die goldenen Armschienen beiseite, welche scheppernd auf dem kleinen Tisch des Raumes landeten. »Was meinst du damit…?« Gwen zog die Stirn verwirrt in Falten, bevor die Worte des Magiers ihr Hirn erreichten und dort einen Sinn formten. »Oh…ohhhhh…okay…« brachte sie stotternd heraus und spürte seichte Röte in ihren Wangen aufsteigen. Nun nahm sie auch die gedämpften, verräterischen Töne aus einem der nahen Zimmer wahr, die keinen Zweifel daran ließen, wie diese Verhandlungen aussahen. Sie hatte ja nicht gewusst, dass Thor und Sif…naja, sie hatte es geahnt und es den beiden auch gewünscht, doch das sie sich nun gerade in dieser Nacht dazu entschließen mussten, sich näher zu kommen war doch denkbar ungünstig. Allerdings würde Gwen jetzt bestimmt nicht an Thors Tür klopfen, um ihn auf den unpassenden Zeitpunkt dieser Sache hinzuweisen… »Soll ich also im Stall schlafen oder wirst du es überleben, das Bett mit mir zu teilen?« warf ihr Loki über die Schulter zurück, nachdem er eben das lederne Oberteil seiner Rüstung abgestreift hatte und sein blasser, sehniger Oberkörper zum Vorschein kam. Erschöpft ließ sich Gwen nun auf das weiche Bett sinken und starrte beharrlich auf ihre Füße. »Du sollst natürlich nicht im Stall schlafen. Es wird schon gehen…« lenkte sie dann geschlagen ein und war heilfroh, dass sich der Prinz entschloss, den Rest seiner Kleidung hinter dem Sichtschutz des Bades abzulegen. Sie führte sich wirklich albern auf, immerhin hatte sie ihm vor einigen Nächten selbst noch angeboten, dass Bett mit ihm teilen zu können - allerdings hatte sie ihn da auch noch nicht in einer Anwandlung von weiblichem Wahnsinn geküsst… Sie musste diesen dämlichen Kuss endlich vergessen, weil der schlussendlich nichts daran änderte, wer und was Loki war; jegliche Gedanken und diese absurden Gefühle in ihr waren irrelevant und würden schlussendlich zu nichts führen. Das erwies sich nur als recht schwierig, da sie dieser eine Kuss, der eigentlich kaum als solcher zu bezeichnen war, schon völlig aus der Fassung gebracht hatte. Das Plätschern der Dusche wirkte fast einlullend, sodass Gwen sich unter die warme, weiche Bettdecke zurückzog und dort auf den Rücken rollte, um an die hölzerne Decke des Zimmers über sich zu starren. Die sehr eindeutigen Geräusche aus Thors Zimmer drangen wieder deutlicher an ihr Ohr und machten es noch wesentlich schwerer, sich auf die guten Vorsätze zu konzentrieren. Wie sollte sie bitte eine Nacht mit Loki in diesem Bett überleben, wenn sein Bruder und Sif irgendwo nebenan ihrer Lust offenbar freien Lauf ließen? »Oh Gott…oh Gott…bitte lass diese Nacht schnell vorüber gehen…bitte bitte bitte…« nuschelte sie flehend in die Bettdecke, die sie sich über den Kopf gezogen hatte, um nichts mehr hören zu müssen - und um vor allem Loki nicht wieder nackt sehen zu müssen, der das Wasser der Dusche gerade abgestellt hatte. »Was machst du da?« drang seine Stimme gedämpft an ihr Ohr. Offenbar hatte er das Zimmer wieder betreten. Gwen blinzelte vorsichtig unter der Decke hervor und nahm erleichtert wahr, dass er zumindest nicht gänzlich nackt war; er trug eine dunkle, lockere Stoffhose. »Ich versuche zu schlafen.« gab sie mürrisch zurück und rollte sich auf die Seite, sodass sie das Fenster anstarren konnte, an welchem der Regen Tränen gleich herabfloss. Die Matratze gab neben ihr nach und vermittelte ihr so sehr deutlich, dass Loki ebenfalls ins Bett gestiegen war. Zuvor hatte er die Kerzen im Raum gelöscht, alle bis auf eine, die nun wabernde, rötliche Schemen an die Wände warf. »Ich wäre dir ja sehr verbunden, wenn du mir zumindest ein Stück der Decke abtreten könntest…« drang seine unverkennbare, spöttische Stimme an ihr Ohr und machte ihr erschreckend klar, wie nah er sich bei ihr befand; und das sie den größten Teil der Bettdecke unbewusst beinahe schützend um sich gewickelt hatte. Das war alles ein verdammter Albtraum… Widerstrebend kroch sie aus ihrem Kokon und schob Loki einen Teil der Decke hinüber, bevor sie sich kurzentschlossen wieder auf den Rücken rollte und zu ihm hinüber sah. Es wurde Zeit, dass sie aufhörte sich so albern wie ein kleines Kind zu benehmen und den Tatsachen ins Auge sah. In diesem Fall waren das sehr intensive, grüne Augen, die ihr unter einem Schwall nassen, dunklen Haares entgegenblickten und sie schlucken ließen. »Wohin reiten wir eigentlich?« durchbrach sie dann die Stille, nachdem sie das Schweigen zwischen ihnen nicht mehr aushielt, ganz abgesehen von den andauernden, gedämpften Lauten aus Thors Zimmer auf der anderen Seite des Flures. An Schlaf war eh nicht zu denken, da Gwen viel zu aufgewühlt dafür war. »Du hast mir noch immer nicht gesagt, was du eigentlich vorhast.« Bisher hatte der Magier ein großes Geheimnis aus dem Ziel ihrer Reise gemacht. Gwen wusste nur, dass es um Informationen über ihren Feind ging, die Loki erlangen wollte. »Ist das so wichtig?« Der Magier lag auf der Seite, das Gesicht auf die Faust gestützt, sodass er sie offen ansehen konnte. Gwen vermied es tunlichst, die Regionen unterhalb seines Halses anzusehen, denn aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass die Bettdecke wohl gerade so bis zu seinem Bauchnabel reichte. »Vertrau mir einfach. Du wirst es schon sehen.« »Dir vertrauen?!« Sie schnaubte. »In Muspelheim ist dir das heute nicht schwer gefallen…« bemerkte er selbstgefällig und trieb Gwen damit die Schamesröte ins Gesicht. Er spielte doch nicht etwa auf diesen Kuss an? Zum Glück war es im Zimmer recht dunkel, sodass sie zumindest die Hoffnung haben konnte, dass er ihre Gesichtsfarbe nicht bemerkte. Schützend zog sie sich die Bettdecke sicherheitshalber bis zum Hals und räusperte sich verhalten, bevor sie bewusst das Thema wechselte. »Es tut mir leid, dass ich dich heute auf diesem Berg so angefahren habe. Ich war einfach erschöpft und müde, aber ich war im Unrecht. Ich weiß ja, dass deine rücksichtslose Art ihren Grund hatte…« gab sie leise zu, blickte dem Prinzen aber offen in die Augen. »Ich wäre natürlich nicht lieber mit Thor dort gewesen-« Gwen biss sich auf die Zunge. Vorsicht! Sie bewegte sich schon wieder auf einem sehr gefährlichen Terrain. »Nicht?« Loki wirkte hellhörig und hob fragend eine Braue, während ein breites, hochmütiges Grinsen seine Lippen teilte und die Reihen seiner weißen Zähne im Dämmerlicht aufblitzen ließ. »Er hätte dich bestimmt getragen, ganz der große Held…« Gwen rollte sich nun gänzlich zu Loki herum und stieß ihm die Faust in einer zurechtweisenden Geste gegen die bloße Schulter. »Jetzt hör auf immer so unmöglich gegen ihn zu sein. Er ist dein Bruder und er liebt dich. Es wird Zeit, dass du das mal erkennst.« sprach sie bestimmt und verschränkte die Arme vor der Decke über der Brust. Loki rieb sich gespielt getroffen die Stelle an seiner Schulter, während er die Stirn furchte und in seinen Augen tatsächlich für einen winzigen Moment etwas Ähnliches wie Reue aufblitzte. Dann lag wieder die gewohnt arrogante Maske auf seinen Zügen. »Warum nimmst du ihn in Schutz?« raunte Loki und fast meinte Gwen den bissigen Unterton von Eifersucht herauszuhören. Doch das bildete sie sich sicher ein. »Weil er sich nicht selbst in diese Rolle des „strahlenden Helden“ gebracht hat, sondern gewissermaßen hineingezwängt wurde. Er kann doch gar nicht anders, als der Liebling des Volkes zu sein, weil sie genau das von ihm erwarten. Und du solltest diese Position nicht unterschätzen, Loki. Thor kann sich keine Fehltritte erlauben, weil man ihm ständig auf die Finger schaut. Man erwartet immer die richtigen Entscheidungen und Worte von ihm. Er hat es bestimmt auch nicht leicht.« sinnierte Gwen und versuchte Loki von ihren Worten zu überzeugen. Sie hoffte wirklich, dass der Magier irgendwann verstehen könnte, dass es nichts gab, was er seinem Bruder neiden müsste. Und das Thor ihn wirklich liebte. »Ja, sicher…« raunte Loki gehässig und rollte sich auf den Rücken, um im gleichen Augenblick das Gesicht zu verziehen und die Hände zum Nacken zu heben, der dem Prinzen offensichtlich Leiden bereitete. Gwen stemmte sich in eine etwas aufrechtere Position, hielt die Decke dabei jedoch fest an die Brust gedrückt. »Hast du Schmerzen?« Sie selbst kannte diese hässlichen Verspannungen von langen Tagen im Büro und gewissermaßen war ein andauernder Ritt auf dem Pferd sicher auch nicht besser. »Nicht nennenswert…« antwortete er knapp. Männer… »Soll ich dich massieren?« Äh, hallo?! Erde an Gwen - bist du völlig verrückt geworden? Sie sollte wirklich irgendwann einmal anfangen zu denken, bevor sie sprach. Hielt sie das wirklich für eine gute Idee, Loki so nahe zu kommen, wo sie beide gewissermaßen fast nackt zusammen in einem Bett lagen?! Der Magier blickte äußerst skeptisch zu ihr herüber, da er eine Massage wohl für eine midgardische Foltermethode hielt. Bevor er den Mund aufmachen und fragen konnte, hatte Gwen sich schon gänzlich aufgesetzt und bedeutete ihm mit einem befehlenden Wink ihrer Hand, dass er sich drehen sollte. »Leg dich auf den Bauch. Na los, vertrau mir.« schob sie mit einem schiefen Grinsen an, da er zuerst keine Anstalten machen wollte, sich zu bewegen. Dann allerdings folgte er ihrer Order mit einem mürrischen Brummen. Sie verdankte Loki so viel, angefangen von ihrem Leben bis hin zu jener furchtbaren Nacht, in der er es nicht müde geworden war, an ihrem - oder besser seinem - Bett zu sitzen, um sie zu beruhigen, nachdem sie wegen Malekiths Angriff immer wieder aus schrecklichen Träumen erwacht war. Da war es fast selbstverständlich, dass sie ihm etwas Gutes tun wollte. Und natürlich spielte der Grund, dass sie ihn dadurch berühren konnte überhaupt keine Rolle. Nicht im Geringsten! Einen unsicheren Moment zögerte Gwen, dann hob sie die Decke an und kroch zu ihm hinüber, das Handtuch noch immer fest um sich geschlungen. Kurzentschlossen schwang sie ein Bein über seinen Rücken und ließ sich federleicht rittlings über seiner Hüfte nieder. Loki wandte den Kopf auf dem Kissen und blickte so mit zusammengezogenen Brauen misstrauisch zu ihr zurück, bevor er sich schon wieder erheben wollte. »Was machst du da?« Gwen drückte ihn jedoch entschieden mit der flachen Hand wieder auf das Bett zurück. »Vertrau mir. Keine Sorge, dir passiert nichts…« wisperte sie fast beruhigend und wurde sich abermals bewusst, dass der Magier tatsächlich wie ein verschrecktes Tier war, welches man erst an eine liebevolle Hand gewöhnen musste. Sein Argwohn allem und jedem gegenüber war fast greifbar und doch erweckte genau das in Gwen das Verlangen, sein Vertrauen zu gewinnen - ihm zu zeigen, dass nicht alles in seiner Welt böse oder schlecht war. Loki ließ sich tatsächlich wieder auf die Matratze sinken, doch die Anspannung in seinen Muskeln war förmlich zu sehen; und dann auch zu spüren, als Gwen sich vorbeugte, um die Hände in ersten, sanften Kreisen über seine Schultern zu führen. »Du meine Güte…du bist ja wirklich völlig verspannt. Kein Wunder, dass du Schmerzen hast.« Loki brummte irgendetwas in sein Kissen, was sie nicht verstand, aber immerhin ließ er sie gewähren. Gwen spürte unglaublich weiche und warme Haut unter ihren Fingern, was sie beinahe ein wenig überraschte; bei einem Eisriesen hätte sie eigentlich eher eine niedrige Körpertemperatur erwartet. Ein paar schmale, helle Narben zogen sich über seinen sonst makellosen Rücken, den Gwen nun mit einigen kraftvollen Linien überstrich, bevor sie zu seinem Nacken zurückkehrte und diesen mit gemächlichen Fingerbewegungen massierte. Nach einer Weile konnte sie fühlen, wie sich der Magier unter ihren Händen immer mehr entspannte, was ihr ein kleines, verstohlenes Lächeln auf die Lippen zauberte. »Lehrt man diese Techniken jedem auf Midgard?« raunte er und seine Stimme glich einem beinahe behaglichen Schnurren. Gwen lachte leise, hielt jedoch nicht darin inne, seine sehnigen Schultern sanft zu kneten und immer wieder die Gelegenheit zu nutzen, um seine Arme einzubeziehen, die er in einer entspannten Haltung unter dem Kopf verschränkt hatte. »Nein, nicht jedem. Es gibt allerdings einen Beruf, der sich ausschließlich mit Massagen beschäftigt. Ich hingegen scheine ein Naturtalent in diesem Gebiet zu sein. Ich habe früher schon immer meine Freunde massieren müssen und jetzt bittet Ashlyn auch ständig um meine „magischen“ Hände.« »Das fühlt sich wirklich gut an. Deine Hände scheinen tatsächlich magisch zu sein, Gwendolyn.« gab der Magier ehrlich zu. Gwen entlockte sein Lob wahre Freude und sie konnte spüren, wie sie erneut errötete. Anerkennung von seinen Lippen war bekanntermaßen eine Seltenheit und sie wurde sich bewusst, dass sie von ihm anerkannt werden wollte - als vollwertige Frau, der nicht der Makel der Sterblichkeit anhaftete. Eine ganze Weile schwiegen sie dann, während Gwen Loki weiterhin geschickt massierte; doch irgendwann bekamen die Bewegungen ihrer Hände etwas träge sinnliches, was sie wesentlich tiefer in diesen Moment eintauchen ließ, als sie das anfänglich eigentlich vorgehabt hatte. Immer öfter war es ein Streicheln, was über Lokis feste Oberarme glitt, ein verstohlenes Tasten, wenn ihre Finger der Gerade seiner Wirbelsäule folgten. Jedes Mal, wenn er sich unter ihr bewegte, konnte sie jede Regung seines Beckens überdeutlich zwischen ihren geöffneten Schenkeln wahrnehmen, was sie alsbald an einen gänzlich anderen Akt erinnerte. Er müsste sich nur umdrehen und zwischen ihnen wäre kaum mehr als ein bisschen Stoff, das schnell entfernt wäre… Gwens Herz begann heftiger in ihrer Brust zu hämmern, sodass sie beinahe Angst hatte, der Magier könnte es in der andauernden Stille des Raumes schlagen hören. Es war eine Weile her, dass sie mit einem Mann geschlafen hatte und Gwen gehörte sicher nicht zu der Sorte Frauen, die jedes Wochenende einen anderen Mann von einer Party mit nachhause brachten. Trotzdem war sie eigentlich bisher der Meinung gewesen, recht glücklich und zufrieden so zu sein, da sie den Männern eh abschwören wollte. Doch dieser Mann da unter ihr brachte so verborgene Sehnsüchte in ihr zum glühen, dass sie sich ihres weiblichen Körpers wieder allzu bewusst wurde; ihr war gar nicht klar gewesen, wie berauschend sich Begehren anfühlen konnte - reines, unverfälschtes Begehren… Oh Himmel… Sie wollte diesen Mann. Diesen Gott. Sie begehrte Loki. Ihre Hände stockten in ihren Bewegungen und sie räusperte sich vernehmlich, um sich selbst in ihren unangebrachten Gedanken zu unterbrechen, die sich wie eine schwere Decke um sie zu legen drohten. Sie mahnte sich selbst im Geist zur Ordnung und sortierte das wirbelnde Chaos in ihrem Kopf zu einer Frage, die ihr bereits seit einiger Zeit auf der Seele brannte. »Warum wolltest du Jotunheim damals eigentlich zerstören, Loki?« wisperte sie vorsichtig, die eigene Stimme ein heiseres Flüstern, welches durch die zaghaften Ranken ihres Verlangens gefärbt war. Sie musste sich unbedingt ablenken. Irgendwie fiel es ihr in der dämmrigen Finsternis des Raumes leichter, dieses heikle Thema anzusprechen, da sie Lokis Gesicht nun nicht direkt sehen konnte und seinem Blick damit nicht ausgeliefert war. Lange sagte er nichts, doch seine Muskeln verrieten ihn, da sie sich fühlbar unter Gwens Fingern erneut anspannten. »Warum fragst du das?« durchdrang irgendwann seine samtige Stimme die Stille des Zimmers, welche nur durch das anhaltende Klopfen des Regens an der Scheibe unterbrochen wurde. Die Geräusche aus dem Nebenzimmer mussten irgendwann verstummt sein. »Weil ich es gern verstehen will.« Weil ich dich verstehen will, hätte sie beinahe angefügt, doch hielt sie die Worte zurück. Wieder verging ein gedehnter Augenblick, den Gwen fast nervös über sich ergehen ließ. War sie zu weit gegangen? Hätte sie das nicht fragen sollen? »Ich hielt es damals für die richtige Tat, um dem Allvater beweisen zu können, dass ich des Throns durchaus würdig bin.« begann Loki dann betont sachlich, doch Gwen konnte die brodelnden Emotionen unter diesem Deckmantel der Ruhe hören; er hielt viel mehr zurück, als er sich selbst eingestand. »Indem du ein ganzes Volk auslöschst wolltest du dich als würdig erweisen?« Ihre Hände glitten weiter über seinen Rücken, lockerten erneut seine verkrampften Muskeln und damit vielleicht auch seine störrische Zunge. »Es gab eine Zeit, da sah ich nicht viele Wege, um Odin zu beweisen, dass ich genauso geeignet für die Herrschaft bin wie Thor.« gab er angespannt zurück, das schwelende Feuer von unterdrückter Bitterkeit im Timbre seiner Stimme. »Wie soll man einen Vater auch davon überzeugen, dass man einer Sache würdig ist, die man eh nie besitzen kann? Wie soll man einen König davon überzeugen, dass er den Abkömmling eines Volkes auf seinen Thron hebt, das die Schreckgestalten in Geschichten für asische Kinder sind?« Lokis beherrschte Ruhe bröckelte und sein Schmerz war so erdrückend zu fühlen, als hätte man Gwen unvermittelt eine gewaltige Last auf die Schultern geladen. Ihre Finger bewegten sich selbstständig sanfter über den Rücken des Magiers, ohne das diese Berührung als mitleidig angesehen werden könnte; Mitleid war sicher das Letzte, was Loki wollte. »Wie soll man einen Platz für sich in einer Welt schaffen, in die man einfach nicht gehört…?« Lokis letzte Worte gingen fast im anhaltenden Prasseln des Regens unter, doch Gwen hatte sie trotzdem vernommen, obwohl sie nicht sicher war, ob er das bewusst bezweckt hatte. »Warum denkst du das, Loki? Warum denkst du, dass du nicht in diese Welt gehörst?« fragte Gwen drängend nach, da sie diese Mauer durchbrechen wollte, die der Prinz beinahe spürbar um sich gebaut hatte. Sie wollte ihn wirklich verstehen. Es war nicht nur reine Neugierde, welche sie antrieb, sondern ehrliches Interesse an ihm. Nicht an dem Gott. Auch nicht an dem Magier. Sondern an dem Mann Loki. »Weil ich kein Ase bin.« war seine sachliche, erschreckend eisige Antwort. Gwens Finger hatten inzwischen auf seiner Haut innegehalten, ihre Finger ruhten warm in seinem Nacken. »Na und? Was ändert das schon? Es ist doch nicht deine Herkunft, welche dich zu einem Teil von Asgard macht, sondern deine Familie. Ihre Liebe ist wichtig, sonst nichts.« »Ihre Liebe…!?« stieß Loki in einem humorlosen, kurzen Lachen aus, das Wort verächtlich in den Raum werfend. »Als ob sie so etwas für mich empfinden würden.« versuchte er sie zu belehren und konnte die Verbitterung hinter den Worten doch nicht verstecken. »Bist du eigentlich blind?« fuhr Gwen ihn nun ärgerlich an. Seine halsstarrige Art machte sie rasend; er wollte einfach nicht wahrhaben, dass auch er geliebt wurde. Beinahe kam er ihr vor wie ein trotziges Kind. »Selbst ich sehe, dass die Königin dich wie eine Mutter liebt. Und dein Bruder schätzt dich auch nicht geringer, nur weil du vielleicht nicht in Asgard geboren wurdest. Das ist doch Blödsinn, Loki!« »Was weißt du schon von solchen Dingen!?« fauchte er zurück und wollte sich erheben, doch Gwen drückte ihn bestimmt wieder ins Kissen zurück. Er hätte sie sicher mit Leichtigkeit abschütteln könne, doch offenbar war er im ersten Augenblick viel zu überrumpelt von ihren entschlossenen Händen, die ihn an den Schultern festhielten. »Ich weiß mehr darüber, als du vielleicht denkst. Denn ich bin selbst adoptiert, du sturer-« Ruckartig wurde sie in ihren Worten unterbrochen, da Loki sich urplötzlich unter ihr drehte und sie damit abwarf; ehe Gwen sich versah lag sie auf dem Rücken, Loki mit finster zusammengezogenen Brauen nun über ihr, die Hände neben ihren Schultern auf der Matratze abgestützt. »Was hast du da eben gesagt…?« verlangte er rau zu wissen, sein grüner Blick bohrte sich in den ihren. »Du bist adoptiert?!« »Ja…und?« gab sie trotzig zurück und versuchte ihn von sich herunter zu schieben, was allerdings von minderem Erfolg gekrönt war. Sie erreichte damit nur, dass ihre Hände nutzlos gegen seine nackte, glatte Brust stießen und sie sich seiner Nähe sehr bewusst wurde. Er lag fast auf ihr, sein schwerer Körper drückte sie in die Matratze; durch die plötzlich viel zu dünne Decke konnte sie seine Wärme spüren, seine sehnigen Muskeln… »Das ändert alles…“ murmelte er. »Warum hast du das nicht gesagt? Warum hast du das nicht gleich gesagt, als ich dich nach deiner Familie fragte?« bellte er dann herrisch auf sie herab und erreichte damit nur, dass Gwen sich noch vehementer gegen ihn stemmte. Er war zu nah. Viel zu nah. Und seine plötzlich wieder so grobe Art trieb ihr beinahe die Tränen in die Augen; Dinge, mit denen sie sich eigentlich nicht beschäftigen wollte, zerrte er erbarmungslos an die Oberfläche. Sie fühlte sich eingeengt, bedrängt - nicht von ihm, sondern von den lauernden Erkenntnissen in der Dunkelheit, die sie bisher erfolgreich weggesperrt hatte. »Warum wohl?!« fuhr sie ihn recht verzweifelt an. »Frag dich das selbst mal, du Idiot. Vielleicht, weil ich wie du eigentlich gar nichts über meine wahre Herkunft wissen will! Vielleicht, weil ich wie du lieber weiter in der Illusion leben würde, dass meine Familie meine Wahre ist und ich nicht irgendein Freak bin oder ein misslungenes Experiment, dass man irgendwo ausgesetzt hat!« Loki blinzelte im ersten Moment durch ihre barsche Art irritiert auf sie herab, bevor sich die Härte in seinen Zügen zu etwas anderem veränderte; war das tatsächlich Verständnis, was sich in seinen grünen Augen abzeichnete? Der weiche Zug von Mitgefühl um seine Lippen? Gwen konnte es beinahe spüren - die erwachende Erkenntnis in dem Prinzen, dass ihre Schicksale ähnlich waren, obwohl sie beide aus so völlig unterschiedlichen Welten stammten. »Geh endlich runter von mir…« verlangte Gwen nun schwach und drückte abermals die Hände gegen seine Schultern, doch ihr Versuch war kraftlos und kaum mit Nachdruck ausgeführt; die Müdigkeit überrollte sie plötzlich, als wären all ihre Kraftreserven der letzten Tage nun in diesem einen Moment aufgebraucht worden. Sie sehnte sich nach Ruhe, nach Geborgenheit, nach Armen, die sie hielten, nach Ablenkung… Ihr Griff, der eigentlich abwehrend gedacht war, hatte sich selbstständig in etwas anderes gewandelt; ihre Hände schoben Loki nicht mehr von sich, sondern klammerten sich trostsuchend an seine Schultern. »Ich bin manchmal nicht sehr feinfühlig. Es tut mir leid…« raunte er steif, als wären Entschuldigungen eigentlich nichts, was ihm leicht über die Lippen kam. »Ich verstehe, warum du nicht darüber reden wolltest, aber wir müssen ehrlich zueinander sein, wenn wir das Geheimnis deiner Kraft lüften wollen…« Gwen war sich gar nicht so sicher, ob sie in dieser Hinsicht überhaupt irgendetwas lüften wollte… Kam es ihr nur so vor oder war der Prinz ihr tatsächlich näher gekommen. Sein Gesicht schien nur noch unweit über ihrem zu schweben; seine intensiven Augen nahmen beinahe ihr gesamtes Gesichtsfeld ein und fesselten sie an seinen Blick, sodass sie kaum wagte zu blinzeln. Sie konnte bereits seinen Atem fühlen, der federleicht über ihre Haut, ihre Lippen strich, die sie unbeabsichtigt um ein Stück öffneten…für ihn öffneten… »Können wir vielleicht morgen mit dem ehrlich sein anfangen…« wisperte sie heiser gegen das beständige Trommeln des Regens an die Fensterscheibe. Oder war es ihr Herz, was so dröhnend in ihrer Brust schlug? »…ich bin verdammt müde…« Eigentlich war das nur die halbe Wahrheit - sie schwebte in einem Zustand zwischen sinnlicher Benommenheit und euphorischer Aufregung; ihr gesamter Körper prickelte unter Lokis Blick und ihre Schenkel rieben unwillkürlich aneinander, um dieses schmerzende Gefühl der Leere dazwischen auszufüllen. Ihre Finger kletterten zitternd höher auf seinen Schultern, fuhren in seinen Nacken und erfühlten dort warme Haut und noch immer feuchte Strähnen seines dunklen Haares. Sein Geruch hüllte sie ein; ein betörender Duft nach Leder, Wald und Regen, der in ihre Nase drang und ihr die Sinne benebelte - wild und männlich. Sie grub den Kopf völlig instinktiv in das Kissen, hob ihm so ihren Mund entgegen, der begehrlich seinen Atem auffing und nach wesentlich mehr gierte… Loki kam ihrem stummen Flehen tatsächlich entgegen; seine Lippen glitten einem beinahe neugierigen Wispern gleich über die ihren ohne sich wirklich zu einem Kuss vereinen zu wollen; ein vorsichtiges, austestendes Streifen. Allein diese winzige Berührung hätte Gwen beinahe lustvoll seufzen lassen. Sie zitterte plötzlich unter der Wärme der Decke und dem harten, männlichen Körper, der sich an sie schmiegte. »Bitte…« Hatte sie das gerade wirklich gesagt? War das ihre Stimme gewesen, die einem flehenden Flüstern glich? Womöglich täuschte das Flackern der Kerzenflamme, doch Gwen meinte das Aufblitzen von Triumph in Lokis Augen zu sehen; neben dem beginnenden Lodern jener Begierde, die sie selbst empfand. Sie konnte sein flüchtiges Grinsen an ihren Lippen spüren und wenn sie noch einen klaren Gedanken hätte fassen können, so wäre sie vielleicht empört darüber gewesen… Lokis Lippen trafen so unvermittelt auf ihre, dass es beinahe einem Schock gleich kam, der sie förmlich in die Höhe katapultierte. Dieses unsichtbare Band, was die ganze Zeit über bereits zwischen ihnen vorhanden gewesen war, zurrte sich fast schmerzhaft fest; zog sie aneinander wie kollidierende Sterne, die ihren Bahnen nichts entgegenzusetzen hatten. Gwens Arme schlangen sich ruckartig um Lokis Nacken, da sie auf keinen Fall riskieren wollte, dass er sich ihr wieder entzog. Ihre Finger fuhren in sein Haar, durchglitten die samtigen, feuchten Strähnen. Ihre Lippen bewegten sich langsam gegen die seinen, doch hielt sie ihren Hunger gebremst zurück, da sich Loki im ersten Augenblick versteifte, als wäre er über die eigene Tat schockiert. Sie wollte ihn nicht verschrecken. Sie durfte ihn nicht verschrecken! Vorsichtiger nippte sie an seinen Lippen, ließ ihren bebenden Mund über seinen gleiten, um ihn in diesen Kuss zu locken, den er diesmal selbst begonnen hatte. Und tatsächlich öffnete er die Lippen und kam ihrem tastenden Mund entgegen, was ihr ein erregtes Keuchen entlockte. Seine Lippen waren göttlich. Perfekte, samtweiche Linien, die seiner ganzen Erscheinung in nichts nachstanden; köstliche Versuchungen, denen Gwen nie hätte widerstehen können. Dieser Mann war einfach pures Feuer - die Verführung in Person. Er war so sinnlich und doch lag eine seltsam verletzliche Unsicherheit hinter seinen Berührungen, hinter seinem ganzen Wesen, was ihn nur noch interessanter und anziehender machte. Gwens Mund glitt über einen seiner Mundwinkel; sie ließ ihre Lippen nur einem Hauch gleich über seine Wange streifen, bevor sie sehnsüchtig zu seinen Lippen zurückkehrte und diese zu einer erneuten Vereinigung lockte. Ihr war heiß und kalt zugleich; unmöglich all diese wirbelnden Empfindungen in sich zu benennen, die durch ihre Eingeweide zogen. Ihre Finger wagten eine Reise, strichen fahrig und federleicht über seine Schultern, die Arme, über perfekt definierte Muskeln, die sich wie samtiger Stahl unter ihren Händen anfühlten. Ein prickelnder Schauder ließ sie leise seufzen - eine seiner Hände glitt über die Außenseite ihres Oberschenkels und streifte den Saum ihres Handtuches... Loki intensivierte den Kuss selbst, presste seine Lippen fordernder gegen die ihren; willkommen nahm sie sein stürmisches Drängen auf und zog ihn tiefer auf sich herab, doch schon im nächsten Augenblick löste er sich fast fluchtartig von ihr und stemmte sich in die Höhe, sodass selbst ihr Griff ihn nicht halten konnte. Kraftlos fielen ihre Arme auf die Decke herab, als sie sich schwer atmend in die Augen sahen; Gwen wusste kaum, wo ihr der Kopf stand. Hatte sie etwas falsch gemacht? »Du solltest jetzt wirklich schlafen…« Verräterisch heiser raunte er die Worte auf sie herab, bevor er sich von ihr rollte und eine plötzliche Kälte und Leere hinterließ, die Gwen kaum deuten konnte. Sie wollte ihn am Arm zurückhalten, doch er ergriff ihre Finger und zögerte kurz, bevor er sie in einer so überraschend sanften Geste an seine Lippen zog, dass Gwen schlucken musste. »Schlaf jetzt, Gwendolyn. Du brauchst Ruhe.« Sie verkniff es sich ihn darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich nur eins gerade brauchte. Nämlich ihn. Vielleicht war es besser, dass er etwas beendet hatte, was schlussendlich doch nur zu Problemen führen würde. Zumindest versuchte sie sich das einzureden. Doch es half nicht gegen die drängende Sehnsucht in ihrer Brust - und die zwischen ihren Beinen. Ruckartig stand er vom Bett auf und schnappte sich den ledernen Mantel, der über einer Stuhllehne hing. Gwen richtete sich irritiert hinter ihm auf und drückte die Decke an ihren noch immer zitternden Körper, als wollte sie ihr heftig schlagendes Herz daran hindern, aus ihrer Brust zu springen. »Wo willst du denn hin…?« wisperte sie verunsichert und völlig verwirrt. Was hatte sie nur so falsch machen können, dass er nun offensichtlich nicht schnell genug von ihr weg konnte? Loki stieg in seine Stiefel und blickte kurz über die Schulter zu ihr zurück, der flüchtige Funken von Sehnsucht in seinen noch immer verdunkelten Augen, bevor er sich den Mantel über die Schultern warf und zur Tür schritt. Dann war er verschwunden. Gwen starrte die geschlossene Tür fassungslos an und konnte sich nicht entscheiden, ob sie frustriert mit dem Kissen um sich schlagen oder augenblicklich in Tränen ausbrechen wollte. Asgard entwickelte sich gerade zu ihrem ganz persönlichen Ort der Verdammnis. Mit Loki als Höllenfürsten. Dieser Mistkerl! Er hatte sie auch gewollt, dass hatte sie ganz genau gespürt und nun ließ er sie hier so einfach zurück - mit tausend Fragen im Kopf… und Lippen, die noch immer von seinem Kuss brannten. Irgendwann in der Nacht kehrte der Magier zurück. Durch ein leises Knarren der Holzdielen wurde Gwen kurz wach. In einem müden Dämmerzustand öffnete sie die Augen und erblickte Loki, wie er die Tür leise hinter sich ins Schloss zog. Die letzte Kerze war inzwischen fast verloschen und doch nahm sie das verräterische Funkeln eines Gegenstandes in seiner Hand war, mit dem er leise wie ein Geist im angrenzenden Badbereich verschwand. War das Blut auf dem Dolch in seiner Hand gewesen? Ihr schläfriges Hirn nahm dieses Detail zwar auf, war aber zu träge, um es zu verarbeiten. Augenblicklich trieb sie wieder in den Schlaf hinüber und vergaß, was sie gesehen hatte… Kapitel 14: Tod und Teufel -------------------------- Loki erwachte durch ein Kitzeln an der Wange. Wohlige Wärme umgab ihn, an die sich der Magier in seinem dämmrigen Zustand näher schmiegte; nur sehr widerwillig tauchte er aus der Tiefe des traumlosen Schlafes auf, in die er die gesamte Nacht über gesunken war. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er wieder richtig geschlafen - ohne Albträume, ohne Unterbrechungen, die durch sein keuchendes Aufschrecken aus den Bildern der Nacht geschuldet waren. Zum ersten Mal seit Wochen war es ihm leicht gefallen Ruhe zu finden und er fühlte sich fast schon erholt, als er jetzt die Augen öffnete und sich verschlafen orientierte. Das winzige Fenster des Zimmers zeigte ihm durch träges Dämmerlicht, dass der Morgen nicht mehr all zu fern sein konnte und der Regen sein andauerndes Wüten wohl endlich eingestellt hatte; keine Tropfen perlten an dem hellen Glas, es war fast schon erschreckend ruhig, wenn man das monotone Rauschen des Regens plötzlich nicht mehr vernahm, was sie die letzten Tage über so beständig begleitet hatte. Auch der Rest des Gasthauses lag noch unter einer Kuppel der Ruhe; es waren keine Stimmen zu vernehmen, keine Schritte auf der Treppe, nicht mal die gedämpften Geräusche von Töpfen und Pfannen aus der Küche des Wirtshauses. Allein ein dröhnendes Niesen von draußen ließ vermuten, dass zumindest einer auf den Beinen war - Volstagg schien die letzte Wache der Nacht angetreten zu haben und umrundete wohl gerade pflichtbewusst das Haus. Loki gestattete sich einen Moment der Schwäche und drückte die Nase näher in sein duftendes Kissen, versank noch einen Augenblick in der angenehmen Ruhe, die keinen Hauch von dieser bedrohlichen, erdrückenden Stille besaß, welche ihn die gesamte Zeit über in seinem Gefängnis begleitet hatte - nein, diese hier war wohltuend und beruhigend. Eine Stille, in die man sich fallen lassen konnte wie in ein weiches Kissen. Eben wie jenes, das sich gerade unter Lokis Wange bewegte… Der Magier hob die Lider erneut an, die ihm gerade in einem Gefühl von ungewohnter Schwere wieder herabgesunken waren und drehte den Kopf ein wenig; ein samtweiches Kitzeln strich über seine Wange. Anfangs verwirrt blickte Loki auf einen roten Haarschopf vor sich, bevor die Erkenntnis in seinem schläfrigen Hirn dämmerte und einen Namen formte. Gwendolyn… Die Sterbliche lag mit dem Rücken zu ihm, doch so nah an ihn geschmiegt, dass er jede Rundung ihres Körpers an seinem fühlen konnte; angefangen von der Wölbung ihrer Schultern bis hin zu den weichen Kurven ihres Pos, die sich sehr eindringlich gegen seinen Unterleib pressten. Über Nacht musste er unbewusst zu ihr gerutscht sein; einer seiner Arme umschlang ihren zierlichen Körper, während sein anderer ihr als Kissen diente. Sie gab ein beinahe mürrisches Geräusch von sich, als der Magier sich jetzt bewegte und umklammerte seinen Arm noch weiter, um seine Hand an ihre Brust zu ziehen. Allerdings wachte sie nicht auf. Lokis erster Reflex war die Flucht - die Nähe der Menschenfrau weckte Empfindungen in ihm, die er nicht benennen und mit denen er sich auch zu dieser Zeit eigentlich nicht auseinandersetzen konnte. Allerdings wollte er sie auch nicht wecken; sie hatte den Schlaf bitter nötig gehabt und so sank er steif wieder auf die Matratze zurück und ließ ihr seinen Arm, den sie so besitzergreifend umschlungen hatte. Niemand war hier. Niemand würde davon erfahren, dass er sich diesen Moment der Entgleisung gegönnt hatte und die Nähe zu einem anderen Wesen genoss, wo ihm gerade solche Intimität einst immer das Unverständlichste zwischen zwei Geschöpfen gewesen war. Er hatte früher nie verstanden, was es bringen sollte, die Nähe eines anderen zu suchen; sich die Nacht über an einen anderen Körper zu schmiegen, Umarmungen auszutauschen - all das hatte für ihn nie sonderlichen Reiz besessen, war ihm mehr Ablenkung als förderlich erschienen. Er war sich selbst immer genug gewesen. Doch jetzt, nach dieser langen erzwungenen Einsamkeit in seiner Zelle, bekam all das einen verlockenden Unterton; plötzlich war Nähe wie ein sicherer Hafen, der die Geborgenheit und Bestätigung versprach, nach der sich der Magier sehnte, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte. Denn solche Sehnsüchte waren in seiner Welt stets eine Schwäche gewesen. Grundsätzlich gab es immer nur eine Person, der man unumwunden trauen konnte und sollte - sich selbst. Alle anderen waren Begleiter, bestenfalls Schachfiguren auf dem Weg zum Ziel; man konnte sich auf niemanden verlassen. Man durfte sich auf niemanden verlassen! Vertrauen war trügerisch; eine verlockende Falle, die einen unversehens in ihre Fänge reißen und vernichten konnte. Loki zog seinen Arm vorsichtig unter dem Kopf der Sterblichen hervor, um sein Kinn in die Handfläche zu stützen und konzentriert auf die Frau in seinen Armen hinabzublicken. Sie schlief friedlich - ein fast zufriedener Zug lag um ihre vollen Lippen, die um eine Winzigkeit geöffnet waren; ihre dichten Wimpern lagen entspannt auf ihren blassen Wangen, die von vereinzelten, winzigen Sommersprossen überzogen wurden, die dem Magier bisher gar nicht aufgefallen waren. Ihre winzige Nase kräuselte sich im Schlaf und ein Zucken fuhr durch ihre Glieder, bevor sie sich noch näher an ihn schmiegte. Loki ertappte sich bei einem Schmunzeln und dem Gedanken, dass er ihren Anblick durchaus… Er holte tief Luft und presste die Lider angestrengt herab; schloss die Augen für einen Moment. Verflucht - bei allen Welten - hatte er diesen Anblick gerade wirklich als „süß“ erachtet?! Er, Loki - Gott des Unheils, Schabernacks und der Lügen - fand etwas „süß“?! Diese Bezeichnung war in seinem Wortschatz so fehl am Platz wie ein Buch in Thors Zimmer; völlig unpassend. Die Zeit in seiner Zelle musste ihm wirklich mehr zugesetzt haben, als er anfänglich noch geglaubt hatte. Er wurde weich… Oder trug sie Schuld daran? Er öffnete die Augen wieder und sah erneut auf die so zerbrechlich wirkende Sterbliche herab, die sich allerdings schon öfter als wesentlich zäher und stärker erwiesen hatte, als man ihr augenscheinlich zutrauen wollte. Sie trug Potenzial in sich; das Potenzial, seine Schwachstelle zu werden, denn auf eine seltsame Art und Weise mochte er sie irgendwie und das nicht einmal nur wegen der verborgenen Macht in ihrem Körper. Diese Erkenntnis machte ihm Angst und zum ersten Mal wusste er nicht sofort, was er dagegen unternehmen sollte. Er fühlte sich seltsam machtlos und dieses Gefühl mochte er ganz und gar nicht. Gwendolyn bewegte sich wieder; sie rollte zu ihm herum und schmiegte sich seufzend gegen seinen Körper, während sie einen Arm um ihn schlang und das Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub. Ihr daraufhin wohliges Ausatmen verschaffte ihm eine Gänsehaut, die sich wie ein prickelnder Regenschauer über seinen Nacken und seine Kopfhaut zog. Recht unbeholfen ergab er sich ihrer Umarmung; er hatte sie zwar nicht wecken wollen, doch das hier hatte er auch nicht geplant. Sie war ihm zu nah - ihren Körper so direkt wieder zu spüren, ihren Duft einzuatmen; all das erinnerte ihn an den gestrigen Abend und genau diese Erinnerungen hatte er eigentlich verdrängen wollen. Er hatte sich ihr gegenüber wirklich unangebracht verhalten. Eigentlich sollte ihn die Tatsache schon ein weiteres Mal erschrecken, dass er sich überhaupt Gedanken darüber machte, doch er konnte nicht verhindern, dass es ihm leid tat, wie er sich ihr gegenüber benommen hatte. Erst hatte er sie unnötigerweise so harsch wegen ihrer Herkunft angefahren, obwohl er im Nachhinein besser als jeder andere verstehen konnte, warum sie ihm ihre Adoption verschwiegen hatte. Gerade er konnte das jetzt nur zu gut nachvollziehen; kannte die Angst vor der Wahrheit, die er in ihren Augen gesehen hatte. Denn wenn ihre Kraft ihre Wurzeln nicht in Asgard hatte, so mussten sie sich nun unweigerlich die Frage stellen, ob ihre wahre Herkunft womöglich Ursache an dieser Macht trug... Abermals hatte sich ein Band zwischen ihnen geknüpft; Loki verdeutlicht, wie ähnlich ihre Schicksale doch waren, obwohl sie aus so unterschiedlichen Welten stammten. Und dann hatte er sie nach diesem Kuss einfach so zurückgelassen, ohne ein Wort oder eine Erklärung, die sie wahrscheinlich verdient hätte. Doch er war gestern nicht in der Lage dazu gewesen. Dieser Kuss… Eigentlich durfte er gar nicht daran denken, aber natürlich tat er es trotzdem; gerade da Gwendolyn nun so eng bei ihm lag und ihr Atem immer wieder warm über die Seite seines Halses strich und er ihre Lippen überdeutlich spüren konnte, wenn diese seine Haut streiften. Er hatte sie wirklich begehrt. Das konnte er sich ganz offen eingestehen - zumindest jetzt. Gestern Abend hatte er damit noch seine Probleme gehabt, als er unter seinem Mantel und einer triefnassen Kapuze durch den angrenzenden Wald gestapft war, um seinen Kopf zu klären und seine Gedanken zu ordnen; um so viel Platz wie möglich zwischen sich und das Gasthaus zu bringen, in dessen Wänden diese rothaarige Verführung auf ihn lauerte. Selten war ihm etwas im Leben so schwer erschienen wie aus der Tür dieses Zimmers zu treten und sie dort auf dem Bett zurückzulassen; die Haare offen, zerwühlt, wallend wie leidenschaftliche Flammen, die vollen Lippen gerötet von seinem Kuss, die hellen Augen lustverdunkelt, diese Sehnsucht in ihren Zügen - Sehnsucht nach ihm - als sie sich aufgerichtet und die Decke an ihren zarten Körper gepresst hatte… Ja, er hatte sie begehrt und daran hatte sich auch nicht viel geändert wie er jetzt erkennen musste, als sich seine Hand selbständig machte und über die sanfte Wölbung ihrer Schulter zu ihrem Schlüsselbein glitt, um dann den Weg ihren Rücken hinab zu suchen. Als er sich bewusst wurde, was er tat, wollte er schon innehalten, doch das wohlige Schaudern, was die Glieder der Sterblichen durchfuhr, ließ seine Finger weiter vorsichtig über ihre Haut wandern. Sehr selbstsüchtige Gedanken entstanden in seinem Kopf - er wollte der Einzige sein, der ihr solche Schauder bereitete; er wollte der Einzige sein, dem sie dieses süße Seufzen schenkte, was jetzt einem warmen Windhauch gleich über seine Haut strich; er wollte der Einzige sein, den sie begehrte… Und sie hatte ihn gewollt, das war nicht zu übersehen gewesen. Wie sie sich ihm entgegengewölbt, seine Lippen so sehnsüchtig gesucht hatte, ihre hellen Augen verschleiert durch Verlangen… Diese ehrgeizigen Gedanken waren ihm grundsätzlich nicht fremd; nicht zum ersten Mal gierte er nach etwas, doch zum ersten Mal in seinem Leben richtete sich dieses Begehr auf eine andere, auf eine einzige Person - noch dazu auf eine Frau. Eine sterbliche Frau. Bisher hatte er größere Ziele für sich verfolgt, Macht und Anerkennung - und plötzlich, in nur einem Augenblick, schrumpfte seine Gier auf diese niederen Instinkte und ließ ihn völlig die Kontrolle verlieren. Die Zügel waren ihm aus der Hand gerutscht; er hatte weder sein Denken, noch sein Handeln bewusst steuern können, war angeleitet gewesen von dem Verlangen nach dieser Frau und das hatte ihm mehr Angst gemacht, als wieder in seine Zelle unter Gladsheims Mauern zurückzumüssen. Dieses Verlangen war so untypisch für ihn, so erschreckend gewesen, dass er sein Heil einfach in der Flucht gesucht hatte; die bevorstehenden Aufgaben mussten seine gesamte Konzentration beanspruchen, damit ihm kein Fehler unterlief und diese plötzlich erwachte Leidenschaft stand ihm dabei im Weg wie die verschlossene Tür seiner Zelle zwei Jahre lang auf dem Weg in die Freiheit. Er konnte sich diese Ausrutscher nicht leisten; nicht er - nicht Loki! Thor konnte sich vielleicht solch niederen Gelüsten hingeben wie er es am gestrigen Abend mit Sif getan hatte, doch Loki durfte so etwas nicht passieren. Er musste sich unter Kontrolle haben… Er hatte sich doch immer unter Kontrolle gehabt, verdammt! Selbst in den gefährlichsten Momenten war ihm sein kühler Verstand stets der sicherste Schild gewesen; und dieser lag plötzlich zerbrochen am Boden, klirrend zerstoßen unter den Berührungen einer Sterblichen, deren Lippen wie Walhalla geschmeckt hatten - nach Triumph, Erfolg und Anerkennung… In ihren Augen hatte er etwas entdeckt, was er sich sein ganzes Leben über von Odin, von den Asen, von allen gewünscht hatte; sie hatte ihn wahrgenommen und ihn gesehen - nicht den Eisriesen, nicht Thors Bruder, nicht den Verbrecher. Ihn - Loki. Er schickte einen kurzen Blick auf die Sterbliche herab, bevor er ihren Arm vorsichtig von sich löste und sich umsichtig vor ihr zurückzog, um sie nicht zu wecken. Doch er musste weg von ihr; weg von diesen verstörenden Empfindungen, die hinter seiner Brust brannten und denen ein weiterer Kuss von ihren Lippen womöglich Linderung verschafft hätte… Es war der falsche Zeitpunkt. Der so verflucht falsche Zeitpunkt. Er wünschte tatsächlich, er hätte Gwendolyn eher getroffen - vielleicht noch vor den Ereignissen um Jotunheim. Womöglich wäre sein Schicksalsweg dann ganz anders verlaufen. Jetzt allerdings war es zu spät sich darüber Gedanken zu machen - zu spät, die vielen Wenn`s und Aber`s abzuwägen, um schlussendlich damit den Lauf der Zeit auch nicht zu ändern. Loki stieg aus dem Bett und begann sich lautlos anzuziehen; Schicht um Schicht legte er seine Rüstung wieder an, darauf bedacht, dass allein das verhaltene Rascheln von Leder und Stoff den Raum erfüllte. Er schlüpfte in seine Stiefel und entschied, dass er sich deren komplizierten Verschlüssen auch draußen widmen konnte. Mit der Hand an der Türklinke hielt er noch einmal inne; sein Blick schweifte zurück zu Gwendolyn, die nun auf dem Bauch lag, das zarte Gesicht ihm zugewandt. Einen Arm hatte sie im Schlaf beinahe sehnsüchtig über jene Seite des Bettes gestreckt, wo er zuvor noch gelegen hatte und ein kleiner Seufzer entwich ihren Lippen, bevor sich ihre Brauen beinahe enttäuscht zusammenzogen und ihre Finger über den leeren Platz neben sich glitten… Loki musste dringend damit aufhören so viel in ihre Regungen zu interpretieren. Das würde ihn noch vollends verrückt machen. Besser er vergaß den gestrigen Abend schnell und vollständig. Denn es würde keine Wiederholung dieser Szenerie geben. Ausgeschlossen. Er musste sich auf das konzentrieren, was vor ihnen lag, denn seinem geplanten Vorhaben gebührte nichts anderes als seine volle Aufmerksamkeit, da er sich Fehler auf keinen Fall leisten konnte. Der Magier schnappte sich sein Gepäck und zog die Tür des Zimmers entschieden hinter sich wieder ins Schloss; ein seltsames Gefühl von Erleichterung überkam ihn. Loki hatte sich nie für einen schwachen Mann gehalten, war immer der Überzeugung gewesen, dass nichts und niemand ihn von seinem Weg und seinen Zielen abbringen konnte. Jetzt allerdings war er sich dessen gar nicht mehr so sicher. Leise stieg er die Treppen zur Gaststube hinab und nahm zufrieden auf, dass tatsächlich außer ihm noch niemand auf den Beinen war; außer Volstagg, der an der Vorderfront des Hauses lehnte und seine Streitaxt schärfte. Das Schleifen des Schärfsteines drang gedämpft und monoton durch die Tür des Gasthauses. Loki wandte sich dem Kamin zu und wollte schon eine Hand ausstrecken, um das Feuer darin durch Magie zu entfachen, als ihm wieder einmal die Fesseln um seine Handgelenke bewusst wurden. Mit einem frustrierten Seufzen machte er sich also daran, das Feuer auf traditionelle Weise zu entfachen, bevor er sich in der Nähe der erwachenden, knisternden Flammen an einem Tisch nieder ließ und einige Bücher und Zauberutensilien aus seiner Satteltasche zog, die er auf dem Holz vor sich ausbreitete. Abermals kontrollierte er die Vollständigkeit seiner Kräuter, Kristalle und magischen Pulver; rezitierte in Gedanken die relevanten Formeln, welche er für das Ritual brauchen würde. Ab und an schlug er eines seiner Bücher auf, las ein paar Stellen konzentriert nach, bevor er den Ablauf in seinem Kopf immer und immer wieder durchging, bis er sicher war, dass er den Zauber selbst im Schlaf fehlerfrei beherrschen konnte. Das war auch mehr als nötig, denn ein Fehler würde sprichwörtlich tödlich sein… Nach und nach erwachte das Gasthaus aus seinem Schlaf; der Wirt schlurfte irgendwann in die Küche und schürte dort die Feuer für das Frühstück, während die ersten Gäste verschlafen aus ihren Zimmern traten, um sich auf die Fortführung ihrer Reise vorzubereiten. Auch Hogun und Fandral erschienen irgendwann in der Gaststube und ließen sich an Lokis Tisch nieder, wie der Magier aus dem Augenwinkel bemerkte. Gleichgültig blätterte er eine markierte Stelle in einem seiner Bücher auf und ignorierte die zwei vorerst, wie sie es wohlweislich mit ihm taten. Nach einer Weile kamen endlich auch Thor und Sif die Treppen von den Gasträumen herunter; natürlich getrennt, als hätte nicht eh jeder ihrer Gruppe die Ahnung, was sie die Nacht über getrieben hatten… Loki sah flüchtig auf und hob kritisch eine Braue, als er die zwei beobachtete, während Fandral weniger hinter dem Berg hielt; der blonde Krieger stieß Hogun grinsend in die Seite und deutete mit einem Nicken auf Thor, der ganz bewusst nicht in die Richtung der dunkelhaarigen Kriegerin sehen wollte. »Schau mal, Hogun, ich glaube unser Freund ist über Nacht schüchtern geworden. Ob er und Sif heute überhaupt reiten können?« Fandral brach in Gelächter über seinen Witz aus, während Hogun eher peinlich berührt schien und lieber Interesse an dem Becher vor sich zeigte. Loki beließ es bei einem herablassenden Blick auf Fandral, bevor er den Donnergott wieder ansah. Ob Thor Sif zu seiner offiziellen Gefährtin nehmen würde? Die Kriegerin hatte Gefühle für seinen Bruder - das war wirklich unübersehbar. Sie himmelte Thor an, obwohl sie ihm durchaus Paroli bieten konnte, so es nötig war; sie hatten eine Menge zusammen durchgemacht und erlebt. Keine Frau kannte Thor besser als Sif. Allerdings war sie wahrscheinlich nicht gerade das, was sich der Rat und die hohen Herren Asgards für ihren zukünftigen König als Frau wünschten; sie war eine Kriegerin, keine stille und sittsame Frau, die ihren Mund hielt und brav das tat, was ihr Mann ihr auftrug. Was Loki als durchaus wertvollen Wesenszug erachtete, würde anderen Asen gewiss nicht sonderlich schmecken… Sif würde sich auch als Königin nicht vom Schlachtfeld fernhalten und ihren Mann allein in den Kampf ziehen lassen. Aber warum machte Loki sich eigentlich überhaupt Gedanken darüber? Immerhin ging es um Thor und Odin würde gewiss alles möglich machen, was sein ältester Sohn und Thronerbe sich auch nur wünschte… Thor schien sie endlich entdeckt zu haben und nahm nun auch mit Sif an ihrem Tisch Platz, nachdem er beim Wirt ein reichliches Frühstück für sie bestellt hatte. Da nun der Duft von gebratenem Speck und Eiern aus der Küche wehte, dauerte es auch nicht lang, bis sich Volstagg ebenfalls bei ihnen einfand. Als letzte kam Gwendolyn langsam die Treppe herunter und sah sich vorsichtig im sich stetig füllenden Gastraum nach ihnen um. Loki widmete sich augenblicklich seinen Büchern und Zauberutensilien, als die Sterbliche zu ihrem Tisch kam; gewissenhaft verstaute er alles in seiner Tasche und hob den Blick auch nicht an, als die Frau sich mit einem leisen „Guten Morgen“ zu ihnen setzte. Loki kam der Gedanke, dass er sich damit genauso dämlich wie sein Bruder eben aufführte, doch er konnte ihrem Blick einfach nicht begegnen. Außerdem war gerade schon einer seiner zerbrechlichen Kristalle zwischen Volstaggs groben Fingern verschwunden und der Magier fürchtete um seine kostbaren Schätze; das war also nicht einmal nur ein vorgeschobener Grund. Loki wollte keinesfalls riskieren, dass irgendjemand auch nur den Hauch einer Ahnung vernahm, was zwischen ihm und der Sterblichen passiert war; Thor würde man für dergleichen lobend auf die Schulter klopfen, er müsste sich wahrscheinlich mit stichelnden Bemerkungen und spöttischen Fragen herumschlagen und dafür besaß er gerade weder die Geduld, noch die Nerven. »Habt ihr alle gut geschlafen?« fragte Thor munter in die Runde und winkte den Wirt zu ihnen heran, der gerade ein riesiges Tablett mit dem duftenden Frühstück zu ihnen brachte; Eier und Speck, frisches Brot und süßen Aufstrich, Honig und Milch. »Hervorragend.« tönte Volstagg und stieß seinen Löffel sogleich in die Pfanne mit den Eiern. »Nachdem das Geschrei des brünftigen Hirsches endlich verklungen war, der sich offenbar in der Nähe des Gasthauses niedergelassen hatte, konnte ich ganz ausgezeichnet schlafen, mein lieber Bruder. Danke der Nachfrage.« warf Loki trocken in die Runde und nahm sich unbeteiligt ein Stück des warmen Brotes vom Tablett, während Volstagg die Milch wieder in seinen Becher spuckte und Hogun aussah, als wolle er an einem Stück Ei ersticken. Allein Fandral schien köstlich amüsiert. Sif lief hochrot an und widmete sich ausgiebig dem Brot auf ihrem Teller, während Gwendolyn hinter der Milchkanne immer kleiner wurde. »Hirsch…?!« Thor blinzelte zuerst verständnislos, bevor ihm dämmerte, was Loki damit meinte; allerdings suchte er sein Heil dann im Schweigen und stopfte sich eine riesige Portion Ei und Speck in den Mund. Na offensichtlich brauchte er die Stärkung nach dieser Nacht… Den restlichen Teil des Frühstücks verbrachten sie still und zügig, da ihre Reise keinen weiteren Aufschub duldete. Thor bedankte sich noch bei dem Wirt für die gute Verpflegung und Unterkunft, während der Rest der Gruppe bereits die Pferde sattelte und belud. »Wie weit ist es eigentlich noch bis zu unserem ominösen Ziel?« wandte sich Fandral an Hogun, der die Riemen seines Sattels gerade festzurrte. Neben Thor war der dunkelhaarige Krieger bisher der Einzige, der wusste, was Loki plante; Hoguns geschulte Fähigkeiten in Orientierung und Fährtensuche waren maßgeblich für ihre Reise, daher hatten die beiden Brüder ihn eingeweiht. Was natürlich nicht hieß, dass Hogun sonderlich begeistert von Lokis Vorhaben war… »Nicht mehr weit. Vielleicht noch einen halben Tagesritt.« verkündete Hogun bestimmt, nachdem er sich kurz auf seiner Karte orientiert hatte. »Oh, fantastisch. Das lässt mich ja hoffen, dass wir rechtzeitig zurück sind, damit ich es zu meiner Verabredung mit einer wirklich hinreißenden Zofe schaffe.« Fandral schwang sich geschickt auf sein Pferd und beruhigte das tänzelnde Tier durch sanftes Klopfen auf dessen Hals, bevor er sich mit der behandschuhten Linken eine blonde Strähne seiner perfekten Frisur hinters Ohr strich. Loki verdrehte die Augen gen Himmel und schüttelte den Kopf, während er seine Taschen wieder am Sattel seines Hengstes fest machte. Es war doch wirklich beruhigend, dass sich manche Dinge einfach nie änderten; auch dann nicht, wenn Asgard vor der vielleicht größten Bedrohung seiner Geschichte stand und es doch eigentlich wesentlich wichtigere Dinge gab, als Frauen… Noch während der Magier das dachte, flog sein Blick hinüber zu Gwendolyn, die offensichtlich Probleme mit den Riemen ihres Sattels zu haben schien. Loki wollte bereits zu ihr treten, als sie beinahe hektisch nach Hogun rief und diesen um Hilfe bat; aus dem Augenwinkel hatte sie den Magier im Schritt bemerkt und den Blick recht bestimmt abgewandt, um den dunkelhaarigen Krieger nun dankend anzulächeln, der ihr geschickt und flink die Riemen festgemacht hatte. Loki war still und unbeteiligt wieder zurückgetreten, obwohl ihn die verkrampfen Kiefermuskeln der Gleichgültigkeit Lüge straften; wahrscheinlich hatte er es nach gestern Abend nicht anders verdient, dass sie ihm nun die kalte Schulter zeigte - allerdings linderte diese Einsicht den Stich der Eifersucht überhaupt nicht. Er hatte ihr das Leben gerettet. Er hatte in der Nacht bei ihr gesessen, als Malekiths Angriff immer wieder in einem Albtraum über sie gekommen war. Er hatte sie aus Muspelheim herausgeführt. Er - nicht Hogun. Loki hatte…sie geküsst und danach ohne ein Wort allein gelassen. Eigentlich war es mehr als verständlich, dass sie nun keinen sonderlichen Wert auf seine Nähe zu legen schien. Der Magier stieg auf sein Pferd und zog herrisch an den Zügeln, um den Hengst zu Thor hinüber zu lenken. Da er eh besser daran tat, sich auf die weitere Reise zu konzentrieren und sowieso keine Wiederholung der abendlichen Szene anstrebte, so tat er der Sterblichen den Gefallen und ließ sie in Ruhe, als sie nun alle ihre Pferde wieder auf den steinigen, schmalen Pfad lenkten, der den Berg weiter hinaufführte. Obwohl der Regen zum Glück nachgelassen hatte, so war es doch kühl und feucht; grauer Nebel hing schwer zwischen den Gipfeln des Gebirges und sank in einem feinen Schleier ins Tal hinab. Die morgendliche Luft war frisch und still, nur durchbrochen durch das Schnauben der Pferde und deren Hufe, die dumpf über die Steine klapperten. Vereinzelt lösten sich Regen- und Tautropfen aus den Tannen und selteneren Laubbäumen des Weges und tropften platschend auf die feuchte Erde oder die Kleidung der Reisenden. Das entfernte Rauschen eines Wildbaches drang zu ihnen herauf; der Schrei einer Dohle zog über ihren Köpfen dahin. »Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich dich in der Nacht quasi…hrm…ausquartiert habe?!« drang unvermittelt Thors Stimme an Lokis Ohr. Der Magier sah zu seinem Bruder hinüber und hob fragend eine Braue; genoss das sichtlich peinlich berührte Winden seines Bruders. »Naja…weil Sif und ich…du weißt schon…« gab Thor ein wenig hilflos von sich; ein seltener Anblick - der mächtige Donnergott war verlegen. Er lenkte sein Pferd näher zu Lokis. »Meinst du, nun ja, meinst du, wir waren sehr laut…?« Thor wirkte wahrlich unsicher und das entlockte dem Magier ein amüsiertes, seicht schadenfrohes Schmunzeln. »Thor, ich glaube, ganz Asgard hat dich gestern Nacht gehört.« erwiderte Loki sachlich und ergötzte sich an dem beschämten Zusammenzucken seines Bruders. »Bei allen Welten…« hauchte Thor fast entsetzt, bevor ihm auffiel, dass die Mundwinkel Lokis beharrlich in die Höhe strebten. »Du ziehst mich auf, kleiner Bruder!« grollte der Donnergott und stieß dem Magier seine mächtige Faust leicht, aber zurechtweisend gegen die Schulter. Die beiden sahen sich schmunzelnd an und beinahe war es wie früher, bevor die Ereignisse der Vergangenheit einen Keil zwischen die beiden Brüder getrieben hatte; bevor Lokis Neid alles aufgefressen hatte, was gut und ehrbar zwischen ihnen gewesen war - wie ein hungriges Raubtier sich seinen Instinkten folgend auf die Beute warf, durch nichts und niemanden aufzuhalten, der Blutgier verfallen. »Liebst du sie?« war die Frage Loki so abrupt entwischt, dass ihm erst hinterher der Gedanke kam, dass er eigentlich nie zuvor bewusst mit seinem Bruder über solche Dinge gesprochen hatte. Zu diesem Schluss schien auch der Donnergott zu kommen, denn er sah äußerst verblüfft, fast irritiert zu dem Magier herüber, bevor eine seiner großen Hände unsicher durch sein blondes, wildes Haar fuhr. »Ich bin mir nicht sicher, aber…ich denke schon. Ich empfinde sehr viel für sie.« raunte er auf eine sehr sanfte Art und Weise, während er verstohlen über die Schulter zu Sif zurückblickte, die sich mit Fandral unterhielt und am Ende des Zuges ritt. »Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir Sif das erste Mal trafen?« fragte Thor dann und sah zu dem Magier herüber, der sogleich nickte. »Ja, das tue ich.« Diesen Tag hatte Loki noch sehr genau in Erinnerung. Thor und er waren beide noch Kinder gewesen und hatten zusammen eine mühsame Übungsstunde Schwertkampf absolviert, wobei das Empfinden sicher zweigeteilt gewesen war; Thor hatte das Kampftraining stets geliebt, während Loki es als Folter erachtet hatte. Sie waren von ihrem Lehrer im Palastgarten unterwiesen worden, während eine Gruppe fein gekleideter Mädchen auf dem Weg zur monatlichen Einführung in Gesellschaftstanz durch einen etwas erhöhten Bogengang zur Königin geführt werden sollten. Natürlich war es für die Dienerschaft recht schwer gewesen, die Horde plötzlich fiepender Weiblichkeiten zu bändigen, die in haltloses und begeistertes Raunen ausgebrochen waren, nachdem sie die beiden Prinzen im Garten entdeckt hatten. Recht überfordert hatten die bediensteten Asen die Mädchen weitergeschoben, die sich kaum von dem Anblick losreißen wollten, vor allem nicht, da Thor sich einen Spaß daraus gemacht und ihnen auch noch zugewunken hatte, während Loki einfach froh über die so erzwungene Pause gewesen war. Eines der Mädchen hatte sich aber unbeobachtet von ihren Aufpassern aus der Gruppe geschlichen und war plötzlich um eine efeubewachsene Säule des Gartens geeilt; im Laufen noch hatte sie ihr wertvolles Kleid über den Kopf gezogen und sich aus den unzähligen Lagen Stoff gewunden, bevor sie diese einfach beiseite geworfen und ungerührt in ihrem Unterkleid zu ihnen stolziert war. »Milady Sif…Herrin…was im Namen der Welten macht Ihr denn da?!« Ihre Amme war dann hinter ihr aufgetaucht; das Gesicht blass vor Schreck hatte sie erschüttert auf ihre Schutzbefohlene gesehen, die in ihrem schlichten Unterkleid zum Waffenständer gegangen war und sich einfach ein Schwert gezogen hatte, das sie zwar kaum hatte heben können, doch umso verbissener hinter sich hergezogen hatte. »Der Tanz langweilt mich. Ich werde heute lieber mit den beiden Jungen hier den Schwertkampf trainieren. Dies ist doch viel unterhaltsamer als monotone Schrittfolgen zu lernen. Mit einem Tanz kann man keine Feinde bezwingen.« hatte das Mädchen selbstbewusst erklärt, das Kinn gereckt und sich ungefragt so neben Thor platziert, dem die Kinnlade verblüfft herabgefallen war, während der Amme und ihrem Lehrmeister sämtliche Gesichtszüge entglitten waren. Allein Loki hatte sich in diesem Moment köstlich amüsiert und den Eigensinn des Mädchens durchaus bewundert und geachtet. »Ich glaube, es war mir nie wirklich klar, aber in diesem Augenblick habe ich mich in sie verliebt. Obwohl ich sie damals für verrückt hielt.« holte Thors Stimme Loki in die Gegenwart zurück; der Donnergott stieß ein warmes Lachen aus und selbst Loki konnte ein verhaltenes Schmunzeln nicht unterdrücken. »Sif und ich, wir haben so viel zusammen erlebt; ich kann ihr vertrauen wie einer Schwester, mit ihr lachen wie mit einem Freund und sie begehren wie eine Frau von Wert. Ich glaube wirklich, sie könnte die Richtige sein, Loki. Die perfekte Frau. Die einzig Wahre für mich.« sinnierte der Donnergott ungewohnt empfindsam, während er auf die Zügel in seinen Händen blickte; seine Gefühle waren ihm deutlich anzusehen - für Loki wohl deutlicher denn je, da Thors Aura in hellem, aufgeregtem Blau schimmerte. »Das ist sie. Ihr seid füreinander bestimmt.« bekräftigte der Magier überraschend. Wenn es vieles gab, über das er grübelte, einigen Sachen war er sich schon immer sicher gewesen - Thor und Sif gehörten einfach zusammen. Die Freude über diese Worte in Thors Gesicht schnürte Loki beinahe die Luft ab. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es eine andere Frau so lange mit dir aushalten würde…« fügte Loki dann spöttisch an, um den Hauch von Verbundenheit zwischen ihnen nicht zu einem Wind erstarken zu lassen, dessen Böen er sich beugen müsste. Thor schien ihm die Worte jedoch nicht übel zu nehmen. »Da hast du wahrscheinlich recht, kleiner Bruder.« pflichtete er ihm lachend bei, bevor er sich fast verschwörerisch zu dem Magier herüberbeugte. »Wie war eigentlich deine Nacht…mit Gwendolyn? Habt ihr euch das Zimmer geteilt?« In Thors blauen Augen der Schalk neben ehrlichem, brüderlichem Interesse. »Nur weil ich dir einmal recht gegeben habe, solltest du nun nicht dem Glauben erliegen, dass ich dir alles sagen werde.« entgegnete Loki kühl und zog sich die Kapuze über den Kopf, um das Gespräch damit zu beenden und seine Züge zu verbergen, in denen der Donnergott bloß nicht lesen sollte. »Erfolgreich also?!« mutmaßte Thor erfreut, als hätte er gar keine andere Reaktion von Loki erwartet - und als würde ihm genau die verraten, was er zu wissen verlangte. »Was ist passiert? Nun sag schon, Loki…« Augenblicklich ähnelte der Thronerbe Asgards einem quengelnden Kind, das unbedingt etwas haben wollte. »Achte auf den Weg, Thor.« wies der Magier seinen Bruder trocken zurecht, der es um ein Haar geschafft hätte, sich durch einen herabhängenden Ast aus dem Sattel schlagen zu lassen. Geschmeidig duckte sich Loki darunter hinweg und schnürte ihre Unterhaltung ab, indem er seinen Hengst vor Thors Pferd trieb und diesen so hinter sich platzierte. Der Pfad vor ihnen wurde immer schmaler; steil und steinig wandte sich der Weg um den Berg in die Höhe, sodass die Gefährten am Ende von ihren Pferden steigen mussten, um diese am Zügel vorsichtig hinter sich herzuführen. Der Wind hatte aufgefrischt und zog pfeifend die Steilhänge herauf, was die Reise zwar nicht wesentlich angenehmer machte, doch zumindest die Sicht ein wenig klärte; Nebelfetzen trieben wie blasse Gespenstern an ihnen vorbei in die Höhe. Hinter der nächsten Biegung offenbarte sich endlich ihr Ziel; der schmale Pfad weitete sich zu einem moosbewachsenen Hochplateau aus, das sich wie das Nest eines Adlers in diesen schwindelnden Höhen an den Berggipfel schmiegte. Mächtige Tannen trotzten dem rauen Klima hier oben und rahmten das halb zerfallene Gemäuer ein, welches sich vor ihnen aus dem Nebel schälte. Der uralte Tempel erhob sich bedrohlich aus dem bleichen Dunst der Wolken und nassen Luft; zerstörte Säulen und Wände ragten wie die scharfen Zähne eines Ungeheuers in den stahlgrauen Himmel. Zerbrochene Fenster blickten ihnen wie leere Augenhöhlen entgegen; das starke, schmiedeeiserne Tor ein unheilgebietendes Maul, aus dessen geöffneten Pforten der Nebel und die Finsternis kroch. Beharrlich hatte sich die Natur zurückerobert, was ihr einst gehört hatte; hier und da war das Mauerwerk durch Wurzeln gesprengt und tapfer zogen sich die Ranken von wildem, robustem Efeu die rauen Steine hinauf. Der Nebel umfing die Ruine wie die Umarmung eines Liebhabers - fast hatte man das Gefühl, dass sich die Schleier kaum von den Mauern trennen konnten, als würde die Natur selbst den Tempel vor neugierigen Augen zu verhüllen suchen. Es war seltsam ruhig hier oben; außer dem Säuseln des Windes, der den Berg heraufkam und vereinzeltem, nassem Platschen von übriggebliebenen Regentropfen in den Bäumen war nichts zu vernehmen, bis der Rest der Gruppe hinter Loki das Plateau erreichte, der sich eben seine Kapuze vom Haupt strich, um seinen Blick uneingeschränkt schweifen lassen zu können. »Wir sind da.« verkündete der Magier tonlos und führte seinen Hengst zu einer nahen Tanne, um ihn dort festzumachen. Das Tier wirkte unruhig und schlug die Hufe nervös in die moosbedeckte, weiche Erde; der angestrengte Atem des Pferdes stob sichtbar in die Luft, während Loki die behandschuhte Rechte nutzte, um dem Tier beruhigend über die Nüstern zu streichen, bevor er zu dem Tempel aufblickte. Der Magier konnte es auch fühlen - er spürte, was seinen Hengst so unruhig machte. Die Grenzen zwischen den Welten waren an diesem Ort sehr dünn; einer der geheimen Pfade war nahe. Loki konnte das Wirbeln der Energien fühlen, das wie ein dumpfes Vibrieren unter seinen Stiefeln durch die Erde rollte - ein unheilvoller Herzschlag, der Finsternis mit sich brachte. Finsternis, die in wallenden Nebeln aus der geöffneten Pforte der Ruine strömte - den Atem von etwas dunklerem und weniger lebendigem mit sich führend; jegliche Farbe, jegliches Licht schien jenseits des Tores verschluckt zu werden. »Bei allen Welten…was ist das für ein Ort…?« grollte Volstagg abwehrend, beinahe widerstrebend, als wolle er sogleich rückwärts den Berg wieder hinabeilen; seine massige Gestalt versteifte sich, während er hinter Fandral den Pfad heraufkam und den Tempel vor ihnen erblickte. Der blonde Krieger rümpfte missbilligend die Nase. »Und deswegen haben wir den ganzen Weg auf uns genommen?! Wegen einer Ruine?!« Anklagend deutete er auf das Gemäuer. Loki klopfte seinem Pferd ein letztes Mal beruhigend auf die Flanken, bevor er seine Tasche vom Sattel löste und zu Thor hinüber schritt, der inzwischen den Schluss des Zuges bildete. Gwendolyn und Sif stiegen nun ebenfalls von ihren Pferden und beäugten den halb zerfallenen Tempel äußerst unbehaglich. Der Donnergott stieg aus dem Sattel und zog die Augenbrauen finster zusammen, während sein Blick die Ruine wachsam überglitt, bevor er Loki entgegensah, der eben an ihn herangetreten war. »Du willst das wirklich tun, Bruder?« raunte Thor zweifelnd und strich seinem Pferd beiläufig über den kräftigen Hals, da das Tier ebenso die düstere Aura des Ortes verspürte. Thors Sorge war ja fast rührend…und ausgesprochen lächerlich. »Natürlich.« erwiderte der Magier sachlich. »Für einige Antworten ist keine Gefahr zu groß. Du musst die guten Seiten der Sache sehen. Sollte etwas schief gehen, so wird sich der Allvater wohl nicht mehr um meine Bestrafung sorgen müssen…« Loki zeigte ein humorloses, schmales Grinsen und hob seinem Bruder die Handgelenke mit den magischen Fesseln entgegen. »Wenn ich bitten darf?!« Thor schien nicht wirklich überzeugt von den positiven Aspekten dieses Unterfangens. »Das ist wirklich nicht witzig, Loki…« grollte er finster, bevor er den Schlüssel der Fesseln unter seinem Umhang hervorzog. »Wenn etwas schief geht, dann reißt du nicht nur dich in den sicheren Tod…« Die Worte hingen schwer zwischen ihnen in der Luft, während Thor bedeutsam zu der Sterblichen hinüber blickte, die gerade mit Sif ihren Hengst an einen Baum band. Mit einem metallischen Klicken sprangen die silbernen Fesseln auf; der Magier sog die Luft befreit in bebende Nasenflügel und rieb sich die verspannten Handgelenke. Dann folgte er dem Blick des Donnergottes. Loki hatte Gefahren nie gemieden, vor allem dann nicht, wenn die Aussicht auf Wissen und Macht dahinter stand; er kannte keine Angst vor Herausforderungen, da die Angst am Ende immer ein Hemmnis und Hindernis sein würde. Schon als junger Mann hatte er kein magisches Experiment gescheut; sich selbst auf die abschüssigen Pfade der dunkleren Magie gewagt, die Freya ihm während der Zeit in Vanaheim gezeigt hatte - die Vanin hatte sich verbotenerweise mit schwarzen Zaubern und Schriften beschäftigt, da sie der Meinung gewesen war, um alles in seiner Komplexität verstehen zu können, müsse man immer beide Seiten der Medaille kennen. Loki hatte ihre Denkweise durchaus nachvollziehen können und Achtung für die junge Frau empfunden, die seinen ehrgeizigen Ansprüchen in nichts nachgestanden hatte. Ja, der Magier hatte nie eine Herausforderung gescheut; keine Gefahr als zu groß erachtet, dass es sie nicht wert war einzugehen für den Preis von Macht und das Erreichen der eigenen, so hochgesteckten Ziele. Lokis Blick glitt über Gwendolyn, die ihren Umhang enger um die zierlichen Schultern zog, während Fandral ihr aufmunternd auf die Schulter klopfte, was dem Magier beinahe ein warnendes Knurren entlockt hätte - jetzt allerdings ging es nicht nur um sein Leben. Auf seltsame Art und Weise fühlte er sich verantwortlich für die Sterbliche und der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen könnte, lag plötzlich schwer und unangenehm in seinem Magen. »Ich weiß.« zischte Loki seinem Bruder entgegen; er wusste durchaus, worum es ging und diese Ermahnungen waren lästig. Thor sollte ihn eigentlich gut genug kennen, um zu wissen, dass Loki keine Fehler duldete - am wenigsten bei sich selbst. »Lass uns endlich anfangen.« Entschlossen hob er die Tasche mit seinen Zauberutensilien vom nassen Boden auf und trat zu Gwendolyn hinüber, die ihm nur sehr verhalten entgegen sah; sie wirkte angespannt, unsicher schwankte ihr Blick zwischen ihm und der Ruine des Tempels. »Komm mit mir.« raunte er ihr entgegen; die ersten Worte, die er seit dem letzten Abend zu ihr sprach. Anfänglich hätte er fast damit gerechnet, dass sie seine dargebotene Hand ausschlagen und ihn weiterhin ignorieren würde, doch sie überraschte ihn, indem sie tief Luft holte und ihre schlanke Hand dann in seine bettete. »Thor…« sprach der Magier seinen Bruder auffordernd an, während er sich mit der Sterblichen in Richtung des Tempels aufmachte. Der Donnergott nickte und wandte sich seinen Freunden zu. »Hogun. Sif. Ihr bleibt hier draußen bei den Pferden. Behaltet die Umgebung im Blick und sorgt dafür, dass uns niemand folgt.« Die beiden nickten pflichtbewusst und bezogen Stellung am Ende des Pfades hinter einem Felsvorsprung, um mögliche Angreifer sogleich erblicken zu können. »Fandral. Volstagg. Ihr kommt mit mir.« verlangte Thor befehlend und erntete zumindest von Fandral ein resigniertes Seufzen, der sofort seinen Degen zog und die Ruine argwöhnisch beäugte. »Also ich wäre liebend gern bei den Pferden geblieben.« murrte der blonde Krieger. »Da stimme ich dir zu, mein Freund…« brummte Volstagg rau und packte den Stiel seiner Streitaxt fester, so sich sein Blick sehr skeptisch auf das Gemäuer vor ihnen legte, in das sie nun zu gehen gedachten. Zögerlich folgten die beiden Thor, der hinter Loki herlief. »Nicht mal ein saftiger Wildschweinbraten könnte mich nun so sehr locken, dass es mich verlangen würde, diesen Ort zu betreten…« Der Magier trat mit der Sterblichen an seiner Seite zuerst in die Finsternis des Eingangstores; ihre Finger klammerten sich unmerklich fester um seine Hand. »Was ist das für ein Ort?« wisperte sie, während er bemerkte, dass sie intuitiv näher zu ihm gerückt war. Warum auch immer, doch dieses winzige Zeichen des Vertrauens ließ Loki innerlich jubilieren. Vor ihnen offenbarte sich eine weitläufige Halle, in der raschelnd ein paar verdorrte Blätter vom Wind über den Boden getrieben wurden; mächtige Säulen stützten das Dach des Tempels, das schutzlos über die Jahre den Elementen ausgesetzt bereits an einigen Stellen durchbrochen war. Sanft rieselte staubfeine Feuchtigkeit von oben herab und hatte die Einrichtung der hölzernen Bänke angegriffen. An der Front des Tempels erhob sich die verwitterte Statue einer Frau auf einem Sockel, bereits umwunden von starrsinnigem Efeu und von Nieselregen umtanzt, der durch ein Loch über ihrem Kopf fiel. Das Tropfen von Wasser und das leise Rascheln der Blätter war alles, was in der mächtigen Halle zu vernehmen war - eine trügerisch idyllische Stille. »Ein Tempel der Hel.« erklärte der Magier in aller Ruhe; allerdings hatte er auch schon die Zeit gehabt, sich mit seinem Vorhaben anzufreunden. Gwendolyn blieb augenblicklich stehen und zwang Loki so ebenfalls im Schritt innezuhalten, da sie seine Hand weiter fest hielt. Hinter ihr betraten nun auch Thor, Fandral und Volstagg die Halle; der rothaarige Krieger musste sich unter einem zerbrochenen Balken hindurchbücken, um sich den Kopf nicht zu stoßen. »Hel…?!« Die Stimme der Sterblichen war äußerst wachsam geworden; vorsichtig beäugte sie ihre Umgebung. Sie ahnte wohl, was er gedachte zu tun. Kluges Mädchen. »Loki…was zum Teufel hast du vor?!« hauchte sie. »Na hervorragend…« stieß Fandral in einem langgezogenen Seufzen aus und deutete auf die Statue am Ende der Halle. »Hel. Ein Tempel der Todesgöttin. Da fühle ich mich doch gleich sicher und geborgen.« »Hast du Angst, Fandral?« gab Loki dem Krieger spitz über die Schulter zurück. »Die Frauen pflegen in so einem Fall zumeist draußen zu warten…« fügte er trocken an und genoss das empörte Schnauben des Kriegers. »Keine Angst. Ich nenne das Verstand.« Volstagg neben ihm umklammerte seine Axt fast wie ein Rettungsseil und sah sich angespannt in der Halle um. »Wir werden der Unterwelt einen kleinen Besuch abstatten.« wandte sich der Magier nun wieder Gwendolyn zu, deren Augen sich auf jene Eröffnung hin sichtlich weiteten. Er schob den Riemen seiner Tasche höher auf seiner Schulter und schritt dann durch die Reihen der Bänke auf den Altar zu, die Frau an der Hand hinter sich herführend. »Wir?! Du meinst damit hoffentlich nicht dich und mich?!« Ihre Stimme vermittelte brüchige Zuversicht. »Doch. Dich und mich.« zerbrach er ihre schwächlichen Hoffnungen mit bestimmter Zunge und wandte sich vor Hels Statue noch einmal zu seinem Bruder um, der mit den beiden Kriegern die Halle durchschritt. »Thor. Wartet hier. Sorgt dafür, dass wir unter keinen Umständen gestört werden. Das Ritual darf nicht unterbrochen werden.« Der Donnergott nickte verstehend, dann hielt er Loki noch einmal mit einem Räuspern auf. »Sei vorsichtig, Bruder…« Ein schmales Grinsen erblühte auf den Lippen des Magiers. »Natürlich. Das bin ich doch immer.« Loki drehte sich auf dem Absatz herum und steuerte zielsicher eine Tür hinter der Statue an, die zu den höher gelegenen Räumen des Tempels führte. Das morsche Holz der Tür knarzte protestierend in den Angeln; eine steile Wendeltreppe zog sich dahinter in die düstere Finsternis über ihren Köpfen. »Warum muss ich dich begleiten? Ich verstehe das nicht…ist das wirklich nötig? Und was willst du überhaupt in der Unterwelt?« wisperte die Sterbliche zittrig gegen seinen Rücken und doch schwang der typische Dickkopf ihres Wesens in den Worten mit, während sie hinter Loki die Treppe hinaufstieg. »Antworten.« erklärte ihr der Magier bestimmt und schob eine weitere Tür am Ende der Treppe auf, die in einen kreisrunden, gedrungenen Raum führte. »Wir müssen wissen, wer oder was unser Feind ist. Auf diese Frage findet kein einziges Buch eine Antwort.« »Aber in der Unterwelt hoffst du die zu finden?!« hinterfrage Gwendolyn zweifelnd und folgte ihm zögerlich in den düsteren Raum; allein ein paar spärliche, winzige Fenster ließen graues Licht herein. Ihr Blick signalisierte ihm äußerste Skepsis, neben der unterschwelligen Angst, die sie sich ihm gegenüber allerdings nicht anmerken lassen wollte. Loki ließ ihre Hand los und trat in die Mitte des Raumes, wo er auf die Knie herabsank und begann seine Tasche zu leeren; ein Wink seiner Hand genügte nun, um eine Reihe schwarzer Kerzen in einem perfekten Kreis um sich zu platzieren. »Wenn unser Feind älter als die ersten Aufzeichnungen von Zivilisationen ist, so kann uns nur eine Macht im Universum verraten womit wir es zu tun haben. Eine Macht, die so alt ist wie das Leben selbst.« »Der Tod…« hauchte die Sterbliche verstehend. Loki nickte und blies eine Handvoll zerstoßener Kräuter in den Raum; noch in der Luft entzündete er die trockenen Krümel und ließ damit schwelende, duftende Asche herabregnen, welche die Luft für seinen Zauber vorbereitete. »Außerdem hoffe ich auf eine Antwort hinsichtlich der Kraft in dir und deiner Herkunft. Daher wirst du mich begleiten.« Gwendolyn verschränkte die Arme vor der Brust; es sollte abwehrend und störrisch wirken, doch vermittelte es eher den Eindruck, als wäre ihr kalt und sie wolle sich selbst in ihrem Unbehagen trösten. »Du hättest mich eigentlich ruhig fragen können, ob ich das überhaupt will. Ob ich das überhaupt wissen will und dazu bereit bin. Hier geht es schließlich nicht nur um dich, Loki.« fuhr sie ihn an, doch fehlte der übliche Nachdruck ihrer Stimme. »Nach gestern Abend-« Sie schluckte, sprach dann aber weiter, nachdem sie offensichtlich eindeutige Erinnerungen weggeschoben hatte. »Nach gestern Abend dachte ich eigentlich, dass du das verstanden hättest…« endete sie in einem resignierten Wispern, wobei ihre zusammengezogenen Brauen Ärgernis vermittelten. Er verstand sie. Verdammt nochmal, warum wusste er nur so gut, wie es in ihr aussah? Doch er konnte auf ihre Gefühle jetzt keine Rücksicht nehmen. Wenn sein Plan funktionieren sollte, so musste er sich an seine alte Form erinnern - in die Maske zurückfinden, die ihm einst so gut gepasst hatte… »Du hast Recht. Es geht nicht nur um mich…« Der Magier erhob sich wieder auf die Füße und ließ durch einen Fingerzeig ein kleines Fläschchen über den Boden schweben, welches aus dunkelrotem Pulver verschnörkelte Symbole neben die Kerzen des Kreises malte. Loki sah die Sterbliche eindringlich an. »Es geht um viel mehr. Möglicherweise um alles. Licht oder Dunkelheit. Leben oder Tod. Dieser Schatten in Malekith ist anscheinend sehr interessiert an dem, was in dir schlummert. Vielleicht kann man es als Waffe gegen unseren Feind einsetzen.« »Eine Waffe…« Ihre Stimme klang plötzlich bitter. »Mehr bin ich nicht für euch, oder? Mehr bin ich nicht für dich…« In ihren Augen sah er Emotionen auflodern, die ihn früher niemals berührt hätten. Jedoch ließ ihn die verletzte Enttäuschung in den Tiefen ihrer glänzenden Seelenspiegel nicht so kalt, wie es ihm lieb und zweckdienlich für sein Vorhaben gewesen wäre. »Mach dich nicht lächerlich.« meinte er zurechtweisend, während er ein paar Kristalle in die Luft schweben ließ, die sich dort nach einem bestimmten Muster aufreihten, bevor sie auf den Boden herabsanken. »Niemand sieht dich nur als Waffe. Behandelt dich irgendjemand, als wäre es so? Wenn dies der Fall wäre, würdest du niemals die Gastfreundschaft des Allvaters so uneingeschränkt genießen können. Waffen benutzt man. Man schließt sie weg. Oder man zerstört sie.« war sein kühles Fazit, unter welchem sie spöttisch schnaubte. »Und trotzdem bin ich eure Gefangene.« »Wenn du es unbedingt so sehen willst…« Er ging wieder in die Hocke, um die restlichen Zutaten aus seiner Tasche zu ziehen; ein schmaler, leicht schimmernder Dolch wanderte ungesehen von der Sterblichen unter die Aufschläge seines Mantels in ein geheimes Versteck, wo dieses kostbare Gut sicher verborgen wäre. Dann warf er seine Tasche achtlos beiseite. »Wie funktioniert es…wie…wie willst du uns nach Hel bringen?« Gwendolyn war ein paar Schritte hinter ihn getreten; ihre Stimme klang wieder gefestigter, als hätte sie alle Emotionen verbissen beiseitegeschoben, um sich in diesem Augenblick auf das Wesentliche konzentrieren zu können - ein Verhalten, welches er nur zu gut von sich selbst kannte. Loki ließ ein paar alte Runensteine durch seine Finger gleiten; genoss das vertraute Prickeln der Magie, bevor er sie scheinbar wahllos in dem gezogenen Kreis auf dem Boden platzierte. »Hel ist kein Ort wie jeder andere. Normalerweise kann man nicht einfach in das Reich der Todesgöttin gehen, außer man ist bereits tot. Dieses Ritual wird die körperlose Seele eines eben Verstorbenen vortäuschen, sodass wir durch die Grenzen zwischen den Welten schlüpfen können. Jemand, der schon einmal auf der Schwelle des Todes stand, hat die Pfade bereits erblickt, die ins Reich der Hel führen und kann sie wieder hervorrufen. Vorausgesetzt, er ist ein Magier.« erklärte Loki sachlich, während er die letzten Runen konzentriert niederlegte. Das Rascheln von Kleidung verriet ihm, dass die Sterbliche erneut näher gekommen war. »Du…Loki, du sprichst von dir…wie ist das passiert? Wann…?« Der Ton ihrer Stimme hatte sich erneut gewandelt; war wärmer, vorsichtiger, gefühlvoller geworden. »Es ist lang her. Ich war ein jüngerer Mann, hatte die Möglichkeiten der Magie gerade für mich entdeckt. Ich wollte Thor einen Zauber zeigen, den ich eben erst gelernt hatte. Allerdings lief nicht alles so, wie es sollte...« gab er selbst für sich überraschend offen Auskunft über ein Ereignis in seiner Vergangenheit, das er beinahe noch tiefer in sich begraben hatte als seine Gefühle. Denn damals war ihm das Schlimmste überhaupt widerfahren - Versagen. Gleichgültig fuhr er fort, als würde er die Geschichte eines anderen erzählen: »Der Zauber explodierte in einem Feuerball. Ich warf mich über Thor, um zumindest ihn zu schützen und fing somit den größten Teil der außer Kontrolle geratenen Magie ab. Danach schwebte ich eine ganze Weile zwischen Leben und Tod. Frigga wachte tagelang an meinem Bett-« Die unvermittelte Berührung von zarten Fingerspitzen auf seinem Rücken ließ ihn innehalten; selbst durch die Schichten von Leder und Stoff hindurch konnte er die Wärme von Gwendolyns Fingern beinahe überdeutlich fühlen, wie sie sanft und so unendlich vorsichtig über seinen Rücken strichen, als wäre er - Loki - das Kostbarste, was sie je berührt hätte. Ungewollt erschauderte er unter ihrer Berührung. »Die Narben auf deinem Rücken…« wisperte sie fast erstickt, als würde sie der Gedanke, dass er fast gestorben wäre mehr erschrecken als ihn selbst. Er nickte stumm und erhob sich wieder, nachdem er alles zu seiner Zufriedenheit vorbereitet hatte. Ihre Finger verschwanden in einem sanften Gleiten von seinem Rücken. »Dies war dann wahrscheinlich der Tag, an dem der Allvater entschied, dass ich der Magie lieber abgeschworen hätte. Immerhin hatte ich beinahe seinen geliebten Sohn damit umgebracht. Das trug nicht unbedingt zu seiner Liebe und Anerkennung der Zauberei bei…oder zu meiner.« erläuterte Loki mit einem spöttischen Grinsen, was seine Augen jedoch nicht erreichte. Er hatte sich zu Gwendolyn umgedreht, die mit einem beinahe schmerzlichen Ausdruck auf ihren zarten Zügen zu ihm aufsah. Für einen Moment dachte er, dass sie ihre Hand heben und jene warm und schützend auf seine Wange betten würde, doch sie hielt sich zurück. Und er bedauerte es. Loki trat in den Kreis hinter sich und streckte ihr die Hand auffordernd entgegen. »Alles ist vorbereitet. Komm jetzt.« Sie zögerte einen winzigen Augenblick, in dem sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne zog, bevor sie tief Luft holte und seine Hand ergriff, um in den Kreis zu ihm zu treten. »Und jetzt…?« Unsicher starrte sie auf die Kerzen, Kristalle und Symbole zu ihren Füßen. »Halt dich an mir fest. Und lass nicht los.« raunte er ihr zu und zog sie an sich; Bilder der letzten Nacht blitzten vor seinem inneren Auge auf, als sie nun die Arme um ihn schlang und sich weich gegen ihn schmiegte. »Du musst mir ab jetzt vertrauen, Gwendolyn. Vorbehaltlos, verstehst du?« Er hob ihr Kinn mit einem Finger, sodass sie ihn ansehen musste. Unsichere Skepsis huschte über ihre Züge, verhaltene Vorsicht ließ sie ihre Brauen zusammenziehen, doch dann nickte sie bestimmt. »Ja, ich verstehe. Ich vertraue dir…« versprach sie bestimmt. Loki legte die Arme zufrieden um die Sterbliche. Ihre Umarmung fühlte sich viel zu richtig, viel zu perfekt an - verbissen schob er diese Gedanken von sich und konzentrierte sich auf die Verse des Rituals, welche er nun in einem melodischen Singsang leise rezitierte. Die Fäden der Magie begannen sich zu weben; die Energien flossen aus den Wänden des Tempels, dem uralten Mauerwerk und der ihnen umgebenden Luft - aus Feuchtigkeit und Staub formte sich ein schillernder Kokon um die beiden Körper im Inneren des Kreises, der sich träge um sie zu drehen begann. Loki hatte die Augen geschlossen, während die Worte der Magie aus seinem Mund flossen und sich mit den wirbelnden Energien umher verbanden; er fühlte sich geerdet, spürte die Mächte durch seine Venen fließen. Die Luft umher erwärmte sich durch den Zauber und lud sich statisch auf, sodass winzige Blitze zwischen den schwebenden Staubteilchen umher sprangen. Vor seinem geistigen Auge konnte er die nötigen Stränge der Energien erkennen, die er nun in komplizierten Verbindungen miteinander verwob; er erschuf ein Netz aus magischen Verknüpfungen, bis die letzte Brücke geschlagen war und die Energien ungehindert fließen konnten - der Zauber glühte hell auf und Loki packte nach dem Pfad seiner Erinnerung. Ein dunkler Fleck im Herzen des Zaubers - der Weg tat sich tosend auf. Ihre Körper wurden in brausendes Licht gehüllt; eine Säule aus Energie schoss aus dem Boden auf und brachte die Kälte des Todes mit sich, welche langsam von den Füßen die Beine heraufwanderte. In rasender Schnelle wurden ihre Körper in den Atem des Todes gehüllt, bevor sicher der Durchlass unter ihren Füßen auftat und sie unvermittelt durch den Stein in die Unterwelt sackten. Lokis Stiefel trafen knirschend auf dem eiskalten Boden auf; selbst durch die Sohlen seiner Stiefel konnte er die unnatürliche Kälte spüren, die hier herrschte. Die Luft umher war kaum wärmer, sichtbare Atemwolken bildeten sich vor ihren Lippen, als Gwendolyn ihre feste Umklammerung nun zögerlich löste und die Augen blinzelnd öffnete, die sie wohl zuvor ängstlich zusammengekniffen hatte. Der Magier ließ einen Arm um die Sterbliche geschlungen, um ihr ein wenig Wärme zu spenden, während er sich umsah. »Hat es geklappt…?« drang ihr zaghaftes Wispern an sein Ohr. Ihre warme, lebendige Stimme fühlte sich an diesem Ort deplatziert an; seltsam falsch klangen die Worte in seinen Ohren nach - ein Funken Leben an einem Ort des Todes. »Es sieht so aus…« gab er leise zurück. Umher erstreckte sich eine trostlose und tote Landschaft; karger, trockener Boden, verdorrte Bäume und Büsche neben grotesken Felsformationen, wohin man auch sah. Eine Flut aus bleichen Gebeinen zog sich über die leblosen Ebenen, selbst ihre Stiefel standen auf den Knochen der Verstorbenen; leere Augenhöhlen starrten ihnen aus unzähligen Schädeln entgegen, die den Besuchern mit einem fleischlosen Grinsen begegneten. Über allem lag der Schleier der Fäulnis und Verdammnis; düsterem Nebel gleich kroch der Tod über das Land und hüllte alles in seinen stinkenden, unseligen Atem. An diesem Ort gab es keine Freude, keine Hoffnung, keine Wärme - eine Welt geschaffen für die Toten, die es im Leben zu keinem Ruhm gebracht hatten; hier ruhten jene, die in Walhalla keinen Einlass gefunden hatten. In einiger Entfernung schwappte der bodenlos finstere Fluss Gjöll an zerklüftete Klippen; ein Geräusch, als würden die Gebeine der Toten selbst über die scharfen Steine schaben. Ein winziges Boot lag an einem Steg aus Knochen an, darauf eine schemenhafte, dürre Gestalt, die das Ruder hielt und deren kalt glimmende Augen sie bereits fixiert hatten. Eine knöcherne Hand hob sich aus den zerfetzten Falten eines düsteren Gewandes; ein bleicher Finger zeigte fast anklagend auf sie, bevor ein hohles Lachen erklang, welches wahrscheinlich selbst die Toten hätte frösteln lassen. Gwendolyn klammerte sich fester an Loki. Ihr Zittern war für ihn deutlich zu spüren. Unvermittelt wurden ihre Körper nach vorn gerissen; die Umgebung verschwamm vor ihren Augen und mit unbändiger Geschwindigkeit zog sie eine unsichtbare Macht über das Land auf eine schwarze Festung zu, die sich bedrohlich und düster über den Ebenen erhob. Rasend schnell flog die Landschaft an ihnen vorbei; sie wurden hineingerissen in die Burg, auf deren Zinnen aufgespießte Körper zappelnd ihr untotes Leben wieder und wieder verloren; Verdammnis für die Ewigkeit, wie sie Verbrechern blühte - wie roter Regen tropfte deren Blut auf die Steine der Festung und ließ jene im düsteren Licht der Unterwelt feucht schimmern. Das qualvolle Stöhnen der Verdammten erfüllte die Luft. Ihre rasante Reise wurde urplötzlich wieder abgebremst; Gwendolyn hob zittrig das Gesicht aus den Aufschlägen seines Mantels, wo sie sich schutzsuchend verborgen hatte und auch Lokis Blick glitt wachsam über die Umgebung. Um sie herum erstreckte sich eine mächtige Halle, deren schaurige Säulen aus den Körpern von unzähligen Verstorbenen gebaut waren; der Boden unter ihren Füßen war durchsichtig und gewährte die uneingeschränkte Sicht auf tausende schreckensstarre Gesichter und windende Gestalten, die gegen die unzerstörbaren Bodenplatten hämmerten, darunter in glasklarer Flüssigkeit immer und immer wieder ertrinkend - ewiges Leid spiegelte sich in den aufgerissenen Augen, darunter panische Münder, die in lautlosen Schreien um Erlösung flehten. Eine Erlösung, die sie niemals erfahren würden - Hel bestrafte Sünder gebührend und mit äußerster Hingabe. »Oh Gott…« Gwendolyn stieß einen erstickten Laut der Angst aus, als sie die Gestalten unter ihren Füßen bemerkte und sie drückte sich ängstlich wieder näher an den Magier, der ihr erneut einen Arm schützend um die Schultern legte. Der wabernde Nebel, der selbst hier über den Boden kroch wie die lebendigen Finger eines Riesen, verdichtete sich jetzt um sie herum; aus den grauen Bahnen formten sich zuerst undeutliche Schemen, die nach und nach gestaltliche, feste Form annahmen - einer nach dem anderen entstanden knöcherne Krieger aus dem Nichts, eiskalt glimmende Augen waren auf die beiden Lebenden in ihrer Mitte gerichtet, während unzählige, fleischlose Schädel auf sie herabgrinsten. Die Wachgarde der Hel. Die Krieger der Unterwelt trugen zerfetzte Rüstungen; letzte Überbleibsel ihres irdischen Daseins, wie auch manche die Reste von verwesendem Fleisch an ihren Körpern aufbahrten wie kostbare Erinnerungen an ihr Leben. Unter einem stummen Befehl zogen die untoten Krieger ihre Waffen und kreisten die Sterbliche und Loki damit ein, bevor sich der umgebende Nebel erneut bewegte. Einer Schlange gleich kroch der kränkliche Dunst über den Boden auf einen düsteren Thron zu, den Loki bisher kaum bemerkt hatte; auch hier formte sich zuerst ein verschwommener Schemen, bevor sich die Gestalt einer Frau aus dem bleichen Schleier löste, die auf ihrem erhöhten Thron Platz genommen hatte, die Beine gelassen überschlagen, während ihre Finger beinahe liebkosend über die Lehnen ihres Thrones strichen, welche aus den Schädeln der Verdammten gefertigt waren. Loki zauberte ein kühles Grinsen auf seine Lippen. Lasset die Spiele also beginnen… Gwen sah ebenso wie Loki zu der eben erschienen Gestalt einer Frau auf, deren zerfetztes Gewand sich wie die Flügel einer Fledermaus um sie bauschte, bevor der gräuliche Stoff um sie herabsank. Auf den ersten, flüchtigen Blick war sie atemberaubend schön; ein unpassender Anblick für einen so furchteinflößenden Ort wie die Unterwelt. Gwens Körper unterlag einem unkontrollierbaren Zittern, als sich die bleiche Frau nun erhob und gemächlichen Schrittes mit bloßen Füßen die Stufen ihres Thrones herabschritt; ihre Zehen krümmten sich dabei auf eine grotesk besitzergreifende Art um die fleischlosen Knochen, die ihr als Weg dienten. Ihr Gewand schwebte zerrissenen Flügeln gleich um sie, gemischt mit dem fauligen Nebel des Todes eine unheilvolle Aura, die die Frau umgab und ihr das Aussehen eines bizarren Schmetterlings verlieh. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde ihr Verfall und das ihre trügerische Schönheit nur wie eine Illusion über ihrer wahren Gestalt lag. Eines ihrer Augen war von einem strahlenden, fast blendendem Weiß, während das andere in bodenloser Schwärze seinen bohrenden Blick auf sie und Loki richtete, als die Frau nun durch die Reihen ihrer Krieger auf sie zukam. Die bleiche Haut der Frau wirkte kränklich; an einigen Stellen auf Wangen, Stirn und Kinn breiteten sich faulige Flecken aus, die Sicht auf die Sehnen und Muskeln darunter gewährten, selbst auf das knochige Grinsen ihres Kiefers. Ihre Haare waren eine wirre, schwarze Flut aus fast bodenlangen Strähnen, doch glanzlos und stumpf. Ihre Glieder unter dem sehr kargen Gewand waren schlank, doch bei näherer Betrachtung war es eher die Dürre des Todes, welche ihre dünne Haut umspannte - ein Hüftknochen stach wie die Klippe eines Meeres aus ihrer pergamentartigen Haut, ihre Rippen durchbohrten ebenfalls an einigen Stellen das Fleisch ihrer Gestalt. »Hel. Herrin des Todes.« raunte der Magier ehrerbietend neben ihr, als die Göttin vor ihnen stehen blieb und verbeugte sich in einer geschmeidigen Bewegung, nachdem er seinen Arm von Gwen gelöst und ein merkliches Stück von ihr abgerutscht war. »Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit.« Gwen spürte Unbehagen in sich erwachen und sah völlig unsicher und verloren zu Loki hinüber, der sie augenblicklich völlig vergessen zu haben schien. Seine Augen hingen wie gebannt auf der Gestalt der Göttin, die nun ein geschmeicheltes, scharfes Lächeln zeigte und eine ihrer knochigen Hände hob, um Lokis Kinn damit zu heben, damit sie seinen Blick auf sich richten konnte. »Ich kenne dich…« schnarrte ihre Grabesstimme in einem entsetzlichen Klang; Neugier lag in ihren Worten, doch auch wachsame Vorsicht. »Du bist der Magier der Asen. Der Bruder Thors. Loki Odinson.« Ein bleicher Finger strich über die Wange des Prinzen, der die Berührung mit einem schmalen Lächeln quittierte. »Der Gott der Lügen und der List. Du bist hübsch…« Unvermittelt schoss die Hand der Göttin vor und packte den Magier an der Kehle, der diesen Angriff mit einem trockenen Grinsen entgegennahm. »…und deines Lebens offensichtlich müde. Denkst du wirklich, du kannst dich ungestraft mit einer List in mein Reich schleichen? Was willst du hier, Magier?« zischte Hel unheilvoll; ihre Krieger reagierten auf den drohenden Klang in ihrer Stimme und kreisten Gwen, Loki und die Göttin weiter ein, Speere und Schwerter erhoben. »Strafe?! Wofür, Eure Hoheit? Bringe ich doch immerhin ein Geschenk und eine Gabe, um Euer Wohlwollen zu verdienen, damit ich auf Eure Gnade und Eurer Entgegenkommen hoffen kann.« säuselte Loki einschmeichelnd und schlug die Augen respektvoll nieder; Hel zog die Brauen skeptisch zusammen und beäugte ihn äußerst wachsam, doch dann ließ sie ihn los. Der Magier rieb sich über die Kehle; seine Haut hatte sich unter ihrem Griff dunkel verfärbt, doch das selbstbewusste Grinsen verblieb auf seinen Lippen. Gwen verweilte still etwas abseits; sie kam sich augenblicklich völlig fehl am Platz vor. Loki schickte keinen einzigen Blick mehr in ihre Richtung, als wäre es ihm egal, was mit ihr geschah. Er wirkte völlig gewandelt, so kühl und berechnet, kaum noch wie der Mann, den sie in den letzten Tagen kennengelernt hatte. Sein eisiges Grinsen ließ sie frösteln. Doch er hatte sie um ihr uneingeschränktes Vertrauen gebeten; womöglich gehört das alles zu seinem Plan - den er hoffentlich hatte. Sie musste sich wohl darauf verlassen, dass er wusste, was er tat. Und sie darüber nicht vergaß. Schaudernd zog Gwen die Lagen ihres Umhangs fester um sich und beäugte die fleischlosen Krieger um sie herum ängstlich; dieser Ort war schrecklich und sie hoffte, dass sie bald von ihr fort konnten - es war, als würde sie jeder Atemzug hier langsam verpesten und ihr das Leben entziehen. Was hätte sie jetzt dafür getan, damit Loki sie in die Arme geschlossen hätte; in seiner Nähe fühlte sie sich stets sicher und geborgen, seine Umarmung versprach Trost und Schutz vor all den Schrecken, denen sie jetzt bereits fast tagtäglich begegnete… Untote Krieger, eine Göttin des Todes - wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie das alles noch immer für einen Traum halten… Gwens Blick glitt fast flehend zu dem Prinzen hinüber, doch der hatte weiterhin nur Augen für die Göttin. »Ein Geschenk…?« hakte Hel gedehnt nach und musterte Loki abschätzend. »Welcher Art ist dieses Geschenk?« verlangte sie zu wissen. »Eine reine Seele. Nicht verdorben. Nicht beschmutzt…« Der Magier begann mit gemächlichen Bewegungen um die Göttin zu schreiten; kreiste sie ein wie ein Raubtier seine Beute. Sie verfolgte ihn mit den Augen, schien sich durch seine Gegenwart jedoch nicht bedroht zu fühlen. Aufmerksam beobachtete sie seinen geschmeidigen Gang und Gwen sah beklommen, wie der Blick der Göttin an Loki auf und ab wanderte - gierig, fast hungrig. »Eure Hoheit bekommt hier sicher nicht viel solches Glanzes in die Hände. Euch schickt man nur die verdorbenen Seelen, die unreinen, die wertlosen…« säuselte Loki in Hels Ohr, nachdem er hinter ihr stehen geblieben war. Eine Hand hatte er gehoben und jene schwebte nur einen Hauch breit über der Schulter der Göttin, als wolle er sie berühren; tatsächlich tat er es und ließ seine Finger flüchtig über die kränkliche Haut Hels gleiten, während er weiter verlockende Worte in ihr Ohr hauchte. »Eine Göttin wie ihr verdient ein strahlendes Geschenk. Ich habe Euch eines mitgebracht…« Sein Blick richtete sich auf Gwen. Er meinte doch nicht etwa sie?! Gwen wusste nicht genau, was sie bei diesem Anblick empfand, doch es war definitiv nichts Gutes. Loki war ihr plötzlich so fremd; seine Worte, sein gesamtes Auftreten. Er ging so vertraut mit der Göttin um, berührte sie… Gwen schnürte ein unsichtbarer Strick in diesem Augenblick die Luft ab, als sich sein kühler Blick auf sie legte. Eisiges Grün sah ihr entgegen, seine Züge eine starre Maske, sodass sie ihn kaum wiedererkannte. War das tatsächlich der Loki, der sie gestern Abend noch so begehrlich geküsst hatte? Der sie nach Albträumen in seinen Armen gehalten hatte? Was hatte er nur vor? War das überhaupt Teil seines Planes…? Über die dunklen Lippen der Göttin huschte ein flüchtiges Lächeln, bevor sie sich ruckartig zu Loki umwandte, der seine Hand von ihr zurückzog. Seine Fingerspitzen hatten sich verdunkelt; vergiftet durch die Berührung des Todes. Doch als Gott schien ihm das nicht viel auszumachen. »Und was willst du dafür von mir, Loki Odinson? Welches Begehr trieb dich in mein Reich?« schnarrte sie nun milde interessiert. »Ich benötige Antworten, Eure Hoheit.« raunte er. »Dies ist mein bescheidenes Begehr.« Er bettete eine Hand auf seiner Brust und neigte den Kopf respektvoll, doch das kühle Grinsen verblieb auf seinen Lippen. »Für eine Frage nimmst du eine Menge Risiko auf dich, Magier…« Hel hob einen knochigen Zeigefinger und gebot Loki damit Einhalt, der eben zu erneuten Worten ansetzen wollte. »Schweig still, Silberzunge. Genau das werde ich dir gewähren - eine Frage für eine Seele. Nicht mehr, nicht weniger. Ich habe von deinen Fähigkeiten gehört. Mit Schmeicheleien wirst du bei mir nicht viel erreichen. Nimm den Handel an oder lass es.« Die Frau hob eine ihrer dürren Hände und bettete jene auf der Brust des Prinzen. »Zudem wirst du mir einen weiteren Gefallen gewähren, Loki Odinson…« wisperte die leblose Stimme der Göttin, während der Hunger in ihre zweifarbigen Augen zurückkehrte. Lokis selbstsicheres Grinsen blieb standhaft, doch das kaum merkliche Anspannen der feinen Muskeln seines Kiefers verriet Gwen, dass etwas offensichtlich nicht ganz nach seinen Vorstellungen verlief. Hels bleiche Hand kroch wie eine gierige Spinne über das Leder seiner Rüstung und erreicht jene Stelle unterhalb seiner Kehle, wo seine Haut offenlag. Fast zärtlich strich ein spitzer Finger Hels über diese entblößte Stelle. Loki reckte das Kinn, doch er blieb stehen und ließ die Berührung über sich ergehen, die dunkle Spuren auf seiner Haut hinterließ. »Ich bin hier unten sehr einsam, Silberzunge und du bist sehr ansehnlich. Sehr verlockend. Es ist Äonen her, dass ich die Lippen eines lebenden Mannes spürte und das Leben selbst kosten durfte. Du wirst mir ein wenig deiner Energie geben. Einen Hauch deines Lebens. Ich will dich schmecken. Deine Macht kosten.« verlangte die Göttin befehlend und sah mit einem schmalen Lächeln zu Loki auf, der ihren Blick ungerührt erwiderte. »Dann wirst du die Antwort auf deine Frage bekommen.« Auf den Zügen des Prinzen war nichts zu lesen; weder Abscheu, noch Furcht oder Ärger. Gwen war kurz davor einen protestierenden Laut von sich zu geben; die Vorstellung, dass Loki diese untote Göttin wirklich küssen sollte, war zu viel. Das würde er doch nicht wirklich in Betracht ziehen…oder? Äußerst alberne und zu diesem Zeitpunkt völlig unpassende Eifersucht ballte sich in ihrer Brust und ließ sie für einen Augenblick zumindest sogar ihre Angst vergessen, jedoch nicht die Angst um ihn. Loki gehört dir nicht, mahnte sie sich selbst in Gedanken an. Der Kuss vom gestrigen Abend hatte rein gar nichts zu bedeuten, war nur ein Versehen gewesen. Das hatte ihr sein kühles und abwehrendes Verhalten am Morgen doch gezeigt; hatte ihr das leere Bett doch verraten, in welchem sie erwacht war. Außerdem tat er das nur für das große Ganze; opferte sich für die Antworten, die sie so dringend benötigten. Sie hatte keinen Grund lächerliche Besitzansprüche auf den Prinz zu stellen, wo sie sich eher um ihn sorgen sollte, da Hel nach seiner Energie gierte - und doch brachte der Gedanke, dass diese Lippen eine andere Frau berührten, Gwen fast um den Verstand. »Der Handel gilt.« sprach der Magier dann zu Gwens Entsetzen aus. Triumph blitzte in Hels Augen auf, bevor ihre Hand um Lokis Nacken wanderte und ihn so zu sich herabzog. Ihre dunklen Lippen pressten sich ohne Vorwarnung auf die Schmalen des Prinzen; beide hatten die Augen geschlossen und schienen in diesem Kuss zu versinken, während die Fetzen von Hels Gewand die beiden Gestalten fast liebkosend umhüllten. Die beiden beachteten weder die untoten Krieger umher, die jede Bewegung ihrer Königin mit leeren Augenhöhlen verfolgten, noch Gwen, die den bitteren Geschmack der Übelkeit in ihrer Kehle hinabzwingen musste. Die andere Hand Hels krallte sich in Lokis Rüstung; ihre Finger versenkten das Leder und seine Haut unter ihrer Berührung. Dieser Anblick presste Gwen die Luft aus den Lungen; ließ ihr Herz unter schmerzlichem Druck aufstöhnen. Alles in ihr schrie nach Flucht, doch wie festgewurzelt blieb sie stehen und konnte die Augen nicht von Loki und der Göttin abwenden, die durch ihre Lippen verbunden waren; sie hoffte auf ein winziges Zeichen seitens Lokis, einen Hinweis, dass ihn dies auch nur um eine Spur anwiderte, dass es ihm widerstrebte, diese körperliche Nähe zu Hel ertragen zu müssen, doch nichts an ihm verriet auch nur den Hauch von Abwehr. Er hatte sich perfekt unter Kontrolle. „Du musst mir ab jetzt vertrauen, Gwendolyn. Vorbehaltlos, verstehst du?“ hatte er zu ihr gesagt. Und sie wollte das wirklich, also blieb sie brav stehen und betete im Stillen, dass dieser Albtraum bald ein Ende hatte. Sie vertraute Loki, so widersinnig das auch sein mochte. Mit einem widerlich zufriedenem Seufzen löste sich Hel von den Lippen des Magiers; Loki taumelte kurz, während der unselig düstere Atem der Göttin aus seinen Lippen schwelte, die sich ebenso in Dunkelheit verfärbt hatten; nur langsam verflog dieser Schatten. Das Gift des Todes brach sich Bahnen in seinen Venen. »Das war wirklich köstlich…« säuselte Hel versonnen und berührte ihre Lippen, während ihre Gestalt mehr Form und Farbe zu bekommen schien; ihre Haut straffte sich, ihre Haare lagen glatter und einige der verwesenden Wunden schlossen sich, um frische, bleiche Haut darüber zu bilden. Auch wenn sie weit von einem Bild nach Gesundheit und Leben entfernt war, so wirkte sie doch plötzlich frischer und auf seltsame Weise erneuert. Sie hatte sich mit diesem Kuss einen Teil von Lokis Energie geraubt. Ein bleicher Finger der Göttin strich über Lokis Unterlippe. »Wirklich ausgesprochen delikat…« wisperte sie fast sehnsüchtig, bevor sie den Magier einfach stehen ließ und zu ihrem Thron zurückschritt, auf dem sie sich gelassen und abwartend niederließ. »Nun deine Frage, Silberzunge.« verlangte sie dann herrisch. »Meine Zeit ist kostbar.« Loki hatte die Augen flüchtig geschlossen, wirkte fast, als müsse er sich sammeln und Gwen war kurz davor zu ihm zu treten, da er plötzlich so erschreckend blass wirkte, doch da drehte er sich schon zu Hel um, gefasst und arrogant, das Gesicht eine starre Maske, wie Gwen es von den Anfängen ihrer Bekanntschaft kannte. »Malekith, der Herr Schwarzalbenheims, ist besessen. Von einem Schatten, der älter als die Aufzeichnungen scheint. Dieses Wesen ist uns völlig unbekannt, taucht in keinem Buch, in keiner Erzählung auf. Es griff Asgard und die anderen Welten bereits an. Seine Macht ist gewaltig. Allumfassend. Tödlich. Es bedroht alle neun Welten, will das Universum wieder in Finsternis stürzen. Ich muss wissen, womit wir es zu tun haben. Was ist das für ein Wesen? Wie kann man es bezwingen?« richtete Loki seine bestimmten Worte an die Göttin; seine Stimme um eine Nuance rauer als noch zuvor, als wäre dieser Kuss doch nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Doch es war nicht jenes sinnliche Kratzen, was Gwen vom gestrigen Abend kannte; es war die Färbung von körperlicher Schwäche und Erschöpfung. Hel lehnte sich auf ihrem bleichen Thron zurück und blickte gebieterisch auf den Magier herab. »Das waren zwei Fragen. Allerdings will ich dir diese Verfehlung gewähren, da du mir so vorzüglich gedient hast…« sprach sie spöttisch und leckte sich in einer vielsagenden Geste über die Lippen, während ihr Blick flüchtig zu Gwen huschte, als würde die Göttin den Schmerz in ihrer Brust über diese Worte spüren. Dann wurde sie wieder ernst. »Ich weiß, wovon du sprichst, Magier. Ich spürte diese Präsenz selbst, die vor einigen Tagen an den Toren meines Reiches vorbeizog. Und ich kenne sie, auch wenn ich sie längst vergessen und verloren wähnte…« Hel hielt in ihrer Ausführung inne und genoss es offensichtlich, Loki auf die Folter zu spannen; der Prinz stand angespannt vor ihrem Thron, doch verbarg er seine Ungeduld meisterlich hinter Gleichgültigkeit und kühler Beherrschung. Die Göttin lächelte beinahe anerkennend auf ihn herab. »Diese Präsenz, die euch bedroht, ist sehr alt. Sie entstand am Anfang der Zeit, noch bevor die Zweige Yggdrasils sprossen und die Welten sich formten. Sicher kennst du die Geschichte über die Entstehung der Welten, Magier. Erinnerst du dich an das Urwesen Ymir, Loki Odinson?« Die Göttin hatte sich abwartend auf ihrem Thron nach vorn gelehnt, beäugte Loki so abwartend und fast lauernd wie eine Spinne das Opfer in ihrem Netz. »Natürlich. Jeder kennt diese Geschichte...« sprach der Prinz ruhig aus. »Es ist Ymirs Geist, der euch heimsucht. Der sich nach den unendlichen Äonen in Finsternis aufmachte, um seine Rache zu suchen. Am Anfang der Zeit musste das Wesen sterben, damit aus seinem Leib die Weltenesche erwachsen und sich die Welten formen konnten. Doch die gemordete Seele verlangt nach Genugtuung, nach Sühne für den Frevel an seiner Gestalt. Dieser Geist ist neidisch auf das Leben, welches er selbst nicht besitzt und nicht erschaffen kann. Und so ist er nun wohl zurückgekehrt, um das Leben zu vernichten, was seiner Meinung nach gar nicht existieren dürfte, da es allein durch sein Opfer entstand. In Malekith hat Ymirs Seele nun wohl einen geeigneten Verbündeten gefunden, denn ohne Körper kann eine Seele nicht endlos existieren, vor allem nicht dann, wenn sie wie Ymirs Geist so viel Macht in kurzer Zeit aufwendet.« Gwen verstand nicht, was die Göttin da erzählte; sie kannte die Geschichten der Asen nicht, doch Loki schien zu verstehen, denn er wurde um eine Spur blasser und taumelte wie getroffen, während eine schlanke Hand angespannt über seine Schläfe rieb. Offensichtlich waren das keine all zu guten Nachrichten… »Kann man es vernichten…?« stellte der Magier erneut seine Frage, die Brauen finster zusammengezogen. »Vielleicht…« gab die Göttin gedehnt von sich und schien köstlich amüsiert über Lokis schneidenden Blick, bevor er sich wieder entspannte. Seine Selbstbeherrschung gefiel Hel. »Es gibt immer eine Möglichkeit, etwas zu vernichten, was existiert. Du musst nur eine Schwachstelle finden. Und jede Seele hat eine Schwachstelle, die in ihrer sterblichen Hülle liegt…« »Malekith...« mutmaßte Loki sachlich. Hel nickte bestätigend. »Wenn sich Ymir im Körper des Schwarzalben manifestiert, so ist er vielleicht angreifbar. Vielleicht kann man ihn so vernichten. Doch mehr kann ich dir auch nicht sagen, Magier. Wie du bereits selbst bemerkt hast, diese Macht ist uralt, zornig und mächtig. So wie Yggdrasil die überragende Kraft der Lebensspenderin besitzt, so ist Ymir Seele das dunkle Gegenstück dazu, fähig alles zu zerstören und ins Dunkel zu stürzen. Vor allem, wenn er wie du sagst, nun im Körper des Schwarzalben Malekith weilt, dessen Hass und Wut nicht geringer als sein eigener ist.« Hel hielt flüchtig inne und neigte den Kopf leicht, als würde sie einer Stimme lauschen, die nur sie vernahm. »Es besteht eine Verbindung zwischen den beiden, zwischen der Weltenesche und dem Schatten von Ymir Geist. Yggdrasil erwuchs aus seinem Leib, möglich das er zu seinem Ursprung zurückkehren will…« Die Göttin ließ die Worte unheilvoll verhallen, bevor sie sich beinahe ruckartig aus ihrem Thron in die Höhe stemmte und Loki die Hand auffordernd entgegen streckte. »Du hast deine Antworten erhalten. Du hast erfahren, wofür du gekommen bist. Jetzt gib mir die versprochene Seele.« verlangte Hel herrisch und ihr zweifarbiger Blick fasste Gwen gierig ins Auge. Die trat sofort um einen furchtsamen Schritt zurück, wurde jedoch durch eine Speerspitze aufgehalten, die sich bedrohlich in ihren Rücken bohrte; ein Wink von Hels Hand hatte genügt, damit einer der untoten Krieger sie zurücktrieb. Loki verneigte sich demütig vor der Göttin, bevor er sich mit einem kühlen Grinsen aufrichtete und zu Gwen herüber kam. Sie blickte ihm mit angstgeweiteten Augen entgegen, suchte ein Zeichen in seinem Blick, einen versteckten Hinweis auf einen Trick - doch da war nichts. Die Züge des Magiers waren erstarrt in Selbstgefälligkeit und Eiseskälte, seine grünen Augen so kühl wie die umgebende Luft. Das Grinsen auf seinen Lippen wirkte plötzlich wölfisch, bedrohlich, unheilbringend. Seine Hand schoss vor und packte Gwen grob am Oberarm, die sich gegen seinen Griff wehrte und verzweifelt um seine Aufmerksamkeit rang. »Loki…das kann unmöglich dein Ernst sein?! Sag mir, dass das ein Scherz ist…das ist doch ein Trick, oder?« wisperte sie ihm hastig und zuversichtlich entgegen, doch er ignorierte ihre Worte einfach. Er zerrte sie vor Hels Thron und stieß sie dort gnadenlos zu Boden. »Euer Geschenk, Hel. Ich hoffe, diese Seele wird Euer Gefallen finden.« tönte seine eisige Stimme über Gwen hinweg und drohte sie zu ersticken. »Dafür versichert ihr mir meine Rückkehr nach Asgard.« »Deine Rückkehr sei dir gewährt, Magier.« schnarrte die Göttin wohlwollend; das Geräusch ihrer nackten Füße auf den knöchernen Stufen kam näher. Gwen spürte die Tränen in ihren Augen aufsteigen, als sie sich kraftlos wieder auf Knien und Händen in die Höhe stemmte; die leidenden Gesichter der Verdammten unter dem Boden starrten ihr schweigend entgegen - ein groteskes Spiegelbild ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit. Er würde sie tatsächlich verraten… Loki wollte sie wirklich hier lassen! Als Pfand für seine Rückkehr. Sie konnte das einfach nicht glauben. Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu. Sie war nur der Köder gewesen; der Preis eines Tauschhandels, um den man gefeilscht hatte. Wie hatte sie sich nur so in diesem Mann täuschen können? Sie hatte gedacht ihn zu kennen, doch da hatte sie sich offensichtlich sehr geirrt… »Du elender, verdammter Mistkerl…!« hastig war Gwen auf die Füße gesprungen, war herumgewirbelt, um sich auf den Magier zu stürzen, doch weit kam sie nicht, da eine unsichtbare Kraft sie in ihrem Ansturm aufhielt und in die Luft hob, als wäre sie nichts weiter als ein Spielzeug - ihr wurde klar, dass sie auch nichts weiter war zwischen diesen beiden Göttern; ein Gegenstand, der zu deren Unterhaltung diente. Loki lachte ihr amüsiert ins Gesicht, schien milde belustigt über den schwächlichen Versuch ihres Angriffes. Wütend und verzweifelt stemmte sich Gwen gegen Hels Macht; die Göttin kam immer weiter die Stufen herab, während sie Gwen allein mit einem Fingerzeig in ihrer Gewalt hielt. »Einen wahren Wildfang hast du mir hier gebracht, Silberzunge…« tönte die Göttin erheitert. »Du sollst in der Hölle schmoren, Loki….du Mistkerl…« spie Gwen dem Magier hilflos entgegen, dessen Grinsen nur noch breiter wurde ob ihrer so sinnlosen Worte. Auch das würde sie nun nicht mehr retten. Unvermittelt wurde sie wieder auf dem Boden abgesetzt und zu der Göttin herumgewirbelt, die nun fast vor ihr stehen blieb. Die zweifarbigen Augen Hels glitten über Gwens Gestalt und zeigten ein gieriges, grausames Licht, welches Gwen augenblicklich erstarren ließ. Die Göttin neigte sich ein wenig nach vorn, ließ einen Finger über Gwens tränennasse Wange gleiten, während sie die Luft genüsslich durch ihre Nase einsog. »Hmmm…deine Seele ist etwas ganz besonderes…das kann ich fühlen…« säuselte Hel versonnen, während Gwen nichts lieber wollte als fort von der untoten Gestalt der Frau. Doch Hels Hände schlossen sich um ihre Kehle und begannen das Leben wortwörtlich aus ihr zu pressen; Gwen schnappte röchelnd nach Atem, unfähig sich zu bewegen, da die Macht der Göttin ihre Glieder gefesselt hielt. Das war es also. Das Ende. Diesen Gedanken hatte sie in letzter Zeit eindeutig zu oft gehabt… »Ganz ruhig, Gwendolyn.« vernahm sie plötzlich die Stimme Lokis; geflüstert an ihrem Ohr, obwohl sie sich sicher war, dass er sich nicht bewegt hatte. »Vertrau mir.« Eine bekannte, schlanke Hand legte sich über ihren nach Luft schnappenden Mund; der vertraute Duft des Prinzen stieg ihr in die Nase. Ein unsichtbarer Arm schlang sich um ihre Taille und zog sie langsam fort von Hel; heraus aus ihrem eigenen Körper, der zitternd und zuckend in der Umarmung der Göttin zurückblieb, die sich gierig über ihre Lippen gebeugt hatte, um die entfliehende Seele wie einen milden Luftzug aufzusaugen. Und hinter ihrem sterbenden Körper stand noch immer Loki, der das Schauspiel mit Genugtuung und diesem eisigen Grinsen beobachtete. Gwen weitete die Augen ungläubig; das war sie, dort vor Hel hauchte ihr Körper gerade seine Seele aus, doch war sie auch hier, spürte den schlanken, harten Körper Lokis im Rücken, der sie an sich presste und ihre Lippen noch immer mit seiner Hand verschlossen hielt. »Keinen Ton, verstehst du?« wisperte er erneut an ihrem Ohr und sie konnte seinen warmen Atem tröstend über ihrer Haut verwehen spüren. Sie nickte hektisch, schluckte ein erleichtertes Schluchzen in der Kehle herab. Nicht verraten… Er hatte sie nicht verraten. Er war noch hier. Das war alles nur eine Illusion gewesen. Loki zog seine Hand langsam zurück und Gwen schnappte nach Atem, genoss das brennende Gefühl, als der nötige Sauerstoff endlich wieder ihre Lungen füllte. »Alles wird gut. Wir werden gleich von hier verschwinden.« flüsterte der Magier hinter ihr, während der andere hinter ihrem sterbenden Spiegelbild selbstzufrieden beobachtete, wie Hel genüsslich die Augen schloss, nachdem der letzte Rest der Seele in ihren Mund geglitten war. Gwen indes verspürte das vertraute Prickeln von Magie um sie herum; Loki wob erneut einen Zauber, wahrscheinlich bereitete er ihre Rückkehr vor. In Gedanken spornte sie ihn zu Eile an, da Hels Brauen sich plötzlich kritisch zusammenzogen und sie sich in einer skeptischen Geste über die Lippen wischte, bevor sie den leblosen Körper der anderen Gwen fast angewidert von sich stieß. Die Illusion der Sterblichen zerbarst auf dem Boden in tausende kleine Scherben. »Hereingelegt…« wisperte die Göttin bedrohlich zu dem Trugbild Lokis, welches zu flackern begann, da der Magier seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Zauber ihrer Rückkehr richten musste. »Du hast mich hereingelegt!« fauchte Hel nun in einem ohrenbetäubenden Kreischen wütend, bevor sie die Illusion Lokis mit einem herrischen Wink ihrer Macht zerstörte. Knisternd zerbrach der Zauber in der Luft. »Wo bist du, Lügner? Ich werde dir deine Silberzunge herausschneiden und sie als Warnung an den Toren meiner Festung aufhängen! Mich mit einer minderwertigen Seele hereinzulegen! Das hat niemand je gewagt!« Die Göttin tobte vor Zorn; aufgebracht wirbelte ihr zerrissenes Gewand um ihre knochige Gestalt, während sich ihre Finger zu Klauen krümmten und der bleiche Schädel aufbegehrend gegen ihre dünne Haut presste, als wollten die Knochen hervorbrechen. »Lebend wirst du mein Reich nicht verlassen!« Ihre Krieger regten sich; hatten sie bisher stumm und abwartend in der Halle gestanden, so ruckten die fleischlosen Schädel nun herum und unheilvoll glimmende Augenhöhlen suchten die Umgebung nach Loki und Gwen ab. Der Zauber, der sie beide bisher vor den Augen Hels verborgen hatte, begann zu bröckeln; wie lose Blätter im Wind zerriss der schützende Kokon unter der Wut der Göttin, die ihre Macht wie einen aufgepeitschten Taifun durch die Halle fegen ließ. Gwens und Lokis Gestalten wurden so Stück für Stück unter der Gewalt von Hels Zorn enthüllt, die mit funkelnden Augen und gebleckten Zähnen auf sie zuschritt. »Du wirst mir die Seele geben, die mir zusteht! Die du mir versprochen hast!« hallte die Stimme der Göttin nun durch den Saal; tausendfach zurückgeworfen und markerschütternd in ihrem rasenden Zorn. »Ich versprach dir eine reine Seele. Die hast du bekommen, Hel. Es war nie die Rede davon, dass es die Seele der Sterblichen wäre.« erklärte der Magier hinter Gwen sachlich, während sie bereits das vertraute Ziehen der Magie an ihrem Körper verspürte. Das Tor zurück war kurz davor sich zu öffnen. Doch urplötzlich wurde Gwen aus Lokis Armen gerissen; beiseite gefegt wie ein dürres Blatt von Hels Macht, die Loki bedrohlich ins Auge gefasst hatte. »Denkst du wirklich, du kannst mich mit deinen Listen hereinlegen? Mich?! Für diese Anmaßung wirst du büßen, Loki Odinson!« Gwen konnte sehen wie die Göttin zu einem mächtigen Magieschlag gegen den Magier ausholte; sämtlicher Nebel, alle Schatten ballten sich um die Göttin des Todes, deren Gesicht sich zu einer grotesken Fratze des Hasses verzerrt hatte. Sie würde Loki umbringen. Der Magier sah den drohenden Angriff und wirkte regelrecht entsetzt; gefangen in dem Zauber der Rückkehr musste er das Tor aufrecht erhalten, was keine Macht entbehrte, die er nutzen konnte, um sich vor Hels tobender Wut zu schützen. Sein Blick ruckte zu Gwen herüber. Sie sah die Wahrheit in seinen Augen - er war schutzlos. Sie stemmte sich hektisch wieder in die Höhe und überbrückte die wenigen Schritte zu Loki hastig, als Hel schon ausholte, um Loki einen Pfeil aus Todesmacht entgegenzustoßen; Gwen fühlte sich auf seltsame Art und Weise in jene Nacht des Angriffes auf Asgard zurückversetzt - sie sah sich wieder vor dem Speer des Allvaters, um den Magier zu schützen. Und auch jetzt zog sie das Band vorwärts, welches sie mit Loki verband; trieb sie der Gedanke an, dass sie seinen Tod nicht ertragen konnte. Das sie ihn beschützen wollte - vor allem, was ihm zu schaden gedachte. Ihre Gefühle waren eindeutig. Sie wollte Loki nicht verlieren. »Gwen, nicht!« Ohne zu zögern warf sie sich vor den Prinz und umschlang ihn schützend mit dem eigenen Körper; die Augen krampfhaft geschlossen, um einem Schmerz zu begegnen, der jedoch nicht kam. Gerade als Hels Zauber auf sie treffen wollte, brach das gleißende Licht aus Gwens Knochen und hüllte Loki und sie in eine schützende Kugel aus Wärme und Helligkeit, an dessen Mauern Hels Angriff wie der hilflose Versuch eines Kindes an einem Zauber zerbrach. Die Göttin kreische in Wut und Ungläubigkeit auf; hob die Hände, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen, welches ihr untotes Fleisch zu verbrennen schien. Schreiend stolperte sie zurück und selbst ihre Krieger zerfielen unter der wogenden Macht, die so unvermittelt erneut aus Gwens Innerem geschossen war. Plötzlich sackte der Boden unter Gwens Füßen weg und sie fiel mit Loki zurück in den Raum des Tempels, von welchem aus sie aufgebrochen waren. Der Staub wirbelte um ihre Körper auf, als sie dumpf auf dem Boden auftrafen und einige der noch brennenden Kerzen umstießen, die verlöschend davonrollten. Das seltsame Licht zog sich langsam in Gwens Knochen zurück. Sie wandte sich sofort aus Lokis Armen, der sie in einer Umarmung gefangen hielt. »Lass mich los…lass mich verdammt nochmal los…« fuhr sie ihn zischend an; nach einem kurzen Zögern und einem beinahe unsicheren Blick aus seinen Augen ließ er sie tatsächlich gehen. Aufgebracht stemmte sie sich in die Höhe und obwohl sie eigentlich nichts mehr wollte als sich in Lokis Arme zu flüchten, so brachte sie nun doch so viel Abstand wie möglich zwischen ihn und sich. Sie musste das Chaos in ihrem Kopf erst einmal wieder sortieren, welches er und sein dämlicher Plan dort erneut verursacht hatten. Ziellos lief sie in dem kleinen Raum auf und ab und presste sich die Handflächen gegen die Schläfen, um ihren Kopfschmerzen Einhalt zu gebieten. Ihr Verstand fühlte sich an, als wollte er eigentlich mit einem hysterischen Kichern aus ihrem Kopf fliehen und nur Gwens Handflächen hielten ihn noch davon ab. Wie oft war sie in den letzten Tagen kurz davor gewesen zu sterben? Sie wusste es schon fast nicht mehr… Diese ganze Reise. Asgard. Diese Macht in ihr. Loki. Diese dunkle Bedrohung - all das machte sie langsam aber sicher verrückt. Sie wusste nicht mehr, wie sie ihre Emotionen kontrollieren, wie sie noch einen klaren Gedanken fassen sollte. Es war einfach zu viel. Sie war nur ein Mensch. Nur ein Mensch… Das typische Knarzen von Leder verriet ihr, dass Loki sich ebenfalls erhoben hatte; seine Schritte kamen ihr näher. »Alles in Ordnung…?« Seine warmen Finger berührten sie an der Schulter. Sie wirbelte zu ihm herum und schlug seine Hand beiseite. »Fass mich nicht an!« spie sie aus und stürmte zur Tür, riss hektisch an dem Holz, um die Treppe hinunter zu fliehen. »Gwen!« folgte ihr die irritierte und besorgte Stimme des Magiers nach, während sie es um ein Haar geschafft hätte, auf der steilen Treppe zu stolpern und sich den Hals zu brechen. Eilig trat sie hinaus in die Halle des Tempels, in der Thor und die anderen Krieger noch immer warteten. Ohne die Männer eines Blickes zu würdigen lief sie durch die Bankreihen und ignorierte die verwirrten Fragen des Donnergottes. »Gwen…?! Was ist los? Was ist passiert…?« Sie musste hier raus. Das graue Licht des Tages empfing sie vor der Ruine des Tempels und kühle Feuchtigkeit; es hatte wieder angefangen zu regnen. Ein trostloses und doch so seltsam beruhigendes Plätschern für ihre aufgewühlten Nerven. Sie eilte die Treppe vor sich hinab, verpasste die letzte Stufe und sank in den Schlamm zu ihren Füßen, rappelte sich hektisch wieder auf, da sie den Klang von Stiefeln hinter sich vernahm. Ziellos stürmte sie in das winzige, angrenzende Waldstück des Tempels hinüber, wischte sich Regen und Dreck aus dem Gesicht, während sie angestrengt gegen die brennenden Tränen in ihren Augen anblinzelte. »Wo willst du hin? Es ist gefährlich hier…« Eine bestimmte Hand hielt sie an der Schulter auf und wirbelte sie herum; Loki war ihr gefolgt und hielt sie nun an den Oberarmen fest, um ihren Blick zu sich zu zwingen, doch sie starrte stur auf das Leder über seiner Brust - erkannte die versenkten Spuren von Hels Fingern, welche Gwen wieder daran erinnerten, was passiert war. »Lass mich los…« wisperte sie drohend gegen das Prasseln des Regens an. »Nein, das werde ich nicht tun. Vielleicht besitzt du die Güte mir zu erklären, was eigentlich los ist…« fuhr der Magier sie nun nicht weniger aufgebracht an; seine Finger gruben sich in ihre Arme, verrieten ihr das angespannte Zittern seiner Glieder. »Was los ist?! Das fragst du mich allen ernstes noch?!« Sie riss sich mit einer ruppigen Bewegung aus seinem Griff los und stieß ihm die Hände vor die Brust, was den Prinzen überrascht einen Schritt zurücktaumeln ließ. »Du schleifst mich in die Unterwelt, zwingst mich zusehen zu müssen, wie dich diese Frau küsst, dir Lebensenergie stiehlt und lässt mich dann da unten fast sterben! Lässt mich in dem Glauben, dass du mich verraten und belogen hast! Weißt du eigentlich, wie ich mich gefühlt habe?! Hast du auch nur eine Ahnung davon, welche Angst ich hatte, weil ich dachte, dass du mich wirklich als Opfer dort zurücklässt?!« Sie presste sich eine Hand auf den feuchten Stoff über ihrem Herzen; versuchte so Ruhe in den wild trommelnden Muskeln zu bringen. »Hast du bei der ganzen Sache auch nur einmal an mich gedacht, du verdammter Scheißkerl?« schrie sie ihn nun ungehalten an und ließ sich dazu hinreißen, in einer kindischen und sinnlosen Geste die Fäuste auf seine Brust zu hämmern. »Warum hast du mir nicht gesagt, was du vorhast?! Warum hast du nichts gesagt?! Siehst du eigentlich, was du mit mir machst?! Hasst du mich wirklich so sehr, Loki!?« All ihre Verzweiflung brach sich Bahnen in diesem Moment; die ganze Anspannung ihrer Reise in die Unterwelt, die Angst vor dem Tod, die Enttäuschung über seinen Verrat, die Frustration über diesen dämlichen Kuss, den er begonnen, aber nicht beendet hatte… Vielleicht führte sie sich albern auf, doch sie konnte einfach nichts dagegen tun. Feuchtigkeit rann in Strömen über ihre Wangen und sie wusste kaum noch, ob es der Regen oder ihre Tränen waren. »Wie kommst du nur darauf, dass ich dich hasse…« drang sein Raunen an ihr Ohr und durch das Rauschen des Regens erklang seine Stimme fast betroffen, doch das mochte täuschen. Unvermittelt wurde sie in seine Arme gezogen und fand sich in einer warmen, festen Umarmung wieder; genau jener Art wie Gwen sie die ganze Zeit über gebraucht, sich fast verzweifelt danach gesehnt hatte. Ihr Widerstand erstarb recht schnell, als sie den vertrauten Duft von Leder, Regen und jenem Mann einatmete, der sie nun schützend an sich presste. Eine warme Hand strich ihr vorsichtig über die Haare; diese Geste löste den letzten Rest an Starrsinn in ihr und sie schlang die Arme trostsuchend um den Magier, vergrub das Gesicht an seiner Brust, während seine Worte wie die sanften Regentropfen auf sie herabsanken: »Es tut mir leid, Gwen. Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, dass du Angst hattest und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Doch es gab keinen anderen Weg. Wenn es ihn gegeben hätte, glaub mir, ich hätte ihn gewählt.« Er klang angespannt, als hätte er Sorgen, etwas Falsches zu sagen und doch so sanft, wie sie es selten zuvor von ihm erfahren hatte. Ein schlanker Finger unter ihrem Kinn hob ihren Blick dem seinen entgegen; seine grünen Augen sahen um Verständnis bittend auf sie herab. Der Regen perlte auch über sein Gesicht, verfing sich in seinem dunklen Haar, den dichten Wimpern, floss über seine schmalen Lippen. »Ich konnte dir nicht sagen, was ich vorhabe, weil deine Reaktion sonst nicht echt gewesen wäre. Du musstest Angst haben. Hel hätte es gespürt, wenn es gespielt gewesen wäre.« »Ich musste also Angst haben?!« stieß sie bitter aus. »Das entschuldigt natürlich alles…« »Gwen!« fuhr er sie harsch an und packte ihr Kinn zwischen den Fingern, um ihren Blick bei sich zu behalten, den sie eben schon wieder senken wollte. »Man spaziert nicht einfach in die Unterwelt und betrügt dort die Göttin des Todes. Hel ist tückisch und gerissen. Sie ist nicht einfältig. Das ist keine dümmliche Kreatur, der man einfach so eine Lüge auftischt. Du begreifst nicht, wie gefährlich das alles war! Was ich riskiert habe, um diese Antworten zu bekommen! Ich habe dein Leben riskiert und glaube mir, das hat mir weder gefallen, noch ist es mir so leicht gefallen, wie das ja immer alle so gern glauben wollen!« Er presste seine Lippen zu einer angespannten Linie zusammen und sie konnte die Bitterkeit in seinen Augen sehen; verstand seinen Zwiespalt und die Verletzlichkeit hinter seinen Worten, die ihm offensichtlich unbedacht entwischt waren. »Ich sagte, dass du mir vertrauen sollst…du hast es nicht getan…« Jetzt war es an ihr getroffen zusammenzuzucken. Er hatte Recht. Sie hatte sein Tun in Frage gestellt wie alle anderen es stets zu tun pflegten, ohne sich darauf zu verlassen, was ihr Gefühl ihr sagte. »Loki…das stimmt nicht…ich vertraue dir…« wiedersprach sie sofort. »Aber das…das war einfach…du warst so anders. So verändert. Ich habe dich kaum wiedererkannt. Wie sollte ich da glauben, dass du mich nicht für deine Zwecke opfern willst…?« Er seufzte schwer. »Wenn ich nur einen Hauch von Schwäche gezeigt hätte, so hätte Hel uns beide vernichtet. Zu jeder Zeit, zu jedem Wort befand ich mit auf einem schmalen Grat. Nur eine falsche Bewegung, ein falscher Ton und es wäre vorbei gewesen. Verzeih, wenn ich dir Angst gemacht habe…es war nicht meine Absicht.« Er zog ihren Kopf wieder an seine Brust und Gwen konnte sein schlagendes Herz unter ihrer Wange fühlen; es klopfte nicht weniger heftig als ihres. Sie glaubte ihm. Himmel, sie glaubte dem Gott der Lügen wirklich. »Du hattest nie die Absicht, sie nach meiner Herkunft zu fragen, oder?« flüsterte sie dann zögerlich, nachdem das Rauschen des Regens in den Bäumen umher eine Weile alles gewesen war, was Gwen hörte - außer dem trommelnden Herzen unter einer Brust, gegen die sie ihre Wange schmiegte. »Nein.« gab er offen zu. »Es war ein Vorwand, um dich zu überzeugen, dass du mitkommst. Ich habe deine Worte von gestern Abend nicht vergessen, Gwendolyn. Ich hätte dich nicht dazu gezwungen, etwas erfahren zu müssen, was du nicht wissen willst.« gestand er ungewohnt verständig; seine warmen Finger fuhren über ihren Rücken, ihren Nacken. »Außerdem ist Hel nicht parteiisch. Sie bekennt sich weder zu gut, noch zu böse. Jegliche Aufmerksamkeit auf deine Person, jegliches Wissen über deine Macht, hätte sie auch dem Feind zutragen können, so der Preis nur stimmte. Es war besser, sie gar nicht erst auf dich aufmerksam zu machen.« »Wie hast du es gemacht, Loki…?« Plötzlich beschlich Gwen ein unguter Gedanke; ein Bild von dem Magier mit einem blutverschmierten Dolch tauchte vor ihrem Inneren Auge auf - ein Bild, welches sie in den Armen des Schlafes beinahe vergessen hatte. Gewarnt sah sie zu ihm auf, überflog seine Züge nach einer verräterischen Regung. »Die Seele, mit der du Hel betrogen hast…du hast doch nicht etwa jemanden…getötet?« Ihre Stimme war zum Ende hin immer mehr abgesunken; Kälte kroch in ihre Glieder. »Würdest du mir das zutrauen?« hinterfragte er ihre Vermutung tonlos, sachlich, gefasst. Seine Hände hielten darin inne, beruhigend über ihren Rücken und die empfindliche Haut ihres Nackens zu streifen. Gwen horchte in sich hinein, während sie sich von dem magischen Anblick seiner Augen nicht losreißen konnte. »Ich weiß es nicht…aber ich weiß, dass ich nicht glauben will, dass du ein Mörder bist…« Ein seltsamer Schatten huschte flüchtig durch die Tiefen seiner Augen; ein kaum wahrnehmbares Aufblitzen von Emotionen, die sie nicht zuordnen konnte, bevor sich seine Mundwinkel vorsichtig anhoben. »Es war die Seele eines Hirsches. Hogun half mir gestern Nacht ihn zu jagen.« zerschlug er damit ihre Bedenken. Gwen konnte kaum beschreiben, welcher Stein ihr in diesem Augenblick vom Herzen fiel. Dieses Bild, welches sich von Loki langsam, aber unaufhaltsam in ihrem Herzen formte - es war nicht das Bild eines eiskalten Mörders. Er hatte seine Fehler und die konnte sie ihm auch nicht absprechen, genauso wenig wie sie seine Verbrechen ungeschehen machen konnte, doch es gab Dinge, die sie nur schwerlich verkraftet hätte. »Okay. Gut…« wisperte sie erleichtert und drückte sich wieder an ihn; ihre Wut verrauchte langsam im andauernden Regen und der Wärme von Lokis Umarmung. Beinahe kam sie sich nun lächerlich vor, dass sie ihn so angefahren hatte. Sie hatte vollkommen überreagiert; natürlich hatte er recht mit seiner Einschätzung der ganzen Situation. Er hatte die Risiken kalkuliert und die gesamte Verantwortung getragen, indem er die Last seines Planes allein auf seine Schultern geladen hatte - langsam verstand sie, dass er gar nicht anders hatte handeln können. Die Ereignisse der letzten Tage waren einfach recht nervenaufreibend gewesen. Noch dazu diese äußerst widerstreitenden Gefühle in ihr, die begannen für den Magier zu erblühen - sie wollte es aufhalten, wollte nichts für ihn empfinden, doch gegen gewisse Dinge war man einfach machtlos. »Verzeihst du mir nun oder müssen wir weiter im Regen stehen bleiben, bis du abgekühlt bist?« drang sein sachte spöttisches Wispern an ihr Ohr; ihr wurde bewusst, dass sie sich schon eine ganze Weile beharrlich an ihn klammerte und ihre Kleider langsam aber sicher erneut völlig durchweicht waren. Mit funkelndem Blick sah sie herausfordernd zu ihm auf und schnaubte empört. »Bis ich abgekühlt bin?! Als ob meine Wut nicht berechtigt gewesen wäre! Ehrlich gesagt war ich gerade dabei mich zu beruhigen, aber ich glaube, dass du es durchaus verdient hast, dass ich sauer auf dich bin, Loki Laufeyson…Odinson…wer auch immer! Es gibt einige Dinge, die wirst du niemals wieder gutmachen-« Der Magier unterbrach sie sehr effizient in ihrer erneuten Wutrede, indem er seinen gekrümmten Zeigefinger unter ihr Kinn schob und ihr Gesicht so zu seinem anhob, bevor er sich unvermittelt zu ihr herabbeugte und ihre feuchten Lippen küsste. Gwen erstarrte unter dieser Berührung; so sanft, so leicht, so warm - um Verzeihung bittend. Ihre Knie wurden weich unter dieser so überraschend zärtlichen Geste und sie konnte nichts anderes tun, als ihm das Gesicht entgegen zu heben, während der Regen ungehindert über ihr Gesicht floss und es doch allein seine Lippen waren, die sie noch wahrnahm; wie diese die Regentropfen federleicht von ihrer bebenden Unterlippe tranken und alle ihre Wut und jegliche Bedenken durch ein sanftes Streifen von ihr nahmen. Loki machte sie verrückt - wirklich. Erst küsste er sie gestern Abend so leidenschaftlich, so begehrlich, dann ließ er sie einfach allein. Und jetzt dieser so sanfte Kuss, welchen sie ihm niemals zugetraut hätte… Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Der Prinz zog sich langsam wieder zurück und sie öffnete blinzelnd die Augen; erkannte eine seltsame Unsicherheit in seinem Blick, Ungläubigkeit in den leicht zusammengezogenen Brauen, als wäre er einmal mehr überrascht über das eigene Handeln, bevor er ein winziges, selbstgefälliges Lächeln zu ihr hinabschickte. »Vielleicht kann ich es ja doch wieder gutmachen…« sprach er mit angerauter Stimme und dieses Mal war Gwen sich gewiss, dass dieses Kratzen von Emotionen herrührte, die sie ebenfalls empfand. Zuneigung. Verlangen. Begierde… Wie immer überheblich hob er fragend eine Braue und erhoffte wohl Bestätigung von ihr, doch diese Genugtuung würde sie ihm ganz bestimmt nicht geben, obwohl sie kaum sicher war, dass sie ihre Beine die nächsten Schritte noch tragen würden… Er sollte bloß nicht denken, dass allein sein Kuss alles richten würde. Am Ende käme er noch auf die Idee, dass er so alle Probleme lösen könnte - oh Himmel, allein diese Vorstellung jagte Gwen einen erregten Schauder durch den Unterleib. Dann sollte er wirklich öfter Fehler machen… Sie schob ihn beiseite und reckte das Kinn störrisch, bevor sie entschlossen an ihm vorbei ging, zurück in Richtung des Tempels. »Naja, für den Anfang war das ganz okay als Wiedergutmachung…« gab sie über die Schulter zurück und sah ihn süffisant einen Mundwinkel heben. Schlechte Lügnerin! Du bist wirklich eine schlechte Lügnerin, Gwen… Kapitel 15: Macht ----------------- »Gwendolyn…Gwendolyn…« Ein seichtes Säuseln, gleich einem Windhauch, der durch raschelndes Astwerk fuhr. Irgendjemand wisperte da ihren Namen. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie diese gesichtslose Stimme zaghaft wahr, welche in ihren Schlaf drang und sanft um Aufmerksamkeit buhlte. »Gwendolyn…« Gwen trieb langsam aus der Tiefe ihres Traumes nach oben und öffnete verschlafen blinzelnd die Augen. Ihr Zimmer war dunkel; ein schmaler Streifen Mondlicht fiel durch die Vorhänge und offenbarte eine Gestalt, die eben in jenes fahle Licht trat, selbst so klar und farblos wie ein reiner Diamant; eine weißhaarige Frau stand in ihrem Zimmer. Gwen schoss in ihrem Bett nach oben und drückte sich die Bettdecke erschrocken an die Brust, öffnete bereits den Mund, um nach den Wachen zu rufen, die hoffentlich am unteren Ende des Flures vor Lokis Tür standen. »Keine Angst, kleines Licht…« wisperte die Frau warm; eine bleiche Hand hob sich beruhigend, während die irgendwie irreale Gestalt langsam zu Gwen herüber kam. »Hab keine Angst. Dir zu schaden ist nicht mein Begehr.« Gwen zog die Brauen zusammen und musterte die Fremde argwöhnisch, doch sie schloss den Mund wieder und schluckte den Drang zu schreien herab; irgendwie hatte die Frau etwas Vertrautes an sich, was Gwens Herzschlag beruhigte und ihre verkrampften Hände um die Decke lockerte. »Wer seid Ihr…? Was wollt Ihr von mir?« wisperte sie zögerlich. Die Fremde lächelte auf eine amüsiert geheimnisvolle Weise; nur der flüchtige Hauch einer Regung auf ihrem unglaublich perfekten, gütigen Gesicht. Gwen starrte die Frau an, die nun vor ihrem Bett stehen blieb - eine ätherische Schönheit, die kaum von dieser Welt schien. Und auch von keiner der anderen neun Welten. Ihre Gestalt war seltsam unwirklich; flackernd wie eine Kerzenflamme im Wind, als könnte der kleinste Atemhauch sie in der Unendlichkeit verwehen lassen. Das Fesselndste waren ihre Augen; klare, tiefe Seen von solcher Weisheit, als hätte sie bereits alles erblickt, so alt wie das Leben selbst gab es keine Geheimnisse, die sich vor ihnen verbergen konnten - genauso wissend sahen diese strahlenden Augen nun auf Gwen herab, die regungslos und gebannt zu der Frau aufblickte. Eine blasse Hand hob sich und strich über Gwens Wange; die Fremde roch nach Schnee, nach Kälte, nach einer klaren Sternennacht im Winter. Doch ihre Haut war warm, ihre Berührung unendlich zärtlich. »So mutig bist du geworden, mein Licht. Und so hübsch…« wisperte die Frau mit ihrer einnehmenden Stimme, die unbeschreiblich war; Leben und Tod schwang darin mit. »Sein Herz liegt noch in der Umarmung der Finsternis, doch du kennst den Schlüssel zu seinen Fesseln. Du wirst die Schatten vertreiben.« Obwohl die Frau keinen Namen genannt hatte, so wusste Gwen sofort und zweifelsfrei, von wem sie sprach… Die Fremde ließ ihre Hand wieder sinken und wie durch Zauberei erschien plötzlich ein funkelndes, kreisrundes Amulett in ihren Fingern, welches an einer silbernen Kette schwang. Auffordernd hielt sie jene Gwen mit einem zarten Lächeln entgegen. »Dein soll wieder dein werden.« Gwen nahm die Kette vorsichtig an sich und beäugte diese stutzig, bevor sie fragend und verwirrt zu der Frau aufsah. »Was-« Doch die Fremde verblasste bereits; ihre Gestalt schien fortgetragen von einem Wind, den Gwen nicht verspüren konnte. Ihre Umrisse zerstoben wie Nebelfetzen. »Lasse dein Licht in sein zerbrechliches, frostiges Herz dringen, Gwendolyn…dann wird deine Zeit kommen…« Dann war die Frau verschwunden, nur ihre Worte hallten einem zarten Echo gleich in Gwens Ohren nach; allein die Kette in ihren Händen überzeugte sie davon, dass es nicht nur ein Traum gewesen war. Zwischen ihren Fingern schimmerte die stilisierte Abbildung der Weltenesche, in deren Krone eine klare Flüssigkeit eingeschlossen war, die wie das weit entfernte Licht der Sterne glomm. Gwen wischte sich den Schweiß mit einem Hemdsärmel erschöpft von der Stirn und bog in den Gang zu ihrem Zimmer ein. Seit den frühen Morgenstunden hatte sie der Königin dabei geholfen, die vielen Flüchtlinge, die nun aus dem Osten in die Stadt strömten, unterzubringen; behelfsmäßige Lager waren errichtet worden, Gasthäuser stellten ihre Zimmer zur Verfügung und öffentliche Versammlungshäuser waren zu Auffanglagern für die vielen Asen umgebaut wurden, die es heimatlos hergetrieben hatte wie das Meer Strandgut ans Ufer spülte. Malekith formierte seine Armee scheinbar im Osten Asgards und fiel brandschatzend und mordend über die Dörfer auf seinem Weg her; die flüchtenden Asen kamen in kleinen Kolonen an, ihr weniges Hab und Gut auf Karren verladen, die nun knarrend und klappernd durch die Straßen der Stadt rollten. Unzählige fahle Kinderaugen hatte Gwen an diesem Tag gesehen; Augen, die für ihr junges Alter schon zu viel Schrecken erblickt hatten. Verzweifelte Mütter und Väter, in deren Zügen die quälende Mutlosigkeit vor einer unsicheren Zukunft lauerte - tiefschürfende Furcht vor einem Feind, der so übermächtig erschien, dass selbst der Allvater offenbar keine Macht gegen ihn hatte. Die Ereignisse des Winternachtsfestes waren den anwesenden Asen unwiderruflich ins Gedächtnis gebrannt worden und die Nachricht über die Begebenheiten hatte sich wie ein Lauffeuer im Land verbreitet. Wie Loki es bereits vermutet hatte, so hatte Malekith - Ymir - damit also offensichtlich erreicht, was er an diesem Abend beabsichtigt hatte; kaltes Grausen und nagende, listige Hoffnungslosigkeit heraufbeschwören, die sich wie eine beginnende Seuche unter dem Volk der Asen ausbreitete. Selbst die gestandenen Krieger erzitterten unter jenem Wort, welches nun immer öfter in den Gassen der Stadt gewispert wurde; hinter vorgehaltener Hand, um das Schicksal selbst nicht herauszufordern - Ragnarök. Furcht und Zweifel zogen an diesen Tagen wie ein schleichender Nebel durch die Straßen der Stadt und die Dörfer des Landes; die Stimmung war gedrückt, gedämpft, als hielte Asgard selbst den Atem an, um angespannt die Ereignisse zu erwarten, die da noch kommen mögen. Gwen hatte ihr Zimmer erreicht und nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog sie sich sofort erleichtert die verschwitzten und schmutzigen Klamotten über den Kopf, um das Wasser einer heißen Dusche begrüßen zu können; es war erst später Nachmittag, doch sie fühlte sich bereits, als hätte sie zwei Tage am Stück im Büro gesessen - völlig ausgelaugt und abgekämpft, obwohl es eine seltsam gute Erschöpfung war. Es fühlte sich einfach richtig an helfen zu können und etwas zu tun; Gwen hatte nicht einen Moment gezögert, als die Königin sie um ihre Hilfe gebeten hatte. Sie fühlte sich Asgard wirklich verbunden durch die letzten Tage, die sie an der Seite von Thor, Loki, Sif und den anderen verbracht hatte - das Volk der Asen war irgendwie auch zu ihrem Volk geworden, Asgard zu ihrer zweiten Heimat, Thor und seine Freunde zu ihren Freunden, die Königin zu einer Vertrauten, Loki zu… Tja, in Bezug auf Loki und ihre Beziehung zueinander stockten Gwens Gedanken. Sie wusste selbst nicht so recht, was der Magier für sie geworden war - oder sie für ihn. Nachdem sie mit Loki aus der Unterwelt zurückgekehrt war und er ihr diesen unglaublichen Kuss im Regen gestohlen hatte, war es wieder wie zuvor zwischen ihnen gewesen; Loki war nicht unfreundlich oder abweisend ihr gegenüber, doch auf eine distanzierte Art und Weise kühl, als wäre derlei für ihn eigentlich nicht von sonderlicher Bedeutung. Die gesamte Zeit ihrer Rückreise nach Gladsheim hatte er kein einziges Wort über diesen Moment verloren und sich auch sonst in Gegenwart von Gwen nicht anders verhalten, wobei sie genau das im Innersten irgendwie erhofft hatte - eine Regung, ein verräterisches Zeichen, das ihr verriet, was sie von alledem zu halten hatte. Doch es war wohl vergebliche Liebesmüh bei einem Mann wie Loki auf eine unbedachte Reaktion oder Geste zu warten; er hatte sich einfach perfekt unter Kontrolle, das Vorzeigemodell von Selbstbeherrschung und Disziplin, zumindest nun wieder. Aber Gwen hatte etwas durchschimmern sehen; durch das dichte Eis, das ihn umgab, hatte sie eine gänzlich andere Seite an Loki wahrgenommen. Eine Seite, die der Magier sehr gut versteckte - bei jedem Kuss war seine Maske verrutscht, da seine Konzentration in jenen Momenten offensichtlich von anderen Dingen in Anspruch genommen wurde. Vielleicht maß Gwen dem Ganzen aber auch viel zu viel Bedeutung zu; sah Dinge in diesen Küssen, die einfach nicht da waren. Und das Schlimmste daran war, dass sie noch nicht einmal genau wusste, ob sie darüber enttäuscht oder froh sein sollte, dass Loki sie wahrscheinlich nur als lockere Ablenkung seines „Knastalltages“ sah; sicherlich hatte er im Rahmen seiner Gefangenschaft nicht viele Frauen gehabt und wollte nun vielleicht einfach seine Möglichkeiten nutzen... Welchen Sinn hätte es auch, sich mehr zu wünschen und zu erhoffen - sie kannte die Antwort: keinen. Loki und sie kamen einfach aus zu verschiedenen Welten, er war beinahe unsterblich, sie würde mit der Zeit einfach vergehen und sterben. Eine Verbindung zwischen ihnen war unmöglich, schlicht undenkbar. Noch dazu waren seine Verbrechen nicht einfach zu leugnen und er würde wahrscheinlich wieder in seine Zelle wandern, wenn all die Ereignisse um Malekith ausgestanden waren. Wenn sie überhaupt ausgestanden werden konnten… Wenn die Dunkelheit sie nicht alle verschlang. Die heiße Dusche vertrieb Gwens Frösteln und brachte zumindest ihre Lebensgeister zurück, allerdings weckte das auch ihren Hunger mit Macht; sie sollte unbedingt sehen, dass sie etwas zu essen bekam. Den Tag über hatte sie dieses körperliche Bedürfnis irgendwie völlig vergessen, da sie so eingenommen von ihrer Arbeit gewesen war, doch nun verlangte ihr Körper langsam nach seinem Recht. Wesentlich frischer und entspannter tapste Gwen nackt und barfuß aus dem Bad und durchquerte ihr Zimmer, während sie sich die Haare mit einem Handtuch trocken rieb. Dabei fiel ihr Blick auf die Kette, die noch immer unangetastet auf ihrem Nachttisch lag. Unschlüssig, fast vorsichtig ging sie zu ihrem Bett hinüber und betrachtete das außergewöhnliche Schmuckstück eine Weile nachdenklich, bevor sie sich die Kette einer plötzlichen Eingebung folgend um den Hals legte. „Dein soll wieder dein werden.“ Der Verschluss rastete ein und Gwen ließ die Hände über die glatten Kettenglieder nach vorn wandern, um die Finger zögerlich über die Abbildung Yggdrasils gleiten zu lassen; das Silber fühlte sich warm und angenehm auf ihrer Haut an, seltsam vertraut, als wäre die Kette ein Schmuckstück, welches sie einst oft getragen doch irgendwann verloren hatte… Sie musste unbedingt mit Loki über dieses seltsame Ereignis in der Nacht sprechen; bisher hatte sie niemanden von der eigenartigen Frau erzählt, aus Angst, dass man sie wirklich für verrückt halten könnte. Gwen war sich selbst nicht einmal wirklich sicher, was sie gesehen und was nur geträumt hatte - und trotzdem wollte kein Gefühl von Bedrohung oder Unbehagen aufkommen; irgendwie wusste sie, dass die Fremde keine Gefahr darstellte und dass ihr Besuch irgendwie wichtig war. Der Magier würde hoffentlich eine Antwort wissen. Mit einem tiefen Luftholen ließ sie die Finger von der Kette sinken und fischte sich ein paar frische Sachen aus der Truhe, die Frigga extra für sie hatte in ihr Zimmer stellen lassen; darin eine große Auswahl an leichten Hemden, Hosen, Kleidern und einfachen Roben in ihrer Größe, was zu besorgen die Königin sicherlich einiges an Mühe gekostet hatte, da Gwen nicht gerade dem asischen Standard in Körpergröße und Erscheinung entsprach. Sie war immerhin um ein gutes Stück kleiner und feingliedriger als die typischen Asenfrauen. Als Gwen den Deckel der Truhe wieder herabsinken ließ, kam ihr plötzlich Ashlyn in den Sinn. In den letzten Tagen hatte sie kaum einen Gedanken an ihr zuhause geschickt; weder an Ashlyn, noch Winston, nicht einmal an ihr Eltern gedacht. Das schlechte Gewissen meldete sich zurechtweisend in ihr. Sie war so eingenommen von den Ereignissen hier in Asgard gewesen, ganz im speziellen natürlich von einem grünäugigen Magier, der in letzter Zeit viel zu oft ihre Gedanken beherrscht hatte, dass sie gar nicht wirklich an ihr zuhause gedacht hatte wie sie jetzt beschämt feststellte. Beinahe war es merkwürdig, doch das seltsame Gefühl von Zugehörigkeit, welches sie in Bezug auf Asgard empfand, war noch immer da; sie fühlte sich hier nicht wirklich fremd, sondern „angekommen“ wie am ersten Tag ihrer Reise hierher. Wahrscheinlich hatte sie daher kaum an die Erde gedacht, wofür sie ihr Gewissen nun rügte. Winston war bei Ashlyn in guten Händen und somit versorgt und Ashlyn war eine Frau, die gewiss auch gut allein klar kam; doch vielleicht machte sie sich bereits Sorgen um Gwen, immerhin war es möglich, dass der Daily View vom Abbruch der Mission erfahren hatte. Oder hatte S.H.I.E.L.D wieder einmal alles vertuscht und verdeckt; die drohende Gefahr eines Angriffes durch die Dunkelelfen geschickt verheimlicht, um keine Panik unter der Bevölkerung auszulösen? Vielleicht wusste überhaupt niemand, dass sie noch immer in Asgard war und somit vermisste sie auch keiner… Da weiterhin keine relevanten Meldungen beim Allvater über Angriffe auf Midgard eingingen, so machte sich Gwen im Moment zumindest keine all zu großen Sorgen um ihre Freunde und ihre Eltern; doch vormachen musste sie sich auch nichts - sollten die neun Reiche keine Möglichkeit finden Malekith aufzuhalten, so betraf sie alle diese Gefahr. Auch die Erde würde nicht für immer verschont bleiben. Gwen schloss gerade den letzten Knopf des Hemdes und zog die Tür ihres Zimmers hinter sich zu. Ihr Blick wanderte wie selbstverständlich den Gang hinauf zu Lokis Gemächern, doch da der Allvater seit dem heutigen Tag überraschend auf die permanente Bewachung des Magiers verzichtete, konnte sie nun nicht mehr anhand der Wächter ausmachen, wo sich Loki gerade befand. Entschlossen lief sie den Gang hinauf und klopfte an seine Zimmertür, doch der Magier schien nicht da zu sein; keine Antwort von drinnen verkündete ihr seine Anwesenheit. Unsicher öffnete sie die Tür und steckte den Kopf zögerlich in den Raum; sie wollte nicht schon wieder riskieren ihn halb nackt zu überraschen. »Loki…?« rief sie vorsichtig, doch der Prinz war wirklich nicht hier. Sie hatte gehofft, Lokis Gesellschaft vielleicht bei einem Essen suchen zu können. Sie wollte unbedingt mit ihm über die Erscheinung der Frau sprechen. Und sie wollte sich bei ihm entschuldigen… Bisher hatte sie ihn kaum mehr allein erwischt, nachdem sie gestern Abend wieder in Gladsheim angekommen waren; die Reise über waren Thor und seine Freunde bei ihnen gewesen und danach hatte sich die Gelegenheit nicht mehr ergeben, Loki allein zu sehen und zu sprechen. Gwen hatte noch einmal über die Ereignisse mit Hel nachgedacht; vor allem über ihren unkontrollierten Wutausbruch danach und die Wahrheit war…es tat ihr leid. Im Nachhinein war ihr klar geworden, dass sie sich vollkommen lächerlich aufgeführt hatte und dafür wollte sie sich bei dem Prinzen entschuldigen. Er hatte ihre Wut nicht verdient. Gwen hatte das Gefühl, dass sie sich in einem dauerhaft angespannten Zustand befand, seitdem sie in Asgard angekommen war; die ganzen Geschehnisse der letzten Tage hatten sie ganz schön mitgenommen und an ihren Nerven gezerrt - sie hatte überreagiert, vielleicht verständlich, doch einige Dinge, die sie dem Magier an den Kopf geworfen hatte bereute sie nun zutiefst. Vor allem die Tatsache, dass sie ihm wie alle anderen nicht vertraut hatte… Seufzend schloss Gwen die Tür seines Zimmers wieder und entschied, dass sie es im Bankettsaal versuchen würde. Womöglich befanden sich die anderen ja dort, immerhin waren Thor sowie Volstagg ja für ihren ausgeprägten Hunger und Appetit bekannt. Doch auf dem Weg dorthin traf Gwen überraschend auf Sif; die Kriegerin warf sich eben einen Umhang über die Schultern, gekleidet in ihre Kampfrüstung marschierte sie den Gang entlang, was Gwen doch ein wenig unruhig werden ließ; stand etwa ein erneuter Angriff bevor? Sif sah von dem Verschluss ihres Umhanges auf und nahm Gwen erst wahr, als sie fast vor ihr stand; ein warmes, freundliches Lächeln zeigte sich auf den Lippen der Kriegerin. »Oh, Gwen. Hallo. Ich habe dich den ganzen Tag über schon vermisst. Wo warst du denn?« »Ich habe der Königin bei der Unterbringung der Flüchtlinge geholfen. Sie bat mich um Unterstützung, da habe ich natürlich sofort zugesagt.« klärte Gwen die Kriegerin auf, in deren Augen Anerkennung aufblitzte. »Ist etwas passiert…?« fragte sie Sif sogleich unbehaglich und wies erklärend auf deren Kampfmontur. Die Kriegerin folgte dem Deut ihrer Hand auf ihre Rüstung und schüttelte dann verstehend den Kopf. »Oh, das…nein, keine Sorge. Der Allvater hat zu einer offiziellen Zusammenkunft und Beratung gebeten und zu solch einem Anlass trägt man einfach die entsprechende Kleidung.« beruhigte Sif damit Gwens Befürchtungen. »Du suchst bestimmt Loki, oder?« kam die Kriegerin ihr dann zuvor und erriet für Gwens Geschmack viel zu schnell ihre Gedanken. »Er ist bestimmt auch beim Allvater. Odin hat all seine Vertrauten, Generäle und Ratgeber zusammengerufen. Komm doch mit.« schlug Sif vor und wartete Gwens Antwort gar nicht erst ab, sondern schnappte sich deren Arm und zog sie mit sich. »Meinst du…das geht so einfach?!« hakte Gwen unsicher nach. Ihr hatte man keine Einladung zukommen lassen; sie wusste nichts von einer Versammlung. Und Odin wollte bestimmt auch keinen Menschen bei seinem Treffen dabeihaben, wobei sie natürlich verdammt neugierig auf diese scheinbar sehr wichtige Versammlung war. Die Journalistin in ihr meldete sich zurück. »Aber natürlich. Du gehörst doch jetzt gewissermaßen zu uns, Gwen.« meinte Sif leichthin und schenkte ihr ein bestärkendes Lächeln. »Du hast schon so viel für Asgard getan, ich wüsste keinen Grund, warum du einer solchen Unterredung fern bleiben solltest. Du bist kein Feind unserer Welt und hast dich als wahrer Gewinn erwiesen. In Zeiten einer solchen Bedrohung sollte es keine Geheimnisse unter Verbündeten und Freunden geben.« Gwen nickte zögerlich und ließ sich von Sif durch die Gänge des Palastes in Richtung Thronsaal führen, obwohl sie selbst noch nicht gänzlich überzeugt von der Idee der Kriegerin war; sie war neugierig, keine Frage, doch es stand wohl außer Diskussion, dass sie eben keine Asin, keine Göttin war und damit zu solch einer Unterredung wahrscheinlich auch bewusst nicht eingeladen wurde. Odin wäre bestimmt nicht begeistert über ihre Anwesenheit… Sie erreichten die Tür, die zu einem bekannten Nebenraum des Thronsaales führte, den Gwen noch sehr gut aus ihrer Erinnerung kannte; hierher hatte man sie nach ihrer Festnahme geführt und zu den Ereignissen von Lokis Flucht befragt. Das schien nun schon ewig her zu sein. Gwen trat hinter Sif in den Raum ein, der bereits angefüllt mit Asen war, vertieft in eine angeregte Diskussion. Die donnernde Stimme Odins klang deutlich hervor; der Allvater stand an der Stirnseite des langen Tisches, um den herum sich Thor und die Tapferen Drei bereits eingefunden hatten; ebenfalls in seiner imposanten Rüstung deutete Odin gerade auf eine große Karte des Reiches, die auf dem Tisch ausgebreitet lag. »Ich werde diese Angriffe auf mein Volk nicht länger tatenlos hinnehmen! Wir werden Malekith die Stirn bieten, offen und stolz.« Thors Miene war finster, er hatte die Arme vor der breiten Brust verschränkt und starrte nachdenklich auf das Pergament vor sich auf dem Tisch. Fandral lehnte gelassen in seinem Stuhl und rieb sich immer wieder über den makellos gestutzten Schnurrbart, daneben Volstagg und Hogun, die angespannt den Ausführungen des Allvaters lauschten. Einige Männer der Palastwache waren ebenso anwesend; wahrscheinlich höherrangige Generäle, die in ihren glänzenden Rüstungen den Raum mit ihrer Präsenz füllten. Einer zog sich eben den geflügelten Helm vom Kopf und trat zu Odin heran, um ihm eine Stelle auf der Karte zu weisen. »Mein König, die Angriffe konzentrieren sich jetzt vor allem im Osten. Ich könnte im Morgengrauen zweitausend Mann kampfbereit machen und auf den Weg schicken.« Am anderen Ende des Tisches hatten sich Männer in kunstvollen Roben aufgereiht, welche die Szenerie nachdenklich kühl beäugten und immer wieder die Köpfe zusammensteckten, um sich untereinander zu beraten; wahrscheinlich Adlige Asgards und Mitglieder des Hohen Rates. Einer von ihnen dokumentierte den Verlauf der Versammlung auf einem Pergament. Die Königin saß auf ihrem erwählten Platz am kalten Kamin und beobachtete das Geschehen aus der Ferne mit aufmerksamer Miene, die Hände sittsam im Schoß gefaltet, immer wieder ein Anblick von Würde und Erhabenheit. Loki war tatsächlich auch hier; der Magier saß ein wenig abseits vom Tisch und hatte seinen Stuhl so gerückt, dass er die gesamte Versammlung überblicken konnte. Er trug legere Kleidung im Gegensatz zu den anderen wie Thor oder den Tapferen Drei, die ebenfalls in Kampfrüstung erschienen waren; die langen Beine des Prinzen, elegant und locker überschlagen, steckten in einer engen, dunkelbraunen Lederhose, darüber trug er unter einer westenartigen, hüftlangen Tunika ein dunkelgrünes Hemd. Er hatte die Brauen konzentriert zusammengezogen und hielt sich eher schweigsam im Hintergrund, ein Arm auf die Lehne seines Stuhles gestützt, dessen Hand nachdenklich als lockere Faust an seinen Lippen weilte. Die silbernen Fesseln schimmerten als fast unpassende Schmuckstücke an seinen Handgelenken. »Es sind nicht nur die Angriffe im Osten. Malekiths Schiffe haben sich heute Morgen von Schwarzalbenheim auf den Weg gemacht und schwärmen auch in Richtung der anderen Reiche aus. Mit ein wenig Pech werden wir mit Angriffen von mehreren Seiten rechnen müssen. Womöglich sind diese Überfälle der Dörfer nur ein Ablenkungsmanöver, um die Stadt ungeschützt zu treffen. Wir sollten nicht so viele Männer von hier abziehen.« gab eine klare, bekannte Stimme zu bedenken. Heimdall lehnte im Rücken des Königs an der Wand, von wo aus er den ganzen Raum überblicken konnte; seine goldenen Augen waren wachsam und huschten jetzt zu Gwen herüber, die gerade die Tür leise hinter sich schloss. Offensichtlich jedoch nicht leise genug, denn einige Köpfe wandten sich zu den beiden Frauen um. Während Thor erfreut schien und Sif wie auch Gwen mit einem zaghaften Lächeln bedachte, wirkte Odin nicht gerade begeistert über deren Auftauchen - zumindest nicht über das von Gwen. Er nahm sie kritisch in Augenschein und furchte die Stirn, als müsse er ernsthaft überlegen, wie sie hier hereingekommen war. Wenigstens Fandral und Volstagg winkten ihr freudig zu. Lokis Blick verriet wieder einmal…gar nichts. Er sah zwar zu ihnen herüber und seine Augen hingen für einen winzigen Moment länger an Gwen, doch dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder der Unterhaltung vor sich. Gwen hasste dieses dämliche Gefühl von Enttäuschung augenblicklich, was in ihrem Hals brannte wie bittere Magensäure. Was hatte sie denn erwartet? Dass er überschwänglich aufsprang und sie in die Arme schloss?! Lächerlich. Das würde Loki niemals tun. Frigga löste die angespannte Stimmung auf ihre einfach liebenswürdige Art und Weise; sie erhob sich mit raschelnder Robe und schritt zu Gwen herüber, um diese lächelnd am Arm zu nehmen und wie selbstverständlich zu der Sitzecke am Kamin zu führen, als hätte sie selbst Gwen hierher bestellt. Die bestimmte und freundliche Art der Königin nötigte den Männern Gehorsam ab; Odin zog seinen Blick von Gwen zurück und führte die Diskussion mit seinen Beratern übergangslos weiter, als wäre gar nichts passiert. Nur die Ratsmitglieder beäugten Gwen äußerst argwöhnisch aus den scharfen Falkenaugen ihrer schmalen, ernsten Gesichter. Sif nahm inzwischen unweit von Thor auf einem Stuhl Platz und strich im Vorübergehen verstohlen über dessen muskulösen Unterarm, was die verbissenen Züge des Donnergottes ein wenig glättete. »Vor allem können wir nicht einfach unvorbereitet gegen einen so übermächtigen Feind ins Feld ziehen.« gab nun auch Thor zu bedenken. »Wir wissen nun, dass Malekith von einer uralten Macht besessen ist. Zuerst brauchen wir mehr Informationen, einen Plan, bevor wir uns haltlos in die Schlacht stürzen.« Fandral und Hogun nickten zustimmend und Gwen bemerkte einen Anflug von überraschter Anerkennung auf Lokis Zügen, als er seinen Bruder kurz ins Auge fasste. »Diese Annahme stützt sich auf die Aussagen Eures Bruders, Thor Odinson.« schnarrte einer der Männer des Rates jetzt und hob die Brauen skeptisch über den Rand seiner Sehhilfe, während er Loki kritisch beäugte, der dem Mann ein aalglattes Grinsen schenkte. »Woher sollen wir wissen, dass es die Wahrheit war, welche die Silberzunge sprach? Womöglich handelt es sich nur wieder um einen arglistigen Scherz, der uns verunsichern soll?!« Gwen wollte dem Mann augenblicklich die Arroganz aus dem Gesicht schlagen… Thor wollte schon eine heftige Antwort geben, doch überraschend kam ihm Hogun zuvor. Der stille Krieger erhob seine ernste Stimme im weichen Dialekt seines Volkes: »Loki Odinson hat sich bisher als wertvoller Verbündeter erwiesen. Er nahm unschätzbare Gefahren auf sich, um uns diese Auskünfte zu beschaffen. Ich hegte stets Misstrauen und Vorsicht gegenüber des Magiers, doch sehe ich jetzt keinen Grund, warum er uns belügen sollte.« Loki rieb sich in einer grübelnden Geste übers Kinn, während er Hogun mit einem langen Blick bedachte. »Womöglich seht Ihr den nicht, werter Hogun.« meldete sich der Mann des Rates mit seiner nasalen Stimme zurück. »Doch der Rat hegt weiterhin Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Verbrechers und Jotunen, Loki-« »Schluss jetzt damit!« brauste Odin auf und schlug die flache Hand auf den Tisch, was die Männer des Rates getroffen zusammenzucken ließ. »Loki und seine Vergehen sind jetzt nicht Gegenstand dieses Treffens. Darüber wird später geurteilt werden. Ich will beraten, wie am besten gegen Malekith vorzugehen ist und wenn ihr nichts wertvolles in dieser Sache vorzutragen habt, so schweigt und bleibt mir mit euren Bedenken und Zweifeln in Bezug auf Loki jetzt fern!« wies der Allvater die Ratsmitglieder zurecht, die sofort ehrerbietend und entschuldigend die Häupter senkten - kuschten wie feige Ratten. Gwen hatte das Ganze still neben der Königin verfolgt, die ihre Hand in einer mütterlichen Geste hielt; sie war überrascht, dass Hogun Partei für Loki ergriffen hatte. Selbst der Allvater ließ sich nicht mehr auf Diskussionen über Lokis Glaubwürdigkeit ein; er hatte ja sogar die permanente Bewachung des Prinzen abgezogen - offenbar hatte sich der Magier ein Stück des brüchigen Vertrauens zurückerobert. Loki hatte den verbalen Schlagabtausch in scheinbarer Gelassenheit schweigend zur Kenntnis genommen, doch Gwen ahnte, dass ihn das nicht so kalt ließ, wie er alle Glauben machen wollte; seine Kieferknochen traten unmerklich hervor und seine Augen hatten sich um eine Winzigkeit verengt - kleine Zeichen, dass er angespannt war. Ihr fiel auf, dass er heute wieder blasser als die letzten Tage über wirkte, doch da mochte sie vielleicht auch das fahle Sonnenlicht täuschen, dass durch die große Fensterfront hereinfiel; die Sonne lag den ganzen Tag schon hinter hohen Schleierwolken verborgen. Fast verstohlen rieb sich der Magier mit der freien Hand über die Brust, bevor sein Blick zu Gwen herumfuhr. Sie fühlte sich augenblicklich ertappt, hatte sie ihn doch einmal mehr unverhohlen angestarrt, doch der Reflex, das Haupt verlegen zu senken, blieb aus - seine Augen fesselten sie und ihre Blicke trafen sich über den Raum hinweg, sodass Gwen wieder dieses verräterische Prickeln spürte, was ihre Haut überzog. Dieser Mann hatte einfach unglaubliche Augen; hypnotisierend in ihrem smaragdgrünen Licht, das manchmal intensiv und verzehrend wie Feuer schien und dann wieder kalt und magisch wie das Leuchten der Sterne… Einer von Lokis Mundwinkeln zog sich leicht in die Höhe, als hätte er ihre Gedanken gelesen, dann wanderte sein Blick weiter und kam erneut auf dem Allvater zu liegen. Gwen unterdrückte gerade so ein erleichtertes Aufseufzen. »Ich werde Malekiths Herausforderungen nicht länger dulden! Er kommt in mein Reich, ängstigt mein Volk und droht ihm mit Ragnarök. Für diese Unverschämtheit allein muss er in seine Schranken gewiesen werden - koste es, was es wolle! Niemand soll sich je wieder anmaßen, dem Allvater in seinen eigenen Hallen mit dem Tod seines Volkes zu drohen!« donnerte Odin seine Stimme entschlossen in den Raum und verursachte Gwen damit eine Gänsehaut; sollte es also wirklich Krieg geben? Würden Thor und seine Freunde in eine Schlacht ziehen müssen, aus der sie womöglich nie wiederkamen? Der Mann der asgardischen Wache neben Odin nickte beipflichtend und drückte sich die Rechte in einer respektvollen Geste gegen die goldene Plattenbrust. »Meine Männer stehen Euch zur Verfügung, mein König. Sie werden stolz und geehrt sein für Euch kämpfen zu dürfen. Selbst bis zum Tod.« »Der Tod als Ehre?! Macht Euch nicht lächerlich, Hauptmann.« durchdrang nun die samtige Stimme Lokis den Raum; der Magier saß noch immer gelassen, fast gelangweilt auf seinem Stuhl, während nun sämtliche Augen auf ihm ruhten. Er selbst bedachte den Hauptmann der Wache mit einem spöttischen Blick. »Der Tod ist weniger begehrenswert, als Ihr es vielleicht denkt. Glaubt mir, ich habe sie gesehen.« warf der Prinz mit einem breiten Grinsen in den Raum; das flüchtige Funkeln in seinen grünen Augen verriet seine Belustigung über das furchtsame Zusammenzucken einiger Anwesenden. »Auf meine Männer wartet Walhall.« gab er Hauptmann überzeugt zurück. »Keine größere Ehre kann es geben, als an der goldenen Tafel neben unseren Ahnen zu sitzen, die sich ihren Ruhm in zahllosen Schlachten verdienten.« »Ich glaube kaum, dass all Eure zweitausend Männer gleichzeitig nach Walhall auffahren werden. Das müsste ein ziemliches Gedränge an der Tafel der Ruhmreichen geben, denkt Ihr nicht auch? Bei solch einem Ansturm fallen bestimmt auch ein paar Seelen für die Göttin des Todes ab.« sinnierte Loki überzeugt, das Kinn nun auf seine Faust gebettet sah er den Hauptmann der Wache an, der augenblicklich erbleichte und ein wenig ratlos von einem zum anderen sah. »Lass deine Spielchen, Loki.« grollte Odin nun und bedachte seinen Sohn mit einem zurechtweisenden Blick. »Wenn du etwas zu sagen hast, dann tue es.« »Das habe ich in der Tat.« verkündete der Magier und deutete wage mit der freien Hand auf die ausgebreitete Karte des Tisches. »Heimdall hat Recht. All das ist eine Ablenkung. Diese Angriffe sollen unseren Blick von dem ablenken, was Malekith in Wahrheit will.« »Er hat es also wirklich auf die Stadt abgesehen!?« brach Volstagg brummige Stimme durch die Stille. »Nein. Er will nicht die Stadt. Nicht Odins Thron oder die Herrschaft über Asgard.« korrigierte Loki die Vermutungen der Anwesenden. »Er will Yggdrasil.« offenbarte er dann in seelenruhiger Gewissheit, was augenblicklich die Stimmen aller laut werden ließ; als hätte der Magier einen Stein in einen ruhigen See geworfen breiteten sich Wellen von Fassungslosigkeit aus. Ein dichtes Raunen schwirrte durch den Raum, während Köpfe zusammengesteckt und verwirrte Blicke ausgetauscht wurden. »Yggdrasil?!« »Unmöglich. Das würde er nicht wagen!« »Das ist doch albern!« »Kann es wirklich sein…?« »Ruhe!« befahl Odin der aufgebrachten Menge mit einem erneuten Schlag der flachen Hand auf den Tisch, bevor sich der Allvater dem Magier zuwandte, der noch immer recht unberührt von allem auf seinem Stuhl saß. »Was bringt dich zu dieser Annahme, Loki?« verlangte Odin zu wissen. »Denkt doch selbst einmal nach.« begann der Prinz mit süffisanter Forderung und sah sich in der Runde der Anwesenden um. »Malekith - Ymir - will Ragnarök beschwören, den Untergang aller Welten. Glaubt ihr wirklich, er hält sich dann lange mit der Eroberung einer oder mehrerer Reiche auf, wenn er alle mit einem Schlag vernichten und ins Dunkel stürzen kann?« fragte der Magier niemand bestimmten und machte auch nicht den Anschein, als würde er nun dringend eine Antwort auf diese rhetorische Frage erwarten. Gwen war auf ihrem Sitzplatz ein wenig nach vorn gerutscht und hing nun gebannt wie alle anderen an den Lippen des Prinzen; selbst die Königin wirkte angespannter als noch zuvor und hatte die Stirn in tiefe Falten gezogen, womit sie ihrem Mann in nichts nachstand, der finster den Ausführungen seines Sohnes lauschte. »Thor, erinnerst du dich an die Schwarzalben, die wir auf unserer Reise sahen? Jene, die uns angriffen.« richtete Loki das Wort nun an seinen Bruder. Der Donnergott wirkte einen Moment irritiert, zog die Brauen zusammen, bevor er zögerlich nickte. »Ja, das tue ich.« »Wie du dich vielleicht entsinnen magst, so vermutete ich damals schon, dass sie etwas suchen würden. Hel hat mir nun des Rätsels Lösung durch ihre Worte präsentiert.« Loki hielt kurz inne, bevor er mit klarer Stimme die unheilvollen Worte der Todesgöttin zitierte: »So wie Yggdrasil die überragende Kraft der Lebensspenderin besitzt, so ist Ymir Seele das dunkle Gegenstück dazu, fähig alles zu zerstören und ins Dunkel zu stürzen. Es besteht eine Verbindung zwischen den beiden, zwischen der Weltenesche und dem Schatten von Ymir Geist. Yggdrasil erwuchs aus seinem Leib, möglich das er zu seinem Ursprung zurückkehren will.« Odin richtete sich vom Tisch auf, die Erkenntnis brach sich Bahnen in seinem bärtigen Gesicht. Er schloss kurz das sichtbare Auge. Auch Thor schien zu verstehen; er löste die Verschränkung seiner Arme und fasste unbewusst nach Sifs Hand, welche die Kriegerin ihm entgegen streckte. Heimdall hatte sich beunruhigt von der Wand im Rücken abgestoßen. »Warum lange mit Schlachten und Kriegen aufhalten? Malekith muss bloß zur Weltenesche gelangen, sie mit Ymirs Geist verderben und die Welten werden untergehen.« fuhr Loki fort. »Er hat nicht die Männer, um sich allen Reichen gleichzeitig zu stellen. Das weiß er. Und das muss er auch gar nicht. Dies alles…« Der Magier deutete mit einer lapidaren, geringschätzigen Handbewegung auf die ausgebreitete Karte Asgards mit den unzähligen, roten Bannern, die wie warnende Finger von dem Pergament in die Höhe aufragten. »…ist Augenwischerei. Er führt euch an der Nase herum. Während ihr abgelenkt seid von seinen Angriffen, durchstreifen seine Alben die Welten und suchen nach dem geheimen Zugang in Yggdrasils Reich.« Von einem Moment auf den anderen hatte Loki die Aufmerksamkeit aller an sich gerissen; plötzlich war er es, dem alle Blicke und offene Ohren galten, in dessen Worten man nach einem Rat und nach den Anweisungen für das weitere Vorgehen suchte. »Was rätst du uns, Bruder?« fragte Thor den Magier ganz offen nach seiner Einschätzung der Lage und niemand begehrte dagegen auf; weder die Ratsmitglieder, noch Heimdall, nicht einmal Odin. Alle Augen ruhten abwartend auf dem geächteten Prinzen. Mit einem Mal schien Loki die Geschicke Asgards in den Händen zu halten. »Ein paar Männer sollten in den Osten marschieren. Lasst Malekith in dem Glauben, dass ihr seiner List erlegen seid, doch stellt euch keinem offenen Kampf. Sichert die Dörfer und Städte auf eurem Weg und ebnet den Bewohner den Weg weiter ins Landesinnere.« begann Loki bestimmt und erhob sich von seinem Platz. »Sendet Hugin und Munin aus, um die verstreuten, kleinen Gruppen der Dunkelelfen ausfindig zu machen, die sich verstohlen durch unsere Lande bewegen. Thor soll sich mit den Tapferen Drei auf die Suche nach ihnen machen und sie in ihrem Vorhaben aufhalten. Sie dürfen den Durchlass zu Yggdrasil nicht finden. Zu unserem Vorteil gereicht es hier natürlich, dass sich das Portal der Weltenesche ständig durch die Reiche bewegt; nie verweilt es lange an einem festen Ort.« erklärte der Magier der Runde. »Heimdall sollte Botschaft an die anderen Welten schicken. Unterrichtet sie von Malekiths Vorhaben. Sie sollen ebenso verfahren, sich auf seine List einlassen, ihn in Sicherheit wiegen, doch seine Elfen in ihrem Vorhaben aufhalten. Sendet Nachricht an Vanaheim und Alfheim, dass ich die Unterstützung derer bester Magier benötige; sie sollten sich zu einer Zusammenkunft in Asgard einfinden. Wenn das flüchtige Portal gefunden wird, so können wir es womöglich mit einem Zauber stabilisieren oder versiegeln, sodass Ymir der Weg auf immer verwehrt bleibt.« Loki war an den Tisch herangetreten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt strahlte er kühle Ruhe und Bestimmtheit aus; sein Kinn war gehoben, seine Züge entschlossen. Sein schneidender Verstand nötigte den Anwesenden Schweigen und Aufmerksamkeit ab. Sie war beinahe fühlbar; die Erleichterung im Raum, dass jemand die Zügel in die Hand genommen hatte und die Geschicke in dieser heiklen Sache lenkte. Loki strahlte genau jene ruhige Würde und Überzeugung aus, die die Asen gerade zu dieser Zeit benötigten - einen kühlen Kopf, der in der Lage war, klare Gedanken zu fassen, Täuschungen zu durchschauen und eindeutige Anweisungen zu formulieren. Gwen bewunderte Loki für seinen flinken Geist und glasklaren Verstand; seine Intelligenz war überragend und sie bemerkte verlegen, dass die machtvolle Aura des Magiers sie erregte - es war seltsam berauschend, ihn bei seinen Ausführung zu beobachten und zu lauschen. Alles an diesem Mann zog sie wie magisch an. »Ich werde inzwischen nach einem Zauber suchen, der Ymir womöglich aufhalten kann. Thor hat recht, unvorbereitet sollten wir uns dieser uralten Macht nicht stellen - weder Asen, noch Vanen oder Lichtalben. Doch zusammen können wir Malekith womöglich aufhalten. Dazu müssen wir uns aber unserer Verbundenheit erinnern, Bedenken und alte Fehden hinter uns lassen…« endete Loki bestimmt und sah den Allvater offen an. Dessen Abneigung gegen die Vanen auf Grund ihrer Magie war nicht vergessen, auch nicht der schwelende Zwist zwischen Jotunheim und Asgard, an dem Thor und auch Loki ihre Mitschuld trugen. Doch in Zeiten wie diesen mussten die Welten sich ihrer gemeinsamen Stärke einfach erinnern, sonst würden sie untergehen. Odin sah seinen jüngsten Sohn sehr lange nachdenklich an; ein endlos gedehnter Augenblick, in welchem Gwen schon erwartete, dass der Allvater den Rat des Magiers in den Wind schlagen würde. Doch Odin holte tief Luft, dann nickte er langsam. »Ich werde über deine Worte nachdenken und deine Ratschläge in meine Überlegungen einbeziehen, Loki. Am heutigen Abend will ich verkünden, wie wir verfahren werden. Geht nun. Ich muss nachdenken.« verlangte der Allvater müde und kehrte dem Raum den Rücken, indem er sich zu den Fenstern umwandte. Die Versammlung zerstreute sich nun langsam; die Ratsherren verließen mit säuselnden Roben den Raum, während die Königin Gwens Hand flüchtig drückte, bevor sie aufstand und zu ihrem Mann hinüber schritt. Thor und seine Freunde verschwanden als nächstes durch die Tür; Gwen stand auf und suchte über die Helme der noch anwesenden Wächter das dunkle Haupt des Magiers. Loki durchquerte gerade hinter Volstagg die Tür nach draußen. »Loki…?!« Gwen beeilte sich zu ihm aufzuschließen; im ersten Moment dachte sie, dass er sie ignorieren würde, doch er blieb stehen und sah ihr über die Schulter hinweg entgegen. »Gwendolyn. Es überraschte mich dich hier zu sehen. Du hast dich geschickt in die Unterredung des Allvaters eingeschlichen.« Die Ahnung eines amüsierten Lächelns spielte um seine Lippen, als er sich ihr zuwandte. »Ich habe mich nicht eingeschlichen. Sif hat mich einfach mitgenommen.« verteidigte sie sich peinlich berührt und wusste doch, dass Loki ihre Neugier mit Sicherheit durchschaut hatte; auch wenn es eher Zufall gewesen war, dass Sif sie hergebracht hatte, so war sie doch schlussendlich nicht wirklich traurig darüber. Sie zog den Magier am Ärmel seines Hemdes ein wenig beiseite, da die übrigen Wächter gerade den Raum verließen und mit schweren, scheppernden Schritten an ihnen vorbei liefen. »Ich wollte dich fragen, ob du Zeit für ein Gespräch hast. Ich muss unbedingt mit dir reden.« richtete sie ihr Anliegen an den Prinzen, der auf Grund der Dringlichkeit in ihrer Stimme eine Braue in die Höhe zog. »Du bittest also um eine Audienz?« zog er sie amüsiert auf »Wenn es Hoheit beliebt, dann bitte ich eben um eine Audienz.« gab sie mürrisch zurück und konnte das Schmunzeln doch nicht ganz verstecken. »Sie sei dir gewährt. Sicher können wir reden. Ich muss allerdings zugeben, dass mich das trockene Geschwafel alter Männer hungrig gemacht hat. Hast du schon etwas gegessen, Gwen?« fragte der Magier, während er sich erneut in einer geistesabwesenden Geste über das Leder seiner dunklen Tunika rieb. Gwen schüttelte den Kopf. »Äh…nein, bisher nicht. Und ich muss zugeben, dass ich unheimlichen Hunger habe.« gestand sie offen und drückte sich eine Hand auf den Bauch, der just in diesem Moment ein unzufriedenes Knurren von sich gab. Loki wirkte belustigt und hielt einen vorbeieilenden, bediensteten Asen auf, indem er ihn zu sich heranwinkte. Der junge Mann senkte das Haupt ehrerbietend vor dem Prinzen, der ihm ein paar leise Anweisungen zukommen ließ, bevor er nickte und schon weiterlief. »Wenn du den Weg in den Garten allein findest, so geh doch bereits vor. Wir werden draußen speisen. Ich will nur noch ein paar Bücher aus der Bibliothek holen.« erklärte ihr der Magier. Gwen nickte. »Natürlich. Dann treffen wir uns dort.« Somit trennten sie sich und Gwen machte sich auf den Weg hinaus in den Palastgarten; stolz auf sich selbst fand sie die Wege durch Gladsheim nun beinahe schon fehlerfrei und prägte sich langsam all die verdammt gleich aussehenden Gänge und Abzweigungen ein, die sie am ersten Tag hier noch völlig überfordert hatten. Gemächlich stieg sie die blassen Marmorstufen in den Garten hinab; es war wahrscheinlich einer dieser letzten schönen, milden Tage, bevor der Winter gänzlich Einzug halten würde. Obwohl die Sonne schon den ganzen Tag hinter dünnen Schleierwolken verborgen lag, so war es doch noch angenehm warm geworden. Die letzten Regentage ihrer vergangenen Reise hatten Gwen auch mächtig auf das Gemüt geschlagen und sie war froh über diese letzten Sonnenstrahlen des schwindenden Tages. Der Garten begrüßte sie wie immer in voller Blüte, duftend und mit sattem Grün, während Gwen ihren Weg auf den verschlungenen Pfaden fand, indem sie einfach einigen Asen folgte, die vollbeladene Platten mit köstlichen Speisen an ihr vorbei trugen. Die Bediensteten sammelten sich an einer märchenhaft eingewachsenen Sitzgelegenheit, die etwas abgelegen von den üblichen Wegen des Gartens und somit neugierigen Blicken entzogen war; ein steinerner Tisch wurde von einer bequemen, breiten Bank umrundet, darüber erstreckte sich ein gläsernes, moosbewachsenes Dach, das vor Regen und Wind schützen würde. Die Asen trugen eine genügende Menge an verschiedensten Speisen auf, bevor sie sich umsichtig und leise zurückzogen; allerdings war der Umfang an Reichlichkeit merklich zurückgegangen. Der Palast gab nun viele seiner Vorräte an die Stadt ab, um die Flüchtlinge ernähren zu können. Volstagg selbst hatte heute einen ganzen Karren Obst und süßes Gebäck zu einem der Flüchtlingslager begleitet, was ihn zum Helden leuchtender Kinderaugen erklärt hatte; die Kleinen hatten den freundlichen Riesen gar nicht mehr gehen lassen wollen. Gwen sah sich unschlüssig um, dann ließ sie sich schulterzuckend auf der Bank nieder und zögerte auch nicht lange damit, sich einen der Teller mit einem riesigen Berg an Essen zu beladen. Ihr wurde erst jetzt bewusst, wie hungrig sie wirklich war und da ja gerade niemand anwesend war, konnte sie ungeniert die ersten, großen Bissen des wirklich ausgezeichneten Essens hinunterschlingen. Ein zufriedenes Stöhnen entwich ihr. Eines musste man den Asen wirklich lassen - sie konnten ausgezeichnet kochen. »Gebietet es die Höflichkeit nicht eigentlich, dass man mit dem Essen wartet, bis alle Personen anwesend sind?« ließ Gwen eine nur allzu vertraute, seidige Stimme aufschrecken; hastig schluckte sie den Bissen Fleisch hinunter, der ihr im Hals steckengeblieben war und wandte sich hustend dem Prinzen zu, der eben um eine efeubewachsene Säule gebogen war. Er trug einen mächtigen Stapel Bücher bei sich, schien aber keine große Mühe mit dem sicher gewaltigem Gewicht der großen Wälzer zu haben. »Entschuldige…« nuschelte Gwen verlegen, als Loki seine Last auf dem Tisch ablud. »Ich hatte einfach so großen Hunger…« Ein seltenes, ehrliches Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Magiers - flüchtig, doch es war da gewesen. Milde amüsiert sah er sie an, bevor er sich Gwen gegenüber auf die Bank fallen und in einer unterschwellig erschöpften Geste eine Hand durch seine dunklen, langen Haare fahren ließ. Dann griff er ebenfalls nach einem Teller. »Frigga hat mir von deinem Eifer und deiner Hilfe heute berichtet. Kein Wunder, dass du Hunger hast. Du hast dich wirklich aufopfernd um die Flüchtlinge gekümmert und als wahre Bereicherung erwiesen.« drang seine Anerkennung zu ihr herüber; ihre Blicke trafen sich über den Tisch hinweg und Gwen errötete leicht unter seinem ungewohnten Lob. Unsicher senkte sie den Blick auf ihren Teller und jagte das Gemüse mit der Gabel über das goldene Metall. »Das war doch selbstverständlich. Ich bin froh, das ich etwas tun kann, um zu helfen.« Sie schob sich die nächste Ladung ihrer Mahlzeit hinter die Lippen, während der Magier nun ebenfalls seinen Teller füllte. Die Worte entsprachen der Wahrheit. Schon früher hatte Gwen unheimlich gern neben der Schule im städtischen Tier- oder Kinderheim ausgeholfen, wenn dort Not am Mann gewesen war; sie war schon immer der Meinung, dass man den Schwächeren helfen sollte, so man selbst vom Schicksal besser gestellt war. Immerhin war sie selbst nicht weit entfernt davon gewesen, ihre Kindheit in einem Heim zu verbringen, wenn die Entscheidung und Fürsorge ihrer Eltern sie nicht davor bewahrt hätte. Sie bedauerte, dass sie durch ihren Job jetzt kaum mehr Zeit für solche gemeinnützigen Projekte hatte. »Es waren so viele, so viele Flüchtlinge…ganz junge wie auch ganz alte Asen.« sprach Gwen dann leise aus. »Sie haben Angst, Loki. Ich habe es heute in ihren Augen gesehen. Die Asen haben Angst.« Der Prinz nickte langsam, wischte sich die Hände gesittet an einem Tuch sauber, nachdem er einige Köstlichkeiten auf seinen Teller befördert hatte. »Ich weiß. Natürlich haben sie Angst. Genau das hat Malekith bezweckt. Ragnarök ist ein großes Wort in unserer Geschichte. Es kündet vom unausweichlichen Ende, selbst für die Götter. Und Malekith ist jemand, der dieses Schicksal durchaus wahrmachen könnte.« »Hast du keine Angst?« fragte Gwen dann unvermittelt, nachdem sie das beherrschte Gesicht des Magiers eine Weile studiert hatte. Sein Blick glitt wieder zu ihr herüber. »Angst ist vergeudete Zeit. Angst ist für jene da, die sich hinter den Taten anderer verstecken, um ihr Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen zu müssen.« erklärte er süffisant. »Ich habe keine Angst. Ich richte meine Energien lieber auf nützlichere Dinge und suche nach Möglichkeiten, die Zukunft zu ändern.« Natürlich. Wie hatte Gwen auch annehmen können, dass Loki irgendetwas aus der Ruhe bringen könnte; der Magier war wie aus Eis gehauen und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob seine Herkunft an der kühlen Fassade seiner Gestalt Schuld trug. Er verbarg gut, dass dahinter eine gänzlich andere Welt lag. Doch Gwen hatte in einigen flüchtigen Momenten bereits einen Blick auf diese geheime Welt werfen können. Einerseits war seine kühle Selbstsicherheit beruhigend und irgendwie auch faszinierend - anziehend, doch andererseits wuchs in Gwen ebenso das Bedürfnis und die Neugierde, diese harten, arroganten Züge nur einmal in flammenden Emotionen aufgehen zu sehen. Eine Weile verbrachten sie schweigend mit ihrem Essen, während der Wind leise durch die dichten, grünen Blätter säuselte, die Schutz vor den Elementen der Natur und unbedachten Blicken boten. Irgendwann schoben sie beide satt ihre Teller von sich; sogleich eilten Asen wie auf einen stummen Befehl herbei, welche die Speisen wieder abräumten, als hätten sie irgendwo in der Nähe nur auf diesen Moment gewartet. Danach ließen sie Loki und Gwen in der Stille des Gartens wieder allein. Der Magier zog nun eines seiner Bücher zu sich heran und schlug es geräuschvoll an einer markierten Stelle auf. »Du wolltest mit mir reden…« begann er dann abwartend, während sein Blick nur kurz zu Gwen herüberflog, bevor er sich auf die Schrift des Buches konzentrierte. Prima. Eine tolle Grundlage für ein Gespräch. Er sah sie ja nicht einmal an… Wie sollte sie sich da bitte gebührend bei ihm entschuldigen? Sie entschied sich zu Anfang für das weniger heikle Thema ihres nächtlichen Besuches. Gwen stand auf und trat zu Loki hinüber, um sich neben ihm auf der Bank nieder zu lassen, ein Bein angewinkelt auf dem weichen Polster, sodass sie den Prinzen offen ansehen konnte. Das weckte zumindest seine Aufmerksamkeit und er zog seinen Blick von dem Buch ab, um sie anzusehen. Gwen schob zwei spitze Finger unter ihr Hemd und zog die Kette mit dem silbernen Amulett hervor, welches Loki sofort interessiert begutachtete. »Ich…ähm…nun ja, ich hatte heute Nacht ziemlich merkwürdigen Besuch, der mir etwas hinterlassen hat...« begann sie unsicher, da der Magier eine Braue in die Höhe zog. Sie löste die Verschlüsse der Kette und hielt sie ihm entgegen; vorsichtig nahm Loki das Schmuckstück an sich, während er sie fragend ansah. »Wie meinst du das?« Er wirkte irritiert. »Ich hatte einen Traum. Naja, nein, eher eine Erscheinung. Keinen Traum. Eine Frau stand plötzlich in der Nacht in meinem Zimmer und hat mir diese Kette gegeben…« »Hier in Gladsheim? Wer war es?« bombardierte er sie sofort mit Fragen und wandte sich ihr nun gänzlich zu. »Ja, hier. In meinem Zimmer. Ich…ich weiß nicht, wer sie war. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.« begann Gwen ein wenig unbeholfen. »Sie war wirklich hübsch. Hatte langes, weißes Haar, wirkte irgendwie alt und dann auch wieder nicht…hat sich einfach aufgelöst wie ein Geist…« Sie hob die Hände und versuchte in holprigen Gesten ihre Worte zu untermalen. Dabei glitt ihr Blick eher beiläufig über die aufgeschlagene Seite von Lokis Buch. »Da! Das ist sie doch. Das ist die Frau!« Bestimmt deutete Gwen auf eine grobe, blass farbliche Zeichnung von drei Frauen, die an Spinnrädern unter der Weltenesche saßen. Ihre Erscheinungen waren irgendwie märchenhaft, magisch und wunderschön, auch wenn die schlichte Darstellung auf dem Pergament ihnen nicht gerecht werden konnte. Doch Gwen erkannte das Gesicht der Frau ohne Zweifel wieder, welche sie in der Nacht besucht hatte - diese Augen würde sie so schnell nicht vergessen. Loki folgte dem Deut ihres Fingers auf die Zeichnung, während er seine Stirn fast skeptisch runzelte. »Welche von ihnen war es, Gwen?« fragte er seltsam angespannt nach, als wüsste er bereits mehr, als er Gwen offenbarte. Gwen legte den Zeigefinger sicher auf der mittleren der drei Frauen nieder. »Sie war es.« »Bist du sicher?« Die Stimme des Magiers klang lauernd, sein Blick glitt wieder zu ihr zurück; prüfend, eindringlich. »Ja, ich bin sicher. Ganz sicher. Sie war es.« bestätigte Gwen ihre Gewissheit. Urplötzlich ruckten Lokis Arme vor; seine Hände schlossen sich fest um ihre Oberarme und er sah beschwörend auf sie herab, schüttelte sie sogar leicht. »Hat sie etwas gesagt, Gwen? Hat sie irgendetwas zu dir gesagt?« fuhr er sie harsch an; sie konnte seine plötzliche Aufregung gar nicht verstehen. »Äh…ja, naja…ziemlich kryptisches Zeug. Keine Ahnung…ich weiß nicht mehr genau…« stotterte sie völlig verunsichert. Was war denn so wichtig an dieser Sache, dass er so heftig reagierte? »Erinnere dich!« verlangte Loki herrisch, während sein Blick ihre Gestalt überflog, als suche er nach einem zurückgebliebenem Hinweis ihrer nächtlichen Besucherin. »Himmel, verdammt…ich weiß nicht…sie sagte irgendwas von einem Licht…sie hat mich „kleines Licht“ genannt…ist das denn wirklich so wichtig?!« fragte sie aufgebracht und machte sich aus seinem Griff los, bevor sie sich unbehaglich die Oberarme rieb. Loki fuhr sich mit beiden Händen über das angespannte Gesicht, mahnte sich wohl selbst zur Ruhe, bevor er das Buch ein Stück auf dem Tisch drehte, sodass Gwen einen besseren Blick auf die Zeichnung hatte. Der Magier klopfte mit einem schlanken Zeigefinger bedeutsam auf die Frau, die Gwen als ihre Besucherin erkannt hatte. »Oh ja, das ist wichtig, Gwen. Du hast keine blasse Vorstellung davon, wer dich da besucht hat. Das ist Skuld, die Norne der Zukunft.« klärte er Gwen mit erzwungener Ruhe auf. »Norne…?!« Sie sah ihn verständnislos an. »Ich fürchte, ich verstehe nicht…« »Die Nornen sind Schicksalsfrauen, weder Götter, noch sterblich. Sie sind etwas anderes, etwas Älteres. Sie weben die Schicksale aller Lebewesen an Yggdrasils Stamm. Ihre Weissagungen sind immer zutreffend. Eine blickt in die Vergangenheit, eine kennt das gegenwärtige Geschehen und Skuld kann die Zukunft sehen. Früher tätigten sie oft Prophezeiungen, doch mit der Zeit sind ihre Besuche rar geworden.« Erneut griff Loki nach Gwens Oberarm, doch dieses Mal war sein Griff beherrschter und wesentlich sanfter. »Verstehst du jetzt, Gwendolyn? Alles, was die Norne gesagt hat, ist wichtig. Alles kann ein Hinweis auf die Zukunft sein und uns eine Richtung geben, womöglich auch im Kampf gegen Malekith.« Okay…das verstand Gwen wirklich. Himmel nochmal, sie war fast schon gar nicht mehr überrascht über diese Eröffnung. So langsam wunderte sie hier in Asgard wirklich gar nichts mehr… Eine Frau, die in die Zukunft sehen kann. Auf der Erde hätte die gute Dame damit sicherlich Millionen verdient. Gwen holte tief Luft, dann schloss sie die Augen kurz und versuchte sich wirklich an jedes Wort zu erinnern, was die Norne zu ihr gesagt hatte. »Sie sagte, dass ich keine Angst haben sollte, da sie mir nicht schaden will. Und sie nannte mich ihr „Licht“. Sie sagte, dass ich mutig geworden wäre…und hübsch. Irgendwie klang das fast, als würde sie mich kennen. Dann gab sie mir die Kette und meinte, „Dein soll wieder dein werden.“ Und sie sagte irgendwas darüber, dass meine Zeit kommen würde. Das war es auch schon im Großen und Ganzen…« Natürlich hatte die Norne noch viel mehr gesagt, wie Gwen jetzt erschreckend in den Sinn kam, doch sie würde Loki gewiss nicht von diesen Worten erzählen, die zweifelsfrei von ihm gesprochen hatten. Wenn der Magier Recht hatte - und sie zweifelte nicht daran - und die Frau wirklich von der Zukunft sprach, dann musste Gwen diese Weissagung erst einmal für sich selbst sortieren. "Sein Herz liegt noch in der Umarmung der Finsternis, doch du kennst den Schlüssel zu seinen Fesseln. Du wirst die Schatten vertreiben." Was sollte das bedeuten? Hatte die Norne von dieser Macht in Gwen gesprochen, die irgendetwas in oder an Loki verändern sollte? Oder hatte die Frau etwas gänzlich anderes gemeint…? Prima. Da hatte sie sich gerade dazu entschlossen gehabt, sich nicht mehr als nötig weiter mit dem Prinzen zu beschäftigen und prompt machte ihr das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. Das war irgendwie nicht fair. »Mehr nicht?« hakte Loki zweifelnd nach; er musste die Lüge an ihr förmlich riechen. »Nein…mehr nicht.« versuchte Gwen soviel Festigkeit wie möglich in ihre Stimme zu legen und sah den Magier sicher an. »Na schön…« Er wirkte unzufrieden, fragte aber nicht weiter nach, obwohl sich seine hohe Stirn in tiefe Falten gelegt hatte; er betrachtete das silberne Amulett in seinen Händen nachdenklich, bevor er rasch ein anderes Buch heranzog und in diesem zu blättern begann. Da er offenbar nicht fand, was er suchte, zog er das nächste zu Rate. »Irgendwo habe ich das schon einmal…hier.« Der Magier hatte eine Seite aufgeschlagen, auf der als erstes Gwens geheimnisvolles Amulett abgebildet war; eingefasst in einen Kreis die Darstellung der Weltenesche, in deren Krone die schimmernde Flüssigkeit eingebettet lag. Loki schob das Buch so, dass sie beide hineinsehen konnten; aufmerksam studierten sie die Schrift darunter, wobei Gwen sich da eher auf die Übersetzung des Prinzen verlassen musste, da das gesamte Buch in einer alten Runenschrift verfasst war. »Hier steht, dass dieses Amulett einst einem mächtigen Streiter Asgards gehört haben soll - dem ersten König der Asen; ein Krieger, der durch flinken Verstand und geschickte Taten sein Volk in den Anfängen der Zeit vor allem Übel beschützte und Ordnung in das Chaos brachte.« begann Loki. »Er führte eine Gruppe von Kämpfern an, die seine Hände und Waffen waren. Als Anerkennung für seinen Mut und seine Entschlossenheit überbrachte ihm die Norne Verdandi eines Tages dieses Amulett als Gabe Yggdrasils. Der Legende nach befanden sich darin drei Tropfen von Mimirs Brunnen.« Loki hielt kurz inne, da Gwen ihn verwirrt ansah und er erklärte ihr, dass Mimirs Brunnen eine Quelle für Wissen und Weisheit war. »Ein Tropfen für die Vergangenheit, einer für die Gegenwart und einer für die Zukunft. Wenn der Träger des Amulettes jene trinken würde, so besäße er die Macht, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen, ähnlich der Nornen, nur wären seine Visionen nicht so strukturiert und gelenkt.« Der Magier hob erneut die Handfläche, in welcher das silberne Schmuckstück lag; beide blickten sie auf die schimmernde Flüssigkeit in der Krone der Esche. »Naja, der König scheint offensichtlich keinen Gebrauch von dieser Gabe gemacht zu haben…« fasste Gwen die ersichtliche Tatsache zusammen. »Das verwundert mich nicht. Meist geht mit solch einer mächtigen Gabe auch ein Opfer einher. Wahrscheinlich fürchtete sich der Ase davor und ließ die Tropfen von Mimirs Brunnen deshalb unangetastet…« erklärte der Magier ungewöhnlich ehrfürchtig; sein Daumen strich über das Metall in seinen Händen, bevor er Gwen die Kette fast widerstrebend zurückreichte. »Hast du jemals etwas Ähnliches besessen? Diese Kette womöglich irgendwo schon einmal gesehen, weil die Norne von dem deinen sprach?« Forschend sah er sie an. Gwen schüttelte sofort den Kopf, nachdem sie das Schmuckstück eher zögerlich wieder an sich genommen hatte. »Nein. Niemals. Sie gehört mir nicht. Ich weiß wirklich nicht, was die Frau damit meinte…« Nachdenklich, fast furchtsam betrachtete sie das Amulett zwischen ihren Fingern. Solch große Macht in ihren Händen. Sie wollte das nicht - wollte die Verantwortung dafür nicht tragen. Was, wenn sie das Falsche damit anstellte? »Wenn sie eine so mächtige Gabe besitzt, warum hat die Norne die Kette dann nicht an Odin gegeben? Er könnte doch gewiss mehr mit dieser Macht anfangen als ich! Oder nimm du sie! Ich will sie nicht. Was soll ich denn damit machen…?!« Gwen wollte Loki das Amulett schon zurück in die Hand drücken, doch dieser schüttelte abwehrend den Kopf und nahm die Kette, doch nur um sich vorzubeugen und sie Gwen wieder um den Hals zu legen. Sein unverwechselbarer Duft stieg ihr in die Nase, als er so nah war. »Wenn die Norne von dem deinen sprach, so ist sie auch für dich bestimmt. Das Schicksal fordert man nicht heraus, Gwendolyn.« Seine warmen, geschmeidigen Fingerspitzen strichen über die empfindliche Haut in ihrem Nacken, als er den Verschluss einhakte. Gwen hoffte, dass er ihre Gänsehaut nicht bemerken würde. Fast ein wenig zu lang ruhten seine Hände in ihren Nacken, bevor er die Finger wieder zurückzog und Gwen augenblicklich das seltsame Gefühl hatte, dass jene fast neugierig durch die Wellen ihres Haares glitten; nach der Dusche hatte sie diese nicht zusammengebunden und trug sie nun eher untypisch offen. »Wenn der rechte Zeitpunkt gekommen ist, dann wirst du wissen, wofür diese Gabe bestimmt ist. Setzt dich nicht unter Druck. Skuld hätte dir dieses mächtige Geschenk nie anvertraut, wenn sie nicht der Meinung wäre, dass du damit umgehen könntest.« sprach Loki bestimmt und sachlich, während er sich auf seinen Platz zurücksinken ließ. Für ihn war das Thema damit offensichtlich abgehakt. Gwen strich erneut über das so eigenartig vertraute Amulett auf ihrer Brust, bevor sie die Kette mit einem schweren Seufzen resigniert wieder unter ihrem Hemd verschwinden ließ. »Ich bin da nicht halb so überzeugt davon wie diese Norne…« murmelte sie schwach. Langsam aber sicher nahm diese ganze Reise Ausmaße an, die Gwen kaum mehr mit ihrem menschlichen Verstand zu erfassen vermochte; sie nahm schon jetzt eine Rolle in dieser Geschichte ein, derer sie sich einfach nicht gewachsen fühlte. Nicht zum ersten Mal kam Gwen der Gedanke, dass es womöglich besser gewesen wäre, Bills Jobangebot auszuschlagen und stattdessen zur Feier ihrer Eltern zu fahren, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte. Dann wäre sie niemals in dieses ganze Chaos geraten, wäre niemals nach Asgard gekommen, hätte niemals Loki getroffen… »Loki…« Der Prinz hatte sich wieder seinen Büchern zugewandt, da er das Gespräch offensichtlich als beendet erachtete; wahrscheinlich dachte er, dass Gwen nur wegen der Kette mit ihm hatte reden wollen. »Ja…?« Er wirkte wieder abwesend, blätterte erneut in einem seiner Folianten; die scharfen Züge seines Gesichtes hochkonzentrierte Linien, in denen nur Entschlossenheit und Ehrgeiz lagen. Gwen streckte in einer intuitiven Geste eine Hand aus und legte jene über die Finger des Prinzen, welche gerade eine weitere Buchseite umfassten; irritiert blinzelte er auf ihre Hand hinab, bevor er Gwen endlich doch wieder ansah. Diese so magischen, grünen Augen lagen abwartend auf ihr und Gwen fühlte augenblicklich einen Kloß im Hals, neben diesem heißen Prickeln, das langsam von ihren Füßen höher kroch. »Ähm…das war nicht alles, worüber ich mit dir reden wollte…« begann sie unsicher und räusperte sich, um ihre dämliche Verlegenheit herab zu schlucken. »Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Für meine ziemlich heftigen und nicht ganz gerechtfertigten Worte neulich…« Fragend hob er eine Braue; schien ihre beschämte Bedrängnis zu genießen, auch wenn nichts in seinem beherrschten Gesicht darauf hindeutete. Doch Gwen kannte ihn nun schon so weit, dass sie zumindest ab und an wusste, was in ihm vorging - und das er diese Situation mit sehr sicherer Gewissheit auskostete. »…wegen Hel. Ich hätte dich nicht so anfahren dürfen. Das tut mir wirklich leid. Ich hätte dir vertrauen sollen, wie du es verlangt hast.« Gwen bemerkte, dass ihre Hand noch immer über Lokis lag und zog diese fast ein wenig zu hastig zurück, um ihre Finger dann im Schoß unbewusst miteinander zu verschlingen. Sie konnte ihn augenblicklich nicht mehr ansehen, sondern senkte den Blick auf ihre Hände. So war es zumindest leichter zu sprechen. »Ich stand völlig neben mir, Loki. Ich glaube, ich stehe die ganze Zeit schon neben mir, seitdem ich Asgard betreten habe. Das ist alles so…so verrückt. Ich weiß oft nicht, ob ich träume oder gerade wach bin, verstehst du? Ich habe überreagiert und das ist mir jetzt auch klar geworden…« Unruhig schob sie sich eine Strähne hinters Ohr. »Du hattest vollkommen recht mit allem, was du gesagt hast. Ich habe das Risiko völlig unterschätzt. Du hast die ganze Verantwortung deines Planes allein getragen, die ganzen Gefahren auf deine Schultern geladen. Und mir fiel nichts Besseres ein, als dich dafür zu beschimpfen. Ich schäme mich wirklich dafür…und entschuldige mich in aller Form bei dir, dass ich so dämlich reagiert habe. Ich möchte dir wirklich vertrauen.« Vorsichtig sah sie wieder auf und begegnete seinem Blick, der noch immer so kühl und starr war wie zuvor. Der Magier schien sich gar nicht bewegt zu haben. »Weißt du, es wäre echt hilfreich, wenn du zumindest ab und an irgendeine Reaktion zeigen könntest, damit man weiß, was du denkst…« nuschelte Gwen in dem halbherzigen Versuch eines Scherzes, um die Situation aufzulockern. Und tatsächlich erreichte Lokis Augen nun ein belustigtes Glimmen, bevor er etwas tat, womit sie niemals gerechnet hätte - er wandte sich ihr gänzlich zu, streckte eine Hand aus und fing ihr Kinn zwischen seinen grazilen Fingern, bevor er sich zu ihr lehnte und ihr wieder so nah kam, dass sein Duft sich in ihren Verstand hämmerte; genau wie seine Augen erneut ihr gesamtes Gesichtsfeld einzunehmen drohten. »Bedeutet das jetzt, dass ich keine Wiedergutmachung zu leisten habe?« raunte er samtig und sein Blick glitt hinab zu ihren Lippen, während er die eigenen in einer höllisch sinnlichen Geste mit der Zungenspitze befeuchtete. »Ähhhh…« Gwens Verstand schien sich in diesem Moment geradewegs flatternd hinaus in den Palastgarten zu verabschieden, während sie nichts anderes tun konnte, als ihn ziemlich dämlich anzustarren. Ihr wollte keine geistreiche Erwiderung auf seine Frage einfallen, mit der er sie völlig unerwartet überrumpelt hatte; ihre Gedanken waren ein rasendes Chaos, in dessen Zentrum der Wunsch stand, seine Lippen wieder auf ihren zu fühlen. »Naja…die…kannst du ja trotzdem leisten…« war das Einzige, was sie schwach über ihre zitternden Lippen brachte, da Lokis Daumen gerade versonnen über ihr Kinn strich. Die Belustigung im Blick des Magiers wurde plötzlich von Schmerz abgelöst - Schatten gleich huschte Pein über die Züge seines Gesichtes, grub sich tief in jede Linie ein; er zog die Brauen herunter und verengte die Augen, während sich seine Kieferknochen aufbegehrend gegen die blasse Haut seiner Wange drückten und er die Finger von ihr zurückzog, um sich mit einer Hand auf der Bank abzustützen und die andere in einer harschen Geste über seine Tunika zu reiben. Augenblicklich verschwand jede Erregung aus Gwens Knochen und machte eiskalter Sorge Platz; sie streckte die Hände aus, um den Magier zu stützen, auf dessen blasser Stirn sich angestrengte Schweißperlen gebildet hatten. Angst um ihn nahm sie übermächtig ein. »Loki…was ist los? Was hast du?« wisperte sie erschrocken, während er die verkrampften Finger über seiner Brust in das Leder krallte. »Soll ich Hilfe holen…?« Gwen wollte schon aufspringen, doch er hielt sie mit einem bestimmten Griff an der Schulter und drückte sie auf ihren Platz zurück. »Nein…nicht nötig…« presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »…gleich vorbei…« Er ließ sich mit dem Rücken gegen die gepolsterte Lehne fallen und sog die Luft geräuschvoll und hastig durch die Nase ein, die Augen geschlossen, während seine Haut noch blasser zu werden schien; kalter Schweiß perlte ihm auf den spitzen Wangenknochen. Seine Hände krallten sich beständig in das Material über seiner Brust, während sein ganzer Körper schrecklich angespannt war. Gwen fühlte sich elend, als sie so tatenlos zusehen musste, wie er litt. Sie wollte ihm helfen, wusste aber nicht wie und gegen seinen Willen jemanden rufen wollte sie auch nicht; sie wusste, dass es ihm wahrscheinlich nicht recht wäre, so von irgendjemanden gesehen zu werden. Plötzlich kam ihr ein furchtbarer Gedanke… Das Bild von Hels Händen blitzte in ihrer Erinnerung auf; sie sah erneut, wie die Göttin des Todes ihre bleichen, knochigen Finger in das Fleisch unter der Rüstung des Magiers grub. Langsam schien sich der Prinz wirklich zu beruhigen und wieder zu entspannen; obwohl sich seine Brust noch immer unter schweren Atemzügen hob und senkte, so lösten sich seine verkrampften Finger nun endlich aus dem Leder und fielen kraftlos zu beiden Seiten herab auf die Bank. Die Augen hielt er geschlossen; Gwen ahnte seine Beschämung über diesen Anflug von Schwäche bereits, welche er sich einfach ungern eingestand. Äußerst besorgt und mit einer schrecklichen Ahnung in der Brust schob sie sich über die Bank zu ihm hinüber und streckte die Hände aus, um damit zu beginnen die Verschnürung seiner Tunika zu öffnen. Sofort riss Loki die Augen auf und hielt ihre Finger ruckartig mit seinen Händen auf, die ihre Handgelenke in einem festen Griff umfingen. »Was tust du da…?« krächzte seine raue Stimme angespannt, ein Hauch von Bedrängnis in seinen blassen Zügen. »Ich will wissen, was mit dir los ist.« erwiderte sie entschlossen und versuchte ihre Hände aus seinem stahlharten Griff zu lösen, doch vergeblich. »Ich will wissen, was du da versteckst.« Er sah fast vernichtend auf sie herab, versuchte sie durch seinen bohrenden, drohenden Blick zu verschrecken. »Das willst du nicht…« knurrte er schon fast - ein verwundetes, wildes Tier, welches nach der helfenden Hand schnappte, doch seine Schwäche ließ sich damit nicht überdecken. Er zitterte noch immer unter den Nachwirkungen seiner Schmerzen. »Oh doch, das will ich.« konterte Gwen entschieden und riss ihre Hände nun ungestüm aus seiner Umklammerung los. Dann schwang sie sich über ihn und ließ sich rittlings auf seinem Schoß nieder, damit sie ihn an Ort und Stelle halten konnte, so er sich wieder starrköpfig zeigen sollte. Dass man diesen Mann auch immer zu seinem Glück und Wohl zwingen musste… Loki starrte völlig überrumpelt zu ihr auf, schien dann jedoch zu entscheiden, dass es sinnlos wäre zu streiten. Vielleicht war er auch einfach zu erschöpft dazu. Seine Arme sanken neben ihren Schenkeln wieder herab. »Mach, was du willst…« erwiderte er beinahe gleichgültig und ergab sich in ihre Hände. Gwen widmete sich erneut den Schnüren seiner ledernen Tunika, die sie mit einigen Handgriffen geöffnet hatte; sachte schob sie das dunkle, edle Material beiseite, um an die Knöpfe seines Hemdes zu gelangen, die sie dann mit äußerster Vorsicht langsam öffnete. Unter anderen Umständen wäre ihr wahrscheinlich das Blut in die Wangen gestiegen, da sie so langsam seine blasse, glatte Brust enthüllte, doch nun zitterten ihre Fingern nicht aus Begehren, als sie nach und nach jeden Knopf öffnete. Allein die Sorge und Angst um Loki beherrschten Gwen. Sanft schob sie den geöffneten Stoff über seiner Brust auseinander und zog erschrocken die Luft in einem Zischen ein, als sie das ganze Ausmaß der Zerstörung von Hels Berührung erblickte. »Oh Gott…Loki…« wisperte sie bestürzt. Augenblicklich schämte sie sich ein weiteres Mal. Da hatte sie sich lächerlicher und absolut kindischer Eifersucht gegenüber der Göttin des Todes hingegeben, während Loki bewusst solche Qualen auf sich genommen hatte; während sie sich Gedanken über diesen Kuss gemacht hatte, war Loki das Risiko seines Unterfangens völlig bewusst gewesen. Sie hatte sich absolut unreif verhalten, wofür sie sich jetzt am liebsten selbst geohrfeigt hätte, als der Stoff die Wunden des Magiers enthüllte. Die Male von Hels Fingern hatten sich wie unselige, finstere Zeichen in Lokis Fleisch gefressen; davon ausgehend zogen sich dunkle, verderbte Linien über seine blasse Haut wie Spinnweben, die langsam aber sicher irgendwann seinen ganzen Körper umhüllen würden, wenn man dem nicht Einhalt gebot. »Was ist das…? Warum…warum heilt das nicht? Warum hast du das niemanden gezeigt? Du musst sofort in eine Heilkammer…« flüsterte Gwen atemlos; aus Angst ihm weh zu tun wagte sie die dunklen Male nicht einmal wirklich zu berühren, die fast wie groteske Adern unter seiner Haut pulsierten - gräuliche, abartige Verderbnis, die sich in seinem Körper ausbreitete. Gwens Finger klammerten sich haltsuchend an den Stoff seines Hemdes. Loki griff nach ihren Händen und öffnete die Augen wieder, um sie anzusehen. »Das kann keine Heilkammer der Welt kurieren. Hels Gift ist ziemlich wirksam und äußerst effizient.« stieß er in einem kraftlosen Raunen aus, der Versuch eines spöttischen Grinsens lag auf seinen Lippen. »Man stirbt nicht davon, aber es verdirbt einen von außen nach innen. Höllische Schmerzen, ein Leben lang. Meine Magie könnte es vielleicht eindämmen, aber…« Er brach ab und hob bedeutsam die Handgelenke, an denen wieder die leise klirrenden Fesseln lagen. »Warum hast du es Thor nicht gesagt? Er hätte dir die Fesseln doch abgenommen, wenn er das gesehen hätte!« fuhr Gwen ihn verständnislos an und deutete beinahe anklagend auf die dunklen Male auf seiner Brust. Und noch während sie das aussprach, dämmerte ihr die Erkenntnis - er hatte es bewusst verschwiegen. Er wollte gar keine Hilfe. Er wollte leiden und nahm diese Schmerzen bewusst auf sich. In seinen Augen sah sie die Wahrheit über diese Gewissheit; die schreckliche, zerstörerische Wahrheit, die selbst sein halbherziges, überhebliches Grinsen nicht verdecken konnte, welches jetzt seine Lippen teilte. »Ich bin auf niemandes Hilfe angewiesen.« Er trug die Pein hoch erhobenen Hauptes wie ein Banner unter der Herrschaft des Hochmutes. Loki wollte sich bestrafen. Er hätte es niemals zugegeben, doch er wollte büßen, auch wenn Gwen nicht klar war, für was er diese Selbstgeißelung auf sich nahm. Noch dazu stand ihm einmal mehr sein Sturkopf im Weg, genau wie sein dämlicher Stolz. »Du dämlicher Idiot…« stieß sie wütend aus; wusste nicht einmal, worauf sie wirklich wütend war. Vielleicht auf ihn und sein selbstzerstörerisches Wesen oder darauf, dass sie nur zu genau wusste, wie es in ihm aussah. Auch durch ihre Vergangenheit zogen sich Narben, von denen sie sich einige bewusst selbst zugefügt hatte... »Vergiss es, dass ich dich weiter leiden lasse! Ich werde nicht dabei zusehen, wie du dich quälst. Deine Schmerzen werden niemandem helfen und niemandem imponieren. Dir selbst schon gar nicht. Außerdem kannst du Asgard in diesem Zustand wohl kaum unterstützen.« eröffnete sie ihm bestimmt und zornig; drückte ihre Hände dann entschlossen auf seine Brust über Hels Malen nieder. Loki hob fast erstaunt eine Braue und senkte den Blick auf ihre Hände; er wirkte irritiert, verwirrt. »Was hast du vor…?« fragte er ungewohnt unsicher, obwohl er es gewiss bereits ahnte. »Zu irgendetwas muss diese Kraft in mir ja gut sein…« erklärte Gwen ihm entschieden, während sie versuchte sich zu sammeln und eben genau jene Macht verbissen in sich heraufzubeschwören. »Ich will versuchen dich zu heilen, du Trottel.« murmelte sie bissig und sah ihn scharf an, damit er bloß nicht auf die Idee kam, ihr das ausreden zu wollen. Natürlich tat er es trotzdem. Seine sonst so seidige Stimme war ein raues Wispern. »Verschwende deine Kraft ni-« Gwen unterbrach ihn herrisch, indem sie warnend einen Zeigefinger hob. »Du wirst diesen Satz jetzt nicht zu Ende sprechen, Loki Laufeyson, sonst vergesse ich mich wahrscheinlich und werde heute noch einen Prinzen ohrfeigen. Hier ist überhaupt nichts verschwendet!« Wie konnte er nur so von sich reden? Seine Lippen teilten sich zu einem breiten und unheimlich selbstgerechten Grinsen; ihn schien das Ganze auf einmal ja köstlich zu amüsieren. Aber immerhin schwieg er. Sie war wirklich kurz davor, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, ungeachtet der Tatsache, dass sie damit die Hand gegen einen Prinzen Asgards erhoben hätte; seine trotzige, arrogante Art machte sie unglaublich wütend. Um sich zu beruhigen holte sie tief Luft und senkte den Blick wieder konzentriert auf ihre Hände, die auf seiner Brust lagen. Allerdings wollte die Kraft in ihr sich nun gerade in diesem Augenblick nicht zeigen; egal, wie sehr Gwen an ihr Innerstes appellierte und sich gedanklich die Heilung vorzustellen versuchte, das seltsame Licht blieb fern. Nichts passierte. »Verflucht…das darf doch nicht wahr sein?!« stöhnte sie frustriert und starrte ihre Hände wütend an, die nicht das machen wollten, was sie ihnen befahl. »Da habe ich nun schon diese seltsame Macht und dann kann ich sie noch nicht einmal bewusst steuern…verdammter Mist…wofür soll sie denn dann gut sein?!« »Du bist viel zu angespannt. Viel zu nervös. Viel zu aufgewühlt und versuchst diese Kraft durch Gewalt zu erzwingen…« belehrte sie der Magier unnötigerweise und sah mit einem schwachen Schmunzeln zu ihr auf. Zumindest schien er sich immerhin damit abzufinden, dass sie ihm helfen wollte. »So wird das nicht funktionieren.« Gwen hasste es wirklich, dass er ständig Recht haben musste… »Hast nicht gerade du gesagt, dass Emotionen der Schlüssel wären!?« fauchte sie ihn unzufrieden an. »Wenn ich nicht gerade voller Emotionen bin, dann weiß ich auch nicht…« Loki lachte leise und kratzend; ein sanftes Vibrieren seiner Brust unter ihren Händen. »Emotionen sind der Schlüssel, ja. Aber die Richtigen, nicht die Falschen. Du bist im Moment voll mit Ehrgeiz und Verbissenheit; diese harten Emotionen bilden einen Kontrast zu dieser Energie in dir, die sanft und leicht ist.« Er hob seine Hände wieder an und führte sie zu ihrem Gesicht, ließ sie jedoch über ihren Schläfen zu beiden Seiten ihres Kopfes schweben, ohne sie zu berühren. »Wenn du das wirklich willst, soll ich dir dann helfen…?« raunte er überraschend rücksichtsvoll und sah fragend zu ihr auf; der Anflug von Unsicherheit in seinen schönen Augen. »Natürlich will ich das!« erwiderte sie heftig, bevor sie sich sammelte und ruhiger anfügte: »Ich will dir helfen, Loki. Bitte hilf du mir dabei.« Der Magier nickte und bettete die Hände dann einem sanften Windhauch gleich auf beiden Seiten ihres Kopfes; seine Finger gespreizt, sodass seine Daumen auf ihren Wangen ruhten, seine Zeigefinger auf ihrer Stirn. »Du musst ruhig werden. Konzentriere dich. Sammle dich und deine Gedanken. Atme gleichmäßig und schließe die Augen.« wisperte er beschwörend und Gwen folgte seinen Anweisungen. Sie atmete konzentriert durch Nase und Mund und versuchte sich zu entspannen, wie Loki es ihr angewiesen hatte. »Nicht erschrecken…« Der Magier bewegte sich unter ihr und plötzlich spürte sie unvermittelt die weichen Linien seines Mundes auf ihren Lippen; überrascht folgte sie dem ersten Impuls und riss ihre Augen auf, doch dann ließ sie sich in diese sanfte Berührung fallen und senkte die Lider. Ihre Anspannung ließ seltsamerweise nach und augenblicklich wallten diese Gefühle für den Magier in ihr auf, die sie bisher recht erfolgreich zurückgedrängt hatte; die Zuneigung zu ihm schwappte wie eine warme Woge durch ihren Leib, während ihre Sorgen um ihn den kühlen, beständigen Felsen als Gegensatz dazu bildeten. Loki tat nichts anderes, als seine Lippen weich auf ihre zu drücken und doch rückte beständig alles in den Hintergrund, was nicht mit ihm zu tun hatte; Ängste, Anspannung, Frustration - alles weggespült durch das Gefühl seines Mundes, seinen Duft, seine Nähe... Flatternd öffnete Gwen die Lider und Loki zog sich von ihr zurück, um recht selbstzufrieden auf ihre Hände hinabzublicken, die in ihrem sanften, milden Licht nun auf seiner Brust glühten. »Die richtigen Emotionen…« erklärte er mit einem schmalen, süffisanten Grinsen und sie brachte es in diesem Moment nicht einmal fertig, über seine hochmütige Art empört oder wütend zu sein. Immerhin zählte das Ergebnis. »Hab ich dir schon mal gesagt, dass du ein scheußlicher Besserwisser bist…?« wisperte Gwen heiser. »Das ein oder andere Mal bestimmt.« Der Prinz ließ sich schmunzelnd zurücksinken und schloss die Augen, während Gwen ihre Hände in sanften Berührungen über seine Brust führte, wie sie es damals bei Sleipnir getan hatte; sie hoffte einfach, dass es funktionieren würde - sie wollte Loki unbedingt helfen. Ihn leiden zu sehen machte sie selbst krank. Und tatsächlich zogen sich die schwärzlichen Linien auf seiner Haut zurück; langsam, doch beständig krochen sie wieder in jene Male, die Hels Finger hinterlassen hatten. Loki seufzte gelöst unter Gwens warmer Berührung auf und entspannte sich zusehends unter ihren Händen, während sie faszinierend und zufrieden zugleich beobachtete, wie der Schatten des Todes gänzlich von Lokis Haut verschwand. Ihre Knochen strahlten inzwischen wieder hell unter ihrer Haut; das Leuchten zog sich ihre Arme hinauf und verschwand unter den Ärmeln ihres Hemdes, doch Gwen wusste, dass inzwischen wahrscheinlich ihre gesamte Gestalt wieder in Flammen stand. Sie konnte diese prickelnde Macht fühlen, die heiß und mächtig durch ihre Adern glitt; ein noch kontrolliertes Feuer, welches kurz vor dem Ausbruch stand - nicht viel und sie konnte von diesen gleißenden Flammen auch verschlungen werden. Es war das Spiel mit dem sprichwörtlichen Feuer; Gwen fühlte, dass die Macht in ihr zu groß für sie war - ähnliches eines Tigers im Käfig strich diese Energie in ihr umher, lauernd an den Stäben ihres Gefängnisses, welche im Moment noch Gwens Körper bildete. Doch wie lange würde sich diese Macht von ihrem Körper bändigen lassen…? Erschöpft sackte sie auf Lokis Schoß zusammen, nachdem sie die Hände von seiner Haut zurückgezogen hatte und jene nun auf dem Stoff seines Hemdes ruhten. Sie hatte es geschafft. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Die Brust des Magiers lag makellos und glatt vor ihr, kein einziger Schatten von Verderbnis war mehr zu sehen. Zufrieden und erleichtert stieß sie die Luft aus, die sie unbewusst die ganze Zeit angehalten hatte, während der Prinz seine Augen wieder öffnete und auf seine geheilte Brust hinabsah. Dann sah er zu ihr auf, ein seltsames Glimmen in seinen Augen. »Warum hast du das gemacht, Gwendolyn?« fragte er sie ruhig und sie wusste im ersten Moment gar nicht, was er meinte. »Warum hast du mich geheilt?« Was sollte denn das für eine dämliche Frage sein… »Bestimmt nicht, weil du so ein netter, rücksichtsvoller und bescheidener Kerl bist…« murmelte sie in einem halbherzigen Scherz und registrierte das verhaltene Zucken von Lokis Mundwinkel, bevor sie die Schultern unbeholfen anhob. »Warum denn nicht? Wolltest du etwa weiter mit diesen Schmerzen leben?« Das Licht zog sich langsam wieder in ihre Knochen zurück und hinterließ einen warmen, angenehmen Nachhall in ihren Gliedern. »…und warum hast du dich vor Hel gestellt und mich in einer deiner unbedachten und äußerst leichtsinnigen Handlungen schon wieder beschützt?« hakte Loki bestimmt nach und ließ sie nicht aus dem Blick seiner grünen Augen, als müsste er auf jede Reaktion an ihr achten. Gwen zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Hatte sie wirklich geglaubt, dass er das vergessen hätte? Dieser Mann bohrte schon wieder in geheimen Schubfächern ihres Wesens, in die sie die verräterische Zuneigung für den Magier hektisch gestopft und versteckt hatte - wie ein Tagebuch, was man vor neugierigen Augen verbergen wollte. »Keine Ahnung…Kurzschlussreaktion?!« Seine Brauen hoben sich unzufrieden in die Höhe; seine Augen waren viel zu wissend für ihren Geschmack. »Ja, schön…okay…vielleicht bist du mir ja auch irgendwie wichtig geworden.« lenkte sie widerstrebend unter seinem bohrenden Blick ein. »Himmel, ich mag dich halt, da ist es doch selbstverständlich, dass ich dich nicht leiden sehen will…« beantwortete sie seine Frage, bevor ihr zu spät auffiel, dass sie vielleicht ein wenig zu viel gesagt hatte. Leider entsprachen diese Worte auch noch der Wahrheit und sie konnte sich nicht einmal damit trösten, ihm nur eine besonders gute Lüge aufgetischt zuhaben… Augenblicklich veränderte sich die Stimmung zwischen ihnen - wo zuvor Gwens Sorge und Lokis Leid beherrschend gewesen waren, wurde sie sich nun mit erschreckender Deutlichkeit wieder bewusst, wie nah sie dem Magier war. Die Luft schien dichter zu werden, heißer, schwerer. Sie schluckte, als sie in Lokis Augen die gleich Erkenntnis erwachen sah; ein schwelendes Feuer erwachte zwischen ihnen, ihr unsichtbares Band schlang sich träge um ihre Körper und ließ sie näher zusammenrücken. Eine von Lokis Händen strich über ihren Schenkel. Seine Hüfte ruhte zwischen ihren Beinen, da sie noch immer auf seinem Schoß saß; ihre Hände lagen auf seinem Hemd, unweit der köstlich entblößten Haut - nur eine kleine Regung und ihre Finger könnten über seine Brust streifen; über dieses makellos verführerische Stück seines Körpers. Unbewusst senkte sie den Kopf zu ihm herab, während sie das Gefühl hatte, dass er ihr beständig entgegenkam. »Nicht selbstverständlich…« raunte der Magier auf seltsam heisere Weise, bevor er eine Hand ausstreckte, um diese in Gwens Nacken zu betten und sie so weiter sanft zu sich herabzuziehen; sie wehrte sich nicht, kam ihm bereitwillig entgegen, als ihre Lippen sich in einem unsicheren Streifen trafen. Einen Augenblick sahen sie sich in die Augen; tauschten einen langen Blick, in welchem sicher tausende Fragen standen, die keiner von ihnen jetzt beantworten wollte, bevor Gwen die Augen schloss und ihre Unsicherheit und Bedenken sehr schnell vergaß. Sie wusste augenblicklich, dass dieser Kuss anders war, als jene, die sie zuvor getauscht hatten; er war intensiver, inniger, nicht durch Zögern behaftet. Irgendetwas zwischen ihnen schien sich geändert zu haben. Ihre Lippen trafen sich zuerst warm und weich, während Gwen ihre Hände in den Stoff von Lokis Hemd krallte. Ihr Herz beschleunigte sofort seine Arbeit und ihre Venen erwärmten sich unter seinen Berührungen; die Finger des Magiers strichen über ihren Nacken, glitten in ihre Haare und ließen sie verzückt seufzen, während seine andere Hand auf ihrem Schenkel höher glitt und ihre Hüfte umfasste, sie näher an den schlanken, großen Körper zog. Schnell wurde der Kuss ungestümer und Gwen stöhnte verhalten auf, als sie plötzlich Lokis feuchte Zungenspitze verspürte, die gegen ihre Lippen stieß; sie ließ ihn gewähren, öffnete sich einladend für den Prinzen, der keinen Moment zögerte und seine Zunge erobernd in ihren Mund schob. Flammende Begierde erwachte in Gwens Unterleib, während sie ihre Zunge gegen die des Magiers drängte und sein verstohlenes Keuchen genoss, was ihre Finger ihm entlockten, die eben auf seiner Brust nach oben gewandert waren, um sich in seine Haare zu graben. Silberzunge. Oh Himmel…ja, allerdings. Gwen bekam nun einen Eindruck davon, warum Loki diesen Beinamen trug. Er konnte Dinge allein mit seiner Zunge anstellen, die andere nicht einmal mit den Händen vollbracht hatten und die Gwen die heiße Röte von Lust in die Wangen trieben. Sie wollte sich nicht mehr zügeln, wollte alles an diesem Mann erforschen und berühren; eine ihrer Hände glitt unter die geöffneten Aufschläge seines Hemdes - mit glühender Neugier strichen ihre Finger über seine warme, glatte Haut, eroberten jedes Stück seiner perfekten Gestalt, die sie finden konnten, während ihre andere Hand in Lokis Haaren den Magier verlangend noch näher zu sich zog, um ihren Kuss noch inniger zu gestalten. Ihre Zungen umkreisten sich wie zwei Gegner auf dem Schlachtfeld, während jeder gelandete Treffer mit einem Keuchen oder unterdrückten Stöhnen belohnt wurde; Gwen fühlte das köstliche Vibrieren von Lokis Brust unter ihrer Hand bei jedem rauen Laut, welchen er in ihren Mund hauchte. Sie wollte ihn. Hier und jetzt. Es war ihr egal, dass sie sich im Garten des Palastes befanden und jederzeit jemand kommen könnte… Sie hatte das Gefühl sterben zu müssen, wenn Loki sie jetzt wieder verlassen würde. Gwen hatte Männer gehabt, hatte Männer begehrt und Männer geliebt, doch kein Gefühl konnte sich mit dieser verzehrenden Sehnsucht messen, welche jetzt durch ihren Körper zog und sie schwach werden ließ; jede Begierde, die sie je empfunden hatte war ein lauer Sommerwind gegen den Orkan, der jetzt in Form von Loki über sie hereinbrach. Alles war ihr plötzlich egal, außer dem Mann, der sie gerade mit solcher Leidenschaft küsste, dass Gwen ganz schwindelig wurde und sie augenblicklich froh war, dass sie auf seinem Schoß saß. Ihre Beine hätten sie niemals getragen. Zum Glück hatte der Allvater nun auf die Bewachung des Prinzen verzichtet, sonst hätte dieser Moment durchaus peinlich enden können… Gwen löste ihre Hand aus Lokis dunklen Rabenhaar, nur um nun beide Hände begehrlich unter den Stoff seines Hemdes zu schieben und seine Brust, seine Schultern, alles zu berühren, was sie erreichen konnte. Sie drängte den Stoff fahrig und ungeduldig beiseite, dann löste sie ihre Lippen von seinen, um eine feuchte Spur über sein Kinn zu ziehen und die Seite seines Halses zu erreichen, die sie mit Zunge und Zähnen in Beschlag nahm. Loki ließ sich zurückfallen und reckte das Kinn in einem sinnlichen Bogen; gewährte ihr damit alle Freiheiten, die sie benötigte - sie wollte ihn verführen, ihn zu dem ihren machen, ihn nie wieder gehen lassen… Ihr Unterleib rieb sich instinktiv an seinem; sie presste sich auf seine Hüfte herab und registrierte in weiblichem Triumph seine erwachte Erregung. Etwas sehr männliches und hartes stieß dort gegen ihren Leib, verursachte ihr ein elektrisierendes Prickeln zwischen den Schenkeln, ein begehrliches Ziehen in ihrer Mitte. Er wollte sie also auch. Nichts mehr mit kühler Fassade und Zurückhaltung; sein Körper verriet ihn. Sie hätte nie gedacht, dass sie jemals einen Mann so sehr wollen könnte, dass sie alles um sich herum vergaß - doch Loki schien all ihre Gesetze und Regeln völlig auf den Kopf zu stellen. Der Magier hob sein Becken an, kam ihr bereitwillig entgegen, während seine Hand in ihrem Nacken immer wieder durch ihre offenen Haare glitt, die sich einer feurigen Woge gleich über seine blasse Brust ergossen; seine Finger verursachten ihre ein kribbelnde Gänsehaut, die sich erregend über ihre Kopfhaut und ihren Rücken zog. Ihre Lippen fanden sein Ohr, ihre Zunge strich genießerisch über diese köstlich verlockende Wölbung, was den Prinzen einen rauen, sinnlichen Laut ausstoßen ließ, bevor er das Gesicht drehte und ihre Lippen wieder auf seine zog. Heftig stieß seine Zunge in ihren Mund, brandmarkte, kennzeichnete sie, während Lokis Hand auf ihrer Hüfte sich unter den Saum ihres Hemdes schob und ihre erhitzte Haut darunter ertastete. Seine Finger glitten über ihren Rücken, höher und höher unter dem Stoff, bevor sie sich nach vorn schoben und die Seite ihrer Brust streiften; nur eine flüchtige Berührung, die Gwen völlig in Flammen stehen ließ. Sie trug keinen BH und wünschte sich sofort, dass sich diese langen, eleganten Finger über ihre Brust spannen würden, um sie besitzergreifend zu erobern. Gwen wollte diese schlanken, heißen Hände überall auf ihrem Körper spüren; wollte von ihnen in Besitz genommen werden, die feurigen Spuren genießen, die Lokis Finger überall auf ihrer Haut hinterließen. Wieder drückte sie sich auffordernd, ungeduldig gegen seinen Unterleib, trieb seine Zunge zu leidenschaftlichen Stößen an, während ihre Finger über seine Brust tiefer glitten; ihre Hände ertasteten die straffen Muskeln seines Bauches, den Rand seiner Hose. Sie seufzte verzückt an seinen Lippen auf, als sie den feinen Hauch von Haar wahrnahm, der sich lockend von seinem Bauchnabel tiefer unter den Stoff zog. Alles, was zwischen ihnen gewesen war - jede Meinungsverschiedenheit, jeder Wortwechsel, jeder flammende Blick, jedes Erlebnis, das sie geteilt hatten - schien sich in diesem Augenblick zu entladen, als hätte sich all das zwischen ihnen nur für diesen einen Augenblick jetzt aufgestaut. Der Magier überrumpelte Gwen, indem er sie plötzlich mit einem Arm umfasste und sich dann mit ihr drehte, sodass sie sich unversehens unter ihm wieder fand, das Polster der Bank im Rücken. Sie gab einen erstickten, überraschten Laut von sich wegen des plötzlichen Positionswechsels. Loki erhob sich über ihr wie der dunkle Gott, der er war, drängte sich zwischen ihre Beine, die sie bereitwillig für ihn öffnete und nagelte ihre Arme neben ihrem Kopf mit seinen Händen fest. Wie ein hungriger Wolf sah er auf sie herab, während sie sich ihm verlangend entgegen wölbte; Scham oder Zurückhaltung war ihr augenblicklich fremd, ihre Brustwarzen rieben sich hart am Stoff ihres Hemdes und zeigten ihm so ihre Erregung. Sie sah fast flehend zu ihm hinauf, befeuchtete sich die geschwollenen Lippen und drängte ihren Unterleib wieder gegen den seinen, was ihm ein verhaltenes, raues Stöhnen entlockte. Er schloss kurz die Augen, nur um sie dann wieder zu öffnen und mit solchem Feuer in seinen grünen Augen auf sie herabzublicken, dass Gwen augenblicklich das Gefühl hatte, darin zu verbrennen. »Loki…« wisperte sie heiser, flehend, sehnsüchtig. »Bitte…« Er beugte sich weiter über sie, drückte seine harte Männlichkeit gegen ihre Mitte und ließ sie damit bebend nach Atem schöpfen. Ihre Hände wehrten sich gegen seinen Griff; sie wollte ihn berühren, ihn auf sich herabziehen, diese lästigen Stofflagen endlich entfernen, ihn anfassen, um sich zu versichern, dass dies alles kein Traum war. Sein Gesicht schwebte über ihr, seine Begierde nur mühsam beherrscht; Gwen konnte das Verlangen in seinen Augen sehen, die einmal mehr das Tor zu seiner Seele bildeten - einer Seele, die gleißend hell brannte. »Willst du mich…?« wisperte er fast angespannt auf sie herab; die Seide seiner Stimme angeraut durch das Timbre von gebändigter Leidenschaft. »…ja…« stieß Gwen atemlos aus und versuchte sich erneut gegen seinen Griff zu stemmen, um an seine Lippen zu gelangen, die er ihr so durchtrieben vorenthielt. Sie wandte sich unter ihm, rieb ihren Körper an seinem, doch er hatte sich einmal mehr unter brüchiger Kontrolle, während die Maske seiner Beherrschung deutlich verrutscht war. Verlangen flackerte immer wieder verstohlen unter dem Eis hervor. Seine sonst so streng zurückgekämmten Haare lagen nun zerwühlt durch ihre Finger, seine schmalen, unerbittlichen Lippen waren feucht durch ihre Küsse, sein akkurates Hemd hing ihm halb über die Schultern und entblößte seine delikate Haut, während sein Atem deutlich beschleunigt seine glatte Brust beben ließ - all das hatte sie vollbracht; sie hatte ihm die Kontrolle genommen. »Sag es!« verlangte er rau, heiser, sinnlich, fast verzweifelt. Wieder trieb er seine Hüfte gegen ihren Unterleib, was Gwen die Lippe zwischen die Zähne ziehen ließ, um nicht laut aufzuseufzen. »Ich will dich, Loki…« hauchte sie dann erstickt. »Gott, ich will dich so sehr…« Sie war sich sogar fast sicher, dass sie in ihrem ganzen Leben nur noch ihn wollen würde; kein anderer Mann würde sie jemals so in Flammen stehen lassen wie der Magier es tat. Unter ihren Worten bröckelte der Rest seiner Maske; enthemmte Leidenschaft kam zum Vorschein, nahm seine Züge, seine Augen, sein ganzes Wesen ein, als er sich hungrig auf sie stürzte und ihre Lippen erneut mit seinen verschloss. Es passierte schon wieder. Er verlor die Kontrolle. Und diesmal so haltlos und vollständig, dass er sich nicht sicher war, ob er jemals wieder in seine Selbstbeherrschung zurückfinden könnte… Dabei hatte der Tag doch so vielversprechend begonnen. Welcher Triumph war es gewesen, vor dem Rat und dem Allvater zu stehen und das stumme Flehen in den Gesichtern alter Männer zu erblicken, die sich keinen Rat mehr wussten. Wie befriedigend, wie amüsant war es gewesen, ihnen das Offenkundige darzulegen, während sie noch den Täuschungen Malekiths hinterhergejagt waren wie kleine Kinder den Illusionen eines Magiers, der einen bunten Schmetterling für sie erschaffen hatte. Loki - der geächtete Sohn, der gefürchtete Eisriese - hatte sich über sie alle erhoben; war plötzlich ihr Ratgeber, zu dem sie aufsahen und an dessen Lippen sie hoffnungsvoll hingen. Er hatte die Macht, sein Ziel beinahe greifbar in den Händen gehalten; Asgards Schicksal war seiner Gnade ausgeliefert gewesen. Verdammnis oder Rettung - seine Entscheidung. Und nun das… Gwendolyn hatte ihn bezwungen; die Menschenfrau hatte sich mit ihrer offenen, ehrlichen Art hinter seine Mauern gestohlen und zerbrach jene jetzt unter ihren Fingern, die so einnehmend sehnsüchtig über seine Haut glitten. Er war ihr wichtig. Er - Loki - war dieser Frau wichtig. Und dabei hatte er ihre Sorgen, ihre Begierde, ihre Zuneigung überhaupt nicht verdient - nichts davon verdiente er; er, der ihre Welt ins Chaos hatte stürzen wollen. Er, der ihre Welt angegriffen und so vielen ihrer Art den Tod gebracht hatte. Diese Gewissheit schwebte wie ein unheilvolles Damoklesschwert über ihnen, doch der Magier verdrängte jeden Gedanken daran; war eh unfähig sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die Frau auf seinem Schoß, die sich verlangend an ihn drängte. Alles war aus dem Ruder gelaufen… Er hatte nicht vorgehabt, ihr seine Verletzung zu offenbaren, hatte nicht geplant, dass sie ihn heilte und am allerwenigsten hatte er es darauf angelegt, dass ihre Mündern nun in diesem leidenschaftlichen Kuss verschmolzen, der verzehrendes Verlangen wie eine Feuersbrunst in Loki weckte - brüllend rollten die Flammen über ihn hinweg, verbrannten seinen kühlen Verstand zu schwelender Asche. Ihre Worte hatten ihn verdammt. „Himmel, ich mag dich halt, da ist es doch selbstverständlich, dass ich dich nicht leiden sehen will.“ Sie hatte ja keine Ahnung, dass dies in Lokis Welt alles andere als selbstverständlich war... Er hatte das bedrohliche Beben bereits gespürt, war jedoch unfähig gewesen, das Unheil aufzuhalten; all seine Masken und Mauern zerbröselten unter dem Ansturm dieser ungewohnten Gefühle, die sich nicht aufhalten ließen - weder durch jahrelang erprobte Selbstbeherrschung noch durch die vielen Bedenken, die den Magier davon zu überzeugen suchten, dass dies hier falsch war… Er keuchte rau auf, als Gwens Zähne über seine Halsseite schabten, während er das Gefühl erkundete, welches entstand, wenn er seine Finger durch ihr rotes Haar gleiten ließ - bezaubernd. Hier war es, dieses Feuer, was er all die Jahre über stets bei einer Frau vermisst hatte; nun kam es verzehrend über ihn, brannte sich durch seine Adern und löschte seinen Geist aus wie einen dürren Baum im Flammensturm. Loki zog Gwen näher an sich, rieb seinen Unterleib gegen ihren Schoß und genoss dieses verzückte Stöhnen, was ihren Lippen entfloh, bevor er jene wieder mit seinem Mund verschloss. Seine Zunge stieß zwischen ihre vollen Lippen, wie ein gänzlich anderer Teil von ihm mit ihrem Körper verfahren wollte. Sein Kopf war wie leergefegt; ein erschreckend wohliger Zustand, in welchem er sich nur noch auf seinen Körper und dessen Bedürfnisse konzentrieren musste - keine Pläne schmieden, keine Listen aushecken, keine Worte mit Bedacht wählen. Seltsam, wie befreiend Leidenschaft sein konnte; wie leicht und selbstverständlich man sich in den Berührungen eines anderen verlor. Er schob eine Hand unter den Stoff ihres Hemdes, ertastete fasziniert die weiche und warme Haut, die sich um ihren zierlichen, weiblichen Körper spannte, während seine Finger in ihrem Nacken sie noch näher zu sich zog, um ihre Lippen besitzergreifend einzunehmen. Sie wölbte sich ihm entgegen, rieb sich an ihm, verursachte ihm wohlige Schauer einer köstlichen Erregung, da ihre Hände so ungeduldig am Stoff seines Hemdes zerrten, bevor sie ihre Finger darunter schob und seinen Körper erkundete. Er wollte sie - hier und jetzt. Augenblicklich konnte sich Nichts mit diesem plötzlich hervorbrechenden Verlangen nach dieser Frau messen; nicht einmal seine Gier nach Macht und Anerkennung, seine Lust an List und Tücke. Gwendolyn hatte ihn zerstört. Zerbrochen. Erobert. Und doch schien er zum ersten Mal in seinem Leben vollständig. Er fühlte sich mächtig unter ihrer Berührung; wertvoll, wirklich und vollkommen. Seine Leidenschaft war denkbar ungünstig; sie waren hier an einem öffentlichen Platz und kaum ungestört, doch das war einem gewissen Teil von Loki völlig egal - eben jenem Teil, der die zierliche Frau nun umschlang und in einer fast groben Regung unter sich auf die Bank zwang. Der Magier erhob sich über ihr, hielt ihre Hände gefangen und genoss dieses Gefühl von Macht, was er über ihre Lust ausübte; seine Hüfte drängte intuitiv zwischen ihre Beine, sein Unterleib gegen den ihren, was sie unter einem verhaltenen Seufzen die Augen schließen und die Unterlippe in dieser so verführerischen Geste zwischen die Zähne ziehen ließ, bevor sie ihn wieder ansah. Flüchtig meldete sich sein Verstand zurück, nur aber um dem Magier einzuflüstern, dass auch andere Gwen hier so sehen könnten; glühend vor Leidenschaft, die Lippen gerötet von seinen Küssen, ihre Brustwarzen hart, ihr Körper zitternd unter dem seinen. Das war eindeutig ein Anblick, den er keinem anderen gönnte. Vielleicht sollten sie seine Gemächer aufsuchen… »Loki…« Ihre heisere Stimme verjagte seinen Verstand allerdings wieder in eine dunkle Ecke seines Geistes, wo er zürnend ausharren müsste, bis der Magier ihn wieder brauchte. »Bitte…« Loki hatte Frauen in seinem Bett gehabt, doch wie er jetzt erkannte, konnte sich keine mit Gwendolyn auch nur annähernd messen, obwohl sie alle von betörender Schönheit gewesen waren. Die meisten dieser Frauen hatten still und recht regungslos unter ihm gelegen; ihm oft das Gefühl gegeben, dass sie den Akt eher widerwillig über sich ergehen ließen und Loki hatte sich in der Hinsicht nie etwas vorgemacht - gewiss war es auch so gewesen. Einige hatten nur mit ihm geschlafen, da sie sich wahrscheinlich einen Vorteil davon erhofften, einen Prinzen Asgards in ihrem Bett zu haben. Andere hatten ihn verführt, da sie über ihn an Thor hatten herankommen wollen - der kleine Bruder als Vorstufe für den größeren Fang. Und wieder anderen war wahrscheinlich langweilig gewesen, sodass es ihnen schlussendlich egal war, wer ihre Lust befriedigte. Keine dieser nun gesichtslosen, blassen Schatten der Vergangenheit hatte wahre Leidenschaft in ihm geweckt, weil keine sich so begehrlich, fast verzweifelt an ihn gedrängt hatte, wie Gwen es jetzt tat. In ihren lustverhangenen Augen sah er nichts als grenzenloses Begehren, ihr Körper zitterte erregt unter ihm, ihre Lippen sehnten sich nach seinen - sie wollte ihn wirklich. Kein Spiel, keine Maskerade, keine falschen Hoffnungen. Sie wollte ihn. Sie begehrte ihn. Loki - keine Macht, kein Ansehen, keinen Thor. Gwen sah ihn an und gierte sich in diesem Augenblick nach seinen Berührungen, die er ihr grausam vorenthielt, um in dieser Herrschaft über ihr Verlangen zu baden; jede Nuance dieser unbekannten Macht auskostend. »Willst du mich…?« wisperte er heiser auf sie herab, ohne ihr seine Lippen zu gewähren, obwohl alles in ihm förmlich danach schrie, ihren Körper endlich in Besitz zu nehmen und sie als Sein zu markieren. Wenn sie statt ihrer dunklen Hose einen Rock getragen hätte, wie es asische Frauen normalerweise taten, so wäre er wahrscheinlich schon in sie gedrungen; hätte den Stoff über ihre Schenkel geschoben und ihre Beine geteilt, um in sie zu stoßen. In ihr zu versinken. Heftig. Tief. Vollständig. Doch zuvor musste er es einfach hören. Musste es aus ihrem Mund hören. Sie sollte sich verzehren nach ihm; nur noch nach ihm. »…ja…« stieß sie atemlos aus und versuchte sich gegen seinen Griff zu stemmen, der ihre Hände auf dem Polster festhielt. »Sag es!« verlangte er rau; rieb seinen erwachten Unterleib gegen ihre Schenkel. Sie stöhnte fast verzweifelt auf, bevor ihr Blick sich wieder auf seinen fokussieren konnte. »Ich will dich, Loki…« hauchte sie dann erstickt. »Gott, ich will dich so sehr…« Diese Worte perlten wie köstlicher Wein auf seiner Zunge; er konnte den Triumph, die Macht beinahe schmecken, die sie ihm damit über sich erteilte. Und doch war sein Begehr nicht sie damit zu zerbrechen, sondern ihr die größtmögliche Lust zu verschaffen, sodass er sich in ihrem Gedächtnis unauslöschlich einbrennen würde - gekennzeichnet für die Ewigkeit sollte sie sich immer an ihn erinnern. Sie sollte nie wieder einen anderen Mann wollen. Sie sollte ihm gehören. Hungrig stürzte er sich auf ihre Lippen und ließ ihre Hände los, welche sie sofort in seinen Haaren vergrub und ihn damit noch näher auf sich herabzog; er genoss ihr heiseres Stöhnen, als er ihre Lippen erneut teilte und seine Zunge einer Eroberung gleich in ihre Mundhöhle jagte. Ihre Beine schlangen sich um seine Hüfte, ihre Händen glitten fahrig unter den Stoff über seinem Rücken, schoben das Hemd an seinen Armen herab, während sie sich ihm entgegen hob und ihre Zunge nicht weniger wild und leidenschaftlich gegen seine drückte. Eine Hand bekam er frei, um diese unter ihr Hemd zu schieben und die Finger über ihre bebende Bauchdecke gleiten zu lassen, bevor er sie höher schickte und die Unterseite ihrer Brüste erfühlte. Gwen keuchte und er ließ ihr den Atem, gab ihre Lippen frei, um seinen Mund über ihre Kehle wandern zu lassen; leidenschaftliche, raue Küsse dort verteilend glitt seine Zunge über ihren rasenden Puls, entlockte ihr ein weiteres, heiseres Seufzen. Ihre Hände zerrten nun völlig ungeduldig an seinem Hemd, bevor sie von dem Stoff abließen und zwischen ihre Körper glitten, um sich über seinen Bauch abwärts zu seiner Hose zu tasten. Ihre Finger nestelten fahrig an seinem Gürtel. Loki zog die Hand wieder unter ihrem Hemd hervor, was Gwen einen protestierenden Laut ausstoßen ließ, bevor er ihre Hände zwischen ihren Körpern fand und herauszog; ihre Handgelenke mit seinen langen, schlanken Fingern umfing. Erneut presste er ihre Arme über ihrem Kopf auf das Polster und sah mit einem dunklen Grinsen auf sie herab. »Bring dich nicht so schnell um dein Vergnügen…« raunte er belegt und war selbst überrascht über den ungewohnten Klang seiner sonst so klaren, schneidenden Stimme. »Du allein bringst mich gerade um mein Vergnügen…« gab sie ihm atemlos zurück und leckte sich lockend über ihre vollen Lippen; ihr Mund kräuselte sich in einem sinnlichen Schmunzeln, bevor sie den Kopf hob und ihre Zähne verlangend nach seiner Unterlippe haschten. Er schloss genießend die Augen. Sie beherrschte dieses Spiel nicht minder gut als er… Das seltsam bekannte und erschreckend klare Durchladen einer menschlichen Handfeuerwaffe durchbrach den sinnlichen Nebel von Lokis Verstand, bevor eine angespannte Stimme, die nur mühsam ihren Zorn unterdrückte, verlangte: »Runter von ihr, du Monster…« Gwen hörte das metallische Klicken, welches ihr so arg vertraut vorkam, bevor ihr Verstand überhaupt wieder brauchbar anlief und anfing, dieses Geräusch einer Tatsache zuzuordnen. Eine vor Zorn bebende Stimme stieß barsche Worte aus; eine Stimme, die ihr so seltsam bekannt vorkam. »Runter von ihr, du Monster…« Gwen drehte den Kopf ein wenig und sah so an Loki vorbei. Ihre Augen weiteten sich entsetzt, als sie in die Mündung einer Waffe blickte, die ziemlich eindeutig auf den Hinterkopf des Magiers gerichtet war. Eine Waffe, die in den Händen eines S.H.I.E.L.D Agents lag. In den Händen von Andrew Preston. Kapitel 16: Wahrheit -------------------- Andrew Preston hatte sich geirrt. Er war mit der Vorstellung aus dem Bifröst getreten, dass die hier verbliebene Frau der Wissenschaftsgruppe über seinen Besuch erleichtert sein würde; mit zwei weiteren Agents und einigen ausdrucksstarken Argumenten von Direktor Fury im Gepäck war Andrew erneut nach Asgard gekommen, um die Freigabe von Gwendolyn Lewis zu fordern. Nach einigen tiefgehenden Recherchen hatte sich die vermeintliche Wissenschaftlerin als Journalistin des New Yorker Daily View entpuppt; eine weitere Enthüllung, die Direktor Fury arg auf den Magen geschlagen war. Der S.H.I.E.L.D Chef war bereits unleidlich gewesen, da die Frau mit dem interessanten Blut seinem Wirkungsbereich entzogen blieb, indem der Allvater sie in Asgard behielt - die Enthüllung ihrer wahren Identität hatte dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt. Sie war ein Mensch und gehörte mit ihrer offensichtlichen Abweichung von der Normalität sofort in den Zuständigkeitsbereich und die Hände von S.H.I.E.L.D. Nicholas Fury war jemand, der gern die Korntrolle über alles hatte. Und in diesem Fall hatte sich diese ihm strickt und widerspenstig entzogen. Sein Einflussbereich endete an den Grenzen Asgards; ein Umstand, den Fury nur zähneknirschend akzeptierte. Auf Midgard war er es gewohnt, dass er seinen Willen bekam - immer. Die Frau musste unbedingt auf die Erde zurückkehren; nicht nur, weil die S.H.I.E.L.D Wissenschaftler brennend interessiert an ihrem Geheimnis waren, sondern auch, weil der dreisten und neugierigen Journalistin Einhalt geboten werden musste, die sich einfach so durch die Sicherheitsschleusen gemogelt hatte. Wenn dies an die Öffentlichkeit dringen würde, gäbe es bald mehr als genug Nachahmer. Darauf konnte S.H.I.E.L.D gut und gerne verzichten; vor allem hatten sie keine Zeit, sich um solche Dinge zu kümmern - nun, da die Angreifer Asgards auch auf der Erde aufgetaucht waren. In den letzten Stunden war es vermehrt zu Sichtungen der fremden Besucher gekommen und S.H.I.E.L.D hatte alle Hände voll zu tun, aufgebrachte Menschen zu beruhigen und Beweismaterial verschwinden zu lassen, um eine Panik unter der Bevölkerung zu vermeiden. Die Avengers waren erneut zusammengerufen worden und seit dem Morgen im Dauereinsatz, um die Bedrohung für die Erde unter Kontrolle zu halten; ein weiterer Grund, warum Direktor Fury die kleine Delegation um Andrew Preston nach Asgard geschickt hatte - über Unterstützung und weiteres Vorgehen sollte verhandelt werden. Wahrscheinlich wusste Odin bereits mehr über diese geheimnisvollen Angreifer, immerhin war Asgard ein uraltes, magisches Reich, was wesentlich besser über alle Welten und Gegebenheiten im Universum informiert war als die Erde, wo die Menschen erst vor zwei Jahren wirklich akzeptieren mussten, dass sie nicht die einzige, intelligente Rasse im Universum waren… Der knappe Austausch an Informationen zwischen Midgard und Asgard in den letzten Tagen hatte zumindest vermuten lassen, dass Odin dem Geheimnis ihrer Angreifer auf der Spur war. Fragen nach Gwendolyn Lewis waren postwendend im Sand verlaufen; man hatte ihnen nur immer wieder versichert, dass es der Frau gut ginge. Nachdem Andrew und seine Männer in Asgard angekommen waren, hatte man sie mit warten vertröstet; ungeduldig hatte Andrew in einem Empfangszimmer Gladsheims gestanden, immer wieder auf die Uhr geschielt und die Wächter vor der Tür mit angespanntem Blick im Auge behalten, in der Hoffnung, dass sich die Tür endlich öffnen würde, damit man sie zu Odin oder dem Hohen Rat vorließ. Durch ein geöffnetes Fenster waren gedämpfte Stimmen herangedrungen; der Blick hinaus offenbarte sich auf den Garten, der sich wild und wunderschön um den Palast zog. Anfangs hatte Andrew den entfernten Stimmen keine Beachtung geschenkt, die aus dem Palastgarten zum Fenster heraufgedrungen waren, doch irgendwann war ihm etwas an deren Klang bekannt vorgekommen; es schien sich um einen Mann und eine Frau zu handeln, wobei die Stimme der Frau etwas sehr vertrautes an sich hatte… Der Agent hatte sich verstohlen zum Fenster bewegt, bevor er sich ganz sicher war und zu den Männern der Palastwache umgedreht hatte, die noch immer den Ausgang bewachten. Andrew hatte vage auf die schmale Glastür gedeutet, die auf die Terrasse hinausführte. »Kann ich etwas frische Luft schnappen?« Die beiden Wächter hatten sich einen stummen Blick zugeworfen, bevor einer von ihnen genickt hatte. Andrew hatte seine Männer mit einem knappen Blick beruhigt, die sich schon alarmiert aus ihren Stühlen hatten erheben wollten, bevor der Agent die Tür auf die Terrasse geöffnet hatte und hinausgetreten war. Kurz hatte er sich versichert, dass man ihn von drinnen nicht mehr sah, dann war er über die niedrige Brüstung hinab in den Garten gesprungen, um sich leise und geduckt den Stimmen zu nähern, die von irgendwo im Inneren des Gartens erklungen waren. Andrew bog nun um eine Ecke des Gartens und sein nächster Reflex war sich verschämt zurückzuziehen; in einer kleinen, abgelegenen Sitzecke, die von Efeu und Moos umwachsen war, waren zwei Körper miteinander beschäftigt - taten Dinge, die nicht für neugierige, fremde Augen bestimmt waren. Allerdings ließ den Agent das Aufblitzen von rotem Haar stutzig werden und entgegen seiner guten Erziehung wagte er sich weitere Schritte nach vorn. Das Bild, was er erblickte, ließ ihn erstarren, bevor er instinktiv seine Waffe zog, den Zeigefinger bereits um den Abzug gekrümmt - er hatte augenblicklich keine Skrupel abzudrücken. Wo er sonst lange und gründlich überlegte, ob der Gebrauch einer Waffe gerechtfertigt war, preschten Wut und Hass nun so übermächtig in ihm heran, dass sein Finger bereits sehnsüchtig zuckte. Gwendolyn Lewis lag dort unter einem Gott, der Andrew nur all zu bekannt war; die Gedanken des Agents überschlugen sich, projizierten Bilder und Erinnerungen in sein Hirn, die zwei Jahre zurücklagen - erschreckende Bilder einer Invasion, von Tod und Zerstörung, deren Verursacher gerade über der Journalistin kniete und sich halb aus seinen Klamotten geschält hatte… Die Ursache für Clint Bartons und Erik Selvigs Gehirnwäsche… Der Grund für den Tod unzähliger Menschen und den Angriff einer fremden Alienrasse… Der Mörder von Phil Coulson - Andrews Kollegen und besten Freund… Loki Laufeyson - Gott, Ase, wahnsinniger Verbrecher - erhob sich dort über der rothaarigen Frau und hielt deren Hände über ihrem Kopf in seinem Griff…drückte sie unter sich nieder…verging sich an ihr… Die Eindeutigkeit dieser Szene war unumstößlich. Andrew wurde schlecht. Lang vergessene und unterdrückte Emotionen brandeten in seinem Inneren gegen die beherrschte Fassade des S.H.I.E.L.D Agents wie das Meer auf eine bröckelnde Klippe, die unter Wut und Hass erzitterte - unter dem Drang nach Rache, nach Vergeltung. Durch seinen Kopf jagen unzählige Fragen, auf die er einfach keine Antwort fand; einen Augenblick war er zu entsetzt von dem, was er da sah, schier gelähmt. Was sollte er tun? Das passte alles einfach nicht zusammen… Er entsicherte seine Waffe und trat hinter den schwarzhaarigen Gott; die Mündung drohend auf dessen Hinterkopf gerichtet, während er arg mit sich und seinem Gewissen kämpfte, um dem Mann nicht sofort eine Kugel durch die Schädeldecke zu jagen. »Runter von ihr, du Monster…« presste er verkrampf hervor, während unzählige Beschimpfungen und Flüche auf seiner Zunge brannten, die er ausspucken wollte wie Säure - Worte, die viel zu lange ungesagt geblieben waren. Es wäre so einfach, es jetzt zu beenden… Der gesamten Menschheit, vielleicht dem ganzen Universum einen Gefallen zu tun und diese tickende Zeitbombe ein für alle Mal zu entschärfen - mit einer gezielten Kugel durch die Windungen von Lokis Hirn. Nicht mal ein Gott würde das so einfach überleben. Der Kerl war wahnsinnig, gefährlich, unberechenbar; erneut bewiesen durch seine schändliche Tat, sich an einer wehrlosen Menschenfrau vergreifen zu wollen. Der Gott erstarrte in seiner Bewegung und Andrews Augen begegneten an ihm vorbei dem geweiteten Blick der jungen, rothaarigen Journalistin… Das Bild war falsch. Seltsam verdreht. Seltsam unlogisch. Der Agent sah keine Angst in ihren Augen. Keine Bedrängnis. Keine Furcht. Keine Abscheu. Nur Ungläubigkeit, Verwirrung und erwachendes Entsetzen, als sie die Mündung von Andrews Waffe erblickte, die auf Lokis Hinterkopf zielte; ihre hellen Augen waren durch gänzlich andere Emotionen verdunkelt - die Wahrheit traf den Agent wie eine Faust in den Magen und ließ die Waffe in seiner Hand zittern. Er hatte sich geirrt. Was zum Teufel war hier eigentlich los? Das Logische, das Offensichtliche war nicht immer so klar zu erkennen, wie Andrew geglaubt hatte. Langsam dämmerte ihm die Erkenntnis, die er einfach nicht akzeptieren konnte; er sah die Gewissheit auf den geschwollenen, feuchten Lippen der Frau, erblickte sie auf ihren geröteten Wangen und durch den Stoff ihres Hemdes, der sich eng an ihren Körper schmiegte und nicht viel verhüllte… Sie war nicht erleichtert. Er hatte sie gar nicht gerettet. Sie war nicht froh, ihn zu sehen, da sie völlig freiwillig unter dem Mann lag, der jetzt seinen Kopf langsam wandte und Andrew ein eiskaltes, süffisantes Grinsen schenkte, als er die Einsicht in den Augen des Agents erkannte. Gwendolyn Lewis war zu nichts gezwungen worden. Sie hatte sich dem Mann bewusst hingegeben. Das schwächte Andrews Wut auf Loki Laufeyson allerdings in keiner Weise ab, sondern schien jene nur noch mehr anzustacheln… Dieses Monster hatte kein Glück verdient; nicht unter der erdrückenden Schuld von so vielen Toden, die dieser Gott auf seine Schultern geladen hatte. Wie konnte er es wagen die Frau zu berühren, für die Andrew Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, um sie aus einer Situation zu retten, in der sie sich nun offensichtlich sehr wohl fühlte…!? Augenblicklich wollte er Zerstörer sein; der Zerstörer von Loki Laufeysons Welt… »Andrew…?!« Gwens Stimme war rau; verdunkelt durch die Lust, die noch immer durch ihre Knochen vibrierte und Resonanz in ihrem heißen Blut erzeugte. Ihr Verstand war ertrunken in Lokis Augen und benötigte dementsprechend viel zu lange, um die Situation zu erfassen, die so plötzlich über sie gekommen war wie aufziehende Sturmwolken. Die Stimmung hatte sich erneut verändert, war bedrohlich und angespannt geworden; der Nachhall ihrer Begierde wogte noch schwer durch ihren Körper und machte das Denken verdammt schwer. Was machte Andrew hier? Wo war der Agent so plötzlich hergekommen? Und warum zur Hölle hatte er eine Waffe auf Lokis Kopf gerichtet? »W-was…was machst du hier…?!« stotterte Gwen verwirrt und konnte das Bild des Agents einfach nicht in Einklang mit der abstrusen Situation bringen; sie lag hier unter Loki, war bereit gewesen, sich diesem Mann hinzugeben und starrte nun in die wütend verengten Augen von Andrew, dessen Zeigefinger sich noch immer sehr warnend um den Abzug der Waffe krümmte. Doch seine Wut schien definitiv nicht ihr zu gelten… Er schien sie noch nicht einmal zu hören oder wirklich wahr zu nehmen; sein starrer Blick war fokussiert auf Loki, als könnten allein seine Augen die tödliche Kugel auf den Weg schicken. »Ich sagte, runter von ihr…« zischte der Agent gefährlich leise; ungewohnt angespannt und unruhig. Die Mündung der Waffe wurde Loki auffordernd in den Nacken gedrückt, was Gwen erschrocken schlucken ließ und ihren Atem für einen Augenblick stoppte. Fast erwartete sie schon, dass Andrew einfach abdrücken würde… Verdammt nochmal, was war hier los…?! Unzählige Gedanken rasten durch ihren Kopf und wollten sich doch nicht zu einer logischen Erklärung formen; ihr keine Antwort geben, was sie tun sollte. Sie hatte Angst, dass eine unbedachte Regung, ein unüberlegtes Wort den Agent sofort zum Schuss animieren würde. Verwirrt und ängstlich suchte Gwen Lokis Blick; es war erschreckend, die Wandlung auf seinem Gesicht zu beobachten - wo zuvor enthemmte Leidenschaft vorherrschend gewesen war, ungebändigte Emotionen, die er ihr enthüllt hatte, so verbarg er diese Geheimnisse nun wieder hinter eine seiner vielen Masken. Wie das Meer bei Ebbe zog sich der Mann Loki hinter seine aalglatte, kalte Fassade zurück, die sich über sein Gesicht ausbreitete wie hinterhältige Eiskristalle über eine Fensterscheibe - nicht aufzuhalten in der heranrückenden Kälte des aufziehenden Winters. Seine Lippen strafften sich, pressten sich aufeinander, während sich seine Züge verhärteten und sein Kinn sich unmerklich anhob; seine Brauen hoben sich arrogant in die Höhe, bis schließlich auch seine Augen, bisher schwelend in Smaragdfeuer, von der Kälte zurückerobert wurden. Diese Veränderung ängstigte Gwen fast noch mehr als es der plötzlich auftauchende Agent gekonnt hätte; beinahe war es, als hätte sie wieder einen völlig anderen Mann vor sich - nicht den Loki, der sie eben noch geküsst und so begehrlich berührt hatte, sondern den gefährlichen Magier, den man in eine Zelle unter Gladsheims Mauern gesperrt hatte… Ein überheblich gelassenes Grinsen entstand auf Lokis Lippen, als er nun den Kopf wandte und den Agent in einen beinahe vernichtend geringschätzigen Blick fasste; dann zog er seine Hände von Gwen zurück und richtete sich langsam auf. Sie beobachtete das Ganze noch immer völlig verständnislos und überrumpelt; nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. »Hände dorthin, wo ich sie sehen kann, Arschloch…« verlangte Andrew gepresst und trat einen Schritt zurück, als sich Loki von der Bank gleiten ließ und sich zu voller Größe aufrichtete, bevor er die Hände hinter den Kopf legte und sich mit einem anmaßend spöttischem Grinsen zu dem Agent umwandte. »Und nun?« fragte der Magier beinahe gelangweilt und registrierte zufrieden das merkliche Beben von Andrews Nasenflügeln, als dieser seinen Blick auf das geöffnete Hemd des Prinzen richtete, welches zu schließen Loki sich nicht die Mühe gemacht hatte. Fast schien es den Prinzen zu amüsieren, sich an der erneut aufwallenden Erkenntnis des Agents zu ergötzen, als dieser die Zähne angespannt aufeinander presste, da er die eindeutige Situation abermals in ihrer Gesamtheit erfassen musste. »Wollt Ihr mich jetzt erschießen? Ich glaube, dass versuchten schon einige Eurer Vereinigung. Keiner war wirklich erfolgreich, so weit ich mich erinnere… « Ein höhnisches, knappes Lachen teilte die Lippen des Magiers, ließ seine Zähne hervorblitzen wie das Gebiss eines Wolfes. »Erinnert Euch, dass ihr nichts seid als Ameisen unter meinem Stiefel!« zischte der Magier herausfordernd und hob die Brauen geringschätzig in die Höhe, so er auf Andrew herabblickte wie auf ein lästiges Insekt. Er schien die schwelende Wut des Agents noch zu genießen; ihn bewusst zu reizen. War Loki denn völlig verrückt geworden?! Gwen war indes auf der Bank in die Höhe gerutscht und hielt ihr zerknittertes Hemd über ihren Brüsten zusammen; der Stoff hatte merklich unter Lokis Fingern gelitten. Ihr Blick hastete zwischen dem Magier und dem Agent hin und her und noch immer konnte sie nicht begreifen, was hier eigentlich los war. Die Situation war so angespannt, unterlag einer sehr gefährlichen Entwicklung, sodass sie Angst hatte, sich auch nur um ein Stück zu bewegen. Der Agent war mit einem Schritt wieder bei Loki; er zog den Magier am Stoff seines Hemdes zu sich heran und presste ihm die Mündung der entsicherten Waffe grob unter das Kinn, was Loki nur mit einem milde amüsierten Grinsen quittierte, so er das Kinn reckte und mit gehobenen Brauen verächtlich auf die Waffe in den zitternden Händen des Menschen schielte. Andrew schien kurz davor, die Fassung zu verlieren; seine Augen waren gefährlich verengt, nur mühsam unterdrückte Emotionen verzerrten seine Züge zu einer Maske aus Wut und Abscheu, die Gwen nicht nachvollziehen konnte. Erschrocken war sie auf die Füße gesprungen; endlich fiel die Schreckensstarre von ihr ab und ihr Körper gehorchte ihr wieder, als sie Loki so offensichtlich von Andrews Waffe bedroht sah. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals vor lauter Angst, dass die Situation in den nächsten Augenblicken eskalieren und der Agent den Magier einfach erschießen würde. »Andrew! Nicht! Bist du völlig verrückt geworden?!« stieß sie entsetzt aus; dieses Bild war mehr als sie ertragen konnte - Lokis Existenz konnte zu jedem Zeitpunkt beendet werden. Der grüne Blick des Magiers begegnete kurz dem ihren und ein flüchtiges Stirnrunzeln zeigte sich; eine Frage stand in seinen Augen, bevor er den Agent wieder ansah und diesen plötzlich noch verachtender musterte, als hätte er nun einen Grund mehr, den Menschen zu verabscheuen. Die Männer maßen sich mit Blicken, schienen einen unsichtbaren, stummen Kampf zwischen sich auszutragen, dem Gwen nicht folgen konnte und den sie nicht verstand; irgendetwas entwickelte sich hier völlig in die falsche Richtung. »Andrew…bitte…nimm die Waffe runter…« appellierte sie vorsichtig an das Gewissen des Agents, während sie sich den beiden mit erhobenen Händen näherte. Ihr Blick jagte hektisch über die Bäume und Büsche des Gartens; verzweifelter Hoffnung folgend, dass doch bitte jemand kommen möge, um diese Situation hier zu entschärfen. Andrews Fokus glitt kurz zu ihr herüber, doch ihre Worte schienen ihn nicht wirklich zu erreichen; er war wie ein Bluthund auf den Magier vor sich fokussiert, nicht von seiner Fährte abzubringen. Warum zur Hölle war Andrew so wütend auf Loki? »Du hast nichts anderes als den Tod verdient. Nenn mir nur einen guten Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle erschießen sollte, du Abschaum…« wisperte der Agent Loki entgegen; unterschwellig brodelnde Wut brachte seine Stimme zum beben. Die Mündung der Waffe drückte sich noch eindringlicher gegen die Kehle des Magiers; erschreckend klinisches Schwarz, das auf die kühle Blässe von Lokis Haut traf. Der Prinz zog seine Lippen nur noch weiter auseinander und offenbarte dem Agent ein fast diabolisch süffisantes Grinsen, als wäre diese Waffe nur ein lächerliches Spielzeug; als wäre ihm nichts und niemand jemals gewachsen und Angst ein Fremdwort für ihn. »Den kann ich Euch nennen…« tönte eine tiefe, klare Stimme plötzlich durch das Grün des Gartens, bevor Heimdall auf einem Pfad erschien und seine goldenen Augen zurechtweisend auf den Agent richtete. Sein mächtiges Breitschwert trug er auf dem Rücken; der Schlüssel zum Bifröst. »Die Urteilssprechung und Rechtsvollstreckung auf asischem Boden gebührt noch immer dem Allvater, Andrew Preston aus Midgard. Legt die Waffe nieder und lasst Euch nicht zu Dummheiten hinreißen.« verlangte der dunkelhäutige Wächter ruhig, doch mit solchem Nachdruck in der Stimme, dass die Worte endlich auch Andrew zu erreichen schienen. Der Agent runzelte die Stirn und zog den bohrenden Blick flüchtig von Loki ab, um über die Schulter zu sehen. Gwen wäre fast erleichtert in die Knie gegangen, als sie Heimdall erblickte; noch nie zuvor war sie so froh gewesen, den Wächter zu sehen. Jetzt würde sich dieses Missverständnis hoffentlich aufklären und Andrew endlich zur Vernunft kommen. Der Agent konnte Loki ja nur mit irgendjemand verwechseln. Hinter Heimdall folgte Thor in den Garten; die Züge des Donnergottes waren entschlossen und seine blauen Augen versprühten förmlich Blitze in Richtung des Agents, der seinen Bruder bedrohte. Mjölnir lag bereits in seiner Hand, als wäre er mehr als entschlossen und gewillt, den Hammer einzusetzen. Andrew zögerte noch kurz; ein angespannter, gedehnter Augenblick, in welchem er zwischen Loki und den ankommenden Asen umher sah, bevor er seine Waffe sehr langsam und widerstrebend sinken ließ, sie jedoch nicht wegsteckte. Sein Zeigefinger blieb fast nervös um den Abzug gekrümmt, die Mündung noch immer auf den Magier gerichtet, der unpassend amüsiert über diese Situation schien. »Warum ist er frei…?« wisperte der Agent angespannt zu Boden, bevor er herumwirbelte und anklagend auf den dunkelhaarigen Prinzen wies. Sein Blick richtete sich entschlossen und furchtlos auf Heimdall und Thor. »Soweit ich mich nicht irre, bedingte die Zusammenarbeit zwischen Asgard und S.H.I.E.L.D, die Verschwiegenheit über die New Yorker Vorfälle die lebenslange Inhaftierung dieses Wahnsinnigen!« spie Andrew aus, sein Blick ruckte zwischen den beiden Asen umher, fordernd und angespannt. Sein Atem war beschleunigt, die Muskeln spannten sich unter dem perfekt gebügelten Jackett seines Anzuges. »Direktor Fury wird wenig begeistert über den Bruch dieser Übereinkunft sein!« Heimdalls goldener Fokus glitt flüchtig zu Gwen herüber, die in plötzlicher Verwirrung die Stirn runzelte und ein paar Schritte näher trat. »Was…? New York…was hat New York mit dem Ganzen zu tun…?« wisperte sie irritiert und sah einem nach den anderen an, doch die Männer schienen sie gar nicht wirklich zu bemerken. Irgendwie hatte man sie anscheinend vergessen. »Es ist besser, Ihr beruhigt Euch jetzt, Sohn des Preston und steckt die Waffe weg, bevor noch jemand verletzt wird...« grollte der Donnergott warnend und wechselte seinen Hammer von einer Hand in die andere. »Beruhigen?! Ich soll mich beruhigen, wenn man dieses Monster auf freien Fuß setzt? Diese Bestie, die meinen besten Freund eiskalt ermordet hat!? Wie kann Asgard nur so leichtsinnig sein?!« Andrew war außer sich; die bekannte Ruhe und Beherrschung der S.H.I.E.L.D Agenten schien wie weggewischt. Gwen sah zu Loki hinüber, der als einziger ihrem fragenden Blick begegnete. Mörder? Von was sprach Andrew da? Von den Vorfällen in Jotunheim konnte er nicht reden… »Die Umstände haben sich geändert.« war Odins volltönende Stimme nun zu vernehmen; der Allvater schritt auf einem Weg des Gartens heran, Gungnir in der Hand, seine Züge entschlossen und ruhig. Auch die Königin eilte hinter ihm den Pfad entlang, die Robe gerafft und das Gesicht äußerst angespannt, beinahe alarmiert. »Ich habe veranlasst, dass mein Sohn vorübergehend in die Freiheit entlassen wird.« Der entschiedene Klang von Odins Worten ließ eigentlich keine Zweifel oder Widerworte zu, doch Andrew schien sich davon wenig beeindrucken zu lassen. »Die Umstände haben sich geändert?!« gab er fast ungläubig von sich; noch immer zielte seine Waffe auf Loki, der seltsam ruhig geworden war. »Die Umstände würde ich gern sehen, die es rechtfertigen, diesen Wahnsinnigen wieder auf freien Fuß zu setzen! Ich bin sicher, diese Umstände würden auch die über achtzig Menschen interessieren, für dessen Tod er verantwortlich ist!« Der Agent schien völlig aufgelöst; ergriffen von Emotionen, die er kaum bändigen konnte. Sein Hass auf den Prinzen war beinahe greifbar. Und Gwen dämmerte langsam eine Erkenntnis... Eine erschreckende, unfassbare Erkenntnis, die sich bedrohlich um ihre Füße wandte und ihre Knöchel umfing, um ihre Beine hinaufzukriechen - eisige Kälte eines Schreckens, den sie nicht wahrhaben wollte und von sich zu drängen versuchte wie klebrige Spinnweben, in denen sie sich zu verfangen drohte. »Was ist hier eigentlich los…?« wisperte sie kraftlos und trat noch ein paar Schritte näher, um sich endlich die Aufmerksamkeit zu sichern, die man ihr vorenthielt. »Könnte bitte jemand die Güte besitzen und mich aufklären, was hier eigentlich vor sich geht…?!« erhob sie die Stimme angespannt, gegen Ende zu immer mehr mit jenem Anflug von Hysterie untermalt, der drohend durch ihre Adern wogte. Frigga wirkte augenblicklich seltsam nervös und tauschte einen beschwörenden, fordernden Blick mit Heimdall; der Wächter nickte knapp und näherte sich dem Agent langsam. Odin presste die Lippen aufeinander und umfasste seinen Speer noch enger, bevor er das Kinn hob und Andrew warnend anfunkelte. Selbst sein einseitiger Blick wirkte gebieterisch streng und herrisch. »Vielleicht sollten wir diese Unterhaltung an einem weniger öffentlichen Ort fortführen, Andrew Preston aus Midgard.« donnerte die Stimme des Allvaters anweisend über sie alle hinweg, doch der Agent schien gar nicht beeindruckt von der Allmacht Odins und dessen Vorschlag, welcher nach einem klaren Befehl geklungen hatte. Eher mutete es an, als würde das Andrews fassungslose Wut noch anstacheln. »Ach, sie weiß es gar nicht…?!« fragte der Agent provozierend in die Runde und deutete auf Gwen. »Ihr habt sie nicht aufgeklärt, nicht wahr? Ihr habt sie dem Tiger einfach zum Fraß vorgeworfen?! Was läuft hier eigentlich, verdammte Scheiße…« Andrew hob eine Hand und rieb sich fast erschöpft über die Stirn, während er die andere mit der Waffe endlich sinken ließ. »Ihr haltet jetzt besser den Mund…« grollte Thor beschwörend, doch der Schaden war eh schon angerichtet. »Was weiß ich nicht…?« Ein unkontrollierbares Schaudern kroch in Gwens Herz und ließ sie die Arme um sich selbst schlingen; leider war sie nicht dumm, hatte die Worte des Agents gehört und in ihrem Kopf formte sich langsam ein Bild, welches noch flackerte wie der marode Bildschirm eines alten Fernsehers - doch durch das Rauschen und statische Zucken war zu erahnen, welch ungeheuerliche Wahrheit sich zeigen wollte. »Was weiß ich nicht…?!« fragte sie erneut; nachdrücklicher, drängender, verzweifelter. Ihre Augen glitten über die Gesichter der Anwesenden, doch alle schienen plötzlich ihrem Blick auszuweichen. Außer Loki - der Magier sah sie unverwandt an. »Sagt ihr schon, mit wem sie da eben so vertraut umgegangen ist! Na los!« verlangte der Agent aufgebracht, als er den dunkelhaarigen Gott neben sich mit einem verabscheuenden Blick bedachte. Die Königin wirkte gewarnt. »Schafft ihn weg!« wies sie Heimdall und Thor mit einem Wink auf Andrew an. »Das reicht jetzt…« raunte der Donnergott und packte den Agent grob am Arm; entrang die Waffe seinen Fingern, während Heimdall ebenfalls an Andrew herantrat und sich vor dem Mann drohend aufbaute. »Sagt ihr, dass er der wahnsinnige Gott ist, der vor zwei Jahren versucht hat die Erde mit einer Armee Chitauri zu versklaven!« spie der Agent wütend aus, bevor der sich heftig wehrende Mann von dem dunkelhäutigen Wächter und Thor endlich aus dem Garten geschliffen wurde. Gwen bekam das nur am Rande ihrer Wahrnehmung mit; ihr Blick hing auf Loki, ebenso wie seiner ihrem andauernd standhielt. Er schlug die Augen nicht nieder; kein verräterisches Zeichen von Reue, Betroffenheit oder Beschämen in seinen kühlen, grünen Augen, die störrisch und hochmütig in die Welt blickten - die perfekte Maske eines perfekten Spielers, in dessen Karten man niemals würde sehen können. Die Worte des Agents troffen wie eine zähe, klebrige Substanz in Gwens Verstand. Der seichte Wind frischte auf und bahnte sich rauschend seinen Weg durch den plötzlich so seltsam stillen Garten; eine Böe erfasste eine von Lokis Haarsträhnen und wehte jene über das Gesicht des Magiers - eine Regung in dem sonst so unerschütterlichen Bild des Gottes; ein hoch erhobenes Haupt, das stolz und entschlossen allem widerstand - wohl selbst dem Henker in den letzten fallenden Sandkörnern der Zeit trotzen würde. Gwen trat langsam zu Loki hinüber; sie schluckte, da sich ihre Kehle plötzlich so rau wie Schmirgelpapier anfühlte und keine Worte formen wollte, als wäre ihre Stimme selbst der Ansicht, dass Schweigen nun das klügere Verhalten wäre. Doch die Neugier siegte; das Verlangen nach der Wahrheit, die immer irgendwann das Licht der Welt erblickte, egal wie tief man sie auch vergraben mochte… »Warst du jemals auf der Erde, Loki…? Warst du auf Midgard…?« hauchte sie schwach, während der aufgefrischte Wind ihr selbst einige glutrote Strähnen in die Augen trieb; Gwen redete sich ein, das Brennen hinter den Lidern würde vom Kitzeln ihrer Haarsträhnen herrühren, von einer scharfen Böe. Der Magier zögerte nicht. »Ja.« Ein einzelnes Wort, ohne Hadern gesprochen, aber ebenso auch ohne den Hauch von Emotionen. »Loki…« Gwens Stimme drohte ihr den Dienst zu versagen; unter dem starren Blick des Prinzen, unter dem unkontrollierbaren Zittern, welches plötzlich über ihre Glieder kam und sie beben ließ als stünde sie im eisigen Wind Jotunheims - so musste sich die schneidende Kälte dort anfühlen; so musste das Eis durch die Adern kriechen und Taubheit wie eine Schlange ihr Gift durch die Venen schicken. »…hat Andrew die Wahrheit gesagt? Hast du…vor zwei Jahren…bist du verantwortlich für dieses Chaos gewesen…?« Peinigende Kopfschmerzen breiteten sich in Gwens Schädel aus, als ihr abermals die Erinnerungen an die Zerstörung dieses Angriffes in den Sinn kamen; einer hastigen Abfolge von stummen Bildern schossen jene durch ihren Geist, bedrängten ihren Verstand und ihr Herz - ihr Herz, was allem voran nach der Versicherung in Lokis Zügen suchte, dass dies ein Missverständnis war; ihr Herz, was sich schmerzhaft unter der Wucht seines nächsten Wortes zusammenzog. »Nein.« antwortete er ihr seelenruhig; fast bewusst die Lüge formend, noch nicht einmal besondere Mühe in dieses eine Wort legend, so das sie ihm glauben könnte. »Du lügst…« hauchte sie erstickt und bemerkte die erste Träne in einem Anflug von Überraschung, welche sich aus ihrem Augenwinkel stahl, einsam und verloren über ihre Wange glitt, die Loki noch vor so wenigen Augenblicken mit seinen Fingern liebkost hatte. Wie schnell hatte sich die Welt gewandelt - wie schnell verlor Gwen nun den Boden unter den Füßen, als der Himmel donnernd auf sie herabstürzte. »Natürlich lüge ich.« war Lokis sachliche Antwort; untermalt von einem spöttischen Schmunzeln, welches sich eiskalt auf seine Lippen stahl. »Ich bin der Gott des Unfugs und der Lügen.« Gwen meinte den Anflug von Resignation in den klaren, kalten Tiefen seiner grünen Augen zu erkennen, doch jene Emotion wurde recht schnell unter der sich ausbreitenden Eisschicht verborgen. Es war eine Schutzreaktion; Gwen ahnte es und doch konnte sie es nicht verstehen. Loki verbarg sich hinter seiner geübten Fassade von Gleichgültigkeit und Hochmut - doch warum vor ihr? Warum tat er ihr das an…? War alles eine Lüge gewesen - alles zwischen ihnen? Gwens Hand schoss schneller vor, als sie sich der eigenen Bewegung bewusst wurde; das Klatschen ihrer Handfläche auf Lokis Wange hallte erschreckend laut durch den stillen Garten und übertönte fast das erstickte, entsetzte Aufkeuchen der Königin. Sie hatte vollkommen vergessen, dass Frigga und Odin ja noch immer anwesend waren… Ihre Hand brannte von der schallenden Ohrfeige, die sie dem Magier verabreicht hatte; seine Wange war leicht gerötet, Spuren ihrer zitternden Finger, die sein Haupt zur Seite hatten fliegen lassen - der ruckartigen Bewegung waren seine Haare gefolgt wie aufgescheuchte Schatten über seiner blassen Haut, welche nun regungslos wieder herabsanken. »Das war für New York. Und deine Lüge…« presste Gwen kraftlos heraus; bemühte ihre Stimme um Festigkeit, die ihr Körper längst schon nicht mehr empfand. Der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken; zu bocken wie ein störrisches Pferd. Ein Kreisel von Ohnmacht, Fassungslosigkeit und Enttäuschung erfasste Gwen und ließ sie erstickt die Hand vor die bebenden Lippen schlagen, als sich Lokis Mundwinkel beharrlich in die Höhe hoben und ein süffisantes, milde belustigtes Grinsen über ihre emotionale Reaktion zeigten. Er wirkte wie ausgewechselt; sie erkannte ihn nicht wieder. Sie konnte Loki in diesen grünen Augen nicht mehr sehen, die wie erfroren wirkten; Gwen zerschellte an seinem unterkühlten Blick, an seiner überheblich rücksichtlosen und gleichgültigen Art, die er skrupellos an den Tag legte. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen; konnte sein Gesicht und ihre Gefühle für den Magier nicht mit den schrecklichen Bildern aus New York in Einklang bringen. Das schaffte sie einfach nicht… Ein Albtraum. Ein furchtbarer Albtraum. Asgard war die Hölle. Sie wich einen Schritt vor ihm zurück. Dann noch einen. Lokis Hand schoss vor, packte sie am Oberarm, hielt sie fest. »Gehst du jetzt zu ihm…? Gehst du zu dem Agent?« verlangte er zu wissen; seine Stimme kühl mit rauem Nachhall, in welchem bissige Verletzlichkeit schwang. Sein Blick schien sie förmlich aufzuspießen. »Lass mich los…« hauchte Gwen schwach. Sie hatte einfach keine Kraft für die Spielchen des Magiers oder dessen möglicherweise verletzten Stolz. Einen Augenblick zögerte er; ein Augenblick, in welchem sich seine Finger in ihren Arm gruben und einer Bitte Ausdruck verliehen, die er niemals gesprochen hätte. Dann lockerte sich sein Griff. Mit einem erstickt verzweifelten Laut wandte sich Gwen hektisch um und stolperte an Odin und Frigga vorbei blind durch den Garten; ziellos stürzte sie voran, ohne zu wissen wohin - ihre ganze Welt schien aus den Fugen zu geraten. Übelkeit stieg in ihr auf, ließ ihre Kehle brennen unter hektisch herabgeschluckter Magensäure und den hastigen Atemzügen, die sie zwischen ihren Schluchzern verzweifelt tätigte. Weg… Sie musste hier weg. Sie bekam keine Luft mehr. Jeder Atemzug in Asgard war ein Atemzug, den sie mit Loki teilte; der Prinz schien überall zu sein, in der Luft, im Wind, im Rauschen der Blätter, in ihren Venen, dem rasenden Klopfen ihres Herzens - Gwen war eingenommen von ihm und drohte nun an seiner Nähe und Präsenz zu ersticken. Mörder…Verbrecher…Monster… »Gwen!« Eine raue, tiefe Stimme folgte ihr; schwere Schritte kamen bei ihr an und eine große Hand legte sich auf ihrer Schulter nieder, die sie jedoch vehement abschüttelte. Sie konnte gerade keine Berührung ertragen; Gwen fühlte sich wie ein blank liegender Nerv - verwundbar, schutzlos. Jede Berührung schien zu viel, nachdem Lokis Finger Spuren auf ihrer Haut hinterlassen hatten, die noch immer brannten. Thor sah betroffen auf sie herab und schöpfte tief nach Atem. Fahrig glitt eine Hand durch sein Haar, welches sich aus dem lockeren Zopf gelöst hatte. Er musste ihr nachgelaufen sein. »Gwen…warte bitte…lass mich erklären…« »Loki saß nicht nur wegen Jotunheim in dieser Zelle, nicht wahr?« wisperte sie schwach; fuhr zu dem Donnergott herum und sah ihn mit verzweifelter Hoffnung in der Brust an, welche Thor betreten den Blick senken ließ. Gwen wollte sich so gern vom Gegenteil überzeugen lassen; wollte an Asgard glauben, an Thor, an Loki… »Stimmt es? Hat Andrew die Wahrheit gesagt? Ist Loki verantwortlich für dieses Chaos in New York gewesen? Für den Angriff auf die Erde?« Ihre Stimme wurde immer flacher, beinahe hohl - sie formte die Worte und wollte den Sinn dahinter einfach nicht akzeptieren. Doch das schwere Luftholen des Donnergottes zerschmetterte ihre brüchige Zuversicht, an welche sie sich so kindlich geklammert hatte. »Ja, das ist er. Loki hat die Erde angegriffen, doch lass mich bitte erklären, wie es überhaupt dazu-« Gwen hob die flache Hand, unterbrach den Donnergott damit in seinem Redefluss und schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf. »Ich will es nicht hören, Thor. Bitte…lass gut sein…« Die Übelkeit kroch schleichend in ihrer Kehle nach oben. Das köstliche Essen von vorhin lag plötzlich so schwer wie ein Haufen Steine in ihrem Magen. Sie konnte sich die Gründe für Lokis Tat jetzt nicht anhören - konnte es überhaupt einen Grund geben, so etwas zu tun? Eine Entschuldigung? Gwen konnte sich nicht damit auseinandersetzen. Nicht jetzt, nachdem sie dem Prinzen vorhin so nah gewesen war… »Gwen…« Thor klang fast flehend. Seine blauen Augen sahen sie mit einer ehrlichen, tiefgründigen Bitte an. Er streckte erneut eine Hand nach ihr aus. Gwen wich vor ihm zurück, schüttelte erneut vehement den Kopf. »Warum habt ihr es mir nicht gleich gesagt?! Warum habt ihr mich so dumm ins offene Messer laufen lassen?« Ihre Stimme kletterte um ein paar Oktaven in die Höhe und wurde verzweifelt; sie selbst konnte die lauernde Hysterie darin hören. »Wolltet…wolltet ihr schauen, wie er auf mich reagiert? Sollte das ein Experiment sein?! Ein Scherz, Thor?! Ihr habt mich Loki zum Fraß vorgeworfen!« »Du warst zu keiner Zeit in Gefahr, Gwen! Loki hätte dir niemals etwas angetan…« versuchte sie der Donnergott zu überzeugen; er sprach mit einer Inbrunst und Überzeugung, die er wahrscheinlich auch empfand - er glaubte an seinen Bruder. Noch immer. Doch Gwen konnte diesen Glauben nicht mehr nachvollziehen. Nicht jetzt. Nicht heute. Vielleicht war Thor wie ein Kind, das sich an den Gedanken klammerte, man müsse nur oft genug an etwas denken und es sich wünschen und es würde Wahrheit werden. Doch Verbrechen konnte man nicht einfach wegwünschen; und die Taten der Götter wogen doch um einiges schwerer. Sollten sie die Menschen nicht eigentlich beschützen? Sie behüten und anleiten? »Das kannst du gar nicht wissen, Thor!« fauchte sie den blonden Gott enttäuscht an, wischte sich die Tränen von der brennenden Wange. »Was bin ich schon für Loki?! Doch nichts weiter als ein schwacher Mensch. Einer von denen, die er vor zwei Jahren einfach so-« Ihre Stimme brach ab. Gwen konnte das Ungeheuerliche einfach nicht aussprechen; damit würde sie es einfach zu real machen. »Du hast mich doch selbst noch vor ihm gewarnt! Hast gesagt, dass ich ihm nicht vertrauen soll!« Thor zuckte getroffen zusammen, bevor er mit beiden Händen durch sein blondes Haar fuhr. »Ja. Ja, das stimmt…« lenkte er ein, doch dann packte er sie an den Schultern und sah eindringlich auf sie hinab. »Allerdings dachte ich da auch noch nicht, dass du und Loki…verflucht, Gwen…ich glaube, er könnte etwas für dich empfinden. Du tust ihm gut. Irgendetwas in meinem Bruder scheint sich zu verändern. Vielleicht besteht die Hoffnung-« »Nicht…« unterbrach sie ihn schwach, aber bestimmt. Sie konnte das nicht hören, weil es eine Zuversicht in ihr geweckt hätte, der sie nicht nachgehen wollte; zu schmerzlich wäre es, diese Hoffnung zersplittert am Boden zu sehen wie brüchiges Glas - denn genauso zerbrechlich war sie, ihr Herz darin eingeschlossen. Außerdem wollte sie nicht einfach nur ein Mensch sein, der Loki „gut tat“ - wie ein Medikament, eine hoch angepriesene Wunderheilung. Gwen wollte mehr für den Prinzen sein; diese Erkenntnis war schmerzlich. Sehr schmerzlich und kam zu diesem Zeitpunkt völlig ungelegen. Sie schluckte und schlang die Arme um sich, dann sah sie Thor entschieden an. Sie hatte einen Entschluss gefasst. »Wo ist Andrew Preston? Ich will zu ihm.« New York „Kniet nieder!“ Die Stimme des dunkelhaarigen Mannes drang ein wenig hohl aus dem TabletPC, doch war sie gut zu verstehen. Eigentlich viel zu gut. „Ist dies nicht eure natürliche Haltung? Ist es so nicht viel besser? Es ist die unausgesprochene Wahrheit, dass es die Menschheit nach Unterwerfung verlangt. Die blendende Verlockung der Freiheit mindert eure Lebensfreude und bringt Gezänk um Macht und Identität. Eure Bestimmung ist es, beherrscht zu werden. Am Ende werdet ihr immer nieder knien.“ Gwen lauschte den Worten erneut; sah sich diese leicht verwackelte Aufzeichnung einer Handykamera zum bestimmt hundertsten Mal an und war noch immer unfähig, diesen Mann dort auf dem flachen Bildschirm mit dem Loki in Verbindung zu bringen, den sie in Asgard kennengelernt hatte. Ihr Verstand weigerte sich noch immer vehement, diese Wahrheit über Loki zu akzeptieren. Sie wollte das einfach nicht glauben. Und doch war das Loki in diesem Video. Ohne Frage. Er trug einen gehörnten, goldenen Helm und ein leuchtendes Zepter in der Hand, seine Haare waren noch ein klein wenig kürzer als sie es in Erinnerung hatte und ein zufriedenes, manisches Grinsen teilte seine Lippen, als er auf die kniende Menge vor sich herabsah. Seine Augen hätte sie unter tausenden immer erkannt; jede Linie seines Gesichtes war ihr so vertraut… Gwens Hand hatte sich selbstständig gemacht und strich über das eingefrorene Bild der Aufzeichnung, da sie die Pause-Taste betätigt hatte - unter ihrem Zeigefinger fühlte sie nicht die Hitze von Lokis Haut, als sie die Kontur seines Gesichtes nachzeichnete, sondern nur die Wärme des Bildschirmes und glattes, reizloses Glas. Als sie sich bewusst wurde, was sie da tat, zog sie ihren Finger erschrocken und beschämt zurück und stützte den Kopf verzweifelt in ihre Hände; vergrub die Finger in ihrem Haar, um etwas Wirkliches zu fühlen. Seit bestimmt fast zwei Stunden saß sie nun wieder in ihrer kleinen Wohnung in New York über dieser Videoaufzeichnung aus dem S.H.I.E.L.D Archiv, welche Loki in Deutschland, in Stuttgart, zeigte; ein Passant hatte den Auftritt des Gottes mit seinem Handy festgehalten, bevor S.H.I.E.L.D jegliches Beweismaterial konfisziert hatte. Andrew Preston hatte ihr das Videomaterial zur Verfügung gestellt, um sie von der Wahrheit seiner Worte zu überzeugen; um sie davon zu überzeugen, dass Asgard kein Platz für sie war. Sie hatten auf der Rückreise nicht wirklich viel gesprochen; Andrew hatte wahrscheinlich gespürt, dass ihr nach allem, nur nicht nach reden zumute war und sie wusste kaum, wie sie nun in seiner Gegenwart reagieren sollte - nicht nur wegen der Lüge mit der Wissenschaftlerin, auch wegen der ganzen Sache im Palastgarten Gladsheims… Er hatte ihr das Tablet mit einem traurigen, schwachen Lächeln in die Hände gedrückt, nachdem er sie nach einem langen Flug mit dem Hubschrauber bei ihre Wohnung abgeliefert hatte; seine rechte Gesichtshälfte war von einem schillernden Bluterguss überzogen gewesen - Thor hatte ihm einen Kinnhaken verpasst, nachdem Andrew sich geweigert hatte, seinen Mund zu halten. Wahrscheinlich konnte der Agent froh sein, so glimpflich davongekommen zu sein; einen Schlag des Donnergottes steckte man sicher für gewöhnlich nicht so einfach weg. Von draußen drang das Brummen der Autos gedämpft an Gwens Fenster herauf; ein Taxi hupte hektisch und von irgendwo war eine Polizeisirene zu vernehmen, während sie an ihrem kleinen, gläsernen Wohnzimmertisch saß und dem Ticken der Uhr lauschte; erneut auf die eingefrorene Szene vor sich auf dem TabletPC starrte. Ihre Wohnung war genauso, wie sie sie verlassen und in Erinnerung hatte und doch fühlte sich Gwen hier plötzlich fremd und unwohl; die geringe Größe hatte sie früher nie gestört, sondern war ihr sogar heimelig und gemütlich erschienen, doch nun wirkte alles erstickend und einengend. Die Erde; ihre Heimat fühlte sich mit einem Mal so klinisch kalt und fremd an, nachdem sie die Wunder und Schönheit Asgards erblickt hatte - alles hier war so seltsam unwirklich, da sie die letzten Tage in einer so mythischen und zauberhaften Welt verbracht, so viel Magie gesehen und Unfassbares erlebt hatte. Gwen hatte sich Trost aus einer vertrauten Umgebung versprochen, doch dieser wollte sich einfach nicht einstellen. Sie fühlte sich verloren, vermisste etwas und ihrem Unterbewusstsein war auch längst klar, was das war, nur weigerte sich ihr Kopf stur das Offensichtliche zu akzeptieren. Sie durfte Loki einfach nicht vermissen…sie konnte ihn nicht vermissen… Sie hatte es für eine gute Idee, für die einzig richtige Alternative gehalten, Andrew Preston zurück auf die Erde zu folgen, um ihren Kopf frei zu bekommen und genügend Abstand zwischen Loki und sich zu bringen, doch nun war sie bereits im Zweifel, ob diese Entscheidung wirklich die richtige gewesen war… Erneut strich ihr Finger über das Bild des Magiers auf dem Bildschirm und diesmal zog sie die Hand nicht befangen zurück; die Sehnsucht brannte wie Feuer in ihrer Brust, bevor sie zu einem eisigen Klumpen zu schrumpfen schien und sie zu ersticken drohte. Diese Gefühle waren da; sie waren real wie die Verbrechen, die Loki begangen hatte - Gwen schämte sich für diese furchtbare Sehnsucht nach einem Mann, der ihre Welt angegriffen hatte, um sie sich Untertan zu machen. Diese Sehnsucht war einfach anstößig und entsetzlich, aber nicht zu leugnen. Dieses Band, was sie seit ihrer ersten Begegnung mit dem Prinzen verbunden hatte, schien gerissen über die enorme Distanz, die sie nun trennte - Gwen fühlte sich nicht mehr vollständig, als wäre ein wesentlicher Teil ihrer selbst in Asgard zurückgeblieben. Ihr Herz hatte sie dort gelassen - in den Händen des Magiers. Die Erkenntnis traf sie erschreckend, doch nicht völlig unvorbereitet. Gwen musste sich nicht selbst belügen; die letzten Tage war sie auf dem besten Weg gewesen Gefühle für den Prinzen zu entwickeln - sich entgegen aller guten Vorsätze, Räte und eines besseren Wissens in Loki zu verlieben und nun war sie sich nicht mal sicher, ob das nicht bereits längst passiert war… Die Abwesenheit des Magiers war für sie fast körperlich spürbar; ein nagender, stechender Schmerz, der mit jedem Herzschlag heftiger zu werden schien, den sie getrennt von Loki verbrachte - als ob dieses unsichtbare Band um jeden Preis wieder zusammengefügt werden wollte. Sie fühlte sich zerrissen zwischen ihren Gefühlen und Sehnsüchten und der Vernunft, die ihr ins Gewissen schrie, dass sie den Magier vergessen musste - sie durfte keine Gefühle für diesen Mann hegen, der sich über ihre Welt als Herrscher hatte erheben wollen; der Menschen getötet und eine Armee von Aliens gegen die Erde angeführt hatte. Wenn Gwen diese Tatsache vorher gekannt hätte, dann wäre sie Loki wahrscheinlich niemals so nahe gekommen; hätte ihn niemals so nah an sich herangelassen. Doch sie hatte den Prinzen unvoreingenommen von dieser Wahrheit kennengelernt und eine gänzlich andere Seite an ihm entdeckt, die jene Bilder aus Stuttgart wie eine groteske Maskerade, wie eine skurrile Illusion anmuten ließen. Gwen erinnerte sich an ihren ersten Tag in Asgard und an diese samtige, traumhafte Stimme, die sie in den Kerker Gladsheims gelockt hatte - konnte ein Teufel die Stimme eines Engels besitzen? Sie dachte an das Winternachtsfest, an ihren Tanz mit dem Prinzen, als er sie elegant und traumhaft durch die Takte der Musik geführt hatte - konnte ein Verbrecher wirklich so sanfte Hände haben? Sie entsann sich Lokis Leidenschaft und Begeisterung bei ihrem Wettritt, seiner überragenden Intelligenz bei ihren Nachforschungen, seinem Schutz in Muspelheim, seines verstohlenen Schmunzelns, des zärtlichen Kusses im Regen… All das war Loki, allerdings auch dieser Mann mit dem goldenen Hörnerhelm, der eine Horde verängstigter Menschen in Deutschland vor sich niederknien ließ - konnte sich ein Gott ändern? Verdiente ein Gott Vergebung und das Recht auf Wiedergutmachung? Hatte nicht auch Thor Fehler begangen? Doch was war bei dem Gott der Lügen und Illusionen schon real und wirklich, was war nur Schein und Trug? Und durfte Gwen jetzt eigentlich überhaupt so selbstgerecht über ihn urteilen? Immerhin hatte sie sein Verbrechen gegen das Volk der Eisriesen auch einfach so hingenommen; sie hatte es nicht verstanden, doch sie hatte es akzeptiert. War es weniger schlimm, wenn es eine andere Welt betraf als die eigene - war es nicht überheblich und arrogant dem Angriff auf die Erde mehr Wert beizumessen als jenem auf Jotunheim? Unzählige Fragen türmten sich in ihrem Kopf zu einem Berg, dessen Gipfel sie schon längst nicht mehr sehen konnte; die vielen Gedanken drohten sie zu erdrücken und wogen schwer auf ihren Schultern - sie fühlte sich wie Atlas, der die Last der Welt trug. Gwen wollte die richtigen Entscheidungen treffen, die richtigen Emotionen empfinden, doch Gefühle waren leider nicht immer rational und erklärbar; sie waren wirr, impulsiv, überwältigend, sodass sich eine Menschenfrau auch in jenen Gott verlieben konnte, der ihre eigene Welt angegriffen hatte. Wie sollte Gwen nur jemals wieder in ihr normales Leben zurückfinden? Könnte sie jemals weiterleben wie zuvor, nachdem sie Asgard erblickt und Loki begegnet war? Wobei „normales Leben“ ja eh kaum die richtige Bezeichnung war. Direktor Fury hatte Gwen nach ihrer Ankunft auf der Erde in einer Videokonferenz begrüßt, da er mit dem Helicarrier und den Avengers auf einem Einsatz gewesen war; der S.H.I.E.L.D Boss hatte seine Freude zum Ausdruck gebracht, dass sie sich für die Rückkehr auf die Erde entschieden hatte, bevor er die Karten offen auf den Tisch gelegt und seine Forderungen vorgetragen hatte. »Miss Lewis, wie Sie sicher schon bemerkt haben, sind Ihre Person und Intentionen S.H.I.E.L.D nun bekannt, sodass wir gar nicht lang um den sprichwörtlichen heißen Brei herumreden müssen.« Die Übertragung zu Fury flackerte kurz, bevor der Direktor wieder klar auf dem Bildschirm auftauchte, selbstsicher die Hände hinter dem Rücken verschränkt blickte er von der Brücke des Helicarrier in die Kamera. Gwen musste schlucken, da diese Pose sie augenblicklich an jemand anders erinnerte... Ihr Blick strich flüchtig über die sie umgebenden Agents, welche sie aus der Regenbogenhalle geleitet hatten und sie nun nicht mehr aus den Augen ließen. Andrew war ebenfalls unter ihnen. »S.H.I.E.L.D gibt Ihnen eine Woche, Ihre Angelegenheiten zu klären.« tönte Gwen die sachliche Stimme des Direktors aus dem Monitor entgegen. »Dann werden Sie Ihre Sachen packen und in unser Wissenschaftszentrum einziehen. Agent Preston wird Sie in dieser Woche begleiten und überwachen. Sollten Sie wider Erwarten so dumm sein und dem Daily View oder irgendjemand anderem Informationen über Asgard oder S.H.I.E.L.D zuspielen, so werde ich das erfahren und, Miss Lewis…« Der S.H.I.E.L:D Chef hatte sich nach vorn gelehnt, die Hände auf ein Geländer gestützt blickte er eindringlich in die Kamera. Auch mit nur einem Auge war sein Blick schneidend und äußerst bedrohlich. »…glauben Sie mir, Sie wollen mich nicht wütend machen. Wenn Sie sich meinen Forderungen widersetzen, werde ich dafür sorgen, dass Sie in keinem Pressehaus des Landes je wieder eine Einstellung finden. Ihre Behauptungen werden als Lügen und Verleumdungen abgestempelt und Sie selbst als übergeschnappt in die nächste Anstalt eingewiesen. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Gwen starrte entgeistert auf den Monitor; der Direktor begegnete ihrem fassungslosen Blick ungerührt, während hinter ihm die Agents und Piloten des Helicarrier routiniert ihrer Arbeit nachgingen. Nicholas Fury war wie Odin; ein Herrscher, der alles dafür tun würde, seine Welt zu schützen und genauso wie der Allvater war der Chef der Geheimorganisation durchaus in der Lage, Gwen zu vernichten. »Ich verstehe…« brachte sie krächzend heraus. Hörte dieser Albtraum denn nie auf? Nun endete sie also als Versuchskaninchen in irgendeiner S.H.I.E.L.D Einrichtung… »Wunderbar.« Direktor Fury richtete sich wieder auf und strich seinen schwarzen Mantel glatt, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte. »Dann freue ich mich darauf Sie bald bei S.H.I.E.L.D begrüßen zu dürfen. Unsere Wissenschaftler sind schon äußerst gespannt auf Ihre Person.« Damit war die Übertragung beendet. Gwen sprang von ihrem Sofa auf und riss den TabletPC fast vom Tisch, als sie zu ihrem Telefon stürmte. Sie musste einfach mit jemanden reden. Ihr Kopf war kurz vorm Bersten; sie brauchte jemanden an ihrer Seite. Jemanden, der für sie da war. Sie sollte zwar eigentlich mit niemanden sprechen, doch das war ein Notfall. Sie müsste ja nicht ins Detail gehen…S.H.I.E.L.D konnte ihr ja nicht sämtliche Kontakte verbieten. Fast schon verzweifelt wählte sie die nur allzu bekannte Nummer und lauschte ungeduldig dem Freizeichen. »Darrow.« meldete sich Ashlyns vertraute, freundliche Stimme am anderen Ende. Gwen wäre augenblicklich vor Erleichterung beinahe in Tränen ausgebrochen. Sie umklammerte den Hörer wie eine Ertrinkende ihren Rettungsring. »Ashlyn…ich bin´s. Gwen…« »Hey, Süße. Du bist wieder da?! Oh wunderbar! Und, wie war es? Erzähl schon! Ich will alles über Asgard wissen. Gibt es schnucklige Götter dort-« Ashlyns begeisterter Übermut schnürte Gwen die Kehle zu. »Ash…kannst du…kannst du vorbei kommen? Jetzt gleich…? Bitte…« hauchte sie schwach in den Hörer und ließ sich gegen die Wand im Rücken sinken, während sie die Augen schloss und sich das strahlende, hübsche Gesicht ihrer Freundin ins Gedächtnis rief. Der schwächliche, erstickte Tonfall von Gwen ließ Ashlyn alarmiert innehalten; sofort wirkte sie hellhörig und besorgt. »Hey, klar kann ich das. Was ist denn los? Du machst mir ein bisschen Angst, Honey…« »Nicht am Telefon…« bat Gwen dumpf. »Komm bitte einfach her…« Wahrscheinlich wurde die Leitung eh schon abgehört. »Okay, klar. Bin quasi schon auf dem Weg. Ich ruf mir gleich ein Taxi. Soll ich Winston mitbringen?« Bei der Erwähnung ihres geliebten Katers stiegen Gwen die Tränen unkontrolliert in die Augen. Sie vermisste sein Schnurren, sein weiches Fell… »Ja…ja, bring ihn bitte mit…« bat sie ihre Freundin. »Gut. Ich bin auf dem Weg, Liebes. Bin gleich da.« Ashlyn hatte aufgelegt und das monotone Tuten hallte aus dem Hörer in Gwens Ohr nach. Kraftlos legte sie auf und starrte ins Leere; in ihr baute sich ein erstickender Druck auf, der sich tonnenschwer auf ihre Brust legte und ihr das Atmen schwer machte. Ihre rechte Hand krallte sich in den Stoff ihres T-Shirts über ihrem Herzen. Sie musste sich beschäftigen, sonst würde sie bald eine Panikattacke überrollen oder sie würde unter der Last ihrer Gedanken verrückt werden. Ablenkung, Ablenkung… Entschlossen trat Gwen in die kleine Küche hinüber, die sich beinahe nahtlos an ihr helles Wohnzimmer anfügte und riss dort den Kühlschrank auf; viel befand sich nicht in ihrem spärlichen Vorrat und wahrscheinlich war es jetzt ein mehr als denkbar ungünstiger Zeitpunkt sich im Kochen ausprobieren zu wollen, doch sie musste sich und ihre Hände mit irgendetwas beschäftigen bis Ashlyn da war. Hektisch zerrte sie die verbliebenen Rest der noch gebräuchlichen Nahrung aus dem Kühler heraus, dann zog sie scheppernd und klirrend Töpfe aus ihren Schränken; ein unkontrolliertes Chaos aus Klängen und Formen, ein wildes Durcheinander von Geräuschen und Farben, welches ihre Gedanken überlagern sollten. Gwen versank völlig in ihren Tätigkeiten; sie schnitt Gemüse, bediente den Herd, rührte in Töpfen, ohne wirklich zu wissen, was sie da tat - es ging nur um die fortwährende Abfolge von Handgriffen, um das beständige Beschäftigen ihrer Gedanken, die sie sonst einem Sog gleich in die Tiefe ihrer Verzweiflung ziehen würden. Sie verlor jegliches Zeitgefühl, handelte völlig mechanisch, während sie wieder an Loki denken musste; ihre Gedanken kreisten immer noch um ihn wie hungrige Wölfe um ein verwundetes Tier, bereit zuzuschlagen - nur ein kleiner Moment der Unachtsamkeit und Gwen würde sich in ihrer Sehnsucht verlieren und von ihr zerrissen werden. Das Geräusch des Wohnungsschlüssels ließ Gwen fast erleichtert aufseufzen; Ashlyn besaß den Zweitschlüssel zu ihrem Reich, damit sie kommen und gehen konnte wie und wann sie wollte - in Gwens Besitz befand sich im Gegenzug natürlich auch ein Zweitschlüssel zu Ashlyns Wohnung. »Gwen? Ich bin da.« Ihre dunkelhaarige Freundin kam eilig hereingestürmt und sah sich suchend im Wohnzimmer um, bevor sie Gwen hinter der Anrichte der offenen Küche entdeckte; Ashlyn warf den Wohnungsschlüssel klappernd auf den Küchentresen und stellte den Katzentransportkorb ab, damit Winston endlich wieder in sein trautes Heim tapsen konnte. Der graue Stubentiger linste sofort mauzend aus seinem tragbaren Gefängnis, bevor er sich langsam hervorwagte. Ashlyn indes war zu Gwen in die Küche getreten und eben dabei eine Plastiktüte mit dem Logo des Chinesen um die Ecke auf einem Schrank abzustellen. »Ich hab was vom Chinesen mitgebracht. Ich kenn ja deine Kochkünste und dachte, du hast bestimmt Hunger-« Ashlyn brach mitten im Satz ab und weitete die Augen ungläubig, als sie das Chaos in der Küche erblickte, in dessen Zentrum Gwen wie der reißende Abgrund dieses Strudels stand, um den sich alles drehte. Der Wasserkocher pfiff unkontrolliert vor sich hin, Messer lagen kreuz und quer über ein Schneitbrett verteilt, um das herum sich zerstückeltes Gemüse ausbreitete wie eine groteske Masse, die arge Ähnlichkeit mit den Überbleibseln eines Massakers hatte. Die Töpfe auf dem Herd dampften und zischten beharrlich vor sich hin; über den Rand eines Topfes kochte blubberndes Wasser über. »Oh Gott…Gwen…« hauchte ihre Freundin entsetzt und schlug sich eine Hand vor den Mund, bevor sie zu Gwen herübereilte und deren rechte Hand in Augenschein nahm, die Gwen die ganze Zeit schon unter fließendes, kaltes Wasser hielt. »Was ist mit deiner Hand passiert…?!« wisperte sie zittrig. Gwen blinzelte irritiert und sah Ashlyn einen Augenblick völlig befremdet an, bevor sie langsam wieder ins Hier und Jetzt zurückkehrte; die Geräusche drangen an ihr Ohr, ebenso die Gerüche von verbranntem Fett und heißem Metall. Verwirrt sah sie auf ihre Hand hinab, die Ashlyn so entsetzt anstarrte; ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie die Finger schon eine ganze Weile unter eiskaltes Wasser hielt, um dem glutheißen Brennen Einhalt zu gebieten, welches beharrlich ihren Arm hinaufkroch. Das Leuchten hatte wieder angefangen, doch diesmal war es gänzlich anders - verzehrender, intensiver, heiß und schmerzhaft. Ihre Hand schien in Flammen zu stehen und Gwen konnte diese Macht nicht kontrollieren; Loki war nicht mehr da, um sie anzuleiten und ihr zu helfen... Ashlyn drehte das rauschende Wasser endlich ab und zückte sofort ihr Handy. »Ich werde einen Arzt rufen…du hast dich verbrannt…« stammelte sie verwirrt und konnte die Augen nicht von Gwens glühender Hand bewegen; auch Ashlyn musste sehen, dass dies keine einfache Verbrennung war. »Nein…kein Arzt…nicht…« hauchte Gwen verzweifelt und drückte die Hand mit dem Handy von Ashlyns Ohr, während sie vehement den Kopf schüttelte. »Bitte…Ash…« Kurzentschlossen barg sie ihre Hand in einem bereitliegenden Geschirrtuch und wickelte sie darin ein. Ihre Freundin sah sie irritiert und unsicher an, bevor sie das Handy doch wieder sinken ließ. In ihren warmen, braunen Augen standen Besorgnis und Ratlosigkeit. »Gwen…was ist los mit dir? Was ist passiert?« Gwen ließ das Haupt sinken und presste die Lider nach unten, um die drängenden Tränen zurückzuhalten, doch das heiße, salzige Nass strömte bereits unkontrollierbar ihre Wangen hinab. Sie schluchzte auf, presste die Hände gegen ihre Augen; das raue Geschirrtuch kratzte über ihre Wangen. Dann sank sie kraftlos an dem glatten Schrank im Rücken herab und brach auf den Fliesen ihrer Küche zitternd zusammen. Nun saß sie hier, umgeben von dem Chaos ihrer Wohnung, welches genauso gut die Trümmer ihres Lebens hätte darstellen können - alles war aus den Fugen geraten und der Boden unter Gwens Füßen weggebrochen. Ashlyn war sofort neben ihr in die Knie gegangen; ihre warmen, weichen Arme schlangen sich um Gwen und drückten sie gegen ihre Brust, während die sanften, eleganten Hände ihrer Freundin Gwen beruhigend und tröstend durchs Haar strichen. »Pssscht…alles wird gut, Süße…alles wird gut…« murmelte Ashlyn leise in ihr Haar und wiegte Gwen wie ein Kleinkind in den Armen. Ein leises Maunzen näherte sich, bevor das samtweiche Streicheln von Winstons Fell über Gwens Knöchel strich; der Kater rieb sich tröstend an ihr und seine grünen, klugen Augen blickten fragend zu ihr auf. Grüne Augen… Gwen schluchzte traurig und hob den Kater auf ihren Schoß; ihre Welt zerbrach Stück um Stück um sie herum, während sie sich in die Arme ihrer Freundin schmiegte und den schnurrenden Kater an sich drückte. Asgard Zwei Tage war es jetzt her. Zwei Tage, dass die Sterbliche Asgard verlassen hatte. Loki hatte jede Minute gezählt; unbewusst und entgegen seines Willens waren seine Gedanken zu einem Kreisel geworden, der die Menschenfrau nicht aus seiner Mitte entlassen wollte. Er musste sich auf andere Dinge konzentrieren, sollte dieser Sache gar keinen so großen Wert beimessen, doch seine sonst so klaren Emotionen und Gedanken waren überlagert von einem zähen, dichten Nebel, durch den sich sein Verstand nur schwerlich kämpfen konnte. Seitdem Gwendolyn Asgard durch den Bifröst verlassen hatte war irgendetwas anders; Loki konnte es nicht benennen, doch es brannte in seiner Brust wie eine frische Wunde, die offen und unbehandelt nach Aufmerksamkeit verlangte. Unzufrieden und harsch rieb er über den Stoff seiner Robe und versuchte sich wieder auf die Notizen auf dem Pergament vor sich zu konzentrieren. Loki saß an dem Schreibtisch in seinen Gemächern; unzählige Bücher und Folianten lagen aufgeschlagen um ihn herum, türmten sich und kreisten ihn beinahe ein wie eine schützende Mauer. Seit Stunden starrte er auf dicht beschriebene Seiten, studierte Magiesprüche und alte Legenden, um einen Weg zu finden, wie man Ymir beikommen und dessen Macht bannen könnte - bisher allerdings ohne ein wirkliches Ergebnis, was sicherlich auch seiner unkonzentrierten Art verschuldet war. Zerknüllte Pergamente lagen zerstreut um seine Füße und seinen Schreibtisch; eine seltene Anordnung von Chaos, die Loki sich in aufwallender Frustration gestattet hatte. Sonst war sein Zimmer stets ein Ort von Gleichmäßigkeit und Geradlinigkeit gewesen - genau wie der Magier selbst. Er hasste Unordnung. Lokis schlanke Finger strichen mit einem Stück Kohle über ein ausgebreitetes Pergament, um den Ablauf und die Runen für ein bestimmtes Ritual zu skizzieren; völlig versunken glitten seine geschwärzten Finger mit der Zeichenkohle über das Papier, während sich seine Gedanken bereits schon wieder selbstständig machten und in Gefilde abzudriften drohten, die der Magier ihnen nicht gestattete. Vehement und verbissen zwang er seine Konzentration auf das Pergament vor sich zurück und zog augenblicklich zischend die Luft ein, bevor er das Stück Kohle von sich warf, als hätte es sich in ein bissiges Insekt verwandelt - seine Zeichnung hatte sich ohne sein Zutun ganz eigenständig verändert, aus Runen und notierten Worten waren volle, geschwungene Lippen geworden, eine zierliche Nase war auf dem Pergament entstanden, darüber große, helle Augen, die seinen Blick aus dem Papier heraus suchten; umschmeichelt dieses vertraute Gesicht von wallendem, langem Haar, das sich wie ein Wasserfall wild und rauschend aus der Kohle und seinen Fingern ergossen hatte… Loki zog die Brauen angespannt zusammen, starrte fassungslos auf das entstandene Bild der Menschenfrau, während sich seine Finger krampfhaft in das Papier krallten, bevor er das Pergament in einer zornigen Geste zusammenknüllte und aus einer unbeherrschten Regung heraus durch den Raum schleuderte. Der Magier sprang von seinem Stuhl auf, betrachtete seine von Kohle geschwärzten Finger, die sich zittrig in die Tischplatte gruben - seine Gedanken kreisten und kreisten, waren unfähig sich auf irgendetwas zu fokussieren und das alles nur wegen dieser Frau… Wegen der verdammten Sterblichen! Sie hatte ihn zerstört! Mit ihrer verfluchten Art hatte sie ihn verändert; zerrissen und wieder zusammengefügt, wobei nicht mehr alles an seinem rechten Platz zu sitzen schien - sein Herz schmerzte, sein Kopf brummte unter seinen Grübeleien, sein Körper sehnte sich nach etwas, das er nicht benennen konnte. Weder Nahrung, noch Wein, Sonnenschein oder Ruhe konnte dieser verzehrenden Sehnsucht Einhalt gebieten… Was sie wohl gerade machte…? Ob Gwendolyn bei ihm war - bei diesem menschlichen Agenten? Sie schienen sich gekannt zu haben… Ob sie gerade in seinen Armen lag und sich über die Ungeheuerlichkeit von Lokis Taten hinweg trösten ließ? Dem Mann würde es gewiss gefallen - Loki hatte seine Zuneigung zu der Sterblichen förmlich an ihm riechen können; es in dem ungläubigen Entsetzten seiner Augen gesehen, als sich Loki mit geöffnetem Hemd von Gwendolyn erhoben hatte. Dieser sterbliche Wurm hegte Interesse an seiner Frau - an Lokis Weib! Er würde diesem Insekt jeden seiner Knochen einzeln brechen, wenn er nur einen seiner stinkenden, sterblichen Finger an Gwen legen würde… Mit einem unkontrollierten, wütenden Schrei riss Loki alle Bücher und Folianten von seinem Tisch, stieß heftig die sortierte Ordnung von dem Holz, indem sein Arm grob über die Tischplatte wischte; Papiere segelten wie flatternde, bleiche Geister durch den Raum, während die schweren, kostbaren Bücher krachend auf den Boden trafen und dort regungslos liegen blieben wie geschlagene Gegner. Loki stützte sich schwer atmend auf die Platte seines Schreibtisches. Seine Haare ergossen sich in einer wilden Flut zu beiden Seiten seines blassen Gesichtes, das ihm aus dem polierten Holz schemenhaft und gespenstisch verzerrt entgegensah. Seine Augen waren glühende, grüne Flammen in den Höhlen seines Schädels. Das Gesicht der Sterblichen tauchte in seiner Erinnerung auf und schob sich blass über das eigene, bleiche Abbild seines Antlitzes; Loki sah ihre geweiteten, fassungslosen Augen wieder vor sich, als sie die Wahrheit über ihn erfuhr. Eine Wahrheit, die irgendwann ans Licht kommen musste - Loki hätte sich in diesem Fall niemals hinter einer Lüge versteckt. Er konnte und wollte seine Taten nicht verleugnen, denn damit hätte er sein Wesen und alles, was ihn ausmachte, verraten - doch so schwächlich und erbärmlich war er nicht, dass er sich hinter einer Ausflucht vor dem Unverständnis und dem Entsetzen der Menschenfrau verborgen hätte. Es war seltsam befreiend gewesen, diese Wahrheit endlich ausgesprochen zu wissen, obwohl dem Magier bewusst gewesen war, dass dies wahrscheinlich das Ende für die Bindung zwischen Gwendolyn und ihm bedeutete; er hatte gewusst, dass sie gehen würde - dass sie mit einem unverständigen Schock reagieren würde… Hätte er vielleicht versuchen sollen, es zu erklären, anstatt ihr mit Arroganz und Kälte zu begegnen? Hätte das irgendetwas geändert? Loki hatte sich in diesem Moment selbst geschützt, wie er es schon immer zu tun pflegte; er hatte sich hinter seiner Maske aus Stolz und Hochmut verborgen, um selbst nicht verletzt zu werden - um die Enttäuschung der Sterblichen, deren Ungläubigkeit und Verzweiflung bloß nicht an sich heranzulassen. Ihm wurde bewusst, dass er diesen Tag unterschwellig bereits gefürchtet hatte, als er Gwen das erste Mal gesehen hatte - es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie die Wahrheit erfahren würde. Diese Gewissheit hatte sie beide begleitet wie bedrohliche Gewitterwolken über den Himmel zogen. Wobei der Zeitpunkt denkbar ungünstig gewesen war… Lokis Schultern spannten sich unter der Erinnerung an Gwendolyns Lippen an; fast konnte er ihr Seufzen und heiseres Keuchen wieder hören, spürte ihre warme Haut unter seinen Fingern, wo jetzt nur lebloses, kühles Holz lag… Dieser Moment zwischen ihnen war so leidenschaftlich und verzehrend gewesen, wie der Magier selten etwas erlebt hatte; seine gesamte Welt war in diesem Augenblick aus den Angeln gehoben worden, er selbst schwerelos und leicht unter ihren Berührungen und ihrem Verlangen. Ihm wurde bewusst, wonach sich sein Körper sehnte - nach Gwendolyn; nach ihrer Haut, ihrem Duft, ihrem Körper, ihrem Lachen, dem Blick aus ihren hellen Augen… Ob sie ihn jetzt wohl verachtete? Hasste? Wahrscheinlich. S.H.I.E.L.D würde gewiss sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, um sie von der Bösartigkeit des Magiers in Kenntnis zu setzen. Und wenn es die Organisation nicht tat, so würde gewiss dieser Abschaum von einem Agent dafür sorgen, der es gewagt hatte, Loki mit seiner Waffe zu bedrohen; in dessen Augen der Magier perfide Genugtuung gesehen hatte, als er Gwen die Wahrheit über Loki offenbaren konnte. Dieser Mensch hasste ihn. Loki hatte wohl ein paar seiner Freunde auf seinem Weg getötet und sich damit ganz offensichtlich sehr unbeliebt gemacht. Andrew Preston würde gewiss nichts unversucht lassen, um Loki in ein schlechtes Licht bei Gwendolyn zu rücken, damit auch der letzte Strang dieses Bandes zwischen ihnen in Flammen aufgehen würde - diese unsichtbare Verbindung lag bereits zerrissen, der Magier konnte es spüren. Über die gewaltige Distanz hinweg zwischen Gwen und ihm war das Band zerstört wurden und doch fühlte er dieses Ziehen an seinem Leib, als wolle sich sein Ende dieses Seiles wieder mit dem der Menschenfrau verknüpfen… Loki musste sie vergessen. Es gab wichtigeres zu tun. Gwendolyn war wieder in ihrer Welt - dort, wo sie hingehörte. Und er war in Asgard, wo sein Schicksal lag. Es war besser so. Das alles war nur ein seltener, verheißungsvoller Traum gewesen, der nun in der kalten Realität des Morgens zerplatzte wie eine fragile Seifenblase; das Einzige, was er bedauern konnte und sollte war die Tatsache, dass Gwendolyns Macht nun außerhalb seiner Reichweite weilte. Mehr nicht. Niemals mehr. Er hätte doch wissen können, dass für Sünder wie ihn keine Vergebung vorgesehen war - er hatte seinen Weg bewusst selbst gewählt, war sich aller Konsequenzen bewusst gewesen. Er konnte nun nicht nach etwas sehnen, dass ihm auf immer versagt bleiben würde… Die Vanen und Alben würden bald in Asgard zu einer Konferenz eintreffen und Loki sollte Ergebnisse vorweisen können; er musste sich wieder auf seine Arbeit konzentrieren, musste in seine alte Form zurückfinden. Er war Loki - der Gott des Unfugs, der Lügen und der Illusionen - und eine sterbliche Frau sollte ihm einfach den Kopf nicht so verdrehen. Er war mehr als sie und stand weit über ihr; sie konnte keine Macht über ihn haben. Sie durfte es einfach nicht. Das Geräusch der Tür ließ Loki aufblicken. Ohne Klopfen oder Ankündigung trat Thor ein, gefolgt von der Königin, die mit wehender Robe hinter dem Donnergott hereilte. Die Tür fiel hinter beiden wieder ins Schloss. Der Magier sah seinem Bruder und seiner Mutter irritiert und fragend entgegen; Thor trug einen fast tödlich entschlossenen Gesichtsausdruck zur Schau, während Frigga hinter ihm dem kaum in etwas nachstand; ihre Züge waren hoheitlich stolz und entschieden, wobei in ihren klaren Augen auch eine Sorge lag, die Loki blinzeln und sich gewarnt aufrichten ließ. Die Königin führte einen länglichen Gegenstand bei sich, der in dunkle Stoffbahnen eingewickelt und so dem Auge des Magiers entzogen war; Macht pulsierte in kraftvollen Schüben von diesem Gegenstand aus wellenartig durch den Raum - eine Resonanz, die Loki seltsam bekannt vorkam. Er sah den beiden abwartend entgegen, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, während Thor das ungewohnte Chaos um Lokis Schreibtisch verwirrt in Augenschein nahm. »Was ist passiert, Bruder…? Hier sieht es aus, als wäre ein Wirbelsturm durch deine Gemächer gezogen…« »Ich habe umdekoriert. Die Einrichtung hat mir nicht mehr gefallen.« erwiderte der Magier mit kühler Gelassenheit und hob fragend eine Braue, als Frigga und der Donnergott vor seinem Schreibtisch stehen blieben. »Was beschert mir die Ehre Eures so seltenen Besuches?« »Heimdall hat uns eben darüber in Kenntnis gesetzt, dass Garm die Grenzen Helheims überschritten hat und sich auf der Jagd befindet. Seine Spur verliert sich auf dem Weg nach Midgard…« tönte Thors unheilvoll schwere Stimme durch den Raum; die blauen Augen des Donnergottes suchten die kritisch verengten Grünen seines Bruders. Lokis Verstand schaltete sich erschreckend schnell ein und die Worte formten sogleich einen Sinn, dessen Bedeutung er nie angezweifelt hätte. Garm - der Helhund, Kreatur der Todesgöttin - wurde normalerweise nur ausgeschickt, wenn Seelen der Unterwelt entflohen waren, um diese zurückzubringen. Der Magier wusste sofort, auf wessen Fährte Hel ihre Schöpfung angesetzt hatte. »Denkst du wirklich, du kannst mich mit deinen Listen hereinlegen? Mich?! Für diese Anmaßung wirst du büßen, Loki Odinson!« Oh ja, Hel wollte ihn für seinen Betrug büßen lassen, allerdings auf anderem Wege, als er anfänglich gedacht und erwartet hatte - sie wollte sich die Seele holen, die Loki ihr vorenthalten hatte. Der Magier zuckte gleichgültig mit den Schultern und begann in betonter Ruhe die Blätter seiner Notizen vom Boden aufzulesen. »Schön. Und? Sollte mich das jetzt kümmern? Wir haben wirklich gerade andere Probleme als einen entlaufenen Köter.« antwortete Loki ungerührt, wobei seine verfluchten Finger ihn verrieten, die merklich zitterten, als er einen Stapel Pergamente auf seinem Schreibtisch ablegte und jene sorgfältig und unnötigerweise penibel zurechtrückte. »Loki!« begehrte die Königin fassungslos auf; ein zurechtweisend gesprochenes Wort. In ihren Augen schimmerte schmerzliches Unverständnis. Thor trat um den Schreibtisch des Magiers herum und packte seinen Bruder an den Aufschlägen von dessen Robe, um ihn so gegen das Holz im Rücken zu drängen. Loki blickte auf die geballten Fäuste des Donnergottes herab, bevor er ein amüsiertes Grinsen zeigte und sich von der knisternd bedrohlichen Präsenz seines Bruders weder einschüchtern noch beeindrucken ließ. »Willst du wieder Fäuste sprechen lassen, Thor? Ich meine mich zu erinnern, dass du das am besten kannst, mein Bruder.« säuselte Loki geringschätzig; genoss den Schmerz in Thors Gesicht, die Enttäuschung in dessen Augen, wenngleich er seine eigenen Empfindungen wie gebändigte Löwen im Käfig seiner Selbstbeherrschung hielt, die sich wie von Sinnen bereits gegen die Gitterstäbe warfen. Der Magier war innerlich rasend vor Sorge. »Mach mir nichts vor, Bruder.« grollte Thor warnend. »Tu nicht so, als würde dich diese Offenbarung kalt lassen. Du weißt wie ich ganz genau, was das bedeutet. Du weißt, wen Garm sucht. Spiel mir nicht den Unbeteiligten vor. Ich weiß, dass sie dir nicht egal ist…« »Und ich weiß wirklich nicht, von wem du sprichst…« begann Loki gelangweilt und tonlos, bevor ihn die Königin unterbrach, die näher getreten war. Ihre Worte ließen das Grinsen auf seinen Lippen steif wirken. »Heimdall sieht sie jetzt, Loki. Heimdall kann Gwendolyn Lewis jetzt auf Midgard sehen. Was auch immer sie zuvor von seinem Blick abschirmte, es ist weg. Und das bedeutet-« »-dass auch andere sie sehen können. Jeder kann ihrer Spur folgen und ihre Aura ausfindig machen.« beendete Loki den Satz seiner Mutter; Frigga nickte bekräftigend, Sorge in ihren edlen Zügen. Die Erkenntnis sickerte wie eisige Tropfen durch seine Venen; seine beherrschte Fassade begann zu bröckeln, das Grinsen auf seinen schmalen Lippen zu verrutschen. Gwendolyn war schutzlos auf Midgard. Weder S.H.I.E.L.D noch irgendjemand anders konnte sie vor dem beschützen, was sich dort auf die Suche nach ihr gemacht hatte; die Menschen würden gar nicht wissen, was dort über sie kam. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Malekiths Elfen der Fährte des Helhundes ebenfalls folgen würden… »Willst du dich wirklich weiter selbst belügen, Bruder?« fuhr Thor den Magier aufgebracht an und schüttelte ihn am Stoff seiner Robe. »Willst du sie ihrem Schicksal überlassen? Willst du, dass Gwen stirbt, Loki?!« schrie der Donnergott nun fast, versuchte durch pure Gewalt und forsches Auftreten in den verstockten Geist des Magiers zu dringen, wie er sonst Konflikte zu lösen pflegte. Und das funktionierte sogar; Loki zuckte unmerklich getroffen zusammen und schlug den Blick für einen Wimpernschlag reumütig nieder. Er schob die Fäuste seines Bruders von seiner Robe, bevor er sich in resignierter Gelassenheit gegen den Schreibtisch lehnte und die Hände mit seinen verfluchten Fesseln anhob. »Thor, selbst wenn ich wollte, von hier aus kann ich wirklich wenig ausrichten. Was erwartest du von mir? Vielleicht könnte ich sie mit Magie abschirmen und vor Garms Spürsinn verbergen, doch dafür ist sie zu weit weg. Und man wird mir wohl kaum einen kleinen Ausflug nach Midgard gestatten-« Der Magier hielt irritiert in seinem Redeschwall inne, als Thor vortrat und seine Handgelenke packte; die Fesseln öffneten sich leise klirrend, bevor der Donnergott sie seinem Bruder bestimmt abnahm. Loki starrte ungläubig zuerst auf seine Hände, bevor er Thor völlig perplex ansah. »Was-?« Die Königin trat nun vor und legte ihr Bündel auf dem Schreibtisch ab, bevor sie begann die Stoffbahnen zu lösen und den verborgenen Gegenstand zu enthüllen - das Zepter des Tesserakts, welches Thanos einst extra für Loki angefertigt hatte. Das konnte ja nur ein Scherz sein. Sollten sie wirklich so gutgläubig, so närrisch sein und ihn in die Freiheit entlassen, noch dazu mit seiner größten Waffe in der Hand!? Ein ungläubig aufgeregtes Kribbeln kroch durch seine Adern. »Loki…« begann Frigga nun eindringlich, suchte den Blick ihres Sohnes über das blaue Leuchten des Zepters hinweg. »Diese Sache ist größer als wir alle hier. Wir können deren Ausmaße noch nicht begreifen, doch ich weiß, dass Gwendolyn Lewis noch wichtig für uns sein wird. Du erzähltest mir, dass Skuld sie besucht hat. Sie ihr Licht nannte. Ich hatte ebenfalls Besuch von Skuld; schon vor einigen Monden suchte sie mich auf und brachte mir eine Prophezeiung. Sie sagte, dass ich das Licht niemals von deiner Seite weichen lassen dürfte, sonst wäre es dein Ende - das Ende für uns alle. Ich hielt das damals für eine Metapher für die Hoffnung, die ich in dich setzen sollte, doch jetzt glaube ich, dass Skuld ein wesentlich gestaltlicheres Licht gemeint hat. Sie sprach von Gwendolyn Lewis.« Die Königin schob das goldene Zepter über den Tisch näher zu Loki, der verwirrt mit gefurchter Stirn und zusammengezogene Brauen zwischen seinem Bruder und seiner Mutter hin und her sah. »Ich weiß nicht, welche Rolle die Sterbliche noch spielen wird, doch ich weiß mit Sicherheit, dass sie nicht sterben darf. Sie ist wichtig und es ist zwingend notwendig, dass du sie beschützt, Loki. Wir müssen endlich ihr Geheimnis lüften.« Der Magier barg das Gesicht kurz in einer Hand zwischen gespreizten Fingern, während ein manisches Kichern in seiner Kehle nach oben kroch; diese Narren. Diese gutgläubigen Narren. Waren sie wirklich so dumm all ihre Hoffnungen in ihn setzen zu wollen?! »Was sagt der Allvater denn zu eurem geistreichen Plan? Ich bin sicher, er ist wenig begeistert-« »Er weiß es nicht, Loki.« unterbrach ihn Thor. »Vater weiß nicht, dass wir jetzt bei dir sind. Bis er es erfährt, musst du bereits auf Midgard sein. Du kennst die geheimen Pfade zwischen den Welten, kannst dich vor Heimdalls Blick verbergen, der dem Allvater sonst Bericht erstatten muss. Du musst ungesehen nach Midgard gelangen.« »Ich werde es ihm erklären. Ich werde zur rechten Zeit mit Odin reden.« sprach die Königin leise, wenngleich auf ihrem Gesicht die Gewissheit stand, dass dieses Gespräch alles andere als einfach und angenehm werden würde. Zu oft hatte sich Frigga in der Vergangenheit schon für Loki eingesetzt, um noch Verständnis dafür von Odin erwarten zu können. Sie hatte Angst vor der Enttäuschung ihres Mannes. Loki wies fast anklagend auf das verführerisch daliegende Zepter, während sich die Verbindungen seiner Magie zu den Energien umher wieder herstellten, nachdem er die Fesseln endlich losgeworden war. »Haltet ihr das wirklich für klug mich nach Midgard zu schicken!? Seid ihr wirklich so närrisch zu glauben, dass ich mit dieser Macht nicht das Falsche anfangen könnte?! Denkt ihr wirklich, ich ändere mich, nur weil ihr mir plötzlich so viel Vertrauen entgegen bringt?!« stieß er in süffisantem Unverständnis aus; ein fast wahnsinniges Grinsen tanzte über sein Gesicht, das die Gutgläubigkeit seines Bruders und seiner Mutter verspottete. Von einem Moment auf den anderen erlangte er alles zurück; seine Macht, seine Freiheit, die Aussicht auf seine Rache und sein Verlangen, etwas Größeres - einen Platz - für sich zu schaffen. Und diese beiden Augenpaare, die da auf ihm ruhten, glaubten tatsächlich, dass er sich jetzt wandeln und seine Macht für die gute Sache einsetzen würde? »Nein, Loki. Du wirst nicht das Richtige tun, weil wir dir vertrauen…« begann die Königin sachlich und doch so bestimmt und ruhig, dass es dem Magier bei ihren nächsten Worten die Luft aus den Lungen trieb und das Grinsen auf seinen Lippen gefror. Er konnte ihrem wissenden Blick nur stumm begegnen. »…sondern weil du etwas für die Sterbliche empfindest. Du wirst ihr und uns allen helfen, weil sie dir wichtig ist.« Kapitel 17: New York, New York ------------------------------ New York. Big Apple. Die Stadt, die niemals schläft… Loki hätte diesen Ort mit „Vorhof zu Hel“ betitelt. Die Menschen verbanden viel mit diesem Zentrum aus Macht, Geld, Kunst und Kultur; Wörter wie Heimat, Reichtum, Armut, Erfolg, Aufstieg und Fall - ein Sündenpfuhl aus wabernder Dekadenz. Alles war in Bewegung, alles änderte sich von Minute zu Minute - nichts stand still, nichts verharrte in Demut oder Andacht über das Wunder des Lebens, der Freiheit, die den Menschen so großzügig geschenkt wurde. Alle hetzten voran, getrieben von eigenen Dämonen und Idealen, von Ehrgeiz und Besessenheit nach dem vollkommenen Leben - die Stadt wirkte wie ein tickendes, ratterndes Uhrwerk, welches mit unzähligen, winzigen Zahnrädern dem Lauf der Zeit unterlag. Die Menschen waren hektisch, als wüssten sie, dass ihre Lebenszeit nur ein nichtiger Wassertropfen in dem riesigen Meer des Universums war; nichts als Staubkörner, die ziel- und rastlos durch die Wüste ihres Seins jagten - immer auf der Suche nach etwas größerem, nach einer Bestimmung, um schlussendlich doch nur im Räderwerk des Schicksals zerrieben zu werden, ein weiterer Baustein unter vielen für heranwälzende Dünen im endlos erscheinenden Sand der Zeit. Niederlage. Dieses Wort verband Loki mit der Stadt, auf die er nun nach mehr als zwei Jahren wieder herabblickte; er stand auf dem flachen Dach eines älteren Wohnblockes, während ihm der beißende Wind der Ostküste ins Gesicht schnitt und seine Haare wie aufgepeitschte Algen in der Strömung des Meeres wirbeln ließ. Dies war der Ort, der eigentlich zum strahlenden Zentrum seines Triumphes hätte werden sollen; ein Monument seines Sieges, ein Zeichen seiner glorreichen Herrschaft - der Beginn einer neuen, glanzvollen Ära für die Menschen. Er hätte ihnen mehr geben können als ihr rastloses Suchen; hätte sie befreit von der Freiheit, welche ihre Sinne trübte und sie nur zu Dummheiten und dem Befriedigen ihrer niederen Gelüste trieb. Die Menschheit war Chaos; eine himmelschreiende Unordnung, die mit ihrem Potenzial nichts anzufangen wusste - eine Herde aus Schafen, denen der richtige Hirte fehlte, um sie ins gelobte Land zu führen. All das hätte Loki sein sollen; Anführer, Leitstern, König, Herrscher, Gott. Immerhin war es sein Geburtsrecht. »Dein Geburtsrecht war es zu sterben - als Kind, ausgesetzt auf einem gefrorenen Felsen!« Odins donnernde Stimme hallte in Lokis Erinnerung wieder wie das unheilvolle Krachen der Meeresbrandung an zerklüfteten Klippen; jene Worte trugen an seiner Substanz ebenso Stück für Stück ab wie das Tosen der Gezeiten am Gestein. Einst war sein Leben so vergänglich gewesen wie das der Sterblichen auf Midgard; seine Existenz ein Balanceakt auf Messers Schneide - die Klinge Odins Urteil. So wenig hätte gefehlt und es hätte ihn nie gegeben; der Gnade des Allvaters war er damals hilflos ausgeliefert gewesen - ausgeliefert wie ein loser Stein im reißenden Fluss der Zeit, dessen Platz der nächsten Woge unterlag, die ihn entweder mit fortriss oder an seinem Platz festigte. Er hatte gekämpft. Sein ganzes Leben hatte Loki unbewusst gegen diese Hilflosigkeit gekämpft, um sich einen Platz im Leben zu sichern, dessen Lücke nicht so einfach zu füllen wäre - unersetzlich wollte er werden, um nie mehr wie der schwache Säugling auf das Erbarmen eines anderen angewiesen zu sein; auf das man seine Existenz nie mehr einfach so auslöschen könnte, da sich seine Präsenz in die Annalen der Zeit eingegraben hätte. Er wollte weg von der Stellung des mitleiderregenden Mündels, wollte loskommen von dieser unseligen Bindung zu Odin, die dem Allvater auf immer Macht über Loki gewährt hätte. Der Magier schloss die Augen unter einem Frösteln, redete sich ein, es rühre vom schneidenden Wind her und schluckte die Bitterkeit in seiner Kehle herab, bevor er die Lider wieder hob und seinen grünen Blick auf die winzigen Gestalten unter sich schickte. Nun war die lautstark kreischende, unruhige Stadt ein Mahnmal seines Untergangs; die massenhaft glitzernden Lichter entzündete Feuer für seine gescheiterten Ziele - Fragmente seines Kampfes und seiner Suche, seiner doch so ehrbaren Intentionen, die man auf dem harten Boden der Realität zerschmettert hatte wie brüchigen Kristall. Zersplittert in tausende Scherben lag seine Zukunft vor ihm im Licht der ruhelosen Stadt, die einst den Anfang seiner ruhmreichen Herrschaft hatte bilden sollen. Geblieben war nichts außer verstreuten Erinnerungen, die ihm aus dem Sog der Großstadt entgegenschrien wie hungrige Dämonen, welche ihre zahnbewehrten Mäuler gierig aufsperrten und auf seine Gestalt lauerten; Hohn schlug ihm entgegen aus den unzähligen Geräuschen dieses hektischen Ortes, während die blinkenden Lichter spöttischem Zwinkern gleich zu ihm aufsahen und seiner Ankunft mit einem Schwall aus Abgasgestank und dem Geruch nach modrigem Hafenwasser huldigten. In der Ferne verkündete der STARK-Tower mit gleißender Aufschrift sein Recht an Beachtung. Lokis Finger verkrampften sich um das Zepter in seiner Hand, welches dem Brodeln der Magie mit einem ungezügelten Summen antwortete. Eine andere Erinnerung, doch genauso unliebsam… »Sieh dich um, Bruder! Denkst du wirklich dieser Wahnsinn endet mit deiner Herrschaft?!« Ja, das hatte der Magier tatsächlich geglaubt, doch offensichtlich hatte Thor in diesem Moment einmal im Leben mehr Weitsicht besessen als Loki. Der Donnergott hatte die Wahrheit erkannt, die sein verblendetes Herz nicht mehr hatte sehen können. War es tatsächlich Wahnsinn, was ihn antrieb? Der Gedanke behagte Loki nicht. Erschreckte ihn fast. Wahnsinn war der Beginn von Verfall und Untergang; eine Abwärtsspirale, in der man sich in wirren Gedanken und widersinnigen Handlungen verstrickte. Er war ein kluger Kopf - ein berechneter, gescheiter Geist. Der Wahnsinn stand ihm nicht gut zu Gesicht; passte nicht wie eine zu enge Maske, die das Antlitz in eisenharte Umklammerung schloss und hinter Beklemmung verbarg. Er war nicht wahnsinnig, nur getrieben von Ideen und Idealen, die andere nicht als Genialität erkannten. Doch der Schritt vom Genie zum Wahnsinn war klein und der Magier musste aufpassen, dass er sich nicht wieder in Taten verlor, die ihn am Ende kreisen lassen würden wie den Mond um die Erde; festgehalten für immer, eingepfercht in eine monotone Bahn des Schwachsinns. Loki hatte schon lang erkannt, das Thanos ihn einst nur für seine Zwecke benutzt hatte; ihn mit Versprechungen und glorreichen Zukunftsaussichten gelockt hatte, ohne das er auch nur ein Wort hinterfragt hätte - er war verzweifelt gewesen; besessen von seinem Wunsch nach einem Thron, verwirrt vom Sturz durch die eisigen Weiten des Universums. Er hätte sich wohl an alles geklammert, was Rettung vor diesem endlos erscheinenden Nichts geboten und ihm ein Ziel versprochen hätte. Sein kühler Verstand war angeschlagen gewesen und er angreifbar für die säuselnden Worte des Overlords, die Thanos gezielt eingesetzt hatte wie ein frisch geschliffenes Schwert; er hatte um die Schwäche des gefallenen Gottes gewusst und sie schamlos genutzt. Allerdings machte diese Erkenntnis das Ganze auch nicht besser - es war ein fremdes, seltsam unangenehmes Gefühl erkennen zu müssen, dass es jemand geschafft hatte, die Silberzunge zu narren. Das behagte dem Magier überhaupt nicht, auch wenn er wusste, dass Thanos ihn in einem schwachen Moment erwischt hatte. Er hätte es einfach besser wissen sollen, die Absichten erkennen, die haltlosen Versprechen hinter den lockenden Worten aufdecken müssen; gerade er - Meister in Wort, List und Tücke. Vielleicht hätte Loki dann anders gehandelt; womöglich hätte er die Erde als nicht so verlockend empfunden mit ihren kleinen, hektischen Lebewesen, die wie winzige Ameisen unter seinem Blick durch die Straßen krochen. Sie waren so schwach, so vergänglich und doch hatten sie sich als wesentlich widerstandsfähiger und entschlossener erwiesen, als er es ihnen zugetraut hätte. Vielleicht lag es an ihrer so kurzen Lebensspanne, dass sie sich so vehement an ihre Existenz klammerten und verbissen um sich und ihre kleine Welt kämpften. Sie waren so viel weniger als Götter…und doch auch so viel mehr. »Wir sind keine Götter. Wir werden geboren, wir leben und wir sterben - genau wie die Menschen.« Odins Belehrung summte erneut in Lokis Ohr wie ein lästiges Insekt, welches sich selbst durch harsche Handbewegungen einfach nicht vertreiben ließ. Waren sie wirklich nicht mehr? War Loki nicht mehr…? Sein verengter Blick schweifte über die Straße unter ihm; lärmende, bunte Autos reihten sich wie die Perlen einer Kette aneinander, während ihre Lichter wie glänzende Dolche durch die Dunkelheit des Abends schnitten. Hell erleuchtete Gebäude schmiegten sich wie Liebende dicht an dicht an den Rand der Straße, buhlten um die Aufmerksamkeit der Vorbeiziehenden, um diese mit Musik, blinkenden Reklametafeln oder köstlichen Gerüchen in ihre Eingänge und Vergnügungen zu locken. Die zahllosen Fenster der hohen Wohnhäuser waren teils gedämpft beleuchtet; hier und da erhaschte man einen Blick auf die kurze Szene eines fremden Lebens - eine Mutter fütterte ihren Säugling, ein Vater brachte seinem Sohn das Gitarre spielen bei, ein älteres Ehepaar saß beisammen beim Essen, während zwei Freunde über die Auswahl des Fernsehprogrammes stritten. Oder waren es Brüder… Sterbliche tummelten sich auf den Bürgersteigen der Stadt; einige gehetzt ihrer Wege eilend mit diesen winzigen Kommunikationsgeräten am Ohr, andere schlenderten mit Freunden lachend und scherzend durch die Gegend. Einige Pärchen waren ebenfalls unterwegs; Hand in Hand zog es sie in die Umarmung der Nacht, wo der Sterne Glanz ihr Licht bilden würde, unter welchem sie närrisch ihren Träumen nachhingen. Loki sah flüchtig zum Himmel auf; eine tiefblaue, fast schwarze Sphäre, die mit den unzähligen Sternen ihrer Galaxie gespickt war, welche kühl und beständig auf das Treiben unter sich herab sahen - stumme Zeugen, kalt und blass. Sein Haupt senkte sich wieder und ein Gedanke erwuchs in seinem Geist wie zarte Knospen einer vorwitzigen Blüte, die trotzend dem Winter ihre Triebe aus einer dichten Schneedecke schob, um der Sonne näher zu sein - Odin hatte womöglich recht. Nicht, dass Loki ihm das je gesagt hätte, doch vielleicht hatte der Allvater wirklich recht. War nicht jedes Leben im Grunde gleich und von selber Art - egal, wie lang es andauerte? Suchten sie nicht alle irgendwie nach den gleichen Dingen im Leben? Nach einem Sinn ihrer Existenz? Hatten nicht auch Götter mit den Tücken des Alltages zu kämpfen; mit Regelwidrigkeiten, Streitigkeiten, Ungerechtigkeiten? War eine göttliche Mutter so anders als eine Sterbliche? War Zuneigung nur eine Schwäche für die Menschen? Und warum - in allen neun Welten - machte er sich überhaupt Gedanken darüber? Er wusste die Antwort, bevor er überhaupt nach ihr suchen musste - wegen der Sterblichen. Wegen dem Schmerz in ihren hellen Augen, als sie die Wahrheit über ihn erfahren hatte; dieser Blick hatte ihn mehr getroffen, als er sich eingestehen wollte und verfolgte ihn nun mit diesen überflüssigen Überlegungen. »Du wirst nicht das Richtige tun, weil wir dir vertrauen, sondern weil du etwas für die Sterbliche empfindest. Du wirst ihr und uns allen helfen, weil sie dir wichtig ist.« Loki rieb sich vehement über die Stirn und schloss die Augen unter einem plötzlichen Schwall Kopfschmerzen, bevor er die Luft Midgards tief in die Lungen zog und seine Aura fliegen ließ; seine magischen Sinne bohrten sich wie Nadelspitzen in die offenliegenden Venen dieser Welt und zapften deren Energien an. Midgard war voller Magie; eine brodelnde Quelle bis zum Rand gefüllt mit wirbelnden Kräften, die ungenutzt unter der Oberfläche dieser so jungen Welt schwelten. Die Sterblichen feuerten diese durch ihre Emotionen, ihr hastiges Leben, ihre Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse an, ohne den Zugang in dieses unsichtbare Reich zu finden. Ihre Sinne waren verkümmert; keiner verweilte mehr lang genug oder konnte sich in Geduld und Disziplin üben, um die Künste der Magie für sich zu nutzen. Midgard war zu einem modernen und hoch technologisiertem Reich geworden, in welchem die Magie durch Fortschritt abgelöst wurde; die meisten Menschen glaubten nicht mehr an Übernatürliches und daher wurde jeglicher Zauber für sie einfach unerreichbar. Loki knüpfte seine magischen Verbindungen mit der Umgebung und senkte die Lider, um mit dem geistigen Auge nach jener Präsenz zu suchen, die er als Einzige zu finden erhoffte; Gwendolyn war ganz in der Nähe, das konnte er spüren wie einen zaghaften Ruck an ihrem unsichtbaren Band, doch wusste er noch nicht, wo genau sie sich gerade aufhielt. Seine Sinne schossen wie elektrische Impulse auf den magischen Leitungen durch die Straßen und Häuser New Yorks, bevor er die vertraute Aura der Sterblichen ausmachen konnte, die wie ein unmerklich heller glimmender Stern aus dem Schein der anderen Menschen herausstach. Der Magier öffnete die Augen und rollte seinen Kopf auf den Schultern, um seinen verkrampften Nacken zu entspannen, bevor er zum seitlichen Rand des Gebäudes schritt und dort die Hand hob, um eine schimmernde Sphäre in die Luft zu zeichnen; diese wirkte wie ein wässriges Vergrößerungsglas, über dessen Oberfläche zitternde Wellen zogen. Der Zauber projizierte ihm das Bild der Sterblichen, die nicht weit entfernt an einem Tisch in einem Restaurant zu sitzen schien; ihr Anblick war für Loki wie ein Nadelstich, welcher einen versteckten Nerv traf - äußerlich blieb er unbeteiligt, bewahrte sich seine strenge Besonnenheit, doch innerlich verfiel er in eine bizarre Unruhe, die er verfluchte. Das verkümmerte und verrottete Ding in seiner Brust, welches andere Herz nannten, tätigte ein paar holpernde, heftigere Schläge, bevor der Magier es in seine ruhige Gleichmäßigkeit zurückzwang. Irgendwie hatte er Gwendolyn wirklich vermisst und dabei hätte Loki niemals im Leben erwartet, dass er irgendwann eine andere Person neben sich länger dulden, geschweige denn vermissen könnte. Das Alleinsein war ihm stets als angenehm erschienen, doch ihre Präsenz war nicht nervtötend oder unangenehm gewesen, ganz im Gegenteil - er hatte es eigentlich genossen sich mit ihr zu unterhalten und über verschiedene Dinge auszutauschen, ihrer Stimme zu lauschen und das erblühende Interesse in ihren Augen zu beobachten, wenn er ihr etwas erklärt oder erzählt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war etwas ganz für ihn allein dagewesen; die Sterbliche hatte in seiner Nähe verweilt, seinen Worten gelauscht, ihn angesehen - nicht Fandral oder Thor oder irgendeinen anderen Asen. Sie hatte ihm irgendwie das Gefühl vermittelt normal zu sein - dazugehörig. Obwohl dies am Anfang sicher eher aus dem Zwang heraus geschehen war, dass Loki ihr Geheimnis lüften sollte, so hatte sich dieses Arrangement zwischen ihnen über die Zeit doch schleichend, aber beständig geändert. Der Magier hatte nicht mehr das Gefühl gehabt, dass sie seine Nähe suchte, weil sie es musste - sondern weil sie es wollte. Und das machte einen gewaltigen Unterschied aus. Sein Blick klebte wie festgenagelt an ihrem Bild. Sie war von auserlesener, besonderer Erscheinung, anders konnte er es nicht sagen. Obwohl Gwendolyn die Aufmerksamkeit nicht durch glitzernden Schmuck oder unzählige Schichten Farbe im Gesicht auf sich lenkte, wie es die menschlichen Frauen meist zu tun pflegten, so zog sie doch allein Lokis Blick als Einzige beständig auf sich. Der Reiz ihrer Gestalt lag in ihrer Natürlichkeit und Zerbrechlichkeit, unter deren Hülle eine ungeahnte Stärke schlummerte. Gwendolyn hatte ihr rotes Haar zu einem lockeren Zopf gebunden, welcher ihren schlanken, blassen Hals und ihre Schultern offen liegen ließ. Auf ihrer Nase saß die schmale, unauffällige Brille, die er an ihr schon ab und an gesehen hatte. Sie trug ein schlichtes, aber elegantes rotes Kleid, was sie in das strahlende Feuer eines Rubins hüllte - der Gegensatz zu ihrer blassen Haut war delikat und Loki verspürte für einen Moment absurde Lust danach, seine Zunge über jene Stelle an der Seite ihres Halses gleiten zu lassen, unter welcher ihr flatternder Puls lag und die sie jetzt mit der zierlichen Hand unter einer fast verlegenen Geste verbarg. Sie musste ihn spüren. Ihre Augenbrauen senkten sich kritisch und ihr Blick flog verstohlen, fast hoffnungsvoll umher, als würde sie etwas suchen; ihr Band war wieder am erstarken und wahrscheinlich fühlte sie, dass der Magier in der Nähe war. Ein Grollen erwachte in Lokis Kehle, als sich eine große, männliche Hand über den Tisch schob und Gwendolyns Finger ergriff, die in einen schmucklosen Handschuh gehüllt waren; dieser Abschaum von einem menschlichen Agenten saß ihr gegenüber - genau jener Wurm, der es gewagt hatte Loki mit einer Waffe zu bedrohen. Und nun vergriff er sich auch noch an seinem Eigentum… Der Magier hatte es ja geahnt; dieses Insekt würde wahrscheinlich nichts unversucht lassen, Gwendolyns Aufmerksamkeit und Nähe zu erlangen. Loki konnte das Interesse und die Zuneigung des menschlichen Mannes beinahe bis hierher riechen; ein stechender, beißender Geruch, der dem Zepter in seiner Hand eine äußerst verlockende Schwere verlieh. Dieser Kerl wollte sich zwischen Gwendolyns Schenkel graben, ihr rotes Haar auf seinem Kopfkissen ausbreiten, ihre Stimme in ungeahnte Höhen treiben, auf das sie seinen Namen keuchen und stöhnen würde… Obwohl der Agent seine niederen Instinkte gut hinter der Fassade seiner höflichen Zurückhaltung und wohlerzogenen Manieren verbarg, so war er am Ende doch auch nur ein Mann und Loki konnte ihm seine Träume und Gelüste ansehen, als hätte man dem Kerl eine dieser blinkenden Werbetafeln auf die Stirn genagelt. Mit einer unwirschen Handbewegung ließ der Magier die schwebende Sphäre verschwinden und wirbelte unter dem kühlen Rascheln seines ledernen Mantels herum, um nun die schmalen Stufen am Rand des Gebäudes herabzueilen. Das Zepter des Tesserakts verschwand unter einer verschlungenen Bewegung seiner Finger in den Grenzen der Dimensionen; Loki schob es zwischen die aufgebauschten Falten der Energien und verbarg es somit vor allen Blicken, um es ungesehen immer mit sich führen zu können. Es wurde Zeit, dass er sich in dieses Spiel wieder mit einbrachte. Der Magier wurde in seinem Weg von einer Gruppe jugendlicher Menschen gebremst, die sich in der dunklen Gasse an der Seite des Gebäudes versammelt hatten; eine Horde abgehalftert aussehender, junger Menschen hatte sich um einen etwas schmächtigeren Jungen aufgebaut - der starrte mit großen, ängstlichen Augen in die Runde und drückte sich an die Mauer im Rücken, seinen Rucksack wie ein Schutzschild an die Brust gepresst. Der scheinbare Anführer der Gruppe löste sich aus der Wand seiner Anhänger und stiefelte gemächlich auf sein sicheres Opfer zu, eine Hand in den Taschen seiner tiefsitzenden, weiten Hose vergraben, während die andere spielerisch ein Klappmesser durch die von Zigarettenrauch vergilbten Finger wandern ließ. Der Aufrührer trug seine Haare bunt und teils bis auf die Kopfhaut rasiert; in seinem Gesicht schimmerten unzählige Ringe und Stecker neben dem verräterischen Glanz von illegalen Substanzen in seinen dunklen Augen, die unter schweren Lidern auf den ängstlichen Jungen herabsahen - die ganze Erscheinung ein erhobener Mittelfinger gegen die Normen. Sein Shirt, das in bunten Lettern ein eindringliches „Thor sucks“ nebst einer äußerst treffenden Karikatur des Donnergottes verkündete, zauberte ein amüsiertes Schmunzeln auf Lokis Lippen. Nicht alle Sterblichen schienen begeistert von ihren neuen Helden zu sein; die Avengers hatten offensichtlich nicht nur Anhänger in ihrem eigenen Reich. Wahrscheinlich empfanden es einige als seltsam befremdlich, dass sich maskierte und kostümierte Rächer als die Retter der Welt aufspielten. Das war doch wahre Dankbarkeit - da bewahrte man diese kümmerliche Welt vor ihrem Untergang und musste sich dann als Objekt für Schimpf und Schande auf einem Kleidungsstück wiederfinden; die Menschen waren wirklich ein absonderlicher Haufen, welcher sich wahrscheinlich irgendwann nur selbst zugrunde richten würde. Die Jugendlichen hatten den Magier noch nicht bemerkt, der im Schatten des Gebäudes verweilte; Loki hatte eigentlich keine Zeit für Verzögerungen und wollte seinen Weg gerade unbemerkt fortsetzen, doch der Anblick des zitternden Jungen mit dem dunklen Haar und den furchtsam geweiteten, grünen Augen rührte etwas in ihm an, was Loki für längst gestorben und begraben erachtet hatte. Er hielt erneut im Schritt inne und verkrampfte die Kiefermuskeln, bevor er sich der Gruppe Jugendlicher eher widerwillig wieder zuwandte. »Sicher hast du doch ein bisschen was interessantes in deiner Tasche, nicht wahr?« säuselte der ernannte Anführer der Jugendgruppe gerade auf den bedrängten Jungen herab und ließ sein schimmerndes Messer bedrohlich vor dessen Augen auf und ab gleiten. Der dunkelhaarige Junge starrte die Klinge entsetzt an und folgte jeder Bewegung wie hypnotisiert mit seinem Blick. »Meine Jungs und ich haben nämlich Hunger, weißt du? Ich will ein paar Scheine sehen, klar?« Der Aufrührer wollte dem kleineren Jungen das Messer gerade in einer nachdrücklichen Geste gegen die Kehle drücken, als sich die Klinge plötzlich in einem Schimmern veränderte; aus dem Metall schälte sich eine lange, giftgrüne Schlange, die sich bedrohlich zischelnd in der Hand des Jugendlichen wandte. Der bunthaarige Junge stieß einen halb angewiderten, halb entsetzen Laut aus und wollte das Tier abschütteln, doch das Reptil schlängelte sich entschlossen seinen Arm hinauf und animierte den eben noch so lockeren Anführer zu fast mädchenhaften Schreien, während er panisch zurückstolperte und sich seiner Gruppe zuwandte. »Nehmt mir das verdammte Vieh ab! Nehmt es weg!« Seine Freunde wichen schockiert zurück und sahen sich ratlos an; niemand machte Anstalten, dem Anstifter zu helfen - vor allem nicht, da der Rest der Gruppe gerade feststellen musste, dass sich ihre Schlagringe, Ketten und Messer ebenfalls in Reptilien, Spinnentiere und Insekten verwandelt hatten. Einem kreischenden Jungen krabbelte eben eine faustgroße Spinne aus der Brusttasche seiner Weste, einem anderen kroch ein bedrohlich weißer Skorpion unter den Ausschnitt seines Shirts, während sich ein anderer Jugendlicher gerade einer riesigen Gottesanbeterin erwehrte, die über sein Haar kletterte. Loki beobachtete das Spektakel mit eben erwachter diabolischer Freude aus dem Schutz der Dunkelheit, während sich die Gruppe der Jugendlichen in die Nacht verteilte; Menschen waren wirklich so leicht hinters Licht zu führen. Ein Wink seiner Hand genügte und in einem weiteren Erglühen der Luft materialisierte sich die imposante Illusion Thors am Ende der Gasse, um sich vor dem Anführer der Jugendlichen aufzubauen, der als letzter aus der Straße fliehen wollte. Der Junge hatte die Schlange endlich von sich geworfen, die auf dem harten Asphalt wieder als leblose Klinge scheppernd auftraf, bevor er sich nun unvermittelt dem Donnergott gegenübersah, der ihm mit seiner breiten Gestalt den Fluchtweg versperrte. Thor senkte den Blick missbilligend auf das Shirt des Jungen, der dem Fokus des Gottes mit erbleichten Zügen folgte, bevor der mächtige Hüne ein breites Grinsen zeigte und Mjölnir schwang. Folglich gab Loki dem Jugendlichen einen weiteren Grund seinen Bruder schrecklich nervig zu finden - spätestens nachdem der Hammer des Donnergottes mit seinem Ego und seinem Kopf kollidiert war, sollte er Thor wirklich gar nicht mehr leiden können; der Junge flog in hohem Bogen wieder in die Gasse zurück und landete ohnmächtig auf einem Haufen stinkender Müllsäcke. Das perfekte Lager für diesen Wurm, der später wohl mit mächtigen Kopfschmerzen erwachen würde. Midgard bot noch immer so viele Möglichkeiten der Unterhaltung. Ein selbstgerechtes, ehrlich belustigtes Grinsen teilte die Lippen des Gottes in der Dunkelheit; einem aufmerksamen Beobachter wäre womöglich das Aufblitzen von Reihen weißer Zähne in den Schatten aufgefallen, nebst den schalkhaft leuchtend grünen Augen - nur weil er mit einer Mission hierher gekommen war hieß das noch lange nicht, dass er seinem Naturell abschwören musste. Und Loki hatte auch schon eine ungefähre Ahnung davon, wie er einen Teil seiner Rache doch noch bekommen könnte, ohne seine Aufgabe aus den Augen zu verlieren. Sie hatten ihn nicht gezähmt. Der Gott des Unfuges würde sich niemals zähmen lassen; dumm waren sie - Thor und Frigga - wenn sie das wirklich glaubten. Er ließ die Illusion seines Bruders in einem Flackern verschwinden und sah zu dem bis eben bedrängten, dunkelhaarigen Jungen hinüber, der das ganze Spektakel regungslos und ungläubig mit angesehen hatte; jetzt wagte er vorsichtig einen Schritt weg von der schützenden Wand im Rücken, sah einmal die Gasse hinauf und hinab, bevor er sich mit zittrigen Beinen ins Licht der befahrenen Straße rettete. Heute war dein Glückstag, Junge… Der Magier trat nun ebenfalls aus den Schatten und hüllte seinen Körper in das seichte Schimmern von Magie; er legte eine Illusion über seine Gestalt und veränderte sein Aussehen, um nicht aufzufallen - und um ein wenig Spaß zu haben. Denn mit ein paar Personen auf dieser mickrigen Welt hatte er noch ein paar Rechnungen zu begleichen… Ein selbstgerechtes Grinsen voller Vorfreude spielte um seine Lippen, als er nun in der Gestalt eines anderen aus der Gasse trat; ein Grinsen, was sich in ein eher schüchternes, unsicheres Lächeln veränderte, welches einfach besser zu seinem neuen Gesicht passte, als eine Gruppe junger Frauen an ihm vorbeilief. Sie musterten ihn eingehend und interessiert, bevor sie die Köpfe zusammensteckten und aufgeregt tuschelten, während sie zu ihm zurücksahen und offensichtlich seine Kehrseite einer näheren Inspektion unterzogen. Loki ließ eine Hand durch seine nun braunen Locken gleiten und setzte seinen Weg mit einem Hauch von erwartungsfroher Ungeduld fort. Die Musik des kleinen, exklusiven Restaurants perlte an Gwen vorbei wie seichte Wassertropfen; ebenso wie die Worte von Andrew, dem sie seit geraumer Zeit nur noch mit halbem Ohr zuhörte. Sie wusste, dass das wahrscheinlich alles andere als höflich und angebracht war, vor allem da ihr der Agent die letzten Tage über so zuvorkommend und freundlich zur Seite gestanden hatte und gerade von dem Wissenschaftszentrum erzählte, in welchem sie bald untergebracht werden sollte. Selbst die Angelegenheit um die Lüge der Wissenschaftlerin schien ihn eher amüsiert als aufgeregt zu haben; zumindest nahm er ihr die Sache wohl nicht übel. Doch ihre Gedanken bewegten sich in beharrlichen Kreisen in ihren eigenen Umlaufbahnen, die ganz überraschenderweise immer das gleiche Zentrum besaßen - einen dunkelhaarigen Gott mit hypnotisch grünen Augen. Gwen hatte Mühe, ihr Leben einfach so weiter zu leben, nachdem sie aus Asgard zurückgekehrt war; das alles hier fühlte sich so dumpf und verwaschen als, als würde sie sich die ganze Zeit durch eine dichte Wand aus Nebel kämpfen, die Menschen und Begebenheiten um sie herum nur blasse, dumpfe Schemen, die sie kaum wahrnahm. Ashlyn hatte sie grob von den Geschehnissen in Asgard erzählt - natürlich hatte sie sich vorher die Zustimmung von Andrew einholen müssen - doch mit irgendjemanden hatte sie einfach reden wollen; Loki hatte sie zwar erwähnt, allerdings hatte sie die Geschehnisse um New York bewusst aus ihrer Geschichte weggelassen. Ashlyn war es auch gewesen, die Gwen zu diesem Essen mit dem Agent überredet hatte, nachdem dieser ihr vorsichtig seine Einladung unterbreitet hatte; eigentlich hatte Gwen überhaupt keine Lust gehabt auszugehen, schon gar nicht mit einem Mann, doch Ashlyn war der Meinung gewesen, dass ihr Abwechslung ganz gut tun würde, damit sie sich endlich diesen Gott aus dem Kopf schlagen könnte. Als ob das so einfach wäre… »Es ist wirklich nett dort, Gwen. Die Einrichtung wirkt nicht wie eine Klinik oder ein Gefängnis, was du wahrscheinlich erwartest und befürchtest. Ich weiß, dass du Bedenken hast, aber die sind völlig unbegründet. S.H.I.E.L.D wird sich gut um dich kümmern. In unserer Anstellung befinden sich einige der besten Ärzte und Wissenschaftler des Landes, du wirst also in guten Händen sein.« versicherte ihr Andrew gerade voller Überzeugung mit seiner sanfter Stimme, während er die Serviette über seinen Schoß breitete, da man ihnen eben ihre Vorsuppe brachte. Er sah heute Abend so ehrenhaft und gut aus wie immer; gekleidet in einen schwarzen Anzug mit edler Krawatte zog er mit seinen strahlend blauen Augen und den von einem leichten Drei-Tage-Bart beschatteten, markanten Zügen einige Blicke der anwesenden, weiblichen Gäste auf sich. Gwen spürte, dass hinter Andrews Freundlichkeit und ehrlichen Fürsorge nicht nur die Anweisung von Direktor Fury steckte, doch wo sie sein zaghaftes Interesse in Asgard geehrt und gerührt hatte, brachte sie dieses nun eher in Verlegenheit. Sie mochte Andrew - trotz des Vorfalles in Asgard, für den er schon genug Rügen von seinem Boss hatte einstecken müssen und der Gwen im Nachhinein mehr als nachvollziehbar erschienen war - doch sie konnte nicht einmal einen kleinen Funken jenes brennenden Begehrens für den Agent aufbringen, welches sie für einen gänzlich anderen Mann empfand… Und das Ganze wurde auch nicht gerade besser durch die Tatsache, dass ihre Gedanken eben jenem Mann galten, der Andrews besten Freund umgebracht hatte. Himmel, Gwen schämte sich wirklich für ihre Gefühle, aber abstellen konnte sie diese deswegen auch nicht; sie wusste, dass es moralisch völlig verwerflich war, was sie empfand und sie hatte wahrlich versucht den Magier für das zu hassen, was er getan hatte, aber die Wahrheit war - sie konnte es einfach nicht. Nicht, nachdem sie einen gänzlich anderen Loki in Asgard kennengelernt hatte. Gwen wartete, bis der Kellner gegangen war, dann griff sie nach ihrem Löffel und begann eher mechanisch als wirklich hungrig zu essen. »Wie erfreulich. In guten Händen gefangen. Das macht die Sache natürlich wesentlich besser…« murmelte sie sarkastisch und verbrannte sich als Strafe dafür an ihrer Suppe die Zunge. Bevor der Agent schon zu rechtfertigenden Worten ansetzen konnte, fuhr sie einfach fort: »Wer wird eigentlich für meine Ausfälle aufkommen? Wer wird meine Wohnung bezahlen, wenn ich nicht arbeiten gehe? Und vor allem, wer wird mir meinen verlorenen Job entschädigen? Ich glaube kaum, dass mein Chef monatelanges Fernbleiben einfach tolerieren wird…« »S.H.I.E.L.D wird für all deine Unannehmlichkeiten aufkommen und sich um deinen Job kümmern. Dir wird kein Schaden entstehen.« sprach Andrew; sein Tonfall sollte wohl etwas beruhigendes innehaben, doch Gwen kam nicht umhin wütende Resignation bei seinen Worten zu empfinden. Es beruhigte sie keinesfalls, dass S.H.I.E.L.D plötzlich solche Macht über ihr gesamtes Leben ausübte; konnte sie eigentlich noch irgendetwas selbst entscheiden? Sie wusste, dass es Andrew nur gut mit ihr meinte, so wie er sich die letzten Tage um sie gekümmert und ihr geholfen hatte, ihre Angelegenheiten zu regeln, doch der schale Nachgeschmack bei der ganzen Sache blieb einfach. Das Wort „Versuchskaninchen“ rollte immer wieder wie ein quietschbunter, aufgeregter Flummi durch ihr Hirn und verursachte ihr Kopfschmerzen. Außerdem fürchtete sie sich vor Nicholas Fury, der ihr wie ein drohender Schatten erschien, welcher sich plötzlich über ihr Leben gelegt hatte; der Direktor war - milde ausgedrückt - nicht gerade erfreut darüber gewesen erfahren zu müssen, dass Gwen in Asgard offenbar innigen Kontakt mit dem Gott gepflegt hatte, der vor zwei Jahren ihre Welt angegriffen hatte. Wahrscheinlich käme da noch einiges an Verhören auf sie zu… S.H.I.E.L.D war natürlich sehr interessiert daran, was in Asgard und den anderen Welten vor sich ging und Gwen war im Moment die Einzige, die wusste, was dort passierte. Allerdings hatte sie keine große Lust, Fury Rede und Antwort zu stehen; sie mochte den Direktor nicht und diese Abneigung beruhte ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Und nicht nur das… Diese seltsame Kraft in ihr spielte irgendwie verrückt und das Leuchten ihrer Hand hatte in den letzten Tagen nicht mehr aufgehört, weswegen sie jetzt mit halblangen Handschuhen hier saß, welche das Schimmern unter ihrer Haut verbargen. Zum Glück passte sie damit zur edlen Einrichtung des Restaurants und keiner sah sie deswegen seltsam an. Und natürlich war da auch noch Loki… Sie bekam ihn einfach nicht aus ihrem Kopf; ihre Sehnsucht war wie ein unermüdlich schwelendes Feuer in ihrem Inneren, welches sich einfach durch nichts ersticken ließ. Ashlyn vermutete eine vorübergehende Vernarrtheit in jenen Mann, der ihr so oft das Leben gerettet hatte; eine Besessenheit, die irgendwann vergehen würde. Doch Gwen war in dieser Sache ganz und gar nicht Ashlyns Meinung - diese beharrliche, beinahe erdrückende Sehnsucht fühlte sich nicht vorübergehend an; Gwen konnte sich nicht vorstellen, dass die Zuneigung zu Loki einfach in den nächsten Tagen verschwinden würde wie eine hartnäckige Erkältung. Gwen wollte das auch gar nicht; diese Verbindung zu dem Magier fühlte sich besonders an, einzigartig - auch jetzt noch, wo sie durch so viele Meilen kalten, leeren Weltraums getrennt waren. Sie wollte diesen Zauber nicht missen, auch wenn das hieße, dass sie ihr Leben lang mit diesem verzehrenden Sehnen leben müsste; sie klammerte sich wie ein Kind an eine Ballonschnur, die aus ihren Fingern zu rutschen drohte, um in unerreichbare Höhen zu verschwinden. Dieses Band zwischen dem Prinzen und ihr - sie konnte es einfach nicht los lassen, obwohl es wahrscheinlich das Beste wäre, damit sie nicht den Boden unter den Füßen verlor. Doch sie hielt es egoistisch fest, denn immerhin war es ihre einzig gebliebene Verbindung zu Loki, die sie sich bewahren wollte. Gerade heute hatte sie das seltsame Gefühl, dass ihre Verbindung am erstarken war und sich die Enden wieder fest miteinander verknüpften; beinahe fühlte es sich an, als wäre Loki ganz in der Nähe, als würde sein Blick auf ihr weilen, doch das war schlichtweg unmöglich. Ein Kribbeln zog die Seite ihres Halses hinauf; ein heißer, prickelnder Schauder, der sie die Beine unruhig überschlagen und eine Hand zu der entblößten Seite ihres Halses heben ließ. Verstohlen sah sie sich in dem kleinen Restaurant um, der absurden Hoffnung folgend, dass ihr Blick jenen von zwei grünen Augen kreuzen würde. Doch natürlich entdeckte sie den Magier nirgendwo zwischen den gemütlichen Nischen, in die sich perfekt hergerichtete Tische schmiegten und an denen unzählige, exklusive Gäste ihr Abendessen einnahmen. Das Licht war dezent gedämpft, sodass auf jedem blütenweißen Tischtuch schlanke Kerzen zu ihrer Aufmerksamkeit kamen. Die Wände waren bis zur Hälfte mit dunklem, edlem Holz vertäfelt, darüber große Spiegel, die dem eher kleinen, länglichen Raum mehr Tiefe verliehen. Ein kleiner, verspielter Springbrunnen bildete das fast schon exotische Herzstück des Restaurants; leises Plätschern verband sich mit der unaufdringlichen, ruhigen Musik im Hintergrund. Eine kleine, blank polierte Tanzfläche schmiegte sich nahtlos an den Essensbereich an; vereinzelte Paare wiegten sich dort gemächlich im Takt der sanften Klänge. Die gehobenen Kreise New Yorks bewegten sich hier, den ganzen teuren Uhren, Kleidern und Schmuckstücken nach zu urteilen und Gwen fühlte sich nicht zum ersten Mal an diesem Abend im Rahmen dieses Etablissements ein wenig unwohl. Irgendwie passte sie mit ihrer eher schlichten Erscheinung nicht wirklich ins Bild dieses feinen und superteuren Restaurants. Eine warme, schwere Hand griff plötzlich nach ihren Fingern, die sie unmerklich um die bereitliegende Gabel geschlungen hatte; Gwen wandte ihren Blick wieder dem Agent zu, der sie recht besorgt ansah. »Alles in Ordnung? Du wirkst ziemlich abwesend…« raunte Andrew einfühlsam; seine blauen Augen vermittelten ehrliche Aufmerksamkeit. Prompt fühlte sich Gwen ertappt und furchtbar schlecht, da sie ihm nicht das gleiche Interesse zukommen ließ, wie er es eigentlich verdient hätte, weil ihre Gedanken schon wieder zu Loki abgedriftet waren. »Ja…ja, ich habe nur über etwas nachgedacht…« versuchte sie die Situation halbherzig zu retten und schenkte dem Agent zumindest ein ehrlich entschuldigendes Lächeln, während sie die Hand von der noch immer kribbelnden Stelle an der Seite ihres Halses wieder sinken ließ. »Ist es wegen diesem Leuchten? Du machst dir Sorgen deswegen, hm?« Andrews sanfte Finger strichen vorsichtig über den glatten Stoff ihres Handschuhs, während sein Blick ihren festhielt. »Hast du noch immer Schmerzen?« In den letzten Stunden hatte das heftige Brennen glücklicherweise endlich nachgelassen, welches Gwen zuvor fast jeden Nerv geraubt hatte; anfangs war es nur ein verhaltenes Prickeln unter ihrer Haut gewesen, was sich jedoch rasch in einen hässlichen Schmerz verwandelt hatte, der zwar nicht stark, durch seine Ausdauer jedoch wirklich zermürbend gewesen war. Ihre Hand hatte sich angefühlt, als hätte sie ihre Finger in einem Meer aus Brennnesseln gebadet. Gwen schüttelte den Kopf. »Nein, es geht schon wieder. Es hat jetzt endlich aufgehört.« beruhigte sie den Agent und entzog ihm mit einem leichten Lächeln vorsichtig ihre Hand unter dem Vorwand, ihre Serviette zurechtrücken zu müssen. »Solang es nicht schlimmer wird, ist es auszuhalten.« »Wenn du möchtest, dann können wir auch schon früher aufbrechen. Es ist eh schon alles für dich vorbereitet-« begann Andrew fürsorglich, doch Gwen unterbrach ich sofort in seinen Worten, fast schon ein wenig zu barsch. »Nein.« Etwas ruhiger fügte sie an: »Es geht schon. Danke Andrew, aber ich glaube, ich möchte meine letzten Tage in Freiheit noch genießen…« Der Kellner unterbrach ihr Gespräch, indem er ihre leeren Suppenteller abräumte und dann die Hauptspeise brachte. Gwen nutzte die Pause, um einen kräftigen Schluck von ihrem schweren Rotwein zu nehmen. Sie wusste zwar, dass sie Alkohol mehr schlecht als recht vertrug, doch irgendwie benötigte sie gerade dieses wattige Gefühl im Kopf. »Gwen, du bist keine Gefangene…« begann Andrew, nachdem der Kellner wieder verschwunden war und sie mit ihrem Essen alleingelassen hatte. Zögerlich griff er nach seinem Besteck, ließ sie dabei jedoch nicht aus den Augen. »Das habe ich in letzter Zeit irgendwie öfter gehört…« murmelte sie bissig über den Rand ihres Glases, bevor sie seufzte und den Agent entschuldigend ansah. »Tut mir leid, ich…es ist alles nur so schwierig, verstehst du?« Sie stellte da Glas wieder ab und beschäftigte ihre Hand damit, das teure Kristall zwischen den Fingern zu drehen. »Erst die ganze Aufregung in Asgard. Der Angriff dort. Diese verdammte Kraft in mir. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Tagen dem Tod gerade so entkommen bin…und nun kommt auch noch S.H.I.E.L.D und will mich wie ein Versuchskaninchen wegsperren, obwohl ich gerade eigentlich nichts mehr als meine Ruhe will…« Gwen hob eine Hand und rieb sich müde über das Gesicht. Die letzten Tage hatte sie nicht gerade gut geschlafen. Andrew sah sie mitfühlend an. »Ich weiß. Ich kann dich verstehen. Doch ich kann dir auch versichern, dass du bei S.H.I.E.L.D sicher sein wirst. Bessere Ärzte und Wissenschaftler wirst du nirgendwo finden. Wenn dir jemand helfen kann, dann wir. Vertrau mir. Wir werden das Problem mit deiner Kraft lösen und das wieder unter Kontrolle bringen, das verspreche ich dir.« »Kannst du mir auch versprechen, dass S.H.I.E.L.D diese Macht nicht für sich nutzen will?« Sie sah wieder zu dem Agent hinüber und ertappte ihn so beim verräterischen, flüchtigen Senken seines Blickes. Damit war ihr alles klar… »Niemand wird dich zu irgendetwas zwingen. Das kann ich dir versprechen. Aber diese Kraft, die in dir wohnt…alles was du erzählt hast…« Er ließ sein Besteck kurz sinken und kaute angespannt auf der Innenseite seiner Wange, bevor er sie wieder ansah. »Gwen, du könntest so viel bewirken. So viel Gutes tun...« Sie würde lügen, wenn sie nun behaupten würde, nicht selbst schon über diese Möglichkeiten nachgedacht zu haben. Doch sie hatte noch immer Angst. Angst vor dieser Macht in ihr, die irgendwie zu groß für sie erschien. Angst vor den Veränderungen, die diese Kraft womöglich mit sich brachte. Am Ende wollte sie einfach nur wieder stinknormal sein und ihr stinknormales Leben zurückhaben, allerdings hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass es für sie kein Zurück gab; es fühlte sich nicht an, als würde jemals alles wieder einfach und normal werden. »Du weißt nicht, wie das ist, Andrew. Du weißt nicht, wie es ist, eine unbekannte Kraft in dir zu haben, die du nicht steuern und nicht wirklich lenken kannst, die du ja noch nicht einmal erklären kannst. Es fühlt sich an, als würde mein Körper nicht mehr allein mir gehören…als wäre da noch etwas anderes, was in meinen Eingeweiden lauert wie eine Krankheit kurz vor dem Ausbruch. Ich will nichts bewirken. Ich will diese Kraft einfach loswerden, bevor sie mich womöglich umbringt. Ich hänge nämlich an meinem Leben!« Gwen hatte die Stimme am Ende ungewollt angehoben, sodass sich einige Gäste aufmerksam zu ihr umsahen. Sie schluckte ihre aufwallende Verzweiflung die Kehle hinunter und griff nun ebenfalls nach ihrem Besteck; sah verlegen auf ihren Teller, um den neugierigen Blicken umher auszuweichen. »Das verstehe ich-« »Nein, das verstehst du nicht, denn du bist nicht in meiner Lage!« zischte sie unzufrieden. »Okay, gut. Lassen wir das Thema am besten fürs Erste...« lenkte der Agent sanft ein, bevor er sich ebenfalls seinem Essen zuwandte. Die nächsten Minuten verbrachten sie somit schweigend. Gwen stocherte gedankenverloren in ihrem Essen, brachte es jedoch ab und zu fertig, zumindest ein paar Bissen in ihren Mund zu befördern, um diese mechanisch zu kauen und in ihren Magen zu zwingen. Der Appetit war ihr schon seit einer ganzen Weile abhanden gekommen und Essen diente nur noch der nötigen Nahrungsaufnahme und Selbsterhaltung. Sie erinnerte sich, dass sie ein ähnliches Gespräch bereits mit Loki in Asgard geführt hatte und fragte sich gleichzeitig, wie oft sie dieses leidliche Thema noch durchkauen musste. Loki… Gwen hätte ihn gern nach seiner Meinung gefragt und seinen Rat eingeholt, da er ihr eigentlich noch immer als der Einzige erschien, der sich wirklich mit magischen Kräften auskannte; er hätte womöglich irgendwann herausgefunden, was mit ihr los war. Hätte dieses verfluchte Leuchten womöglich unterbinden können. Allerdings hätte sie sich das wohl ein wenig früher überlegen und nicht so überstürzt aus Asgard flüchten sollen… Es war ein verdammter Fehler gewesen so schnell das Weite zu suchen; die Erkenntnis kam zu spät, aber immerhin kam sie überhaupt noch. Gwen hätte sich in den letzten Tagen für diese kopflose Handlung am liebsten ein paar Mal gern selbst geohrfeigt, denn jetzt blieb sie mit tausenden Fragen zurück, auf die sie womöglich niemals eine Antwort finden würde. Wirklich toll, Gwen - der Einzige, der dir diese Antworten geben könnte ist genau der, vor dem du so planlos geflüchtet bist. Entgegen aller Vernunft hätte sie jetzt gern mit Loki über die Ereignisse von vor zwei Jahren gesprochen; die Fragen dazu flatterten in ihrer Brust wie wilde Vögel, die ihrem Käfig entkommen wollten. Sie musste die Antworten einfach kennen; musste wissen, warum er das getan hatte. Vielleicht war sie verrückt, doch sie wollte verstehen, was ihn angetrieben hatte, um ihm…verzeihen zu können?! Gwen hatte sich bereits unzählig oft diese eine, bestimmte Frage selbst gestellt: konnte sie ihm vielleicht irgendwie, irgendwann vergeben? Konnte - durfte - es Vergebung für ein solches Verbrechen geben? Sie war sich bewusst, dass ihre Zuneigung zu Loki diese drängenden Gedanken formulierte; sie zwang, nach einer Antwort zu suchen, mit der sie sich abfinden könnte. Sie wollte etwas Gutes in dem Magier sehen und bis zu dieser haltlosen Eröffnung von Andrew war ihr das auch wirklich nicht schwer gefallen; Gwen hatte den Prinzen unvoreingenommen kennengelernt und etwas hinter seiner Fassade entdeckt, was es durchaus wert war, behütet und geschätzt zu werden. War dies nun wirklich alles verloren wegen der Ereignisse in der Vergangenheit? Tagtäglich fanden Verbrechen vor der eigenen Haustür, vor ihrer aller Nase statt; es wurde gelogen und betrogen, beleidigt und verachtet. Menschen bestohlen sich, taten sich gegenseitig Gewalt an und erniedrigten sich selbst, bis selbst vor Mord nicht mehr zurückgeschreckt wurde. Und doch gab es jeden Tag auch Vergebung; die Menschen waren nicht perfekt, aber die meisten wuchsen an ihren Fehlern, lernten daraus und kümmerten sich darum, ihre Verfehlungen wieder gerade zu biegen. Konnte ein Gott wie Loki an seinen Fehlern wachsen? Sollte man einem Gott nicht auch die Möglichkeit auf Wiedergutmachung einräumen? Hatte er sie nicht auch verdient? Erwartete man von einem Gott zu selbstverständlich Perfektion und die immer richtigen Taten? Gwen kamen die Avengers in den Sinn, gezielt Black Widow und Ironman - waren diese beiden nicht die besten Beispiele dafür, dass die Fehler der Vergangenheit nicht unbedingt auch maßgeblich für die Zukunft sein mussten? Beide hatten Schuld auf sich geladen; Tony Stark durch seine moralisch fragwürdige Waffenproduktion, Natasha Romanoff durch ihre Arbeit beim KGB als Spionin, wo sie sicher mehr als einmal umstrittene Aufträge erledigt hatte. Und doch kämpften sie nun für die gute Sache und nutzten ihre Fähigkeiten für ehrbare Unternehmungen. Aus der Perspektive eines Menschen waren Lokis Verbrechen natürlich furchtbar und schrecklich, eigentlich nicht zu vergeben, doch vielleicht musste man versuchen auch seine Sicht auf die Ereignisse zu verstehen; er war immerhin wirklich eine Art Gott und die Menschen mussten für ihn am Ende tatsächlich nichts weiter als Ameisen unter einem Stiefel sein. Jeden Tag wurden tausende von Lebewesen auf der Erde für die Nahrungsmittel- und Kleiderindustrie ermordet, deren Lebensräume für die eigenen Wohnungen und Vergnügungen zerstört, sie selbst oft als Belustigung und Zeitvertreib als Haustiere gehalten; der Mensch verschwendete schon kaum noch einen Gedanken an diese Tatsachen - begingen sie nicht ebenso Tag für Tag Verbrechen und Massenmord an Geschöpfen, die sie für weniger gebildet und klug hielten? War das gerechtfertigt, nur weil sich der Mensch über einige Lebensformen erhoben hatte? Spielten sie sich nicht auch als Götter auf…? »Andrew…« begann Gwen nun gedehnt, während sie das Gemüse auf ihrem Teller peinlich genau auf ihre Gabel spießte und dem Blick des Agents damit entging. »…mal angenommen, ich zeige mich S.H.I.E.L.D gegenüber kooperativ, meinst du, es gäbe dann eine Möglichkeit, dass ich…eventuell noch einmal nach Asgard reisen könnte?« formulierte sie betont beiläufig ihre Frage, bevor sie vorsichtig zu Andrew hinüber sah. Der runzelte die Stirn und blinzelte fragend. »Warum willst du denn…« Die Erkenntnis brach sich erschreckend schnell Bahnen in seinen blauen Augen, die augenblicklich fast wütend funkelten. »Es ist wegen ihm, oder? Du willst wegen ihm zurück, nicht wahr?!« Er musste nicht einmal gesondert erläutern, wer mit „ihm“ gemeint war - die Verachtung in diesem Wort sprach Bände - und wenn das nicht gereicht hätte, dann wäre es der unterschwellige Hass in Andrews Zügen gewesen, welcher Gwen sehr eindringlich verraten hätte, dass er von Loki sprach. Der Agent warf sein Messer in einer aufgebrachten Geste auf den Teller; das hohe, scheppernde Geräusch ließ erneut einige Köpfe zu ihnen herumrucken und bescherte ihnen mehr als einen empörten Blick. »Was willst du denn noch von dem Kerl, Gwen? Haben dir die Aufzeichnungen und Bilder von New York und Stuttgart nicht gereicht, damit du siehst, dass dieser Gott völlig übergeschnappt und gefährlich ist?! Er ist wahnsinnig!« »Das ist er nicht!« hielt sie nun ebenso impulsiv dagegen; fast alle Gäste wandten sich nach ihnen um und der Kellner hinter der Theke der Bar beäugte sie bereits kritisch und wachsam, um im Notfall wohl um ihr dezentes Verschwinden zu bitten. »Er ist nicht verrückt.« fügte Gwen nun ein wenig leiser, jedoch nicht weniger überzeugt an. Sie hatte ihr Besteck ebenfalls sinken lassen und begegnete dem recht unverständigen Blick des Agents über die Flamme der Kerze hinweg. »Er hat Fehler gemacht, das gebe ich zu. Aber wir machen alle Fehler-« »Sorry, Gwen, aber ich versuche nicht die Weltherrschaft mit Gewalt und einer Armee Aliens an mich zu reißen. Ich glaube, die Fehler der meisten Menschen beschränken sich aufs Falschparken und Lügen. Nicht viele ziehen mit Freude durch die Straßen und bringen Leute um. Und die es tun sind definitiv krank und verrückt.« Gwen wies anklagend auf das Stück Fleisch auf Andrews Teller. Es war albern, aber wo sie Diskussion nun schon führten…. »Und was ist das?!« hinterfragte sie spitz. »Ein Stück Fleisch, Gwen…« »Und dafür musste kein Lebewesen sterben?!« Andrew starrte sie ungläubig an. »Ist das dein Ernst?! Das kann man doch überhaupt nicht vergleichen! Das ist etwas vollkommen anderes!« »Ist es das wirklich…?« ließ sie die Frage im Raum hängen, bevor sie entschieden fortfuhr. »Diese Sache vor zwei Jahren…das war falsch. Dafür verdient Loki sicherlich eine Strafe. Aber er ist weder wahnsinnig, noch ist er verrückt.« Saß sie wirklich gerade hier und ergriff Partei für jenen Mann, der ihre Welt angegriffen hatte?! »Das ist also deine fachkundige Einschätzung, ja?« Andrew schnaubte und zog die Brauen spöttisch in die Höhe. »Ich glaube fast, er hat dir mit seinem Hokuspokus das Gehirn ganz schön vernebelt…« brachte er sarkastisch heraus. Gwen stieß die Luft empört aus. »Er hat überhaupt nichts dergleichen getan. Ich werde mir ja wohl meine eigene Meinung noch selbst bilden können. Du kennst ihn einfach nicht so wie ich. Loki ist nicht so, wie du ihn darstellst.« »Oh bitte…« Der Agent warf die Serviette auf den Tisch, mit der er sich eben den Mund abgewischt hatte und verdrehte die Augen in einer mühsam beherrschten Geste. »…ich weiß, er ist nur der arme, missverstandene Junge, der es ja so schlecht in seinem Leben als Gott und Prinz hatte...« murrte er sarkastisch. Andrew sah sie wieder an, beäugte sie äußerst kritisch. »Man könnte fast meinen, du empfindest etwas für dieses Monster…« »Das ist doch absurd, das tue ich nicht!« Ach wirklich nicht, Gwen?! Die Lüge - und es war eine Lüge - rollte holprig von ihren Lippen. »Und er ist kein Monster! Hör auf so von ihm zu reden! Ich denke, er verdient eine Chance. Er könnte sich geändert haben. Du bist einfach nicht unvoreingenommen-« Andrew schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ja, das bin ich wirklich nicht, denn er hat meinen besten Freund ermordet, Gwen! Da ist es ein bisschen schwierig, objektiv zu bleiben! Dieser Kerl ist Abschaum und du hast dich von ihm offensichtlich wunderbar einwickeln lassen und dich noch freiwillig unter ihn gelegt, um-« »Jetzt reicht es aber!« unterbrach Gwen ihn zornig und pfefferte ihre Gabel nun ebenfalls geräuschvoll auf den Teller, was augenblicklich den Kellner auf den Plan rief, der mit einem verhaltenen Räuspern an ihrem Tisch erschien und sich an Andrew wandte. »Sir, ich muss sie wirklich bitten, sich ein wenig zu mäßigen, sonst muss ich sie leider dazu auffordern zu gehen.« Dem Mann war die Situation sichtlich unangenehm; offenbar kam es nicht sehr oft vor, dass in diesem Restaurant den Gästen die Tür gewiesen werden musste. Der Agent holte tief Luft und richtete seine Krawatte, dann nickte er dem Kellner zu. »Wir werden uns beherrschen. Versprochen.« Der Mann schien nicht wirklich überzeugt, ließ seinen zweifelnden Blick zwischen Andrew und Gwen hin und her wandern, bevor er sich wieder hinter seine Theke zurückzog, offenbar froh diesen Part des Zurechtweisens hinter sich gebracht zu haben. Der Agent räusperte sich vernehmlich, bevor er sich plötzlich erhob. »Ich muss eben frische Luft schnappen…« Gwen sah seinem angespannten, breiten Rücken hinterher, als er sich an der Tanzfläche vorbei zum Hinterausgang schob, durch den man einen anliegenden, halbseitig geöffneten Wintergarten erreichte, in welchem das Rauchen an kleinen, gemütlichen Tischen gestattet war. Der Griff in sein Jackett ließ vermuten, dass Andrew jetzt einen der Glimmstängel mehr als nötig hatte… Ganz toll hinbekommen, Gwen. Sie sackte mit einem Seufzen auf ihrem Stuhl zusammen und vergrub das Gesicht kurz in den Händen, während der Kellner den Moment nutzte, um ihre Teller geräuschlos abzuräumen. Sie wusste doch ganz genau wie schlimm diese ganze Sache mit Loki für Andrew war; er hatte seinen besten Freund verloren, wahrscheinlich würde er dem Gott dafür niemals vergeben. Hatte sie wirklich in diesen Wunden bohren müssen, indem sie Partei für den Magier ergriff, wo sie doch genau wusste, dass der Agent noch immer zaghaftes Interesse für sie hegte - trotz des Debakels in Gladsheims Palastgarten? Offenbar war er wirklich der Überzeugung, dass Gwen von Loki durch irgendeine Art Magie gefügig gemacht worden war und er sie vor dessen Einfluss gerettet hatte; manchmal kam ihr der Gedanke, dass alles verdammt einfacherer wäre, wenn sie sich tatsächlich auf diese Lüge stützen könnte… Es war ziemlich unklug den einzigen Verbündeten, der ihr in S.H.I.E.L.Ds Reihen wahrscheinlich blieb, zu vergraulen. Doch sie konnte es auch nicht akzeptieren, dass irgendjemand so über den Magier sprach; sie wusste einfach, dass Andrews Worte nicht stimmten. Was für eine verfluchte Misere… Gwen hob das Gesicht langsam wieder aus ihren Händen; ihr Blick schweifte ziellos durch das Restaurant und begegnete einigen, noch immer verstohlenen Augenpaaren, die sie beobachteten und wohl insgeheim auf einen handfesten Skandal hofften, indem Gwen vielleicht völlig den Verstand verlor und die Einrichtung des Etablissements ein wenig auseinander nahm. In den gehobenen Kreisen mochte man solche Entgleisungen; Gwen hatte lange genug für Klatschblätter geschrieben, um das zu wissen. Ihr Aufmerksamkeit wurde von einem auf stumm gestellten TV-Gerät angezogen, welches über der Theke der Bar hing und die Abendnachrichten zeigte; gerade flimmerte die Übertragung aus einem Helikopter über den Bildschirm, welche leicht verwackelt die obere Spitze des STARK-Towers zeigte, an dessen Fassade sich ein grüner, massiger Körper im Licht der Scheinwerfer zu schaffen machte. Die ersten Buchstaben des STARK Logos hauchten flackernd ihr Licht und Leben aus, bevor das grüne Wutmonster die tonnenschweren Lettern abriss und unter offensichtlicher Freude damit nach einem hektisch herumschwirrenden Ironman schlug, der eben in der Luft aufgetaucht war und den Hulk erkennbar zu beruhigen versuchte. Ein gekonnt gezielter Treffer schleuderte den Eisenmann aus dem Bild, in welchem am unteren Rand die Schlagzeile in dicken, roten Buchstaben verkündete: „Die Avengers - Rettung oder Wahnsinn für unsere Stadt?!“ »Was zum Teufel…« murmelte Gwen, während sie die Nachrichten neugierig verfolgte. Eine weitere Sequenz wurde eingeblendet, diesmal offenbar mit einer Smartphonekamera aufgenommen; das Bild zeigte Dr. Bruce Banner, wie er in einer Starbucks-Filiale an der Theke stand. Nachdem der Kassierer ihm offenbar nicht sofort seine Bestellung lieferte, verwandelte sich der sonst so zurückhaltend wirkende Mann vor der versammelten Belegschaft in sein grünes Ich und zerstörte brüllend die Einrichtung des Kaffeehauses. Offenbar hatte da jemand ein echtes Koffeinproblem… S.H.I.E.L.D hatte seine Mitarbeiter ja gut unter Kontrolle. Das Röhren eines hochtourigen Motors riss Gwens Aufmerksamkeit von den Nachrichten los und sie drehte den Kopf wie der Rest der Gäste, um durch die gläserne Front des Restaurants nach draußen zu blicken; im einsetzenden Nieselregen durchschnitten zwei helle Scheinwerfer die Dunkelheit, bevor ein edler und sicherlich auch superteurer Sportwagen vor dem Eingang hielt. Der polierte, dunkelgrüne Lack glänzte unter den feinen Wassertropfen. Ein Angestellter des Restaurants war sofort mit einem Schirm zur Stelle, als sich die Türen des Wagens öffneten und zuerst drei langbeinige Supermodels in glitzernden Kleidern aus dem Inneren entstiegen, bevor der Fahrer selbst folgte und das war in diesem Fall kein geringerer als Steve Rogers - wohl allen besser bekannt als Captain America. Der drückte dem Angestellten seine Autoschlüssel in die Hand und legte dann jeweils einen Arm um eine der kichernden Damen, bevor sie das Restaurant betraten. Die Tür ging auf und augenblicklich veränderte sich die Stimmung in dem kleinen Lokal schlagartig; alle Blicke der anwesenden Frauen zog es wie magisch auf den eben hereinkommenden Captain - Lippen wurden instinktiv geleckt, Dekolletés verstohlen zurechtgerückt, Beine unruhig überschlagen. Jede Frau schien Rogers mit den Augen ausziehen zu wollen; Gwen sah sich mit irritiert gerunzelter Stirn um. Eine besonders blonde Schönheit an einem Tisch neben Gwen lehnte sich betont zu ihrem Begleiter hinüber, um einen ausgezeichneten Blick in ihren Ausschnitt zu gewähren, bevor sie die Aufmerksamkeit des Captains mit einem perfekten, weißen Lächeln auf sich zu lenken versuchte. Im Gegensatz dazu verhielten sich die Männer schon fast unterwürfig, als würden sie sich eines Alphatieres in ihren Reihen bewusst werden; sie senkten den Blick und sahen betont beschäftigt auf ihre Uhren oder wandten sich rasch ihrem Essen zu. Himmel, das war doch nur Steve Rogers - der zugegeben recht gut aussah- aber nicht Eros persönlich. Steve Rogers, der fast schüchterne, anständige- Gwen verschluckte sich fast an ihrem Wein und setzte das Glas unter einem verhaltenen Husten wieder ab, nachdem sie den Fehler gemacht und den Captain näher betrachtet hatte. Augenblicklich wurde ihr heiß und das lag sicher nicht an der gut funktionierenden Klimaanlage des Restaurants... Was zur Hölle war denn mit Captain America passiert? Rein äußerlich glich er noch immer dem Mann, den man aus Fernsehen und Zeitungen kannte; muskulöser, großgewachsener Körper, markante und einprägsame Züge, hellbraunes Haar…und doch war irgendwas an ihm anders. Er bewegte sich wie ein Raubtier; geschmeidig, gewandt - jeder Schritt eine Verheißung, der sicher so manche Frau hier gern gefolgt wäre. Ein Blick aus seinen fantastisch leuchtenden Augen genügte, um völlig hypnotisiert die Tiefen jeglicher verdorbener Gedanken auszuloten. Seine vollen Lippen teilten ein breites, selbstbewusstes Grinsen und eine glimmende Zigarre, die ihm locker im Mundwinkel hing. Seine Aura war schneidende Sinnlichkeit, betont durch ein strahlend weißes Hemd und einen maßgeschneiderten, schwarzen Anzug, über dem er einen halblangen, dunkelgrünen Stoffmantel trug. Um seinen Hals lag ein edler Seidenschal geschlungen, der so gar nicht zu der Erscheinung des muskulösen Captains passen wollte - irgendwie passte alles an ihm nicht zusammen. Steve Rogers ließ sich mit seinen drei Begleiterinnen unweit von Gwens Tisch in einer Nische des Restaurants nieder und sogleich brachte ein Kellner der Gruppe eine Flasche Champagner, die auch prompt geköpft wurde. Das Gekicher und Gequietsche der makellosen Schönheiten an seiner Seite tönte Gwen nervenraubend im Ohr, während sie inzwischen unruhig auf die Rückkehr von Andrew wartete; verstohlen schielte sie immer wieder zu dem Tisch in der Ecke hinüber, an dem nun Dinge im Gange waren, die Gwen verblüfft erstarren ließen. Jedoch nur für einen Moment, bevor sie geistesgegenwärtig ihr Smartphone aus der Tasche zog und versteckt ein paar Bilder vom Captain schoss, der gerade dabei war sein Saubermannimage ganz gehörig zu versauen - das wäre sicher für ein paar Schlagzeilen gut. Vielleicht würde sie die Schnappschüsse irgendwann gebrauchen können. Falls sie S.H.I.E.L.D doch mal erpressen wollte… Der Rest der Gäste hing ebenso gebannt am Geschehen in jener Nische; einige Blicke waren verwirrt, andere fast entsetzt, teils aber auch amüsiert. Köpfe wurden tuschelnd zusammengesteckt. Ein Kellner schlich sich an Rogers´ Tisch heran, genau derselbe, der vorhin schon Andrew und Gwen zurechtgewiesen hatte - armer Kerl. Er flüsterte dem Captain etwas ins Ohr, was dessen Grinsen nur noch verbreiterte, bevor er dem Mann offenbar etwas erwiderte, was diesen merklich erbleichen ließ. Der Kellner nickte und zog sich umsichtig zurück. Die dunkelhaarige Frau an Steve Rogers Seite war auf seinen Schoß gerutscht und imitierte einen ziemlich eindeutigen Ritt auf seinem Unterleib, während die Blonde ihre Freundin anfeuerte und die Hände über deren Rundungen gleiten ließ. Die letzte, verbliebene im Bunde, eine hübsche Afroamerikanerin, war auf den Tisch geklettert und ließ die Hüften dort lasziv und sinnlich kreisen, während ihr eh schon knapper Minirock kurz davor war, viel zu viel zu enthüllen. Der Captain sah dem Schauspiel zwar erheitert zu, wirkte jedoch seltsam unbeteiligt von alldem; er ließ sich berühren, doch wehrte er jeden Kontakt mit rotgeschminkten Lippen entschieden ab - seine Augen schossen ruckartig zu Gwen herüber, als hätte er ihre Beobachtung gespürt; sein glimmender Blick bohrte sich förmlich in ihren und ließ sie schlucken. Diese Augen…Gwen wusste, dass sie diese Augen überall erkannt hätte, aber das war einfach unmöglich…sie musste sich irren… »Entschuldige. Es hat etwas länger gedauert…« riss sie Andrews Stimme aus ihren Gedanken; der Agent war wieder an ihrem Tisch aufgetaucht und klappte eben sein Mobiltelefon zu, bevor er sich auf seinem Stuhl niederließ. Umgehend wurde ihnen ihr Dessert gebracht. »Ich musste noch ein Telefonat führen. Es gibt ein paar Probleme bei Stark…« »Äh…ja…die habe ich gesehen…« wandte sie sich ihm konfus zu und hatte Mühe, ihren Blick von Captain America abzuziehen, bevor sie knapp auf den Bildschirm über der Theke deutete, als der Agent sie fragend ansah. »Es kam schon in den Nachrichten…« »Na fantastisch…« bemerkte Andrew zähneknirschend und rieb sich angespannt über das Gesicht, bevor er Gwen fest ansah. »Hör mal, das von vorhin tut mir leid. Ich hab vielleicht ein paar Dinge gesagt, die nicht okay waren, aber in dieser Sache kann ich einfach nicht objektiv bleiben…« Gwen schüttelte abwehrend den Kopf. »Schon okay. Ich versteh das-« Das Gekicher vom Nebentisch unterbrach Gwen und Andrew bemerkte jetzt erst den Captain; die Augen des Agents weiteten sich ungläubig und er blinzelte fassungslos. »Das darf doch nicht wahr sein…?! Sind jetzt plötzlich alle übergeschnappt?!« Aus dem Augenwinkel nahm Gwen wahr, wie sich Steve Rogers von seinem Platz unter dem protestierenden Murren der Frauen erhoben hatte und nun offensichtlich genau zu ihrem Tisch herüber kam. Sie starrte zwanghaft geradeaus und angelte nach ihrem Weinglas, als die schweren, großen Hände des Captains unvermittelt auf ihrer Tischplatte landeten. Mit einem breiten, viel zu sinnlichen Grinsen fixierte er Gwen, die nun doch zu ihm aufsah und sich vorkam wie die Maus unter dem Blick der Schlange. Nervös hob sie ihr Glas an die Lippen. Diese Augen… »Rogers?! Was zur Hölle machen Sie hier?! Was soll dieser Aufzug? Müssten Sie nicht eigentlich auf einem Einsatz sein?« zischte Andrew dem Captain aufgebracht entgegen, die Stimme bewusst gesenkt, um den vielen neugierigen Blicken umher nicht noch mehr Nahrung zu verschaffen. »Hm, möglich. Hatte keine Lust.« erwiderte Steve Rogers lapidar und besaß nicht einmal die Höflichkeit, den Agent anzusehen, der fassungslos nach Luft schnappte. Der viel zu intensive Blick des Captains war noch immer auf Gwen fixiert, die diesen Augen nicht lange standhalten konnte. Nervös sah sie zur Seite und erhaschte einen flüchtigen Eindruck der Szenerie auf einem der vielen Spiegel im Raum; sie sah sich selbst im Glas entgegen, sah Andrews breiten Rücken, doch statt Steve Rogers eine nur allzu bekannte Gestalt an dessen Stelle in den gleichen Kleidern des Captains - dunkle, kinnlange Haare mit diesen aufmüpfigen Spitzen, ein vertraut spöttisches Lächeln, unverwechselbare Augen… Das Glas in Gwens Hand verabschiedete sich aus ihren erschlafften Fingern, während sie auf ihrem Stuhl herumfuhr und ein ersticktes »Loki?!« ausstieß. Jedoch wartete sie vergeblich auf den hellen Klang von splitterndem Glas, denn augenblicklich verstummten alle Geräusche um sie herum, während sich das Grinsen auf dem Gesicht des Captains noch vertiefte. Gwen starrte ungläubig auf ihr Glas, welches im Flug eingefroren schien; der dunkle Wein halb über den Rand geschwappt, ohne das die rote Flüssigkeit das Tischtuch berührte. Über die erstarrte Kerzenflamme hinweg begegnete ihr Andrews kritischer Blick; der Agent verharrte auf seinem Platz wie alle anderen Gäste im Restaurant, als hätte jemand uhrplötzlich die Stopptaste in dieser Szene gedrückt. Das Wasser des Springbrunnens hing regungslos in der Luft, der Kellner stand eingefroren im Gang, gerade dabei, das Essen zu servieren. Die drei Frauen am Tisch des Captains blieben in ihren Positionen, die Champagnergläser an den roten Lippen. Draußen vor dem Restaurant ging das Leben seinen gewohnten Gang weiter; Passanten liefen an den mit feinen Regentropfen besprenkelten Fenstern vorbei, ohne Notiz von dem Stillstand drinnen zu nehmen. Gwen stand so ruckartig von ihrem Platz auf, dass ihr Stuhl unter der heftigen Bewegung umkippte; ein extrem lauter Knall in der sonst stummen Umgebung. Allein der Mann neben ihr unterlag diesen plötzlich geänderten Gesetzen der Physik nicht und richtete sich langsam vom Tisch zu seiner vollen Größe auf. Sie atmete hektisch ein und aus, ihr Blick glitt immer wieder fassungslos über die unglaubliche Szenerie, bevor sie anklagend den Zeigefinger in Richtung des Captains stieß. »Du…du…was hast du mit ihnen gemacht?! Sind sie tot?!« Ihre Stimme war ein peinliches, heiseres Quieken. Steve Rogers brach in amüsiertes Gelächter aus. »Obwohl ich einen Moment wahrlich in Versuchung war, aber…nein, sie schlafen nur…« Die samtige, vertraute Stimme versetzte Gwens Herz einen fast elektrischen Schlag und jagte ihren Puls erschreckend schnell in die Höhe. Unbewusst brachte sie den Tisch zwischen sich und den Captain, der eben zu Andrew hinüber trat und die Hände in einer überheblichen Geste auf den Schultern des erstarrten Agents bettete - spitze Finger legten sich nach und nach auf dem Stoff des Jacketts nieder und strichen eine imaginäre Fluse peinlich gewissenhaft beiseite. »Keine Sorge, deinem kostbaren Agent geschieht schon nichts…« War da giftige Bissigkeit in den so beiläufig gesprochenen Worten? Gwen starrte den Captain noch immer an, bevor ihr Blick flüchtig zu einem der Spiegel zurückkehrte und ihr abermals die Wahrheit offenbarte. »Loki…du bist es, oder?!« wagte sie dann vorsichtig zu wispern, wusste kaum, ob sie dieser absurden Hoffnung in sich Platz einräumen durfte. Steve Rogers hob die Hände und breitete die Hände zu beiden Seiten aus, bevor er einen Arm über der Brust niederlegte und sich gespielt theatralisch verbeugte. »In voller Größe und Gestalt…« Er sah an sich herab und hob selbstkritisch die Brauen. »Nun ja, mehr oder weniger...« Er richtete sich wieder auf und schlich um den Tisch herum. »Du hast meine Illusion durchschaut. Ich bin beeindruckt.« Gwen folgte seiner Bewegung und beließ den Tisch damit als lächerliches Schutzschild zwischen ihm und sich, obwohl sie kaum wusste, wovor sie sich eigentlich schützen wollte - vor ihm oder vor der erbärmlichen Sehnsucht in ihrer Brust, damit sie sich ihm nicht sofort an den Hals warf. »Was…was machst du hier? Wie ist das möglich…? Wie…bist du auf die Erde gekommen? Und was soll diese Maskerade…?« reihte sie verwirrt und nervös eine Frage an die andere; eine hektische Handbewegung fasste seine geliehene Gestalt ein. Ihr Verstand weigerte sich zu akzeptieren; stemmte sich wie ein bockiger Esel gegen die Wahrheit, um ihr Herz zu schützen, welches mit der Situation kaum umzugehen wusste. Er schien wohl zu bemerken, dass sie ihm auswich und blieb damit an einer Seite des Tisches stehen, wenngleich es für ihn wohl nur ein Fingerzeig gewesen wäre, diese letzte Hürde einfach hinwegzufegen. Seine Fähigkeiten waren beachtlich, beeindruckend, beängstigend mächtig. Offenbar hatte man ihm seine Fesseln abgenommen, das Tier von der Leine gelassen… Erneut sah er an sich herab. »Ich dachte, das wäre menschlicher. Ich dachte, dir würde es in dieser Gestalt womöglich leichter fallen, mit mir zu sprechen. Gefällt sie dir etwa nicht, wo sie doch so heroisch und kräftig ist, das Abbild menschlichen Edelmutes!?« säuselte die verheißungsvolle Stimme in amüsierten Spott; abermals sah er an sich herab und strich beiläufig über die Falten des Seidenschales, den dunklen Stoff seines Anzuges. Gwen schüttelte prompt den Kopf; die Antwort war schnell gefunden. »Nein. Sie gefällt mir nicht. Ich bevorzuge den echten Loki...« Sie wollte den Magier; unverfälscht und rein, keine Maskerade und Illusionen. Für einen winzigen Moment hatte Gwen das Gefühl, dass sich das spöttische Grinsen auf den Lippen des Mannes in Zufriedenheit wandeln würde, bevor die Gestalt des Captains sich in dem bekannten Schimmer der Magie veränderte. Der kräftige Körper unter den edlen Stoffschichten wurde schmaler und sehniger, dafür aber auch größer; nach und nach kamen Lokis vertraute Züge wieder zum Vorschein - die stechenden, grünen Augen, die erhabenen Linien seines Gesichtes unter adliger Blässe, die schmalen, süffisant gekräuselten Lippen, das dunkle, streng zurückgekämmte Haar… Gwen sog die Luft tief in die Lungen und krallte die Finger in den Stoff ihres roten Kleides; sein Anblick war wie ein Schock für sie - seine gesamte Gestalt eine edle, delikate und doch so gefährlich sündige Versuchung. Ihr Körper reagierte beinahe wie selbstverständlich auf seine Anwesenheit, indem sich ihr Blut unter seinem Bick erhitzte und ihre Haut in ein kribbelndes Meer aus Empfindlichkeit verwandelte. In diesem Augenblick sollte ihr das wohl gar nicht auffallen, aber…oh Gott…er sah so fantastisch aus in dieser Aufmachung; in diesem maßgeschneiderten Anzug, dem reinen, weißen Hemd, darüber dieser - natürlich - dunkelgrüne Mantel und der ausgewählte Schal. Unter seiner rechten Hand erschien eine Art goldener Gehstock, dessen blau leuchtenden Knauf Lokis lange, schlanke Finger liebkosten. »Guten Abend, Gwendolyn.« raunte er samtig. Vor kurzem hatte sie eben noch an ihn gedacht; hatte die ganzen letzten Tage und Stunden an ihn gedacht, ohne der Hoffnung zu erliegen, ihn wirklich je wiedersehen zu können und nun stand er einfach so hier vor ihr, als wäre es nie anders gewesen - als wären sie nie getrennt gewesen. Sie konnte beinahe körperlich spüren, wie sich dieses unsichtbare Band zwischen ihnen wieder zusammenfügte; fast hätte sie ein wimmerndes Seufzen ausgestoßen, welches sie durch einen beherzten Biss auf die bebende Unterlippe unterdrückte. Ihr Körper zitterte wie Espenlaub und Tränen drückten hinter ihren Lidern. Er war hier…er war wirklich hier…Himmel, sie hatte ihn so vermisst. Am liebsten wäre sie haltlos zu ihm gestürzt, um sich in seine Arme zu werfen, die Sicherheit und Schutz vor diesem ganzen Chaos versprachen, doch ein Blick auf den erstarrten Agent ließ sie zögern. So viele Dinge gab es zu klären…so viel zu fragen… In ihrem Kopf kreisten die unzähligen Fragen, Thesen, Ängste und Sehnsüchte der letzten Tage um sich selbst, ohne das sie nur einen wirklich klaren Gedanken zu fassen bekam. Der Tisch zwischen ihnen verabschiedete sich mit einem überdeutlich lauten Schaben; das Holz wich wie eine Wolke bei Sturm vor Loki zurück, der nun seelenruhig zu Gwen herüberschritt, nachdem diese Grenze verschwunden war. Sie konnte nichts weiter tun, als ihm erstarrt und ungläubig entgegen zu blicken. Er blieb unweit vor ihr stehen und sah zu ihr herab; das Leuchten seiner vertrauten Augen wieder so nah, so köstlich nah - so vernichtend nah. Gwen kamen die Bilder im Garten Gladsheims in den Sinn; Lokis Lippen auf ihren, sein Atem, seine Hände… Eine jener schlanken Hände hob sich nun und bettete sich warm und überraschend sanft auf ihrer Wange; sein Daumen strich leicht über ihre Haut und fing die salzige Flüssigkeit auf, die dort perlte. Forschend sah er auf sie herab. »Warum weinst du?« Gwen war gar nicht bewusst gewesen, dass sie das tat; instinktiv schmiegte sie sich seinen Fingern entgegen und erkannte verschämt, dass die letzte Berührung, die sie ihm geschenkt hatte, eine schallende Ohrfeige gewesen war. »Ich…weiß nicht…keine Ahnung…« Sie presste die Lider über ihre feuchten Augen, bevor sie widerstrebend eine Hand hob und die seine damit umschloss, um sie sanft, aber bestimmt von ihrer Wange zu ziehen. Er war ihr zu nah und in seiner Nähe konnte sie einfach nicht klar denken. »Loki…was…was machst du hier? Wie bist du hierher gekommen? Was willst du hier…?« wiederholte sie ihre Fragen entschieden. Der Magier beäugte ihre Handschuhe kritisch und seine Brauen senkten sich, bevor sein Kopf sich schräg legte, als würde er etwas lauschen, was nur er vernahm. Heulte da nicht ein Hund in der Ferne? »Später. Wir haben jetzt keine Zeit für lange Erklärungen. Du bist in Gefahr. Deshalb bin ich hier.« klärte er sie sachlich und mit völlig unpassender Ruhe auf. Wie konnte er nur so ruhig sein, während in Gwen die Emotionen wie in einem rasenden Sturm tobten? »Was…!? Welche Gefahr…? Was meinst du…?« stotterte sie verwirrt und sah sich augenblicklich fast gehetzt um, als erwartete sie jeden Moment einen Angriff. Gwen stieß einen erstickt erschrockenen Laut aus, als sich Lokis Arm ruckartig um sie schlang und an seinen harten Körper zog; sein Duft stieg ihr in die Nase und benebelte ihre Sinne, verwirrt presste sie die Hände auf den teuren Stoff seines Anzuges und wollte ihn damit halbherzig auf Abstand halten - ihr moralischer Verstand wollte das, ihr Körper allerdings nicht. Ihre Finger machten sich bereits selbstständig und krallten sich in das seidene Tuch um seinen Hals, als der Prinz sich zu ihr herabbeugte und sein Gesicht ganz nah vor ihres brachte. »Mach deinen Mund auf…« wisperte er befehlend und dunkel an ihren Lippen, während sich sein grüner Blick in ihren bohrte und ihren Verstand damit pulverisierte. Seine andere Hand hob sich, nachdem er den Gehstock unter seinen Arm geklemmt hatte, damit jene Finger ihr Kinn einfangen konnten. »Was…?!« hauchte sie atemlos; die Stimme nur noch ein heiseres Flüstern. Ihre Lippen kamen seiner Anweisung beinahe augenblicklich selbstständig nach und öffneten sich unter der zittrigen Erwartung eines Kusses; Gwen presste die Lider herab und schloss die Augen verkrampft - was war mit ihren Vorsätzen, ihren Fragen und ihrer Entschlossenheit passiert? Ach ja, diese bröckelten gerade unter dem lockenden Atemhauch des Gottes… Doch Loki küsste sie nicht und bremste ihre schreiende Sehnsucht damit, sondern blies seinen leichten, würzig rauchigen Atem zwischen ihre Lippen; ein feiner Faden grünlich schimmernder Magie folgte dem Hauch in ihre Mundhöhle und kroch prickelnd über ihre Zunge und ihren Gaumen, bevor der Atem des Gottes ihre Kehle glatt und ruckartig hinabschlängelte, um sich explosionsartig in ihrem Körper auszubreiten. Gwen schluckte entsetzt und hustete wegen des unangenehmen Gefühls in ihrem Hals, um welchen sie eine zitternde Hand geschlungen hatte, während sie irritiert und fragend zu Loki aufsah. »Was…was hast du getan? Was war das…?« Vielleicht - wahrscheinlich - hätte sie spätestens jetzt Angst empfinden müssen, doch noch immer wollte sich dieses Gefühl in Gegenwart des Magiers nicht einstellen; trotz allem, was er getan hatte - sie konnte ihn einfach nicht fürchten. Ob das nun ein Segen oder ein Fluch war…Gwen wusste es nicht. »Ich habe einen Teil meiner Energie mit dir verbunden, um deine Aura damit zu überlagern. Solange du in meiner Nähe weilst, wird deine Aura durch meine verhüllt und versteckt bleiben.« erklärte ihr der Prinz, während er sie noch immer nicht aus seiner Nähe entließ; seine langen Finger bewegten sich kaum spürbar auf ihrem Rücken über den Stoff des Kleides. »Du warst Heimdalls Blick nicht mehr verborgen. Was auch immer zuvor deine Existenz verschleiert haben mochte scheint verschwunden. Nun bist du sichtbar für alle und etwas befindet sich bereits auf deiner Fährte...« Seine Finger streiften den Rand ihrer Unterlippe, bevor sein Kopf in die Höhe ruckte und er die Straße vor dem Restaurant fixierte. Spätestens das Wörtchen „etwas“ versetzte Gwen in höchste Alarmbereitschaft und vermittelte ihr, dass die Lage offensichtlich äußerst Ernst war. „Etwas“ war selten gut und wesentlich beunruhigender als „jemand“. »Loki…ich verstehe nicht…was verfolgt mich?« Von einem Moment auf den anderen war sie zurück in den Armen des Prinzen, allerdings auch in dem ganzen Chaos und offensichtlich wieder einmal in Gefahr. Irgendwie schien die Nähe zum Tod Hand in Hand mit Lokis Anwesenheit einherzugehen. Ein helles Leuchten vor dem Restaurant ließ Gwens Kopf herumfahren; genauso wie Loki starrte sie durch das feuchte Fenster nach draußen auf die Straße, wo sich eben ein glänzender, blitzender Riss in der Luft auftat, als würde sich ein Vorhang über der Straße teilen. Die Menschen auf den Bürgersteigen blieben neugierig stehen, zumindest so lange, bis sich eine Horde Dunkelelfen aus dem Durchgang ergoss und sich auf der Straße versammelte. Die Autos wichen hektisch den plötzlich auftauchenden Gestalten aus; einige der Schwarzalben setzten ihre Energiewaffen an und eröffneten das Feuer auf ein heranrasendes Fahrzeug, welches nicht rechtzeitig auswich. Das Auto explodierte in einem Feuerball und schoss geradewegs auf die Fenster des Restaurants zu; mit einem ohrenbetäubenden Knall durchbrach das brennende Fahrzeug die klirrenden Scheiben. Loki riss Gwen an sich und suchte mit ihr Deckung hinter dem massiven Springbrunnen des Lokals, während das zerstörte Auto eine flammende Schneise durch die Tische und Gäste des Restaurants zog. Der Zauber des Magiers schien damit gebrochen, denn die Anwesenden lösten sich aus ihrer Starre und sprangen panisch von ihren Plätzen auf; augenblicklich wurden entsetztes Kreischen laut, das Klappern von umfallenden Stühlen und das hektische Stampfen von unzähligen Füßen, die panisch flohen. Schwerer, beißender Rauch breitete sich in dem Restaurant aus, während ängstliche Rufe nun ebenfalls auf der Straße draußen erschollen. Das Quietschen von bremsenden Reifen drang zu ihnen herein, dazwischen immer wieder das energetische Summen von den Waffen der Dunkelelfen; deren Schüsse durchdrangen den nebligen Rauch wie Lichtblitze bei Nacht. Andrew… Gwen erhob sich auf wackeligen Beinen und schob sich um den Springbrunnen herum, bevor sie eine energische Hand an ihrem Arm in ihrem Vormarsch aufhielt. »Wo willst du hin? Wir müssen hier raus…« zischte ihr der Magier ins Ohr und wollte sie bereits in die entgegengesetzte Richtung zum Hinterausgang lotsen. Durch eine verschlungene Handbewegung seinerseits waberte die Luft um seine Finger in einem magischen Schimmern; kurz darauf verschwand der Gehstock und an seiner Stelle materialisierte sich ein goldener Speer in Lokis Hand - eben jene Waffe, die sie aus den Aufzeichnungen aus Deutschland kannte. »Andrew ist hier irgendwo. Ich gehe nicht ohne ihn.« gab sie entschieden zurück und machte sich aus dem Griff des Prinzen los, der ein wütendes Schnauben ausstieß; allerdings ließ er sie gewähren. »Beeile dich lieber. Für ihn riskiere ich nicht meinen Kopf…« folgte ihr das schneidende Wispern des Prinzen. Gwen tastete sich durch den Rauch blinzelnd nach vorn und stieg vorsichtig über umgestürzte Stühle und Tische, bevor sie den Agent vor sich endlich ausmachte. Andrew erhob sich eben mühsam auf die Füße und hielt sich den Kopf; eine Platzwunde schimmerte an seiner Schläfe, Blut tropfte träge über seine Wange. Sie schob den Arm unter ihm hindurch und stützte ihn somit. »Gwen?! Was ist hier los…? Was ist passiert…?« murmelte er verwirrt und sah sich stockend um. »Wir müssen hier raus…komm mit…« wies sie ihn ungeduldig an und zog ihn mühsam mit sich, da er sich schwer auf sie stützte. Vor ihnen durchschritt plötzlich einer der Schwarzalben die zersplitterten Reste der Fensterfront und fasste sie augenblicklich ins Visier; in unheimlich schwarze Augen, die in einem eiskalten, regungslosen Gesicht lagen. Der Elf hob ohne Zögern seine Waffe und zielte ziemlich sicher auf Andrews Stirn. Der Agent tastete fahrig nach der Waffe unter seinem Jackett, doch er war zu langsam. Eine blaue Ladung an Energie schoss zischend an ihnen vorbei und fegte den Schwarzalben von den Füßen; der Körper wurde in die Nacht hinausgeschleudert und traf hart auf dem Asphalt der Straße auf. Loki löste sich aus dem umgebenden Rauch des noch immer schwelenden Autos und lief auf sie beide zu; im Gehen noch veränderte sich seine edle Abendkleidung in die imposante Kampfrüstung, die Gwen bereits an ihm kannte. »Wenn ihr noch ein wenig länger Zeit für euch benötigt, sagt ruhig Bescheid. Ich halte euch die Elfen liebend gern vom Hals…« fauchte der Magier unzufrieden und ungeduldig. »Du?!« stieß der Agent ungläubig aus, nachdem sich seine Brauen wütend herabgesenkt hatten. Seine Hand lag noch immer an der Waffe unter seiner Anzugjacke. »Ein Dank wäre angebrachter. Ich habe Euer Leben wirklich nur ungern gerettet, Mensch.« grollte Loki in süffisanter Bissigkeit gegenüber dem Agent, bevor er mit flatterndem Mantel einmal um die eigene Achse wirbelte und einem weiteren Elfen, der gerade über die Scherben der Fenster stieg, die flache Seite seines Zepters vor die Brust donnerte. Der Dunkelelf stolperte überrumpelt zurück, bevor er eine Ladung knisternder, blauer Energie abfing, die ihn rauchend gegen eine Säule des Restaurants beförderte. »Ihr könnt von Glück reden, dass die Frau etwas für Euch übrig hat, sonst hätte ich den Elfen liebend gern gewähren lassen…« »Andrew…Loki ist hier, um zu helfen.« versuchte Gwen die Situation augenblicklich zu entspannen. »Dieser Angriff ist nicht seine Schuld…« Der Agent zog ruckartig seine Dienstwaffe und umfasste sie mit beiden Händen, um sie auf den Kopf des Magiers zu richten. Sein Blick unterlag zorniger Kälte, seine Haltung war entschlossen; Gwen konnte gar nicht so schnell realisieren, was passierte und stieß ein entsetztes »Nein!« aus, als Andrew einen gezielten Schuss abfeuerte. Ihr Herz blieb wahrlich für einen schockstarren Moment stehen, in welchem sie der festen Überzeugung erlag, dass Andrew Loki einfach erschossen hatte. Doch die Kugel war gar nicht für ihn bestimmt gewesen… Hinter Loki sackte ein weiterer Schwarzalb ächzend in die Knie, nachdem die Kugel die Panzerung seines Helmes durchschlagen hatte; das Schwert, mit welchem er den Magier gerade hatte rücklings angreifen wollen, fiel ihm klappernd aus den kraftlosen Händen. Gwen kippte mit einem Seufzen erleichtert gegen Andrew, der die Arme eher widerwillig wieder sinken ließ; Loki indessen warf einen knappen, fast verwirrten Blick über die eigene Schulter zurück. Dann trafen sich die Blicke der beiden Männer in einer scheinbar stummen Einigung. »Meiner Ansicht nach hast du den Tod noch immer mehr als verdient, Loki Laufeyson. Aber ich wollte sicher nicht in deiner Schuld stehen…« raunte der Agent äußerst angespannt; die Waffe lag noch immer in seinem hölzernen Griff und Gwen konnte seinen inneren Kampf an der steifen Haltung erahnen. Lokis Mundwinkel hoben sich amüsiert in die Höhe und entblößten die Reihen seiner weißen Zähne, bevor er sich schon dem nächsten Elfen zuwandte, der den Tod seines Kameraden offenbar mit angesehen hatte. Um Haaresbreite zischte ein Energiestrahl an dem Magier vorbei, um in dem Springbrunnen hinter ihm krachend einzuschlagen. Der Prinz rollte sich unter dem weiteren Schwertangriff eines Elfen hinweg und donnerte diesem den Griff seines Zepters gegen die Kehle, woraufhin der Dunkelelf gurgelnd nach hinten kippte. »Versteck dich…« wies Andrew Gwen harsch an und schob sich vor sie, um gleich darauf seine Waffe wieder anzuheben und einen Elfen außer Gefecht zu setzen, der seine gezahnte Klinge eben gegen den Magier erheben wollte, der wie ein Derwisch durch die Reihen der Schwarzalben zog. Gwen stolperte zurück und sah sich hektisch um, dann sprintete sie über die Trümmer des Restaurants zu dem halb zerstörten Springbrunnen, um dahinter Schutz zu suchen. Mit rasendem Herzen ging sie in die Hocke und drückte sich gegen den kalten Marmor, lauschte angespannt den beständigen Kampfgeräuschen in der Enge des Restaurants; verstohlen lehnte sie sich auf Händen und Füßen ein wenig nach vorn, um an der Säule des Brunnens vorbeispähen zu können. Loki und Andrew hielten sich wacker gegen die heranstürmenden Gruppen der Elfen; der Agent war auf ein Knie gesunken und sicherte sich damit festeren Stand, während seine Waffe unablässig Schüsse verteilte und die Reihen der Schwarzalben damit dezimierte, die anhaltend aus dem Riss draußen über der Straße strömten. Loki wirbelte sein goldenes Zepter in verschlungenen, geschmeidigen Bewegungen um sich selbst und stieß damit eine ganze Gruppe Elfen zurück, bevor er gleich zweien die Beine unter dem Körper wegschlug und die stürzenden Angreifer mit gezielten Ladungen der blauen Energie ins Reich des Todes schickte. Einer der Elfen hatte sich an den beiden Männern vorbeigeschlichen und tauchte nun überraschend hinter Gwen auf; glücklicherweise bemerkte sie seinen drohenden Schatten, der über sie fiel und sie erschrocken herumwirbeln ließ. Gerade im rechten Moment ließ sich Gwen zur Seite fallen und rollte mit einem entsetzten Keuchen unter der Klinge hinweg, die für ihren Hals bestimmt gewesen war und nun klirrend auf den harten Marmor des Brunnens traf. Der Elf knurrte wütend und stapfte hinter Gwen her, die panisch auf Händen und Füßen rückwärts durch das Restaurant robbte, bevor ihre Finger auf kühles Metall trafen; neben ihr im Staub lag das Tablett eines Kellners. Kurzentschlossen und verzweifelt packte sie dieses und stemmte sich zittrig auf die Beine, um den nächsten Schlag des Elfen mit dem Metall abzuwehren; die Wucht des Aufpralls ließ ihre Arme zittern, doch die Klinge des Schwarzalben glitt wie beabsichtigt nutzlos an ihr vorbei. Da hatten sich die kurzen Unterweisungen von Sif wohl doch ausgezahlt… Fast schon wagemutig schwang Gwen das Tablett nun in einem weiten Bogen und donnerte es dem Krieger mit einem lauten Scheppern gegen den Schädel; der Elf stolperte mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht zurück, bevor sich seine Augen entsetzt weiteten, als die goldene Spitze von Lokis Zepter durch seine Brust drang. Der Angreifer sackte zu Boden und hinter ihm kam der Magier zum Vorschein, gefolgt von Andrew, der die nicht abreisende Flut an Schwarzalben mit vereinzelten Schüssen auf Abstand hielt. Gwen fiel das Tablett aus den zittrigen Fingern, während sie sich dankbar an Loki schmiegte, der einen Arm um sie schlang und sie in Richtung des Hinterausganges bugsierte. »Es ist an der Zeit sich zurückzuziehen…« rief er dem Agent über die Schulter zu, der knapp nickte und ihnen rasch folgte. Der Magier stieß die Tür in den Wintergarten auf und zog Gwen mit sich nach draußen in die kühle Abendluft. Andrew folgte ihnen leicht hinkend und atemlos; hinter dem Agent ließ Loki die schwere Tür des Restaurants wieder ins Schloss fallen und verriegelte diese durch einen Zauber, indem er seine Finger flüchtig auf dem schwarzen Metall bettete. Von drinnen war das wütende Rufen der Elfen zu hören, die wie eine Woge sturmgepeitschtes, tobendes Wasser auf die Tür trafen und jene unter ihrem Ansturm merklich erzittern ließen. Loki deutete ihnen den Weg über das niedrige Geländer des Wintergartens in den hinteren Bereich des Restaurants, wo die parkenden Wagen der Gäste abgestellt waren. Die drei stürmten über den offenen Platz zwischen den Reihen der Autos hindurch; der teure, dunkelgrüne Sportwagen von vorhin begrüßte sie verlockend im Licht der fahlen Neonröhren, die den Parkplatz beleuchteten. »Unser Gefährt für die weitere Reise…« verkündete der Magier zufrieden und vollführte eine einladende Geste in Richtung des Autos. Natürlich dunkelgrün; Gwen hätte es schon vorher bemerken können. Dunkelgrün, schnell, gefährlich - nichts hätte wohl besser auf Loki gepasst. Andrew blieb vor dem Wagen stehen und stemmte die Hände in die Hüften, nachdem er nutzlos an der verschlossenen Wagentür gezogen hatte. »Der geniale Gott hat sicherlich nicht daran gedacht, dass die Schlüssel noch im Restaurant sind?!« stieß er in einem spöttischen Schnauben aus. »Ich bitte Euch…« raunte Loki herablassend mit merklich gehobenen Brauen, bevor ein Wink seiner Hand genügte, dass der Wagen mit blinkenden Lichtern seine Türen entriegelte. »…als ob ich Schlüssel nötig hätte.« Der Agent lenkte unter einem zerknirschten Blick schweigend ein, zögerte dann jedoch kaum eine Sekunde und zog die Fahrertür auf, um sich auf den tiefen, ledernen Sitz gleiten zu lassen. »Ich hoffe, Ihr könnt dieses Fahrzeug auch beherrschen?« hinterfragte der Magier mit gedehnter Anmaßung, während er die Wagentür mit der Hand aufhielt, die der Agent gerade zuziehen wollte. Andrew sah mit funkelndem Blick zu Loki auf, bevor er seiner Stimme einen verkrampft spöttischen Tonfall verlieh und damit die Worte des Magiers imitierte: »Ich bitte Euch…« Er stieß die Hand des Prinzen vom Rahmen des Wagens. »…als ob ich so etwas nicht fahren könnte.« Damit schlug der Agent die Tür geräuschvoll zu, woraufhin Loki mit schmalem Grinsen und gehobenen Händen zurückwich. Gwen wollte gerade auf der Beifahrerseite einsteigen, als ihr Blick von dem Chaos auf der Straße angezogen wurde. Dort stürzten Passanten in Panik vor den Dunkelelfen davon, die der Riss zwischen den Welten unermüdlich ausgespuckt hatte; die Schüsse der Schwarzalben durchbrachen die Schreie der flüchtenden Menschen. Irgendwo in der Ferne heulten bereits Polizeisirenen, die beständig näher kamen. Ein Hubschrauber kreiste mit Scheinwerfern über dem attackierten Straßenzug; dessen Rotorblatter schickten ein monoton flatterndes Geräusch durch die Häuserschluchten. Ein rot-goldenes Flugobjekt schoss pfeifend durch die Luft und mit ziemlich viel Enthusiasmus geradewegs in die Reihen der Schwarzalben; Ironman beförderte gleich drei von ihnen mit seinen Repulsoren ins Aus, bevor sich Hawkeye aus dem Helikopter als Unterstützung abseilte und weitere der Elfen mit explodierenden Pfeilen außer Gefecht setzte. Ein bebendes Heulen durchdrang die Nacht; nicht das Heulen einer Sirene, sondern ein tiefes, tierisches Jaulen, so unheilvoll und grausig, dass einem das Blut in den Adern gefror. Gwen starrte fassungslos auf die Straße vor dem Restaurant, wo sich der Boden plötzlich auftat - ein energetischer Wirbel entstand auf dem Asphalt, vor dem selbst die Dunkelelfen und Ironman nervös zurückwichen. Schwärze kroch als unheilbringend, kränklicher Nebel aus dem entstandenen Abgrund, der sich immer mehr ausweitete und fast die gesamte Straße einzunehmen drohte, bevor eine groteske Pranke aus der Tiefe auftauchte und donnernd auf dem Asphalt einschlug; pechschwarze Krallen bohrten sich in die bröckelnde Straße, bevor eine weitere, absurd riesige Pfote folgte, die einen gewaltigen Körper aus dem Loch zog. »Oh Gott…« hauchte Gwen fassungslos; eigentlich war sie schon fast der Meinung gewesen, dass sie an Lokis Seite nicht mehr viel schocken könnte, doch wieder einmal wurde sie eines besseren belehrt. Die Angst kroch ihr schleichend um die Knöchel und schob sich ihre wackligen Beine hinauf - was auch immer dort aus diesem Loch kam, es brachte eine entsetzliche Aura von Tod und Verderben mit sich. »Ist es das, was mich verfolgt…?« wisperte sie zittrig und wusste selbst nicht, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte. Zögerlich sah sie zu Loki zurück, der nur knapp nickte. Ein weiterer Hubschrauber erreichte den Ort des Geschehens und positionierte sich über dem eben aufgetanen Loch in der Straße; die Scheinwerfer glitten hektisch über das monströse Wesen, welches dort aus dem Boden kletterte und in einem sehr entfernten Sinne an einen Hund erinnerte - an einen Hund, der seine besten, lebendigen Jahre lang schon hinter sich hatte. Das Fleisch und pechschwarze Fell hing teils in Fetzen von dem Skelett des Wesens, in dessen Bauch verzweifelt schreiende Körper gefangen waren - ihre Gitterstäbe bildeten die Rippenbögen des Hundes; dessen tellergroße Augen glommen in unselig, eisigem Licht über einer geifernden Schnauze, die Speichel zischend wie Säure auf dem Asphalt verteilte. Der erste Polizeiwagen hielt quietschend hinter der Bestie; die Männer sprangen sofort aus dem Wagen und zogen die Waffen, mit denen sie Deckung hinter den Türen ihres Autos suchten. Ein knöcherner Schwanz schoss aus dem aufgetanen Erdboden heraus und durchbohrte den schwebenden Hubschrauber mit beinahe chirurgischer Präzision; der Helikopter geriet ins Trudeln und sackte rauchend zu Boden, während die Männer der Polizeiwache nun das Feuer auf den Kopf des Wesens eröffneten, dessen gewaltige, monströse Kiefer eben nach dem abstürzenden Hubschrauber schnappten. »Zeit zu gehen…« riss Loki Gwen mit einem bestimmten Wispern an ihrem Ohr aus ihrer Starre; der Magier schob sie nachdrücklich in den Wagen auf den Beifahrersitz, bevor er selbst auf die Rückbank glitt. »Verdammte Scheiße…was zur Hölle ist das?!« flüsterte der Agent entsetzt, während er aus der Frontscheibe sah, die Hände um das schmale, lederüberzogene Lenkrad gekrallt. »Hölle trifft es ziemlich genau...« warf Loki von hinten ein. »Das ist Garm, der Helhund, auf der Jagd nach entflohenen Seelen. Wenn wir keine Bekanntschaft mit diesem ziemlich unangenehmen Wesen machen wollen, sollten wir uns langsam bewegen.« Der Motor des Wagens erwachte mit einem tiefen Röhren zum Leben; Andrew riss die Hände fast erschrocken vom Lenkrad, während Gwen geistesgegenwärtig nach dem Sicherheitsgurt griff und sich anschnallte. Das Klicken einer entsicherten Waffe zerrte ihren Kopf herum; der Agent hatte sich halb auf seinem Sitz gedreht und richtete seine Pistole auf den Magier hinter sich. »Bist du für diese erneute Scheiße verantwortlich? Überleg gut, von deiner Antwort könnte dein Leben abhängen…« »Andrew!« stieß Gwen bestürzt aus, doch der Agent brachte sie mit einer knappen Handbewegung zum schweigen. »Ich will die Wahrheit von ihm hören, bevor ich hier meinen Arsch riskiere!« Die Wahrheit vom Gott der Lügen - Andrew war ja sehr optimistisch. Während dieses Höllenwesen dort draußen gerade das Polizeiauto auseinander nahm und sich weder durch Ironman, noch durch Hawkeyes gezielte Pfeile aufhalten ließ, wollte der Agent jetzt unbedingt seine Prioritäten klären?! »Andrew…wir müssen hier weg…« versuchte sie zu dem Mann durchzudringen, doch er ignorierte sie und stieß die Waffe auffordernd in Richtung des Magiers. »Antworte!« Loki ließ sich mit einem süffisanten Grinsen in seinem Sitz zurücksinken, das Zepter ruhte locker auf seinen Beinen, während er die Hände eher erheitert, denn bedroht in die Höhe hob. Er fixierte den Agent mit jenem Ausdruck von amüsierter Herausforderung, die Gwen nur zu gut an ihm kannte; sein Blick streifte den ihren und sie schickte eine stumme Bitte zu ihm, in der Hoffnung, dass er die Situation nicht ausreizen würde. Der Prinz zögerte kurz, dann holte er tief Luft und schüttelte den Kopf. »So gern ich es wohl wäre, aber diesmal ist dies nicht mein Werk.« sprach er in einem ruhigen, fast bedauernden Seufzen und suchte wieder Gwens Blick, die erleichtert die Luft ausstieß, als Andrew nach einem weiteren, endlos erscheinenden Moment endlich die Waffe senkte und in das Holster unter seinem Jackett zurückschob. Dann griff der Agent beherzt nach dem Lenkrad und rammte den Gang knirschend ins Getriebe, bevor der Wagen mit quietschenden Reifen nach vorn schoss. »Ihr könnt so etwas also fahren, ja?« ertönte die süffisante Stimme Lokis, der sich mit beiden Armen am Dach des Autos abstützte, als Andrew den röhrenden Wagen funkenschlagend über den Bordstein des Parkplatzes auf die Straße lenkte. »Klappe da hinten!« zischte der Agent ärgerlich und zwang den schlingernden Wagen in eine gerade Spur in Richtung Innenstadt, weg von dem Chaos hinter ihnen. Gwen warf einen kurzen Blick in den seitlichen Außenspiegel und weitete die Augen entsetzt, als sie damit entdeckte, dass der riesige Hund offenbar ihre Verfolgung aufnahm; sein gewaltiger Kopf ruckte zu dem sich entfernenden Auto herum und seine Lefzen zogen sich über dem monströsen, geifernden Gebiss in die Höhe, bevor er Ironman und einige Dunkelelfen einfach beiseite stieß und mit großen Sätzen dem Wagen hinterher jagte. Gwen deutete panisch auf den Rückspiegel. »Andrew…fahr schneller…!« Er und Loki folgten ihrem Wink; während der Agent merklich erbleichte, schien Loki köstlich amüsiert. Er wandte sich auf seinem Sitz um und durchstieß mit dem Zepter klirrend die Rückscheibe, bevor er dem heranrasenden Höllenhund blaue Energieblitze entgegen schoss. »Ich dachte, du hast meine Aura verborgen?!« rief Gwen dem Magier über die Schulter und das Heulen des Motors zu. »Das habe ich auch. Allerdings kann er auf diese Entfernung wohl deine Witterung aufnehmen…« erwiderte der Prinz unzufrieden. »Oh…klasse…« Gwen duckte sich in ihrem Sitz, als Andrew in den Gegenverkehr steuerte und ihnen plötzlich unzählige Scheinwerfer entgegen kamen. Das Wesen wich den Attacken aus Lokis Zepter geschickt aus und zermalmte auf seinem Weg Autos und Menschen unter seinen riesigen Pfoten; einen Lastwagen stieß die Bestie mit ihren mächtigen Schultern einfach beiseite, sodass das Fahrzeug unter kreischenden Metallteilen umkippte und funkensprühend über den Asphalt in eine Reihe parkender Wagen an der Straßenseite rutschte. Der Agent manövrierte den Sportwagen mit schlängelnden, ruckartigen Linien durch die dicht befahrenen Straßen, was Gwen dazu veranlasste, sich am Armaturenbrett und der Tür festzuhalten, um nicht haltlos umhergeschleudert zu werden. Passanten sprangen kreischend aus ihrem Weg, als Andrew den Wagen auf den Bürgersteig setzte, um einem langsamen Wagen vor ihnen auszuweichen. Scheppernd wurden Mülltonnen und Straßenschilder von ihnen hinweg gepflügt. »Es wäre wirklich hilfreich, wenn Ihr den Wagen ein wenig ruhiger führen könntet…« tönte die Stimme des Magiers über den Lärm der panischen Stadt und das Jaulen des Helhundes hinweg; der Agent lenkte den Wagen wieder auf die Straße zurück. Gwen blickte flüchtig über die Schulter zu Loki; der Prinz hatte Mühe, seine energetischen Schüsse unter dem Schwanken des Autos zu platzieren. »Fahr du mal zur Rush Hour durch New York, Klugscheißer…« murrte der Agent. »Andrew, pass auf!« schrie Gwen, als vor ihnen eine schwangere Frau mit Kinderwagen über einen Fußgängerüberweg spazierte; der Agent riss das Lenkrad herum, sodass ihr Wagen sich schlingernd um die eigene Achse drehte. Gwen versuchte sich verkrampft festzuhalten und presste die Lider erschrocken über die Augen herab, während ihre gesamte Welt ins Trudeln geriet. Das Ächzen Lokis drang an ihr Ohr, der offenbar nicht weniger unsanft durchgeschüttelt wurde. Das Auto kam mit rauchenden Reifen wieder zum stehen; mitten auf der Straße in der Bahn des Höllenhundes, der wie ein unheilvoller Schatten durch die Straßen fegte - seine monströse Gestalt wurde umweht von den Nebeln Helheims, die das umgebende Licht in der Gestalt der Bestie zu absorbieren schienen. Sein knöcherner, langer Schwanz peitschte aufgeregt in der Luft und riss Schneisen in die Fassaden der Hochhäuser; scheppernd und krachend stürzten Scherben und Betonbrocken herab, vor denen sich die Passanten schreiend in Sicherheit brachten. Inzwischen folgte ihnen nicht nur der Helhund, sondern eine Armada an blinkenden Polizeiautos, drei Helikopter mit gleißenden Scheinwerfern und Ironman, der seine Repulsoren unablässig auf die Bestie abfeuerte. Loki beugte sich zwischen ihren Sitzen nach vorn und durchstieß nun auch noch die Frontscheibe mit dem Zepter; Gwen riss die Arme unter den herabrieselnden Splittern nach oben. Der Magier setzte einen gezielten Schuss auf die Brust des Hundes; diesmal traf er zu hundert Prozent, da sich die Bestie im Sprung befand und nicht mehr ausweichen konnte. Die blaue Energie donnerte summend und blitzend vor die Brust des Höllenwesens und schleuderte die Bestie in die nächste Häuserfront, welche unter dem gewaltigen Aufprall klirrend und scheppernd erbebte. »Weg jetzt hier…« verlangte der Magier und ließ sich zurücksinken. Andrew stieß den Gang ein und drückte das Gaspedal durch; mit quietschenden Reifen schossen sie wieder auf ihre Fahrbahn und überließen das Aufräumen den eben ankommenden Polizeiwagen. Gwen sah zittrig in den Rückspiegel. »Es ist nicht tot, oder…?!« »Du kannst nichts töten, was bereits tot ist…« erwiderte Loki aus dem Hinteren des Wagens. Das war zu erwarten gewesen… »Wohin jetzt…?« fragte der Agent knapp und begegnete dem Blick des Magiers über den Rückspiegel. »Erstmal…so weit weg wie möglich, sodass Garm die Fährte verliert. Dann - zu Gwendolyns Wohnung. Sie hat zu packen.« Kapitel 18: Echos der Unterwelt ------------------------------- Es gab Momente im Leben, die waren in ihrer Absurdität schon so komisch, dass man nur noch lachen wollte, obwohl es eigentlich keinen Grund für einen plötzlichen Anfall von Erheiterung gab. Dieser hier gehörte eindeutig dazu; Gwen musste ein haltloses Kichern herabschlucken, welches mit beinahe tödlicher Gewissheit sicher an der Grenze zur Hysterie vorbeigeschrammt wäre, als sie nun nach Loki ihre Wohnung betrat und Ashlyn wie von der Tarantel gestochen von der Couch aufsprang. Der hübschen, sonst so resoluten Brünetten entglitten sämtliche Gesichtszüge und sie hielt sich Winston wie ein Schutzschild vor die Brust, der nur müde gähnte, während ihr Mund auf und zu klappte, als wäre sie ein Fisch auf dem Trockenen. »Äh…Sir, ich fürchte, Sie haben sich in der Tür geirrt…und wahrscheinlich auch im Universum…« fügte sie murmelnd an. Ihr Blick rutschte an Loki auf und ab, als suche sie die versteckte Kamera, welche sie gleich aus der Situation retten würde. Mit riesigen, ungläubig geweiteten Augen starrte sie den Magier in seiner Rüstung an, der urplötzlich in der Tür erschienen war und mit einer Selbstverständlichkeit in das Wohnzimmer trat, als unterläge dies seinem Herrschaftsgebiet; seine große Gestalt füllte den Raum so machtvoll aus, dass es einem fast den Atem nehmen konnte. Lokis Präsenz war so gewaltig, dass Gwen augenblicklich das Gefühl hatte, in einer Schuhschachtel zu wohnen, obwohl ihre Wohnung so winzig nun auch wieder nicht war. Aber neben ihm wirkte alles ein wenig kleiner, blasser, unbedeutender. Der Magier hatte schon sein Zepter gehoben und die glänzende Spitze auf Ashlyn gerichtet; mit zusammengezogenen Brauen betrachtete er die dunkelhaarige Sterbliche äußerst argwöhnisch. Eilig trat Gwen hinter Loki in ihr Wohnzimmer; ihre Finger drückten die Waffe des Magiers entschlossen zu Boden. »Nicht! Das ist meine Freundin. Ashlyn. Du erinnerst dich? Ich habe dir schon von ihr erzählt…« wisperte sie zurechtweisend. Loki zuckte knapp die Schultern. »Für mich sehen sie alle gleich unbedeutend aus. Beeil dich. Wir haben keine Zeit.« wies er Gwen fordernd an, die ihm einen knappen Blick aus verengten Augen schenkte. Dieser Befehlston war gerade gar nicht förderlich. »Alles okay, Ash. Er gehört zu mir…« beruhigte sie dann ihre Freundin, die eben schon einen Schritt vor dem Prinzen zurückgewichen war und mit einer Hand nach ihrem Smartphone auf dem Schrank getastet hatte. »Gwen?! Was…was ist hier los?« Entgeistert starrte Ashlyn weiterhin den Magier an; in ihren Augen glänzten flüchtige Funken, die von der Kuriosität der Situation erzählten. Offenbar konnte sie sich ebenso wie Gwen kaum entscheiden, ob sie gerade schreien oder lachen wollte - ihre Brauen hüpften immer wieder ungläubig fragend nach oben und beendeten dieses Spiel auch nicht, als ihr Blick weiter über die erschöpfte Gestalt Gwens glitt und schlussendlich an dem Agent hängen blieb, der die Wohnungstür geschlossen hatte und nun im Durchlass zum Wohnzimmer stand. Die Wunde an seiner Stirn tröpfelte noch immer träges Blut über seine Wange. »Wow…scheint ja eine wilde Party gewesen zu sein…« murmelte die Brünette im halbherzigen Versuch eines Scherzes. »Ash, was machst du überhaupt hier?« fragte Gwen ihre Freundin verwundert und trat zu der recht perplexen Frau hinüber, die über Gwens Schulter weiterhin die beiden Männer im Auge behielt, als wären diese nur zaghaft angeleinte Hunde, die sich gleich kläffend auf sie stürzen könnten. Ihr Blick fokussierte sich flüchtig auf Gwen. »Ich dachte, ich warte hier auf dich, falls du noch ein wenig Gesellschaft nötig hast…aber die hast du ja scheinbar schon…« Winston wandte sich maunzend in Ashlyns Armen, sodass sie den Kater am Ende auf dem Boden absetzte, bevor er ihr noch die teure Bluse zerkratzen würde. Auf samtigen Pfoten schlich der Stubentiger hinüber zu den Neuankömmlingen in seinem Reich. »Gwen…« drang die Stimme des Agents an sie heran. Andrew ließ Loki noch immer nicht aus den Augen, der wie eine erhabene Statue regungslos im Raum stand; allein sein grüner Blick bewegte sich latent interessiert über die Einrichtung der Wohnung. Der Agent hob die Hand zu seiner Stirn und verzog das Gesicht schmerzhaft, bevor er seine blutbeschmierten Finger musterte. »…hast du vielleicht ein Erste-Hilfe-Set hier?« Gwen drehte sich um und deutete wage in Richtung der Tür gleich neben der kleinen Küchenzeile. »Im Badezimmer. Oberstes Schubfach im Schrank...« Andrew nickte und zog das Mobiltelefon aus der Tasche seines Jacketts, um dort eilig eine Nummer einzugeben, bevor er im Badezimmer verschwand, nicht jedoch ohne dem Magier noch einen warnenden Blick zuzuwerfen, der Loki nur müde lächeln ließ. Die Tür ließ der Agent hinter sich angelehnt, wahrscheinlich um den Gott im Blick zu behalten, der nun irritiert auf den Kater zu seinen Füßen herabsah. Das Zepter in seiner Hand verschwand in einem magischen Schimmern, was Ashlyn ungläubig blinzeln ließ. »Verdammte Sch-…was…hast du…hast du das eben auch gesehen?!« Hektisch deutete die Brünette auf den Magier hinter Gwen, die ihrem Deut folgte, jedoch nichts Ungewöhnliches erblicken konnte. Naja, zumindest nichts Ungewöhnlicheres als den großen, dunkelhaarigen Gott in ihrem Wohnzimmer. »Ehrlich…was ist hier los?! Hattet ihr einen Unfall?!« Ashlyn zog Gwen am Ellenbogen näher zu sich; ihr Blick huschte immer wieder nervös zu Loki hinüber. Draußen heulten unzählige Polizeisirenen vorbei, gefolgt von dem dumpfen, monotonen Geräusch von Rotorblättern; der Schatten eines Helikopters schoss an den Fenstern vorbei. »Was habt ihr angestellt?! Und wo zum Teufel hast du den kostümierten Spinner aufgelesen?!« wisperte die Dunkelhaarige hektisch mit gesenkter Stimme. »Der sieht wirklich nicht aus, als wäre er in deiner momentanen Verfassung gut für dich, Gwen. Ich kenne deinen Hang zu Arschlöchern und irren Typen. Ich meine, mir kann es ja egal sein, wie du deine verwirrten Gedanken wieder sortieren und deine Sehnsucht überwinden willst, aber meinst du wirklich, ein Übel durch das nächste zu ersetzen ist der richtige Weg? Erinnere dich dran, welches Nervenbündel du wegen diesem Loki warst und wie viel du geweint-« »Ashlyn!« unterbrach Gwen ihre Freundin durch ein eindringliches Zischen, die sich in ihrer Aufregung in Rage geredet hatte; unter Nervosität neigte ihre Freundin manchmal zum plappern. Außerdem musste Loki ganz gewiss nicht erfahren, dass sie wegen ihm die letzten Tage am Boden zerstört gewesen war. »Es ist nicht so, wie du denkst…« Nun war sie es, die Ashlyn näher zog. »Das ist Loki…« flüsterte sie ihrer Freundin erklärend zu und hoffte sie mit einem warnenden Blick von unbedachten Worten abzuhalten. Der Magier hatte den Kater gerade vom Boden gehoben und hielt das Tier mit ausgestreckten Armen vor sich, um es eingehend von allen Seiten zu betrachten. Winston maunzte sanft und streckte die Pfoten in Richtung des Gottes aus, als wäre er nur zu begierig, von diesem gestreichelt zu werden. Der Prinz schürzte die Lippen nachdenklich, dann zuckte er die Schultern und bettete den Kater an seiner ledernen Brustrüstung; zufrieden schnurrend ließ sich Winston dort nieder und kniff die Augen in merklichem Wohlbehagen zusammen. Bitte was…?! Sonst neigte der Kater bei jedem Fremden zum Zerfetzen von Hosensäumen, Röcken und Socken; Andrew hatte der kleine Teufel am ersten Tag die Schnürsenkel zerrissen. Verräter! »Könntet ihr eure Unterhaltung vielleicht beschleunigen? Ich hätte ungern Lust auf eine weitere Begegnung mit Garms fauligem Atem.« zog Lokis süffisante Stimme durch den Raum; obwohl seine Worte Dringlichkeit bescheinigten, wirkte der Magier selbst ruhig und gelassen. »Moment…Das ist Loki?! Thors Bruder?! Du verarschst mich gerade nicht?!« Ashlyn schob Gwen ein Stück beiseite und musterte den Gott nun mit offensichtlich ganz anderen Augen. »Naja, okay…eigentlich sieht er ja ganz gut aus, auf eine ziemlich düstere und abgedrehte Art und Weise. Zwar nicht so gut wie Thor, aber-« »Ashlyn!« Ihre Freundin begriff den Ernst der Lage nicht; wie sollte sie auch? Gwens Erzählungen waren bisher nichts weiter als weit entfernte Schrecken, nichts anderes als Märchen für Ashlyn gewesen, die sich nun sehr greifbar vor der eigenen Haustür manifestierten. Gwen rieb sich in einer recht verkrampften Geste über die Augen; Kopfschmerzen lauerten bereits hinter ihrer Stirn, nur zu bereit sie in den nächsten Augenblicken zu überfallen - ihre Kraftreserven neigten sich nach dem Debakel im Restaurant bereits wieder ihrem Ende. Jetzt, nachdem das Adrenalin langsam nachließ, fühlte sie sich schrecklich müde und erschöpft. Doch Schlaf wäre wohl im Moment das Letzte, an was zu denken wäre… »Was macht der denn hier? Ich dachte, der wäre in diesem Asgard…!?« flüsterte Ashlyn nun. »Du bringst einen verrückten Gott mit Zauberkräften mit in deine Wohnung? Und wer zum Teufel ist nun schon wieder Garm? Könnte mich bitte mal jemand aufklären!?« Gwen hatte gar nicht bemerkt, dass der Fernseher ihrer Wohnung lief; eben durchbrach der Jingle der Nachrichten die im Hintergrund laufende Serie für eine Sonderberichterstattung direkt aus New York City. »Eben erreichten uns diese schrecklichen und furchtbaren Bilder aus der Metropole, die offenbar erneut das Ziel eines außerirdischen Angriffes wurde~« begann die erschütterte Nachrichtensprecherin. Verwackelte Videoaufnahmen wurden eingeblendet - zu sehen waren Ironman und Hawkeye, die sich einer Gruppe Schwarzalben erwehrten. Das Bild wechselte und zeigte den Höllenhund, der in rasender Jagd durch die Straßen der Stadt preschte und Menschen wie Autos mit seinen riesigen Pfoten einfach beiseite pflügte. Darunter lief die kreischend rote Schlagzeile durch den Bildschirm: „Mysteriöse Angriffe in New York City - wiederholen sich die Ereignisse von vor zwei Jahren?!“ »Oh, das ist Garm.« klärte Loki Ashlyn sachlich auf und deutete knapp auf den Bildschirm; offenbar hatte er jedes Wort ihrer Unterhaltung mit angehört. »Helhund. Seelenfänger. Ungemütlicher Geselle.« »Helhund…Seelen- was? Gwen, ich versteh nur Bahnhof…?!« Ashlyns Blick flackerte zurück auf den Bildschirm des Fernsehers; neben Unverständnis glomm in ihren Augen erwachendes Unbehagen. Der Lärm draußen auf der Straße riss nicht ab; die heulende Sirene der Feuerwehr tönte durch die Häuserschlucht an ihrem Wohnblock vorbei. »Was ist hier los? Werden wir schon wieder angegriffen…?! Ist dieser Gott daran schuld?« Fast anklagend deutete Ashlyn mit einem zittrigen Finger auf den Magier. »Diesmal nicht.« erklärte Loki sachlich an Gwens Stelle, die augenblicklich herumwirbelte und dem Gott einen warnenden Blick zuwarf. »Wie - diesmal nicht!? Gwen-« Ashlyn wurde abrupt unterbrochen, indem Gwen sie an den Armen packte und so eindringlich und ernst ansah, dass die Brünette unter diesem Blick schlucken musste. »Ashlyn, ich kann dir gerade nicht erklären, was hier passiert. Dafür ist keine Zeit. Du musst mir jetzt vertrauen. Und vor allem musst du hier weg, verstehst du? Du musst weg aus der Stadt.« Gwen zog ihre überrumpelte Freundin hinter sich her zu Andrew hinüber, der eben aus dem Badezimmer kam; die Wunde an seiner Schläfe war notdürftig unter einem behelfsmäßigen Verband verborgen, das Blut aus seinem Gesicht gewaschen. Er hob sein Telefon erklärend in die Höhe. »Ein Wagen von S.H.I.E.L.D wird gleich hier sein. Dann können wir verschwinden.« Andrews Blick glitt abermals zu Loki hinüber, der die Szenerie aufmerksam und nun schweigend beobachtete. Allein seine Finger hielten nicht darin inne, den Kater auf seinem Arm zu streicheln - gleichmäßige, monotone Bewegungen, in denen das Feingefühl jener schlanken Finger und die Perfektion des Magiers lagen. »In der Nähe gibt es eine Außenbasis, dort sollten wir vorerst sicher sein.« Gwen fühlte Unruhe in sich erwachen; latente Übelkeit, die ihr das Abendessen von vorhin gegen die nun scheinbar papierdünnen Wände ihres Magens presste. Wenn sie sich erst einmal in einer der Einrichtungen von S.H.I.E.L.D befand, würde sie dort so schnell nicht mehr wegkommen. Eine Entscheidung stand an, so viel war sicher und sie wusste, dass sie jemanden würde enttäuschen müssen… »Andrew, ich will, dass Ashlyn mitkommt. Ich werde sie nicht hierlassen. Kannst du dafür sorgen, dass sie in Sicherheit ist?« Ihr Blick war flehend; sie nutzte die Zuneigung des Agents in diesem Moment aus, doch es war ihr egal. Es ging um das Resultat. Andrew fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, wirkte zögerlich und reserviert. »Gwen, Zivilisten sind eigentlich nicht-« Sie unterbrach ihn barscher als beabsichtigt. »Ihr wollt meine Kooperation, also tut gefälligst auch etwas für mich. Bitte, Andrew...« Der Agent schien einen Moment zu überlegen, bevor er mit einem resignierten Seufzen einlenkte. »Na schön. Okay…sie kann mitkommen.« »Äh…kann ich dazu vielleicht auch noch meine Meinung äußern, bevor ihr…?« meldete sich Ashlyn zaghaft zu Wort, verstummte jedoch unter Gwens beschwörendem Blick. »Ashlyn, hier ist es nicht mehr sicher. Glaub mir. Erinnerst du dich an das, was ich dir über die Dunkelelfen erzählt habe? Über Malekith. Und Ragnarök…?« Die Brünette sah zögerlich durch die Runde, von einem zum anderen, als erwartete sie noch immer einen besonders ausgeklügelten Scherz hinter der ganzen Sache, bevor sie sachte nickte. »Naja…ja…so ungefähr…« murmelte sie unsicher. »Aber was-« »Es beginnt. Sie sind jetzt auch hier auf der Erde.« erklärte Gwen ihrer Freundin eindringlich den Ernst der Lage und deutete wage auf den Fernseher, wo noch immer die Bilder des Angriffes flackerten. Ashlyn öffnete bestürzt die Lippen und entließ ein atemloses, quietschendes »Ohhhh…« während der Blick aus ihren warmen, brauen Augen abermals von den Bildern der Nachrichten angezogen wurde. »Kannst du sie runter zum Auto bringen, Andrew…?« bat Gwen erneut; eine unausgesprochene Bitte lag in ihren zögerlichen Worten, die der Agent allerdings ungemütlich schnell entschlüsselte. »Ich lass dich nicht allein mit diesem Kerl, Gwen. Vergiss es.« Sein Fokus zuckte zu dem Gott hinüber, der ein schmales, gelangweiltes Grinsen zeigte, welches nach Gwens Geschmack fast ein wenig zu siegesgewiss war. Der Magier erhob die süffisant schneidende Stimme erneut. »Ich hasse es wirklich mich zu wiederholen, aber ich möchte abermals auf Garms Anwesenheit in dieser schrecklichen Stadt hinweisen und-« »Klappe!« fuhr der Agent den Prinzen an, dessen Augen daraufhin flüchtig in schwelend grünem Feuer zornig aufblitzten - bisher mochte er Andrew diese barschen Worte verziehen haben, aber Gwen war sich bewusst, dass der Agent langsam, aber sicher auf einem sehr schmalen Pfad balancierte. Andrew griff nach Gwens Arm und zog sie fast ruppig zu sich. »Du wirst mit mir kommen wie geplant, Gwen. Du bist bei S.H.I.E.L.D am sichersten. Wir können dir helfen. Nicht dieser wahnsinnige Gott dort, sondern die Menschen deiner Welt…« versuchte der Agent durch den Wall an Gefühlen zu drängen, der Gwen bereits umgab und welcher eindeutig die Prägung Lokis trug; sie wollte wissen, was den Magier auf die Erde geführt hatte. Sie musste einfach mit ihm reden, auch wenn sie Gefahr lief, seinen Worten und der vielleicht trügerischen Sicherheit und Verlockung seiner Nähe zu verfallen. Andrew musste das wissen; wahrscheinlich ahnte er es bereits und appellierte damit an Gwens Moral und gesunden Menschenverstand. »Lass dich nicht von ihm einwickeln. Man kann ihm nicht trauen. Jedes Wort von seinen Lippen ist eine Lüge. Wer weiß, warum er wirklich hier ist…« wisperte der Agent in ihr Ohr und dämpfte die Stimme soweit, dass weder Ashlyn noch Loki ihn verstehen sollten. Das dies jedoch nicht der Fall war, demonstrierte ein überraschter Andrew, der im nächsten Augenblick von Gwen zurückgeschleudert gegen die Wand im Rücken donnerte; die Augen des Agents weiteten sich entsetzt, als er nach Luft schnappte und die Finger um eine imaginäre Schlinge an seinem Hals krallte. Ashlyn stieß erschrocken einen spitzen Schrei aus und Gwen stolperte fassungslos einen Schritt zurück. »Ich erläutere Euch gern, warum ich hier bin, Andrew Preston aus Midgard.« säuselte Lokis kühle Samtstimme. Der Gott schritt gemächlich mit dem Kater auf dem Arm durch Gwens Wohnung; die lodernde Wut in seinen leuchtend grünen Augen im krassen Gegensatz zu dieser betonten Ruhe seiner Gestalt, zu jener Hingabe, mit der die schlanken Finger durch Winstons Fell glitten. »Ich bin wegen der Frau hier, an die Ihr zum widerholten Male Eure Finger unerlaubt gelegt habt. Allein wegen ihr schickte man mich her. Nicht wegen Euch, Eurer verfluchten Gruppierung von Möchtegernhelden oder dem Wohl Eurer schwachen, reizlosen Welt. Gwendolyns Überleben steht an oberster Stelle - nicht das Eure.« Der Magier blieb vor dem Agent stehen und schickte seinen versengenden Blick auf Andrew hinab, der noch immer wie von einer unsichtbaren Hand nach Luft röchelnd an die Wand gepresst wurde. »Ihr seid mir schlichtweg gleichgültig und langsam habe ich Eure anmaßende, vorlaute Art wirklich satt, Mister Preston.« zischte der Gott jenen Namen in Abfälligkeit. »Loki, nicht…lass ihn in Ruhe…lass ihn los! Bitte!« mischte sich Gwen verzweifelt ein; ihre Hände glitten besorgt über Andrews, als könnte sie diese unsichtbare Macht damit irgendwie lösen, welche sich um die Kehle des Agents schlang, doch ohne Erfolg. Ihr bittender Blick traf den Magier und entlockte jenem den Schatten eines frustrierten Aufblitzens in feurig grünen Augen, bevor er mit einer abfälligen Handbewegung den Zauber löste und der Agent kraftlos an der Wand herabsackte, hektisch nach Atem schöpfend. Der Blick Andrews stand Lokis in nichts nach; beide maßen sich mit Verachtung und Hass. Der Gott trat noch näher und beugte sich zu dem Mann herab; das Leder seiner Rüstung knarzte leise, während die schweren Sohlen seiner Stiefel keinen Laut auf dem weichen Teppich hinterließen. »Ihr werdet jetzt verschwinden und Gwendolyn damit die Zeit für eine Unterhaltung einräumen. Wenn Ihr nicht gewillt seid, dies zu tun, so seid doch versichert, dass ich allerdings äußerst gewillt bin, Eure jämmerliche Gestalt zu zerquetschen, bis nichts von Euch übrig bleibt als der Staub Eurer mickrigen Existenz…« gab der Gott so von oben auf den knienden Agent herab, der sich mühsam wieder aufrichtete und Gwen entschlossen beiseite schob, um dem Blick des Magiers damit uneingeschränkt und allein zu begegnen. »Du wirst bezahlen, Loki Laufeyson.« zischte der Agent angespannt. »Eines Tages wirst du für alles, was du getan hast, bezahlen. Das ist eine Gewissheit. Und ich werde dann in der ersten Reihe stehen, um deinen Untergang mit anzusehen.« Der Magier lächelte gelangweilt und herablassend. »Möglich. Doch dieser Tag ist nicht heute.« Damit wandte er sich ab und sah fast belustigt auf Ashlyn herab, die einen hastigen Schritt vor ihm zurückwich und ihn aus riesigen Augen furchtsam anstarrte. Andrew blickte zu Gwen herüber, die sich unangenehm berührt auf die Unterlippe biss. Diese ganze Situation war langsam mehr als unerträglich, diese Spannung im Raum kaum noch auszuhalten; ihr Körper sehnte sich auf schmerzlich verzehrende Weise nach Loki, ihr Verstand nannte sie eine Närrin und versuchte sie zu überzeugen, dass Andrew die vernünftige und logische Wahl wäre und ihr Herz - ihr verfluchtes Herz konnte oder wollte sich nicht entscheiden, für wen es Partei ergreifen sollte, obwohl es längst nicht mehr objektiv war… Der Agent griff erneut nach ihr, doch diesmal wesentlich sanfter; sie jedoch schob ihn entschlossen auf Abstand und einen Augenblick verweilten ihre Hände auf seiner breiten Brust - ein Augenblick, in welchem sie den Dingen gedachte, die vielleicht hätten sein können; zu anderer Zeit, an einem anderen Ort, in einer Welt ohne Loki. Denn wahrscheinlich hätte Andrew nur dort eine reelle Chance, in ihr Leben zu dringen. Gwen hob den Blick entschieden an und begegnete dem des Agents. »Bitte - lasst uns allein…« Ihre Finger verabschiedeten sich in einem fast entschuldigenden Streifen von dem Stoff seines Anzuges. Der Agent stieß ein unzufriedenes, enttäuschtes Schnauben aus, bevor er das Mobiltelefon endlich in sein staubiges, angeschlagenes Jackett gleiten ließ und Ashlyn einen Wink gab, dass sie ihm folgen sollte. »Schön. Wie du willst. Wenn er allerdings flieht oder sonstige Dummheiten anstellt, ist er fällig. Da kannst du dir sicher sein.« stieß Andrew noch angespannt aus, bevor er die Wohnungstür aufriss und hinausstürmte. »Gwen…« murmelte Ashlyn unsicher und verwirrt. »Geh mit Andrew. Er wird dich zu S.H.I.E.L.D bringen. Ich will, dass du in Sicherheit bist. Vertrau mir, ja?« Sie schob die Arme um ihre Freundin und drückte diese versichernd an sich, bevor sie Ashlyn einen schnellen, sanften Kuss auf die Wange setzte. »Du…du kommst doch nach, oder…?« wagte die Brünette zaghaft zu fragen, bevor sie abermals die großgewachsene Gestalt des Gottes ins Auge fasste. Ihr Blick glitt zu Gwen zurück und Ashlyns Stirn zog sich in zweifelnde Falten, als würde sie sich ihre eigenen Worte schon selbst beantworten; sie musste fühlen, was in Gwen vor sich ging, auch wenn sie es nicht verstand. Ashlyn war die Einzige, der sie ihr Herz in Bezug auf Loki ausgeschüttet hatte; sie allein wusste, welchen Einfluss der Magier auf ihr Leben und wie sehr dieser ihre Welt durcheinandergebracht hatte. Gwen konnte ihr keine Antwort auf diese Frage geben und biss sich auf die Unterlippe, während sie reumütig den Blick senkte. Die Wahrheit war, dass sie die Nähe des Magiers noch immer unerbittlich anzog und sie innerlich mehr als in ihrem Entschluss schwankte, sich in S.H.I.E.L.Ds Obhut zu begeben. »Ashlyn…« begann sie schwach. »Ich versteh schon. Es ist okay. Mach, was du für richtig hältst. Du wirst wissen, was du tust. Sei einfach vorsichtig, ja? Pass auf dich auf.« wisperte ihre Freundin dann leise und strich Gwen über die Wange, bevor Ashlyn sie erneut in eine feste, warme Umarmung zog. »Ich werde dich vermissen…« wisperte die Brünette erstickt und trieb Gwen damit die Tränen in die Augen. Ihre Freundin sprach eine Wahrheit aus, die sie selbst noch gar nicht recht akzeptiert hatte. Die beiden sahen sich noch einmal in die Augen, in berührt feuchte Augen, bevor Ashlyn sich von ihr löste und dem Agent folgte. Nachdem die Tür der Wohnung hinter Ashlyn ins Schloss gefallen war, schöpfte Gwen nach Atem und wandte sich mit entschlossen gestrafften Schultern diesem einen, großen Problem in ihrem Leben zu, welches nun mit diesen unglaublich grünen Augen in ihrer Wohnung stand und die Luft zum atmen deutlich verdünnisierte; das wohl ernsteste Problem - gleich neben dem Höllenhund, der es ziemlich offensichtlich auf sie abgesehen hatte… Loki sah die Unsicherheit der Sterblichen; in jeder zaghaften Bewegung, in jedem tiefen Atemzug, den sie tätigte, in jedem flüchtigen Blick, welchen sie in seine Richtung schickte - ihre unsichtbare Verbindung bestand zwar wieder und doch waren die Fäden dieses Schicksalsstranges aufgeraut und spröde unter den Ereignissen und Wahrheiten der letzten Tage geworden. »Hasst du mich, Gwen?« raunte er unvermittelt. Die kühle Sachlichkeit dieser Frage spiegelte nicht ganz Lokis Inneres wieder. Die Worte hatten ihm seit Tagen auf der Zunge gebrannt wie eine alte Wunde, die einfach nicht verheilen wollte. Der Zeitpunkt war schlecht gewählt; Hels Kreatur streifte wahrscheinlich noch immer durch die Straßen der Stadt auf der Suche nach ihnen, wäre aber vielleicht im Augenblick ein wenig abgelenkt durch die amüsanten, aber sinnlosen Bemühungen der Sterblichen, den Helhund aufzuhalten. Er musste es einfach wissen - bevor er seinen Pfad wählte, musste er wissen, ob es vergeblich wäre, diesen Weg zu beschreiten. Einem Gespenst hinterher zu jagen war sinnlos und der Magier verabscheute sinnlose Tätigkeiten; Thor mochte unentwegt Energie in solche nutzlosen Hoffnungen stecken, doch Loki würde nicht der Naivität seines Bruders folgen. Er war immerhin der Klügere von ihnen… Gwendolyn sah ihn aus ihren hellen, großen Augen an, zog die Stirn flüchtig in verwirrte Falten, bevor sie zaghaft den Kopf schüttelte. »Nein. Ich hasse dich nicht, Loki.« Ihre Antwort kam leise, aber ohne zögern; sie schien verblüfft darüber, dass er das offenbar erwartet hatte - oder war bestürzt über die eigene Erkenntnis. Gemächlich ging Loki in die Knie und setzte den leise maunzenden Kater auf dem Boden ab, bevor er mit nur einem schnellen Schritt bei der Sterblichen war und sie am Arm ergriff, um sie zu sich herumzuwirbeln; Gwen prallte mit dem Rücken gegen seine Brust und keuchte daraufhin erschrocken. Ein Keuchen, was sich schnell in etwas wesentlich sinnlicheres wandelte, als der Gott einen Arm um sie schlang und ihr Kinn packte, um ihren Kopf zu neigen und die Lippen an ihrem Ohr anzusetzen - eine beinahe perfekte Kopie jenes Momentes, welchen sie in Muspelheim geteilt hatten. Loki hatte sich mit Gwen zum Fenster gedreht; zwang sie somit nach draußen zu sehen, wo die blinkenden rot-blauen Lichter von Polizei und Feuerwehr die gegenüberliegende Häuserfront und die Skyline der Stadt beleuchteten. Ohne Unterlass preschten Einsatzwagen durch die Straßen und hektisch flatternde Helikopter von Nachrichtensendern und Militär füllten den nächtlichen Himmel über New York. Gwens Duft beruhigte seine strapazierten Nerven, die der lästige Agent in kritische Bedrängnis gebracht hatte. »Du weißt, dass sie dich nicht beschützen können. Die Menschen können dich nicht retten vor dem, was dich verfolgt, Gwendolyn. Ich jedoch kann es…« hauchte er die Worte in einer klaren, beeinflussenden Versicherung in ihr Ohr und ließ die Lippen nur in einer Andeutung über die blasse Rundung ihrer Ohrmuschel gleiten, obwohl sein sonst so kühler und starrer Körper in ihrer Gegenwart augenblicklich zum Leben erwachte; Gelüste, die er niemals erwartet hätte, krochen träge durch seine Venen und wandelten seinen Verstand in einen zäh dahinplätschernden Fluss. »Bei mir bist du sicher. Du weißt es. Entscheide dich für mich. Komm mit mir.« raunte er lockend und ließ die Finger über den Stoff auf ihrer bebenden Hüfte gleiten, wo seine Hand lag. Loki ahnte den Zwiespalt der Sterblichen; sie hatte die Wahl zwischen ihrem Leben, ihrer vertrauten Welt und Menschen, die sie kannte und ihm, einen Gott, der all das angegriffen und gefährdet hatte, um die Erde zu unterjochen. Ihr Verstand flüsterte ihr wahrscheinlich Argwohn ein; das Vertrauen zwischen ihnen war erschüttert, doch Loki besaß noch immer Macht über Gwendolyns Körper - dies verriet ihm ihr zittriges Ausatmen, die Lider, welche schwer über den großen Augen herabsanken, ihre Lippen, die sich leicht öffneten, da sie ihm ihre Haut unbewusst begierig entgegen reckte und ihren Hals offenbarend beugte… Vielleicht mochte er ihr Vertrauen eingebüßt haben, aber ihr Körper gehorchte ihm noch immer - und das war alles, was er brauchte. Über ihr Verlangen würde er ihr Zutrauen wieder gewinnen, obwohl ihn diese Reihenfolge in jenem Fall seltsam wurmte. Niedertracht war normalerweise kein großes Problem für den Gott der Illusionen und Täuschungen - normalerweise… Gwen hob die Hände und umklammerte seine Finger, um zu versuchen sich von ihm loszumachen; eine wirklich lächerlich halbherzige Geste, in welche sie nicht so viel Ehrgeiz und Nachdruck legte, wie es ihr Verstand wahrscheinlich forderte. »Loki…lass mich los…bitte…« wisperte sie erstickt. Eigentlich gab der Magier reichlich wenig auf die Bitten eines kümmerlichen Menschen, doch Gwendolyn bildete einmal mehr die Ausnahme in einem Meer aus Privilegien, die sie sich bei ihm herausnehmen durfte. Es war erstaunlich, wie sehr er ihre Nähe genoss; wie sehr sein Körper beinahe danach gierte, der sonst nichts weiter als die gewöhnlichen Verlangen seiner Existenz besessen hatte neben dem Brennen auf Anerkennung und Magie. Loki ergötzte sich an Gwens krampfartigem Einatmen, als seine Lippen sich selbstständig machten und über die Seite ihres Halses glitten, die er zuvor schon hatte liebkosen wollen - mit seiner Zunge; jene schnellte jetzt aus der dunklen Höhle seines Mundes und zog eine träge Spur über ihre Haut und den flatternden Puls darunter, kostete ihren süßen, unschuldigen Geschmack, bevor er sie mit einem süffisant wissenden Grinsen aus seinem Griff entließ. Er war fast entsetzt über sein eigenes, instinktives und so unbeherrschtes Handeln. Gwen wirbelte wieder zu ihm herum und presste sich die Hand über jene eben eroberte Stelle an ihrem Hals; ihr Gesicht war gerötet, doch die Entschlossenheit in ihren Zügen nicht gewichen, was dem Magier durchaus imponierte. Sie ließ ihrem Körper nicht die Herrschaft über ihren Verstand. Gwen schluckte angestrengt. »Der…der Helhund…warum ist er hinter mir her?« verlangte sie zu wissen, während sie einen unsicheren Schritt Abstand zwischen ihnen wahrte; der schnurrende Kater strich um ihrer beide Beine. Loki richtete sich wieder gänzlich auf, wo er sich zuvor zu der so viel kleineren Menschenfrau gebeugt hatte und wischte das flüchtige Grinsen von seinen Lippen. »Du magst dich erinnern, dass Hel mir Rache androht für die List ihr gegenüber. Ich dachte, sie würde offen Buße von mir verlangen, doch scheinbar hat sie sich für eine wesentlich subtilere Art der Vergeltung entschieden. Sie will deine Seele; jene, die ich ihr vorenthielt. Du musst sie sehr neugierig auf dich gemacht haben, wenn sie absichtlich Garm auf deine Fährte ansetzt.« »Neugierig?! Warum…?« Gwendolyn wirkte irritiert. »Als du mich so leichtsinnig beschützt hast, ist diese Macht in dir hervorgebrochen…« Loki begann im Wohnzimmer erneut auf und ab zu schreiten, während er sorgsam darauf bedacht war, den Kater nicht zu verletzen, welcher schnurrend seinen Füßen folgte und sich einer stummen Schrittfolge gleich um seine Stiefel wandte. »Hel hat es offenbar nicht für einen Zauber meinerseits gehalten, wie ich es eigentlich gehofft hatte. Du hast ihr den Ausblick auf etwas verlockend Neues gestellt, was sie nun unbedingt haben will.« »Verdammte Scheiße…« wisperte die Sterbliche recht undamenhaft und verbarg die Augen kurz hinter zittrigen Fingern; ihre Art zu fluchen war interessant, sympathisch, anregend. »Und jetzt…« »…bleibt nur die Flucht. Hier bist du nicht mehr sicher.« beendete Loki ihren Satz. »Man kann Garm nicht an seiner Jagd hindern. Er ist ein Bluthund, welcher die Befehle seiner Herrin mit Gehorsam verfolgt. Er wird erst aufhören, wenn Hel zufrieden ist. Daher müssen wir hier weg.« Gwen wirkte durcheinander, als sie ihn wieder ansah. »Aber wohin…? Er wird mich doch überall finden.« »Nicht unbedingt. Durch meinen Zauber bist du vorerst für seinen Spürsinn verborgen. Solang du in meiner Nähe verweilst, bist du für ihn gewissermaßen unsichtbar. Vorausgesetzt, er kommt dir nicht so nah, dass er dich riechen kann. Damit das nicht passiert, sollten wir möglichst weit weg von hier.« Der Magier blieb stehen und sah die Sterbliche eindringlich an. »Und wir sollten endlich ein wenig mehr über dein Geheimnis in Erfahrung bringen. Wir werden dorthin gehen, wo alles begann. Am Ursprung suchen. Wir müssen endlich erfahren, was in dir schlummert, Gwendolyn Lewis.« Sie öffnete den Mund und schöpfte Atem für Worte, die sie dann doch nicht sprach; ihr Mund klappte wieder zu, bevor sie ihn abermals öffnete, nachdem sie sich angespannt die Schläfen gerieben hatte. »Wie bist du auf die Erde gekommen? Odin hat dich doch nicht einfach so gehen lassen? Wer hat dich geschickt? Oder bist du…geflohen?« Ihr Blick hob sich zaghaft wieder zu seinem; in ihren Augen stand verzweifelte Unschlüssigkeit. Der Magier konnte beinahe sehen, wie sie hinter ihrer Stirn die Argumente für und gegen diese Sache abwog; ihn betreffend ihre Entscheidung genauestens zu überdenken suchte. Lokis Mundwinkel kräuselten sich zu einem schmalen, beinahe bitterem Schmunzeln und er hob eine Braue fragend an. »Fürchtest du, ich wäre geflohen? Hätte mich eigenmächtig der Gerechtigkeit und meinen Anweisungen entzogen?« Er schritt wieder zu ihr hinüber; langsam und bedächtig, um ihr die Zeit zu geben, vor ihm zurückzuweichen, so sie es wollte - sie tat es nicht. Der Magier hob ihr Kinn mit seinen Fingern an und ließ seinen Blick in den ihren hinabfallen, tief und bohrend, suchend nach Wahrheiten. »Würdest du mit dem Agent gehen, wenn es so wäre, Gwendolyn? Würdest du ihm dann mehr vertrauen als mir?« Sie senkte den Fokus auf seine Brust; schlug die Augen nieder, auch wenn er ihr Kinn noch immer hielt. Ihre Unterlippe verschwand zwischen ihren Zähnen, während ihn ihr Zögern beinahe rasend machte; und jene so unschuldig grübelnde Geste, unter der sie sich auf die Lippe biss - eine Angewohnheit, die ihm jetzt seltsam verführerisch erschien. »…nein, würde ich nicht…« hauchte sie schwach, als ihr die eigene Erkenntnis den Atem raubte und Loki damit einen Triumph bescherte, welcher seinen verrotteten Kern in Aufruhr versetzte. Langsam sah sie wieder zu ihm auf; gewährte ihm Einsicht in ihre Seelenspiegel, in denen sein Sieg glänzenden Echos gleich durch die hellen Kreise ihrer Iriden zog. »Ich bin nicht geflohen. Die Königin und Thor haben mich hierher gesandt, um dich zu schützen.« nahm er ihr erst dann die Befürchtungen und genoss das irritierte Runzeln ihrer Stirn, da sie wohl die gleiche Verwirrung wie er über diese Tatsache empfand. »Frigga ist der Überzeugung, dass du sehr wichtig für uns bist, Gwendolyn. Und ich bin der Einzige, der dich vor Garms Blick beschützen kann.« »Was willst du hier, Loki? Bist du wirklich nur deswegen auf die Erde gekommen…nur, weil Frigga und Thor es wollten…?« Ihre geflüsterte Frage überraschte ihn und fast wäre er vor ihrem Blick zurückgewichen, der nun ohne Hadern in seinem nach Antworten suchte; nach verborgenen Tatsachen bohrte, die er nicht offenbaren wollte, weil sie ihn geschwächt hätten - und weil er sie sich selbst so schwerlich eingestehen konnte. Die unverhüllte Hoffnung in ihren Augen traf ihn durch die Mauern seiner eisigen Rüstung hinweg und ließ ihn die Finger um ihr Kinn versteifen. Sie hatte wahrscheinlich herausgefunden, dass er Befehlen ungern folgte; sich jenen nur beugte, wenn er sich einen eigenen Nutzen aus der Sache erhoffte - vielleicht hätte er sich ein weniger findiges Wesen für seine Obsession erwählen sollen. Er konnte ihrem Fokus nicht ausweichen, da das Schwäche bedeutet hätte und doch fürchtete er um das Wissen in seinen Augen, welches Gwendolyn erblicken könnte; er zog die Brauen herab und befeuchtete sich die trockenen Lippen, schloss die Augen für einen Moment, in welchem er seinen verkrampften Kiefer lockerte - der Magier wollte seine Silberzunge zu gewählten, verspielten Worten animieren, welche die Wahrheit gekonnt umschiffen würden, doch jene blieb regungslos liegen. Loki sollte Gwens Vertrauen nicht verlieren, wollte ihre Hoffnung nicht zerstören, doch auch sein Gesicht wahren; denn seine Masken war es doch am Ende, welche all jene Geflechte seiner Geschichte aufrecht erhielten, damit diese nicht in sich zusammenstürzten wie das fragile Gebilde eines Eiskristalls. »Nein-« Seine erschreckend dünnwandig gewordene Fassade durfte noch ein wenig länger bestehen; das Beben zog vorbei, da Gwens Wohnzimmerfenster in jenem Augenblick in einem hellen Knall zerbarst und tausende Scherben auf sie herabregneten, vor denen Loki die Sterbliche schützte, indem er seine große Gestalt über sie beugte. Dann stieß er sie geistesgegenwärtig beiseite. Denn das nächste, was er verspürte, war ein heftiger Energiestoß, welcher den Magier in die Seite traf und von den Füßen fegte. Mit einem Ächzen und unter dem erschrockenen Schrei Gwendolyns donnerte er an die Wand ihrer Wohnung, während eine menschliche Gestalt in einer rot-goldenen Rüstung durch das eben zerstörte Fenster hereinschwebte; Ironman hatte die leuchtenden Hände seiner Panzerung gehoben und richtete das schwelende Feuer seiner Repulsoren ziemlich eindeutig auf den Gott vor sich, der sich mit einem kalten Grinsen wieder auf die Beine erhob. »Der Mann aus Metall…« säuselte der Magier süffisant gelangweilt und ließ das Zepter des Tesserakts durch einen Wink wieder in seiner Hand erscheinen. Die Avengers. Oh, wie er diese mickrigen Spielfiguren Direktor Furys hasste, die sich ihm immer und immer wieder in den Weg stellen und seine Nerven strapazieren mussten in ihrem so naiven Eifer für eine besser Welt. Als ob sie schon wirklich etwas gegen den Verfall Midgards tun könnten, wo sie doch alle mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hatten; scheinheiliger Maskerade gleich wollten sie sich zu Helden aufschwingen. Helden - was für ein rührselig lächerliches Wort. Gwendolyn hatte sich beiseite und ein wenig hinter die Theke ihrer Küche geschoben; jetzt wollte sie sich bemerkbar machen, doch Loki hielt sie mit einem knappen Blick davon ab, während er den Ironman zu umkreisen begann. Besser, der Mann wurde gar nicht erst aufmerksam auf sie. »Hab ich mich doch nicht geirrt…« tönte die mechanisch verzerrte Stimme Tony Starks durch die kleine Wohnung, bevor der schwebende Mann den Helm seiner Rüstung zurückschnappen ließ und beinahe interessiert auf den Magier herabblickte. »Ich wusste doch, dass ich diese blaue Energieresonanz irgendwoher kenne…« resümierte der Eisenmann in Selbstgefälligkeit und senkte sein Interesse auf das goldene Zepter in Lokis Hand, bevor er den Gott wieder ansah. »Ich würde ja jetzt gern eine dieser albernen Höflichkeitsfloskeln gebrauchen, um dich auf der Erde zu begrüßen, aber…hrm…da sperrt sich mein gesunder Menschenverstand doch dagegen.« Warnend hob der Ironman erneut seine Hände mit den Repulsoren, als Loki sich mit einem schmalen Grinsen unbemerkt ein wenig näher zu ihm bewegt hatte. »Na na, schön artig! Was machst du hier, Loki? Hat die Anstalt in Asgard heute etwa Freigang?« Der Magier lachte gespielt amüsiert auf und ließ sich auf diese Farce mit Tony Stark ein; der war recht empfänglich für Worte und Schmeicheleien, wie Loki einst erkannt hatte - das Ego des Menschen war beinahe genauso groß wie sein eigenes; fast schade, dass er nur ein Sterblicher war. »Nicht erfreut über meinen Besuch, Mann aus Metall? Dabei haben wir uns doch das letzte Mal so gut verstanden. Wegen mir konntest du deine erbärmliche Welt in einer albern heroischen Tat retten…« resümierte der Magier säuselnd, senkte den Fokus wie beiläufig auf sein Zepter und strich mit den Fingern über die silbernen Klingen der Spitze, bevor er dem Mann in der Rüstung einen schneidend wissenden Blick schenkte, gepaart mit einem breiten, arglistigen Grinsen. »…eine Tat, die dir jetzt, so viele Monde danach, immer noch schlaflose Nächte beschert. Steht nicht noch ein Drink zwischen uns aus? Vielleicht kannst du mir ja dabei erzählen, ob du unter deinen Albträumen leidest? Ob du im Dunkel der Nacht erzitterst, dich vor dem Nichts unter dem beklemmenden Druck der Erkenntnis deines kümmerlichen Lebens fürchtest?« Lokis Grinsen war frostige Erheiterung, seine Züge gefrorene Klippen der Arglist, seine Zähne weiße, gefährliche Lichter unter dem Blick seiner Herablassung. Tony Stark zuckte getroffen zusammen, soweit man das eben in dieser Rüstung konnte und erwiderte den Blick des Gottes durchaus verunsichert. »Woher weißt du…ach egal.« Der Sichtschutz seines Helmes verbarg sein Gesicht mit einem Zischen wieder. »Warum unterhalte ich mich eigentlich mit dir? Ich habe hier viele kleine Idiotensensoren, die bei deinem Anblick erschreckend schnell anschlagen.« Eine Armada an Waffen entfaltete sich klickend und summend aus der Rüstung des Ironmans und zielte bedrohlich auf den Magier. Loki hob die Hände in gespielter Bedrängnis, bevor er herumwirbelte und sein Zepter überraschend auf den Mann richtete; ein geballter Schuss krachte gegen die Rüstung und schleuderte den Ironman aus der zerstörten Fensterfront wieder hinaus in die Häuserschlucht über der Straße. Doch natürlich ließ sich Tony Stark davon nicht aufhalten; wie ein Blitz raste er wieder heran und knallte gegen den Magier, der dem Angriff des Eisenmanns mit einem überheblich belustigten Grinsen begegnete, obwohl dieser ihn mit seiner Metallhand an die Wand pinnte. »Weißt du, Loki, dass du ständig mit diesem unglaublich langen, goldenen Ding da herumfuchteln musst, lässt bei mir die Vermutung aufkommen, dass du irgendwas kompensieren willst. Sind Götter etwa so-« Egal, was die metallische Stimme des Ironmans gerade fragen wollte, seine Motivation dazu erstarb in jenem Augenblick, als sich der bedrängte Gott vor ihm in Luft auflöste; nichts weiter als eine Illusion, die der Magier erschaffen hatte. »Och komm schon…nicht wieder diese Hütchenspiele…« murrte der Erfinder genervt. Tony Stark schwang sich mit zischenden Antrieben herum und sah sich so dem grinsenden Magier gegenüber, der sein glühendes Zepter mit einem angriffslustigen Schrei schwang und den Eisenmann damit gegen die nächste Wand katapultierte; eine gezielte, blaue Endladung folgte, welche den Putz von der Decke rieseln ließ und den Mann in der Rüstung durch die Wand in die nächste Wohnung jagte. Dort saß ein älteres Ehepaar vor dem Fernseher und starrte entgeistert auf den metallischen Eindringling herab. »Guten Abend, lassen sie sich bloß nicht von mir stören. Ich bin nur auf der Durchreise.« begrüßte Tony Stark die beiden lapidar, bevor ihn seine Antriebe wieder auf die Füße brachten. »Jetzt reicht es aber wirklich…« Ironman stapfte staubbedeckt durch das Loch in der Wand zurück und feuerte seine Repulsoren in rascher Abfolge auf den Magier ab, der sich entweder unter den energetischen Angriffen hinwegrollte oder durch Illusionen verwirrte, die höhnisch auf den Eisenmann herablachten. »Bisher hegte ich ja noch einen Funken Wohlwollen deinem verrückten Geist gegenüber, weil du Thors Bruder bist, aber jetzt ist Schluss mit lustig.« Unter dem Fauchen eines Energiestoßes donnerte der Ironman gegen den zuletzt verbliebenen Magier, nachdem dessen Illusionen unter Starks Schüssen zerstoben waren; der Eisenmann schleuderte den Gott an seinem Mantel herum und donnerte diesen erneut gegen eine Wand im Rücken, um ihn dann mit den sirrenden Repulsoren zu bedrohen, was Gwendolyn zu einem erstickten Laut animierte, die sich bisher hinter der Theke ihrer Küche versteckt hatte. Tony Stark wandte den Blick und schien die Umgebung zu scannen, bevor er jetzt erst auf die Frau aufmerksam wurde, die eben aus der Versenkung aufgetaucht war und einen nervösen Kater in ihren Armen barg. Verzweifelt und unschlüssig sah sie zu den beiden Männern herüber. »Oh, deine Freundin, Loki?!« fragte die energetische Stimme in ungläubiger Belustigung. »JARVIS, ist sie auch aus Asgard?« Eine andere, kühle Computerstimme antwortete: »Nein Sir, sie ist ein Mensch.« »Informationen, JARVIS.« verlangte Ironman befehlend. »Gwendolyn Lewis, weiß, geboren wahrscheinlich am 15.5.1989. Geburtsort: unbekannt. Leibliche Eltern: unbekannt. Aktuell angestellt als Journalistin beim New Yorker Daily View. Zwei Vorstrafen im Register, einmal wegen Drogenbesitzes, länger zurückliegend wegen Körperverletzung. Wohnhaft in…« Die sachliche Stimme ratterte die Informationen emotionslos herunter; Loki bemerkte das Zusammenzucken Gwendolyns bei dieser unliebsamen Aufzählung. Da lag wohl offenbar noch einiges im Dunkel ihrer Vergangenheit, welches ihn augenblicklich hellhörig werden ließ - und all diese Dinge wurden nun in die Öffentlichkeit der flackernden Lichter ihrer Wohnung gezerrt. »Ui, willst du deine Memoiren schreiben und veröffentlichen, Loki, oder warum interessiert dich plötzlich eine Journalistin?« wandte sich Tony Stark wieder an den Magier und umklammerte dessen Kehle recht eindringlich mit dem kühlen Metall seines Handschuhes. Der Gott reckte den Hals widerspenstig und stieß ein arrogantes, herausforderndes Lachen aus. Die Neugier des menschlichen Mannes war amüsant; immer wollten die Menschen alles wissen, alles verstehen. »Was willst du von ihr, Ziegenpeter?« In diesem Moment schwang Gwens Wohnungstür auf und Andrew Preston stürmte wieder herein, gefolgt von ein paar anderen, unbekannten Agents; alle hatten sie ihre Waffen gezogen und fixierten Ironman und den Gott. »Stark, lassen Sie ihn los. Er wird nicht verletzt.« verlangte Preston tonlos, ja fast schon zerknirscht, als würde diese Weisung all seinen inneren Rachegelüsten widersprechen. Er trug jetzt ein winziges Headset im Ohr und schien darüber seine Anweisungen zu erhalten. Erbärmliche Marionette - halten dich deine Fäden vom süßen Nektar der Vergeltung ab? Die Maske Ironmans öffnete sich summend erneut und Tony Stark wirkte nicht minder irritiert und unzufrieden als der Agent über seine eigenen Befehle. »Haben Sie mich nicht eben noch angerufen und verlangt, dass ich unseren Operettengeneral ins Aus puste, Agent Preston?! Entscheiden Sie sich mal…« Widerwillig ließ der Erfinder den Gott wieder los und stapfte ein paar mechanisch sirrende Schritte zurück. Gwendolyn sah sofort zu Andrew hinüber, der ihrem enttäuscht ungläubigen Blick allerdings entschieden auswich. Tja, da hast du wohl verspielt, mein Freund… Loki konnte seine Schadenfreude fast nicht verbergen, obwohl der Zorn auf den Agent dieser in nichts nachstand; dieser Wurm hatte ihn wirklich hinterhältig aus dem Weg schaffen wollen. Unter anderen Umständen hätte er dem Menschen für diese Niedertracht fast auf die Schulter klopfen können - jetzt wollte der Magier ihm den Kopf von jenen reißen. »Befehl von Direktor Fury. Loki Laufeyson genießt ab jetzt für drei Tage diplomatische Unantastbarkeit auf der Erde.« begann der Agent äußerst widerstrebend, als müsste er an seinen eigenen Worten würgen und halb daran ersticken. Unter dem verabscheuenden Blick Andrew Prestons richtete sich der Magier zu voller Größe auf und klopfte sich selbstzufrieden den Staub von seiner Rüstung, während er die Sterbliche an seiner Seite willkommen hieß, die nach kurzem Zögern zu ihm geeilt war. Das Grinsen auf seinen Lippen zog sich in beinahe unnatürliche Breite, während er den weiteren Worten des Agents lauschte, der nun ziemlich hölzern im Durchgang des Wohnzimmers stand und seine Anweisung lieblos herabrasselte. »Loki Laufeyson wird weder eingesperrt, noch verwundet oder gar getötet.« »Dein Ernst?!« verlangte Ironman entgeistert zu wissen und deutete anklagend auf den Magier. »Wir sollen den irren Gott laufen lassen?! Ist unserem Häuptling seine Augenklappe zu eng geworden? Sind bei Fury jetzt die letzten intakten Leitungen durchgeknallt?! Ich glaube, wir haben genug Wahnsinn am Hals, da müssen wir uns nicht auch noch mit dem da-« »Halten Sie den Mund, Stark.« unterbrach Andrew Preston den Erfinder, bevor er den weiteren Agents einen befehlenden Wink erteilte. Die Männer trugen einen Aktenkoffer heran und öffneten diesen auf Gwens - seltsamerweise intakt gebliebenem - Wohnzimmertisch; ein flacher Bildschirm kam zum Vorschein, darunter eine eingebaute Tastatur in der Hülle des Koffers. Ein kleines, rotes Licht am oberen Rand der silbernen Ummantelung ließ eine Kamera vermuten. »Da will Sie jemand sprechen, Loki…« erklärte der Agent kurz angebunden, während seine Stimme unter Abscheu bebte. Er sah den Magier auch nicht an. Der eben aufgebaute Bildschirm erwachte zu flackerndem Leben, bevor sich das finstere Gesicht Direktor Furys aus der Schwärze des Monitors schälte; der S.H.I.E.L.D Chef stand mit vor der Brust verschränkten Armen in einem kuppelförmigen Raum, in welchem im Hintergrund Gerätschaften und Monitore von weiteren Agents der Organisation überwacht wurden. In Lokis Kehle erwachte ein Knurren; Fury und er maßen sich über die Entfernung hinweg mit Blicken, beide stolz und unnachgiebig, beide mit Ablehnung für den jeweils anderen in der Brust. Seine Erinnerungen an die Gefangenschaft bei S.H.I.E.L.D waren noch prägnant greifbar, ebenso an die Avengers und deren erbärmlichen Sieg über ihn. Selbst nach zwei Jahren in Isolation hatte er keinen Moment vergessen. Der einseitige Blick des Direktors schwankte kritisch zu Gwendolyn hinüber, die sich neben dem Magier positioniert hatte und - unbewusst oder nicht - mit den eigenen, zitternden Fingern flüchtig nach Lokis tastete, während sie mit der anderen Hand den aufgewühlten Kater schützend an ihre Brust presste. Sie kannte jetzt die Wahrheit, über ihn und ihre Welt - und trotzdem war sie noch da und stärkte ihm mit ihrer Präsenz den Rücken. Vielleicht hatte er es nicht verdient, aber es machte ihn mächtiger, stärker. Loki verwob seine Finger kurz mit jenen der Sterblichen; diese zaghafte, vorsichtige Geste von Zugehörigkeit und Vertrauen straffte seine Schultern und beruhigte sein aufgewühltes Gemüt, ließ das süffisante Grinsen auf seinen schmalen Lippen erneut erblühen und anmaßend erscheinen - eine Tatsache, die den einäugigen Fury offenbar fast durch die Decke trieb. Der Magier konnte die mühsam beherrschte Wut im Auge des Mannes erkennen; offenbar ging hier einiges gewaltig gegen seine Prinzipien. »Mister Laufeyson…« begann der Direktor gedehnt und äußerst pikiert, als würde er seine eigenen Befehle am liebsten gleich selbst widerrufen. »…ich dachte nicht, dass man sich tatsächlich wiedersehen müsste, doch das Schicksal scheint uns so manches Mal zum Narren zu halten.« Fury läutete eine Kunstpause ein, bevor er mit drohendem Unterton weitersprach: »Sei dir gewiss, Loki aus Asgard, dass ich deine Gestalt in meiner Welt mehr als alles andere verabscheue, doch du hast leider mächtige Freunde und Verbündete, die mir meine Kooperation abnötigen. Du solltest deinen Fürsprechern danken.« Fury trat mit einem selten ehrerbietenden Nicken beiseite und eine bärtige, imposante Gestalt trat ins Blickfeld der Kamera, um Loki ein Gesicht zu offenbaren, was er so und in dieser Situation, an diesem Ort, niemals vorhersehen hätte können. Viel hätte er erwartet; Thor, vielleicht sogar Frigga, doch niemals jenen Mann, den er so lange für seinen Vater gehalten hatte, um nun erkennen zu müssen, dass er offenbar doch ein Herz besaß, welches noch immer in kindlicher Sehnsucht an diesem Glauben festhalten wollte. Beinahe wäre ihm ein verblüfftes »Vater?!« von den Lippen gerollt, die ihre überhebliche Erheiterung eingebüßt hatten. Odin baute sich neben Fury auf und sah ohne Hadern in die Kamera, um dem Blick seines Sohnes zu begegnen. Der Allvater trug seine Kampfrüstung, ebenso wie den Speer seiner Herrschaft - dass er sich nach all den Jahren erneut nach Midgard bemühte und seinen Thron dafür verließ, musste einen wahrhaft guten Grund haben. Die Dinge standen offenbar inzwischen ernster, als sie alle dachten. »Ui, dem schicken Kostümchen nach zu urteilen würde ich mal raten: ein weiterer, verrückter Gott aus Asgard!?« tönte Tony Stark geringschätzig neben Agent Preston. Der warf dem Erfinder einen knappen, zurechtweisenden Blick zu. »Reißen Sie sich zusammen, Stark. Das ist der Allvater Odin. Herrscher über Asgard und Thors und Lokis Vater.« zischte er leise. »Oh…« entkam es dem Ironman da sehr einsilbig. Über die unverschämten Züge des menschlichen Mannes huschte ein vergänglicher Hauch von Ehrfurcht und Demut; ein ziemlich seltener Anblick. »Wisse, dass ich dein Entfernen aus Asgard alles andere als gutheiße, Loki. Zu entsprechender Zeit wirst du deine Strafe dafür erhalten, dass du dich erneut meinen Anweisungen widersetzt hast.« wandte sich der Allvater ohne Umschweife an den Magier. Seine donnernde Stimme verlor selbst über Meilen hinweg nicht ihre Eindringlichkeit, auch wenn das eher kümmerliche Übertragungsgerät das volle Spektrum von Odins Macht kaum wiedergeben konnte. »Allerdings hattest du nicht unbeträchtliche Hilfe und wie ich erfahren musste, hat man dich förmlich dazu angestiftet, Midgard aufzusuchen. Das mildert nicht meine Enttäuschung, jedoch meinen Zorn.« endete der Allvater, um kurz nach Atem für seine nächsten Worte zu schöpfen. Sein sichtbares Auge schloss sich flüchtig, kühles Neonlicht funkelte im Gold seiner Augenklappe, bevor sich sein Blick schwer auf den Magier legte. »Loki, Malekith scheint sich inzwischen der Hilfe Hels zu bedienen. Vor wenigen Stunden erschütterte ein verheerender Angriff Niflheims Hallen unter dem ewigen Eis; Legionen der Toten fielen in der Stadt der Zwerge ein und forderten einen furchtbaren Tribut.« Loki schüttelte ungläubig, beinahe abwehrend den Kopf. »Aber…das ist nicht möglich. Die Toten können Helheim nicht verlassen, außer-« »-Ragnarök steht unmittelbar bevor.« beendete Odin in unheilvollem Ton ihrer beider Gewissheit, während die bedrohliche Offenbarung wie giftiger Nebel in die Herzen der Anwesenden sickerte; die Agents, selbst Ironman und Direktor Fury wirkten unruhig. Gwen sah zu dem Magier neben sich auf, während sie nun absichtlich näher zu ihm rückte; in ihren hellen Augen wurde die Ahnung auf drohendes Unheil geschürt - zwei bleiche Segel an Naglfars Masten. Ragnarök - das Weltenende. Sollte es also wirklich beginnen? »Thor und die Tapferen Drei musste ich nach Niflheim entsenden, um dort die Ordnung wiederherzustellen.« fuhr Odin fort und schritt vor Fury unruhig auf und ab. Selbst der Direktor schien in seiner Haltung erschüttert und fuhr sich mit einer Hand angespannt über das kahle Haupt. »Die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen immer mehr. Auch Midgard ist nun davon betroffen. Malekith musste jene Passagen nur erweitern und Hel für seine Sache gewinnen. Ich weiß nicht, wie er es vollbracht hat-« »Mit Seelen.« unterbrach der Magier den Allvater, nachdem er nachsinnend das Haupt gesenkt hatte. »Er wird ihr einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Opfer versprochen haben, die gewiss auf den Schlachtfeldern Ragnaröks fallen werden.« Sein Blick hob sich wieder und fixierte sich auf den Monitor. Der Allvater blieb stehen und rieb sich über sein altes, müdes Gesicht; der Speer stützte ihn einmal mehr und verdeutlichte Loki, wie alt Odin doch über die Jahrhunderte geworden war. »Noch kann Hel ihr Reich nicht verlassen. Noch hat sie ihre tödlichsten Waffen nicht entfesselt - ihre Leibgarde. Doch das ist nur eine Frage der Zeit. Wenn Malekith Yggdrasil erreichen sollte, kann er Hels Ketten sprengen und sie befreien. Dann sind wir verloren…« »Dann vielleicht. Doch jetzt noch nicht.« durchbrach Loki die Stimme schwelender Aussichtslosigkeit. Der Allvater musterte seinen Sohn; lange und fast nachdenklich, bevor er knapp nickte. »Ja, jetzt noch nicht...« wisperte er einlenkend mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln und straffte sich. »Es scheint, ich muss dir nun vertrauen, Loki, auch wenn ich diesen Tag lang schon fürchtete.« bemerkte er unumwunden. »Ich konnte eine Galgenfrist für dich aushandeln. Drei Tage magst du auf Midgard bekommen. Eine Zeit, in welcher du unantastbar für die Sterblichen bleibst. Nutze diese Zeit gut.« Odin blieb erneut vor dem Monitor stehen und deutete mit einer harschen, veranlassenden Geste auf Gwendolyn und den Magier. »Finde endlich heraus, was dort in der Sterblichen schlummert und ob wir es zu unserem Vorteil nutzen können. Beschütze sie. Sie muss leben. Frigga ist dieser Meinung und ich bin geneigt, ihre Meinung zu teilen. Gwendolyn Lewis scheint vom Schicksal gesegnet, von Skuld selbst. Wenn ihre Vorsehung wirklich mit unser aller zusammenhängt, so müssen wir sie wie den größten Schatz hüten. Diese Bürde lastet nun auf deinen Schultern, Loki. Auf deinen allein. Fühlst du dich jener gewachsen?« »Natürlich.« versicherte der Magier sachlich, entschieden und ohne jeglichen Spott in seiner scharf definierten Stimme. Kein Thor war nun da, keine Lady Sif und keine Tapferen Drei - der Magier würde diese Aufgabe allein bewältigen müssen, ohne das man ihm am Ende den Erfolg und Ruhm absprechen könnte. Er fürchtete die Herausforderung nicht; was er fürchtete war die Verdammnis der Untätigkeit in der Abgeschiedenheit einer Gefängniszelle. Er würde Odin beweisen, dass wesentlich mehr in ihm schlummerte, als jener all die Jahre in ihm hatte sehen wollen, bis der Allvater seinen Irrglauben erkennen und bereuen müsste. Odin nickte langsam, wirkte zufrieden, bevor er abermals das Wort erhob. »Nach diesen drei Erdentagen kann selbst meine Macht dich auf Midgard nicht mehr schützen. Dann solltest du dort verschwunden sein.« Loki nickte beiläufig, dann besann er sich und neigte das Haupt in einer knappen, aber respektvollen Geste vor dem flackernden Bild des Allvaters - er hatte lange keine solche achtungsvolle Geste vor Odin ausgeführt, doch er spürte, dass es an der Zeit war, alte Gewohnheiten zu ändern. Am bevorstehenden Weltenende sollte man womöglich seinen Stolz über Bord werfen; sich Freimachen von Ballast, um beweglich in die Schlacht zu ziehen; Loki selbst hatte es Odin geraten - das Loslösen von alten Fehden, Bedenken und Misstrauen, damit sie vereint für ihre Existenz kämpfen konnten. Wahrscheinlich sollte er als gutes Beispiel vorangehen. Odin hatte immerhin für ihn gesprochen und das hätte er wahrlich nicht tun müssen; er hätte den Magier der Gnade der Sterblichen ausliefern können, nachdem er sich abermals seinen Befehlen widersetzt hatte - doch er hatte es nicht getan. Loki wollte sich schon abwenden, als ihn das Räuspern des Allvaters aufhielt. Fragend sah er zu dem Monitor zurück, wo Odin tief nach Luft schöpfte und kurz sein sichtbares Auge schloss, als müsse er Kraft sammeln - Kraft für Worte, die dem stolzen Mann schwer fallen mochten. »Sei vorsichtig…Sohn.« Letztes Wort verhallte wie der trügerisch lockende Laut einer Sirene. Das blaue Auge Odins wirkte erschreckend klar; ein Blick, der aus dem Herzen des Allvaters kam - zögerlich, doch entschieden. Der Magier konnte es förmlich spüren; über Meilen hinweg war er in jenem Augenblick mit dem Allvater verbunden und der alte Mann spürte sein Ende nahen - in den Tiefen seiner Knochen und den säuselnden Stimmen des Windes, die ihn immer öfter in ein Land fern ab dieser Realität lockten. Das veranlasste Odin wohl zu untypischer Gefühlsregung. Wie lange hatte Loki auf diese besondere Nuance in den Worten des Allvaters gelauert; sich dafür schier aufgeopfert, um immer ein bisschen besser zu sein - und nun durfte er diese lang unerreichbare Frucht kosten; nun, da er sein Schicksal verdammt hatte über angegriffene Welten und geschlagene Opfer seines Weges. Sein eigener Erzeuger war auf diesem Pfad gefallen und doch hatte Loki das größte Opfer von allen wohl selbst gebracht… Während der Magier den Monitor noch ungläubig anblinzelte, verschwand das Bild seines Vaters flackernd in Schwärze; die Verbindung war getrennt und Schweigen legte sich über den Raum - unterbrochen nur von den andauernden Geräuschen der Stadt, die sich tapfer ihren Angreifern zu erwehren suchte. * “Listen to your heart, when he's calling for you Listen to your heart, there's nothing else you can do I don't know where you're going and I don't know why But listen to your heart before you tell him goodbye~” Der alte Song von Roxette trällerte provozierend aus dem Autoradio. Eine hektische Hand schoss vor und wechselte den Sender. “Please don't stop loving me, loving me Uu uu uu uu uu uu uu uu Wanting me, wanting me like you do Please don't stop caring now, caring now Uu uu uu uu uu uu uu uu Caring now, caring now like you do~” John Newmans “Losing Sleep” hämmerte ihnen dann aus den Boxen entgegen und nachdem ein weiterer Suchlauf auch noch Leona Lewis‘ „My Hands“ ausspuckte, gab es Gwen auf und schlug hastig auf den Power-Knopf des Radios, dessen Klänge augenblicklich erstarben und das sanfte Schnurren des Motors vernehmlich zurückließen. Entnervt rieb sie sich mit spitzen Fingern den Nasenrücken und schob ihre Brille wieder höher; irgendwie war ihr das Radio heute überhaupt nicht wohlgesonnen. Hatte sich eigentlich alle Welt gegen sie verschworen? Flüchtig schielte sie aus dem Augenwinkel neben sich, wo ein dunkelhaariger Gott in einer schwarzen Jeans und dunkelgrünem Hemd im Sitz lehnte - und natürlich mit gehobener Braue zu ihr herüberstarrte. Sie konnte das überdimensionale Fragezeichen auf Lokis Stirn beinahe schon sehen. »Gefällt dir das Unterhaltungsprogramm etwa nicht?« fragte er mit einem schiefen Grinsen, in welchem der Spott kaum zu übersehen war. »Nein.« war ihre knappe Antwort. Verbissen umklammerte sie das Lenkrad des teuren Wagens und starrte stur geradeaus auf die Fahrbahn. Diese nun schon länger andauernde Ruhe zwischen ihnen war Gift für ihre Nerven; sie wusste, dass sie endlich mit Loki reden musste - es auch wollte - doch irgendwie schob sie das Ganze immer weiter vor sich her wie einen riesigen Schneehaufen, der sich irgendwann zu einem gewaltigen Gletscher auftürmen würde. Eigentlich hatte sie gehofft, dass zumindest das Radio ein wenig Entspannung und Ablenkung bringen könnte, allerdings wollte sie das Schicksal heute offenbar mit Liedern foltern, die ihrer Stimmung alles andere als zuträglich waren. Der Magier schien weniger Probleme mit der Stille zwischen ihnen zu haben; womöglich genoss er Gwens Anspannung und Ruhelosigkeit sogar noch. Seit dem gestrigen Abend waren sie nun im Auto unterwegs; Gwen hatte die erste Zeit auf der Rückbank neben Winstons Transportkorb geschlafen, da die Müdigkeit sie förmlich überwältigt hatte, nachdem das Adrenalin abgeklungen war. Loki hatte somit den ersten Teil der Strecke übernommen. Sie hatte bereits aufgehört sich zu fragen, woher er eigentlich Auto fahren konnte - wahrscheinlich war es bei seiner raschen Auffassungsgabe keine große Sache, sich diese Fähigkeit anzueignen. Vielleicht half ihm auch seine Magie dabei. Nach dem Frühstück, welches sie in einer MCDonald‘s Filiale eingenommen hatten, war Gwen nun hinters Steuer geschlüpft, obwohl der Magier nicht den Eindruck machte, als müsse er in absehbarer Zeit überhaupt schlafen; vielleicht benötigten Götter allgemein weniger Erholung oder konnten einfach besser mit ihren Kraftreserven haushalten. Es war immer wieder ein Risiko, den Magier auf die Menschheit loszulassen; er benahm sich wie ein Kind im Süßigkeitenladen - wenn man nicht ständig aufpasste, herrschte bald Chaos. MCDonald‘s würde sich nach dem Besuch des Gottes sicherlich mit einigen unschönen Klagen auseinandersetzen müssen, da sich das Rührei vieler Besucher auf krabbelnden Beinen aus dem Staub gemacht oder der Cappuccino in einen Schwarm Insekten verwandelt hatte. Als dann auch noch die Illusion eines brennenden Mitarbeiters aus der Küche mit rudernden Armen durch die Filiale gestürzt war, hatten auch die hartgesottenen, morgendlichen Gäste das Weite gesucht. Der Prinz hatte das Spektakel mit ungerührtem, teilnahmslosem Gesicht verfolgt und sein Frühstück seelenruhig verzehrt, während ihm die S.H.I.E.L.D Agents, die sie nun begleiteten, bereits wieder mit Handfesseln und Schlimmerem gedroht hatten. Gwen schielte erneut zu Loki hinüber und befeuchtete sich nervös die Lippen, als der Magier zum widerholten Male seinen Starbucks Kaffeebecher in die Höhe hob und in alle Richtungen drehte, als müsste er unbedingt hinter das Geheimnis der grün-weißen Pappe kommen. Dabei klaffte Lokis Hemd um ein gutes Stück weit auf und gewährte ihr einen köstlichen Einblick auf seine blasse Brust. Gwen lenkte ihren Blick krampfhaft wieder auf die Straße und mit einer beinahe hektischen Bewegung zog sie den Wagen auf ihre Fahrspur zurück, nachdem der verteufelt teure Maserati fast die Mittellinie geschnitten hätte. Wie sollte man sich bitte bei solch einem Anblick neben sich auf die Straße konzentrieren? Wirklich nicht förderlich, vor allem, da sie selbst seit mehreren Monaten das erste Mal wieder hinter dem Steuer saß und dann auch noch hinter einem so PS-starken Monster, welches hervorragend dafür geeignet war, sich um die nächste Leitplanke zu wickeln. Loki hatte mithilfe eines Zaubers die Scheiben des Wagens wieder repariert, sodass sie nun ziemlich flott in Richtung Norden und kanadische Grenze unterwegs waren; manchmal war so ein Magier doch ziemlich praktisch. Der Gott hatte auf das Auto bestanden, da sie so flexibler waren und ihre Route schneller ändern konnten, als wenn sie mit Bahn oder dem Flugzeug unterwegs gewesen wären. Fahrig griff Gwen nach ihrem eigenen Kaffeebecher in der Mittelkonsole, den sie auf dem kleinen Zwischenstopp besorgt hatte, um den Magier in alltagstaugliche Klamotten zu stecken. In seiner Kampfrüstung würde er doch ein wenig zu sehr auffallen und in der edlen Abendkleidung war es auch nicht besser; beim Frühstück hatten sie alle angestarrt, als wäre ein Superstar unter ihnen erschienen. Allerdings musste ihre Gruppe auch einen wirklich merkwürdigen Anblick geboten haben; ein adlig aussehender Gott im Anzug, eine Handvoll S.H.I.E.L.D Agenten mit Sonnenbrillen und - naja, sie eben. Eher das unscheinbare Anhängsel der Gruppe; wahrscheinlich die Kammerzofe. Oder die Köchin. Gwen verbot sich eigentlich vehement die Gedanken an den Klamottenkauf mit Loki, vor allem an die zwei Verkäuferinnen, die sich kaum davon hatten losreißen konnten, den Gott in enge Hosen und edle Hemden zu kleiden; es hätte nicht viel gefehlt und den beiden wären wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf gefallen, wenn sie sich nicht vorher auf ihre üppigen Dekolletés gesabbert hätten. Loki selbst schien sich seiner Wirkung auf die menschliche Frauenwelt gar nicht so recht bewusst zu sein; er hatte nicht mit den Frauen geflirtet und ihre Blicke geflissentlich ignoriert - was auch besser für ihn gewesen war, sonst wäre Gwen durchaus der Versuchung erlegen, ihn in den Wagen zu den Agents zu stecken. Die hätten bestimmt eine Menge Spaß miteinander gehabt… »Du kannst den Kaffee ruhig trinken. Da ist kein Gift drin.« gab sie amüsiert von sich, bemühte ihre Aufmerksamkeit jedoch weiterhin auf die Straße, während sie an ihrem eigenen nippte. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass der schwarze Van von S.H.I.E.L.D ihnen beständig folgte; Andrew Preston war mit seinen Männern persönlich für ihre Überwachung eingeteilt worden. Nachdem der Agent am Abend zuvor allerdings versucht hatte, den Gott hinterhältig an Ironman auszuliefern, hielten sich ihre Gespräche in kargen, überschaubaren Maßen. Damit hatte er eindeutig eine Grenze überschritten und Gwens Vertrauen missbraucht; sie hatte ihn um ein Gespräch mit Loki gebeten und ihm war nichts Besseres eingefallen, als den Prinzen aus dem Weg räumen zu lassen. Der Magier genoss zwar die folgenden drei Tage diplomatische Unantastbarkeit, allerdings hieß das noch nicht, dass Fury ihn unbeaufsichtigt durchs Land ziehen lassen würde. Wenn die Frist ablief, wäre S.H.I.E.L.D mit Sicherheit sofort bei der Stelle, um das Recht auf Bestrafung des Gottes einzufordern - Andrew mit Gewissheit in der ersten Reihe. Abermals wagte Gwen einen Blick zu dem Prinzen hinüber; diese fast schon normale Alltagskleidung an ihm war seltsam und ließ den Magier viel zu real wirken - viel zu wirklich und greifbar. Eine Illusion, die ihr vorgaugelte, dass er und sie gar nicht so unterschiedlich waren und dass es womöglich eine Zukunft haben könnte, ihr Herz an diesen Mann zu hängen… »Die Sterblichen haben oft komische Gelüste und Laster. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll…« Loki roch skeptisch an dem heißen Getränk, bevor er zaghaft daran nippte. Gwen beobachtete ihn mit hochgezogenen Brauen und sah zu ihm hinüber, da die Straße eine Weile in monotoner Geradlinigkeit verlief. »Und?« Der Magier zog die Stirn in Falten und schwenkte den Becher nachdenklich in den Händen, bevor er die Schultern zuckte, allerdings einen weiteren Schluck nahm. »Es ist ganz in Ordnung.« meinte er lapidar. »Ganz in Ordnung, ja?« Gwen unterdrückte ein Schmunzeln und stellte den eigenen Becher wieder in der dafür vorgesehenen Halterung der Mittelkonsole ab. »Manche Menschen sind förmlich süchtig nach dem Zeug. Ich habe sogar mal gehört, dass einige ziemlich ausrasten, wenn sie ihren Kaffee nicht bekommen…und eine komplette Starbucks Filiale niederwalzen.« Ihre Blicke trafen sich kurz und auf seinen Lippen erblühte eines dieser breiten, hinterhältigen Grinsen, die Gwen wahrscheinlich gar nicht so anziehend finden sollte. Krampfhaft presste sie die Lippen aufeinander, um ihr Schmunzeln zu verstecken und lenkte den Fokus wieder auf die Straße. Da bei diesem Vorfall niemand ernsthaft verletzt wurden war - ließ man den Ruf Dr. Banners und Steve Rogers einmal außen vor - so würde sie ihm deswegen sicher keine Moralpredigt halten. Witzig war es ja doch irgendwie gewesen; zumindest aus einer schrägen, mehr göttlichen Perspektive. »Warum hast du das gemacht, Loki?« fragte sie ehrlich interessiert. »Warum gehst du so selbstverständlich davon aus, dass ich das war?« Abermals glitt ihr Blick zu ihm hinüber und sie hob die Brauen bedeutsam und kritisch in die Höhe. »Ich weiß, du willst mir noch immer die Kleingeistigkeit Midgards unterstellen, aber ich bin nicht blöd…« Der Gott ließ sich in seinem Sitz zurückfallen und sah nun ebenfalls geradeaus, den Kaffeebecher zwischen seinen langen Fingern im Schoß geborgen. »Ich hatte noch Rechnungen zu begleichen…« gab er dann kühl von sich. »Du meinst Rache.« resümierte Gwen für sich und setzte den Blinker, um einen langsameren Wagen auf der Strecke zu überholen. Der Wagen schoss unter ihrer Anweisung geschmeidig nach vorn und presste sie in den Sitz zurück; ein angenehm machtvolles Gefühl - Geschwindigkeit gepaart mit Gefahr. »Und, hat sie dir etwas gebracht?« »Nebst dem Gefühl von Zufriedenheit und Schadenfreude? Durchaus Genugtuung.« erläuterte Loki ruhig und nippte abermals an seinem Kaffee. Gwen versuchte sich wirklich in den Gott einzufühlen; seine Niederlage gegen die Avengers musste ihn einiges seines Stolzes gekostet haben und Loki war einfach kein Mann, der so etwas auf sich sitzen lassen konnte. Nach einer Weile des Schweigens wagte sie jene Frage, die ihr schon so lange auf der Zunge brannte. »Hasst du die Menschen?« Loki sah flüchtig zu ihr herüber und schien latent überrascht von ihrer Frage. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete: »Einige bestimmt. Aber grundsätzlich - nein. Wie soll man auch etwas hassen, was so weit unter einem steht, dass es die Mühe dieser Emotion gar nicht lohnt?« Lokis Züge waren wieder stur geradeaus gerichtet, während sein Zeigefinger gedankenverlorene Kreise auf dem Rand seines Kaffeebechers zog. Sein Kinn war in jener Gewissheit von adliger Arroganz gehoben und Gwen verbiss sich einen spitzen Kommentar; sie kannte seine überhebliche Art zur genüge und es war vergeblich, ihn zurechtzuweisen. Vor allem jetzt, da sie die Chance auf wesentlich tiefere Einblicke in die Gedankenwelt des Magiers hatte… »Warum dann dieser Angriff auf New York, Loki? Warum wolltest du eine Welt beherrschen, die doch anscheinend so weit unter deiner Würde liegt? Erklär es mir. Ich verstehe es nicht…« Immer wieder flog ihr Blick zu ihm hinüber, während ihre Hände in einem unmerklich angespannten Rhythmus auf dem Lenkrad trommelten; Gwen versuchte jede Regung des Gottes einzufangen, da bei ihm oft die kleinen Dinge wirklich von Belang waren. Lokis Zeigfinger hielt in seinen unermüdlichen Kreisen inne, den Rand des Bechers zu liebkosen. Seine Wangenmuskulatur spannte sich an und schob seinen Unterkiefer um ein Stück weit nach vorn, während er fast nachdenklich den Blick senkte und die Augen für einen Wimpernschlag geschlossen hielt. »Ich war ein König, bis ich verraten und verbannt wurde. Ein Thron stand mir rechtmäßig zu. Dieses glorreiche Ansinnen war meine Bürde. Ich wollte beweisen, dass ich dem würdig bin…dass ich es kann…« Er sprach so leise, dass Gwen Mühe hatte, ihn über das Schnurren des Motors zu verstehen. Beinahe wirkte er wie in Trance, als würde er einen Text zitieren, den er lang zuvor gelernt hatte; seine Finger verkrampften sich um den Pappbecher in seinen Händen und sie hatte Angst, dass er sich bald mit dem heißen Getränk verbrühen würde. »Dass du was kannst…?« hakte sie vorsichtig nach. »Herrschen. Die Menschheit von der größten Lüge des Lebens befreien. Von der Lüge der Freiheit…« Seine Stimme war um einige Nuancen gesunken und Gwen fröstelte ungewollt, obwohl es alles andere als kalt im Wagen war. Der Magier wirkte so fremd, so verändert; die Szene aus Stuttgart kam ihr wieder in den Sinn. »Er schenkte mir altes Wissen und gab mir neue Bestimmung, erweiterte meinen Horizont und ließ mich klarer sehen...« Gwen erschauderte. »…wer? Wer gab dir eine Bestimmung…?« »Unwichtig. Das geht dich nichts an, Mensch!« zischte er nun fast; als hätten ihre Worte einen Bann gebrochen, ruckte sein Kopf nach oben und er versteifte sich in seinem Sitz. Sein Blick schoss kurz brennend zu ihr herüber, bevor er wieder aus dem Fenster sah. »O-okay…schon gut…« lenkte Gwen erschrocken und unsicher ein; ihre Finger hatten sich fast hilfesuchend um das Lenkrad gekrallt, nachdem er so aufbrausend reagiert hatte. Sie blinzelte hastig - sie hasste es, so nah am Wasser gebaut zu sein und es war verletzend, dass er sie so anfuhr. Mensch… Vehement biss sie sich auf die Unterlippe und starrte angespannt auf die Straße. Sie sollte vielleicht wirklich nicht vergessen, mit wem sie hier im Auto saß… Da schien noch einiges im Argen zu liegen. Gwens Gespür als Journalistin sagte ihr, dass Loki nicht alles offenbart hatte und unverkennbar etwas zurückhielt. Nach einer Weile, in der sie schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, meldete sich der Gott doch wieder zu Wort; leise, aber inbrünstig überzeugt. »Ihr schlachtet euch gegenseitig ab und richtet eure Welt zu Grunde; die Macht der freien Entscheidungen hat euch nicht reicher gemacht, sie hat euch verdammt. Ohne die Freiheit könntet ihr in Frieden leben. Ich wollte über die Menschen herrschen und ihnen mehr zeigen. Eine glanzvolle Zukunft. Unter meiner Herrschaft hättet ihr endlich Frieden erfahren können, ohne euch auf der Suche nach Identität und Macht in Gezänk zu verlieren.« Nun sah er wieder zu ihr herüber und bedachte sie mit einem langen Blick, den er ihr über den Rand seines Kaffeebechers schenkte, als er einen weiteren Schluck nahm. Seine Augen wichen den ihren nicht aus, als sie flüchtig seinem Fokus begegnete. Er war sich völlig im Klaren über das, was er da sprach und stand offenbar hinter seinen Worten. »Ist das wirklich dein Ernst? Bist du wirklich dieser Meinung?« hinterfragte sie seine These mit skeptisch zusammengezogenen Brauen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Eine Gewaltherrschaft und Sklaverei sollte uns retten!?« »Das wäre keine Sklaverei-« »Oh doch, das wäre es. Vielleicht gäbe es keine schicken Halsbänder oder Fußfesseln, doch das Ergebnis bleibt das Gleiche. Unterdrückung kann doch niemals zu etwas Gutem führen, Loki. Was wäre das für ein Frieden, wenn er so furchtbar erzwungen wird?« Immer wieder sah sie zu ihm hinüber, wenn die Führung der Straße es zuließ, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte. Der Magier schnaubte abfällig. »Ihr müsst vor euch selbst beschützt werden, denn offenbar seit ihr ja nicht dazu im Stande, eure eigene Welt friedlich und gerecht zu führen. Die Freiheit macht euch wirr und wahnsinnig. Ihr seid wie Kinder, die mit ihren großzügigen Gaben nichts anzufangen wissen und diese zänkisch und neidisch zwischen sich zerreißen wie hungrige, junge Löwen.« »Und du willst mir jetzt allen ernstes erzählen, dass der Entzug von Freiheit das bessern soll? Wie hast du dich denn die letzten Monate in deiner Zelle gefühlt? Ging es dir besser, weil man dir die Freiheit entzogen hat? Warst du glücklich und zufrieden?« fuhr sie ihn nun barsch an und griff fahrig nach ihrem Kaffeebecher, um sich die trockene Kehle zu befeuchten. Die Ansichten dieses Gottes brachten sie auf die Palme. Das konnte er doch nicht wirklich selbst glauben. Gerade er müsste es doch besser wissen… Loki presste die Lippen aufeinander und starrte sie unter finster herabgezogenen Brauen an. »Das ist etwas ganz anderes…« »Oh ja…natürlich…das ist es ja immer…« murmelte Gwen sarkastisch und biss sich dann auf die Zunge; fast erwartete sie schon einen weiteren Ausbruch von Loki, doch der blieb seltsam ruhig. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass er sie lange ansah, bevor er den Blick abwandte und sich wieder gerade in seinen Sitz zurücksinken ließ. »Loki, wir Menschen sind bestimmt nicht perfekt. Ganz bestimmt nicht…« begann sie dann vorsichtig, während ihre Finger angespannt über das Lenkrad strichen. Ihr Fokus flog zum Rückspiegel; der schwarze Van folgte noch immer. »…wir machen viele Fehler. Viele dumme Fehler, da hast du recht. Aber wir müssen selbst daraus lernen. Diese Verantwortung kann uns niemand abnehmen. Man kann Weisheit in niemanden hineinprügeln.« »Manchmal wäre es durchaus einen Versuch wert…« murmelte der Magier ironisch, bevor sich die Luft plötzlich statisch auflud und nach einem magischen Schimmern Thor neben Gwen auf dem Beifahrersitz saß. Sie blinzelte irritiert zu dem blonden Hünen hinüber, der Mjölnir fast durch die Decke des Wagendaches stieß und inbrünstig grollte: »Wer benötigt schon Verstand, wenn man einen Hammer besitzt?! Der Hohlraum des Schädels lässt sich doch viel besser nutzen, um jenen hervorragend mit Met und Kriegsgeschrei zu füllen. Weisheit ist für Narren, stumpfsinniges Gebaren, Muskeln und Mjölnir werden mich zum Sieg führen! Wehe dem, der etwas anders behauptet…« Gwen mochte Thor eigentlich wirklich gern und auch wenn der blonde Gott seinem Bruder sicher in einigen, geistigen Dingen nicht das Wasser reichen konnte, so war er doch gewiss nicht dumm oder einfältig. Außerdem war die Situation alles andere als witzig, allerdings war der Anblick neben ihr so lächerlich, wie Thor in seiner Kampfmontur in diesem plötzlich so winzig wirkenden Auto saß, dass sie einfach losprusten musste und ihr ein gelöstes Lachen aus den Lippen brach. »Das ist wirklich…nicht…lustig…« brachte sie krampfhaft heraus, während sie Mühe hatte, den Wagen auf der Spur zu halten, da ihr Tränen in die Augen stiegen und ihre Sicht verschwamm. »Lass das, Loki. Lenk nicht vom Thema ab…« In einem weiteren, grünen Schimmern verwandelte sich der Gott wieder in seine Gestalt zurück; ein hauchfeines Schmunzeln spielte um seine harten, schmalen Lippen. Gwen benötigte einige Momente, um sich wieder zu beruhigen; mit spitzen Fingern schob sie ihre Brille nach oben und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. Dieser Mann würde eines Tages wirklich ihr Tod sein. »Verzeih, dass ich dich vorhin so angefahren habe. Das war nicht meine Absicht…« drang nun Lokis Stimme ungewöhnlich sanft an ihr Ohr und sie wandte den Kopf zu ihm, da sie sich fast sicher war, sich verhört zu haben. Ungläubig blinzelte sie ihn an, doch er erwiderte ihren Blick fest und ernsthaft. Das Grün seiner Augen schimmerte in Versprechungen, vor denen sie ihr Verstand noch immer schützen wollte; mit einem unsicheren Räuspern konzentrierte sie sich wieder auf die Straße und hob die Hand, um die Sichtblende herunterzuklappen. Die tiefstehende Morgensonne blendete ihre Augen, war jene bis eben noch hinter einem Hügel verborgen gewesen. »Schon okay…« wiegelte sie ab. »Ich muss mich auch entschuldigen. Für die Ohrfeige, die ich dir verpasst habe…« murmelte sie dann verlegen und strich sich eine Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem zweckmäßigen, unordentlichen Zopf gelöst hatte. Angespannt fokussierte sie ihren Blick auf die Straße, obwohl kaum Autos zu dieser noch frühen Stunde auf dem Highway unterwegs waren. Die Umgebung zog rasch an ihnen vorbei; die weite Ebene zog sich langsam enger um die Straße zusammen, je weiter sie nach Norden fuhren und immer mehr Hügel und dichte Wälder säumten ihren Weg. In der Ferne bildeten sich bereits schneebedeckte Gipfel ab, welche in der nebligen Morgenluft am Horizont verschwommen wirkten. Den Lake Ontario würden sie bald passiert haben. »Fandest du sie etwa nicht gerechtfertigt?« Der Magier überraschte sie unvermittelt mit seiner Frage und ließ Gwen tatsächlich ratlos zurück; sie starrte nachdenklich auf das Tachometer vor sich, bevor sie entschieden antwortete: »In diesem Moment schon, aber…es tut mir trotzdem leid. Ich habe einfach überreagiert. Ich hätte mich anders verhalten können. Womöglich hätte ich auch nicht so überstützt fliehen sollen. Ich hätte dir die Möglichkeit auf eine Erklärung einräumen müssen…« Sie schielte zu Loki hinüber, der nicht weniger nachdenklich die hohe Stirn gefurcht hatte und auf seinen Becher starrte. Skeptisch sah er dann zu ihr. »Du bist wirklich der Meinung, dass ich das Recht auf eine Erklärung verdient hätte? Da bist du wohl die Einzige…« resümierte er trocken und trank den letzten Schluck seines wohl inzwischen eher lauwarmen Kaffees. Das Verziehen seiner Mundwinkel verriet ihr, dass das schwarze Getränk wohl wirklich inzwischen bitter und kalt geworden war. »Jeder hat das Recht, sich zu erklären.« murmelte sie dann leise und ließ mit einem Seufzen ihr Fenster ein Stück herunter, um frische Morgenluft hereinzulassen. Die Luft war kühl und feucht; angenehm für ihren angespannten Geist, der sofort ein wenig wacher wurde. »Ich hätte mir einfach gewünscht, dass du es mir eher gesagt hättest…« brachte sie dann zaghaft heraus und war sich nicht sicher, ob Loki sie über das Rauschen des Windes gehört hatte. Sein Blick war geradeaus gerichtet, doch seine Ohren funktionierten offenbar hervorragend. »Nein, das hättest du nicht, Gwendolyn. Hättest du diese Wahrheit wirklich eher von mir hören wollen? Sei ehrlich - was hätte sich an deiner Reaktion geändert?« Sein grüner, eindringlicher Fokus schwenkte zu ihr herüber und sie fühlte sich augenblicklich im Licht seiner leuchtenden Augen gebadet. Sie nagte angestrengt an ihrer Unterlippe und begrüßte die Verzögerung einer Antwort, da sie erneut einen Wagen überholen musste, der recht langsam unterwegs war; ein junges Pärchen - offenbar Touristen - saßen in dem Fahrzeug. Der Mann lachte am Steuer, während seine Freundin ihn mit der Kamera fotografierte, bevor sie die Linse wieder auf die Umgebung hielt. Gwen beneidete die beiden plötzlich um ihre Unbeschwertheit; mit Loki schien alles immer so schwierig, so direkt und gefährlich, wenngleich auch jeder Moment seltsam intensiv war, dass ihr altes Leben bald nur noch wie die blasse Fotografie eines längst zurückliegenden Tages wirken würde. Er hatte natürlich Recht. An ihrer Reaktion hätte sich wahrscheinlich nichts geändert. Sie wäre trotzdem entsetzt gewesen, auch wenn er es ihr schon viel früher gesagt hätte. Der Unterschied zu jetzt war allerdings, dass sie ihn nun näher kannte, mehr Zeit mit ihm verbracht hatte und dabei war, sich in ihn zu verlieben - dadurch wagte sie die Schritte wieder in seine Richtung, die sie zuvor wahrscheinlich eher rückwärtig genommen hätte. Auch wenn sie sich gern das Gegenteil einreden wollte - der Zeitpunkt war nicht der Falsche gewesen. Es hätte nie den „perfekten“ Zeitpunkt gegeben. Gwen seufzte resigniert. »Du hast wahrscheinlich Recht. Ich hätte nicht anders reagiert. Aber trotzdem…ich hätte es lieber aus deinem Mund gehört, als es so zu erfahren.« »Was hätte das geändert?« Loki sah sie aufmerksam an. Seinen leeren Kaffeebecher hatte er neben dem ihren in der Mittelkonsole abgestellt; seine Hand war ihrem Schenkel nahe gekommen und selbst durch den Stoff ihrer Jeans konnte sie die Wärme seiner Haut spüren. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein. »Es hätte mein Vertrauen nicht so erschüttert.« erklärte sie fest und sah dann doch wieder zu ihm hinüber. »Weißt du, ich habe nicht gelogen als ich sagte, dass ich dir vertrauen will. Ich möchte das wirklich, Loki, aber du machst es einem nicht gerade einfach…« Sie holte tief Luft. »Es ist einfach so, dass man sich unter…Freunden alles sagen können sollte.« Freunde?! Ihr Verstand kringelte sich gerade vor Lachen auf dem Boden des Maseratis. Klar, Freunde. Freunde reißen sich auch die Klamotten gegenseitig vom Leib und tauschen ihren Speichel so freigiebig aus... Der Magier hob kritisch eine Braue in absurde Höhe, was eine Armada an feinen Falten auf seiner blassen Stirn entstehen ließ. Er musterte sie skeptisch und schien ihre Worte äußerst genau zu überdenken. »Du siehst mich tatsächlich als…Freund?!« »Ich für meinen Teil tue das…« murmelte sie schwächlich und sank auf ihrem Sitz zusammen. Dieses Gespräch verlief irgendwie seltsam. Die klügste Entscheidung deines Lebens, Gwen - wähle dir einen arroganten, latent größenwahnsinnigen Gott als Freund. Prima! Sie versetzte ihrem Verstand einen imaginären Maulkorb. »Nur…Freunde?« hauchte plötzlich Lokis samtige Stimme an ihrem Ohr; sie hatte gar nicht bemerkt, wie der Gott sich zu ihr herüber gebeugt hatte. Sein warmer Atem strich über ihren Hals, ihren Nacken und verpasste ihr eine Gänsehaut mit den Ausmaßen Kanadas. Konnte man eigentlich einen Orgasmus nur davon bekommen, dass einem jemand ins Ohr flüsterte? »Sag, Gwendolyn, hast du mich vermisst? Hast du an mich gedacht?« Dieser triumphale, süffisante Unterton in seiner Stimme gefiel Gwen überhaupt nicht und ließ sie trotzdem innerlich erbeben. »Immerhin hast du wegen mir geweint.« Irrte sie sich oder wurde es hier drinnen plötzlich ziemlich heiß, trotz offenem Fenster? »Äh…was…ja…nein…w-woher willst du das überhaupt wissen…?!« brachte sie stotternd empört heraus und zwang sich, den Blick auf die Fahrbahn gerichtet zu halten, weil sie sonst wahrscheinlich unter dem Licht seiner Augen schwach geworden wäre. Oder unter der verlockenden Nähe dieser schmalen, so unerbittlichen Lippen, welche schneidend tödliche Worte formen, allerdings auch verboten gute Dinge mit den ihren anstellen konnten. »Deine sterbliche Freundin hat es erwähnt.« Das selbstgerechte Grinsen in seiner Stimme war deutlich zu hören. Prima, Ashlyn. Herzlichen Dank auch! Gwen schluckte und schluckte, versuchte verzweifelt Speichel in ihrem trockenen Mund zu produzieren, während die Fahrbahn gefährlich vor ihren Augen verschwamm; ihr Kopf fühlte sich mit einem Mal so seltsam leicht an. Waren das warme, neugierige Fingerspitzen auf ihrem Arm? »Ich…äh…würde mich gern…aufs Fahren konzentrieren…könntest du-« »Antworte!« verlangte er in harschem, eindringlichem Ton; fast hatte dieser Befehl etwas verzweifeltes, was Gwen überhaupt nicht zuordnen konnte. Oh bitte, was wollte er denn hören? Natürlich hatte sie an ihn gedacht und ihn verdammt nochmal schrecklich vermisst. Aber konnte sie ihm das sagen? Konnte sie ihm so viel Macht über sich einräumen? Gwen wusste noch immer nicht, was das zwischen ihnen war, ebenso wenig wie sie wusste, wo sie ihre Gefühle für den Gott einordnen sollte. Ihr Leben schwankte wie ein klappriges Boot unter den tosenden Wellen eines Sturmes und die einzig beharrliche Konstante schien irgendwie allein Loki zu bilden; er wurde immer mehr zu jenem Zentrum, um welches sich das Chaos ihres Lebens drehte. An ihm konnte sie sich festhalten, orientieren, Schutz suchen - dieses Band zwischen ihnen war etwas, was Sicherheit vermittelte; auf eine Art und Weise, die Gwen einfach nicht erklären konnte. Ihr Brustkorb hob sich unter einem tiefen Atemzug, bevor sie den Mut aufbrachte und den Kopf wandte, um Loki anzusehen. Sein Gesicht schwebte wirklich nur einen Hauch breit neben dem ihren; seine grünen Augen fixierten sich sofort forschend auf die ihren. »Ja, ich habe an dich gedacht. Die ganze Zeit. Und ja, ich habe dich vermisst.« hauchte sie unter Aufbietung all ihrer Entschlossenheit; wahrscheinlich würde Loki sich an ihrer schändlichen Schwäche ergötzen, aber wenn sie Vertrauen und Ehrlichkeit von ihm erwartete, so sollte sie dies wohl vorleben… Die dunklen Wimpern des Gottes sanken mehrmals über seinen glimmenden Augen herab; in seinem Blick wirbelten Sternen gleich in einer Galaxie so viele Emotionen durcheinander, dass Gwen kaum alle deuten konnte - waren dort Misstrauen? Unsicherheit? Überraschung? Hoffnung? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er unbewusst genau diese Worte von ihr ersehnt hatte, um sie nun in den eigenen Selbstzweifeln zu zerreißen. Loki zuckte ein Stück vor ihr zurück und ließ ihr damit den nötigen Platz zum atmen; er sah fast skeptisch auf sie herab, ein Gedanke von Ungläubigkeit überschattete seine Züge und ließ jene härter werden, bevor er den Kopf neigte und sie grübelnd ansah. Ein Arm ruhte auf ihrer Rückenlehne, der andere stützte sich auf der edel polierten, hölzernen Mittelkonsole des Wagens ab. »Du lügst nicht.« war seine fast kritische Schlussfolgerung. »Das ist dein Ernst.« »Natürlich ist das mein Ernst.« gab Gwen verstimmt zurück. »Immerhin bin ich nicht der Gott der Lügen…« Der Magier wich weiter vor ihr zurück und wollte sich wohl in seinen Sitz zurücksinken lassen, doch sie schnappte nach jener Hand neben dem Schalthebel und hielt seine Finger somit gefangen. Loki sah zuerst auf ihre Hand, bevor er fragend seinen Blick hob. Er schüttelte ihre Finger nicht ab. »Was ist mit dir…?« wagte Gwen den Vorstoß, wenngleich ihr Fokus beharrlich auf die Straße gerichtet war. Seine Haut unter ihren Fingern fühlte sich viel zu verlockend an und erinnerte sie an Küsse und Berührungen, die sich eindringlich in ihrem Geist festgesetzt hatten. Die Eindrücke waren einprägsam, allerdings auch viel zu wenig - sie wollte mehr davon. »Du hast meine Frage in New York nicht beantwortet…« Ihre Stimme zitterte unmerklich und sie bemühte jene um Festigkeit. Auch sie trug Hoffnungen in ihrer Brust. »Bist du nur hier, weil Frigga und Thor es wollten…?« Er schnaubte spöttisch. »Natürlich nicht. Du solltest dich jener Nacht des Winterfylleth entsinnen und meiner Schuld, die längst nicht abgegolten ist. Ich versprach dir Sühne für deinen beachtlichen - wenn auch unüberlegten - Mut. Wir sind aneinander gebunden, Gwendolyn Lewis. Und ich hasse es, in Schuld zu stehen.« Natürlich…seine alberne Schuld. Da hatte er ja etwas gefunden, was er glücklicherweise immer vorschieben konnte. Sie zog die Finger von seiner Hand zurück. »Aha. Naja, scheint als müsste ich mich glücklich schätzen…« meinte sie dann unterkühlt und konnte den Funken Verletzlichkeit doch nicht gänzlich aus diesen Worten zurückhalten. Im Augenwinkel vernahm sie eine Bewegung und wandte den Kopf zum Fenster, wo sie der Van von S.H.I.E.L.D gerade überholte. Der Wagen blieb auf der Höhe des Maserati und der Agent auf dem Beifahrersitz hob Daumen und kleinen Finger in einer telefonierenden Geste an sein Ohr. Gwen seufzte entnervt und schaltete die Freisprecheinrichtung ihres Handys ein, welche sie wohlweislich die ganze Zeit über ignoriert hatte. Die durch ein leichtes Rauschen verzerrte Stimme des Agents meldete sich; der Mann sprach in ein kleines Headset am Ohr. »Alles in Ordnung bei ihnen, Miss Lewis?« Er blickte zu ihnen herüber und fixierte den Magier, der sich in seinen Sitz zurücksinken ließ. Wahrscheinlich war den Männern ihre recht kurvenreiche Fahrweise auf gerader Strecke aufgefallen… »Ja, alles in Ordnung. Danke der Nachfrage.« antworte sie beruhigend. Andrew saß am Steuer des Vans, allerdings sah er nicht ein einziges Mal zu ihnen herüber, sondern starrte verbissen geradeaus, bevor der Mann auf dem Beifahrersitz nickte und der Wagen an ihnen vorbei schoss, um sich vor sie zu setzen. Eine Weile folgte Gwen so schweigend dem schwarzen Van, bevor sie die Stille wieder einmal nicht aushielt. »Ist es wirklich so schlimm, wie Odin gesagt hat? Was droht uns, wenn Malekith Yggdrasil erreicht?« Zaghaft blickte sie wieder zu Loki hinüber, unsicher, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte. Der starrte mit tiefgezogenen Brauen auf den Wagen vor ihnen; zwischen seinen Augen war eine steile Falte entstanden. »Von dort kann Malekith alle neun Welten erreichen, da sie über die Weltenesche verbunden sind. Dementsprechend kann er Hel aus ihrem Reich befreien und sie wird ihm sicher liebend gern zur Hand gehen in der verlockenden Aussicht auf unzählige Seelen, die folglich fallen werden.« Er machte eine kurze Pause; ein Muskel in seiner Wange zuckte. »Unter Yggdrasils Wurzeln liegt noch immer der Urschlund; ein Ort, der das ganze Gegenteil von dem darstellt, was wir kennen. Eine Dimension aus Kälte, Schwärze, Tod und unendlichem Nichts. Dort existieren Schatten, die Ymirs Vorhaben mit Genuss folgen werden - Wesen, aus Albträumen entstanden, die sich einer grässlichen Flut gleich über die Reiche ergießen werden. Das sind die wahren Dämonen, Gwendolyn…« Loki sah nun doch wieder zu ihr herüber; der Ernst auf seinem Gesicht war unüblich und dadurch fast noch erschreckender. »Dagegen sind die Wesen Muspelheims kein Vergleich. Wenn es Malekith wirklich bis zur Weltenesche schafft und diese Pforte wieder aufstößt, dann gibt es nichts, was uns noch retten kann.« Kapitel 19: Dunkle Vergangenheit -------------------------------- Eine unscheinbare Kleinstadt, wie es derlei viele auf der Landkarte gab. Ein Ort, geprägt von scheinheiliger Harmonie, die sich in gepflegten Vorgärten und reinen, weißen Fassaden von schicken Einfamilienhäusern manifestierte. Ein Ort, umschmeichelt von scheinfrommem Frieden und Ordnung, an dessen Eindruck die Bewohner mit Nachdruck festhalten wollten; mit kleinen, idyllischen Geschäften, reinlichen Straßen und blumengesäumten Parkanlagen. Die dichten, dunkelgrünen Tannenwälder Kanadas zogen sich fast wie ein schützender Ring um die kleine Stadt, welche eingebettet in einem länglichen Tal zwischen höheren Gipfeln lag, auf denen der Winter bereits Einzug gehalten hatte, wie auch auf den reifüberzogenen Wiesen des Ortes, die unter der Morgensonne glitzerten. Loki schob seine getönte Brille höher auf der Nase, um über die tiefstehende Sonne und deren Reflexionen auf Straßenschildern und raureifbesprenkelten, geparkten Autos noch etwas zu erkennen; er lenkte den Maserati gemächlich die Hauptstraße ins Zentrum der kleinen Stadt hinunter, während Gwendolyn neben ihm langsam aus ihrem Schlaf erwachte. Die Sterbliche hatte sich in eine Decke gekuschelt, nur ihre fellbesetzten Stiefel und ihr rotes Haar hatten noch herausgeschaut, bevor jetzt ihre Augen folgten, die blinzelnd und verkniffen die Umgebung sondierten, während sie sich aus den Lagen der Decke schälte und herzhaft gähnte. »Guten Morgen…« raunte Loki mit einem Schmunzeln und bescherte Gwen damit ein seichtes Zusammenzucken; offenbar hatte sie einen Augenblick Probleme sich zu orientieren. »Morgen…« nuschelte sie verhalten und tastete nach dem Becher mit dem Rest ihres längst kalten Kaffees; ein Überbleibsel ihres letzten Zwischenstopps. Angewidert verzog sie das Gesicht, kippte das bittere Gebräu jedoch in einem Ruck hinunter. Die Menschen hingen wirklich sehr an diesem absonderlichen Laster; Loki selbst konnte der schwarzen Brühe wenig abgewinnen, nach der die Sterblichen so verrückt waren - hatte eine belebende Wirkung, schmeckte aber scheußlich. »Ich wollte doch nur fünf Minuten die Augen zumachen…« murmelte Gwendolyn beinahe reumütig neben dem Magier, der ihre mühsamen Verrenkungen mit einem Grinsen beobachtete; offenbar war Schlafen in diesen tiefen Schalensitzen nicht sonderlich angenehm. Die Sterbliche griff sich in den Nacken und stöhnte gepeinigt auf. Eigentlich hatte sie ihm angeboten gehabt, die restliche Strecke am Steuer zu übernehmen, damit er sich auch mal ausruhen könnte, doch nachdem sie so tief neben ihm eingeschlafen war, hatte er sie nicht mehr wecken wollen. Sie hatte den Schlaf sicher auch nötiger als er gehabt. »Aus den fünf Minuten sind reichliche drei Stunden geworden.« informierte sie Loki, der den Wagen gerade durch eine Allee am Rande eines kleinen Teiches lenkte, wo ein älterer Mann mit seinem Hund zum Morgenspaziergang unterwegs war. Der Alte verfolgte das teure Auto mit einem argwöhnischen Blick aus seinem faltigen Gesicht. »Inzwischen sind wir angekommen.« »Tatsächlich…« murmelte Gwen verhalten und richtete sich in ihrem Sitz auf, die Decke noch immer schützend um sich geschlungen. »Hier scheint sich wie immer nichts geändert zu haben…« Ein flüchtiges Lächeln glitt über ihre Lippen, welches seltsam wehmütig erschien, allerdings auch verhalten. Mit beiden Händen fuhr sie sich durch die wirren Haare und erneuerte ihren losen Zopf, bevor sie nach ihrer Brille auf der Ablage griff und jene wieder auf die Nase schob. Dann schweifte ihr Blick von einer Seite auf die andere und ihr Finger zeigte Loki bestimmte Orte und Plätze, welche sie mit ihren Erinnerungen schmückte. »Dort hinten ist der kleine See, an welchem ich als Kind oft mit meinem Dad angeln war. Und dort ist der Laden der alten Wilhelmine, die hatte wirklich die besten Süßigkeiten und Plätzchen im Ort. Daneben hat Tahatan seinen Laden. Er ist sowas wie unser Stadt-Indianer, zumindest bezeichnet er sich selbst so. Seine Wurzeln liegen bei den Ureinwohnern Amerikas.« Ihr Finger deutete nun auf ein größeres, älteres Gebäude, vor dem sich viele Kinder tummelten und kreischend über den Hof davor jagten. »Oh, meine alte Schule…naja…keine schöne Erinnerung…« gab sie sarkastisch von sich und ließ sich in ihrem Sitz wieder zurücksinken. »Fahr einfach die Hauptstraße weiter, dann müssten wir die Polizeiwache bald erreichen. Sie liegt ein wenig außerhalb des Zentrums, am anderen Ende der Stadt.« Der Magier nickte und folgte der Straße in gemächlichem Schritttempo, gerade da in der Nähe der Schule immer wieder Kinder gefährlich nah am Rand des Bürgersteiges auftauchten. Loki mochte die Sterblichen zwar nicht besonders, doch ihre winzigen Nachkommen waren noch weitestgehend unbelastet von den Dummheiten und Sünden ihrer Eltern, sodass man sie fast als unschuldig bezeichnen konnte. Ein Wort, was der Magier selten benutzte, dessen Bedeutung er aber durchaus kannte. Ein leises, empörtes Maunzen drang aus dem hinteren Bereich des Autos hervor und veranlasste Gwendolyn, sich in ihrem Sitz umzudrehen. »Hey Baby, ich weiß, du willst raus und hast Hunger, aber ein bisschen musst du dich noch gedulden…« Der Kater war bisher ziemlich genügsam und ruhig in seiner Box gewesen, doch nach mehr als einem Tag im Auto hatte er offenbar die Nase gestrichen voll vom fahren. Loki konnte es ihm nicht verübeln. Seine eigenen Knochen würden es umgehend begrüßen, sich wieder einmal strecken zu dürfen; diese fahrbaren Untersätze der Sterblichen waren definitiv nicht für großgewachsene Götter gemacht. »Nicht nur dein Haustier wäre froh über ein bisschen frische Luft und Bewegung…« raunte der Magier mürrisch und entlockte damit der Sterblichen ein sachtes Schmunzeln. In einer vertraut freundschaftlichen Geste tätschelte sie seinen Unterarm und säuselte gespielt mitleidig: »Keine Sorge, mein Großer. Ich geh nachher mit dir Gassi, damit du dir die Beine vertreten kannst.« Lokis angespannt gehobene Brauen veranlassten Gwendolyn zu einem hellen Kichern, was ihm irgendwie gut gefiel; seine Mundwinkel zuckten ebenfalls in die Höhe und ihm entkam ein amüsiertes Schnauben. »Zu gütig…« murmelte er verstimmt. Dem Magier fiel auf, dass die Finger der Sterblichen noch immer auf seinem Unterarm lagen; die Berührung war angenehm warm und sanft. Gwen räusperte sich unsicher und zog ihre Hand dann langsam zurück, nachdem ihr wohl ebenfalls aufgefallen war, dass sie den Kontakt einen Augenblick zu lang gesucht hatte. Loki hatte es nicht gestört. »Tja, ähm…« begann sie dann, nachdem sie sich wieder gerade in ihren Sitz hatte sinken lassen. »Wie sieht nun dein Plan konkret aus? Jetzt sind wir ja hier, wo alles angefangen hat. Wie geht es jetzt weiter? Ich meine, ich habe schon früher nach den genauen Umständen meines Auftauchens geforscht, allerdings haben mir alle immer nur das Gleiche gesagt. Ich glaube nicht, dass sich das nach den Jahren geändert hat. Was ist, wenn wir nix finden?« Ihr Blick schweifte unsicher zu ihm herüber. »Wir werden etwas finden.« gab Loki bestimmt von sich und hielt den Wagen sanft vor einer Ampel, wo eine Gruppe junger Mütter mit Kinderwagen wohl gerade unterwegs war zum morgendlichen Einkauf im Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alle Frauen wandten die Köpfe neugierig zu dem teuren, unbekannten Wagen um und einige vergaßen selbst für einen Moment, die Straße zu überqueren; alle versuchten gespannt in das Innere des Wagens zu schielen. Gwen ließ sich auf ihrem Sitz tiefer sinken und verbarg das Gesicht halb hinter der Hand; sie schien nicht sonderlich viel Wert darauf zu legen erkannt zu werden. »Was macht dich da so sicher?« hinterfragte sie. Ein Blick in den Rückspiegel offenbarte Loki den schwarzen Van von S.H.I.E.L.D, der fast Stoßstange an Stoßstange hinter ihnen gehalten hatte. Diese Bewachung durch die Schoßhunde Direktor Furys war absolut lästig; auch wenn der Magier die Intentionen der Sterblichen dahinter verstand - er kam sich wieder vor wie in Asgard mit einer Meute abgerichteter Palastwachen im Schlepptau. Außerdem war dieser Haufen Agents mehr als lächerlich; wenn er es darauf angelegt hätte, der Erde erneut zu schaden und seinem Machthunger zu folgen, so hätte ihn dieser jämmerliche Trupp um Andrew Preston gewiss nicht aufhalten können. Bildeten sich diese hirnlosen Marionetten wirklich ein, etwas gegen ihn ausrichten zu können? Diese Anmaßung allein wäre es fast schon wert gewesen, sie zu vernichten… Der Magier biss die Zähne angespannt aufeinander und beschleunigte den Wagen bei Grün unpassend schnell, sodass die Reifen geräuschvoll durchdrehten, bevor der Maserati geschmeidig nach vorn schnellte. Die Blicke der Frauen folgten ihnen nach, wie der Magier im Außenspiegel erkannte - ebenso der Van, der einen Moment tatsächlich Schwierigkeiten hatte, ihnen zu folgen, was Loki ein amüsiertes, selbstzufriedenes Grinsen auf die Lippen zauberte. »Wenn in Asgard nicht des Rätsels Lösung liegt, so muss es sie hier geben. Das ist eine unabdingbare Tatsache.« »Naja, ich weiß nicht, ob ich deinen Optimismus da teilen kann….oder will…« sprach die Sterbliche leise und seufzte. Der Magier schielte flüchtig zu ihr hinüber; sie zog die Decke wieder höher und wirkte mit einem Mal seltsam angespannt. Sie kaute auf der Innenseite ihrer Wange, während sie nachdenklich aus dem Fenster sah. »Dir behagt der Gedanke nicht, dass wir wirklich etwas finden könnten, oder?« Loki drosselte das Tempo des Maseratis wieder, damit der Van aufholen konnte. Der Magier hatte keine Lust auf erneute, ellenlange Diskussionen - die hatten ihm nach dem Besuch der seltsam quietschbunten Restaurantkette mit einem rothaarigen Narren als Aushängeschild gereicht; die Menschen hatten wirklich seltsame Götzen, die sie anbeteten. »Nein, nicht wirklich.« begann Gwendolyn, bevor sie tief Luft holte. »Ich meine, einerseits bin ich schon neugierig und will endlich wissen, was das in mir ist und woher es komm, woher ich komme, wo meine Wurzeln liegen, aber andererseits…« Sie hielt kurz inne und sah wieder aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Häuser und Bäume am Rand der Straße. »…wenn wir etwas finden, dann wird wahrscheinlich nichts mehr so sein wie vorher. Und davor habe ich Angst.« Loki hob fragend eine Braue und sah kritisch zu ihr hinüber. »In deinem Leben ist jetzt schon nichts mehr wie zuvor.« Die Sterbliche lachte knapp, resigniert, einsichtig. Ihr Fokus senkte sich auf ihre Hände, die den leeren Kaffeebecher zwischen ihren Flächen rollten. »Tja, ja…da hast du wahrscheinlich Recht. Die Frage ist nur…wie viel schlimmer kann es noch kommen?« Ihre hellen Augen suchten seinen Blick und er erkannte eine tief verborgene Bitte im Licht dieser blassen Teiche; ein Flehen nach Unterstützung und der Zuversicht, dem Ungewissen nicht allein begegnen zu müssen. »Nun, in Anbetracht der Tatsache, dass der Herr der Schwarzalben Malekith von einem uralten Wesen, sinnend auf Rache, besessen ist und das Universum in eine zweite Finsternis zu stürzen droht, so gehe ich doch recht in der Annahme, dass es durchaus wesentlich schlimmer kommen kann.« resümierte er trocken. Gwendolyn seufzte erneut, nun beinahe beschämt. »Tja, stimmt. In Anbetracht dieser Tatsache ist mein Schicksal wahrscheinlich eher unwichtig-« murmelte sie schwächlich. »Das wollte ich damit nicht andeuten.« unterbrach er sie bestimmt. »Ich wollte damit nur sagen, dass wir damit fertig werden, egal, was wir auch finden mögen. Wir werden dieses Problem mit deiner Kraft, dieses Rätsel lösen. Dessen bin ich mir gewiss, wogegen ich beim Weltenende mehrerlei berechtigte Zweifel hege, ob wir jenes ebenso selbstverständlich bewältigen können.« erklärte er sich sachlich, während er den Wagen gekonnt in eine Parklücke lenkte, die ihm die Sterbliche knapp gewiesen hatte. Nun sah sie ihn wahrlich verblüfft an, bevor sie blinzelte und ehrlich überrascht meinte: »Du…du hast von „wir“ gesprochen…?!« Loki zog die Stirn kraus und drehte den Zündschlüssel, woraufhin der Wagen mit einem sanften Schnurren verstummte und ungewohnte Ruhe zurückließ. Der Van von S.H.I.E.L.D hielt unweit hinter ihnen an der Straßenseite. »Natürlich wir. Mir ist nicht bewusst, dass ich eine Illusion genutzt hätte, um mich unsichtbar zu machen.« Mit einer bezeichnend hohen Augenbraue wandte er sich zu Gwendolyn, die kurz den Blick senkte, bevor sie ihn wieder ansah. »Ja…nein, also das hab ich nicht gemeint. Ich meinte…ich bin überrascht, dass du so selbstverständlich von „wir“ sprichst. Ich…also…ach scheiße…ich meine, danke Loki. Einfach danke, dass du da bist, auch wenn du jetzt womöglich lieber woanders wärst.« Erneut streckte sie ihre blasse, zierliche Hand aus und bettete ihre Finger auf seinem Unterarm, der durch den aufgerollten Stoff seines Hemdes halb entblößt war. »Das bedeutet mir viel, ehrlich. Ich bin froh, dass du jetzt hier bist.« Ihr Blick war so offen und zugetan, dass er darunter schlucken musste und den Schlüssel des Wagens dann mit einem verhaltenen Räuspern aus dem Schloss zog. Es war lang her, dass ihn jemand so offen und vertrauensvoll angesehen hatte und Loki wusste kaum noch, wie man mit so etwas umgehen musste. Vertrauen… Er war geübter darin, Vertrauen und Erwartungen zu enttäuschen, als jene zu erfüllen. Thor hätte er jetzt sicherlich ein paar passend bissige Worte erwidert, doch bei Gwendolyn brachte er das irgendwie nicht fertig. Bei seinem Bruder wusste er, dass dieser niemals in seiner naiven Liebe schwanken würde; egal, was Loki auch tat oder sagte, Thor würde ihn immer lieben - tief in seinem Herzen würde der Donnergott immer einen Platz für Loki reserviert haben. Der Gedanke war seltsam tröstlich; albern, aber tröstlich. Egal, wie sehr er um sich schlug und biss wie ein wildes Tier - Thor würde immer zu ihm zurückkehren wie ein Stern, der einfach nicht aus seiner Bahn konnte; wie Planeten kreisten sie umeinander, immer entfernt, doch nie weiter als es die Anziehungskraft zuließ - sie konnten nicht ohne einander, aber miteinander war es ebenso schwer. Doch bei Gwendolyn wagte er diese Grenze nicht so forsch auszutesten; sie fesselte nichts an ihn außer dieser unsichtbare Strang, der sie seltsamerweise verband - ihre Nähe und ihr Zutrauen wären schneller zerstört und womöglich nicht so rasch wieder aufgebaut. Dass sie nach der Sache mit New York jetzt hier mit ihm im Auto saß, ihn berührte und ihm ihren Dank aussprach war bereits Wunder genug; ein Wunder, was er gewiss nicht verdient hatte und was er noch weniger begreifen konnte. »Schon in Ordnung. Ich versprach, dich zu schützen und ich halte mein Wort.« brachte er rau heraus und drückte ihr die Schlüssel des Wagens in die Hand, bevor er die Tür öffnete und ausstieg. Er benötigte jetzt dringend frische Luft; jene begrüßte ihn mit morgendlicher Kälte, in welcher der Geruch des Winters bereits mitschwang. Es war kalt, die Luft klar und rein - eine wahre Wohltat nach der stickigen Luft der Großstadt. Loki hatte keine Probleme mit dem beinahe eisigen Hauch, welcher aus dem Norden heranwehte; Gwen jedoch zuckte stöhnend zusammen, als sie sich nur in einem dünnen Shirt und Jeans aus dem Auto wagte. Sie schlang die Arme um sich und rieb jene in einer intuitiven, aber nutzlosen Geste. »Mist…hab ganz vergessen, wie kalt es um die Jahreszeit hier schon sein kann…« murmelte sie bibbernd. »Hoffentlich hab ich irgendwo noch einen Pullover rumliegen…« Sie umrundete das Auto und öffnete den Kofferraum, um in ihren Sachen zu wühlen. Der Magier indes sah sich aufmerksam um; vor ihnen zogen sich die Treppen zur örtlichen Polizeistation hinauf, vor der ein paar jüngere Polizisten in der morgendlichen Kälte zusammenstanden, Kaffeebecher und Zigaretten in der Hand. Ein paar Köpfe hatten sich bereits zu ihnen umgewandt, während man sie kritisch und aufmerksam in Augenschein nahm. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag ein Geschäft mit großer, verglaster Front; ein Friseursalon, wie ein Schild auswies, in welchem Kundinnen wie angestellte Damen nun neugierig an das Fenster herantraten und die Neuankömmlinge eingehend musterten. Die Münder der Frauen bewegten sich hektisch, wahrscheinlich wurden bereits die ersten Thesen aufgestellt, während beinahe alle Augenpaare an dem Gott hängen blieben und jenen unverhohlen anstarrten. Die weiblichen Sterblichen drückten sich fast die Nasen am Fenster platt. Zumindest besaßen die Weiber den Anstand, den Blick zu senken, als Loki seinen Fokus zu ihnen lenkte und die schmalen Augenbrauen über den Rand seiner Sonnenbrille erhob; allerdings wurden die Köpfe schon wieder zusammengesteckt, als Gwendolyn an seine Seite trat und sich ebenfalls umsah. In einigen Gesichtern spiegelte sich unverhohlene Missgunst. Gwen hatte einen schrecklich unförmigen Pullover übergeworfen, die schmalen Schultern allerdings noch immer unter der Kälte hochgezogen. »Tja, wir werden wohl Stadtgespräch Nummer eins heute sein…« murmelte sie sarkastisch, nachdem sie die aufgeregten Frauen im Geschäft gegenüber ebenfalls bemerkt hatte. Der Magier zögerte nicht lange und zog seine Lederjacke aus, um sie der Sterblichen noch um die bebenden Schultern zu legen. Sie wirkte verblüfft und sah fast irritiert zu ihm auf, während sie sich dankbar in die Jacke kuschelte; Loki hatte sogar das Gefühl, dass sie verstohlen seinen Geruch einsog, was ihn mit fremdartig männlichem Stolz erfüllte. »Äh…danke. Aber…ist dir nicht-« Sie unterbrach sich selbst und grinste schief zu ihm auf. »Schon gut. Ich vergaß. Eisriese. Irgendwie ziemlich praktisch.« meinte sie leichthin mit einem feinen Schmunzeln und zum ersten Mal störte es Loki seltsamerweise nicht, mit seiner Abstammung konfrontiert zu werden. Gwendolyn gebrauchte dieses verhasste Wort nicht wie eine Beleidigung; nicht wie ein Wort, was Schrecken oder Abscheu hervorrufen sollte, sondern wie eine verborgene Bewunderung. Loki entblößte die Reihen seiner weißen Zähne in einem wölfischen Lächeln; ab und an konnte es durchaus von Vorteil sein, eine eisige Herkunft zu haben, entschied er in diesem Moment. »Gut. Dann mal auf in den Kampf, hm?« Gwendolyn straffte die Schultern und umrundete das Auto, um sich mit selbstsicherem Schritt schon in Richtung Polizeiwache aufzumachen, als Andrew Preston sie aufhielt, welcher eben aus dem Van hinter ihnen gestiegen war. Der Agent musterte Loki wie die Sterbliche argwöhnisch. »Wo wollt ihr hin?« Seine Tonlage vermittelte latenten Widerwillen. Es war ihm selbst über getönte Brillengläser anzusehen, dass ihn diese Reise ziemlich gegen den Strich ging - eine Tatsache, die den Magier innerlich triumphieren ließ. Gemächlich begab er sich an die Seite der Sterblichen, die die Hand des Agents in einer entschiedenen Geste von ihrem Arm wischte. »Oh, Andrew, nicht. Geh zurück zu deinem Wagen. Die Regierung können wir hier gerade gar nicht gebrauchen. Wir ziehen so schon die ganze Aufmerksamkeit auf uns. Die Leute hier sind Fremden gegenüber misstrauisch genug. Wenn wir irgendwas in Erfahrung bringen wollen, dann halte dich und deine Männer zurück, okay? Beobachtet von mir aus, überwacht, macht, was ihr wollt, aber geht uns nicht auf die Nerven und folgt uns auf Schritt und Tritt!« fuhr sie ihn verstimmt an. Gwendolyn hatte die Sache von New York und Ironman offenbar nicht vergessen. Andrew Preston schnaubte unzufrieden, doch da er ebenfalls die argwöhnischen Blicke der Polizisten bemerkte, fügte er sich schlussendlich mit einem letzten, warnenden Blick in Lokis Richtung und ging zu seinem Auto zurück. »Gwendolyn?! Bist du’s wirklich?« Einer der jungen Männer hatte sich aus der Traube der Gesetzeshüter gelöst und kam nun die Treppe zu ihnen herab, während er sich seine Mütze von den braunen, kurzen Haaren zog. Sein wachsamer Blick aus braunen Augen flackerte über Loki, ebenso über den Van von S.H.I.E.L.D, bevor er bei der Sterblichen stehen blieb und jene verblüfft angrinste. »Ben?!« Gwendolyn schien ebenso überrascht, bevor sie den großen, kräftigen Mann freudig in die Arme schloss. »Hey, schön dich zu sehen. Himmel, gut siehst du aus. Wie geht es dir?« Bewundern blickte sie zu dem Jungen auf, was Loki fast ein ärgerliches Knurren entlockt hätte. »Danke, gut. Und schön, dich zu sehen, Gwen. Mensch, du warst lange nicht hier. Bist du gekommen, um deine Eltern zu besuchen?« Seine Aufmerksamkeit weilte einen Augenblick zu lang für den Geschmack des Magiers auf dem schwarzen Van, dann auf dem teuren Maserati, bevor der Blick des Polizisten erneut an dem Gott hängen blieb. Der Sterbliche war definitiv aufmerksam. Loki schenkte ihm ein süffisantes, aufgesetztes Grinsen. »Oh, ja, ähm…auch. Hauptsächlich bin ich hier, weil ich für eine neue Story recherchieren will.« erklärte sich Gwendolyn mit geübter Selbstsicherheit und strahlte den jungen Mann einnehmend an. »Und ich dachte schon, du wärst aus der großen Stadt geflohen.« begann Ben nun amüsiert, bevor er wieder ernst wurde. »Wir haben die Bilder aus New York hier auch gesehen. Ziemliches Chaos bei euch da unten, hm? Immer etwas los…« Wieder glitt sein Blick über Gwens Schulter zum Wagen von S.H.I.E.L.D, bevor er Loki genauer in Augenschein nahm und über dessen recht leichte Bekleidung in der frostigen Luft die Braue hob. Der Polizist selbst war in eine dicke Jacke gekleidet. »Und wer ist dein Freund hier?« verlangte er freundlich zu wissen und grinste die Sterbliche neugierig an. »Oh, das…das ist…äh…« Gwen hatte sich zu dem Magier umgewandt, die Arme noch immer um sich und seine Jacke geschlungen, über deren Kragen sie nun fast ein wenig hilflos zu dem Gott aufsah. »…ein Kollege von mir. Sein Name ist Loki. Er ist Europäer und soll mich die Wintermonate über begleiten.« Sie streckte nun eine zierliche Hand in Richtung des Magiers, dann wies sie auf den sterblichen Ordnungshüter. »Ben, Loki Laufeyson. Loki, das ist Ben Henslay, ein…ähm… alter Freund von mir.« Der Polizist lachte amüsiert auf. »Ach, jetzt bin ich schon nur noch der alte Freund?!« Er zwinkerte Gwendolyn zu, die verlegen tiefer in der großen Jacke des Gottes versank. »Nun gut, ich will euch nicht aufhalten, muss eh gleich auf Streife. Da wünsche ich euch mal viel Glück für eure Recherchen. Oh, äh, Gwen…« wandte er sich nochmal um, wo er eben schon dabei gewesen war zu gehen. »…vielleicht kann man sich ja mal wieder treffen, wenn du länger in der Stadt bleiben solltest?! Ich würde mich echt freuen.« Sein Ton war definitiv zu hoffungsvoll und ließ Loki die Brauen senken; zum Glück für den Sterblichen trug er die Sonnenbrille, sonst wäre der liebe Ben wahrscheinlich unter seinem vernichtenden Blick zu Asche verschmort… »Hm, ich glaube nicht, dass ich lange da sein werde, Ben. Wir sind gewissermaßen nur auf der Durchreise. Tut mir leid…« erklärte sie entschuldigend. Der Polizist ließ die Schulter hängen, zeigte aber ein jugendliches, zuversichtliches Lächeln. »Hey, schon okay. Dann vielleicht ja ein andermal.« Er winkte Gwendolyn zum Abschied zu, dann lief er schnellen Schrittes zu seinem Kollegen und stieg in ein bereitstehendes Streifenfahrzeug. »Ein alter Freund, hm…« wiederholte Loki trocken und starrte dem jungen Polizisten hinterher, während er neben Gwendolyn herlief, welche die Hände in seiner Jacke vergrub und dem Mann ebenfalls mit dem Blick folgte. »Der Sterbliche hat eindeutig Interesse an dir, welches sich nicht nur auf Freundschaft bezieht.« »Ach Quatsch…« wiegelte Gwen sogleich ab und erklomm die Stufen zur Polizeiwache. Die Traube der Männer hatte sich aufgelöst; selbst mit dicken Jacken und heißem Kaffee war es den meisten wohl zu kalt geworden, um länger als eine Zigarettenpause in der eisigen Luft zu verweilen. »Das ist längst vorbei. Wir waren mal ein Paar, aber das ist schon Ewigkeiten her. Ben war meine erste, richtige Beziehung.« erklärte die Sterbliche beiläufig und zog die Tür zur Station auf, während ihr gar nicht auffiel, dass der Magier zurückblieb. Er hatte die Brauen kritisch hinter seiner Brille zusammenzog, sodass sich eine sehr steile und sehr scharf begrenzte Falte auf seiner Stirn bildete. Sein glimmender Blick folgte dem fahrenden Polizeiwagen und er hob in einer rein gefühlsmäßigen Bewegung seine Hand; das Summen der Magie bereits schon kribbelnd zwischen den Fingerspitzen als grüner Schein umherwabernd. Wie leicht es wäre, diese unbedeutende Existenz zu beenden; ein Wink nur, das Krümmen einiger Knochen, ein müdes Aufwallen von Magie, kaum der Rede wert… Doch rechtfertigte die scheinbare Leichtigkeit das Auslöschen eines nahezu unwichtigen Lichtes? Sprach einen allein die Möglichkeit der Tat von Schuld frei? »Das wird dein Grab, wenn du dich nicht wieder erinnerst, wer du einst warst. Wenn du nicht lernst, die Schwächeren zu behüten und Achtung vor allem Leben zu haben, denn das ist es, was Götter tun.« Im letzten Augenblick presste Loki die Lippen aufeinander und ließ die Hand sinken; der Wagen mit Ben verschwand um die nächste Häuserecke und der Magier wandte sich mit einem Schnauben ruckartig ab. Dann erst folgte er der Sterblichen ins Innere des Hauses, während er angespannt die Zähne zusammenbiss. Wenn es nicht völlig abwegig gewesen wäre, würde er behaupten, dass er tatsächlich zu einem besseren Gott mutierte. Eine erschreckende Vorstellung. Wahrlich erschreckend. Nach gefühlten Stunden in hitzigen Diskussionen und ergebnislosen Wortgefechten stürmte Gwendolyn wieder aus der Polizeistation; sie stieß die Tür geräusch- und schwungvoll auf, sodass diese unter einem vernehmlichen Donnern mit der Hauswand kollidierte. Der Beamte hinter dem Empfangstresen schickte ihnen einen ärgerlichen Blick hinter, nachdem er wohl froh war, die lästigen und hartnäckigen Besucher endlich abgewehrt zu haben. Loki stolzierte gemächlich hinter der wutschnaubenden Sterblichen aus dem Gebäude, die Hände in den Taschen seiner dunklen Jeans vergraben, beobachtete er ihren Ausbruch mit ehrlicher Erheiterung und blieb am oberen Treppenabsatz stehen, während der auffrischende Wind an den Aufschlägen seines Hemdes und seinen Haaren zerrte. Sein Auftauchen zog die Meute an begierigen, neugierigen Frauen wieder an das Fenster des Friseurgeschäftes, was der Magier über den Rand seiner getönten Gläser registrierte. Die sterblichen Frauen machten in seiner Gegenwart oft den Eindruck, als hätten sie noch nie einen Mann erblickt. »Was bilden die sich eigentlich ein?! Ich darf nicht mal meine eigene Akte einsehen?! Man, das ist doch hirnrissig. Wo soll ich denn jetzt auf die Schnelle einen Anwalt auftreiben?« Aufgebracht stapfte die Sterbliche in ihren Stiefeln vor den Treppenstufen auf und ab und meckerte unzufrieden in die Falten seiner Lederjacke, in welcher sie ihre Nase unter hochgezogenen Schultern vor dem kalten Wind vergraben hatte. Ihre Augen jedoch blitzten vor Feuer und boten einen reizvollen Gegensatz zu den eher frostigen Temperaturen. »Damit sind wir kein Stück weiter gekommen. Wir können doch nicht jeden Bewohner befragen, ob er in fraglicher Nacht etwas Ungewöhnliches bemerkt hat. Was für ein Mist…« Frustriert rieb sie sich über die geröteten Wangen. Tatsächlich hatten sich die Angestellten der Station geweigert, Gwendolyn die Akte jener Nacht auszuhändigen, in welcher sie gefunden wurde, mit der Begründung, dass dies nur unter Aufsicht eines Anwaltes geschehen dürfte. Alles Bitten und Betteln hatte nichts geholfen; die Polizisten waren standhaft geblieben. Und der Magier hatte das Gefühl gehabt, dass hinter dem Schutzschild der Vorschriften noch etwas gänzlich anderes stand - einige der älteren Polizisten hatten anfangs unpassend nervös auf Gwendolyns Anfrage reagiert, als wollten sie unbedingt etwas verstecken. Das hatte definitiv seinen Argwohn geweckt. Und seine Neugierde. Der Magier reckte das Kinn und löste seine Sinne; wie ein Angler seinen Köder zog er die Fäden seiner Magie wieder ein, die er zuvor in dem Gebäude unbemerkt und geschickt gewoben hatte. Die energetischen Verbindungen ballten sich unter einem rauschenden Säuseln zu einer Einheit und formten eine perfekte Illusion, welche sich nun auf den Rückweg zu ihrem Meister machte. Kurz darauf schwang schon die Tür der Polizeistation erneut auf und ein älterer Mann lief die Treppen hinab; hinter ihm, durch die noch offene Tür glitt geschmeidig eine hochgewachsene Gestalt in Uniform, welche ein breites, zufriedenes Grinsen spiegelte, was auf den Zügen Lokis seinen Ursprung trug. Gwendolyn war am Fuße der Treppe stehen geblieben und starrte plötzlich verstummt mit großen Augen zu der perfekten Kopie des Magiers auf, deren Gesicht halb unter dem Schatten einer Polizeimütze verborgen lag. Allerdings war das spöttische Grinsen auf den blassen Zügen unverkennbar, ebenso die dunklen Haare, welche sich über dem Rand der Uniformjacke kräuselten. Die Illusion des Polizisten überreichte dem wahren Magier eine braune, unauffällige Mappe und lief dann ebenfalls gemächlich die Stufen hinab, um die Straße hinauf zu verschwinden. Die Sterbliche starrte der Kopie Lokis mit offenem Mund hinterher und der Gott stellte mit gehobener Braue fest, dass ihr Blick einen Augenblick tatsächlich auf seinem Hintern zu hängen schien - zumindest auf dem Hintern seiner Illusion, bevor jene hinter der nächsten Biegung der Straße in einem Schimmern verschwand. Selbstgefällig und gelassen stieg der Magier nun ebenfalls die Stufen hinab und blieb neben der Sterblichen stehen, die braune Akte mit einem süffisanten Grinsen in den Fingern schwenkend. »War es etwa das, wonach du verlangtest?« »Loki!« zischte Gwendolyn fast erschrocken und riss ihm die Akte förmlich aus der Hand, um diese sofort unter der Lederjacke verschwinden zu lassen. Gehetzt sah sie die Straße auf und ab, warf selbst einen nervösen Blick über die Schulter zum Friseurgeschäft, wo sie noch immer Beobachter hatten und beugte sich dann näher zu dem Magier. »Verdammt! Du kannst doch nicht einfach eine Polizeiakte stehlen und damit noch in der Gegend herumwedeln! Bist du völlig verrückt?!« wisperte sie angespannt. »Darf ich meinen allseits nachgesagten Wahnsinn als Ausrede nutzen?« hinterfragte er noch immer schmunzelnd. Ihre Aufregung amüsierte ihn; als ob die Sterblichen schon etwas gegen ihn hätten unternehmen können. »Nein, darfst du nicht!« wies sie ihn zurecht, wobei ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Ihre zierliche Hand klatschte in einer belehrenden Geste vor seine Brust, nicht mehr als das flüchtige Streifen ihrer Finger, bevor sie verstohlen ihre Jacke öffnete und auf Datum und Name der Akte schielte. »Bingo.« murmelte sie mit einem zufriedenen Lächeln und sah zu dem Magier auf. »Danke, Loki.« »Gwendolyn?« Eine raue, akzentuierte Stimme ließ die beiden herumfahren. »Gwendolyn Lewis?!« Ein Mann mittleren Alters war am oberen Treppenabsatz erschienen, seine dunklen Augen fixierten die beiden unter dem Rand eines breitkrempigen Hutes. Sein dunkles Haar war zu einem Zopf gebunden, seine Haut dunkler und zerfurchter als jene der meisten Anwohner; ein Zeichen, dass er viel an der frischen Luft und unter der Sonne unterwegs war. Ein Mann der Natur, sinnierte Loki, als er den Fremden musterte. Dessen gesamte Haltung strahlte Ruhe und Gleichmäßigkeit aus, Frieden und Freundlichkeit. Er trug eine lederne, bunte Weste unter einer dicken Jacke, seine Füße steckten in festen, dunklen Stiefeln. Um seinen Hals baumelte ein Bündel bunter Federn und silberner Talismane. Gwendolyn drückte die gestohlene Akte ertappt unter ihrer Jacke an die Brust und schickte einen zögerlich unsicheren Blick zu dem Mann hinauf, der nun mit einem freundlichen Lächeln zu ihnen herab kam. »Tahatan?!« Die Sterbliche entspannte sich augenblicklich, als der Benannte vor ihnen stehen blieb und grüßend das Haupt neigte. »Auch ein alter „Freund“?!« verlangte der Magier in spöttischem Argwohn zu wissen, während er den Mann kritisch, aber nicht unfreundlich näher in Augenschein nahm. Dessen Aura strahlte in einem hellen Sonnengelb, warm und freundlich; eine angenehme Präsenz, die ihre sanften Finger nach der Aura des Magiers auszustrecken schien. Gwendolyn zog die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf mit einem verkniffen irritierten Gesichtsausdruck in Richtung des Magiers. »Was?! Nein…naja, doch…Loki, das ist Tahatan. Ich habe dir doch von ihm erzählt. Er hat den kleinen Laden hier in der Stadt, den er sehr erfolgreich betreibt, wenn er nicht gerade durch die Wälder streift und mit den Bäumen spricht.« erklärte die Sterbliche nun mit einem warmherzigen Schmunzeln, was der ältere Mann gutmütig zurückgab. Er schien nicht verstimmt über die Äußerung der Menschenfrau zu sein, eher amüsiert über ihre Worte. »Früher hast du meinen Geschichten über die Bäume, Tiere und Geister des Waldes zumindest gern gelauscht, soweit ich mich erinnere. Du warst meist gar nicht mehr aus meinem Laden zu bekommen. Dein Dad musste dich oft mit Schokokeksen nachhause locken.« Der Mann brach in ein warmes, angenehmes Lachen aus, was Gwendolyn die Schamesröte in die Wangen trieb. Verstohlen linste sie zu dem Magier hinüber, bevor sie verhalten nuschelte: »Das ist jetzt aber wirklich lange her…« Tahatan ergriff die Sterbliche sanft am Arm und wies sie ein Stück näher zu sich, während er sich den Hut von den dunklen Haaren zog und fast wie beiläufig zu dem schwarzen Van von S.H.I.E.L.D. hinüber sah. »Ich habe deinen kleinen Disput drinnen eben mitbekommen. Die Männer haben dich nicht wirklich gerechtfertigt behandelt. Und ich bin eben zu dem Schluss gekommen, dass du durchaus ein Recht hast, deine Wurzeln zu kennen, Gwendolyn…« Sie wollte schon erklärend aufbegehren, doch der Mann unterbrach sie bestimmt. »Ich weiß, dass du diese Akte nicht für eine Story haben willst. Du warst noch nie eine sonderlich gute Lügnerin, Gwendolyn.« Er schmunzelte, als die Sterbliche die Schultern resigniert sinken ließ. »Daher wollte ich dir etwas mitteilen. Etwas, was mir in der Nacht aufgefallen ist, als man dich gefunden hat und was wahrscheinlich nicht in den Akten steht…« Der Mann machte eine kurze Pause und sah Gwen lang an, bevor sein kluger Blick zu dem Magier schweifte. In den braunen Augen veränderte sich etwas; ein altes Bewusstsein glomm darin auf und zauberte Tahatan ein wissendes Lächeln auf die Lippen. »Ihr seid weit weg von zuhause, Yuma…« meinte er ruhig. Loki hob eine Braue in die Höhe und tauschte einen beinahe verwirrt fragenden Blick mit Gwendolyn, die den älteren Mann forschend ansah. »Sohn eines Anführers…!?« murmelte sie dann, wahrscheinlich das fremde Wort übersetzend. »Tahatan, du…du weißt, wer er ist…?!« wisperte sie überrascht. »Nein, er weiß es nicht.« erklärte Loki mit schmalem Lächeln, nachdem seine magischen Sinne die Aura des Mannes abgetastet und ausgelotet hatten. »Aber er fühlt es wahrscheinlich. Er hat eine Begabung für das Übersinnliche.« Der Magier neigte das Haupt leicht zur Seite und musterte den Mann nun mit interessierten Augen. Tatsächlich hätte er es nicht für möglich gehalten auf Midgard auch nur einen Menschen zu finden, den man einem Zauberwirker ähnlich setzen könnte. Doch offenbar war die Magie in Midgard nicht völlig verloren; wenn auch schwach ausgebildet, so hatte der Mann vor ihm doch auffällig feine Sinne und ein Gespür für Erschütterungen und Unregelmäßigkeiten in den Energien. Interessant. »Aber…also, Tahatan…äh…das mit ihm ist ein bisschen kompliziert. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…er ist-« begann Gwen erklärend, doch der Mann unterbrach sie erneut mit einem milden Lächeln. »Schon gut, Gwendolyn. Ich muss es nicht wissen. Ich muss nur wissen, dass er dir nicht schaden will und auf dich acht geben wird…« Tahatan hob seinen Blick zu dem Magier und kreuzte dessen Fokus unbeirrt; Weisheit stand in den warmen, braunen Kreisen jener Augen, die Lokis Seele zu sondieren schienen; ein prüfender, wissender Blick, der durch die Schleier und Illusionen grüner Augen zu sehen vermochte - jenes Forschens ähnlich aus alten, wissenden Augen des Allvaters, wenn Thor und Loki sich einmal mehr wegen Ungehorsam und Streichen vor seinem Antlitz zu verantworten hatten. Loki begegnete der Musterung unbeirrt, wenngleich er die Brauen in einer unbewusst kritischen Reaktion senkte. »Seid unbesorgt, ich werde niemanden davon erzählen. Sein Dasein verursacht so schon genug Wellen in den Energien…« versicherte Tahatan dann ehrlich und legte Gwendolyn eine große Hand beruhigend auf die Schulter. »Zurück zum Thema…du kennst sicher noch den alten Mason, der oben in den Barrow Hills wohnt, oder?« Gwendolyn nickte leicht, durchaus argwöhnisch. »Ähm…ja. Natürlich. Den kennt doch wahrscheinlich jeder, obwohl ihn die meisten kaum zu Gesicht bekommen. Er ist ein ziemlicher Einsiedler und bleibt lieber für sich…« kam ihre zögerliche Antwort. Sie schien selbst schon zu versuchen, die Verbindungen des Rätsels zu knüpfen, um die Antwort zu erahnen. »Nun, in jener Nacht machte ich noch einen kleinen Spaziergang, da ich nicht schlafen konnte. Und da bemerkte ich Masons PickUp. Vor der Polizeiwache. Um ein Uhr nachts. Findest du es nicht auch sonderbar, dass er sich gerade an diesem Tag in die Stadt wagte, noch dazu in der Nacht?! Einkaufen wollte er also sicher nicht. Was also trieb ihn sonst hier herunter…?« Tahatan ließ die Worte schwer in der Luft hängen und setzte sich seinen breiten Hut wieder auf, den er die ganze Zeit in der Hand getragen hatte. Der Wind frischte auf und ließ den dunklen Zopf des Mannes flattern, während er unbeirrt auf die Sterbliche herabsah. Gwendolyn runzelte die Stirn und blinzelte ein paar Mal, bevor sie zaghaft begann: »Du willst sagen-« »Nein, ich will gar nichts sagen, Gwendolyn.« meinte der Mann mit einem Schmunzeln. »Ich will dich nur darauf hinweisen, dass dies womöglich eine Spur ist, die du verfolgen solltest, wenn du wirklich deine Wurzeln finden willst.« endete er in einem sanften Raunen und schenkte der Sterblichen ein Zwinkern. Gwen wechselte einen schnellen Blick mit Loki, der aufmerksam zugehört hatte und nun ein knappes Nicken zeigte, bevor sie sich wieder Tahatan zuwandte. »Das werde ich.« »Aber nicht mehr heute.« sprach der ältere Mann, während er seinen Hut unter einer weiteren, kühlen Böe festhielt, welche Gwendolyn erneut fröstelnd die Arme um sich schlingen ließ. Loki stand weiterhin ungerührt neben ihr; die frostigen Winde eher sanfte Liebkosungen, die seine Haut umschmeichelten wie die Ahnungen auf Finger einer längst vergessenen Liebhaberin. »Das Wetter schlägt um. Ein Tief zieht von Norden heran. Die Meteorologen prophezeien den ersten Blizzard der Saison…« Tahatan hob den geschmälerten Blick zum Himmel, welchen bereits die ersten stahlgrauen Wolken überzogen, die rasch über das Tal wanderten. »Wartet bis morgen. Dann sollte das Schlimmste vorüber sein. Doch im Schneegestöber solltet ihr nicht in den Bergen herumirren.« Der Mann sah die beiden wieder an, bevor er Gwendolyn erneut eine dunkle, wettergegerbte Hand auf der schmalen Schulter bettete und jene sanft drückte. »Pass auf dich auf, Gwendolyn. Ich sehe einige Wirren in deiner Zukunft. Du wirst dich noch vielen Prüfungen stellen müssen. Höre nie auf zu vertrauen - auf dich und auf jene, die in deinem Herzen sind…« raunte der Mann ungewöhnlich ernst unter dem Rascheln der Blätter, welche der Wind die Straße hinabtrieb. Dann verzogen sich seine Lippen wieder zu einem freundlichen Lächeln. Die Sterbliche schluckte sichtbar, dann nickte sie sachte. »Danke, Tahatan.« murmelte sie mit belegter Stimme. »Ich will euch nicht länger aufhalten. Ich muss eh selbst noch ein paar Besorgungen machen. Grüß deine Eltern lieb von mir, ja?« Tahatan tippte sich grüßend an die Krempe seines Hutes, dann wandte er sich ab und überquerte nach einem kurzen Blick zurück die Straße. »Noch mehr kryptische Weissagungen…« wisperte Gwendolyn mit einem Seufzen, während sie bereits zurück zu ihrem Auto schritt. »Langsam kann ich mir fast ein Buch davon binden…« Beinahe erschöpft lehnte sie sich gegen den Maserati und holte tief Luft, bevor sie die Straße auf und ab sah, die Arme noch immer um sich geschlungen. »Ich weiß grad gar nicht, was ich von all dem halten soll. Schon vor Jahren habe ich nach einem Hinweis auf meine Wurzeln gesucht und niemand hat mir mehr verraten als das, was alle wussten. Ich wurde vor der Polizeistation gefunden. Warum ist mir nicht früher aufgefallen, dass das alles sehr seltsam war? Niemand wollte etwas gesehen haben, niemand hatte etwas gehört oder bemerkt…« Loki blieb vor ihr stehen, die Hände wieder in seinen Taschen vergraben. »Womöglich wollten sie diesen Mann schützen, von dem dein Freund sprach?« sinnierte er nachdenklich. »Willst du auf die Warnung des Sterblichen hören?« fragte er dann sachlich und musterte Gwendolyns blasse Stirn, welche von nachdenklichen Falten überzogen wurde. Sie nickte knapp. »Tahatan kennt sich unheimlich gut mit der Natur und dem Wetter aus. Er hat ein Gespür dafür. Wenn er sagt, dass wir nicht gehen sollten, dann sollten wir das auch nicht tun.« Sie zog ihre Unterlippe grübelnd zwischen die Zähne und blickte erneut die Straße hinab, bevor ihr Blick jenen des Magiers suchte. »Aber morgen läuft schon deine Frist auf der Erde aus. Einen Tag so ungenutzt zu verschwenden gefällt mir nicht…« gab sie unzufrieden zu bedenken; ein Hauch von Sorge flackerte durch ihre hellen Augen. Loki zuckte knapp die Schultern. »Verschwendet muss er ja nicht sein…« Er streckte eine Hand aus und hob das Kinn der Sterblichen leicht an, während er ihre Züge mit kritischem Blick musterte. »Du siehst eh aus, als könntest du Nahrung, Ruhe und Schlaf gebrauchen. Wolltest du nicht deine Eltern besuchen?« Er zog die Finger in einem weichen Streifen von ihrer Haut zurück und schob sich eine wirre Strähne aus dem Gesicht, welche der Wind dort aufmüpfig gebettet hatte. »Hm…ja. Schon. Eigentlich würde ich zwar lieber endlich der Wahrheit näher kommen, da mich dieses Warten wahnsinnig macht, aber etwas anderes können wir ja eh nicht tun.« Gwendolyn stieß sich mit einem Seufzen von dem Auto im Rücken ab und kramte die Schlüssel des Wagens heraus, welche sie dem Magier mit einem Lächeln wieder in die Hand drückte. »Du darfst fahren. Ich will meinen Eltern nicht erklären müssen, warum ich plötzlich so einen verdammt teuren Wagen habe. Die unterstellen mir noch Machenschaften mit der Mafia.« erklärte sie schmunzelnd. »Mafia?!« Lokis Brauen hoben sich fragend über den Rand seiner Sonnenbrille, während er den Wagen entriegelte und auf den Fahrersitz rutschte. Die Sterbliche lachte leise und ließ sich neben ihm in den Beifahrersitz fallen; ihre Hand schoss sofort vor und betätigte die Heizung des Wagens. »Ja, Mafia. Fieser Geheimbund. Und du würdest da definitiv ins Bild passen.« erklärte sie mit einem schelmischen Grinsen, nachdem sie dem Magier einen Zeigefinger auf die Brust gestoßen hatte. »Tu mir bitte einen Gefallen, Loki…« begann Gwendolyn dann eindringlich, nachdem er bereits den Wagen gestartet hatte. Sein Blick schweifte abwartend zu ihr hinüber. »…meine Eltern sind nicht mehr die jüngsten und ich will sie in diese ganze Sache auch wirklich nicht mit reinziehen. Lass uns das Thema Asgard, Garm und Malekith einfach nicht anschneiden, ja?« Bittend sah sie ihn an, während sie sich noch immer in seiner ihr viel zu großen Jacke vergraben hatte. Ein seltsam reizvoller Anblick, wie er fand. Er konnte ihre Bedenken verstehen und ihre Bitte war für ihn nachvollziehbar; sie wollte jene, die sie liebte, nicht unnötig belasten. Wenn Malekith wirklich sein Ziel erreichen sollte, so würden alle hier noch schnell genug mit den Auswirkungen dieses Krieges konfrontiert werden. »In Ordnung.« stimmte er mit einem kleinen Nicken zu und legte die Hand bereits auf den Schaltknüppel, welche Gwendolyns Finger nun umfassten. »Und bitte benimm dich.« fügte sie beinahe flehend an, während ihr Blick an seine Vernunft appellierte. Lokis Lippen spannten sich unter einem seichten Schmunzeln, welches rasch zu einem breiten Grinsen erwuchs. »Tue ich das nicht immer?!« zog er sie süffisant auf. »Nicht wirklich. Nein.« wollte sie ihn streng zurechtweisen, doch das verräterische Funkeln in ihren Augen verriet jenes Lachen, dass sie sich nun verbot. Gwendolyns Elternhaus lag wieder etwas abseits des Zentrums; ein kleines, einladendes Häuschen am äußeren Ende der Stadt, welches sich an den Rand des Waldes schmiegte. Das großzügige Grundstück wurde von einem weißen, schlichten Zaun umrandet, hinter welchem gerade ein großer Hund über den Rasen zum Tor flitzte, nachdem er die Autotüren vernommen hatte. Große blaue Augen beobachteten die Sterbliche und Loki aufmerksam, welche gerade aus dem Maserati gestiegen waren; der Schwanz des Hundes wedelte freudig durch die Luft. Gwen trug den Transportkorb ihres Katers, während sich der Magier selbstständig ihren Koffer geschnappt hatte. Ein Blick über die Schulter bestätigte Loki, dass der Van von S.H.I.E.L.D tatsächlich zurückgeblieben war, wie die Sterbliche es verlangt hatte; Gwen hatte kurz mit Agent Preston telefoniert, um ihn zu informieren, wohin sie unterwegs waren, aber auch um ihm mitzuteilen, dass S.H.I.E.L.D sich in einer kleinen Pension in der Nähe einquartieren sollte. Das hatte dem Agent natürlich nicht geschmeckt, vor allem nicht, da Loki so mit der Sterblichen allein wäre, doch Gwen hatte jeglichen Protest seinerseits einfach erstickt, indem sie aufgelegt und das Telefon mit einem entnervten Seufzen in das Handschuhfach des Wagens geworfen hatte. Dort lag es jetzt wohl immer noch. »Hey, Angel. Na mein Lieber. Wie geht es dir?« Gwendolyn hatte das kleine Gartentor aufgestoßen und Winstons Korb kurz abgestellt, um den aufgeregten Hund in Empfang zu nehmen, welcher sie freudig ansprang; die Sterbliche lachte heiter und kraulte dem großen Tier die Ohren, bevor sie den Hund liebevoll umarmte, der sie mit seinen großen Pranken in seiner Begeisterung fast umwarf. Ein Alaskan Malamute, wie sie Loki eben erklärte; das Tier hatte eine hübsche schwarz-weiße Zeichnung und seidiges Fell, ein ungewöhnlich edles Gesicht und tieftreue, eisblaue Augen. »Gwenny?!« Ein älterer Mann mit sichtlich ergrauten Haaren kam gerade um eine Ecke des Hauses und blieb recht verdutzt auf dem Rasen stehen; er trug ein praktisches Arbeitshemd und ausgewaschene Jeans, nebst einer Mütze, die er sich jetzt langsam vom Kopf zog. Sein bereits faltiges, doch gesundes Gesicht wurde von einem weißen Vollbart umrahmt, unter dem sich seine Mundwinkel nun beständig in die Höhe zogen, als er seine Tochter erkannte. »Dad!« Gwendolyn ließ nun von dem Hund ab, der ihr treu hinterher trottete, während sie über die Wiese zu ihrem Vater lief und sich diesem stürmisch in die Arme warf. Die Wiedersehensfreude war beiden deutlich anzumerken und Loki blieb ein wenig abseits stehen, während er sich recht fehl am Platz fühlte. Der Magier bemerkte die Freudentränen des Mannes, als er seine Tochter so unvermittelt wieder in den Armen halten durfte und auch Gwendolyn wirkte sichtlich angerührt von diesem Moment, wobei sie sonst stets den Anschein von Stärke und Kraft zu wahren versuchte. Widersprüchliche Gefühle tanzten durch die Brust des Gottes und ließen ihn in diesem Augenblick für die dunkle Brille auf seiner Nase dankbar sein; womöglich hätte man sonst die Emotionen in seinen Augen bemerkt, die sich vorwitzig aus dem Eispanzer seines Wesens kämpften. Er erkannte, dass er den Vater um seinen Platz beneidete; Gwendolyn ließ bei ihm alle Hemmungen fallen, was von sichtlichem Vertrauen zeugte und der Magier musste sich eingestehen, dass er ebenso gern ihr uneingeschränktes Zutrauen besitzen würde - doch dafür würde er kämpfen müssen, das war ihm klar und weitere Fehltritte durfte er sich dann nicht mehr erlauben. Und andererseits war er ebenso neidisch auf die Sterbliche; auf die Freude und die offenen Arme, welche sie zuhause erwarteten - auf diese unverhüllte Zuneigung und Liebe, die Gwendolyn zuteil wurden. Odin hätte sich niemals zu solch einer Gefühlsregung in der Öffentlichkeit hinreißen lassen, schon gar nicht Loki gegenüber. Mit starrem Gesicht wartete der Magier im Hintergrund; die Züge einmal mehr eine harte, unberührte Maske, unter welcher die Muskeln in seinen Wangen angespannt zuckten. Das Kinn hatte er eigenwillig erhoben, während er mit sich selbst und seinen unnützen Gefühlen kämpfte; Midgard und dessen Bewohner brachten ihm tatsächlich nur Probleme - angefangen mit den Avengers, seiner Niederlage, S.H.I.E.L.D und nun mit dieser rothaarigen Sterblichen, in deren Nähe er immer öfter daran erinnert wurde, dass auch er ein lebendiges Wesen mit Gefühlen und Regungen war, auch wenn er auf diese Erkenntnis liebend gern verzichtet hätte… »Gwen?! Himmel, was machst du denn hier? Warum hast du nicht angerufen und gesagt, dass du kommst?« Der Mann löste sich ein wenig von seiner Tochter und sah mit einem noch immer ungläubig erfreuten Blick auf Gwendolyn herab. »Wir haben doch gar nicht mit dir gerechnet.« »Aber ihr habt doch bestimmt trotzdem etwas zu essen und ein Bett für mich?« säuselte die Sterbliche mit süßem Augenaufschlag liebevoll zu ihrem Vater, während sie ihm das Arbeitshemd glatt strich und einen falsch geschlossenen Knopf richtete. Der Mann lachte; ein angenehmer, warmer Laut. »Aber natürlich, meine Kleine. Für dich doch immer.« Zärtlich drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und schob ihr ein paar wirre Haare hinter die Ohren. Dann erst hob sich sein Blick und richtete sich neugierig auf den Magier, welcher abwartend im Hintergrund stand; auch das teure Auto in der Einfahrt wurde kritisch beäugt. Ebenso schien dem Vater jetzt aufzufallen, dass Gwendolyn eine für sie viel zu große, recht männliche Jacke trug. »Wen hast du denn mitgebracht?« Gwendolyn drehte sich wieder zu dem Magier um, eine große Hand ihres Vaters noch auf der Schulter, während Loki nun näher kam; Angel lief wie ein Eskorte neben dem Gott und beobachtete jeden von dessen Schritten aufmerksam. »Dad, das ist Loki. Ein Kollege von mir. Wir sind wegen Nachforschungen für eine neue Story in die Gegend gekommen. Loki, das ist Harry Lewis, mein Vater.« Der Magier blieb vor den beiden stehen und streckte dann die Rechte aus, um jene dem anderen Mann zu reichen; so langsam gewöhnte er sich an dieses Ritual auf der Erde, obwohl er es noch immer seltsam fand. Doch Gwendolyn würde gewiss erwarten, dass er sich respektvoll ihrem Vater gegenüber benahm. »Eine Ehre, Sie kennenzulernen, Sir.« raunte er anständig, was der Sterblichen ein zaghaftes Schmunzeln entlockte. Der andere Mann ergriff seine Hand in einer kräftigen Geste und schien erfreut über die guten Manieren des Magiers. »Was ist denn hier draußen los?« meldete sich unvermittelt ein weibliche Stimme zu Wort; eine ältere Frau kam gerade die Stufen vor dem Hauseingang herunter, eine bunte Schürze über ein einfaches Kleid gebunden, an welcher sie sich die Hände abwischte, als wäre sie bis eben noch in der Küche zugegen gewesen. Die Frau hatte ihr bereits gräuliches Haar zu einem ordentlichen Zopf geflochten und Freude erhellte augenblicklich ihr mütterliches, rundliches Gesicht, da sie ihre Tochter erblickte. »Gwen?!« »Hallo, Mom.« wandte sich die Sterbliche mit einem breiten Lächeln an ihre Mutter und flog dieser genauso förmlich in die Arme. Dann wurde Loki auch Marian Lewis vorgestellt; Gwendolyns Mutter schien sofort angetan von dem hochgewachsenen Magier und strahlte diesen freundlich an, während sie die Falten ihrer Stürze glatt strich. Loki musste sofort an Frigga denken; an jene Frau, die ihm viele Jahre seines Lebens am nächsten gestanden und ihm das Gefühl einer Familie und Liebe näher gebracht hatte - er mochte die meisten Asen nicht wirklich achten, doch der Königin gebührte noch immer sein Respekt und ein einmaliger Funke seiner Zuneigung. »Mom, wir würden gern über Nacht bleiben, wenn das okay ist?! Wir haben Tahatan in der Stadt getroffen und er erzählte uns von dem drohenden Blizzard - schöne Grüße übrigens von ihm. Er meinte, es wäre zu gefährlich heute noch weiter zu fahren.« Gwendolyn sah fragend zu ihrem Vater, der knapp nickte und dem Himmel einen abschätzenden Blick zuwarf. »Hm, ja, ich habe das heute auch schon im Radio gehört. Und wenn Tahatan das sagt, dann stimmt es mit Sicherheit.« »Natürlich könnt ihr hierblieben, meine Liebe.« beruhigte ihre Mutter Gwendolyn sofort. »Ihr habt bestimmt auch Hunger, oder? Allerdings habe ich das Essen noch nicht fertig. Ihr müsst noch ein wenig warten.« meinte sie dann fast entschuldigend. »Kein Problem. Wir wollten uns eh noch die Füße ein wenig vertreten. Wir saßen jetzt stundenlang im Auto.« erklärte Gwendolyn ihrer Mutter entgegenkommend, bevor sie ihrem Vater schon Winstons Transportkorb in die Hand drückte, worüber der ältere Mann gar nicht glücklich schien. »Hast du deine Kratzbürste wieder mitgebracht?« zog er seine Tochter liebevoll auf, die ihm einen gespielt bösen Blick schenkte. »Natürlich. Geht nur noch ein Stück, bevor es anfängt zu schneien. Aber…der junge Mann geht mir so nicht raus.« Anklagend deutete Marian auf die eher leichte Bekleidung des Magiers. »Sie holen sich ja den Tod, Loki. Moment…« Die resolute Frau verschwand kurz im Haus, während Gwen Loki mit einem fast entschuldigenden Schmunzeln ansah, bevor ihre Mutter auch schon wieder in der Tür auftauchte, eine dicke Jacke im Arm und ein langes, ledernes Band in der Hand. »Wärt ihr so lieb und würdet Angel gleich mitnehmen? Der Gute hatte seinen Auslauf heute auch noch nicht.« fragte Marian, bevor sie Loki mit einem Lächeln die Jacke in die Hand drückte. »Ich hoffe, sie passt Ihnen. Aber die Größe sollte so ungefähr stimmen.« Der Magier nahm die Jacke dankbar entgegen und warf sie sich über; er verzichtete auf den Hinweis, dass ihm eigentlich nicht kalt war, denn die Frau würde es wahrscheinlich eh nicht verstehen. Außerdem gefiel ihm ihr mütterliche Zuneigung und das zufriedene Lächeln irgendwie, als sie sah, dass er tatsächlich Platz in der geliehenen Jacke fand. Obwohl er als Fremder zu ihnen gekommen war, fühlte er sich aufgenommen. »Okay, Angel. Dann wollen wir mal.« sprach die Sterbliche neben ihm den Hund an, der sofort begeistert mit dem Schwanz wedelte und sich gegen ihr Bein drückte, sodass sie ihm die Leine ohne Mühe anlegen konnte. »Dann bis später. Und lasst Winston ein bisschen raus.« rief sie über die Schulter zurück, was ihrem Vater ein entnervtes Stöhnen entlockte. Ein zurechtweisender Ellenbogenstoß ihrer Mutter brachte den Mann zum verstummen. »Du hast sehr angenehme, herzliche Eltern.« meinte Loki nach einer Weile, die er schweigsam neben Gwendolyn hergelaufen war; sie hatten einen Pfad in den Wald genommen und die Ruhe hier beide genossen - eine friedliche Stille, die nur hin und wieder durch das Knacken von Ästen oder dem Rauschen des Windes unterbrochen wurde, der durch die hohen Wipfel der Tannen fuhr und jene unter seiner Gewalt bog. Der morgendliche Frost war hier nicht den Strahlen der Sonne gewichen, sondern hatte sein Reich nachhaltig verteidigt; Moos und Blätter knirschten unter ihren Stiefeln, während sich die ersten Schneeflocken durch das Geäst kämpften und beinahe märchenhaft zu Boden segelten - die viel benannte Ruhe vor dem Sturm. Loki genoss die kühle, frische Luft in vollen Zügen; es war eine Wohltat nach der langen Reise in dem stickigen Auto die Beine einmal wieder ausreichend bewegen zu können. Die Bäume des Waldes umfingen sie wie ein schützender Kokon und konnten beinahe vergessen machen, dass sie auf Midgard waren und dass hinter ihnen bereits bedrohliche Ereignisse ihre Vorboten schickten. Würde all diese Ruhe bald gestört werden; würden die majestätischen Tannen in Flammen aufgehen und unter Schatten begraben werden, wenn Ragnarök über sie hereinbrach? Der Hund tänzelte motiviert und erfreut um ihre Beine, bevor Gwendolyn ihm endlich die Leine abnahm und schmunzelnd dabei zusah, wie Angel davonstürmte und geschmeidig über einen umgestürzten Baum des letzten Winters sprang. »Die Besten.« Ihre Stimme war von deutlichem Stolz geprägt, während sie die Leine des Hundes in der Tasche ihrer Jacke verschwinden ließ. »Sie sind mehr, als ich mir je wünschen konnte. Ich hätte es wesentlich schlechter treffen können. Dafür bin ich unendlich dankbar. Sie haben mich nie spüren lassen, dass ich adoptiert bin…eher habe ich das getan…« fügte sie leise an; sie klang seltsam reumütig und Loki reichte ihr hilfsbereit eine Hand, als sie beide über den Baumstamm auf ihrem Weg kletterten. »Wie meinst du das?« hakte er interessiert nach; seine Brauen senkten sich hellhörig und ihr ausweichender Blick ließ ihn erraten, dass dort Dinge in ihrer Geschichte lagen, über die sie eigentlich nicht sprechen wollte. Doch besaßen sie nicht alle diese Schatten der Vergangenheit? Gwendolyn ließ sich von ihm über das morsche Holz helfen und gab seine Hand entgegen seiner Erwartung nicht frei, sondern hielt seine Finger weiterhin umschlungen, während sie an ihrer Lippe nagte und flüchtig nach dem Hund Ausschau hielt, der in einiger Entfernung die Schnauze in ein Erdloch steckte. Der fröhlich wedelnde Schweif schien ihnen beinahe zuzuwinken. »Naja…ich fürchte, ich habe mich manchmal nicht so benommen, wie es eine Tochter tun sollte. Ich habe meinen Eltern früher einiges an Ärger bereitet.« Ihr Blick hob sich flüchtig zu dem Magier an. »Es gab eine Zeit, als ich so meine Probleme mit der Wahrheit über meine Adoption hatte…« gestand sie unter einem kleinen Seufzen. Wieder einmal fühlte sich Loki ihr verbunden; über Welten und Ränge, über Vergangenheit und Geschehnisse hinweg waren ihre Schicksale gar nicht so unähnlich und einmal mehr sah er in der Sterblichen beinahe ein verzerrtes Spiegelbild seiner eigenen Geschichte. Er wollte ihre Gefühle ergründen und ihre Vergangenheit verstehen, denn womöglich hätte er dann über sich selbst noch mehr in Erfahrung bringen können… »Erzähl mir davon…« verlangte er raunend, aber weich und drückte ihre Finger in einer instinktiv bestärkenden Geste; jene Berührung schien Gwendolyn erst zu verdeutlichen, dass sie seine Finger noch immer hielt und zaghafte Röte durchdrang ihre Wangen, doch sie löste die Verschränkung ihrer Hände nicht. »Man kann auch bitte sagen…« murrte sie unzufrieden. »Bitte.« fügte der Magier mit einem Grinsen an und animierte sie zu einem Seufzen. »Interessiert dich das wirklich?« fragte sie zweifelnd nach. »Hätte ich sonst gefragt?« entgegnete er mit gehobener Braue, bevor er sich die Sonnenbrille endlich von der Nase zog und in der Brusttasche seines Hemdes barg. Die Sterbliche zog die kühle Luft geräuschvoll in die Lungen, bevor sie zu sprechen begann; ihr Blick weilte in der Ferne, wo Angel fröhlich zwischen den Tannen umher rannte und die ersten, zarten Schneeflocken vom Boden aufwirbelte. »Meine Eltern haben mir recht frühzeitig erzählt, dass ich adoptiert bin. Man hätte es mir auch gar nicht lange verheimlichen können, da ich gemerkt habe, wie mich die anderen Kinder immer ansahen und mich behandelten. Ich wusste, ich war anders, aber ich konnte es mir nicht erklären. Bis ich die Wahrheit erfuhr. Von da an war eine seltsame Leere in mir und ich habe nach Zugehörigkeit gesucht, die ich im Herzen und in den Kreisen der anderen Kinder offensichtlich nicht finden konnte…« Sie unterbrach sich kurz und zog ihre Hand von Lokis zurück, um dem Hund den Hals zu kraulen, der eben selig tapsend zu ihnen zurückkam, die Zunge glücklich hechelnd aus der Schnauze hängend. »Kinder können echt grausam sein und natürlich stürzen sie sich gierig auf jedes Fünkchen Andersartigkeit, damit sie etwas haben, worauf sie herumhacken können. Meine Schulzeit war nicht gerade ein Traum; die meisten meines Alters mieden mich, Jungs gaben sich natürlich kaum mit mir ab, während die Mädchen sich die Mäuler über mich zerrissen. Natürlich wusste fast die ganze Stadt von den Umständen meines Auftauchens; darum wurden dann gruselige oder fantasievolle Geschichten geschmückt - einmal war ich die Tochter einer Hexe aus den Bergen, das andere Mal die einer Hure, die mich hatte loswerden wollen und in anderen Fällen wahrscheinlich die Strafe Gottes. Das niemand in jener Nacht etwas gesehen oder gehört haben wollte, förderte natürlich die Phantasie der Leute und es entstanden die wildesten Gerüchte, warum jemand ein Kind einfach so auf der Straße vor einer Polizeistation ablud…« Obwohl Gwendolyn ihre Worte recht sachlich und abgeklärt setzte, so konnte Loki doch den Schmerz dahinter erahnen; ihre Aura waberte unruhig unter seinem geschärften Blickfeld, welche Emotionen mehr als alles andere verdeutlichte. Die Sterbliche redete sich ein, dass sie über diese schändlichen Worte und die erniedrigende Ablehnung hinweg war, doch im Grunde ihres Herzens ahnte sie wohl, dass dem nicht so war. Der Magier wusste nur zu gut, wie es in ihr aussehen musste; manche Dinge brannten sich tief ins Gedächtnis, unauslöschlich dort verankert für die Ewigkeit. Teilweise fühlte es sich an, als würde sie seine Geschichte erzählen - aus einem anderen Blickwinkel, doch erschreckend ähnlich. »Und ich habe natürlich irgendwann angefangen zu rebellieren.« sprach sie nun weiter, nachdem sie einen Stock vom Boden aufgelesen hatte, welchen sie warf, damit der Hund begeistert hinterher sprinten konnte. »Hab mir gewissermaßen die falschen Freunde gesucht, Außenseiter wie mich. Naja und von da an habe ich ziemlich viel Dummheiten mitgemacht; hier und da ein bisschen Ärger gestiftet, Autoreifen zerstochen, Mülltonnen angezündet, Diebstähle begangen, Alkohol und Zigaretten im Übermaß konsumiert….solcher Schwachsinn eben.« Sie schüttelte offensichtlich über sich selbst den Kopf. »Ich bin wirklich nicht stolz darauf, wie ich mich benommen habe. Ich hab meinen Eltern viel Ärger bereitet und trotzdem haben sie immer zu mir gehalten.« »Stammen deine Vorstrafen aus dieser Zeit?« hakte Loki ruhig nach; er erinnerte sich an die Erwähnung einiger Vergehen der Sterblichen, die der Computer des Erfinders aufgezählt hatte. Gwen schürzte die Lippen unwillig und funkelte zu ihm herüber. »Das musstest du natürlich mitbekommen…« Loki teilte die Lippen in selbstgerechtem Grinsen. »Ich bin ein äußerst aufmerksamer Zuhörer.« »Ja…leider…« seufzte sie resigniert, bevor sie die Schultern straffte und einen kleinen Hügel vor ihnen erklomm, hinter dem Angel gerade schon verschwunden war. »Die Sache mit der Körperverletzung war ein wirklich dummes Ding meinerseits. Ich hatte einem Mädchen eine verpasst, die mich in einer Bar dumm angemacht hatte. Das war genau an meinem achtzehnten Geburtstag gewesen. Ich glaube, ich hatte ihr ausversehen wohl die Nase gebrochen…« Loki zog ziemlich zweifelnd die Brauen in die Höhe und musterte die Sterbliche nun mit einem mehr als kritischen Blick; seine grünen Augen sondierten jedes Stück ihres eher kleinen, zierlichen Körpers und ließen in ihm berechtigte Zweifel aufkommen, ob sie da gerade wirklich von sich selbst sprach. Gwendolyn blieb stehen, da sie seinen skeptischen Blick bemerkt hatte. Sie stemmte die Hände in die Hüften, um imposanter und bedrohlicher zu wirken; wahrlich beeindruckend, da sie noch immer seine viel zu große Jacke trug, in der sie halb verschwand. »Hey, ich weiß genau, was du gerade denkst. Aber man sollte meine Erscheinung und Größe nicht unterschätzen.« Entschlossen hob sie das Kinn an; vereinzelte Schneeflocken trieben über ihre blasse Haut und verfingen sich in ihren dunklen Wimpern. »Zu meinen besten Zeiten hätte ich mich auch mit Kerlen wie dir angelegt.« Ihr Zeigefinger stieß wie die Spitze eines Dolches auf seine Brust und ließ ihn schmunzeln. »Das fällt mir schwer zu glauben.« raunte er in heiterem Zweifel. Sein Blick senkte sich flüchtig auf den Finger auf seiner Brust, welchen Gwendolyn dann auch zurückzog, um die Hände in den weiten Ärmeln ihrer Jacke zu bergen. Der Wind hatte inzwischen deutlich aufgefrischt. »Ja, naja…okay…wahrscheinlich nicht unbedingt mit Männern genau wie dir. Gegen einen Gott schätze ich meine Chancen doch eher gering ein…« nuschelte sie einlenkend in den Kragen der Jacke und schenkte ihm einen kurzen, funkelnden Blick, welchem er nicht weniger intensiv begegnete. »Ich freue mich, dass du deine Niederlage schon vor der Schlacht eingestehst.« zog er sie mit arroganter Miene auf, was ihm einen Schlag ihrer Faust gegen den Oberarm einbrachte, den Loki mit einem ehrlichen Lachen wegsteckte, während Gwendolyn schmollend den Hügel hinabstrauchelte; der Boden war hart und überfroren, sodass sie mehr als einmal das Gleichgewicht zu verlieren schien. Bevor sie mit dem Waldboden Bekanntschaft machte, da sie über eine herausragende Wurzel stolperte, war der Magier schon an ihrer Seite und fing sie in einem sanften Griff auf, da sie rückwärtig gegen ihn fiel. Gwendolyn blinzelte aus großen Augen zu ihm auf, da er sie hielt und auf sie herabgrinste; die feine Röte auf ihren Wangen rührte augenblicklich nicht nur von der Kälte her, dessen war sich Loki sicher. Ein angenehmes Prickeln durchzog seine Finger, als er sie wieder auf die Füße stellte und dabei flüchtig ihre Hand streifte. »Danke…« murmelte sie verlegen und strich sich die wirren, roten Haare aus dem Blickfeld, während sie nach Angel Ausschau hielt, der in dem wirbelnden Weiß der immer dichter fallenden Schneeflocken kaum noch auszumachen war. »Und was hat es mit dem …Drogenbesitz auf sich?« fragte er dann weiter, leicht über das ungewohnte Wort stolpernd, welches sich in seiner Erinnerung festgesetzt hatte. Der Magier hatte bereits gehört, dass die sterblichen Midgards gern mit zweifelhaften Substanzen liebäugelten, um ihren Geist zu stärken oder durch Illusionen zu täuschen - ein erbärmlicher Ersatz für den Einsatz von Magie, dessen sie nicht fähig waren; eine hoffnungslose Suche nach einer Welt, dessen Türen für sie verschlossen blieben. Gwendolyn sah zögerlich zu ihm zurück, bevor sie geräuschvoll durch die Finger pfiff; der Hund tauchte hinter einigen Tannen wieder auf und kam langsam zu ihnen zurück gelaufen. Seine Schnauze war mit Schnee und Erde beschmiert, welche die Sterbliche mit dem Ärmel ihrer Jacke von seiner Nase putzte. Dann legte sie ihm die Leine wieder an. »Naja, die Dummheiten ziehen sich irgendwie durch mein ganzes Leben. Nachdem ich zumindest am Ende meiner Jugend begriffen hatte, dass ich mit den falschen Freunden und diesem flegelhaften Benehmen nie zu etwas kommen würde, rissen mich die Männer ins Verderben…« Sie legte eine bedeutungsschwere Pause ein und schenkte Loki einen vielsagenden Blick, unter welchem er gespielt unschuldig die Hände hob, was ihr ein leises Lachen entlockte. »Ben war meine erste Beziehung gewesen und wenn es nach ihm gegangen wäre, so wäre er auch die letzte gewesen…« begann sie dann zögerlich dieses eher heikle Thema anzuschneiden, während sie nun bereits den Weg zurück nahmen, da sich der Himmel über ihnen merklich verdunkelt hatte und die Schneeflocken wie wilde Insekten inzwischen aggressiv durch die Luft trieben. Gwendolyn blickte erneut zu Loki herüber, als erwartete sie schon, dass er die Augen entnervt von ihrem Gerede verdrehen würde, doch wohl entgegen ihrer Annahme lauschte er weiterhin aufmerksam und sah sie offen an. »Ben wollte immer alles bestimmen. Als ich entschieden hatte nach New York zu gehen, fiel er aus allen Wolken. Er wollte seine Heimat und seinen Job als Polizist hier nicht aufgeben, ich jedoch mehr aus meinem Leben machen. Also trennten sich unsere Wege im Guten.« Sie hielt erneut flüchtig inne, da sie über einen weiteren morschen Baum klettern mussten, wobei ihr Loki wieder half, was der Sterblichen ein kleines, verlegenes Lächeln entlockte. »Naja, danach folgten weitere diverse Beziehungen, in denen ich mich dummerweise immer für die falschen Männer aufopferte und mich selbst dabei vergaß.« Der Magier hätte nun eigentlich Enttäuschung oder Schmerz in ihrer Stimme erwartet, doch allein Ärgernis klang heraus; eine Wut, die sie offenbar auch auf sich selbst hegte, da sie ihre eigenen Fehler erkannte. Loki verspürte augenblicklich Bewunderung für die Frau; sie hatte ihre Defizite sondiert und war damit gestärkt aus diesen Bindungen gegangen. Allerdings linderte das nicht diesen verstohlen brodelnden Zorn in dem Gott auf all diese gesichtslosen Männer ihrer Vergangenheit, die es gewagt hatten sie zu enttäuschen. Diese Offenheit ihm gegenüber stärkte das Band zwischen Gwendolyn und ihm merklich; sie schenkte ihm in diesem Augenblick ihr Vertrauen uneingeschränkt, indem sie ihm von den dunklen Flecken auf dem gewobenen Tuch ihrer Vergangenheit erzählte und Loki hätte dieses Entgegenkommen gern vergolten, indem er einige Schandflecken in ihrem Leben auslöschte - das Bedürfnis, jemanden zu beschützen war seltsam, doch er sperrte sich nicht mehr dagegen, sondern ließ es auf sich wirken. »Ich will jetzt auch gar nicht so genau auf alles eingehen und dich mit allen Einzelheiten dieser Beziehungen langweilen. Das ist eh alles Vergangenheit. Es bleibt nur zu sagen, dass meine letzte Verbindung mit einem Mann auch meine wohl denkbar Schlechteste war; er hat mich und meine Gutgläubigkeit schamlos ausgenutzt und ich war lange zu blöd, um das zu erkennen. Ich habe die Augen vor der Wahrheit verschlossen; vor all den anderen Frauen, die er neben mir hatte und den illegalen Machenschaften, in die er mich reinzog. Als ich dann mit seinen Drogen erwischt wurde, bin ich endlich aufgewacht. Leider musste es erst zu einer Vorstrafe kommen, bevor ich wieder klar sehen konnte…tja, nun, jetzt weißt du es.« Loki hielt sie an der Schulter auf, sodass sie stehen blieb und ihn einen Moment ein wenig verwirrt durch die wirbelnden Schneeflocken ansah. Angel hatte zwischen ihnen Platz genommen und schmiegte sich treu an Gwendolyns Schenkel. »Und ich danke dir für deine Offenheit, Gwen. Danke, dass du mich an deiner Vergangenheit hast teilhaben lassen.« raunte er respektvoll. Sie wusste wahrscheinlich nicht, wie sehr sie ihn mit ihrer Ehrlichkeit ehrte, nach allem, was er ihrer Welt angetan hatte - und auch ihr beinahe angetan hätte, wie er nun reumütig erkannte. Nach allem, was er sich geleistet hatte, in der Vergangenheit, aber auch ihr gegenüber, war es wirklich erstaunlich, dass sie ihm trotzdem noch immer vertrauen wollte und anscheinend wirklich ehrliche Gefühle an Zuneigung für ihn aufbrachte; sie hatte es ihm auf der Fahrt hierher gestanden, doch irgendetwas in Loki hatte dies einfach nicht glauben wollen - nicht glauben können. War es wirklich so, dass er sich selbst die Zuneigung und Liebe anderer verbot, um sich seinen Fehlern nicht stellen zu müssen? Wenn man seinen Weg stets allein ging, musste man auf niemanden Rücksicht nehmen; keine Entscheidungen erklären und hinterfragen - nur das eigene Gewissen beschwichtigen. Vertrauen war ein Risiko, welches einzugehen ihm schwer fiel; ebenso wie Zuneigung, denn jene machte einen verletzlich, ob man das nun wollte oder nicht. Doch längst sah er die Sterbliche nicht mehr nur als Gefäß ihrer Macht, sondern als ebenbürtige Person neben sich; es war ein schleichender Prozess gewesen, der sein Ende nun in diesem Moment fand. Loki respektierte Gwendolyn. Die Erkenntnis kam über ihn wie die heftigen Schneeflocken des aufziehenden Sturmes; er erkannte sie an und - was fast noch erstaunlicher war - er mochte sie wirklich, auch wenn er wusste, dass ihn das angreifbar machen würde. Womöglich standen sie vor dem Ende des Universums und vielleicht war es nun vergeudete Zeit, sich Sorgen über eventuelle Konsequenzen mancher Dinge zu machen; wahrscheinlich konnte man nicht immer das Für und Wider einer Sache bemessen… Loki hob seine Hand von der Schulter der Sterblichen zu ihrer Wange; er zögerte kurz, hielt ihrem unsicheren Blick stand, bevor er seine Handfläche warm auf ihrer Haut bettete und seinen Daumen in einer sanften Regung über ihre Wangen streifen ließ - er kostete diese Empfindung äußerst aufmerksam aus, die Wärme unter seinen Fingern, ihr verstohlen zittriges Ausatmen, wie sie sich instinktiv seiner Hand entgegen schmiegte…und es gefiel ihm. »Ähm…ja, klar…kein Problem. Gern geschehen…?!« wisperte sie ein wenig irritiert, während ihre Finger Halt im Fell des Hundes suchten, der noch immer brav zu ihren Füßen saß. Ihre Reaktion war verhalten und Loki konnte es ihr nicht verdenken; ihre Vorsicht ihm gegenüber war begründet und nun wahrscheinlich auch der Grund, warum er sich in der Vorwärtsbewegung aufhielt, als er sich schon zu ihr herabbeugen wollte. Er spürte das Verlangen sie zu küssen; Gwendolyn hatte ihm in Asgard eine Welt offenbart, die ihm bisher verborgen geblieben war und seitdem er auf Midgard angekommen war, brodelte das Verlangen in ihm nach dieser Frau - er hatte sie nicht weniger vermisst, als sie ihn und auch nicht weniger an sie gedacht. Und doch wollte er ihr die Entscheidung überlassen, wie viel zu geben sie bereit war; ihr Körper würde sich nicht verweigern, dessen war sich Loki bewusst, als er sah, wie sich ihre Lippen erwartungsvoll öffneten - doch ihr Herz und ihr Verstand mussten hinter dieser Entscheidung stehen und der Magier war sich nicht sicher, inwiefern dies der Fall war. Er würde nie wieder einen Menschen unter seinen Willen zwingen, da er die Kostbarkeit in allem freiwillig geschenktem plötzlich erkannte; ein gestohlener, aufgedrängter Kuss wäre eine Lüge gewesen und auf einmal hatte der Gott der Lügen ein Problem mit Unwahrheiten. »Wir sollten zurückgehen…« hauchte er damit und lehnte seine Stirn gegen die der Menschenfrau. Sie schloss die Augen unter einem tiefen Luftholen, verbarg die flüchtige Enttäuschung darin und nickte dann leicht, bevor sie seine Hand vorsichtig wieder ergriff und ihre Finger mit den seinen verband. »Okay…« Gwen wollte gerade zwei Tassen heiße Schokolade die schmale Treppe zu ihrem Zimmer hinaufbalancieren, als sie durch die Stimme ihrer Mutter an der unteren Stufe aufgehalten wurde. »Und Loki ist wirklich nur ein Kollege?« Marian stand an der Ecke zur Küche gegen die Wand gelehnt und polierte eines der Weingläser des Abendessens, während ein wissendes Lächeln ihre Lippen umspielte. Gwen straffte die Schultern und wandte sich ihrer Mutter zu, die sie neugierig ansah. Obwohl sie nicht durch Blut verbunden waren, so knüpfte doch die unbestreitbare weibliche Intuition ein beständiges Band zwischen ihnen. Marian wusste einfach immer, wenn ihre Tochter etwas beschäftigte. »Ja, Mom. Er ist nur ein Kollege.« beteuerte sie in einem Tonfall, der hoffentlich ehrlich und ernst genug klang. Offensichtlich war dies nicht der Fall, denn ihre Mutter hob zweifelnd eine Braue, bevor sie das polierte Glas kritisch begutachtete. »Er gefällt mir. Er hat ausgesprochen gute Manieren und drückt sich sehr gewählt aus. Er ist klug und wohlerzogen und bildet damit einen ziemlichen Gegensatz zu diesen Männern, mit denen du dich sonst triffst, Gwendolyn. Gut, von Ben abgesehen, der war wirklich ein guter Junge…« Das Pfeifen des Sturmes unterbrach ihr Gespräch kurz; der Wind riss an den klappernden Fensterläden und ließ Angel den Kopf heben, der es sich auf einem Kissen an der Haustür bequem gemacht hatte. Neben ihm lag Winston und gähnte herzhaft, bevor er sich zwischen den Pfoten des Hundes zusammenrollte. »Loki scheint ganz anständig zu sein. Ein Mann von Wert.« fuhr ihre Mutter dann fort. Gwen musste sich augenblicklich krampfhaft verkneifen, nicht in haltloses Gelächter auszubrechen; angestrengt biss sie sich auf die Unterlippe, damit Marian nicht das Gefühl bekam, dass Gwen sie auslachen würde. Die Ironie dieser Situation war allerdings zu komisch - ihre Mutter fand gerade Gefallen an jenem Mann, der die Erde hatte unterjochen wollen. Wenn Marian nur wüsste, wer Loki wirklich war… Allerdings lag sie mit ihrer Einschätzung nicht ganz falsch; der Magier hatte sich wirklich den ganzen Tag über vorbildlich benommen, wobei sie schon Angst gehabt hatte, dass er ihrer Bitte entgegen sein Unwesen treiben würde. Doch das war nicht der Fall gewesen, obwohl sie schon das Schlimmste nach dem MC‘Donalds Desaster befürchtet hatte. Nach dem Mittagessen hatte Loki ihrem Vater bereitwillig beim Anbringen der Fensterläden geholfen, um das Haus vor dem eintreffenden Sturm zu schützen und hatte selbst vor und nach dem Abendessen beim Tisch decken und abräumen geholfen, was Gwen mehr als ein erstauntes Stirnrunzeln entlockt hatte. Beim Essen hatte er sich gewählt mit ins Gespräch eingebracht, wenn er angesprochen wurde, ansonsten höflich gelauscht, wenn Gwen ihren Eltern von New York und ihrer Arbeit doch erzählt hatte, sodass beide nun durchaus angetan von dem Prinzen waren. Und Gwen konnte es ihnen eigentlich nicht verdenken; der Magier hatte sich plötzlich von einer gänzlich anderen, freundlichen Seite gezeigt und sie war die ganze Zeit über das Gefühl nicht losgeworden, dass ihm dieses herzliche, vertraute Familienleben der Lewis‘ recht gut gefiel; dass er es buchstäblich genoss, zumindest für diesen einen Tag Teil der Familie zu sein, denn ihre Eltern hatten ihn behandelt wie ihren eigenen Sohn. Harry und Marian freuten sich stets über Besuch und wurden es nie müde, diesen gebührend zu verwöhnen und herzlich aufzunehmen. Marian hatte sich mit dem Abendessen mal wieder selbst übertroffen; noch dazu hatte sie ihren preisgekrönten Apfelkuchen gebacken, von dem Gwen sich so viele Stücken genehmigt hatte, dass sie sich nun wie kurz vor dem platzen fühlte. »Außerdem sieht er noch ziemlich gut aus. Er hat einen ausgesprochen ansprechenden Hintern.« offenbarte ihre Mutter nun mit einem verträumten Lächeln. »Mom!« stieß Gwen entsetzt aus und schüttelte ungläubig den Kopf, während sie errötete; es gab gewiss Dinge, über die wollte man sich mit seiner Mutter bestimmt nicht unterhalten. Außerdem war die Tür ihres Zimmers am oberen Ende der Treppe nur angelehnt und sie wollte bestimmt nicht riskieren, dass Loki etwas von ihrem Gespräch hörte. »Was denn?« empörte sich Marian mit einem Schmunzeln. »Meinst du, nur weil ich verheiratet und schon etwas älter bin, habe ich keine Augen mehr im Kopf?« rechtfertigte sich ihre Mutter und stellte das Glas hinter sich auf die Küchentheke. »Oh Gott…Mom, das ist peinlich…« murmelte Gwen und wenn sie nicht die beiden Tassen in den Händen gehalten hätte, dann wäre ihr Gesicht jetzt gewiss hinter selbigen verschwunden. »Ich wollte damit ja nur sagen, dass du dir so eine Chance nicht entgehen lassen solltest. Du musst sie ergreifen, Gwendolyn. Ich bin sicher, so einen Mann findest du auf der ganzen Welt bestimmt nicht noch einmal…« sprach Marian eindringlich. Und wahrscheinlich auch in keiner der anderen neun Welten, sinnierte Gwen im Geist und seufzte schwer. Irgendwie konnte sie die Wahrheit hinter den Worten ihrer Mutter ja auch nicht leugnen… Das Schlimmste daran war eh, dass sie Marian in allen Punkten Recht geben musste; sie war dem Magier doch eh schon längst verfallen. Irgendwie war es da nicht gerade förderlich, wenn ihre Mutter sie auch noch in ihrem Wahn bestärkte - eigentlich sollten Mütter vor dem Teufel warnen und die eigenen Kinder nicht noch in dessen Arme treiben. »Ich will einfach nur, dass meine Tochter glücklich ist. Das ist doch nicht verboten, hm?« Marian war näher gekommen und auf die erste Stufe der Treppe getreten, um ihrer Tochter einen zärtlichen Kuss auf die Stirn zu drücken. Sie trug noch immer das gleiche Parfüm wie seit Jahren; ein vertrauter Duft, der Gwen Heimat vermittelte. »Ich bin stolz auf dich, Gwen. Du hast etwas aus deinem Leben gemacht, bist so hübsch und groß geworden.« Die Hand ihrer Mutter strich ihr zärtlich über die Wange. »Ich möchte dich einfach auch für die Zukunft in guten Händen wissen und dich lächeln sehen. Und in Gegenwart deines Kollegen hast du heute ziemlich viel gelächelt…« stellte Marian schmunzelnd fest. Gwendolyn errötete erneut ertappt und räusperte sich verhalten. »Hm…wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen…« versuchte sie die Situation halbherzig zu retten. Oh man, konnte man ihr die Emotionen wirklich so deutlich ansehen? Warum konnte Loki auch nicht einfach irgendein Mann von der Erde sein - vielleicht mit einem weniger langen Vorstrafenregister? Das hätte vieles wesentlich einfacher gemacht. »Dafür ist es mir aufgefallen.« meinte ihre Mutter mit einem Zwinkern und schob sie dann die Treppe hinauf. »Nun geh schon hoch zu ihm, bevor die Schokolade kalt wird.« Gwen seufzte schwer und straffte sich, dann nahm sie die letzten Stufen und schob die Tür zu ihrem Zimmer mit der Schulter auf. Der Raum begrüßte sie mit der altbekannten Gemütlichkeit; hier hatte sich in all den Jahren kaum etwas verändert. Ihr großes, schmiedeeisernes Bett beherrschte den größten Teil des Zimmers, daneben ihr Schreibtisch, auf dem nun die geblümte Lampe warmes Licht verbreitete. Eine schon ziemlich abgenutzte Couch war von ihrer Mutter für Loki zum Schlaflager umfunktioniert worden, darauf türmten sich etliche Kissen und Decken. Wie der große Magier auf dem winzigen Ding allerdings Platz finden sollte, war ihr selbst ein Rätsel. Der Gott selbst war nicht zu sehen. »Loki?« rief Gwen zögerlich und stellte die beiden Tassen auf dem Schreibtisch ab, bevor hinter ihr die Tür des angrenzenden Badezimmers aufschwang. »Ich bin hier.« Der Magier trat heraus mit nichts weiter als einer tief sitzenden Stoffhose bekleidet, während er sich die Haare gerade mit einem Handtuch trocken rieb. Einsame Wassertropfen perlten noch auf seiner Brust und seinen ausgeprägten Bauchmuskeln, die Gwen nun mit dem Blick nachzeichnete. Es gab Dinge auf dieser Welt, die gehörten definitiv verboten… Sie befeuchtete sich nervös die Lippen und wandte sich wieder dem Schreibtisch und ihrer Tasse zu, die sie nun fahrig an den Mund hob. »Ich habe dir eine heiße Schokolade mitgebracht. Keine Ahnung, ob Asen oder Eisriesen das mögen, aber auf der Erde ist das ein ziemlicher Renner…« »Ich werde mir ein Bild davon machen.« raunte der Prinz nun direkt an ihrem Ohr, nachdem er unbemerkt hinter sie getreten war. Gwen verkniff sich gerade so ein erschrockenes Zusammenzucken, als Loki um sie herumgriff und sich seine Tasse angelte. Dann verriet ihr das Rascheln von Stoff, dass er sich wohl glücklicherweise ein Hemd übergeworfen hatte. Oder unglücklicherweise, wie man es gerade sehen wollte. Gwen drehte sich wieder um, die Tasse in ihrer Hand und kam sich sogleich wieder unscheinbar neben der Präsenz des Magiers vor; sie war vorhin schon duschen gewesen und trug dementsprechend jetzt nur ihre Schlafanzughose und ein weites, reizloses Shirt unter ihrem Morgenmantel. An ihren Füßen steckten alberne Plüschhausschuhe in Form von pinken Hasen mit riesigen Ohren. Man, warum hatte sie auch nicht daran gedacht Reizwäsche einzupacken, um sich mit diesem geballten Maß an Erotik neben sich zumindest ansatzweise messen zu können!? Vielleicht, weil sie noch immer ehr der praktische Typ war und bei der andauernden Kälte diese Klamotten sicher zweckdienlicher waren. Sie schnappte sich die gestohlene Polizeiakte vom Tisch und ließ sich damit auf ihr Bett fallen. Bisher hatte sie es vermieden, in dieses Schriftstück zu schauen, wobei sie die Neugier sonst nie lange ausbremsen konnte, doch hier ging es immerhin um sie selbst und sie wusste immer noch nicht so genau, ob sie einige Dinge über sich wirklich wissen wollte und sollte. Angespannt blätterte sie durch die Akte, während sich neben ihr die Matratze absenkte; ein kurzer Blick über den Rand ihrer Tasse offenbarte ihr den Magier, der interessiert neben ihr Platz genommen hatte. »Und? Steht etwas darin, was uns weiter bringt?« fragte er leise und nippte nun selbst vorsichtig an seiner Schokolade, um gleich darauf anerkennend zu nicken. »Das ist lecker.« resümierte er. »Ja, nicht wahr? Lewis‘ Geheimrezept.« erklärte sie stolz, wandte sich dann jedoch wieder ihrer Akte zu und überflog die Seiten rasch. »Ich glaube, Tahatan hatte Recht. Hier drinnen steht wirklich nichts Brauchbares. Keine Hinweise. Keine Zeugen. Gar nichts.« Frustriert zuckte sie die Schultern und warf die Mappe mit einem Seufzen von sich. »Alles Fakten, die ich eh schon kenne. Wenn der alte Mason wirklich irgendwas mit meinem Auftauchen zu tun hat, dann deckt ihn offensichtlich jemand. Er wird hier mit keiner Silbe erwähnt.« Gwen wollte gerade ihre Tasse wieder an die Lippen heben, als unvermittelt ein peinigender Schmerz durch ihre Finger fuhr und sie merklich zusammenzucken ließ; ihre Hand begann unter dem Ärmel des Morgenmantels zu glühen und ihren entflammten Fingern entglitt das Porzellan. Lokis Hand bewahrte sie davor, sich mit der heißen Schokolade zu verbrennen; er fing die Tasse geistesgegenwärtig auf, während Gwen in die Kissen zurücksank und die schmerzende Hand an ihre Brust presste. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte den Wellen aus Schmerz standzuhalten; erneut krochen pulsierende Nadelstiche unter ihrer Haut durch das Fleisch, doch dieses Mal war es wesentlich schlimmer als noch in New York. »Verdammte Scheiße…« stöhnte sie gequält auf. Gwen hatte gedacht, das Schlimmste überstanden zu haben, doch dem war wohl nicht so; nachdem das Leuchten und die Schmerzen die letzten Tage glücklicherweise nachgelassen hatten, schienen jene nun mit doppelter Gewalt zurückzukehren. Lokis dunkler Haarschopf tauchte über ihrem Gesicht auf; verschwommen nur nahm sie die Umrisse seines Gesichtes durch den Schleier ihrer Tränen wahr, welche sich eigensinnig aus ihren Augenwinkeln stahlen. Kühle, schlanke Finger griffen nach ihrer Hand und zogen jene von ihrer Brust fort. Augenblicklich schien der Schmerz zurückgedrängt zu werden; das furchtbare Brennen verwandelte sich in ein dumpfes Pochen, welches auszuhalten war. Gwen schnappte erleichtert nach Luft und bettete sich den anderen Arm über dem Gesicht, um die Tränen am Ärmel ihres Morgenmantels abzuwischen; ein paar Sekunden blieb sie regungslos, aber hastig atmend liegen, bevor sie ihren Arm wegzog und sich wieder halb aufrichtete. Loki kniete neben ihr auf dem Bett; seine Züge wirkten hochkonzentriert, während er ihre Hand hielt und seine Finger in einem sanften, grünen Schimmern über ihre Haut fuhren, um dort verschlungene Runen zu zeichnen, die magisch glimmend in der Luft schwebten. »Oh man…ich dachte, dass wäre vorbei, nachdem es sich die letzten Tage nicht mehr gemeldet hat…« murmelte Gwen ernüchtert und rieb sich mit dem Ärmel ihres Morgenmantels erneut über das inzwischen bestimmt fleckig rote Gesicht. Lokis verengter Blick schoss sofort zu ihr herüber. »Dies ist bereits schon einmal aufgetreten?!« Seine schneidende Stimme formte weniger eine Frage, als vielmehr eine Anklage. Gwen zuckte leicht unter seinem stechenden Blick zurück und senkte den eigenen in einem Räuspern. »Äh…ja, in New York. Vor ein paar Tagen, aber da war es nicht-« »Warum hast du mir nichts davon erzählt?!« fuhr er sie rau an und unterbrach sie damit scharf; fast meinte sie einen Funken von Enttäuschung in seiner Stimme zu hören. Im Gegensatz dazu strichen seine wohltuenden Finger noch immer sanft über ihre Haut und hüllten ihre Hand in einen milden, grünen Schein. »Ich…ich…« stotterte sie ein wenig hilflos und beschämt. »Ich wollte dich damit nicht belasten. Es hatte ja eh aufgehört und…und wir hatten doch wirklich andere Dinge zu tun. Da erschien es mir nicht gerade passend mit meinen kleinen Problemen anzufangen…« versuchte sie sich unbeholfen zu verteidigen. Warum zum Teufel fühlte sie sich jetzt bitte so schuldig? »Gwendolyn…« Lokis Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton angenommen; ein Muskel seiner Wange zuckte, als er anscheinend die Zähne angespannt aufeinander biss. Seine Brauen senkten sich tief über seine strahlenden Augen. »…ich will, dass du mir alles erzählst, egal wie unbedeutend es erscheint. Ist das für dich verständlich?« verlangte er herrisch. Sein Befehlston stieß bei ihr sofort auf Widerstand. Wenn er nicht ihre Hand weiterhin gehalten hätte, so wäre sie durchaus in Versuchung gewesen, die Arme bockig zu verschränken. »Jetzt fahr dich mal wieder runter. Muss ich dir jetzt auch erzählen, wenn ich aufs Klo-« Gwen stoppte in einem überraschten Keuchen, als Lokis Hand vorschoss und ihr Kinn fast grob packte, um ihren Blick zu seinem zu zwingen; sein Gesicht schwebte unweit vor dem ihren, sodass seine Augen zu zwei grünen Sonnen wurden, die ihre gesamt Welt einnahmen. »Dieses unkontrollierte Leuchten verursacht eine Divergenz in deinen Zellen. Eine Abweichung in der molekularen Struktur deiner Aura. Es ist wie ein Riss in einem Damm; wenn dem nicht Einhalt geboten wird, werden deine Zellen bröckeln und die Macht in dir selbständig hervorbrechen. Weißt du, was das heißt, Gwendolyn?« verlangte er harsch zu wissen, doch die ängstliche Besorgnis in seinen Worten war nicht zu überhören, welche sich auch in seinen grünen Augen spiegelte, die flüchtig umwölkt wurden von dunkleren Emotionen. Lokis Worte benötigten ein wenig länger, um in Gwens Gehirn zu finden, doch als sich ihr die Bedeutung des eben gesagten erschloss, musste sie hart schlucken. Ihre Augen weiteten sich ängstlich. »Ich…ja…« hauchte sie reumütig. »Ich verstehe…« Betroffen senkte sie den Blick und spürte ein unkontrollierbares Zittern in ihren Gliedern erwachen, welches wohl vom Schock herrührte. Sterben…sie würde sterben… Loki hatte ihr Kinn wieder losgelassen und konzentrierte sich erneut krampfhaft auf ihre Hand, die er weiterhin mit filigranen Linien seiner Magie umhüllte. »Ich werde versuchen, die bestehenden Verbindungen wieder zu verknüpfen und den Riss durch magische Nahtstellen zu schließen. Ich weiß nicht, wie lange das hält, doch es sollte eine vorübergehende Lösung sein.« erklärte er ihr mit betonter Sachlichkeit. »Bis wir nicht genau wissen, welche Macht dort in dir schlummert, wirst du diese nicht mehr einsetzen. Hast du mich verstanden?« »Aber-« »Kein aber, Gwen.« stieß er zischend wie eine Schlange aus. »Du wirst diese Kraft nicht einsetzen. Du wirst nicht einmal daran denken. Hast du das verstanden? Es ist zu gefährlich.« Seine Augen durchbohrten sie förmlich in ihrer Eindringlichkeit und Gwen holte zittrig tief Luft, bevor sie zögerlich nickte. »Okay…« hauchte sie schwach und raffte den Morgenmantel mit der freien Hand um ihre Schultern zusammen, bevor sie dem Magier schweigend bei seinem Tun zusah. Sie hatte ja nicht gewusst, dass es so ernst war… Wieder einmal stand ihre Welt auf einer Klippe, die unter ihren Füßen bereits zu bröckeln schien; diese Macht in ihr entwickelte sich immer mehr zu einem Fluch ihres Lebens und Gwen wollte wirklich augenblicklich nichts mehr, als diese Kraft loszuwerden - sie wollte weder wissen, wo sie herkam, noch für was sie zu nutzen war. Sie wollte einfach nur wieder Normalität. Und vor allem wollte sie leben… Loki hatte seine magische Behandlung offenbar beendet, denn er entließ ihre Hand in einem warmen, weichen Streifen aus seinen Fingern und strich sich das dunkle Haar nach hinten, welches sich in einigen Strähnen aus seiner perfekten Frisur gelöst hatte. Dann holte er tief Luft und sah sie wieder an, runzelte die Stirn leicht und musterte sie…besorgt?! Tatsächlich - es war unverhohlene Sorge in seinen einzigartigen Augen. »Ist dir kalt?« sprach er leise. Gwen hatte gar nicht bemerkt, dass sie die Arme in einer hilflosen Geste um sich geschlungen hatte, da ihr Körper unkontrolliert zu zittern begonnen hatte. Während draußen der Sturm vor dem Fenster heulte und heftig an den hölzernen Fensterläden zerrte, biss sie sich verkrampft auf die Unterlippe und krallte die Finger in den Stoff ihres Morgenmantels - in ihr tobte ihr ganz eigener Orkan. Sie würde nicht heulen! Sie würde nicht- »Komm her…« raunte Loki plötzlich und seine harten Züge wurden merklich weicher, als er ihr eine Hand entgegen streckte und seine Finger wie auch sich selbst einladend anbot. Gwen zögerte wirklich nur einen winzigen Augenblick, dann ergriff sie seine Finger und rutschte vorsichtig zu dem Magier hinüber; der jedoch verblüffte sie, indem er sie wie selbstverständlich an seine Brust zog und sich mit ihr auf das Bett sinken ließ. Sein Arm drückte sie an seinen überraschend warmen Körper, während er mit der freien Hand die Decke heranzog und über sie beide ausbreitete. Er selbst lehnte sich gegen das eiserne Bettgestell im Rücken. Gwen schob all ihre Bedenken beiseite und schlang einen Arm um Loki, während sie das Gesicht dankbar an dem Stoff über seiner Brust barg; sein dumpfer, gleichmäßiger Herzschlag bildete einen beruhigenden Rhythmus unter ihrer Wange, sodass sie seufzend die Augen schloss und sich nur darauf konzentrierte - sie blendete all ihre Sorgen und Ängste für den Moment aus und genoss schlicht die Wärme und Geborgenheit des Körpers neben ihr, der eine Sicherheit versprach, wie sie sie selten erlebt hatte und die sie in diesem Moment einfach benötigte. Der Magier schien das zu ahnen, denn er redete nicht auf sie ein oder nötigte sie mit Fragen - er war einfach nur da, beruhigte sie mit seinem Schweigen und seiner Gegenwart; Gwen registrierte nach einer Weile sogar die sanften Finger in ihrem Haar, welche sich dort leicht wie ein Windhauch setzten, als wäre deren Besitzer eigentlich selbst unsicher über sein eigenes Handeln. Gwen schob sich diesen flüchtigen Berührungen langsam, aber merklich entgegen, sodass sie Loki ihre stumme Einwilligung gab, ohne ihn zu verschrecken; einen Augenblick verschwanden seine Finger und sie hatte schon Angst, dass er sich von ihr lösen würde, da er sich einen Augenblick versteifte, doch dann zog er sie ein Stück mehr an sich und strich in gemächlichen, behutsamen Bewegungen weiter über ihr Haar und ihre Schultern. Sie bemerkte kaum, wie sich ihre eigenen Finger selbstständig machten, wie ihre Hand über den Stoff auf Lokis Brust glitt, während sie noch immer seinem kräftigen Herzschlag lauschte; es war absolut unglaublich - in diesem Moment fühlte sie sich vollständig und sicher wie niemals zuvor in ihrem Leben. Wenngleich draußen Stürme tobten, Malekith womöglich das Weltenende vorbereitete und sie durch die Macht unter ihrer Haut zu verschwinden drohte - all das verlor in diesem einen, unbeschreiblichen Augenblick an Bedeutung, da sie in den Armen des Prinzen lag und erkannte, dass dies der einzige Ort war, an welchem sie nun sein wollte. An welchem sie für immer sein wollte. Wo sie hingehörte. Loki füllte einen existenziellen Platz neben ihr - in ihrem Leben - aus, sodass sie sich ohne ihn fast wie unvollständiges Puzzle vorkam; es war einfach so verdammt richtig, ihn bei sich zu wissen - es fühlte sich so gut an, ihn zu fühlen, zu riechen, zu hören, zu sehen. Morgen schon lief seine Frist aus und er musste wieder von der Erde verschwinden. Würde dies einen erneuten Abschied bedeuten? Würde sie ihn wieder verlieren? Gwen grub die Nase unbewusst in den Stoff von Lokis Hemd und atmete seinen einzigartigen Duft tief ein, der in ihre Lungen und ihre Venen fuhr wie Balsam für ihre Seele. Eine Weile lagen sie so still da; eine Weile, in der Gwen über vieles nachdachte und zum Fenster starrte, an welchem der Sturm noch immer beharrlich riss und die hölzernen Läden leise klappern ließ, bevor sich ihre Gedanken zu einer Frage formten, die dann leise ihre Lippen verließ: »Du hast Jotunheim damals nicht nur angegriffen, weil du dich vor dem Allvater beweisen wolltest, oder? Du wolltest die Eisriesen vernichten, weil du jegliche Spur deiner Herkunft verwischen wolltest.« Seltsam, mit einem Mal verstand sie, was Loki damals angetrieben haben musste. Gwen änderte ihre Position ein wenig, sodass sie den Magier ansehen konnte, wenngleich ihr Kopf weiterhin auf seiner Brust ruhte und ihr Arm ihn umfangen hielt. Seine Finger stoppten kurz auf ihrem Haar und er blinzelte angespannt ins Leere, bevor sich sein Blick zu ihr herab senkte; er schien nachzudenken, denn zwischen seinen Brauen erhob sich wieder diese steile, tiefe Falte ähnlich einer zerklüfteten Furt, die das Meer in die Landschaft gegraben hatte. Gwen befürchtete schon, dass er nicht antworten oder sie von sich schieben würde, doch er überraschte sie abermals, indem seine Finger ihre Arbeit wieder aufnahmen und durch ihr offenes Haar strichen, während er sich flüchtig die Lippen befeuchtete. »Die Jotunen waren stets die Schreckgestalten alberner Kindergeschichten. Feinde Asgards. Monster, vor denen man in dunkler Nacht und eisigem Wind warnte.« begann er dann stockend zu erzählen, während sich sein Blick wieder hob und undeutlich wurde, als würde er in der Ferne seiner Vergangenheit etwas sehen, was nur er zu fokussieren vermochte. »Sie sind alles, was die Asen nie sein wollen; sie sind wie die Nacht zum Licht des Tages. Und ich wurde von einem Tag auf den anderen zu einem frostigen Schandfleck im Glanz Asgards; ein bedrohlicher Schatten des Feindes in all der strahlenden Pracht des Allvaters.« Loki stoppte kurz und Gwen spürte, dass er mit sich rang; seine Brauen bewegten sich angespannt unter ungesprochenen Gedanken und sein Kiefer verkrampfte sich sichtbar unter seiner blassen Haut. Gwen zögerte nicht lang, sondern streckte ihre Finger aus, um die Hand des Magiers zu ergreifen, welche bisher regungslos auf seiner Brust geruht hatte. Sie umschloss seine Finger zaghaft und drückte diese bestärkend, was der Magier mit einem fast verwirrten Stirnrunzeln quittierte; dann verwob er seine Finger mit den ihren. »Ich wollte an der Lüge meines geschenkten Lebens festhalten, Gwendolyn.« gestand er dann rau und überraschte sie mit der Ehrlichkeit und Offenheit seiner Worte; er erschien ihr zum ersten Mal ohne seine vielen Masken, rein und unverfälscht - einfach Loki. »Obwohl ich wusste, dass dies alles zerbrechliches, fragiles Täuschwerk war, so hatte ich dieses Leben doch lieben gelernt. Ich hatte es immer geahnt, dass ich anders war und doch klammerte ich mich beständig an diese erdachte Existenz meiner asischen Geschichte. Mir war eine Familie geschenkt worden, die ich im Grunde meines Herzens nie missen wollte und doch wusste ich, dass mit der Enthüllung meiner Wurzeln diese Lüge zu bröckeln begann. Ich hinterfragte zu viel, zweifelte plötzlich Dinge an, die mein ganzes Leben über da gewesen waren und zerstörte damit meine eigene Zukunft. Ich musste erkennen, dass all meine hohen Ziele niemals erreichbar sein würden. Nicht, weil meine Fähigkeiten nicht ausreichten, sondern weil meine Herkunft selbst, mein Blut, eine Grenze bildete, die alles studieren und lernen nie überwinden würde können…« Er hielt erneut inne und seine Züge verfinsterten sich schmerzlich, sodass Gwen gerade so dem Drang widerstehen konnte, den Magier in ihre Arme zu schließen. Doch sie hatte Angst, dass jede unbedachte Regung ihn verschrecken und in seinem Redefluss bremsen würde. »Ja, ich wollte die Eisriesen vernichten, weil ich dieses Zeugnis meiner Herkunft nicht ertrug. Ich wollte sie auslöschen, um eine Vergangenheit reinzuwaschen, an der ich selbst gar keine Schuld trug. Ich konnte es nicht verkraften, die Wahrheit zu kennen. Ich redete mir ein, dass ich mit dem Ende der Eisriesen auch meine eigene schmachhafte Herkunft vernichten könnte. Kein Zeugnis mehr meiner Geburt. Ein leeres, reines Blatt Papier, das man neu füllen könnte…« Loki suchte kurz ihren Blick und vielleicht auch Unverständnis oder Abscheu darin, doch Gwen sah ihn einfach nur offen und aufmerksam an, während ihre Finger sanft über die Haut seiner Hand fuhren. Niemals zuvor war der Gott so offen gewesen und sie ahnte, dass dieser seltene Moment wahrscheinlich auch nicht so schnell eine Wiederholung finden würde; es war ein unendlich kostbarer Augenblick, eine Einsicht, die Loki in sein Herz und seine Seele gewährte und sie war dankbar für diese Chance, diesen komplizierten Mann ein wenig besser verstehen zu können. Der Magier schenkte ihr sein Vertrauen, machte sie zu einem Teil in seinem Leben und nichts wollte sie mehr, denn sie spürte, dass ihr zögerliches Herz sich entschieden hatte. »Ich verspüre keine Zugehörigkeit zu diesem Volk und auch kein Mitleid für die Jotunen. Die Eisriesen hatten mich als Säugling ausgesetzt. Zum sterben. Ein schwächlicher Spross Laufeys, der keine Verwendung in ihren Reihen fand. Zu klein. Zu nichtig. Entbehrlich. Wenn Odin mich nicht gefunden hätte, wenn seine Gnade nicht gewesen wäre - aus welchen Gründen er auch immer handelte - dann würde ich jetzt nicht existieren. Niemand würde auch nur einen Gedanken an Loki verschwenden.« resümierte der Magier erschreckend kalt und sachlich; eine furchtbare Tonlage, die Gwen frösteln ließ. Sie richtete sich nun doch auf, sodass ihr die Decke von den Schultern rutschte, während sie selbst näher zu Loki rückte. Der sah sie fast irritiert an, blinzelte, als müsste er sich erst einmal wieder ins Hier und Jetzt zurückrufen; argwöhnisch beäugte er ihre Hand, die Gwen nun ausstreckte, um sie sanft auf seiner Wange zu betten. Loki versteifte sich unter diesem ungewohnten Kontakt, doch als Gwens Daumen leicht über seine Haut strich, löste sich die Anspannung seiner Glieder und er ließ sich in die Berührung fallen, schloss selbst für einen Augenblick die Augen, um sich ihren Fingern kaum spürbar entgegen zu schmiegen - zaghaft und immer noch von einer unterschwelligen Vorsicht behaftet, als würde er aller Zuneigung nicht trauen, die sich flüchtig und vergänglich wie ein Windhauch herausstellen könnte. »Aber du existierst, Loki. Du hast überlebt. Du bist hier. Und ich bin wirklich froh darüber.« wisperte Gwen leise, während sie seinen Blick suchte und die eigene Wahrheit in den grünen Kreisen seiner einzigartigen Augen erkannte - ein Leben ohne Loki war für sie nicht mehr vorstellbar; ihre Schicksale waren so fest miteinander verknüpft, dieses unsichtbare Band bereits in ihr Fleisch und Blut übergegangen, sodass es wohl ihren eigenen Tod bedeutet hätte, die Existenz des Magiers aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Lokis Lippen verzog ein flüchtiges, spöttisches Lächeln, bevor er ihre Hand umfasste und sanft von seiner Wange zog. »Ich glaube wirklich, du bist die Einzige, die froh über meine Existenz ist. Du vergisst offenbar meine Taten…es gibt so vieles, was du nicht weißt, Gwendolyn…was niemand weiß, aber alle zu wissen glauben…« wisperte er mit einem schweren Seufzen, dann drückte er ihre Finger zart gegen seine Lippen und entließ ihre Hand aus seinem Griff. Gwen schlang die Decke wieder um ihre Schultern, blieb jedoch neben dem Magier auf dem Bett hocken. »Dann erzähl es mir, Loki. Schließ mich nicht aus…« bat sie leise. Er sah sie einen Augenblick nachdenklich an, dann schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. »Ich kann es dir stattdessen zeigen.« Er zog sie wieder zu sich und Gwen ließ sich neben ihm nieder, an das Bettgestell gelehnt bettete sie den Kopf nun auf seiner Schulter. Der Magier hob die freie Hand, das Licht der Schreibtischlampe verlosch und ließ schwelende Dunkelheit zurück, in welcher die Geräusche des Sturmes noch bedrohlicher wirkten. Gwen rutschte unwillkürlich näher zu Loki, der wie selbstverständlich seinen Arm wieder um sie schlang. Die Atmosphäre des Zimmers veränderte sich, begann zu knistern und zu schimmern, bis ein Bild in der Dunkelheit entstand, welches in einer scheinbar fast wässrigen Sphäre vor ihnen in der Luft schwebte. Feine Wellen überzogen die glatte, glasklare Oberfläche, unter welcher sich zwei Gestalten aus dem Dunkel schälten in einer Umgebung, die nichts Irdisches an sich hatte. In der Ferne glommen Galaxien und Sterne des Universums. Eine der Gestalten erkannte Gwen als Loki. Er trug seine Kampfrüstung und jenen gehörnten Helm, den sie aus den Aufzeichnungen aus Stuttgart kannte, ebenso lag das Zepter des Tesserakts in seinen Händen. Die andere Gestalt war Gwen unbekannt; ein fremdartiges Wesen, gehüllt in eine schimmernde Rüstung, die Züge halb verborgen durch eine Kapuze und das goldene Geflecht einer Maske. Das Wesen trat gerade hinter einer Felsformation hervor und fixierte den Magier, die Stimme ein unseliges Hallen in den Weiten des Alls. »Du zweifelst an uns? Du zweifelst an ihm? Er, der dir das Zepter gab, dir altes Wissen schenkte und neue Bestimmung, als du ausgestoßen warst - besiegt-« Der Loki dieser Erinnerung begehrte harsch auf: »Ich war ein König! Der rechtmäßige König von Asgard, verraten…« Das fremdartige Wesen stieß ein Knurren aus. »Dein unbedeutender Ehrgeiz, kindlichen Entbehrungen entsprungen…« Es hob die sechsfingrige Hand zu den Sternen. »Wir blicken auf größere und bedeutendere Welten als die Erde. Wenn wir den Tesserakt erst haben-« »Aber noch habt ihr ihn nicht.« unterbrach Loki das Wesen, welches sich rasend schnell zu dem Magier bewegte und diesen umkreiste wie ein Raubtier seine Beute, die Augen verborgen unter Bahnen dunklen Stoffs. »Du wirst deinen Krieg gegen die mickrigen Streitkräfte der Erde bekommen, Asgardier. Doch wenn du scheiterst, so gibt es kein Reich, keinen kargen Mond, keine Kluft, in der er dich nicht finden würde. Denkst du, du weißt, was Schmerzen sind?!« Das Wesen war hinter Loki getreten und hatte seine Hand neben das Haupt des Prinzen ausgestreckt. »Er wird dich lehren nach etwas zu betteln wie süßem Schmerz…« Die Finger des Wesens trafen auf das Haupt des Magiers, welcher die Züge sogleich gepeinigt verzog, bevor die Erinnerung in der Sphäre verblasste. Gwen versuchte das Ganze einem Sinn zuzuordnen und zu verstehen, was ihr Loki dort zeigte; war sein Angriff auf die Erde womöglich gar nicht so freiwillig gewesen, wie sie alle immer gedacht hatten? Hatte man ihn auf gewisse Weise dazu…gedrängt? War er in einen Strudel geraten, aus welchem er sich nicht mehr hatte befreien können? Das würde ein ganz neues Licht auf die Ereignisse der Vergangenheit werfen; ihn nicht freisprechen von Schuld, doch sein Wesen aus einer anderen Perspektive beleuchten. Die Drohung des Wesens hallte unheilvoll in Gwens eigenen Knochen nach und ließ sie erneut frösteln, wodurch sie sich näher an Loki schmiegte. Das Bild verdunkelte sich und wechselte; zeigte nun eine andere Szene zu einer offensichtlich anderen Zeit. Ein zerklüfteter Berghang war zu sehen, darauf Thor und Loki, die in ein Streitgespräch verwickelt waren. Der Donnergott hatte seinen Bruder am Nacken gepackt und nah zu sich gezogen; in Thors Zügen spiegelte sich ungläubige Hoffnung. »Ich dachte, du wärst tot…« Loki verzog keine Miene, raunte nur gehässig: »Hast du getrauert?« »Wir alle haben das.« beteuerte der Donnergott. »Unser Vater-« Der Magier unterbrach ihn. »Dein Vater.« Er riss sich aus Thors Umklammerung los und stapfte den schmalen Pfad des Berges hinab. »Man hat dir doch sicher von meiner wahren Herkunft erzählt.« Thor folgte ihm und sprach eindringlich auf ihn ein: »Wir sind zusammen aufgewachsen. Wir haben zusammen gespielt. Zusammen gekämpft. Erinnerst du etwa gar nichts mehr davon?« Die Stimme des Donnergottes erklang schmerzlich enttäuscht, fast flehend sah er seinen Bruder an. Loki drehte sich ruckartig zu ihm um, seine Züge spiegelten die Pein längst vergangener Tage; er wirkte ausgemergelt, war kränklich blass. »Ich erinnere einen Schatten. Ein Leben im Schatten deiner Größe. Ich erinnere, wie du mich in einen Abgrund geworfen hast. Ich war ein König und sollte es auch sein!« Thor breitete ungläubig die Arme aus. »Und darum nimmst du die Welt, die ich liebe für deine eingebildeten Kränkungen? Das lasse ich nicht zu. Die Erde steht unter meinem Schutz.« Loki lachte humorlos und boshaft. »Oh, und du machst das wirklich großartig! Die Menschen schlachten sich gegenseitig ab, während du dich untätig sorgst. Ich will über sie herrschen. Warum sollte ich das nicht?« Thor sah seinen Bruder forschend an. »Denkst du, du stehst über ihnen?« Der Magier hielt kurz inne, schien zu überlegen, bevor er überzeugt meinte: »Oh ja.« »Dann weißt du nicht, was wahre Herrschaft bedeutet.« raunte der Donnergott in enttäuschter Resignation. »Ein Thron stünde dir nicht zu.« Loki stieß seinen Bruder wütend beiseite und stapfte den Pfad des Berges wieder hinauf. »Ich habe Welten gesehen, von denen du keine Ahnung hast. Ich bin gewachsen in meinem Exil, Odinson.« zischte er Thor gehässig entgegen. »Ich habe die wahre Macht des Tesserakts gesehen und wenn ich ihn beherrsche-« Thor unterbrach ihn gewarnt, seine Züge vermittelten Vorsicht. »Wer hat dir diese Macht gezeigt? Wer lenkt den Möchtegern-König?« »Ich bin König!« schrie Loki ihn an. Das Bild verschwamm erneut und löste sich dann in einem Wink durch des Magiers Hand auf; Loki ließ die schwebende Sphäre verschwinden und Gwen verspürte sein tiefes Luftholen unter dem Heben seiner Schultern. Sie schwiegen nun beide und lauschten in die Stille des Raumes, welche vom Rauschen des Windes untermalt wurde, der wütend um das Haus tobte und seine Herrschaft forderte. Gwen starrte lange noch auf jene Stelle, wo sie eben die Erinnerungen des Magiers gesehen hatte; sie versuchte die Bruchstücke zu einem sinnvollen Bild zu verbinden und etwas daraus zu formen, was sie dann von allen Seiten in Ruhe betrachten könnte. »Erschreckt dich, was du gesehen hast? Fürchtest du das, was ich einst war? Noch immer bin…« raunte der Magier plötzlich in die Stille, ohne sich wirklich zu regen. In der Dunkelheit war es schwer in seinen Zügen zu lesen, allein seine Augen schienen ihr eigenes Licht im Dunkel zu verströmen und fixierten sie. Gwen schüttelte den Kopf. »So bist du nicht mehr, also muss ich dich auch nicht fürchten. Das warst du auch nie.« Sie deutete wage auf jene Stelle, wo eben noch der Zauber des Magiers in der Luft geschwebt hatte und hoffte einfach, dass Loki ihren Wink im Dämmerlicht erkannte. »Dort sprach ein Wahnsinn aus dir, der nicht allein von dir kam. Ist es nicht so, Loki? Irgendjemand hat dir diesen Wahn in den Kopf gesetzt, die Erde anzugreifen, oder?« Sie rutschte wieder ein wenig herum und legte die Hände auf die Schultern des Magiers, nachdem sie sich neben ihm positioniert hatte. Seine leuchtenden Augen hoben sich zu ihr an. »Willst du das gern glauben, Gwendolyn?« Seine Stimme klang spöttisch, als würde er ihre Hoffnung amüsant finden. »Ich will es nicht nur. Ich glaube es, Loki. Ich denke, dass du jemanden gefolgt bist auf einen falschen Pfad. Das war ein Fehler, aber so etwas kann jedem passieren. Davor ist niemand gefeit.« Der Magier lachte knapp und humorlos auf. »Nur zetteln die wenigsten wohl einen Krieg nach ihren verirrten Pfaden an…« Gwen spürte seine Hände an ihren Seiten, als er sie wieder an sich drückte; unvermittelt zog er sie an seine Brust und barg ihr Haupt an seiner Halsbeuge. »Nach meinem Sturz vom Bifröst fiel ich lange durch die bodenlose Weite des Alls; eine erdrückende, furchtbare Kälte, verschlingende Schwärze, ein allumfassendes Nichts, welches einem die Seele aus dem Leib saugt. Ich war verwirrt nach meinem Fall; rachsüchtig, verzweifelt, nicht mehr ich selbst. Ich klammerte mich an jedes Fünkchen Hoffnung auf eine Zukunft. Und da kam Thanos…« wisperte Loki an ihrem Ohr; allein der Name ließ sie frösteln. Lokis Arme schlangen sich um Gwen, als wollte er sie um jeden Preis bei sich behalten. Eigentlich überflüssig, da Gwen eh nirgendwo anders sein wollte als in seinen Armen. »Er flüsterte mir genau die Worte ein, die ich hören wollte, bestärkte mich in meinem Hass und meinem Glauben. Er ist ein Meister der Überzeugung mit Schmerz und Pein. Ich war angreifbar in meiner Wut, durch die Leere in meiner Brust und er wusste das. Thanos hat meine Schwäche ausgenutzt; als ich dies erkannte, war es bereits zu spät, etwas zu ändern.« Gwen spürte, wie Loki das Gesicht in ihrem Haar vergrub und sie selbst strich mit den Händen über seine Seiten. Die Dunkelheit schien ihn mutig werden zu lassen und vermittelt ihm offenbar trügerische Sicherheit und das Gefühl von Schutz. »Ich konnte nicht mehr zurück nach Asgard. Nach meinem Sturz hatte ich gar nichts mehr, Gwen. Keinen Thron, keine Familie, keine Heimat. Ich war allein. Ohne Perspektive. Aber mit viel Wut und tödlicher Verzweiflung im Herzen - diese Gefühle haben mich zu Thanos getrieben und ihm den Weg geebnet. Ich kann mich nicht freisprechen von meiner Schuld, niemand kann das, denn ich war mir meiner Taten zu jeder Zeit bewusst. Ich bin schuldig und verdiene-« Gwen hatte sich leicht von Loki gelöst und ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen gelegt, um ihn zum verstummen zu bringen. Ihre Augen suchten die seinen und ihr Blick flackerte zwischen den leuchtenden, grünen Kreisen umher, die in der Dunkelheit wie schimmernde Sterne strahlten. »Jetzt bist du aber nicht mehr allein…« hauchte sie von eigenen Emotionen überwältigt, bevor sie ihren Finger von seinen Lippen zog und jenen Platz mit ihren eigenen füllte. Sie küsste den Magier weich, sanft und vorsichtig - eine zaghafte, beinahe unschuldige Berührung, in der jedoch alle ihre Gefühle lagen, die sie in diesem Moment so drängend empfand. Es war nicht egal, was Loki getan hatte, doch Gwen glaubte daran, dass er sich ändern und bessern konnte; seine Seele war nicht verloren und das war alles, was zählte. Alles, was sie wissen musste. Sie würde an seiner Seite stehen, egal, was das Schicksal noch für sie bereithalten mochte, das schwor sie sich selbst. Lokis Finger strichen über ihre Wange und sie fühlte sein zaghaftes Lächeln an ihren Lippen, bevor sie die Augen wieder öffnete. »Danke…« flüsterte der Magier rau; ein Wort, in dem mehr als je zuvor die Wahrheit schwang, gesprochen vom Gott der Lügen. Kapitel 20: Schnee und Sterne ----------------------------- Völlig verzaubert. So hätte man Gwens Zustand wohl am besten beschreiben können. Ein Blick auf den Wecker des Nachttisches informierte sie flüchtig darüber, dass sie eigentlich schon vor einer guten Stunde aufstehen wollte, allerdings hatte sich dieses Vorhaben in eine unerwartet schwierige Mission verwandelt, an der sie zu diesem Zeitpunkt kläglich scheiterte und sich die Zähne ausbiss. Ihre Augen kehrten wie durch Magie gefesselt zu ihrem Anker zurück, der den Kissen eine verlockende Anziehungskraft verlieh und das unüberwindbare Hindernis ihres Vorhabens darstellte, die Beine aus dem Bett zu schwingen - Loki. Gleich nach dem Aufwachen war sein Gesicht das Erste gewesen, was Gwen gesehen hatte; seine bereits so seltsam vertrauten Züge, die völlig entspannt und maskenlos offenbart vor ihr lagen. Denn der Magier schlief. Das war das erste Mal, dass Gwen Loki schlafend sah; dass sie sah, wie er sich fallen ließ, sich schutzlos gab, Kontrolle abtrat. Nie zuvor hatte er sich in ihrer Nähe so verletzlich gezeigt und auch sonst niemanden gegenüber; sie hatte sich schon gefragt, ob Götter eigentlich nie schlafen mussten. Doch Gwen konnte sich vorstellen, dass gerade dieser schutzlose Zustand den Gott eine arge Überwindung kostete, denn im Schlaf konnte man keine Illusionen aufrecht erhalten, keine Lügen spinnen und keine Masken bewahren - man wurde reduziert auf die urtümliche Essenz des eigenen Seins, unverfälscht und ehrlich. Sie ahnte, dass dies ein höheres Maß an Vertrauen darstellte, als er ihr jemals in Worten hätte vermitteln können und ihre Seele erwärmte sich unter dieser Erkenntnis, dass die Mauern zwischen ihnen endlich zerbrochen schienen. Nicht mehr Gott und Mensch, sondern Mann und Frau - gleichberechtigt und ebenbürtig, beide verletzlich, beide nicht unfehlbar und beide hingen sie an ihrem Leben, mit allem was dazu zählt. Lokis Arm lag noch immer um sie geschlungen und drückte sie an seine Brust; eine warme Brust, auf der ihre Hand lag, unter welcher sein Herz in ruhigen, gleichmäßigen Schlägen von seiner Existenz kündete - eine Existenz, für die Gwen erneut tiefgehende Dankbarkeit empfand. Sie hatte nicht gelogen, als sie diese Worte am gestrigen Abend zu Loki gesagt hatte. Es war ihr Ernst gewesen; sie konnte sich eine Welt, ein Universum, ohne ihn einfach nicht vorstellen. Wenngleich andere diese Möglichkeit womöglich mit Jubelrufen begrüßt hätten, ihr schnürte es bei diesem Gedanken die Kehle zu. Wie verloren er gestern Abend gewirkt hatte...wie einsam…wie verletzt… Gwens Hand hob sich langsam und sehr vorsichtig von dem Stoff seines Hemdes; einen Moment schwebten ihre Finger unschlüssig vor seinem Gesicht und sie zögerte, ihn zu berühren, da sie Angst hatte, ihn zu wecken, doch schlussendlich konnte sie ihrem inneren Drängen nicht länger widerstehen. Sie musste ihn einfach fühlen. Sich versichern, dass er wirklich hier war. Kein Traum. Keine Einbildung. Zaghaft bettete sie ihre Fingerspitzen auf seiner Stirn, spürte die glatte, warme Haut, die feinen, dunklen Härchen, als sie seine Braue streifte; Loki hob jene sachte im Schlaf an, als würde sein Unterbewusstsein ihre Berührung wahrnehmen und jene versuchen zuzuordnen. Ihre Finger glitten weiter über sein Gesicht; langsam, vorsichtig und unendlich sanft, denn nichts anderes verdiente er - Loki war im Inneren wesentlich zerbrechlicher, als er nach außen immer vorgab zu sein. Gwen hatte es am Abend zuvor erlebt, wie seine Gefühle die Oberhand ergriffen und sie in seine Gedanken und Empfindungen eingeweiht hatten. Der Magier hatte ihr ein unglaubliches Maß an Vertrauen entgegen gebracht, indem er sie einen Blick in seine Vergangenheit und auf seine Verbrechen hatte werfen lassen. Obwohl es keine Berührungen außer dieses fast schüchternen Kusses gestern zwischen ihnen gegeben hatte, so hatte sie sich Loki doch verbundener gefühlt als jemals zuvor. Diese Verbundenheit hatte auf einer Ebene stattgefunden, die nichts Sexuelles, nichts Körperliches an sich gehabt hatte - eine Ebene, die unbegreiflich emotional war, nah an der Seele, voller Gefühle, unverfälscht von äußerlichen Einflüssen. Gwen hätte sich am Ende nichts Schöneres vorstellen können, als in seinen Armen einzuschlafen. Ihre Fingerspitze strich nun über diese tief eingegrabene Falte zwischen seinen Brauen, die selbst im Schlaf nicht weichen wollte und ihr ein sanftes Schmunzeln entlockte, da sie sich seines ausgeprägten Mienenspiels erinnerte; weiter glitt ihr Finger über die lange Gerade seiner Nase nach unten, die sich unter der Berührung kräuselte. Ihre Hand wanderte seitlich über seine Wange, die scharf begrenzten Wangenknochen bis hin zu seinen Ohren, deren Wölbung sie sachte entlangfuhr, bevor sie ihm ein paar gelöste Strähnen dahinter zurückstrich, um das Bild von kontrollierter Ordnung wieder herzustellen, worauf Loki scheinbar so hohen Wert legte. Gwen merkte gar nicht, wie sie sich in dieser Tätigkeit verlor; wie ihre Finger jede Linie seines einzigartigen Gesichtes nachzeichneten, als müsste sie sich diese gewissenhaft einprägen wie eine Blinde die gestanzte Schrift eines unglaublich wichtigen Buches. Sie betrachtete ihre Finger versonnen, begleitete diese auf ihrem Weg, saugte jedes Detail von Lokis Antlitz in ihr Gedächtnis, ihr Herz auf, um dieses seltene Bild eines verletzlichen, maskenlosen Gottes darin einzuschließen und zu bewahren. Sie selbst hatte eine Hand unter ihrem Kopf gebettet und schmiegte sich gegen den großen, schlanken Körper an ihrer Seite; Lokis Wärme drang durch ihre Kleidung und hüllte sie in einen schützenden Kokon aus Geborgenheit. Faszination. Gwen war völlig fasziniert von dem Magier; von dem Mann Loki, der so viele Fassetten aufwies wie ein Kristall, der das Licht in allen Farben des Spektrums brach - wunderschön und doch so fragil und zerbrechlich, dass es nicht viel benötigte, um ihm einen Riss beizufügen und seine Schönheit zu zerstören. Genauso musste man Loki behandeln; vorsichtig, sanft, denn alles andere würde ihn vernichten können in seiner feinen Seelengestalt, die er hinter Mauern aus Eis schützte… So hart und beherrscht er stets nach außen wirkte, so verwundbar war er doch in seinem Kern; Gwen wollte seine Seele und sein Wesen beschützen, seit sie diesen außergewöhnlichen Blick darauf erhascht und erkannt hatte, dass nicht alles an Loki nur zerstörerische Wut und bedrohlich flackernder Wahnsinn war. Der Magier war menschlicher, als er selbst zugeben wollte; er hatte menschlich gehandelt und in seiner Verzweiflung nach einem Strohhalm gegriffen, den man ihm verlockend geboten hatte. Er hatte sich von den falschen Versprechungen anleiten lassen. Thanos… Gwen erschauderte jetzt noch unter diesem fremden Namen, der selbst durch die Weiten des Alls bedrohlich klang, als konnten alle unendlichen Meilen des Universums zwischen ihnen eigentlich nie genug Abstand sein. Sie wusste selbst, wie schnell man einen falschen Pfad beschreiten konnte; kannte diese Verirrungen aus ihrer eigenen Vergangenheit, wenn trügerische, verheißungsvolle Worte in ein verzweifeltes Herz sickerten wie klebriger Honig, der das rationale Denken verklebte und alles in sein süßes Gold des Vergessens hüllte. Jetzt konnte Gwen das große Ganze hinter Lokis Verbrechen verstehen; das Bild komplett erfassen, von dem sie bisher nur einen kleinen Teil wirklich hatte einsehen können - nur die Ereignisse auf der Erde, nur die Sichtweise der Menschen auf einen Gott, der wie eine Naturgewalt über sie gekommen war. Doch das war nur ein Bruchstück der Geschichte und obwohl Gwen seine Verfehlungen und Verbrechen natürlich nicht ungeschehen machen oder vergessen konnte, so erkannte sie doch, dass selbst ein Gott nicht unfehlbar war und ihm Vergebung gebührte; die Chance darauf musste ihm eingeräumt werden, da er seine Fehler im Grunde seines Herzens durchaus erkannte. Die Möglichkeit auf eine Zukunft durfte ihm nicht wegen der falschen Entscheidungen seiner Vergangenheit genommen werden - Loki musste die Möglichkeit bekommen, seine Taten wieder gutzumachen. Und sie wollte an seiner Seite stehen und ihm die Kraft dafür geben, so er sie lassen würde… Gwen wurde sich ihres verträumten Lächelns bewusst, als ihre Hand federleicht die Seite von Lokis Hals hinabwanderte, seinen Pulsschlag unter ihren Fingern ertastete, bevor sich ihre Handfläche dort weich niederlegte und ihre Fingerspitzen über die Kante seines Kiefers strichen. Ihr Daumen streifte den Rand seiner Unterlippe. Okay, Schluss mit Ausflüchten. Jetzt, im Licht des Morgens, welches zaghaft durch die Fensterläden auf die beiden Gestalten im Bett fiel, konnte Gwen es sich auch offen eingestehen - sie benahm sich wie ein verknallter Teenager. Und sie fühlte sich auch so; federleicht in Lokis Nähe, gewärmt aus dem Inneren heraus, vollkommen auf eine Weise, die ihr noch immer unbegreiflich erschien. Vor allem ließ sich diese Sehnsucht in ihrer Brust kaum noch bändigen, welche sie näher an den Magier rücken ließ und ihre Venen unter einem beschleunigten Herzschlag erwärmte. Gwen stemmte sich nun ein wenig hoch und ließ den Daumen über Lokis so akkurat gezeichneten Kiefer gleiten; ihre Haare fielen über ihre Schultern und strichen leicht über das Stück entblößter Männerbrust, welches unter Lokis halb geschlossenem Hemd hervorblitzte. Sie beugte sich zu ihm hinab und befeuchtete sich nervös die Lippen, während ihre Finger zaghaft in seinen Nacken wanderten und die seidenweichen, dunklen Haare dort erfühlten. Wollte sie das wirklich tun? Wollte sie einem schlafenden Gott gerade wirklich hinterhältig einen Kuss stehlen? Gwen errötete unter ihrem Vorhaben und biss sich unsicher auf die Unterlippe; schlimm genug eigentlich, dass sie den Magier hier so hinterhältig betatschte, nun wollte sie ihn wirklich noch küssen? Ob das Loki gefallen würde, wenn er davon wüsste… Er würde es ja nicht erfahren. Und sie konnte sich der Verlockung einfach nicht widersetzen. Dieser Mann übte einfach eine zu magische Anziehungskraft auf sie aus und dafür musste er sich genau dieser überhaupt nicht bedienen. Ihre Mutter hatte recht gehabt mit ihren Worten und damit nur das bestätigt, was Gwen eh die ganze Zeit schon geahnt hatte; sie würde nirgendwo wieder einen Mann wie Loki finden. Er war einzigartig und nun, da sie so auf den Prinzen herabblickte, konnte sie sich eingestehen, dass sie wünschte, er würde ihr gehören. Ihre Lippen trafen in einem atemlosen Streifen vorsichtig auf die des Magiers; nur der Hauch einer bescheidenen Berührung, die sie sich gestattete, um ihn nicht zu wecken. Ihr Mund glitt langsam über die schmal daliegenden, reizenden Lippen, während sie die Augen schloss und dieses Gefühl in sich zu ergründen suchte, welches diese Berührung auslöste - und das Empfinden von Lokis Lippen an den ihren. Wie fern war ihr Wunsch? Wie unerreichbar, wie albern war er wirklich? Trotz aller Verbundenheit; Loki war noch immer ein Gott und sie nur ein Mensch, daran würde sich nie etwas ändern. Leider glich die Realität selten den traumhaften Märchen ihrer Kindheit, in denen sich am Ende immer alles zum Guten fügte und der Prinz seine Prinzessin auf einem Pferd mit in sein Reich nahm, wo sie glücklich bis an ihr Ende lebten. Die Realität war wesentlich komplizierter. Gwen hatte ihr Leben auf der Erde; hier war ihre Heimat, ihre Familie, ihre Freunde. Und Loki gehörte nach Asgard, ob er das nun einsah oder nicht; er gehörte an die Seite seines Bruders, zu seiner Mutter und an den Hof des Allvaters, denn dort wurde er gebraucht. Noch dazu war Gwen sterblich; ihre Lebensspanne war ein müder Wimpernschlag im Lebenslauf eines Gottes - ein Atemhauch nur und sie würde vergangen sein neben Lokis Existenz, die fast ewig weiterbestand. Wie sollten diese beiden Leben je miteinander zu verknüpfen sein? Wie sollte sie je Abschied von Loki nehmen, wenn allein der Gedanke daran schon irgendwie unerträglich war? Und über all diesen Überlegungen durfte sie eine wichtige Stimme in der ganzen Geschichte natürlich nicht ungehört lassen und vergessen - nämlich Lokis. Empfand er überhaupt etwas für sie und wenn ja, würde er sich das eingestehen können? Wäre ihm überhaupt daran gelegen, ihre Verbindung aufrecht zu erhalten oder wäre es am Ende keine große Sache für ihn, sie auf der Erde zurückzulassen? Was war sie eigentlich für ihn? Eine Freundin? Jemand, der zuhörte - eine Vertraute? Oder war da möglicherweise doch mehr? »Jetzt bist du aber nicht mehr allein…« Sie hatte ihm damit unbewusst ein Versprechen gegeben, doch würde sie das überhaupt halten können? Sie wollte es, doch wie sah es mit Loki aus? Hatte sie sich ihm womöglich mit ihrer offenen Art aufgedrängt? Sein Dank war ehrlich gewesen, dass hatte sie gespürt, doch vielleicht war er auch nur zu nett gewesen, um ihr in diesem Moment zu sagen, dass er gerade auf ihre Gesellschaft gar keinen Wert legte… Loki und „nett“?! Mädchen, wenn er auf dich pfeifen würde, dann hätte er es dir garantiert mitgeteilt. Loki hat es nicht so mit Rücksicht, you know?! Himmel, ihre ganze Bindung war furchtbar kompliziert. Gwens Lippen kosteten leicht von den Lippen des Prinzen, strichen die gesamte Länge seines Mundes versonnen nach; sie war so versunken in ihren Gedanken, dass sie anfangs kaum bemerkte, dass Lokis Lippen nicht länger still lagen, sondern sich unter ihren bewegten und das Ganze in einen träge, gemächlichen Kuss abänderten. Als sie sich dessen bewusst wurde, riss sie die Lider in die Höhe. Grüne, magisch funkelnde Augen sahen sie direkt an; ein belustigtes Glänzen im Schimmer der Morgensonne, die in einem weichen, hellen Streifen über Lokis Gesicht fiel, noch gefiltert durch die hölzernen Fensterläden. Erschrocken und beschämt zuckte Gwen von den Lippen des Magiers zurück und spürte bereits, wie sie hochrot anlief; siedend heiß schoss ihr die Wärme in die Wangen und ließ sie sicher leuchten wie eine Glühbirne bei Nacht. Verflucht, er war ja wach! »Oh Gott…« stieß sie peinlich berührt aus, ihre Stimme ein verlegenes, peinliches Quicken. Lokis Arm hielt sie allerdings in ihrer Rückwärtsbewegung auf; seine Hand presste sich auf ihren Steiß und drückte sie in seine Richtung zurück. »Anwesend…« wisperte er mit einer vom Schlaf angerauten Stimme, die wie ein prickelnder Regenschauer über ihre Haut zog. Ein träges Grinsen hob die Mundwinkel des Magiers leicht an; er demonstrierte wieder mal Verführung in seiner höchsten Form. »Scheiße…ich…ich dachte, du schläfst…ich…ähm…also…oh man, wie furchtbar…« Gwen wusste gar nicht, wo sie hingucken sollte, so unangenehm war ihr das Ganze. »Wie…wie lange bist du denn schon wach…?« krächzte sie mit der albernen Hoffnung, dass er nicht alles mitbekommen hatte. Sein Mund kräuselte sich noch weiter; er genoss ihre Verlegenheit offensichtlich in allen Zügen. »Lange genug…« Diese Stimme! Jede Silbe strich wie schwarzer Samt über ihre empfindlichen Körperstellen, so schien es zumindest. »Dein Handeln ist interessant. Mir gefällt deine morgendliche Begrüßung. Ich hoffe allerdings, dass du nicht jeden so aus dem Schlaf weckst?!« Eine Frage war es nicht wirklich und doch hatte Gwen flüchtig das Gefühl, dass Besitzanspruch wie ein Schatten durch seine leuchtenden Augen ziehen würde. »Ich…äh…was?! Nein, natürlich nicht!« begehrte sie sofort auf; ihre Hand hatte sie von seinem Nacken zurückgezogen und ruhte nun auf seiner stoffverhüllten Schulter, unter der sie die Kraft seiner Sehnen erahnen konnte. »Ich wollte dich auch eigentlich nicht wecken und…ja…ähm…also…tut mir lei-« »Mach weiter.« verlangte er in einem Ton, der viel Raum für allerlei Möglichkeiten ließ. Das Grinsen war von seinen Lippen fast gänzlich verschwunden, doch seine Augen hielten nicht darin inne, ihren Blick stetig zu fordern, so er weiterhin zu ihr aufsah. Gwen blinzelte verwirrt. »Bitte…was?« Sein Anspruch war überraschend und ihr Hirn zu schwerfällig, um den Sinn dahinter gleich zu erfassen. »Küss mich…« raunte er fordernd; verlangend auf jede erdenkliche Art und Weise - seine Züge vermittelten hoheitliche Entschlossenheit, die keinen Widerspruch dulden würde. Seine Augen hüllten sie beinahe in Feuer, nachdem schon seine Worte ihren Puls sofort in die Höhe gejagt hatten. Gut, eigentlich hatte Gwen so ihre Probleme mit Befehlen - allerdings sollte man einem Gott wohl seinen Willen lassen…und seine Anweisung kam den eigenen Gelüsten ja auch so verdammt liebenswürdig entgegen. Diesem Blick und diesen Worten - diesem Mann würde man in jenem Augenblick nicht widersprechen wollen. Gwen klappte der Mund für einen Atemzug verblüfft auf; ein Moment, in welchem sie in Lokis Augen nach einem Scherz oder einer List suchte, doch da war nichts - nur dieses zaghaft verhüllte Verlangen, welches aus den Tiefen seiner Augen aufstieg wie die Sonne hinter dem Horizont. Das schien wirklich sein Ernst zu sein. Langsam beugte Gwen sich wieder zu Loki hinunter, während ihre Finger Halt an seiner Schulter suchten, bevor ihre Lippen bebend auch schon wieder auf die des Magiers trafen, welche sich unter ihrer Berührung öffneten. Sein warmer Atemhauch war wie eine Verheißung und rief sie zu der feuchten Höhle seines Mundes. Flatternd sanken ihre Lider herab, während sie ein kleines, unkontrolliertes Seufzen ausstieß, unschuldig in seinem Ton; Lokis Mund kam ihren Bewegungen geschickt entgegen, anfänglich fast vorsichtig und quälend langsam, bevor ihre eigenen Lippen immer fordernder wurden, weil sie keine Geduld hatte. Ihr Puls hämmerte bis zu ihrem Hals hinauf; ein sinnliches Rauschen, welches ihren Kopf und ihr Denken so schrecklich leicht machte… Es benötigte wirklich nicht viel und sie stand in seiner Nähe erneut völlig in Flammen; es gab kaum etwas in ihrem Leben, was sie je so begehrt hatte. Eigentlich gab es gar nichts, wurde ihr eben bewusst - Loki bildete auch in dieser Sache eine einzigartige Ausnahme. Noch nie zuvor war sie so hungrig auf einen Mann gewesen, so erwartungsvoll auf seine Nähe und seine Berührungen. Gwen saugte die Unterlippe des Magiers zwischen ihre Zähne und entlockte ihm damit ein anziehend raues Grollen; allerdings beantwortete er ihr Wagnis nicht weniger sinnlich, indem er sie mit einem sanften Ruck an sich zog, sodass Gwen nun fast komplett auf ihm lag. Ihr Knie rutschte zwischen seine Beine; eine äußerst prekäre Situation, in welcher sie in die Verlegenheit kam, den köstlichen Widerstand seines Oberschenkels an ihrer Mitte zu verspüren. Überrascht keuchte sie auf und Loki nutzte das Öffnen ihrer Lippen, um seine Zunge einem erobernden Schlachtzug gleich in ihren Mund zu stoßen - er forderte nicht mehr, er nahm sich, was er wollte. Und Gwen zerschmolz unter dem Geschick seiner Zunge wie ein hilfloser Eisklumpen in der Sonne; sie war eigentlich nie der Typ für sonderlich lange Knutschereien gewesen, musste jetzt jedoch feststellen, dass es nur daran gelegen hatte, weil sie immer an die falschen Männer geraten war, die nichts von Technik oder Sinnlichkeit gewusst hatten… Bei dem Magier war das plötzlich völlig anders; Gwen hätte ewig an seinen Lippen hängen können, seine Zunge kosten, seine Lippen schmecken - an ihnen saugen, lecken, beißen. Mit einem Mal schien es so viele Möglichkeiten zu geben, was man mit einem Mund alles anstellen konnte und sie verspürte eine nagende, flüchtige Eifersucht auf all diese gesichtslosen Schönheiten, an denen der Magier das in der Vergangenheit wahrscheinlich erprobt hatte… Vehement schob sie diesen störenden Gedanken von sich. Loki plünderte ihren Mund in einem moderaten Tempo, was Gwen fast wahnsinnig machte; seine Hand auf ihrem Steiß bewegte sich langsam - Finger für Finger glitt unter den Saum ihres Shirts und zog jenes träge nach oben, als seine Hand ihre Wirbelsäule hinaufwanderten und den Stoff dabei mit sich führten. Gwen schwor, dass sie sich jedem Wirbel ihres Rückgrats bewusst wurde, als seine warme Hand über ihre Haut glitt; Hitze entstand unter seinen Fingern, floss den Rücken hinab, um sich zwischen ihren Beinen zu sammeln. Dort erwachte ihr Geschlecht fühlbar und Gwen rieb sich in einer unbewusst genüsslichen Bewegung an Lokis Oberschenkel; eine Regung, die ihm wie ihr ein kleines, zittriges Keuchen entlockte, denn ihre Hüfte traf auf die erwachende, männliche Härte in seiner Hose, die sich spürbar gegen ihr Becken drängte. Lokis freie Hand ergriff ihre Finger auf seiner Schulter und löste jene dort aus dem Stoff, nur um sie herab zu dem ersten geschlossenen Knopf seines Hemdes zu ziehen; dort drückte er ihre Hand nieder, gab ihr eine Weisung, die sie mit rasendem Herzen befolgte. Zittrige Finger nestelten fahrig an dem Knopf und öffneten diesen, während Lokis Hand über ihren Arm nach oben wanderte, ihre Schulter mit Wärme überzog und sich dann in das Haar ihres Hinterkopfs grub. Er zog sie noch tiefer in den Kuss, drückte seinen Mund in einer spürbaren Gier gegen ihre Lippen, der Gwen nicht viel entgegnen konnte; ihre Zunge versuchte seiner Stand zu halten in diesem schwindelerregenden Tanz, den sie aufführten. Seine Hand auf ihrem Rücken war am oberen Ende ihrer Wirbelsäule angelangt und strich dort begehrlich über ihre Schulterblätter, während Gwen fast an der Aufgabe erstarben, Lokis Hemd zu öffnen; eigentlich nicht schnell genug konnte sie seine blasse Haut freilegen, doch ihre Finger gehorchten nicht jeder ihrer Weisungen. Ihr Körper bebte, konnte es kaum erwarten, sich den urtümlichen Gelüsten einer Vereinigung hinzugeben. Sie wollte Loki immer noch so sehr, dass es schon fast schmerzte; ein angespanntes Ziehen in ihren Brustwarzen, in ihrem Unterleib, der sich hitzig und instinktiv gegen den Magier drängte - eine brodelnde Gier, die bisher noch immer keine Linderung gefunden hatte. Atemlos löste sie ihren Kuss und beobachtete ehrfürchtig, wie Loki sich in einer genüsslichen, unbewussten Geste die Lippen leckte; seine Augen glühten förmlich zu ihr auf, seine Nasenflügel blähten sich unter beschleunigten Atemzügen, die sein Herz verlangte, welches merklich gegen Gwens Hand trommelte. Sie kämpfte noch immer hochrot mit den kleinen, bockigen Knöpfen seines Hemdes und fluchte verhalten, was dem Magier ein sinnliches Grinsen entlockte. Sie konnte sehen, dass er sich in ihrer Lust sonnte; Loki genoss ihr Verlangen nach ihm über alle Maßen, ohne dass er dies in seiner gewohnt göttlichen Süffisanz gezeigt hätte. Manchmal hatte Gwen fast das Gefühl, dass all das hier auch für ihn neu war, obwohl er keinesfalls unkundig in körperlichen Dingen anmutete - doch ihre weibliche Begierde nach ihm schien Neuland zu sein, was er nur zu gern erforschte…und Gwen hatte kein Problem damit, sein Forschungsgebiet darzustellen. Hungrig eroberte sie seine Lippen wieder - diese unendlich perfekten Lippen, die eigentlich viel zu süß und zu geschickt waren, um einem Gott der Lügen und Intrigen zu gehören; eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass alles an diesem Mann so verführerisch sein musste. Die Natur hatte ihm offenbar mit seinem Körper nur eine weitere Waffe des Schmeichelns und Verlockens geliefert. Lokis Hand löste sich aus ihrem Haar, rutschte über ihre Seite hinab und glitt über die bloßgelegte Haut ihres Rückens, bevor Gwen die Finger an ihrem Po fühlte, wo sich seine Hand über die Rundung spannte. Ein weiterer Ruck; seine Fingerspitzen schienen selbst durch den Stoff ihrer Hose zu glühen und jenen zu verbrennen, als er ihren Po packte und sie so noch näher an sich zog - an sich und seine inzwischen völlig erhärtete Körpermitte. Gwen schloss die Augen in einem erstickten Stöhnen und biss sich auf die Unterlippe, während ihre Finger den letzten Knopf seines Hemdes beinahe abrissen und ihre Handfläche danach endlich auf die nackte Haut seiner Brust traf. »Gwen!? Loki?! Seid ihr schon wach?« Das seichte Klopfen an der Tür drang erschreckend klar durch den Nebel ihrer Lust und ließ sie beide fast auseinander fahren; die gedämpfte Stimme von Gwens Mutter klang durch das Holz. Zum Glück war sie so diskret, die Tür geschlossen zu lassen. »Ich wollte nur fragen, ob ihr noch frühstücken wollt, bevor ihr fahrt? Es ist nämlich bald Mittag.« Gwen liebte ihre Mutter wirklich, aber in diesem Moment bewies Marian das denkbar ungünstigste Timing, was man sich nur vorstellen konnte. Unter einem frustrierten Aufstöhnen sank Gwens Stirn auf Lokis nackte Brust; das Feuer der Erregung war eben durch einen eiskalten Wassereimer erloschen. »Wir kommen, Mom…« rief sie hörbar, woraufhin sich die Schritte ihrer Mutter die Treppe hinab entfernten. »Das darf doch nicht wahr sein…« nuschelte sie gegen die Haut des Magiers, bevor sie den Kopf wieder hob und Loki entschuldigend ansah. Marian hatte mit ihrer Anwesenheit die Realität zurückgebracht, die Gwen die letzten Augenblicke über beharrlich und sehr erfolgreich verdrängt hatte; nun allerdings kam die Erinnerung zurück im Licht des Tages und ihr wurde wieder bewusst, was sie heute zu tun gedachten. »Tja…ähm…wir sollten dann vielleicht…« wisperte Gwen belegt und versuchte sich von Loki in die Höhe zu stemmen, obwohl ihre Hormone in die entgegengesetzte Richtung strebten. Außerdem hielt der Prinz sie weiterhin fest. »Du willst doch jetzt nicht wirklich gehen…« Seine Stimme vermittelte latente Enttäuschung; die Gleiche, die auch sie empfand. Er hob den Kopf aus den Kissen und strich mit seiner Nase an ihrer Halsseite entlang, bevor seine Lippen folgten, die sich beinahe schüchtern über ihre Haut tasteten. Seine Finger gruben sich weiter in das weiche Fleisch ihres Pos. Oh man, das war wirklich nicht förderlich… Eigentlich wollte sie alles andere, als jetzt gerade zu gehen. Loki hob sein Knie sanft an und presste seinen Schenkel in einem betörenden Streifen gegen ihre Mitte. Gwen erschauderte und schloss die Augen, um zumindest die visuelle Verführung auszublenden, die der Gott bot; keine wirklich gute Idee, da ihre Nervenenden so noch wesentlich empfindlicher waren und sie Lokis leicht raue Lippen viel zu gut verspürte. »Ich…äh…ja…nein, nicht wirklich, aber…wir haben nicht mehr viel Zeit…« flüsterte sie hastig und atemlos, bevor sie hart schluckte und den Magier mit einer Hand wieder auf das Bett zurückdrückte, was all ihre Kraftreserven kostete. »Deine Frist…« versuchte sie zumindest ins Gedächtnis zu rufen, dass ihnen ein Ultimatum im Nacken saß. Außerdem waren sie hier im Haus ihrer Eltern - und die Wände mehr als dünn. Genau wie ihre Selbstbeherrschung, die unter der beständigen Nähe des Magiers ziemlich porös geworden war… Loki sackte unter einem frustrierten Knurren in die Kissen zurück und schnaubte verächtlich. »Diese Frist ist mehr als lächerlich! Was wollen die Sterblichen schon tun?! Mich jagen? Mich wieder einsperren? Ich bitte dich…« Unzufrieden presste er die Lippen aufeinander und senkte die Brauen mürrisch. Die Stimme der Vernunft schien ihn ziemlich aufzuregen und Gwen konnte ihn verstehen. Loki wirkte regelrecht gereizt wegen der erneuten Unterbrechung ihrer Zweisamkeit und überraschte Gwen ein wenig mit seiner offenen Frustration; normalerweise hatte er sich immer hervorragend unter Kontrolle. Gwen beugte sich rasch zu ihm, bevor ihre Unsicherheit sie aufgehalten konnte und drückte dem Magier unter dessen verblüfftem Blick einen warmen, weichen Kuss auf die Lippen. Ihre Finger fuhren fast versöhnlich über seine Wange. »Allein die Vorstellung davon gefällt mir nicht, Loki.« flüsterte sie an seinem Mund. »Ich will dich weder verfolgt, noch wieder eingesperrt sehen. Halten wir uns einfach an die Frist, die dein Vater für uns rausgeschlagen hat…« Noch einen Augenblick sah sie ihn bedauernd an; jene Möglichkeiten beklagend, die wieder einmal ungenutzt an ihnen vorbeigezogen waren, bevor sie sich bewusst wurde, wie intim und vertraut sie eigentlich mit ihm umging. Vielleicht war das unpassend; vielleicht wollte Loki ihre Sorgen gar nicht und sie wollte ihn definitiv nicht mit ihrem Gesäusel nerven… Mit einem kleinen, verlegenen Räuspern rollte sich Gwen von ihm herunter und schnappte sich ihren Morgenmantel vom Nachttisch, bevor sie im angrenzenden Badezimmer verschwand. Nachdem die Tür hinter ihr zu gefallen war, lehnte sie sich kraftlos an das Holz im Rücken und schloss die Augen unter einem zittrigen Atemzug. Durch ihre Adern rollte noch immer das Echo der Begierde, ihre Knie waren schrecklich weich und ihre Lippen noch feucht von Lokis Küssen…und nicht nur die; ihr Körper glühte unbefriedigt zwischen ihren Beinen und ihr Höschen rieb unerträglich an ihrem geschwollenen Geschlecht. Versonnen zeichneten ihre Finger die Spur seines Mundes an ihrer Halsseite nach. Gwen verstand das Schicksal einfach nicht. Da gab es sich offenbar so viel Mühe damit, sie immer und immer wieder zusammenzuführen - vereinigte sie durch eine unsichtbare Verbindung, der kaum etwas widerstehen konnte - aber wenn sie sich zu nah kamen und dem brodelnden Verlangen in sich nachgeben wollten, wurde das verhindert. Verdammt nochmal, das war schlichtweg nicht fair! Aber vielleicht war es auch besser, gar nicht erst so weit zu gehen, denn Gwen hatte bereits so eine Ahnung, dass Sex mit Loki nicht einfach nur Sex sein würde; es wäre gewiss einzigartig und verzehrend, berauschend, magisch - es würde sie nur noch enger und näher an den Magier binden. Ein Abschied wäre für sie dann wahrscheinlich kaum noch vorstellbar. Aber der würde unweigerlich irgendwann kommen - daran war nichts zu ändern…auch wenn Gwen das überhaupt nicht wollte. Sie warf den Morgenmantel mit einem frustrierten Schnauben von sich und entschied sich für eine kalte Dusche, die sie hoffentlich wecken und erfolgreich abkühlen würde, um die Reste dieses brennenden Verlangens zu ersticken. Danach zog sie sich rasch frische Klamotten an und eilte in die Küche hinunter, um Loki das Bad zu überlassen und ihrer Mutter mit dem Essen zu helfen. Ihr Vater war mit Angel bereits im Garten und gerade dabei die Fensterläden wieder abzubauen; durch die Scheiben begrüßte sie nun der erste Schnee des Jahres, der sich als Vorbote des Winters allumfassend über der Gegend ausgebreitet hatte. Über Nacht war die Stadt in weiße, weiche Pracht gehüllt worden, die in ihrem märchenhaften Zauber kaum erahnen ließ, mit welcher Macht und Gewalt der Blizzard in den letzten Stunden über sie hinweg gefegt war. »Ihr habt Glück, der Sturm war nicht so schlimm wie vorausgesagt. Die Straßen sind weitestgehend schon wieder befahrbar.« begann Harry Lewis gerade, als er von draußen herein kam und sich die dicke Mütze vom Kopf zog. Er klopfte sich den Schnee vor der Haustür von den Stiefeln. Angel schüttelte sich die verirrten Flocken aus dem Fell und tapste dann ins Wohnzimmer zum Kamin. »Ich hab euch meinen alten Pick-up fahrtüchtig gemacht und Schneeketten aufgezogen. Mit dem teuren Gerät da draußen kommt ihr wahrscheinlich keine Meile weit in den Hills.« erklärte ihr Vater mit einem Schmunzeln und Deut auf den Maserati in der Einfahrt. Loki kam gerade die Treppen herunter und nickte Gwens Vater dankend zu, während er den letzten Knopf seines schwarzen Hemdes schloss. Der Mann konnte wirklich anziehen, was er wollte; er sah in allem fantastisch und edel aus, selbst in schlichten Jeans - so verführerisch, sodass Gwen ihre Küsse von vorhin wieder siedend heiß in Erinnerung kamen. Sie sah betreten auf das Brötchen vor sich und bemerkte erst zu spät, dass ihre Kaffeetasse bereits überlief, weil sie völlig abwesend zu viel Milch hineingekippt hatte … »Du meine Güte, Gwenny. Wo bist du denn mit deinen Gedanken?!« murmelte ihre Mutter kopfschüttelnd und war sogleich zur Stelle, um das Missgeschick aufzuwischen. Schmunzelnd warf Marian ihrer Tochter einen wissenden Blick zu, nachdem deren Augen erschrocken endlich von Loki abgelassen hatten. »Oh…Shit…sorry, Mom.« murmelte sie entschuldigend. Loki und sie stärkten sich mit einem schnellen Frühstück für ihre Fahrt, denn der Zeiger der Uhr verkündete bereits die vorgeschrittenen Stunden des Tages. Bis in die Barrow Hills wäre es nochmal ein gutes Stück, ganz abgesehen von den nicht wirklich einschätzbaren Straßenverhältnissen nach dem Blizzard. Der Winterdienst kümmerte sich zumeist nur um die Hauptstraßen. Ihr Dad drückte Gwen vor der Haustür den Schlüssel des Pick-ups in die Hand, während Angel wie ein treuer Wachposten neben ihr Stellung bezog. »Fahrt vorsichtig, ja? Du weißt, die Straßen sind bei Schnee oft tückisch.« erinnerte ihr Vater vorsorglich und umarmte seine Tochter noch einmal kurz, die in der dicken Fleecejacke steckte, welche sie von ihrer Mutter geliehen hatte. »Wir passen auf deinen kleinen Teufel auf, bis ihr wieder hier seid.« Marian erschien mit Winston in der Tür, der kläglich miaute und offenbar ein Problem damit hatte, schon wieder zurück gelassen zu werden. »Danke, Dad.« Gwen löste sich von ihrem Vater und wollte Angel wieder mit einem sanften Stubs ins Haus schieben, doch der Hund weigerte sich, von ihrer Seite zu weichen; alles schieben und locken half nichts, Angel hatte sich offenbar zu ihrem persönlichen Beschützer erklärt. »Tja, ihr müsst ihn wohl mitnehmen.« meinte ihr Vater mit einem entschuldigenden Blick auf Angel. »Vielleicht könnt ihr seine Spürnase ja noch gebrauchen.« Er schmunzelte und klopfte dem Hund sanft den Rücken. So saß Gwen nun am Steuer des alten, aber gepflegten Pick-ups, der sich tapfer mit Schneeketten über die teils zugewehten Straßen hinauf in die Hills kämpfte. Neben ihr lag Angel auf der Sitzbank; den Kopf zufrieden auf den Pfoten gebettet, während er sie aufmerksam beobachtete. Neben dem Hund hatte sich Loki den Rest der Bank erobert; seine langen Beine fanden in dem geräumigen Fahrerhaus endlich einmal genug Platz, sodass er sich bequem ausgestreckt hatte und seine Hand geistesabwesend durch Angels Fell strich. Der Hund kniff die Augen in Wohlwollen zusammen, während der Blick des Magiers hochkonzentriert auf die Straße gerichtet war; sein Gesicht war angespannt, scharf zeichneten sich seine hohen Wangenknochen unter der blassen Haut ab, seine Lippen bildeten eine strenge Linie. Der Wagen holperte durch eine hohe Schneewehe, was die Insassen kurz, aber heftig durchschüttelte. Angel hob alarmiert den Kopf und stellte die Ohren fast empört auf. »Sorry…« nuschelte Gwen und rückte die Brille auf ihrer Nase wieder zurecht. Sie selbst war durchaus nervös und dieser Zustand intensivierte sich, je weiter sie in die Hills vordrangen. In einigem Abstand hinter ihnen folgte wieder der Van von S.H.I.E.L.D; sie hatte Andrew gar nicht Bescheid sagen müssen, der Wagen klebte bereits wieder an ihnen, seit sie das Grundstück ihrer Eltern verlassen hatten. Wahrscheinlich waren sie die ganze Zeit beobachtet worden. Soviel zum Vertrauen - S.H.I.E.L.D hatte definitiv keines in Loki oder sie. An den Seiten der Straße erhoben sich nun mächtige Tannen und steile Klippen, die zu den Ausläufern der Berge umher gehörten; alles war von einer dichten Schneedecke überzogen, die unter den anhaltend kalten Winden des Nordens an vielen Stellen überfroren glitzerte. Ihre Fahrt ging nur schleppend bis schrittweise voran, zuweilen auch gar nicht, wenn sie erst warten mussten, bis ein blinkendes Fahrzeug des Winterdienstes wieder einen Teil der Strecke geräumt oder die Straße von umgestürzten Bäumen befreite, die den Lasten des Schnees nicht standgehalten hatten. Angespannt trommelte Gwen auf dem Lenkrad und kaute auf ihrer Unterlippe, während die Gedanken in ihrem Kopf unermüdlich ihre Kreise zogen und sie mit allerlei schwachsinnigen Überlegungen peinigten. Was würden sie beim alten Mason wohl finden? Würden sie überhaupt etwas finden? Hing der alte Mann wirklich mit ihrem Auftauchen zusammen oder war er vielleicht wirklich nur aus Zufall in dieser Nacht in der Stadt gewesen? Nie zuvor war sie dem Rätsel um ihre Herkunft näher gewesen und auch wenn sie unbestreitbar neugierig war, so konnte sie doch auch nicht leugnen, dass sie Angst hatte; Angst, etwas über sich herauszufinden, was ihr komplettes Leben nur noch komplizierter machen würde, als es ohnehin schon war. Außerdem war die Nähe zu Loki nervenaufreibend; zwischen ihnen schwebte die ungelöste Spannung ihres morgendlichen „Zusammentreffens“ noch greifbar in der Luft und Gwen fühlte sich innerlich aufgezogen - unruhig und unterschwellig erregt, da der Duft des Magiers die kleine Fahrerkabine des Pick-ups betörend füllte. Sie lenkte den Wagen an einer erneuten Schneewehe vorbei, die wie eine Landzunge über den Asphalt ragte und stellte dann die Heizung des Pick-ups aus, da ihr ohnehin warm genug war. Das monotone Fauchen der Lüftung verstummte. »Wirst du heute nach Asgard zurückkehren?« fragte sie Loki dann, nachdem sie den Wagen wieder in eine halbwegs gerade Spur auf der glatten Straße gebracht hatte. Der Talisman ihres Vaters, ein stilisierter Wolf, schwankte aufblitzend am Rückspiegel; ein Geschenk von Tahatan. Die Reflexionen der trüben Sonne, die sich kurz durch die schweren Schneewolken kämpfte, tanzten über Angels Fell und Lokis Gestalt. Der Magier sah aus dem Augenwinkel zu ihr herüber. Seine Antwort ließ ein wenig auf sich warten. »Vielleicht.« sprach er dann einsilbig. Ein verstohlenes, irgendwie beunruhigendes Grinsen flackerte über sein Gesicht. Gwen zog die Brauen kritisch zusammen und kräuselte die Nase. »Vielleicht?! Was soll das heißen?« In jenem Moment dämmerte ihr, was der Gott wahrscheinlich im Sinn hatte. »Du willst dich doch wohl nicht aus dem Staub machen?!« stieß sie fassungslos aus und sah empört zu ihm hinüber. Loki schien recht unbeeindruckt von ihrer Entrüstung; er hatte die Beine gelassen überkreuzt und die Arme in einer abwehrenden Haltung verschränkt, die seine äußerliche Ruhe lügen strafte. Gwen konnte seine angespannten Muskeln unter dem Stoff des Hemdes erahnen. Mit einem müden Grinsen sah er auf sie herab, als würde ihr Horizont nicht ausreichen, seine Gedanken zu erfassen. »In Asgard wird am Ende nur wieder meine Zelle auf mich warten.« klärte er sie sachlich auf. »Und - bei allem, was mir heilig ist und das ist bei weitem nicht viel - ich gehe nicht in diesen Käfig zurück.« Gwen sah ihn entgeistert an, bevor ihre Aufmerksamkeit von einer scharfen Kurve beansprucht wurde, die sich steil um den Berg schlängelte. »Du kannst doch gar nicht mit Sicherheit wissen, ob du wirklich wieder ins Gefängnis zurück musst…« begann sie zaghaft. »Stimmt. Vielleicht sollte ich warten, bis ich erneut in Asgards Kerker einsitze und mir dann Gedanken darüber machen?!« schlug er spöttisch vor und stieß die Luft in einem Schnauben aus. »Meinst du, wenn du abhaust, machst du es besser?! Dann landest du doch erst recht wieder im Gefängnis.« erklärte Gwen ihm eindringlich. Das fast teuflische Grinsen, was daraufhin seine Lippen teilte, war furchteinflößend. In seinen Augen glomm das Echo eines Wahnsinns, der noch lang nicht komplett kuriert war. »Dafür müssten sie mich erst einmal finden…« raunte er herablassend. »Loki…« versuchte es Gwen erneut. »…vielleicht werden deine Verbrechen noch mal neu verhandelt? Unter ganz anderen Gesichtspunkten. Warum sollte Odin dich wieder einsperren, wo du dich doch hilfsbereit gezeigt und für ihre Sache gekämpft hast? Das wäre doch schwachsinnig.« Immer wieder sah sie kurz zu ihm hinüber, versuchte seine Stimmung einzuschätzen, ohne dabei jedoch die Straße aus dem Blick zu lassen. Der Pick-up kämpfte sich weiterhin zuverlässig den schneebedeckten Asphalt in die Berge hinauf, während der Van von S.H.I.E.L.D hinter ihnen schon an manchen Stellen seine Schwierigkeiten gehabt hatte. Nun klebten dessen Scheinwerfer aber beharrlich an ihrer Stoßstange. Loki hob eine Braue in die Höhe und sah Gwen an, als müsste er einem Kleinkind die Welt erklären. »Weil er der Allvater ist. Odin wird niemals Gnade walten lassen. Das passt einfach nicht zu ihm.« Gwen schüttelte in Unverständnis den Kopf, bevor sie sarkastisch meinte: »Stimmt. Gnade passt nicht zu ihm, daher hat er auch ein Neugeborenes seiner Feinde vor dem Tod gerettet und in seiner Familie aufgenommen…« Lokis Augen blitzten gefährlich zu ihr herüber, doch sie fuhr unbeirrt fort: »Er hat sich bei Fury für dich eingesetzt. Du bist sein Sohn, denkst du nicht, dass du zu hart urteilst-« »Ich bin nicht sein Sohn!« zischte der Gott barsch und veranlasste Angel erneut, die Ohren wachsam zu spitzen. »Die alte Leier schon wieder…« murmelte Gwen entnervt, bevor sie den Magier nicht weniger aufgebracht anfuhr. »Er hat dich „Sohn“ genannt. Warum hat er das wohl gemacht?! Ich hab es dir schon mal gesagt - Familie ist nicht einfach nur Blutsverwandtschaft, sondern wesentlich mehr. Und überhaupt - wie soll es dann weitergehen? Willst du dich dein Leben lang verstecken? Willst du denn immer weglaufen?!« Wie konnte man nur so verbohrt sein?! Manchmal kam er ihr wirklich vor wie ein bockiges Pferd mit Scheuklappen; er wollte nur seine eigene Welt sehen und verschloss die Augen vor den so offensichtlichen Dingen um sich herum. »Du sagtest doch gestern Abend selbst, dass du schuldig bist. Es ist dir bewusst. Warum also weglaufen?! Stell dich doch deinen Fehlern und-« Gwen wurde abrupt unterbrochen, da Lokis Hand vorschnellte und die Aufschläge ihrer Jacke ergriff; er hatte sich zu ihr gebeugt und funkelte zornig auf sie herab. Ein vernichtender Blick, der eisige Spinnenfinger über ihr Rückgrat jagte. Angel richtete sich zwischen ihnen auf und grollte bedrohlich in der Kehle; eine Warnung für den Magier, der sich davon anscheinend nicht beeindrucken ließ. »Sei so klug und benutze den gestrigen Abend nicht gegen mich, Gwendolyn. Bilde dir bloß nicht ein, dass du mich jetzt kennst…« knurrte er ihr drohend entgegen, allerdings bemerkte sie das unsichere Glänzen in seinen grünen Augen; sie hätte es sich ja fast denken können, dass er jetzt ein Problem mit seiner Offenheit haben würde. Loki wusste, dass er sich damit verwundbar gemacht hatte, doch Gwen hatte langsam die Nase voll von seinen Spielchen und seiner Launenhaftigkeit; es war Selbstschutz und sie erkannte das mittlerweile, doch er musste endlich verstehen, dass er anderen damit wehtat. Sie befanden sich inzwischen auf einer Ebene, wo sie durchaus Klartext mit ihm reden konnte…und es auch musste. Aufgebracht schlug sie seine Hand von ihrer Jacke und sah ihn wütend und enttäuscht an. »Schon klar, Eure Hoheit. Eure Unnahbarkeit. Bloß keine Gefühle. Bloß keine ehrlichen Worte. Die Wahrheit ist ein hartes Brot, was selten schmeckt, nicht wahr?« gab sie ihm bissig entgegen. Beruhigend strich sie Angel über den Kopf und kraulte dem erregten Hund die Ohren, während sie selbst nun versöhnlichere Worte anschlug. »Man, Loki. Ich will gar nichts gegen dich benutzen, siehst du das denn nicht? Ich will einfach nicht, dass du dich selbst wieder ins Unglück stürzt. Außerdem braucht dich Odin. Und dein Bruder auch. Asgard braucht dich. Verdammt, ich glaube, das ganze Universum braucht dich. Und ich denke, dir wäre auch daran gelegen, sie alle nicht im Stich zu lassen. Wohin willst du denn fliehen, wenn Malekith gewinnt? Du wirst genauso vergehen wie alle anderen. Du bist doch sonst immer so logisch und klug, dann wirst du deine Zwickmühle ja auch selbst erkennen, oder?!« Loki zog sich langsam von ihr zurück und ließ sich wieder auf seinen Sitz zurückfallen. Sein Blick war schwer zu deuten, ebenso wie sein Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich kam es nicht oft vor, dass ihm jemand die Wahrheit so um die Ohren feuerte. Er wirkte, als würde er sie und ihre Worte genauestens sondieren und abwägen, ob er sie gleich oder später umbringen sollte… Dieser Mann war wirklich ein Wagnis in allem, was ihn ausmachte; er war pure Leidenschaft, aber auch eiskalte Berechnung, er war ehrenhaft und mutig, allerdings auch unkalkulierbar in seinen Absichten. Loki schwankte ständig zwischen den Extremen; in ihm vereinten sich Asgard und Jotunheim - zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten und ihn doch beide geprägt hatten. Er war noch immer gefährlich, doch Gwen wurde das Gefühl nicht los, dass hinter seinen Aggressionen und verletzenden Worten eine angerissene Seele stand, die um Verständnis und Zugehörigkeit flehte. Nervös befeuchtete sie sich die Lippen und lenkte den Fokus wieder auf die Straße, beide Hände um das Lenkrad geklammert. Eben kamen sie an einem Truck-Stopp vorbei, der den vereinzelten Fahrern über Nacht eine Herberge geboten hatte; nun befreiten die Männer ihre LKWs von den frischen Schneelagen, während der Besitzer der Bar die Fensterläden von dem flachen Gebäude abmontierte. Hier und da blitzten bereits wieder die bunten Lichter der Reklametafeln durch den Schnee. »Verbau dir doch nicht die Chance auf eine Zukunft. Auf deine Familie, Loki. Jetzt hast du die Möglichkeit, deine Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen und gewissermaßen nochmal neu anzufangen. Verschwende sie nicht, nur weil du zu stolz bist. Es ist keine Schwäche, sich die eigenen Fehler einzugestehen und für Vergebung zu kämpfen. Im Gegenteil - das beweist wahre Größe.« Gwens Stimme war leiser geworden und sie suchte kurz seinen Blick. »Du würdest es irgendwann bereuen, es nicht zumindest versucht zu haben. Glaub mir.« Trotz der ernsten Situation musste sie flüchtig schmunzeln; ein Versuch, die angespannte Stimmung aufzulockern. Sie wollte eigentlich nicht mit Loki streiten, wenn die Möglichkeit eines Abschiedes in den nächsten Stunden bestand. »Gut, wenn Malekith erfolgreich ist und wir alle sterben, bereust du es wahrscheinlich nicht, aber das wäre der denkbar ungünstigste Fall…« sinnierte sie ironisch. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Lokis verhaltenes Lächeln; er senkte den Blick kurz, um sich wohl zu sammeln, bevor er ihr erklärte: »Du wirst aus erster Hand erfahren, ob ich es beklagen werde oder nicht. Denn egal, wo ich hingehe, du wirst mit mir kommen.« Seine Tonlage war gebieterisch und fordernd; eine Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Gwen hasste jegliche Art von Forderung bei Männern eigentlich über alle Maßen, aber bei Loki beschleunigte diese herrische Eröffnung ihren Puls - und das nicht, weil sie sich darüber empörte. Warum auch immer, er wollte sie bei sich behalten und damit hatte sie die Aussicht auf seine weitere Nähe. Auch wenn es selten dämlich war, darüber freudige Erregung zu verspüren, so konnte sie ihre Gefühle einfach schwer unterdrücken. Allerdings musste er das bestimmt nicht wissen. »Darf ich da vielleicht auch noch ein Wörtchen mitreden?« fragte sie mit kritisch gehobener Braue nach und versuchte ihre Stimme zumindest mürrisch klingen zu lassen. »Nein.« war seine sachliche Antwort. »Solange wir nicht wissen, wie wir Garm aufhalten können, wirst du eh in meiner Nähe bleiben müssen. Das heißt - wo ich bin, wirst auch du sein.« Oh, welch schreckliches Los. Noch dämlicher - Garms Verfolgung erschien ihr mit einem Mal gar nicht mehr so schlimm. Klar, der drohende Tod durch den Höllenhund ist natürlich ein annehmbares Risiko, um im Gegenzug den Gott weiter anschmachten zu können. Du bist völlig bescheuert, Gwen. »Ich glaube nicht, dass S.H.I.E.L.D mich so einfach gehen lassen wird…« gab sie zu bedenken und schielte flüchtig auf die ausgebreitete, abgewetzte Karte, die auf dem Armaturenbrett angepinnt war. Sie war schon lange nicht mehr in den Hills unterwegs gewesen. »Warum bist du in der Annahme, dass ich sie nach ihrer Meinung fragen werde?!« Lokis Lippen begegneten ihr wieder mit der altbekannten Überheblichkeit eines eiskalten, spöttischen Grinsens. Gwen seufzte schwer und schüttelte den Kopf. »Du scheinst Probleme wirklich zu lieben…kannst du eigentlich zufrieden sein, wenn dich mal gerade niemand hasst?« Loki würde die Frau behalten. Diesen Entschluss hatte er eben gefasst. »Jetzt bist du aber nicht mehr allein…« Er würde das Versprechen dieser Worte für sich einfordern; Gwendolyn würde ihn begleiten, ob sie das nun noch wollte oder nicht - egal, wo er hinging. Die Ungewissheit mit Garm spielte ihm dabei natürlich vorzüglich in die Hände, unterstützte seine Besitzgier und sein jämmerliches Herz, welches sich so unverständig für den Gott nach Nähe und Verständnis sehnte; nach der Nähe und Freundlichkeit dieser einen Menschenfrau, obwohl er sie noch immer so manches Mal in Unsicherheit grob von sich wies. Die Wahrheit war - er hatte Angst, denn er musste sich eingestehen, dass Gwen ihn inzwischen eigentlich viel zu gut kannte. Er hatte sie willentlich in sein Leben gelassen und sie war neugierig und entschlossen genug, um sich daraus nicht so einfach wieder verdrängen zu lassen. Sie war wie das Gewissen, das er irgendwann nahezu verloren hatte. Die Moral, welche sein Handeln von einem anderen Blickwinkel als dem eigenen beleuchtete. Sie war wie das fehlende Stück seiner Seele, welches ihn vielleicht besser machen konnte - das reine, gute Stück seines Selbst, welches er in seinem Wahnsinn verzweifelt und zornig abgestoßen hatte; dieser Teil, den Thanos gänzlich hatte zerschmettern wollen. Gwendolyn hörte ihm zu, allerdings war sie auch mutig genug, ihm die Stirn zu bieten und ihm seine Fehler aufzuzeigen. Sie verurteile nicht, sie hinterfragte. Sie resignierte nicht, sie suchte nach Lösungen. Sie verbog ihn nicht, sie akzeptierte. Und sie war die Einzige, der er das wohl jemals im Leben gewähren würde; der er so freien Zugriff auf sein Leben und seine Gedankenwelt offenbarte. Außerdem wollte er sie. Nicht nur an seiner Seite, sondern immer noch unter sich; die Gier nach ihrem Körper brodelte in ihm und er würde diese Flammen ersticken - nicht durch Selbstbeherrschung, sondern durch eine Vereinigung mit ihr. Er war nicht gewillt, diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen; er wollte mit ihr schlafen und er würde mit ihr schlafen. So einfach war das. Und bevor er seine Lust, sein Verlangen und diese Neugier auf sie nicht befriedigt hätte, würde sie nicht von ihm gehen. Nur einmal im Leben wollte er wissen wie es war, wirklich von einer Frau begehrt zu werden - und nach jener ebenso ehrlich und urtümlich zu verlangen; keine Heucheleien, kein Zwang, keine Unlust. Wenn man sein Leben lang die Maskeraden des Hofes gewohnt war und sich so hervorragend an das Spiel aus Intrigen und Macht angepasst hatte - sich selbst hinter den eigenen Masken manchmal nicht mehr erkannte, stellte diese ehrliche Zuneigung, diese unverfälschte, körperliche Lust eine Wohltat dar, die einen zu dem Ursprung seiner Selbst zurückführte. Wenn der Magier von Gwendolyn berührt wurde, wenn er ihr Seufzen hörte, ihre geröteten Wangen sah und die Lust in ihren Augen…dann fühlte er sich seltsam befreit. Dann war er nur Loki; kein Gott, kein Magier, kein Sünder, kein Eisriese, sondern ein Mann in den Augen einer Frau. Dieses kurzzeitige Vergessen musste er noch einmal erleben. Er musste es ganz erleben. Loki mochte Gwens Mutter eigentlich ganz gern - sie war angenehm für eine Sterbliche, doch heute Morgen war er durchaus einen Augenblick versucht gewesen, einen Feuerball durch die Zimmertür zu donnern, um diese ungewollte Störung auszulöschen. Noch jetzt verspürte er ein lustvolles Ziehen in der Lendengegend bei der Erinnerung an den Morgen und war selbst überrascht, wie empfindsam und heiß sein Körper doch werden konnte; es hatte ihn nicht einmal sonderlich gestört, dass er plötzlich fern ab von klarem Denken und so albern triebgesteuert gewesen war. Was er bei Fandral und Thor vor Jahren noch immer müde belächelt hatte, passierte ihm nun selbst; in Gegenwart einer Frau verabschiedete sich sein Hirn, dafür wurde sein Körper umso empfindsamer und gebieterischer - eine befehlende Stimme, ein zwanghafter Drang, dem man einfach nicht widerstehen konnte. Was hatte sich Gwendolyn auch dabei gedacht, ihn einfach so zu berühren; so sanft, so vorsichtig und so liebevoll, dass ihm jegliche bissige Worte in der Kehle stecken geblieben waren. Loki war unter ihren Berührungen erwacht und was er anfänglich als zauberhaften Traum gewähnt hatte, hatte sich als nicht weniger magische Realität herausgestellt. Der Magier war neugierig gewesen, was sie wohl vorhatte und noch wagen würde, daher hatte er sich weiterhin schlafend gestellt; als ihre Lippen jedoch seine aufgesucht hatten, war es um diese Farce geschehen gewesen. Es gab einfach eine Hitze zwischen ihnen, die seit dem ersten Moment nicht zu leugnen war und Loki hatte sich dieser bewusst ergeben. Es erstaunte ihn kaum noch, obwohl es ihn wahrscheinlich hätte erschrecken müssen, das gerade ein Weib jener Sterblichen, die er vor gar nicht all zu langer Zeit noch als nichtig und schwach erachtet hatte, diese Gefühle in ihm weckte. Gwendolyn allerdings besaß als Mensch ihre ganz eigene Macht über ihn und seinen Körper; noch schien sie das nicht ganz begriffen zu haben und er war froh darüber, denn wenn sie dieses Wissen geschickt einzusetzen wüsste, hätte sie ihn früher oder später womöglich in ihren kleinen, zierlichen Händen gehalten - eine Sterbliche, die über einen Gott befehligte. Eigentlich unvorstellbar in seiner Welt, schlichtweg beängstigend und doch gar nicht mehr so abwegig, seitdem er Gwendolyn kannte… »Du scheinst Probleme wirklich zu lieben…kannst du eigentlich zufrieden sein, wenn dich gerade mal niemand hasst?« hörte er sie murmeln und musste verstohlen schmunzeln; ein eher wehmütiges Verziehen seiner Lippen, als er aus dem Fenster auf die schneebedeckten, vorbeiziehenden Tannen sah, die ihn an die winterlichen Wälder Asgards erinnerten. Loki hatte Schnee und Kälte schon immer gemocht und Thor in Kindertagen oft zu Spaziergängen im Winter genötigt, der im Gegensatz zu dem Magier den Sommer bevorzugt hatte. Daher war der Donnergott meist eher missmutig hinter ihm her durch den Schnee gestapft, in seinen Umhang gehüllt, während er mürrisch allerlei Verwünschungen in Richtung Lokis gemurmelt hatte. Allerdings hätte er seinen kleinen Bruder niemals allein gelassen, denn als Älterem oblag ihm stets die Pflicht, auf Loki acht zu geben. Und Thor hatte diese Bürde immer mit Eifer und liebevoller Bereitwilligkeit getragen… »Zufriedenheit liegt nicht in meiner Natur. Ich kann nicht stillstehen und hinnehmen, ich suche die Herausforderung in jeder neuen Situation. Ein geforderter Geist ist ein wacher Geist. Stillstand bedeutet aufgeben, denn Zufriedenheit ist die Illusion eines perfekten Lebens.« Eine Weile schwieg die Sterbliche nun; eine Weile, in der sie wortlos dem Verlauf der Straße folgten. Der Motor brummte tapfer unter ihnen, das Knirschen und Kratzen des Schnees am Unterboden des Wagens untermalte als einziges die Stille. »Wofür kämpfst du dann, wenn nicht für Zufriedenheit? Glaubst du wirklich nicht an ein gutes Leben? Ein Perfektes wird es vielleicht nicht geben, aber doch bestimmt ein Gutes…« Gwendolyn hatte das Fenster auf ihrer Seite ein wenig herabgedreht, sodass frische, kühle Luft in das Fahrerhaus strömte. Ihre Aufmerksamkeit war auf die Straße gerichtet, doch hin und wieder sah sie zu ihm, als müsste sie jede seiner Reaktionen einfangen. Der Hund neben ihm hatte sich auf seinem Platz gedreht und die Schnauze nun auf Lokis Schenkel gebettet. Sanft kraulte er das hübsche Tier hinter dem dunklen, weichen Ohr. »Ich glaube durchaus an ein gutes Leben. Wenn ich mich unauslöschlich in die Annalen der Zeit eingebrannt habe, wenn niemand meine Spuren mehr verwischen kann, wenn es glorreiches Zeugnis meiner Existenz gibt, dann war es ein gutes Leben.« Loki blickte mit leuchtenden Augen zu ihr hinüber; trotz ihrer Zweifel konnte sie sich der Inbrunst seiner Rede nicht entziehen, dem fesselndem Ehrgeiz in seinem Blick. »Mein Dasein muss unauslöschlich werden, selbst über Äonen hinweg, sodass niemand mehr leugnen kann, dass Loki gelebt hat. Eingegraben ins Gedächtnis der Welten will ich sein, auf das jeder meinen Namen kennt. Damit werde ich wahrlich unsterblich sein. Und vielleicht kann ich dann im letzten Atemzug am Ende meiner Tage Zufriedenheit verspüren.« schloss er mit leidenschaftlichen Worten; er spürte, dass sein Augen glühten und die Magie aufgewühlt gegen die Grenzen seines Körpers schlug, begehrlich darauf, gebraucht zu werden. Loki wusste, dass sein Streben nach Unsterblichkeit in einem eisigen, dunklen Moment in Jotunheim begonnen hatte; in diesem Augenblick, als ein Neugeborenes weinend unter klirrend kalten Winden und glitzernden Schneeflocken geborgen lag, die Existenz nur ein schwaches Beben in den Energien der Welten - das namenlose Kind hatte ausgestoßen dem Tod getrotzt, ihn mit kräftigen, lebensbejahenden Schreien verjagt und die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich gezogen, der an jenem Tag mehr als alles andere der Tod hätte sein können; ein Erlöser in Bergen von toten Riesen, Henker und Retter zugleich. »Dann lauf nicht weg…« wisperte Gwendolyn eindringlich und riss Loki damit aus seinen düsteren Gedanken, welche die schneebedeckte Umgebung Midgards in die eisigen Weiten Jotunheims verwandelt hatte; den kühlen Wind Kanadas in den frostigen Hauch des Schicksals. Er wurde sich ihrer Hand gewahr, die sich über Angels Fell zu seinen Fingern geschoben hatte und jene nun umgriff; ihre Fingerspitzen waren kühl. »Diesen Platz im Leben wirst du nicht finden, wenn du wegläufst. Stell dich deiner Vergangenheit und bau daraus deine Zukunft. Dein Platz ist in Asgard bei deiner Familie, Loki. Tu das Richtige und hilf ihnen. Die Möglichkeit auf das, was du suchst, ist jetzt da. Und das ganz ohne Unterdrückung, einen Eroberungsschlachtzug oder Wahnsinn, denk mal drüber nach…« Sie ließ seine Hand mit einem verhaltenen Schmunzeln los und Loki verkrampfte die Finger unter der fehlenden Geborgenheit zu einer Faust. »Du bist viel zu intelligent und begabt, als das du deine Möglichkeiten nicht erkennen würdest. Du bist ein wahnsinnig begabter Magier und ein toller Mann, Loki und ich weiß, in deinem Kern steckt noch viel Gutes. Ich habe es bereits gesehen. Du darfst es nur nicht verbergen, dann brauchst du keinen Krieg, keinen Thron, um dich unsterblich zu machen…« Loki sah verblüfft zu Gwendolyn hinüber, die unter den letzten Worten leicht ins Stocken geraten war und nun recht verlegen auf ihrer Unterlippe kaute. Ihre Finger hatten sich um das Lenkrad verspannt und sie starrte beharrlich aus der Frontscheibe; sie wirkte, als wären die letzten Sätze eigentlich nicht geplant gewesen… Ihre Worte hatten etwas in ihm angerührt, was sich nun scheußlich warm und beharrlich in seinem Leib ausbreitete; ein wohliges Gefühl, dass Freude recht ähnlich war und doch um einiges intensiver und schwerer. Gwen ließ ein schiefes Grinsen sehen. »Oh man…verdammt, ich rede schon wie du oder Thor…Asgard scheint allmählich abzufärben. Ich bin sonst nicht so der Typ für große Reden…vergiss bloß, was ich gesagt habe…« nuschelte sie peinlich berührt, bevor sie schon hektisch den Kopf schüttelte und beinahe panisch eine Hand in seine Richtung hob, um das Gesagte zu widerrufen. »Äh, nein…vergiss es nicht! Also zumindest nicht alles…ich glaube, da war einiges wichtiges dabei…ach scheiße…« stammelte sie und Loki hatte das Gefühl, dass sie sich gerade mühsam davon abhielt, die Stirn auf das Lenkrad zu schlagen. Ihre Wangen glühten in betörendem Rot und konnten doch dem faszinierenden Feuer ihrer Haare keine Konkurrenz bilden - oder dem eifrigen, leidenschaftlichen Schimmern ihrer Augen. Der Magier lachte gelöst und ließ den Kopf gegen die Lehne im Rücken sinken; Gwendolyns Gesellschaft war wirklich erfrischend und reizvoll, so gänzlich anders als die hoheitliche Beherrschung an Gladsheims Hof, so anders als alles, was er bisher kannte. »Ich werde das Nötige für mich sondieren…« zog er sie amüsiert auf und erntete ein unzufriedenes Schnauben. Die kleine Menschenfrau schien stets nur so von Emotionen und impulsiven Handlungen zu leuchten - ihre schillernde Aura in allen Regenbogenfarben ein treffendes Sinnbild ihrer lebhaften Art; sie überdachte ihre Worte meist nicht lange und bildete damit einmal mehr einen enormen Gegensatz zu Loki, der stets alles bis ins kleinste Detail erwägen und kontrollieren wollte. In ihrer Nähe war es so leicht, von angespannt auf gelöst zu wechseln, von zornig zu heiter; es war leicht, zu vergessen und die Zukunft erschien nicht mehr wie ein blinder, dunkler Fleck in der Ferne. Es wäre die richtige Entscheidung, sie bei sich zu behalten. »Loki…« begann sie dann in dem weichen, vorsichtigen Wispern einer anstehenden Frage. Flüchtig zuckte ihr Blick zu ihm. »Hm…?« teilte er seine Aufmerksamkeit in einem Brummen mit, nachdem er kurz in den eigenen Gedanken versunken war; er hatte wirklich ernsthaft über ihre Worte nachgedacht und sich gefragt, ob sie womöglich recht hatte. Er würde nicht leugnen, dass er eigentlich nicht vorgehabt hatte, nach Asgard zurückzukehren. Einmal frei, wollte er nicht riskieren, erneut in den Kerker zu wandern, wenn Odin ihn nicht mehr brauchen würde. Konnte er seine Vergangenheit einfach so hinter sich lassen? Sich frei machen von diesen Ketten, die ihn hielten; von seinen Vergehen, seinem Machthunger, seinen fehlgeleiteten Vorstellungen und schmerzhaften Kränkungen? Konnte er alles vergeben und vergessen, was einst gewesen war, um selbst irgendwann Vergebung zu erlangen? Konnte - und vor allem wollte - er die Mauern einreißen, die zwischen ihm und Thor oder dem Allvater standen, seine Verzweiflung und seine Wut zügeln? Sollte er seinen Stolz vergessen und vor ihnen in den Staub kriechen? »…an meinem ersten Tag in Asgard hat mich ein Lied in den Kerker zu dir gelockt.« Gwen hielt kurz unsicher inne, bevor sie zögerlich anfügte: »Du hast gesungen, nicht wahr? Was war das für ein Lied? Es war wunderschön…« Loki zog die Brauen nachdenklich zusammen und starrte einen Moment hinaus in den Schnee; die Sonne hatte sich wieder hinter dicken, gräulichen Wolken verborgen und vereinzelte Schneeflocken trafen auf die Frontscheibe des Pick-ups. Gwendolyn stellte die Scheibenwischer an, sodass jene das Sichtfeld des Magiers kreuzten und ihn sich räuspern ließen. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er wirklich gesungen hatte… Die letzten Tage in seiner Zelle waren ein grauer, undurchdringlicher Nebel in seinem Geist; verschwommene, bruchstückhafte Erinnerungen des herankriechenden Wahnsinns unter der Monotonie der Einsamkeit. Beim Gedanken an seinen zermarterten Verstand durchzuckte den Magier ein schmerzhafter Schauder - ein beklemmender Druck, welcher sich wie ein Stahlseil um seine Brust zog. So nah war er daran gewesen, alles zu verlieren…das Wichtigste zu verlieren, was er besaß…was ihn ausmachte… »Loki…?!« Gwens Stimme war leiser geworden, besorgter. Er bemerkte, dass er sich geistesabwesend die Brust rieb, um den unsichtbaren Schmerz zu vertreiben, während seine Augen ins Leere starrten; er ließ die Hand sinken und räusperte sich erneut, um ihr eine Antwort zu geben. »Es war das Lied einer bekannten Legende, verfasst in altem, asischem Wortlaut, der Sprache der Poesie und Ahnen...« begann er dann langsam; es konnte nur ein einziges Lied geben, was sie meinte. Diesen alten Text hatte er seinem Bruder oft genug vortragen müssen. Thor hatte es stets geliebt, wenn Loki sang; mit einem albernen Hauch von Wehmut dachte er an kindliche Tage zurück, als sein Bruder einmal mehr mit großen, erwartungsvollen Augen vor ihm gesessen hatte, um seiner Stimme zu lauschen. In diesen Momenten hatte der Magier Macht über den Donnergott gehabt; in diesen seltenen Augenblicken hatte Thor nur ihm gehört, da Loki der Einzige gewesen war, der seinem kulturfremden Bruder die Lyrik zumindest um ein Stück weit näher hatte bringen können. Loki vermisste diese Tage - ja, er vermisste sie wirklich. Diese Verbundenheit ohne Neid oder Zweifel, ohne Missgunst oder Kränkungen; allein mit Thor waren sie immer stets nur Brüder gewesen, gleichberechtigt, ebenbürtig und vertraut. Thor selbst hatte Loki nie abwertend behandelt, nur in Gesellschaft anderer war dem Magier der Unterschied zwischen dem Donnergott und ihm selbst so schmerzhaft aufgefallen. Man hatte ihm die Erkenntnis gewissermaßen aufgedrängt in den Worten und Blicken von anderen. »…das Märchen des „Sternenjägers“, einer Konstellation am Himmel über Asgard.« erklärte er ruhig, dann sah er zu Gwen hinüber. »Willst du sie hören?« Sie nickte sofort und fügte bekräftigend an: »Ja, bitte. Erzähl sie mir.« Die leuchtende Neugierde und Spannung in ihren Augen gefiel ihm ausnehmend gut. »Der Legende nach soll einst ein Ase gelebt haben, dessen Begeisterung und Verlangen im Anhäufen der seltensten und schönsten Dinge der Welt bestand. Er besaß die fantastischsten Geschöpfe in seiner Sammlung, die zauberhaftesten Edelsteine, die liebreizendsten Blumen und Gewächse. Doch sein Begehr war nie gestillt; er wollte immer mehr in seinen Besitz bringen. Er war besessen von dem Gedanken an echte Anmut und Liebreiz; besessen davon, die einzig wahre, perfekte Schönheit zu finden, um dadurch den Kern der Schöpfung zu erkennen und dem Ursprung allen Lebens näher zu kommen. Eines Tages traf er einen alten Wanderer und fragte ihn, ob er auf seinen Reisen denn etwas besonders Schönes erblickt hätte. Der Alte erkannte den Wahn des Asen und machte sich seinen Spaß mit ihm. Er erzählte dem Mann von den Sternendrachen - magischen, bezaubernden Wesen, die am Himmel lebten und mit deren Erscheinung sich nichts in allen neun Welten messen könnte.« Loki hatte sich wieder entspannt zurückgelehnt und ließ seine Worte wie verzauberte Perlen durch die Luft schweben, auf das sie in ihrem Reigen ein verlockendes Netz aus Mystik und Dichtung bildeten. »Der Ase war daraufhin regelrecht im Wahn; begierig darauf, diese Wesen zu finden, um nur eines seiner Sammlung hinzuzufügen. Er war so besessen von dieser Geschichte, dass er in die Welt auszog, um die Sternendrachen zu suchen. Darüber vergaß er völlig das Mädchen, welches tagtäglich an seine Tür klopfte, um ihm frische Waren aus dem Dorf seiner Heimat zu bringen. Er vergaß ihre schüchternen Blicke, sah nicht mehr ihr liebevolles Lächeln und ihre Fürsorge. Der Ase zog Jahre durch die Welt, ohne je einen dieser magischen Drachen zu finden, von denen der Wanderer doch gesprochen hatte - die Jahre gingen ins Land und machten ihn alt und müde. Eines Nachts rastete er an einer Klippe des Meeres und beobachtete die Wellen; erschöpft von seiner schier endlosen Reise gaukelte ihm der Spiegel des Wassers sein Ziel vor. Zwischen den Schaumkronen sah er die feengleichen, zauberhaften Drachen schwimmen; sie lockten ihn mit ihrer Anmut und ihren grazilen Körpern, auf dass er unter Tränen der Hoffnung sich kopfüber in die tosenden Fluten stützte, geradewegs durch die Spieglung der Sterne des Nachthimmels. Sein Körper zerschellte an den Klippen und die See zog ihn in ihre düstere, nasse Umarmung. Die Nachricht seines Todes erreichte auch seine Heimat, wo eine alte Frau noch immer auf seine Rückkehr wartete. Sie vergoss als Einzige einsame Tränen für den Mann, der nie wiederkehren würde. Damit rührte sie die Herzen der Nornen, welche das Schicksal des Asen beobachtet hatten und sie gewährten ihm eine Existenz am Himmel über Asgard, auf das er dort für immer und ewig seinen Sternendrachen hinterherjagen konnte…« Der Magier endete in einem leisen Raunen mit seiner Erzählung und öffnete die Augen wieder, die er offenbar unter der Erinnerung dieser Geschichte geschlossen hatte. Der Schnee fiel wieder dichter und hatte bereits einen weichen, weißen Teppich auf der Motorhaube des Pick-ups gebildet. »Das ist eine furchtbar traurige Geschichte…« wisperte Gwendolyn neben ihm; ihre belegte Stimme veranlasste Loki dazu, ihr seinen Blick zuzuwenden, welchem sie in diesem Moment begegnete. Berührt sahen ihre Augen zu ihm auf, bevor sie sich wieder der Straße zuwendete. »Die meisten Märchen enden weder in Frohsinn, noch in Glückseligkeit. Diese Bedingung habt ihr Sterblichen den Geschichten zugefügt, da ihr eine Schwäche für die immer guten Enden jeder Erzählung habt. Eure Hoffnung will nicht getrübt werden.« resümierte Loki trocken; er hatte den Glauben der Menschen in das Gute selbst am eigenen Leib erlebt. Er sah es jeden Tag an Gwendolyn; diese unbeugsame Zuversicht, dass man alles zu seinen Gunsten wenden konnte. Wenn sie diese Hoffnung nicht besessen hätte, wäre sie wahrscheinlich auch nicht mehr an seiner Seite. Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht; Gwendolyn lenkte den Wagen unter dem Knirschen des Schnees vor eine gedrungene, einsam stehende Waldhütte am Rande des Waldes, etwas abgelegen von der Straße und durch die Tannen gut vor neugierigen Blicken verborgen. Seichter Rauch kräuselte sich aus dem steinernen Schornstein, während der einladende Schein von Feuer durch die trüben Fenster drang. Um die hölzerne Hütte zog sich ein windschiefer Zaun, dahinter stand ein schwarzer Pick-up geparkt, welcher mit einer Plane vor den Witterungen geschützt wurde. »Da wären wir…« murmelte Gwendolyn leise und drehte den Zündschlüssel des Wagens, sodass der Motor verstummte. Die Scheinwerfer schnitten noch Schneisen durch den dichter fallenden Schnee, bevor auch diese sich verdunkelten. Die Sonne war lang schon wieder verschwunden und die Umgebung in graues, düsteres Dämmerlicht getaucht. Der Tag war bereits weit fortgeschritten. Hinter ihnen rollte der Van von S.H.I.E.L.D auf den freien Platz vor der Hütte und schaltete ebenfalls die Scheinwerfer ab. Ihre Anwesenheit wurde jedoch bereits bemerkt; ein Schatten erschien an einem der Fenster der Hütte, bevor jener hinter zitternden Vorhängen wieder verschwand. Gwendolyn wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab; sie wirkte nervös, als sie den Reißverschluss ihrer Jacke hochzog und die Schultern straffte. Dann öffnete sie ihre Tür und sprang hinaus in die Kälte. Den Hund schob sie sanft zurück, als dieser ihr schon folgen wollte. »Nein, Angel. Du bleibst hier. Pass auf das Auto auf.« Er ließ sich winselnd wieder auf die Sitzbank fallen. Loki folgte Gwendolyn gemächlich nach draußen, warf sich seine Lederjacke über und klappte die Aufschläge nach oben; selbst für sein Empfinden war es kühl geworden. Er schob die Hände in die Taschen und stapfte durch den Schnee um den Wagen herum, wo die Sterbliche recht unsicher auf die Hütte vor ihnen blickte. »Vielleicht ist es jetzt ein wenig spät, um es anzumerken, aber ich hab irgendwie Angst…« murmelte sie kaum hörbar, da ihr halbes Gesicht hinter dem Kragen ihrer Jacke verschwand. Der Magier wischte ihr ein paar wagemutige Schneeflocken von der Wange; sein Daumen verweilte einen Augenblick zu lange auf ihrer Haut, um nur einer beiläufigen Geste zu gleichen, bevor er raunte: »Bringen wir es einfach hinter uns.« Ein weiteres Stiefelpaar näherte sich knirschend durch den Schnee und ließ sie beide sich umdrehen; Andrew Preston war aus dem Van gestiegen und schloss nun zu ihnen auf. Er hatte die Hände ebenfalls tief in seinen Manteltaschen vergraben und die Schulter hochgezogen; dennoch wirkte er wachsam und Loki sah die Umrisse eines Waffenholsters unter dem dunklen Stoff. S.H.I.E.L.D ging definitiv keine Risiken ein und Andrew Preston offenbar schon gar nicht. Der Magier war sich bewusst, dass der Agent es durchaus begrüßen würde, ihn erschießen zu dürfen; einer unverhohlenen Provokation gleich musterte er die Erscheinung des menschlichen Mannes geringschätzig und konnte sich ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen. »Ich hoffe, die Kälte setzt Euch nicht zu sehr zu, Agent Preston?! Es wäre doch ein Jammer, wenn Ihr die Finger nicht flink genug um den Abzug Eurer Waffe krümmen könntet…« »Mach dir darüber mal keine Gedanken.« stieß der Agent bissig und unterkühlt aus und schob den Magier mit der Schulter achtlos beiseite, als er sich an ihm vorbei zu Gwendolyn drängelte. »Können wir?« Zu dritt näherten sie sich gemächlich der Hütte, deren Tür bereits aufgerissen wurde, bevor Gwendolyn überhaupt die Hand heben konnte, um zu klopfen. Scharfe Augen erfassten die drei äußerst argwöhnisch unter herabgezogenen Brauen, als der Bewohner des Hauses in der Tür erschien; sein Gesicht war von Falten gezeichnet, aber auch von gesunder Bräune und mit einem leichten Bart überzogen. Über seinen Lippen wölbte sich ein akkurater Schnurrbart. Er trug einen breitkrempigen Cowboyhut über den halblangen, grauen Haaren. Der Mann war sehnig und groß gewachsen, wirkte trotz seines Alters ausdauernd und kräftig. Er trug einfache, saubere Kleidung und dunkle Stiefel, an die sich eben ein wachsamer, brauner Jagdhund schmiegte. »Was wollt ihr hier?« kam der Mann ohne Umschweife zur Sache und spuckte missbilligend hinaus in den Schnee, bevor er sich eine brennende Zigarette wieder zwischen die Lippen steckte. Loki fiel die Schrotflinte auf, die griffbereit neben der Tür im Haus lehnte; der Alte folgte seinem Blick und schniefte geräuschvoll, bevor er dem Magier mit einem Arm die Sicht verbaute. Die Augen des Sterblichen waren äußerst klar und ziemlich aufmerksam. Andrew wollte sich vorschieben und seine Rede beginnen; eine Hand hatte er bereits in seine Manteltasche geschoben, um wahrscheinlich seinen S.H.I.E.L.D Ausweis als Trumpf zu zücken, doch Loki kam ihm zuvor. »Wir würden Sie gern über eine gewisse Nacht vor fünfundzwanzig Jahren befragen. Es geht um den Fund eines Neugeborenen…« begann der Magier sachlich und ebenfalls ohne Drumherum. Der Alte versteifte sich sofort und mahlte mit den Kiefern, woraufhin die glimmende Spitze seiner Zigarette aufgeregt vor seinem Gesicht hüpfte. Sein Blick wurde noch misstrauischer, fast gewarnt. »Seid ihr von der Regierung?« schnauzte er barsch und musterte die drei Gestalten vor seiner Haustür nun ziemlich feindselig. »Nein.« antwortete Loki seelenruhig, bevor der Agent Luft holen konnte. »Ich will trotzdem nicht mit euch reden.« stellte der Mann klar, spuckte erneut aus, bewusst vor die Füße von Andrew Preston, bevor er den drei Besuchern die Tür schon vor der Nase zuschlagen wollte. Loki rammte seine Stiefelspitze zwischen Holz und Rahmen und erntete daraufhin ein bedrohliches Knurren des Hundes. Der Alte griff sogleich nach seiner Schrotflinte; schneller, als der Magier erwartet hätte, blickte er in den Lauf des Gewehres. Der liebe Mason steckte offenbar voller Überraschungen. »Nimm deinen Fuß raus, Jüngelchen, sonst blas ich dir eine Ladung Schrott hinter die Stirn.« brummte der Mann, bevor er gemächlich an seiner Zigarette zog. Den Rauch blies er dem Gott provozierend ins Gesicht. Gwen schob sich plötzlich überraschend vor und zog die Aufmerksamkeit des alten Mannes damit auf sich. »Ich komme von unten aus der Stadt, Mason. Mein Name ist Gwendolyn Lewis. Ich bin das Mädchen von damals. Ich bin das Kind, dass vor fünfundzwanzig Jahren hier gefunden wurde…« offenbarte sie ohne zögern. Der Alte verengte die Augen kritisch, ließ die Schrotflinte aber ein wenig sinken. »Bitte. Ich muss erfahren, was damals passiert ist. Wenn Sie irgendetwas wissen, dann reden Sie mit uns…« sprach sie flehend und suchte eindringlich den Blick des Mannes. Der zog die Brauen nachdenklich zusammen und musterte Gwendolyn skeptisch, dann holte er tief Luft und zog das Gewehr gänzlich zurück. Obwohl er alles andere als erfreut wirkte, öffnete er die Tür doch für seine Besucher. »Kommt rein…« knurrte er mürrisch und trat zurück, um die drei einzulassen. Der große Hund schnüffelte wachsam und neugierig an ihnen, während sie eintraten. Die Hütte war recht überschaubar in ihrer Größe, aber gemütlich und warm; sie bestand aus einem riesigen Raum, von dem nur ein kleiner Badbereich und eine Schlafnische abgeteilt waren. Die Einrichtung war urig und rustikal, ohne viel Schnickschnack. Zweckmäßig. Behagliches Feuer prasselte im Kamin und hüllte die Hütte in sanften, orangen Schein. Alle drei traten näher an das Feuer, als der alte Mason zu seinem Küchentisch ging und die Schrotflinte dort ablegte; dann griff er sich ein Glas und eine Flasche mit einer goldenen Flüssigkeit von einer Anrichte. »Scotch?« fragte er knapp in die Runde, was ihm jedoch nur Kopfschütteln einbrachte. Der Alte zuckte gleichgültig mit den Schultern und goss sich selbst zwei Finger breit des Alkohols in sein Glas, während Gwen und Loki sich wartend umsahen. Andrew trat zum Sims des Kamins hinüber und inspizierte die dort aufgestellten Fotos und Urkunden. Mason beobachtete ihn wachsam, während er trank, dann deutete er mit der Hand wage auf den Agent. »Mir war klar, dass ihr irgendwann hier auftauchen würdet. S.H.I.E.L.D findet immer alles heraus...« meinte er sarkastisch. Loki zog verwundert eine Braue in die Höhe und sah den Agent an, der ebenso ratlos schien. Andrew entdeckte jedoch das Emblem der Organisation auf einer der Urkunden. »Sie waren mal Agent bei S.H.I.E.L.D?!« stellte er verblüfft fest. »Hrm, is lange her. Würds auch lieber vergessen.« knurrte der Alte verdrießlich und ließ sich gegen seinen Küchentisch sinken. Sein intelligenter Blick fokussierte sich flüchtig auf Loki. »Was machstn du eigentlich hier? Du bist nicht von der Erde, das kann ich förmlich riechen. Gehörst du zu dem Stamm dieses blonden Hammerschwingers, den S.H.I.E.L.D vor zwei Jahren auf New York losgelassen hat?« Wieder schniefte der Mann vernehmlich und nahm einen Schluck Scotch. »Deren Mitarbeiterauswahl war auch mal kritischer, heute kann da offenbar jeder Idiot mitmischen. Nen tiefgefrorener Kerl in Strumpfhosen, nen Typ in einer protzigen Rüstung…sogar eine billige Kopie von Conan…« Mason lachte in sich hinein und schien sich köstlich über seine Worte zu amüsieren, bevor er die Hand mit dem Glas hob und den Zeigefinger auf den Magier richtete. »Scheinst mir etwas intelligenter als der blonde Gott. Das macht dich fast schon sympathisch.« Während Loki die Lippen zu einem breiten Grinsen verzog und entschloss, dass er den Sterblichen durchaus mochte, starrten Gwen und Andrew den alten Mann völlig entgeistert an. »Was?!« fragte Mason belustigt. »Denkt ihr, ich Hinterwäldler bekomm nichts mehr mit? Habt ihr ne Ahnung…« murmelte er. »Das sind alles streng geheime Informationen, die sie vertraulich und absolut diskret-« hakte sich der Agent empört dazwischen. Der Alte unterbrach ihn mit einem gelangweilten Wedeln seiner Hand. »Jaja…die Richtlinien…die Protokolle…ich weiß. « Dann sah er Gwendolyn an, die unter seinem wachsamen Blick schluckte. »Ich hab dich damals gefunden, Mädchen. Unweit hier von meiner Hütte, hinten im Wald. Mir war klar, dass irgendwann jemand auftauchen und Fragen stellen würde. Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass du selbst kommst...« Gwen rang ihre Hände nervös und trat einen Schritt näher, nachdem sie Andrew und Loki ein wenig hilflos angesehen hatte. »Warum haben Sie das niemanden erzählt? Warum hat mir das niemand je erzählt?« verlangte sie verständnislos zu wissen. Mason hob bedeutsam eine Braue und steckte sich die Zigarette zwischen die Finger, bevor er erneut einen Schluck von seinem Scotch nahm. »Weil ich genau wusste, dass dann die Regierung auftauchen würde, um dumme Fragen und hier alles auf den Kopf zu stellen. Ich hab dich gefunden, Mädchen und mir war klar, dass die Wahrheit dich ein normales Leben kosten würde…« Die Hand mit dem brennenden Glimmstängel deutete vage und abwertend auf den Agent, der ebenfalls herangetreten war. »Ich kenn diesen Verein sehr genau und weiß, wie sie mit „Spezialfällen“ umgehen. Ich wollte dir dieses Schicksal ersparen, denn die Umstände deines Auftauchens waren alles andere als normal. Außerdem wollte ich meine Ruhe hier oben. Daher hab ich dem Chief gesagt, er soll die Klappe halten, dass ich dich gefunden habe, als ich dich runter in die Stadt brachte. Er sollte sich irgend ne Geschichte ausdenken. Selbst ihm hab ich nicht die Wahrheit gesagt.« »W-welche Umstände meinen Sie…? Was ist die Wahrheit?« fragte Gwendolyn jetzt völlig verunsichert nach, ihre Stimme war atemlos geworden; sie hatte die Hände verkrampft miteinander verknotet und wirkte blasser als zuvor. Loki trat an ihre Seite und berührte flüchtig mit seiner Schulter ihre verspannte Gestalt; sie sah ihn kurz an und rückte dann spürbar näher, um sich unbemerkt gegen ihn zu lehnen. Mason stellte sein Glas jetzt neben sich auf dem Tisch ab und drückte die Zigarette in einem bereits vollen Aschenbecher aus; er ließ sich Zeit damit, sodass sich das Schweigen unangenehm zwischen ihnen zog. Dann lehnte er sich wieder zurück und sah Gwen lange an, bevor er abermals Loki nachdenklich in Augenschein nahm. »Ich hörte an diesem Abend vor fünfundzwanzig Jahren ein Grollen über den Bergen. So, als würde ein Gewitter aufziehen. Dann erhellte plötzlich ein gleißendes Licht den Himmel und ließ die Erde beben, bevor es schlagartig wieder ruhig wurde. Ich war misstrauisch und natürlich auch neugierig, da hab ich mir meine Flinte geschnappt und bin mit dem alten Bob raus, um nachzusehen…« Der Mann tätschelte seinem Hund den Kopf, der sich brav und folgsam neben seinen Füßen gesetzt hatte. »Tja, ich fand, was ich nie erwartet hätte. Ein Kind. Mitten draußen im Wald. Ganz allein. Das war eigentlich schon sonderbar genug, aber noch eigenartiger war der Ort, wo ich dich auflas…« Mason machte eine kurze Pause, während er die Stirn angestrengt in Falten zog, als koste es Kraft, sich zu erinnern. Gwen wirkte wie erstarrt und lauschte still seinen Worten. Eigentlich war sie viel zu still für Lokis Geschmack… »Die Tannen dort waren niedergemäht, als hätte eine riesige Faust vom Himmel geschlagen und alle Bäume hinweggefegt. Und im Zentrum dieses seltsamen Phänomens lagst du…in so einer Art Kreis…hrm…« Der Alte zupfte nachdenklich an der Krempe seines Hutes, bevor er sich vom Tisch abstieß. »Ich hab nen Foto davon gemacht…« Mason trat zu einer niedrigen Anrichte hinüber und wühlte darin, während Gwen und Andrew sich ratlose Blicke zuwarfen. In Loki erwachte ein ziemlich ungutes Gefühl, eine Ahnung, als könnte er den Schein einer Kerze bereits sehen, ohne um die Ecke getreten zu sein, hinter der sie stand. Was der Alte dort erzählt hatte, ließ sämtliche Saiten des Vertrauten in ihm klingen - sein Instinkt verriet ihm die Wahrheit, von der sein Verstand noch nicht überzeugt war. Das konnte einfach nicht sein… Mason kam zu ihnen zurück, ein schon recht zerknittertes Foto in der Hand, welches er einen Augenblick noch gedankenversunken betrachtete; dann reichte er es an Loki weiter und nickte dem Magier zu. »Du wirst sicher was damit anzufangen wissen…« meinte er und wandte sich wieder ab, um sein inzwischen leeres Glas nachzufüllen. Loki hob das Foto und hielt es so, das zunächst weder Gwen noch Andrew einen Blick darauf werfen konnten. Zu sehen war ein Abschnitt des Waldes, in dem wirklich sämtliche Bäume durch eine scheinbar gewaltige Macht umgerissen worden waren; selbst die Wurzeln mancher Tannen ragten aus dem Erdboden. Im Zentrum dieses kreisförmigen Bereiches war etwas in die Erde des Waldes eingegraben; feine Linien, gezielt in ihrer Anordnung und mit äußerst bekannten Runen versehen… Der Magier legte den Kopf in den Nacken und stieß ein hohles, trockenes Lachen aus, während er die hölzerne Decke über sich anstarrte, als würde er den Blick eines bestimmten goldenen Augenpaares suchen. Das war einfach absurd…und doch irgendwie fast logisch. War er die ganze Zeit so blind gewesen? Hatte er das Offensichtliche nicht sehen wollen? Hatte er die Wahrheit einfach übersehen? »Loki…w-was ist…?! Was ist darauf zu sehen…?« wagte Gwen nun zaghaft zu fragen; verunsichert durch die seltsame Reaktion des Magiers. Der reichte ihr das Foto, worauf Andrew und sie nun gleichzeitig ihren Blick warfen. »Das kann nicht sein…« wisperte nun auch der Agent ungläubig, während Gwendolyn eher verwirrt zwischen den beiden umher sah. »Was?! Was sind das für Linien? W-was bedeutet das?« Ratlos starrte sie auf das Bild in ihren zittrigen Händen. Loki tippte mit dem Zeigefinger auf die Fotografie. »Das ist die Prägung des Bifröst.« erklärte er ihr sachlich, während sich das manische Grinsen kaum noch aus seinem Gesicht vertreiben ließ. Er sah die Sterbliche an, musterte sie intensiv und fragte sich augenblicklich, wie sterblich sie eigentlich wirklich war. Das warf all seine Theorien um; beleuchtete ihre Fähigkeiten in ganz anderem Licht. »Bi- was?« fragte Mason dazwischen und hob die Brauen irritiert an. »Der Bifröst. Die Brücke zwischen Asgard und Midgard.« erklärte der Magier dem Mann bereitwillig, bevor er begann, unruhig in der Hütte auf und ab zu schreiten. Immer wieder fuhr er sich mit einer Hand durch die langen Haare und starrte grinsend vor sich hin, während er sich gedankenversunken das Kinn rieb. Damit hätte er niemals gerechnet. Diese Offenbarung konnte alles von Grund auf ändern. Heimdall musste davon gewusst haben. Warum also hatte er nicht gesagt? »Ah, eine Weltenbrücke.« sinnierte Mason fast schon gelangweilt und hob sein volles Glas wieder zu Gwendolyn hin. »Tja, scheint, du bist nicht von dieser Welt, Mädchen. Jetzt vielleicht doch nen Scotch?« Der Agent deutete beschuldigend auf den Alten. »Sie hätten S.H.I.E.L.D davon Bericht erstatten müssen!« meinte er pflichtbewusst. Mason zog eine buschige Augenbraue in die Höhe. »Hätte ich das? Ist mir gar nicht bewusst, dass ich noch für euren Verein arbeite…« Andrew nahm Gwendolyn das Foto aus der Hand, als diese die Arme sinken ließ und bedenklich ruhig ins Leere starrte. Ihre Unterlippe zitterte unkontrolliert und sie blinzelte mehrmals. »Was…ich- ich verstehe nicht…was bedeutet das? Soll das…heißt das…ich…bin kein Mensch?!« presste sie die letzten Worte atemlos heraus, bevor sie kopfschüttelnd vor Andrew und Mason zurückwich. »Das heißt zuerst einmal, dass uns Heimdall eine Erklärung schuldet.« grollte Loki zum Dach der Hütte auf und hoffte, dass die Augen und das Gehör des Wächters nichts an Schärfe verloren hatten. »Wir haben die ganze Zeit am falschen Ort gesucht…dabei war des Rätsels Lösung wahrscheinlich direkt vor unserer Nase…« mutmaßte der Magier frustriert und schnaubte in resigniertem Spott. Gwen stolperte weitere Schritte zurück und schlang die Arme um sich; sie wirkte, als würde sie plötzlich frieren, obwohl es in der Hütte mehr als warm war. Sie war erschreckend bleich geworden. »Ich…ich versteh das alles nicht…wo komme ich her…was bin ich? B-bin ich…bin ich kein Mensch…« Ihre Pupillen waren geweitet und Angst schwamm darin. Loki trat zu ihr hinüber und ergriff sie sanft an den Schultern. Zögerlich hob sich ihr Blick zu ihm. »Du bist ein Mensch, Gwendolyn. Ich habe dich in Asgard untersucht. Erinnere dich. Ich hätte gesehen, wenn irgendetwas an dir nicht stimmen würde.« versuchte er ihr aufgewühltes Gemüt zu beruhigen. »Aber…aber…warum dann Asgard…wie kann das dann sein…« wisperte sie verwirrt. Sie sah ihn beinahe flehend an, doch zu diesem Zeitpunkt konnte er ihr auch keine zufriedenstellende Antwort darauf geben. Loki verstand das ja selbst nicht. Allerdings war ihre Suche auf Midgard damit wahrscheinlich zu Ende. »Ich weiß es nicht. Es scheint, als müssten wir nach Asgard zurückkehren, um die Antwort darauf zu finden.« »Ausgeschlossen!« mischte sich der Agent plötzlich ein, der neben ihnen aufgetaucht war. »Die Frau wird nicht nach Asgard zurückkehren. Sie wird hier bleiben in der Obhut von S.H.I.E.L.D. Jetzt erst recht!« Anklagend hob er das Foto ihres Fundortes hoch. »Mir muss entgangen sein, dass Ihr das plötzlich zu entscheiden habt, Mister Preston…« zischte Loki warnend, bevor er dem Agent ein eiskaltes Grinsen schenkte. Dieser Mann würde hier gewiss gar nichts entscheiden. »Ich…ich muss kurz an die frische Luft…« Gwen machte sich von Loki los und trat zur Tür, um diese fahrig aufzureißen. Der Wind wehte Schnee und Kälte herein. »Gwen, warte!« versuchte Andrew sie aufzuhalten, doch der Magier packte diesen am Arm, als er ihr folgen wollte. »Lass sie gehen…« raunte er befehlend. Der Agent machte sich von Loki los und fuhr aufgebracht zu ihm herum, als die Tür hinter Gwen zugefallen war. Ein erhobener Zeigefinger erschien drohend vor Lokis Augen. »Die Frau bleibt auf der Erde. So lautet Direktor Furys Weisung. Was du machst, ist mir egal. Von mir aus kannst du in den Tiefen des Universums verrotten, aber Gwendolyn Lewis fällt jetzt unter den Zuständigkeitsbereich-« »-von mir.« unterbrach Loki Andrew kalt und funkelte vernichtend auf den Mann herab. »Ihr Ursprung liegt offenbar in Asgard und daher habt ihr auf Midgard kein Recht, sie festzuhalten. Sie wird mit mir kommen.« »Fragt sich nur, ob sie das überhaupt will…« baute sich der Agent zornig vor dem Magier auf. »Hey, Jungs. Ich will keinen Stress in meiner Hütte, ist das klar!?« mischte sich nun Mason ebenfalls ein, der näher getreten war. »Geht und regelt das draußen…« Ein seltsames Rumpeln unterbrach die drei in ihren Reden; ein eigenartiges Schleifen wurde laut, als würde sich etwas Längliches über das Dach der Hütte ziehen. Das Holz ächzte unter dem ungewohnten Gewicht. Draußen war das gedämpfte Bellen von Angel zu vernehmen. Eine unheilvolle Woge traf den Magier, als die Energien umher aufgeregt zu wirbeln begannen; ein Aufruhr in den Mächten ließ ihn sich wachsam versteifen. Irgendetwas näherte sich da… Mason griff sofort nach seiner Schrotflinte, während der Hund an seiner Seite die Lefzen zurückzog und knurrte. »Was zur Hölle…« Er schob sich den Hut in den Nacken und sah in die Höhe. Ein Schrei von draußen durchbrach die Stille, dann folgten die Schüsse aus mehreren Pistolen. Die drei Männer sahen sich nur einen Augenblick an, dann stürmten sie zusammen zur Tür und rissen diese auf, um einen Wimpernschlag entgeistert auf die sich bietende Szenerie zu blicken. Der Schnee fiel wieder dichter und doch war gut zu erkennen, was sich draußen in der aufziehenden Dunkelheit abspielte. Der Van von S.H.I.E.L.D war von seltsamen Kreaturen umkreist, die sich rasend schnell durch den Schnee schlängelten und die Männer attackierten, die verzweifelt Schüsse auf die so plötzlich aufgetauchten Wesen abgaben. Die unbekannten Kreaturen waren fast mannshoch und bewegten sich aufrecht, der obere Teil ihres Körpers entfernt humanoid, wenn auch gänzlich von dunklen, glänzenden Schuppen überzogen. Ihre Gesichter waren schmal und spitz, die Augen lagen schräg über flachen, kaum vorhandenen Nasen. Der untere Teil ihrer Körper endete in einem schlangenähnlichen Schwanz, der sich aufgeregt durch den Schnee wandte und diesen in kleinen Wolken aufwirbelte. Eines der Wesen hatte bereits einen Agent gepackt und zog den verzweifelten Mann in den Wald; die Kreatur spreizte ihr Nackenschild ähnlich einer Kobra und zischte gereizt, als Andrew einen Schuss abfeuerte und das Wesen an der Schulter traf. Es wurde herumgewirbelt und ließ den Agent damit los, der hektisch durch den Schnee davon kroch. »Scheiße…was sind das denn für Dinger…?!« fluchte Mason aufgebracht und donnerte einer der Kreaturen eine Ladung Schrott in die Brust, als diese blitzschnell auf sie zugeschossen kam. »Jörmungandrs Brut…« murmelte der Magier unheilvoll. Andrew Preston lief zu dem Van hinüber und feuerte dabei gezielte Schüsse ab, welche die Wesen zischend zurückweichen ließen, bevor immer mehr aus dem Wald kamen und die Männer attackierten. Angel tobte wie ein Verrückter in dem Pick-up und bellte zornig gegen die Scheiben, als sich eines der Wesen auf die Motorhaube des Wagens hievte. Gwendolyn… Loki ließ die Magie fließen und wandelte seine Gestalt in einem flüchtigen Schimmern; seine vertraute Rüstung schmiegte sich um seinen Körper und kurz darauf schon verspürte der Gott die schwere Kühle des Zepters in seinen Fingern. Sofort schoss er einen gebündelten Blitz blauer Energie auf die Kreatur ab, die sich eben durch die Windschutzscheibe des Wagens schlagen wollte, um den wütenden Hund zu packen. Das Wesen wurde rauchend zurückgeschleudert und blieb im Schnee liegen. Der Magier pflügte sich eine Schneise mit Schüssen und Schlägen durch die zischelnden Kreaturen zu dem Van, wo Andrew und der Rest seiner Männer sich verbissen gegen die Wesen erwehrten. Einige der Agents waren bereits verschwunden; Schleifspuren zogen sich vom Wagen in den Wald hinein. Doch die Menschenfrau konnte der Gott nirgendwo erblicken. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus und ließ ihn noch wütender voranstapfen, seine Sorge verlieh ihm Macht. Loki donnerte einer der schlangenhaften Gestalten eine Ladung blauer Magie in den Rücken, woraufhin diese ein hohes Kreischen ausstieß; als wäre dies ein Befehl an alle gewesen, zogen sich die Kreaturen urplötzlich zurück. Schlängelnd ließen sie ihre schweren Körper zu Boden fallen und krochen durch den Schnee in den Schutz des Waldes davon. »Verdammter Mist…so etwas hab ich noch nie gesehen…« Mason kam zu ihnen und zog sich seinen Hut vom Kopf, während er vor einer der toten Kreaturen stehen blieb. Geschlitzte Pupillen starrten leer in den düsteren Himmel, während der Schnee das schlangenhafte Gesicht des Wesens fast sanft bedeckte. »Die Frau…wo ist die Frau?!« fuhr Loki einen der Agents an, welcher sich erschöpft an den Van gelehnt hatte. Der Mann weitete die Augen erschrocken, als der Gott ihn an den Aufschlägen seiner Jacke packte. »Wo ist Gwendolyn Lewis?!« »Ich…ich weiß nicht. Sie kam eben aus dem Haus und dann…dann tauchten diese Dinger auf. Ich hab sie aus den Augen verloren…« stammelte der Mann hilflos, während Andrew und Mason sich nun ebenfalls nach der Frau umsahen. Wütend stieß der Magier den Mann zurück und schritt zu dem Pick-up hinüber, um die Tür aufzureißen. Angel flog ihm förmlich entgegen und schmiegte sich winselnd gegen seine Beine, bevor er die Ohren spitzte und ungeduldig um Loki herumtänzelte. Dann senkte sich die Schnauze des Hundes; eine aufgewühlte Spur entfernte sich von dem Wagen, als wäre ein strampelnder Körper durch den Schnee davon geschleift worden… Loki ließ seine Sinne fliegen und erspürte die Verbindung, welche ihn mit Gwendolyn verband; ihre Präsenz war noch da - sie war am Leben, doch entfernte sich verdammt schnell. Das Band zwischen ihnen dehnte sich mühsam und Loki zog die Brauen angestrengt herab, als er versuchte, die Verbindung zu halten. Sie war zu weit weg… Der Schnee fiel geräuschlos und fast sanft auf sein dunkles Haar; ein erschreckend ruhiger Gegensatz zu dem Moment, als Lokis Zauber klirrend zerbrach - über die Entfernung hinweg konnte er den Spruch nicht mehr aufrecht erhalten, der Gwen vor Garms Spürsinn verbarg. Wie tausende Sternensplitter zerbarst die Magie und offenbarte die Frau damit wieder für jedermanns Blick. Unheilvoll glitten ihm die Reste seines Zaubers fast höhnisch glänzend durch die imaginären Hände, welche verkrampft versuchten, die Verknüpfungen aufrecht zu erhalten. Der Magier riss die Augen auf, während ein sanfter, grüner Hauch seinen Lippen entfloh. »Verdammt…« Kapitel 21: Garm ---------------- Jeder kannte sie - diese Tage, an denen man besser im Bett geblieben wäre. Jene Tage, die einfach nur so furchtbar schief liefen, dass man sich am Ende fragen musste, ob man eigentlich irgendwann einmal etwas getan hatte, um die Arschkarte des Schicksals zu verdienen… Gwen ahnte, dass dies heute so ein Tag für sie war, als sie die schweren Lider verkrampft anhob und durch milchige Schlieren in ihre Umgebung blinzelte, in der sie rein gar nichts erkennen konnte außer verschwommene Schemen und den fernen Schein von Feuer. Die Luft war stickig und unangenehm warm. Sie hätte heute früh wirklich mit Loki im Bett bleiben und definitiv mit ihm schlafen sollen, später irgendeine hirnlose Sitcom im Fernsehen gucken und dabei eine riesige Ladung Eis in sich stopfen können, nachdem der Magier sie wahrscheinlich am Abend sang- und klanglos verlassen hätte, um sich aus dem Staub zu machen. Zumindest hätte sie dann noch einmal Sex gehabt. Vor allem mit Loki, was einen großen Pluspunkt der Überlegung ausmachte. Und sie hätte niemals diesen Mist über sich erfahren. Oh - und ganz wichtig, sie wäre jetzt wahrscheinlich nicht in der Gewalt von fremdartigen Kreaturen, die definitiv nicht von dieser Welt waren. Es gab also Unmengen an Möglichkeiten, die sie an diesem Tag lieber genutzt und Dinge, die sie lieber getan hätte. Das Problem war - die Zeit konnte man nicht zurückdrehen. Falsche Entscheidungen blieben genau das, was sie waren - falsche Entscheidungen. Da half auch kein Bedauern. Was war eigentlich nochmal passiert…? Ihr Kopf fühlte sich so seltsam schwer an und hing kraftlos auf ihren Schultern; ihr Hirn schien aus einer zähen, trudelnden Masse zu bestehen, in der ihre Gedanken unsortiert und wahllos durch klebrige Fäden wanderten. Gwen erinnerte sich noch daran, dass sie Masons Hütte verlassen hatte, um frische Luft zu schnappen und den Kopf frei zu bekommen, da diese neue Eröffnung in Bezug auf ihre Herkunft sie ziemlich irritiert, geradezu entsetzt hatte. Asgard… Nie im Leben hätte sie damit gerechnet. Niemals daran gedacht, es auch nur in Betracht gezogen, dass sie womöglich gar nicht von der Erde kam… War sie wirklich ein Mensch, wie Loki noch behauptet hatte? Und wenn er sich irrte…was war sie dann? Woher kam sie wirklich? Wer hatte sie offenbar so dringend loswerden wollen, dass man sie kurz nach der Geburt sofort einsam und allein auf der Erde ausgesetzt hatte? Sie schob diese schmerzenden Gedanken von sich und versuchte sich wieder auf das Geschehene zu konzentrieren; sie war also hinaus in den Schnee getreten und hatte eigentlich nur zu Angel gehen wollen, als ein seltsames Geräusch sie aufmerksam gemacht hatte. Kurz darauf waren schon diese schlangenartigen Wesen urplötzlich aus dem Wald erschienen und hatten Gwen und die verbliebenen S.H.I.E.L.D Agents angegriffen; sie hatte noch versucht sich in den Pick-up zu retten, war jedoch zu langsam gewesen. Eine der Kreaturen hatte sie erwischt und in den Wald davongezerrt. Nun wusste sie weder, wo sie war, noch was die Wesen vorhatten, die Gwen jetzt in einiger Entfernung recht undeutlich ausmachen konnte. Neben sich hörte sie ein leises Stöhnen; unter größter Anstrengung wandte sie den Kopf und erblickte einen der Agents, der ebenso betäubt neben ihr an der Wand lehnte. Weitere Männer und Frauen konnte Gwen in einiger Entfernung erkennen, die wie leblose Marionetten auf dem Boden saßen; einige waren scheinbar bewusstlos, andere kämpften wie sie deutlich mit den Wirkungen ihres benebelten Geistes. Diese Kreaturen mussten ihnen irgendetwas gegeben haben, denn eine sichtbare Fesselung konnte Gwen bei keinem von ihnen entdecken; die Wesen mussten sich also sicher sein, dass sie nicht fliehen würden.  Ihre eigenen Hände lagen schwer und nutzlos in ihrem Schoß. Der Schein von Feuer drang noch immer zu ihren müden Augen heran; die Kreaturen hatten sich darum gescharrt und unterhielten sich offenbar, denn die zischelnden, hellen Laute ihrer Sprache erfüllten den dunklen, stickigen Raum. Es war unnatürlich warm, fast heiß und Gwen schluckte mehrmals, um Speichel in ihrer ausgetrockneten Mundhöhle zu produzieren. Das Atmen fiel schwer; der Mangel an Sauerstoff war dem flauen Gefühl in ihrem Magen und dem wattigen Empfinden in ihrem Kopf nicht sonderlich zuträglich. Kraftlos rutschte Gwen an der Wand hinab und fiel hart auf die Seite; ihre Hand schleifte verzweifelt über den staubigen Stein des Bodens, während sie versuchte sich zu orientieren und ihren Gliedern die Weisung zum bewegen zu geben. Doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen, sondern lag in dem Griff einer schleichenden Lähmung. Sie blinzelte hektisch, um ihre Sicht zu klären und erkannte unweit von sich ein paar alte Fässer und gestapelte Holzkisten, auf denen Plaketten bekannter Alkoholhersteller prangten. Ein paar Meter weiter zogen sich Regal an den steinigen Wänden nach oben, gefüllt mit Vorratsdosen, Flaschen und eingeschweißten Lebensmitteln. Wo zum Teufel waren sie? Eigentlich war das auch unwichtig. Sie musste hier raus. Tränen der Niedergeschlagenheit und Anstrengung lösten sich aus ihren Augen und tropften heiß über ihre Wangen, gemischt mit ihrem Schweiß, der von den wenig erfolglosen Bemühungen herrührte, ihre nutzlosen Beine zu bewegen; ein verhaltenes Ächzen musste ihr entkommen sein, denn eine der Kreaturen wandte den Kopf und spreizte ihr Nackenschild erregt, als sie Gwens hoffnungslose Versuche zu fliehen bemerkte. Beinahe entspannt schlängelte das Wesen zu ihr herüber und nun im Schein des Feuers konnte Gwen das Gesicht der Kreatur erst richtig erkennen, da es im Wald zuvor einfach zu düster gewesen war. Entgegen ihrer Befürchtungen war das Wesen nicht abstoßend oder entstellt; es erinnerte entfernt an einen Menschen, wenngleich auch seine hageren, markanten Züge von komplizierten Mustern aus schimmernden Schuppen überzogen waren. Die Nase war flach und kaum vorhanden; das Einzige, was dem Gesamtbild eine etwas groteske Note verlieh. Die rötlichen Augen der Kreatur lagen leicht schräg im Schädel und besaßen geschlitzte Pupillen, wie man es von einer Schlange kannte; ihnen wohnte etwas unheimlich Hypnotisierendes und Fesselndes inne. Trotz ihrer Andersartigkeit haftete den Kreaturen eine seltsame, grazile Schönheit in den schlanken Gliedern und den kräftigen Schuppenschwänzen an, in denen ihre Körper endeten - Gwen erinnerten sie ein bisschen an die Naga der indischen Mythologie. Gemächlich ließ sich das Wesen neben ihr nieder und beäugte sie mit neugierig schräggelegtem Kopf, bevor die klauenartigen Finger beinahe liebevoll über ihre heiße Stirn strichen und ihr die wirren Haare aus dem Gesicht führten. »Du sssschon aufgewacht?« zischelte die Kreatur leise und Gwen meinte durch den tieferen Bariton ein männliches Wesen zu erkennen; die menschliche Sprache schien ihm Mühe zu bereiten, denn seine gespaltene Zunge stolperte über die ungewohnten Silben. »Du hübsssch. Haar wie Feuer…« »Bitte…« flüsterte Gwen erstickt, da das Kitzeln im Hals durch die Hitze furchtbar unangenehm war. »Was…habt ihr vor…was wollt ihr von uns?!« krächzte sie rau. »Wer…seid ihr…?« Noch immer versuchte sie entgegen ihrer Möglichkeiten von dem Wesen fortzukriechen, obwohl ihr Körper sich weiterhin widersetzte. Nutzlos kratzen ihre Nägel über den Boden. Alles um sie herum drehte sich; selbst das Gesicht des Wesens schien sich in einem Wirbel zu verzerren, als dieses gespannt auf sie herabblinzelte. Gwen fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, während ihr träges Hirn noch zuzuordnen suchte, wo oben oder unten war. Der gesamte Raum schien keinen bekannten physikalischen Gesetzen mehr zu unterliegen. Gwen wollte einfach nur weg - für einen aberwitzig kurzen Moment kam ihr sogar der abstruse Gedanke, dass der Tod womöglich eine Erleichterung darstellen könnte. Erschöpfung übermannte sie und ließ die Hoffnungslosigkeit herein; ihr Herz wurde förmlich davon überschwemmt und drohte sie in einen dunklen, tiefen Sumpf zu reißen. Ihr Leben war zum reinsten Chaos geworden, der sich um sie drehende Raum zum Sinnbild ihrer eigenen Existenz - Gwen selbst wusste im Moment auch nicht mehr, wo oben oder unten war, woran sie noch glauben sollte und woran nicht. Sie fühlte sich losgelöst von ihren Wurzeln; abgetrennt von diesem Leben, was sie all die Jahre als das ihre erachtet hatte. Wer war sie? Wo gehörte sie hin? Am Rande ihrer vernebelten Gedanken dämmerte ihr, dass eine Substanz dieser Wesen durch ihre Blutbahn kreisen musste und ihre trübsinnigen Überlegungen begünstigte; durch den Schleier ihrer Tränen und das begrenzte Sichtfeld ihrer Augen erblickte sie zwei kreisrunde, rote Male an ihrem Handgelenk, nachdem sie dieses angestrengt vor ihre Nase gezogen hatte. »Was…ist das?!« flüsterte sie verwirrt. Das Wesen umfasste eben jenes Handgelenk nun mit seinen Klauen und hob es zu seinem Mund. »Gleich bessssssser…« säuselte es und zog die Lippen zurück, um zwei dolchartige Fangzähne in den Reihen seiner spitzen Zähne zu entblößen; Gwen riss die Augen auf und versuchte hektisch den Kopf zu schütteln, was allerdings wohl mehr in einem Zittern verkam. Kraftlos zog sie an ihrem Arm, um diesen dem Griff der Kreatur zu entreißen; eine lächerlich schwache Geste, die das Wesen kaum Anstrengung kostete. »Bitte…b-bitte…nicht…« stammelte Gwen verzweifelt, doch die Kreatur schlug ihre Zähne schon in ihr Handgelenk. Ein scharfer Schmerz durchzog ihre Haut, bevor eine betäubende Schwere in ihren Venen folgte, die sich langsam von ihrer Hand ihren Arm hinauf kämpfte. »Nein…« Gwen wimmerte ängstlich; die verlockende Dunkelheit einer Betäubung kletterte über ihre Schulter und kroch ihren Hals hinauf. Vergiftet…sie war vergiftet und völlig hilflos… »Sssschlaf…« säuselte das Wesen und drückte ihr den Zeigefinger auf die Stirn, um sie mühelos zurück auf den Boden zu zwingen. »Isssst noch nicht sssssoweit.« Dann ließ es ihre Hand los und richtete sich wieder auf, um sich zu seinen Artgenossen zu gesellen, die noch immer um das Feuer versammelt waren. Mit aller Kraft versuchte sich Gwen gegen die herannahende Finsternis zu wehren; schlimmer als entführt zu werden war nur die Tatsache, diesen Wesen vollkommen wehrlos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Sie wollte nicht schlafen. Sie durfte nicht einschlafen! Verbissen hielt sie die schweren Augen auf, aus denen glasklare, heiße Tränen perlten; ihr gesamter Körper erschlaffte bereits wieder ohne ihren Willen und sank auf den kühlen Steinboden herab. Nicht einmal ihre Finger konnte Gwen nun noch bewegen, die still und blass vor ihrem Gesicht ruhten; nicht mal das Krümmen eines Knöchels gelang ihr mehr. Zum Schluss erreichte das Gift des Wesens ihr Hirn und schaltete ihre wachen und aktiven Gedanken ab; ihre Lider flatterten herunter und ihre Lippen verließ ein schmerzlicher Seufzer, ein letztes Wort, bevor sie in die warmen Arme eines allumfassenden Schlafes sank und ihr Verstand in traumlose Weiten abdriftete. »Loki…« hauchte Gwen ihre Hoffnung in verzweifelter Sehnsucht wie ein Leuchtsignal in die Dunkelheit, auf das es hoch und weit genug steigen würde, um den Magier zu erreichen, dem ihr letzter, innigster Gedanke galt. Der Prinz war alles, was ihr nun noch blieb. Ob er kommen würde, um sie zu retten? Ob er sie überhaupt finden konnte? Seine grünen Augen begleiteten sie in die Dunkelheit ihrer Betäubung… Loki sprintete dem Hund hastig durch den Wald hinterher; er sprang wie Angel über vom Schnee bedeckte Wurzeln und hohle Baumstämme, während sein Atem in der eisigen Luft vor seinen Lippen kondensierte und seinem raschen Lebenshauch eine Form gab. Donnernd hämmerte das Herz in seiner Brust, als er sich um den rissigen Stamm einer Tanne schwang und deren tief hängenden, schweren Zweigen auswich, von denen hinter ihm der Schnee platschte. Angel war oft nur eine dunkle Silhouette in der schneeweißen Umgebung; im fortschreitenden Dämmerlicht des Tages nichts anderes als ein weiterer grauer Punkt in einer überfroren Landschaft. Der Magier sah mehr die schillernde, orange Aura des Hundes, als das er dessen Gestalt im dichten Schneetreiben ausgemacht hätte. Die Flocken schlugen ihm wie scharfe Nadelstiche entgegen; obwohl ihm die Kälte nicht viel ausmachte, so spürte er sie doch auf seiner asischen Haut. Seine Hände waren bereits rau und kühl, das Leder seiner Rüstung klamm unter der Nässe und den eisigen Winden. Doch Verbissenheit und ein eisenharter Wille trieben den Magier unerbittlich weiter; um seine Stiefel stob der Schnee bei jedem stampfenden Schritt auf und Loki hob flüchtig eine Hand, um sich das feuchte Haar aus dem Sichtfeld zu wischen. Er machte einen Satz über einen verschneiten Graben und landete auf der anderen Seite mit einem leisen Ächzen in der Hocke; seine grünen Augen suchten die Umgebung nach der Aura Angels ab, während der Schnee um ihm leise und fast sanft wieder herabsank, nachdem dieser unter dem Aufprall seiner schweren Stiefel in die Höhe gewirbelt wurden war. Die weiße Pracht umgab den Magier wie ein zauberhafter Kokon; Eis war sein Verbündeter und er nutzte die fallenden Flocken, um jene in einem magischen Strudel um sich zu formieren, sodass seine Gestalt und seine Aura vor ungebetenen Augen abgeschirmt wurde. Angel drückte in einiger Entfernung die Schnauze in den Schnee und stieß dann ein fast triumphales Heulen aus, als er die Fährte der Sterblichen offenbar wieder aufgenommen hatte. Der Magier musste dem Schicksal wirklich für die Anwesenheit des Hundes danken, denn wegen des dichten Schneefalles waren die verwischten Spuren auf dem Waldboden längst verschwunden. Er hätte sich zwar auf seine magischen Sinne verlassen können, doch die feine Nase eines Hundes konnten jene nicht ersetzen. Gwendolyn… Loki musste sie finden. Jede Minute, die sie außerhalb seiner Reichweite verweilte, war eine äußerst riskante Minute - Garm konnte ihre Fährte nun uneingeschränkt wieder aufnehmen und würde sie mit Gewissheit finden, wenn der Magier sie nicht vor dem Helhund aufspürte. Außerdem wollte er sich gar nicht so genau ausmalen, was Jörmungandrs Kinder mit ihr wohl anstellen würden. Jeder kannte die Legenden über die Brut der Midgardschlange; diese Geschichten wurden asischen Kindern genauso gern erzählt wie jene über die Eisriesen, die einen holen kamen, wenn man nicht schlafen wollte. Loki war für die Sterbliche verantwortlich. Er hatte ihr versprochen, dass er sie beschützen würde. Er hatte versagt… Mit einem heißeren Knurren ruckte sein Kopf herum und er entdeckte die S.H.I.E.L.D Agents, die ihm in einigem Abstand mühsam zu folgen versuchten; Andrew Preston an der Spitze, die Waffe gezogen flatterte sein Mantel hinter ihm im Wind wie die dunklen Flügel eines Raben. Der Sterbliche war genauso verbissen wie Loki und ließ sich nicht abschütteln; der Magier empfand fast so etwas wie Respekt, dass der Mensch es schaffte, mit seinem Tempo Schritt zu halten. Einen winzigen Augenblick gewährte er den Männern, um zumindest ein wenig zu dem Gott aufschließen zu können, dann drückte er sich in die Höhe und hastete durch die dichten Baumreihen weiter - Angel hinterher, der bereits mit großen Sätzen durch das Unterholz sprintete und der Fährte folgte. Es war mehr als die bloße Verantwortung für die Menschenfrau, die ihn antrieb, dass erkannte Loki nun ohne Mühe; zwischen ihnen bestand inzwischen eine tiefere Verbindung, die der Magier gern behüten wollte. Er machte sich ernsthaft Sorgen um Gwen, nicht nur um seine missglückte Mission, die Sterbliche in Sicherheit zu hüllen. Seine Hände ballten sich unbewusst zu Fäusten. Er würde sie finden. Er würde nicht versagen; weder vor dem Allvater, noch vor der Menschenfrau und schon gar nicht vor sich selbst. Er würde nicht scheitern, weil er nicht scheitern durfte. Er wollte Gwendolyn nicht missen. Loki konnte sie einfach nicht verlieren, da sie zum ersten Mal in seinem Leben etwas darstellte, was nur für ihn da war; sie war zu besonders, als das er auf ihre Nähe verzichtet hätte. Angel stoppte in einiger Entfernung an einer steil abfallenden Böschung und blickte zu dem Magier zurück, als wolle er sich versichern, dass dieser noch immer folgte. Loki schloss rasch zu dem Hund auf und bremste seinen Lauf am mächtigen Stamm einer alten Kiefer, deren tiefhängende, schneebedeckte Äste sie vor Blicken hier oben beschützten. Der Hang fiel vor ihnen zur Straße hin ab, die der Magier als jene erkannte, die er vor gar nicht allzu langer Zeit erst mit Gwendolyn genommen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein flaches Gebäude im Schnee, vor dem einige Lastwagen, Autos und Motorräder geparkt waren; auch dieses identifizierte Loki als jenes aus seiner Erinnerung. Nur waren die Menschen davor jetzt verschwunden und das einzige Leben stellten die blinkenden Reklametafeln dar, die für „Bed&Breakfast“ warben. Die Fahrzeuge wirkten teils recht lädiert; einige Motorhauben waren eingedrückt, Windschutzscheiben und Planen der Lastwagen von Schüssen durchsiebt. Die momentane Ruhe entsprang offensichtlich also keiner natürlichen Ursache. Er hätte gleich darauf kommen können. Loki rieb sich mit einem schweren, ärgerlichen Seufzen über die tief gefurchte Stirn, während sich Angel an sein Bein schmiegte. Hinter ihnen wurden weitere Schritte laut, als die Agents keuchend bei ihnen ankamen. Andrew Preston lehnte sich neben Loki an den Stamm des Baumes und ließ den Kopf zurücksinken, um einen Augenblick zu verschnaufen, bevor er das Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenfalls in Augenschein nahm. Schnee hatte sich auf dem dunklen Stoff seines Mantels niedergelegt, klebte ihm auch in den braunen Haaren, doch schien der Mensch ebenso wenig empfänglich für die Kälte zu sein wie Loki; zumindest ließ er sich körperliches Unwohlsein nicht anmerken. »Sind sie da drin?« Der Agent deutete mit der Mündung seiner Waffe auf den Flachbau, während er sich selbst im Schatten der Kiefer verborgen hielt. Seine blauen Augen waren wachsam, allerdings auch äußerst argwöhnisch über die momentane Entwicklung; sein Unbehagen Loki gegenüber war dem Mann deutlich anzusehen, doch verfolgten sie beide das gleiche Ziel - das schien dem Sterbliche einmal mehr wenig zu schmecken. Auch die restlichen Agents behielten den Magier unablässig im Blick, obwohl er in diesem Fall nicht der Feind war; allerdings schienen die Menschen oft nach dem Sprichwort „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ zu leben. Sie würden ihm niemals trauen - und wahrscheinlich taten sie ganz gut daran. »Offensichtlich…« gab der Magier knapp zurück und ging neben Angel in die Hocke, um bessere Sicht auf das Gebäude zu haben. Die Fenster waren dunkel und nichts schien sich im Inneren zu regen. »Es wäre nur logisch.« »Logisch?« Andrew hob eine Braue. »Inwiefern?« Er gab ein paar seiner verbliebenen Männer knappe Handzeichen, damit diese sich verteilen sollten, um sich dem Flachbau von mehreren Seiten nähern zu können. Die Agents verschwanden durch den knirschenden Schnee langsam den Abhang hinab. »Sie müssen sich aufwärmen, wie Schlangen das eben tun…« raunte Loki leise und strich dem Hund neben sich beruhigend durch das dichte Fell, da das Tier angespannt zitterte und in der Kehle grollte. Die Fährte war noch frisch und Angel musste die Angreifer über die Entfernung deutlich wittern. »Die Kinder der Midgardschlange sind exotherm wie alle Reptilien. In dieser Kälte zu jagen hat sie sicher ziemlich viel Kraft gekostet. Sie werden sich mit ihrer Beute zurückgezogen haben, um ihre Energiereserven aufzutanken, was ziemliches Glück für uns ist, da es uns Zeit verschafft.« Der Magier erhob sich wieder und sah die Straße hinauf und hinab; um eine der unteren Biegungen verschwand gerade ein langsamer Wagen, dessen Scheinwerfer wie bleiche Geisterfinger durch das Dämmerlicht des Tages glitten, bevor es wieder vollkommen ruhig wurde bis auf das Säuseln des Windes und das Rauschen in den oberen Baumwipfeln. Loki wollte sich eben daranmachen, den Abhang hinabzustürmen, als Andrew ihn am Arm zurückhielt. Der Magier riss den Kopf herum und funkelte den Agent aufgebracht an, der seinen Arm jedoch nicht losließ. Entschieden begegnete dessen Blick dem des Gottes. »Wir können nicht einfach so dort reinstürmen. Wir wissen nicht, wie viele von den Dingern noch da drinnen sind und wir sind gerade mal eine Handvoll Männer. Wir brauchen Unterstützung.« sprach Andrew eindringlich und Loki bemerkte das Mobiltelefon in seiner Hand. Er machte sich aus Andrews Griff los und sah geringschätzig auf den Sterblichen hinab. »Ihr könnt ja gern hier auf Eure Unterstützung warten. Ich für meinen Teil werde jetzt Gwendolyn Lewis retten.« zischte er tödlich entschlossen. Der Agent fuhr den Magier aufgebracht an. »Du unterliegst jetzt meiner Befehlsgewalt-« Loki unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung und beugte sich drohend näher zu dem Mann, der allerdings nicht zurückwich, sondern das Kinn eigenwillig reckte. »Falsch, Mister Preston. Ich unterstehe nur mir selbst. Und wenn Euch etwas an Euren Männern liegen sollte, dann sage ich Euch, dass wir jetzt dort hineingehen, bevor es zu spät ist…« raunte der Magier unheilvoll. Die blauen Augen des Agents zogen sich argwöhnisch zusammen, dann schweifte sein Blick hinüber zu dem flachen Gebäude. »Was willst du damit andeuten…?« hinterfragte er vorsichtig. Loki holte tief Luft und rollte die Augen nach oben über das Unverständnis der Menschen; deren beschränktes Wissen war manches Mal recht nervenaufreibend. Vor allem in dieser Situation, wo sie mehr als alles andere keine Zeit verschwenden durften. »Habt Ihr Euch nicht gefragt, warum die Wesen recht entfernt an Mensch erinnern? Jörmungandr zeugt ihre Nachkommen nicht auf natürlichem Wege. Ihre Brut nutzt die Risse zwischen den Welten, um sich neue Nahrung für ihren Fortbestand zu sichern. Darum haben sie Eure Männer auch nicht getötet, sondern nur entführt. Die Stärksten und Kräftigsten werden ausgewählt, um mit den Kriegern und Kriegerinnen dieser Rasse Jörmungandrs Nachkommen zu zeugen. Dafür benötigt es allerdings ein Ritual, in welchem die Auserwählten das Gift der Midgardschlange injiziert bekommen. Wer das überlebt, besitzt die zweifelhafte Ehre als Samenspender oder Brutkasten herzuhalten. Wer nicht, nun, fressen müssen sie auch. Sicher ist nur, dass man sehr selten je wieder etwas von jenen gehört oder gesehen hat, die von Jörmungandrs Brut entführt wurden…« grollte er unwirsch. Der Agent war sichtlich erbleicht und Loki konnte es hinter seiner Stirn förmlich angestrengt arbeiten sehen. Dann schluckte er und hob die Hand zu seinem Headset. »Wir werden jetzt zugreifen. Keine Zeit, um auf Verstärkung zu warten.« wies er befehlend in die Apparatur an und kurz darauf lösten sich die Agents aus dem Schutz der Bäume und liefen geduckt über die Straße zu dem Gebäude hinüber. Die restlich verbliebenen Männer hasteten jetzt mit Loki und Andrew den Hang hinab und überquerten rasch die Straße. Angel blieb beharrlich an der Seite des Magiers und sprintete wie ein weißer Schatten nahe bei ihm durch den Schnee. Neben der Eingangstür des Gebäudes drückten sich der Magier und Andrew gegen die Wand; der Agent mit der Waffe im Anschlag, während Loki das Zepter des Tesserakts durch ein Wirbeln der Magie in seinen Fingern erscheinen ließ. Mit einem Ruck entfaltete sich die Waffe zum Speer. Ein knackendes Rauschen ertönte, bevor eine leicht verzerrte Stimme aus Andrews Headset verkündete: »Die Rückseite ist sicher, Sir. Drinnen sind auch keine Aktivitäten zu vermelden. Scheint alles ruhig und verlassen zu sein.« »Roger. Wir gehen jetzt rein.« meldete der Agent zurück, bevor er Loki knapp zunickte und seine Waffe durchlud. Der Magier stieß die Eingangstür mit der Schulter aus den Angeln, sodass diese im hohen Bogen in den Innenraum flog und krachend dort im Halbdunkel liegen blieb. Ohne Zögern trat Loki mit Angel an seiner Seite in das Gebäude ein, gefolgt von Andrew und zwei weiteren Männern, die ihre Waffen hektisch auf jede Ecke richteten. Das allerdings war völlig unnütz, da sich der Raum vor ihnen verlassen und still öffnete. Tische und Stühle lagen umgekippt, als wären die Menschen hier rasend schnell aufgebrochen oder vor etwas geflohen; zerbrochene Gläser und Teller waren auf dem Boden verteilt, hier und da tropfte leise Flüssigkeit von der hölzernen Theke, hinter der die Regale mit zersplitterten Falschen gefüllt waren. Auf einem intakten Tisch rauchte eine einsame Zigarette noch aus dem Aschenbecher. Der Angriff konnte nicht lange her sein. Quietschend schwankten ein paar Lampenschirme im hereinstürmenden Wind, welcher Schneeflocken und Kälte mit sich trieb; Loki ließ sein Zepter langsam wieder sinken und trat ein paar weitere Schritte in den unnatürlich stillen Raum, während seine schweren Stiefel feuchte Spuren auf den Bodendielen hinterließen, die unter seinen Sohlen leise knarzten. Zwei von Andrews Männern kamen eben durch den Hintereingang herein und schüttelten sich den Schnee aus den Haaren. »Hinten ist alles sauber, Sir. In den Zimmern ist niemand. Auch nicht in der Küche.« »Wo sind sie?« wisperte Andrew angespannt in Lokis Rücken. Der Agent verteilte sich mit seinen Männern im Raum; zwei weitere Agents waren eben hereingekommen und positionierten sich neben der Tür. »Sind sie gar nicht hier…?« wagte er argwöhnisch zu hinterfragen; Loki konnte den bohrenden Blick des Menschen beinahe zwischen den Schulterblättern spüren. »Sie sind hier…« gab er überzeugt von sich und sah zu dem Hund neben sich hinab; der Blick aus grünen Augen begegnete jenen eisblauen Angels. Der Magier verband seine magischen Sinne flüchtig mit denen des Tieres und gab ihm die mentale Anweisung, die Suche fortzusetzen. Sofort senkte der Hund die Nase auf den Boden und durchforstete den Raum gewissenhaft. Hinter der Theke der Bar verschwand er und gab ein aufrüttelndes Winseln von sich; Loki eilte zu Angel hinüber, der eine Luke auf dem Boden entdeckt hatte und diese nun beharrlich mit den Pfoten bearbeitete. Dumpf kratzten die Krallen des Tieres über die Bretter. »Gut gemacht…« lobte er den Hund flüchtig, bevor er sich dem Agent hinter sich zuwandte. »Ich hoffe, Ihr seid bereit, Mister Preston?« fragte er Andrew mit süffisant gehobener Braue. Dieser warf der Bodenluke einen skeptischen Blick zu und hob die Waffe entschlossen an. »Keine unüberlegten Handlungen, Loki. Wir müssen jetzt sorgfältig und vorsichtig vorgehen, wenn-« Eine blaue Entladung aus dem Zepter des Magiers zerstörte donnernd die Bretter der Luke; noch bevor sich der Rauch gelegt hatte und Andrew seinen Satz auch nur beenden konnte, sprang Loki mit einem spöttischen Grinsen als Abschied durch das entstandene Loch im Boden hinunter in die Tiefe. Er würde sich jetzt gewiss nicht die Zeit für die nutzlosen Reden des Menschen nehmen, ganz abgesehen davon, dass er eh besser im Missachten von Befehlen als deren befolgen war; er konnte Gwendolyn in der Dunkelheit unter sich spüren und würde keine weitere Sekunde auf die schwachsinnigen Pläne des Agents verschwenden. Sein lederner Mantel flatterte aufgeregt im Sprung und sank wie die sanften Flocken des Schnees um ihn herab, als der Gott mitten unter einer Versammlung von Jörmungandri landete. Seine Stiefel wirbelten Staub auf, während er seinen Fall geschmeidig abfing, indem er in die Knie ging; sein Kopf ruckte in die Höhe und zeigte den verblüfften Schlangenmenschen ein schmales Grinsen. »Guten Abend, alle miteinander…« säuselte der Magier unheilvoll. Die Wesen waren im ersten Augenblick vor ihm zurückgewichen, was wohl mehr der Überraschung galt, bevor sie nun ihre Nackenschilde erregt spreizten und dem Gott ein bedrohliches Zischen schenkten, die Körper kampfbereit angespannt. Loki erkannte einige der Kreaturen im Hintergrund, die bereits dabei waren, ein Portal an einer der Wände des Kellers zu öffnen, um ihre Beute wahrscheinlich nach Utgard - in die Welt zwischen den Reichen - zu entführen, um dort ihr Ritual abzuhalten. Eines der Wesen trug eine leblose, rothaarige Menschenfrau auf den Armen und wollte sich mit ihr offensichtlich als erstes aus dem Staub machen; das gefiel Loki ganz und gar nicht - seine Frau würde ihm niemand wegnehmen. Zu oft hatte er in seinem Leben den glorreichen Möglichkeiten einer Zukunft hinterhersehen müssen, doch damit war nun endgültig Schluss. Niemand würde ihm mehr das nehmen, was ihm gehörte. Seine Lippen verzogen sich zu dem verzerrten, diabolischem Abbild eines Grinsens, beschattet durch die Strähnen seines langen Haares, welches ihm wirr in das blasse Gesicht fiel. Ohne Vorwarnung sprang er mit einem wütenden Schrei auf und durchstieß die Brust des ersten Wesens mit der goldenen Spitze seines Speers; die Kreatur heulte schmerzerfüllt auf, woraufhin sich ihre Brüder und Schwestern auf den Magier stürzten. Es widerstrebte ihm, die Jörmungandri zu töten - am Ende waren sie nur ein Volk, was sich seinen Fortbestand sichern und an einer Existenz festhalten wollte. Es war die natürliche Ordnung der Welten; allerdings waren sie dem Magier in seinen Zielen in die Quere gekommen. Und er würde gewiss nicht dabei zusehen, wie sie Gwendolyn verschleppten - nur um sie ging es ihm, der Rest der Menschen war ihm egal. Loki duckte sich unter den ersten Schlägen der scharfen Klauen hinweg, bevor er einige der Wesen mit einem gezielten Schuss aus dem Zepter gegen die nächsten Regale schleuderte; scheppernd krachten die Kreaturen gegen das Holz, Dosen und Flaschen rollten klirrend über den Boden. Endlich schienen sich auch die Agents entschieden zu haben, am Kampf teilzunehmen; Andrew überwand die letzten Meter der Leiter mit einem Sprung und landete geduckt neben Loki, um diesem sofort eines der Schlangenwesen vom Rücken zu schießen, welches sich dort zischend festgeklammert hatte. »Sie wollen abhauen!« rief der Agent dem Gott unnötigerweise über die penetranten Kampfgeräusche zu, den inzwischen waren auch die restlichen S.H.I.E.L.D Agents im Keller angekommen. Andrew hatte offenbar die Kreaturen entdeckt, die sich in einer Ecke des Kellers versammelt hatten, um dort die Umrisse einer Pforte in den Stein zu kratzen. »Ach, was Ihr nicht sagt…?!« grollte der Magier zynisch und ging in die Hocke, während er das Zepter um sich schwang und eine Handvoll heranstürmender Kreaturen damit zurückwarf. Dann sprang er auf und durchstieß die tobende Meute der Wesen mit einem weiteren, gebündelten Energiestrahl aus seiner Waffe, den er zornig in die Reihen der Kreaturen abfeuerte. Wenn man nicht alles selbst machte… Ein kleiner Wink seiner Hand ließ unzählige Trugbilder seiner Gestalt zwischen den Schlangenwesen entstehen, die im ersten Moment verwirrt wirkten, bevor sie sich fauchend auf die Köder stürzten; Loki schob sich durch die kämpfende Menge aus Jörmungandrs Brut und den Männern von S.H.I.E.L.D entschlossen auf jenes Wesen zu, das gerade die Umrahmung der Pforte mit seinen Klauen an der Kellerwand beendet hatte. Der aufgemalte Durchlass schimmerte magisch auf und öffnete sich in einem hellen Tosen, welches einem für einen Augenblick die Sicht raubte, bevor die Wand ein sachtes Schimmern überzog, dahinter eine felsige Landschaft zu erahnen.   Die Kreatur mit Gwendolyn auf dem Arm näherte sich bereits schlängelnd dem Portal und wollte sich aus dem Staub machen; die Frau öffnete in diesem Augenblick benommen die Augen und schien den Gott zu spüren, denn ihre verklärten Pupillen fokussierten sich zielgerichtet auf Loki. Über die Schüsse und Schreie der Kreaturen hinweg konnte er es nicht hören, doch ihre Lippen formten definitiv zittrig und hoffungsvoll seinen Namen. Der Magier war für einen Wimpernschlag abgelenkt; genug Zeit, dass sich eines der Wesen an ihn herangestohlen hatte, um sich nun auf ihn zu werfen und die scharfen, spitzen Zähne in seine Schulter zu graben. Das Leder seiner Rüstung hielt zwar den größten Teil des Bisses ab, doch war die Wirkung von Jörmungandrs Gift stark genug, um ihn in die Knie sacken zu lassen. Unter einem wütenden Keuchen riss er den Arm nach oben und rammte der Kreatur den Ellenbogen gegen die Kehle, doch um kein Stück lockerte sich dessen Biss. Erst als der Magier seine Hand auf das Gesicht des Wesens drückte und einen Feuerzauber beschwor, der die Züge der Kreatur versenkte, ließ diese heulend von ihm ab. Mit Hilfe des Zepters stemmte sich Loki wieder in die Höhe und hielt sich die blutende Schulter, während er versuchte dem Gift in seinen Venen mit reiner Willenskraft Einhalt zu gebieten; dann schleuderte die blutige Hand schon einen gezielten Eisspeer gegen das Wesen, welches Gwendolyn entführen wollte. Um Haaresbreite nur verfehlte der Zauber sein Ziel und der eisige Speer bohrte sich knapp vor der Kehle der Kreatur in die Kellerwand. Der Kopf des Wesens ruckte herum und geschlitzte Pupillen fixierten sich zornig auf Loki, der das Schlangenwesen mit einem süffisanten Grinsen provozierte; dieses hatte nämlich augenblicklich alle Hände voll damit zu tun die Menschenfrau zu bändigen, die beim Anblick des Magiers zu ungeahnter Lebhaftigkeit erwacht war. »Loki?!« Ihre recht verzweifelte Stimme ließ ihn die blutigen Finger um den Griff seines Zepters verkrampfen und jenes auf das Wesen richten, welches sich plötzlich mit unmenschlicher Geschwindigkeit auf den magischen Durchlass zubewegte; offenbar wollte es die Kreatur auf keinen Kampf ankommen lassen und ihr Heil lieber in der Flucht suchen. Vor allem, da sich die Sterbliche nun mit aller Kraft gegen dessen Griff wehrte. Der Magier biss die Zähne gegen den Schmerz zusammen und hob den verletzten Arm, um die Spitze des Zepters auf den Rücken der fliehenden Kreatur zu richten; er ignorierte die beißenden Stiche in der Schulter, als ihn der Rückstoß der energetischen Entladung traf und taumeln ließ. Kurz wurde ihm Schwarz vor Augen, die er flüchtig mit der Hand bedeckte. Eine Schwäche, die zwei der Kreaturen ausnutzen, die nun von hinten gegen ihn sprangen und ihn zu Boden rissen; das Zepter rutschte ihm aus der Hand und schlitterte über den Boden davon. Die massigen Körper der Jörmungandri drückten ihn nieder und ließen ihm kaum Raum zum atmen; jedoch hörte er über deren wütendes Fauchen die Stimme der Sterblichen heraus, die erneut seinen Namen schrie. Loki streckte ruckartig die Hände aus und platzierte jene auf den Leibern der Schlangenwesen, dann entzog er jenen gezielt ihre Energien in einem tödlich roten Wirbel, der seine Fingerspitzen umgab und jene in das Fleisch der Kreaturen bohrte. Diese heulten entsetzt auf und versuchten sich von dem Griff des Magiers zu befreien, doch unter jedem Atemhauch seiner Berührung verloren sie ihr Leben, welches rasend schnell direkt in die Venen des Gottes strömte und dessen Augen beinahe bis zum Rand mit blutroter Macht anfüllte, sodass seine grünen Seelenspiegel fast hinter einem Schleier aus Mordgier verschwanden. Dieser Zauber des Lebensraubes war aus gutem Grund sündig, da er nur einen schmalen Grat zu jenem Verbot darstellte, kein Lebewesen je durch den Entzug seiner Energien zu töten. Doch Loki brauchte diese verbotene Macht jetzt…er musste Gwendolyn um jeden Preis retten. Er lud seine Macht am Leben der Kreaturen auf; kostete entschlossen von dieser verbotenen Frucht, unter welcher er den Verstand in Raserei und seine Fähigkeiten verlieren konnte - bevor er sich jedoch den letzten Lebensfunken der Wesen durch diesen direkten Entzug einverleibte und sie damit töten würde, stieß er die fahlen, schwachen Kreaturen zurück und sprang grollend auf die Füße. Die schwelende Macht in seinem Leib trieb das Gift der Jörmungandri aus seiner Wunde und begann diese bereits selbstständig zu heilen, während der Magier das Zepter zurück in seine Hand beschwor und sich dann mit einem durchaus blutgierig wütenden Schrei auf die Kreatur stürzte, welche die Sterbliche noch immer bedrängte, sie unter sich auf den Boden zwang und sich selbst durch den Treffer im Rücken nicht hatte aufhalten lassen. Die Finger des Magiers packten das Wesen im Nacken und wo er zuvor Energie in sich absorbiert hatte, stieß er sie nun in einem Schwall von brodelnder Macht wieder aus und verbrannte damit die Innereien des Wesens, aus dessen Augenhöhlen nun Flammen züngelten, die flachen Löcher der Nase angefüllt mit Rauch. Loki schleuderte die tote Kreatur fast angewidert von sich - einen Augenblick entsetzt von der eigenen Brutalität; davon, wie weit er noch immer zu gehen bereit war, um das zu bekommen, was er wollte - und blickte dann schwer atmend auf die Sterbliche herab, die mit großen Augen an die Wand gepresst saß und seinem Blick zaghaft standhielt. Am Anfang hatte Gwen nur auf einen guten Traum gehofft; auf eine alberne Illusion, die ihr die überspannten Nerven und der benebelte Geist vorgegaukelt hatten. Sie hatte den Prinzen gehört, seine Nähe gespürt…doch das konnte nicht sein? Oder etwa doch…? Unter Aufbietung all ihrer Kräfte hatte sie sich gegen die Benommenheit ihrer Glieder gewährt und durch die Schleier ihrer müden Augen tatsächlich den Magier entdeckt, welcher sich im Schein der Flammen durch die Reihen der Kreaturen gekämpft hatte. Ihre Wahrnehmung hatte ihr tatsächlich keinen Streich gespielt; er war wirklich hier. Er war gekommen, obwohl sie in den Tiefen ihrer dunklen und trägen Bewusstlosigkeit kaum wirklich darauf zu hoffen gewagt hatte, immerhin konnte er doch nicht immer da sein, wenn sie in der Klemme steckte… Allerdings war Loki offenbar durchaus entschlossen, dieses ungeschriebene Gesetz für sich abzuändern; wo andere Männer wahrscheinlich schon längst den Mut und die Entschlossenheit verloren hätten, wurde der Gott es offenbar nie müde, ihr hinterherzujagen, die zu suchen, zu finden, zu retten, zu beschützen… Ihr unsichtbares Band zwang sie förmlich dazu; ließ sie nicht los, hielt sie beieinander in jedem Chaos, in jedem Sturm, in jeder Situation - der Magier war einfach zu einem Teil ihrer selbst geworden, ein unauslöschlicher Teil ihres Wesens, ohne den ihr Leben grau und wertlos erschien. »Loki?!« Gwens Lippen hatten beinahe ohne ihr Zutun ihre Sehnsucht und Hoffnung in seinem Namen geformt; er musste sie gehört haben, denn die Entschlossenheit in seinen grünen Augen war unverkennbar am Lodern, selbst als er von einer der Kreaturen niedergerissen wurde, die ihre Zähne in seiner Schulter versenkte. Gwens Herz hatte bei diesem Anblick erschrocken ausgesetzt. »Nein…!« hatte sie bestürzt gehaucht, bevor sie sich mit all ihrer verbliebenen Kraft gegen den Griff des Wesens gewehrt hatte, welches sie auf dieses seltsam schimmernde Portal an der Wand zugetragen hatte. Die Nähe des Prinzen hatte in ihr eine Kraft aktiviert; eine Verbissenheit, die sie selbst kaum kannte - seine bloße Anwesenheit machte sie entschlossen und hatte ihren Willen gestärkt. Sie durfte nicht durch dieses Portal verschwinden - ihr Instinkt hatte sie kreischend vor dieser Möglichkeit gewarnt und ihr Verstand sie mit dem Gedanken geängstigt, dass Loki dann wieder unerreichbar für sie werden würde. Sie wollte zu ihm… Und nun stand er hier über sie gebeugt, die dunklen Haare wirr und feucht vom Schnee hingen sie wild und ungebändigt in seine bleichen Züge; genauso wild und ungebändigt, wie der Magier in diesem Moment erschien. Seine grünen Augen loderten förmlich in den Höhlen, durchzogen von blutigen Schleiern, die bedrohlich aus seinen Augenwinkeln schwelten. Selbst aus dem schmalen Spalt seiner Lippen kräuselten sich hauchfeine, blutrote Fäden dieser dunstigen Macht, die ihn nun wie ein Kokon umgab und seinen Poren entfloh wie die frühe Feuchtigkeit einer Wiese unter der Morgensonne. Gwen war nur ein Mensch und doch konnte selbst sie die unglaubliche Präsenz und Energie fühlen, die den Magier umgab, durch seine Aura glitt und mit der seine Hände spielten, als diese einer Schlange gleich wabernd durch seine Finger strich. Niemals zuvor hatte er mehr diesem Dämon geähnelt, den alle immer in ihm sehen wollten und doch verspürte Gwen noch immer keine Furcht vor ihm - allein Angst um seinen Geist und seine Berufung als Magier, denn sie erinnerte sich erschreckend genau an seine Erzählung über das Naturell der Magie und auch an das Verbot des Lebensentzuges bis zum Tod. Loki hatte wieder einmal einen heiklen Tanz auf einem hauchdünnen Pfad vollführt; nie fehlte viel, um ihn erneut stürzen zu lassen… Sie hatte gesehen, was er getan hatte; wie er den beiden Schlangenwesen die Lebensenergie entzogen und ihren Angreifer getötet hatte und sie ahnte um die Gefahr der Magiesucht, deshalb erhob sie sich nun auf ihren zittrigen Beinen langsam an der Wand, bevor sie eine Hand fast flehend zu dem Magier ausstreckte. »Loki…?!« wisperte sie zaghaft in der Hoffnung, dass dies wirklich noch der Prinz war, der dort vor ihr stand. Die letzten der lebenden Wesen verschwanden nun flink durch das Portal und ließen ihre Beute wohlwissend zurück, da die S.H.I.E.L.D Agents die Oberhand gewonnen hatten; die Männer knieten nun neben den gefangenen Agents und den Männern und Frauen der Bar nieder, die noch immer größtenteils ohne Bewusstsein schienen, während sich der Durchlass im Stein hinter der letzten Kreatur mit einem Flackern schloss. Loki zögerte nicht, sondern ergriff Gwens Hand und zog sie an seine Brust; sie federte diesen Schwung nicht mit den Händen ab, sondern schlang die Arme erleichtert um den Körper des Prinzen. Ein leises Summen ließ vermuten, dass das Zepter aus seinen Händen wieder verschwunden war - bestätigt wurde das, indem sich nun beide Arme des Magiers um Gwen schlangen und diese an sich drückten. Ihr Herz raste noch immer, da das Adrenalin nur langsam aus ihrer Blutbahn wich; sie schloss die Augen und lauschte Lokis Atem, dem Heben seiner Brust, auf der ihr Kopf ruhte, während ihre Finger sich sehnsüchtig in das Leder seiner Rüstung krallten. Langsam wurden Leder und Lokis ganz eigener Duft zu etwas unheimlich vertrautem wie das Parfüm ihrer Mutter; ein Duft, der immer Sicherheit und Geborgenheit versprechen würde. »Du hast dir ganz schön Zeit gelassen…« wies sie ihn in gespieltem Ernst zurecht, um die Ängste der letzten Minuten zu überdecken und das klägliche Zittern ihres Körpers. Ein seichtes Lachen ließ seine Brust beben. »Und ich dachte immer, das Warten erhöht die Vorfreude…« erwiderte er gewitzt, doch seine bebenden Finger in ihrem Haar straften seine lockere Art Lügen; er war ebenso angespannt gewesen, nun ebenso erleichtert. »Alles in Ordnung…?« verlangte der Prinz rau und befehlend zu wissen; er löste sich ein Stück von Gwen, um forschend auf sie herabzusehen. Das Grün seiner Augen hatte sein Reich beinahe wieder zurückerobert und das verzehrende Rot des Lebensraubs zurückgedrängt. Seine Finger strichen ihr die Haare aus dem Gesicht, suchten offenbar nach Verletzungen; nahmen die Tränen dabei mit sich, die sie unbemerkt und befreit vergossen hatte. »Ja, alles in Ordnung…« versicherte sie kraftlos. »Ich fühl mich nur ein wenig…ein wenig…« Obwohl sie sich krampfhaft dagegen wehrte, knickten ihr die Beine weg, doch Lokis Arme fingen sie schon in sicherem Halt. »…schwach…« nuschelte sie entschuldigend. In ihrem Kopf schien immer noch nicht alles an seinem rechten Platz zu sein und der Boden befand sich definitiv nicht immer unter ihren Füßen… Der Magier schob ihr einen Arm unter die Beine und hob sie so an seine Brust, was Gwen verschämte Röte in die Wangen trieb. Wieder einmal war sie so schwach, dass er sie tragen musste - ob das jemals aufhören würde? Ob sie eigentlich wollte, dass dies jemals aufhörte? Haltsuchend schlang sie die Arme um seinen Hals und genoss die Wärme seines Körpers, welche die Schrecken der letzten Stunden beharrlich vertrieb. »Das sind die Reste von Jörmungandrs Gift…« erklärte er ihr in einem knappen, heiseren Raunen; Gwens Blick fiel auf die Wunde an seiner Schulter und sofort war sie beschämt, deutet ihm, er solle sie wieder herunter lassen und wollte sich aus seinen Armen winden. »Loki, du bist verwundet…lass mich runter…ich will dir nicht zur Last fallen…« Besorgt sah sie ihn an und strich vorsichtig über das zerfetzte Leder seiner Rüstung. »Du hast sicher Schmerzen…« Der Magier zeigte nur ein schmales Grinsen und hielt sie bestimmt fest. »Meinst du nicht, es bedarf ein wenig mehr, um einen Gott zu bezwingen…!?« wisperte er süffisant, bevor er sie schon zu sich heranzog und seine Lippen unerwartet auf ihre drückte. Seine Zungenspitze stieß vor und öffnete sich den Durchlass zu ihrem Mund, während Gwen noch überrascht nach Luft schnappte, bevor sie augenblicklich das Denken abstellte, als seine Zunge auf ihre traf und diese begehrlich umschlang. Sehnsüchtig drückte sie sich näher an den Magier, verblüfft von seiner plötzlich so offenen Leidenschaft. Ihre zitternden Finger glitten in sein dunkles Haar und brachten es wohl nur noch mehr durcheinander. Der Kuss war innig, fordernd, sehnsüchtig und eine Spur verzweifelt, allerdings auch viel zu schnell wieder vorbei; Gwen verspürte das bereits bekannte Prickeln, als nicht nur Lokis Zunge, sondern auch seine Magie über ihren Gaumen glitt und ihre Kehle hinabkroch. Der Prinz hatte offenbar erneut einen Zauber gewirkt. »W-was…hast du…getan? Hast du…den Zauber…wegen Garm…aufgelöst?!« hauchte sie verwirrt an seinem Mund, suchte den Blick seiner so magisch grünen Augen. »Nein. Er war zerbrochen über die Entfernung. Ich habe ihn erneuert.« erläuterte er. Ein verhaltenes Räuspern neben ihnen ließ Gwen den Blick abwenden; einen Blick, den sie eben schwer atmend mit dem Lokis verhakt hatte, nachdem ihre Lippen sich eher widerwillig wieder voneinander gelöst hatten, den Schimmer grüner Magie in ihrem Atem verwoben - es war absurd, doch selbst in dieser Situation war da dieses Feuer zwischen ihnen, welches es beinahe unmöglich machte, nicht die Nähe des anderen herbeizusehnen, vor allem jetzt, nachdem sie bereits so oft vor dem ersehnten Ziel gestanden hatten... Andrew stand neben ihnen, die Brauen ärgerlich gesenkt, steckte er eben die Waffe zurück in das Holster unter seinem Mantel; sein Blick war gereizt und fast missgünstig auf sie beide gerichtet, bevor er jenen verbissen abzog und betont an ihnen vorbei sah. Sein Kiefer bildete eine angespannte Linie und Gwen mochte sich kaum vorstellen, was in diesem Moment wohl in ihm vorging; sie verspürte Mitleid mit dem Agent und auch eine gewisse Scham, dass er Loki und sie gerade in diesem Moment gesehen hatte, obwohl Andrews Augen da eben weniger Verständnis gezeigt hatten - er verurteilte sie für die Zuneigung zu dem Prinzen. Allerdings war er rücksichtsvoll und klug genug, dass nun gerade nicht anzusprechen; wahrscheinlich hatte er auch genug andere Sorgen. Der Magier schien weniger Probleme mit der Situation zu haben; er drückte Gwen besitzergreifend an sich und belächelte den Agent mit seiner gewohnt spöttischen Überheblichkeit. Was des einem Triumph in diesem Augenblick war, war des anderem unbestreitbare Niederlage. »Ich wollte nur fragen, ob bei euch alles in Ordnung ist, aber offenbar erfreut ihr euch ja beide bester Gesundheit…« brachte Andrew zynisch heraus, bevor er sich umwandte und mit einem knappen Wink auf die anderen Gefangenen deutete. »Die restlichen Leute scheinen wohlauf zu sein, obwohl sie alle noch ein wenig desorientiert wirken.« vermeldete er tonlos. »Die Wirkung des Giftes der Jörmungandri wird bald nachlassen. Dann werden sie sich fühlen, als hätten sie nur zu viel Wein getrunken. Eure Männer werden keine bleibenden Schäden davon tragen, Mister Preston.« versicherte Loki kühl, was ihm ein knappes Nicken des Agents einbrachte. »Gut. Dann sollten wir hier endlich verschwinden. Ich habe bereits S.H.I.E.L.D kontaktiert. Ein Hubschrauber ist zu uns unterwegs.« erklärte er steif. Damit wandte sich Andrew ab, stieg über die Leiber der Wesen, die es nicht geschafft hatten zu fliehen und gesellte sich zurück zu seinen Agents, die den benommenen Männern und Frauen auf die Beine halfen und diese die steile Leiter zur Luke des Kellers hinaufführten. Das offene Feuer in der Mitte des Raumes wurde gelöscht; zischend erstarben die Flammen und legten Dunkelheit über den Keller. Loki umgriff Gwen fester, dann folgte er den anderen fast mühelos mit ihr auf den Armen die hölzerne Leiter hinauf zurück ins Tageslicht; in ein trübes, düsteres Licht, was es kaum schaffte, den oberen Raum der Bar zu erhellen. Draußen tobten die Schneeflocken wieder heftiger gegen die Fenster des Gebäudes. Ein einsamer Wagen kämpfte sich tapfer die Straße hinauf, seine Scheinwerfer tauchten den verwüsteten Innenraum kurz in grelles Neonlicht. Gwen kniff die Augen zusammen und barg das Gesicht an Lokis Halsbeuge; seufzend schmiegte sie sich gegen die verheißungsvolle Wärme seiner Haut und wisperte ein erschöpftes: »Danke.« gegen die Seite seines Halses. »Danke, dass du gekommen bist, Loki.« Der Magier setzte sie vorsichtig auf einem der noch halbwegs brauchbaren Stühle ab, welchen er eben mit seinem Stiefel aufgerichtet hatte, dann ging er neben ihr in die Hocke. »Das ist nicht allein mein Verdienst…« meinte er mit einem rätselhaften Schmunzeln und prompt erschien Angel an seiner Seite, dessen Schweif aufgeregt durch die Luft wirbelte. Loki strich dem Hund beinahe liebevoll über den Rücken. »Er hat deine Fährte verfolgt und uns zu dir geführt.« »Angel?!« Gwen schloss den treuen Hund stürmisch in die Arme; ein Stück Heimat und etwas so unheimlich vertrautes, dass ihr erneut vor Erleichterung die Tränen in die Augen stiegen. Allerdings kehrten nun auch die Erinnerungen des Tages zurück, nachdem die Angst endlich abgeklungen war; obwohl die Erschöpfung Gwen beinahe siegessicher in ihrem Griff hatte, gab es noch immer Dinge zu klären, Fragen zu stellen… »Wie geht es jetzt weiter…?« wagte sie vorsichtig zu fragen, ein zaghaftes Wispern, welches niemand sonst außer Loki hören sollte. Über Angels Rücken hinweg suchte sie erneut den Blick des Magiers, der ein Knie nun auf dem Boden abgestellt hatte und sich die Wunde auf seiner Schulter genauer besah. Die sah alles andere als gut aus - teils hingen blutige Stoffstreifen seiner Rüstung herab; allerdings verbiss sich Gwen jedes Wort in diese Richtung, da sie einfach wusste, wie stolz Loki war. Wenn er Hilfe benötigte, würde er hoffentlich darum bitten. Der Magier seufzte schwer und bettete die Stirn kurz in der Hand, bevor er sich flüchtig umsah. Die Agents hatten die Gäste der kleinen Bar und Pension auf dem Boden abgesetzt, wo die Leute nun an die Wand gelehnt mit den Nachwirkungen des Giftes kämpften. Andrew lief angespannt durch ihre Reihen und telefonierte offensichtlich aufgebracht mit irgendjemanden; er redete schnell und leise, sodass Gwen kein Wort verstand. Die anderen Agents kümmerten sich entweder um ihre Kollegen oder die anderen Menschen; ein paar von ihnen hatten an der Tür Stellung bezogen und behielten durch den offenen Durchgang und die Fenster wachsam die Straße im Auge. »Du musst mit mir zurück nach Asgard kommen…« sprach Loki dann gedämpft und fing ihren Blick auf; in seinen Augen las sie eine gewisse Unsicherheit, ein Zögern, welches herb im Kontrast zu seinen entschiedenen Gesichtszügen stand. »Nur da werden wir Antworten finden.« Zurück mit ihm nach Asgard? Konnte sie das? Wollte sie das? Die letzte Frage war ziemlich schnell mit „ja“ beantwortet - sie wollte bei Loki bleiben, auch wenn sie die Konsequenzen dieser Entscheidung jetzt womöglich noch nicht ermessen konnte, doch wer wusste schon, ob sie ihn je wiedersehen würde, wenn er jetzt ging? Ob sie jemals wieder die Gelegenheit bekommen würde, ihn zu sehen… Ihr Leben war eh schon völlig aus der Bahn geraten; das Einzige, was sie jetzt noch tun konnte war nach der Wahrheit zu suchen. Sie hatte auf diesem Weg zu viel mitgemacht, als das sie jetzt unverrichteter Dinge einfach gehen könnte - sie würde ihr Leben lang grübeln, wenn sie die Wahrheit nicht kannte. Doch was war mit ihrem Leben hier auf der Erde; konnte sie das einfach alles schon wieder zurücklassen - auf womöglich unbestimmte Zeit? Wer wusste schon, was in Asgard ans Tageslicht kommen würde… Hätte sie dann die Gelegenheit, ihre Eltern wieder zu sehen? Ashlyn? Winston? Angel? Gwen drückte das Gesicht kurz in das warme Fell des Hundes, bevor sie ihn aus ihrer Umklammerung entließ und nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute. Ihr Blick blieb an Loki hängen und ihre Entscheidung stand eigentlich schon fest. Sie holte Luft und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie unwirsch von Andrew unterbrochen wurde, der ihr leises Gespräch offenbar mitgehört hatte. »Die Frau wird hierbleiben, Loki. Du hast nicht über ihr Schicksal zu entscheiden.« Der Magier senkte das Haupt leicht und Gwen konnte die unterdrückten Emotionen in seinen angespannten Schultern sehen; in den finster zusammengezogenen Brauen und der zornigen, schmalen Linien seiner Lippen. »Aber Ihr, Agent Preston?« sprach Loki bedrohlich ruhig zum Boden und hob den Blick nicht an. »Auch ich nicht.« räumte Andrew sachlich ein. »Allerdings wird sich Direktor Fury mit dieser Sachlage auseinandersetzen. Wir werden ihn über die Ereignisse unterrichten und dann wird er über den Verbleib von Gwendolyn Lewis entscheiden. Und du solltest dich ein wenig kooperativer zeigen, um die Zusammenarbeit zwischen Midgard und Asgard nicht weiter zu gefährden, Loki.« wies der Agent den Magier in einer unterschwelligen Drohung an; Loki ballte eine Hand verstohlen zur Faust und entspannte sich erst ein wenig wieder, als Gwen bestimmt das Wort ergriff, um eine Eskalation der Situation zu vermeiden. »Ich werde wohl selbst über mein Leben entscheiden können, Andrew?! Auch Direktor Fury hat mir nicht zu sagen, was ich zu tun habe!« fuhr sie den Agent heftig an. Langsam ging es ihr mächtig gegen den Strich, dass offenbar jeder über ihr Leben entscheiden konnte außer ihr selbst. Vor allem S.H.I.E.L.D bildete sich eindeutig zu viel Macht ein… »Wenn du als Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft wirst, dann steht es dir nicht frei, über dein Leben zu entscheiden.« entgegnete Andrew abgeklärt. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich unwillkürlich rächen wollte - dafür, dass sie sich für Loki entschieden hatte und nicht für ihn. Sein verletzter Stolz machte ihn grob und gefühllos; so kannte sie den Agent gar nicht. Seine blauen Augen blickten kalt auf sie herab, während Gwen ihn fassungslos anblinzelte: »Wie bitte?! Eine Bedrohung für die nationale Sicherheit?! Das ist doch nicht dein Ernst? Ich habe doch überhaupt nichts getan!« begehrte sie entrüstet auf. Andrews Blick schweifte flüchtig zu Loki hinüber und eine Braue hob sich bedeutsam an. »Wie man es sieht…« gab er herablassend von sich. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!? Wollte er ihr jetzt wirklich einen Strick daraus drehen, dass sie zu Loki stand? Am Ende würde man sie noch für eine Komplizin des Magiers halten und sie der Mittäterschaft an seinen Verbrechen beschuldigen. Gwen spürte Wut in sich erwachen, die ihre Erschöpfung rasch mit sich forttrug; wie konnte Andrew sie so überheblich behandeln? Wie konnte er es wagen, sich so über sie und ihre Gefühle zu erheben? »Du wirst hierbleiben, Gwendolyn. Du wirst nicht mit ihm gehen. Und er hat seine Frist bald überschritten…« Abwertend deutete Andrew auf den Magier. »Ich werde es genießen, ihn wieder in eine Zelle zu stecken. In ein finsteres, bodenloses Loch, in dem er Zeit seines Lebens dem Wahnsinn nachjagen kann…« Gwen sah den Agent an und schüttelte fassungslos über dessen Worte den Kopf; sie konnte seinen Hass auf Loki ja durchaus verstehen, doch der Gott hatte wahrlich genug getan, um sich als glaubwürdig zu erweisen. Er hatte Andrew geholfen, seine Männer wiederzufinden - diese verächtliche Behandlung verdiente der Prinz einfach nicht. Es musste Andrew einen ziemlichen Schlag versetzt haben, Loki und sie zusammenzusehen - offenbar hatte er immer noch geglaubt, nachdem sie die Wahrheit über den Gott kannte, würde sie zur „Vernunft“ kommen. Ja, Andrew hatte unter Loki gelitten, viele Menschen hatten das, aber das war noch lange kein Grund nun auch Gwen das Recht auf eine freie Meinung und ihre Entscheidungen abzusprechen, nur weil sie etwas für den Gott empfand. Wahrscheinlich lernte man bei S.H.I.E.L.D nicht nur den makellosen Umgang mit Waffen, sondern auch den Umgang mit störenden Gefühlen - wenn man die außen vor ließ, konnte man die ganze Sache natürlich logisch und abgeklärt betrachten, doch Gwen hatte nie gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken und gewiss würde sie nun auch für S.H.I.E.L.D nicht damit anfangen. Ihr Herz hing an Loki und das wollte sie auch überhaupt nicht mehr ändern. Der Magier sprang unvermittelt auf und packte den überraschten Agent an der Kehle, um ihn mühelos vom Boden hochzuheben; in Lokis Augen brodelte blutrotes Unheil, seinen Fingern entfloh noch immer die Macht, die er vor wenigen Augenblicken den Schlangenwesen gestohlen hatte. Feurige Boshaftigkeit schwelte in seinen Zügen, die einer zum zerreißen gespannten Maske ähnelten; seine Kiefermuskeln traten gefährlich scharf hervor und wirkten, als wollen sie sich gleich durch die blasse Haut des Magiers bohren. Loki ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als die Agents umher nun ihre Waffen zogen und allesamt ihre Mündungen auf den Kopf des Prinzen richteten. Das Klicken von entsicherten Waffen zog bedrohlich durch den Raum, allerdings würden sie sich wahrscheinlich zweimal überlegen abzudrücken, da Direktor Fury unmissverständlich die Unversehrtheit des Magiers angewiesen hatte. »Wir können diese leidliche Diskussion hier und jetzt beenden…Agent Preston…« zischte der Gott in einem unheilvollen Ton, gemischt aus Süffisanz und grob unterdrücktem Hass. Ein abgehaktes, fast ungläubiges Lachen entfloh seinen Lippen, während sich Andrew verzweifelt im eisenharten Griff des Magiers wandte, der sich nun näher an den Menschen beugte. »Dass ihr noch immer denkt, mich beherrschen zu können. Noch immer an dem Glauben festhaltet, die Ameise könnte sich gegen das Schicksal des Stiefels wehren. Ihr seid nichts unter meiner Macht und werdet mir nicht das verwehren, was mir gehört! Ich wusste, dass es ein Fehler sein würde, Euch zu helfen!« Die letzten Worte stieß Loki laut und angewidert aus, bevor er den Agent von sich schleuderte, der nach Luft schnappend hart auf dem Boden aufkam und sich mit zornfunkelnden Augen die Kehle rieb. Die Agents umher warteten nur auf einen Befehl von ihm, um den Gott zu erschießen, der sich über Andrew aufgebaut hatte und die Magie wie einen Spielball durch seine Finger züngeln ließ. Gwen sprang von ihrem Stuhl auf und trat zu Loki hinüber, um diesen vorsichtig am Arm zu berühren; da er kaum auf ihren Kontakt reagierte, streckte sie die Hand aus und bettete die Finger auf seiner Wange, drehte sein Gesicht so sanft zu sich. »Loki, komm…lass gut sein…lass ihn in Ruhe…bitte…« wisperte sie angespannt; er durfte S.H.I.E.L.D und auch dem Allvater jetzt keinen weiteren Anlass geben, ihn wieder einzusperren. Loki beruhigte sich tatsächlich unter ihren Worten und ließ die flirrende Magie in seiner Hand verpuffen, bevor sein Kopf herumruckte und er das Haupt leicht neigte, als würde er etwas in der Ferne lauschen. Und kurz darauf hörte Gwen es auch; ein unseliges Heulen, ein tiefes Vibrieren im Erdboden - das Echo einer nahenden Präsenz, die die Schatten umher noch dunkler und tiefer erscheinen ließ. »Loki…?!« wisperte Gwen vorsichtig mit einer unguten Vorahnung im Blut. Ihr Blick schweifte sofort zu den Fenstern, wo allerdings der Schnee in seiner Bahn weiterhin unbeirrbar ruhig zu Boden segelte, während sie sich näher und schutzsuchend an den Gott drückte. »Er hat uns gefunden…« bestätigte der Magier ihre schlimmsten Ängste. Er zog Gwen mit sich zur Tür des Gebäudes hinüber; die Agents machten keine Anstalten sie aufzuhalten, denn auf ihren Gesichtern spiegelten sich ebenfalls Verwirrung, allerdings auch zaghaftes Unbehagen, als das entsetzliche Heulen erneut über den Bergen erklang und das Echo gleich einer Lawine die zerklüfteten Klippen herabrollte. Die Männer hielten ihre Waffen bereit und selbst Andrew erhob sich wieder auf die Beine und wirkte latent verunsichert, als er den Blick aus einem der Fenster suchte. »Scheiße…« flüsterte er. Auch der Agent musste wissen, was dieses Geräusch bedeutete, denn sicher hatte er es nach New York nicht so schnell wieder vergessen. Loki trat mit Gwen hinaus in den anhaltenden Schnee und schirmte die Augen mit einer Hand gegen den anhaltenden Niederschlag ab; in der Ferne konnte Gwen zitternde Tannenwipfel erkenne, die knirschend unter einer gewaltigen, herannahenden Macht schwankten. Etwas unbestreitbar Großes wälzte sich da durch den Wald zu ihnen heran; der Wind brachte nun nicht nur die Kälte des Schnees mit sich, sondern auch die Kälte des Todes. Die Bäume am gegenüberliegenden Straßenrand krümmten sich unter dem herannahenden Hauch der Verderbnis, während der Boden beständig unter schweren, trommelnden Schritten bebte und die geparkten Lastwagen und Autos erzittern ließ; in einem schrillte die Alarmanlage los - ein hoher, greller Laut, misstönend in der angespannten Stille, die bisher nur vom fernen Grollen des Helhundes unterbrochen wurde. »Wir müssen hier weg.« verkündete Loki bestimmt und sah sich angespannt nach einer Möglichkeit der raschen Flucht um. Viele der Autos hatten unter dem vorherigen Angriff der Jörmungandri gelitten und wirkten nicht mehr wirklich fahrtüchtig. Angel tanzte aufgeregt um Gwens Beine und ließ ein erregtes Knurren in der Kehle vernehmen. »Die Menschen hier sind wehrlos. Garm wird ein Massaker anrichten, wenn wir ihn nicht von hier weglocken.« Gwen stand wie festgewurzelt auf der Stelle; der Schnee blieb in ihren Haaren hängen und rutschte unangenehm in den Kragen ihrer Jacke, während ein haltloses Zittern ihre Beine hinaufkroch; ihre Augen klebten wie festgehaftet auf den umstürzenden Bäumen in der Ferne, die sich wie unter der Hand eines Riesen beugten, während sie einmal mehr nicht begreifen konnte, was in ihrem Leben nur gerade so furchtbar schief lief. Warum sie? Warum ausgerechnet sie? Würde das alles jemals aufhören? Das grotesk hallende Heulen des Helhundes ließ die Umgebung erzittern; selbst die Steine schienen unter seiner Präsenz zu bangen - kleinere Felsbrocken rollten tosend die Berghänge herab und krachten donnernd auf die Straße. Ein unheilvolles Dröhnen; eine schwelende Wut und Entschlossenheit, getrieben von Ende und Vernichtung - der Atem des Todes preschte durch die Tannen heran und wandelte dieses Stück Midgard in einen Vorhof der Hölle. Der Himmel verdunkelte sich noch mehr; aufgeregt wirbelten die Schneeflocken durch die Luft, als wollte die Natur selbst sich gegen die heranstürmende Verderbnis zur Wehr setzen; die Wolken verdichteten sich rasend schnell und nahmen die eh schon klägliche Sicht. »Gwen!« Lokis Stimme riss sie aus ihrer Apathie wieder in die Wirklichkeit zurück; seine Hand ergriff sie am Arm und wirbelte sie zu dem Magier herum, der mit einer Mischung aus Sorge und Entschlossenheit auf sie herabsah. »Wir müssen hier weg!« sprach er gegen das Pfeifen des Windes und Gwen erkannte erst jetzt, was er als Fluchtmöglichkeit erwählt hatte. Ein hysterisches Kichern blieb ihr in der Kehle stecken; sie schlug eine Hand vor den Mund und schüttelte unbändig den Kopf, während sie versuchte vor Loki zurückzuweichen, der Blick auf das Motorrad fixiert, was neben dem Magier stand. Doch der Prinz hielt sie in seinem bestimmten Griff und befahl ihr barsch: »Rauf da mit dir!« Das konnte doch wirklich alles nur ein schlechter Scherz des Schicksals sein; gerade bei ihrer bekannten Abneigung gegen diese zweirädrigen Ungetüme musste Loki nun gerade in diesem Augenblick mit diesem Ding als Möglichkeit für eine Flucht kommen?! Wenn sie sich nicht schon vor langer Zeit vom Gegenteil überzeugt hätte, dann würde sie spätestens jetzt dem Glauben erliegen, in einem bösen Traum gefangen zu sein. »Nein…Loki…bitte…ehrlich, nein!« Erneut stemmte sie sich gegen seinen Griff; in ihrem Kopf schaltete sich irgendetwas ab und ein paar Verbindungen schienen zu schmoren - vielleicht lag es an dem noch immer in ihrem Blut kreiselndem Gift, an der unbestreitbaren Gefahr des Todes, an dem Stress der letzten Tage, aber mit einem Mal war irgendwie alles zu viel… Dieses Motorrad war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte; das Sinnbild des Chaos, einer auf den Kopf gestellten Welt, in der sie am Ende zerschlagen auf dem Boden liegen würde, während das Schicksal über sie lachte - Gwen brach in die Knie, sank in den kalten Schnee und schüttelte immer wieder den Kopf, während sie die Arme um sich schlang und murmelte: »Ich kann nicht mehr…ich kann echt nicht mehr…ich will das alles nicht mehr…es ist zu viel…« Sie wollte, dass dieser Wahnsinn aufhörte; unkontrolliert tropften ihre Tränen in den Schnee, während die Hoffnungslosigkeit wie eine Trance über sie kam. Angel schmiegte sich an sie und stieß Gwen besorgt mit der Schnauze an; die blauen Augen des Hundes wirkten so menschlich, so verständig und mitfühlend. Zwei kräftige Hände zogen Gwen unvermittelt wieder in die Höhe; bekannte, flammend grüne Augen starrten finster auf sie herab, bevor der Magier sie grob schüttelte und harsch anfuhr: »Reiß dich zusammen, Gwen! Vielleicht willst du nicht mehr, ich allerdings werde dich nicht gehen lassen, hast du verstanden?!« Seine entschlossene Stimme schnitt wie ein Schwert durch das Brüllen des Helhundes, der in diesem Moment aus der Reihe der Bäume hinter ihnen brach; seine fahlen Augen fixierten Gwen todsicher aus der Ferne, bevor er das breite, dunkle Haupt nach hinten legte und ein triumphales Heulen ausstieß. Loki und Gwen rissen die Köpfe beinahe gleichzeitig herum und starrten mit geweiteten Augen auf die Bestie Hels, welche den Schnee unter ihren mächtigen Pfoten aufwirbelte und sich anspannte, um sich auf sie zu stürzen. Die geschundenen Seelen in seinem Leib warfen sich jaulend und kreischend gegen die Rippen der Kreatur; eine scheußliche Symphonie aus Schreien, aus Leid und Pein. Und das war wohl auch der Moment, in welchem Gwen entschied, dass sie so definitiv nicht enden wollte - als Opfer für Hel, um der Göttin als Trophäe zu dienen. Sie musste sich wirklich zusammenreißen; für Loki, aber am allermeisten wohl für sich selbst. Angel duckte sich angespannt neben Gwens Füßen in den Schnee und zog die Lefzen angriffsbereit zurück; seine Aura schimmerte plötzlich so deutlich um sein Fell, dass selbst sie diese erkennen konnte. Der Magier stockte in der Bewegung; er hatte Gwen gerade auf das Motorrad zwingen wollen, als sein Blick durch Angel angezogen wurde. Gwen blinzelte fassungslos. War der Hund gerade gewachsen? Seine Aura loderte förmlich vor ihren Augen und ließ sie eine Hand heben, um das Gesicht gegen die brodelnde Hitze abzuschirmen, die das Tier nun umgab; etwas schien unter seinem Fell zu lauern, geborgen in seinen Muskeln und seinem Fleisch - etwas, was nun kurz vor dem Ausbruch stand. Loki wirkte, als würde er das erkennen, denn der flüchtige Hauch eines wissenden Blickes kreuzte jenen des Hundes; die beiden schienen sich auf eine stumme Weise zu verständigen, der Gwen nicht folgen konnte. Und plötzlich ging alles verdammt schnell; Garm machte einen gewaltigen Satz aus dem Wald heraus und pflügte dabei die Bäume und einen abgestellten Lkw krachend beiseite. Seine tödlichen Kiefer waren siegesgewiss aufgerissen, todbringender Speichel fiel in den Schnee und ließ diesen zischend verdampfen, während die gewaltige Kreatur rasend schnell auf sie zukam - jeder Schritt der riesigen Pranken ein Krachen wie Donnerhallen, ein Beben unter ihren Füßen. Im selben Augenblick wirbelte Loki zu Angel herum und beschwor die Reste der Blutmagie in seiner rechten Hand; die tosende Macht ließ den Mantel des Magiers flattern, während er die Lippen lautlos bewegte; der glutrote Schein zog sich aus seinen Augen und Venen zurück, glitt schimmernd um seinen Körper, um sich geballt in seiner Hand zu einer flammenden Kugel zu formen, welche die Umgebung in unselig, blutiges Licht tauchte. »Og nå ber jeg deg, fra dypet av magi og runene i verden, Fenrir!*« brüllte der Gott und kurz bevor Garm sie erreichte, sank er in die Knie und stieß die Handfläche mit seiner Magie krachen auf den Boden; knirschende Risse entstanden auf dem Asphalt und unter dem Schnee, die sich nun um Angel ausbreiteten, der kurz darauf in eine Säule aus dunkelroter Energie gehüllt wurde, die aus dem Erdboden tosend zum Himmel aufstieg. Gwen traute ihren Augen kaum; vor ihnen riss Angel den Kopf hoch und stieß ein ohrenbetäubendes Heulen aus, welches sie und Loki um einige Schritte zurückstolpern ließ. Das Tier wurde in die Höhe gerissen und von der donnernden Magie förmlich bedeckt; Angels Glieder schienen zu wachsen, seine Knochen sich zu verschieben. Die eisblauen Augen färbten sich in glutheißes Orange, während die Schnauze unter mächtigen Kiefern anwuchs, die Garms bald in nichts mehr nachstanden; ebenso wenig wie die riesigen Pranken des gewaltigen, stahlgrauen Wolfes, der sich nun aus der Energiesäule löste und Garm im Sprung aufhielt. Bevor der Höllenhund sie erreichen konnte, schlug der Wolf seine Zähne in die Kehle von Hels Kreatur und riss Garm damit zu Boden, weg von Loki und Gwen. »Angel…?! Aber was…wie…?!« Gwen stolperte fast über ihre eigenen Füße, als sie zusah, wie der Wolf seine Klauen in den Leib des Höllenhundes schlug und diesen damit zum jaulen brachte; allerdings rollte sich Garm entschlossen herum und schüttelte die Zähne Angels von seiner Kehle ab, um nun seinerseits mit den Kiefern nach dem Wolf zu schnappen, der um Haaresbreite dem tödlichen Gebiss der Kreatur auswich. »Er wird uns Zeit verschaffen. Komm jetzt!« rief ihr Loki über das Fauchen und Grollen der beiden kämpfenden Kreaturen zu; er wartete ihre Zustimmung gar nicht mehr ab, sondern schlang einen Arm um sie und setzte Gwen kurzerhand einfach auf das Motorrad, bevor er sich selbst auf den Sitz schwang und den Motor der schweren Maschine unter ihnen mit einem Wink seiner Hand zum Leben erweckte. Gwen bekam das alles nur halb mit; ihr Blick hing fassungslos und entsetzt an Garm und dem riesigen Wolf, welcher einst ihr treuer Hund gewesen war. Was war aus Angel geworden? Was hatte Loki mit seinem Zauber nur angestellt? »Was hast du mit Angel gemacht?! Warum hast du ihm das angetan?!« Ihre kleinen Fäuste trommelten wahrscheinlich eher wirkungslos auf den Rücken des Gottes, der ihre Hände kurzerhand packte und um seinen Leib zwang. »Unterlass das und halte dich fest…« grollte er befehlend, bevor er rasch erklärte. »Ich habe gar nichts mit ihm gemacht. Das ist seine wahre Gestalt. Ich habe sie nur befreit. Er war wahrscheinlich schon immer dein Beschützer. Ich erkläre es dir später…« rief ihr der Gott über die Schulter zu, bevor er eine eng anliegende Brille magisch über seine Augen beschwor und das Motorrad mit einem Satz von dem Parkplatz des Truck-Stopps beförderte. Schnee flog hinter ihnen einer Fontäne gleich in die Höhe, als das mächtige Zweirad auf der verschneiten Strecke gefährlich schlingerte; Gwen klammerte sich instinktiv an Loki fest und krallte die Finger in das kühle Leder seiner Rüstung. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass Garm ihre Flucht durchaus bemerkte, doch als er ihnen nachsetzen wollte, sprang der Wolf schon wieder auf seinen Rücken und verbiss die gewaltigen Kiefer in der Schulter des Helhundes, der jaulend zu Boden krachte. Gwen wandte den Kopf wieder und drückte sich schutzsuchend eng an Lokis Rücken, da der eisige Wind schneidend an ihnen vorbeipfiff; der Prinz steuerte das Motorrad weiter die Straße den Berg hinauf, sodass die kleine Pension bald hinter ihnen zurückblieb. Sie stellte sich schon gar nicht mehr die Frage, woher der Magier eigentlich seine ganzen Fähigkeiten nahm und nun auch noch ein Motorrad fahren konnte; es interessierte sie in diesem Moment auch herzlich wenig, denn sie war einfach heilfroh, von Garm wegzukommen. Schnee stach wie Nadelspitzen auf sie ein und der Fahrtwind nahm bald jegliche Wärme mit sich den Berg hinab; Gwen spürte ihre Finger schon nach einer Weile nicht mehr und schob diese weiter unter die Aufschläge von Lokis Mantel, um ein wenig seiner Wärme für sich zu beanspruchen. Eine Weile blieb es still hinter ihnen und der Magier drosselte das Tempo, bis er eine kurze Pause einlegte; er ließ den Motor gedämpft laufen und stellte ein Bein auf die schneeglatte Straße, während er den Kopf reckte und sich konzentriert umsah. Gwen wagte vorsichtig hinter seiner Schulter hervor zu schielen; die Baumwipfel umher schwankten knackend im Wind und Schnee trieb fast waagerecht durch die eisige Luft an ihnen vorbei, doch über das monotone Tuckern des Motors und das Pfeifen des Windes war momentan nichts zu vernehmen. Die Gegend war hier oben noch wesentlich unwirtlicher und wilder; die Bäume ragten bald bis über die Straße und tief hängende, schneebelastete Äste kreuzten deren Verlauf. Die Gipfel der Berge waren in nebliges Grau getaucht und fast völlig in den düstern Schneewolken verschwunden; die Sonne längst nicht mal mehr zu erahnen. Ein gedämpftes Heulen wurde hinter ihnen laut und der Asphalt bebte unter ihren Füßen, sodass dieser sogar an einigen Stellen brach; ein vom Schnee schon geschundener Ast hielt der Last nicht mehr stand und knickte vom Baum, um in einem Krachen neben ihnen auf der Straße zu landen. Gwen zuckte erschrocken zusammen und schlang die Arme sofort wieder um Loki, der das Motorrad mit einem verbissenen Gesichtsausdruck wieder nach vorn jagte; keine Sekunde zu früh, den hinter ihnen brach Garm aus dem Unterholz und hastete dem Zweirad mit geiferndem Maul hinterher. Der Helhund hatte sichtlich gelitten; eine seiner Pfoten belastete er nur sporadisch und eine klaffende Wunde zog sich über seine Schnauze, doch von seiner Entschlossenheit hatte er anscheinend nichts eingebüßt. Heulend setzte er ihnen nach und Gwen schrie erschrocken auf, als Garm einen Baum im Lauf aus dem Erdreich riss und dieser Loki und sie fast von der Straße fegte; der Magier wich der umstürzenden Tanne mit einem heiklen Schlenker aus, fing das Motorrad wieder auf der vom Schneematsch schmierigen Straße und bewahrte sie damit davor, auf dem Asphalt ihr Leben auszuhauchen. Gwen duckte sich hinter dem Gott und presste sich verzweifelt an diesen, während ihr Herz in der Brust ohrenbetäubend trommelte; die Angst war übermächtig, da sich der Helhund kaum abschütteln ließ. Sie konnte seinen fauligen Atem bereits im Nacken spüren, die Schreie der Verdammten eine absurde Untermalung zum brummenden Motorengeräusch und dem wütenden Grollen der Höllenkreatur, die ihr Ziel mit eiserner Entschlossenheit verfolgte. Loki wagte ein gefährliches Manöver in einer steilen Haarnadelkurve und nahm diese mit rasender Geschwindigkeit, was sie bedrohlich über den glatten Asphalt auf den Abgrund hinter den Leitplanken zu schlittern ließ. Die Reifen wirbelten den Schnee in einer hellen Fontäne auf. Gwen quickte entsetzt und kniff die Augen in Erwartung des unvermeidlichen Todes zusammen, doch der Gott hatte das Motorrad offenbar besser unter Kontrolle, als sie ihm zutraute; er riss ihren fahrbaren Untersatz in seine Spur zurück und beschleunigte den Berg hinauf. Garm hinter ihnen schaffte die enge Kurve nicht ganz so elegant; der Hund verlor den Halt auf der schneebedeckten Straße und rutschte gegen die Leitplanke, die in einem lautstarken Quietschen unter seinem Gewicht nachgab; eine Verankerung riss aus dem Erdboden und schleuderte Gesteinsbrocken ins Tal hinab. Allerdings fing sich die Kreatur recht schnell wieder und verfolgte sie mit großen Sätzen die Straße hinauf; als Garm sie fast wieder eingeholt hatte, preschte Angel in Gestalt des riesigen Wolfes urplötzlich aus dem seitlichen Wald heran und riss den Hund im Sprung von der Straße; die beiden gewaltigen Wesen durchbrachen die Leitplanke und krachten auf einen Felsvorsprung vor dem Abgrund, wo beide liegen blieben. Garm heulte zornig auf, da er erneut von seiner Beute abgehalten wurde. Loki blickte ebenfalls kurz über die eigene Schulter zurück, bevor er sich entschlossen umwandte und der Straße verbissen weiter folgte; irgendwann erreichten sie ein kleines Hochplateau, auf dem sich ein riesiger, überfrorener Gletschersee ausbreitete, der von dunklen Tannen gesäumt ein kleines Fleckchen Idylle hier oben bildete. Umher am Ufer standen ein paar einsame Blockhütten, die für Urlauber und Wanderer im Sommer Unterkunft boten. Jetzt lag alles still und verschneit vor ihnen, der See selbst eine spiegelglatte, eisige Fläche, welche unter Schneekristallen glitzerte. Der Magier brachte das Motorrad erneut zum stehen und sah sich kurz um, bevor er Gwen rau über die Schulter anwies: »Steig ab.« Sie war eindeutig zu erschöpft, um sich gegen seinen Befehl zu widersetzen oder diesen zu hinterfragen; außerdem fror sie erbärmlich. Ihre Kleider waren inzwischen fast gänzlich durchnässt und der kühle Wind trug nicht gerade zum Wohlbefinden bei. Langsam stieg sie schwankend von dem Motorrad und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren, da ihre wächsernen Beine sie kaum mehr tragen wollten. Wie viel war ein Mensch eigentlich in der Lage auszuhalten? Wie viel konnte ein menschlicher Geist verkraften? Gwen schlang die Arme wärmesuchend um sich selbst und sah zu dem Gott hinauf, der die Brille langsam von seiner Nase zog. »W-was hast du jetzt vor, Loki?« wisperte sie irritiert und stampfte auf der Stelle, um ihrem Körper zumindest die Illusion von Wärme zu vermitteln. Warum fuhren sie nicht weiter? Was wollte er hier? Der Magier legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit beiden Händen durch das wirre Haar, bevor er ihr einen arg seltsam entschlossenen Blick zuwarf, der sie augenblicklich frösteln ließ; nicht wegen der Kälte umher, sondern wegen der erschreckenden Gewissheit in seinen grünen Augen. »Es muss jetzt hier enden.« raunte er tonlos. Ein viel zu bekanntes Donnern rollte den Berg hinauf und versetzte den Boden in Bewegung; ein unseliges Heulen durchstieß die Wand der fallenden Schneeflocken wie ein tödlich gespitzter Dolch. »W-was?!« Gwens Zähne stießen klappernd aufeinander; sie trat zu dem Prinzen hinüber und packte ihn an seinem ledernen Mantel. »Was…meinst du? Was endet hier?« Ihre Augen flogen hastig, fast panisch über sein starres, entschiedenes Gesicht; er hatte sie wieder einmal von seinen Gedanken ausgeschlossen und das machte ihr momentan fast noch mehr Angst als Garm. »Was zum Teufel hast du vor?!« fuhr sie ihn zitternd an, doch als Antwort bekam sie nur den Anflug eines schmalen Lächelns. Für mehr blieb auch keine Zeit, denn der Helhund flog in diesem Moment förmlich um die Kurve der Straße auf das Hochplateau, dicht gefolgt von Angel, der nun ebenfalls Spuren des Kampfes trug. Einige Stellen seines stahlgrauen Felles waren blutbeschmiert, doch er hastete Garm noch immer verbissen hinterher und versuchte nach dessen Hinterläufen zu schnappen, jedoch ohne Erfolg. Der Hund setzte zum Sprung an und riss die Kiefer auf, während sein Schatten drohend über Loki und Gwen fiel wie ein dunkles, schweres Tuch. Einen Augenblick hielt Gwens Blick noch den des Magiers, dann stieß er sie unvermittelt beiseite, sodass sie hart auf dem Boden landete und für einen Moment nur düstere Schlieren vor ihren Augen erkannte; trotz des Schnees war der Erdboden überfroren und schmerzhaft hart. Als sie die Augen panisch wieder aufriss, sah sie gerade noch, wie Garm sich auf Loki stürzte und den Magier sowie das Motorrad unter sich begrub; sie stürzten den kleinen Hügel zum See hinab und krachten auf die splitternde Eisdecke, gefolgt von Angel, der seinen Sprung nicht mehr bremsen konnte und ebenfalls auf dem See landete. Das Motorrad rutschte scheppernd über die poröse Eisfläche davon, welche im nächsten Augenblick unter der Gewalt der massigen Körper knirschend zerbrach und die drei Gestalten augenblicklich im eisigen Wasser verschlang. Garm und der Fenriswolf bäumten sich im Wasser jaulend auf; die Tiere versuchten verzweifelt an den treibenden Eisschollen Halt zu finden, während sie die Kälte unerbittlich tiefer zog. Auch Lokis dunkler Haarschopf erschien flüchtig über der Wasseroberfläche, als der Gott keuchend nach Luft schnappte - sein Blick kreuzte den von Gwen ein letztes Mal - bevor Garms Pranke ihn zurück unter das Wasser drückte und alle drei in der Tiefe des eisigen Nasses verschwanden. »NEIN! LOKI!« Gwens Stimme überschlug sich fast vor Grauen; zitternd kroch sie über den Boden zum Rand des Sees, achtete kaum darauf, dass sie sich die Hände an den scharfen Steinen umher aufschürfte. Ihre Augen hasteten verzweifelt über den See; über das geschlagene Loch in der mächtigen Eisdecke, in welchem sich die tiefdunklen Wellen des Wassers aufgewühlt kräuselten und schäumten. »Oh Gott…oh Gott…Loki…Loki…LOKI!« sie schrie, bis ihre Kehle kapitulierte und in der eisigen Luft keinen Ton mehr formen wollte; bis ihre Tränen auf ihren Wangen gefroren und sie sich die Unterlippe in seelischer Pein blutig gebissen hatte - bis sich die Sekunden zu endlosen Minuten dehnten und sich der aufgewühlte See langsam beruhigte. Einsame Eisschollen trieben verloren über das furchtbar schwarz erscheinende Wasser. Voll schmerzlicher Hoffnung starrte Gwen auf die ruhiger werdende Oberfläche des Sees; erflehte ein Lebenszeichen…irgendetwas…doch die Minuten vergingen und nichts regte sich. Ein  haltloses Schluchzen kroch ihre Kehle herauf; ein furchtbarer Schmerz zog durch ihren Körper, der nicht von der Kälte oder ihren blutenden Händen herrührte. Gwen krampfte sich zusammen und schlang die Arme um sich, einen Trost suchend, den nichts bringen konnte, während sie den Kopf beharrlich schüttelte. »Nein…nein…nein…nein…« Er durfte nicht fort sein. Er durfte nicht tot sein. Nicht Loki. Nicht er. Er hatte bestimmt einen Plan….er musste einfach einen Plan haben! Sollte sie in diesem einen Moment wirklich alles verloren haben? Er hatte sie wieder einmal gerettet, doch um welchen Preis? Schwankend stemmte sich Gwen in die Höhe und lief stolpernd am Rand des Sees auf und ab, immer wieder den Namen des Gottes und ihres treuen Hundes rufend, bis ihre Kehle rau von ihren Schluchzern und den Namen ihrer Geliebten war. Einen Augenblick war sie tatsächlich versucht, selbst in das Wasser zu springen, um Loki und Angel zu suchen, doch den Gedanken verwarf sie recht schnell wieder - sie würde das keine Minute überleben und damit auch keine Hilfe sein. Kraftlos brach sie wieder im Schnee zusammen und bettete das Gesicht in den Händen; wiegte sich in der verzweifelten Suche nach Beruhigung hin und her, während ihr allein der Gedanke die Luft abschnürte, dass sie Loki verloren haben könnte. Dieser Gedanke war schlimmer zu ertragen als die Kälte, die beharrlich durch ihre nasse Kleidung in ihre Glieder kroch oder die Angst vor einer Wahrheit über die eigene Gestalt… Nein! Nein…er musste einfach leben. Er musste einen Plan haben. Dieser verdammte Mistkerl würde gefälligst zu ihr zurückkommen! Tatsächlich hatte Loki an diesem Tag einmal keinen Plan; keinen Trumpf in der Hinterhand, keine ausgeklügelte Strategie, auf die er sich stützen konnte. Eines jedoch war ihm in erschreckender Deutlichkeit bewusst - es musste jetzt und hier enden, sonst würde der Helhund Gwen niemals in Frieden lassen. Er würde sie für immer und ewig verfolgen, bis er die Frau irgendwann erreicht hätte und daran würden weder sein Zauber, noch die ständige Flucht etwas ändern. Loki hatte einen nahen Riss zwischen den Welten unter dem Eis des Gletschersees erspürt und eine waghalsige Idee hatte sich in seinem Hirn festgesetzt; unüberlegte Handlungen gehörten eigentlich eher zu Thors Repertoire, allerdings hatte der Donnergott damit ja auch ab und an Erfolg, sodass Loki jetzt durchaus in Betracht zog, den Fußspuren seines stürmischen Bruders zu folgen. Der Magier öffnete die Augen und blinzelte seinem trägen Atem nach, der sich nun in glänzenden Blasen von seinen Lippen entfernte und entgegen der glänzenden Wasseroberfläche schwebte; er selbst hatte bereits völlig das Gefühl für die Schwerkraft verloren, als er losgelöst in dem eisigen Wasser tiefer sank, während neben ihm Fenrir und Garm ihren verbissenen Kampf nicht einstellen konnten. Die Kreaturen wirbelten im Wasser umeinander; ihr Jaulen und Grollen ein tonloses Beben im See, während sie von hellen Sauerstoffbläschen umtanzt wurden, was der ganzen Szenerie etwas durchaus unrealistisch Magisches verlieh. Der Druck auf die Lungen wurde fast unerträglich; das eisige Nass umhüllte Loki wie eine zweite Haut und ließ keinen Raum für Flucht oder unnütze Gedanken - ein zauberhaft freies Schweben zwischen den Welten, in welchem alle anderen Dinge so beharrlich in den Hintergrund rutschten, dass der Magier sie kaum noch sehen konnte. Die Realität schien wie seine winzigen Atembläschen in der Ferne zu verschwimmen; wurde unwichtig, nichtig und klein. Diese Nähe zum Tod hatte einmal mehr etwas seltsam befreiendes und Loki erlag fast dieser süßen Versuchung, sich in die eisigen Arme des Wassers zu begeben, sich verschlingen zu lassen, um die Augen zu schließen und den Geist zur Ruhe zu betten; ein Geist, der mehr als alles andere Lokis größte Waffe und gleichauf sein größtes Verderben war, da sein Verstand niemals ruhen wollte und konnte. Lokis Blick glitt erneut zu den kämpfenden Kreaturen zurück. Garm würde der Verlust von Luft am Ende nicht viel ausmachen, Fenrir allerdings benötigte wie der Magier selbst den kostbaren Sauerstoff zum atmen; Loki rüttelte sich aus seiner Lethargie und stieß sich mit entschlossenen Zügen tiefer in den See hinab, dabei den brennenden Druck in seinen Lungen ignorierend. Gwendolyn würde der Verlust ihres geliebten Hundes mit Sicherheit unheimlich traurig stimmen und die Menschenfrau hatte in der letzten Zeit wirklich genug erlebt, als dies nun auch noch ertragen zu müssen. Der Magier erspürte den winzigen, schimmernden Riss auf dem Grund mehr als das er ihn sah; mit grober Entschlossenheit zwang er den Durchlass mit Hilfe seiner Magie weiter auf und wurde kurz darauf schon durch das Portal gezogen wie ein Stern in das gierige Maul eines schwarzen Loches. Der Durchlass spuckte ihn auf einen eisigen, harten Untergrund aus, wo der Gott schmerzhaft aufschlug und hustend das Wasser aus seinen Lungen würgte, bevor er befreit nach Atem rang. Sein eigenes, bleiches Spiegelbild mit den wilden, nassen Haaren sah ihm aus dem Eis unter seinen Händen entgegen; der frostige Wind riss an seinem Leib und trug Wärme, sowie das Leben Stück für Stück von seiner Gestalt ab. Die grünen Augen des Magiers richteten sich auf eine überfrorene, düstere Landschaft; ein Meer aus spitzen Felsen und Klippen, aus Schnee und Eis, aus Einsamkeit und Trostlosigkeit. Krachend brachen vom Wind zerklüftete Brocken Felsen unter der gewaltigen Macht der Kälte; selbst das eigene Land erzitterte unter der Vorherrschaft des Eises. Die Sterne am Himmel waren ebenso starr wie die Welt unter ihnen - Jotunheim, der letzte Ort, an dem Loki sein wollte, doch an welchem er nun allein Garms Macht fesseln konnte. Unter dem wütenden Fauchen des frostigen Windes, der genauso hart zuschlug wie Thors Hammer, richtete sich der Magier auf und hastete ein paar Schritte beiseite; keine Sekunde zu früh, denn aus dem Riss krachten nun auch Fenrir und Garm auf die eisige Plattform des Felsvorsprungs, auf welchem sie gelandet waren. Der Wolf war sichtlich erschöpft und Loki musste sich nun beeilen, um seinen zaghaft gewachsenen Plan in die Tat umzusetzen. Obwohl sich alles in Loki dagegen sträubte, ließ er doch seine Energien frei fließen und verband diese mit der Welt umher; er verankerte die Wurzeln seines Lebens mit dem Fluss der Mächte Jotunheims und ließ diese lang unterdrückte Seite in sich hervorbrechen; sein Körper wandelte sich in die Form eines Eisriesen, in die Gestalt, welche ihm seit seiner Geburt mitgegeben war in seinem Leben. Obwohl der Gott diese blaue Gestalt hasste, alles daran verabscheute, so konnte sie ihm jetzt doch womöglich gute Dienste erweisen; das Gefühl von Kälte verschwand augenblicklich und die Erschöpfung wurde zu einem dumpfen Pochen im Hintergrund seiner Wahrnehmung. Sein Körper wuchs um ein paar nichtige Zentimeter und füllte sich mit einer Kraft an, die dem Magier verhasst wie faszinierend zugleich erschien. Entschlossen straffte er sich und setzte zu Fenrir und Garm hinüber, die sich eben benommen aufgerichtet hatten und sich nun knurrend umkreisten; der Helhund hinkte sichtbar, zähes Blut tröpfelte ihm in eines seiner fahlen Augen, doch sein Kampfeswille schien ungebrochen, obwohl sich die gestaltlichen Seelen hinter seinen Rippen beinahe ängstlich unter dem Anblick von Fenrirs Gestalt duckten - auch der Wolf hatte gelitten, Bisse und Blessuren von dem Kampf getragen, doch obwohl er schwankte und ziemlich mitgenommen aussah, bot er Garm mit entschlossen brennenden, orangen Augen die Stirn. Loki suchte den Blick Fenrirs, als sich der Helhund erneut auf den Wolf stützen wollte; der Magier flüsterte einen feinen Zauber und ließ jenen in dem Schneetreiben umher zu Fenrir fliegen - eine unsichtbare Verständigung, die das Tier offenbar auch aufnahm. Als Garm ihn fast erreichte, ließ der Wolf sich zu Boden fallen und rollte sich auf den Rücken; die kräftigen Hinterläufe gruben sich in den Leib des Hundes und ließen diesen schmerzhaft heulen - Fenrir stieß die Kreatur von sich und damit den Felsvorsprung hinab in die Tiefe. Loki hastete dem stürzenden Hund hinterher, der sich hektisch mit den Pfoten am brüchigen Eis der Klippe festkrallen wollte; doch vergeblich, das Eis brach unter seinen Klauen und ließ ihn in eine der scharfen und tiefen Felsspalten rutschen, die sich unter dem Vorsprung im Eis auftaten. Der Magier sprang Garm von dem erhöhten Plateau hinterher; er nutzte die Kraft seiner Riesengestalt und hielt sich an spitzen Felsen fest, schwang sich fast mühelos über meterweite Abgründe, bis er dumpf neben der Spalte landete, in welcher Garm verschwunden war. Die wütenden Augen des Hundes funkelten aus der Tiefe zu Loki herauf, doch das Tier steckte in der schmalen Klamm zwischen Eis und Felsen fest und war kaum in der Lage, sich zu bewegen. Loki sank in die Knie und bettete seine blaue Hand auf dem klaren Eis unter sich; ein seltsamer Kontrast, da ihm die eigenen Finger so fremd erschienen. Er schüttelte seinen Unwillen ab, hielt dem Blick des Helhundes mit den eigenen blutrote Augen stand, als er von seiner Hand aus Frost und Eis beschwor, welche sich wie eine Flut über den Rand der Spalte ergossen und diese mit ihrer frostigen Präsenz anfüllten. Garm brüllte wütend auf, versuchte sich gegen das Eis zu wehren, was um seinen Körper erwuchs und ihn in dem Felsen einschloss, doch vergeblich - Frost kletterte an seinem Körper herauf und bedeckte am Ende seinen Kopf, seine geifernde Schnauze und die zornigen Augen, sodass die Laute der Kreatur in einem dumpfen Knurren erstarben, während sich die Macht des tonnenschweren Eises bis zur oberen Grenze der Klamm ausbreitete und diese verschloss. Loki zog die Hand dann langsam vom Boden zurück und richtete sich auf; durch die glasklaren Schichten des Eises hindurch konnte er die fahlen Augen des Helhundes noch leuchten sehen. Ein unseliges Schimmern in der Tiefe - gefangen in einem Käfig aus Kälte, doch nie tot, würde Garm dort unten hoffentlich für eine sehr lange Zeit verbleiben. Der Magier drehte das Gesicht in den Sturm der wirbelnden Schneeflocken und schloss für einen Moment die Augen, während der Atem Jotunheims um seine Gestalt toste; in der Luft war eine seltsame Vertrautheit, das Echo von Bekanntschaft, der Hauch von Zugehörigkeit - Wurzeln gleich, die tief in das Erdreich ragten und niemals brechen würden, obgleich man unermüdlich mit einer Axt auf sie einschlug. Es gab Fesseln, die würde man nie lösen können, weil sie aus Fleisch und Blut geschmiedet waren. Aber vielleicht konnte man lernen, mit ihnen zu leben... Vorausgesetzt, dass man sich irgendwann selbst akzeptieren könnte; der Magier hob eine seiner Hände und betrachtete die so fremd erscheinenden blauen Finger, die eingebrachten Stammeslinien auf seiner Haut - er hasste diese Gestalt, obwohl sie ein Teil von ihm war. Doch sie würde ihn immer daran erinnern, wie unvollkommen er in den Augen anderer erschien - ein Makel, aus Blut geformt. Wie sollte er je lernen, diese Seite an sich anzuerkennen, wo ihm sein halbes Leben gelehrt wurde, die Eisriesen zu fürchten und als Bedrohung zu erkennen. Loki wusste, dass seine Wiege hier in Jotunheim stand und etwas in ihm immer zu diesem Ort streben würde; eine Erkenntnis, die ihn einst die Welt der Eisriesen fast hatte zerstören lasen. Doch seine Heimat war eine andere - mit Jotunheim verband ihn Blut, mit Asgard eine Geschichte, ein Heim und Liebe. Seine blauen Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen, ironischen Lächeln, welches gleich darauf in den Weiten dieser eisigen Welt verwehte, fortgerissen von Kälte und einem spöttischen Schnauben. „Liebe“ - dieses Wort hatte er wahrlich selten gedacht, noch seltener gebraucht. Gwendolyn wäre wahrscheinlich stolz auf ihn gewesen, dass er diese Gedanken nun zumindest zuließ, auch wenn es noch immer schwerfiel. Aber es war die Wahrheit; Loki liebte Asgard und im Inneren seines Herzens hatte er diese Gewissheit schon immer besessen, obwohl er sich dagegen gesträubt hatte. Gwendolyn…das Brennen in seiner Brust kehrte zurück und diesmal rührte es nicht vom Mangel an Sauerstoff her; sie würde sich gewiss alberne und unnütze Sorgen um ihn machen… Rasch kletterte er die Felsen wieder hinauf, zurück auf den Vorsprung, wo Fenrir bereits auf ihn wartete; der Wolf leckte sich eine blutige Pfote, setzte jene jedoch ab und stieß sofort ein triumphales Heulen aus, als er Loki erblickte, der sich über den Rand des Felsens in die Höhe zog. In der Ferne antwortete das Brüllen eines Eisriesen, welcher wahrscheinlich alarmiert wegen der Laute hier bald nach dem Rechten sehen würde. Es war Zeit zurückzukehren. Der Rückweg durch den Riss zwischen den Welten war schnell wieder gefunden und Loki schwamm mit schnellen, kräftigen Zügen an die Oberfläche des Sees, welche er mit einem Keuchen durchstieß und tief Luft schöpfte. Neben ihm tauchte der Wolf auf und paddelte ein wenig ungeschickt ans Ufer; an das Ufer, wo Gwendolyn wie ein Häufchen Elend im Schnee hockte und den beiden Gestalten mit ungläubig geweiteten Augen entgegenblickte. Ihre fahlen Lippen öffneten und schlossen sich immer wieder, als würde sie versuchen Worte zu formen; auf ihren Wangen glitzerten die Spuren von frostigen Tränen. Sie sah furchtbar entkräftet aus; die Augen rot, die Haut blass und die Lippen fast blau - sie musste entsetzlich frieren, doch hatte sie hartnäckig dort ausgeharrt und auf sie gewartet. Jetzt erhob sich die Sterbliche zittrig und steif auf ihre Beine, während ihr Blick zwischen Angel und Loki hin und her schwankte; sie sah erleichtert aus, allerdings auch ungläubig und verwirrt. Vor allem verwirrt, als ihre Augen an Loki hängen blieben, der sich mühsam über Eisschollen ans Ufer zog und dort aufrichtete. Fenrir lag erschöpft neben ihm im Schnee und schrumpfte im nächsten Augenblick in seine altbekannte Gestalt zurück; der Zauber verlor seine Kraft und ließ das magische Geschöpf seine komprimierte Form wieder annehmen. Der Hund stieß die Luft in einem abgekämpften Schnauben aus, schien aber weitestgehend von größeren Verletzungen verschont.   Gwendolyn stolperte langsam auf sie beide zu; kurz ging sie neben Angel in die Hocke und strich diesem zittrig über den Kopf. Da sich der Hund im nächsten Augenblick aber schon wieder erhob und das Wasser aus seinem Fell schüttelte, schien sie zu erleichtern, vor allem da das Tier ihr beruhigend die Hand leckte. Dann wandte sich die Sterbliche Loki zu und sie blinzelte ein paar Mal, als müsste sie ihre Sicht angestrengt klären; sie schien ihren eigenen Augen nicht zu trauen, als sie hoffnungsvoll einen vorsichtigen Schritt weiter auf ihn zu wagte und ein unsicheres: »Loki?!« hauchte. Die Zuversicht in ihrer Stimme war überraschend; ehrlich und tiefgreifend - ebenso wie die zaghafte Erleichterung in ihren hellen Augen, welche sich noch nicht komplett hervorwagte, als hätte sie Angst, damit ein Trugbild zu zerstören. Ihre Hand streckte sich zu seinem Gesicht aus, verharrte jedoch unschlüssig in der Luft vor seiner Haut, als wäre sie unsicher, wen sie da vor sich hatte - oder was… Erst jetzt fiel dem Magier auf, dass er noch immer seine Jotunengestalt trug; und egal, wie sehr er sich in diesem Moment auch bemühte, er vermochte es nicht, sich zurück zu wandeln, was wohl an der Erschöpfung und den Wunden lag, die er erst jetzt wirklich wahrnahm. Träge tröpfelte Blut von einem Schnitt über seiner Braue und ebenso breitete sich warme Feuchtigkeit unter seiner klammen Rüstung im Bereich seiner Schulter aus; der Biss der Jörmungandri war wohl wieder aufgerissen. Er hielt den Blick der Sterblichen, obwohl er jenen am liebsten abgewendet hätte, um sie nicht in das Licht seiner nun glutroten Augen zu baden; sie hatte ihn noch nie so gesehen und Loki fürchtete ihre Reaktion - fürchtete, dass sie ihn so ansehen würde, wie es die Asen taten; wie es ängstliche Kinder in ihren Betten tun würden, für die er nichts weiter als das Monster aus Albträumen war. Würde sie vor seiner wahren Gestalt zurückschrecken? Würde jeder Funken Zuneigung von ihr unter der Wahrheit, unter Abscheu zerbrechen; unter dem Anblick der abstoßenden Gestalt seiner Geburt? Würde er das ertragen können? Vielleicht wollte er sich lieber selbst vor dieser befürchteten Reaktion schützen, denn er wich einen fast hastigen Schritt vor Gwendolyn und ihrer Hand zurück; er hatte sich wirklich nie für einen Feigling gehalten, doch jeder hatte eine Schwäche, die einen verwundbar machte - und Loki besaß diese Schwachstelle in dem Blut seiner Geburt; eine Schwachstelle, die wie eine gerissene Wunde schwärte, blutete und sich immerwährend der Heilung entzog. Wahrscheinlich entzog sich Loki selbst dieser Heilung, indem er keinen wahren Frieden mit sich selbst und seinen Wurzeln finden konnte. Gwendolyn wirkte verwirrt, fast ein wenig verletzt, als er vor ihr zurückwich; dieser Ausdruck ihres Gesichtes das Letzte, was er sah, bevor ihn eine erschöpfte Ohnmacht übermannte. Er spürte noch, wie er in den Schnee sank; die Feuchtigkeit auf seiner Wange, die er schon nicht mehr den weißen Flocken oder seinen eigenen Tränen zuzuordnen vermochte. Wieder einmal war er gefangen in den Schatten seiner Vergangenheit; in den Klauen einer eisigen Umarmung, einer schrecklichen Erkenntnis, die ihn sein Leben lang verfolgte und nicht aus ihrem Griff entlassen wollte. Er war noch immer zerrissen zwischen zwei Welten - zerbrochen unter seinen eigenen Ansprüchen und Zielen, der grausigen Wahrheit, die nichts und niemand vertilgen konnte; er war gefangen in einer Blase aus Selbsthass, die seine Seele zornig an sich selbst kratzen ließ… Würde das für immer so sein? Für immer… Gwen ließ das heiße Wasser mit einem wohligen, kleinen Seufzen auf sich prasseln und schloss die Augen unter dem brausenden Strahl der Dusche; einen Augenblick gewährte sie sich die Erschöpfung ihrer Glieder, die nun wieder zu Tage trat, doch dann drehte sie entschlossen das Wasser ab, nachdem sie Schnee, Kälte, Blut und Schmutz von sich abgewaschen hatte und stieg aus der Dusche. Nachdem sie nun wieder sauber und aufgewärmt war, kehrten zumindest auch ihre Lebensgeister zurück. Sie musste unbedingt nach Loki sehen. Unter Aufbietung all ihrer verbliebenen Kräfte hatte sie ihn mit Hilfe von Angel zu einer der Blockhütten geschleppt; sie wusste jetzt selbst kaum noch, wie sie es geschafft hatte, den großen Mann zu bewegen und zu stützen, der offenbar aus Erschöpfung zusammengebrochen war. Zum Glück war das Schloss der Hütte kein sonderliches Hindernis gewesen und sie hatte Loki vorsichtig auf das Bett gelegt, bevor sie ein Feuer im Kamin entfacht hatte; die Hütten waren voll ausgestattet für Besucher, was ihnen jetzt deutlich zum Vorteil gereichte. Es gab ein paar lang haltbare Lebensmittel in der überschaubaren Küche und fließendes, heißes Wasser in dem kleinen Bad. Der Rest der Hütte bestand aus einem größeren Wohn- und Schlafraum, der zweckmäßig eingerichtet war - zumindest würden sie sich erst einmal aufwärmen können. Gwen rubbelte sich die Haare einigermaßen trocken und wickelte eines der großen Handtücher dann um sich, da ihre Kleidung vor dem Kamin trocknete; sie wischte über den beschlagenen Spiegel und musterte ihr eigenes Spiegelbild kritisch - ihre Wangen nahmen zumindest wieder ein wenig Farbe an und der Rest ihres Körpers war gerötet von der heißen Dusche, die sie sich verabreicht hatte, um sich aufzuwärmen. Ihre Augen waren noch recht fahl und gerötet, ihre Haare wirr, doch zumindest fühlte sie sich wieder wie ein Mensch. Entschlossen öffnete sie die Tür und trat aus dem Bad, angespannt und unsicher, was sie wohl erwarten würde; sie hatte den benommenen Magier vorhin zuerst mühsam aus den Schichten seiner Rüstung befreit, was sie ein gutes Stück ihrer Nerven und Kräfte gekostet hatte, um zumindest die Wunde an seiner Schulter notdürftig versorgen zu können. Dabei hatte sie verstohlen immer wieder sein starres Gesicht gemustert; seine Augen waren geschlossen gewesen, obwohl sich diese unter den Lidern unruhig bewegt hatten, seine Züge angespannt und verkrampft, als würde er mit ganz eigenen Dämonen in seiner Benommenheit kämpfen. Sie konnte es noch immer kaum glauben; ihr Glück kaum fassen, doch er war tatsächlich zurückgekehrt - zuerst hatte sie ihren Augen kaum glauben wollen, als er mit Angel aus dem See entstiegen war, vor allem da er nun so anders aussah. Seine Haut war jetzt blau und von verschlungenen Linien überzogen; rauer und kühler, als sie diese in Erinnerung hatte - genau wie seine Augen, die nun in einem feurigen Rot geleuchtet hatten. Gwen war nicht blöd und ihr hatte sofort gedämmert, dass wahrscheinlich seine Eisriesengestalt sein musste; es war noch immer Loki, er sah aus wie Loki und doch auch irgendwie anders…im ersten Augenblick war sie verwirrt gewesen und ja, auch ein wenig unsicher und verängstigt, da sie den Magier so einfach nicht kannte. Er wirkte jetzt noch größer und bedrohlicher als ohnehin schon, doch als sie ihn zur Hütte geschleppt hatte, hatte sie sich durchaus mit dieser Form seiner Gestalt vertraut gemacht, sodass ihre Bedenken recht schnell verflogen waren. Er war auch nun nicht anders, weder unsterblich noch unfehlbar und hatte ihre Hilfe benötigt. Nachdem sie zumindest die Blutung an seiner Schulter fürs Erste gestillt hatte, hatte sie ihn kurz allein gelassen, um sich aufzuwärmen und zu duschen; wenn sie nicht aus den kalten Sachen rausgekommen wäre, dann wäre sie bald die nächste mit einer kraftlosen Ohnmacht gewesen. Angel war bei Loki geblieben und hatte sich zwischen Kamin und Bett auf den Boden gelegt, als hätte er Gwen versichern wollen, dass er Wache halten würde; sie wusste weder, was passiert war in diesem See, noch wo Garm abgeblieben war. Aber zumindest schien der Helhund für den Augenblick erst einmal keine weitere Gefahr darzustellen und Loki konnte sie in seinem Zustand ja auch schlecht fragen. Angel war wieder der Hund, den sie kannte; sie hatte keine wirkliche Angst vor ihm, immerhin hatte er sie beschützt, doch sie fragte sich natürlich, was es mit der rätselhaften Aussage von Loki auf sich hatte in Bezug auf den Hund. Nun trat sie also in den Wohnraum und stellte erleichtert fest, dass Loki inzwischen erwacht war; er saß auf dem Bettrand, sein Oberkörper war nackt, doch die Hose hatte Gwen ihm lieber gelassen, ebenso wie seine Stiefel, deren komplizierte Verschlüsse sie einfach nicht hatte lösen können. Seine Haut schimmerte noch immer in diesem irgendwie faszinierenden Blau und obwohl er einen so eigenartig fremden Anblick bot, erwachte in Gwen die Neugier und Verlockung, seine Gestalt zu berühren und die kühle Haut unter ihren Fingerkuppen zu erfühlen… Allerdings wurden diese Gedanken sofort durch eisiges Entsetzen abgelöst, als sie erkannte, dass der Gott einen Arm auf seinem Oberschenkel gebettet hatte und mit einer Klinge oberflächliche Schnitte über seine Haut zog; sein Gesicht war schrecklich starr und emotionslos, fast konzentriert waren seine roten Augen auf das Blut gerichtet, welches heiß und schwer über seine Haut floss und träge auf den Holzboden der Hütte tropfte. »Bist du verrückt?! Was tust du denn da?!« Ohne groß zu überlegen war Gwen bei Loki und entriss seinen Fingern die scharfe Klinge, welche sie bestimmt von sich warf. Scheppernd landete das Metall auf dem Boden. »Hör sofort auf damit!« Sie hatte bestimmt nicht ihre letzten Kräfte mobilisiert, um ihn zu retten und zu verarzten, nur damit er sich jetzt selbst verletzte. Der Gott schien sie gar nicht wirklich wahrzunehmen, starrte ins Leere und verkrampfte die Finger zu einer Faust, als diese kein Metall mehr hatten, was sie umfassen konnten. Gwen holte tief Luft und ließ sich neben Loki in die Knie sinken, nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang seinen Blick so zu sich. »Loki…was ist los? Was tust du da?« flüsterte sie eindringlich und versöhnlich; augenblicklich tat es ihr leid, dass sie ihn so angefahren hatte. Seine roten Augen fokussierten sich langsam auf sie, schienen sie wohl auch zu erkennen, bevor seine Lippen ein tonloses, abwesendes Wispern ausstießen: »Ich dachte, es wäre blau…ich dachte, es müsse blau sein…« Er sprach so ungläubig wie ein Kind, dass eben feststellen musste, dass es den Weihnachtsmann doch nicht gab, obwohl man ihm das die ganze Zeit versichert hatte. Der Gott wirkte völlig apathisch und das machte Gwen mehr Angst, als wenn er sie wütend angefahren hätte - seitdem er aus dem Wasser wiedergekehrt war, war irgendetwas an ihm anders und damit meinte sie nicht einmal seine veränderte Gestalt. Sie zog die Stirn verwirrt in Falten, bevor sie begriff, dass er offenbar von seinem Blut sprach; sie löste eine Hand von seiner Wange, um damit beruhigend und sanft über seinen verletzten Arm zu streichen - die nur oberflächlichen Wunden schlossen sich zum Glück bereits schon wieder, was Gwen verblüfft zur Kenntnis nahm. »Nein. Es ist rot, Loki. Genau wie meins. Rotes Blut. Nicht blau.« wisperte sie zaghaft und weich. Ihre Stimme schien den Magier aus seiner Teilnahmslosigkeit zurückzuholen; in seinen roten Augen sah sie seinen Verstand erwachen und das Erkennen, als er sie ansah. Allerdings schien ihm gerade ihre Nähe im nächsten Augenblick fast zuwider zu sein. Hastig sprang er auf und entriss sich damit ihren Händen, als könnte er es nicht ertragen, berührt zu werden. »Fass mich nicht an!« zischte er barsch und ließ Gwen damit zurückzucken; verletzt zog sie die Unterlippe zwischen die Zähne und versuchte ihre Enttäuschung bloß nicht zu zeigen. Wackelig stemmte sie sich wieder in die Höhe und zog das Handtuch fester über ihren Brüsten. »Ich wollte dir nur helfen.« gab sie ihm verstimmt zurück und hob das Kinn trotzig an. Loki war in einiger Entfernung stehen geblieben und wischte sich die Reste des Blutes fast angewidert von seinem Unterarm; seine blaue Stirn hatte sich in tiefe Falten gezogen, er wirkte wütend und unzufrieden mit sich selbst. »Ich brauche deine Hilfe nicht.« erklärte er ihr kalt und sah fast vernichtend auf sie herab, dann wirbelte er herum und verschwand im Bad. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss, sodass Angel verwirrt den Kopf hob, während Gwen die geschlossene Tür fassungslos ansah. Da hatte sie ihn hierher geschleppt und verarztet, sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht - und nun das? War nur los mit ihm? Gwen presste die Handballen gegen die Augen und holte tief Luft; die Tränen brannten schon wieder hinter ihren Lidern, doch sie schluckte diese entschlossen herunter. Nein, sie würde nicht weinen, obwohl Erschöpfung und Enttäuschung sie abermals heimzusuchen drohten. Sie hasste es, wenn Loki das tat - wenn er sie so abweisend und kalt behandelte, als wäre zwischen ihnen doch nicht schon viel mehr gewesen… Sie spürte, dass ihn etwas beschäftigte und sie konnte sich auch denken, dass es wahrscheinlich mit seiner momentan gewandelten Gestalt zusammenhing, doch er wollte offenbar nicht mit ihr reden und schloss sie wieder einmal von seinen Gedanken und Empfindungen aus. Lass ihm Zeit, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. Er wird sich schon wieder beruhigen. Aus mangels an Alternativen und weil sie Hunger hatte, öffnete Gwen die Tür der kleinen Küche und wühlte in den Schränken dort nach etwas essbarem; sie fand eine Tüte Trockenobst und verschlang dieses hungrig, während sie auf Loki wartete. Das Geräusch der Dusche zog sich monoton und beruhigend durch die Hütte, bevor es irgendwann verstummte. Tatsächlich vernahm Gwen die Tür des Badezimmers nach einer Weile wieder und wagte sich aus der Küche; der Gott hatte ebenfalls geduscht, sein Haar schimmerte dunkel und feucht, war behelfsmäßig mit den Händen nach hinten gekämmt. Seine noch immer blaue Haut war wieder frei von Blut und Schmutz; die Wunde auf seiner Schulter sah schon besser aus als noch vor einer halben Stunde. Die Selbstregenerationskräfte der Götter waren wirklich erstaunlich. Loki war nackt bis auf seine Lederhose, die er offenbar wieder angezogen hatte; seine Stiefel hatte er allerdings abgestreift und Gwen erhaschte einen Blick auf seine nackten, blauen Zehen, bevor er aus ihrem Sichtfeld verschwand und sich neben Angel und dem Kamin niederließ. Der Magier strich dem Hund gerade sanft über den Kopf, als Gwen um die Ecke bog und sich leise hinter ihm auf dem Bett niederließ; obwohl es albern war, empfand sie Neid und Unverständnis, warum der Gott gerade mit dem Tier so liebevoll umgehen konnte, nur offenbar mit ihr nicht. »Warum…hat Angel jetzt wieder diese Gestalt? Was ist er?« eröffnete sie das Gespräch zaghaft und stocherte nebenbei mit dem Schürhaken im Feuer; knackend brachen ein paar Holzscheide und verbreiteten angenehme Wärme im Raum. »Dein Hund ist Fenrir, ein magisches Wesen, welches sich beliebig in den neun Welten manifestiert. Es hat keinen Herrn, folgt nur seinen eigenen Regeln und Idealen. Meist tritt Fenrir in der Gestalt eines Wolfes auf. Er kann Schlächter sein, aber auch Beschützer, Richter oder Hüter. Jetzt hat er sich offenbar zu deinem Wächter erkoren.« Loki hielt kurz inne und sah flüchtig über die Schulter zu ihr zurück. »Er braucht gewissermaßen einen Katalysator, um seine gesamte Macht zu nutzen; eine Kraftquelle. Die habe ich ihm mit meiner Energie verschafft. Wenn diese aufgebraucht ist, nimmt er wieder diese einfache Form an…« Der Gott kraulte den Hund hinter dem Ohr, der wohlig die Augen zusammenkniff. »Ich hätte selbst nie gedacht, dass es Fenrir wirklich gibt. Wenige haben ihn zuvor gesehen, die meisten halten seine Geschichte für eine Legende.« Gwen hätte niemals geahnt, dass so ein mächtiges Wesen in ihrer Nähe weilte; ihr Beschützer…Tahatan hatte Angel als Welpe ihren Eltern übergeben, da sie sich schon immer einen Hund gewünscht hatte. Leider hatte sie den treuen Freund ihrer Kindertage nicht mit nach New York nehmen können. »W-was ist passiert?« wagte sie dann vorsichtig zu fragen. »Was ist in dem See passiert? Ich dachte schon, ich würde euch nicht wieder sehen. Ich dachte, du wärst-« Sie verschluckte sich fast an dem Wort „tot“ und sprach es deshalb auch nicht aus; es war einfach zu schmerzhaft. »Wo ist Garm? Wo wart ihr?« Gwen dachte schon, dass Loki nicht antworten würde, da er ihr beharrlich den Rücken zuwandte und sie nur seine angespannten Schultern sehen ließ; auch über seinen Rücken zogen sich nun diese faszinierenden, verschlungenen Linien wie Narben und Gwen war durchaus versucht, eine Hand auszustrecken und diese zu berühren, ließ es dann aber doch bleiben. »In Jotunheim.« kam dann seine knappe Antwort. Der Magier erhob sich geschmeidig wieder in die Höhe und wandte sich endlich zu ihr um, allerdings mied er weiterhin eisern ihren Blick. Jotunheim also. Das erklärte wahrscheinlich auch seine Eisriesengestalt. »Unter dem See befand sich ein Riss zwischen den Welten. Ich habe Garm nach Jotunheim gezogen und ihn in einer Gletscherspalte gefangen. Da man ihn nicht töten kann, muss man ihn eben einschließen. Das wird ihn hoffentlich für unbestimmte Zeit aufhalten.« erklärte ihr Loki sachlich und ließ sich etwas abseits von ihr nun ebenfalls auf dem Bett nieder; er lehnte sich an das hölzerne Rückenteil und zog die Beine auf die Bettdecke. Gwen verspürte augenblicklich Erleichterung; eine große Last fiel von ihren Schultern ab und ließ sie tief durchatmen. Garm war also offenbar erst einmal Geschichte - Loki hatte also tatsächlich einen Weg gefunden, den Helhund zu bezwingen; wenn man ihn auch nicht töten konnte, so doch einsperren. Die Idee war einfach, aber genial. Nur wenn Garm jetzt nicht mehr war, fiel auch ein großer, entscheidender Grund weg, warum Loki sie in seiner Nähe dulden würde und sollte… »Warum hast du mir nicht gesagt, was du vorhast? Ich habe mir verdammte Sorgen um dich gemacht…« verlangte sie unverständig zu wissen und lehnte sich ein wenig zu ihm hinüber; sie hielt das Handtuch mit einer Hand fest, während sie sich mit der anderen auf der Matratze abstützte. Ihre Füße baumelten noch aus dem Bett, in der Nähe des Feuers, was angenehm für ihre durchgefrorenen Glieder war. »Weil ich selbst bis dahin nicht wusste, was ich vorhabe.« erwiderte er harsch, schloss die roten Augen für einen Moment, bevor er weicher fortfuhr: »Es war eine eher intuitive Idee. Ich wusste nicht mal, ob sie funktionieren würde…«   »Loki…« Sie zog die Füße nun doch aufs Bett und rutschte an seine Seite; sie wollte eine Hand zu seiner verwundeten Schulter ausstrecken, die nun schon fast verheilt wirkte, doch er fing ihr Handgelenk fast hektisch vor seiner Haut ab und umklammerte dieses in einem festen Griff. Seine Augen zuckten nervös zu ihren Fingern, bevor er ihre Hand beinahe erschrocken losließ - war ihre Berührung wirklich so wenig zu ertragen? Ihm so zuwider? Gwen biss die Zähne enttäuscht aufeinander und ließ die Hand unsicher wieder sinken. »W-wie geht es dir? Du sahst vorhin ziemlich fertig aus, bist du-« Loki unterbrach sie unwirsch. »Es ist alles in Ordnung.« stieß er abwehrend aus und verschränkte die Arme in einer ablehnenden Haltung vor der Brust. »Es geht mir gut.« erklärte er tonlos. Weiterhin mied er ihren Blick. Gwen sah verwirrt und unverständig zu ihm hinüber; sie spürte, dass ganz und gar nichts in Ordnung war. Er baute seine Mauern wieder hoch um sich und wenn sie nichts unternahm, würde er bald wieder dahinter verschwunden sein. Sie durfte das nicht zulassen. Sie durfte nicht tatenlos dabei zusehen, wie er die Fortschritte der letzten Tage einfach so wieder zerstörte - sie würde sich nicht wieder ausschließen lassen. Erneut hob Gwen den Saum ihres Handtuchs und rutschte näher zu ihm, sodass sich ihr Schenkel gegen das kühle Leder seiner Hose schmiegte. »Ich dachte, ich hätte dich verloren, Loki…« flüsterte sie dann. Ihr offener Blick suchte den seinen und tatsächlich erwiderte er diesen endlich unter dem Klang ihrer berührten Stimme, wirkte fast irritiert über ihre Worte. »Als ich dich in diesem See versinken sah…ich war so verzweifelt…ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen…ich hatte furchtbare Angst…« gestand sie ehrlich. Loki presste die Lippen starr aufeinander, während Gwen flüchtig das Haupt senkte und tief Luft holte. Dann hob sie erneut die Hand und legte die Finger auf seine dunkle Wange; der Gott ließ sie gewähren, wohl zu überrascht von ihrem Geständnis. »Ich bin unendlich froh, dass du wieder hier bist, Loki. Ich bin froh, dass es dir gut geht…« Der Magier blinzelte kurz, schloss dann die Augen unter ihrer Berührung und versteifte sich sichtlich darunter. »Fass mich nicht an…« Diesmal war es weniger ein Befehl, keine grobe Forderung, sondern glich eher einer verzweifelten Bitte. »Warum?« fragte Gwen unverständig und verwirrt; er war zwar noch nie jemand gewesen, der die körperliche Nähe bewusst gesucht hatte, doch so abweisend hatte er sich ihren Berührungen gegenüber auch noch nie gezeigt. Fasziniert glitt ihr Finger über eine der Linien auf seiner Wange und zog diese sanft nach. »Weil diese Gestalt abstoßend ist…« spie er dann nach einer Weile aus, die Worte wie einen abscheulichen Geschmack von der Zunge stoßend. »Ich habe offenbar im Moment nicht die Macht, mich zurück zu wandeln. Meine Energiereserven müssen sich erst wieder auffüllen. Bis dahin muss ich dich leider mit diesem Anblick behelligen…« erklärte er ihr tonlos und wirkte so furchtbar unzufrieden und frustriert über sich selbst, dass Gwen tatsächlich einen Augenblick in ihren Bewegungen stockte. Der unterdrückte Schmerz in seiner Stimme rührte ihr Herz und versetzte diesem einen mitfühlenden Stich. »Was redest du da für einen Unsinn?!« Sie zog die Brauen kritisch zusammen und schüttelte irritiert den Kopf; für sie war er nicht abstoßend. Er sah anders aus, ja, aber trotz allem war er noch immer Loki. Er schien bei weitem mehr Probleme mit dieser Form zu haben als sie selbst - sie war längst über den Punkt hinaus, wo sie Eisriesen, Schlangenmenschen oder Höllenhunde noch überrascht oder schockiert hätten. Sie wusste immerhin seit Anfang an, dass er ein Eisriese war; sie hatte ihn so zwar noch nie gesehen, doch war sie schon immer neugierig gewesen, wie diese Gestalt wohl aussehen würde. Seine roten Augen wandten sich ihr wieder zu und verengten sich forschend, als würden diese förmlich eine abwehrende Handlung, einen Funken Abscheu von ihr fordern. Und langsam begriff Gwen - sie sah die Wahrheit in seinen glutroten Iriden, die sie an Blut und Feuer erinnerten und daran, dass Loki zwei Welten angehörte; er akzeptierte sich selbst nicht. Er hasste dieses Erbe in sich und das Blut, dass durch seine Adern rann - und solange er sich selbst nicht anerkannte, sich nicht gänzlich annehmen konnte mit allem, was dazu gehörte, solange würde er auch niemand anderen an seiner Seite akzeptieren können. "Sein Herz liegt noch in der Umarmung der Finsternis, doch du kennst den Schlüssel zu seinen Fesseln. Du wirst die Schatten vertreiben." Mit einem Mal wusste sie, was die Norne gemeint hatte. Es war ihr plötzlich erschreckend klar, als hätte sich der Nebel endlich gelüftet, um sie die Wahrheit sehen zu lassen. Sie wusste, was Loki fesselte und seine Seele gefangen hielt. Und sie wusste auch, was sie zu tun hatte. Ohne Zögern schwang sie sich auf seinen Schoß, achtete nicht auf seinen Protest; er wirkte regelrecht schockiert, als sie plötzlich über ihm thronte. Er fand sich wieder in einer ausweglosen Situation, da er sie hätte berühren müssen, um sie von sich zu schieben. Offenbar war er allerdings der Meinung, dass er sie vor seiner Berührung schützen müsste, weshalb er die Hände zwar hob, Gwen jedoch nicht von sich stieß. »Nichts an dir ist abstoßend…« erklärte sie bestimmt. Sie beugte sich zu ihm hinab und umgriff seine Handgelenke sanft, strich mit warmen Bewegungen über seine Haut und drückte seine Arme entschlossen wieder auf das Bett hinab. »Gwen-« begann er fast flehend, doch sie drückte ihm einen Zeigefinger auf die bläulichen Lippen, bevor sie diesen zurückzog und ihren Mund jene Stelle einnehmen ließ, ihre Lippen federleicht auf seine treffen ließ. Der Geschmack seiner Lippen war nicht anders; noch immer waren sie süß und verlockend, weich und unglaublich sinnlich - ob nun in dieser Gestalt oder in einer anderen. Gwen verspürte keine Hemmungen ihn zu küssen, ihren Mund in einem weichen Streifen gegen seine Lippen zu schmiegen, diese erneut zu kosten und zu liebkosen. Loki wurde unter ihrem Kuss starr und weitete die Augen; sie sah diesen Kampf in seinen feurigen Seelenkreisen, zwischen der erwachenden Sehnsucht und der Abscheu vor sich selbst, welche Gwen ihm unbedingt nehmen musste. Wenn sie jetzt zögern, jetzt zurückweichen würde, dann hätte sie ihn wahrscheinlich für immer verloren… Sie umfasste sein Gesicht erneut und ließ die Finger über seine Haut streifen; ihre Daumen fuhren die eingebrachten Linien auf seiner Haut nach, bevor schon ihre Lippen folgten, welche diese faszinierenden Konturen nachzeichneten. Gwen ließ ihren Mund in einem weichen, unendlich zärtlichen Hauch über sein Gesicht wandern; ohne Scham, ohne Zögern und ohne Hemmungen. Sie küsste seine hohe Stirn, seine Brauen, seine scharfen Wangenknochen; genoss das Gefühl dieser kühleren, leicht rauen Haut unter ihren Lippen, unter ihren Fingern, die auch nicht still standen und dem Weg ihres Mundes ebenso genießerisch folgten. Sehr langsam löste sich Lokis Anspannung unter ihren Berührungen und leichten Küssen; er schloss die Augen kurz, schien sich zumindest zu gestatten, es zu genießen, auch wenn die Kontur seiner Kiefer noch immer recht verkrampft wirkte. Seine Atmung beschleunigte sich leicht und seine Lippen öffneten sich um ein Stück für sie, als sie mit einem weichen, versichernden Lächeln auf ihn herabsah und die harte Linie seines Kiefers mit den Daumen nachfuhr. »Siehst du, nichts an dir ist abstoßend. Rein gar nichts. Ich fürchte dich nicht. Du bist noch immer Loki…« wisperte sie mit deutlich belegter Stimme an seinen Lippen; diese Nähe ging nicht spurlos an ihr vorüber und sie konnte nicht leugnen, dass sie auch nach seinen Berührungen verlangte - dass sie sich nach ein bisschen Vergessen und Nähe sehnte, um die Schrecken der letzten Stunden aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Sie senkte den Blick, ließ ihren Mund an seinem Kinn hinabgleiten und neigte seinen Kopf ein wenig zur Seite, um den fast verspielten Linien an der Seite seines Halses zu folgen; ihre Lippen glitten über seine Haut hinab und sie konnte es sich nicht verkneifen, ihre Zunge über seine blaue Haut gleiten zu lassen, welche eine feuchte, schimmernde Spur hinterließ. Zufrieden bemerkte sie die feine Gänsehaut des Gottes; das deutlich schneller klopfende Herz in seiner Brust, auf der sie nun eine Hand gebettet hatte, um sich abzustützen. Sie küsste seinen Hals mit Hingabe, reizte seine Haut zaghaft mit den Zähnen und saugte sie verlangend zwischen ihre Lippen; vielleicht mochte Loki sich für abstoßend halten, doch sie erregte er in jeder Gestalt - sie wollte ihn noch immer, drückte die Nase verlangend in seine Halsbeuge und sog seinen unverwechselbaren Duft tief in ihre Lungen. Ihre Hand auf seiner Brust wanderte indessen über die kühle Haut; strich über die beeindruckenden Linien, welche sich auch dort ausbreiteten und sie zeichnete diese mit ihren Fingern und gedämpfter Leidenschaft nach. Loki kam ihren Berührungen entgegen; sein Körper drückte sich unmerklich gegen ihre Handfläche, doch noch immer fühlbar gebremst, als würden ihn Fesseln zurückhalten. Gwen ließ ab von seinem Hals und widmete sich wieder seinen Lippen; ihre Zungenspitze glitt über diese hart daliegenden Konturen, verlangte nach Einlass, welcher ihr der Magier auch nach einer Weile gewährte. Sofort umschlangen sich ihre Zungen in einem vertraut heißem Tanz, der das Feuer in Gwens Körper spürbar entfachte und Lust wie eine Pfeilspitze zwischen ihre Beine jagte; an diesem Kuss nun war nichts zurückhaltendes mehr und Loki selbst schien seine Jotunengestalt zumindest für den Moment zu vergessen. Er packte ihren Kopf mit seinen kräftigen Händen und zog sie näher auf sich herab; intensivierte die Vereinigung ihrer Münder ins schier Unerträgliche, sodass Gwen sich seufzend an seinem Körper rieb und die Finger in seine bloßen Schulter krallte. Auch der Gott wurde spürbar von diesem Feuer zwischen ihnen verschlungen und mitgerissen; seine Zunge eroberte ihren Mund nun stürmisch und unnachgiebig, stieß in sie wie die Verheißung auf den Akt selbst, während Gwen nicht satt davon wurde, seine Lippen zu küssen, diese mit ihren Zähnen zu fangen und Loki damit immer wieder einen kleinen, heiseren Laut zu entlocken - sie liebte die angeraute Seide seiner geschmeidigen Stimme; wenn jene kippte, ohne die Ahnung von Schärfe und Gefahr einzubüßen. Seine kühlen Hände glitten über ihre Schultern herab und streiften ihre Arme, dann den Saum ihres Handtuchs, welches nur mit einem lockeren Knoten über ihren Brüsten festgemacht war. Seine Finger wanderten zu dieser letzten Grenze zwischen ihnen, bevor er sich bewusst zu werden schien, was er da tat - fast erschrocken löste er seine Hände von ihr und den Kuss, um schwer atmend mit lustverhangenen Augen zu ihr aufzublicken. Wieder erwachte Unsicherheit in seinen Seelenkreisen; leidliche Bedenken, die das Feuer noch nicht mit sich genommen hatte. »Nicht…« wisperte Gwen flehend und ergriff seine Finger, um diese zurück auf ihre Haut zu zwingen; sie drückte seine Hände wagemutig auf dem dünnen Stoff über ihren Brüsten nieder und presste sich verlangend gegen seine Handflächen. »Bitte...fass mich an, Loki...« bat sie in atemloser Gier auf seine Berührungen. »Hör nicht auf…bitte nicht…« Der Magier sah sie für einen winzigen Moment noch forschend unter gesenkten Brauen an, dann begann er ihre Brüste zaghaft zu berühren, zu massieren, als wäre er sich der eigenen Handlungen immer noch nicht ganz sicher. Allerdings reichte dieser leichte Reiz von seinen Handflächen, welche den Stoff über ihre Brustwarzen rieben, schon aus, um Gwen den Kopf in den Nacken legen zu lassen und leise zu seufzen; sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne und genoss dieses prickelnde Gefühl - diese fast unschuldige Vorsicht seiner Berührungen, dieses Verlangen, was nur er zu wecken vermochte… Unbewusst schmiegte sie sich auf seinen Schoß und verfluchte das Leder seiner Hose, was noch immer zwischen ihnen lag wie eine störende Grenze; sie wollte ihn und diesmal ganz - diesmal würde es keine Störungen geben, welche sie aufhielten. Niemand würde sie diesmal unterbrechen… Gwen ließ den Kopf wieder nach vorn sinken und suchte erneut Lokis Lippen, welche sie in einem flehend gierigen Kuss verschloss; ihre Hände strichen verlangend über seine Schultern, seine sehnigen Arme, bevor ihre Finger die seinen über ihren Brüsten erreichten. Ohne Zögern löste sie den Knoten ihres Handtuches und ließ dieses an sich herabgleiten; erschauderte unter dem glutroten Blick des Magiers, der dem Weg des Stoffes mit seinen flammenden Seelenkreisen folgte, die sie beinahe verschlangen - seine Augen waren hungrig, gierig und sehnsüchtig, ungezügelt lag seine Seele hinter dieser letzten Barrikade. Wieder umfasste sie sein Gesicht und schmiegte sich an seine nackte Brust; stöhnte unter dem erschreckend intensiven Gefühl seiner Haut auf der ihren auf. »Bitte, oh bitte…« seufzte sie in sein Ohr und ließ die Hände seinen Rücken hinabgleiten. »Berühr mich, Loki…« hauchte sie gegen eine blaue Wange und zog seine Hände wieder zu sich, um sie auf ihren nackten Schenkeln zu betten. Ihr Körper bewegte sich völlig selbstständig gegen den seinen; langsam rieb sie sich an seinem Schoß, der eine sichtbare Erregung unter dem engen Leder seiner Hose abzeichnete. Gwen biss sich zitternd auf die Lippen, als Loki seine Hände nun tatsächlich wandern ließ; über ihre Schenkel zaghaft nach oben, umgriff er ihre Taille und drückte sie auf seinen Unterleib hinab, um damit ein Prickeln zwischen ihren Beinen zu entfachen, als ihre Mitte auf die Härte in seine Hose traf. Sie stöhnte auf und suchte seinen Mund, um diese rauen, kaum mehr unterdrückten Laute zu fangen, die der Gott nun ausstieß, als sie sich auf seinem Schoß in einem sinnlich moderaten Tempo bewegte. Seine Finger glitten weiter, ihre Seiten hinauf und zaghaft über das weiche Fleisch ihrer Brüste, bevor seine Hände diese ganz umfassten und besitzergreifend umspannten; ihre Brustwarzen drängten sich gegen seine Handflächen, wurden begrüßt von seinen rauen Daumen, während ihr Herz wie ein aufgeregter Schmetterling flatterte. »Du fühlst dich so wahnsinnig gut an…« raunte er im warmen Streifen seines Atems gegen ihren Hals, bevor er diesen küsste, ihre Haut mit den Zähnen reizte und sie dabei erbeben ließ. Sie krallte die Hände in seine Haare und zog ihn näher zu sich, konnte nicht genug bekommen von seiner erwachten Leidenschaft und diesem Hunger, der unverhüllt in seinen roten Augen brannte. »Ich will dich schmecken…« stieß er in einer heiseren Forderung aus und schob eine Hand von ihrem Busen nach oben, um sie mit sanftem Druck ein wenig nach hinten zu zwingen. Gwen folgte seiner Weisung und sah auf ihn hinab, wie er sich nun über eine ihrer Brüste beugte und die Silberzunge aus seinem Mund glitt, um ihre Brustwarze zu umtanzten. Sie schloss die Augen in einem Stöhnen und fuhr mit den zitternden Fingern durch die dunklen, samtweichen Strähnen seines Haares, als er den Mund öffnete und ihre harte Knospe beinahe zaghaft verschlang; selbst in dieser sinnlichen Regung lag eine gewisse Vorsicht, als würde er sich noch immer nicht gänzlich über den Weg trauen oder als könnte er ihre Reaktionen kaum einschätzen. Gwen zerfloss unter dem Geschick seiner Zunge, die sich nun hingebungsvoll ihren Brüsten widmete; sie wollte mehr, so viel mehr von ihm. Ihr Körper kribbelte an jeder erdenklichen Stelle und verlangte nach seinen Händen, nach seiner Haut, seinen Lippen, seiner Leidenschaft… Sie öffnete blinzelnd die Augen und beobachtete gefesselt, wie sich seine blaue Haut unter ihren Berührungen verfärbte; stellenweise schimmerte die vertraute Blässe wieder hervor und wagte sich an die Oberfläche, als würden ihre Finger die Wärme zurückbringen, die seine asische Gestalt ersehnte. Gwen ergriff ihn nun sanft an den Schultern und drückte ihn auf das Bett hinab; Loki ließ sich von ihr führen und glitt an dem hölzernen Rückenteil nach unten, um sich gänzlich auf der Matratze auszustrecken. Er sah fast ein wenig unsicher zu ihr auf - der Atem deutlich beschleunigt, die Lippen feucht von ihren Küssen, die Augen verdunkelt und halb beschattet von dichten Wimpern, bot er einen Anblick, dem sie nur schwer widerstehen konnte. Sie wollte ihn verführen und die Wärme zurückbringen, nach der er sich offenbar so verzweifelt sehnte. Gwen glitt an ihm herab, bedeckte seinen Hals, dann seine Brust mit sanften Küssen; ließ ihre Zunge als Unterstützung über seine Haut gleiten und beobachtete gefesselt, wie sich seine Gestalt unter der Spur ihrer Lippen zurückwandelte; zaghaft wich das frostige Blau und offenbarte ihr wieder den Mann, den sie kannte, den sie begehrte - dem sie vertraute und dessen Nähe sie so verzweifelt genoss, weil sie nie wusste, ob es die letzten Minuten waren, die sie teilen würden… Hingebungsvoll liebkoste sie seinen Körper, ließ Hände und Lippen über seinen Bauch streifen, wo sich die sichtbaren, gut definierten Muskeln unter ihrem raschen Atem deutlich anspannten; sie tauchte die Zunge in seinen Bauchnabel und genoss dieses zaghafte Aufbäumen seiner Gestalt, als ihre Hand die Erhebung unter seiner Hose streifte. Loki wölbte sich ihren Berührungen entgegen und drückte den Kopf in das Kissen, um den Hals in einem sinnlichen Bogen zu spannen; alles an diesem Mann war Verführung, alles Sünde, alles ihr Verderben… Sie berührte ihn mit dieser Zartheit, welche er verdiente; ließ ihren Mund liebevoll über seinen Körper wandern und atmete seinen männlichen Geruch verlangend ein - sie verlor sich in dieser Hingabe, verlor sich in der Sehnsucht nach diesem Gott, der ihr Herz erobert hatte. Dann richtete sie sich zaghaft auf und führte die Hände langsam zu seiner Hose, um diese vorsichtig zu öffnen, während sie die Unterlippe zwischen die Zähne zog und Lokis Blick standhielt, der sie unablässig beobachtete; das Grün seiner Augen kehrte zurück und vertrieb das Rot des Eisriesen - magischen Grün, dass förmlich unter der Lust zu schwelen schien und wie seine Seele gegen die Grenzen seiner Gestalt aufbegehrte. Der Gott befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge und ließ Gwen damit schlucken, die den letzten Knopf seiner Hose mit zitternden Fingern geöffnet hatte und diese nun über seine Hüften hinab zog. Das Leder landete in einem kühlen Rascheln neben dem Bett. Loki war perfekt, doch anders hatte sie es auch nicht erwartet; Gwen hätte nie gedacht, das sie das über einen Mann einmal sagen würde, doch der Magier war wunderschön in seiner Nacktheit - diese endlos langen Beine, die sehnigen, festen Muskeln, die bleiche Haut, die das Feuer des Kamins mit einem rötlichen Schleier überzog, seine magischen Augen, sein unverkennbares, einzigartiges Gesicht - sie war ihm verfallen, sie wusste und genoss es. Dann kroch sie langsam wieder über ihn, begrüßte seine Hände, die sie auf sich zogen und an den Gott pressten; ihre Münder fanden sich wieder - ein atemloser, ein fordernder und bittender Kuss, der ihnen beiden die Sinne zu rauben schien und sie keuchen ließ. Bebend sahen sie sich in die Augen, verwoben ihren Atem miteinander, als eine stumme Frage im Raum hing, die niemand von ihnen zu stellen wagte - wollten sie diese letzte Grenze überschreiten? Konnten sie so weit gehen? Sollten sie es? Lokis Hand strich über ihre Wange und Gwen reckte sich der Berührung sehnsüchtig entgegen; seine fantastisch grünen Augen sahen gebannt zu ihr auf, umwölkten sich in kaum mehr gefesselter Begierde, als sie seine Hand ergriff und zwei seiner langen Finger zwischen ihre Lippen zog und diese genüsslich mit der Zunge umspielte. Sie wollte diesen Mann. Sie wollte alles an ihm und das verkündete sie auch ohne Zögern, als sie seine feuchten Finger aus ihren Lippen entließ und erkannte, dass dieser flammende Blick, den er ihr jetzt zuwarf, genau das war, was sie schon immer ersehnt hatte - seit dem ersten Moment, als sie Loki im Kerker Asgards begegnet war. »Ich will dich…« hauchte sie atemlos gegen seine Hand, bevor sie diese an ihrem Körper hinabwies und zwischen ihre geöffneten Beine führte, die gespreizt über ihm warteten. Sie tauchte seine Finger in die glühende Feuchtigkeit, die sie beide zwischen ihren Schenkeln erwartete; zusammen stöhnten sie auf, als Lokis Hand die Führung übernahm und ihre Scham teilte, um einen Finger gekrümmt über ihren geschwollenen Lustpunkt zu reiben. »Du bist so nass…« knurrte er fast, eine betörende Mischung aus Verwunderung und männlichem Stolz; seine Augen überflogen ihr gerötetes Gesicht, das unter Lust glühte. Sie nickte knapp und haschte nach seiner Unterlippe, welche sie verlangend fing und mit den Zähnen massierte. »Oh Gott, Loki…bitte…bitte…berühr mich…« drängte sie an seinem Mund und schämte sich kein bisschen für den verzweifelten Klang ihrer Stimme; seine Lippen umtanzte eines dieser altbekannten, triumphalen Grinsen, bevor er sie neugierig und erstaunt musterte, als er einen Finger in sie schob - so quälend langsam und folternd in seiner Vorsicht, dass Gwen sich schwer atmend auf dem Bett abstützen musste, um nicht den Halt zu verlieren. Instinktiv schob sie sich seiner Hand entgegen, drängte seinen Finger damit noch weiter in sich, während sie dieses Gefühl, dieses Bewusstsein fast vollständig verrückt machte, ihn in sich zu haben - das und seine Zurückhaltung, da er sie offenbar leiden lassen wollte. Seine freie Hand ergriff ihren Kopf und zog sie zu sich herunter; seine Nase strich durch ihr Haar, suchte ihr Ohr, in das er seinen heißen Atem hauchte. »Sag mir, was du willst, Gwen…bitte…sag es mir. Sag mir, was du brauchst…« Sein Daumen rieb neckend über das geschwollene Nervenbündel zwischen ihren Beinen und ließ sie erbeben; sie war wie elektrisiert, ihre Gedanken ein wirrer Strudel, während sich der Raum um sie beide zu drehen schien. »Ich brauche dich…« keuchte sie erstickt und konnte ihre zitternde Hüfte kaum noch kontrollieren, welche sich gegen seine Finger drängte, um mehr zu spüren - um alles zu fühlen. »Ich will dich…in mir…Loki…bitte…« kamen ihr die Worte abgehakt über Lippen, bevor ihre Stimme in einem lustvollen Schrei erstarb. Der Magier hatte unvermittelt einen weiteren Finger in sie geschoben und bewegte diese nun in ihr auf und ab, während sein Handballen dabei immer wieder auf diesen einen Punkt ihrer nassen Scham traf, der ihr feurige Blitze durch den Körper schickte und ihr den Schweiß ausbrechen ließ. »Gefällt dir das? Ist das gut so…?« raunte Loki heiser neben ihrem Ohr; ihr Kopf hing kraftlos nach unten und sie hatte Mühe, sich über ihm aufrecht zu halten. Er klang wirklich ein wenig unsicher; ein zaghafter Funken zwischen dem verdunkelten Samt seiner sonst so klaren Stimme - allein für diese Frage, für diese Rücksicht, ging ihr Herz nur noch viel mehr für ihn auf. Er fragte sie das nicht wie ein Mann, der sich an ihrer Lust ergötzen wollte, sondern wie ein Mann von Wert, dem es wirklich wichtig war, wie sie empfand. »Oh Gott…ja, das ist gut…das ist gut…« keuchte sie in sein Haar und konnte sein schmales, zufriedenes Grinsen aus dem Augenwinkel erblicken, bevor sie sich mühsam in die Höhe stemmte und begann, seine Finger seicht zu reiten; Lokis freie Hand schlängelte sich an ihrem Körper nach oben und nahm ihre Brüste erneut in Besitz, während sein Blick fasziniert und leidenschaftlich zugleich an ihr hing. Allerdings war ihr das nach einer Weile alles nicht mehr genug; sie wollte den Magier ganz, sie musste ihn einfach vollständig fühlen. Gwen ergriff sein Handgelenk und zog seine Finger mit einem erstickten Seufzen aus sich; seine langen, geschickten Finger, die nun völlig von ihrer Nässe benetzt waren, bevor sie zwischen ihre Körper griff und seine Erregung ertastete. Loki keuchte sofort auf und wölbte sich ihrer Berührung entgegen, als sie ohne Scham seine Männlichkeit umgriff und diese zu reiben begann; sie genoss nicht nur das Gefühl dieser seidigen Härte in ihrer Hand, sondern auch den Anblick seines Gesichtes - seine Züge waren gelöst, nichts als Lust und Verlangen stand in den scharfen Konturen, die jegliche Verbissenheit und Strenge völlig eingebüßt hatten. Nicht mehr Gott und Mensch - sondern Mann und Frau. Ihre Finger hatten fast ein wenig Mühe, seine gesamte Länge zu umfassen und für einen Moment verspürte sie fast so etwas wie Unbehagen, da sie wusste, wie zierlich sie eben doch gebaut war - sie würde wahrscheinlich Schmerzen haben, bis sie sich an ihn gewöhnt hätte. Doch auch diese Gewissheit hielt Gwen jetzt nicht davon ab, Loki mit einer Hand auf das Bett zu drücken, während sie sich über der Spitze seiner Erregung positionierte; sie war so feucht, dass diese ohne große Mühe in sie glitt - beide stöhnten sie auf und Lokis Oberkörper hob sich gegen ihre Hand vom Bett, bevor er mit seinen großen Händen ihre Hüfte umfasste. Doch er zwang sie nicht auf sich, sondern gab ihr den Halt, welchen sie benötigte, als sie sich Stück für Stück auf ihm niedersinken ließ; seine Größe dehnte sie schmerzhaft und Gwen grub die Nägel in Lokis Unterarme, an welche sie sich bebend klammerte. Der Magier ertrug diese Marter ohne ein Wort; seine Augen ließen die ihren nicht los, während ihr der eigene Puls wie Meeresbrandung in den Ohren rauschte. Irgendwann hatte sie ihn tatsächlich gänzlich in sich aufgenommen und wimmerte angestrengt; ein Laut, aus Lust und Pein geboren - Loki so tief in sich zu spüren war beinahe schon zu viel; ihre gesamten Nervenenden schienen in Flammen zu stehen, jeder Punkt ihrer Wahrnehmung nur auf ihn fixiert. Es war ein unbeschreibliches, ein unglaubliches Gefühl; eine Verbindung, die nichts inniger gestalten konnte, da Gwen ihr unsichtbares Band fast spürte, wie es sich in diesem Moment um sie beide schlang und sie für die Ewigkeit vereinte - es grub sich in ihr beider Fleisch, ihr Blut, ihren Schweiß und ihre Tränen und würde sie bis zum Tod miteinander verbinden. Diese Empfindung war so intensiv, dass Gwen die Augen schließen musste, um sich zu sammeln und trotzdem stahl sich eine einsame Träne unter ihren Wimpern hinweg - wie konnte ein Mensch nur so viel fühlen? So stark empfinden, dass es beinahe wehtat? Loki bewegte sich leicht unter ihr und richtete sich auf; seine Arme umschlagen sie sanft, drückten ihren Kopf gegen seine Schulter. »Alles in Ordnung…?« fragte er rücksichtsvoll; seine Stimme trug den Klang von mühsam unterdrückter Leidenschaft. Er bewegte sich nicht in ihr, obwohl sie in den angespannten Muskeln, die sich unter seiner blassen Haut wölbten, deutlich sehen konnte, wie viel Beherrschung ihn das kosten musste. Gwen nickte zaghaft und hob den Kopf wieder, um ihm in die schimmernden Augen sehen zu können. »Alles mehr als in Ordnung…« hauchte sie mit einem weichen Lächeln und umschlang seinen Nacken mit den Armen, bevor sie sich vorsichtig auf ihm anhob und fast seine gesamte Länge aus sich gleiten ließ, bevor sie sich langsam wieder auf ihm herabsenkte. Loki keuchte einen dunklen Laut in ihr Haar, bevor er ihren Mund fand und diesen mit seinen Lippen verschloss; sie begannen sich in einem leichten, langsamen Rhythmus zu bewegen - wiegten sich zu einer Melodie, die nur sie allein hören konnten. Dieser Akt war mehr als das bloße Verbinden zweier Körper; es war ein Kennenlernen, ein aufeinander Abstimmen, ein Geben und Nehmen - eine elementare Vereinigung, die nicht nur ihre Geschlechter und ihre Lust zueinander führte, sondern auch ihre Seelen. Ihre Hände fanden sich und verflochten sich miteinander, wie auch ihre Körper auf eine Weise verschmolzen, die ihre sinnlichen, langsamen Bewegungen kostbar und verzehrend innig machte. Ihre Münder wollten sich kaum mehr voneinander lösen; mussten es nur, um nach Luft zu haschen und sich sanfte, versichernde Worte gegenseitig zuzuflüstern. Gwen versank in diesen atemlosen Momenten, in diesem streicheln, berühren, fühlen - in diesen Küssen, in diesen Blicken, die tiefer gingen, als ein Blick das eigentlich sollte; ihre Seelen wurden eins, als Gwens Finger leidenschaftlich über Lokis schweißnasse Haut glitten, bevor ihre Zunge diese salzige Flüssigkeit aufnahm - als der Gott seine Lippen gegen den flatternden Puls ihres Halses drückte, seine Lust in einem haltlosen Keuchen entlud, während sich seine Hände gegen ihren verschwitzten Rücken pressten und ihre Körper so fast zu einer Einheit verband. Sie bewegte sich in ungestümer Sinnlichkeit auf ihm, fühlte das rasende Ende ihrer Vereinigung nahen; das glühende Feuer, dessen Flammen immer höher schlugen und ihre Gestalt verzehrten - sie klammerte sich in einem haltlosen Schrei an den Magier, als sie kam, den Kopf in den Nacken warf und schwor, sie konnte Sterne über ihnen leuchten sehen. Ihr Geist schien abzudriften, ihren Körper leicht und frei zu machen; ihre feuchten Muskeln zogen sich um die Härte des Magiers zusammen, der seine Finger in ihre Hüfte, in ihren Po grub und den Kopf kraftlos gegen ihre Schulter sinken ließ, als sein Körper in einem leidenschaftlichen Beben den Höhepunkt erreichte. Das war der Moment - jener Augenblick, als Gwens graue Augen auf die lodernd Grünen des Gottes trafen, unter verschwitzten Haarsträhnen hinweg eine Gewissheit tauschend, die sie selbst kaum begreifen, doch nun erkennen konnte; das war der Herzschlag, in welchem sie wusste, dass sie sich in Loki verliebt hatte. Sie liebte den Gott der Lügen und Illusionen, der Täuschungen und des Unheils; sie liebte diesen Mann, der in jenem Augenblick weniger Gott war, als viel mehr ein Mann, dessen Seele sie erkennen und wertschätzen konnte. Sie liebte und wusste, dass Loki der letzte Mann in ihrem Leben sein würde; unabhängig von seinen Gefühlen war sie gezeichnet durch sein Wesen und seine Präsenz, durch diese magische Verbindung, welche sie immer aneinander fesseln würde - es würde nie mehr einen anderen für sie geben. Nur noch Loki. Wahrscheinlich war es immer schon Loki gewesen. Kapitel 22: Garm (zensiert) --------------------------- Jeder kannte sie - diese Tage, an denen man besser im Bett geblieben wäre. Jene Tage, die einfach nur so furchtbar schief liefen, dass man sich am Ende fragen musste, ob man eigentlich irgendwann einmal etwas getan hatte, um die Arschkarte des Schicksals zu verdienen… Gwen ahnte, dass dies heute so ein Tag für sie war, als sie die schweren Lider verkrampft anhob und durch milchige Schlieren in ihre Umgebung blinzelte, in der sie rein gar nichts erkennen konnte außer verschwommene Schemen und den fernen Schein von Feuer. Die Luft war stickig und unangenehm warm. Sie hätte heute früh wirklich mit Loki im Bett bleiben und definitiv mit ihm schlafen sollen, später irgendeine hirnlose Sitcom im Fernsehen gucken und dabei eine riesige Ladung Eis in sich stopfen können, nachdem der Magier sie wahrscheinlich am Abend sang- und klanglos verlassen hätte, um sich aus dem Staub zu machen. Zumindest hätte sie dann noch einmal Sex gehabt. Vor allem mit Loki, was einen großen Pluspunkt der Überlegung ausmachte. Und sie hätte niemals diesen Mist über sich erfahren. Oh - und ganz wichtig, sie wäre jetzt wahrscheinlich nicht in der Gewalt von fremdartigen Kreaturen, die definitiv nicht von dieser Welt waren. Es gab also Unmengen an Möglichkeiten, die sie an diesem Tag lieber genutzt und Dinge, die sie lieber getan hätte. Das Problem war - die Zeit konnte man nicht zurückdrehen. Falsche Entscheidungen blieben genau das, was sie waren - falsche Entscheidungen. Da half auch kein Bedauern. Was war eigentlich nochmal passiert…? Ihr Kopf fühlte sich so seltsam schwer an und hing kraftlos auf ihren Schultern; ihr Hirn schien aus einer zähen, trudelnden Masse zu bestehen, in der ihre Gedanken unsortiert und wahllos durch klebrige Fäden wanderten. Gwen erinnerte sich noch daran, dass sie Masons Hütte verlassen hatte, um frische Luft zu schnappen und den Kopf frei zu bekommen, da diese neue Eröffnung in Bezug auf ihre Herkunft sie ziemlich irritiert, geradezu entsetzt hatte. Asgard… Nie im Leben hätte sie damit gerechnet. Niemals daran gedacht, es auch nur in Betracht gezogen, dass sie womöglich gar nicht von der Erde kam… War sie wirklich ein Mensch, wie Loki noch behauptet hatte? Und wenn er sich irrte…was war sie dann? Woher kam sie wirklich? Wer hatte sie offenbar so dringend loswerden wollen, dass man sie kurz nach der Geburt sofort einsam und allein auf der Erde ausgesetzt hatte? Sie schob diese schmerzenden Gedanken von sich und versuchte sich wieder auf das Geschehene zu konzentrieren; sie war also hinaus in den Schnee getreten und hatte eigentlich nur zu Angel gehen wollen, als ein seltsames Geräusch sie aufmerksam gemacht hatte. Kurz darauf waren schon diese schlangenartigen Wesen urplötzlich aus dem Wald erschienen und hatten Gwen und die verbliebenen S.H.I.E.L.D Agents angegriffen; sie hatte noch versucht sich in den Pick-up zu retten, war jedoch zu langsam gewesen. Eine der Kreaturen hatte sie erwischt und in den Wald davongezerrt. Nun wusste sie weder, wo sie war, noch was die Wesen vorhatten, die Gwen jetzt in einiger Entfernung recht undeutlich ausmachen konnte. Neben sich hörte sie ein leises Stöhnen; unter größter Anstrengung wandte sie den Kopf und erblickte einen der Agents, der ebenso betäubt neben ihr an der Wand lehnte. Weitere Männer und Frauen konnte Gwen in einiger Entfernung erkennen, die wie leblose Marionetten auf dem Boden saßen; einige waren scheinbar bewusstlos, andere kämpften wie sie deutlich mit den Wirkungen ihres benebelten Geistes. Diese Kreaturen mussten ihnen irgendetwas gegeben haben, denn eine sichtbare Fesselung konnte Gwen bei keinem von ihnen entdecken; die Wesen mussten sich also sicher sein, dass sie nicht fliehen würden.  Ihre eigenen Hände lagen schwer und nutzlos in ihrem Schoß. Der Schein von Feuer drang noch immer zu ihren müden Augen heran; die Kreaturen hatten sich darum gescharrt und unterhielten sich offenbar, denn die zischelnden, hellen Laute ihrer Sprache erfüllten den dunklen, stickigen Raum. Es war unnatürlich warm, fast heiß und Gwen schluckte mehrmals, um Speichel in ihrer ausgetrockneten Mundhöhle zu produzieren. Das Atmen fiel schwer; der Mangel an Sauerstoff war dem flauen Gefühl in ihrem Magen und dem wattigen Empfinden in ihrem Kopf nicht sonderlich zuträglich. Kraftlos rutschte Gwen an der Wand hinab und fiel hart auf die Seite; ihre Hand schleifte verzweifelt über den staubigen Stein des Bodens, während sie versuchte sich zu orientieren und ihren Gliedern die Weisung zum bewegen zu geben. Doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen, sondern lag in dem Griff einer schleichenden Lähmung. Sie blinzelte hektisch, um ihre Sicht zu klären und erkannte unweit von sich ein paar alte Fässer und gestapelte Holzkisten, auf denen Plaketten bekannter Alkoholhersteller prangten. Ein paar Meter weiter zogen sich Regal an den steinigen Wänden nach oben, gefüllt mit Vorratsdosen, Flaschen und eingeschweißten Lebensmitteln. Wo zum Teufel waren sie? Eigentlich war das auch unwichtig. Sie musste hier raus. Tränen der Niedergeschlagenheit und Anstrengung lösten sich aus ihren Augen und tropften heiß über ihre Wangen, gemischt mit ihrem Schweiß, der von den wenig erfolglosen Bemühungen herrührte, ihre nutzlosen Beine zu bewegen; ein verhaltenes Ächzen musste ihr entkommen sein, denn eine der Kreaturen wandte den Kopf und spreizte ihr Nackenschild erregt, als sie Gwens hoffnungslose Versuche zu fliehen bemerkte. Beinahe entspannt schlängelte das Wesen zu ihr herüber und nun im Schein des Feuers konnte Gwen das Gesicht der Kreatur erst richtig erkennen, da es im Wald zuvor einfach zu düster gewesen war. Entgegen ihrer Befürchtungen war das Wesen nicht abstoßend oder entstellt; es erinnerte entfernt an einen Menschen, wenngleich auch seine hageren, markanten Züge von komplizierten Mustern aus schimmernden Schuppen überzogen waren. Die Nase war flach und kaum vorhanden; das Einzige, was dem Gesamtbild eine etwas groteske Note verlieh. Die rötlichen Augen der Kreatur lagen leicht schräg im Schädel und besaßen geschlitzte Pupillen, wie man es von einer Schlange kannte; ihnen wohnte etwas unheimlich Hypnotisierendes und Fesselndes inne. Trotz ihrer Andersartigkeit haftete den Kreaturen eine seltsame, grazile Schönheit in den schlanken Gliedern und den kräftigen Schuppenschwänzen an, in denen ihre Körper endeten - Gwen erinnerten sie ein bisschen an die Naga der indischen Mythologie. Gemächlich ließ sich das Wesen neben ihr nieder und beäugte sie mit neugierig schräggelegtem Kopf, bevor die klauenartigen Finger beinahe liebevoll über ihre heiße Stirn strichen und ihr die wirren Haare aus dem Gesicht führten. »Du sssschon aufgewacht?« zischelte die Kreatur leise und Gwen meinte durch den tieferen Bariton ein männliches Wesen zu erkennen; die menschliche Sprache schien ihm Mühe zu bereiten, denn seine gespaltene Zunge stolperte über die ungewohnten Silben. »Du hübsssch. Haar wie Feuer…« »Bitte…« flüsterte Gwen erstickt, da das Kitzeln im Hals durch die Hitze furchtbar unangenehm war. »Was…habt ihr vor…was wollt ihr von uns?!« krächzte sie rau. »Wer…seid ihr…?« Noch immer versuchte sie entgegen ihrer Möglichkeiten von dem Wesen fortzukriechen, obwohl ihr Körper sich weiterhin widersetzte. Nutzlos kratzen ihre Nägel über den Boden. Alles um sie herum drehte sich; selbst das Gesicht des Wesens schien sich in einem Wirbel zu verzerren, als dieses gespannt auf sie herabblinzelte. Gwen fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, während ihr träges Hirn noch zuzuordnen suchte, wo oben oder unten war. Der gesamte Raum schien keinen bekannten physikalischen Gesetzen mehr zu unterliegen. Gwen wollte einfach nur weg - für einen aberwitzig kurzen Moment kam ihr sogar der abstruse Gedanke, dass der Tod womöglich eine Erleichterung darstellen könnte. Erschöpfung übermannte sie und ließ die Hoffnungslosigkeit herein; ihr Herz wurde förmlich davon überschwemmt und drohte sie in einen dunklen, tiefen Sumpf zu reißen. Ihr Leben war zum reinsten Chaos geworden, der sich um sie drehende Raum zum Sinnbild ihrer eigenen Existenz - Gwen selbst wusste im Moment auch nicht mehr, wo oben oder unten war, woran sie noch glauben sollte und woran nicht. Sie fühlte sich losgelöst von ihren Wurzeln; abgetrennt von diesem Leben, was sie all die Jahre als das ihre erachtet hatte. Wer war sie? Wo gehörte sie hin? Am Rande ihrer vernebelten Gedanken dämmerte ihr, dass eine Substanz dieser Wesen durch ihre Blutbahn kreisen musste und ihre trübsinnigen Überlegungen begünstigte; durch den Schleier ihrer Tränen und das begrenzte Sichtfeld ihrer Augen erblickte sie zwei kreisrunde, rote Male an ihrem Handgelenk, nachdem sie dieses angestrengt vor ihre Nase gezogen hatte. »Was…ist das?!« flüsterte sie verwirrt. Das Wesen umfasste eben jenes Handgelenk nun mit seinen Klauen und hob es zu seinem Mund. »Gleich bessssssser…« säuselte es und zog die Lippen zurück, um zwei dolchartige Fangzähne in den Reihen seiner spitzen Zähne zu entblößen; Gwen riss die Augen auf und versuchte hektisch den Kopf zu schütteln, was allerdings wohl mehr in einem Zittern verkam. Kraftlos zog sie an ihrem Arm, um diesen dem Griff der Kreatur zu entreißen; eine lächerlich schwache Geste, die das Wesen kaum Anstrengung kostete. »Bitte…b-bitte…nicht…« stammelte Gwen verzweifelt, doch die Kreatur schlug ihre Zähne schon in ihr Handgelenk. Ein scharfer Schmerz durchzog ihre Haut, bevor eine betäubende Schwere in ihren Venen folgte, die sich langsam von ihrer Hand ihren Arm hinauf kämpfte. »Nein…« Gwen wimmerte ängstlich; die verlockende Dunkelheit einer Betäubung kletterte über ihre Schulter und kroch ihren Hals hinauf. Vergiftet…sie war vergiftet und völlig hilflos… »Sssschlaf…« säuselte das Wesen und drückte ihr den Zeigefinger auf die Stirn, um sie mühelos zurück auf den Boden zu zwingen. »Isssst noch nicht sssssoweit.« Dann ließ es ihre Hand los und richtete sich wieder auf, um sich zu seinen Artgenossen zu gesellen, die noch immer um das Feuer versammelt waren. Mit aller Kraft versuchte sich Gwen gegen die herannahende Finsternis zu wehren; schlimmer als entführt zu werden war nur die Tatsache, diesen Wesen vollkommen wehrlos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Sie wollte nicht schlafen. Sie durfte nicht einschlafen! Verbissen hielt sie die schweren Augen auf, aus denen glasklare, heiße Tränen perlten; ihr gesamter Körper erschlaffte bereits wieder ohne ihren Willen und sank auf den kühlen Steinboden herab. Nicht einmal ihre Finger konnte Gwen nun noch bewegen, die still und blass vor ihrem Gesicht ruhten; nicht mal das Krümmen eines Knöchels gelang ihr mehr. Zum Schluss erreichte das Gift des Wesens ihr Hirn und schaltete ihre wachen und aktiven Gedanken ab; ihre Lider flatterten herunter und ihre Lippen verließ ein schmerzlicher Seufzer, ein letztes Wort, bevor sie in die warmen Arme eines allumfassenden Schlafes sank und ihr Verstand in traumlose Weiten abdriftete. »Loki…« hauchte Gwen ihre Hoffnung in verzweifelter Sehnsucht wie ein Leuchtsignal in die Dunkelheit, auf das es hoch und weit genug steigen würde, um den Magier zu erreichen, dem ihr letzter, innigster Gedanke galt. Der Prinz war alles, was ihr nun noch blieb. Ob er kommen würde, um sie zu retten? Ob er sie überhaupt finden konnte? Seine grünen Augen begleiteten sie in die Dunkelheit ihrer Betäubung… Loki sprintete dem Hund hastig durch den Wald hinterher; er sprang wie Angel über vom Schnee bedeckte Wurzeln und hohle Baumstämme, während sein Atem in der eisigen Luft vor seinen Lippen kondensierte und seinem raschen Lebenshauch eine Form gab. Donnernd hämmerte das Herz in seiner Brust, als er sich um den rissigen Stamm einer Tanne schwang und deren tief hängenden, schweren Zweigen auswich, von denen hinter ihm der Schnee platschte. Angel war oft nur eine dunkle Silhouette in der schneeweißen Umgebung; im fortschreitenden Dämmerlicht des Tages nichts anderes als ein weiterer grauer Punkt in einer überfroren Landschaft. Der Magier sah mehr die schillernde, orange Aura des Hundes, als das er dessen Gestalt im dichten Schneetreiben ausgemacht hätte. Die Flocken schlugen ihm wie scharfe Nadelstiche entgegen; obwohl ihm die Kälte nicht viel ausmachte, so spürte er sie doch auf seiner asischen Haut. Seine Hände waren bereits rau und kühl, das Leder seiner Rüstung klamm unter der Nässe und den eisigen Winden. Doch Verbissenheit und ein eisenharter Wille trieben den Magier unerbittlich weiter; um seine Stiefel stob der Schnee bei jedem stampfenden Schritt auf und Loki hob flüchtig eine Hand, um sich das feuchte Haar aus dem Sichtfeld zu wischen. Er machte einen Satz über einen verschneiten Graben und landete auf der anderen Seite mit einem leisen Ächzen in der Hocke; seine grünen Augen suchten die Umgebung nach der Aura Angels ab, während der Schnee um ihm leise und fast sanft wieder herabsank, nachdem dieser unter dem Aufprall seiner schweren Stiefel in die Höhe gewirbelt wurden war. Die weiße Pracht umgab den Magier wie ein zauberhafter Kokon; Eis war sein Verbündeter und er nutzte die fallenden Flocken, um jene in einem magischen Strudel um sich zu formieren, sodass seine Gestalt und seine Aura vor ungebetenen Augen abgeschirmt wurde. Angel drückte in einiger Entfernung die Schnauze in den Schnee und stieß dann ein fast triumphales Heulen aus, als er die Fährte der Sterblichen offenbar wieder aufgenommen hatte. Der Magier musste dem Schicksal wirklich für die Anwesenheit des Hundes danken, denn wegen des dichten Schneefalles waren die verwischten Spuren auf dem Waldboden längst verschwunden. Er hätte sich zwar auf seine magischen Sinne verlassen können, doch die feine Nase eines Hundes konnten jene nicht ersetzen. Gwendolyn… Loki musste sie finden. Jede Minute, die sie außerhalb seiner Reichweite verweilte, war eine äußerst riskante Minute - Garm konnte ihre Fährte nun uneingeschränkt wieder aufnehmen und würde sie mit Gewissheit finden, wenn der Magier sie nicht vor dem Helhund aufspürte. Außerdem wollte er sich gar nicht so genau ausmalen, was Jörmungandrs Kinder mit ihr wohl anstellen würden. Jeder kannte die Legenden über die Brut der Midgardschlange; diese Geschichten wurden asischen Kindern genauso gern erzählt wie jene über die Eisriesen, die einen holen kamen, wenn man nicht schlafen wollte. Loki war für die Sterbliche verantwortlich. Er hatte ihr versprochen, dass er sie beschützen würde. Er hatte versagt… Mit einem heißeren Knurren ruckte sein Kopf herum und er entdeckte die S.H.I.E.L.D Agents, die ihm in einigem Abstand mühsam zu folgen versuchten; Andrew Preston an der Spitze, die Waffe gezogen flatterte sein Mantel hinter ihm im Wind wie die dunklen Flügel eines Raben. Der Sterbliche war genauso verbissen wie Loki und ließ sich nicht abschütteln; der Magier empfand fast so etwas wie Respekt, dass der Mensch es schaffte, mit seinem Tempo Schritt zu halten. Einen winzigen Augenblick gewährte er den Männern, um zumindest ein wenig zu dem Gott aufschließen zu können, dann drückte er sich in die Höhe und hastete durch die dichten Baumreihen weiter - Angel hinterher, der bereits mit großen Sätzen durch das Unterholz sprintete und der Fährte folgte. Es war mehr als die bloße Verantwortung für die Menschenfrau, die ihn antrieb, dass erkannte Loki nun ohne Mühe; zwischen ihnen bestand inzwischen eine tiefere Verbindung, die der Magier gern behüten wollte. Er machte sich ernsthaft Sorgen um Gwen, nicht nur um seine missglückte Mission, die Sterbliche in Sicherheit zu hüllen. Seine Hände ballten sich unbewusst zu Fäusten. Er würde sie finden. Er würde nicht versagen; weder vor dem Allvater, noch vor der Menschenfrau und schon gar nicht vor sich selbst. Er würde nicht scheitern, weil er nicht scheitern durfte. Er wollte Gwendolyn nicht missen. Loki konnte sie einfach nicht verlieren, da sie zum ersten Mal in seinem Leben etwas darstellte, was nur für ihn da war; sie war zu besonders, als das er auf ihre Nähe verzichtet hätte. Angel stoppte in einiger Entfernung an einer steil abfallenden Böschung und blickte zu dem Magier zurück, als wolle er sich versichern, dass dieser noch immer folgte. Loki schloss rasch zu dem Hund auf und bremste seinen Lauf am mächtigen Stamm einer alten Kiefer, deren tiefhängende, schneebedeckte Äste sie vor Blicken hier oben beschützten. Der Hang fiel vor ihnen zur Straße hin ab, die der Magier als jene erkannte, die er vor gar nicht allzu langer Zeit erst mit Gwendolyn genommen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein flaches Gebäude im Schnee, vor dem einige Lastwagen, Autos und Motorräder geparkt waren; auch dieses identifizierte Loki als jenes aus seiner Erinnerung. Nur waren die Menschen davor jetzt verschwunden und das einzige Leben stellten die blinkenden Reklametafeln dar, die für „Bed&Breakfast“ warben. Die Fahrzeuge wirkten teils recht lädiert; einige Motorhauben waren eingedrückt, Windschutzscheiben und Planen der Lastwagen von Schüssen durchsiebt. Die momentane Ruhe entsprang offensichtlich also keiner natürlichen Ursache. Er hätte gleich darauf kommen können. Loki rieb sich mit einem schweren, ärgerlichen Seufzen über die tief gefurchte Stirn, während sich Angel an sein Bein schmiegte. Hinter ihnen wurden weitere Schritte laut, als die Agents keuchend bei ihnen ankamen. Andrew Preston lehnte sich neben Loki an den Stamm des Baumes und ließ den Kopf zurücksinken, um einen Augenblick zu verschnaufen, bevor er das Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenfalls in Augenschein nahm. Schnee hatte sich auf dem dunklen Stoff seines Mantels niedergelegt, klebte ihm auch in den braunen Haaren, doch schien der Mensch ebenso wenig empfänglich für die Kälte zu sein wie Loki; zumindest ließ er sich körperliches Unwohlsein nicht anmerken. »Sind sie da drin?« Der Agent deutete mit der Mündung seiner Waffe auf den Flachbau, während er sich selbst im Schatten der Kiefer verborgen hielt. Seine blauen Augen waren wachsam, allerdings auch äußerst argwöhnisch über die momentane Entwicklung; sein Unbehagen Loki gegenüber war dem Mann deutlich anzusehen, doch verfolgten sie beide das gleiche Ziel - das schien dem Sterbliche einmal mehr wenig zu schmecken. Auch die restlichen Agents behielten den Magier unablässig im Blick, obwohl er in diesem Fall nicht der Feind war; allerdings schienen die Menschen oft nach dem Sprichwort „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ zu leben. Sie würden ihm niemals trauen - und wahrscheinlich taten sie ganz gut daran. »Offensichtlich…« gab der Magier knapp zurück und ging neben Angel in die Hocke, um bessere Sicht auf das Gebäude zu haben. Die Fenster waren dunkel und nichts schien sich im Inneren zu regen. »Es wäre nur logisch.« »Logisch?« Andrew hob eine Braue. »Inwiefern?« Er gab ein paar seiner verbliebenen Männer knappe Handzeichen, damit diese sich verteilen sollten, um sich dem Flachbau von mehreren Seiten nähern zu können. Die Agents verschwanden durch den knirschenden Schnee langsam den Abhang hinab. »Sie müssen sich aufwärmen, wie Schlangen das eben tun…« raunte Loki leise und strich dem Hund neben sich beruhigend durch das dichte Fell, da das Tier angespannt zitterte und in der Kehle grollte. Die Fährte war noch frisch und Angel musste die Angreifer über die Entfernung deutlich wittern. »Die Kinder der Midgardschlange sind exotherm wie alle Reptilien. In dieser Kälte zu jagen hat sie sicher ziemlich viel Kraft gekostet. Sie werden sich mit ihrer Beute zurückgezogen haben, um ihre Energiereserven aufzutanken, was ziemliches Glück für uns ist, da es uns Zeit verschafft.« Der Magier erhob sich wieder und sah die Straße hinauf und hinab; um eine der unteren Biegungen verschwand gerade ein langsamer Wagen, dessen Scheinwerfer wie bleiche Geisterfinger durch das Dämmerlicht des Tages glitten, bevor es wieder vollkommen ruhig wurde bis auf das Säuseln des Windes und das Rauschen in den oberen Baumwipfeln. Loki wollte sich eben daranmachen, den Abhang hinabzustürmen, als Andrew ihn am Arm zurückhielt. Der Magier riss den Kopf herum und funkelte den Agent aufgebracht an, der seinen Arm jedoch nicht losließ. Entschieden begegnete dessen Blick dem des Gottes. »Wir können nicht einfach so dort reinstürmen. Wir wissen nicht, wie viele von den Dingern noch da drinnen sind und wir sind gerade mal eine Handvoll Männer. Wir brauchen Unterstützung.« sprach Andrew eindringlich und Loki bemerkte das Mobiltelefon in seiner Hand. Er machte sich aus Andrews Griff los und sah geringschätzig auf den Sterblichen hinab. »Ihr könnt ja gern hier auf Eure Unterstützung warten. Ich für meinen Teil werde jetzt Gwendolyn Lewis retten.« zischte er tödlich entschlossen. Der Agent fuhr den Magier aufgebracht an. »Du unterliegst jetzt meiner Befehlsgewalt-« Loki unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung und beugte sich drohend näher zu dem Mann, der allerdings nicht zurückwich, sondern das Kinn eigenwillig reckte. »Falsch, Mister Preston. Ich unterstehe nur mir selbst. Und wenn Euch etwas an Euren Männern liegen sollte, dann sage ich Euch, dass wir jetzt dort hineingehen, bevor es zu spät ist…« raunte der Magier unheilvoll. Die blauen Augen des Agents zogen sich argwöhnisch zusammen, dann schweifte sein Blick hinüber zu dem flachen Gebäude. »Was willst du damit andeuten…?« hinterfragte er vorsichtig. Loki holte tief Luft und rollte die Augen nach oben über das Unverständnis der Menschen; deren beschränktes Wissen war manches Mal recht nervenaufreibend. Vor allem in dieser Situation, wo sie mehr als alles andere keine Zeit verschwenden durften. »Habt Ihr Euch nicht gefragt, warum die Wesen recht entfernt an Mensch erinnern? Jörmungandr zeugt ihre Nachkommen nicht auf natürlichem Wege. Ihre Brut nutzt die Risse zwischen den Welten, um sich neue Nahrung für ihren Fortbestand zu sichern. Darum haben sie Eure Männer auch nicht getötet, sondern nur entführt. Die Stärksten und Kräftigsten werden ausgewählt, um mit den Kriegern und Kriegerinnen dieser Rasse Jörmungandrs Nachkommen zu zeugen. Dafür benötigt es allerdings ein Ritual, in welchem die Auserwählten das Gift der Midgardschlange injiziert bekommen. Wer das überlebt, besitzt die zweifelhafte Ehre als Samenspender oder Brutkasten herzuhalten. Wer nicht, nun, fressen müssen sie auch. Sicher ist nur, dass man sehr selten je wieder etwas von jenen gehört oder gesehen hat, die von Jörmungandrs Brut entführt wurden…« grollte er unwirsch. Der Agent war sichtlich erbleicht und Loki konnte es hinter seiner Stirn förmlich angestrengt arbeiten sehen. Dann schluckte er und hob die Hand zu seinem Headset. »Wir werden jetzt zugreifen. Keine Zeit, um auf Verstärkung zu warten.« wies er befehlend in die Apparatur an und kurz darauf lösten sich die Agents aus dem Schutz der Bäume und liefen geduckt über die Straße zu dem Gebäude hinüber. Die restlich verbliebenen Männer hasteten jetzt mit Loki und Andrew den Hang hinab und überquerten rasch die Straße. Angel blieb beharrlich an der Seite des Magiers und sprintete wie ein weißer Schatten nahe bei ihm durch den Schnee. Neben der Eingangstür des Gebäudes drückten sich der Magier und Andrew gegen die Wand; der Agent mit der Waffe im Anschlag, während Loki das Zepter des Tesserakts durch ein Wirbeln der Magie in seinen Fingern erscheinen ließ. Mit einem Ruck entfaltete sich die Waffe zum Speer. Ein knackendes Rauschen ertönte, bevor eine leicht verzerrte Stimme aus Andrews Headset verkündete: »Die Rückseite ist sicher, Sir. Drinnen sind auch keine Aktivitäten zu vermelden. Scheint alles ruhig und verlassen zu sein.« »Roger. Wir gehen jetzt rein.« meldete der Agent zurück, bevor er Loki knapp zunickte und seine Waffe durchlud. Der Magier stieß die Eingangstür mit der Schulter aus den Angeln, sodass diese im hohen Bogen in den Innenraum flog und krachend dort im Halbdunkel liegen blieb. Ohne Zögern trat Loki mit Angel an seiner Seite in das Gebäude ein, gefolgt von Andrew und zwei weiteren Männern, die ihre Waffen hektisch auf jede Ecke richteten. Das allerdings war völlig unnütz, da sich der Raum vor ihnen verlassen und still öffnete. Tische und Stühle lagen umgekippt, als wären die Menschen hier rasend schnell aufgebrochen oder vor etwas geflohen; zerbrochene Gläser und Teller waren auf dem Boden verteilt, hier und da tropfte leise Flüssigkeit von der hölzernen Theke, hinter der die Regale mit zersplitterten Falschen gefüllt waren. Auf einem intakten Tisch rauchte eine einsame Zigarette noch aus dem Aschenbecher. Der Angriff konnte nicht lange her sein. Quietschend schwankten ein paar Lampenschirme im hereinstürmenden Wind, welcher Schneeflocken und Kälte mit sich trieb; Loki ließ sein Zepter langsam wieder sinken und trat ein paar weitere Schritte in den unnatürlich stillen Raum, während seine schweren Stiefel feuchte Spuren auf den Bodendielen hinterließen, die unter seinen Sohlen leise knarzten. Zwei von Andrews Männern kamen eben durch den Hintereingang herein und schüttelten sich den Schnee aus den Haaren. »Hinten ist alles sauber, Sir. In den Zimmern ist niemand. Auch nicht in der Küche.« »Wo sind sie?« wisperte Andrew angespannt in Lokis Rücken. Der Agent verteilte sich mit seinen Männern im Raum; zwei weitere Agents waren eben hereingekommen und positionierten sich neben der Tür. »Sind sie gar nicht hier…?« wagte er argwöhnisch zu hinterfragen; Loki konnte den bohrenden Blick des Menschen beinahe zwischen den Schulterblättern spüren. »Sie sind hier…« gab er überzeugt von sich und sah zu dem Hund neben sich hinab; der Blick aus grünen Augen begegnete jenen eisblauen Angels. Der Magier verband seine magischen Sinne flüchtig mit denen des Tieres und gab ihm die mentale Anweisung, die Suche fortzusetzen. Sofort senkte der Hund die Nase auf den Boden und durchforstete den Raum gewissenhaft. Hinter der Theke der Bar verschwand er und gab ein aufrüttelndes Winseln von sich; Loki eilte zu Angel hinüber, der eine Luke auf dem Boden entdeckt hatte und diese nun beharrlich mit den Pfoten bearbeitete. Dumpf kratzten die Krallen des Tieres über die Bretter. »Gut gemacht…« lobte er den Hund flüchtig, bevor er sich dem Agent hinter sich zuwandte. »Ich hoffe, Ihr seid bereit, Mister Preston?« fragte er Andrew mit süffisant gehobener Braue. Dieser warf der Bodenluke einen skeptischen Blick zu und hob die Waffe entschlossen an. »Keine unüberlegten Handlungen, Loki. Wir müssen jetzt sorgfältig und vorsichtig vorgehen, wenn-« Eine blaue Entladung aus dem Zepter des Magiers zerstörte donnernd die Bretter der Luke; noch bevor sich der Rauch gelegt hatte und Andrew seinen Satz auch nur beenden konnte, sprang Loki mit einem spöttischen Grinsen als Abschied durch das entstandene Loch im Boden hinunter in die Tiefe. Er würde sich jetzt gewiss nicht die Zeit für die nutzlosen Reden des Menschen nehmen, ganz abgesehen davon, dass er eh besser im Missachten von Befehlen als deren befolgen war; er konnte Gwendolyn in der Dunkelheit unter sich spüren und würde keine weitere Sekunde auf die schwachsinnigen Pläne des Agents verschwenden. Sein lederner Mantel flatterte aufgeregt im Sprung und sank wie die sanften Flocken des Schnees um ihn herab, als der Gott mitten unter einer Versammlung von Jörmungandri landete. Seine Stiefel wirbelten Staub auf, während er seinen Fall geschmeidig abfing, indem er in die Knie ging; sein Kopf ruckte in die Höhe und zeigte den verblüfften Schlangenmenschen ein schmales Grinsen. »Guten Abend, alle miteinander…« säuselte der Magier unheilvoll. Die Wesen waren im ersten Augenblick vor ihm zurückgewichen, was wohl mehr der Überraschung galt, bevor sie nun ihre Nackenschilde erregt spreizten und dem Gott ein bedrohliches Zischen schenkten, die Körper kampfbereit angespannt. Loki erkannte einige der Kreaturen im Hintergrund, die bereits dabei waren, ein Portal an einer der Wände des Kellers zu öffnen, um ihre Beute wahrscheinlich nach Utgard - in die Welt zwischen den Reichen - zu entführen, um dort ihr Ritual abzuhalten. Eines der Wesen trug eine leblose, rothaarige Menschenfrau auf den Armen und wollte sich mit ihr offensichtlich als erstes aus dem Staub machen; das gefiel Loki ganz und gar nicht - seine Frau würde ihm niemand wegnehmen. Zu oft hatte er in seinem Leben den glorreichen Möglichkeiten einer Zukunft hinterhersehen müssen, doch damit war nun endgültig Schluss. Niemand würde ihm mehr das nehmen, was ihm gehörte. Seine Lippen verzogen sich zu dem verzerrten, diabolischem Abbild eines Grinsens, beschattet durch die Strähnen seines langen Haares, welches ihm wirr in das blasse Gesicht fiel. Ohne Vorwarnung sprang er mit einem wütenden Schrei auf und durchstieß die Brust des ersten Wesens mit der goldenen Spitze seines Speers; die Kreatur heulte schmerzerfüllt auf, woraufhin sich ihre Brüder und Schwestern auf den Magier stürzten. Es widerstrebte ihm, die Jörmungandri zu töten - am Ende waren sie nur ein Volk, was sich seinen Fortbestand sichern und an einer Existenz festhalten wollte. Es war die natürliche Ordnung der Welten; allerdings waren sie dem Magier in seinen Zielen in die Quere gekommen. Und er würde gewiss nicht dabei zusehen, wie sie Gwendolyn verschleppten - nur um sie ging es ihm, der Rest der Menschen war ihm egal. Loki duckte sich unter den ersten Schlägen der scharfen Klauen hinweg, bevor er einige der Wesen mit einem gezielten Schuss aus dem Zepter gegen die nächsten Regale schleuderte; scheppernd krachten die Kreaturen gegen das Holz, Dosen und Flaschen rollten klirrend über den Boden. Endlich schienen sich auch die Agents entschieden zu haben, am Kampf teilzunehmen; Andrew überwand die letzten Meter der Leiter mit einem Sprung und landete geduckt neben Loki, um diesem sofort eines der Schlangenwesen vom Rücken zu schießen, welches sich dort zischend festgeklammert hatte. »Sie wollen abhauen!« rief der Agent dem Gott unnötigerweise über die penetranten Kampfgeräusche zu, den inzwischen waren auch die restlichen S.H.I.E.L.D Agents im Keller angekommen. Andrew hatte offenbar die Kreaturen entdeckt, die sich in einer Ecke des Kellers versammelt hatten, um dort die Umrisse einer Pforte in den Stein zu kratzen. »Ach, was Ihr nicht sagt…?!« grollte der Magier zynisch und ging in die Hocke, während er das Zepter um sich schwang und eine Handvoll heranstürmender Kreaturen damit zurückwarf. Dann sprang er auf und durchstieß die tobende Meute der Wesen mit einem weiteren, gebündelten Energiestrahl aus seiner Waffe, den er zornig in die Reihen der Kreaturen abfeuerte. Wenn man nicht alles selbst machte… Ein kleiner Wink seiner Hand ließ unzählige Trugbilder seiner Gestalt zwischen den Schlangenwesen entstehen, die im ersten Moment verwirrt wirkten, bevor sie sich fauchend auf die Köder stürzten; Loki schob sich durch die kämpfende Menge aus Jörmungandrs Brut und den Männern von S.H.I.E.L.D entschlossen auf jenes Wesen zu, das gerade die Umrahmung der Pforte mit seinen Klauen an der Kellerwand beendet hatte. Der aufgemalte Durchlass schimmerte magisch auf und öffnete sich in einem hellen Tosen, welches einem für einen Augenblick die Sicht raubte, bevor die Wand ein sachtes Schimmern überzog, dahinter eine felsige Landschaft zu erahnen.   Die Kreatur mit Gwendolyn auf dem Arm näherte sich bereits schlängelnd dem Portal und wollte sich aus dem Staub machen; die Frau öffnete in diesem Augenblick benommen die Augen und schien den Gott zu spüren, denn ihre verklärten Pupillen fokussierten sich zielgerichtet auf Loki. Über die Schüsse und Schreie der Kreaturen hinweg konnte er es nicht hören, doch ihre Lippen formten definitiv zittrig und hoffungsvoll seinen Namen. Der Magier war für einen Wimpernschlag abgelenkt; genug Zeit, dass sich eines der Wesen an ihn herangestohlen hatte, um sich nun auf ihn zu werfen und die scharfen, spitzen Zähne in seine Schulter zu graben. Das Leder seiner Rüstung hielt zwar den größten Teil des Bisses ab, doch war die Wirkung von Jörmungandrs Gift stark genug, um ihn in die Knie sacken zu lassen. Unter einem wütenden Keuchen riss er den Arm nach oben und rammte der Kreatur den Ellenbogen gegen die Kehle, doch um kein Stück lockerte sich dessen Biss. Erst als der Magier seine Hand auf das Gesicht des Wesens drückte und einen Feuerzauber beschwor, der die Züge der Kreatur versenkte, ließ diese heulend von ihm ab. Mit Hilfe des Zepters stemmte sich Loki wieder in die Höhe und hielt sich die blutende Schulter, während er versuchte dem Gift in seinen Venen mit reiner Willenskraft Einhalt zu gebieten; dann schleuderte die blutige Hand schon einen gezielten Eisspeer gegen das Wesen, welches Gwendolyn entführen wollte. Um Haaresbreite nur verfehlte der Zauber sein Ziel und der eisige Speer bohrte sich knapp vor der Kehle der Kreatur in die Kellerwand. Der Kopf des Wesens ruckte herum und geschlitzte Pupillen fixierten sich zornig auf Loki, der das Schlangenwesen mit einem süffisanten Grinsen provozierte; dieses hatte nämlich augenblicklich alle Hände voll damit zu tun die Menschenfrau zu bändigen, die beim Anblick des Magiers zu ungeahnter Lebhaftigkeit erwacht war. »Loki?!« Ihre recht verzweifelte Stimme ließ ihn die blutigen Finger um den Griff seines Zepters verkrampfen und jenes auf das Wesen richten, welches sich plötzlich mit unmenschlicher Geschwindigkeit auf den magischen Durchlass zubewegte; offenbar wollte es die Kreatur auf keinen Kampf ankommen lassen und ihr Heil lieber in der Flucht suchen. Vor allem, da sich die Sterbliche nun mit aller Kraft gegen dessen Griff wehrte. Der Magier biss die Zähne gegen den Schmerz zusammen und hob den verletzten Arm, um die Spitze des Zepters auf den Rücken der fliehenden Kreatur zu richten; er ignorierte die beißenden Stiche in der Schulter, als ihn der Rückstoß der energetischen Entladung traf und taumeln ließ. Kurz wurde ihm Schwarz vor Augen, die er flüchtig mit der Hand bedeckte. Eine Schwäche, die zwei der Kreaturen ausnutzen, die nun von hinten gegen ihn sprangen und ihn zu Boden rissen; das Zepter rutschte ihm aus der Hand und schlitterte über den Boden davon. Die massigen Körper der Jörmungandri drückten ihn nieder und ließen ihm kaum Raum zum atmen; jedoch hörte er über deren wütendes Fauchen die Stimme der Sterblichen heraus, die erneut seinen Namen schrie. Loki streckte ruckartig die Hände aus und platzierte jene auf den Leibern der Schlangenwesen, dann entzog er jenen gezielt ihre Energien in einem tödlich roten Wirbel, der seine Fingerspitzen umgab und jene in das Fleisch der Kreaturen bohrte. Diese heulten entsetzt auf und versuchten sich von dem Griff des Magiers zu befreien, doch unter jedem Atemhauch seiner Berührung verloren sie ihr Leben, welches rasend schnell direkt in die Venen des Gottes strömte und dessen Augen beinahe bis zum Rand mit blutroter Macht anfüllte, sodass seine grünen Seelenspiegel fast hinter einem Schleier aus Mordgier verschwanden. Dieser Zauber des Lebensraubes war aus gutem Grund sündig, da er nur einen schmalen Grat zu jenem Verbot darstellte, kein Lebewesen je durch den Entzug seiner Energien zu töten. Doch Loki brauchte diese verbotene Macht jetzt…er musste Gwendolyn um jeden Preis retten. Er lud seine Macht am Leben der Kreaturen auf; kostete entschlossen von dieser verbotenen Frucht, unter welcher er den Verstand in Raserei und seine Fähigkeiten verlieren konnte - bevor er sich jedoch den letzten Lebensfunken der Wesen durch diesen direkten Entzug einverleibte und sie damit töten würde, stieß er die fahlen, schwachen Kreaturen zurück und sprang grollend auf die Füße. Die schwelende Macht in seinem Leib trieb das Gift der Jörmungandri aus seiner Wunde und begann diese bereits selbstständig zu heilen, während der Magier das Zepter zurück in seine Hand beschwor und sich dann mit einem durchaus blutgierig wütenden Schrei auf die Kreatur stürzte, welche die Sterbliche noch immer bedrängte, sie unter sich auf den Boden zwang und sich selbst durch den Treffer im Rücken nicht hatte aufhalten lassen. Die Finger des Magiers packten das Wesen im Nacken und wo er zuvor Energie in sich absorbiert hatte, stieß er sie nun in einem Schwall von brodelnder Macht wieder aus und verbrannte damit die Innereien des Wesens, aus dessen Augenhöhlen nun Flammen züngelten, die flachen Löcher der Nase angefüllt mit Rauch. Loki schleuderte die tote Kreatur fast angewidert von sich - einen Augenblick entsetzt von der eigenen Brutalität; davon, wie weit er noch immer zu gehen bereit war, um das zu bekommen, was er wollte - und blickte dann schwer atmend auf die Sterbliche herab, die mit großen Augen an die Wand gepresst saß und seinem Blick zaghaft standhielt. Am Anfang hatte Gwen nur auf einen guten Traum gehofft; auf eine alberne Illusion, die ihr die überspannten Nerven und der benebelte Geist vorgegaukelt hatten. Sie hatte den Prinzen gehört, seine Nähe gespürt…doch das konnte nicht sein? Oder etwa doch…? Unter Aufbietung all ihrer Kräfte hatte sie sich gegen die Benommenheit ihrer Glieder gewährt und durch die Schleier ihrer müden Augen tatsächlich den Magier entdeckt, welcher sich im Schein der Flammen durch die Reihen der Kreaturen gekämpft hatte. Ihre Wahrnehmung hatte ihr tatsächlich keinen Streich gespielt; er war wirklich hier. Er war gekommen, obwohl sie in den Tiefen ihrer dunklen und trägen Bewusstlosigkeit kaum wirklich darauf zu hoffen gewagt hatte, immerhin konnte er doch nicht immer da sein, wenn sie in der Klemme steckte… Allerdings war Loki offenbar durchaus entschlossen, dieses ungeschriebene Gesetz für sich abzuändern; wo andere Männer wahrscheinlich schon längst den Mut und die Entschlossenheit verloren hätten, wurde der Gott es offenbar nie müde, ihr hinterherzujagen, die zu suchen, zu finden, zu retten, zu beschützen… Ihr unsichtbares Band zwang sie förmlich dazu; ließ sie nicht los, hielt sie beieinander in jedem Chaos, in jedem Sturm, in jeder Situation - der Magier war einfach zu einem Teil ihrer selbst geworden, ein unauslöschlicher Teil ihres Wesens, ohne den ihr Leben grau und wertlos erschien. »Loki?!« Gwens Lippen hatten beinahe ohne ihr Zutun ihre Sehnsucht und Hoffnung in seinem Namen geformt; er musste sie gehört haben, denn die Entschlossenheit in seinen grünen Augen war unverkennbar am Lodern, selbst als er von einer der Kreaturen niedergerissen wurde, die ihre Zähne in seiner Schulter versenkte. Gwens Herz hatte bei diesem Anblick erschrocken ausgesetzt. »Nein…!« hatte sie bestürzt gehaucht, bevor sie sich mit all ihrer verbliebenen Kraft gegen den Griff des Wesens gewehrt hatte, welches sie auf dieses seltsam schimmernde Portal an der Wand zugetragen hatte. Die Nähe des Prinzen hatte in ihr eine Kraft aktiviert; eine Verbissenheit, die sie selbst kaum kannte - seine bloße Anwesenheit machte sie entschlossen und hatte ihren Willen gestärkt. Sie durfte nicht durch dieses Portal verschwinden - ihr Instinkt hatte sie kreischend vor dieser Möglichkeit gewarnt und ihr Verstand sie mit dem Gedanken geängstigt, dass Loki dann wieder unerreichbar für sie werden würde. Sie wollte zu ihm… Und nun stand er hier über sie gebeugt, die dunklen Haare wirr und feucht vom Schnee hingen sie wild und ungebändigt in seine bleichen Züge; genauso wild und ungebändigt, wie der Magier in diesem Moment erschien. Seine grünen Augen loderten förmlich in den Höhlen, durchzogen von blutigen Schleiern, die bedrohlich aus seinen Augenwinkeln schwelten. Selbst aus dem schmalen Spalt seiner Lippen kräuselten sich hauchfeine, blutrote Fäden dieser dunstigen Macht, die ihn nun wie ein Kokon umgab und seinen Poren entfloh wie die frühe Feuchtigkeit einer Wiese unter der Morgensonne. Gwen war nur ein Mensch und doch konnte selbst sie die unglaubliche Präsenz und Energie fühlen, die den Magier umgab, durch seine Aura glitt und mit der seine Hände spielten, als diese einer Schlange gleich wabernd durch seine Finger strich. Niemals zuvor hatte er mehr diesem Dämon geähnelt, den alle immer in ihm sehen wollten und doch verspürte Gwen noch immer keine Furcht vor ihm - allein Angst um seinen Geist und seine Berufung als Magier, denn sie erinnerte sich erschreckend genau an seine Erzählung über das Naturell der Magie und auch an das Verbot des Lebensentzuges bis zum Tod. Loki hatte wieder einmal einen heiklen Tanz auf einem hauchdünnen Pfad vollführt; nie fehlte viel, um ihn erneut stürzen zu lassen… Sie hatte gesehen, was er getan hatte; wie er den beiden Schlangenwesen die Lebensenergie entzogen und ihren Angreifer getötet hatte und sie ahnte um die Gefahr der Magiesucht, deshalb erhob sie sich nun auf ihren zittrigen Beinen langsam an der Wand, bevor sie eine Hand fast flehend zu dem Magier ausstreckte. »Loki…?!« wisperte sie zaghaft in der Hoffnung, dass dies wirklich noch der Prinz war, der dort vor ihr stand. Die letzten der lebenden Wesen verschwanden nun flink durch das Portal und ließen ihre Beute wohlwissend zurück, da die S.H.I.E.L.D Agents die Oberhand gewonnen hatten; die Männer knieten nun neben den gefangenen Agents und den Männern und Frauen der Bar nieder, die noch immer größtenteils ohne Bewusstsein schienen, während sich der Durchlass im Stein hinter der letzten Kreatur mit einem Flackern schloss. Loki zögerte nicht, sondern ergriff Gwens Hand und zog sie an seine Brust; sie federte diesen Schwung nicht mit den Händen ab, sondern schlang die Arme erleichtert um den Körper des Prinzen. Ein leises Summen ließ vermuten, dass das Zepter aus seinen Händen wieder verschwunden war - bestätigt wurde das, indem sich nun beide Arme des Magiers um Gwen schlangen und diese an sich drückten. Ihr Herz raste noch immer, da das Adrenalin nur langsam aus ihrer Blutbahn wich; sie schloss die Augen und lauschte Lokis Atem, dem Heben seiner Brust, auf der ihr Kopf ruhte, während ihre Finger sich sehnsüchtig in das Leder seiner Rüstung krallten. Langsam wurden Leder und Lokis ganz eigener Duft zu etwas unheimlich vertrautem wie das Parfüm ihrer Mutter; ein Duft, der immer Sicherheit und Geborgenheit versprechen würde. »Du hast dir ganz schön Zeit gelassen…« wies sie ihn in gespieltem Ernst zurecht, um die Ängste der letzten Minuten zu überdecken und das klägliche Zittern ihres Körpers. Ein seichtes Lachen ließ seine Brust beben. »Und ich dachte immer, das Warten erhöht die Vorfreude…« erwiderte er gewitzt, doch seine bebenden Finger in ihrem Haar straften seine lockere Art Lügen; er war ebenso angespannt gewesen, nun ebenso erleichtert. »Alles in Ordnung…?« verlangte der Prinz rau und befehlend zu wissen; er löste sich ein Stück von Gwen, um forschend auf sie herabzusehen. Das Grün seiner Augen hatte sein Reich beinahe wieder zurückerobert und das verzehrende Rot des Lebensraubs zurückgedrängt. Seine Finger strichen ihr die Haare aus dem Gesicht, suchten offenbar nach Verletzungen; nahmen die Tränen dabei mit sich, die sie unbemerkt und befreit vergossen hatte. »Ja, alles in Ordnung…« versicherte sie kraftlos. »Ich fühl mich nur ein wenig…ein wenig…« Obwohl sie sich krampfhaft dagegen wehrte, knickten ihr die Beine weg, doch Lokis Arme fingen sie schon in sicherem Halt. »…schwach…« nuschelte sie entschuldigend. In ihrem Kopf schien immer noch nicht alles an seinem rechten Platz zu sein und der Boden befand sich definitiv nicht immer unter ihren Füßen… Der Magier schob ihr einen Arm unter die Beine und hob sie so an seine Brust, was Gwen verschämte Röte in die Wangen trieb. Wieder einmal war sie so schwach, dass er sie tragen musste - ob das jemals aufhören würde? Ob sie eigentlich wollte, dass dies jemals aufhörte? Haltsuchend schlang sie die Arme um seinen Hals und genoss die Wärme seines Körpers, welche die Schrecken der letzten Stunden beharrlich vertrieb. »Das sind die Reste von Jörmungandrs Gift…« erklärte er ihr in einem knappen, heiseren Raunen; Gwens Blick fiel auf die Wunde an seiner Schulter und sofort war sie beschämt, deutet ihm, er solle sie wieder herunter lassen und wollte sich aus seinen Armen winden. »Loki, du bist verwundet…lass mich runter…ich will dir nicht zur Last fallen…« Besorgt sah sie ihn an und strich vorsichtig über das zerfetzte Leder seiner Rüstung. »Du hast sicher Schmerzen…« Der Magier zeigte nur ein schmales Grinsen und hielt sie bestimmt fest. »Meinst du nicht, es bedarf ein wenig mehr, um einen Gott zu bezwingen…!?« wisperte er süffisant, bevor er sie schon zu sich heranzog und seine Lippen unerwartet auf ihre drückte. Seine Zungenspitze stieß vor und öffnete sich den Durchlass zu ihrem Mund, während Gwen noch überrascht nach Luft schnappte, bevor sie augenblicklich das Denken abstellte, als seine Zunge auf ihre traf und diese begehrlich umschlang. Sehnsüchtig drückte sie sich näher an den Magier, verblüfft von seiner plötzlich so offenen Leidenschaft. Ihre zitternden Finger glitten in sein dunkles Haar und brachten es wohl nur noch mehr durcheinander. Der Kuss war innig, fordernd, sehnsüchtig und eine Spur verzweifelt, allerdings auch viel zu schnell wieder vorbei; Gwen verspürte das bereits bekannte Prickeln, als nicht nur Lokis Zunge, sondern auch seine Magie über ihren Gaumen glitt und ihre Kehle hinabkroch. Der Prinz hatte offenbar erneut einen Zauber gewirkt. »W-was…hast du…getan? Hast du…den Zauber…wegen Garm…aufgelöst?!« hauchte sie verwirrt an seinem Mund, suchte den Blick seiner so magisch grünen Augen. »Nein. Er war zerbrochen über die Entfernung. Ich habe ihn erneuert.« erläuterte er. Ein verhaltenes Räuspern neben ihnen ließ Gwen den Blick abwenden; einen Blick, den sie eben schwer atmend mit dem Lokis verhakt hatte, nachdem ihre Lippen sich eher widerwillig wieder voneinander gelöst hatten, den Schimmer grüner Magie in ihrem Atem verwoben - es war absurd, doch selbst in dieser Situation war da dieses Feuer zwischen ihnen, welches es beinahe unmöglich machte, nicht die Nähe des anderen herbeizusehnen, vor allem jetzt, nachdem sie bereits so oft vor dem ersehnten Ziel gestanden hatten... Andrew stand neben ihnen, die Brauen ärgerlich gesenkt, steckte er eben die Waffe zurück in das Holster unter seinem Mantel; sein Blick war gereizt und fast missgünstig auf sie beide gerichtet, bevor er jenen verbissen abzog und betont an ihnen vorbei sah. Sein Kiefer bildete eine angespannte Linie und Gwen mochte sich kaum vorstellen, was in diesem Moment wohl in ihm vorging; sie verspürte Mitleid mit dem Agent und auch eine gewisse Scham, dass er Loki und sie gerade in diesem Moment gesehen hatte, obwohl Andrews Augen da eben weniger Verständnis gezeigt hatten - er verurteilte sie für die Zuneigung zu dem Prinzen. Allerdings war er rücksichtsvoll und klug genug, dass nun gerade nicht anzusprechen; wahrscheinlich hatte er auch genug andere Sorgen. Der Magier schien weniger Probleme mit der Situation zu haben; er drückte Gwen besitzergreifend an sich und belächelte den Agent mit seiner gewohnt spöttischen Überheblichkeit. Was des einem Triumph in diesem Augenblick war, war des anderem unbestreitbare Niederlage. »Ich wollte nur fragen, ob bei euch alles in Ordnung ist, aber offenbar erfreut ihr euch ja beide bester Gesundheit…« brachte Andrew zynisch heraus, bevor er sich umwandte und mit einem knappen Wink auf die anderen Gefangenen deutete. »Die restlichen Leute scheinen wohlauf zu sein, obwohl sie alle noch ein wenig desorientiert wirken.« vermeldete er tonlos. »Die Wirkung des Giftes der Jörmungandri wird bald nachlassen. Dann werden sie sich fühlen, als hätten sie nur zu viel Wein getrunken. Eure Männer werden keine bleibenden Schäden davon tragen, Mister Preston.« versicherte Loki kühl, was ihm ein knappes Nicken des Agents einbrachte. »Gut. Dann sollten wir hier endlich verschwinden. Ich habe bereits S.H.I.E.L.D kontaktiert. Ein Hubschrauber ist zu uns unterwegs.« erklärte er steif. Damit wandte sich Andrew ab, stieg über die Leiber der Wesen, die es nicht geschafft hatten zu fliehen und gesellte sich zurück zu seinen Agents, die den benommenen Männern und Frauen auf die Beine halfen und diese die steile Leiter zur Luke des Kellers hinaufführten. Das offene Feuer in der Mitte des Raumes wurde gelöscht; zischend erstarben die Flammen und legten Dunkelheit über den Keller. Loki umgriff Gwen fester, dann folgte er den anderen fast mühelos mit ihr auf den Armen die hölzerne Leiter hinauf zurück ins Tageslicht; in ein trübes, düsteres Licht, was es kaum schaffte, den oberen Raum der Bar zu erhellen. Draußen tobten die Schneeflocken wieder heftiger gegen die Fenster des Gebäudes. Ein einsamer Wagen kämpfte sich tapfer die Straße hinauf, seine Scheinwerfer tauchten den verwüsteten Innenraum kurz in grelles Neonlicht. Gwen kniff die Augen zusammen und barg das Gesicht an Lokis Halsbeuge; seufzend schmiegte sie sich gegen die verheißungsvolle Wärme seiner Haut und wisperte ein erschöpftes: »Danke.« gegen die Seite seines Halses. »Danke, dass du gekommen bist, Loki.« Der Magier setzte sie vorsichtig auf einem der noch halbwegs brauchbaren Stühle ab, welchen er eben mit seinem Stiefel aufgerichtet hatte, dann ging er neben ihr in die Hocke. »Das ist nicht allein mein Verdienst…« meinte er mit einem rätselhaften Schmunzeln und prompt erschien Angel an seiner Seite, dessen Schweif aufgeregt durch die Luft wirbelte. Loki strich dem Hund beinahe liebevoll über den Rücken. »Er hat deine Fährte verfolgt und uns zu dir geführt.« »Angel?!« Gwen schloss den treuen Hund stürmisch in die Arme; ein Stück Heimat und etwas so unheimlich vertrautes, dass ihr erneut vor Erleichterung die Tränen in die Augen stiegen. Allerdings kehrten nun auch die Erinnerungen des Tages zurück, nachdem die Angst endlich abgeklungen war; obwohl die Erschöpfung Gwen beinahe siegessicher in ihrem Griff hatte, gab es noch immer Dinge zu klären, Fragen zu stellen… »Wie geht es jetzt weiter…?« wagte sie vorsichtig zu fragen, ein zaghaftes Wispern, welches niemand sonst außer Loki hören sollte. Über Angels Rücken hinweg suchte sie erneut den Blick des Magiers, der ein Knie nun auf dem Boden abgestellt hatte und sich die Wunde auf seiner Schulter genauer besah. Die sah alles andere als gut aus - teils hingen blutige Stoffstreifen seiner Rüstung herab; allerdings verbiss sich Gwen jedes Wort in diese Richtung, da sie einfach wusste, wie stolz Loki war. Wenn er Hilfe benötigte, würde er hoffentlich darum bitten. Der Magier seufzte schwer und bettete die Stirn kurz in der Hand, bevor er sich flüchtig umsah. Die Agents hatten die Gäste der kleinen Bar und Pension auf dem Boden abgesetzt, wo die Leute nun an die Wand gelehnt mit den Nachwirkungen des Giftes kämpften. Andrew lief angespannt durch ihre Reihen und telefonierte offensichtlich aufgebracht mit irgendjemanden; er redete schnell und leise, sodass Gwen kein Wort verstand. Die anderen Agents kümmerten sich entweder um ihre Kollegen oder die anderen Menschen; ein paar von ihnen hatten an der Tür Stellung bezogen und behielten durch den offenen Durchgang und die Fenster wachsam die Straße im Auge. »Du musst mit mir zurück nach Asgard kommen…« sprach Loki dann gedämpft und fing ihren Blick auf; in seinen Augen las sie eine gewisse Unsicherheit, ein Zögern, welches herb im Kontrast zu seinen entschiedenen Gesichtszügen stand. »Nur da werden wir Antworten finden.« Zurück mit ihm nach Asgard? Konnte sie das? Wollte sie das? Die letzte Frage war ziemlich schnell mit „ja“ beantwortet - sie wollte bei Loki bleiben, auch wenn sie die Konsequenzen dieser Entscheidung jetzt womöglich noch nicht ermessen konnte, doch wer wusste schon, ob sie ihn je wiedersehen würde, wenn er jetzt ging? Ob sie jemals wieder die Gelegenheit bekommen würde, ihn zu sehen… Ihr Leben war eh schon völlig aus der Bahn geraten; das Einzige, was sie jetzt noch tun konnte war nach der Wahrheit zu suchen. Sie hatte auf diesem Weg zu viel mitgemacht, als das sie jetzt unverrichteter Dinge einfach gehen könnte - sie würde ihr Leben lang grübeln, wenn sie die Wahrheit nicht kannte. Doch was war mit ihrem Leben hier auf der Erde; konnte sie das einfach alles schon wieder zurücklassen - auf womöglich unbestimmte Zeit? Wer wusste schon, was in Asgard ans Tageslicht kommen würde… Hätte sie dann die Gelegenheit, ihre Eltern wieder zu sehen? Ashlyn? Winston? Angel? Gwen drückte das Gesicht kurz in das warme Fell des Hundes, bevor sie ihn aus ihrer Umklammerung entließ und nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute. Ihr Blick blieb an Loki hängen und ihre Entscheidung stand eigentlich schon fest. Sie holte Luft und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie unwirsch von Andrew unterbrochen wurde, der ihr leises Gespräch offenbar mitgehört hatte. »Die Frau wird hierbleiben, Loki. Du hast nicht über ihr Schicksal zu entscheiden.« Der Magier senkte das Haupt leicht und Gwen konnte die unterdrückten Emotionen in seinen angespannten Schultern sehen; in den finster zusammengezogenen Brauen und der zornigen, schmalen Linien seiner Lippen. »Aber Ihr, Agent Preston?« sprach Loki bedrohlich ruhig zum Boden und hob den Blick nicht an. »Auch ich nicht.« räumte Andrew sachlich ein. »Allerdings wird sich Direktor Fury mit dieser Sachlage auseinandersetzen. Wir werden ihn über die Ereignisse unterrichten und dann wird er über den Verbleib von Gwendolyn Lewis entscheiden. Und du solltest dich ein wenig kooperativer zeigen, um die Zusammenarbeit zwischen Midgard und Asgard nicht weiter zu gefährden, Loki.« wies der Agent den Magier in einer unterschwelligen Drohung an; Loki ballte eine Hand verstohlen zur Faust und entspannte sich erst ein wenig wieder, als Gwen bestimmt das Wort ergriff, um eine Eskalation der Situation zu vermeiden. »Ich werde wohl selbst über mein Leben entscheiden können, Andrew?! Auch Direktor Fury hat mir nicht zu sagen, was ich zu tun habe!« fuhr sie den Agent heftig an. Langsam ging es ihr mächtig gegen den Strich, dass offenbar jeder über ihr Leben entscheiden konnte außer ihr selbst. Vor allem S.H.I.E.L.D bildete sich eindeutig zu viel Macht ein… »Wenn du als Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft wirst, dann steht es dir nicht frei, über dein Leben zu entscheiden.« entgegnete Andrew abgeklärt. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich unwillkürlich rächen wollte - dafür, dass sie sich für Loki entschieden hatte und nicht für ihn. Sein verletzter Stolz machte ihn grob und gefühllos; so kannte sie den Agent gar nicht. Seine blauen Augen blickten kalt auf sie herab, während Gwen ihn fassungslos anblinzelte: »Wie bitte?! Eine Bedrohung für die nationale Sicherheit?! Das ist doch nicht dein Ernst? Ich habe doch überhaupt nichts getan!« begehrte sie entrüstet auf. Andrews Blick schweifte flüchtig zu Loki hinüber und eine Braue hob sich bedeutsam an. »Wie man es sieht…« gab er herablassend von sich. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!? Wollte er ihr jetzt wirklich einen Strick daraus drehen, dass sie zu Loki stand? Am Ende würde man sie noch für eine Komplizin des Magiers halten und sie der Mittäterschaft an seinen Verbrechen beschuldigen. Gwen spürte Wut in sich erwachen, die ihre Erschöpfung rasch mit sich forttrug; wie konnte Andrew sie so überheblich behandeln? Wie konnte er es wagen, sich so über sie und ihre Gefühle zu erheben? »Du wirst hierbleiben, Gwendolyn. Du wirst nicht mit ihm gehen. Und er hat seine Frist bald überschritten…« Abwertend deutete Andrew auf den Magier. »Ich werde es genießen, ihn wieder in eine Zelle zu stecken. In ein finsteres, bodenloses Loch, in dem er Zeit seines Lebens dem Wahnsinn nachjagen kann…« Gwen sah den Agent an und schüttelte fassungslos über dessen Worte den Kopf; sie konnte seinen Hass auf Loki ja durchaus verstehen, doch der Gott hatte wahrlich genug getan, um sich als glaubwürdig zu erweisen. Er hatte Andrew geholfen, seine Männer wiederzufinden - diese verächtliche Behandlung verdiente der Prinz einfach nicht. Es musste Andrew einen ziemlichen Schlag versetzt haben, Loki und sie zusammenzusehen - offenbar hatte er immer noch geglaubt, nachdem sie die Wahrheit über den Gott kannte, würde sie zur „Vernunft“ kommen. Ja, Andrew hatte unter Loki gelitten, viele Menschen hatten das, aber das war noch lange kein Grund nun auch Gwen das Recht auf eine freie Meinung und ihre Entscheidungen abzusprechen, nur weil sie etwas für den Gott empfand. Wahrscheinlich lernte man bei S.H.I.E.L.D nicht nur den makellosen Umgang mit Waffen, sondern auch den Umgang mit störenden Gefühlen - wenn man die außen vor ließ, konnte man die ganze Sache natürlich logisch und abgeklärt betrachten, doch Gwen hatte nie gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken und gewiss würde sie nun auch für S.H.I.E.L.D nicht damit anfangen. Ihr Herz hing an Loki und das wollte sie auch überhaupt nicht mehr ändern. Der Magier sprang unvermittelt auf und packte den überraschten Agent an der Kehle, um ihn mühelos vom Boden hochzuheben; in Lokis Augen brodelte blutrotes Unheil, seinen Fingern entfloh noch immer die Macht, die er vor wenigen Augenblicken den Schlangenwesen gestohlen hatte. Feurige Boshaftigkeit schwelte in seinen Zügen, die einer zum zerreißen gespannten Maske ähnelten; seine Kiefermuskeln traten gefährlich scharf hervor und wirkten, als wollen sie sich gleich durch die blasse Haut des Magiers bohren. Loki ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als die Agents umher nun ihre Waffen zogen und allesamt ihre Mündungen auf den Kopf des Prinzen richteten. Das Klicken von entsicherten Waffen zog bedrohlich durch den Raum, allerdings würden sie sich wahrscheinlich zweimal überlegen abzudrücken, da Direktor Fury unmissverständlich die Unversehrtheit des Magiers angewiesen hatte. »Wir können diese leidliche Diskussion hier und jetzt beenden…Agent Preston…« zischte der Gott in einem unheilvollen Ton, gemischt aus Süffisanz und grob unterdrücktem Hass. Ein abgehaktes, fast ungläubiges Lachen entfloh seinen Lippen, während sich Andrew verzweifelt im eisenharten Griff des Magiers wandte, der sich nun näher an den Menschen beugte. »Dass ihr noch immer denkt, mich beherrschen zu können. Noch immer an dem Glauben festhaltet, die Ameise könnte sich gegen das Schicksal des Stiefels wehren. Ihr seid nichts unter meiner Macht und werdet mir nicht das verwehren, was mir gehört! Ich wusste, dass es ein Fehler sein würde, Euch zu helfen!« Die letzten Worte stieß Loki laut und angewidert aus, bevor er den Agent von sich schleuderte, der nach Luft schnappend hart auf dem Boden aufkam und sich mit zornfunkelnden Augen die Kehle rieb. Die Agents umher warteten nur auf einen Befehl von ihm, um den Gott zu erschießen, der sich über Andrew aufgebaut hatte und die Magie wie einen Spielball durch seine Finger züngeln ließ. Gwen sprang von ihrem Stuhl auf und trat zu Loki hinüber, um diesen vorsichtig am Arm zu berühren; da er kaum auf ihren Kontakt reagierte, streckte sie die Hand aus und bettete die Finger auf seiner Wange, drehte sein Gesicht so sanft zu sich. »Loki, komm…lass gut sein…lass ihn in Ruhe…bitte…« wisperte sie angespannt; er durfte S.H.I.E.L.D und auch dem Allvater jetzt keinen weiteren Anlass geben, ihn wieder einzusperren. Loki beruhigte sich tatsächlich unter ihren Worten und ließ die flirrende Magie in seiner Hand verpuffen, bevor sein Kopf herumruckte und er das Haupt leicht neigte, als würde er etwas in der Ferne lauschen. Und kurz darauf hörte Gwen es auch; ein unseliges Heulen, ein tiefes Vibrieren im Erdboden - das Echo einer nahenden Präsenz, die die Schatten umher noch dunkler und tiefer erscheinen ließ. »Loki…?!« wisperte Gwen vorsichtig mit einer unguten Vorahnung im Blut. Ihr Blick schweifte sofort zu den Fenstern, wo allerdings der Schnee in seiner Bahn weiterhin unbeirrbar ruhig zu Boden segelte, während sie sich näher und schutzsuchend an den Gott drückte. »Er hat uns gefunden…« bestätigte der Magier ihre schlimmsten Ängste. Er zog Gwen mit sich zur Tür des Gebäudes hinüber; die Agents machten keine Anstalten sie aufzuhalten, denn auf ihren Gesichtern spiegelten sich ebenfalls Verwirrung, allerdings auch zaghaftes Unbehagen, als das entsetzliche Heulen erneut über den Bergen erklang und das Echo gleich einer Lawine die zerklüfteten Klippen herabrollte. Die Männer hielten ihre Waffen bereit und selbst Andrew erhob sich wieder auf die Beine und wirkte latent verunsichert, als er den Blick aus einem der Fenster suchte. »Scheiße…« flüsterte er. Auch der Agent musste wissen, was dieses Geräusch bedeutete, denn sicher hatte er es nach New York nicht so schnell wieder vergessen. Loki trat mit Gwen hinaus in den anhaltenden Schnee und schirmte die Augen mit einer Hand gegen den anhaltenden Niederschlag ab; in der Ferne konnte Gwen zitternde Tannenwipfel erkenne, die knirschend unter einer gewaltigen, herannahenden Macht schwankten. Etwas unbestreitbar Großes wälzte sich da durch den Wald zu ihnen heran; der Wind brachte nun nicht nur die Kälte des Schnees mit sich, sondern auch die Kälte des Todes. Die Bäume am gegenüberliegenden Straßenrand krümmten sich unter dem herannahenden Hauch der Verderbnis, während der Boden beständig unter schweren, trommelnden Schritten bebte und die geparkten Lastwagen und Autos erzittern ließ; in einem schrillte die Alarmanlage los - ein hoher, greller Laut, misstönend in der angespannten Stille, die bisher nur vom fernen Grollen des Helhundes unterbrochen wurde. »Wir müssen hier weg.« verkündete Loki bestimmt und sah sich angespannt nach einer Möglichkeit der raschen Flucht um. Viele der Autos hatten unter dem vorherigen Angriff der Jörmungandri gelitten und wirkten nicht mehr wirklich fahrtüchtig. Angel tanzte aufgeregt um Gwens Beine und ließ ein erregtes Knurren in der Kehle vernehmen. »Die Menschen hier sind wehrlos. Garm wird ein Massaker anrichten, wenn wir ihn nicht von hier weglocken.« Gwen stand wie festgewurzelt auf der Stelle; der Schnee blieb in ihren Haaren hängen und rutschte unangenehm in den Kragen ihrer Jacke, während ein haltloses Zittern ihre Beine hinaufkroch; ihre Augen klebten wie festgehaftet auf den umstürzenden Bäumen in der Ferne, die sich wie unter der Hand eines Riesen beugten, während sie einmal mehr nicht begreifen konnte, was in ihrem Leben nur gerade so furchtbar schief lief. Warum sie? Warum ausgerechnet sie? Würde das alles jemals aufhören? Das grotesk hallende Heulen des Helhundes ließ die Umgebung erzittern; selbst die Steine schienen unter seiner Präsenz zu bangen - kleinere Felsbrocken rollten tosend die Berghänge herab und krachten donnernd auf die Straße. Ein unheilvolles Dröhnen; eine schwelende Wut und Entschlossenheit, getrieben von Ende und Vernichtung - der Atem des Todes preschte durch die Tannen heran und wandelte dieses Stück Midgard in einen Vorhof der Hölle. Der Himmel verdunkelte sich noch mehr; aufgeregt wirbelten die Schneeflocken durch die Luft, als wollte die Natur selbst sich gegen die heranstürmende Verderbnis zur Wehr setzen; die Wolken verdichteten sich rasend schnell und nahmen die eh schon klägliche Sicht. »Gwen!« Lokis Stimme riss sie aus ihrer Apathie wieder in die Wirklichkeit zurück; seine Hand ergriff sie am Arm und wirbelte sie zu dem Magier herum, der mit einer Mischung aus Sorge und Entschlossenheit auf sie herabsah. »Wir müssen hier weg!« sprach er gegen das Pfeifen des Windes und Gwen erkannte erst jetzt, was er als Fluchtmöglichkeit erwählt hatte. Ein hysterisches Kichern blieb ihr in der Kehle stecken; sie schlug eine Hand vor den Mund und schüttelte unbändig den Kopf, während sie versuchte vor Loki zurückzuweichen, der Blick auf das Motorrad fixiert, was neben dem Magier stand. Doch der Prinz hielt sie in seinem bestimmten Griff und befahl ihr barsch: »Rauf da mit dir!« Das konnte doch wirklich alles nur ein schlechter Scherz des Schicksals sein; gerade bei ihrer bekannten Abneigung gegen diese zweirädrigen Ungetüme musste Loki nun gerade in diesem Augenblick mit diesem Ding als Möglichkeit für eine Flucht kommen?! Wenn sie sich nicht schon vor langer Zeit vom Gegenteil überzeugt hätte, dann würde sie spätestens jetzt dem Glauben erliegen, in einem bösen Traum gefangen zu sein. »Nein…Loki…bitte…ehrlich, nein!« Erneut stemmte sie sich gegen seinen Griff; in ihrem Kopf schaltete sich irgendetwas ab und ein paar Verbindungen schienen zu schmoren - vielleicht lag es an dem noch immer in ihrem Blut kreiselndem Gift, an der unbestreitbaren Gefahr des Todes, an dem Stress der letzten Tage, aber mit einem Mal war irgendwie alles zu viel… Dieses Motorrad war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte; das Sinnbild des Chaos, einer auf den Kopf gestellten Welt, in der sie am Ende zerschlagen auf dem Boden liegen würde, während das Schicksal über sie lachte - Gwen brach in die Knie, sank in den kalten Schnee und schüttelte immer wieder den Kopf, während sie die Arme um sich schlang und murmelte: »Ich kann nicht mehr…ich kann echt nicht mehr…ich will das alles nicht mehr…es ist zu viel…« Sie wollte, dass dieser Wahnsinn aufhörte; unkontrolliert tropften ihre Tränen in den Schnee, während die Hoffnungslosigkeit wie eine Trance über sie kam. Angel schmiegte sich an sie und stieß Gwen besorgt mit der Schnauze an; die blauen Augen des Hundes wirkten so menschlich, so verständig und mitfühlend. Zwei kräftige Hände zogen Gwen unvermittelt wieder in die Höhe; bekannte, flammend grüne Augen starrten finster auf sie herab, bevor der Magier sie grob schüttelte und harsch anfuhr: »Reiß dich zusammen, Gwen! Vielleicht willst du nicht mehr, ich allerdings werde dich nicht gehen lassen, hast du verstanden?!« Seine entschlossene Stimme schnitt wie ein Schwert durch das Brüllen des Helhundes, der in diesem Moment aus der Reihe der Bäume hinter ihnen brach; seine fahlen Augen fixierten Gwen todsicher aus der Ferne, bevor er das breite, dunkle Haupt nach hinten legte und ein triumphales Heulen ausstieß. Loki und Gwen rissen die Köpfe beinahe gleichzeitig herum und starrten mit geweiteten Augen auf die Bestie Hels, welche den Schnee unter ihren mächtigen Pfoten aufwirbelte und sich anspannte, um sich auf sie zu stürzen. Die geschundenen Seelen in seinem Leib warfen sich jaulend und kreischend gegen die Rippen der Kreatur; eine scheußliche Symphonie aus Schreien, aus Leid und Pein. Und das war wohl auch der Moment, in welchem Gwen entschied, dass sie so definitiv nicht enden wollte - als Opfer für Hel, um der Göttin als Trophäe zu dienen. Sie musste sich wirklich zusammenreißen; für Loki, aber am allermeisten wohl für sich selbst. Angel duckte sich angespannt neben Gwens Füßen in den Schnee und zog die Lefzen angriffsbereit zurück; seine Aura schimmerte plötzlich so deutlich um sein Fell, dass selbst sie diese erkennen konnte. Der Magier stockte in der Bewegung; er hatte Gwen gerade auf das Motorrad zwingen wollen, als sein Blick durch Angel angezogen wurde. Gwen blinzelte fassungslos. War der Hund gerade gewachsen? Seine Aura loderte förmlich vor ihren Augen und ließ sie eine Hand heben, um das Gesicht gegen die brodelnde Hitze abzuschirmen, die das Tier nun umgab; etwas schien unter seinem Fell zu lauern, geborgen in seinen Muskeln und seinem Fleisch - etwas, was nun kurz vor dem Ausbruch stand. Loki wirkte, als würde er das erkennen, denn der flüchtige Hauch eines wissenden Blickes kreuzte jenen des Hundes; die beiden schienen sich auf eine stumme Weise zu verständigen, der Gwen nicht folgen konnte. Und plötzlich ging alles verdammt schnell; Garm machte einen gewaltigen Satz aus dem Wald heraus und pflügte dabei die Bäume und einen abgestellten Lkw krachend beiseite. Seine tödlichen Kiefer waren siegesgewiss aufgerissen, todbringender Speichel fiel in den Schnee und ließ diesen zischend verdampfen, während die gewaltige Kreatur rasend schnell auf sie zukam - jeder Schritt der riesigen Pranken ein Krachen wie Donnerhallen, ein Beben unter ihren Füßen. Im selben Augenblick wirbelte Loki zu Angel herum und beschwor die Reste der Blutmagie in seiner rechten Hand; die tosende Macht ließ den Mantel des Magiers flattern, während er die Lippen lautlos bewegte; der glutrote Schein zog sich aus seinen Augen und Venen zurück, glitt schimmernd um seinen Körper, um sich geballt in seiner Hand zu einer flammenden Kugel zu formen, welche die Umgebung in unselig, blutiges Licht tauchte. »Og nå ber jeg deg, fra dypet av magi og runene i verden, Fenrir!*« brüllte der Gott und kurz bevor Garm sie erreichte, sank er in die Knie und stieß die Handfläche mit seiner Magie kräftig auf den Boden; knirschende Risse entstanden auf dem Asphalt und unter dem Schnee, die sich nun um Angel ausbreiteten, der kurz darauf in eine Säule aus dunkelroter Energie gehüllt wurde, die aus dem Erdboden tosend zum Himmel aufstieg. Gwen traute ihren Augen kaum; vor ihnen riss Angel den Kopf hoch und stieß ein ohrenbetäubendes Heulen aus, welches sie und Loki um einige Schritte zurückstolpern ließ. Das Tier wurde in die Höhe gerissen und von der donnernden Magie förmlich bedeckt; Angels Glieder schienen zu wachsen, seine Knochen sich zu verschieben. Die eisblauen Augen färbten sich in glutheißes Orange, während die Schnauze unter mächtigen Kiefern anwuchs, die Garms bald in nichts mehr nachstanden; ebenso wenig wie die riesigen Pranken des gewaltigen, stahlgrauen Wolfes, der sich nun aus der Energiesäule löste und Garm im Sprung aufhielt. Bevor der Höllenhund sie erreichen konnte, schlug der Wolf seine Zähne in die Kehle von Hels Kreatur und riss Garm damit zu Boden, weg von Loki und Gwen. »Angel…?! Aber was…wie…?!« Gwen stolperte fast über ihre eigenen Füße, als sie zusah, wie der Wolf seine Klauen in den Leib des Höllenhundes schlug und diesen damit zum jaulen brachte; allerdings rollte sich Garm entschlossen herum und schüttelte die Zähne Angels von seiner Kehle ab, um nun seinerseits mit den Kiefern nach dem Wolf zu schnappen, der um Haaresbreite dem tödlichen Gebiss der Kreatur auswich. »Er wird uns Zeit verschaffen. Komm jetzt!« rief ihr Loki über das Fauchen und Grollen der beiden kämpfenden Kreaturen zu; er wartete ihre Zustimmung gar nicht mehr ab, sondern schlang einen Arm um sie und setzte Gwen kurzerhand einfach auf das Motorrad, bevor er sich selbst auf den Sitz schwang und den Motor der schweren Maschine unter ihnen mit einem Wink seiner Hand zum Leben erweckte. Gwen bekam das alles nur halb mit; ihr Blick hing fassungslos und entsetzt an Garm und dem riesigen Wolf, welcher einst ihr treuer Hund gewesen war. Was war aus Angel geworden? Was hatte Loki mit seinem Zauber nur angestellt? »Was hast du mit Angel gemacht?! Warum hast du ihm das angetan?!« Ihre kleinen Fäuste trommelten wahrscheinlich eher wirkungslos auf den Rücken des Gottes, der ihre Hände kurzerhand packte und um seinen Leib zwang. »Unterlass das und halte dich fest…« grollte er befehlend, bevor er rasch erklärte. »Ich habe gar nichts mit ihm gemacht. Das ist seine wahre Gestalt. Ich habe sie nur befreit. Er war wahrscheinlich schon immer dein Beschützer. Ich erkläre es dir später…« rief ihr der Gott über die Schulter zu, bevor er eine eng anliegende Brille magisch über seine Augen beschwor und das Motorrad mit einem Satz von dem Parkplatz des Truck-Stopps beförderte. Schnee flog hinter ihnen einer Fontäne gleich in die Höhe, als das mächtige Zweirad auf der verschneiten Strecke gefährlich schlingerte; Gwen klammerte sich instinktiv an Loki fest und krallte die Finger in das kühle Leder seiner Rüstung. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass Garm ihre Flucht durchaus bemerkte, doch als er ihnen nachsetzen wollte, sprang der Wolf schon wieder auf seinen Rücken und verbiss die gewaltigen Kiefer in der Schulter des Helhundes, der jaulend zu Boden krachte. Gwen wandte den Kopf wieder und drückte sich schutzsuchend eng an Lokis Rücken, da der eisige Wind schneidend an ihnen vorbeipfiff; der Prinz steuerte das Motorrad weiter die Straße den Berg hinauf, sodass die kleine Pension bald hinter ihnen zurückblieb. Sie stellte sich schon gar nicht mehr die Frage, woher der Magier eigentlich seine ganzen Fähigkeiten nahm und nun auch noch ein Motorrad fahren konnte; es interessierte sie in diesem Moment auch herzlich wenig, denn sie war einfach heilfroh, von Garm wegzukommen. Schnee stach wie Nadelspitzen auf sie ein und der Fahrtwind nahm bald jegliche Wärme mit sich den Berg hinab; Gwen spürte ihre Finger schon nach einer Weile nicht mehr und schob diese weiter unter die Aufschläge von Lokis Mantel, um ein wenig seiner Wärme für sich zu beanspruchen. Eine Weile blieb es still hinter ihnen und der Magier drosselte das Tempo, bis er eine kurze Pause einlegte; er ließ den Motor gedämpft laufen und stellte ein Bein auf die schneeglatte Straße, während er den Kopf reckte und sich konzentriert umsah. Gwen wagte vorsichtig hinter seiner Schulter hervor zu schielen; die Baumwipfel umher schwankten knackend im Wind und Schnee trieb fast waagerecht durch die eisige Luft an ihnen vorbei, doch über das monotone Tuckern des Motors und das Pfeifen des Windes war momentan nichts zu vernehmen. Die Gegend war hier oben noch wesentlich unwirtlicher und wilder; die Bäume ragten bald bis über die Straße und tief hängende, schneebelastete Äste kreuzten deren Verlauf. Die Gipfel der Berge waren in nebliges Grau getaucht und fast völlig in den düstern Schneewolken verschwunden; die Sonne längst nicht mal mehr zu erahnen. Ein gedämpftes Heulen wurde hinter ihnen laut und der Asphalt bebte unter ihren Füßen, sodass dieser sogar an einigen Stellen brach; ein vom Schnee schon geschundener Ast hielt der Last nicht mehr stand und knickte vom Baum, um in einem Krachen neben ihnen auf der Straße zu landen. Gwen zuckte erschrocken zusammen und schlang die Arme sofort wieder um Loki, der das Motorrad mit einem verbissenen Gesichtsausdruck wieder nach vorn jagte; keine Sekunde zu früh, den hinter ihnen brach Garm aus dem Unterholz und hastete dem Zweirad mit geiferndem Maul hinterher. Der Helhund hatte sichtlich gelitten; eine seiner Pfoten belastete er nur sporadisch und eine klaffende Wunde zog sich über seine Schnauze, doch von seiner Entschlossenheit hatte er anscheinend nichts eingebüßt. Heulend setzte er ihnen nach und Gwen schrie erschrocken auf, als Garm einen Baum im Lauf aus dem Erdreich riss und dieser Loki und sie fast von der Straße fegte; der Magier wich der umstürzenden Tanne mit einem heiklen Schlenker aus, fing das Motorrad wieder auf der vom Schneematsch schmierigen Straße und bewahrte sie damit davor, auf dem Asphalt ihr Leben auszuhauchen. Gwen duckte sich hinter dem Gott und presste sich verzweifelt an diesen, während ihr Herz in der Brust ohrenbetäubend trommelte; die Angst war übermächtig, da sich der Helhund kaum abschütteln ließ. Sie konnte seinen fauligen Atem bereits im Nacken spüren, die Schreie der Verdammten eine absurde Untermalung zum brummenden Motorengeräusch und dem wütenden Grollen der Höllenkreatur, die ihr Ziel mit eiserner Entschlossenheit verfolgte. Loki wagte ein gefährliches Manöver in einer steilen Haarnadelkurve und nahm diese mit rasender Geschwindigkeit, was sie bedrohlich über den glatten Asphalt auf den Abgrund hinter den Leitplanken zu schlittern ließ. Die Reifen wirbelten den Schnee in einer hellen Fontäne auf. Gwen quickte entsetzt und kniff die Augen in Erwartung des unvermeidlichen Todes zusammen, doch der Gott hatte das Motorrad offenbar besser unter Kontrolle, als sie ihm zutraute; er riss ihren fahrbaren Untersatz in seine Spur zurück und beschleunigte den Berg hinauf. Garm hinter ihnen schaffte die enge Kurve nicht ganz so elegant; der Hund verlor den Halt auf der schneebedeckten Straße und rutschte gegen die Leitplanke, die in einem lautstarken Quietschen unter seinem Gewicht nachgab; eine Verankerung riss aus dem Erdboden und schleuderte Gesteinsbrocken ins Tal hinab. Allerdings fing sich die Kreatur recht schnell wieder und verfolgte sie mit großen Sätzen die Straße hinauf; als Garm sie fast wieder eingeholt hatte, preschte Angel in Gestalt des riesigen Wolfes urplötzlich aus dem seitlichen Wald heran und riss den Hund im Sprung von der Straße; die beiden gewaltigen Wesen durchbrachen die Leitplanke und krachten auf einen Felsvorsprung vor dem Abgrund, wo beide liegen blieben. Garm heulte zornig auf, da er erneut von seiner Beute abgehalten wurde. Loki blickte ebenfalls kurz über die eigene Schulter zurück, bevor er sich entschlossen umwandte und der Straße verbissen weiter folgte; irgendwann erreichten sie ein kleines Hochplateau, auf dem sich ein riesiger, überfrorener Gletschersee ausbreitete, der von dunklen Tannen gesäumt ein kleines Fleckchen Idylle hier oben bildete. Umher am Ufer standen ein paar einsame Blockhütten, die für Urlauber und Wanderer im Sommer Unterkunft boten. Jetzt lag alles still und verschneit vor ihnen, der See selbst eine spiegelglatte, eisige Fläche, welche unter Schneekristallen glitzerte. Der Magier brachte das Motorrad erneut zum stehen und sah sich kurz um, bevor er Gwen rau über die Schulter anwies: »Steig ab.« Sie war eindeutig zu erschöpft, um sich gegen seinen Befehl zu widersetzen oder diesen zu hinterfragen; außerdem fror sie erbärmlich. Ihre Kleider waren inzwischen fast gänzlich durchnässt und der kühle Wind trug nicht gerade zum Wohlbefinden bei. Langsam stieg sie schwankend von dem Motorrad und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren, da ihre wächsernen Beine sie kaum mehr tragen wollten. Wie viel war ein Mensch eigentlich in der Lage auszuhalten? Wie viel konnte ein menschlicher Geist verkraften? Gwen schlang die Arme wärmesuchend um sich selbst und sah zu dem Gott hinauf, der die Brille langsam von seiner Nase zog. »W-was hast du jetzt vor, Loki?« wisperte sie irritiert und stampfte auf der Stelle, um ihrem Körper zumindest die Illusion von Wärme zu vermitteln. Warum fuhren sie nicht weiter? Was wollte er hier? Der Magier legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit beiden Händen durch das wirre Haar, bevor er ihr einen arg seltsam entschlossenen Blick zuwarf, der sie augenblicklich frösteln ließ; nicht wegen der Kälte umher, sondern wegen der erschreckenden Gewissheit in seinen grünen Augen. »Es muss jetzt hier enden.« raunte er tonlos. Ein viel zu bekanntes Donnern rollte den Berg hinauf und versetzte den Boden in Bewegung; ein unseliges Heulen durchstieß die Wand der fallenden Schneeflocken wie ein tödlich gespitzter Dolch. »W-was?!« Gwens Zähne stießen klappernd aufeinander; sie trat zu dem Prinzen hinüber und packte ihn an seinem ledernen Mantel. »Was…meinst du? Was endet hier?« Ihre Augen flogen hastig, fast panisch über sein starres, entschiedenes Gesicht; er hatte sie wieder einmal von seinen Gedanken ausgeschlossen und das machte ihr momentan fast noch mehr Angst als Garm. »Was zum Teufel hast du vor?!« fuhr sie ihn zitternd an, doch als Antwort bekam sie nur den Anflug eines schmalen Lächelns. Für mehr blieb auch keine Zeit, denn der Helhund flog in diesem Moment förmlich um die Kurve der Straße auf das Hochplateau, dicht gefolgt von Angel, der nun ebenfalls Spuren des Kampfes trug. Einige Stellen seines stahlgrauen Felles waren blutbeschmiert, doch er hastete Garm noch immer verbissen hinterher und versuchte nach dessen Hinterläufen zu schnappen, jedoch ohne Erfolg. Der Hund setzte zum Sprung an und riss die Kiefer auf, während sein Schatten drohend über Loki und Gwen fiel wie ein dunkles, schweres Tuch. Einen Augenblick hielt Gwens Blick noch den des Magiers, dann stieß er sie unvermittelt beiseite, sodass sie hart auf dem Boden landete und für einen Moment nur düstere Schlieren vor ihren Augen erkannte; trotz des Schnees war der Erdboden überfroren und schmerzhaft hart. Als sie die Augen panisch wieder aufriss, sah sie gerade noch, wie Garm sich auf Loki stürzte und den Magier sowie das Motorrad unter sich begrub; sie stürzten den kleinen Hügel zum See hinab und krachten auf die splitternde Eisdecke, gefolgt von Angel, der seinen Sprung nicht mehr bremsen konnte und ebenfalls auf dem See landete. Das Motorrad rutschte scheppernd über die poröse Eisfläche davon, welche im nächsten Augenblick unter der Gewalt der massigen Körper knirschend zerbrach und die drei Gestalten augenblicklich im eisigen Wasser verschlang. Garm und der Fenriswolf bäumten sich im Wasser jaulend auf; die Tiere versuchten verzweifelt an den treibenden Eisschollen Halt zu finden, während sie die Kälte unerbittlich tiefer zog. Auch Lokis dunkler Haarschopf erschien flüchtig über der Wasseroberfläche, als der Gott keuchend nach Luft schnappte - sein Blick kreuzte den von Gwen ein letztes Mal - bevor Garms Pranke ihn zurück unter das Wasser drückte und alle drei in der Tiefe des eisigen Nasses verschwanden. »NEIN! LOKI!« Gwens Stimme überschlug sich fast vor Grauen; zitternd kroch sie über den Boden zum Rand des Sees, achtete kaum darauf, dass sie sich die Hände an den scharfen Steinen umher aufschürfte. Ihre Augen hasteten verzweifelt über den See; über das geschlagene Loch in der mächtigen Eisdecke, in welchem sich die tiefdunklen Wellen des Wassers aufgewühlt kräuselten und schäumten. »Oh Gott…oh Gott…Loki…Loki…LOKI!« sie schrie, bis ihre Kehle kapitulierte und in der eisigen Luft keinen Ton mehr formen wollte; bis ihre Tränen auf ihren Wangen gefroren und sie sich die Unterlippe in seelischer Pein blutig gebissen hatte - bis sich die Sekunden zu endlosen Minuten dehnten und sich der aufgewühlte See langsam beruhigte. Einsame Eisschollen trieben verloren über das furchtbar schwarz erscheinende Wasser. Voll schmerzlicher Hoffnung starrte Gwen auf die ruhiger werdende Oberfläche des Sees; erflehte ein Lebenszeichen…irgendetwas…doch die Minuten vergingen und nichts regte sich. Ein  haltloses Schluchzen kroch ihre Kehle herauf; ein furchtbarer Schmerz zog durch ihren Körper, der nicht von der Kälte oder ihren blutenden Händen herrührte. Gwen krampfte sich zusammen und schlang die Arme um sich, einen Trost suchend, den nichts bringen konnte, während sie den Kopf beharrlich schüttelte. »Nein…nein…nein…nein…« Er durfte nicht fort sein. Er durfte nicht tot sein. Nicht Loki. Nicht er. Er hatte bestimmt einen Plan….er musste einfach einen Plan haben! Sollte sie in diesem einen Moment wirklich alles verloren haben? Er hatte sie wieder einmal gerettet, doch um welchen Preis? Schwankend stemmte sich Gwen in die Höhe und lief stolpernd am Rand des Sees auf und ab, immer wieder den Namen des Gottes und ihres treuen Hundes rufend, bis ihre Kehle rau von ihren Schluchzern und den Namen ihrer Geliebten war. Einen Augenblick war sie tatsächlich versucht, selbst in das Wasser zu springen, um Loki und Angel zu suchen, doch den Gedanken verwarf sie recht schnell wieder - sie würde das keine Minute überleben und damit auch keine Hilfe sein. Kraftlos brach sie wieder im Schnee zusammen und bettete das Gesicht in den Händen; wiegte sich in der verzweifelten Suche nach Beruhigung hin und her, während ihr allein der Gedanke die Luft abschnürte, dass sie Loki verloren haben könnte. Dieser Gedanke war schlimmer zu ertragen als die Kälte, die beharrlich durch ihre nasse Kleidung in ihre Glieder kroch oder die Angst vor einer Wahrheit über die eigene Gestalt… Nein! Nein…er musste einfach leben. Er musste einen Plan haben. Dieser verdammte Mistkerl würde gefälligst zu ihr zurückkommen! Tatsächlich hatte Loki an diesem Tag einmal keinen Plan; keinen Trumpf in der Hinterhand, keine ausgeklügelte Strategie, auf die er sich stützen konnte. Eines jedoch war ihm in erschreckender Deutlichkeit bewusst - es musste jetzt und hier enden, sonst würde der Helhund Gwen niemals in Frieden lassen. Er würde sie für immer und ewig verfolgen, bis er die Frau irgendwann erreicht hätte und daran würden weder sein Zauber, noch die ständige Flucht etwas ändern. Loki hatte einen nahen Riss zwischen den Welten unter dem Eis des Gletschersees erspürt und eine waghalsige Idee hatte sich in seinem Hirn festgesetzt; unüberlegte Handlungen gehörten eigentlich eher zu Thors Repertoire, allerdings hatte der Donnergott damit ja auch ab und an Erfolg, sodass Loki jetzt durchaus in Betracht zog, den Fußspuren seines stürmischen Bruders zu folgen. Der Magier öffnete die Augen und blinzelte seinem trägen Atem nach, der sich nun in glänzenden Blasen von seinen Lippen entfernte und entgegen der glänzenden Wasseroberfläche schwebte; er selbst hatte bereits völlig das Gefühl für die Schwerkraft verloren, als er losgelöst in dem eisigen Wasser tiefer sank, während neben ihm Fenrir und Garm ihren verbissenen Kampf nicht einstellen konnten. Die Kreaturen wirbelten im Wasser umeinander; ihr Jaulen und Grollen ein tonloses Beben im See, während sie von hellen Sauerstoffbläschen umtanzt wurden, was der ganzen Szenerie etwas durchaus unrealistisch Magisches verlieh. Der Druck auf die Lungen wurde fast unerträglich; das eisige Nass umhüllte Loki wie eine zweite Haut und ließ keinen Raum für Flucht oder unnütze Gedanken - ein zauberhaft freies Schweben zwischen den Welten, in welchem alle anderen Dinge so beharrlich in den Hintergrund rutschten, dass der Magier sie kaum noch sehen konnte. Die Realität schien wie seine winzigen Atembläschen in der Ferne zu verschwimmen; wurde unwichtig, nichtig und klein. Diese Nähe zum Tod hatte einmal mehr etwas seltsam befreiendes und Loki erlag fast dieser süßen Versuchung, sich in die eisigen Arme des Wassers zu begeben, sich verschlingen zu lassen, um die Augen zu schließen und den Geist zur Ruhe zu betten; ein Geist, der mehr als alles andere Lokis größte Waffe und gleichauf sein größtes Verderben war, da sein Verstand niemals ruhen wollte und konnte. Lokis Blick glitt erneut zu den kämpfenden Kreaturen zurück. Garm würde der Verlust von Luft am Ende nicht viel ausmachen, Fenrir allerdings benötigte wie der Magier selbst den kostbaren Sauerstoff zum atmen; Loki rüttelte sich aus seiner Lethargie und stieß sich mit entschlossenen Zügen tiefer in den See hinab, dabei den brennenden Druck in seinen Lungen ignorierend. Gwendolyn würde der Verlust ihres geliebten Hundes mit Sicherheit unheimlich traurig stimmen und die Menschenfrau hatte in der letzten Zeit wirklich genug erlebt, als dies nun auch noch ertragen zu müssen. Der Magier erspürte den winzigen, schimmernden Riss auf dem Grund mehr als das er ihn sah; mit grober Entschlossenheit zwang er den Durchlass mit Hilfe seiner Magie weiter auf und wurde kurz darauf schon durch das Portal gezogen wie ein Stern in das gierige Maul eines schwarzen Loches. Der Durchlass spuckte ihn auf einen eisigen, harten Untergrund aus, wo der Gott schmerzhaft aufschlug und hustend das Wasser aus seinen Lungen würgte, bevor er befreit nach Atem rang. Sein eigenes, bleiches Spiegelbild mit den wilden, nassen Haaren sah ihm aus dem Eis unter seinen Händen entgegen; der frostige Wind riss an seinem Leib und trug Wärme, sowie das Leben Stück für Stück von seiner Gestalt ab. Die grünen Augen des Magiers richteten sich auf eine überfrorene, düstere Landschaft; ein Meer aus spitzen Felsen und Klippen, aus Schnee und Eis, aus Einsamkeit und Trostlosigkeit. Krachend brachen vom Wind zerklüftete Brocken Felsen unter der gewaltigen Macht der Kälte; selbst das eigene Land erzitterte unter der Vorherrschaft des Eises. Die Sterne am Himmel waren ebenso starr wie die Welt unter ihnen - Jotunheim, der letzte Ort, an dem Loki sein wollte, doch an welchem er nun allein Garms Macht fesseln konnte. Unter dem wütenden Fauchen des frostigen Windes, der genauso hart zuschlug wie Thors Hammer, richtete sich der Magier auf und hastete ein paar Schritte beiseite; keine Sekunde zu früh, denn aus dem Riss krachten nun auch Fenrir und Garm auf die eisige Plattform des Felsvorsprungs, auf welchem sie gelandet waren. Der Wolf war sichtlich erschöpft und Loki musste sich nun beeilen, um seinen zaghaft gewachsenen Plan in die Tat umzusetzen. Obwohl sich alles in Loki dagegen sträubte, ließ er doch seine Energien frei fließen und verband diese mit der Welt umher; er verankerte die Wurzeln seines Lebens mit dem Fluss der Mächte Jotunheims und ließ diese lang unterdrückte Seite in sich hervorbrechen; sein Körper wandelte sich in die Form eines Eisriesen, in die Gestalt, welche ihm seit seiner Geburt mitgegeben war in seinem Leben. Obwohl der Gott diese blaue Gestalt hasste, alles daran verabscheute, so konnte sie ihm jetzt doch womöglich gute Dienste erweisen; das Gefühl von Kälte verschwand augenblicklich und die Erschöpfung wurde zu einem dumpfen Pochen im Hintergrund seiner Wahrnehmung. Sein Körper wuchs um ein paar nichtige Zentimeter und füllte sich mit einer Kraft an, die dem Magier verhasst wie faszinierend zugleich erschien. Entschlossen straffte er sich und setzte zu Fenrir und Garm hinüber, die sich eben benommen aufgerichtet hatten und sich nun knurrend umkreisten; der Helhund hinkte sichtbar, zähes Blut tröpfelte ihm in eines seiner fahlen Augen, doch sein Kampfeswille schien ungebrochen, obwohl sich die gestaltlichen Seelen hinter seinen Rippen beinahe ängstlich unter dem Anblick von Fenrirs Gestalt duckten - auch der Wolf hatte gelitten, Bisse und Blessuren von dem Kampf getragen, doch obwohl er schwankte und ziemlich mitgenommen aussah, bot er Garm mit entschlossen brennenden, orangen Augen die Stirn. Loki suchte den Blick Fenrirs, als sich der Helhund erneut auf den Wolf stützen wollte; der Magier flüsterte einen feinen Zauber und ließ jenen in dem Schneetreiben umher zu Fenrir fliegen - eine unsichtbare Verständigung, die das Tier offenbar auch aufnahm. Als Garm ihn fast erreichte, ließ der Wolf sich zu Boden fallen und rollte sich auf den Rücken; die kräftigen Hinterläufe gruben sich in den Leib des Hundes und ließen diesen schmerzhaft heulen - Fenrir stieß die Kreatur von sich und damit den Felsvorsprung hinab in die Tiefe. Loki hastete dem stürzenden Hund hinterher, der sich hektisch mit den Pfoten am brüchigen Eis der Klippe festkrallen wollte; doch vergeblich, das Eis brach unter seinen Klauen und ließ ihn in eine der scharfen und tiefen Felsspalten rutschen, die sich unter dem Vorsprung im Eis auftaten. Der Magier sprang Garm von dem erhöhten Plateau hinterher; er nutzte die Kraft seiner Riesengestalt und hielt sich an spitzen Felsen fest, schwang sich fast mühelos über meterweite Abgründe, bis er dumpf neben der Spalte landete, in welcher Garm verschwunden war. Die wütenden Augen des Hundes funkelten aus der Tiefe zu Loki herauf, doch das Tier steckte in der schmalen Klamm zwischen Eis und Felsen fest und war kaum in der Lage, sich zu bewegen. Loki sank in die Knie und bettete seine blaue Hand auf dem klaren Eis unter sich; ein seltsamer Kontrast, da ihm die eigenen Finger so fremd erschienen. Er schüttelte seinen Unwillen ab, hielt dem Blick des Helhundes mit den eigenen blutrote Augen stand, als er von seiner Hand aus Frost und Eis beschwor, welche sich wie eine Flut über den Rand der Spalte ergossen und diese mit ihrer frostigen Präsenz anfüllten. Garm brüllte wütend auf, versuchte sich gegen das Eis zu wehren, was um seinen Körper erwuchs und ihn in dem Felsen einschloss, doch vergeblich - Frost kletterte an seinem Körper herauf und bedeckte am Ende seinen Kopf, seine geifernde Schnauze und die zornigen Augen, sodass die Laute der Kreatur in einem dumpfen Knurren erstarben, während sich die Macht des tonnenschweren Eises bis zur oberen Grenze der Klamm ausbreitete und diese verschloss. Loki zog die Hand dann langsam vom Boden zurück und richtete sich auf; durch die glasklaren Schichten des Eises hindurch konnte er die fahlen Augen des Helhundes noch leuchten sehen. Ein unseliges Schimmern in der Tiefe - gefangen in einem Käfig aus Kälte, doch nie tot, würde Garm dort unten hoffentlich für eine sehr lange Zeit verbleiben. Der Magier drehte das Gesicht in den Sturm der wirbelnden Schneeflocken und schloss für einen Moment die Augen, während der Atem Jotunheims um seine Gestalt toste; in der Luft war eine seltsame Vertrautheit, das Echo von Bekanntschaft, der Hauch von Zugehörigkeit - Wurzeln gleich, die tief in das Erdreich ragten und niemals brechen würden, obgleich man unermüdlich mit einer Axt auf sie einschlug. Es gab Fesseln, die würde man nie lösen können, weil sie aus Fleisch und Blut geschmiedet waren. Aber vielleicht konnte man lernen, mit ihnen zu leben... Vorausgesetzt, dass man sich irgendwann selbst akzeptieren könnte; der Magier hob eine seiner Hände und betrachtete die so fremd erscheinenden blauen Finger, die eingebrachten Stammeslinien auf seiner Haut - er hasste diese Gestalt, obwohl sie ein Teil von ihm war. Doch sie würde ihn immer daran erinnern, wie unvollkommen er in den Augen anderer erschien - ein Makel, aus Blut geformt. Wie sollte er je lernen, diese Seite an sich anzuerkennen, wo ihm sein halbes Leben gelehrt wurde, die Eisriesen zu fürchten und als Bedrohung zu erkennen. Loki wusste, dass seine Wiege hier in Jotunheim stand und etwas in ihm immer zu diesem Ort streben würde; eine Erkenntnis, die ihn einst die Welt der Eisriesen fast hatte zerstören lasen. Doch seine Heimat war eine andere - mit Jotunheim verband ihn Blut, mit Asgard eine Geschichte, ein Heim und Liebe. Seine blauen Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen, ironischen Lächeln, welches gleich darauf in den Weiten dieser eisigen Welt verwehte, fortgerissen von Kälte und einem spöttischen Schnauben. „Liebe“ - dieses Wort hatte er wahrlich selten gedacht, noch seltener gebraucht. Gwendolyn wäre wahrscheinlich stolz auf ihn gewesen, dass er diese Gedanken nun zumindest zuließ, auch wenn es noch immer schwerfiel. Aber es war die Wahrheit; Loki liebte Asgard und im Inneren seines Herzens hatte er diese Gewissheit schon immer besessen, obwohl er sich dagegen gesträubt hatte. Gwendolyn…das Brennen in seiner Brust kehrte zurück und diesmal rührte es nicht vom Mangel an Sauerstoff her; sie würde sich gewiss alberne und unnütze Sorgen um ihn machen… Rasch kletterte er die Felsen wieder hinauf, zurück auf den Vorsprung, wo Fenrir bereits auf ihn wartete; der Wolf leckte sich eine blutige Pfote, setzte jene jedoch ab und stieß sofort ein triumphales Heulen aus, als er Loki erblickte, der sich über den Rand des Felsens in die Höhe zog. In der Ferne antwortete das Brüllen eines Eisriesen, welcher wahrscheinlich alarmiert wegen der Laute hier bald nach dem Rechten sehen würde. Es war Zeit zurückzukehren. Der Rückweg durch den Riss zwischen den Welten war schnell wieder gefunden und Loki schwamm mit schnellen, kräftigen Zügen an die Oberfläche des Sees, welche er mit einem Keuchen durchstieß und tief Luft schöpfte. Neben ihm tauchte der Wolf auf und paddelte ein wenig ungeschickt ans Ufer; an das Ufer, wo Gwendolyn wie ein Häufchen Elend im Schnee hockte und den beiden Gestalten mit ungläubig geweiteten Augen entgegenblickte. Ihre fahlen Lippen öffneten und schlossen sich immer wieder, als würde sie versuchen Worte zu formen; auf ihren Wangen glitzerten die Spuren von frostigen Tränen. Sie sah furchtbar entkräftet aus; die Augen rot, die Haut blass und die Lippen fast blau - sie musste entsetzlich frieren, doch hatte sie hartnäckig dort ausgeharrt und auf sie gewartet. Jetzt erhob sich die Sterbliche zittrig und steif auf ihre Beine, während ihr Blick zwischen Angel und Loki hin und her schwankte; sie sah erleichtert aus, allerdings auch ungläubig und verwirrt. Vor allem verwirrt, als ihre Augen an Loki hängen blieben, der sich mühsam über Eisschollen ans Ufer zog und dort aufrichtete. Fenrir lag erschöpft neben ihm im Schnee und schrumpfte im nächsten Augenblick in seine altbekannte Gestalt zurück; der Zauber verlor seine Kraft und ließ das magische Geschöpf seine komprimierte Form wieder annehmen. Der Hund stieß die Luft in einem abgekämpften Schnauben aus, schien aber weitestgehend von größeren Verletzungen verschont.   Gwendolyn stolperte langsam auf sie beide zu; kurz ging sie neben Angel in die Hocke und strich diesem zittrig über den Kopf. Da sich der Hund im nächsten Augenblick aber schon wieder erhob und das Wasser aus seinem Fell schüttelte, schien sie zu erleichtern, vor allem da das Tier ihr beruhigend die Hand leckte. Dann wandte sich die Sterbliche Loki zu und sie blinzelte ein paar Mal, als müsste sie ihre Sicht angestrengt klären; sie schien ihren eigenen Augen nicht zu trauen, als sie hoffnungsvoll einen vorsichtigen Schritt weiter auf ihn zu wagte und ein unsicheres: »Loki?!« hauchte. Die Zuversicht in ihrer Stimme war überraschend; ehrlich und tiefgreifend - ebenso wie die zaghafte Erleichterung in ihren hellen Augen, welche sich noch nicht komplett hervorwagte, als hätte sie Angst, damit ein Trugbild zu zerstören. Ihre Hand streckte sich zu seinem Gesicht aus, verharrte jedoch unschlüssig in der Luft vor seiner Haut, als wäre sie unsicher, wen sie da vor sich hatte - oder was… Erst jetzt fiel dem Magier auf, dass er noch immer seine Jotunengestalt trug; und egal, wie sehr er sich in diesem Moment auch bemühte, er vermochte es nicht, sich zurück zu wandeln, was wohl an der Erschöpfung und den Wunden lag, die er erst jetzt wirklich wahrnahm. Träge tröpfelte Blut von einem Schnitt über seiner Braue und ebenso breitete sich warme Feuchtigkeit unter seiner klammen Rüstung im Bereich seiner Schulter aus; der Biss der Jörmungandri war wohl wieder aufgerissen. Er hielt den Blick der Sterblichen, obwohl er jenen am liebsten abgewendet hätte, um sie nicht in das Licht seiner nun glutroten Augen zu baden; sie hatte ihn noch nie so gesehen und Loki fürchtete ihre Reaktion - fürchtete, dass sie ihn so ansehen würde, wie es die Asen taten; wie es ängstliche Kinder in ihren Betten tun würden, für die er nichts weiter als das Monster aus Albträumen war. Würde sie vor seiner wahren Gestalt zurückschrecken? Würde jeder Funken Zuneigung von ihr unter der Wahrheit, unter Abscheu zerbrechen; unter dem Anblick der abstoßenden Gestalt seiner Geburt? Würde er das ertragen können? Vielleicht wollte er sich lieber selbst vor dieser befürchteten Reaktion schützen, denn er wich einen fast hastigen Schritt vor Gwendolyn und ihrer Hand zurück; er hatte sich wirklich nie für einen Feigling gehalten, doch jeder hatte eine Schwäche, die einen verwundbar machte - und Loki besaß diese Schwachstelle in dem Blut seiner Geburt; eine Schwachstelle, die wie eine gerissene Wunde schwärte, blutete und sich immerwährend der Heilung entzog. Wahrscheinlich entzog sich Loki selbst dieser Heilung, indem er keinen wahren Frieden mit sich selbst und seinen Wurzeln finden konnte. Gwendolyn wirkte verwirrt, fast ein wenig verletzt, als er vor ihr zurückwich; dieser Ausdruck ihres Gesichtes das Letzte, was er sah, bevor ihn eine erschöpfte Ohnmacht übermannte. Er spürte noch, wie er in den Schnee sank; die Feuchtigkeit auf seiner Wange, die er schon nicht mehr den weißen Flocken oder seinen eigenen Tränen zuzuordnen vermochte. Wieder einmal war er gefangen in den Schatten seiner Vergangenheit; in den Klauen einer eisigen Umarmung, einer schrecklichen Erkenntnis, die ihn sein Leben lang verfolgte und nicht aus ihrem Griff entlassen wollte. Er war noch immer zerrissen zwischen zwei Welten - zerbrochen unter seinen eigenen Ansprüchen und Zielen, der grausigen Wahrheit, die nichts und niemand vertilgen konnte; er war gefangen in einer Blase aus Selbsthass, die seine Seele zornig an sich selbst kratzen ließ… Würde das für immer so sein? Für immer… Gwen ließ das heiße Wasser mit einem wohligen, kleinen Seufzen auf sich prasseln und schloss die Augen unter dem brausenden Strahl der Dusche; einen Augenblick gewährte sie sich die Erschöpfung ihrer Glieder, die nun wieder zu Tage trat, doch dann drehte sie entschlossen das Wasser ab, nachdem sie Schnee, Kälte, Blut und Schmutz von sich abgewaschen hatte und stieg aus der Dusche. Nachdem sie nun wieder sauber und aufgewärmt war, kehrten zumindest auch ihre Lebensgeister zurück. Sie musste unbedingt nach Loki sehen. Unter Aufbietung all ihrer verbliebenen Kräfte hatte sie ihn mit Hilfe von Angel zu einer der Blockhütten geschleppt; sie wusste jetzt selbst kaum noch, wie sie es geschafft hatte, den großen Mann zu bewegen und zu stützen, der offenbar aus Erschöpfung zusammengebrochen war. Zum Glück war das Schloss der Hütte kein sonderliches Hindernis gewesen und sie hatte Loki vorsichtig auf das Bett gelegt, bevor sie ein Feuer im Kamin entfacht hatte; die Hütten waren voll ausgestattet für Besucher, was ihnen jetzt deutlich zum Vorteil gereichte. Es gab ein paar lang haltbare Lebensmittel in der überschaubaren Küche und fließendes, heißes Wasser in dem kleinen Bad. Der Rest der Hütte bestand aus einem größeren Wohn- und Schlafraum, der zweckmäßig eingerichtet war - zumindest würden sie sich erst einmal aufwärmen können. Gwen rubbelte sich die Haare einigermaßen trocken und wickelte eines der großen Handtücher dann um sich, da ihre Kleidung vor dem Kamin trocknete; sie wischte über den beschlagenen Spiegel und musterte ihr eigenes Spiegelbild kritisch - ihre Wangen nahmen zumindest wieder ein wenig Farbe an und der Rest ihres Körpers war gerötet von der heißen Dusche, die sie sich verabreicht hatte, um sich aufzuwärmen. Ihre Augen waren noch recht fahl und gerötet, ihre Haare wirr, doch zumindest fühlte sie sich wieder wie ein Mensch. Entschlossen öffnete sie die Tür und trat aus dem Bad, angespannt und unsicher, was sie wohl erwarten würde; sie hatte den benommenen Magier vorhin zuerst mühsam aus den Schichten seiner Rüstung befreit, was sie ein gutes Stück ihrer Nerven und Kräfte gekostet hatte, um zumindest die Wunde an seiner Schulter notdürftig versorgen zu können. Dabei hatte sie verstohlen immer wieder sein starres Gesicht gemustert; seine Augen waren geschlossen gewesen, obwohl sich diese unter den Lidern unruhig bewegt hatten, seine Züge angespannt und verkrampft, als würde er mit ganz eigenen Dämonen in seiner Benommenheit kämpfen. Sie konnte es noch immer kaum glauben; ihr Glück kaum fassen, doch er war tatsächlich zurückgekehrt - zuerst hatte sie ihren Augen kaum glauben wollen, als er mit Angel aus dem See entstiegen war, vor allem da er nun so anders aussah. Seine Haut war jetzt blau und von verschlungenen Linien überzogen; rauer und kühler, als sie diese in Erinnerung hatte - genau wie seine Augen, die nun in einem feurigen Rot geleuchtet hatten. Gwen war nicht blöd und ihr hatte sofort gedämmert, dass wahrscheinlich seine Eisriesengestalt sein musste; es war noch immer Loki, er sah aus wie Loki und doch auch irgendwie anders…im ersten Augenblick war sie verwirrt gewesen und ja, auch ein wenig unsicher und verängstigt, da sie den Magier so einfach nicht kannte. Er wirkte jetzt noch größer und bedrohlicher als ohnehin schon, doch als sie ihn zur Hütte geschleppt hatte, hatte sie sich durchaus mit dieser Form seiner Gestalt vertraut gemacht, sodass ihre Bedenken recht schnell verflogen waren. Er war auch nun nicht anders, weder unsterblich noch unfehlbar und hatte ihre Hilfe benötigt. Nachdem sie zumindest die Blutung an seiner Schulter fürs Erste gestillt hatte, hatte sie ihn kurz allein gelassen, um sich aufzuwärmen und zu duschen; wenn sie nicht aus den kalten Sachen rausgekommen wäre, dann wäre sie bald die nächste mit einer kraftlosen Ohnmacht gewesen. Angel war bei Loki geblieben und hatte sich zwischen Kamin und Bett auf den Boden gelegt, als hätte er Gwen versichern wollen, dass er Wache halten würde; sie wusste weder, was passiert war in diesem See, noch wo Garm abgeblieben war. Aber zumindest schien der Helhund für den Augenblick erst einmal keine weitere Gefahr darzustellen und Loki konnte sie in seinem Zustand ja auch schlecht fragen. Angel war wieder der Hund, den sie kannte; sie hatte keine wirkliche Angst vor ihm, immerhin hatte er sie beschützt, doch sie fragte sich natürlich, was es mit der rätselhaften Aussage von Loki auf sich hatte in Bezug auf den Hund. Nun trat sie also in den Wohnraum und stellte erleichtert fest, dass Loki inzwischen erwacht war; er saß auf dem Bettrand, sein Oberkörper war nackt, doch die Hose hatte Gwen ihm lieber gelassen, ebenso wie seine Stiefel, deren komplizierte Verschlüsse sie einfach nicht hatte lösen können. Seine Haut schimmerte noch immer in diesem irgendwie faszinierenden Blau und obwohl er einen so eigenartig fremden Anblick bot, erwachte in Gwen die Neugier und Verlockung, seien fremdartige Gestalt zu berühren und die kühle Haut unter ihren Fingerkuppen zu erfühlen… Allerdings wurden diese Gedanken sofort durch eisiges Entsetzen abgelöst, als sie erkannte, dass der Gott einen Arm auf seinem Oberschenkel gebettet hatte und mit einer Klinge oberflächliche Schnitte über seine Haut zog; sein Gesicht war schrecklich starr und emotionslos, fast konzentriert waren seine roten Augen auf das Blut gerichtet, welches heiß und schwer über seine Haut floss und träge auf den Holzboden der Hütte tropfte. »Bist du verrückt?! Was tust du denn da?!« Ohne groß zu überlegen war Gwen bei Loki und entriss seinen Fingern die scharfe Klinge, welche sie bestimmt von sich warf. Scheppernd landete das Metall auf dem Boden. »Hör sofort auf damit!« Sie hatte bestimmt nicht ihre letzten Kräfte mobilisiert, um ihn zu retten und zu verarzten, nur damit er sich jetzt selbst verletzte. Der Gott schien sie gar nicht wirklich wahrzunehmen, starrte ins Leere und verkrampfte die Finger zu einer Faust, als diese kein Metall mehr hatten, was sie umfassen konnten. Gwen holte tief Luft und ließ sich neben Loki in die Knie sinken, nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang seinen Blick so zu sich. »Loki…was ist los? Was tust du da?« flüsterte sie eindringlich und versöhnlich; augenblicklich tat es ihr leid, dass sie ihn so angefahren hatte. Seine roten Augen fokussierten sich langsam auf sie, schienen sie wohl auch zu erkennen, bevor seine Lippen ein tonloses, abwesendes Wispern ausstießen: »Ich dachte, es wäre blau…ich dachte, es müsse blau sein…« Er sprach so ungläubig wie ein Kind, dass eben feststellen musste, dass es den Weihnachtsmann doch nicht gab, obwohl man ihm das die ganze Zeit versichert hatte. Der Gott wirkte völlig apathisch und das machte Gwen mehr Angst, als wenn er sie wütend angefahren hätte - seitdem er aus dem Wasser wiedergekehrt war, war irgendetwas an ihm anders und damit meinte sie nicht einmal seine veränderte Gestalt. Sie zog die Stirn verwirrt in Falten, bevor sie begriff, dass er offenbar von seinem Blut sprach; sie löste eine Hand von seiner Wange, um damit beruhigend und sanft über seinen verletzten Arm zu streichen - die nur oberflächlichen Wunden schlossen sich zum Glück bereits schon wieder, was Gwen verblüfft zur Kenntnis nahm. »Nein. Es ist rot, Loki. Genau wie meins. Rotes Blut. Nicht blau.« wisperte sie zaghaft und weich. Ihre Stimme schien den Magier aus seiner Teilnahmslosigkeit zurückzuholen; in seinen roten Augen sah sie seinen Verstand erwachen und das Erkennen, als er sie ansah. Allerdings schien ihm gerade ihre Nähe im nächsten Augenblick fast zuwider zu sein. Hastig sprang er auf und entriss sich damit ihren Händen, als könnte er es nicht ertragen, berührt zu werden. »Fass mich nicht an!« zischte er barsch und ließ Gwen damit zurückzucken; verletzt zog sie die Unterlippe zwischen die Zähne und versuchte ihre Enttäuschung bloß nicht zu zeigen. Wackelig stemmte sie sich wieder in die Höhe und zog das Handtuch fester über ihren Brüsten. »Ich wollte dir nur helfen.« gab sie ihm verstimmt zurück und hob das Kinn trotzig an. Loki war in einiger Entfernung stehen geblieben und wischte sich die Reste des Blutes fast angewidert von seinem Unterarm; seine blaue Stirn hatte sich in tiefe Falten gezogen, er wirkte wütend und unzufrieden mit sich selbst. »Ich brauche deine Hilfe nicht.« erklärte er ihr kalt und sah fast vernichtend auf sie herab, dann wirbelte er herum und verschwand im Bad. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss, sodass Angel verwirrt den Kopf hob, während Gwen die geschlossene Tür fassungslos ansah. Da hatte sie ihn hierher geschleppt und verarztet, sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht - und nun das? War nur los mit ihm? Gwen presste die Handballen gegen die Augen und holte tief Luft; die Tränen brannten schon wieder hinter ihren Lidern, doch sie schluckte diese entschlossen herunter. Nein, sie würde nicht weinen, obwohl Erschöpfung und Enttäuschung sie abermals heimzusuchen drohten. Sie hasste es, wenn Loki das tat - wenn er sie so abweisend und kalt behandelte, als wäre zwischen ihnen doch nicht schon viel mehr gewesen… Sie spürte, dass ihn etwas beschäftigte und sie konnte sich auch denken, dass es wahrscheinlich mit seiner momentan gewandelten Gestalt zusammenhing, doch er wollte offenbar nicht mit ihr reden und schloss sie wieder einmal von seinen Gedanken und Empfindungen aus. Lass ihm Zeit, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. Er wird sich schon wieder beruhigen. Aus mangels an Alternativen und weil sie Hunger hatte, öffnete Gwen die Tür der kleinen Küche und wühlte in den Schränken dort nach etwas essbarem; sie fand eine Tüte Trockenobst und verschlang dieses hungrig, während sie auf Loki wartete. Das Geräusch der Dusche zog sich monoton und beruhigend durch die Hütte, bevor es irgendwann verstummte. Tatsächlich vernahm Gwen die Tür des Badezimmers nach einer Weile wieder und wagte sich aus der Küche; der Gott hatte ebenfalls geduscht, sein Haar schimmerte dunkel und feucht, war behelfsmäßig mit den Händen nach hinten gekämmt. Seine noch immer blaue Haut war wieder frei von Blut und Schmutz; die Wunde auf seiner Schulter sah schon besser aus als noch vor einer halben Stunde. Die Selbstregenerationskräfte der Götter waren wirklich erstaunlich. Loki war nackt bis auf seine Lederhose, die er offenbar wieder angezogen hatte; seine Stiefel hatte er allerdings abgestreift und Gwen erhaschte einen Blick auf seine nackten, blauen Zehen, bevor er aus ihrem Sichtfeld verschwand und sich neben Angel und dem Kamin niederließ. Der Magier strich dem Hund gerade sanft über den Kopf, als Gwen um die Ecke bog und sich leise hinter ihm auf dem Bett niederließ; obwohl es albern war, empfand sie Neid und Unverständnis, warum der Gott gerade mit dem Tier so liebevoll umgehen konnte, nur offenbar mit ihr nicht. »Warum…hat Angel jetzt wieder diese Gestalt? Was ist er?« eröffnete sie das Gespräch zaghaft und stocherte nebenbei mit dem Schürhaken im Feuer; knackend brachen ein paar Holzscheide und verbreiteten angenehme Wärme im Raum. »Dein Hund ist Fenrir, ein magisches Wesen, welches sich beliebig in den neun Welten manifestiert. Es hat keinen Herrn, folgt nur seinen eigenen Regeln und Idealen. Meist tritt Fenrir in der Gestalt eines Wolfes auf. Er kann Schlächter sein, aber auch Beschützer, Richter oder Hüter. Jetzt hat er sich offenbar zu deinem Wächter erkoren.« Loki hielt kurz inne und sah flüchtig über die Schulter zu ihr zurück. »Er braucht gewissermaßen einen Katalysator, um seine gesamte Macht zu nutzen; eine Kraftquelle. Die habe ich ihm mit meiner Energie verschafft. Wenn diese aufgebraucht ist, nimmt er wieder diese einfache Form an…« Der Gott kraulte den Hund hinter dem Ohr, der wohlig die Augen zusammenkniff. »Ich hätte selbst nie gedacht, dass es Fenrir wirklich gibt. Wenige haben ihn zuvor gesehen, die meisten halten seine Geschichte für eine Legende.« Gwen hätte niemals geahnt, dass so ein mächtiges Wesen in ihrer Nähe weilte; ihr Beschützer…Tahatan hatte Angel als Welpe ihren Eltern übergeben, da sie sich schon immer einen Hund gewünscht hatte. Leider hatte sie den treuen Freund ihrer Kindertage nicht mit nach New York nehmen können. »W-was ist passiert?« wagte sie dann vorsichtig zu fragen. »Was ist in dem See passiert? Ich dachte schon, ich würde euch nicht wieder sehen. Ich dachte, du wärst-« Sie verschluckte sich fast an dem Wort „tot“ und sprach es deshalb auch nicht aus; es war einfach zu schmerzhaft. »Wo ist Garm? Wo wart ihr?« Gwen dachte schon, dass Loki nicht antworten würde, da er ihr beharrlich den Rücken zuwandte und sie nur seine angespannten Schultern sehen ließ; auch über seinen Rücken zogen sich nun diese faszinierenden, verschlungenen Linien wie Narben und Gwen war durchaus versucht, eine Hand auszustrecken und diese zu berühren, ließ es dann aber doch bleiben. »In Jotunheim.« kam dann seine knappe Antwort. Der Magier erhob sich geschmeidig wieder in die Höhe und wandte sich endlich zu ihr um, allerdings mied er weiterhin eisern ihren Blick. Jotunheim also. Das erklärte wahrscheinlich auch seine Eisriesengestalt. »Unter dem See befand sich ein Riss zwischen den Welten. Ich habe Garm nach Jotunheim gezogen und ihn in einer Gletscherspalte gefangen. Da man ihn nicht töten kann, muss man ihn eben einschließen. Das wird ihn hoffentlich für unbestimmte Zeit aufhalten.« erklärte ihr Loki sachlich und ließ sich etwas abseits von ihr nun ebenfalls auf dem Bett nieder; er lehnte sich an das hölzerne Rückenteil und zog die Beine auf die Bettdecke. Gwen verspürte augenblicklich Erleichterung; eine große Last fiel von ihren Schultern ab und ließ sie tief durchatmen. Garm war also offenbar erst einmal Geschichte - Loki hatte also tatsächlich einen Weg gefunden, den Helhund zu bezwingen; wenn man ihn auch nicht töten konnte, so doch einsperren. Die Idee war einfach, aber genial. Nur wenn Garm jetzt nicht mehr war, fiel auch ein großer, entscheidender Grund weg, warum Loki sie in seiner Nähe dulden würde und sollte… »Warum hast du mir nicht gesagt, was du vorhast? Ich habe mir verdammte Sorgen um dich gemacht…« verlangte sie unverständig zu wissen und lehnte sich ein wenig zu ihm hinüber; sie hielt das Handtuch mit einer Hand fest, während sie sich mit der anderen auf der Matratze abstützte. Ihre Füße baumelten noch aus dem Bett, in der Nähe des Feuers, was angenehm für ihre durchgefrorenen Glieder war. »Weil ich selbst bis dahin nicht wusste, was ich vorhabe.« erwiderte er harsch, schloss die roten Augen für einen Moment, bevor er weicher fortfuhr: »Es war eine eher intuitive Idee. Ich wusste nicht mal, ob sie funktionieren würde…«   »Loki…« Sie zog die Füße nun doch aufs Bett und rutschte an seine Seite; sie wollte eine Hand zu seiner verwundeten Schulter ausstrecken, die nun schon fast verheilt wirkte, doch er fing ihr Handgelenk fast hektisch vor seiner Haut ab und umklammerte dieses in einem festen Griff. Seine Augen zuckten nervös zu ihren Fingern, bevor er ihre Hand beinahe erschrocken losließ - war ihre Berührung wirklich so wenig zu ertragen? Ihm so zuwider? Gwen biss die Zähne enttäuscht aufeinander und ließ die Hand unsicher wieder sinken. »W-wie geht es dir? Du sahst vorhin ziemlich fertig aus, bist du-« Loki unterbrach sie unwirsch. »Es ist alles in Ordnung.« stieß er abwehrend aus und verschränkte die Arme in einer ablehnenden Haltung vor der Brust. »Es geht mir gut.« erklärte er tonlos. Weiterhin mied er ihren Blick. Gwen sah verwirrt und unverständig zu ihm hinüber; sie spürte, dass ganz und gar nichts in Ordnung war. Er baute seine Mauern wieder hoch um sich und wenn sie nichts unternahm, würde er bald wieder dahinter verschwunden sein. Sie durfte das nicht zulassen. Sie durfte nicht tatenlos dabei zusehen, wie er die Fortschritte der letzten Tage einfach so wieder zerstörte - sie würde sich nicht wieder ausschließen lassen. Erneut hob Gwen den Saum ihres Handtuchs und rutschte näher zu ihm, sodass sich ihr Schenkel gegen das kühle Leder seiner Hose schmiegte. »Ich dachte, ich hätte dich verloren, Loki…« flüsterte sie dann. Ihr offener Blick suchte den seinen und tatsächlich erwiderte er diesen endlich unter dem Klang ihrer berührten Stimme, wirkte fast irritiert über ihre Worte. »Als ich dich in diesem See versinken sah…ich war so verzweifelt…ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen…ich hatte furchtbare Angst…« gestand sie ehrlich. Loki presste die Lippen starr aufeinander, während Gwen flüchtig das Haupt senkte und tief Luft holte. Dann hob sie erneut die Hand und legte die Finger auf seine dunkle Wange; der Gott ließ sie gewähren, wohl zu überrascht von ihrem Geständnis. »Ich bin unendlich froh, dass du wieder hier bist, Loki. Ich bin froh, dass es dir gut geht…« Der Magier blinzelte kurz, schloss dann die Augen unter ihrer Berührung und versteifte sich sichtlich darunter. »Fass mich nicht an…« Diesmal war es weniger ein Befehl, keine grobe Forderung, sondern glich eher einer verzweifelten Bitte. »Warum?« fragte Gwen unverständig und verwirrt; er war zwar noch nie jemand gewesen, der die körperliche Nähe bewusst gesucht hatte, doch so abweisend hatte er sich ihren Berührungen gegenüber auch noch nie gezeigt. Fasziniert glitt ihr Finger über eine der Linien auf seiner Wange und zog diese sanft nach. »Weil diese Gestalt abstoßend ist…« spie er dann nach einer Weile aus, die Worte wie einen abscheulichen Geschmack von der Zunge stoßend. »Ich habe offenbar im Moment nicht die Macht, mich zurück zu wandeln. Meine Energiereserven müssen sich erst wieder auffüllen. Bis dahin muss ich dich leider mit diesem Anblick behelligen…« erklärte er ihr tonlos und wirkte so furchtbar unzufrieden und frustriert über sich selbst, dass Gwen tatsächlich einen Augenblick in ihren Bewegungen stockte. Der unterdrückte Schmerz in seiner Stimme rührte ihr Herz und versetzte diesem einen mitfühlenden Stich. »Was redest du da für einen Unsinn?!« Sie zog die Brauen kritisch zusammen und schüttelte irritiert den Kopf; für sie war er nicht abstoßend. Er sah anders aus, ja, aber trotz allem war er noch immer Loki. Er schien bei weitem mehr Probleme mit dieser Form zu haben als sie selbst - sie war längst über den Punkt hinaus, wo sie Eisriesen, Schlangenmenschen oder Höllenhunde noch überrascht oder schockiert hätten. Sie wusste immerhin seit Anfang an, dass er ein Eisriese war; sie hatte ihn so zwar noch nie gesehen, doch war sie schon immer neugierig gewesen, wie diese Gestalt wohl aussehen würde. Seine roten Augen wandten sich ihr wieder zu und verengten sich forschend, als würden diese förmlich eine abwehrende Handlung, einen Funken Abscheu von ihr fordern. Und langsam begriff Gwen - sie sah die Wahrheit in seinen glutroten Iriden, die sie an Blut und Feuer erinnerten und daran, dass Loki zwei Welten angehörte; er akzeptierte sich selbst nicht. Er hasste dieses Erbe in sich und das Blut, dass durch seine Adern rann - und solange er sich selbst nicht anerkannte, sich nicht gänzlich annehmen konnte mit allem, was dazu gehörte, solange würde er auch niemand anderen an seiner Seite akzeptieren können. "Sein Herz liegt noch in der Umarmung der Finsternis, doch du kennst den Schlüssel zu seinen Fesseln. Du wirst die Schatten vertreiben." Mit einem Mal wusste sie, was die Norne gemeint hatte. Es war ihr plötzlich erschreckend klar, als hätte sich der Nebel endlich gelüftet, um sie die Wahrheit sehen zu lassen. Sie wusste, was Loki fesselte und seine Seele gefangen hielt. Und sie wusste auch, was sie zu tun hatte. Ohne Zögern schwang sie sich auf seinen Schoß, achtete nicht auf seinen Protest; er wirkte regelrecht schockiert, als sie plötzlich über ihm thronte. Er fand sich wieder in einer ausweglosen Situation, da er sie hätte berühren müssen, um sie von sich zu schieben. Offenbar war er allerdings der Meinung, dass er sie vor seiner Berührung schützen müsste, weshalb er die Hände zwar hob, Gwen jedoch nicht von sich stieß. »Nichts an dir ist abstoßend…« erklärte sie bestimmt. Sie beugte sich zu ihm hinab und umgriff seine Handgelenke sanft, strich mit warmen Bewegungen über seine Haut und drückte seine Arme entschlossen wieder auf das Bett hinab. »Gwen-« begann er fast flehend, doch sie drückte ihm einen Zeigefinger auf die bläulichen Lippen, bevor sie diesen zurückzog und ihren Mund jene Stelle einnehmen ließ, ihre Lippen federleicht auf seine treffen ließ. Der Geschmack seiner Lippen war nicht anders; noch immer waren sie süß und verlockend, weich und unglaublich sinnlich - ob nun in dieser Gestalt oder in einer anderen. Gwen verspürte keine Hemmungen ihn zu küssen, ihren Mund in einem weichen Streifen gegen seine Lippen zu schmiegen, diese erneut zu kosten und zu liebkosen. Loki wurde unter ihrem Kuss starr und weitete die Augen; sie sah diesen Kampf in seinen feurigen Seelenkreisen, zwischen der erwachenden Sehnsucht und der Abscheu vor sich selbst, welche Gwen ihm unbedingt nehmen musste. Wenn sie jetzt zögern, jetzt zurückweichen würde, dann hätte sie ihn wahrscheinlich für immer verloren… Sie umfasste sein Gesicht erneut und ließ die Finger über seine Haut streifen; ihre Daumen fuhren die eingebrachten Linien auf seiner Haut nach, bevor schon ihre Lippen folgten, welche diese faszinierenden Konturen nachzeichneten. Gwen ließ ihren Mund in einem weichen, unendlich zärtlichen Hauch über sein Gesicht wandern; ohne Scham, ohne Zögern und ohne Hemmungen. Sie küsste seine hohe Stirn, seine Brauen, seine scharfen Wangenknochen; genoss das Gefühl dieser kühleren, leicht rauen Haut unter ihren Lippen, unter ihren Fingern, die auch nicht still standen und dem Weg ihres Mundes ebenso genießerisch folgten. Sehr langsam löste sich Lokis Anspannung unter ihren Berührungen und leichten Küssen; er schloss die Augen kurz, schien sich zumindest zu gestatten, es zu genießen, auch wenn die Kontur seiner Kiefer noch immer recht verkrampft wirkte. Seine Atmung beschleunigte sich leicht und seine Lippen öffneten sich um ein Stück für sie, als sie mit einem weichen, versichernden Lächeln auf ihn herabsah und die harte Linie seines Kiefers mit den Daumen nachfuhr. »Siehst du, nichts an dir ist abstoßend. Rein gar nichts. Ich fürchte dich nicht. Du bist noch immer Loki…« wisperte sie mit deutlich belegter Stimme an seinen Lippen; diese Nähe ging nicht spurlos an ihr vorüber und sie konnte nicht leugnen, dass sie auch nach seinen Berührungen verlangte - dass sie sich nach ein bisschen Vergessen und Nähe sehnte, um die Schrecken der letzten Stunden aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Sie senkte den Blick, ließ ihren Mund an seinem Kinn hinabgleiten und neigte seinen Kopf ein wenig zur Seite, um den fast verspielten Linien an der Seite seines Halses zu folgen; ihre Lippen glitten über seine Haut hinab und sie konnte es sich nicht verkneifen, ihre Zunge über seine blaue Haut gleiten zu lassen, welche eine feuchte, schimmernde Spur hinterließ. Zufrieden bemerkte sie die feine Gänsehaut des Gottes; das deutlich schneller klopfende Herz in seiner Brust, auf der sie nun eine Hand gebettet hatte, um sich abzustützen. Sie küsste seinen Hals mit Hingabe, reizte seine Haut zaghaft mit den Zähnen und saugte sie verlangend zwischen ihre Lippen; vielleicht mochte Loki sich für abstoßend halten, doch sie erregte er in jeder Gestalt - sie wollte ihn noch immer, drückte die Nase verlangend in seine Halsbeuge und sog seinen unverwechselbaren Duft tief in ihre Lungen. Ihre Hand auf seiner Brust wanderte indessen über die kühle Haut; strich über die beeindruckenden Linien, welche sich auch dort ausbreiteten und sie zeichnete diese mit ihren Fingern und gedämpfter Leidenschaft nach. Loki kam ihren Berührungen entgegen; sein Körper drückte sich unmerklich gegen ihre Handfläche, doch noch immer fühlbar gebremst, als würden ihn Fesseln zurückhalten. Gwen ließ ab von seinem Hals und widmete sich wieder seinen Lippen; ihre Zungenspitze glitt über diese hart daliegenden Konturen, verlangte nach Einlass, welcher ihr der Magier auch nach einer Weile gewährte. Sofort umschlangen sich ihre Zungen in einem vertraut heißem Tanz, der das Feuer in Gwens Körper spürbar entfachte und Lust wie eine Pfeilspitze zwischen ihre Beine jagte; an diesem Kuss nun war nichts zurückhaltendes mehr und Loki selbst schien seine Jotunengestalt zumindest für den Moment zu vergessen. Er packte ihren Kopf mit seinen kräftigen Händen und zog sie näher auf sich herab; intensivierte die Vereinigung ihrer Münder ins schier Unerträgliche, sodass Gwen sich seufzend an seinem Körper rieb und die Finger in seine bloßen Schulter krallte. Auch der Gott wurde spürbar von diesem Feuer zwischen ihnen verschlungen und mitgerissen; seine Zunge eroberte ihren Mund nun stürmisch und unnachgiebig, stieß in sie wie die Verheißung auf den Akt selbst, während Gwen nicht satt davon wurde, seine Lippen zu küssen, diese mit ihren Zähnen zu fangen und Loki damit immer wieder einen kleinen, heiseren Laut zu entlocken - sie liebte die angeraute Seide seiner geschmeidigen Stimme; wenn jene kippte, ohne die Ahnung von Schärfe und Gefahr einzubüßen. Seine kühlen Hände glitten über ihre Schultern herab und streiften ihre Arme, dann den Saum ihres Handtuchs, welches nur mit einem lockeren Knoten über ihren Brüsten festgemacht war. Seine Finger wanderten zu dieser letzten Grenze zwischen ihnen, bevor er sich bewusst zu werden schien, was er da tat - fast erschrocken löste er seine Hände von ihr und den Kuss, um schwer atmend mit lustverhangenen Augen zu ihr aufzublicken. Wieder erwachte Unsicherheit in seinen Seelenkreisen; leidliche Bedenken, die das Feuer noch nicht mit sich genommen hatte. »Nicht…« wisperte Gwen flehend und ergriff seine Finger, um diese zurück auf ihre Haut zu zwingen; sie drückte seine Hände wagemutig auf dem dünnen Stoff über ihren Brüsten nieder und presste sich verlangend gegen seine Handflächen. »Bitte...fass mich an, Loki...« bat sie in atemloser Gier auf seine Berührungen. »Hör nicht auf…bitte nicht…« Unbewusst schmiegte sie sich auf seinen Schoß und verfluchte das Leder seiner Hose, was noch immer zwischen ihnen lag wie eine störende Grenze; sie wollte ihn und diesmal ganz - diesmal würde es keine Störungen geben, welche sie aufhielten. Niemand würde sie diesmal unterbrechen… Sie liebten sich langsam, gemächlich; ein vorsichtiges Tasten, ein zärtliches Erforschen - unter Gwens tänzelnden Fingern verschwand des Blau des Eisriesen langsam und ließ die Gestalt des Asen für sie zurück, jenes Mannes, den sie so sehr begehrte. Dieser Akt war mehr als das bloße Verbinden zweier Körper; es war ein Kennenlernen, ein aufeinander Abstimmen, ein Geben und Nehmen - eine elementare Vereinigung, die nicht nur ihre Geschlechter und ihre Lust zueinander führte, sondern auch ihre Seelen. Ihre Hände fanden sich und verflochten sich miteinander, wie auch ihre Körper auf eine Weise verschmolzen, die ihre sinnlichen, langsamen Bewegungen kostbar und verzehrend innig machte. Ihre Münder wollten sich kaum mehr voneinander lösen; mussten es nur, um nach Luft zu haschen und sich sanfte, versichernde Worte gegenseitig zuzuflüstern. Gwen versank in diesen atemlosen Momenten, in diesem streicheln, berühren, fühlen - in diesen Küssen, in diesen Blicken, die tiefer gingen, als ein Blick das eigentlich sollte; ihre Seelen wurden eins, als Gwens Finger leidenschaftlich über Lokis schweißnasse Haut glitten, bevor ihre Zunge diese salzige Flüssigkeit aufnahm - als der Gott seine Lippen gegen den flatternden Puls ihres Halses drückte, seine Lust in einem haltlosen Keuchen entlud, während sich seine Hände gegen ihren verschwitzten Rücken pressten und ihre Körper so fast zu einer Einheit verband. Sie bewegte sich in ungestümer Sinnlichkeit auf ihm, fühlte das rasende Ende ihrer Vereinigung nahen; das glühende Feuer, dessen Flammen immer höher schlugen und ihre Gestalt verzehrten - sie klammerte sich in einem haltlosen Schrei an den Magier, als sie kam, den Kopf in den Nacken warf und schwor, sie konnte Sterne über ihnen leuchten sehen. Ihr Geist schien abzudriften, ihren Körper leicht und frei zu machen; ihre Muskeln zogen sich um die Mitte des Magiers zusammen, der seine Finger in ihre Hüfte, in ihren Po grub und den Kopf kraftlos gegen ihre Schulter sinken ließ, als sein Körper in einem leidenschaftlichen Beben den Höhepunkt erreichte. Das war der Moment - jener Augenblick, als Gwens graue Augen auf die lodernd Grünen des Gottes trafen, unter verschwitzten Haarsträhnen hinweg eine Gewissheit tauschend, die sie selbst kaum begreifen, doch nun erkennen konnte; das war der Herzschlag, in welchem sie wusste, dass sie sich in Loki verliebt hatte. Sie liebte den Gott der Lügen und Illusionen, der Täuschungen und des Unheils; sie liebte diesen Mann, der in jenem Augenblick weniger Gott war, als viel mehr ein Mann, dessen Seele sie erkennen und wertschätzen konnte. Sie liebte und wusste, dass Loki der letzte Mann in ihrem Leben sein würde; unabhängig von seinen Gefühlen war sie gezeichnet durch sein Wesen und seine Präsenz, durch diese magische Verbindung, welche sie immer aneinander fesseln würde - es würde nie mehr einen anderen für sie geben. Nur noch Loki. Wahrscheinlich war es immer schon Loki gewesen. Kapitel 23: Anfang oder Ende ---------------------------- »Loki…« Kaum mehr als ein Flüstern; ein sehnsüchtiger Atemhauch, der aus ihren Lippen entfloh und diesem Traum eine Gestalt gab, der noch immer einen sinnlichen Nachgeschmack auf ihrer Zunge hinterlassen hatte. Gwen rollte sich auf den Bauch und drückte ihre Nase in das duftende Kissen; in diese weiche Unterlage, die noch so verlockend, so betörend nach Mann roch - nach einem Gott mit unglaublichen Augen, einfach nach Loki. Begierig sog sie diesen Geruch ein und seufzte wohlig auf, während sich ihr wacher Verstand langsam aus den Tiefen des Schlafes zurück an die Oberfläche kämpfte; Schlaf, der sie mit zähen, festen Schlieren in ihrem Bann halten wollte. Gwen fühlte sich so seltsam schwerelos, einzig allein der Schmerz zwischen ihren Beinen ankerte sie auf dem Boden der Tatsachen; ein süßer, ein lieblicher Schmerz, der sie die Schenkel aneinander reiben ließ, um die Erinnerung zu bewahren, wie sie diesen errungen hatte… Sie hatte mit einem Gott geschlafen. Sie hatte tatsächlich mit Loki geschlafen… Ein warmes, wohliges Knäul aus Empfindungen entstand in ihrem Bauch, ihrem Unterleib und ließ sie erahnen, dass diese eine Nacht bei weitem nicht genug für sie war. Schon der Gedanke daran, schon das Bild Lokis vor ihrem geistigen Auge, erregte sie sofort wieder und ihre Finger krallten sich unter einem zittrigen, sehnsüchtigen Wimmern in das Kopfkissen. Niemals, wirklich niemals zuvor hatte sie so intensiv für einen Mann empfunden, so sehr nach dessen Nähe verlangt und langsam aber sicher verblassten all ihre Beziehungen der Vergangenheit zu farblosen Erinnerungen, bis nur noch eine blieb - jene an den Prinzen; an die Augen des Magiers, als sie sich gestern Abend Blicke geschenkt hatten, die Gwen wohl niemals vergessen würde. Und sie sehnte keine von diesen geisterhaften Erinnerungen der Vergangenheit wieder herbei, wollte sich an keinen dieser Männer erinnern, von denen ihr einige schmerzhaft das Herz gebrochen hatten. Und wie hätte ein normaler Sterblicher auch jemals mit einem Gott konkurrieren können?! Andrew hatte es versucht und war kläglich gescheitert. Loki war bei weitem nicht perfekt - aber er war nah dran es zu sein, zumindest wenn man seine seltsamen Weltanschauungen, seine Überheblichkeit und seinen Angriff auf die Erde mal außer Acht ließ. Der Ase hatte wahrscheinlich mehr dunkle Seiten als jeder andere Mann zuvor in ihrem Leben, allerdings besaß Loki dafür auch wesentlich mehr Klasse, Sitten und Verstand. Er war eben doch ein Prinz, wenn auch ein recht dunkler… Ein verstohlenes Schmunzeln huschte über Gwens Lippen, als sie sich tiefer in das duftende Kopfkissen schmiegte und imaginär den Kopf über ihre seltsamen Gedanken schüttelte. Eigentlich war der Magier alles andere als perfekt, ein geradezu gefährliches Wagnis, doch vielleicht machte gerade das seinen Reiz aus und ihn auch so unheimlich faszinierend für Gwen; er war ein Rätsel, was sich immer wieder neu aufzubauen schien, wenn man meinte, es gelöst zu haben - ein Labyrinth mit unendlichen Abzweigungen. Es war spannend, seinen Weg zu verfolgen und diese Bruchstücke zu beobachten, die von seinem Panzer abbröckelten und den unverfälschten Loki dahinter enthüllten. Einen Mann, der unheimlich intelligent war und gewitzt, leidenschaftlich und gefühlvoll, manierlich und durchaus ehrenhaft - Seiten, die der Prinz wohl selbst irgendwann vergessen haben musste. Die letzte Nacht war definitiv etwas Besonderes in Gwens Leben gewesen, auch wenn die Möglichkeit bestand, dass sie die Einzige bleiben würde. Was sie wirklich nicht hoffte… Ihre Hand glitt über das weiche Kopfkissen zur Seite, durchbrach etwas warmes, was wohl hereinfallende Sonnenstrahlen waren, bevor ihre Fingerspitzen auf die kühle, leere andere Betthälfte trafen; das glatte Laken ließ jegliche Wärme vermissen und die Vermutung aufkommen, dass dort schon lange niemand mehr lag. Unter diesem vernichtenden Verdacht schlug Gwen die Augen auf und blinzelte gegen das überraschend helle Licht der Sonne, welches durch eines der kleinen Fenster hereinfiel und doch nicht das erschrockene Frösteln vertreiben konnte, welches ihren Körper in eine klammerartige Umarmung zog. Loki war weg… Plötzlich hellwach setzte sich Gwen auf und starrte entgeistert auf die leere Betthälfte neben sich. Die Decke rutschte ihr von den Schultern und selbst die zaghaften Strahlen der Morgensonne konnten das Gefühl von Wärme und Geborgenheit nicht zurückbringen, welches nun mit dem Saum der Bettdecke schwand. Der Raum war in mildes Licht getaucht; eine wahre Wohltat nach dem anhaltenden Grau des Schneesturmes, der nun endlich vorüber gezogen schien. Das Feuer im Kamin war wohl irgendwann in der Nacht verloschen und nur ganz vereinzelte Rauchsäulen kräuselten sich über der Asche wie zaghafte Andenken an die dunkleren Stunden des Tages; Angel lag noch immer neben der Feuerstelle und hob nun den Kopf, um jenen schräg zu legen und Gwen kritisch zu beobachten. Die robbte an den Rand des Bettes und ließ ihren Blick hastig über den Boden fliegen. Nichts. Lokis Klamotten waren weg; sein Mantel, seine Hose, die Metallteile seiner Rüstung, auch seine Stiefel… Er war nicht nur einfach mal schnell im Bad verschwunden. »Loki?!« wagte sie einen zaghaften Versuch, doch ihr Ruf blieb ungehört. Allein Angel beantwortete ihn mit einem trägen Schwanzwedeln. Wie apathisch ließ sie sich zurücksinken und starrte ins Leere, während sie peinlich genau auf ihre Atmung achtete, um dieses Gefühl des Erstickens in der Kehle zurückzuhalten. Eine Hand schlang sie um ihren Hals und schluckte angestrengt, doch der Kloß darin wollte sich nicht vertreiben lassen; ihre Finger zitterten auf ihrer Haut und sie schloss die Augen, um dem Brennen der hinterlistigen Tränen Einhalt zu gebieten. Loki war weg - ohne Abschied. Ohne eine Wort. Ohne irgendeine Botschaft. Das durfte doch nicht wahr sein… Sie trug noch seinen Geschmack auf den Lippen, das Gefühl seiner Hände auf ihrem Körper, wie auch die Empfindung seiner Größe zwischen ihren Beinen, als würde er sie noch immer bis zum Kern ihrer Seele ausfüllen…und er war weg. Natürlich ist er weg, du dumme Kuh. Was hast du erwartet? Dachtest du, ihr haltet euch noch ein bisschen im Arm und säuselt euch Liebesschwüre ins Ohr? Himmel, wie blöd bist du eigentlich? rügte sie ihr gnadenloser Verstand. Du weißt genau, dass Loki nicht gerade der Typ für unnütze Zärtlichkeiten und große Gefühle ist. Er hat bekommen, was er wollte und jetzt ist er abgehauen, wie Männer es eben tun. Wie beinahe jeder Kerl in deinem Leben, Gwen. Seine Frist ist abgelaufen und er hat seinen Arsch gerettet. Erinnerungen der Vergangenheit prasselten wie Hagelkörner schmerzhaft auf sie ein; Erinnerungen, in denen sie schon öfter vertraut hatte, um am Ende bitter enttäuscht zu werden. »Nein…« flüsterte sie zu sich selbst und schüttelte entschieden den Kopf; der Druck hinter ihrer Stirn war anstrengend und raubte ihr die Fähigkeit, klar zu denken. Sie stützte das Gesicht in die Hände und ließ sich schwer nach vorn fallen, um die Ellenbogen auf die angezogenen Knie zu stützen. So herzlos und berechnet war der Magier nicht, das konnte und wollte sie einfach nicht glauben. Natürlich war ihr klar, dass Loki und sie nun nicht in trauter Zweisamkeit durchs Leben tänzeln würden; sie hatte auch nicht unbedingt erwartet, dass er sie beim Aufwachen im Arm halten würde, aber dass er einfach so verschwand, damit hätte sie nie gerechnet. Es passte auch nicht zu ihm. Warum sollte er sie noch gefragt haben, ob sie mit ihm nach Asgard zurückkehren würde, wenn er jetzt einfach ohne sie ging? Er hatte ihr gesagt, dass sie mit ihm kommen würde, egal wohin er aufbrach; er konnte einfach nicht ohne sie verschwunden sein. Das würde keinen Sinn ergeben. Und Loki war nicht gerade für unlogisches Verhalten bekannt. Sie vertraute ihm - wollte ihm vertrauen; das konnte er doch nicht so schändlich ausgenutzt haben?! Komm, Gwen. Reiß dich zusammen. Es wird schon eine Erklärung dafür geben, beruhigte sie sich selbst. Nicht gleich die Nerven verlieren. Vielleicht ist er nur mal schnell frische Luft schnappen gegangen. Eine Zigarette rauchen, oder was? stichelte ihr Verstand. Man kann es sich auch schön reden. Ein eigenartiges Geräusch dran an ihr Ohr; ein dumpfes Zischen, als würde sich ein Vakuum plötzlich mit Luft füllen. Sie holte tief Luft und runzelte augenblicklich die Stirn, als ein seltsamer Geruch an ihre Nase drang; nicht wirklich seltsam, aber dennoch unerwartet in diesem Moment. Erneut schnupperte sie und entlockte ihrem Magen damit ein vernehmliches, langgezogenes Knurren. Roch es hier tatsächlich nach gebratenem Speck? Nach frischen Brötchen? »Ich sehe, du bist endlich aufgewacht. Und ich dachte schon, ich müsste auf die konventionelle Methode des kalten Wassers zurückgreifen, um dich aus dem Reich der beinahe Toten zurückzuholen….« erklang eine seidig spöttische Stimme und ließ Gwens Kopf damit herum schnellen, während ihr Herz einen befreiten Satz in ihrer Brust vollführte - diese Stimme hätte sie wohl stets wesentlich besser wecken können als jeder Eimer kaltes Wasser. Ihr gesamter Körper reagierte auf den Klang dieses einzigartigen Timbres, als wäre sie eine Stimmgabel, die nur für den Gott der Illusionen, Lügen und Täuschungen schwingen würde… Loki. Da stand er tatsächlich, gelassen im Türrahmen der Küche gelehnt und sah mit einer unverschämt gehobenen Braue zu ihr herüber. Er trug noch immer keine Schuhe, aber zumindest seine Lederhose, die sich wie eine zweite Haut an seine langen Beine schmiegte und viel mehr erahnen ließ, als ihr lieb war; seinen Oberkörper bedeckte eine lockere Tunika, die nicht geschnürt seine Brust und Bauch freiließ, unter welchen sich die schlanken Muskeln nun bewegten. Gwen beobachtete fasziniert das Spiel von perfekt definierten Sehnen auf seinen Unterarmen, die durch heraufgerollte Ärmel offenbart wurden, da er sich die eleganten Hände gerade an einem Geschirrtuch abwischte und dieses dann gleichgültig beiseite warf. »L-loki?!« stammelte Gwen irritiert, allerdings auch ungemein erleichtert, bis sie registrierte, dass sie komplett nackt vor ihm saß; hektisch angelte sie nach der Bettdecke und zog jene bis über ihre Brüste nach oben. Eigentlich völlig albern, denn der Magier hatte in der letzten Nacht gewiss genug von ihr gesehen. Wenn nicht sogar alles… Dieser Auffassung schien Loki auch zu sein, denn seine geschwungenen Brauen hoben sich nun kritisch in die Höhe, während er ihre Reaktion abschätzend betrachtete. Ein hauchfeines, belustigtes Schmunzeln glitt kurz um seine Lippen wie die Ahnung der Morgenröte hinter dem Horizont. »Ich muss dich enttäuschen, sonst ist leider immer noch niemand hier.« erwiderte er ironisch. »Du…du bist ja noch da?!« bemerkte sie ziemlich überflüssig. Irgendwie war die Situation äußerst seltsam; Gwen wusste nicht wirklich, wie sie jetzt mit Loki umgehen sollte. Nachdem sie sich gestern Abend so innig, so intensiv geliebt hatten und sie noch immer die Spuren dieser Nacht auf ihrer Haut und darunter trug, wirkte er völlig gefasst und so distanziert wie immer, sodass sie sich schon fragen musste, ob das alles vielleicht doch nur ein Traum gewesen war. Ein ziemlich gestaltlicher Traum zugegeben, der ihr verspannte Muskeln und eine genüssliche, sehr weibliche Befriedigung verschafft hatte… Lokis seidige Stimme wandelte sich in eisige Kälte; eine frostige Glätte, auf der man sehr schnell den Halt zu verlieren und auszurutschen drohte. »Wäre es dir lieber, ich wäre fort?« fragte er sie tonlos und richtete sich langsam auf; die Gelassenheit schwand und er wirkte augenblicklich verkrampft. Die hereinfallende Sonne streifte sein Gesicht und ließ die Schatten seiner Wangenknochen noch tiefer wirken; ein Funken von Verwundbarkeit zog durch seine Augen, durch die klaren, grünen Gletscher. Seine eh schon blasse Haut spannte sich, die Illusion von kostbarem Porzellan webend, was furchtbar schnell zerbrechen konnte, wenn man es unachtsam behandelte… »Was?! Nein! Natürlich nicht…« beeilte sie sich zu sagen und schüttelte bekräftigend den Kopf. »Ich…ich dachte nur…wegen deiner Frist…« stotterte sie hilflos und drückte die warme Bettdecke weiter gegen ihre Brust, weil ihr diese das trügerische Gefühl von Sicherheit vermittelte; eine Sicherheit, die sie im Umgang mit Loki heute nicht wirklich fand. Gestern Abend war alles so einfach, alles so logisch erschienen und heute dafür nur noch umso komplizierter. »Ich habe die Hütte mittels Magie verborgen. Es sollte eine Weile dauern, bis uns jemand findet.« erläuterte ihr der Prinz unterkühlt und wandte sich dann auf dem Absatz um. »Für ein Frühstück sollte also noch Zeit bleiben. Du musst gewiss halb verhungert sein. Komm.« wies er sie in seiner herrischen Art an und verschwand in der Küche. Gwen blinzelte die Stelle an, an der Loki eben noch gestanden hatte, bevor sie sich aus ihrer Lethargie riss, Shirt und Höschen vom Boden angelte und diese schnell überzog; trotz des Schnees draußen war es nicht wirklich kalt in der Hütte. Die Glut des verloschenen Feuers schwelte noch nach und verbreitete eine angenehm erträgliche Wärme; allerdings benötigte Gwen auch nicht mehr als die Erinnerung an letzte Nacht, um wieder völlig in Flammen zu stehen - ihre Wangen glühten und ein angenehm kribbelndes Gefühl zog ihre nackten Beine hinauf und machte diese weich. Liebe. Hatte sie diesen Gedanken tatsächlich in der Umarmung des Prinzen zugelassen? Gwen hob eine Hand und rieb über ihr Brustbein, über jene Stelle, unter der ihr Herz lag. Ja, sie hatte sich gestern Abend in einem Taumel aus Empfindungen und Verlangen, aus Sorge und Mitgefühl zu diesem Gedanken hinreißen lassen und irgendwo tief in sich drin wusste sie auch, dass dieser der Wahrheit entsprach. Sie hatte sich in Loki verliebt - und das machte ihr fast Angst, denn diese Erkenntnis erschien ihr jetzt im Licht des neuen Tages so groß und gewaltig, wie ein weiterer Felsbrocken, der unerwartet in ihr Leben gerollt war und dieses nun völlig durcheinander brachte. Gwen nahm dieses ungewohnte Gefühl in imaginäre Hände und betrachtete es von allen Seiten; gab es wahre Liebe tatsächlich oder war das nur eine Erfindung von jungen, naiven Mädchen, die auf den strahlenden Ritter in weißer Rüstung hofften, der sie aus ihrem schnöden Leben retten würde? War wahre Liebe eine Illusion - die verzweifelte, aber hoffnungslose Suche der Menschen nach einem passenden Gegenstück, einem Seelenverwandten, der das harte Leben erträglich machte? Fakt war, dass diese Empfindungen Loki gegenüber alles in den Schatten stellten, was Gwen bisher je für einen Mann gefühlt hatte. Doch durfte sie sich so vorbehaltlos diesem Gefühl hingeben? Denn - wie war es mit ihm? Was konnte ein Gott schon für einen Menschen empfinden? Was sah er in ihr? Bis sie das herausgefunden hatte, musste sie ihre Gefühle unbedingt verbergen und für sich behalten, so schwer das auch sein sollte. Gwen rutschte vorsichtig aus dem Bett und kraulte Angel im Vorbeigehen die weichen Ohren, was der Hund mit einem zufriedenen Laut quittierte, bevor sie zaghaft zur Küche hinüber tapste. Loki hatte mehr als Recht; sie hatte einen Bärenhunger. Ihre letzte Mahlzeit war auch schon fast einen Tag her und das Adrenalin der letzten Stunden hatte definitiv auch seinen Tribut gefordert. Gwen musste sich eingestehen, dass sie schon ein wenig mehr Freundlichkeit von dem Magier erhoffte hätte; sie hatte es nicht wirklich erwartet, aber zumindest gewünscht, dass nach letzter Nacht alles ein wenig einfacher sein könnte. Allerdings war Loki wohl der Ansicht, dass eine Nacht nichts ändern würde - vielleicht maß er der ganzen Sache auch eh weniger Bedeutung zu als sie selbst. Es war schwierig, unheimlich schwierig mit ihm - sollte sie jetzt so tun, als wäre das zwischen ihnen nie passiert oder würde gerade das Loki noch weiter von ihr wegtreiben wie ein loses Blatt auf den zitternden Wellen des Meeres? Sie würde wohl vorgehen müssen wie bisher - vorsichtig, behutsam und hoffen, dass ihr Loki etwas gab, womit sie seine Mauern wieder öffnen könnte; einen Schlüssel womöglich, der sie wissentlich und willkommen in seine Seele ließ. Gwen bog um die Ecke der Küche und erstarrte in der Tür; ihre Augen weiteten sich verblüfft, während sie ungläubig auf das Bild starrte, dass sich ihr bot. Angel war ihr nachgekommen und strich nun an ihren nackten Beinen vorbei, um dem köstlichen Duft zu folgen - vor ihr auf dem schmalen Tisch der winzigen Küche breitete sich ein Frühstücksbuffet aus, das wirklich keine Wünsche offen ließ und was sie eher in irgendeinem Hotel, als nun in dieser kleinen, spartanischen Hütte erwartet hätte. Tatsächlich hatte sie ihre Nase nicht getäuscht und gebratener Speck, Würstchen und Eier waren zu finden, Pfannkuchen mit Sirup, Brötchen, Marmelade, Wurst und Käse, duftender Kuchen, frischer Jogurt neben einer riesigen Platte mit aufgeschnittenem Obst; der Geruch von Kaffee schwebte zu ihr heran, der neben einer Flasche Milch und einer Karaffe Orangensaft förmlich auf sie zu warten schien. »Ähhhh…was…wie…wo kommt das denn alles her?!« Gwen deutete verdattert auf das gewaltige Angebot an Essen, während sie vorsichtig näher kam und sich kraftlos auf der Lehne eines Stuhles abstützte. Loki hatte bereits Platz genommen und die langen Beine lässig überschlagen, während er sich ohne Hemmungen seinen Teller bereits voll packte und dabei Angel nicht vergaß, dem er ein paar der Würstchen zuwarf. Der Hund schnappte das Fleisch noch im Flug und verschlang es hungrig. »Da diese Behausung eher geringe Möglichkeiten auf ein nahrhaftes und ausgewogenes Frühstück bot, fühlte ich mich berufen, ein wenig zu improvisieren.« erklärte ihr der Magier fast gelangweilt, bevor er auf den Stuhl neben sich zeigte. »Setz dich.« Improvisieren?! Himmel, wenn sie improvisierte kam selten so etwas absolut Großartiges dabei heraus… »Aber…wie?! H-hast du das alles selbst vorbereitet?« Gwen ließ sich auf den angewiesenen Stuhl fallen und stupste eines der noch warmen Brötchen an, um sich zu versichern, dass dies nicht nur eine absolut fantastische Illusion war. Ihr Magen meldete sich erneut mit einem lautstarken Knurren und ließ sie verschämt einen Arm über ihrem Bauch betten. Loki hob eine schmale Braue und tauchte seine helle Alabasterstirn damit in süffisante Falten. »Ich bitte dich. Küchenarbeit ist definitiv unter der Würde eines Prinzen.« Er goss sich seine Tasse bis zum Rand voll mit duftend schwarzem Kaffee; so viel also zu dem alleinigen Laster der Menschen. »Ich bin Magier. Ich weiß mir zu helfen und die Dinge zu mir zu bringen, die ich begehre…« raunte er in seine Kaffeetasse, bevor er einen Schluck davon nahm. Dieser Klang seiner Stimme, diese unterschwellige Anspielung, die Gwen offenbar darin hören wollte, jagte ihr einen angenehmen Schauder zwischen die Beine und ließ sie ihre Schenkel angestrengt zusammenpressen, bevor sie mit einem Räuspern nach einem Brötchen griff. »Ja…dann, ähm…danke.« murmelte sie halblaut und war augenblicklich froh, sich auf das Essen konzentrieren zu können. Wahrscheinlich würde jetzt irgendeine Pension oder ein namhaftes Hotel ohne Frühstücksbuffet auskommen müssen… Während Gwen sich ihr Brötchen schmierte, schielte sie immer wieder flüchtig zu Loki hinüber, der kaum mehr wirklich Notiz von ihr zu nehmen schien; seine Aufmerksamkeit war auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, sein Blick aus dem Fenster der kleinen Küche, das vom Frost der letzten Nacht und zauberhaften Eisblumen überzogen war, welche in der Morgensonne zaghaft glitzerten. Gleiches Eis schien sich auch wieder über die marmorgleiche Haut des Prinzen gelegt zu haben; über seine Augen, seine scharf begrenzten Züge, seine Aura - er wirkte nachdenklich mit seiner sanft gefurchten Stirn, doch dabei so weit von Gwen entfernt, dass sie beinahe die Befürchtung hatte, ihn nicht berühren zu können, wenn sie jetzt die Hand ausstrecken würde. Und dabei saß er kaum einen Schritt neben ihr… Obwohl es ihr förmlich auf der Zunge brannte, so hielt sie sich doch damit zurück, die Ereignisse des letzten Abends anzusprechen - Gwen hatte Loki niemals zuvor so verletzlich, so unkontrolliert und verzweifelt erlebt, innerlich gebrochen und gefangen in einem Netz aus Selbsthass; sie war sich einfach unschlüssig darüber, ob sie das Gespräch suchen sollte oder Loki womöglich recht froh wäre, wenn sie es nicht tat… Bei einem so stolzen Mann wie dem Magier musste man vorsichtig sein, wenn man ihn mit seinen Schwächen konfrontieren wollte; für ihn musste das eine nicht weniger schwierige Situation sein als für sie. Jetzt, im Licht der Morgensonne und der Gegenwart seiner eher menschlichen Form, fiel ihr erst auf, wie faszinierend sie seine Jotunengestalt wirklich empfunden hatte; Gwen verstand sein Unbehagen gegenüber dem Erbe seiner Geburt, doch so wie sie ihn jetzt ansah und keinen wirklichen Makel an ihm finden konnte, so war es ihr auch mit der Form des Eisriesen ergangen - er war Loki, egal, wie er aussah und jede seiner Gestalten gehörte zu ihm und hatte ihren ganz eigenen Zauber. Natürlich war auch Gwen vor den menschlichen Ansprüchen an Schönheit nicht gefeit und sie selbst konnte oft genug Dinge an sich finden, die sie fern ab des gängigen Schönheitsideales zeigten; sie war klein und ihr Körper von Natur aus einfach eher zierlich, daher war es auch nicht weit her mit beeindruckend weiblichen Rundungen. Sie besaß zwar Brüste, doch ließen die sich gut mit einem Wort umschreiben - überschaubar. Sie war nicht mit großen strahlenden Augen gesegnet wie Ashlyn und auch nicht mit einem überragend sinnlichen Mund oder perfektem, glänzendem Haar, aber als hässlich hätte sie sich wohl auch nicht bezeichnet. Und sie erkannte erneut die Wahrheit dahinter, dass dämliche Schönheitsideale neben ehrlichen Gefühlen einfach verblassten; mochten manche Asen Loki sicher nicht als gängigen Adonis oder perfekten Krieger betrachten - einen Eisriesen Monster schimpfen, weil sie es eben nicht besser wussten, so konnte Gwen das doch nicht nachvollziehen. Für sie war er perfekt, ganz gleich, welche Gestalt er trug. Sie hatte auch nichts Erschreckendes oder Abstoßendes an Lokis Jotunenform finden können, weil sie ihn inzwischen einfach besser kannte, ihn schätzen gelernt hatte und er in ihren Augen immer der Gleiche sein würde, egal, wie er aussah. Trotzdem hing die Nacht natürlich wie das klebrige Netz einer Spinne zwischen ihnen und machte die Stimmung seltsam angespannt, sodass Gwen fast schon verlegen auf ihren Teller starrte und unnötigerweise pedantisch den Käse auf ihrem Brötchen anrichtete, bevor sie ebenfalls nach dem Kaffee griff. »Wir werden doch heute noch nach Asgard aufbrechen, oder?« fragte sie dann frei heraus und entschied sich für ein wenig unverfängliches Thema zu Anfang; das Schweigen zwischen ihnen war unerträglich und wenn sie tatsächlich zusammen nach Asgard zurückkehren würden, so täte Gwen wohl gut daran, wieder eine halbwegs normale Basis zwischen ihnen aufzubauen. Immerhin konnte die letzte Nacht nicht für immer wie eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen stehen. Irgendwann würden sie darüber reden müssen, doch wahrscheinlich war es besser, wenn sie Loki den Zeitpunkt dafür wählen ließ; bis dahin würde sie einfach versuchen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Im Moment half da, dass sie sich hungrig auf das Essen stürzen konnte; ohne Scham lud sie eine riesige Portion Ei und Speck auf ihren Teller. Lokis Blick schwankte zu ihr herüber, während er ihr zuvorkommend Milch in ihren Kaffee goss; diese unerwartet fürsorgliche Geste ließ sie einen Augenblick stocken und ihn fast verblüfft ansehen. Er hatte sich tatsächlich gemerkt, wie sie ihren Kaffee mochte - es war natürlich armselig, doch schon diese kleine Geste zauberte ihr ein zaghaftes Lächeln auf die Lippen; bei Loki waren es wirklich die kleinen Dinge, auf die man achten musste. »Du hast dich also entschieden?« sprach er, mehr Feststellung als Frage. Doch seine grünen Augen fixierten sie forschend. Gwen nickte leicht und biss hungrig in ihr Brötchen, kaute dann sorgfältig, bevor sie ihm eine Antwort gab. »Ja, das habe ich. Ich glaube nicht, dass S.H.I.E.L.D mir hier noch helfen kann. Oder es wirklich würde. Für die bin ich nur ein Versuchskaninchen und das will ich ganz bestimmt nicht sein. Ich werde mit dir zurück nach Asgard gehen. Vorausgesetzt, man wird mich dort erneut dulden…vielleicht hab ich mich bei meinem Abgang doch etwas im Ton vergriffen…« räumte sie unsicher ein. Immerhin hatte sie einen Prinzen geohrfeigt und auch Thor und Frigga nicht gerade freundlich betitelt, als die sie noch davon hatten abhalten wollten, auf die Erde zurückzukehren. »Der Allvater hat Wert auf deine Unversehrtheit gelegt und Frigga erachtet dich immer noch als durchaus wichtig. Man wird dich gewiss erneut willkommen heißen.« beruhigte sie Loki in abgeklärtem Tonfall und schob Angel noch ein paar gute Bissen zu, der seinen schwarz-weißen Kopf auf dem Schoß des Magiers gebettet hatte und sie beide aus seinen frostblauen Augen ansah. »Allerdings ist dir hoffentlich klar, dass sich dein Leben damit entscheidend ändern könnte. Vielleicht wirst du nicht so einfach nach Midgard zurückkehren können...« Loki wandte sich ihr wieder zu und sondierte sich nebenbei ein stück Kuchen aus dem Berg an Köstlichkeiten. Gwen schluckte trocken, bevor sie an ihrem Kaffee nippte, dann nickte sie fest. »Das ist mir natürlich klar. Es hat sich ohnehin schon genug geändert. Ich will jetzt nur noch eins. Nämlich endlich die Wahrheit wissen.« Sie hielt kurz inne und betrachtete die Kaffeetasse, die sie zwischen den Händen wog. »Ich muss einfach wissen, wo ich herkomme…« »Bist du bereit, für dieses Wissen alles hier aufzugeben? Deine Familie? Deine Freunde? Dein gewohntes Leben?« Seine Fragen hagelten wie Pfeilspitzen auf sie herab und Gwen war sich augenblicklich gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich nur noch um die Wahrheit ihrer Herkunft ging; Lokis Blick war bohrend, das Grün seiner Augen verzehrend in seiner Intensivität. Unbewusst sank sie unter der Präsenz seiner Nähe etwas in sich zusammen. Gwen schluckte erneut hart unter seinem stechenden Fokus, dann nickte sie zaghaft. Sie hatte natürlich auch über diesen Fall nachgedacht, dass sie womöglich nicht zurückkehren könnte - wenn ihre Wurzeln tatsächlich in Asgard liegen sollten, dann würde sie der Allvater sicher nicht so einfach wieder ziehen lassen. Aber darüber konnte sie sich weiter Gedanken machen, wenn es wirklich so weit war; sie sollte sich nicht vorher mit dieser beklemmenden Möglichkeit belasten. »Ja, dafür bin ich bereit.« Sie stellte ihren Kaffee beiseite und griff nach ihrer Gabel. »Allerdings hast du ja selbst gesagt, dass ich unbestreitbar ein Mensch und sterblich bin, also ist die Chance wohl eher gering, dass dieser Fall eintritt, ich für immer in Asgard bleiben und du mich ertragen musst, nicht wahr?!…« bemerkte sie dann mit einem schiefen Grinsen im Versuch eines Witzes und war selbst erstaunt über diese beklemmende Enttäuschung, die in ihrer Brust bei den eigenen Worten entstand. Eigentlich…wäre es doch gar nicht so schlimm, unsterblich zu sein…zumindest ein bisschen, um in Lokis Nähe bleiben zu können… Gwen bemerkte verwundert, dass sich der Prinz neben ihr versteift hatte; seine schlanke Hand krümmte sich so angespannt um seine Kaffeetasse, dass sie augenblicklich Angst hatte, er würde diese zerbrechen. Sein Mund formte eine schmallippige Linie, als müsste er bittere Worte zurückhalten, welche seine starren Züge verformten. »Wahrlich, welch Glück für dich. Die Ewigkeit in Asgard wäre sicher auch kaum auszuhalten, noch dazu in Gegenwart eines verurteilten Eisriesen. Ich kann dich verstehen.« bemerkte er dann in unterkühlter Süffisanz und wenn diese seltsamen Emotionen in seinen Augen nicht gewesen wären, hätte Gwen ihm diese Gleichgültigkeit wirklich abgekauft. Er verdrehte ihr die Worte im Mund. Sie hatte das als Scherz gemeint, um die Stimmung ein wenig aufzulockern, doch anscheinend hatte Loki dies völlig falsch verstanden. Offenbar musste sie wirklich an ihrem Humor feilen… Dachte er nach letzter Nacht tatsächlich, sie wäre froh, wenn sich ihre Wege trennen würden? Natürlich muss er das denken, du dumme Kuh, meldete sich ihr Verstand hämisch zu Wort. Immerhin hast du ihm nie das Gegenteil gesagt. Wie sollte sie ihm auch das Gegenteil sagen, wenn sie immer Angst haben musste, dass er dann Hals über Kopf flüchten würde?! Gwen wollte versuchen die Situation zu retten und streckte eine Hand zu dem Magier aus, um die Finger auf dessen Unterarm zu betten. »Loki, du hast das falsch verstanden. Ich meinte nicht-« Er unterbrach sie, entzog sich ihren Fingern, indem er sich zur Seite beugte und die Karaffe mit Orangensaft zu sich heranzog. »Wir werden als erstes Heimdall befragen müssen.« sprach er dann einfach, als hätte er sie gar nicht gehört, oder als wäre es ihm schlicht egal, was sie hatte sagen wollen. Er goss sich Saft in ein Glas und nutzte diese Tätigkeit, um seine Augen vor ihr zu verbergen. »Er muss etwas wissen, was er verschwiegen hat.« erklärte er mit der Emotion eines Felsens. Gwens Hand schwebte noch einen Augenblick schwerelos in der Luft, bevor sie die Finger krümmte und zu sich zurückzog. Befangen kaute sie auf ihrer Unterlippe und wandte sich verdrossen wieder ihrem Teller zu. Schön, dann eben nicht… Himmel, das war furchtbar. Gwen hatte das unbestreitbare Gefühl, dass diese Nacht zwischen ihnen nur alles noch schlimmer gemacht hatte; als würde Loki sich nun Mühe geben, die Mauern um sich nur noch höher und fester zu errichten. Wo war nur der Mann hin, der sie gestern so sanft gehalten, so rücksichtsvoll mit ihr umgegangen war; der Mann, der sie so leidenschaftlich geküsst und berührt hatte, dessen heiserer Atem ihr Ohr wie seine zarten Worte gestreift hatte? Gwen fiel es schwer, den Loki von gestern mit jenem Gott in Einklang zu bringen, der nun neben ihr saß. Angestrengt schob sie das Rührei über ihren Teller und verbot sich vehement ein schweres Seufzen, obwohl sie innerlich mehr als ratlos und verzweifelt war. Sie wusste einfach nicht, was sie falsch machte. Vielleicht hätte sie wirklich nicht mit Loki schlafen sollen, dann hätte sie seiner Art jetzt wesentlich mehr Selbstbewusstsein entgegenbringen können und müsste nicht mit dieser lächerlichen Enttäuschung kämpfen, die wie bittere Magensäure ihre Kehle erklomm. »Denkst du wirklich, Heimdall hat etwas verschwiegen? Er wirkte auf mich eigentlich nie wie ein Lügner. Vielleicht weiß er ja wirklich nichts darüber.« wagte Gwen dann einzuwerfen und war froh, dass sie ihre Gedanken damit von diesen gierigen Parasiten namens Zweifel ablenken konnte, die an ihrem Herz nagten. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie sich gar nicht erst auf eine absurde Diskussion einließ; Loki wirkte bedrohlich angespannt und sie fürchtete sich vor seinen scharfen Worten, die in ihrem momentanen Zustand ihr innerstes zerfetzen würden wie dünnes Papier. »Schon vor Odins Herrschaft war Heimdall Wächter über den Bifröst. Er diente bereits unter König Bor. Er verlässt seinen Posten beinahe nie, bis auf die wenigen Ausnahmen der Vergangenheit und seine Augen und Ohren sehen und hören fast alles. Er muss den Bifröst aktiviert haben, als du nach Midgard geschickt wurdest und das wahrscheinlich ohne Kenntnis des Allvaters, denn Odin wusste genauso wenig über dich wie wir alle.« resümierte Loki und schob Angel ein weiteres Stück Fleisch zu. Der Hund hatte sich inzwischen zu seinen nackten Füßen gebettet, sein Schwanz glitt träge über den Küchenboden. »Heimdall soll das hinter Odins Rücken bewerkstelligt haben? Das kann ich mir fast nicht vorstellen. Was sollte er davon haben?« hinterfragte Gwen irritiert und kräuselte die Stirn, während sie die Krümel auf ihrem Teller mit dem Finger zusammenschob. Der Wächter hatte auf sie immer einen äußerst loyalen und ehrbaren Eindruck gemacht. Solch ein Verrat passte definitiv nicht ins Bild. »Nun, um zu erfahren, was ihn dazu antrieb, werden wir ihn wohl persönlich sprechen müssen.« Loki packte sich ein weiteres Stück Kuchen auf den Teller, hielt dann jedoch in seinen Bewegungen inne und seine Mundwinkel zogen sich verzerrt in die Höhe; er bleckte die Zähne unter einem schmerzlichen Knurren, zog die Luft scharf ein und presste sich eine Hand auf die Stelle seiner verwundeten Schulter. Gwen stellte sofort ihre Tasse beiseite und wandte sich ihm zu, bettete eine Hand vorsichtig auf seinem Oberarm. Mitfühlend sah sie ihn an, Sorge erwachte in ihr. Obwohl die Wunde gestern schon fast verheilt ausgesehen hatte, war offenbar doch noch nicht alles ausgestanden. »Tut es noch immer weh?« fragte sie sanft. Lokis Reaktion überrumpelte sie komplett; er sprang von seinem Stuhl auf und entriss sich ihr förmlich, bevor er mit glimmenden Augen auf sie herabstarrte, die dunklen Haare ein ungeordneter Vorhang, der ihm ins Gesicht gefallen war. »Ich bin ein Gott! Begreif endlich, dass ich dein Mitleid und deine Berührung nicht brauche, Mensch! Wie kannst du dir anmaßen, mich ständig zu einem wimmernden Welpen zu degradieren?! Ich brauche keine Hilfe! Das habe ich nie.« zischte er vernichtend und schleuderte ihr jedes Wort mit der Heftigkeit einer Ohrfeige ins Gesicht. Angel hob alarmiert den Kopf vom Boden und fixierte den Gott mit einem warnenden Grollen. Gwen zuckte getroffen zurück und tat hastig einen zittrigen Atemzug, dann stand sie fast fluchtartig von ihrem Stuhl auf und stieß dabei ihre Kaffeetasse an, welche ihren halben Inhalt in einem Schwall über dem Tisch verteilte. Das Gefühl zu ersticken war beinahe übermächtig; ihre Finger schlossen sich um ihre Kehle, während sich Wut und Enttäuschung in ihrem Bauch zu einer flammenden Kugel ballten. »Schön, bitte. Wie du willst, Eure Rücksichtslosigkeit. Dann…dann leide eben, du dämlicher Idiot…« erwiderte sie verächtlich, bevor sie sich abwandte und eilig den Weg ins Bad suchte. Ihre nackten Füße waren die einzigen Geräusche in der plötzlich totenstillen Hütte; leises Platschen auf dem polierten Holz nebst dem Tropfen ihrer Tränen. Loki stieß die Luft in einem schweren Seufzen aus und schob sich das wirre Haar wieder nach hinten, während er der Sterblichen nachsah, die eilig im Bad verschwand. Die Tür fiel mit einem Krachen hinter ihr ins Schloss. Immer schon war er so stolz auf seine Silberzunge gewesen und nun machte diese einfach, was sie wollte - spie Worte aus, die so unüberlegt gar nicht zu ihm passten. Der Magier hatte sich stets für einen Mann gehalten, der zuerst nachdachte und dann sprach; eine Eigenschaft, die ihn immer schon deutlich von Thor unterschieden hatte. Doch die Menschenfrau brachte alles durcheinander. Gwendolyn brachte ihn durcheinander. Irgendwann musste er verlernt haben, mit ehrlicher, aufrichtiger Sorge und Aufmerksamkeit umgehen zu können; war er wirklich so hart und gefühlskalt geworden, dass alles an ihm abprallen wollte wie Regen von einem schützenden Dach? Dieser Zustand war ihm lange Zeit als äußerst erstrebenswert erschienen, doch jetzt fühlte es sich nur noch seltsam leer und befremdlich an, eine Grenze um sich gezogen zu haben, die andere ausschloss. Der Gott stützte das Haupt flüchtig in einer Hand und stieß ein trockenes, bitteres Lachen aus, dann fegte er seinen Teller mit einer herrischen Bewegung vom Tisch. Das Porzellan zerbrach klirrend auf dem Boden und ließ den Hund erneut den Kopf heben; Angel betrachtete ihn mit schräggelegtem Kopf aus klugen Augen, dann trottete selbst Fenrir davon, als könnte es eigentlich niemand in Lokis Gegenwart länger als ein paar Augenblicke aushalten, als wäre er es nicht wert - und diesmal hatte er es selbst verdorben und trug alleinige Schuld daran. Diesmal konnte er nicht Thors ungestümes Wesen oder Odins Ungerechtigkeit vorschieben. Loki hatte alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Er hatte das einzige Geschöpf außerhalb seiner Familie vertrieben, dessen Anwesenheit er ohne große Kopfschmerzen ertragen konnte und dessen Nähe wie Balsam für seine aufgeraute Psyche war; in Gwendolyns Gegenwart kamen seine Gedanken zur Ruhe und die listigen Stimmen in seinem Kopf verstummten. Sie hatte ihn gestern Abend zusammengehalten, als er zu zerbrechen gedroht hatte. Sie war dagewesen, als niemand sonst sich um sein Leid geschert hatte. Sie hatte ihn ohne Scheu berührt, ohne Hemmungen, ohne nachzudenken; ihre Berührungen hatten die ersten, zerrissenen Stücke seiner Seele wieder zusammengefügt und ihn glauben lassen, dass es tatsächlich möglich war - dass auch er Frieden mit sich selbst finden könnte. Und er benahm sich wie ein Schwachkopf ihr gegenüber; wie das Monster, das gerade sie nicht ihn ihm sehen sollte, nur weil er seine dämlichen Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Gerade Gwendolyn sollte ihn nicht fürchten. Nun, das ist dir ja hervorragend gelungen, du Ausgeburt an Intelligenz, zog ihn sein Verstand spöttisch auf, der erschreckende Ähnlichkeit mit Odins Stimme aufwies. Du führst dich schon auf wie dein hirnloser Bruder. Erst zuschlagen, dann nachfragen. Wahrlich, eine Meisterleistung, Eure Hoheit. Mit einem unzufriedenen Laut warf der Magier den gut gefüllten Tisch um; Teller, Platten und Karaffen zerschellten donnernd am Boden, Obst und Brötchen rollten wirr durcheinander, ein chaotisches Schauspiel an Farben, Formen und Geräuschen. Die Milch breitete sich wie ein reiner, weißer See über dem Holz aus, bevor die dunkle Flüssigkeit des Kaffees ihn verdarb und zu schlammigem Braun färbte. Loki kam die Ähnlichkeit zu Thors Krönungstag in den Sinn; der Donnergott hatte ebenfalls enttäuscht seine Festtafel umgeworfen, zornig über den Verlauf der Zeremonie, welche sein größter Triumph hätte sein sollen. Der Magier betrachtete seine Hände; ganz normale, blasse Hände, die ihm vertraut waren - nicht die kräftigen von Thor oder die blauen eines Eisriesen. In diesem Augenblick war er nur er selbst und nichts und niemand konnte ihm die Last seiner Taten abnehmen. Niemand würde das jemals können… Albern war es, doch Loki hätte in diesem Augenblick die Gegenwart seines Bruders begrüßt, als er sich kraftlos auf seinen Stuhl sinken ließ und das Gesicht hinter schlanken Fingern verbarg; Thor hatte wesentlich mehr Erfahrung mit Frauen und ihren Gefühlen und womöglich hätte Loki nun durchaus in Betracht gezogen, Rat bei dem Donnergott zu suchen - bei einem Bruder, der in solchen Momenten eine Stütze sein sollte. So unerfahren Thor in Magie war, so unwissend war der Magier in Bezug auf die Gedanken und Bedürfnisse einer Frau; er fühlte sich hilflos und armselig, weil er diesem Problem nicht mit Logik begegnen konnte. Doch das innere Seelenleben folgte eben selten der Vernunft. Was war nur mit ihm los, dass ihn die kleine Menschenfrau so aus dem Konzept brachte? Gwendolyn rührte Punkte in ihm an, die zuvor niemals benutzt oder benötigt wurden waren und dementsprechend unsicher war er im Umgang mit ihr geworden - und die letzte Nacht hatte das nicht gerade besser gemacht. Gwen hatte ihn in einem ungleich verwundbaren Moment erlebt, doch statt sich daran zu ergötzen hatte sie ihn mit ihren sanften Händen berührt, ihn gehalten und um ein Stück weit von der eigenen Abscheu geheilt - sie machte ihn wertvoll, besonders und einzigartig. So lange, so beständig hatte er sein ganzes Leben über Stolz, Erhabenheit und Arroganz definiert; war kalt geworden, frostig fast wie das Erbe in seinen Adern - kalt, aber beherrscht, logisch und strukturiert. Selten hatte er sich mit den eigenen Empfindungen aufeinandergesetzt, wenn sie seinen Zielen nicht zuträglich waren - noch seltener hatte er schwach und verletzlich vor anderen erscheinen wollen und nun war ihm all das in nur einer Nacht widerfahren. Für den Magier war es furchtbar ungewohnt, einen anderen so tief in das eigene Seelenleben vordringen zu lassen. Noch dazu einen Menschen - eine Sterbliche! Loki legte den Kopf mit einem erstickt humorlosen Lachen in den Nacken und starrte an die hölzerne Decke über sich, während sich der See aus Kaffee und Milch um seine Füße ausbreitete, seine Zehen umspielte wie die sanfte Meeresbrandung den Sand des Ufers. Welch schäbige Ironie des Schicksals, dass nun gerade eines jener Wesen seine Heilung bedeuten könnte, welche er vor nicht all zu langer Zeit unter seine Herrschaft hatte zwingen wollen. Gerade von Gwendolyn hatte er eigentlich gar nichts zu erwarten und doch war sie zu seinem Anker im Tosen der Nacht geworden; in einem Sturm, der nur in seinem Inneren tobte und seine Seele aufs Neue zu zerfetzen gedroht hatte. Sie hatte ihn angesehen wie einen Mann und nicht wie das Monster, für das er sich selbst hielt und obwohl er sich vor dieser Wärme hatte zurückziehen wollen, nach der sein innerstes so verzweifelt begehrte, war ihm sein Körper doch vehement in den Rücken gefallen und hatte ihn die kostbare Kontrolle einbüßen lassen. Loki hatte die Sterbliche wirklich begehrt, oh, und wie er das hatte. Und er musste erkennen, dass er es immer noch tat, selbst jetzt nachdem sie diese eine Nacht miteinander geteilt hatten. Er fühlte sich nicht befriedigt, sondern wie ein hungriger Wolf, in dem man mit einem kargen Bissen erst den wahren Hunger geweckt hatte. Der Magier hatte tatsächlich einen lächerlichen Moment lang geglaubt, dass sein Verlangen nun gestillt sein würde, dass seine Neugier und Faszination auf eine körperliche Vereinigung nun schwinden würde, doch eher das Gegenteil war passiert; er hatte Gwendolyn bereits schon wieder nehmen wollen, als sie in diesem schäbigen, weiten Shirt, welches kaum ihre Rundungen verdeckte, in der Küchentür aufgetaucht war. Er verzehrte sich nach ihrer Berührung, danach, dieses einzigartige Leuchten in ihren Augen zu sehen, wenn sie ihn schwer atmend fokussierte und ihre Körper eins waren; verzehrte sich nach dem wimmernden Seufzen seines Namens von ihren Lippen, nach dem Gefühl von Erhabenheit unter ihren Händen. Loki hatte jetzt genau zwei Möglichkeiten… Er konnte sich weiter in seinen unnützen Zweifeln verstricken und die Frau damit wahrscheinlich endgültig von sich stoßen oder aber er begann für seine Fehler gerade zu stehen und diese anzuerkennen, bevor ihm wieder alles, was ihm lieb und teuer war, wie altes Pergament unter den Fingern zerfiel, nur weil ihm sein Stolz als zu wichtig erschien… Der Magier ließ seinen Kopf zurückfallen und fixierte die Tür des Badezimmers durch die Hütte hinweg, bevor er sich entschlossen erhob und mit einigen, großen Schritten über das Chaos in der Küche stieg; mit einem lapidaren Wink seiner Hand richtete sich der Tisch hinter ihm in einem magischen Säuseln wieder auf und die Unordnung sortierte sich durch Geisterhand zurück. Seine Unbeherrschtheit sollte immerhin kein Grund sein, gute Lebensmittel zu verschwenden. Fenrir beobachtete ihn kritisch und wachsam, als der Gott, feuchte Fußabdrücke auf dem Boden hinterlassend, durch die Hütte schritt und vor der Tür des Badezimmers stehen blieb; dahinter war das monotone Rauschen der Dusche zu vernehmen. Loki kreuzte den Blick des Hundes, der wieder neben dem Kamin Stellung bezogen hatte, unbeirrt und versichernd, bevor er die Klinke der Tür sachte herabdrückte und sich leise in den Raum schob. Drinnen empfing ihn schwerer, feuchter Dunst und das Prasseln von Wasser auf kühlen Fliesen; der Magier zog die Tür hinter sich vorsichtig wieder zu und stahl sich auf leisen, geschmeidigen Sohlen an die Menschenfrau heran, die mit dem Rücken zu ihm unter der Dusche stand und seine Anwesenheit nicht zu bemerken schien. Ihre Kleider lagen achtlos zu seinen Füßen. Wie ein Raubtier pirschte er sich an seine Beute; die Sterbliche hatte die Stirn an den kühlen Fliesen vor sich gebettet und die Hände neben sich an der Wand abgestützt - durch das Plätschern des Wassers vernahm er, dass sie irgendetwas vor sich hinmurmelte, ohne das er die Worte aus dem Rauschen gefiltert hätte. Zu fasziniert war er von den glänzenden Wassertropfen, die tosend auf ihr Haupt und ihre Schultern trafen, von dort wie glitzernde Meteoriten in die Umgebung sprengten, bevor sich das Wasser seinen feuchten Weg über ihre Wirbelsäule hinab in die Spalte ihres Pos suchte. Loki ließ sich tatsächlich von diesem Anblick fesseln und neigte den Kopf leicht, um diese delikate Aussicht von allen Seiten zu betrachten, während er sich unbewusst die Lippen leckte; ein dumpfes Geräusch forderte seine Aufmerksamkeit - Gwendolyn hatte eine ihrer kleinen Fäuste gegen die Wand geschlagen und fauchte unverständliche Worte vor sich hin. Offenbar war sie ziemlich wütend und enttäuscht und er konnte es ihr in diesem Augenblick auch schwer verdenken… Der Magier trat zu ihr heran, stieg in die ebenerdige Dusche und achtete recht wenig darauf, dass das warme Wasser augenblicklich seine Kleider durchtränkte und ihm die Haare am Kopf kleben ließ; unvermittelt schlang er einen Arm um die Sterbliche und zog sie an sich, während er gleichzeitig ihre Faust davon abhielt, erneut gegen die Fliesen zu hämmern, indem er seine langen Finger um ihre Hand schlang. Gwendolyn zuckte entsetzt zusammen und keuchte ein verblüfftes: »Oh Gott…Loki?!«, bevor sie sich schon in seiner Umklammerung umzudrehen versuchte. »W-was machst du denn hier?! Du hast mich erschreckt…« Doch der Magier hielt sie bestimmt an sich gedrückt, bettete den Kopf auf ihrer nassen Schulter und genoss das Kitzeln ihres nassen Haares an seiner Wange. »Pssst…« raunte er gegen ihr Ohr und das träge Plätschern der Dusche. »Nicht reden. Bleib genau so.« Gwendolyn musste die Eindringlichkeit seiner Stimme erkannt haben, denn augenblicklich hörte sie auf, sich gegen seinen Griff zu stemmen und wurde still in seinem Arm. Loki ließ ihre Hand los und glitt mit nassen Fingerspitzen ihren Arm hinauf, beobachtete fasziniert, wie sich Gänsehaut über ihren Unterarm unter seiner Berührung ausbreitete. Ihm würde es wahrscheinlich leichter fallen, das Folgende auszusprechen, wenn sie ihn nicht ansehen konnte; es war so schon schwer genug, diese Worte zu formulieren und damit einige Masken fallen zu lassen. »Ich muss dich in aller Form für mein rüdes Benehmen um Verzeihung bitten, Gwendolyn Lewis.« begann er rau und bemerkte gar nicht, wie seine Fingerkuppen träge und geistesabwesend über die feuchte Bauchdecke der Sterblichen fuhren. »Ich habe definitiv meine Grenzen überschritten und einen Ton gebraucht, der deiner nicht angemessen war.« wisperte er bestimmt gegen ihr Ohr und schob seine Nase damit unbeabsichtigt in die feuchten Strähnen. »Außerdem habe ich es auch nicht so gemeint. Ich fürchte, ich muss mich erst daran gewöhnen und lernen, nicht hinter jedem Wort und jeder Berührung Spott oder Häme zu sehen.« »Loki-« wollte sie erneut ansetzen, doch der Magier unterbrach sie abermals, indem er den Kopf schüttelte und ihren Arm losließ, um die Hand sanft über ihrem nassen Mund zu betten. Die Sterbliche versteifte sich leicht und ihr beschleunigter Atem streifte seinen feuchten Handrücken, doch sie wehrte sich nicht, sondern ließ sich ergeben gegen ihn sinken. »Ich bin noch nicht fertig.« erklärte er ernst und bemerkte mit verstohlener Freude, dass ihre kleinen, köstlichen Brüste sich unter raschen Atemzügen hoben und senkten; ihre Hand fand seine Finger über ihrem Leib und legte sich dort nieder, bevor sie neugierig und fast begehrlich ihre Fingerspitzen über die angespannten Muskeln seines Unterarmes streifen ließ. Gebannt beobachtete er die vorwitzigen Wassertropfen, welche an ihren Brustwarzen hängen blieben und dort verführerisch glitzerten, bevor diese sich lösten und dem hellen Schweif eines Kometen gleich zu Boden fielen; in Gegenwart der nackten Sterblichen wollte sich sein Verstand erschreckend schnell verabschieden und einem düsteren Verlangen Platz machen - eine Besitzgier, die sich überraschenderweise nur auf die Frau vor sich beschränkte. »Du hast gestern Abend etwas unvergleichliches für mich getan, Gwendolyn…« setzte er erneut an. Seine eigene Stimme klang seltsam belegt und fremd in seinen Ohren; holprig und nicht so glatt wie gewohnt. Die Silberzunge wurde schwer unter dem Vorhaben, Dank zu formulieren. »Du bist nicht zurückgewichen, als ich es erwartet hätte. Du bist geblieben, als ich schwach und angreifbar war, hast dich nicht um mein Aussehen oder meine Herkunft geschert und diese Schwäche ausgenutzt, wie es wahrscheinlich viele getan hätten. Du hast nicht das Monster in mir gesehen, von dem die Asen ihren Kindern Schaugeschichten erzählten. Du hast mich nicht wie einen Ausgestoßenen behandelt, dich um meine Wunden gekümmert und mir deine Fürsorge zukommen lassen. Dafür danke ich dir...« endete er rau, unsicher, wie ihre Reaktion wohl ausfallen würde. Loki lockerte die Umklammerung ihrer zarten Gestalt und bettete die Hände nun auf ihren schmalen Schultern, verrieb die glänzenden Wassertropfen dort und hauchte dann gegen ihr Ohr: »Kannst du einem Eisriesen seine unbedachten Worte vergeben? Räumst du mir die Gelegenheit ein, es wieder gut zu machen…?« Unter seiner lockenden, weichen Stimme erschauderte ihre zarte Gestalt, vielleicht auch unter seinen Lippen, die sich völlig selbstständig auf die nachgiebige Haut ihrer Halsbeuge senkten. Wahrlich, Loki war nie sonderlich gut darin gewesen, um Vergebung zu bitten oder darin, den Wert anderer Geschöpfe zu schätzen, die seiner Auffassung nach unter ihm standen - allerdings war er schon immer lernfähig und mit einer raschen Auffassungsgabe gesegnet und er wusste, dass die kleine Sterbliche eine Schwäche für ihn hegte, die er ohne Bedenken einsetzen würde, um sie bei sich behalten zu können. Er wollte sie besitzen. Sanft schob er ihr nasses Haar beiseite und registrierte unter einem durchtriebenen Schmunzeln, wie Gwendolyn sofort ihren Hals instinktiv neigte, um seine Lippen zu locken; er ergab sich der Verlockung willig und fuhr mit dem Mund die feuchten Spuren des Wassers nach, tauchte seine Zunge in das warme Nass und trank es von ihrer Haut. Die Sterbliche gab ein erstickt verdrossenes Geräusch von sich, bevor sie zu ihm herumwirbelte und ihm die kleinen Hände auf die nackte Brust presste, um ihn auf Abstand zu halten; die Wassertropfen auf ihren Brüsten erzitterten unter tiefen Atemzügen und sie hatte das Haupt gesenkt, sodass die nassen, roten Haare einen Großteil ihrer Züge vor ihm verbargen. Fast bewunderte er ihre Standhaftigkeit. Sie war nicht sogleich unter seinen Berührungen eingeknickt, wobei er ihre Erregung fast riechen, beinahe auf der Zunge schmecken konnte; ihre Wut schien unter seinen Worten verraucht zu sein, was sie offenbar zu ärgern schien. Es wäre gewiss ein leichtes gewesen, ihren schwachen Widerstand zu durchbrechen und sich das zu nehmen, wonach sein Körper erneut dürstete wie ein verlorener Wanderer in der Wüste nach Wasser - doch sein Respekt vor ihr hielt den Magier auf, obwohl er durchaus Unbehagen verspürte, dass sie ihm womöglich nicht vergeben würde… Gwendolyn seufzte schwer. »Loki, hör mal…« begann sie dann zaghaft, aber bestimmt. Ihr Blick hob sich und ihre hellen Augen funkelten ihm unter dem Durcheinander der roten Flut ihrer Haare entgegen. »Zu allererst muss ich dir sagen, dass ich es furchtbar finde, dass du offenbar in der Annahme lebst, dich für gestern Abend, meine Hilfe und Reaktion dir gegenüber bedanken zu müssen…« Sie hielt kurz inne und sah zur Seite, während sie sich fast unschlüssig auf der Unterlippe kaute, dann hob sie eine Hand zu seiner Wange und berührte ihn nach einem kurzen Zögern erneut so zart, dass etwas in ihm zerbrach; ein Nachhall wie klirrende Kettenglieder stob durch seine Knochen. »Das war selbstverständlich, Loki. Ich wüsste nicht, warum ich dich hätte fürchten sollen. Niemand sollte sich selbst für seine Herkunft verurteilen müssen. Du bist Loki, egal in welcher Gestalt und nicht dein Aussehen bestimmt, wer du bist, sondern dein Handeln.« Selbstverständlich. Schon wieder dieses Wort - die Sterblichen waren oft so albern selbstlos, so freigiebig in ihren Gefühlen; etwas, was Loki noch nie wirklich verstanden hatte. Folgte nicht erst auf Leistung auch ein Verdienst? Musste man sich Ansehen, Zugehörigkeit und Liebe nicht durch harte Arbeit erwerben? Konnte man nicht erst Achtung erwarten, wenn man sich derer verdient gemacht hatte? Der Magier hatte stets nach diesem Grundsatz gelebt und sich jedes Fünkchen Anerkennung und Freundlichkeit von seitens Odin hart erkämpft; scheinbar war ihm nie etwas zugeflogen, doch musste er jetzt erkennen, dass auch er schon Selbstverständlichkeit erfahren hatte - die Natürlichkeit der Liebe einer Mutter. Er war nur immer zu blind gewesen, es zu sehen; hatte diese guten Dinge verdrängen lassen durch Neid, Missgunst und Bitterkeit. »Und zweitens…« Gwendolyn holte tief Luft und registrierte mit einem fast schockierten Blinzeln, dass sich ihre verbliebene Hand auf seiner Brust selbstständig gemacht hatte und ihre Finger unter den nassen Stoff seiner Tunika geglitten waren. Sogleich zog sie ihre Hände von ihm zurück und schlang die Arme um sich selbst, als wollte sie ihre Finger so krampfhaft bei sich behalten. »…d-du kannst nicht immer erwarten, dass du nur mit deinen Küssen…und…und deinem Körper kommen brauchst, wenn du etwas verbockt hast und ich verliere den Verstand. Weißt du, so einfach ist das nicht…auch nicht für einen Gott…auf Midgard laufen die Dinge ein bisschen anders. S-sex ist kein Mittel zum Zweck!« wies sie ihn nicht halb so energisch zurecht, wie sie es wahrscheinlich beabsichtigt hatte. Obwohl sie ihm einen Zeigefinger mahnend vor die Nase hielt, glitten ihre Augen über seine entblößte Brust und blieben an der durchweichten Hose hängen, unter deren Material sich seine erwachte Erregung deutlich abzeichnete. Loki machte sich auch gar nicht die Mühe, seine Begierde zu verbergen und schob sich einen gleitenden Schritt auf Gwen zu. Sie leckte sich die Lippen und schüttelte dann vehement den Kopf, um sich von diesem Anblick loszureißen, bevor ihre Handflächen schon wieder auf seine Brust trafen in dem eher kläglichen Versuch, ihn auf Abstand zu halten. Sie wollte sich also unbedingt gegen etwas wehren, wonach ihr Körper doch eh schon verlangte. »Nicht…?!« Er zog eine Braue zweifelnd in die Höhe und ließ die Hände dann so untermittelt gegen die Fliesen neben ihrem Kopf krachen, dass sie erschrocken zurückzuckte und mit großen Augen zu ihm aufsah; sein Körper schmiegte sich gegen den ihren und er genoss das Gefühl ihrer harten Brustwarzen an seiner Haut. Lauernd beugte er sich nach vorn, nah vor ihre Lippen, die sie erwartungsfroh öffnete, was ihm ein selbstsicheres Grinsen entlockte. »Und ich dachte, du würdest meine Zuwendung begrüßen…?« säuselte er mit dem schweren Samt der Verführung, drückte gespieltes Bedauern aus. Gestern Nacht hatte sie die Zügel in der Hand gehalten - doch jetzt war er dran. Sein Stolz wollte sich Würde und Macht zurückerobern; das heisere Flehen der Sterblichen, ihre Lust. Eine seiner Hände löste sich nun von den glatten Fliesen und strich an ihrem Körper hinab, dem Weg folgend, den vorher unzählige Wassertropfen genommen hatten; primitive Gelüste hatte Loki selten erlebt, doch nun spürte er, wie ein Welle aus roher Begierde ihn überrollte, als die kleine Menschenfrau unter seinen Fingerkuppen merklich erbebte. Ihre Brüste reckten sich ihm entgegen und er kam dieser stummen Aufforderung nach, indem er diese sanften, kleinen Rundungen mit der Hand umschloss; so perfekt, wie geschaffen für seine Hände. »Ich…was…ja schon, aber…s-so geht das nun mal nicht…« Gwendolyns Stimme wurde immer schwächer und wenig überzeugend. Ihr Atem traf heiß und rasch auf seine Lippen, ihre Lider flatterten unter dem brechenden Widerstand ihrer Sehnsucht; es war so berauschend, dieses Verlangen in ihren hellen Augen aufleuchten zu sehen - Verlangen nach ihm, nur nach ihm. »D-du hast dich unmöglich benommen und ich bin…ich bin…noch immer sauer…auf dich…« »Lass mich Wiedergutmachung leisten…« raunte Loki. Das brachte sie zum seufzen, beschleunigte ihren Herzschlag, der merklich gegen seine Handfläche donnerte und ließ ihre Wangen unter einer seichten Röte erblühen, während seine Finger langsam und gemächlich über ihre feuchte Haut rieben - der Gott beobachtete jede Reaktion von ihr wie ein findiger Forscher, studierte mit düsterer Gier, wie seine Fingerkuppen das Blut unter ihrer Haut vertrieben und diese mit sanftem Druck quälten. Lokis Hand schob sich weiter über ihre weichte Hüfte, sein Daumen umschiffte den zarten Knochen dort wie ein Boot die tödliche Klippe, bevor er seine Finger unvermittelt zwischen ihre Beine schob und ohne Vorwarnung in die sündige Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln eintauchte. Der Magier stieß ein heiseres Knurren aus - sie war längst wieder bereit für ihn, heiß und nass wie das Wasser, welches beständig über ihrer beider Körper rann. »Oh verdammt…« Gwendolyn atmete scharf ein und riss die Augen auf, bevor ihr Kopf kraftlos zur Seite kippte und ihre Lippen ein sinnliches Seufzen verließ; ihre Nägel kratzten über seine Brust, suchten nach einem Halt, den sie erst fand, als sie die Arme hob und die Finger in seine Oberarme krallte. Der Stoff seiner Tunika dämpfte die Wucht ihrer Leidenschaft, doch Loki hätte es begrüßt, wenn sich die kleinen, roten Halbmonde ihrer Nägel wie eine Kennzeichnung in seine Haut graben würden. Er ließ zwei seiner Finger immer wieder geschmeidig in ihr nasses Fleisch gleiten, genoss ihr atemloses Stöhnen, bevor seine freie Hand ihr zartes Kinn packte und ihren Blick zu sich zwangen; durch einen Schleier der Lust und glänzende Wassertropfen, die sich in ihren Wimpern verfangen hatten, sah sie träge zu ihm auf, die Wangen erhitzt, die Lippen benetzt von Feuchtigkeit und so verlockend in ihrem lustvollen Zittern… »Nun, wenn du mir weiter zürnen willst, dann sollte ich hiermit…« Er stieß seine Finger tiefer in sie und ließ jene über einen Punkt in ihrem Inneren reiben, der sie die Augen zum Himmel verdrehen ließ, während sein Daumen über das kleine, geschwollene Nervenbündel zwischen ihren Beinen strich. »…vielleicht aufhören?!« raunte er gefährlich selbstgefällig, obgleich seine Stimme das kratzige Timbre von gezähmter Leidenschaft trug. Loki verspürte teuflische Freude, als Gwen sich seiner Hand stöhnend entgegen presste und ungeduldig an seiner Tunika zerrte. In der letzten Nacht hatte er genauestens studiert, was sie mochte und in den Wahnsinn trieb; spontan wollte er dem Schicksal für den Segen seiner raschen Auffassungsgabe danken. »Was…?!« krächzte sie heiser und warf den Kopf hin und her. Ihr nasses, rotes Haar streifte seine nackte Brust und schickte ein Prickeln durch seine Knochen. »Nein…nicht aufhören…bitte Loki…nicht aufhören…« Er genoss es in vollen Zügen, wie er sie aus dem Konzept bringen konnte und dafür nicht einmal seine hochgelobte Silberzunge benötigte; das war eine vollkommen neue Erfahrung und so wunderbar berauschend - da konnte er seiner Zunge getrost etwas anderes zu tun geben. Abrupt sank er vor ihr nieder; das nasse Leder seiner Hose rieb unangenehm über seine angespannte Haut, seine straffe, harte Erregung, während er sich in die gurgelnde Nässe der Dusche kniete und seine glänzenden Finger aus der Feuchtigkeit ihres Körpers zurückzog. Gwendolyn wimmerte protestierend und blinzelte irritiert gegen das noch immer rauschende Wasser zu ihm hinab, ihre zitternden Hände kamen auf seinen Schultern zum liegen und klammerten sich dort in den nassen Stoff. »Sag, dass du mir vergibst…« verlangte Loki rau, schenkte ihr einen durchdringenden Blick aus leuchtend grünen Augen, unter welchem sie sichtbar erbebte. Ihre Knie zitterten und sie ließ sich kraftlos gegen die Wand im Rücken sinken. »Sag es, Gwendolyn…« Bockig schob sie die Unterlippe vor und obwohl ihr Körper unter dem Verlangen glühte, ihre Augen wie gefesselt an seiner Gestalt hingen, wollte sie sich offenbar weigern, ihren Standpunkt aufzugeben und sich ihm zu beugen. Loki zuckte knapp mit den Schultern und zeigte ihr ein wahrlich diabolisches Grinsen. »Dann muss ich mich wohl noch mehr bemühen.« stellte er sachlich fest. »Du bist wirklich unmöglich! Ich will nicht-….oh Gott!« Ihre Stimme erstarb in einem überraschten Schrei, als der Magier ihre Schenkel umgriff, um ihre Beine zu spreizen und den Mund auf ihre heiße Mitte pressen zu können; seine Zunge drängte sich zwischen ihre nassen Falten und kostete von diesem unbekannten, süßen Nektar, dessen Geschmack ziemlich urtümliche Gelüste in ihm weckte. »Doch…ich will…habs mir anders überlegt…i-ich will…« fügte sie hektisch an. Loki wollte die Sterbliche besitzen; sie sollte sein werden, sein ganz allein. Allein die Vorstellung, dass sie unter den Lippen eines anderen Mannes so glühen könnte, machte ihn wütend und ließ ihn die Zunge noch energischer in sie treiben. Nur er wollte sie beherrschen. Noch nie hatte der Magier eine Frau so verwöhnt, da es in seinen Augen bisher keine Wert gewesen war, diese delikate Grenze zu überschreiten; irgendetwas in ihm hatte sich stets gegen solche Intimitäten gesperrt, doch von Gwendolyn wollte er alles kosten - jedes Seufzen, jedes Fleckchen Haut, jeden Tropfen betörende Feuchtigkeit, die nun süß über seine Zunge glitt und prickelnd seine Kehle hinabrann wie kostbarer Wein. Niemals zuvor hatte er so viel Begeisterung daran empfunden, eine Frau zu erforschen, ihre Stimme in ungeahnte Gefilde zu treiben und ihre bedingungslose Lust zu fordern. Gwendolyn fachte seinen Ehrgeiz an, sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis zu graben - in ihren Körper, ihren Geist und ihre Seele und er war schon immer jemand gewesen, der scheinbar unerreichbare Ziele für sich erstrebt hatte. Die Menschenfrau stöhnte nun ungehalten und drückte sich seiner neugierigen, flinken Zunge fordernd entgegen; ihre Hände glitten von seinen Schultern ab, nur um sich kurz darauf in die nassen Strähnen seines Haares zu wühlen. Er knurrte wohlig unter ihren fordernden Fingern, die ihn noch näher zu ihr zogen; ein Bein schlang sie um seinen Nacken und grub die Ferse in seinen Rücken. »Loki…« Sein Name perlte wie eine göttliche Verheißung von ihren Lippen, getränkt in Wollust und dem Verlangen auf mehr; ihre Stimme ein schwerer Hauch wie Nebelschwaden unter der Sonne, feucht und heiß - genau wie ihr zuckendes Innerstes, in das er seine Zunge tief schob. Gwendolyn stieß abgehakte, keuchende Laute aus, als ihr Körpers sich unter einem schnellen, harten Höhepunkt versteifte und sie fast kraftlos in die Knie gegangen wäre; allein Lokis Hände bewahrten sie vor dem harten Boden, da er ihre Hüfte umschlungen hielt und sich langsam und gemächlich von ihrer Scham wieder nach oben arbeitete, hinauf über ihre zitternde Bauchdecke, unter der sich die zarten Muskeln erregt verkrampften, bis hin zu ihren Brüsten, deren nasse, steife Knospen er verlangend zwischen die Zähne zog. Er hatte noch lange nicht genug und erkannte, dass es ihr ebenso erging, als er den Blick aus ihren verschleierten Augen auffing - sie schlang die Arme um seinen Nacken, presste die Hände auf seinen Hinterkopf und zog ihn zu sich heran, um ihn in einem leidenschaftlichen Kuss zu fangen. »Ich will dich in mir, Loki…bitte…bitte nimm mich…ich verzeih dir auch alles was du willst...« stammelte sie in atemloser Gier an seinen Lippen, bevor er die Zunge schon wieder in ihren Mund stieß, wie er zuvor mit ihrem Geschlecht verfahren war. Ihre Wildheit, ihre ungezügelte Lust war unglaublich anregend und ließ Loki die Hände zu den Verschlüssen seiner Hose wandern, um diese zu lösen und das Leder ungestüm über seine schmerzende, steinharte Erregung herabzuziehen, während Gwendolyn den Stoff seiner Tunika halb zerriss, als sie diesen fahrig und ungeduldig über seine Schultern drängte. Achtlos warf der Magier seine Kleidung von sich, bevor er die zarte, weiche Hüfte der Sterblichen umgriff und ihren Leib anhob; mit einem gezielten, fließenden Stoß war er in ihr, bevor sie die Beine um ihn schlang und den Kopf aufstöhnend in den Nacken warf. Das Spiel der Wassertropfen auf ihrem Körper war fesselnd; jene glitten um ihre aufgerichteten, rosa Brustwarzen und versanken in ihrem Bauchnabel, bevor ein glänzender Fluss zwischen ihren Beinen verschwand, wo ihre Körper sich unter feuchten Geräuschen ungezügelt vereinten. Ihre Mitte umschloss ihn heiß und eng wie eine Faust, ließ Loki fast wahnsinnig werden; ein klarer Gedanke ließ ihn seine Bewegungen umsichtiger führen, als er sich erinnerte, wie mühsam es für sie gewesen war, ihn letzte Nacht aufzunehmen. Er wollte ihr keine Schmerzen bereiten, indem er sie nahm wie ein Tier - solch ein Verhalten verboten ihm sein Verstand und seine vorbildliche Erziehung; er war kein Neandertaler, der sich keuchend und grunzend auf eine Frau warf. Er war ein Gott und genauso wollte er sie lieben - göttlich und verzehrend. Gwendolyns zarte Gestalt wurde gegen die kühlen Fliesen in ihrem Rücken gedrückt und Loki federte seine Stöße umsichtig ab, indem er eine Hand gegen die Wand stemmte, während anderer Arm die Sterbliche an sich presste. Ihre Lippen fanden sich immer wieder zu ungestümen, feuchten Küssen, in denen sich das Nass ihrer Münder mit dem rauschenden Wasser vermischte; die Tropfen zerstoben auf ihren hitzigen Körpern und tauchten das kleine Bad in eine Aura aus schwülem Verlangen. Der Gott rang fast schmerzlich mit der rasenden Bestie der Leidenschaft in sich selbst; seine Muskeln verspannten sich unter der Anstrengung, seinen Verstand an einem dünnen Faden bei sich zu behalten, während seine Instinkte wie tobende Dämonen an dieser hauchfeinen Grenze nagten, um seinen primitiven Gelüsten den Vortritt zu lassen. Sein Körper wollte noch heftiger und tiefer in den zierlichen Leib der Sterblichen stoßen, sein Geschlecht sollte ihr Innerstes vollkommen anfüllen, bis diese Hitze in ihm sich in einem Sturm entladen würde, um sie zu kennzeichnen. Gwendolyn keuchte haltlos an seiner Wange, bevor sie sein Ohrläppchen mit den Zähnen fing und dieser süße, stechende Schmerz den Magier rau aufstöhnen ließ. »Du musst dich nicht zurückhalten, Loki…« presste sie in wimmernder Lust zwischen ihren Lippen hervor, während ihre Hände fast versöhnlich über die angespannten Sehnen seiner Schulterblätter fuhren. Sie spürte seine Rücksicht, allerdings auch seine verkrampfte Zurückhaltung. »Du bist eng…« raunte er zwischen zwei hastigen Atemstößen, bevor er in die zarte Haut ihres Schlüsselbeines biss und den Geschmack ihrer Haut aufleckte. Als würde ihr Körper eine Antwort auf diesen Reiz geben, zogen sich die feuchten Muskeln ihrer Mitte um seine Härte zusammen und ließen ihm den Schweiß ausbrechen. »Ich will dir nicht wehtun…« erklärte er. Fast war Loki stolz auf sich, dass er selbst in einer solchen Situation einen klaren Gedanken zu formulieren vermochte. »Das tust du nicht…das tust du nicht…« wisperte die Sterbliche an seinem Mund und forderte seine Zunge zu einem nassen Duell, während sich ihre Beine enger um ihn schlangen und ihre Fersen sich in seinen Hintern drückten, als wollte sie ihn antreiben wie ein Reiter seinen Hengst. »Bitte…gib mir mehr…« Hungrig saugte sie an seinen Lippen und ihr verdunkelter Blick fand den seinen; er sah die Versicherung im Tanz der Schleier ihrer lustleuchtenden Augen. Er hatte sich letzte Nacht zurückgehalten und das nicht einmal mit Mühe, da er sich ebenso wie die Sterbliche an diese neue Erfahrung hatte gewöhnen müssen, doch jetzt drängten all diese angestauten Begierden an die Oberfläche, die scheinbar über Jahre in ihm geschlafen hatten und nun unter den Händen dieser rothaarigen Menschenfrau erwacht waren. Sie sah ihn an und er wusste, sie würde ihn halten - sie würde seine Leidenschaft nicht erdulden, sondern sie verlangend und sehnsüchtig begrüßen. Keine Masken. Er würde Loki sein können; in ihrem Schoß ein Mann ohne fesselnde Vergangenheit, aber durchaus mit einer Zukunft… Er spürte seine Konzentration weichen und das Nachgeben des Zaubers, der die Hütte verhüllte, doch es war ihm egal; seine Aufmerksamkeit sollte nun allein bei der Frau liegen, die sein Arm nun näher an sich presste, sie zwischen seinem harten, glühenden Körper und der Wand einpferchte. Loki drängte sich tief in Gwendolyn, ließ seine Härte hemmungslos in ihre nasses Geschlecht fahren und sie beantwortete seine Leidenschaft willkommen und begierig, indem sie die Nägel in seine Schulterblätter grub und ihn zu noch tieferen Stößen nötigte, während sie seinen Namen wie ein Gebet rezitierte. Der Magier war all die Jahre blind gewesen - mit all seiner Logik, seinem Verstand und seiner Bildung war er doch unwissend; er hatte nie nachvollziehen können, warum Fandral immer so versessen darauf gewesen war, die Nächte zwischen den Beinen möglichst vieler Frauen zu schlafen. Er hatte nie verstanden, warum Thor sich von so vielen Asenfrauen willig um den Finger wickeln und das Bett hatte wärmen lassen. Und nun, mit einem Mal, in diesem Augenblick, lüftete sich dieses Geheimnis auch für Loki; süßes Vergessen trieb auf den Wogen der Wollust, eine gänzlich andere Welt eröffnete sich in der ehrlichen Begierde einer Frau - eine reine, eine unverfälschte Welt, in der Mann und Frau nur aus den Elementen ihrer Erschaffung bestanden, instinktgetrieben und aufrichtig, so man das passende Gegenstück zu seiner Lust fand und das Lager nicht nur aus Not, mangels an Alternativen oder Zwängen teilte. Sex war nicht nur körperliche Erleichterung. Er war eine Befreiung. Feuer durchdrang Lokis eisige Gestalt, fachte sein Herz an und erwärmte seine Venen, selbst durch das Blut eines Eisriesen; Gwendolyns Blick war entrückt, ihr Körper brannte für ihn, als sie den Kopf zurückkippen ließ und ein langgezogenes Stöhnen ausstieß. Ihre Beine verkrampften sich zitternd um seine Hüfte wie auch ihr innerstes sich um seine Mitte zusammenzog und ihn gefangen hielt, als gäbe es keinen anderen Weg als den voran. Ein letzter, fast verzweifelter Stoß, bevor Loki die Fesseln durchbrach, die das Feuer zurückgehalten hatten; jenes loderte hell auf und verschlang seine Gestalt in einem Brüllen, welches in seinen Ohren summte und ihm für einen Moment die Sicht raubte, bevor seine Stirn kraftlos gegen die der Sterblichen sank und er ihr in einer unüberlegten Reaktion einen weichen Kuss auf die Wange setzte. Das Wasser der Dusche löschte ihre Leidenschaft sanft und langsam, sodass es lange nur ihre schnellen Atemzüge waren, die an den Wänden widerhallten neben dem Gurgeln des Wassers, welches die Spuren ihrer Zusammenkunft hinfort spülte. Vorsichtig setzte der Magier Gwendolyn wieder auf ihre eigenen, wackeligen Beine ab und genoss ihre Schwäche, als sie sich seufzend gegen ihn sinken ließ und den Kopf auf seiner Brust bettete. »D-damit das klar ist…« begann sie nach einer Weile mit schwächlicher Stimme und hob das Gesicht zu ihm an. In einer für ihn ungewohnt zärtlichen Geste strich er ihr die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht und ergötzte sich an ihren noch immer brennenden Wangen und dem flatternden Puls an der Seite ihres zarten Halses. »Ich bin noch immer sauer auf dich…« erklärte sie ihm mit vorgeschobener Unterlippe; ein wahres Abbild an Standhaftigkeit und Überzeugung, da sie kaum allein stehen konnte und sich wohlig an ihn klammerte. »D-das eben ändert gar nichts! Du bist trotzdem ein Idiot und ein arroganter Mistkerl noch dazu. Wir müssen wirklich an deinen Umgangsformen feilen!« Wir. Der Magier wusste nicht, warum er es als so wichtig empfand, dass sie von wir sprach, doch irgendwie beruhigte es ihn. Loki lachte befreit, bevor er ihr Kinn anhob und ihren noch immer verklärten Blick eindringlich fing. »Ich dachte, dass hätten wir eben getan?« raunte er mit dieser polierten, süffisanten Stimme, welche sie erschaudern ließ. Bezeichnend zog er eine Braue in die Höhe und enthüllte ihr ein schamlos breites Grinsen. Dann griff er um die Sterbliche herum und stellte das Wasser endlich ab, bevor er sie unvermittelt auf seine Arme hob. »Oder soll ich dir in einer weiteren Unterweisung meine aufrichtigen Bemühungen erneut näher bringen?« Beine waren zum laufen da. Und zum stehen. Sie sollten uns Halt geben, uns stützen. Diese Wahrheit hatte Gwendolyn irgendwann einmal gekannt. Irgendwann… Heute allerdings hegte sie an dieser Behauptung ehrliche Zweifel, denn ihre Beine waren wie Wachs; wie ziemlich nachgiebiges Wachs, das gerade unter einer hell lodernden Kerzenflamme zerschmolz. Oder unter dem intensiven Gletscherblick eines Gottes… Gwen sammelte wackelig ihre verstreuten Kleider vom Boden der Hütte auf, die über Nacht vor dem Kamin getrocknet waren und zwang sich mehr als krampfhaft dazu, bloß keinen Blick zu Loki hinüber zu werfen, der sich geschmeidig und geschickt wieder in seine Rüstung hüllte. Sie konnte wirklich nicht erneut riskieren, die roten Spuren ihrer eigenen Nägel auf seinem blassen Rücken zu sehen, denn das hätte sie nur zu intensiv und zu bildhaft daran erinnert, was sie in der Dusche getan hatten…und danach im Bett…noch zwei Mal… Gwen schloss die Augen unter einem verhaltenen Seufzen, bevor sie sich ihre Jacke überwarf und es begrüßte, das Angel schwanzwedelnd an ihre Seite getrottet kam und nach Aufmerksamkeit verlangte. Sie ließ sich auf der Kante des Bettes nieder und schlüpfte rasch in ihre Stiefel, bevor sie dem Hund ausgiebig die Ohren kraulte. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, dem Gott so schnell zu vergeben; sie war wirklich stinksauer auf ihn und sein rüpelhaftes Verhalten gewesen. Allerdings…nach dieser Aktion in der Dusche und seiner Entschuldigung zuvor, wie hätte sie ihm da wirklich noch böse sein können? Gwen strich gedankenverloren durch Angels Fell und schielte zu dem Magier hinüber, der sich eben seinen ledernen Mantel übergeworfen hatte und nun seine goldenen Armschienen mit einem hellen, metallischen Geräusch zuschnappen ließ; seine Bewegungen wirkten routiniert und sicher, er selbst völlig aufgeräumt und kühl, als wären die letzten Augenblicke wieder einmal nichts mehr als flüchtige Hirngespinste in ihrem eigenen Kopf gewesen. Ihr ganzer Körper schlackerte dafür noch immer wie Wackelpudding, ihre Knie waren weich wie Butter, ihre Haut überempfindlich, ebenso wie ihre Brüste und die Stelle zwischen ihren Beinen, die noch immer von Lokis Eroberung glühte. Sex mit Loki war…war…göttlich. So albern es klingen mochte, selbst in ihren eigenen Gedanken, doch anders konnte sie es nicht beschreiben. Es war nicht so, dass der Gott ihr erster Liebhaber war - bei weitem nicht - und Gwen hatte definitiv auch schon recht guten Sex in ihrem Leben gehabt, aber der Prinz liebte einfach anders… Jeder Moment mit dem Prinzen war einschneidender. Fordernder. Nachhaltiger. Dieser Mann war wie ein Sturm, den nichts binden und nichts fesseln konnte; selbst wenn er sie langsam nahm, so war diese unbezähmbare Wildheit in seinen angespannten Muskeln und Sehnen spürbar - so kühl, beherrscht und fast schon skrupellos Loki in seinem persönlichen Ehrgeiz wirken konnte, so leidenschaftlich brodelnden die Dämonen in ihm und brachen stückweise an die Oberfläche, wenn er sich gehen ließ und die Kontrolle über Körper und Geist um ein Stück weit fallen ließ. Der Gott zelebrierte Sex mit einer Intensität, die fast an Besessenheit grenzte; auf Gwen wirkte es, als würde er wirklich jeden Augenblick auskosten und bis zur Perfektion ausreizen wollen - als würde er diese Freuden, die zwei Körper sich schenken konnten, gerade erst entdecken und jene so sorgfältig sondieren wie ein begeisterter Forscher, der eben den größten Fund seines Lebens gemacht hatte. Loki konnte einer Frau tatsächlich das Gefühl geben, etwas ganz besonderes zu sein, allein davon, wie er einen ansah und mit einem sprach; Gwen erinnerte sich an den Anblick des durchweichten Gottes zu ihren Füßen, wie er vor ihr gekniet und diese unglaublichen Augen mit einem so durchdringenden Blick zu ihr aufgesehen hatten, dass sie kurz davor gewesen war, ihm wirklich alles zu verzeihen… Gwen schüttelte bestimmt den Kopf, um dieses Bild aus ihren Gedanken zu verscheuchen und schnürte dann ihre Stiefel, während ihr Angel die Schnauze auffordernd in die Seite stieß und nach einer weiteren Portion Streicheleinheiten verlangte. Loki war wirklich ein Meister in Gesten, Mimik und Worten; sicher konnte er einem alles glauben machen, was er wollte - und genau da lag das Problem; Gwens Finger hielten kurz inne und sie starrte auf ihre Stiefelspitzen. Letzte Nacht hatte sie flüchtig das Gefühl gehabt, dass sie ihm zumindest wichtig war und auch seine Entschuldigung sprach eigentlich dafür, denn der Gott war gewiss niemand, der jemandem hinterherlaufen würde, der ihm schlichtweg egal war. Er hatte überraschenderweise eine unsichere Seite von sich offenbart, Gwen sehr respektvoll um Verzeihung gebeten und sie hatte nicht das Gefühl gehabt, dass es gespielt gewesen wäre, doch vielleicht sollte sie nicht vergessen, dass Loki noch immer der Gott der Lügen war - sie wollte ihm wirklich vertrauen, allerdings war es noch immer schwer, mit seinen wechselnden Gemütszuständen und Launen umzugehen. Er konnte freundlich sein, fast schon liebevoll und man mochte beinahe glauben, dass er sich tatsächlich um ein Stück weit geändert hatte und dann aber, im nächsten Augenblick schon, war er wieder arrogant, kalt und grausam wie zu Anfang und zog diese betonte Grenze zwischen Mensch und Gott. Gwen ahnte, dass Loki noch immer mit sich selbst haderte; wahrscheinlich war er immer mit sich selbst im Zwiespalt, zerstritten und zerrissen zwischen so vielem, was ihn geprägt und zu dem Mann gemacht hatte, der er heute war. Um ein Stück weit konnte sie seine Unsicherheit verstehen, allerdings war sie weit davon entfernt, ihm deswegen alles zu vergeben und blind zu vertrauen. Ihr Herz hatte in der Vergangenheit definitiv einmal zu oft gelitten, als das sie sich nun völlig auf ihre Gefühle verlassen und diesen folgen würde; sie hatte sich in Loki verliebt, ja, allerdings war das kein Freibrief für ihn, sie weiterhin wie eine wahllose Spielfigur zu behandeln. Sie wusste um seine Schwächen und seine Probleme, allerdings auch um seine Vergehen und sie tat wahrscheinlich gut daran, über ihren kopflosen Gefühlen nicht alles zu vergessen, was er darstellte. Gwen wollte Loki gern geben soviel sie konnte, doch sie war auch in der Pflicht, ihr Herz zu schützen, denn niemand würde ihr das ersetzen, wenn es am Ende ihrer Reise zerbrochen im Staub liegen würde. Auch ein Gott musste irgendwann lernen, dass es gewisse Grenzen im miteinander mit anderen gab, die man nicht leichtfertig überschreiten sollte. Und obwohl Gwen wirklich eine ausgemachte Schwäche für den Magier hegte und er durchaus einen Weg gefunden hatte, sie wieder wohlgesonnen zu stimmen, so war sie allerdings fest entschlossen, sich nicht ewig auf diese Weise von ihm einwickeln zu lassen. Naja, zumindest war ihr Geist entschlossen, ihr Körper allerdings war da ganz anderer Meinung… Ihr Blick hob sich zögerlich wieder an und begegnete über den Raum hinweg Lokis, der gerade von den Verschlüssen seines Mantels aufsah. Das bekannte Prickeln breitete sich wieder in ihren Knochen aus und jagte ihr wohlige Hitze in die Wangen; anstatt die Augen allerdings beschämt zu senken, begegnete sie Lokis wissendem Blick starrköpfig und ließ dadurch ein amüsiertes Schmunzeln auf seinen Lippen erblühen. »Du siehst ziemlich erschöpft aus. Vielleicht solltest du noch etwas essen, bevor wir uns auf den Weg machen.« schlug der Magier sachlich vor; offenbar fand er es verwunderlich, aber durchaus amüsant, dass ihre Ausdauer nach einigen Runden durch die Laken wälzen nicht mehr die Beste war. Vielleicht sollte sie eher aufhören, dem Gott zu verfallen…war wahrscheinlich zuträglicher für ihren Körper. Gwen verkniff es sich, einen bissigen Kommentar loszuwerden, außerdem musste sie ihm eh irgendwie Recht geben; ihr Magen wäre garantiert über eine erneute Energiezufuhr alles andere als verstimmt. Also erhob sie sich auf ihre schwankenden Beine und schaffte es sogar, die Distanz zur Küche ohne größere Peinlichkeiten zu überbrücken. Es hätte wohl gerade noch gefehlt, dass sie Loki förmlich vor die Füße fiel. »Brauchst du Hilfe?!« zog der Magier sie mit einem verschmitztem Grinsen auf, als sie kurz gegen den Rahmen der Küchentür sackte, in welcher er Stellung bezogen hatte. Mit einem verstimmten Schnaufen schob sie ihn beiseite und wankte zum Tisch hinüber. »Nein, danke.« Dort ließ sie sich kurz auf einem Stuhl nieder und angelte sich ein besonders großes Stück Schokoladenkuchen heran. Loki beobachtete sie unter einem nachdenklichen Schmunzeln, bevor sein Blick flüchtig auf den Hund fiel, der im Wohnraum der Hütte umherschnupperte. »Willst du Fenrir eigentlich mitnehmen?« fragte er Gwen unvermittelt und sah die ernsthaft an. Sie leckte sich die Finger gerade sauber, bevor sie nach einem Brötchen griff und dieses zweckdienlich in der Mitte brach, um eine Scheibe Käse und Wurst hinein zu klemmen. »Ich weiß nicht…« gab sie verhalten zu, bevor sie herzhaft in ihr Brötchen biss. Bisher hatte sie sich gar keine weiteren Gedanken darüber gemacht, wo der Hund nun verbleiben sollte. »Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn er bei meinen Eltern bleibt?! Mir wäre wahrscheinlich wohler, wenn ich wüsste, dass er auf sie acht gibt.« schlug sie unsicher vor. »Hm-hm.« Loki rieb sich nachdenklich das schmale Kinn und ließ seine Augen grübelnd durch die Gegend wandern. »Allerdings verlierst du dann auch einen treuen und zuverlässigen Beschützer.« gab er zu bedenken. Gwen wischte sich die Hände an ihrer Hose sauber und stand dann wieder auf, um sich ein Glas mit Saft zu füllen und dieses in einem Zug zu leeren. »Ich dachte eigentlich, dafür wärst du da?!« neckte sie den Gott mit einer bedeutsam gehobenen Braue. »Oder fühlst du dich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen?« Lokis Lippen teilten sich unter einem dieser wirklich hinreißend durchtriebenen Grinsen, die Gwens Herzschlag in ungeahnte Höhen trieben und gar nicht gut für ihre geistige Verfassung waren. »Oh, du solltest deine Worte weiser wählen, Gwendolyn…« meinte er tadelnd mit dem Schnalzen seiner Zunge. Er stieß sich vom Türrahmen ab und schlenderte elegant zu ihr herüber, um eine Erdbeere von einer der Platten zu pflücken und diese sanft gegen ihre Lippen zu schmiegen. Völlig willenlos öffnete sie den Mund und biss von der süßen Frucht ab. »Immerhin bin es nicht ich, dessen Beine gerade kaum dazu dienen wollen, sein Gewicht zu tragen. Die Frage ist doch eher, fühlst du dich mir gewachsen…?« hauchte er sinnlich, während er sich zu ihr herabbeugte und den Anschein erweckte, als wolle er die Reste des süßen Saftes von ihren Lippen lecken. Allerdings wurde sein Blick wieder nachdenklich und er begnügte sich damit, die rote Spur der Frucht mit dem Daumen von ihren Lippen zu wischen. »Vielleicht wird es Zeiten geben, in denen ich nicht immer bei dir sein kann.« gab er ernst zu bedenken; eine Vorstellung, die Gwen gar nicht gefiel. Angel war zu ihnen in die Küche getrottet und hatte neben Gwen Stellung bezogen; die plötzlich wachsame Spannung des Tieres und dessen starr aufgerichtete Ohren das erste und einzige Anzeichen, dass sich die Atmosphäre geändert hatte - etwas lag in der Luft wie das schwere Atemholen eines Riesen, drohend und unheilvoll. Das helle Geräusch eines zersplitternden Fensters brach durch die trügerische Illusion der Ruhe, so hoch und misstönend wie der gellende Schrei einer Harpyie; Glas traf in einem hellen Klirren auf den Boden und zerstreute sich wie glänzende Schneekristalle über das dunkle Holz. Ein metallener Pfeil traf Loki mit Wucht in die Schulter und warf den Gott zurück; die schimmernde Spitze durchbrach surrend Leder und Stoff, bevor der Schaft wie ein wippendes Mahnmal in seinem Fleisch stecken blieb. Gwen keuchte entsetzt auf und stolperte an den Tisch zurück, der unter ihrem hektischen Rückschritt ins Ungleichgewicht geriet und scheppernd ein paar Teller und Flaschen abwarf; die Gestalt des Magiers löste sich in einem schimmernden Trugbild vor ihr auf, der Pfeil fiel ungefährlich klappernd zu Boden und ein völlig unversehrter Loki tauchte neben ihr auf, packte sie unsanft am Arm. Seine Finger gruben sich spürbar in ihren Oberarm und lösten Gwen aus ihrer Schockstarre. »Zeit zu gehen…« raunte der Gott dringlich. Gwen kannte diese Art Pfeile; diese metallischen Geschosse mit den unverwechselbaren, austauschbaren Spitzen, die jeder Situation angemessen gewählt werden konnten; sie selbst hatte bereits Artikel über Hawkeye geschrieben. S.H.I.E.L.D hatte sie also gefunden - der glänzende Pfeil spiegelte das Sonnenlicht und zwinkerte ihr wie zur Bestätigung zu. Lokis Frist war abgelaufen. Direktor Fury machte seine Drohung wahr. Sie kamen, um sich ihre Rache zu holen; wahrscheinlich war die Hütte schon umstellt, obwohl der angrenzende Wald jegliche Schatten verhüllte und der See wie eine spiegelgleiche, ruhige Fläche erschien. Nichts deutete auf Gesellschaft hin, außer der verräterische Pfeil, der nun in der Küche am Boden lag, umringt von der blütenweißen Flüssigkeit der zerbrochenen Milchflasche. Der Magier zerrte Gwen hinter sich her, die stolpernd seinen großen Schritten folgte, während Angel aufgeregt um sie beide herumsprang und das schwarz-weiße Fell drohend aufgerichtet hatte. Der Hund knurrte erregt und seine eisblauen Augen verfärbten sich für den Bruchteil einer Sekunde in bedrohliches Orange. Loki blieb kurz stehen, die blasse Stirn in angestrengte Falten gezogen, während sich sein schneidender Blick durch die Hütte bewegte; er sondierte offenbar ihre eher geringen Möglichkeiten hier ungesehen wegzukommen. Der nächste Pfeil durchbohrte mit einem misstönenden Surren das Fenster des Wohnraums, krachte dem Magier unvermittelt zwischen die Schulterblätter und ließ ihn straucheln, einen taumelnden Schritt nach vorn machen; Gwen stieß einen schockierten Laut aus und stürzte intuitiv auf Loki zu, während sich Blut ähnlich einer grotesken Blume auf dem dunklen Leder seines Mantels ausbreitete und träge an dem Material leckte. »Oh Gott…Loki…« Doch der Prinz wirbelte mit verbissener Miene zu ihr herum und stieß sie entschieden von sich; Gwen stolperte unter der Wucht seines Stoßes und prallte schmerzhaft gegen die hölzerne Wand im Rücken, die Maserung der Balken ein überdeutliches Echo in ihren Knochen. Loki wurde darauf in einem Netz aus energetischen Funken gefangen, welches sich wie ein Käfig aus der Spitze des Pfeiles entfaltete und um seinen Körper schlängelte; der Gott bäumte sich unter Qual auf, bevor er mit einem knurrenden Ächzen in die Knie brach, das Gesicht in Schmerz und Wut verzerrt, eine bizarre Maske aus Pein formend, die durch hervorstoßende Wangenknochen und eine verkrampfte Kieferlinie begrenzt wurde. Seine Glieder zuckten unter dem Schmerz des elektrischen Schocks und warfen ihn gekrümmt auf die Seite, während die Lippen des Gottes aufbrachen und hektisch nach Luft schnappten. Seine Finger krümmten sich zu Klauen und versuchten vergeblich den feststeckenden Pfeil auf seinem Rücken zu erreichen. Seine dunklen Haare breiteten sich wie ein finsterer Strahlenkranz auf dem Boden um seine bleichen Züge aus. »LOKI!« Gwen stieß sich von der Wand ab und wollte dem Magier zu Hilfe eilen, als die Tür der Hütte unter einem gewaltigen Knall aufflog und sich eine muskulöse Gestalt mit einem kreisrunden Schild bewaffnet durch die erzwungene Öffnung drängte; im gleichen Augenblick schlangen sich zwei starke Frauenarme um Gwen und rissen sie damit zurück, bevor sie den Magier erreichen konnte. Eine weibliche, doch dadurch nicht weniger entschlossene Stimme neben ihrem Ohr verlangte in eiskalter Ruhe: »Verhalten Sie sich still, dann passiert Ihnen vielleicht nichts.« Gwen erhaschte den Eindruck von rotem Haar, welches definitiv nicht ihr eigenes war, aus dem Augenwinkel - Black Widow. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie die Agentin die Hütte betreten hatte. Für einen Moment war sie so überrumpelt, dass sie gar nicht an Gegenwehr dachte. Captain America betrat in seiner typischen Kampfmontur die Hütte und bewegte sich sofort in geduckter Angriffshaltung zu dem Magier hinüber, der seinen Glutfunken sprühenden Blick voller Hass auf den Soldaten richtete. »Loki, ergeben Sie sich ohne Gegenwehr, dann können wir von weiterer Gewalt absehen.« sprach der Captain im Brustton der Überzeugung; offenbar war ihm daran gelegen, die Sache ohne große Schmerzen auf beiden Seiten über die Bühne zu bringen. Ergeben?! Hätten sie diese Forderung nicht zuerst stellen sollen, bevor sie angefangen haben, auf den Magier zu schießen?! Gwen begann sich störrisch und wütend in der Umklammerung der Agentin zu winden. Obwohl der Gott noch immer in dem Netz aus gleißenden Elektroden gefangen war, war seine schwelende Wut beinahe greifbar spürbar; eine seiner Hände zog verschlungene, ruckartige Bewegungen durch die Luft, als würde er einen Zauber formen, während das Knistern der statischen Energie überlaut in den Ohren brannte. Gwen wehrte sich nun verbissen gegen die Arme Black Widows und spie ihre Verachtung für diese mehr als vorsintflutlichen Foltermethoden lautstark aus: »Verdammt, lasst ihn in Ruhe! Hört auf, ihn zu quälen…das ist barbarisch!« Gwens Stimme überschlug sich aus Empörung und Sorge; niemand verdiente es, so behandelt zu werden, gefangen wie ein wildes Tier - auch Loki nicht. »Er hat doch gar nichts getan!« »Da scheinen wir unterschiedlicher Meinung zu sein, Miss…« bemerkte die Agentin hinter Gwen kühl. Zumindest Captain America schien ein Mindestmaß an Moral zu besitzen, denn er wirkte für einen Augenblick tatsächlich getroffen von ihren Worten und hielt inne, bevor er die freie Hand zu seinem Headset hob, als wolle er einen Befehl herausgeben; vielleicht hatte ja zumindest einer in diesem Verein ein Gewissen. »Alles okay da drinnen, Tascha?« tönten Agent Bartons Worte durch elektrische Resonanzen und manifestierten sich als hohle, unsichtbare Stimme aus einem Headset der Agentin, deren Griff um Gwen fester wurde, bevor das Klicken einer entsicherten Pistole als Warnung erklang. Ein harter Lauf wurde in Gwens Rückgrat gedrückt, da Black Widow das Gezappel der Journalistin offenbar zu viel wurde. »Keine Probleme bisher.« raunte die Agentin ihrem Partner zu. »Ich habe die Zivilistin. Der Cap wird sich um den Gott kümmern. Sag Stark, er soll sich trotzdem bereithalten. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass-« Die Agentin verstumme in einem verblüfften Blinzeln. Vielleicht für den unwahrscheinlichen Fall, dass Loki sich aus seinen elektrischen Fesseln befreien würde? Denn genau das tat der Gott - gerade als der Captain bei dem Magier angelangt war und neben diesem in die Hocke gehen wollte, verschwand die gepeinigte Gestalt Lokis in einem Schimmern und der Pfeil fiel mit einem hohlen Klappern zu Boden, die leuchtenden Tentakel des Fangnetzes wie die aufgepeitschten Arme eines Kraken durch die Luft wirbelnd. Im gleichen Moment schoss Angel heran und stürzte sich mit einem wilden Heulen auf den Soldaten, der geistesgegenwärtig sein Schild hochriss und die Kiefer des Hundes damit abfing, die sich sonst wohl in seine Schulter gebohrt hätten. Angels Pfoten krachten gegen den Schild des Soldaten und rissen ihm dieses halb aus der Hand; ein Moment, in dem Captain America abgelenkt war und somit zu spät bemerkte, dass sich Loki hinter ihm in grünem Schein materialisierte. Das Zepter des Tesserakts lag wieder in seinen Händen und er schwang es mit der Verbissenheit eines zornigen Gottes gegen den Soldaten; die Lippen des Magiers umspielte ein boshaftes Grinsen, grotesk untermalt von einem feinen Rinnsal Blut, welcher sich aus einem Mundwinkel stahl und auf der blassen Haut des Prinzen wie ein Farbklecks wirkte, der schrecklich fehlplatziert wurde. »Cap, hinter dir!« versuchte Natascha Romanoff ihren Teamkollegen noch zu warnen. Das stumpfe Ende des Zepters traf den Captain zwischen den Schultern und ließ jenen den Halt verlieren, bevor Loki schon nachsetzen wollte, um den Soldaten mit einer Ladung blauer Energie durch die Wand der Hütte zu jagen; Steve Rogers fing sich aber schneller als gedacht und wehrte den Schwall summender Macht mit seinem Schild ab, hinter welches er sich duckte; die bläuliche Materie zerstob einer Supernova gleich auf dem unnachgiebigen Metall und verteilte sich unter einem ohrenbetäubenden Krachen in der Hütte. Die letzten intakten Fenster zerbrachen unter der Woge und schleuderten ihr Glas hinaus in die kühle Morgenluft. Selbst Gwen wurde unsanft gegen die rothaarige Agentin geschleudert und ächzte schmerzhaft, als sich die Mündung der Pistole eindringlich in ihre Wirbelsäule bohrte. Angel sprang sofort wieder heran und schnappte in einem wütenden Knurren nach dem Stiefel des Captains, um diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen; tatsächlich verriss der Soldat sein Schild und Loki hämmerte ihm die flache Seite der Speerspitze gegen die Seite, was der Soldat allerdings damit beantwortete, dass er dem Gott die Füße unter dem Körper wegfegte, indem er sein Schild wie einen sirrenden Bumerang nach ihm warf. »Clint, der Hund! Schalte den Hund aus!« verlangte Black Widow in einem harschen Befehl, während sie die sich windende Gwen außer Reichweite der beiden kämpfenden Männer zerrte. Scheppernd und klirrend trafen Speer und Schild immer wieder aufeinander, während Captain America und Loki umeinander wirbelten wie lose Blätter im reißenden Zentrum eines Sturmes; Angel hatte sich verbissen im Stiefel des Soldaten festgebissen und zerrte knurrend an dem stabilen Leder. »Nein!« schrie Gwen in ungläubigem Entsetzen auf, als ein weiterer Pfeil heranschoss und den Hund in die Flanke traf; das Tier wurde von der Wucht des Geschosses von den Füßen gerissen und blieb mit einem gequälten Winseln auf der Seite liegen. »Ihr verdammten Schweine! Das ist doch nur ein Tier!« schrei Gwen in einem Schluchzen. Sie wollte zu Angel stürzen, kümmerte sich augenblicklich kaum noch um die Waffe im Rücken, denn zu groß war der Schock über das eben Geschehene. Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, ihr Magen rebellierte unter brennender Säure der Verzweiflung und mit einer Kraft, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte, riss Gwen den Ellenbogen nach oben und stieß diesen der Frau hinter sich in den Magen. Die ächzte zwar verhalten, lockerte ihren Griff jedoch nicht. Obwohl die Agentin kaum größer war als Gwen selbst, hatte sie doch eindeutig mehr Kraft. Ihre Stimme wurde noch um einige Nuancen kälter und distanzierter, wenn das überhaupt möglich war. »Verdammt, Lady. Beruhigen Sie sich. Das war nur ein Betäubungspfeil!« Ein gezielter Ruck hob Gwen von den Füßen und lenkte sie so herum, dass sie auf den scheinbar leblosen Hund blicken musste, der wenige Schritte entfernt von ihr lag; tatsächlich hob sich Angels Seite unter ruhigen Atemzügen und seine Lider flatterten über den schwelend orangen Augen, die noch immer verbissen ihre Umgebung sondierten. Erleichterung ließ Gwen im Griff der Agentin zusammensacken, während ein dröhnendes Krachen die Hütte erbeben ließ; ein weiterer Energiestoß aus Lokis Zepter traf den Captain, der mitsamt seinem Schild rückwärtig durch die Wand der Hütte brach und einen hohen Salto in der Luft vollführte, bevor er im stäubenden Schnee draußen aufschlug. Zerborstenes Holz regnete träge schwelend um ihn herab. Loki setzte ihm sofort mit energischen, schweren Schritten nach; sein Mantel flatterte wie die aufgepeitschten Sturmsegel eines gebeutelten Schiffes, als er das Zepter hob und mit einem fanatischen Blick auf den Soldaten zusteuerte, der sich eben mühsam und leicht benommen wieder auf die Beine rappelte. Sein Schild lag neben ihm im Schnee, ein abstruser Farbkreis in all dem schimmernden Weiß unter der Morgensonne. Der Magier wollte gerade zu seinem finalen Streich ausholen, als ihn Ironman von den Füßen riss, der mit einem energetischen Sirren durch die Luft flog und den Gott in die Seite rammte. Beide stürzten in den Schnee und wirbelten diesen unter ihren Körpern auf, die selbst im Sturz um die Vorherrschaft kämpften. Lokis Zepter entglitt jenem aus den Fingern und wurde in eine Schneewehe davongeschleudert, doch er trotzte dem Mann in der Rüstung mit Hieben und Tritten. Ironman war als erster wieder auf den Beinen und eroberte sich eine Position über dem Gott, so er diesen durch das pure Gewicht seiner schweren Rüstung nieder zwang, indem er ein Knie auf dem Leib des Magiers absetzte. Summende Repulsoren wurden drohend auf das Gesicht Lokis gerichtet. »Hier endet die Reise. Deine Frist ist abgelaufen. Heute ist Zahltag, Eisprinzessin.« erklärte Tony Starks energetisch veränderte Stimme, als Gwen gerade ebenso ins Freie stolperte, getrieben durch eine entschlossene Agentin, die ihr die Pistole weisend zwischen die Schulterblätter drückte. »Bewegung, Lady.« Gwen taumelte gegen die zerborstene Wand der Hütte und krallte die Nägel in das spitze Holz, bereit loszustürmen, bereit irgendetwas zu tun, von dem sie wusste, dass es wahrscheinlich eh nicht helfen würde. Was sollte sie allein schon ausrichten? Es war zu spät. Sie hatten sich zu lange Zeit gelassen. Es war Direktor Fury nicht einmal zu verdenken, dass er offenbar wie ein angeleinter Bluthund nur auf das Kappen seiner Leine gewartet hatte, um nun zuzuschlagen. Odins Galgenfrist für Loki musste der blanke Spott und Hohn für den S.H.I.E.L.D Chef gewesen sein, der sich sonst nichts und niemandem beugte; selbst mit dem Sicherheitsrat - jenen mysteriösen Fädenziehern hinter S.H.I.E.L.D - hatte der Direktor so seine Probleme. Zumindest besagten das Gerüchte. Fury ließ sich nicht gern Befehle erteilen. Er war es gewohnt, sie selbst zu geben. Hawkeye löste sich aus dem Schatten einer Tanne unweit von der Hütte entfernt und klopfte sich Schnee von seinem Kampfanzug, welcher wohl bei seinem Sprung aus der Deckung des Baumwipfels hängen geblieben war. Unter dunklen Brillengläsern und einem abgeklärten Gesichtsausdruck pirschte er sich durch den Schnee heran, schob seine Stiefel wie Eisbrecher durch die dichten Wehen und fixierte Loki mit seinem Bogen und der Spitze eines aufgelegten Pfeiles, der sein Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit geradewegs finden würde. Captain America hatte sich inzwischen ebenso wieder aufgerichtet und sein Schild gegriffen, bevor er zu Ironman hinüber schritt, der inzwischen mit fauchenden Antrieben über dem Gott schwebte, während die Hitze seiner Rüstung den Schnee um sie zu feuchten Pfützen schmolz, die kahle Flecken Erde zurückließen. Der Magier sah sich von der Armada eines Waffenarsenals bedroht, das sich aus der Rüstung des Erfinders entfaltet hatte. Loki lag scheinbar bezwungen auf dem Rücken, die Hände ergeben gehoben; die Winkel seiner Augen umspielte ein grausamer, finsterer Zug, ebenso wie seine Lippen, die sich unter einem gehässigen Grinsen teilten, bevor er sich in einer gemächlichen, fast provozierenden Geste das Blut aus dem Mundwinkel wischte und dieses beinahe anklagend unter den wachsamen, kalten Augen von Ironmans Helm betrachtete. Gwen sackte entmutigt zusammen, als Agentin Romanoff sie unsanft am Kragen packte und in der Ferne ein dumpfes Brummen laut wurde wie das monotone Flügelschlagen einer Libelle. Hinter den Baumwipfeln tauchte ein Black Hawk auf und näherte sich ihnen rasch über rauschenden Tannen hinweg, die sich durch den Sinkflug des Hubschraubers beugten wie gebrechliche Gestalten, die ächzend vom Sturm niedergedrückt wurden. Der Helikopter setzte unweit der Hütte zum landen an und schwebte sachte zu Boden, während seine Rotorblätter den Schnee in einem tosenden Tornado in die Höhe sogen, um jenen dann wie scharfe Pfeilspitzen auf die Gestalten umher niederregnen zu lassen. Gwen schirmte die Augen gegen den heftigen, kalten Wind ab und drückte sich in den Schutz der Blockhütte zurück, bevor ein atemloses Fluchen ihre Aufmerksamkeit an sich riss. »Verdammt…« Black Widow zog ihre Waffe hinter Gwens Rücken hervor und hob diese entschlossen an, gerade als Ironman einen Moment durch den nahenden Helikopter abgelenkt war - eine winzige Sekunde, welche Loki nutzte, um Tony Stark eine gebündelte Magiewelle aus seinen Händen gegen den Leib zu rammen, bevor er sich zur Seite warf und nach seinem Zepter hastete. Der Ironman wurde zurückgeworfen und überschlug sich einmal taumelnd in der Luft, während der Magier geschmeidig auf die Füße sprang und der Saum seines Mantels den Schnee in die Höhe trieb, der sich wie eine Spirale um ihn ballte und seine höhnisch grinsende Gestalt verhüllte. »Oh, ich hasse diesen Kerl…wo ist eigentlich Banner, wenn man ihn mal braucht?« töne Ironmans Stimme durch das Tosen des Helikopters; der Erfinder hatte sich und seine Rüstung wieder gefangen und nickte Captain America kurz zu, der sich geduckt neben ihm zum Angriff bereit machte. »Das nächste Mal darf Fury seine entlaufenen Irren selbst wieder einfangen.« Zusammen stürzten die beiden Avengers auf den Gott zu, der den Repulsorstrahlen und dem fliegenden Schild des Soldaten nicht auswich, sondern diese durch eine Wand aus Magie, Eis und Schnee abprallen ließ, die ihn umgab wie eine frostige, zweite Haut, nachdem sich die wirbelnde Spirale um ihn verdichtet und um seinen Körper geschlungen hatte. Die Angriffe zerschellten wirkungslos an ihm, bevor sich der Magier mit einem kampfgierigen Schrei gegen seine schützende Hülle warf und diese sich auffächerte wie die Flügel eines Schmetterlings; die frostigen Schwingen trafen die beiden Rächer und warfen diese erneut zurück. Gwen beobachtete das Spektakel atemlos; Adrenalin schoss in heißen Bahnen durch ihre Venen, ihr Blick flog hastig umher, während ihre Gedanken rasten. Black Widow musste ihre angespannten Muskeln bemerkt haben, denn diese festigte ihren Griff um Gwens Oberarm und schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Keine Dummheiten, sonst werde ich ungemütlich.« Die Agentin hob die Finger erneut zu ihrem Headset und rief über das anhaltende Brüllen des Helikopters ihren Teamkollegen an, während sie Gwen um die Ecke der zerbrochenen Wand herumzog: »Clint, ich hab kein freies Schussfeld. Jag du dem Gott eine Ladung Schlafmittel in die Brust, bevor er den Cap und Stark noch fertig macht. Er darf uns nicht entwischen. Fury killt uns sonst.« »Oh nein…nicht! Bitte nicht!« Gwen warf sich herum und ließ die fahrigen Finger unkontrolliert nach dem Arm der Agentin schnappen; diese quittierte jene überraschende Geste mit einem irritierten Heben ihrer schmalen Braue. »Sagen sie ihnen, dass sie aufhören sollen! Bitte…« Die verschwommene Gestalt Hawkeyes bewegte sich durch den aufgewirbelten Schnee um den Helikopter herum und brachte sich in Stellung. »Sorry, Lady. Aber ich habe meine Anweisungen.« erwiderte Black Widow sachlich und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Inzwischen hatten sich die dunklen Gestalten einiger Agents aus dem geöffneten Einstieg des Black Hawk gelöst und waren geduckt in den Schnee gesprungen, um jetzt mit gezogenen Waffen Ironman und Captain America zu Hilfe zu eilen, die äußerst beschäftigt damit waren, Lokis Attacken auszuweichen, der unablässig eisigen Sturm gegen sie peitschte oder frostige Schneesplitter auf sie warf. Allerdings hatte auch der Magier schon einiges einstecken müssen; sein Mantel flatterte versenkt durch Ironmans Repulsoren und er hielt sich seine eh schon verwundete Schulter, die eben des Soldaten Schild gestreift und den Gott herumgewirbelt hatte. Taumelnd grub er seine Stiefel in den Schnee und sicherte sich seinen Stand, bevor ihn ein weiterer Angriff Starks in die Brust traf und sein Leib donnernd gegen den nächsten Stamm einer Tanne geschleudert wurde. Gleich darauf bohrte sich ein zielsicher gesetzter Pfeil durch die Brustrüstung des Gottes, überzog die harte Platte mit feinen Rissen wie Spinnweben, bevor die Spitze in den Oberkörper des Asen drang und diesen stöhnend in die Knie sacken ließ. Als der Magier Anstalten machen wollte, sich wieder zu erheben, gesellte sich ein weiterer Pfeil zu dem ersten, dieser traf ihn in das satte Fleisch seines Oberschenkels und blieb dort stecken. Lokis Hände trafen dumpf im Schnee auf, als er nach vorn kippte und seine Haare wie ein düsterer Todesvorhang seine Züge verhüllte, die dem reinen Weiß des Schnees umher deutlich Konkurrenz hätten machen können. Die grünen Augen des Gottes glitzerten unter den wirren Haarsträhnen hervor, keine Entschlossenheit hatte sein Geist eingebüßt, obwohl sein Körper vom lähmenden Griff des Betäubungspfeiles in Beschlag genommen wurde. Ironman und Captain America näherten sich ihm nun vorsichtig, gefolgt von einer Hand voll Agenten, die mit entsicherten Waffen den knienden Asen umkreisten. »Oh Gott…Loki…« Gwen schlug sich eine Hand vor die bebenden Lippen und kämpfte mit der nagenden Verzweiflung, die ihren Beinen Ansporn geben wollte, zu dem Magier zu laufen; doch der Griff der Agentin war unerbittlich und durch nichts zu erweichen. Gwen fühlte sich so nutzlos, so hilflos, dass dieses Gefühl fast wie Asche auf ihrer Zunge schmeckte; untätig musste sie dabei zusehen, wie die Avengers den Gott überwältigten und grob durch den Schnee auf den Helikopter zu schleiften. Der Black Hawk war inzwischen gelandet und stellte seine Motoren ab; das dumpfe Dröhnen der Rotorblätter wurde zu einem pfeifenden, ertragbaren Säuseln, bevor die Maschine ganz still stand. Natascha Romanoff musterte Gwens entsetztes, blasses Gesicht aus dem Augenwinkel und folgte deren Fokus auf den halb ohnmächtigen Gott, nur um betont zweifelnd die Stirn in zarte Falten zu ziehen, bevor sie die Journalistin mit einem kritisch verengten Blick musterte. Offenbar verstand sie Gwens Mitgefühl und Sorge um den Gott in keiner Weise, allerdings war sie so professionell, dass sie sich ihre Missbilligung, sollte sie diese besitzen, nicht anmerken ließ. Ihre Finger zogen sich fast schmerzhaft um Gwens Oberarm fest und zogen diese neben sich her auf den Helikopter zu, dem gerade Direktor Fury geduckt entstieg; der S.H.I.E.L.D Chef ließ seinen einseitigen Blick flüchtig die Umgebung sondieren, bevor er mit einem Satz aus dem Black Hawk sprang und seine schweren Stiefel in den Schnee rammte. Eine dunkle Hand glättete seinen Mantel in einer beinahe gelangweilten, doch sorgfältigen Bewegung, bevor er sich aufrichtete, die Arme hinter dem Rücken verschränkte und seinen Avengers geduldig entgegen sah, die ihm Loki direkt vor die Füße zerrten. Hinter Fury entstieg Andrew dem Helikopter mit ebenso stahlharter, doch seltsam zufriedener Miene, wie sie der Direktor zur Schau trug. Der Agent bezog hinter seinem Boss breitbeinig Stellung und sah Loki deutlich befriedigt entgegen, der von den beiden Rächern unsanft durch den Schnee geschleppt wurde. Ironman zwang den Gott vor Fury in die Knie, drückte den geschwächten Magier in den Schnee, welcher dessen dunkle Gestalt wie ein blütenweißer Rahmen umgab; Lokis Züge waren dem Boden zugewandt und sein Kopf schwankte benommen auf seinem Hals, doch Gwen erhaschte den Eindruck eines unpassend amüsierten Schmunzelns auf seinen bleichen Lippen, als sich der Vorhang seiner Haare für einen Augenblick teilte. Zwei weitere Agents lösten sich aus der Menge und eilten in die Hütte, um den bewusstlosen Hund zu bergen und diesen in den Helikopter zu verladen. Agentin Romanoff stieß Gwen unsanft vorwärts, sodass die Direktor Fury fast vor die Füße stolperte; sofort wollte sie zu Loki eilen, doch Agent Bartons Bogen hielt sie mit einem warnenden Klopfen zurück, als das biegsame Material auf ihre Brust traf und eine Grenze bildete, die sie dem strengen Gesicht des Agents nach nicht zu überschreiten hatte. Hawkeyes Züge wirkten wie aus Stein gemeißelt, seine Augen weiterhin hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen; ein einsamer Muskel in seiner Wange zuckte, immer dann, wenn der Agent auf den am Boden knienden Gott sah, der durch die Hände von Steve Rogers und Tony Stark gehalten wurde. Gute Freunde waren der Bogenschütze und der Magier definitiv nicht… »Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass jemand wie du so dumm wäre, meine Entschlossenheit auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, Loki. Aber offenbar belehrt uns das Schicksal jedes Mal aufs Neue.« Die vor Genugtuung förmlich triefende Stimme des S.H.I.E.L.D Chefs durchbrach die beinahe seltsame Stille, nachdem die letzte Drehung der Rotorblätter über ihnen beendet war und einsam verstreute Vögel die einzige Untermalung in der kühlen Waldluft bildeten nebst dem vernehmlichen Sirren von Ironmans Rüstung, als dieser mit einem dumpfen Laut auf dem Boden landete. »Du musst uns Menschen wirklich für einfältig halten und dich für absolut unbezwingbar, dass du meinst, außerhalb deiner Frist hier noch ungestraft verweilen zu dürfen.« Ein raues Kichern ließ die schmale Gestalt des Magiers beben. »Ich konnte doch nicht gehen, ohne mich gebührend zu verabschieden…« raunte Loki mit geschwächter, nichtsdestotrotz bedrohlich dunkler Stimme und hob sein Haupt mühsam an, um dem Blick des Direktors unerschrocken zu begegnen. Durch die Augen des Gottes tänzelte vergnügter Wahnsinn, ein Schleier von Schabernack und Süffisanz. Andrew Preston zog alarmiert seine Waffe und entsicherte diese, verdiente sich damit einen spöttischen Blick des Gottes, bevor dieser einen Schwall Blut in den Schnee spuckte. »Nun, verabschieden wirst du dich jetzt ganz sicher nicht mehr. Zumindest nicht von der Erde. Höchstens von deiner Wegbegleiterin Miss Lewis, denn die steht mit sofortiger Wirkung unter der Obhut von S.H.I.E.L.D.« tönte Furys Stimme in sachlicher Gelassenheit über sie hinweg, bevor der Direktor anfing, im Schnee vor Loki auf und ab zu schreiten; der Mann kostete seinen Triumph aus, schien keine Eile zu haben, das Feld zu verlassen. Seine gesamte Haltung drückte Befriedigung und den Genuss seiner Rache aus; lange musste der Fury auf diesen Augenblick gewartet haben, sodass er sich den Moment nicht nehmen lassen wollte, den Gott bezwungen vor sich zu haben. Loki verfolgte die Schritte des S.H.I.E.L.D. Chefs eher amüsiert, fast so milde belustigt, wie man ein Kind ansah, dass in seinem ahnungslosen Glauben an Märchen und Wundern festhalten wollte, die ohne Zweifel irgendwann wie Seifenblasen zerplatzen würden. Obwohl der Magier von zwei Avengers flankiert und von einigen gezogenen Waffen beobachtet wurde, so machte er eigentlich nicht den Eindruck, als wäre er hier der Unterlegene. »Deine lächerliche Gnadenfrist ist nun vorbei, Loki und ich werde es genießen, dir die Strafe zukommen zu lassen, die ich für angemessen halte, um deine Verbrechen an der Erde und ihren Menschen zu sühnen, da Asgard ja augenscheinlich nicht dazu in der Lage ist. Thor wird mich dieses Mal nicht um mein Recht bringen.« Fury hatte sich vor Loki aufgebaut wie eine Mauer aus dunkler Entschlossenheit und sein verbliebenes Auge funkelte eindringlich auf den knienden Gott herab, der sich nur zu einem spöttischen Braue heben hinreißen ließ und das Schmunzeln auf seinen Lippen noch tiefer grub. Er ließ dem Menschen seinen Monolog, als wäre der es kaum Wert, dass der Prinz sein Wort an ihn richtete. »Deine Arroganz wird dir noch vergehen, wenn du den Rest deines unsterblichen Lebens in einer fensterlosen Zelle verbringen wirst.« grollte Fury nun mürrisch, offenbar unzufrieden darüber, dass der Gott so gar keine Regung zeigte. Dann schien ihm allerdings ein Gedanke zu kommen. »Agent Preston, Sie kümmern sich um die Frau. Bringen Sie Miss Lewis bitte in ihre zukünftige Bleibe, bevor wir mit den Untersuchungen beginnen.« »Nichts lieber als das…« Andrew ließ die Waffe in das Holster unter seinem Mantel zurückgleiten und packte Gwen sogleich am Arm, nicht jedoch ohne Loki einen provozierenden Blick zuzuwerfen; nicht gerade sanft wies er Gwen den Weg zu dem Helikopter, die sich allerdings wie eine Furie in seinem Griff aufführte und so heftig zappelte, dass Andrew sie halb tragen musste. »Lass mich los! Das könnt ihr mit mir nicht machen! Ich habe auch Rechte!« Bitter sah sie den Agent neben sich an, der so fern ab von dem Mann schien, den sie eigentlich zu glauben kannte; die zurückhaltende Freundlichkeit war verschwunden und hatte steinharter Loyalität Platz gemacht. »Andrew…bitte…bitte tu mir das nicht an…« versuchte sie an sein Gewissen zu appellieren, doch er ignorierte ihr Flehen und schob sie weiterhin fast schon grob in Richtung des Black Hawk. Ihr Kopf ruckte mühsam herum und fing Lokis Blick auf. Verzweiflung schwamm in den aufsteigenden Tränen, die in ihren Augen brannten. Sollte das das Ende sein? Würde sie ihn nie wieder sehen? Eine Hand streckte Gwen in einer schwermütigen Bewegung in Richtung des Gottes aus, ein hoffnungsloses Flehen, bevor sie schon von Andrew herumgerissen und in den Helikopter gezwungen wurde; entmutigt sackte sie zusammen, spürte Hoffnungslosigkeit wie eine Woge heranrollen, die ihren Magen in eine eisige Faust schloss und ihre Entschlossenheit davonschwemmte. Die eher grobe Behandlung des Agents an Gwen bewirkte eine erste, sichtbare Reaktion bei dem Magier und ließ die Illusion eines Zähnefletschens entstehen, als sich sein betäubter Körper gegen die kreisenden Fesseln in seiner Blutbahn wehrte; Ironman drückte den Prinzen unmissverständlich zurück in den Schnee, als dieser sich aufrichten wollte, um Gwen und Andrew zu folgen. »Na na, schön hiergeblieben, Prinzessin. Du bekommst deinen eigenen Flieger.« Die schlanken Fingerknochen von Lokis Hand stießen fast wie Dolche durch die dünne Membrane seiner Haut, als er die Finger zu Klauen krümmte und die Nasenflügel unter angestrengten, wütenden Atemzügen bebten. Fury hob das Kinn zufrieden und beäugte den Gott mit eigenwillig teuflischer Genugtuung, da er offenbar etwas gefunden hatte, was die eisige Hülle des Magiers durchbrach. Plötzlich war es, als würde die Welt stehen bleiben; eine schwere, erdrückende Stille legte sich über den Wald, die Vögel verstummten und selbst die Baumwipfel ließen kein Rauschen mehr vernehmen, als hätte der Wind selbst den Atem angehalten. Ein kaum wahrnehmbares Vibrieren erwachte unter ihrer aller Füßen und summte in schwermütigen Wellen durch das Erdreich; ein unheilvolles Echo, als würde sich ein Riese im Kern der Welt ächzend um sich selbst winden. Die Scheiben des Black Hawk zitterten in einem hellen Klirren und die Waffenausrüstung des Helikopters stieß klappernd zusammen; eine bedrohliche Sinfonie wie das ängstliche Schlottern von Lämmern unter dem gierigen Blick eines Wolfes. »Was ist das…?!« fragte Agent Barton in die Stille. Andrew war stehen geblieben, hielt sich an der geöffneten Tür des Black Hawks fest und sah kritisch und verwirrt auf seine Füße, wie die anderen Agents es ihm gleich taten, ihre Waffen sinken ließen und irritiert ein paar Schritte über den vibrierenden Boden stolperten, der sich klagend unter ihnen in merklichen Wellen aufbäumte, als wolle die Erde selbst ihre Lasten abwerfen. Im nächsten Moment erhoben sich die verstummten Vögel einer kreischenden, dunklen Wolke gleich aus den Bäumen und überzogen den Himmel mit beweglichen Schattenfetzen, als hätten sich alle unter einem stummen Befehl mit einem Mal in die Lüfte erhoben; rings umher stiegen die Vögel in trudelnden Spiralen in die Höhe, bevor die geballten Massen unter dem ohrenbetäubenden Gesäusel von unzähligen Flügeln und Schnäbeln davonstob. Hawkeye richtete seinen Blick in den Himmel und zog sich in einer langsamen, ungläubigen Geste die Sonnenbrille von der Nase; Natascha Romanoff neben ihm verengte die Augen und hielt ihre Waffe verkrampft im Anschlag, als würde sie jeden Augenblick einen Angriff erwarten. »Was zur Hölle…« Gwen schob sich unsanft an dem erstarrten Andrew vorbei und stolperte aus dem Schatten des Helikopters, um das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen; ein unsichtbarer Schatten bemächtigte sich ihr und sog ihr die Luft aus den Lungen wie der Kuss des Todes jegliches Leben mit sich nahm. Eine schlafende Bosheit war erwacht, eine lauernde Finsternis in der Ferne… Gwens Nacken überzogen eiskalte Spinnenfinger, ihre Atemwege wirkten verklebt von der schwelenden Bedrohung in der Luft; ein Gefühl von unausweichlicher Bestimmung stieg in ihr auf, als würde man das Licht eines herannahenden Zuges bereits sehen, doch wusste, dass man nicht entkommen konnte, da man auf die Schienen gefesselt war. »Womöglich ein Erdbeben?!« sprach Captain America seine These zweifelnd aus und drehte sich um die eigene Achse, das Schild kampfbereit erhoben, bevor er dem Direktor einen fragenden Blick zuwarf. Doch der schien genauso unwissend wie alle umher; allerdings meinte er offenbar sofort des Übels Wurzel zu erkennen. Die Hand des S.H.I.E.L.D Chefs schoss vor und packte den geschwächten Magier am Kragen seines Mantels, um ihn unsanft zu schütteln. »Was geht hier vor sich, du verdammter Irrer?! Du weißt doch etwas! Ist das wieder dein Werk?« Loki beantwortete die grobe Behandlung mit einem trägen, schrecklich blutbeschmierten Grinsen, indem er sein Gebiss gehässig enthüllte und die nebelverhangenen Augen in überheblicher Gleichgültigkeit auf den Direktor richtete, bevor er die bleichen Hände in einer schwachen, unschuldigen Geste spöttisch anhob. Die Hilflosigkeit der Menschen schien ihn ein ums andere Mal zu faszinieren und zu amüsieren. »Sir…« zog die fassungslos brüchige Stimme Tony Starks die Aufmerksamkeit aller auf sich; der Erfinder hatte die Maske seiner Rüstung zurückschnappen lassen und offenbarte ein nun blasses Gesicht, in dem ein ungewohnter Hauch von Bestürzung seine Furchen gegraben hatte. Ironman streckte seine metallene Hand in Richtung des Horizonts aus. »Ich glaube, das sollten sie sich ansehen…« brachte er stockend heraus und schluckte sichtbar, sodass sein sorgsam gestutzter Bart über die Kante seines Helmes hüpfte. Gwen tastete sich vorsichtig an der kühlen Hülle des Helikopters entlang und spähte nun wie alle anderen auf jenen Punkt am Horizont, den der Erfinder ihnen gewiesen hatte; ein Stück ersichtlicher Himmel zwischen einer Schneise in den Baumreihen, wo sich die Straße den Berg hinauf schlängelte. Ein kühler Wind kam auf, ähnlich des schmerzerfüllten Wimmerns eines geschlagenen Soldaten auf dem Feld des Krieges; ein Hauch ohne Wärme, aber voller Pein und Schrecken - das Zupfen von eisigen Fingern an der Kleidung aller, die nun mit geweiteten Augen auf den Horizont starrten. Selbst Loki hatte das Haupt gedreht und spähte unter feuchten Strähnen in den morgendlichen Himmel, auf dessen blauer Sphäre sich an der Grenze zwischen Horizont und Erde etwas heranwälzte; ähnlich einer Feuersbrunst schlängelten sich tentakelartige Schlieren über das zarte Blau des Himmels und raubten diesem das Licht des Tages. Die strahlende Morgensonne wurde verschluckt in einem Wirbel aus Rauch und Schatten; ein blutrotes Kaleidoskop stülpte sich über den hellen Himmelskörper und raubte ihm die Freundlichkeit und Hoffnung seines Lichtes. Ein entferntes Grollen wurde laut, ähnlich eines verhaltenen, qualvollen Stöhnens, als würde Midgard selbst unter der herannahenden Bosheit erzittern; das peinvolle Ächzen zog durch die Luft, rollte über sie hinweg und ließ den Boden erneut unter einem schweren Beben erzittern. Umher brachen plötzlich sämtliche Tiere des Waldes aus dem Unterholz und stürmten panisch in die entgegengesetzte Richtung des unheimlichen Himmelsschauspieles davon; Agent Barten musste einen hastigen Schritt zur Seite tätigen, um nicht von einem rasenden Hirsch umgerannt zu werden, der mit geblähten Nüstern und angststarren Augen an ihnen vorbei fegte. Donnernd flüchteten die Tiere, ein Durcheinander aus Schnaufen, Brüllen und Winseln, aus tosenden Hufen und hektischen Pfoten. »Was, in Gottes Namen, ist das…?« flüsterte Captain America bestürzt und ließ seinen Schild sinken, ungeachtet der drohenden Gefahren. Auch Ironman stand erstarrt an seinem Platz und hatte selbst Loki vergessen, der eher mit wachsamer Aufmerksamkeit dem Geschehen folgte, als furchtsam wie die meisten der Menschen umher. Gwen drückte sich schutzsuchend an das kühle Metall des Black Hawk und spähte unter wirbelnden Haaren in die Ferne; obwohl der Fluchtreflex in ihr genauso übermächtig war wie jener der instinktgetriebenen Tiere, so war sie doch auf seltsame Weise gefesselt von dem Schrecken, der sich dort rasend schnell über den Himmel auf sie zubewegte und den Eindruck machte, das gesamte Licht des Tages verschlucken zu wollen wie das gierige Maul einer heranpirschenden Schlange. Die Agents ließen unsicher ihre Waffen sinken, selbst Black Widow senkte die Hand mit ihrer Pistole jetzt und suchte den Blick ihres Partners, als ein nicht zu unterdrückender Funken Angst in ihren Augen aufglomm; Agent Bartons herbe Züge spiegelten eine Fassungslosigkeit, die sein Gesicht in zerfurchte Konturen tauchte. Ein zaghaftes Kopfschütteln folgte, bevor er zu der rothaarigen Agentin hinüber trat; eine Spanne überwandte, die in diesem Augenblick viel zu groß wirkte. Captain America beobachtete das Geschehen am Himmel mit einer Miene, die vom Glauben abgefallen wirkte; erstarrt stand er da und suchte offenbar in den Wolken eine Erklärung, die ihm nicht einmal Tony Stark geben konnte. Der Erfinder schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, erschütterte Ehrfurcht kroch durch seine Augen. Allein Direktor Fury wirkte verbissen und stemmte sich gegen den aufkommenden Sturm, als könnte er mit Körperkraft und Entschlossenheit allein alles abwenden; beinahe trotzig verfolgte er die heranbrandende Finsternis, während sich sein Mantel hinter ihm blähte und das Geräusch von zerfetzten, flatternden Segeln erzeugte. Der Wind heulte auf wie ein verwundetes Tier und wo er zuvor eisige Kälte mit sich brachte, toste nun der heiße Atem der Verderbnis über ihnen, als das bedrohliche Himmelsphänomen über sie hinweg brauste und das Licht des Morgens zu einer fernen Erinnerung degradierte; als würde Vakuum Luft vertreiben, so zogen die fauchenden Schattenwolken über ihnen am Zelt der blauen Sphäre hinweg und saugten den Schein der Sonne mit einem Brüllen auf. Über das Land legte sich der düstere Nebel von kochendem Blut, die Sonne ein dumpfer Fleck hinter dem satten Rot und wirbelndem Grau des Himmels. Der heiße Wind flaute ab, zog mit der wogenden Gischt der Himmelswalze weiter über das Land; ihm folgte ein bebendes Stöhnen, ein Laut, der weniger aus dieser Welt schien als vielmehr aus einer Unterwelt, die aufgebrochen wurde. Über den grotesk entstellten Himmel zogen kreischende Gesichter, als würden sich fauchende Dämonen gegen die Grenzen ihres Gefängnisses stemmen, bevor das weit entfernte Echo eines schmerzhaften Klagens die Erde erzittern ließ und Gwen einen grausigen Schauer durch die Knochen jagte. In den aufgetürmten Wolken über ihnen, die schlierend aus Blut, Knochen und Asche zu bestehen schienen, zuckten sirrende Blitze und tauchten die Umgebung in ein geisterhaftes Licht; die Atmosphäre war statisch aufgeladen, so spürbar, dass sich einem die feinen Härchen auf der Haut aufstellten. Ein Knistern jagte über den Himmel, gefolgt von einem krachenden Donner, der markerschütternd über das Land rollte. Doch der heilsame Regen blieb aus. Lokis Grinsen leuchtete im Schein der Blitze, seine fahlen Züge beleuchtet wie das Gesicht eines Dämons, der hämisch auf die Welt unter ihm sah. Blut leckte an seinen Lippen und tauchte diese in dunkle Farbe, bevor er sich jene in einer trägen Bewegung am Ärmel seines Mantels abwischte; eine schleifende Spur des Lebenssaftes zog sich über seinen Mundwinkel und ließ sein Grinsen verwischt wirken. Gwen löste sich aus dem Schatten des Helikopters und stolperte nun entschlossen zu dem Gott hinüber, die Augen zwischen ihm und dem brodelnden Himmel schwankend. Niemand hielt sie auf in ihrem Weg, als sie neben Loki in die Knie sackte und die Arme ohne Scham um seinen schmalen Leib schlang, die Geborgenheit suchend, welche die Feuerwalze am Himmel eben mit sich genommen hatte. »Oh Gott…Loki…was geht hier vor sich…?« Schlanke Finger fanden den Stoff auf ihrem Rücken, drückten sie gegen den Magier, dessen Herzschlag kaum aus dem Takt geraten schien; seine Wunden allerdings wirkten aus der Nähe furchtbar, Bartons Pfeil steckte noch immer in dem zersplitterten Material seiner Brust und ragte dort heraus wie ein absonderliches Monument. Sie wollte die Finger danach ausstrecken, ließ es dann aber. »Ich weiß es nicht. Ich kann nur Vermutungen anstellen…« antwortete ihr der Magier rau; das spöttische Grinsen verblasste auf seinen Lippen und machte nachdenklicher Strenge Platz, die seine Brauen eng zusammen zog. Fury sicherte sich seinen Stand auf der noch immer seltsam schwankenden Erde, grub seine Stiefel starrsinnig in die Reste des Schnees, der unter dem aufgeladenen Hauch des Himmels bereits kapituliert hatte. Sein einseitiger Blick traf den Gott, seine dunkle Stirn zog sich in zornige Falten. »Du weißt, was das ist, oder?« mutmaßte der Direktor fauchend, doch die bebende Stimme von eigensinniger Unsicherheit geplagt. »Hm…« gab Loki schwach von sich, bevor sich seine Züge schmerzhaft spannten, als er den Pfeil in seinem Oberschenkel umgriff und diesen mit einem Ruck herauszog. Seine Kiefer tanzten wie Schiffe auf dem bockenden Meer und sein Gebiss war verkrampft enthüllt, als sich die Widerhaken aus den Muskeln lösten und er das Geschoss mit einem angewiderten Laut von sich warf. Gwen schälte sich sofort aus ihrer Jacke und drückte diese gebündelt auf die tiefe Wunde, welche Blut wie eine sprudelnde Quelle ausspuckte; offenbar hatte Barton eine Arterie erwischt. Loki schien davon allerdings wenig beeindruckt, denn er bettete die freie Hand auf Gwens zitternden Fingern und sandte ein warmes Kribbeln aus Magie durch den Stoff, wahrscheinlich um seine Selbstheilungskräfte anzuregen. Sie hätte gern diese Kraft in sich benutzt, um ihm zu helfen, doch Loki hatte es ihr ausdrücklich verboten; sie biss die Zähne aufeinander und vergrub das Gesicht an seiner Halsbeuge, während sie die Sorge um ihn und die lähmende Furcht mühsam zurückdrängte. Zum Glück war er ein Gott, sonst hätten ihn die Wunden wahrscheinlich schon umgebracht. »Es scheint, als hätte Malekith das Tor zu Yggdrasil aufgestoßen. Die Weltenesche erzittert unter der nahenden Präsenz von Ymir, während der Urschlund offenbar freudig seine Ankunft erwartet.« offenbarte der Gott in abgeklärter Kühle und sicherte sich damit die Aufmerksamkeit aller Umstehenden; seine klar polierte Stimme rollte zwischen sie wie ein geborstener Gletscher, der knirschend einer Lawine gleich alles in seinem Weg hinwegfegte. »Das ist nur ein Vorbote des Schreckens. Von diesem Moment an wird jeder Atemzug ein Geschenk sein.« Gwen spürte die Hoffnung in ihrem Magen ersterben und jene zu einem unförmigen Klumpen Eiseskälte verdorren; ein Gefühl, dass offenbar auch alle anderen empfanden, denn auf deren Gesichtern spiegelte sich das gleiche Grauen - keine Ungläubigkeit den Worten des Gottes gegenüber, dessen Züge nun blank lagen und fern ab jeglichen Spottes. Es gab Momente, in denen selbst Loki offenbar kein Verlangen mehr nach einem Scherz verspürte. Ihr aller Leben - das Leben in seiner reinsten Form - war bedroht. Von diesem Augenblick an saßen sie alle in einem Boot und konnten nur hoffen, dass das wütende Meer sie nicht verschlucken würde… Kapitel 24: Anfang oder Ende (zensiert) --------------------------------------- »Loki…« Kaum mehr als ein Flüstern; ein sehnsüchtiger Atemhauch, der aus ihren Lippen entfloh und diesem Traum eine Gestalt gab, der noch immer einen sinnlichen Nachgeschmack auf ihrer Zunge hinterlassen hatte. Gwen rollte sich auf den Bauch und drückte ihre Nase in das duftende Kissen; in diese weiche Unterlage, die noch so verlockend, so betörend nach Mann roch - nach einem Gott mit unglaublichen Augen, einfach nach Loki. Begierig sog sie diesen Geruch ein und seufzte wohlig auf, während sich ihr wacher Verstand langsam aus den Tiefen des Schlafes zurück an die Oberfläche kämpfte; Schlaf, der sie mit zähen, festen Schlieren in ihrem Bann halten wollte. Gwen fühlte sich so seltsam schwerelos, einzig allein der Schmerz zwischen ihren Beinen ankerte sie auf dem Boden der Tatsachen; ein süßer, ein lieblicher Schmerz, der sie die Schenkel aneinander reiben ließ, um die Erinnerung zu bewahren, wie sie diesen errungen hatte… Sie hatte mit einem Gott geschlafen. Sie hatte tatsächlich mit Loki geschlafen… Ein warmes, wohliges Knäul aus Empfindungen entstand in ihrem Bauch, ihrem Unterleib und ließ sie erahnen, dass diese eine Nacht bei weitem nicht genug für sie war. Schon der Gedanke daran, schon das Bild Lokis vor ihrem geistigen Auge, erregte sie sofort wieder und ihre Finger krallten sich unter einem zittrigen, sehnsüchtigen Wimmern in das Kopfkissen. Niemals, wirklich niemals zuvor hatte sie so intensiv für einen Mann empfunden, so sehr nach dessen Nähe verlangt und langsam aber sicher verblassten all ihre Beziehungen der Vergangenheit zu farblosen Erinnerungen, bis nur noch eine blieb - jene an den Prinzen; an die Augen des Magiers, als sie sich gestern Abend Blicke geschenkt hatten, die Gwen wohl niemals vergessen würde. Und sie sehnte keine von diesen geisterhaften Erinnerungen der Vergangenheit wieder herbei, wollte sich an keinen dieser Männer erinnern, von denen ihr einige schmerzhaft das Herz gebrochen hatten. Und wie hätte ein normaler Sterblicher auch jemals mit einem Gott konkurrieren können?! Andrew hatte es versucht und war kläglich gescheitert. Loki war bei weitem nicht perfekt - aber er war nah dran es zu sein, zumindest wenn man seine seltsamen Weltanschauungen, seine Überheblichkeit und seinen Angriff auf die Erde mal außer Acht ließ. Der Ase hatte wahrscheinlich mehr dunkle Seiten als jeder andere Mann zuvor in ihrem Leben, allerdings besaß Loki dafür auch wesentlich mehr Klasse, Sitten und Verstand. Er war eben doch ein Prinz, wenn auch ein recht dunkler… Ein verstohlenes Schmunzeln huschte über Gwens Lippen, als sie sich tiefer in das duftende Kopfkissen schmiegte und imaginär den Kopf über ihre seltsamen Gedanken schüttelte. Eigentlich war der Magier alles andere als perfekt, ein geradezu gefährliches Wagnis, doch vielleicht machte gerade das seinen Reiz aus und ihn auch so unheimlich faszinierend für Gwen; er war ein Rätsel, was sich immer wieder neu aufzubauen schien, wenn man meinte, es gelöst zu haben - ein Labyrinth mit unendlichen Abzweigungen. Es war spannend, seinen Weg zu verfolgen und diese Bruchstücke zu beobachten, die von seinem Panzer abbröckelten und den unverfälschten Loki dahinter enthüllten. Einen Mann, der unheimlich intelligent war und gewitzt, leidenschaftlich und gefühlvoll, manierlich und durchaus ehrenhaft - Seiten, die der Prinz wohl selbst irgendwann vergessen haben musste. Die letzte Nacht war definitiv etwas Besonderes in Gwens Leben gewesen, auch wenn die Möglichkeit bestand, dass sie die Einzige bleiben würde. Was sie wirklich nicht hoffte… Ihre Hand glitt über das weiche Kopfkissen zur Seite, durchbrach etwas warmes, was wohl hereinfallende Sonnenstrahlen waren, bevor ihre Fingerspitzen auf die kühle, leere andere Betthälfte trafen; das glatte Laken ließ jegliche Wärme vermissen und die Vermutung aufkommen, dass dort schon lange niemand mehr lag. Unter diesem vernichtenden Verdacht schlug Gwen die Augen auf und blinzelte gegen das überraschend helle Licht der Sonne, welches durch eines der kleinen Fenster hereinfiel und doch nicht das erschrockene Frösteln vertreiben konnte, welches ihren Körper in eine klammerartige Umarmung zog. Loki war weg… Plötzlich hellwach setzte sich Gwen auf und starrte entgeistert auf die leere Betthälfte neben sich. Die Decke rutschte ihr von den Schultern und selbst die zaghaften Strahlen der Morgensonne konnten das Gefühl von Wärme und Geborgenheit nicht zurückbringen, welches nun mit dem Saum der Bettdecke schwand. Der Raum war in mildes Licht getaucht; eine wahre Wohltat nach dem anhaltenden Grau des Schneesturmes, der nun endlich vorüber gezogen schien. Das Feuer im Kamin war wohl irgendwann in der Nacht verloschen und nur ganz vereinzelte Rauchsäulen kräuselten sich über der Asche wie zaghafte Andenken an die dunkleren Stunden des Tages; Angel lag noch immer neben der Feuerstelle und hob nun den Kopf, um jenen schräg zu legen und Gwen kritisch zu beobachten. Die robbte an den Rand des Bettes und ließ ihren Blick hastig über den Boden fliegen. Nichts. Lokis Klamotten waren weg; sein Mantel, seine Hose, die Metallteile seiner Rüstung, auch seine Stiefel… Er war nicht nur einfach mal schnell im Bad verschwunden. »Loki?!« wagte sie einen zaghaften Versuch, doch ihr Ruf blieb ungehört. Allein Angel beantwortete ihn mit einem trägen Schwanzwedeln. Wie apathisch ließ sie sich zurücksinken und starrte ins Leere, während sie peinlich genau auf ihre Atmung achtete, um dieses Gefühl des Erstickens in der Kehle zurückzuhalten. Eine Hand schlang sie um ihren Hals und schluckte angestrengt, doch der Kloß darin wollte sich nicht vertreiben lassen; ihre Finger zitterten auf ihrer Haut und sie schloss die Augen, um dem Brennen der hinterlistigen Tränen Einhalt zu gebieten. Loki war weg - ohne Abschied. Ohne eine Wort. Ohne irgendeine Botschaft. Das durfte doch nicht wahr sein… Sie trug noch seinen Geschmack auf den Lippen, das Gefühl seiner Hände auf ihrem Körper, wie auch die Empfindung seiner Größe zwischen ihren Beinen, als würde er sie noch immer bis zum Kern ihrer Seele ausfüllen…und er war weg. Natürlich ist er weg, du dumme Kuh. Was hast du erwartet? Dachtest du, ihr haltet euch noch ein bisschen im Arm und säuselt euch Liebesschwüre ins Ohr? Himmel, wie blöd bist du eigentlich? rügte sie ihr gnadenloser Verstand. Du weißt genau, dass Loki nicht gerade der Typ für unnütze Zärtlichkeiten und große Gefühle ist. Er hat bekommen, was er wollte und jetzt ist er abgehauen, wie Männer es eben tun. Wie beinahe jeder Kerl in deinem Leben, Gwen. Seine Frist ist abgelaufen und er hat seinen Arsch gerettet. Erinnerungen der Vergangenheit prasselten wie Hagelkörner schmerzhaft auf sie ein; Erinnerungen, in denen sie schon öfter vertraut hatte, um am Ende bitter enttäuscht zu werden. »Nein…« flüsterte sie zu sich selbst und schüttelte entschieden den Kopf; der Druck hinter ihrer Stirn war anstrengend und raubte ihr die Fähigkeit, klar zu denken. Sie stützte das Gesicht in die Hände und ließ sich schwer nach vorn fallen, um die Ellenbogen auf die angezogenen Knie zu stützen. So herzlos und berechnet war der Magier nicht, das konnte und wollte sie einfach nicht glauben. Natürlich war ihr klar, dass Loki und sie nun nicht in trauter Zweisamkeit durchs Leben tänzeln würden; sie hatte auch nicht unbedingt erwartet, dass er sie beim Aufwachen im Arm halten würde, aber dass er einfach so verschwand, damit hätte sie nie gerechnet. Es passte auch nicht zu ihm. Warum sollte er sie noch gefragt haben, ob sie mit ihm nach Asgard zurückkehren würde, wenn er jetzt einfach ohne sie ging? Er hatte ihr gesagt, dass sie mit ihm kommen würde, egal wohin er aufbrach; er konnte einfach nicht ohne sie verschwunden sein. Das würde keinen Sinn ergeben. Und Loki war nicht gerade für unlogisches Verhalten bekannt. Sie vertraute ihm - wollte ihm vertrauen; das konnte er doch nicht so schändlich ausgenutzt haben?! Komm, Gwen. Reiß dich zusammen. Es wird schon eine Erklärung dafür geben, beruhigte sie sich selbst. Nicht gleich die Nerven verlieren. Vielleicht ist er nur mal schnell frische Luft schnappen gegangen. Eine Zigarette rauchen, oder was? stichelte ihr Verstand. Man kann es sich auch schön reden. Ein eigenartiges Geräusch dran an ihr Ohr; ein dumpfes Zischen, als würde sich ein Vakuum plötzlich mit Luft füllen. Sie holte tief Luft und runzelte augenblicklich die Stirn, als ein seltsamer Geruch an ihre Nase drang; nicht wirklich seltsam, aber dennoch unerwartet in diesem Moment. Erneut schnupperte sie und entlockte ihrem Magen damit ein vernehmliches, langgezogenes Knurren. Roch es hier tatsächlich nach gebratenem Speck? Nach frischen Brötchen? »Ich sehe, du bist endlich aufgewacht. Und ich dachte schon, ich müsste auf die konventionelle Methode des kalten Wassers zurückgreifen, um dich aus dem Reich der beinahe Toten zurückzuholen….« erklang eine seidig spöttische Stimme und ließ Gwens Kopf damit herum schnellen, während ihr Herz einen befreiten Satz in ihrer Brust vollführte - diese Stimme hätte sie wohl stets wesentlich besser wecken können als jeder Eimer kaltes Wasser. Ihr gesamter Körper reagierte auf den Klang dieses einzigartigen Timbres, als wäre sie eine Stimmgabel, die nur für den Gott der Illusionen, Lügen und Täuschungen schwingen würde… Loki. Da stand er tatsächlich, gelassen im Türrahmen der Küche gelehnt und sah mit einer unverschämt gehobenen Braue zu ihr herüber. Er trug noch immer keine Schuhe, aber zumindest seine Lederhose, die sich wie eine zweite Haut an seine langen Beine schmiegte und viel mehr erahnen ließ, als ihr lieb war; seinen Oberkörper bedeckte eine lockere Tunika, die nicht geschnürt seine Brust und Bauch freiließ, unter welchen sich die schlanken Muskeln nun bewegten. Gwen beobachtete fasziniert das Spiel von perfekt definierten Sehnen auf seinen Unterarmen, die durch heraufgerollte Ärmel offenbart wurden, da er sich die eleganten Hände gerade an einem Geschirrtuch abwischte und dieses dann gleichgültig beiseite warf. »L-loki?!« stammelte Gwen irritiert, allerdings auch ungemein erleichtert, bis sie registrierte, dass sie komplett nackt vor ihm saß; hektisch angelte sie nach der Bettdecke und zog jene bis über ihre Brüste nach oben. Eigentlich völlig albern, denn der Magier hatte in der letzten Nacht gewiss genug von ihr gesehen. Wenn nicht sogar alles… Dieser Auffassung schien Loki auch zu sein, denn seine geschwungenen Brauen hoben sich nun kritisch in die Höhe, während er ihre Reaktion abschätzend betrachtete. Ein hauchfeines, belustigtes Schmunzeln glitt kurz um seine Lippen wie die Ahnung der Morgenröte hinter dem Horizont. »Ich muss dich enttäuschen, sonst ist leider immer noch niemand hier.« erwiderte er ironisch. »Du…du bist ja noch da?!« bemerkte sie ziemlich überflüssig. Irgendwie war die Situation äußerst seltsam; Gwen wusste nicht wirklich, wie sie jetzt mit Loki umgehen sollte. Nachdem sie sich gestern Abend so innig, so intensiv geliebt hatten und sie noch immer die Spuren dieser Nacht auf ihrer Haut und darunter trug, wirkte er völlig gefasst und so distanziert wie immer, sodass sie sich schon fragen musste, ob das alles vielleicht doch nur ein Traum gewesen war. Ein ziemlich gestaltlicher Traum zugegeben, der ihr verspannte Muskeln und eine genüssliche, sehr weibliche Befriedigung verschafft hatte… Lokis seidige Stimme wandelte sich in eisige Kälte; eine frostige Glätte, auf der man sehr schnell den Halt zu verlieren und auszurutschen drohte. »Wäre es dir lieber, ich wäre fort?« fragte er sie tonlos und richtete sich langsam auf; die Gelassenheit schwand und er wirkte augenblicklich verkrampft. Die hereinfallende Sonne streifte sein Gesicht und ließ die Schatten seiner Wangenknochen noch tiefer wirken; ein Funken von Verwundbarkeit zog durch seine Augen, durch die klaren, grünen Gletscher. Seine eh schon blasse Haut spannte sich, die Illusion von kostbarem Porzellan webend, was furchtbar schnell zerbrechen konnte, wenn man es unachtsam behandelte… »Was?! Nein! Natürlich nicht…« beeilte sie sich zu sagen und schüttelte bekräftigend den Kopf. »Ich…ich dachte nur…wegen deiner Frist…« stotterte sie hilflos und drückte die warme Bettdecke weiter gegen ihre Brust, weil ihr diese das trügerische Gefühl von Sicherheit vermittelte; eine Sicherheit, die sie im Umgang mit Loki heute nicht wirklich fand. Gestern Abend war alles so einfach, alles so logisch erschienen und heute dafür nur noch umso komplizierter. »Ich habe die Hütte mittels Magie verborgen. Es sollte eine Weile dauern, bis uns jemand findet.« erläuterte ihr der Prinz unterkühlt und wandte sich dann auf dem Absatz um. »Für ein Frühstück sollte also noch Zeit bleiben. Du musst gewiss halb verhungert sein. Komm.« wies er sie in seiner herrischen Art an und verschwand in der Küche. Gwen blinzelte die Stelle an, an der Loki eben noch gestanden hatte, bevor sie sich aus ihrer Lethargie riss, Shirt und Höschen vom Boden angelte und diese schnell überzog; trotz des Schnees draußen war es nicht wirklich kalt in der Hütte. Die Glut des verloschenen Feuers schwelte noch nach und verbreitete eine angenehm erträgliche Wärme; allerdings benötigte Gwen auch nicht mehr als die Erinnerung an letzte Nacht, um wieder völlig in Flammen zu stehen - ihre Wangen glühten und ein angenehm kribbelndes Gefühl zog ihre nackten Beine hinauf und machte diese weich. Liebe. Hatte sie diesen Gedanken tatsächlich in der Umarmung des Prinzen zugelassen? Gwen hob eine Hand und rieb über ihr Brustbein, über jene Stelle, unter der ihr Herz lag. Ja, sie hatte sich gestern Abend in einem Taumel aus Empfindungen und Verlangen, aus Sorge und Mitgefühl zu diesem Gedanken hinreißen lassen und irgendwo tief in sich drin wusste sie auch, dass dieser der Wahrheit entsprach. Sie hatte sich in Loki verliebt - und das machte ihr fast Angst, denn diese Erkenntnis erschien ihr jetzt im Licht des neuen Tages so groß und gewaltig, wie ein weiterer Felsbrocken, der unerwartet in ihr Leben gerollt war und dieses nun völlig durcheinander brachte. Gwen nahm dieses ungewohnte Gefühl in imaginäre Hände und betrachtete es von allen Seiten; gab es wahre Liebe tatsächlich oder war das nur eine Erfindung von jungen, naiven Mädchen, die auf den strahlenden Ritter in weißer Rüstung hofften, der sie aus ihrem schnöden Leben retten würde? War wahre Liebe eine Illusion - die verzweifelte, aber hoffnungslose Suche der Menschen nach einem passenden Gegenstück, einem Seelenverwandten, der das harte Leben erträglich machte? Fakt war, dass diese Empfindungen Loki gegenüber alles in den Schatten stellten, was Gwen bisher je für einen Mann gefühlt hatte. Doch durfte sie sich so vorbehaltlos diesem Gefühl hingeben? Denn - wie war es mit ihm? Was konnte ein Gott schon für einen Menschen empfinden? Was sah er in ihr? Bis sie das herausgefunden hatte, musste sie ihre Gefühle unbedingt verbergen und für sich behalten, so schwer das auch sein sollte. Gwen rutschte vorsichtig aus dem Bett und kraulte Angel im Vorbeigehen die weichen Ohren, was der Hund mit einem zufriedenen Laut quittierte, bevor sie zaghaft zur Küche hinüber tapste. Loki hatte mehr als Recht; sie hatte einen Bärenhunger. Ihre letzte Mahlzeit war auch schon fast einen Tag her und das Adrenalin der letzten Stunden hatte definitiv auch seinen Tribut gefordert. Gwen musste sich eingestehen, dass sie schon ein wenig mehr Freundlichkeit von dem Magier erhoffte hätte; sie hatte es nicht wirklich erwartet, aber zumindest gewünscht, dass nach letzter Nacht alles ein wenig einfacher sein könnte. Allerdings war Loki wohl der Ansicht, dass eine Nacht nichts ändern würde - vielleicht maß er der ganzen Sache auch eh weniger Bedeutung zu als sie selbst. Es war schwierig, unheimlich schwierig mit ihm - sollte sie jetzt so tun, als wäre das zwischen ihnen nie passiert oder würde gerade das Loki noch weiter von ihr wegtreiben wie ein loses Blatt auf den zitternden Wellen des Meeres? Sie würde wohl vorgehen müssen wie bisher - vorsichtig, behutsam und hoffen, dass ihr Loki etwas gab, womit sie seine Mauern wieder öffnen könnte; einen Schlüssel womöglich, der sie wissentlich und willkommen in seine Seele ließ. Gwen bog um die Ecke der Küche und erstarrte in der Tür; ihre Augen weiteten sich verblüfft, während sie ungläubig auf das Bild starrte, dass sich ihr bot. Angel war ihr nachgekommen und strich nun an ihren nackten Beinen vorbei, um dem köstlichen Duft zu folgen - vor ihr auf dem schmalen Tisch der winzigen Küche breitete sich ein Frühstücksbuffet aus, das wirklich keine Wünsche offen ließ und was sie eher in irgendeinem Hotel, als nun in dieser kleinen, spartanischen Hütte erwartet hätte. Tatsächlich hatte sie ihre Nase nicht getäuscht und gebratener Speck, Würstchen und Eier waren zu finden, Pfannkuchen mit Sirup, Brötchen, Marmelade, Wurst und Käse, duftender Kuchen, frischer Jogurt neben einer riesigen Platte mit aufgeschnittenem Obst; der Geruch von Kaffee schwebte zu ihr heran, der neben einer Flasche Milch und einer Karaffe Orangensaft förmlich auf sie zu warten schien. »Ähhhh…was…wie…wo kommt das denn alles her?!« Gwen deutete verdattert auf das gewaltige Angebot an Essen, während sie vorsichtig näher kam und sich kraftlos auf der Lehne eines Stuhles abstützte. Loki hatte bereits Platz genommen und die langen Beine lässig überschlagen, während er sich ohne Hemmungen seinen Teller bereits voll packte und dabei Angel nicht vergaß, dem er ein paar der Würstchen zuwarf. Der Hund schnappte das Fleisch noch im Flug und verschlang es hungrig. »Da diese Behausung eher geringe Möglichkeiten auf ein nahrhaftes und ausgewogenes Frühstück bot, fühlte ich mich berufen, ein wenig zu improvisieren.« erklärte ihr der Magier fast gelangweilt, bevor er auf den Stuhl neben sich zeigte. »Setz dich.« Improvisieren?! Himmel, wenn sie improvisierte kam selten so etwas absolut Großartiges dabei heraus… »Aber…wie?! H-hast du das alles selbst vorbereitet?« Gwen ließ sich auf den angewiesenen Stuhl fallen und stupste eines der noch warmen Brötchen an, um sich zu versichern, dass dies nicht nur eine absolut fantastische Illusion war. Ihr Magen meldete sich erneut mit einem lautstarken Knurren und ließ sie verschämt einen Arm über ihrem Bauch betten. Loki hob eine schmale Braue und tauchte seine helle Alabasterstirn damit in süffisante Falten. »Ich bitte dich. Küchenarbeit ist definitiv unter der Würde eines Prinzen.« Er goss sich seine Tasse bis zum Rand voll mit duftend schwarzem Kaffee; so viel also zu dem alleinigen Laster der Menschen. »Ich bin Magier. Ich weiß mir zu helfen und die Dinge zu mir zu bringen, die ich begehre…« raunte er in seine Kaffeetasse, bevor er einen Schluck davon nahm. Dieser Klang seiner Stimme, diese unterschwellige Anspielung, die Gwen offenbar darin hören wollte, jagte ihr einen angenehmen Schauder zwischen die Beine und ließ sie ihre Schenkel angestrengt zusammenpressen, bevor sie mit einem Räuspern nach einem Brötchen griff. »Ja…dann, ähm…danke.« murmelte sie halblaut und war augenblicklich froh, sich auf das Essen konzentrieren zu können. Wahrscheinlich würde jetzt irgendeine Pension oder ein namhaftes Hotel ohne Frühstücksbuffet auskommen müssen… Während Gwen sich ihr Brötchen schmierte, schielte sie immer wieder flüchtig zu Loki hinüber, der kaum mehr wirklich Notiz von ihr zu nehmen schien; seine Aufmerksamkeit war auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, sein Blick aus dem Fenster der kleinen Küche, das vom Frost der letzten Nacht und zauberhaften Eisblumen überzogen war, welche in der Morgensonne zaghaft glitzerten. Gleiches Eis schien sich auch wieder über die marmorgleiche Haut des Prinzen gelegt zu haben; über seine Augen, seine scharf begrenzten Züge, seine Aura - er wirkte nachdenklich mit seiner sanft gefurchten Stirn, doch dabei so weit von Gwen entfernt, dass sie beinahe die Befürchtung hatte, ihn nicht berühren zu können, wenn sie jetzt die Hand ausstrecken würde. Und dabei saß er kaum einen Schritt neben ihr… Obwohl es ihr förmlich auf der Zunge brannte, so hielt sie sich doch damit zurück, die Ereignisse des letzten Abends anzusprechen - Gwen hatte Loki niemals zuvor so verletzlich, so unkontrolliert und verzweifelt erlebt, innerlich gebrochen und gefangen in einem Netz aus Selbsthass; sie war sich einfach unschlüssig darüber, ob sie das Gespräch suchen sollte oder Loki womöglich recht froh wäre, wenn sie es nicht tat… Bei einem so stolzen Mann wie dem Magier musste man vorsichtig sein, wenn man ihn mit seinen Schwächen konfrontieren wollte; für ihn musste das eine nicht weniger schwierige Situation sein als für sie. Jetzt, im Licht der Morgensonne und der Gegenwart seiner eher menschlichen Form, fiel ihr erst auf, wie faszinierend sie seine Jotunengestalt wirklich empfunden hatte; Gwen verstand sein Unbehagen gegenüber dem Erbe seiner Geburt, doch so wie sie ihn jetzt ansah und keinen wirklichen Makel an ihm finden konnte, so war es ihr auch mit der Form des Eisriesen ergangen - er war Loki, egal, wie er aussah und jede seiner Gestalten gehörte zu ihm und hatte ihren ganz eigenen Zauber. Natürlich war auch Gwen vor den menschlichen Ansprüchen an Schönheit nicht gefeit und sie selbst konnte oft genug Dinge an sich finden, die sie fern ab des gängigen Schönheitsideales zeigten; sie war klein und ihr Körper von Natur aus einfach eher zierlich, daher war es auch nicht weit her mit beeindruckend weiblichen Rundungen. Sie besaß zwar Brüste, doch ließen die sich gut mit einem Wort umschreiben - überschaubar. Sie war nicht mit großen strahlenden Augen gesegnet wie Ashlyn und auch nicht mit einem überragend sinnlichen Mund oder perfektem, glänzendem Haar, aber als hässlich hätte sie sich wohl auch nicht bezeichnet. Und sie erkannte erneut die Wahrheit dahinter, dass dämliche Schönheitsideale neben ehrlichen Gefühlen einfach verblassten; mochten manche Asen Loki sicher nicht als gängigen Adonis oder perfekten Krieger betrachten - einen Eisriesen Monster schimpfen, weil sie es eben nicht besser wussten, so konnte Gwen das doch nicht nachvollziehen. Für sie war er perfekt, ganz gleich, welche Gestalt er trug. Sie hatte auch nichts Erschreckendes oder Abstoßendes an Lokis Jotunenform finden können, weil sie ihn inzwischen einfach besser kannte, ihn schätzen gelernt hatte und er in ihren Augen immer der Gleiche sein würde, egal, wie er aussah. Trotzdem hing die Nacht natürlich wie das klebrige Netz einer Spinne zwischen ihnen und machte die Stimmung seltsam angespannt, sodass Gwen fast schon verlegen auf ihren Teller starrte und unnötigerweise pedantisch den Käse auf ihrem Brötchen anrichtete, bevor sie ebenfalls nach dem Kaffee griff. »Wir werden doch heute noch nach Asgard aufbrechen, oder?« fragte sie dann frei heraus und entschied sich für ein wenig unverfängliches Thema zu Anfang; das Schweigen zwischen ihnen war unerträglich und wenn sie tatsächlich zusammen nach Asgard zurückkehren würden, so täte Gwen wohl gut daran, wieder eine halbwegs normale Basis zwischen ihnen aufzubauen. Immerhin konnte die letzte Nacht nicht für immer wie eine unüberwindbare Mauer zwischen ihnen stehen. Irgendwann würden sie darüber reden müssen, doch wahrscheinlich war es besser, wenn sie Loki den Zeitpunkt dafür wählen ließ; bis dahin würde sie einfach versuchen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Im Moment half da, dass sie sich hungrig auf das Essen stürzen konnte; ohne Scham lud sie eine riesige Portion Ei und Speck auf ihren Teller. Lokis Blick schwankte zu ihr herüber, während er ihr zuvorkommend Milch in ihren Kaffee goss; diese unerwartet fürsorgliche Geste ließ sie einen Augenblick stocken und ihn fast verblüfft ansehen. Er hatte sich tatsächlich gemerkt, wie sie ihren Kaffee mochte - es war natürlich armselig, doch schon diese kleine Geste zauberte ihr ein zaghaftes Lächeln auf die Lippen; bei Loki waren es wirklich die kleinen Dinge, auf die man achten musste. »Du hast dich also entschieden?« sprach er, mehr Feststellung als Frage. Doch seine grünen Augen fixierten sie forschend. Gwen nickte leicht und biss hungrig in ihr Brötchen, kaute dann sorgfältig, bevor sie ihm eine Antwort gab. »Ja, das habe ich. Ich glaube nicht, dass S.H.I.E.L.D mir hier noch helfen kann. Oder es wirklich würde. Für die bin ich nur ein Versuchskaninchen und das will ich ganz bestimmt nicht sein. Ich werde mit dir zurück nach Asgard gehen. Vorausgesetzt, man wird mich dort erneut dulden…vielleicht hab ich mich bei meinem Abgang doch etwas im Ton vergriffen…« räumte sie unsicher ein. Immerhin hatte sie einen Prinzen geohrfeigt und auch Thor und Frigga nicht gerade freundlich betitelt, als die sie noch davon hatten abhalten wollten, auf die Erde zurückzukehren. »Der Allvater hat Wert auf deine Unversehrtheit gelegt und Frigga erachtet dich immer noch als durchaus wichtig. Man wird dich gewiss erneut willkommen heißen.« beruhigte sie Loki in abgeklärtem Tonfall und schob Angel noch ein paar gute Bissen zu, der seinen schwarz-weißen Kopf auf dem Schoß des Magiers gebettet hatte und sie beide aus seinen frostblauen Augen ansah. »Allerdings ist dir hoffentlich klar, dass sich dein Leben damit entscheidend ändern könnte. Vielleicht wirst du nicht so einfach nach Midgard zurückkehren können...« Loki wandte sich ihr wieder zu und sondierte sich nebenbei ein stück Kuchen aus dem Berg an Köstlichkeiten. Gwen schluckte trocken, bevor sie an ihrem Kaffee nippte, dann nickte sie fest. »Das ist mir natürlich klar. Es hat sich ohnehin schon genug geändert. Ich will jetzt nur noch eins. Nämlich endlich die Wahrheit wissen.« Sie hielt kurz inne und betrachtete die Kaffeetasse, die sie zwischen den Händen wog. »Ich muss einfach wissen, wo ich herkomme…« »Bist du bereit, für dieses Wissen alles hier aufzugeben? Deine Familie? Deine Freunde? Dein gewohntes Leben?« Seine Fragen hagelten wie Pfeilspitzen auf sie herab und Gwen war sich augenblicklich gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich nur noch um die Wahrheit ihrer Herkunft ging; Lokis Blick war bohrend, das Grün seiner Augen verzehrend in seiner Intensivität. Unbewusst sank sie unter der Präsenz seiner Nähe etwas in sich zusammen. Gwen schluckte erneut hart unter seinem stechenden Fokus, dann nickte sie zaghaft. Sie hatte natürlich auch über diesen Fall nachgedacht, dass sie womöglich nicht zurückkehren könnte - wenn ihre Wurzeln tatsächlich in Asgard liegen sollten, dann würde sie der Allvater sicher nicht so einfach wieder ziehen lassen. Aber darüber konnte sie sich weiter Gedanken machen, wenn es wirklich so weit war; sie sollte sich nicht vorher mit dieser beklemmenden Möglichkeit belasten. »Ja, dafür bin ich bereit.« Sie stellte ihren Kaffee beiseite und griff nach ihrer Gabel. »Allerdings hast du ja selbst gesagt, dass ich unbestreitbar ein Mensch und sterblich bin, also ist die Chance wohl eher gering, dass dieser Fall eintritt, ich für immer in Asgard bleiben und du mich ertragen musst, nicht wahr?!…« bemerkte sie dann mit einem schiefen Grinsen im Versuch eines Witzes und war selbst erstaunt über diese beklemmende Enttäuschung, die in ihrer Brust bei den eigenen Worten entstand. Eigentlich…wäre es doch gar nicht so schlimm, unsterblich zu sein…zumindest ein bisschen, um in Lokis Nähe bleiben zu können… Gwen bemerkte verwundert, dass sich der Prinz neben ihr versteift hatte; seine schlanke Hand krümmte sich so angespannt um seine Kaffeetasse, dass sie augenblicklich Angst hatte, er würde diese zerbrechen. Sein Mund formte eine schmallippige Linie, als müsste er bittere Worte zurückhalten, welche seine starren Züge verformten. »Wahrlich, welch Glück für dich. Die Ewigkeit in Asgard wäre sicher auch kaum auszuhalten, noch dazu in Gegenwart eines verurteilten Eisriesen. Ich kann dich verstehen.« bemerkte er dann in unterkühlter Süffisanz und wenn diese seltsamen Emotionen in seinen Augen nicht gewesen wären, hätte Gwen ihm diese Gleichgültigkeit wirklich abgekauft. Er verdrehte ihr die Worte im Mund. Sie hatte das als Scherz gemeint, um die Stimmung ein wenig aufzulockern, doch anscheinend hatte Loki dies völlig falsch verstanden. Offenbar musste sie wirklich an ihrem Humor feilen… Dachte er nach letzter Nacht tatsächlich, sie wäre froh, wenn sich ihre Wege trennen würden? Natürlich muss er das denken, du dumme Kuh, meldete sich ihr Verstand hämisch zu Wort. Immerhin hast du ihm nie das Gegenteil gesagt. Wie sollte sie ihm auch das Gegenteil sagen, wenn sie immer Angst haben musste, dass er dann Hals über Kopf flüchten würde?! Gwen wollte versuchen die Situation zu retten und streckte eine Hand zu dem Magier aus, um die Finger auf dessen Unterarm zu betten. »Loki, du hast das falsch verstanden. Ich meinte nicht-« Er unterbrach sie, entzog sich ihren Fingern, indem er sich zur Seite beugte und die Karaffe mit Orangensaft zu sich heranzog. »Wir werden als erstes Heimdall befragen müssen.« sprach er dann einfach, als hätte er sie gar nicht gehört, oder als wäre es ihm schlicht egal, was sie hatte sagen wollen. Er goss sich Saft in ein Glas und nutzte diese Tätigkeit, um seine Augen vor ihr zu verbergen. »Er muss etwas wissen, was er verschwiegen hat.« erklärte er mit der Emotion eines Felsens. Gwens Hand schwebte noch einen Augenblick schwerelos in der Luft, bevor sie die Finger krümmte und zu sich zurückzog. Befangen kaute sie auf ihrer Unterlippe und wandte sich verdrossen wieder ihrem Teller zu. Schön, dann eben nicht… Himmel, das war furchtbar. Gwen hatte das unbestreitbare Gefühl, dass diese Nacht zwischen ihnen nur alles noch schlimmer gemacht hatte; als würde Loki sich nun Mühe geben, die Mauern um sich nur noch höher und fester zu errichten. Wo war nur der Mann hin, der sie gestern so sanft gehalten, so rücksichtsvoll mit ihr umgegangen war; der Mann, der sie so leidenschaftlich geküsst und berührt hatte, dessen heiserer Atem ihr Ohr wie seine zarten Worte gestreift hatte? Gwen fiel es schwer, den Loki von gestern mit jenem Gott in Einklang zu bringen, der nun neben ihr saß. Angestrengt schob sie das Rührei über ihren Teller und verbot sich vehement ein schweres Seufzen, obwohl sie innerlich mehr als ratlos und verzweifelt war. Sie wusste einfach nicht, was sie falsch machte. Vielleicht hätte sie wirklich nicht mit Loki schlafen sollen, dann hätte sie seiner Art jetzt wesentlich mehr Selbstbewusstsein entgegenbringen können und müsste nicht mit dieser lächerlichen Enttäuschung kämpfen, die wie bittere Magensäure ihre Kehle erklomm. »Denkst du wirklich, Heimdall hat etwas verschwiegen? Er wirkte auf mich eigentlich nie wie ein Lügner. Vielleicht weiß er ja wirklich nichts darüber.« wagte Gwen dann einzuwerfen und war froh, dass sie ihre Gedanken damit von diesen gierigen Parasiten namens Zweifel ablenken konnte, die an ihrem Herz nagten. Wahrscheinlich war es besser, wenn sie sich gar nicht erst auf eine absurde Diskussion einließ; Loki wirkte bedrohlich angespannt und sie fürchtete sich vor seinen scharfen Worten, die in ihrem momentanen Zustand ihr innerstes zerfetzen würden wie dünnes Papier. »Schon vor Odins Herrschaft war Heimdall Wächter über den Bifröst. Er diente bereits unter König Bor. Er verlässt seinen Posten beinahe nie, bis auf die wenigen Ausnahmen der Vergangenheit und seine Augen und Ohren sehen und hören fast alles. Er muss den Bifröst aktiviert haben, als du nach Midgard geschickt wurdest und das wahrscheinlich ohne Kenntnis des Allvaters, denn Odin wusste genauso wenig über dich wie wir alle.« resümierte Loki und schob Angel ein weiteres Stück Fleisch zu. Der Hund hatte sich inzwischen zu seinen nackten Füßen gebettet, sein Schwanz glitt träge über den Küchenboden. »Heimdall soll das hinter Odins Rücken bewerkstelligt haben? Das kann ich mir fast nicht vorstellen. Was sollte er davon haben?« hinterfragte Gwen irritiert und kräuselte die Stirn, während sie die Krümel auf ihrem Teller mit dem Finger zusammenschob. Der Wächter hatte auf sie immer einen äußerst loyalen und ehrbaren Eindruck gemacht. Solch ein Verrat passte definitiv nicht ins Bild. »Nun, um zu erfahren, was ihn dazu antrieb, werden wir ihn wohl persönlich sprechen müssen.« Loki packte sich ein weiteres Stück Kuchen auf den Teller, hielt dann jedoch in seinen Bewegungen inne und seine Mundwinkel zogen sich verzerrt in die Höhe; er bleckte die Zähne unter einem schmerzlichen Knurren, zog die Luft scharf ein und presste sich eine Hand auf die Stelle seiner verwundeten Schulter. Gwen stellte sofort ihre Tasse beiseite und wandte sich ihm zu, bettete eine Hand vorsichtig auf seinem Oberarm. Mitfühlend sah sie ihn an, Sorge erwachte in ihr. Obwohl die Wunde gestern schon fast verheilt ausgesehen hatte, war offenbar doch noch nicht alles ausgestanden. »Tut es noch immer weh?« fragte sie sanft. Lokis Reaktion überrumpelte sie komplett; er sprang von seinem Stuhl auf und entriss sich ihr förmlich, bevor er mit glimmenden Augen auf sie herabstarrte, die dunklen Haare ein ungeordneter Vorhang, der ihm ins Gesicht gefallen war. »Ich bin ein Gott! Begreif endlich, dass ich dein Mitleid und deine Berührung nicht brauche, Mensch! Wie kannst du dir anmaßen, mich ständig zu einem wimmernden Welpen zu degradieren?! Ich brauche keine Hilfe! Das habe ich nie.« zischte er vernichtend und schleuderte ihr jedes Wort mit der Heftigkeit einer Ohrfeige ins Gesicht. Angel hob alarmiert den Kopf vom Boden und fixierte den Gott mit einem warnenden Grollen. Gwen zuckte getroffen zurück und tat hastig einen zittrigen Atemzug, dann stand sie fast fluchtartig von ihrem Stuhl auf und stieß dabei ihre Kaffeetasse an, welche ihren halben Inhalt in einem Schwall über dem Tisch verteilte. Das Gefühl zu ersticken war beinahe übermächtig; ihre Finger schlossen sich um ihre Kehle, während sich Wut und Enttäuschung in ihrem Bauch zu einer flammenden Kugel ballten. »Schön, bitte. Wie du willst, Eure Rücksichtslosigkeit. Dann…dann leide eben, du dämlicher Idiot…« erwiderte sie verächtlich, bevor sie sich abwandte und eilig den Weg ins Bad suchte. Ihre nackten Füße waren die einzigen Geräusche in der plötzlich totenstillen Hütte; leises Platschen auf dem polierten Holz nebst dem Tropfen ihrer Tränen. Loki stieß die Luft in einem schweren Seufzen aus und schob sich das wirre Haar wieder nach hinten, während er der Sterblichen nachsah, die eilig im Bad verschwand. Die Tür fiel mit einem Krachen hinter ihr ins Schloss. Immer schon war er so stolz auf seine Silberzunge gewesen und nun machte diese einfach, was sie wollte - spie Worte aus, die so unüberlegt gar nicht zu ihm passten. Der Magier hatte sich stets für einen Mann gehalten, der zuerst nachdachte und dann sprach; eine Eigenschaft, die ihn immer schon deutlich von Thor unterschieden hatte. Doch die Menschenfrau brachte alles durcheinander. Gwendolyn brachte ihn durcheinander. Irgendwann musste er verlernt haben, mit ehrlicher, aufrichtiger Sorge und Aufmerksamkeit umgehen zu können; war er wirklich so hart und gefühlskalt geworden, dass alles an ihm abprallen wollte wie Regen von einem schützenden Dach? Dieser Zustand war ihm lange Zeit als äußerst erstrebenswert erschienen, doch jetzt fühlte es sich nur noch seltsam leer und befremdlich an, eine Grenze um sich gezogen zu haben, die andere ausschloss. Der Gott stützte das Haupt flüchtig in einer Hand und stieß ein trockenes, bitteres Lachen aus, dann fegte er seinen Teller mit einer herrischen Bewegung vom Tisch. Das Porzellan zerbrach klirrend auf dem Boden und ließ den Hund erneut den Kopf heben; Angel betrachtete ihn mit schräggelegtem Kopf aus klugen Augen, dann trottete selbst Fenrir davon, als könnte es eigentlich niemand in Lokis Gegenwart länger als ein paar Augenblicke aushalten, als wäre er es nicht wert - und diesmal hatte er es selbst verdorben und trug alleinige Schuld daran. Diesmal konnte er nicht Thors ungestümes Wesen oder Odins Ungerechtigkeit vorschieben. Loki hatte alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Er hatte das einzige Geschöpf außerhalb seiner Familie vertrieben, dessen Anwesenheit er ohne große Kopfschmerzen ertragen konnte und dessen Nähe wie Balsam für seine aufgeraute Psyche war; in Gwendolyns Gegenwart kamen seine Gedanken zur Ruhe und die listigen Stimmen in seinem Kopf verstummten. Sie hatte ihn gestern Abend zusammengehalten, als er zu zerbrechen gedroht hatte. Sie war dagewesen, als niemand sonst sich um sein Leid geschert hatte. Sie hatte ihn ohne Scheu berührt, ohne Hemmungen, ohne nachzudenken; ihre Berührungen hatten die ersten, zerrissenen Stücke seiner Seele wieder zusammengefügt und ihn glauben lassen, dass es tatsächlich möglich war - dass auch er Frieden mit sich selbst finden könnte. Und er benahm sich wie ein Schwachkopf ihr gegenüber; wie das Monster, das gerade sie nicht ihn ihm sehen sollte, nur weil er seine dämlichen Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Gerade Gwendolyn sollte ihn nicht fürchten. Nun, das ist dir ja hervorragend gelungen, du Ausgeburt an Intelligenz, zog ihn sein Verstand spöttisch auf, der erschreckende Ähnlichkeit mit Odins Stimme aufwies. Du führst dich schon auf wie dein hirnloser Bruder. Erst zuschlagen, dann nachfragen. Wahrlich, eine Meisterleistung, Eure Hoheit. Mit einem unzufriedenen Laut warf der Magier den gut gefüllten Tisch um; Teller, Platten und Karaffen zerschellten donnernd am Boden, Obst und Brötchen rollten wirr durcheinander, ein chaotisches Schauspiel an Farben, Formen und Geräuschen. Die Milch breitete sich wie ein reiner, weißer See über dem Holz aus, bevor die dunkle Flüssigkeit des Kaffees ihn verdarb und zu schlammigem Braun färbte. Loki kam die Ähnlichkeit zu Thors Krönungstag in den Sinn; der Donnergott hatte ebenfalls enttäuscht seine Festtafel umgeworfen, zornig über den Verlauf der Zeremonie, welche sein größter Triumph hätte sein sollen. Der Magier betrachtete seine Hände; ganz normale, blasse Hände, die ihm vertraut waren - nicht die kräftigen von Thor oder die blauen eines Eisriesen. In diesem Augenblick war er nur er selbst und nichts und niemand konnte ihm die Last seiner Taten abnehmen. Niemand würde das jemals können… Albern war es, doch Loki hätte in diesem Augenblick die Gegenwart seines Bruders begrüßt, als er sich kraftlos auf seinen Stuhl sinken ließ und das Gesicht hinter schlanken Fingern verbarg; Thor hatte wesentlich mehr Erfahrung mit Frauen und ihren Gefühlen und womöglich hätte Loki nun durchaus in Betracht gezogen, Rat bei dem Donnergott zu suchen - bei einem Bruder, der in solchen Momenten eine Stütze sein sollte. So unerfahren Thor in Magie war, so unwissend war der Magier in Bezug auf die Gedanken und Bedürfnisse einer Frau; er fühlte sich hilflos und armselig, weil er diesem Problem nicht mit Logik begegnen konnte. Doch das innere Seelenleben folgte eben selten der Vernunft. Was war nur mit ihm los, dass ihn die kleine Menschenfrau so aus dem Konzept brachte? Gwendolyn rührte Punkte in ihm an, die zuvor niemals benutzt oder benötigt wurden waren und dementsprechend unsicher war er im Umgang mit ihr geworden - und die letzte Nacht hatte das nicht gerade besser gemacht. Gwen hatte ihn in einem ungleich verwundbaren Moment erlebt, doch statt sich daran zu ergötzen hatte sie ihn mit ihren sanften Händen berührt, ihn gehalten und um ein Stück weit von der eigenen Abscheu geheilt - sie machte ihn wertvoll, besonders und einzigartig. So lange, so beständig hatte er sein ganzes Leben über Stolz, Erhabenheit und Arroganz definiert; war kalt geworden, frostig fast wie das Erbe in seinen Adern - kalt, aber beherrscht, logisch und strukturiert. Selten hatte er sich mit den eigenen Empfindungen aufeinandergesetzt, wenn sie seinen Zielen nicht zuträglich waren - noch seltener hatte er schwach und verletzlich vor anderen erscheinen wollen und nun war ihm all das in nur einer Nacht widerfahren. Für den Magier war es furchtbar ungewohnt, einen anderen so tief in das eigene Seelenleben vordringen zu lassen. Noch dazu einen Menschen - eine Sterbliche! Loki legte den Kopf mit einem erstickt humorlosen Lachen in den Nacken und starrte an die hölzerne Decke über sich, während sich der See aus Kaffee und Milch um seine Füße ausbreitete, seine Zehen umspielte wie die sanfte Meeresbrandung den Sand des Ufers. Welch schäbige Ironie des Schicksals, dass nun gerade eines jener Wesen seine Heilung bedeuten könnte, welche er vor nicht all zu langer Zeit unter seine Herrschaft hatte zwingen wollen. Gerade von Gwendolyn hatte er eigentlich gar nichts zu erwarten und doch war sie zu seinem Anker im Tosen der Nacht geworden; in einem Sturm, der nur in seinem Inneren tobte und seine Seele aufs Neue zu zerfetzen gedroht hatte. Sie hatte ihn angesehen wie einen Mann und nicht wie das Monster, für das er sich selbst hielt und obwohl er sich vor dieser Wärme hatte zurückziehen wollen, nach der sein innerstes so verzweifelt begehrte, war ihm sein Körper doch vehement in den Rücken gefallen und hatte ihn die kostbare Kontrolle einbüßen lassen. Loki hatte die Sterbliche wirklich begehrt, oh, und wie er das hatte. Und er musste erkennen, dass er es immer noch tat, selbst jetzt nachdem sie diese eine Nacht miteinander geteilt hatten. Er fühlte sich nicht befriedigt, sondern wie ein hungriger Wolf, in dem man mit einem kargen Bissen erst den wahren Hunger geweckt hatte. Der Magier hatte tatsächlich einen lächerlichen Moment lang geglaubt, dass sein Verlangen nun gestillt sein würde, dass seine Neugier und Faszination auf eine körperliche Vereinigung nun schwinden würde, doch eher das Gegenteil war passiert; er hatte Gwendolyn bereits schon wieder nehmen wollen, als sie in diesem schäbigen, weiten Shirt, welches kaum ihre Rundungen verdeckte, in der Küchentür aufgetaucht war. Er verzehrte sich nach ihrer Berührung, danach, dieses einzigartige Leuchten in ihren Augen zu sehen, wenn sie ihn schwer atmend fokussierte und ihre Körper eins waren; verzehrte sich nach dem wimmernden Seufzen seines Namens von ihren Lippen, nach dem Gefühl von Erhabenheit unter ihren Händen. Loki hatte jetzt genau zwei Möglichkeiten… Er konnte sich weiter in seinen unnützen Zweifeln verstricken und die Frau damit wahrscheinlich endgültig von sich stoßen oder aber er begann für seine Fehler gerade zu stehen und diese anzuerkennen, bevor ihm wieder alles, was ihm lieb und teuer war, wie altes Pergament unter den Fingern zerfiel, nur weil ihm sein Stolz als zu wichtig erschien… Der Magier ließ seinen Kopf zurückfallen und fixierte die Tür des Badezimmers durch die Hütte hinweg, bevor er sich entschlossen erhob und mit einigen, großen Schritten über das Chaos in der Küche stieg; mit einem lapidaren Wink seiner Hand richtete sich der Tisch hinter ihm in einem magischen Säuseln wieder auf und die Unordnung sortierte sich durch Geisterhand zurück. Seine Unbeherrschtheit sollte immerhin kein Grund sein, gute Lebensmittel zu verschwenden. Fenrir beobachtete ihn kritisch und wachsam, als der Gott, feuchte Fußabdrücke auf dem Boden hinterlassend, durch die Hütte schritt und vor der Tür des Badezimmers stehen blieb; dahinter war das monotone Rauschen der Dusche zu vernehmen. Loki kreuzte den Blick des Hundes, der wieder neben dem Kamin Stellung bezogen hatte, unbeirrt und versichernd, bevor er die Klinke der Tür sachte herabdrückte und sich leise in den Raum schob. Drinnen empfing ihn schwerer, feuchter Dunst und das Prasseln von Wasser auf kühlen Fliesen; der Magier zog die Tür hinter sich vorsichtig wieder zu und stahl sich auf leisen, geschmeidigen Sohlen an die Menschenfrau heran, die mit dem Rücken zu ihm unter der Dusche stand und seine Anwesenheit nicht zu bemerken schien. Ihre Kleider lagen achtlos zu seinen Füßen. Wie ein Raubtier pirschte er sich an seine Beute; die Sterbliche hatte die Stirn an den kühlen Fliesen vor sich gebettet und die Hände neben sich an der Wand abgestützt - durch das Plätschern des Wassers vernahm er, dass sie irgendetwas vor sich hinmurmelte, ohne das er die Worte aus dem Rauschen gefiltert hätte. Zu fasziniert war er von den glänzenden Wassertropfen, die tosend auf ihr Haupt und ihre Schultern trafen, von dort wie glitzernde Meteoriten in die Umgebung sprengten, bevor sich das Wasser seinen feuchten Weg über ihre Wirbelsäule hinab in die Spalte ihres Pos suchte. Loki ließ sich tatsächlich von diesem Anblick fesseln und neigte den Kopf leicht, um diese delikate Aussicht von allen Seiten zu betrachten, während er sich unbewusst die Lippen leckte; ein dumpfes Geräusch forderte seine Aufmerksamkeit - Gwendolyn hatte eine ihrer kleinen Fäuste gegen die Wand geschlagen und fauchte unverständliche Worte vor sich hin. Offenbar war sie ziemlich wütend und enttäuscht und er konnte es ihr in diesem Augenblick auch schwer verdenken… Der Magier trat zu ihr heran, stieg in die ebenerdige Dusche und achtete recht wenig darauf, dass das warme Wasser augenblicklich seine Kleider durchtränkte und ihm die Haare am Kopf kleben ließ; unvermittelt schlang er einen Arm um die Sterbliche und zog sie an sich, während er gleichzeitig ihre Faust davon abhielt, erneut gegen die Fliesen zu hämmern, indem er seine langen Finger um ihre Hand schlang. Gwendolyn zuckte entsetzt zusammen und keuchte ein verblüfftes: »Oh Gott…Loki?!«, bevor sie sich schon in seiner Umklammerung umzudrehen versuchte. »W-was machst du denn hier?! Du hast mich erschreckt…« Doch der Magier hielt sie bestimmt an sich gedrückt, bettete den Kopf auf ihrer nassen Schulter und genoss das Kitzeln ihres nassen Haares an seiner Wange. »Pssst…« raunte er gegen ihr Ohr und das träge Plätschern der Dusche. »Nicht reden. Bleib genau so.« Gwendolyn musste die Eindringlichkeit seiner Stimme erkannt haben, denn augenblicklich hörte sie auf, sich gegen seinen Griff zu stemmen und wurde still in seinem Arm. Loki ließ ihre Hand los und glitt mit nassen Fingerspitzen ihren Arm hinauf, beobachtete fasziniert, wie sich Gänsehaut über ihren Unterarm unter seiner Berührung ausbreitete. Ihm würde es wahrscheinlich leichter fallen, das Folgende auszusprechen, wenn sie ihn nicht ansehen konnte; es war so schon schwer genug, diese Worte zu formulieren und damit einige Masken fallen zu lassen. »Ich muss dich in aller Form für mein rüdes Benehmen um Verzeihung bitten, Gwendolyn Lewis.« begann er rau und bemerkte gar nicht, wie seine Fingerkuppen träge und geistesabwesend über die feuchte Bauchdecke der Sterblichen fuhren. »Ich habe definitiv meine Grenzen überschritten und einen Ton gebraucht, der deiner nicht angemessen war.« wisperte er bestimmt gegen ihr Ohr und schob seine Nase damit unbeabsichtigt in die feuchten Strähnen. »Außerdem habe ich es auch nicht so gemeint. Ich fürchte, ich muss mich erst daran gewöhnen und lernen, nicht hinter jedem Wort und jeder Berührung Spott oder Häme zu sehen.« »Loki-« wollte sie erneut ansetzen, doch der Magier unterbrach sie abermals, indem er den Kopf schüttelte und ihren Arm losließ, um die Hand sanft über ihrem nassen Mund zu betten. Die Sterbliche versteifte sich leicht und ihr beschleunigter Atem streifte seinen feuchten Handrücken, doch sie wehrte sich nicht, sondern ließ sich ergeben gegen ihn sinken. »Ich bin noch nicht fertig.« erklärte er ernst und bemerkte mit verstohlener Freude, dass ihre kleinen, köstlichen Brüste sich unter raschen Atemzügen hoben und senkten; ihre Hand fand seine Finger über ihrem Leib und legte sich dort nieder, bevor sie neugierig und fast begehrlich ihre Fingerspitzen über die angespannten Muskeln seines Unterarmes streifen ließ. Gebannt beobachtete er die vorwitzigen Wassertropfen, welche an ihren Brustwarzen hängen blieben und dort verführerisch glitzerten, bevor diese sich lösten und dem hellen Schweif eines Kometen gleich zu Boden fielen; in Gegenwart der nackten Sterblichen wollte sich sein Verstand erschreckend schnell verabschieden und einem düsteren Verlangen Platz machen - eine Besitzgier, die sich überraschenderweise nur auf die Frau vor sich beschränkte. »Du hast gestern Abend etwas unvergleichliches für mich getan, Gwendolyn…« setzte er erneut an. Seine eigene Stimme klang seltsam belegt und fremd in seinen Ohren; holprig und nicht so glatt wie gewohnt. Die Silberzunge wurde schwer unter dem Vorhaben, Dank zu formulieren. »Du bist nicht zurückgewichen, als ich es erwartet hätte. Du bist geblieben, als ich schwach und angreifbar war, hast dich nicht um mein Aussehen oder meine Herkunft geschert und diese Schwäche ausgenutzt, wie es wahrscheinlich viele getan hätten. Du hast nicht das Monster in mir gesehen, von dem die Asen ihren Kindern Schaugeschichten erzählten. Du hast mich nicht wie einen Ausgestoßenen behandelt, dich um meine Wunden gekümmert und mir deine Fürsorge zukommen lassen. Dafür danke ich dir...« endete er rau, unsicher, wie ihre Reaktion wohl ausfallen würde. Loki lockerte die Umklammerung ihrer zarten Gestalt und bettete die Hände nun auf ihren schmalen Schultern, verrieb die glänzenden Wassertropfen dort und hauchte dann gegen ihr Ohr: »Kannst du einem Eisriesen seine unbedachten Worte vergeben? Räumst du mir die Gelegenheit ein, es wieder gut zu machen…?« Unter seiner lockenden, weichen Stimme erschauderte ihre zarte Gestalt, vielleicht auch unter seinen Lippen, die sich völlig selbstständig auf die nachgiebige Haut ihrer Halsbeuge senkten. Wahrlich, Loki war nie sonderlich gut darin gewesen, um Vergebung zu bitten oder darin, den Wert anderer Geschöpfe zu schätzen, die seiner Auffassung nach unter ihm standen - allerdings war er schon immer lernfähig und mit einer raschen Auffassungsgabe gesegnet und er wusste, dass die kleine Sterbliche eine Schwäche für ihn hegte, die er ohne Bedenken einsetzen würde, um sie bei sich behalten zu können. Er wollte sie besitzen. Sanft schob er ihr nasses Haar beiseite und registrierte unter einem durchtriebenen Schmunzeln, wie Gwendolyn sofort ihren Hals instinktiv neigte, um seine Lippen zu locken; er ergab sich der Verlockung willig und fuhr mit dem Mund die feuchten Spuren des Wassers nach, tauchte seine Zunge in das warme Nass und trank es von ihrer Haut. Die Sterbliche gab ein erstickt verdrossenes Geräusch von sich, bevor sie zu ihm herumwirbelte und ihm die kleinen Hände auf die nackte Brust presste, um ihn auf Abstand zu halten; die Wassertropfen auf ihren Brüsten erzitterten unter tiefen Atemzügen und sie hatte das Haupt gesenkt, sodass die nassen, roten Haare einen Großteil ihrer Züge vor ihm verbargen. Fast bewunderte er ihre Standhaftigkeit. Sie war nicht sogleich unter seinen Berührungen eingeknickt, wobei er ihre Erregung fast riechen, beinahe auf der Zunge schmecken konnte; ihre Wut schien unter seinen Worten verraucht zu sein, was sie offenbar zu ärgern schien. Es wäre gewiss ein leichtes gewesen, ihren schwachen Widerstand zu durchbrechen und sich das zu nehmen, wonach sein Körper erneut dürstete wie ein verlorener Wanderer in der Wüste nach Wasser - doch sein Respekt vor ihr hielt den Magier auf, obwohl er durchaus Unbehagen verspürte, dass sie ihm womöglich nicht vergeben würde… Gwendolyn seufzte schwer. »Loki, hör mal…« begann sie dann zaghaft, aber bestimmt. Ihr Blick hob sich und ihre hellen Augen funkelten ihm unter dem Durcheinander der roten Flut ihrer Haare entgegen. »Zu allererst muss ich dir sagen, dass ich es furchtbar finde, dass du offenbar in der Annahme lebst, dich für gestern Abend, meine Hilfe und Reaktion dir gegenüber bedanken zu müssen…« Sie hielt kurz inne und sah zur Seite, während sie sich fast unschlüssig auf der Unterlippe kaute, dann hob sie eine Hand zu seiner Wange und berührte ihn nach einem kurzen Zögern erneut so zart, dass etwas in ihm zerbrach; ein Nachhall wie klirrende Kettenglieder stob durch seine Knochen. »Das war selbstverständlich, Loki. Ich wüsste nicht, warum ich dich hätte fürchten sollen. Niemand sollte sich selbst für seine Herkunft verurteilen müssen. Du bist Loki, egal in welcher Gestalt und nicht dein Aussehen bestimmt, wer du bist, sondern dein Handeln.« Selbstverständlich. Schon wieder dieses Wort - die Sterblichen waren oft so albern selbstlos, so freigiebig in ihren Gefühlen; etwas, was Loki noch nie wirklich verstanden hatte. Folgte nicht erst auf Leistung auch ein Verdienst? Musste man sich Ansehen, Zugehörigkeit und Liebe nicht durch harte Arbeit erwerben? Konnte man nicht erst Achtung erwarten, wenn man sich derer verdient gemacht hatte? Der Magier hatte stets nach diesem Grundsatz gelebt und sich jedes Fünkchen Anerkennung und Freundlichkeit von seitens Odin hart erkämpft; scheinbar war ihm nie etwas zugeflogen, doch musste er jetzt erkennen, dass auch er schon Selbstverständlichkeit erfahren hatte - die Natürlichkeit der Liebe einer Mutter. Er war nur immer zu blind gewesen, es zu sehen; hatte diese guten Dinge verdrängen lassen durch Neid, Missgunst und Bitterkeit. »Und zweitens…« Gwendolyn holte tief Luft und registrierte mit einem fast schockierten Blinzeln, dass sich ihre verbliebene Hand auf seiner Brust selbstständig gemacht hatte und ihre Finger unter den nassen Stoff seiner Tunika geglitten waren. Sogleich zog sie ihre Hände von ihm zurück und schlang die Arme um sich selbst, als wollte sie ihre Finger so krampfhaft bei sich behalten. »…d-du kannst nicht immer erwarten, dass du nur mit deinen Küssen…und…und deinem Körper kommen brauchst, wenn du etwas verbockt hast und ich verliere den Verstand. Weißt du, so einfach ist das nicht…auch nicht für einen Gott…auf Midgard laufen die Dinge ein bisschen anders. S-sex ist kein Mittel zum Zweck!« wies sie ihn nicht halb so energisch zurecht, wie sie es wahrscheinlich beabsichtigt hatte. Obwohl sie ihm einen Zeigefinger mahnend vor die Nase hielt, glitten ihre Augen über seine entblößte Brust und blieben an der durchweichten Hose hängen, unter deren Material sich seine erwachte Erregung deutlich abzeichnete. Loki machte sich auch gar nicht die Mühe, seine Begierde zu verbergen und schob sich einen gleitenden Schritt auf Gwen zu. Sie leckte sich die Lippen und schüttelte dann vehement den Kopf, um sich von diesem Anblick loszureißen, bevor ihre Handflächen schon wieder auf seine Brust trafen in dem eher kläglichen Versuch, ihn auf Abstand zu halten. Sie wollte sich also unbedingt gegen etwas wehren, wonach ihr Körper doch eh schon verlangte. »Nicht…?!« Er zog eine Braue zweifelnd in die Höhe und ließ die Hände dann so untermittelt gegen die Fliesen neben ihrem Kopf krachen, dass sie erschrocken zurückzuckte und mit großen Augen zu ihm aufsah; sein Körper schmiegte sich gegen den ihren. Lauernd beugte er sich nach vorn, nah vor ihre Lippen, die sie erwartungsfroh öffnete, was ihm ein selbstsicheres Grinsen entlockte. »Und ich dachte, du würdest meine Zuwendung begrüßen…?« säuselte er mit dem schweren Samt der Verführung, drückte gespieltes Bedauern aus. Gestern Nacht hatte sie die Zügel in der Hand gehalten - doch jetzt war er dran. Sein Stolz wollte sich Würde und Macht zurückerobern; das heisere Flehen der Sterblichen, ihre Lust. Eine seiner Hände löste sich nun von den glatten Fliesen und strich an ihrem Körper hinab, dem Weg folgend, den vorher unzählige Wassertropfen genommen hatten; primitive Gelüste hatte Loki selten erlebt, doch nun spürte er, wie ein Welle aus roher Begierde ihn überrollte, als die kleine Menschenfrau unter seinen Fingerkuppen merklich erbebte. »Ich…was…ja schon, aber…s-so geht das nun mal nicht…« Gwendolyns Stimme wurde immer schwächer und wenig überzeugend. Ihr Atem traf heiß und rasch auf seine Lippen, ihre Lider flatterten unter dem brechenden Widerstand ihrer Sehnsucht; es war so berauschend, dieses Verlangen in ihren hellen Augen aufleuchten zu sehen - Verlangen nach ihm, nur nach ihm. »D-du hast dich unmöglich benommen und ich bin…ich bin…noch immer sauer…auf dich…« »Lass mich Wiedergutmachung leisten…« raunte Loki. Das brachte sie zum seufzen, beschleunigte ihren Herzschlag, der merklich gegen seine Handfläche donnerte und ließ ihre Wangen unter einer seichten Röte erblühen, während seine Finger langsam und gemächlich über ihre feuchte Haut rieben - der Gott beobachtete jede Reaktion von ihr wie ein findiger Forscher, studierte mit düsterer Gier, wie seine Fingerkuppen das Blut unter ihrer Haut vertrieben und diese mit sanftem Druck quälten. Und wusste, er hatte gewonnen… Sie liebten sich heftiger als in der letzten Nacht; ungestümer und ohne Zurückhaltung oder vorgeschobene Vorsicht. Loki spürte seine Konzentration weichen und das Nachgeben des Zaubers, der die Hütte verhüllte, doch es war ihm egal; seine Aufmerksamkeit sollte nun allein bei der Frau liegen, die sein Arm nun näher an sich presste, sie zwischen seinem harten, glühenden Körper und der Wand einpferchte. Der Magier war all die Jahre blind gewesen - mit all seiner Logik, seinem Verstand und seiner Bildung war er doch unwissend; er hatte nie nachvollziehen können, warum Fandral immer so versessen darauf gewesen war, die Nächte zwischen den Beinen möglichst vieler Frauen zu schlafen. Er hatte nie verstanden, warum Thor sich von so vielen Asenfrauen willig um den Finger wickeln und das Bett hatte wärmen lassen. Und nun, mit einem Mal, in diesem Augenblick, lüftete sich dieses Geheimnis auch für Loki; süßes Vergessen trieb auf den Wogen der Wollust, eine gänzlich andere Welt eröffnete sich in der ehrlichen Begierde einer Frau - eine reine, eine unverfälschte Welt, in der Mann und Frau nur aus den Elementen ihrer Erschaffung bestanden, instinktgetrieben und aufrichtig, so man das passende Gegenstück zu seiner Lust fand und das Lager nicht nur aus Not, mangels an Alternativen oder Zwängen teilte. Sex war nicht nur körperliche Erleichterung. Er war eine Befreiung. Feuer durchdrang Lokis eisige Gestalt, fachte sein Herz an und erwärmte seine Venen, selbst durch das Blut eines Eisriesen; Gwendolyns Blick war entrückt, ihr Körper brannte für ihn, als sie den Kopf zurückkippen ließ und ein langgezogenes Stöhnen ausstieß. Ein letzter, fast verzweifelter Stoß, bevor Loki die Fesseln durchbrach, die das Feuer zurückgehalten hatten; jenes loderte hell auf und verschlang seine Gestalt in einem Brüllen, welches in seinen Ohren summte und ihm für einen Moment die Sicht raubte, bevor seine Stirn kraftlos gegen die der Sterblichen sank und er ihr in einer unüberlegten Reaktion einen weichen Kuss auf die Wange setzte. Das Wasser der Dusche löschte ihre Leidenschaft sanft und langsam, sodass es lange nur ihre schnellen Atemzüge waren, die an den Wänden widerhallten neben dem Gurgeln des Wassers, welches die Spuren ihrer Zusammenkunft hinfort spülte. Vorsichtig setzte der Magier Gwendolyn wieder auf ihre eigenen, wackeligen Beine ab und genoss ihre Schwäche, als sie sich seufzend gegen ihn sinken ließ und den Kopf auf seiner Brust bettete. »D-damit das klar ist…« begann sie nach einer Weile mit schwächlicher Stimme und hob das Gesicht zu ihm an. In einer für ihn ungewohnt zärtlichen Geste strich er ihr die feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht und ergötzte sich an ihren noch immer brennenden Wangen und dem flatternden Puls an der Seite ihres zarten Halses. »Ich bin noch immer sauer auf dich…« erklärte sie ihm mit vorgeschobener Unterlippe; ein wahres Abbild an Standhaftigkeit und Überzeugung, da sie kaum allein stehen konnte und sich wohlig an ihn klammerte. »D-das eben ändert gar nichts! Du bist trotzdem ein Idiot und ein arroganter Mistkerl noch dazu. Wir müssen wirklich an deinen Umgangsformen feilen!« Wir. Der Magier wusste nicht, warum er es als so wichtig empfand, dass sie von wir sprach, doch irgendwie beruhigte es ihn. Loki lachte befreit, bevor er ihr Kinn anhob und ihren noch immer verklärten Blick eindringlich fing. »Ich dachte, dass hätten wir eben getan?« raunte er mit dieser polierten, süffisanten Stimme, welche sie erschaudern ließ. Bezeichnend zog er eine Braue in die Höhe und enthüllte ihr ein schamlos breites Grinsen. Dann griff er um die Sterbliche herum und stellte das Wasser endlich ab, bevor er sie unvermittelt auf seine Arme hob. »Oder soll ich dir in einer weiteren Unterweisung meine aufrichtigen Bemühungen erneut näher bringen?« Beine waren zum laufen da. Und zum stehen. Sie sollten uns Halt geben, uns stützen. Diese Wahrheit hatte Gwendolyn irgendwann einmal gekannt. Irgendwann… Heute allerdings hegte sie an dieser Behauptung ehrliche Zweifel, denn ihre Beine waren wie Wachs; wie ziemlich nachgiebiges Wachs, das gerade unter einer hell lodernden Kerzenflamme zerschmolz. Oder unter dem intensiven Gletscherblick eines Gottes… Gwen sammelte wackelig ihre verstreuten Kleider vom Boden der Hütte auf, die über Nacht vor dem Kamin getrocknet waren und zwang sich mehr als krampfhaft dazu, bloß keinen Blick zu Loki hinüber zu werfen, der sich geschmeidig und geschickt wieder in seine Rüstung hüllte. Sie konnte wirklich nicht erneut riskieren, die roten Spuren ihrer eigenen Nägel auf seinem blassen Rücken zu sehen, denn das hätte sie nur zu intensiv und zu bildhaft daran erinnert, was sie in der Dusche getan hatten…und danach im Bett…noch zwei Mal… Gwen schloss die Augen unter einem verhaltenen Seufzen, bevor sie sich ihre Jacke überwarf und es begrüßte, das Angel schwanzwedelnd an ihre Seite getrottet kam und nach Aufmerksamkeit verlangte. Sie ließ sich auf der Kante des Bettes nieder und schlüpfte rasch in ihre Stiefel, bevor sie dem Hund ausgiebig die Ohren kraulte. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, dem Gott so schnell zu vergeben; sie war wirklich stinksauer auf ihn und sein rüpelhaftes Verhalten gewesen. Allerdings…nach dieser Aktion in der Dusche und seiner Entschuldigung zuvor, wie hätte sie ihm da wirklich noch böse sein können? Gwen strich gedankenverloren durch Angels Fell und schielte zu dem Magier hinüber, der sich eben seinen ledernen Mantel übergeworfen hatte und nun seine goldenen Armschienen mit einem hellen, metallischen Geräusch zuschnappen ließ; seine Bewegungen wirkten routiniert und sicher, er selbst völlig aufgeräumt und kühl, als wären die letzten Augenblicke wieder einmal nichts mehr als flüchtige Hirngespinste in ihrem eigenen Kopf gewesen. Ihr ganzer Körper schlackerte dafür noch immer wie Wackelpudding, ihre Knie waren weich wie Butter, ihre Haut überempfindlich, ebenso wie ihre Brüste und die Stelle zwischen ihren Beinen, die noch immer von Lokis Eroberung glühte. Sex mit Loki war…war…göttlich. So albern es klingen mochte, selbst in ihren eigenen Gedanken, doch anders konnte sie es nicht beschreiben. Es war nicht so, dass der Gott ihr erster Liebhaber war - bei weitem nicht - und Gwen hatte definitiv auch schon recht guten Sex in ihrem Leben gehabt, aber der Prinz liebte einfach anders… Jeder Moment mit dem Prinzen war einschneidender. Fordernder. Nachhaltiger. Dieser Mann war wie ein Sturm, den nichts binden und nichts fesseln konnte; selbst wenn er sie langsam nahm, so war diese unbezähmbare Wildheit in seinen angespannten Muskeln und Sehnen spürbar - so kühl, beherrscht und fast schon skrupellos Loki in seinem persönlichen Ehrgeiz wirken konnte, so leidenschaftlich brodelnden die Dämonen in ihm und brachen stückweise an die Oberfläche, wenn er sich gehen ließ und die Kontrolle über Körper und Geist um ein Stück weit fallen ließ. Der Gott zelebrierte Sex mit einer Intensität, die fast an Besessenheit grenzte; auf Gwen wirkte es, als würde er wirklich jeden Augenblick auskosten und bis zur Perfektion ausreizen wollen - als würde er diese Freuden, die zwei Körper sich schenken konnten, gerade erst entdecken und jene so sorgfältig sondieren wie ein begeisterter Forscher, der eben den größten Fund seines Lebens gemacht hatte. Loki konnte einer Frau tatsächlich das Gefühl geben, etwas ganz besonderes zu sein, allein davon, wie er einen ansah und mit einem sprach; Gwen erinnerte sich an den Anblick des durchweichten Gottes zu ihren Füßen, wie er vor ihr gekniet und diese unglaublichen Augen mit einem so durchdringenden Blick zu ihr aufgesehen hatten, dass sie kurz davor gewesen war, ihm wirklich alles zu verzeihen… Gwen schüttelte bestimmt den Kopf, um dieses Bild aus ihren Gedanken zu verscheuchen und schnürte dann ihre Stiefel, während ihr Angel die Schnauze auffordernd in die Seite stieß und nach einer weiteren Portion Streicheleinheiten verlangte. Loki war wirklich ein Meister in Gesten, Mimik und Worten; sicher konnte er einem alles glauben machen, was er wollte - und genau da lag das Problem; Gwens Finger hielten kurz inne und sie starrte auf ihre Stiefelspitzen. Letzte Nacht hatte sie flüchtig das Gefühl gehabt, dass sie ihm zumindest wichtig war und auch seine Entschuldigung sprach eigentlich dafür, denn der Gott war gewiss niemand, der jemandem hinterherlaufen würde, der ihm schlichtweg egal war. Er hatte überraschenderweise eine unsichere Seite von sich offenbart, Gwen sehr respektvoll um Verzeihung gebeten und sie hatte nicht das Gefühl gehabt, dass es gespielt gewesen wäre, doch vielleicht sollte sie nicht vergessen, dass Loki noch immer der Gott der Lügen war - sie wollte ihm wirklich vertrauen, allerdings war es noch immer schwer, mit seinen wechselnden Gemütszuständen und Launen umzugehen. Er konnte freundlich sein, fast schon liebevoll und man mochte beinahe glauben, dass er sich tatsächlich um ein Stück weit geändert hatte und dann aber, im nächsten Augenblick schon, war er wieder arrogant, kalt und grausam wie zu Anfang und zog diese betonte Grenze zwischen Mensch und Gott. Gwen ahnte, dass Loki noch immer mit sich selbst haderte; wahrscheinlich war er immer mit sich selbst im Zwiespalt, zerstritten und zerrissen zwischen so vielem, was ihn geprägt und zu dem Mann gemacht hatte, der er heute war. Um ein Stück weit konnte sie seine Unsicherheit verstehen, allerdings war sie weit davon entfernt, ihm deswegen alles zu vergeben und blind zu vertrauen. Ihr Herz hatte in der Vergangenheit definitiv einmal zu oft gelitten, als das sie sich nun völlig auf ihre Gefühle verlassen und diesen folgen würde; sie hatte sich in Loki verliebt, ja, allerdings war das kein Freibrief für ihn, sie weiterhin wie eine wahllose Spielfigur zu behandeln. Sie wusste um seine Schwächen und seine Probleme, allerdings auch um seine Vergehen und sie tat wahrscheinlich gut daran, über ihren kopflosen Gefühlen nicht alles zu vergessen, was er darstellte. Gwen wollte Loki gern geben soviel sie konnte, doch sie war auch in der Pflicht, ihr Herz zu schützen, denn niemand würde ihr das ersetzen, wenn es am Ende ihrer Reise zerbrochen im Staub liegen würde. Auch ein Gott musste irgendwann lernen, dass es gewisse Grenzen im miteinander mit anderen gab, die man nicht leichtfertig überschreiten sollte. Und obwohl Gwen wirklich eine ausgemachte Schwäche für den Magier hegte und er durchaus einen Weg gefunden hatte, sie wieder wohlgesonnen zu stimmen, so war sie allerdings fest entschlossen, sich nicht ewig auf diese Weise von ihm einwickeln zu lassen. Naja, zumindest war ihr Geist entschlossen, ihr Körper allerdings war da ganz anderer Meinung… Ihr Blick hob sich zögerlich wieder an und begegnete über den Raum hinweg Lokis, der gerade von den Verschlüssen seines Mantels aufsah. Das bekannte Prickeln breitete sich wieder in ihren Knochen aus und jagte ihr wohlige Hitze in die Wangen; anstatt die Augen allerdings beschämt zu senken, begegnete sie Lokis wissendem Blick starrköpfig und ließ dadurch ein amüsiertes Schmunzeln auf seinen Lippen erblühen. »Du siehst ziemlich erschöpft aus. Vielleicht solltest du noch etwas essen, bevor wir uns auf den Weg machen.« schlug der Magier sachlich vor; offenbar fand er es verwunderlich, aber durchaus amüsant, dass ihre Ausdauer nach einigen Runden durch die Laken wälzen nicht mehr die Beste war. Vielleicht sollte sie eher aufhören, dem Gott zu verfallen…war wahrscheinlich zuträglicher für ihren Körper. Gwen verkniff es sich, einen bissigen Kommentar loszuwerden, außerdem musste sie ihm eh irgendwie Recht geben; ihr Magen wäre garantiert über eine erneute Energiezufuhr alles andere als verstimmt. Also erhob sie sich auf ihre schwankenden Beine und schaffte es sogar, die Distanz zur Küche ohne größere Peinlichkeiten zu überbrücken. Es hätte wohl gerade noch gefehlt, dass sie Loki förmlich vor die Füße fiel. »Brauchst du Hilfe?!« zog der Magier sie mit einem verschmitztem Grinsen auf, als sie kurz gegen den Rahmen der Küchentür sackte, in welcher er Stellung bezogen hatte. Mit einem verstimmten Schnaufen schob sie ihn beiseite und wankte zum Tisch hinüber. »Nein, danke.« Dort ließ sie sich kurz auf einem Stuhl nieder und angelte sich ein besonders großes Stück Schokoladenkuchen heran. Loki beobachtete sie unter einem nachdenklichen Schmunzeln, bevor sein Blick flüchtig auf den Hund fiel, der im Wohnraum der Hütte umherschnupperte. »Willst du Fenrir eigentlich mitnehmen?« fragte er Gwen unvermittelt und sah die ernsthaft an. Sie leckte sich die Finger gerade sauber, bevor sie nach einem Brötchen griff und dieses zweckdienlich in der Mitte brach, um eine Scheibe Käse und Wurst hinein zu klemmen. »Ich weiß nicht…« gab sie verhalten zu, bevor sie herzhaft in ihr Brötchen biss. Bisher hatte sie sich gar keine weiteren Gedanken darüber gemacht, wo der Hund nun verbleiben sollte. »Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn er bei meinen Eltern bleibt?! Mir wäre wahrscheinlich wohler, wenn ich wüsste, dass er auf sie acht gibt.« schlug sie unsicher vor. »Hm-hm.« Loki rieb sich nachdenklich das schmale Kinn und ließ seine Augen grübelnd durch die Gegend wandern. »Allerdings verlierst du dann auch einen treuen und zuverlässigen Beschützer.« gab er zu bedenken. Gwen wischte sich die Hände an ihrer Hose sauber und stand dann wieder auf, um sich ein Glas mit Saft zu füllen und dieses in einem Zug zu leeren. »Ich dachte eigentlich, dafür wärst du da?!« neckte sie den Gott mit einer bedeutsam gehobenen Braue. »Oder fühlst du dich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen?« Lokis Lippen teilten sich unter einem dieser wirklich hinreißend durchtriebenen Grinsen, die Gwens Herzschlag in ungeahnte Höhen trieben und gar nicht gut für ihre geistige Verfassung waren. »Oh, du solltest deine Worte weiser wählen, Gwendolyn…« meinte er tadelnd mit dem Schnalzen seiner Zunge. Er stieß sich vom Türrahmen ab und schlenderte elegant zu ihr herüber, um eine Erdbeere von einer der Platten zu pflücken und diese sanft gegen ihre Lippen zu schmiegen. Völlig willenlos öffnete sie den Mund und biss von der süßen Frucht ab. »Immerhin bin es nicht ich, dessen Beine gerade kaum dazu dienen wollen, sein Gewicht zu tragen. Die Frage ist doch eher, fühlst du dich mir gewachsen…?« hauchte er sinnlich, während er sich zu ihr herabbeugte und den Anschein erweckte, als wolle er die Reste des süßen Saftes von ihren Lippen lecken. Allerdings wurde sein Blick wieder nachdenklich und er begnügte sich damit, die rote Spur der Frucht mit dem Daumen von ihren Lippen zu wischen. »Vielleicht wird es Zeiten geben, in denen ich nicht immer bei dir sein kann.« gab er ernst zu bedenken; eine Vorstellung, die Gwen gar nicht gefiel. Angel war zu ihnen in die Küche getrottet und hatte neben Gwen Stellung bezogen; die plötzlich wachsame Spannung des Tieres und dessen starr aufgerichtete Ohren das erste und einzige Anzeichen, dass sich die Atmosphäre geändert hatte - etwas lag in der Luft wie das schwere Atemholen eines Riesen, drohend und unheilvoll. Das helle Geräusch eines zersplitternden Fensters brach durch die trügerische Illusion der Ruhe, so hoch und misstönend wie der gellende Schrei einer Harpyie; Glas traf in einem hellen Klirren auf den Boden und zerstreute sich wie glänzende Schneekristalle über das dunkle Holz. Ein metallener Pfeil traf Loki mit Wucht in die Schulter und warf den Gott zurück; die schimmernde Spitze durchbrach surrend Leder und Stoff, bevor der Schaft wie ein wippendes Mahnmal in seinem Fleisch stecken blieb. Gwen keuchte entsetzt auf und stolperte an den Tisch zurück, der unter ihrem hektischen Rückschritt ins Ungleichgewicht geriet und scheppernd ein paar Teller und Flaschen abwarf; die Gestalt des Magiers löste sich in einem schimmernden Trugbild vor ihr auf, der Pfeil fiel ungefährlich klappernd zu Boden und ein völlig unversehrter Loki tauchte neben ihr auf, packte sie unsanft am Arm. Seine Finger gruben sich spürbar in ihren Oberarm und lösten Gwen aus ihrer Schockstarre. »Zeit zu gehen…« raunte der Gott dringlich. Gwen kannte diese Art Pfeile; diese metallischen Geschosse mit den unverwechselbaren, austauschbaren Spitzen, die jeder Situation angemessen gewählt werden konnten; sie selbst hatte bereits Artikel über Hawkeye geschrieben. S.H.I.E.L.D hatte sie also gefunden - der glänzende Pfeil spiegelte das Sonnenlicht und zwinkerte ihr wie zur Bestätigung zu. Lokis Frist war abgelaufen. Direktor Fury machte seine Drohung wahr. Sie kamen, um sich ihre Rache zu holen; wahrscheinlich war die Hütte schon umstellt, obwohl der angrenzende Wald jegliche Schatten verhüllte und der See wie eine spiegelgleiche, ruhige Fläche erschien. Nichts deutete auf Gesellschaft hin, außer der verräterische Pfeil, der nun in der Küche am Boden lag, umringt von der blütenweißen Flüssigkeit der zerbrochenen Milchflasche. Der Magier zerrte Gwen hinter sich her, die stolpernd seinen großen Schritten folgte, während Angel aufgeregt um sie beide herumsprang und das schwarz-weiße Fell drohend aufgerichtet hatte. Der Hund knurrte erregt und seine eisblauen Augen verfärbten sich für den Bruchteil einer Sekunde in bedrohliches Orange. Loki blieb kurz stehen, die blasse Stirn in angestrengte Falten gezogen, während sich sein schneidender Blick durch die Hütte bewegte; er sondierte offenbar ihre eher geringen Möglichkeiten hier ungesehen wegzukommen. Der nächste Pfeil durchbohrte mit einem misstönenden Surren das Fenster des Wohnraums, krachte dem Magier unvermittelt zwischen die Schulterblätter und ließ ihn straucheln, einen taumelnden Schritt nach vorn machen; Gwen stieß einen schockierten Laut aus und stürzte intuitiv auf Loki zu, während sich Blut ähnlich einer grotesken Blume auf dem dunklen Leder seines Mantels ausbreitete und träge an dem Material leckte. »Oh Gott…Loki…« Doch der Prinz wirbelte mit verbissener Miene zu ihr herum und stieß sie entschieden von sich; Gwen stolperte unter der Wucht seines Stoßes und prallte schmerzhaft gegen die hölzerne Wand im Rücken, die Maserung der Balken ein überdeutliches Echo in ihren Knochen. Loki wurde darauf in einem Netz aus energetischen Funken gefangen, welches sich wie ein Käfig aus der Spitze des Pfeiles entfaltete und um seinen Körper schlängelte; der Gott bäumte sich unter Qual auf, bevor er mit einem knurrenden Ächzen in die Knie brach, das Gesicht in Schmerz und Wut verzerrt, eine bizarre Maske aus Pein formend, die durch hervorstoßende Wangenknochen und eine verkrampfte Kieferlinie begrenzt wurde. Seine Glieder zuckten unter dem Schmerz des elektrischen Schocks und warfen ihn gekrümmt auf die Seite, während die Lippen des Gottes aufbrachen und hektisch nach Luft schnappten. Seine Finger krümmten sich zu Klauen und versuchten vergeblich den feststeckenden Pfeil auf seinem Rücken zu erreichen. Seine dunklen Haare breiteten sich wie ein finsterer Strahlenkranz auf dem Boden um seine bleichen Züge aus. »LOKI!« Gwen stieß sich von der Wand ab und wollte dem Magier zu Hilfe eilen, als die Tür der Hütte unter einem gewaltigen Knall aufflog und sich eine muskulöse Gestalt mit einem kreisrunden Schild bewaffnet durch die erzwungene Öffnung drängte; im gleichen Augenblick schlangen sich zwei starke Frauenarme um Gwen und rissen sie damit zurück, bevor sie den Magier erreichen konnte. Eine weibliche, doch dadurch nicht weniger entschlossene Stimme neben ihrem Ohr verlangte in eiskalter Ruhe: »Verhalten Sie sich still, dann passiert Ihnen vielleicht nichts.« Gwen erhaschte den Eindruck von rotem Haar, welches definitiv nicht ihr eigenes war, aus dem Augenwinkel - Black Widow. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie die Agentin die Hütte betreten hatte. Für einen Moment war sie so überrumpelt, dass sie gar nicht an Gegenwehr dachte. Captain America betrat in seiner typischen Kampfmontur die Hütte und bewegte sich sofort in geduckter Angriffshaltung zu dem Magier hinüber, der seinen Glutfunken sprühenden Blick voller Hass auf den Soldaten richtete. »Loki, ergeben Sie sich ohne Gegenwehr, dann können wir von weiterer Gewalt absehen.« sprach der Captain im Brustton der Überzeugung; offenbar war ihm daran gelegen, die Sache ohne große Schmerzen auf beiden Seiten über die Bühne zu bringen. Ergeben?! Hätten sie diese Forderung nicht zuerst stellen sollen, bevor sie angefangen haben, auf den Magier zu schießen?! Gwen begann sich störrisch und wütend in der Umklammerung der Agentin zu winden. Obwohl der Gott noch immer in dem Netz aus gleißenden Elektroden gefangen war, war seine schwelende Wut beinahe greifbar spürbar; eine seiner Hände zog verschlungene, ruckartige Bewegungen durch die Luft, als würde er einen Zauber formen, während das Knistern der statischen Energie überlaut in den Ohren brannte. Gwen wehrte sich nun verbissen gegen die Arme Black Widows und spie ihre Verachtung für diese mehr als vorsintflutlichen Foltermethoden lautstark aus: »Verdammt, lasst ihn in Ruhe! Hört auf, ihn zu quälen…das ist barbarisch!« Gwens Stimme überschlug sich aus Empörung und Sorge; niemand verdiente es, so behandelt zu werden, gefangen wie ein wildes Tier - auch Loki nicht. »Er hat doch gar nichts getan!« »Da scheinen wir unterschiedlicher Meinung zu sein, Miss…« bemerkte die Agentin hinter Gwen kühl. Zumindest Captain America schien ein Mindestmaß an Moral zu besitzen, denn er wirkte für einen Augenblick tatsächlich getroffen von ihren Worten und hielt inne, bevor er die freie Hand zu seinem Headset hob, als wolle er einen Befehl herausgeben; vielleicht hatte ja zumindest einer in diesem Verein ein Gewissen. »Alles okay da drinnen, Tascha?« tönten Agent Bartons Worte durch elektrische Resonanzen und manifestierten sich als hohle, unsichtbare Stimme aus einem Headset der Agentin, deren Griff um Gwen fester wurde, bevor das Klicken einer entsicherten Pistole als Warnung erklang. Ein harter Lauf wurde in Gwens Rückgrat gedrückt, da Black Widow das Gezappel der Journalistin offenbar zu viel wurde. »Keine Probleme bisher.« raunte die Agentin ihrem Partner zu. »Ich habe die Zivilistin. Der Cap wird sich um den Gott kümmern. Sag Stark, er soll sich trotzdem bereithalten. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass-« Die Agentin verstumme in einem verblüfften Blinzeln. Vielleicht für den unwahrscheinlichen Fall, dass Loki sich aus seinen elektrischen Fesseln befreien würde? Denn genau das tat der Gott - gerade als der Captain bei dem Magier angelangt war und neben diesem in die Hocke gehen wollte, verschwand die gepeinigte Gestalt Lokis in einem Schimmern und der Pfeil fiel mit einem hohlen Klappern zu Boden, die leuchtenden Tentakel des Fangnetzes wie die aufgepeitschten Arme eines Kraken durch die Luft wirbelnd. Im gleichen Moment schoss Angel heran und stürzte sich mit einem wilden Heulen auf den Soldaten, der geistesgegenwärtig sein Schild hochriss und die Kiefer des Hundes damit abfing, die sich sonst wohl in seine Schulter gebohrt hätten. Angels Pfoten krachten gegen den Schild des Soldaten und rissen ihm dieses halb aus der Hand; ein Moment, in dem Captain America abgelenkt war und somit zu spät bemerkte, dass sich Loki hinter ihm in grünem Schein materialisierte. Das Zepter des Tesserakts lag wieder in seinen Händen und er schwang es mit der Verbissenheit eines zornigen Gottes gegen den Soldaten; die Lippen des Magiers umspielte ein boshaftes Grinsen, grotesk untermalt von einem feinen Rinnsal Blut, welcher sich aus einem Mundwinkel stahl und auf der blassen Haut des Prinzen wie ein Farbklecks wirkte, der schrecklich fehlplatziert wurde. »Cap, hinter dir!« versuchte Natascha Romanoff ihren Teamkollegen noch zu warnen. Das stumpfe Ende des Zepters traf den Captain zwischen den Schultern und ließ jenen den Halt verlieren, bevor Loki schon nachsetzen wollte, um den Soldaten mit einer Ladung blauer Energie durch die Wand der Hütte zu jagen; Steve Rogers fing sich aber schneller als gedacht und wehrte den Schwall summender Macht mit seinem Schild ab, hinter welches er sich duckte; die bläuliche Materie zerstob einer Supernova gleich auf dem unnachgiebigen Metall und verteilte sich unter einem ohrenbetäubenden Krachen in der Hütte. Die letzten intakten Fenster zerbrachen unter der Woge und schleuderten ihr Glas hinaus in die kühle Morgenluft. Selbst Gwen wurde unsanft gegen die rothaarige Agentin geschleudert und ächzte schmerzhaft, als sich die Mündung der Pistole eindringlich in ihre Wirbelsäule bohrte. Angel sprang sofort wieder heran und schnappte in einem wütenden Knurren nach dem Stiefel des Captains, um diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen; tatsächlich verriss der Soldat sein Schild und Loki hämmerte ihm die flache Seite der Speerspitze gegen die Seite, was der Soldat allerdings damit beantwortete, dass er dem Gott die Füße unter dem Körper wegfegte, indem er sein Schild wie einen sirrenden Bumerang nach ihm warf. »Clint, der Hund! Schalte den Hund aus!« verlangte Black Widow in einem harschen Befehl, während sie die sich windende Gwen außer Reichweite der beiden kämpfenden Männer zerrte. Scheppernd und klirrend trafen Speer und Schild immer wieder aufeinander, während Captain America und Loki umeinander wirbelten wie lose Blätter im reißenden Zentrum eines Sturmes; Angel hatte sich verbissen im Stiefel des Soldaten festgebissen und zerrte knurrend an dem stabilen Leder. »Nein!« schrie Gwen in ungläubigem Entsetzen auf, als ein weiterer Pfeil heranschoss und den Hund in die Flanke traf; das Tier wurde von der Wucht des Geschosses von den Füßen gerissen und blieb mit einem gequälten Winseln auf der Seite liegen. »Ihr verdammten Schweine! Das ist doch nur ein Tier!« schrei Gwen in einem Schluchzen. Sie wollte zu Angel stürzen, kümmerte sich augenblicklich kaum noch um die Waffe im Rücken, denn zu groß war der Schock über das eben Geschehene. Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, ihr Magen rebellierte unter brennender Säure der Verzweiflung und mit einer Kraft, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte, riss Gwen den Ellenbogen nach oben und stieß diesen der Frau hinter sich in den Magen. Die ächzte zwar verhalten, lockerte ihren Griff jedoch nicht. Obwohl die Agentin kaum größer war als Gwen selbst, hatte sie doch eindeutig mehr Kraft. Ihre Stimme wurde noch um einige Nuancen kälter und distanzierter, wenn das überhaupt möglich war. »Verdammt, Lady. Beruhigen Sie sich. Das war nur ein Betäubungspfeil!« Ein gezielter Ruck hob Gwen von den Füßen und lenkte sie so herum, dass sie auf den scheinbar leblosen Hund blicken musste, der wenige Schritte entfernt von ihr lag; tatsächlich hob sich Angels Seite unter ruhigen Atemzügen und seine Lider flatterten über den schwelend orangen Augen, die noch immer verbissen ihre Umgebung sondierten. Erleichterung ließ Gwen im Griff der Agentin zusammensacken, während ein dröhnendes Krachen die Hütte erbeben ließ; ein weiterer Energiestoß aus Lokis Zepter traf den Captain, der mitsamt seinem Schild rückwärtig durch die Wand der Hütte brach und einen hohen Salto in der Luft vollführte, bevor er im stäubenden Schnee draußen aufschlug. Zerborstenes Holz regnete träge schwelend um ihn herab. Loki setzte ihm sofort mit energischen, schweren Schritten nach; sein Mantel flatterte wie die aufgepeitschten Sturmsegel eines gebeutelten Schiffes, als er das Zepter hob und mit einem fanatischen Blick auf den Soldaten zusteuerte, der sich eben mühsam und leicht benommen wieder auf die Beine rappelte. Sein Schild lag neben ihm im Schnee, ein abstruser Farbkreis in all dem schimmernden Weiß unter der Morgensonne. Der Magier wollte gerade zu seinem finalen Streich ausholen, als ihn Ironman von den Füßen riss, der mit einem energetischen Sirren durch die Luft flog und den Gott in die Seite rammte. Beide stürzten in den Schnee und wirbelten diesen unter ihren Körpern auf, die selbst im Sturz um die Vorherrschaft kämpften. Lokis Zepter entglitt jenem aus den Fingern und wurde in eine Schneewehe davongeschleudert, doch er trotzte dem Mann in der Rüstung mit Hieben und Tritten. Ironman war als erster wieder auf den Beinen und eroberte sich eine Position über dem Gott, so er diesen durch das pure Gewicht seiner schweren Rüstung nieder zwang, indem er ein Knie auf dem Leib des Magiers absetzte. Summende Repulsoren wurden drohend auf das Gesicht Lokis gerichtet. »Hier endet die Reise. Deine Frist ist abgelaufen. Heute ist Zahltag, Eisprinzessin.« erklärte Tony Starks energetisch veränderte Stimme, als Gwen gerade ebenso ins Freie stolperte, getrieben durch eine entschlossene Agentin, die ihr die Pistole weisend zwischen die Schulterblätter drückte. »Bewegung, Lady.« Gwen taumelte gegen die zerborstene Wand der Hütte und krallte die Nägel in das spitze Holz, bereit loszustürmen, bereit irgendetwas zu tun, von dem sie wusste, dass es wahrscheinlich eh nicht helfen würde. Was sollte sie allein schon ausrichten? Es war zu spät. Sie hatten sich zu lange Zeit gelassen. Es war Direktor Fury nicht einmal zu verdenken, dass er offenbar wie ein angeleinter Bluthund nur auf das Kappen seiner Leine gewartet hatte, um nun zuzuschlagen. Odins Galgenfrist für Loki musste der blanke Spott und Hohn für den S.H.I.E.L.D Chef gewesen sein, der sich sonst nichts und niemandem beugte; selbst mit dem Sicherheitsrat - jenen mysteriösen Fädenziehern hinter S.H.I.E.L.D - hatte der Direktor so seine Probleme. Zumindest besagten das Gerüchte. Fury ließ sich nicht gern Befehle erteilen. Er war es gewohnt, sie selbst zu geben. Hawkeye löste sich aus dem Schatten einer Tanne unweit von der Hütte entfernt und klopfte sich Schnee von seinem Kampfanzug, welcher wohl bei seinem Sprung aus der Deckung des Baumwipfels hängen geblieben war. Unter dunklen Brillengläsern und einem abgeklärten Gesichtsausdruck pirschte er sich durch den Schnee heran, schob seine Stiefel wie Eisbrecher durch die dichten Wehen und fixierte Loki mit seinem Bogen und der Spitze eines aufgelegten Pfeiles, der sein Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit geradewegs finden würde. Captain America hatte sich inzwischen ebenso wieder aufgerichtet und sein Schild gegriffen, bevor er zu Ironman hinüber schritt, der inzwischen mit fauchenden Antrieben über dem Gott schwebte, während die Hitze seiner Rüstung den Schnee um sie zu feuchten Pfützen schmolz, die kahle Flecken Erde zurückließen. Der Magier sah sich von der Armada eines Waffenarsenals bedroht, das sich aus der Rüstung des Erfinders entfaltet hatte. Loki lag scheinbar bezwungen auf dem Rücken, die Hände ergeben gehoben; die Winkel seiner Augen umspielte ein grausamer, finsterer Zug, ebenso wie seine Lippen, die sich unter einem gehässigen Grinsen teilten, bevor er sich in einer gemächlichen, fast provozierenden Geste das Blut aus dem Mundwinkel wischte und dieses beinahe anklagend unter den wachsamen, kalten Augen von Ironmans Helm betrachtete. Gwen sackte entmutigt zusammen, als Agentin Romanoff sie unsanft am Kragen packte und in der Ferne ein dumpfes Brummen laut wurde wie das monotone Flügelschlagen einer Libelle. Hinter den Baumwipfeln tauchte ein Black Hawk auf und näherte sich ihnen rasch über rauschenden Tannen hinweg, die sich durch den Sinkflug des Hubschraubers beugten wie gebrechliche Gestalten, die ächzend vom Sturm niedergedrückt wurden. Der Helikopter setzte unweit der Hütte zum landen an und schwebte sachte zu Boden, während seine Rotorblätter den Schnee in einem tosenden Tornado in die Höhe sogen, um jenen dann wie scharfe Pfeilspitzen auf die Gestalten umher niederregnen zu lassen. Gwen schirmte die Augen gegen den heftigen, kalten Wind ab und drückte sich in den Schutz der Blockhütte zurück, bevor ein atemloses Fluchen ihre Aufmerksamkeit an sich riss. »Verdammt…« Black Widow zog ihre Waffe hinter Gwens Rücken hervor und hob diese entschlossen an, gerade als Ironman einen Moment durch den nahenden Helikopter abgelenkt war - eine winzige Sekunde, welche Loki nutzte, um Tony Stark eine gebündelte Magiewelle aus seinen Händen gegen den Leib zu rammen, bevor er sich zur Seite warf und nach seinem Zepter hastete. Der Ironman wurde zurückgeworfen und überschlug sich einmal taumelnd in der Luft, während der Magier geschmeidig auf die Füße sprang und der Saum seines Mantels den Schnee in die Höhe trieb, der sich wie eine Spirale um ihn ballte und seine höhnisch grinsende Gestalt verhüllte. »Oh, ich hasse diesen Kerl…wo ist eigentlich Banner, wenn man ihn mal braucht?« töne Ironmans Stimme durch das Tosen des Helikopters; der Erfinder hatte sich und seine Rüstung wieder gefangen und nickte Captain America kurz zu, der sich geduckt neben ihm zum Angriff bereit machte. »Das nächste Mal darf Fury seine entlaufenen Irren selbst wieder einfangen.« Zusammen stürzten die beiden Avengers auf den Gott zu, der den Repulsorstrahlen und dem fliegenden Schild des Soldaten nicht auswich, sondern diese durch eine Wand aus Magie, Eis und Schnee abprallen ließ, die ihn umgab wie eine frostige, zweite Haut, nachdem sich die wirbelnde Spirale um ihn verdichtet und um seinen Körper geschlungen hatte. Die Angriffe zerschellten wirkungslos an ihm, bevor sich der Magier mit einem kampfgierigen Schrei gegen seine schützende Hülle warf und diese sich auffächerte wie die Flügel eines Schmetterlings; die frostigen Schwingen trafen die beiden Rächer und warfen diese erneut zurück. Gwen beobachtete das Spektakel atemlos; Adrenalin schoss in heißen Bahnen durch ihre Venen, ihr Blick flog hastig umher, während ihre Gedanken rasten. Black Widow musste ihre angespannten Muskeln bemerkt haben, denn diese festigte ihren Griff um Gwens Oberarm und schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Keine Dummheiten, sonst werde ich ungemütlich.« Die Agentin hob die Finger erneut zu ihrem Headset und rief über das anhaltende Brüllen des Helikopters ihren Teamkollegen an, während sie Gwen um die Ecke der zerbrochenen Wand herumzog: »Clint, ich hab kein freies Schussfeld. Jag du dem Gott eine Ladung Schlafmittel in die Brust, bevor er den Cap und Stark noch fertig macht. Er darf uns nicht entwischen. Fury killt uns sonst.« »Oh nein…nicht! Bitte nicht!« Gwen warf sich herum und ließ die fahrigen Finger unkontrolliert nach dem Arm der Agentin schnappen; diese quittierte jene überraschende Geste mit einem irritierten Heben ihrer schmalen Braue. »Sagen sie ihnen, dass sie aufhören sollen! Bitte…« Die verschwommene Gestalt Hawkeyes bewegte sich durch den aufgewirbelten Schnee um den Helikopter herum und brachte sich in Stellung. »Sorry, Lady. Aber ich habe meine Anweisungen.« erwiderte Black Widow sachlich und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Inzwischen hatten sich die dunklen Gestalten einiger Agents aus dem geöffneten Einstieg des Black Hawk gelöst und waren geduckt in den Schnee gesprungen, um jetzt mit gezogenen Waffen Ironman und Captain America zu Hilfe zu eilen, die äußerst beschäftigt damit waren, Lokis Attacken auszuweichen, der unablässig eisigen Sturm gegen sie peitschte oder frostige Schneesplitter auf sie warf. Allerdings hatte auch der Magier schon einiges einstecken müssen; sein Mantel flatterte versenkt durch Ironmans Repulsoren und er hielt sich seine eh schon verwundete Schulter, die eben des Soldaten Schild gestreift und den Gott herumgewirbelt hatte. Taumelnd grub er seine Stiefel in den Schnee und sicherte sich seinen Stand, bevor ihn ein weiterer Angriff Starks in die Brust traf und sein Leib donnernd gegen den nächsten Stamm einer Tanne geschleudert wurde. Gleich darauf bohrte sich ein zielsicher gesetzter Pfeil durch die Brustrüstung des Gottes, überzog die harte Platte mit feinen Rissen wie Spinnweben, bevor die Spitze in den Oberkörper des Asen drang und diesen stöhnend in die Knie sacken ließ. Als der Magier Anstalten machen wollte, sich wieder zu erheben, gesellte sich ein weiterer Pfeil zu dem ersten, dieser traf ihn in das satte Fleisch seines Oberschenkels und blieb dort stecken. Lokis Hände trafen dumpf im Schnee auf, als er nach vorn kippte und seine Haare wie ein düsterer Todesvorhang seine Züge verhüllte, die dem reinen Weiß des Schnees umher deutlich Konkurrenz hätten machen können. Die grünen Augen des Gottes glitzerten unter den wirren Haarsträhnen hervor, keine Entschlossenheit hatte sein Geist eingebüßt, obwohl sein Körper vom lähmenden Griff des Betäubungspfeiles in Beschlag genommen wurde. Ironman und Captain America näherten sich ihm nun vorsichtig, gefolgt von einer Hand voll Agenten, die mit entsicherten Waffen den knienden Asen umkreisten. »Oh Gott…Loki…« Gwen schlug sich eine Hand vor die bebenden Lippen und kämpfte mit der nagenden Verzweiflung, die ihren Beinen Ansporn geben wollte, zu dem Magier zu laufen; doch der Griff der Agentin war unerbittlich und durch nichts zu erweichen. Gwen fühlte sich so nutzlos, so hilflos, dass dieses Gefühl fast wie Asche auf ihrer Zunge schmeckte; untätig musste sie dabei zusehen, wie die Avengers den Gott überwältigten und grob durch den Schnee auf den Helikopter zu schleiften. Der Black Hawk war inzwischen gelandet und stellte seine Motoren ab; das dumpfe Dröhnen der Rotorblätter wurde zu einem pfeifenden, ertragbaren Säuseln, bevor die Maschine ganz still stand. Natascha Romanoff musterte Gwens entsetztes, blasses Gesicht aus dem Augenwinkel und folgte deren Fokus auf den halb ohnmächtigen Gott, nur um betont zweifelnd die Stirn in zarte Falten zu ziehen, bevor sie die Journalistin mit einem kritisch verengten Blick musterte. Offenbar verstand sie Gwens Mitgefühl und Sorge um den Gott in keiner Weise, allerdings war sie so professionell, dass sie sich ihre Missbilligung, sollte sie diese besitzen, nicht anmerken ließ. Ihre Finger zogen sich fast schmerzhaft um Gwens Oberarm fest und zogen diese neben sich her auf den Helikopter zu, dem gerade Direktor Fury geduckt entstieg; der S.H.I.E.L.D Chef ließ seinen einseitigen Blick flüchtig die Umgebung sondieren, bevor er mit einem Satz aus dem Black Hawk sprang und seine schweren Stiefel in den Schnee rammte. Eine dunkle Hand glättete seinen Mantel in einer beinahe gelangweilten, doch sorgfältigen Bewegung, bevor er sich aufrichtete, die Arme hinter dem Rücken verschränkte und seinen Avengers geduldig entgegen sah, die ihm Loki direkt vor die Füße zerrten. Hinter Fury entstieg Andrew dem Helikopter mit ebenso stahlharter, doch seltsam zufriedener Miene, wie sie der Direktor zur Schau trug. Der Agent bezog hinter seinem Boss breitbeinig Stellung und sah Loki deutlich befriedigt entgegen, der von den beiden Rächern unsanft durch den Schnee geschleppt wurde. Ironman zwang den Gott vor Fury in die Knie, drückte den geschwächten Magier in den Schnee, welcher dessen dunkle Gestalt wie ein blütenweißer Rahmen umgab; Lokis Züge waren dem Boden zugewandt und sein Kopf schwankte benommen auf seinem Hals, doch Gwen erhaschte den Eindruck eines unpassend amüsierten Schmunzelns auf seinen bleichen Lippen, als sich der Vorhang seiner Haare für einen Augenblick teilte. Zwei weitere Agents lösten sich aus der Menge und eilten in die Hütte, um den bewusstlosen Hund zu bergen und diesen in den Helikopter zu verladen. Agentin Romanoff stieß Gwen unsanft vorwärts, sodass die Direktor Fury fast vor die Füße stolperte; sofort wollte sie zu Loki eilen, doch Agent Bartons Bogen hielt sie mit einem warnenden Klopfen zurück, als das biegsame Material auf ihre Brust traf und eine Grenze bildete, die sie dem strengen Gesicht des Agents nach nicht zu überschreiten hatte. Hawkeyes Züge wirkten wie aus Stein gemeißelt, seine Augen weiterhin hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen; ein einsamer Muskel in seiner Wange zuckte, immer dann, wenn der Agent auf den am Boden knienden Gott sah, der durch die Hände von Steve Rogers und Tony Stark gehalten wurde. Gute Freunde waren der Bogenschütze und der Magier definitiv nicht… »Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass jemand wie du so dumm wäre, meine Entschlossenheit auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen, Loki. Aber offenbar belehrt uns das Schicksal jedes Mal aufs Neue.« Die vor Genugtuung förmlich triefende Stimme des S.H.I.E.L.D Chefs durchbrach die beinahe seltsame Stille, nachdem die letzte Drehung der Rotorblätter über ihnen beendet war und einsam verstreute Vögel die einzige Untermalung in der kühlen Waldluft bildeten nebst dem vernehmlichen Sirren von Ironmans Rüstung, als dieser mit einem dumpfen Laut auf dem Boden landete. »Du musst uns Menschen wirklich für einfältig halten und dich für absolut unbezwingbar, dass du meinst, außerhalb deiner Frist hier noch ungestraft verweilen zu dürfen.« Ein raues Kichern ließ die schmale Gestalt des Magiers beben. »Ich konnte doch nicht gehen, ohne mich gebührend zu verabschieden…« raunte Loki mit geschwächter, nichtsdestotrotz bedrohlich dunkler Stimme und hob sein Haupt mühsam an, um dem Blick des Direktors unerschrocken zu begegnen. Durch die Augen des Gottes tänzelte vergnügter Wahnsinn, ein Schleier von Schabernack und Süffisanz. Andrew Preston zog alarmiert seine Waffe und entsicherte diese, verdiente sich damit einen spöttischen Blick des Gottes, bevor dieser einen Schwall Blut in den Schnee spuckte. »Nun, verabschieden wirst du dich jetzt ganz sicher nicht mehr. Zumindest nicht von der Erde. Höchstens von deiner Wegbegleiterin Miss Lewis, denn die steht mit sofortiger Wirkung unter der Obhut von S.H.I.E.L.D.« tönte Furys Stimme in sachlicher Gelassenheit über sie hinweg, bevor der Direktor anfing, im Schnee vor Loki auf und ab zu schreiten; der Mann kostete seinen Triumph aus, schien keine Eile zu haben, das Feld zu verlassen. Seine gesamte Haltung drückte Befriedigung und den Genuss seiner Rache aus; lange musste der Fury auf diesen Augenblick gewartet haben, sodass er sich den Moment nicht nehmen lassen wollte, den Gott bezwungen vor sich zu haben. Loki verfolgte die Schritte des S.H.I.E.L.D. Chefs eher amüsiert, fast so milde belustigt, wie man ein Kind ansah, dass in seinem ahnungslosen Glauben an Märchen und Wundern festhalten wollte, die ohne Zweifel irgendwann wie Seifenblasen zerplatzen würden. Obwohl der Magier von zwei Avengers flankiert und von einigen gezogenen Waffen beobachtet wurde, so machte er eigentlich nicht den Eindruck, als wäre er hier der Unterlegene. »Deine lächerliche Gnadenfrist ist nun vorbei, Loki und ich werde es genießen, dir die Strafe zukommen zu lassen, die ich für angemessen halte, um deine Verbrechen an der Erde und ihren Menschen zu sühnen, da Asgard ja augenscheinlich nicht dazu in der Lage ist. Thor wird mich dieses Mal nicht um mein Recht bringen.« Fury hatte sich vor Loki aufgebaut wie eine Mauer aus dunkler Entschlossenheit und sein verbliebenes Auge funkelte eindringlich auf den knienden Gott herab, der sich nur zu einem spöttischen Braue heben hinreißen ließ und das Schmunzeln auf seinen Lippen noch tiefer grub. Er ließ dem Menschen seinen Monolog, als wäre der es kaum Wert, dass der Prinz sein Wort an ihn richtete. »Deine Arroganz wird dir noch vergehen, wenn du den Rest deines unsterblichen Lebens in einer fensterlosen Zelle verbringen wirst.« grollte Fury nun mürrisch, offenbar unzufrieden darüber, dass der Gott so gar keine Regung zeigte. Dann schien ihm allerdings ein Gedanke zu kommen. »Agent Preston, Sie kümmern sich um die Frau. Bringen Sie Miss Lewis bitte in ihre zukünftige Bleibe, bevor wir mit den Untersuchungen beginnen.« »Nichts lieber als das…« Andrew ließ die Waffe in das Holster unter seinem Mantel zurückgleiten und packte Gwen sogleich am Arm, nicht jedoch ohne Loki einen provozierenden Blick zuzuwerfen; nicht gerade sanft wies er Gwen den Weg zu dem Helikopter, die sich allerdings wie eine Furie in seinem Griff aufführte und so heftig zappelte, dass Andrew sie halb tragen musste. »Lass mich los! Das könnt ihr mit mir nicht machen! Ich habe auch Rechte!« Bitter sah sie den Agent neben sich an, der so fern ab von dem Mann schien, den sie eigentlich zu glauben kannte; die zurückhaltende Freundlichkeit war verschwunden und hatte steinharter Loyalität Platz gemacht. »Andrew…bitte…bitte tu mir das nicht an…« versuchte sie an sein Gewissen zu appellieren, doch er ignorierte ihr Flehen und schob sie weiterhin fast schon grob in Richtung des Black Hawk. Ihr Kopf ruckte mühsam herum und fing Lokis Blick auf. Verzweiflung schwamm in den aufsteigenden Tränen, die in ihren Augen brannten. Sollte das das Ende sein? Würde sie ihn nie wieder sehen? Eine Hand streckte Gwen in einer schwermütigen Bewegung in Richtung des Gottes aus, ein hoffnungsloses Flehen, bevor sie schon von Andrew herumgerissen und in den Helikopter gezwungen wurde; entmutigt sackte sie zusammen, spürte Hoffnungslosigkeit wie eine Woge heranrollen, die ihren Magen in eine eisige Faust schloss und ihre Entschlossenheit davonschwemmte. Die eher grobe Behandlung des Agents an Gwen bewirkte eine erste, sichtbare Reaktion bei dem Magier und ließ die Illusion eines Zähnefletschens entstehen, als sich sein betäubter Körper gegen die kreisenden Fesseln in seiner Blutbahn wehrte; Ironman drückte den Prinzen unmissverständlich zurück in den Schnee, als dieser sich aufrichten wollte, um Gwen und Andrew zu folgen. »Na na, schön hiergeblieben, Prinzessin. Du bekommst deinen eigenen Flieger.« Die schlanken Fingerknochen von Lokis Hand stießen fast wie Dolche durch die dünne Membrane seiner Haut, als er die Finger zu Klauen krümmte und die Nasenflügel unter angestrengten, wütenden Atemzügen bebten. Fury hob das Kinn zufrieden und beäugte den Gott mit eigenwillig teuflischer Genugtuung, da er offenbar etwas gefunden hatte, was die eisige Hülle des Magiers durchbrach. Plötzlich war es, als würde die Welt stehen bleiben; eine schwere, erdrückende Stille legte sich über den Wald, die Vögel verstummten und selbst die Baumwipfel ließen kein Rauschen mehr vernehmen, als hätte der Wind selbst den Atem angehalten. Ein kaum wahrnehmbares Vibrieren erwachte unter ihrer aller Füßen und summte in schwermütigen Wellen durch das Erdreich; ein unheilvolles Echo, als würde sich ein Riese im Kern der Welt ächzend um sich selbst winden. Die Scheiben des Black Hawk zitterten in einem hellen Klirren und die Waffenausrüstung des Helikopters stieß klappernd zusammen; eine bedrohliche Sinfonie wie das ängstliche Schlottern von Lämmern unter dem gierigen Blick eines Wolfes. »Was ist das…?!« fragte Agent Barton in die Stille. Andrew war stehen geblieben, hielt sich an der geöffneten Tür des Black Hawks fest und sah kritisch und verwirrt auf seine Füße, wie die anderen Agents es ihm gleich taten, ihre Waffen sinken ließen und irritiert ein paar Schritte über den vibrierenden Boden stolperten, der sich klagend unter ihnen in merklichen Wellen aufbäumte, als wolle die Erde selbst ihre Lasten abwerfen. Im nächsten Moment erhoben sich die verstummten Vögel einer kreischenden, dunklen Wolke gleich aus den Bäumen und überzogen den Himmel mit beweglichen Schattenfetzen, als hätten sich alle unter einem stummen Befehl mit einem Mal in die Lüfte erhoben; rings umher stiegen die Vögel in trudelnden Spiralen in die Höhe, bevor die geballten Massen unter dem ohrenbetäubenden Gesäusel von unzähligen Flügeln und Schnäbeln davonstob. Hawkeye richtete seinen Blick in den Himmel und zog sich in einer langsamen, ungläubigen Geste die Sonnenbrille von der Nase; Natascha Romanoff neben ihm verengte die Augen und hielt ihre Waffe verkrampft im Anschlag, als würde sie jeden Augenblick einen Angriff erwarten. »Was zur Hölle…« Gwen schob sich unsanft an dem erstarrten Andrew vorbei und stolperte aus dem Schatten des Helikopters, um das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen; ein unsichtbarer Schatten bemächtigte sich ihr und sog ihr die Luft aus den Lungen wie der Kuss des Todes jegliches Leben mit sich nahm. Eine schlafende Bosheit war erwacht, eine lauernde Finsternis in der Ferne… Gwens Nacken überzogen eiskalte Spinnenfinger, ihre Atemwege wirkten verklebt von der schwelenden Bedrohung in der Luft; ein Gefühl von unausweichlicher Bestimmung stieg in ihr auf, als würde man das Licht eines herannahenden Zuges bereits sehen, doch wusste, dass man nicht entkommen konnte, da man auf die Schienen gefesselt war. »Womöglich ein Erdbeben?!« sprach Captain America seine These zweifelnd aus und drehte sich um die eigene Achse, das Schild kampfbereit erhoben, bevor er dem Direktor einen fragenden Blick zuwarf. Doch der schien genauso unwissend wie alle umher; allerdings meinte er offenbar sofort des Übels Wurzel zu erkennen. Die Hand des S.H.I.E.L.D Chefs schoss vor und packte den geschwächten Magier am Kragen seines Mantels, um ihn unsanft zu schütteln. »Was geht hier vor sich, du verdammter Irrer?! Du weißt doch etwas! Ist das wieder dein Werk?« Loki beantwortete die grobe Behandlung mit einem trägen, schrecklich blutbeschmierten Grinsen, indem er sein Gebiss gehässig enthüllte und die nebelverhangenen Augen in überheblicher Gleichgültigkeit auf den Direktor richtete, bevor er die bleichen Hände in einer schwachen, unschuldigen Geste spöttisch anhob. Die Hilflosigkeit der Menschen schien ihn ein ums andere Mal zu faszinieren und zu amüsieren. »Sir…« zog die fassungslos brüchige Stimme Tony Starks die Aufmerksamkeit aller auf sich; der Erfinder hatte die Maske seiner Rüstung zurückschnappen lassen und offenbarte ein nun blasses Gesicht, in dem ein ungewohnter Hauch von Bestürzung seine Furchen gegraben hatte. Ironman streckte seine metallene Hand in Richtung des Horizonts aus. »Ich glaube, das sollten sie sich ansehen…« brachte er stockend heraus und schluckte sichtbar, sodass sein sorgsam gestutzter Bart über die Kante seines Helmes hüpfte. Gwen tastete sich vorsichtig an der kühlen Hülle des Helikopters entlang und spähte nun wie alle anderen auf jenen Punkt am Horizont, den der Erfinder ihnen gewiesen hatte; ein Stück ersichtlicher Himmel zwischen einer Schneise in den Baumreihen, wo sich die Straße den Berg hinauf schlängelte. Ein kühler Wind kam auf, ähnlich des schmerzerfüllten Wimmerns eines geschlagenen Soldaten auf dem Feld des Krieges; ein Hauch ohne Wärme, aber voller Pein und Schrecken - das Zupfen von eisigen Fingern an der Kleidung aller, die nun mit geweiteten Augen auf den Horizont starrten. Selbst Loki hatte das Haupt gedreht und spähte unter feuchten Strähnen in den morgendlichen Himmel, auf dessen blauer Sphäre sich an der Grenze zwischen Horizont und Erde etwas heranwälzte; ähnlich einer Feuersbrunst schlängelten sich tentakelartige Schlieren über das zarte Blau des Himmels und raubten diesem das Licht des Tages. Die strahlende Morgensonne wurde verschluckt in einem Wirbel aus Rauch und Schatten; ein blutrotes Kaleidoskop stülpte sich über den hellen Himmelskörper und raubte ihm die Freundlichkeit und Hoffnung seines Lichtes. Ein entferntes Grollen wurde laut, ähnlich eines verhaltenen, qualvollen Stöhnens, als würde Midgard selbst unter der herannahenden Bosheit erzittern; das peinvolle Ächzen zog durch die Luft, rollte über sie hinweg und ließ den Boden erneut unter einem schweren Beben erzittern. Umher brachen plötzlich sämtliche Tiere des Waldes aus dem Unterholz und stürmten panisch in die entgegengesetzte Richtung des unheimlichen Himmelsschauspieles davon; Agent Barten musste einen hastigen Schritt zur Seite tätigen, um nicht von einem rasenden Hirsch umgerannt zu werden, der mit geblähten Nüstern und angststarren Augen an ihnen vorbei fegte. Donnernd flüchteten die Tiere, ein Durcheinander aus Schnaufen, Brüllen und Winseln, aus tosenden Hufen und hektischen Pfoten. »Was, in Gottes Namen, ist das…?« flüsterte Captain America bestürzt und ließ seinen Schild sinken, ungeachtet der drohenden Gefahren. Auch Ironman stand erstarrt an seinem Platz und hatte selbst Loki vergessen, der eher mit wachsamer Aufmerksamkeit dem Geschehen folgte, als furchtsam wie die meisten der Menschen umher. Gwen drückte sich schutzsuchend an das kühle Metall des Black Hawk und spähte unter wirbelnden Haaren in die Ferne; obwohl der Fluchtreflex in ihr genauso übermächtig war wie jener der instinktgetriebenen Tiere, so war sie doch auf seltsame Weise gefesselt von dem Schrecken, der sich dort rasend schnell über den Himmel auf sie zubewegte und den Eindruck machte, das gesamte Licht des Tages verschlucken zu wollen wie das gierige Maul einer heranpirschenden Schlange. Die Agents ließen unsicher ihre Waffen sinken, selbst Black Widow senkte die Hand mit ihrer Pistole jetzt und suchte den Blick ihres Partners, als ein nicht zu unterdrückender Funken Angst in ihren Augen aufglomm; Agent Bartons herbe Züge spiegelten eine Fassungslosigkeit, die sein Gesicht in zerfurchte Konturen tauchte. Ein zaghaftes Kopfschütteln folgte, bevor er zu der rothaarigen Agentin hinüber trat; eine Spanne überwandte, die in diesem Augenblick viel zu groß wirkte. Captain America beobachtete das Geschehen am Himmel mit einer Miene, die vom Glauben abgefallen wirkte; erstarrt stand er da und suchte offenbar in den Wolken eine Erklärung, die ihm nicht einmal Tony Stark geben konnte. Der Erfinder schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, erschütterte Ehrfurcht kroch durch seine Augen. Allein Direktor Fury wirkte verbissen und stemmte sich gegen den aufkommenden Sturm, als könnte er mit Körperkraft und Entschlossenheit allein alles abwenden; beinahe trotzig verfolgte er die heranbrandende Finsternis, während sich sein Mantel hinter ihm blähte und das Geräusch von zerfetzten, flatternden Segeln erzeugte. Der Wind heulte auf wie ein verwundetes Tier und wo er zuvor eisige Kälte mit sich brachte, toste nun der heiße Atem der Verderbnis über ihnen, als das bedrohliche Himmelsphänomen über sie hinweg brauste und das Licht des Morgens zu einer fernen Erinnerung degradierte; als würde Vakuum Luft vertreiben, so zogen die fauchenden Schattenwolken über ihnen am Zelt der blauen Sphäre hinweg und saugten den Schein der Sonne mit einem Brüllen auf. Über das Land legte sich der düstere Nebel von kochendem Blut, die Sonne ein dumpfer Fleck hinter dem satten Rot und wirbelndem Grau des Himmels. Der heiße Wind flaute ab, zog mit der wogenden Gischt der Himmelswalze weiter über das Land; ihm folgte ein bebendes Stöhnen, ein Laut, der weniger aus dieser Welt schien als vielmehr aus einer Unterwelt, die aufgebrochen wurde. Über den grotesk entstellten Himmel zogen kreischende Gesichter, als würden sich fauchende Dämonen gegen die Grenzen ihres Gefängnisses stemmen, bevor das weit entfernte Echo eines schmerzhaften Klagens die Erde erzittern ließ und Gwen einen grausigen Schauer durch die Knochen jagte. In den aufgetürmten Wolken über ihnen, die schlierend aus Blut, Knochen und Asche zu bestehen schienen, zuckten sirrende Blitze und tauchten die Umgebung in ein geisterhaftes Licht; die Atmosphäre war statisch aufgeladen, so spürbar, dass sich einem die feinen Härchen auf der Haut aufstellten. Ein Knistern jagte über den Himmel, gefolgt von einem krachenden Donner, der markerschütternd über das Land rollte. Doch der heilsame Regen blieb aus. Lokis Grinsen leuchtete im Schein der Blitze, seine fahlen Züge beleuchtet wie das Gesicht eines Dämons, der hämisch auf die Welt unter ihm sah. Blut leckte an seinen Lippen und tauchte diese in dunkle Farbe, bevor er sich jene in einer trägen Bewegung am Ärmel seines Mantels abwischte; eine schleifende Spur des Lebenssaftes zog sich über seinen Mundwinkel und ließ sein Grinsen verwischt wirken. Gwen löste sich aus dem Schatten des Helikopters und stolperte nun entschlossen zu dem Gott hinüber, die Augen zwischen ihm und dem brodelnden Himmel schwankend. Niemand hielt sie auf in ihrem Weg, als sie neben Loki in die Knie sackte und die Arme ohne Scham um seinen schmalen Leib schlang, die Geborgenheit suchend, welche die Feuerwalze am Himmel eben mit sich genommen hatte. »Oh Gott…Loki…was geht hier vor sich…?« Schlanke Finger fanden den Stoff auf ihrem Rücken, drückten sie gegen den Magier, dessen Herzschlag kaum aus dem Takt geraten schien; seine Wunden allerdings wirkten aus der Nähe furchtbar, Bartons Pfeil steckte noch immer in dem zersplitterten Material seiner Brust und ragte dort heraus wie ein absonderliches Monument. Sie wollte die Finger danach ausstrecken, ließ es dann aber. »Ich weiß es nicht. Ich kann nur Vermutungen anstellen…« antwortete ihr der Magier rau; das spöttische Grinsen verblasste auf seinen Lippen und machte nachdenklicher Strenge Platz, die seine Brauen eng zusammen zog. Fury sicherte sich seinen Stand auf der noch immer seltsam schwankenden Erde, grub seine Stiefel starrsinnig in die Reste des Schnees, der unter dem aufgeladenen Hauch des Himmels bereits kapituliert hatte. Sein einseitiger Blick traf den Gott, seine dunkle Stirn zog sich in zornige Falten. »Du weißt, was das ist, oder?« mutmaßte der Direktor fauchend, doch die bebende Stimme von eigensinniger Unsicherheit geplagt. »Hm…« gab Loki schwach von sich, bevor sich seine Züge schmerzhaft spannten, als er den Pfeil in seinem Oberschenkel umgriff und diesen mit einem Ruck herauszog. Seine Kiefer tanzten wie Schiffe auf dem bockenden Meer und sein Gebiss war verkrampft enthüllt, als sich die Widerhaken aus den Muskeln lösten und er das Geschoss mit einem angewiderten Laut von sich warf. Gwen schälte sich sofort aus ihrer Jacke und drückte diese gebündelt auf die tiefe Wunde, welche Blut wie eine sprudelnde Quelle ausspuckte; offenbar hatte Barton eine Arterie erwischt. Loki schien davon allerdings wenig beeindruckt, denn er bettete die freie Hand auf Gwens zitternden Fingern und sandte ein warmes Kribbeln aus Magie durch den Stoff, wahrscheinlich um seine Selbstheilungskräfte anzuregen. Sie hätte gern diese Kraft in sich benutzt, um ihm zu helfen, doch Loki hatte es ihr ausdrücklich verboten; sie biss die Zähne aufeinander und vergrub das Gesicht an seiner Halsbeuge, während sie die Sorge um ihn und die lähmende Furcht mühsam zurückdrängte. Zum Glück war er ein Gott, sonst hätten ihn die Wunden wahrscheinlich schon umgebracht. »Es scheint, als hätte Malekith das Tor zu Yggdrasil aufgestoßen. Die Weltenesche erzittert unter der nahenden Präsenz von Ymir, während der Urschlund offenbar freudig seine Ankunft erwartet.« offenbarte der Gott in abgeklärter Kühle und sicherte sich damit die Aufmerksamkeit aller Umstehenden; seine klar polierte Stimme rollte zwischen sie wie ein geborstener Gletscher, der knirschend einer Lawine gleich alles in seinem Weg hinwegfegte. »Das ist nur ein Vorbote des Schreckens. Von diesem Moment an wird jeder Atemzug ein Geschenk sein.« Gwen spürte die Hoffnung in ihrem Magen ersterben und jene zu einem unförmigen Klumpen Eiseskälte verdorren; ein Gefühl, dass offenbar auch alle anderen empfanden, denn auf deren Gesichtern spiegelte sich das gleiche Grauen - keine Ungläubigkeit den Worten des Gottes gegenüber, dessen Züge nun blank lagen und fern ab jeglichen Spottes. Es gab Momente, in denen selbst Loki offenbar kein Verlangen mehr nach einem Scherz verspürte. Ihr aller Leben - das Leben in seiner reinsten Form - war bedroht. Von diesem Augenblick an saßen sie alle in einem Boot und konnten nur hoffen, dass das wütende Meer sie nicht verschlucken würde… Kapitel 25: Rückkehr -------------------- Ein Grollen zerriss plötzlich die bedrückende Stille; ein energetisches Sirren, dem ein gleißend heller Lichtstrahl folgte, der die schwärende Finsternis des Himmels zerriss und auf die Erde traf - eine klaffende Wunde im Dickicht der tobenden Wolken. Der Schnee wurde aufgewirbelt zu hohen Wogen, während die Agents sowie die Avengers und Gwen ihre Augen vor der plötzlichen Helligkeit abschirmten; nur Loki hob den Kopf unbeirrbar in das strahlende Hell, in die himmlische Säule, welche einen massigen Körper auf die Erde herab spuckte, der mit einem Donnergrollen den Boden traf und seine schweren Stiefel in das Gemisch aus feuchter Erde und Schnee grub. Blondes, wildes Haar bedeckte ein gesenktes Haupt, bevor die imposante Gestalt in der silbernen Rüstung sich in Dunstwolken von Energie gänzlich aufrichtete und das Licht sich zurückzog, sodass die Umstehenden den Krieger blinzelnd betrachten konnten, der dort so unvermittelt zwischen ihnen gelandet war. Dessen roter Umhang blähte sich in den lauen Wogen des Windes wie ein blutbeflecktes Segel, als sich die tosende Energie des Bifröst auflöste. Einige - der wohl eher neu rekrutierten - Agents waren so dumm, ihre Waffen auf den blonden Hünen zu richten und andere schwenkten die Mündungen erneut gegen Loki, als müsste jener nun unbedingt die Ursache für alle unerwarteten Ereignisse sein. Die nervöse Anspannung der Männer war in ihren Gesichtern und verkrampften Fingern deutlich zu erkennen; eine äußerst heikle Situation, in der ihrer alle Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. »Thor?!« sprach Captain America als erster verblüfft; offenbar hatte er nun am wenigsten mit dem Auftauchen des Donnergottes gerechnet. Auch die anderen Mitglieder des Teams wirkten überrascht, fast schon alarmiert wegen des unerwarteten Besuches, denn entgegen jeglichen, vergänglichen Hoffnungsschimmers war nun wohl allen klar, dass die Sache ernst und Thors Auftauchen sicher keinen erfreulichen Grund haben würde. Selbst Direktor Fury schien die plötzliche Anwesenheit des blonden Gottes aus seiner beinahe lethargischen Ruhe zu reißen und in seinem verbliebenen Auge mochte man die umwölkten Fronten von aufziehendem Unbehagen erahnen. Grimmig zückte Thor Mjölnir und ließ jenen mit einem warnenden Sirren um sein Handgelenk kreisen, während seine blauen Augen jene Agents fixierten, die entweder ihn oder seinen Bruder mit der Waffe bedrohten. »Haltet ein und steckt eure Waffen fort…« verlangte er grollend, ohne seiner Aufforderung noch die übliche Drohung anzuhängen. Jeder konnte erahnen, dass der Gott nicht in der Stimmung für Spielchen war und Fury erkannte das offenbar auch, denn er gab den letzten seiner Männer, die es noch nicht von sich aus getan hatten, einen hektischen Wink, die Waffen zu senken. »Thor…« echote Tony Stark gleich darauf und seine Stimme klang nach bröckelnder Zuversicht; das markante Gesicht des Ironman versuchte wohl Witz zu spiegeln, dessen Endakkorde die Augen des Menschen jedoch nicht erreichten. »Bitte sag mir, dass das ein reiner Höflichkeitsbesuch wird...« Tony Stark wirkte beunruhigt - und Tony Stark wirkte selten beunruhigt. Gewissermaßen fast nie. »Meine Freunde….« begann Thor brüchig, nachdem er sich die Haare in einer Geste über die Stirn zurückgestrichen hatte, die förmlich nach Ratlosigkeit und Verzweiflung schrie. »…leider bringe ich keine frohe Kunde. Die Geschehnisse haben schwerwiegende Wendungen genommen…« Die tiefe, mächtige Stimme des blonden Hünen zerschnitt die anhaltende, angespannte Stille zwischen den Anwesenden so wirkungsvoll wie Lokis unselige Mutmaßung zuvor und ein sichtbares Atemholen rollte durch die Reihen. Natasha Romanoff ließ ihre Waffe als Letzte nun gänzlich sinken, die sie wohl aus einer Gewohnheit heraus die ganze Zeit auf Loki gerichtet hatte; ihre Bewegungen kraftlos und unschlüssig. Auch Agent Barton senkte seinen Bogen in einer angespannten Geste und schickte einen knappen Blick zum Himmel, als wollte er jenen verfluchen. Gwen kniete noch immer neben dem Magier im Schnee, dessen Arm sie an seinen Körper drückte und sah ebenfalls blinzelnd zu dem Donnergott auf, während die letzten aufgewühlten Schneeflocken seicht zu Boden trudelten. Loki ließ ein leises Glucksen nach Thors Worten vernehmen; eine Regung, die Gwen durch das Vibrieren seiner Brust mehr spürte als hörte. Seine Lippen zeigten ein fast humorloses, wissendes Grinsen, grausig verwischt durch die noch immer vorhandene Spur seines Blutes, welche sich wie ein grotesker roter Pfad von seinem Mundwinkel in die Höhe schlängelte. Gwen erschauderte - nicht wegen des Schattens von triumphaler Vorahnung in Lokis Augen, auch nicht wegen des nun aufheulenden Windes oder des Schnees, sondern wegen Thors Gletscherblick. In seinen Augen lag bohrende Mutlosigkeit; eine Sorge, die Angst sehr nahe kam und die gierigen Fühler von Verzweiflung beinahe zu spüren schien - der Donnergott wirkte geschrumpft in seiner Rüstung, als wäre ihm jene mit ihrer Verantwortung zu groß geworden. Obwohl seine Gestalt noch die Gleiche war, schienen tonnenschwere Lasten seine Schultern zu beschweren und ihn herab zu drücken. Damit waren Lokis Worte von vorhin für Gwen mehr als bestätigt; nicht, dass sie an der Aussage des Magiers je gezweifelt hätte, denn immerhin konnte sie das wabernde Unheil beinahe in der Luft schmecken - ein abgestandenes Aroma von Fäulnis und Asche, welches bitter auf der Zunge lag und sich im flammend schwärenden Himmel manifestierte. Doch die Besorgnis in Thors sonst so heiterem Gesicht war erschreckender als alles andere. Wenn selbst der Donnergott gezeichnet von Furcht und Zweifel war, selbst dieses Monument von Mut und Hoffnung zu wanken drohte, musste die Lage wahrlich ernst sein. Thors Blick senkte sich nun in jenen seines Bruders und auch Loki mochte die Ernsthaftigkeit in den Zügen des Donnergottes lesen, denn sein Grinsen begann zu verwehen und verzog sich schlussendlich hinter einer geraden Linie seiner Lippen, die man durchaus als besorgt hätte bezeichnen können. »Was ist passiert, Thor…?« brachte er kratzig heraus, nachdem er sich das Blut aus dem Mundwinkel gewischt und jenes beinahe trotzig in den blütenreinen Schnee geschleudert hatte, um sich dann mühsam zu erheben. Diesmal ließ er sich dabei sogar von Gwen helfen, welche die Taille des Gottes umschlang, um ihn zu stützen. Obwohl er so arge Wunden von dem Kampf getragen hatte, schienen diese bereits schon wieder zu heilen und seine Kräfte langsam zurückzukehren; Gwen konnte die außergewöhnliche Regenerationsfähigkeit der Götter wie ein pulsierendes Beben unter dem Leder seiner Rüstung fühlen. Fast konnte Loki schon wieder ohne Gwens Hilfe stehen, obwohl das Beruhigungsmittel sicher noch in seinen Venen kreiste. Diese Bewegung des Magiers weckte Andrews Argwohn, denn der Agent hob erneut seine Waffe an; Thor jedoch stapfte durch den knirschenden Schnee auf seinen Bruder zu, als würde der Rest der Anwesenden gar nicht existieren und bezog damit deutlich Stellung, denn sein breiter Rücken schirmte Loki vor den Agents ab. »Malekith hat das Tor zu Yggdrasil durchstoßen, wie du es vermutet hast, Bruder...« berichtete Thor mit bitterer Stimme; der Hammer in seiner Hand wirkte nun selbst für den Hünen schwer und seine Schultern gebeugt. Loki sah für einen Augenblick regelrecht fassungslos aus, obwohl er die Wahrheit längst vermutet hatte - sie ausgesprochen zu hören war dennoch eine andere Sache; trotz seiner Wunden trat er vor und packte den Donnergott herrisch am Aufschlag seines Umhanges, um sich dessen ungeteilte Aufmerksamkeit zu sichern. Der straffte die müden Schultern, als wollte er sich wappnen, bevor sein Blick dem seines dunkelhaarigen Bruders unbeirrt begegnete. »Wie konnte das passieren, Thor?! Wie?!« zischte Loki seinem Bruder entgegen und schüttelte den Kopf, als müsste er einmal mehr an den geistigen Fähigkeiten des anderen zweifeln. »Wieso habt ihr das Portal nicht gesucht und geschützt, wie ich es euch geraten habe?« Mit einem frustrierten Schnauben stieß der Magier Thor von sich und rieb sich in einer erschöpften Geste die blasse Stirn. »Das haben wir.« stieß Thor in einer schwachen Rechtfertigung aus, bevor er sich mit der freien Hand den Nacken rieb und den Blick seines Bruders wieder suchte. »Alfheim hatte das Portal stabilisiert und es bewacht. Doch es gibt Unruhen in den Welten. Söldner, die durch die Lande ziehen und offensichtlich für Malekith Chaos stiften oder sich einfach an der allgemeinen Angst und den Unruhen bereichern wollen. Die Alben nahmen eine Gruppe Aufrührer gefangen, unwissend, dass sie den Feind damit in ihre Reihen geleiteten. Einer von Malekiths Kursed-Kriegern hatte sich unter den Söldnern versteckt und durchbrach die Reihen; er störte den Zauber, womit die Alben das Portal gefesselt hatten und hinterließ eine Schneise von Tod und Zerstörung…« Lokis Kopf ruckte nach oben, er wirkte gewarnt, fast unverständig. »Ein Kursed, sagst du?! Und es gab keine Sicherheitsvorkehrungen?! Alfheim hätte viel besser bewacht werden und auf solche Fälle vorbereitet sein müssen!« Der Magier stieß ein hohles, unzufriedenes Lachen aus, während das Rot des Himmels eigensinnige Linien auf sein blasses Gesicht malte, welche seine ohnehin kantigen Züge hart erscheinen ließen. Dann murmelte er: »Bei allen Welten, das Malekith seine Männer tatsächlich noch immer an die Finsternis opfert…« Fast meinte man einen Anflug von Bewunderung in den grünen Augen des Gottes zu sehen. »Er verfolgt seine Ziele ohne Gnade, das muss man ihm lassen…« »Noch niemals standen wir solch einem Feind gegenüber. Keiner konnte wissen, dass er noch immer solche Waffen besitzt. Der Aufenthaltsort des Portals wurde streng geheim gehalten…niemand konnte mit einem solchen Angriff rechnen.« grollte Thor zerknirscht und kaute angespannt auf der Innenseite seiner bärtigen Wange, die eingefallener wirkte, als Gwen es in Erinnerung hatte. »Durch Ymirs Geist hat Malekith ungeahnte Macht erhalten. Die Welten sind auf solch geballte Bosheit nicht vorbereitet…« Gwen war unschlüssig etwas abseits der beiden Brüder stehen geblieben, doch konnte sie jedes Wort der ungleichen Götter verstehen. Auch Direktor Fury näherte sich nun und obwohl sein Auge wachsam auf Loki weilte, so drückte seine Miene doch zunehmend Bereitschaft zu einem Gespräch aus. Ein fahles, knochenweißes Leuchten durchschnitt die brodelnde Wolkendecke und ein grollender, ächzender Donner folgte, der die Erde beben ließ; ein paar verirrte Vögel erhoben sich kreischend aus den schwankenden Baumwipfeln. Die Avengers sondierten die Umgebung angespannt und besorgt, ein jeder mit den eigenen Ängsten und Sorgen belastet. »Thor…« wandte sich der S.H.I.E.L.D Direktor mit dunkler Stimme an den Donnergott. »…was ist hier los? Warum bist du hier? Was bedeutet das alles? Womit haben wir es hier zu tun…?« Ein anklagender Fingerzeig Furys wies in den Himmel, der noch immer in höllischer Farbe seine Wolkenberge türmte und grausig schreiende Gesichter ausspie, die man in den wogenden Bahnen erahnen mochte. Furys Auge glitt zwischen Loki und Thor umher; seine Miene war herrisch und stahlhart, als würde er sich eigentlich weniger Unbehagen erlauben, als es seine angespannte Haltung erahnen ließ. »Wie ist unsere momentane Lage?« Der Mann war ein Führer und in dieser Rolle so festgesetzt, dass er sich kaum davon lösen konnte - schon gar nicht vor seinen Männern und der bunten Truppe seiner Helden, deren aller Augen nun ratsuchend auf seiner Gestalt und den beiden Göttern lagen. »Direktor…« Thor wandte sich in einer abgehakten Bewegung dem Menschen zu; seinen Blick gesenkt, als würde er im aufgewühlten Schnee die richtigen Worte finden - mehr noch als würde er eine Lösung suchen, die seine angespannten Brauen so verzweifelt zu suchen schienen. Falten von unübersehbarer Sorge überzogen seine Stirn und bahnten sich einen klaffenden Weg über eine tiefe Furche zwischen seinen blonden Brauen. »….Freund.« Er sah auf und die ernsten Klänge, welche seine volltönende Stimme anschlug, ließen Fury sich versteifen. Der Donnergott legte dem Menschen eine große Hand auf den in dunklen Leder gehüllten Unterarm. Tony Stark tauschte mit Steve Rogers einen knappen, ernsten Blick, bevor beide Männer ein wenig näher kamen, gefolgt von den anderen Agenten, sowie Natascha Romanoff und Clint Barton. »Die Lage ist ernst. Sehr ernst...« begann Thor nun unheilvoll zu erklären und selbst Loki verbat sich dieses Mal jeden unpassenden Kommentar, sondern presste die Lippen aufeinander, während er die Arme in einer harschen Geste vor der Brust verschränkte. Obwohl er zerschunden im Schnee stand, erschöpft von dem Kampf mit den Avengers, schaffte er es trotz allem noch Würde und eine gewisse hoheitliche Arroganz auszustrahlen. Gwen atmete tief ein, bevor sie sich entschlossen nach vorn schob und an Lokis Seite trat. Das Verlangen nach Nähe und Geborgenheit war übermächtig; der Himmel schien wie eine drückende Lawine aus Geröll und Bosheit, welche sie alle zu erdrücken drohte. Sie schob eine Hand unter den Knoten seiner Arme und fing seinen für einen Moment irritierten Blick auf, bevor er seine steife Haltung lockerte und sie kurz darauf schon die vertraute Wärme seiner Haut an der ihren spürte; zögerlich verwob er seine Finger mit ihrer eiskalten Hand. Erleichtert ließ sich Gwen gegen Loki sinken und lauschte schweigsam und angespannt Thor Ausführungen. »Wie euch mein Vater bereits unterrichtet hat, so hat sich Malekith erneut aus dem dunklen Tal des Vergessens und der Vergangenheit erhoben, um seinen Feldzug gegen die Ordnung zu führen. Dabei wird er in seinen Rachegelüsten von Ymir unterstützt - dem Urriesen, welcher älter ist als die Zeit und dessen Seele mehr als alles andere nach Vergeltung drängt.« Natashas Blick blieb flüchtig an Gwen und Loki hängen und die Agentin runzelte kurz irritiert die Stirn, bevor sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Donnergott lenkte. Nicht jedoch so Andrew, dessen Augen beharrlich auf dem Magier und Gwen liegenblieben - das Eis seiner Augen schien sogar gegen den heißen Wind ankämpfen zu wollen. »Ymir hat sich Malekiths Körper bemächtigt und den Dunkelelfen somit zu grausamer Macht verholfen. Die Reihen der Schwarzalben verdichten sich schnell und werden zahlreich, ebenso wie ihre Verbündeten. Und nun ist ihnen das gelungen, was sie die ganze Zeit beabsichtigt hatten - sie haben einen Weg zur Weltenesche aufgetan…« Thor hielt kurz inne und wie zur Antwort auf seine Worte bäumte sich der Himmel stöhnend auf und ließ ein unseliges Grollen vernehmen, dem ein statisches Knistern folgte; verästelte Blitze zuckten geräuschlos durch die Wolken, ein schauriges Spiel aus bleichen Geisterfingern und glutroten Schlieren. »Und ich schätze, das ist nicht gut…!?« Tony Stark rieb sich mit einer Metallhand über das offengelegte Gesicht. Die Linien darin gruben sich augenblicklich tiefer, ließen ihn älter wirken, als sein sonst so jugendliches Grinsen zu überspielen vermochte. »Das ist alles andere als gut...« bestätigte der Donnergott die Worte des Erfinders. Sein Blick zuckte flüchtig zu Loki, der sein Kinn gehoben hatte und die unterschwellige Überheblichkeit eines Mannes ausstrahlte, der das Ende vorausgesehen hatte und sich jetzt doch nicht am Triumph seiner Weitsicht erfreuen konnte. Wenn die Welten untergehen würden, dann würden sie alle mit ihnen sterben und auch Loki würde von diesem Schicksal nicht verschont bleiben - so sehr den Gott die Hilflosigkeit der Asen und aller anderen auch mit Genugtuung erfüllen sollte, am Ende wäre ihrer aller Niederlage auch die seine. »Yggdrasil ist der Nabel der Welten, die Verbindung dazwischen. Die Esche ist der Anfang, dort begann alles. Dort erwuchs das Leben aus dem Urschlund. Und von dort aus könnte Malekith ungehindert auf alle Welten zugreifen. Er braucht nun nur noch die Weltenesche erreichen, sodass Ymir diesen heiligen Ort verderben kann…und die Welten werden fallen. Und niemand wird ihn daran hindern können, nicht einmal der Allvater. Keine Macht der Welt könnte das Verderben dann noch aufhalten…« prophezeite Thor. Gwen hatte zu zittern begonnen; obwohl die Luft umher aufgeladen und hitzig erschien, so durchdrangen sie Thors Worte wie ein Schwall eisigen Wassers und noch dazu forderte die Aufregung zuvor ihren Tribut - das Adrenalin ließ nach und die Erschöpfung kehrte übermächtig in ihre Glieder zurück. Unvermittelt spürte sie Lokis kräftige Finger, welche sie an seinen Körper zogen; er hatte seine steife, hoheitliche Haltung nun völlig aufgegeben und einen Arm um sie geschlungen, um ihr die Sicherheit zu schenken, die sie so verzweifelt herbei sehnte. Obwohl sein Augenmerk auf Thor lag und sich seine Miene auch nicht wesentlich gelockert hatte, so entlockte diese Geste Gwen doch ein zaghaftes, flüchtiges Lächeln; einen Funken von Zuversicht unter einem Himmel, der nach Verdammnis und Unheil schrie. »Aber…er hat Yggdrasil noch nicht erreicht, oder?« meldete sich nun der Cap zu Wort. Steve Rogers war näher getreten und suchte in Thors Zügen nach einer Bestätigung. »Malekith ist noch nicht an der Weltenesche angelangt, sonst wären wir wahrscheinlich bereits alle tot, nicht wahr?« Alle Augen richteten sich nun vertrauensvoll auf den Donnergott; hofften verzweifelt auf eine Lösung, einen Plan, den Thor ihnen nun präsentieren sollte. So war es schon immer gewesen - in Zeiten der Not hielten sich die Menschen an dem Glauben zu ihren Göttern fest, die allmächtig im Stande schienen, alles richten zu können. »Das ist nur eine Frage der Zeit…« resümierte Loki trocken und zog eine Braue spöttisch in die Höhe. »Die Verteidigungslinien Yggdrasils sind lächerlich gering im Gegensatz zu Legionen wild entschlossener Dunkelelfen, die, von einem besessenen Herrscher angeführt, wohl gerade in diesen Augenblicken über die Ebenen Yggdrasils voranschreiten. Ymir wird die Mauern einfach beiseite wischen, wenn die Verteidiger keine Unterstützung erhalten. An Unterstützung hast du doch hoffentlich gedacht, Thor…?!« »Genau da liegt das Problem. Und ich fürchte, es ist noch viel schlimmer…« warf Thor fast zaghaft ein und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Sein Blick suchte den seines Bruders und Gwen erkannte Ratlosigkeit und eine unausgesprochene Bitte in den von Sorge umwölkten Augen des Donnergottes. »Hels Legionen begleiten nun Malekiths Truppen. Sie halten bereits Niflheim besetzt und die Zwerge mussten aus ihrer Heimat flüchten. Es ist uns nicht gelungen, sie aufzuhalten…« Scham und der boshafte Wurm des Versagens nagten sichtbar an Thor. Loki stieß ein kurzes, abgehacktes Lachen aus und schüttelte in einer resignierten Geste den Kopf, bevor er seinen Bruder erneut ansah. Er befeuchtete sich die spröden Lippen, bevor er sprach: »Ich hätte nie gedacht, dass es mir einmal so wenig Freude bereiten würde, dir das zu sagen, Bruder, aber…du kannst rein gar nichts tun. Asgard wird fallen. Und mit ihm alle anderen Welten. Du hast versagt.« Entgegen seiner süffisanten Worte konnte Gwen jedoch keine Genugtuung in den klaren Augen des Magiers erkennen; tatsächlich schien sich seine Freude über Thors Hilflosigkeit in Grenzen zu halten. Viel eher gruben sich Linien von unerwarteter Sorge um seine unbewegten Mundwinkel. »Noch ist nicht alles verloren.« begehrte der Donnergott gegen das harte Urteil seines Bruders auf. Er streckte eine Hand aus und ergriff Loki am Arm; nicht grob, nicht zwingend - es war eine sanfte, flehende Geste. »Du musst mit mir nach Asgard zurückkommen, Bruder. Bitte. Wir brauchen dich dort…« Und da war er, der Moment, den Gwen die ganze Zeit über vorausgesehen hatte; Thor erbat Lokis Hilfe und sie hoffte so sehr, dass dieser endlich erkennen konnte, wie wichtig er war - für seinen Bruder, seine Familie, für alle Welten. »Oh, sag bloß, man erfleht wieder einmal meine Hilfe?! Ich bin wirklich fast gerührt und gewissermaßen auch enttäuscht…wie wenig ihr doch selbst zustande bringt.« Die gewohnte Bissigkeit der Silberzunge schlug weniger hart zu als sonst; die Worte kamen fast sanft und resigniert über die Lippen des Magiers, auf denen sich allerdings fast trotzig ein spöttisches Lächeln hielt. Die ehrliche Bitte Thors musste tiefer gedrungen sein, als Loki sich das wohl selbst eingestehen wollte. »Tatsächlich hatte ich andere Pläne für meine neu gewonnene Freiheit, wenn Ragnarök nicht dazwischen gekommen wäre - was die Unfähigkeit einiger Anwesenden verschuldet. Malekith hätte niemals soweit kommen dürfen! Niemals!« fuhr der Magier seinen Bruder an; allein Gwen hielt ihn mit einem sanften Griff am Arm zurück. Thor wich Lokis Blick beschämt aus; seine Züge verhärteten sich unter der Last der Aussichtslosigkeit. »Loki…nicht. Hör auf…« wisperte Gwen und betete, dass ihre Stimme zu ihm durchdringen möge. Es würde niemandem etwas bringen, wenn sie ihre Zeit mit Schuldzuweisungen verbrachten. Sie sah den Magier bittend an, appellierte an seine Einsicht und seinen klugen Verstand. Es wurde Zeit, dass die beiden Brüder das Kriegsbeil endlich begruben, denn sie ahnte, dass es am Ende womöglich an diesen beiden Göttern liegen könnte, ob ihre Welten überlebten oder untergehen würden. Thor und Loki mussten sich endlich auf ihre gemeinsame Geschichte besinnen und ihre Streitigkeiten vergessen; der Donnergott war bereit dazu, das konnte Gwen sehen - doch Loki war wesentlich starrköpfiger als sein Bruder. Der Magier begegnete Gwens Blick verhalten und presste die Lippen aufeinander, bevor er die Augen flüchtig schloss und dann nach einem Schnauben widerstrebend einlenkte: »Gut. Ich werde mit dir zurückkehren, Thor.« Sein Fokus verkeilte sich in den dankbaren, eisblauen Augen seines Bruders und dämpfte dessen Erleichterung wie ein eisiger Wind das Feuer der Sonne. »Aber nicht wegen dir, sondern wegen Asgard.« Loki mochte es leugnen und abstreiten, doch Gwen konnte spüren, dass er sich um seine Welt - seine Heimat - sorgte; man konnte ihm sicher viel vorhalten, doch das Wohl Asgards war ihm nie egal gewesen. »Einen Moment.« mischte sich nun Direktor Fury störrisch ein und schob sich zwischen die beiden Götter, um jene eigensinnig zu trennen. Die umstehenden Agents erkannten die alarmierte Tonlage ihres Vorgesetzten und entsicherten die Waffen erneut. Allein die Avengers tauschten flüchtige Blicke und wirkten eher nachdenklich und unschlüssig, anstatt sich kampfbereit zu machen. Loki entlockte die empörte Art des Menschen ein spöttisches Schmunzeln. »Dein Bruder wird nirgendwo hingehen, Thor. Er ist jetzt ein Gefangener S.H.I.E.L.D.s. Der Allvater hat mir zugesichert-« »Ich weiß, was mein Vater dir versprach.« unterbrach Thor den Direktor entschlossen, jedoch nicht respektlos. »Aber die Dinge haben sich geändert, mein Freund.« Loki schürzte die Lippen in gespieltem Bedauern für Fury. »Und wieder bringt man Euch um Eure Trophäe…das muss wahrlich bitter sein.« säuselte er provozierend und zeigte ein süffisanten Grinsen, welches wie ein Pfeil zielgerichtet in Furys Würde traf. Der Direktor wollte sich mit zornfunkelnden Augen dem Magier zuwenden, wurde aber von Thor aufgehalten, welcher den Menschen an den Schultern ergriff und so zu Blickkontakt zwang; unter den mächtigen Händen des Donnergottes wirkte selbst Furys imposante Erscheinung winzig und spielerisch machtlos. Gwen erwartete fast schon, dass Thor den Direktor schütteln würde, um in seinen verstockten Geist zu dringen. »Ich brauche Lokis Hilfe, sein Wissen und seine Magie. Wir alle werden sie brauchen. Wenn wir jetzt nicht zusammen arbeiten, dann wird es bald nichts mehr geben, für was es sich zu kämpfen lohnt. Mir liegt ebenso viel an Midgard wie euch, das könnt ihr mir glauben. Aber Loki ist jetzt nicht der Feind, meine Freunde. Ich kann ihn euch nicht überlassen. Aber ich kann euch bei meiner Ehre als Ase schwören, dass ich für all sein Handeln und seine Taten Verantwortung übernehmen werde.« Die letzten Worte hatte der Donnergott an alle Anwesenden gerichtet, sprach eindringlich und ernst die Wahrheit aus, die sie im Herzen wohl sowieso bereits empfanden. Loki quittierte die feurige Rede des Donnergottes mit einem geringschätzigen Heben seiner Braue. »Wir müssen jetzt zusammen halten. Es ist keine Zeit für Streitigkeiten und alte Fehden. Wenn wir unsere Welten - unser ganzes Universum - schützen wollen, dann müssen wir alle Seite an Seite stehen. Denn wir alle wollen überleben…« Thors Blick traf eindringlich auf jenen seines Bruders und obwohl Loki störrisch das Kinn hob und ungerührt wirkte, so war es doch ein knappes, zögerliches Nicken, was Gwen aus dem Augenwinkel erspähte, welches der Magier seinem Bruder entgegen brachte. »Ich fürchte fast, Thor hat recht und wir müssen leider auf den Besuch der Eisprinzessin verzichten…« meldete sich Tony Stark unerwartet zu Wort und tauschte einen Blick mit Rogers, der den Erfinder verblüfft anblinzelte. »Auch wenn mir das alles andere als gefällt, wenn ich an das Chaos in New York denke - nicht zu vergessen die Misshandlung meines Towers - so werden wir jetzt wohl jeden Kämpfer brauchen, den wir kriegen können…« Der Ironman stemmte die metallenen Fäuste in die Hüfte. »Und bis auf die kleinen Scherzchen mit Banner und unserem Captain Iglo hat er sich ja auch bei seinem jetzigen Aufenthalt überraschenderweise nichts zu Schulden kommen lassen.« Captain America sah skeptisch zu Stark hinüber und verengte die Augen missbilligend. »Plötzlich so diplomatisch? Es war ja auch nicht Ihr Ruf, den er torpediert hat…« murrte Rogers. »Richtig.« lenkte Ironman ein und wedelte lapidar mit der repulsorglühenden Hand. »Das wäre ja auch kaum möglich gewesen. Mein schlechter Ruf ist gewissermaßen unantastbar. Aber es war wieder mal mein Tower, der gelitten hat.« stellte der Erfinder spitzfindig klar, bevor die Ahnung des bekannten Grinsens von seinen Lippen verschwand und er einen deutlich ernsteren Ton anschlug. »Cap, ich hänge an meinem Leben, entgegen der allgemeinen Annahmen und ich habe bestimmt vor zwei Jahren mein Leben nicht in einer solch selbstmörderischen Aktion für die Rettung der Welt riskiert, um nun dabei zuzusehen, wie irgendein dahergelaufener Dunkelelf unser Universum zerstört. Und ich denke, dass diese Sache ein bisschen zu groß für uns allein sein könnte. Wenn Thor meint, dass er den Operettengeneral braucht, um die Erde zu retten, dann soll er ihn haben. Ich will mir nicht irgendwann vorwerfen lassen, dass ich an der Zerstörung unserer Welten Schuld trug. Selbst im Tod will ich mir das nicht vorhalten lassen…« »Ich vertraue Loki nicht…« mischte sich nun Black Widow in das Gespräch ein und trat mit gezogener Waffe näher an die Seite von Direktor Fury. Die Agentin fixierte den Magier mit einem eisigen Blick, bevor sie mit einer geschmeidigen Bewegung die Waffe in das Holster an ihrer Hüfte zurückschob. »…aber ich vertraue Thor. Und wenn er sagt, dass er Loki braucht, dann glaube ich ihm. Er wird auf seinen Bruder achtgeben.« »Hervorragend. Das hat ja bereits schon einmal so wunderbar geklappt und dieser Verbrecher wurde wohlweislich wieder auf freien Fuß gesetzt…« warf Andrew Preston sarkastisch ein, der mit leisen Schritten näher an Fury herangetreten war und Loki weiterhin wie ein Insekt beäugte, welches es schnellstmöglich zu vernichten galt. »Sir, Sie denken doch nicht wirklich darüber nach, diese Bestie laufen zu lassen…?!« fragte der Agent ungläubig nach, als Fury keine Anstalten machte, diese Aussage zu widerlegen. Der Direktor rührte sich im ersten Moment nicht, sondern fixierte den Magier ebenso argwöhnisch und zerknirscht; seine Intentionen waren wohl andere gewesen, doch das nahe Ende der Welten hatte jegliche Pläne nun völlig durcheinander geworfen. Auch Fury musste wissen, dass er allein machtlos war - das selbst S.H.I.E.L.D. die Erde nicht würde retten können. Allerdings stieß ihm der Gedanke sichtbar bitter auf, dass nun gerade Loki womöglich zu einer ihrer letzten Hoffnungen zählte. Doch fehlende Weitsicht hatte man Fury wohl noch nie vorwerfen können, denn im nächsten Augenblick schob er Thors Hände bestimmt von seinen Schultern und richtete seinen Mantel in einer übertrieben peinlich genauen Geste, bevor er seinen Agents einen Wink gab, sich zurückzuziehen. »Nimm ihn mit, Thor. Und sorge dafür, dass er mir nie wieder unter die Augen tritt, denn das nächste Mal garantiere ich definitiv nicht für seine Unversehrtheit…« »Aber Sir…?!« begehrte Andrew sofort empört auf. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?! Sie wollen das Schicksal aller Welten in die Hände dieses Abschaums legen?« Der Agent war völlig fassungslos; offenbar hatte er sich schon mit seiner Rolle als Lokis Häscher angefreundet. Fury wandte sich in betonter und recht einschüchternder Ruhe zu dem Agent um. »Wenn ich mich recht entsinne, bin ich noch immer Ihr Vorgesetzter. Wollen Sie mein Urteilsvermögen etwa anzweifeln, Agent Preston...!?« grollte der Direktor drohend. Sofort gab Andrew klein bei. »Natürlich nicht, Sir. Aber…« Seinen letzten Trumpf wollte er sich offenbar nicht nehmen lassen. »…was ist mit der Frau?« Andrews Finger deutete auf Gwen, welche sich halb hinter Loki geschoben hatte und bereits der Hoffnung erlegen war, dass man sie womöglich vergessen hätte. Nun öffnete sie den Mund für eine Erwiderung, doch Loki kam ihr zuvor. »Die Frau…« sprach der Magier in furchteinflößender Bestimmtheit. »…wird mit mir kommen. Sie wird mit nach Asgard reisen.« Der Gott drückte Gwen in einer recht besitzergreifenden Geste erneut an seine Seite; dass er sie in diesem Moment wie ein Objekt ohne eigenen Willen behandelte, stieß ihr zwar sauer auf, doch sie ließ ihn gewähren - in dieser Situation würde sie sich eher auf Lokis Überzeugungskraft verlassen, als sich selbst gegen Fury behaupten zu müssen. Der Direktor sah offenbar sein letztes Ass im Wind davonflattern und wandte sich an den Donnergott. »Die Frau gehört zu meinem Zuständigkeitsbereich, Thor. Du kannst Loki haben, aber Miss Lewis wird hier bleiben. Sie ist ein Mensch und hat rein gar nichts mit Asgard zu tun.« stellte der Direktor fast ein wenig zu schnell klar; eine seltsame Unruhe schimmerte in seinem Auge, als er einen Blick mit Andrew tauschte. »Das ist noch nicht zu hundert Prozent sicher.« warf Loki lapidar ein. »Und das wisst Ihr wahrscheinlich genauso gut wie ich…« stellte er listig fest und durchbohrte den S.H.I.E.L.D. Chef förmlich mit einem eisern scharfen Blick. Thor runzelte die Stirn und musterte die Anwesenden verunsichert, bevor er Loki fragte: »Was hast du denn über sie herausgefunden, Bruder?« Statt einer Antwort zog der Magier ein bekanntes Foto aus den Falten seines Mantels und reichte dieses zu Thor hinüber; eine Bewegung, die Andrew erbleichen ließ. Hektisch tastete der Agent seine Jackentaschen ab, nur um zu erkennen, dass Loki offenbar nicht nur eine geschickte Zunge hatte. »Das ist Beweismaterial der Regierung!« Sein Blick kreuzte wütend den des Gottes, dessen Lippen sich unbeeindruckt in die Höhe kräuselten. Thor hielt den Agent mit ausgestreckter Hand auf Abstand und bremste ihn so in seinem pflichtbewussten Eifer, dann nahm er das Bildnis zögerlich entgegen und betrachtete die Fotografie irritiert. Zuerst umwölkte Unverständnis seine Augen, bis ihm ein Licht aufzugehen schien und er die losen Puzzleteile für sich zusammenfügte. Sein Blick schnellte nach oben und erfasste Gwen, die unter der ungewohnten Aufmerksamkeit deutlich in sich zusammenschrumpfte. »Ist das-« »-Gwendolyn?« beendete Loki Thors verblüffte Frage, bevor er knapp nickte. »Das ist sie. Kurz nach ihrer Ankunft auf Midgard.« Thor schüttelte leicht den Kopf, bevor er sich die Schläfe rieb, als hätte er plötzlich Kopfschmerzen. Seine Stirn legte sich in Falten, während er abermals auf das Foto sah und die charakteristischen, unverkennbaren Linien des Bifröst eingehen studierte. »Aber das…das ist doch-« »-nicht möglich?!« führte der Magier abermals den Satz seines Bruders zu Ende und tätigte einen tiefen, angespannten Atemzug, bevor sich sein scharfer Blick gen Himmel richtete. »Das dachte ich auch. Offenbar wird uns da jemand in Asgard Rede und Antwort stehen müssen…« bemerkte Loki mit entschlossen zusammengezogenen Brauen. »Aber…sie…sie ist doch ein Mensch.« Thor war sichtbar verunsichert, sah zwischen Gwen und dem Magier hin und her, bis er sein Wort an sie richtete. »Du willst wissen, wo du herkommst, oder…?« formulierte er die Gewissheit in einer rücksichtsvollen Frage. Gwen zögerte nur einen winzigen Augenblick, bevor sie nickte; abermals hatte sie das Gefühl, an einem Wendepunkt ihres Lebens zu stehen, kurz davor, ein Geheimnis aufzudecken, von dem sie immer noch nicht wusste, wohin es sie führen würde. Doch sie hatte sich entschieden - sie wollte die Wahrheit wissen. Sie musste sie einfach erfahren. Sie konnte nicht länger in Unwissenheit dämmern. »Bisher wusste ich nur, dass ich adoptiert bin. Aber nicht, dass ich…das…« Ihr versagten die Worte und sie senkte den Blick, rieb sich erschöpft über die Wangen, bevor sie den Donnergott wieder ansah. »Ja, ich will wissen, wo ich herkomme. Ich muss wissen, wer ich bin.« Thor musterte sie eindringlich und reichte Loki das Foto zurück, dann nickte er. »Das werden wir herausfinden, Gwendolyn. Das verspreche ich dir. Du kehrst mit uns nach Asgard zurück.« sprach er bestimmt, letzte Worte untermauert von Entschlossenheit, die auf Andrew abzielten, der bereits Atem für einen Einwand geschöpft hatte. Doch Thors harter Gletscherblick brachte ihn zum Schweigen. »Das geht nicht. Ich brauche sie, Thor…« meinte Fury fast beschwörend und ergriff Thor am Arm, um sich dessen Aufmerksamkeit zu sichern. »Ich weiß nicht, welche Angriffe der Erde noch bevorstehen werden und unsere Möglichkeiten der Verteidigung sind bei weitem nicht so ausgereift wie eure. Wir sind nicht Asgard. Wie soll ich meine Welt beschützen mit nichts weiter als leeren Händen und lächerlichen Spielzeugen? Dein Bruder hat uns sehr erschreckend demonstriert, wie winzig und hilflos wir gegenüber einer fremden Macht noch sind. Diese Frau…« Sein Auge richtete sich auf Gwen. »…hat Kräfte, die uns sehr hilfreich sein könnten. Ich muss darauf bestehen, dass sie hier bleibt.« »Mein Freund, ich kann sie dir nicht überlassen.« widersprach Thor sanft, aber bestimmt. Er drückte dem Direktor in einer verständnisvollen Geste die Schulter. »Ich weiß um deine Sorge und kann sie vollkommen nachempfinden. Doch Gwendolyn Lewis spielt in dieser Angelegenheit womöglich eine weitaus größere Rolle, als wir im Moment zu erfassen vermögen. Außerdem ist sie kein Gegenstand, den man beliebig herumreichen kann. Sie ist ein Lebewesen. Sie wird mit mir gehen, denn wenn sie wirklich aus Asgard stammt, dann ist sie ein Teil meines Volkes, Nicholas. Der Allvater besteht auf ihre unversehrte Rückkehr. Im Gegenzug versichere ich euch jede mögliche Unterstützung und Schutz für Midgard.« Fury wollte etwas erwidern, doch im letzten Augenblick schloss er den Mund wieder und nickte knapp; die Begegnung mit Odin schien bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben und der Direktor selbst war klug genug um zu wissen, dass er das Bündnis mit Asgard noch benötigen würde - klug genug zu wissen, dass Odin immer den längeren Arm haben würde. Obwohl es albern war, so tat er Gwen in diesem Moment doch irgendwie leid. Dieser Mann war so entschlossen für seine Welt zu kämpfen, wollte nur das Beste für sie und musste nun immer mehr mit dem schlimmsten rechnen, während ihm nach und nach alle Waffen entwendet wurden. »Aber du wirst nicht mit uns kämpfen…« resümierte Agent Romanoff trocken an Thor und mit jenem Hauch von Hoffnungslosigkeit in der Stimme, welche ihrer stolzen Gestalt merklich die Kraft raubte. Auch die Augen der restlichen Avengers richteten sich auf den Donnergott; er versicherte Unterstützung, doch sich schloss er offenbar aus dieser Gleichung aus. Die Gruppe würde nicht wieder vereint in den Kampf ziehen. »Nein, ich kann in dieser Schlacht nicht bei euch sein. Mein Platz ist in Asgard, in meiner Heimat, an der Front.« erklärte Thor geständig. Ihm fiel es sichtlich schwer, seine Kampfgefährten aus vergangenen Tagen allein zu lassen; er war einfach ein ehrbarer Geist. »Doch mit ein wenig Glück können wir die Wogen des Kampfes möglicherweise vor Midgard abfangen und eure Welt wird weitestgehend verschont bleiben. Die Menschen sind dieser Schlacht nicht gewachsen und Asgard ist bereit, erneut als Hüter zu fungieren. Lasst uns hoffen, dass die Schilde und Schwerter unserer Truppen stark sein werden, denn wenn nicht…« Die letzten Worte ließ er ungesagt, doch es war auch nicht nötig, sie zu sprechen, denn jeder von ihnen wusste, dass sie am Ende alle zusammen untergehen würden. Wenn Asgards Linien nicht standhalten sollten, dann würde auch Midgard nichts retten können. Captain America war der Erste, der sich wieder bewegte; entschlossen ging er auf Thor zu und reichte ihm die Hand zu einem festen und kameradschaftlichen Händedruck. »Viel Glück, mein Freund.« Er drückte den Gott flüchtig an sich und entließ ihn dann aus seiner Umarmung. »Ihr solltet jetzt gehen…und unsere Welt retten.« meinte Rogers mit einem wagemutigen Lächeln. »Angel muss mit uns kommen…« erinnerte Gwen Loki und hob störrisch das Kinn, während sie unerschrocken Direktor Furys Blick begegnete. Sie würde ihren Hund nicht in den Händen von S.H.I.E.L.D. zurücklassen. »Ich will, dass mein Hund uns begleitet.« Einen Augenblick lang hatte sie tatsächlich erwogen, ihn auf der Erde als Schutz für ihre Eltern zu lassen, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass sie Fenrir womöglich noch brauchen könnten - jeder Kämpfer konnte in dieser unsicheren Zeit wichtig sein. »Angel?!« Thor hob verwirrt die Brauen an. »Fenrir.« erklärte Loki trocken und erntete dafür von Thor ein verblüfftes Keuchen, was den Magier verhalten schmunzeln ließ. »F-fenrir?!« stotterte der Donnergott ungewohnt entgeistert und weitete die Augen; die fast kindliche Ungläubigkeit in seinem Gesicht vertrieb für einen Moment die Schatten der Sorge. »Was?! Aber wie…?!« »Du hast einiges verpasst, Thor.« bemerkte der Magier gelassen und klopfte sich in gelangweilter Würde den Schnee von den Lagen seines Mantels, bevor er seinen Bruder auffordernd ansah. »Ich glaube, die Zeit ist recht knapp bemessen. Können wir endlich gehen und die Feinheiten später klären?« »Moment…« hielt Thor ihn an der Schulter auf, als der Magier sich schon an ihm vorbeischieben wollte und beugte sich näher zu seinem Bruder, um eindringlich zu fragen: »...was ist mit Garm? Ich kann Gwendolyn nicht nach Asgard bringen, wenn die Gefahr besteht-« Loki schob die Hand seines Bruders demonstrativ von seiner Schulter und bedachte ihn mit einem herablassenden Blick, der selbst seiner geschundenen Gestalt etwas Scharfes verlieh, wie der Glanz einer Klinge im Fackelschein. »Garm ist keine Bedrohung mehr. Dieses Problem soll nicht deine Sorge sein, Thor.« »Wessen Problem ist er dann…?« fragte der Donnergott argwöhnisch nach; er kannte seinen Bruder wohl einfach zu gut, um allein von einer günstigen Fügung des Schicksals auszugehen. Das Lächeln des Magiers war unheimlich in seiner Durchtriebenheit. »Das der Jotunen.« erklärte er vage und ließ Thor damit stehen, um Andrew mit einer herrischen Geste den Weg zum Black Hawk zu weisen. »Der Hund der Lady, wenn ich bitten darf?! Unsere Zeit ist begrenzt. Und eure damit auch.« Andrew presste die Kiefer aufeinander und schien mühsam den Drang zurückzuhalten, seine Waffe auf das selbstgerechte Grinsen des Magiers zu richten; Fury wies den Agent mit einem knappen Nicken dazu an, der Forderung des Gottes Folge zu leisten. Zerknirscht wandte sich Andrew auf dem Absatz um und eilte mit zwei weiteren Agents zum Helikopter, um den betäubten Hund zu holen. Thor hatte Gwen inzwischen zu sich heran gewunken; sie war ihm gefolgt und hatte damit zwischen den beiden ungleichen Brüdern Stellung bezogen. Angespannt sah sie zum Himmel hinauf, während der heulende Wind ihr wirre Strähnen in die Augen trieb; über ihnen wirbelten die düsteren Wolken einem Strudel gleich um ihr eigenes Zentrum, vermischten das dreckige Rot von Rost und Blut mit dem tiefen Grau eines stürmischen Wintertages. Noch immer zuckten geästelte Blitze durch die Wolkenberge, tauchten die Umgebung in geisterhaftes Licht, ähnlich einer flammenden Hölle, welche Asche und Pein spuckte. Ein einsam verbliebener Vogel löste sich mit wilden Flügelschlägen aus dem Dickicht einer Tanne; ein Geräusch wie schnarrende Knochen, wie brechendes Gebein unter der Last der Zeit - sein Schrei klang hohl und dumpf in der stickigen Luft, ein klagender Laut nach seinen Gefährten. Gwen fröstelte, während sie in den Himmel sah, der wie eine frische Wunde in das Firmament der Erde geschlagen wurde. Würden sie diesem Sturm aus Finsternis trotzen können, der sich am Horizont zusammenballte oder würden sie alle gemeinsam herabgerissen werden von der Welle aus Boshaftigkeit, welche das Leben selbst zu vernichten gedachte? Eine kribbelnde Unruhe erfasste Gwen, eine bohrende Aufregung, die sie tief Atem holen ließ, um schlussendlich die Arme in einer Halt suchenden Geste um sich selbst zu schlingen. Die Agents brachten Angel, der noch immer leicht benebelt, doch offensichtlich schon wieder bei Bewusstsein war; Thor nahm den Hund vorsichtig auf die Arme, als wäre dieser einer der kostbarsten Schätze, die er jemals trug. Loki musste über die Ehrfurcht des Donnergottes schmunzeln. Gwens Blick senkte sich und sie wischte sich die wirbelnden Haarsträhnen aus dem Gesichtsfeld, während sie die Reihen der Menschen vor sich überflog; in jedem Gesicht konnte sie das gleiche Unbehagen erkennen, welches auch ihr Innerstes in Aufruhr versetzte. Niemals zuvor hat sich die Menschheit einer solchen übermächtigen Bedrohung entgegen gesehen - einer Bedrohung, der selbst Asgard mit all seiner Macht beinahe hilflos begegnen musste. Würde das nun das Ende sein? Die letzte Seite in einer Chronik, die wohl niemand mehr lesen würde…? Wäre es so einfach, jede Existenz hinfort zu wischen wie Staubflocken vom alterstarren Ledereinband eines Buches - wären sie alle bald nichts weiter als blasse Erinnerungsfetzen, die sich in der Unendlichkeit des Alls verlieren würden? Mit einem Mal waren sie alle gleich; ob nun Gott oder Sterblicher, Soldat oder Agent, Millionär, Wissenschaftler oder Journalist - es gab keine Grenze mehr zwischen ihnen, den sie alle waren vereint im Kampf um dasselbe: das Leben selbst. Und in jedem Augenpaar konnte sie diese gewaltige Erkenntnis aufblühen sehen, als die Sterblichen der Erde die beiden Götter beobachteten, die so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht und nun doch das Einzige schienen, was sie vielleicht noch retten konnte. Ein seltsames Empfinden entfaltete sich in ihrer Brust wie die Blätter einer nachtblühenden Orchidee, deren Schönheit sich erst unter den richtigem Umständen zeigte - Kummer machte sich in ihr breit; eine eigenartige Trauer, wie sie eine Mutter wohl empfand, die auf ihre Kinder sah und ahnte, dass einige von ihnen niemals aus der Schlacht heimkehren würden, in die sie zu reiten gedachten… Während Gwen gebannt in die Gesichter der Anwesenden sah, fasste ihre Hand zu dem Medaillon, welches sie fast schon vergessen unter ihrer Kleidung um den Hals trug; es schien sich erwärmt zu haben und ruhte mit einem sanften Summen wie ein Weckruf auf der Haut. Ein Gefühl von Dringlichkeit erklomm ihr Herz und ließ sie unvermittelt den Arm austrecken, um Thor aufzuhalten, als dieser schon nach Heimdall rufen wollte. »Warte…« bat sie ernst; die beiden Brüder warfen sich fragende Blicke zu, als Gwen Anstalten machte, sich von ihnen zu entfernen. »Gwen…« zischte Loki in ihrem Rücken. »…wir haben keine Zeit zu verlieren.« Er versuchte sie am Arm zurückzuhalten. Sie wusste selbst um die Dringlichkeit ihrer Abreise, doch irgendetwas war noch zu tun…irgendetwas noch zu erledigen… Sie wandte sich aus dem Griff des Gottes und stolperte ungeschickt nach vorn, ihr Blick so seltsam fokusiert, ihr ganzer Körper wie ein Anker, der von einer unsichtbaren Macht eingeholt wurde; sie konnte sich diesem Zwang nicht entziehen - diesem Hauch von Schicksal, welcher sie die Finger fester um das kostbare Medaillon klammern ließ. »Gwen…?!« Thors ratlose Stimme rückte in den Hintergrund. Das Blut begann ihr in den Ohren zu rauschen, während ihre Beine sie unentwegt vorwärts trieben und ihr Sichtfeld von schimmernden Schlieren begrenzt und eingeengt wurde. Die Menschen verschwommen zu gesichtslosen Umrissen, bis nur einer blieb, den sie erkennen konnte. Nur einer… Das Medaillon auf ihrer Brust klopfte im Rhythmus ihres Herzens; ein Takt, der nur ein Wort zu kennen schien. Schicksal. Gwen bemerkte nicht, wie die Agents irritiert und wachsam ihre Waffen wieder hoben und auf sie richteten; sie bemerkte nicht, wie Captain America die Hand auf seiner Brust bettete, wo unter dem Anzug ein silbernes Kreuz von seiner Haut gewärmt wurde. Auch bemerkte sie nicht, wie Loki seinen Bruder mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln zurückhielt, als Thor ihr unsicher nachfolgen wollte. »Warte…« wisperte der Magier mit einem wissenden Lächeln, seine Augen von Faszination erfüllt. Sie sah nicht, dass sich ihre Gestalt verändert hatte; ihre Augen waren nicht mehr die ihren - ein Sternenmeer, ein Lichterkranz, aus dem die Unendlichkeit des Kosmos auf die ehrfürchtigen Blicke antwortete. Ihre Stiefel trafen nicht mehr auf den Schnee, viel mehr schien ihre Gestalt über die aufgewirbelten Flocken zu schweben, als wäre sie schwerelos wie eine Feder - hin zu dem Mann, dessen Gesicht sie als einziges zwischen dem pulsierenden Glanz umher noch erkennen konnte. Die Welt umher verblasste. Das Unheil verschwand. Das Wissen um die Hoffnung blieb. Nicholas Fury betrachtete Gwen mit einer Mischung aus Argwohn und Bezauberung; zu lang ein Wissender um die Welten dort draußen, um die Dinge zwischen Raum und Zeit, die Thor und Loki ihnen vor nunmehr zwei Jahren gezeigt hatten. Der Direktor hob die Hand in einem abwehrenden Wink, als sich einer seiner Agents schützend vor ihm platzieren wollte. »Dieses Amulett gehörte einst der Legende nach dem ersten König der Asen; ein Krieger, der durch flinken Verstand und geschickte Taten sein Volk in den Anfängen der Zeit vor allem Übel beschützte und Ordnung in das Chaos brachte. Er führte eine Gruppe von Kämpfern an, die seine Hände und Waffen waren…« Lokis Worte hallten in Gwens Erinnerung wieder. Und mit einem Mal war alles so klar - wie ein neuer Morgen hinter dem schwindenden Nebel der regnerischen Nacht. So logisch, dass es niemals anders hätte sein können… Gwens sternenbleiche Hand zog das Amulett Yggdrasils unter den Lagen von Stoff hervor und hob die Kette über ihren Kopf. Einen Moment noch barg sie das kostbare, gewärmte Metall in ihren Fingern, bevor sie es Direktor Fury in der hohlen Hand wie eine Opfergabe darbot. Selbst ihre Zunge war nicht mehr die ihre; als hätte eine fremde Macht Besitz von ihr ergriffen, perlte ihre Stimme hell und klar wie ein Regenschauer von ihren sicheren Lippen. Die Worte kamen von selbst, als wären sie ein Quell, den es an die Oberfläche drängte: »Ein Geschenk, einäugiger König, für dich bestimmt. Sehe mehr, als es sterbliche Augen vermögen, denn bald wird dein Auge nicht mehr ausreichen, hinter die Schatten zu sehen…« Fury zögerte nur einen kurzen Augenblick, dann nahm er das Amulett mit gefurchter Stirn vorsichtig aus ihrer Hand und ließ es im heißen Wind einen Moment unsicher vor seinem ernsten Gesicht schwingen, bevor er es mit einer entschlossenen Geste um seinen Hals legte. Das Metall funkelte in kühlem Silber wie das gefallene Stück eines Sternes auf dem dunklen Leder seines Mantels; ein Fragment aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit - etwas Wirkliches zwischen den heulenden Böen der stöhnenden Erde. Ihre Blicke trafen sich und der Direktor von S.H.I.E.L.D. fühlte den Sog des Schicksals, wie Gwen den Nachhall in ihrem Blut. »Danke.« raunte Nicholas Fury in seltener Ehrfurcht, barg das magische Amulett schützend an seiner Brust. Gwen verließ der eigenartige Zauber so schnell wie er gekommen war; ihre Knie wurden weich und die Welt kippte unvermittelt zur Seite, als sie ihr Gleichgewichtssinn im Stich ließ. Allein zwei vertraute Arme bewahrten sie vor dem harten Los des schneebedeckten, kalten Bodens, indem diese sie an eine sehnige, lederbedeckte Brust hoben. Ihre Augen klärten sich und sie konnte Lokis durchaus besorgtes Gesicht über sich erkennen; die Schwingen seiner Brauen spannten einen bedrohlich düsteren Bogen über seinen schimmernden Augen. »Was hast du jetzt schon wieder angestellt, Frau…?« raunte er in resigniertem Tadel. Gwens Blick ruckte zu Fury zurück, ihre Stimme ein schwaches Krächzen, so anders als der glockenhelle Singsang zuvor. »Meine Eltern. Beschützt meine Eltern…bitte…« Dann triftet ihr Geist in die warme Umarmung einer kurzzeitigen Bewusstlosigkeit. * Loki krachte gegen Heimdall wie das brodelnde Meer gegen die Klippe einer Landzunge. Kaum war die kleine Gruppe aus dem Sog des Bifröst getreten, schwang der Magier herum und donnerte dem goldenen Wächter das stumpfe Ende seines Zepters gegen die breite Brust. Heimdall überragte den hochgewachsenen Loki um noch gut einen ganzen Kopf und kräftiger war er allemal als der schlanke Magier, allerdings war dem Prinzen in diesem Moment die Überraschung zu Diensten - der Wächter taumelte verblüfft zurück, weil er nicht mit einem Angriff gerechnet hatte und ließ sein breites Schwert in der goldenen Narbe des Bifröst stecken, sodass jenes beharrliche Surren der Weltenbrücke wie eine Horde wilder Hornissen in den Ohren dröhnte. Doch selbst durch dieses Tosen war Lokis Stimme wie das angriffslustige Knurren eines Wolfes zu vernehmen, der sich seinem erwählten Opfer mit blitzenden Augen entgegen stellte. Von dem erst kürzlich zurückliegendem Kampf mit den Avengers war kaum noch etwas zu sehen, als wäre jener bereits seit Stunden Vergangenheit; nur ein paar einsame Streifen Blut auf Lokis blassen Zügen und ein feiner Schnitt über dessen Braue zeugten noch von der Auseinandersetzung mit den Menschen, wie auch die zerschundene Rüstung - fast wirkte es, als würde ihm die Rückkehr in das magische Reich Asgards den nötigen Energieschub verschaffen, um sich selbst zu heilen. »Du hast es gewusst, Wächter! Du hast es die ganze Zeit gewusst. Du hättest uns diese Suche ersparen können. Warum hast du gelogen?« Als Nachdruck ruckte die goldene Kante des Zepters höher und kollidierte mit Heimdalls Kinn; der Wächter verengte die Augen in mühsam unterdrückten Zorn. Offenbar war es ihm mehr als eine Schmach, erneut von Loki überwältigt zu werden, nachdem dieser ihn bereits einmal genarrt hatte, indem er Feinde ungesehen nach Asgard schmuggeln konnte. »Sprich rasch, Heimdall oder weißt du nicht, dass es Verrat gleich kommt, denn Allvater zu belügen?!« presste der Magier ungehalten und voller Wut hervor. Gwen, die sich langsam von ihrer Ohnmacht erholt hatte, war mit Thor in einigem Abstand völlig verblüfft stehen geblieben, da Loki sich so plötzlich und unerwartet aus ihrer Reihe gelöst hatte; nun überbrückte der Donnergott die wenigen Schritte zu den beiden Männern beinahe fliegend und riss seinen Bruder an der Schulter zurück. »Loki, hör auf! Bist du des Wahnsinns?! Zügle dich, verdammt nochmal! Ich kann jetzt keinen Streit gebrauchen!« Das Metall des Zepters glitt mit einem hellen Schaben an Heimdalls Brustrüstung herab; ein beinahe klagendes Geräusch, als würde sich ein Weib von ihrem Liebsten verabschieden, bevor der Magier seine Waffe widerstrebend sinken ließ und die Zähne unzufrieden zusammenbiss. »Wenn er hinter dem Rücken des Allvaters intrigiert, so ist er eine Gefahr für ganz Asgard. Wer weiß, wie lange diese undichte Stelle im schützenden Gefüge des Allvaters bereits besteht…solch einen Wächter kann sich ein Herrscher nicht leisten.« schleuderte Loki Thor mit flammender Überzeugung entgegen, dessen Blick einen Funken von Unsicherheit erkennen ließ - einen Funken, der den sichtlich irritierten Heimdall ins Auge fasste. »Worum auch immer es gehen mag…« begann der Wächter vorsichtig und seine goldglühenden Augen senkten sich auf Loki. »…bist du sicher, dass du nicht von dir sprichst, Silberzunge? Denn es überrascht mich, dass gerade du dich über undichte Stellen in Odins Gefolgschaft beschwerst, über Intrigen und Lügen empörst…« sprach der dunkelhäutige Hüne warnend. Lokis Züge verhärteten sich zu einer eisigen Maske und nur Thor hinderte ihn offenbar daran, sich erneut auf Heimdall zu stürzen. »Ob Schuld oder Unschuld, es steht dir nicht zu, ein Urteil zu fällen, Loki. Dies wird Vater tun.« wies der Donnergott seinen Bruder grollend zurecht und bettete seine große Hand beschwichtigend auf den blassen Fingern des Magiers, welche das Zepter des Tesserakts noch immer angespannt umklammert hielten. Heimdall rieb sich das geschundene Kinn und fasste die beiden Brüder ins Licht seiner allsehenden Augen, die nun auf eine verwirrte, allerdings auch durchaus ungehaltene Weise verengt waren. Er bewegte sich vorsichtig, doch bestimmt, als wolle er keinen von Odins Söhnen zu einer überstürzten Handlung herausfordern, zu seinem Schwert hinüber, um dieses unter wachsamen Augen aus der Verankerung zu ziehen, bevor der Bifröst am Ende noch Midgard zersprengen würde, wie es einst Jotunheim gedroht hatte. Gwen fiel auf, dass auch Thor seltsam angespannt war; seine Hand ruhte an Mjölnirs Griff - eine Warnung, keine Drohung. Lokis Worte mussten sein Misstrauen geweckt haben. »Dürfte ich vielleicht erfahren, welches Verbrechens ihr mich beschuldigt, damit ich mich verteidigen kann, bevor mir die Axt vorschnell meinen Kopf raubt?« verlangte der Wächter in stoischer Ruhe zu wissen, als er sein breites Schwert vorsichtig vor sich auf dem Podest bettete und dann mit leeren Händen einige Schritte rückwärts trat. Er zeigte seine Kooperationsbereitschaft an und würde sich keinem Urteil entziehen; allerdings wirkte er auch nicht sonderlich schuldgeständig oder reumütig, eher wie ein Mann, der wusste, dass die Wahrheit auf seiner Seite war und die sich über kurz oder lang auch zeigen würde. Thor fischte das bekannte Foto aus einer Tasche unter seinem Umhang hervor und trat nach einem knappen Blickwechsel mit Loki zu Heimdall hinüber, um dem Wächter das Bildnis zu übergeben. Der nahm die Fotografie vorsichtig an sich und blickte mit wachen Augen darauf; seine Stirn runzelte sich leicht in Unverständnis, doch sonst war nichts aus seinen dunklen Zügen zu lesen - kein verdächtiges Zusammenzucken, kein angespannter Mundwinkel, kein verräterischer Seitenblick. Heimdall sah wieder auf und begegnete Thors Blick unbeirrt. »Sag, Odinson, was ist das?« erbat er in respektvollem Ton eine Antwort. Der Donnergott wirkte verunsichert und gar nicht mehr so überzeugt von Heimdalls Schuld, während Loki die Luft missbilligend in einem scharfen Zischen ausstieß. »Wer, glaubst du, soll dir deine Unwissenheit abkaufen, Wächter?« spottete der Magier gefährlich. »Du bist der Meister der Listen und Lügen, Loki. Sag du es mir.« hielt Heimdall herausfordernd dagegen und bekam daraufhin den schneidenden Blick des Magiers zu spüren. Gwen kaufte Heimdall seine Ratlosigkeit durchaus ab; dieser Mann mochte vieles sein, doch er war definitiv kein Lügner, Eidbrecher oder Verräter. Seine Verwirrung war echt, obwohl ein geringer Teil von ihr gehoffte hatte, dass es nicht so wäre - Heimdall war das fehlende Verbindungsstück zu ihrer Vergangenheit gewesen, zumindest hatte alles darauf hingedeutet. Doch letztendlich war er wohl auch nichts anderes als ein weiteres Puzzleteil in diesem zähen und hartnäckigen Rätsel um ihre Herkunft. Nur wusste sie nun nicht, ob sie Erleichterung oder Frustration über diese Tatsache empfinden sollte… Angel schmiegte sich noch leicht benommen an ihren Schenkel und Gwen nahm die Geste und Zuneigung des Hundes willkommen auf; ihre Finger vergruben sich in seinem weichen Fell. Thor ließ Mjölnir sinken und hängte den Hammer zurück an die Halterung an seinem Gürtel. Gwen gestattete sich damit einen kleinen, erleichterten Atemzug; nicht auszudenken, wenn die Brüder und der Wächter aufeinander losgegangen wären. Asgard hat so viele Feinde, da muss es nicht noch Misstrauen und Feindseligkeit von innen heraus zerfressen. »Das Bild zeigt Gwendolyn Lewis als Neugeborenes auf der Erde. Jene Sterbliche, von der du felsenfest behauptet hast, dass du sie auf Midgard bis zu ihrer Ankunft hier in Asgard nie gesehen hättest…« erklärte Thor dem Wächter dann entgegenkommend, wobei er Heimdall allerdings nicht aus den Augen ließ. Die vielen Ungereimtheiten der Geschichte konnte man nicht einfach unter den Teppich kehren wie längst vergessene Scherben einer Vase und Thors Stimme ließ vermuten, dass er trotz seiner Freundschaft und dem langjährigen Vertrauen Zweifel an Heimdalls Unschuld bei dieser Sache hegte. Seine Worte klangen scharf und klar wie die Klinge eines wahren Herrschers, der sich seiner Pflicht bewusst war, nötige Urteile zu fällen. »Du wirst die Prägungen des Bifröst wohl erkannt haben, Heimdall. Ich frage mich, wer sie nach Midgard hinabgeschickt haben könnte, wenn nicht du? Muss ich damit die Vermutung anstellen, dass du deinen Posten unwissentlich vom Allvater verlassen hast?« Heimdall ließ das Foto langsam sinken. »Du willst mir Eidbruch unterstellen, Thor Odinson.« tönte seine klare Stimme durch die Kuppel des Bifröst, wispernden Nachhall unter dem goldenen Firmament ziehend, einer Anklage gleich in der kühlen Feststellung. Nachdem das Portal des Bifröst geschlossen wurde, war es eigenartig still geworden. Nur das Rauschen und Platschen der Wellen drang herein, da sich das Meer unermüdlich wie eh und je gegen die Säulen der Regenbogenbrücke warf. Der Tag musste hier bereits deutlich fortgeschritten sein, da diffuses Dämmerlicht den bogenförmigen Durchgang ausfüllte, durch den man die Kuppel verlassen konnte. »Nein, Heimdall. Ich will Antworten. Ich will die Wahrheit. Ich muss wissen, wer dieses Mädchen ist und welche Rolle sie für uns spielen wird.« erklärte der Donnergott und schöpfte tief nach Atem. »Du bist mir ein Freund, seit vielen Jahren schon. Ich will nicht glauben, dass du etwas vor uns verbirgst, denn ich vertraue dir.« Die blauen Augen Thors funkelten in einer unausgesprochenen Bitte, in einem Flehen um die Unschuld des Wächters und das alle Anzeichen eines Verrates Täuschung sein mochten. »Doch du musst zugeben, dass diese Sache äußerst seltsam ist.« Der Donnergott wusste, dass die Mauern Asgards zu bröckeln begannen; er wusste, dass ein Fall seines Reiches keine ferne und vage Illusion mehr war, derer ein Feind sich des Nachts bei gewisperten Plänen bedienen mochte - Asgard war bedroht und das von einer sehr realen Macht. Jeder Streiter - jeder Verbündete - war nun wichtig und gerade ein mächtiger Wächter wie Heimdall ein unabdingbarer Gleichgesinnter, auf den Thor nicht verzichten konnte und wollte. Der Blick des Wächters legte sich auf Gwen, die sich unter dem Licht seiner goldenen Augen klein und schuldig fühlte, immerhin war sie der Grund für diese Anschuldigungen gegen ihn. »Ich habe niemals ein sterbliches Neugeborenes nach Midgard hinabgeschickt.« verkündete er dann sicher und drückte Thor das Foto wieder in die Hand, bevor er den Donnergott fest ansah. »Das schwöre ich, bei meiner Ehre und dem Leben des Allvaters. Möge mich das Schicksal der Gerechtigkeit zuführen, sollte ich lügen, doch - bei den Nornen - das tue ich nicht. Die Zeichen mögen gegen mich deuten, doch ich verließ meinen Posten nie, außer der Allvater verlangte es ausdrücklich. Ich kenne dieses Kind nicht und jetzt weiß ich noch immer nicht mehr, wer dieses Mädchen ist, als zum ersten Mal, da ich sie sah. Das ist die Wahrheit, Thor.« Der Donnergott studierte das Gesicht des Wächters für einige Momente wortlos und gewissenhaft, bevor er dem dunkelhäutigen Hünen eine schwere Hand auf die goldgeschützte Schulter legte. »Ich glaube dir…« verkündete er mit einem weichen Nicken, dann wandte er sich zu seinem Bruder um, der unzufrieden die Arme vor der Brust verschränkt hielt. Lokis Blick wirkte weniger freundlich und entgegenkommend als Thors, doch war das Zepter des Tesserakts aus seinen Fingern verschwunden, was zumindest eine gewisse Bereitschaft vermittelte, diese Angelegenheit nicht jetzt und hier bis aufs Blut klären zu wollen. »Du vertraust zu leichtfertig, Thor…noch immer…« resümierte er befremdet, während er seinen Bruder auf eine Weise ansah, die deutlich machte, dass er Thor noch immer für ein zu groß geratenes Kind hielt, dem man unüberlegt einen Thron unter den Hintern geschoben hatte. »Die Frage bleibt, selbst wenn er die Wahrheit sprechen sollte - wenn er Gwendolyn nicht nach Midgard geschickt hat, wer war es dann? Und wie konnte dieser gesichtslose Unbekannte dies ohne Heimdalls Wissen bewerkstelligen?« warf Lokis scharfe Zunge neuerliche Fragen auf. »Vielleicht sollten wir uns lieber auf diese Fragen konzentrieren, als meine Worte in Frage zu stellen.« schlug Heimdall vor. »Du kannst Lüge und Wahrheit wie kein anderer voneinander unterscheiden, Loki. Sag, lüge ich?« verlangte er zu wissen und breitete die Arme in einer offenbarenden, ergebenen Geste aus. Der Magier presste die Zähne mürrisch aufeinander und versteifte sich in seiner hochmütigen Haltung, bevor er die Brauen missmutig zusammenzog und gepresst antwortete: »Nicht einmal ich würde so anmaßend sein, in deinen Worten eine Lüge erkennen zu wollen. Du besitzt die Stimme der Wahrheit. Du könntest uns beinahe alles glauben machen, was du willst.« »Das könnte ich…genau wie du, Silberzunge.« erinnerte Heimdall. »Aber ich tue es nicht. Denn ich habe einen Eid geschworen, immer die Wahrheit zu sagen und meinen Dienst zum alleinigen Wohle des Allvaters und Asgards zu verrichten.« merkte der Wächter selbstsicher an, während er an Thor vorbei schritt, um sein mächtiges Schwert wieder aufzunehmen und es zurück in die Halterung auf seinem Rücken zu schieben. »Mir ist ein Eid heilig. Was ist Dir schon heilig, Loki?« »Mehr, als du vielleicht glauben magst, Wächter…« grollte der Magier mit schmalen Augen. Der dumpfe, schwere Klang eines Hornes durchbrach die angespannte Stimmung wie ein gut geführter Säbel und zerriss die dumpfe Stille der Kuppel; dreimal ertönte der Klang wie der mahnende Ruf eines Vaters, der seine Söhne zu sich befahl. Thor unterbrach das gefährliche Knistern zwischen Loki und Heimdall mit einem entschlossenen Schritt, welchen er zwischen sie setzte und die Handflächen hob, um die zwei zu zügeln. »Die Angelegenheit wird geregelt und die Wahrheit gefunden werden. Zur Zufriedenheit aller…« versicherte der Donnergott mit einem Seitenblick auf Gwen. »Doch im Moment gibt es dringendere Angelegenheiten zu klären.« ermahnte er ernst und wies knapp in Richtung der Stadt. Heimdall pflichtete Thor bei und deutete in einer vage ausladenden Geste hinaus auf die Regenbogenbrücke, wo Gwen nun die Schemen von drei Pferden ausmachen konnte. » Ich war so frei, euch Pferde für eure Ankunft bereit zu stellen. Der Allvater hat zu einem Rat der Reiche berufen. Die meisten Vertreter sind bereits eingetroffen, nur Vanaheim folgte dem Ruf bisher nicht... Ich werde noch eine Weile warten, bevor ich mich ebenfalls zum Rat begebe.« Thor nickte dem Wächter dankbar zu und machte sich als Erster mit entschlossenen Schritten auf den Weg nach draußen; bevor Loki ihm folgte, umschloss er mit seinen langen Fingern Heimdalls goldgeschützten Unterarm, als dieser sich wieder zu seiner Wacht abwenden wollte. Beinahe gleichgültig betrachtete der dunkelhäutige Hüne die Hand auf seiner Armschiene, bevor er den Magier abwartend ansah. »Wirst du dich einer Befragung stellen?« verlangte Loki zu wissen. »Wirst du dich Odins Urteil stellen?« »Natürlich.« antwortete Heimdall bestimmt. »Falls du die Befürchtung hegen solltest, dass ich einfach verschwinden könnte, so sei beruhigt. Ich werde meinen Posten nicht verlassen und scheue auch keinen Richter, denn die Wahrheit ist auf meiner Seite. Sollte ich getan haben, was du mir vorwirfst, so werde ich mich mit Freuden Odins Urteil beugen…denn ich bin in der Lage, Reue zu empfinden.« fügte der Wächter seine letzten Worte in eisiger Ruhe an und ließ seinen durchdringenden Blick in einer beiläufig kritischen Weise über die Gestalt des Magiers gleiten, bevor er diesem seinen Unterarm entzog, um sich zurück auf seinen Posten zu begeben. Loki ballte die herabhängenden Hände zu Fäusten und entspannte seine Verkrampfung erst um ein Stück, als Gwens weiche Finger die seinen umfassten. Sie war nun an ihn herangetreten, Angel weiterhin wie ein stiller Begleiter an ihrer Seite. Lokis Blick glitt zu ihr herab und seine Augen wirkten für einen Moment unfokussiert, als müsste er sich erst erinnern, wo er sich befand; dann klärte sich sein Blick und ein winziges, kaum wahrnehmbares, aber latent aufmunterndes Lächeln umspielte seine Lippen, als er ihre Finger für einen Augenblick mit seiner Hand umschloss. »Keine Sorge, wir werden die Wahrheit herausfinden. Wir werden herausfinden, wer du bist. Das verspreche ich dir.« raunte er Gwen versichernd zu und führte sie nun mit sich hinaus vor die Kuppel des Bifröst, wo Thor bereits auf einem der Pferde auf sie wartete. Gwen sah zu Heimdall zurück, der wie der stumme, stille Wächter eh und je auf seinem Posten stand und starr in die Weite des Weltalls hinaussah. »Ich glaube nicht, dass er lügt, Loki…« wisperte sie nachdenklich. »Was ist, wenn er wirklich nichts weiß? Was, wenn wir ihn zu Unrecht verdächtigen…?« »Das wird sich noch zeigen.« knurrte Loki. »Keine der anderen Welten besitzt eine Technologie, vergleichbar mit dem Bifröst. Die einzige Weltenbrücke befindet sich hier in Asgard und die Prägungen der Energiesignatur waren eindeutig. Du wurdest von hier aus nach Midgard geschickt. Er muss das Tor geöffnet haben oder aber er hat entgegen seiner Aufgabe seinen Posten und den Bifröst unbeaufsichtigt zurück gelassen. Und in beiden Fällen sollten wir herausfinden, warum er das tat.« Gwen sah grübelnd zu Loki hinüber. »Vielleicht hättest du ihn nicht sofort mit unserem Verdacht konfrontieren sollen...?! Was ist, wenn er nun vor diesen Vorwürfen flieht…?« gab sie unsicher zu bedenken und spürte bereits den scharfen Seitenblick des Magiers auf sich; er war es nicht gewohnt, dass jemand so unverblümt seine Taten in Frage stellte. Wer auch immer ihre Reise nach Midgard in die Wege geleitet hatte, konnte nun gewarnt und die Wahrheit damit in unerreichbare Ferne gerückt sein. »Das wird er nicht…« versicherte Loki zerknirscht. »Heimdall ist dem Allvater bis aufs Blut ergeben. Eine Flucht käme einem Schuldgeständnis und Verrat gleich. Er ist zu sehr an seine Ehre gebunden, als dass er einfach fliehen würde.« Damit löste er sich von ihr und schritt zu einem weißen Pferd hinüber - das Gwen als Lokis eigenen Hengst identifizierte - um sich trotz seiner Verletzungen elegant in den Sattel zu befördern. Thor schenkte seinem Bruder einen besorgten Seitenblick. »Soll ich eine der Heilkammern für dich-« »Nicht nötig.« unterbrach Loki den Donnergott sehr bestimmt in dessen gut gemeintem Vorschlag. »Mir geht es gut.« Bevor Thor Luft zu weiteren, sicher unnützen Worten holen konnte, um den Magier zur Vernunft zu bringen, bündelte dieser einen Hauch grün schimmernder Energie in seiner Hand und ließ jene in einer fließenden Bewegung über seine Rüstung gleiten; Risse und Schmutz verabschiedeten sich, sodass sich Leder und Stoff wieder in tadellosem Zustand zeigten. Auf magische Weise verschwanden auch die dunklen Spuren von Blut von seinem Antlitz und den Schichten seiner Kleidung; in einer knappen, hoheitlich stolzen Geste schob er sich das dunkle Haar aus der Stirn zurück und wandte sein Pferd. »Mach dir keine Sorgen, Bruder. So werde ich den strengen Blicken des Rates wohl wieder genügen und du musst dich meiner nicht weiter schämen.« Thor schnappte nach Luft. »Das habe ich nicht gemeint…« Doch Loki hörte ihn schon nicht mehr, da er bereits vorausritt. Der Donnergott stieß ein resigniertes Seufzen aus, bevor er Gwen ansah: »Lass uns gehen. Odin wartet sicher schon auf uns.« sprach er gefasst. Doch Gwen sah ihm seine Gefühle überdeutlich an; wo man bei Loki so oft nach jeglichen Anzeichen von Emotionen und Gedanken suchen musste, so waren jene bei Thor schrecklich deutlich zu lesen und zum ersten Mal wünschte sie sich, dass Loki zumindest in diesem Punkt ein wenig mehr der Wesenszüge von seinem Bruder inne hätte. Thor war zuversichtlich gewesen als er erneut nach Midgard kam; zuversichtlich, dass er durch einen gemeinsamen Feind und die Bedrohung für Asgard wieder zu seinem Bruder durchdringen könnte - doch seine Hoffnung schien sich nicht zu bewahrheiten. Jetzt spiegelte sein Gesicht schwermütige Enttäuschung und eine tiefgreifende Sehnsucht; der Donnergott hätte nun in diesen gefährlichen und unsicheren Zeiten mehr als jemals zuvor einen Bruder an seiner Seite gebraucht...und sich wahrscheinlich auch gewünscht. Gwen nickte Thor zu und stieg nun ebenfalls in ihren Sattel; sie musste sich innerlich berichtigen, als sie die Zügel ihres Pferdes ergriff - es war nicht die Abenddämmerung gewesen, die ihr diffuses Licht auf die inneren Wände der Bifröstkuppel geworfen hatte, das er kannte sie jetzt, als sie sich richtig umsah und ihr Pferd hinter Thors her in Richtung Stadt lenkte. Angel folgte neben ihr auf geschmeidigen Pfoten, während Lokis Gestalt bereits in der Ferne geschrumpft war. Der zauberhafte, sternenübersäte Himmel Asgards war verschwunden - brodelnde Wogen aus glutroten und aschfarbenen Wolken brachen sich ihre Bahn über dem Firmament, umwölkten das Blau des Himmels mit stickigen Flammen, die kreischende und stöhnende Winde entfachten, welche das Meer aufpeitschten. Auch hier schien Asgard selbst unter der Wunde zu leiden, die Malekith mit seinem Eindringen in das Reich Yggdrasils im Gefüge der Welten geschlagen hatte. Feiner Nieselregen setzte ein, der sich warm und unangenehm klebrig auf der Haut anfühlte; der Niederschlag hüllte das Reich der Asen in einen verschleiernden, glitzernden Nebel, der das Gold der Statuen und Gebäude unter dem brodelnden Licht des Himmels wie mit Blut überzogen wirken ließ. Tropfen wie Tränen lösten sich von dem Gesicht eines steinernen Kriegers und fielen schwer und träge zu Boden - auf das Pflaster, welches das Geräusch der Pferdehufe hohl und erschreckend laut zurückwarf; verstärkt durch die hohen Gebäude zog sich der Klang ihrer Ankunft hallend durch die Stadt. Vereinzelt sah Gwen ein paar blasse Gesichter aus Torbögen oder Fenstern spähen, doch die Straßen waren zumeist verwaist. Das Kinderlachen und rege Treiben, das geschäftige Summen, welches sie bei ihrer ersten Ankunft in Asgard empfangen hatte, fehlte vollkommen - die Stadt lag unter einer Kuppel der Furcht und Beklemmung, unter der Last der drückenden Ungewissheit. Ab und an kreuzten ihren Weg ernst dreinblickende Patrouillen von Odins Palastwache; die Gesichter der Männer wirkten erschöpft und gezeichnet von Sorge, doch respektvoll, fast erleichtert grüßten sie den heimkehrenden Thor, auch seinen Bruder und Gwen, als diese sich eilig ihren Weg durch die Straßen bahnten. Gwen fühlte sich unbehaglich; wie zuvor schon auf der Erde hatte sie ein Gefühl von unterschwelliger Aufregung eingenommen, aber auch die Last einer unausweichlichen Endgültigkeit, als sie ein blasses Kindergesicht hinter einem regennassen Fenster bemerkte. Die Tropfen perlten von der Scheibe wie blutige Tränen, beleuchtet vom Feuer des Himmels war dieses Gesicht wie ein Blick in die Zukunft; in eine blutige, schlachtgetränkte Zukunft, die so viele Leben fordern könnte… Alles wirkte so surreal, so unwirklich und falsch. So sollte das Ende nicht kommen, für keine der Welten. Sie mussten einfach einen Weg finden, um Malekith aufzuhalten. Nach kurzer Zeit schon erreichten sie Gladsheim und gaben ihre Pferde im Vorhof in die Hände eines Bediensteten, bevor Thor Loki und Gwen in den Palast und zu Odins Thronsaal führte. Gwen hatte Mühe mit den langen Schritten der beiden Brüder mitzuhalten, als diese einmal ungewohnt entschlossen nebeneinander durch die Hallen des Palastes schritten; es war seltsam wieder hier zu sein, in Asgard und im Palast - alles war so vertraut, als wäre sie eigentlich nie wirklich weg gewesen und die Empfindung angekommen zu sein war nun stärker, als sie es bei ihrer Rückkehr nach New York verspürt hatte. Selbst wenn es nicht bestätigt war, ihr Gefühl sagte ihr sicher, dass irgendwo hier ihre wahre Heimat liegen musste; die Verbundenheit, die sie verspürte, war wesentlich ausgeprägter als auf der Erde. Der Thronsaal Gladsheims öffnete sich vor ihnen mit seinen schweren Türen, die gut gerüstete Wächter mit starren Mienen bewachten; dort empfing sie bereits eine große Ansammlung an Asen und Gesandten, sodass die mächtige Halle zum ersten Mal den Eindruck erweckte, eigentlich viel zu klein für die Besucher Odins zu sein, allein durch die Gegenwart und Aura einiger Anwesenden. Gwen entdeckte zuallererst Odin, der wie ein goldener Fels in der Brandung auf seinem Thron saß; zwei seiner Ratsmitglieder hatten sich zu ihm gebeugt und schienen ihm Informationen über die geladenen Besucher ins Ohr zu wispern, da das Auge des Allvaters aufmerksam und rasch über die Halle glitt und er selbst dann und wann ein verstehendes Nicken sehen ließ. Neben ihm stand Frigga in ihrer gewohnt hoheitlichen, unbeugsamen Haltung; die Königin selbst trug nun eine Rüstung - ein edler, doch schlichter Brustpanzer über einer weitläufigen Robe, welcher ihr fast das Aussehen einer wagemutigen Walküre verlieh. Sie erblickte ihre zurückkehrenden Söhne zuerst und ein feines, recht erleichtertes Lächeln umspielte ihre Lippen, doch blieb sie an der Seite ihres Mannes und bettete ihm eine schlanke Hand auf der reich verzierten Schulterplatte. Daraufhin lenkte Odin seinen wachen Blick zu ihnen herüber und sogleich wirkte es, als hätte seine Rüstung einiges an Gewicht verloren; Zuversicht erhellte sein Auge und er begrüßte die Heimkehrenden mit einem knappen, aber wohlgesonnene Nicken über die Köpfe der Anwesenden hinweg. Neben vielen Asen machte Gwen nun auch die Gruppe der Zwerge aus, die wohl die Vertreter Niflheims darstellten - ihre Vorstellung von Zwergen hatte sich bisher wohl eher auf Mythen und Märchen beschränkt, aber nun konnte sie feststellen, dass diese Bilder ihrer Fantasie tatsächlich gar nicht so weit ab der Realität existierten. Das Volk aus den eisigen Weiten Niflheimes war klein; nicht so klein und massig, wie Gwen es erwartet hätte, denn durchaus waren einige der männlichen Vertreter sogar recht schlank und fast nur einen Kopf kleiner als sie selbst. Außerdem konnte sie auch einige Frauen unter den Männern ausmachen und entgegen der allgemeinen Annahme, trugen weder diese, noch alle Männer rauschende, kunstvolle Bärte. Die Zwerge hatten eine eher blasse Hautfarbe - was wohl an ihrer erwählten Heimat unter dem ewigen Eis liegen mochte - und viele besaßen kunstvollen Hautzeichnungen, die in kühlen Blau- und Grüntönen ihre Gesichter recht wild wirken ließen. Ihre Rüstungen waren stark und schwer, umwickelt und verziert mit Fellen, ebenso wie ihre Waffen, die oftmals fast größer waren als der Zwerg oder die Zwergin selbst. Doch die Kunstfertigkeit der Schmiedearbeiten war selbst für jemanden wie Gwen sichtbar, die sich kein Stück auf Waffen verstand - der Ruf der Zwerge als die fähigsten Schmiede aller neun Welten schien gerechtfertigt zu sein. »Vater hat es tatsächlich geschafft, den Ältestenrat Alfheims aus dessen schützenden Mauern zu locken…« drang Thors erstaunte Stimme nun an ihr Ohr und die folgte dem Blick des blonden Hünen. Die Reihen der Asen teilten sich nun ehrfürchtig und gewährten Sicht auf die Vertreter Alfheims, die gemächlichen, sittsamen Schrittes die Menge durchpflügten wie der Bug eines Schiffes und respektvolles Kopfsenken bei allen Anwesenden hervorriefen. Auch Gwen fühlte sich plötzlich innerlich genötigt, den Blick zu senken, als wäre kaum jemand es wert, die Augen auf die ältesten Wesen der neun Reiche zu richten - auf den Rat der Lichtalben. »Die Mitglieder des Rates haben seit Jahren Alfheim nicht verlassen, geschweige denn sich um die Geschehnisse in den Welten gekümmert. Diese Pflicht oblag stets dem Allvater.« wisperte Loki erklärend und nah an ihrem Ohr, sodass der Schauer, welcher über ihre Arme glitt, nicht nur der puren Präsenz der Alben zuzuschreiben war. »Man sagt, ihre Existenz begann beinahe mit dem Herzschlag Yggdrasils, sie zählen somit zu den ältesten Geschöpfe der Welten. Ich aber sage, sie sind Relikte aus einer anderen Zeit, unzeitgemäß und arrogant in ihrer Einzigartigkeit.« endete der Magier recht geringschätzig und beobachtete missbilligend den Gang des Rates. Offenbar war er der Meinung, dass die Alben den entgegengebrachten Respekt nicht verdient hatten. Gwen wusste, wie sie sich die Elfen in Büchern und Geschichten, in Filmen und Dichtungen stets vorgestellt hatte, doch die vier Mitglieder von Alfheims Ältestenrat warfen all diese kindlichen Bilder vollkommen über den Haufen; das Einzige, was sie vielleicht mit der menschlichen Vorstellung von Elfen gemein hatten, waren die unheimlich langen und spitzen Ohren. Doch dort hörte die Ähnlichkeit bereits auf. Die Alben waren unheimlich groß; hochgewachsen und schlank, fast zerbrechlich mochten ihre Glieder unter den weiten, zarten Roben anmuten, die sie trugen - ihre Bewegungen so fließend wie Wasser, aber auch langsam und bedacht, als wäre es ungewohnt für sie unter der Schwerkraft zu wandeln. Ihre Hälse waren ungewöhnlich lang und endeten in schmalen Gesichtern mit kahlen Häuptern; das Antlitz bei allen vier Ratsmitgliedern hinter einem zarten, durchsichtigen Schleier verborgen, der von einer filigranen, silbernen Kopfbedeckung, ähnlich einer Tiara, herabwallte. Dahinter waren unnatürlich große, schrägliegende Augen zu erahnen, die wie Leuchtfeuer über hohen, spitzen Wangenknochen thronten. Die Haut der Alben glich flüssigem Silber und wirkte fast durchsichtig; darunter Geflechte an hauchfeinen blauen und roten Adern zu erkennen, die wie Sternenstaub schimmerten. Doch trotz ihres sehr fremdartigen Aussehens verströmten die Uralben eine Aura von Frieden und Zuversicht, die sie wie ein unsichtbarer Nebel umgab; ihre hellen, scheinbar pupillenlosen Augen strahlten in Freundlichkeit - eine Freundlichkeit, die sich ebenso in blassen, schmalen Lippen zeigte, die zu einem gütigen Lächeln verzogen waren. Die Begleiter und Berater des Albenrates ähnelten dann schon wieder mehr jener Vorstellung von Elfen, die Gwen kannte; die Nachkommen der Alben waren zwar auch groß und schlank, mit silbern schimmernder, heller Haut gesegnet, doch glichen sie in Statur und Erscheinung eher Asen und Menschen. Ihre Gesichter waren streng und edel, hoheitlich scharf geschnitten mit leicht schrägen Mandelaugen und filigranem Knochenbau - zeitlos schöne Gesichter, umrahmt von blondem bis braunem Haar, welches meist kunstvoll geflochten oder frisiert war. Die typisch spitz zulaufenden, aber eher klein gehaltenen Ohren rundeten das Bild ab. Ihre Rüstungen glänzten in edlen Braun- und Goldtönen und viele der Alben trugen lange Schwerter oder schlanke Bögen auf dem Rücken. Sif entdeckte sie nach der Königin als nächstes und löste sich aus der Menge, um ihnen entgegen zu eilen, gefolgt von den Tapferen Drei, die Thor nun auch bemerkt hatten. Die Kriegerin blieb vor dem Donnergott stehen und schien einen Moment mit sich zu hadern, bevor sie ihn in eine flüchtige, aber innige Umarmung schloss; gleich darauf löste sie sich schon wieder von Thor, sichtlich unangenehm berührt von der eigenen Handlung - es war nicht schwer zu erraten, dass derlei Gefühlsbekundungen in der Öffentlichkeit ungewohnt für die hübsche Kriegerin waren, die sich sonst so viel Mühe gab, ihre Stärke und Entschlossenheit zu präsentieren. »Schön, dass du wieder da bist…« wisperte sie erleichtert, bevor sie auch Loki und Gwen ins Auge fasste und den beiden ebenso zunickte. »…dass ihr wieder da seid. Das bringt ein wenig Hoffnung zurück…« Ihre letzten Worte waren vage Zuversicht, die das Gefühl der Beklemmung nicht ganz durchbrechen konnten, welches selbst über dem Thronsaal zu schweben schien; das gedämpfte, rötliche Licht des Himmels verdunkelte auch hier die Stimmung, ließ die Schatten tiefer wirken, die Farben stumpfer. »Ich hätte nie gedacht, dass mal zu sagen, aber…ich bin froh dich zu sehen, Loki.« tönte Fandrals unverkennbarer Bariton über das Raunen der Menge hinweg, als er bei ihnen ankam und Gwen einen höflichen, kurzen Handkuss gab. »Es freut mich, dass Ihr Euch ebenso zur Rückkehr entschlossen habt, Lady Gwendolyn.« »Deinen Frohsinn kann ich leider nicht teilen, Fandral.« bemerkte Loki trocken, seine Augen waren nur einen kurzen, kritischen Moment zu Gwens Fingern geglitten, welche diese nun mit einem verlegenen Räuspern aus Fandrals Griff entwand. »Ich weiß, wir hatten unsere Differenzen, doch lass uns die heute einmal vergessen…zum Wohle Asgards. Zum Wohle aller.« Der blonde Krieger trat gewagt an den Magier heran und bot jenem die Hand in einer bereitwilligen Geste an; Gwen rechnete augenblicklich mit dem schlimmsten, doch obwohl sich Loki misstrauisch versteifte, so ließ er sich doch zu einem flüchtigen Händedruck hinreißen. Volstagg zog Thor und Gwen in eine typisch bärige Umarmung, für den Magier hatte er zumindest ein kurzes, respektvolles Nicken übrig. Hogun hielt sich wie immer eher schweigend im Hintergrund, nachdem er und Thor sich mit einer kurzen, freundschaftlichen Umarmung begrüßt hatten. »Gibt es inzwischen Neuigkeiten, meine Freunde?« erkundigte sich Thor besorgt, doch Sif schüttelte den Kopf. »Zumindest keine guten.« erklärte die Kriegerin resigniert. »Yggdrasils Eingang bleibt weiterhin verschwunden, obwohl Odin Hugin und Munin die ganze Zeit schon nach dem Portal suchen lässt. Des Weiteren erreichen uns jede Stunde mehr verängstigter Flüchtlinge, die hoffen, im Schatten Gladsheims Schutz zu finden.« »Diese barbarischen Söldnerhorden und Plünderer ziehen noch immer durch die Welten und machen sich das Chaos in Malekiths Schatten zu Nutze, um den Allvater und dessen Einfluss zu schwächen. Sie haben alle den Ernst der Lage noch nicht erkannt…« grollte Volstagg zornig in seinen Bart. »Es wird immer jene geben, die das Unglück anderer zum eigenen Wohle nutzen wollen…« Hoguns melodische Stimme war nachdenklich, sein Blick voller Sorge auf das verdunkelte Asgard gerichtet, welches unter dem roten Himmel wie in höllischem Fegefeuer zu brennen schien. »Ein Krieg scheint unvermeidlich…vorausgesetzt, wir finden den Eingang zu Yggdrasils Reich…« resümierte Fandral unheilvoll. »Eine andere Möglichkeit bleibt kaum noch.« Der dumpfe Klang von Gungnir zog durch die Halle, als Odin seinen Speer auf den Boden klopfte, um sich Gehör zu verschaffen. »Ehrwürdige Besucher, langjährige Verbündete, liebe Freunde-« Gerade als der Allvater sich erhoben hatte, damit er um Aufmerksamkeit bitten konnte, schwangen die Türen des Saales erneut auf und Heimdall kam herein, gefolgt von weiteren Besuchern, die sich hinter dem Wächter aus dem Schatten des Torbogens schälten; Odin verstummte mitten im Satz und blickte den Neuankömmlingen wie Frigga überrascht, allerdings auch kritisch entgegen, ebenso wie der Rest der Anwesenden, die allesamt die Köpfe wandten und aufmerksam zur Tür sahen. Hinter Heimdall folgte eine Frau, die ein atemloses Raunen durch die Menge schickte; Gwen musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um über die vielen Köpfe etwas erkennen zu können - erst da bemerkte sie, dass ausnahmslos alle Männer die Frau beobachteten, als wären deren Augen auf magische Weise von ihr angezogen. Selbst Thor und Loki starrten auf die für Gwen Fremde und sie bemerkte das argwöhnische Verziehen von Sifs Mundwinkeln, als die Kriegerin die Neuankömmlinge sofort zu erkennen schien, ebenso wie Frigga und Odin, die eher verhalten erschienen. Die Unbekannte hatte eine wirklich außergewöhnliche Hautfarbe; nicht ganz so dunkel wie Heimdalls schien ihre Haut in einer Mischung aus Bronze und Sonnenbräune förmlich zu strahlen wie die polierte Klinge eines Schwertes. Ihr Körper war schlank und wohlgeformt und Gwen musste in einem Anflug von Unbehagen feststellen, dass selbst Ashlyns perfekte Gestalt kaum an diese Frau heranreichen würde. Ein verstohlener Blick zur Seite offenbarte ihr, dass Lokis Augen noch immer an der Fremden klebten und das erweckte in Gwen ein sehr ungutes Gefühl; sie war nicht dumm und erkannte die zarten Wurzeln dieser Empfindung durchaus als Eifersucht, aber da war auch noch etwas anderes - etwas, dass Vorsicht vor dieser Frau suggerierte. Und dieses Gefühl rührte gewiss nicht nur aus dem Ärgernis, dass offenbar jeder Mann in der Halle ihr gebannt hinterher sah; glücklicherweise schien der Magier eher neugierig, als wirklich interessiert zu sein, während alle anderen Männer völlig fasziniert und abwesend wirkten. Lokis Lippen dagegen umspielte ein wissendes, fast amüsiertes Lächeln. Die Fremde trug ein fast durchsichtiges, hauchzartes Gewand, welches kaum ihre Rundungen bedeckte und nur zaghaft gewisse, delikate Stellen bedeckte - es war um den Hals durch eine breite, goldene Schärpe gerafft, zog sich in breiten Bahnen über ihre Brüste, geschnürt in der Hüfte, um sich dann über ihrem Unterleib wie ein offener Rock zu entfalten, der bei jedem ihrer Schritte ihre langen Beine geschickt in Szene setzte; hier und da schimmerte ihre Haut unter dem Stoff hindurch und offenbarte kunstvolle, schwarze Linien, die ihren Körper wie Verzierungen schmückten. Ihre Füße waren nackt und verursachten daher auch kaum einen Laut, als sie die Halle graziös durchquerte; jede ihrer Bewegungen war katzenhaft anmutig, jede Regung so gewählt, als würde sie sich in einem einstudierten Tanz bewegen - womöglich war dies sogar im Rahmen des Möglichen, denn sie schien sich ihrer Wirkung durchaus bewusst zu sein. Sie trug eine Menge goldenen Schmuck um Hand- und Fußgelenke sowie Hüfte und Hals, welcher ihre Schritte mit einem sanften Klingeln begleitete - alles in allem erinnerte ihre Aufmachung Gwen an eine ägyptische Prinzessin. Dazu passte auch die starre, goldene Maske, welche ihr Gesicht halb bedeckte und nur die untere Gesichtshälfte sowie perfekt nachgedunkelte Lippen frei ließ; die Haare der Unbekannten waren von einem strahlenden Blond, glänzend wie Gold, welches von feinen Strähnen Kupfers durchwirkt wurde; eher ungewöhnlich war ihre Frisur, denn sie trug die Haare auf beiden Seiten ihres Schädels bis auf einen kurzen Flaum rasiert, während sich über die Mitte ihres Hauptes ein dichter, wilder Schopf zog, der sich fast bis zum Ansatz ihrer Oberschenkel ergoss. An ihrer linken Hand trug sie eine Art metallischen Klauenhandschuh mit sehr filigranen, goldenen Gliedern, in deren Fingern die Frau eine kleine, rötlich schimmernde Kugel hielt, die aus scheinbar eigenem Antrieb um ihre Finger glitt. Gleich hinter ihr betrat ein Mann die Halle, der das perfekte Abbild der schönen Unbekannten war; selbst Gwen musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass die beiden eindeutig verwandt waren - wenn nicht sogar Geschwister, Zwillinge, denn bis auf das Geschlecht unterschieden sie sich kaum. Auch der Mann besaß diese außergewöhnliche Hautfarbe, den gleichen geschmeidigen Gang, dieselben blonden Haare, die in seinem Fall ebenfalls auf einer Seite fast bis auf die Kopfhaut rasiert waren, während die andere Seite ihm bereits wild in die Stirn fiel. Auch sein Gesicht lag hinter einer kunstvollen, goldenen Maske verborgen und gewährte somit keinen wirklichen Blick auf sein Antlitz. Auch er lief barfuß, seine einzige Kleidung bestand aus einer leichten Stoffhose; somit lag sein sehniger Oberkörper frei, über welchen sich ebenfalls die dunklen, aufgemalten Linien zogen, wie Gwen sie zuvor bei der Frau schon bemerkt hatte. Über seiner Brust lagen lederne Gürtel, die zu Schwertscheiden auf seinem Rücken führten, in denen zwei säbelförmige, kristallartige Schwerter steckten. Selbst die Gefolgschaft der beiden überirdisch schönen Gestalten trug verhüllende Masken - die mal Tier- mal Totenköpfen oder ähnlich groteskem ähnelten - und ebenso wenig Stoff am Leib wie der Mann und die Frau; offenbar stammte diese Abordnung aus einem der Reiche mit heißem, beinahe wüstenartigem Klima, wozu auch die sonnengetränkte Hautfarbe passen würde. »Wer ist das…?« entfuhr es Gwen ungewollt bissig und sie schämte sich augenblicklich für diesen respektlosen Tonfall; die beiden Fremden schienen auch auf sie ihre Wirkung zu entfalten und sie kam einfach nicht umhin die Aura der Macht zu spüren, welche die zwei fast greifbar umgab. Neben der Frau allein kam sich Gwen vor wie ein blasser, farbloser Geist und es wurmte sie ungewöhnlich stark, dass selbst Loki Respekt für die beiden zu empfinden schien, dabei war Gwen noch nie von einer sonderlich starken, eifersüchtigen Natur geprägt gewesen. Mühsam verbat sie sich dieses nicht näher zu benennende Gefühl und versuchte den Besuchern zumindest neutral gegenüber zu treten. Die Mundwinkel des Magiers zuckten, offenbar empfand er ihren inneren Konflikt als durchaus unterhaltsam und schien ihre Gedanken nur zu deutlich zu erraten; sein Blick kreuzte Gwens und verschaffte ihr somit zumindest einen Teil Erleichterung, da er zumindest in der Lage schien, seine Augen noch abzuwenden. »Frey und Freya, zwei der mächtigsten Magier Vanaheims, wenn nicht sogar die mächtigsten. Die Geschwister sind bekannt für ihr Aussehen, sowie für ihre tadellosen Fähigkeiten. Freya gilt als eine der schönsten Frauen aller neun Welten.« erklärte ihr Loki sachlich. »Sie wurden wohl als die Vertreter Vanaheims ausgewählt.« Frey und Freya…?! »Nach einer Weile unterhielt ich außerdem eine gute Beziehung zu den Geschwistern Frey und Freya, beides sehr magiebegabte Vanen. Somit hatte ich stets Gesellschaft, Unterhaltung und zwei kluge Geister gefunden, mit denen ich auf gleicher Ebene kommunizieren konnte.« Lokis Worte hallten lang und deutlich in ihrer Erinnerung wieder. Kurz hinter dem ungewöhnlich schönen Frey trat ein weiterer Mann in die Halle, der selbst eine imposante Erscheinung war; seine Haut erschien gänzlich aus Gold, verziert mit schuppenartigen Mustern, und ließ sein raubtierhaftes Gesicht schimmern wie das einer starren Statue. Seine Augen waren flammende Höhlen, in denen schmale, geschlitzte Pupillen schwammen, die ihm einen ungewöhnlich intensiven Blick verliehen. Sein Haar war von einem außergewöhnlichen Rotton, der fast in den Augen stach; als hätte man die Feuer der Hölle mit dem gleißenden Licht der Sonne vereint. Lang und offen bedeckte es seine breiten, mächtigen Schultern. Der Mann war ungewöhnlich groß und kräftig; seinen muskulösen Leib umhüllte ein schlichter, roter Mantel, seinen Unterleib ein dunkler Lendenschurz. Den Mann schien zu amüsieren, dass einige Asen vorsichtshalber ein paar Schritte vor ihm zurückwichen, sodass er weiße, scharfe Zähne in einem breiten Grinsen enthüllte und dampfende Rauchwolken durch seine Nase ausblies, was einer der asischen Frauen einen spitzen Ton des Unbehagens entlockte. »Ein Feuerriese…« stieß Fandral neben ihr als erster fassungslos aus, bevor auch Thor ein verblüfftes: »Unmöglich…« anfügte. »Ich will gar nicht mutmaßen, wie Freya sich dessen Gefolgschaft gesichert hat…« raunte Sif abschätzend. Gwen erhob sich erneut neugierig auf die Zehenspitzen, um einen besseren Blick auf den Feuerriesen zu erhaschen. Eigentlich war es fast logisch, dass es neben Eisriesen eben auch Feuerriesen gab, allerdings hatte dieses Volk noch nie jemand erwähnt. »Sieh an, was Muspelheims Glut dort ausgespuckt hat…« raunte Loki neben ihr nachdenklich, bevor er ihrem fragenden Blick begegnete. »Die Feuerriesen sind ein arg zurückgezogenes Volk. Sie gelten nicht als besonders kontaktfreudig. Von ihnen gibt es nur noch sehr, sehr wenige und lange hat niemand überhaupt einen von ihnen je zu Gesicht bekommen. Nun…außer wir bei unserem unfreiwilligem Ausflug nach Muspelheim.« fügte er geheimnisvoll an. Gwen brauchte einen Moment, um zu begreifen, bevor sie verblüfft ausstieß: »D-der Drache?! Das war ein Feuerriese?!« Lokis amüsiertes Schmunzeln war eigentlich Antwort genug. »Die korrekte Bezeichnung lautet Wyvern, aber ja - das war ein Feuerriese. In seiner eher ursprünglichen Form.« Freya war nun bei Odins Thron angelangt, doch machte sie keine Anstalten, sich gebührend zu verbeugen, sondern zog nur die Maske von ihrem Gesicht, während sie das Haupt in einer eher spöttischen Geste beugte. »Allvater…« säuselte die samtige Stimme der Magierin wie Honig in den Ohren, allerdings auch von einer Geringschätzung behaftet, welche Odin mit einem Verschmälern seines Auges quittierte. Frey allerdings beugte respektvoll das Knie vor dem Allvater, was zumindest seiner Schwester sehr zu missfallen schien. Ihre makellosen, wunderschönen Züge übertanzte ein zaghafter Schatten von Wut, bevor sich jener wieder verflüchtigte, als Frigga zu den Geschwistern herabkam und beide mit ihrer gütigen, höflichen Art empfing. »Freya. Frey. Es freut Asgard über alle Maßen, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid und Vanaheims Verbundenheit damit repräsentiert.« Die ehrlichen, diplomatischen Worte der Königin nötigten auch Freya ein Lächeln ab und die Magiern vollführte einen geschmeidigen Knicks vor Frigga, während ihr Bruder, der noch immer kniete, die Hand der Königin ehrerbietend an seine Stirn zog. Wie Gwen bereits durch diverse Gespräche hatte raushören können, waren Asgard und Vanaheim nie sonderlich gute Freunde gewesen; zwischen den beiden Reichen hatte immer schon eine unterschwellige Konkurrenz geherrscht, was die Herrschaft über die neun Welten anging. Während Asgard sich hervorragend auf die Schlacht und Waffen verstand, auf Krieger und Ehre, so war Vanaheim gebildet in Magie und Wissen, in den kleineren und feineren Dingen zwischen Himmel und Erde. Das hatte bereits früher zu Unstimmigkeiten geführt. Und Freya war offenbar eine Verfechterin ihrer ganz eigenen Weltanschauung. »Da das Schicksal der Welten bedroht scheint, fühlt sich Vanaheim äußerst genötigt einzugreifen, wenn sich Asgard der Bedrohung allein nicht gewachsen sieht.« erklärte die Magierin mit einnehmender Stimme, obwohl ihre Worte durchaus eine versteckte Kritik beinhalteten, die Frigga allerdings milde überlächelte. Thor nahm die unterschwellige Rüge allerdings weniger gleichgültig auf und knirschte unzufrieden mit den Zähnen. »Was erlaubt sie sich vor dem Allvater so zu sprechen…?!« »Des Weiteren konnten wir einen Verbündeten zu unseren Gunsten gewinnen…« Freya wies mit einer grazilen Handbewegung auf den Feuerriesen, der unweit von ihr stehen geblieben war. »Lord Uzzagar aus den Feuerlanden Muspelheimes. Ich bin sicher, Asgard wird dankbar für die Hilfe sein, die Vanaheim stellen kann.« mutmaßte die Vanin süffisant. Ein nachdenkliches, überraschtes Raunen ging durch die Menge, als sich die Identität des Feuerriesen bestätigte; viele von Odins Ratsmitgliedern wirkten beeindruckt, ebenso wie einige der Anwesenden, deren Äußerungen Gwen in nächster Nähe aufschnappte. Die Magierin schien sich nicht nur mit ihrem Aussehen allein einen Grund schaffen zu wollen, auf dem sie sicheren Stand hatte… Und sie war äußerst bemüht, dem Allvater das Wasser unter dem Kiel zu rauben. »Natürlich sind wir äußerst dankbar für Eure Mühen und Euren Einsatz, Freya Njörddotter und heißen Euren Begleiter herzlich in unseren Hallen willkommen.« Auch den Riesen begrüßte die Königin gebührlich, bevor sich Odin der Versammlung mit dröhnender Stimme wieder zuwandte. »Lasst den Rat beginnen. Da nun alle Mitglieder eingetroffen sind, sollten wir keine Zeit mehr verschwenden und unsere Versammlung zügig vorantreiben. Thor, führe die Gesandten zu meinem Ratssaal.« Der Donnergott geleitete sie zu eben jenem Raum, der Gwen noch sehr vertraut war; von ihrem Verhör nach dem Angriff und jenem Tag, an dem Odin schon einmal einen Rat hier abgehalten hatte - beinahe war es logisch, dass nun wieder alle Fäden in diesem Raum zusammen liefen. Bisher hatten sich hier in diesen vier Wänden so einige Weichen für Gwens Leben gestellt und damit war es fast zwingend notwendig, dass Odin seinen Kriegsrat hier einberufen würde. Sie folgte Thor mit Loki, Sif und den Tapferen Drei, obwohl sie sich gar nicht sicher war, ob sie überhaupt erwünscht wäre. Doch man hatte sie so bestimmt und selbstverständlich in die Mitte genommen, dass sie gar nicht mehr dazu kam, einen Protest zu äußern. Des Weiteren lösten sich drei der Zwerge aus ihrem Pulk aus Gefolgsleuten und betraten den Raum, ebenso wie die vier Mitglieder des Albenrates, der Feuerriese und die beiden Geschwister aus Vanaheim. Freya entdeckte nun Loki und kam sofort mit beinahe fliegenden Schritten zu ihnen herüber, um sich ungefragt zwischen ihnen zu platzieren und sich die Aufmerksamkeit des Magiers zu sichern. »Loki!« Ihre leuchtend blauen Augen spiegelten zum ersten Mal eine reine, unverfälschte Emotion und ihre sinnlichen Lippen ein ehrliches Lächeln, welches nicht aufgesetzt wirkte. Es war unverkennbar, dass dort flammendes Interesse in Freya erwachte; ein Interesse, welches Gwen verkrampft die Luft einziehen ließ, als sich die Magierin auf die Zehenspitzen erhob und Loki zur Begrüßung einen weichen Kuss auf die Wange drückte; und der Magier, der sonst vor jeglicher körperlicher Nähe zurückschreckte, ließ dies widerspruchslos über sich ergehen. Die anderen, ganz besonders Gwen, schien Freya gar nicht zu sehen oder bewusst nicht wahrzunehmen. »Loki, mein Freund und der einzig triftige Grund, eine Reise nach Asgard zu wagen…« wisperte sie schmeichelnd, während ihr Blick die Gestalt des Magiers ziemlich direkt und unverhohlen anerkennend musterte. »Wie geht es dir? Du musst seit unserem letzten Treffen noch einmal gewachsen sein…« Ihre betörend schönen Augen hoben sich mit einem gewählt sinnlichen Augenaufschlag zu ihm an, während ihre schlanken Finger bewundernd über das Leder auf seiner Brust strichen. »Und unheimlich stattlich bist du geworden.« schnurrte sie. Der Magier zeigte ein feines Lächeln, was Gwen das Herz vollends in die Hose rutschen ließ. »Das kann ich nur zurückgeben, Freya. Die Gerüchte über deine Schönheit werden deiner Gestalt wahrlich nicht gerecht.« Er schob die Magierin ein wenig von sich, ergriff stattdessen ihre Hand und zog jene flüchtig an seine Lippen, bevor er ihrem Bruder die Hand freundschaftlich reichte und die beiden Männer sich vertraulich zunickten. Freya besaß die Frechheit bei Lokis Geste rot zu werden und Gwen verspürte augenblicklich große Lust, der Frau ihr schmachtendes Gehabe aus dem Gesicht zu schlagen. Allerdings verrauchte ihre Wut sehr schnell und machte einem anderen, wesentlich unangenehmeren Gefühl Platz - der Angst vor Verlust. Gwen wollte sich dieser lächerlichen Eifersucht nicht hingeben, immerhin war Freya eine alte Freundin von Loki, eine Vertraute, die er offenbar lange nicht gesehen hatte. Sie würde sich nicht lächerlich machen, indem sie ihren kindischen Gefühlen nachgab und eine Szene veranstaltete. Immerhin war Loki nicht ihr Eigentum… Außerdem hatten sie doch genug schreckliche und auch schöne Momente miteinander geteilt, sodass sie sich eigentlich wahrlich keine Gedanken machen sollte, dass er sie so einfach vergessen würde. Doch diese Blicke, welche die Magierin dem Prinzen zuwarf, waren eindeutig und unschwer als ein Interesse zu deuten, welches nicht bloß auf reiner Freundschaft beruhte. Gwen war eine Frau. Und sie kannte diese Blicke. Die wunderschöne Freya war verliebt in den Magier. Sie begehrte ihn über alle Maßen; das verrieten ihre Körpersprache, ihre Tonlage, jedes gewählte Wort. Und Gwen fiel dies wohl besonders deutlich auf, da Freya und sie sich auf gleicher Ebene bewegten und das gleiche Interesse teilten. Loki. Und sie wusste auch, dass Freya all das war, was sie nie sein würde - eine Göttin, eine offenbar äußerst begabte Magierin und eine Schönheit. In direktem Vergleich mit der Vanin würde sie immer den Kürzeren ziehen. Allerdings war Gwen offensichtlich nicht die Einzige, der Freyas Verhalten sauer aufstieß, denn ihr Bruder beobachtete sie mit offenem Missfallen und starren Gesichtszügen; nachdem auch er seine Maske abgenommen hatte, war die Ähnlichkeit der beiden wirklich verblüffend, wobei seine Gestalt mehr Härte ausstrahlte als die katzenhafte Schönheit der Magierin. Freya ergriff Loki am Ellenbogen und beanspruchte ihn so unumwunden für sich, als sich die Versammlung zu dem großen, länglichen Tisch hinüber bewegte, um dort Platz zu nehmen. »Warum hast du dich nie bei uns blicken lassen? Du würdest wahrlich besser nach Vanaheim passen als nach Asgard, Loki. Das habe ich dir schon immer gesagt. Du gehörst zu deinesgleichen und nicht zu dieser Horde waffenklappernder Wildlinge.« »Meinst du nicht, dass Loki das selbst beurteilen kann, Schwester?« raunte ihr Frey in einem Ton zu, der sie wohl in ihrem Eifer bremsen sollte. Doch die Magierin ignorierte ihren Bruder gekonnt. Der Prinz schmunzelte leicht; obwohl er der Magierin ihre gewünschte Aufmerksamkeit schenkte und durchaus geschmeichelt von ihren Worten schien, wirkte er doch irgendwie kühl und reserviert. Er berührte sie nicht und wahrte eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Freya schien es in ihrer Begeisterung nicht zu bemerken, doch Gwen fiel es sofort auf. »Ich hatte andere…Dinge, die meine Aufmerksamkeit forderten.« erklärte er ausweichend und geheimnisvoll. »Oh, ich habe von deinem kleinen Feldzug gegen Midgard gehört. Äußerst köstlich und unterhaltsam. Dieses Gewürm verdient schon seit Jahren einen wahren Herrscher, der Ordnung in dieses Chaos bringt. Sie sind eben wie Tiere, diese Sterblichen…« seufzte die Vanin theatralisch und Gwen spürte einen bitteren Kloß im Hals; es ging immerhin um ihre Welt, über die man hier so gedankenlos Witze machte. Freyas Blick fiel nun unerwartet auf sie. »Wer ist eigentlich dieses unscheinbare Mädchen, was sich da in deiner Nähe herumdrückt. Lady Sif und die Tapferen Drei mag man ja kennen, doch ihr Name will mir einfach nicht einfallen…« grübelte sie gespielt. Loki spiegelte Freyas Belustigung nur vage und bot ihr manierlich einen Stuhl, bevor er Gwen bestimmt an seine Seite zog und sehr zum Missfallen der Vanin an ihrer Seite Platz nahm. »Das ist Gwendolyn Lewis aus Midgard.« erklärte er trocken und Gwen konnte beinahe zusehen, wie die Fassade von Freyas hübschem Gesicht bröckelte. Verwirrt zog sie die Stirn in Falten, während ihr Bruder nun neben ihr Platz nahm. »Eine Sterbliche?! An Odins Tafel?! Also waren es nicht bloße Gerüchte…?!« hauchte sie ungläubig. »Asgard ist verkommener, als ich dachte.« Glücklicherweise betraten Odin und Frigga in diesem Moment den Raum, gefolgt von Heimdall, der die Tür hinter sich schloss. Eine angespannte Ruhe legte sich über den Raum, während alle schweigend Platz nahmen und abwartend auf das Herrscherpaar sahen. Der Allvater stützte sich auf Gungnir und kam langsam zum Tisch herüber, flankiert von Frigga und Thor, die ebenso ernste Gesichter zur Schau trugen wie Odin selbst. Heimdall blieb an der Tür stehen und war somit in der Lage, den gesamten Raum zu überwachen. »Lassen wir die Höflichkeitsfloskeln fallen. Wir alle wissen, warum ich zu diesem Rat rief und wie es um unsere Welten steht. Der Himmel spiegelt unsere Lage wie die glasklare Oberfläche von Mirmirs Quell…« Der Allvater hatte an der Stirnseite des Tisches Stellung bezogen und überflog die Gesichter der Anwesenden; selbst Freya unterbrach ihn nun nicht, obwohl sie eigensinnig das Kinn gehoben hatte und die Arme in einer abwehrenden, fast gleichgültigen Geste verschränkte. Gwen war sich fast sicher, dass sie nur gekommen war - und blieb - weil ihr die Aussicht auf ein Treffen mit Loki gefiel. Oder um ihren eigenen Vorteil aus der Sache zu ziehen… Odin schloss sein Auge und schöpfte Atem, bevor er jenes wieder öffnete und die Tatsache mit harter, unerbittlicher Gewissheit in die Runde warf: »Es wird Krieg geben. Dies ist unausweichlich. Ich habe euch gerufen, um eure Unterstützung und eure Truppen in diesem Kampf zu fordern. Nicht zu erbitten, denn die Zeit für Bitten ist längst vorbei. Wir werden Malekith angreifen, mit aller Kraft, die wir haben.« Währenddessen auf der Erde… Direktor Fury saß in seinem Büro und wog das silberne Amulett Yggdrasils nachdenklich in seinen Händen. Sein Telefon hatte er ausgeschalten; deutlich gemacht, dass er an diesem Tag nicht mehr gestört werden wollte. Die Avengers waren ausgeschickt, die panische Bevölkerung zu beruhigen und die Umgebung im Auge zu behalten; immer wieder erreichten sie Berichte von Augenzeugen aus aller Welt, die von lebenden Toten sprachen. Ob sie es nun wahrhaben wollten oder nicht - die Erde war bedroht und langsam aber sicher wurden sie von allen Seiten eingekreist wie hilflose Tiere in ihrem Käfig. »Trink den Inhalt, wenn du dich bereit und in der Lage fühlst, diese Bürde zu stemmen. Doch jede Gabe Yggdrasils wird ein Opfer fordern. Solche Macht fordert immer einen Preis…« hatte ihm Loki mit der bewusstlosen Frau im Arm erklärt, bevor die beiden Götter mit ihr nach Asgard zurückgekehrt waren. Er erinnerte sich erschreckend deutlich an den ernsten, warnenden Blick des Magiers; wie dieser einem dunklen Gegenstück gleich neben Thor gestanden hatte und seinen harten Zügen zum Trotz die kleine Frau sanft und schützend im Arm gehalten hatte. Nicholas stand das Bild von Gwendolyn Lewis noch jetzt vor Augen; wie sich diese eher unscheinbare Frau in ein Wesen aus reinem Licht verwandelt und den Hauch des Schicksals mit sich gebracht hatte. Fury war nie ein sonderlich gläubiger Mensch gewesen. Er glaubte an Dinge, die er sehen und anfassen konnte; an S.H.I.E.L.D, seine Avengers, an ein gutes Equipment und manchmal auch harte, zweifelhafte Methoden, um seine Welt zu schützen. Doch Thor und sein Bruder hatten vor zwei Jahren eine Welt für die Menschen eröffnet, die es durchaus wieder lukrativ machte, an etwas zu glauben - an Magie, an übersinnliches, an höhere Mächte, die über ihr aller Schicksal wachten... Und er war nun durchaus bereit alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, um die Erde zu schützen. Wenn konventionelle Waffen nicht mehr ausreichen würden, dann musste er sich auf andere verlassen - auf geheimere Wege, verbotene Pfade, magische Gaben… Das Amulett in seiner Hand schien zu ihm zu wispern; sein Innerstes mit einem Lockruf zu berühren, dem er sich nur schwer entziehen konnte. »Ein Geschenk, einäugiger König, für dich bestimmt. Sehe mehr, als es sterbliche Augen vermögen, denn bald wird dein Auge nicht mehr ausreichen, hinter die Schatten zu sehen…« Laut Loki barg dieses Amulett die Macht in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen zu sehen - eine Gabe, die sich unter diesem unheilvollen Himmel als durchaus nützlich erweisen konnte. Fury schluckte hart, dann löste er zögerlich den winzigen Verschluss, der an der Verankerung der Kette angebracht war. Die schimmernde Flüssigkeit schwappte aufgeregt an das zarte Glas zwischen den silbernen Ästen der Weltenesche. War er wirklich bereit so weit zu gehen? War er bereit sich selbst als Opfer für die Erde darzubieten? Er wusste um die vielen Fehler der Menschheit wie kein anderer; er bewahrte jeden Fehltritt, jedes Vergehen, jedes Verbrechen gegen die Menschlichkeit in seinen Archiven auf, weil S.H.I.E.L.D. es sich schon seit langen Zeiten auf die Fahne geschrieben hatte, über die Geschicke der Erde zu wachen. Fury wusste, dass die Menschen nicht unfehlbar waren. Doch noch immer gab es gute, wertvolle Ausnahmen unter ihnen, für die zu kämpfen es sich lohnte. Mit einer entschlossenen Bewegung hob er das Amulett an die Lippen und trank die reine Flüssigkeit; es fühlte sich beinahe an, als würde er die Frische von Eis und die Zartheit von Samt schlucken, so mühelos glitten die wenigen Tropfen seine Kehle hinab. Angespannt legte er das nun leere Amulett vor sich auf den Tisch und wartete. Doch nichts geschah. Die Uhr an der Wand verkündete mit ihrem monotonen Ticken den Lauf der Zeit, während sein stummgeschaltetes Telefon wegen der vielen unbeantworteten Anrufe munter vor sich hinblickte. Auf dem Gang vor seinem Büro vernahm er gemurmelte Gespräche; der Boden dröhnte unter seinen Füßen, als der Helicarrier mehr Schubkraft zugab, um höher zu fliegen. Sein Herzschlag war ruhig, seine Haut kühl, sein Atem gleichmäßig, seine Sicht klar. Grübelnd ergriff er das Amulett erneut. Wenn es eine Fälschung war? Wenn es gar nicht funktionierte? Wie ein Blitz schoss die Pein in seinen Leib und ließ den Direktor stöhnend zusammenfahren; er wand sich, als würden glühende Eisenhaken durch seinen Körper gejagt, stieß seinen Stuhl zurück und stürzte zu Boden. Im Fall riss er das protestierend hupende Telefon mit sich und unzählige Akten, die ihre Papiere flatternd ausspuckten. Nicholas Fury rollte sich auf dem harten Boden seines Büros zusammen, unfähig auch nur einen Laut von sich zu geben, da er jeden Atemzug benötigte, um unter dem Schmerz nicht völlig wahnsinnig zu werden; es fühlte sich an, als würden ihm sämtliche Knochen brechen, jede Sehne reißen, jede Ader platzen - als würde sein Körper zerstört, um sich anschließend neu zusammenzufügen. Seine Sicht verschwamm und wurde dunkel, als nach einer scheinbar endlosen Ewigkeit des Schmerzes die heilende Bewusstlosigkeit über ihn hereinbrach. Stunden später klopfte Agent Hill an das Büro des Direktors. »Sir…?!« wagte die Agentin zaghaft zu fragen, als keine Antwort von drinnen ertönte. Fury hatte zwar um Ruhe gebeten, doch er war nun schon seit Stunden dort drinnen und das war definitiv nicht die Art des Mannes, der gern die Kontrolle und Übersicht über alles hatte. Einen Augenblick haderte Maria Hill noch mit sich, bevor sie die Tür behutsam öffnete. Im nächsten Augenblick schon zog sie ihre Waffe und stieß die Tür ruckartig auf, sodass diese donnernd an den Rahmen schlug. »Sir?!« Die Agentin scannte den Raum mit ihrer Waffe ab, doch sie konnte keinen Angreifer entdecken, der es verschuldete hätte, dass der Direktor nun leblos am Boden lag im Chaos seiner Papiere, die vom Tisch gerutscht waren. Hektisch betätigte sie ihr Headset und rief nach Unterstützung, bevor sie die Waffe in ihr Holster zurückschob und sich eilig neben dem bewusstlosen Mann in die Hocke gleiten ließ. Vorsichtig tastete sie Fury nach jedweden Verletzungen ab, konnte aber auf den ersten Blick nichts feststellen. »Sir…« rief sie nun besorgt, während sie nach dem Puls des S.H.I.E.L.D Chefs fühlte; zum Glück, er lebte noch. Stöhnend rührte sich der Mann nun und schlug langsam sein Auge auf, nur um jenes unfokussiert in der Umgebung schweifen zu lassen. »Hill…?!« krächzte seine trockene Stimme. »Ich bin hier, Sir. Ein Ärzteteam ist schon unterwegs. Was ist-« »Ich kann Sie nicht sehen, Hill. Warum kann ich Sie nicht sehen? Ist das Licht aus?« unterbrach sie Fury mit eisiger Panik, die lauernd unter seiner abgeklärten Ruhe wartete. Die Agentin schluckte hart und biss sich auf die Lippe, als sie direkt in das milchige Auge des Direktors blickte und die Zusammenhänge erfasste. »Nein, Sir. Das Licht ist an. Ich…ich fürchte, sie sind blind…« hauchte sie ungläubig. Fury stöhnte qualvoll auf und umklammerte das leere Amulett, welches noch immer in seiner verkrampften Faust geborgen lag. Kapitel 26: Erkenntnisse ------------------------ »Wir werden Malekith angreifen, mit aller Kraft, die wir haben.« Die entschiedenen Worte des Allvaters schwebten einen Moment bedrohlich im Raum, wie das weit entfernte Grollen eines nahenden Unwetters,- aufgeladen und knisternd entlang der Nervenbahnen, eine unheilvolle Ahnung, die sich unangenehm im Leib ballte, während die Personen rund um den Tisch kurze, fragile Blicke tauschten, in denen die zaghafte Hoffnung zerbrach. »Ihr wisst, dass dieses Vorgehen unumgänglich ist…« Odin stützte die Hände auf den Tisch, seine Schultern wirkten beladen durch die Last der Herrschaft, sein Haupt gebeugt unter dem Wissen, etwas fordern zu müssen, was unter normalen Umständen wesentlich mehr als einer Bitte bedurft hätte. »Wir müssen sofort handeln, wenn wir nicht untergehen wollen.« Thor verschränkte die Arme grimmig vor der Brust, während Volstagg ein ergebenes Schnaufen ausstieß und Fandral flüchtig ansah, der unpassend gelassen schien,- ebenso wie der Feuerriese, welcher seine glühenden Augen bisher neugierig auf Loki weilen ließ, bevor sich die geschlitzten Pupillen nun aufmerksam zusammenzogen und er die Nasenflügel blähte, als hätte der Jäger den altbekannten Geruch seiner Beute aufgenommen. »Wir sind erleichtert, dass ihr so zahlreich dem Aufruf des Allvaters gefolgt seid.« Thor hob seinen starren Blick vom Tisch an und fokussierte ihn auf die Anwesenden. »Nicht alle Reiche waren so kooperations- und opferbereit. Jotunheim verschließt sich jeglichen guten Worten und Angeboten, gemeinsam an einem Tisch eine vorläufige Waffenruhe auszuhandeln. Von den Eisriesen haben wir keine Unterstützung zu erwarten. Es scheint eher, als würden sie unser Schicksal als gerechte Strafe erachten…« schloss der Donnergott in einem betretenen Knurren; die Unzufriedenheit war ihm deutlich anzusehen, dass er keine bessere Kunde übermitteln konnte. Daraufhin entblößte der Feuerlord eine Reihe scharfer, weißer Zähne zu einem amüsierten Grinsen, was Loki zu ignorieren suchte, indem er sich gelassen in seinem Stuhl zurücksinken ließ und die schmalen Hände vor sich auf der Tischplatte faltete; der Blick des Muspel fühlte sich wie nagende Parasiten an, die kribbelnd über seine Haut krochen. Der Feuerriese musste unverkennbar davon Kenntnis besitzen, dass in Lokis Blut das Erbe der Jotunen floss,- wenngleich Muspelheim und Jotunheim nie offen im Zwist gelegen hatten, so waren die entgegengesetzten Elemente von Feuer und Eis doch so prägnant in ihrer Unvereinbarkeit, dass sich Feuer- und Eisriesen wohl abzustoßen schienen wie zwei gleichpolige Magneten. Loki spürte das Nachhallen eines seltsamen Echos in seinem Inneren,- wie ein Tropfen, der eine seichte Wasseroberfläche aufgewühlt hatte, breiteten sich die Wellen träge aus und hinterließen eine summende Resonanz in seinem Geist, als würde an dessen Rand ein bedrohlich lauernder Schatten warten, welcher den Körper in Alarmbereitschaft versetzte. Unter anderen Umständen hätte der Magier dieses eigenartige Gefühl als durchaus faszinierend erachtet, jetzt jedoch war es einfach lästig wie ein misstönendes Geräusch, welches schmerzhaft in den Ohren nachklang; die Anwesenheit des Feuerriesen nagte latent an seiner Konzentration und die war noch durch den zurückliegenden Kampf mit diesen armseligen Menschen, sowie der Auseinandersetzung mit Heimdall strapaziert. »Haben wir zu erwarten, dass sich die Jotunen Malekith anschließen werden?« fragte einer der Zwerge nach und strich sich beunruhigt über das fellbesetzte Wams; er war ein stämmiger Krieger mit grimmig entschlossenem Blick und einem dichten, grauen Vollbart. Die silberne Brosche auf seiner Weste, welche einen Amboss nebst einem Hammer darstellte, wies ihn als einen der drei Meisterschmiede Niflheims aus,- Loki erkannte ihn als Sindri, jenen Zwerg, der einst Mjölnir aus dem Herzen eines sterbenden Sternes für die Asen gefertigt hatte. Thor schüttelte überzeugt den Kopf. »Nein. Das halte ich für unwahrscheinlich. Er hat ihre Welt ebenso attackiert und unter seiner Herrschaft wären sie verdammt. Es würde ihnen nichts bringen, sich seinem Heer anzuschließen.« Fandral beugte sich zu Hogun hinüber und wisperte nachdenklich: »Nun, außer vielleicht die Rache an Asgard und dem einen, der ihren König getötet hat…« Der dunkelhaarige Krieger warf seinem Gefährten einen scharfen Blick zu, gebot ihm und seiner Zunge damit Einhalt, bevor er Unruhe und das Unglück noch selbst heraufbeschwören konnte; Fandral ließ sich mit einem Achselzucken zurückfallen und grinste Loki entschuldigend an, der unweit der beiden saß und damit jedes Wort verstanden hatte. Der Magier barg die Augen kurz hinter der rechten Hand und massierte sich ungesehen die angespannten Schläfen, bevor er sich die Haare in einer geistesabwesenden Geste nach hinten strich,- obwohl er Fandral dieses Zugeständnis kaum machen wollte, musste er zugeben, dass die Worte des Kriegers nicht gänzlich unberechtigt waren. Niemals hätte er gedacht, dass seine Taten, seine Verfehlungen, je so weitreichend sein und solche Wellen schlagen könnten, dass sie ihn selbst bis ins Jetzt und Hier verfolgen würden. Er hatte den Stein losgetreten, der zu einer Lawine wurde,- hatte die Handvoll Jotunen ungesehen nach Asgard geleitet, dann seinem gutgläubigen, leicht zu beeinflussenden Bruder die Idee in den Kopf gesetzt, gegen die Eisriesen in den Kampf zu ziehen, den Krieg zu suchen und am Ende selbst Laufey getötet, um dem Allvater die eigene Treue und Stärke zu beweisen. Würden seine überstürzten, seine unüberlegten Handlungen der Vergangenheit am Ende ihre Verdammnis sein? Diese ganzen Ereignisse reihten sich wie Perlen auf einer Kette, die immer schwerer am Hals wurde und sie alle in die Tiefe der tosenden See ziehen konnte… Loki hätte niemals erwartet, dass er am Tisch des Allvaters sitzen und tatsächlich so etwas wie Reue im Angesicht seiner Taten empfinden könnte,- er war immer der Meinung gewesen, einen klaren Blick zu haben, die Dinge lückenlos planen zu können, im Recht und wesentlich geistreicher als der Rest zu sein. Doch zurückblickend musste er - zumindest sich selbst gegenüber - eingestehen, dass sein Handeln nicht immer gänzlich ohne emotionalen Antrieb gewesen war, wo kühles, logisches Verhalten angebrachter gewesen wäre. Sein Blick fiel kurz auf die kleine, rothaarige Menschenfrau, die kraftlos und recht verloren auf dem Stuhl neben ihm saß und nervös eine blutleere, angespannte Linie in ihre Unterlippe kaute, während sie die Hände in ihrem Schoß verknotet hielt, als wüsste sie sonst nix mit ihnen anzufangen. Ihre Augen huschten suchend umher, während sie sich kurz in ihrem Stuhl aufrichtete. Auf Lokis Lippen tanzte die Andeutung eines vergänglichen, ergebenen Schmunzeln,- nun, er hatte so einiges nicht erwartet… Eine sanfte Berührung am Arm lenkte seine Aufmerksamkeit erneut zu Gwendolyn hinüber, die unruhig zu ihm aufsah. Ihre blassen Finger lagen auf dem Leder seiner Rüstung. »Angel…- ich meine, Fenrir ist weg. Ich…mir ist es erst jetzt aufgefallen. Als wir den Palast betreten haben war er noch bei mir. Ich muss ihn in der Menge verloren haben…« wisperte sie ratlos, ihre hellen Augen kündeten von Besorgnis und schlechtem Gewissen. Der Magier blickte sich rasch um und sah Gwens Worte bestätigt; der Hund war verschwunden. Allerdings versetzte ihn diese Erkenntnis nicht sofort in Panik; Fenrir war ein magisches, unabhängiges Wesen,- er tat, was er wollte, wann er es wollte und war keinem Herrn Rechenschaft schuldig. »Mach dir keine Sorgen.« beruhigte er die Menschenfrau überzeugt und ließ sich dazu hinreißen, ihre zierliche Hand auf seinem Arm mit den eigenen Fingern zu streifen. »Fenrir ist durchaus in der Lage selbst auf sich acht zu geben. Er wird nicht weit sein und gewiss irgendwo in deiner Nähe weilen. Womöglich war ihm der Auflauf im Palast einfach zu viel. Es geht ihm bestimmt gut.« erklärte er leise. Er konnte ihre Sorge verstehen; der Hund war gewissermaßen ein Stück ihrer Heimat und ihres vertrauten Lebens, an das sie sich noch immer klammerte. Sie hatte bereits eine Menge aufgegeben und zurückgelassen, allein für eine ungewisse Zukunft und die vage Aussicht auf die Wahrheit. Gwen holte tief Luft und nickte dann schwach, bevor sie ein zögerliches Lächeln zeigte und die Finger vom Leder seiner Rüstung zurückzog. »Okay…« hauchte sie tapfer und ließ sich auf ihrem Platz wieder zurücksinken, nachdem sie offenbar die misstrauischen Blicke Freyas bemerkte hatte, die Gwen nicht aus den Augen ließ, als würde sie nur darauf warten, dass die Sterbliche einen Fehler beging,- wie die Spinne im Netz, die auf die nichtsahnende Fliege lauerte. Es war unverkennbar, dass die Magierin die Anwesenheit der Sterblichen mehr als missbilligte und vor wenigen Monden noch hätte Loki ihre Abneigung durchaus geteilt; doch in ihm hatte ein schleichender Prozess begonnen,- ein Wandel, dessen Richtung und Ziel er noch nicht so genau abzuschätzen wusste. Sicher war jedoch, dass er sein Denken und Handeln der Vergangenheit immer öfter in Frage stellte und seine Prinzipien - zum eigenen Verblüffen - vermehrt kritisch betrachtete. »Erlaubt mir eine Frage, werter Allvater…« Freya zog ihre Augen von Gwen ab und begegnete Lokis Blick für einen Moment, in welchem er ein seltsam vertrautes, rotes Schimmern an den Rändern ihrer Iriden wahrnahm, bevor sie den Kopf zur Stirnseite des Tisches neigte. »Von welcher Kraft sprecht Ihr bitte? Eure Kraft ist, meinen Beobachtungen zu Folge, im Augenblick recht überschaubar und wenig eindrucksvoll.« durchbrach die polierte Samtstimme der Magierin die angespannte Ruhe und ließ den Nachhall von spöttischer Zurechtweisung durch den Raum klingen. »Asgard hat viel seiner ehemaligen Stärke eingebüßt. Ich hoffe doch, Ihr wollt Eure Verbündeten nicht zu einer selbstmörderischen Mission motivieren und sie vorschicken, um die eigenen Reihen zu schützen?« Die Vanin hob eine ihrer perfekten Brauen bezeichnend in die Höhe und tippte mit den makellosen Nägeln einen gleichmäßigen, fast gelangweilten Rhythmus auf der polierten Tischplatte, während sich der Allvater aufrichtete und straffte, als müsste er sich für einen Angriff wappnen und Thor zischend die Luft einsog; seine Gefährten starrten die Magierin entgeistert an. Loki entlockte Freyas direkte Art ein knappes Heben seiner Braue, bevor er locker die Beine übereinander schlug und mit verräterisch zuckenden Mundwinkeln den Beginn dieser sicherlich durchaus unterhaltsamen Diskussion bedachte; es war amüsant, einmal selbst nicht derjenige zu sein, dessen Zunge sich schnell Feinde schaffen konnte. Obwohl er im Moment durchaus Odins und Thors Interessen teilte, so verspürte er doch eine gewisse Befriedigung darüber, dass jemand außer ihm dem Allvater immer noch die Stirn bieten konnte. »Nun, fassen wir einmal zusammen…« riss Freya das Wort abermals an sich, bevor Odin oder Thor sich sammeln und auch nur Luft holen konnten; während die Asen unzufrieden mit den Zähnen knirschten, hing der Rest der Versammlung ergeben an den Lippen der schönen Vanin, die es ganz offensichtlich genoss, im Mittelpunkt des Interesse zu stehen. »…Asgard besitzt eine Streitmacht, die angeschlagen ist durch Malekiths überraschenden Angriff und die Versuche, eure Bevölkerung zu schützen. Des Weiteren haben wir dort flüchtige Zwerge, deren Reich ihr nicht schützen konntet, denen Heim und Land genommen wurden und die nun ohne jegliche Grundlage Zuflucht bei euch fanden. Oh, und vergessen wir nicht die edlen Alben…« Freyas Hand wies in einer eleganten Geste knapp auf die Mitglieder von Alfheims Ältestenrat. »…die wohl das letzte Mal in die Schlacht zogen, als Eure Taten noch ungeschriebene Tinte in einem namenlosen Fass waren, Allvater Odin Borson. Welcher Kraft wollt Ihr Euch also bedienen? Der der Menschen? Midgard ist ein rückständiges Reich, bevölkert mit selbstgerechten Plagen, die sich gegenseitig jederzeit für ein bisschen Ruhm und Gold selbst abschlachten würden. Oder wollt Ihr womöglich am Ende doch die Jotunen anbetteln, die nach dem Diebstahl ihrer Urne und der Kriegsgier Eures geistlosen Sohnes zerstreut und uneins in den Ruinen ihrer Welt leben müssen?!« »Freya!« Freys warnendes Zischen schoss wie ein Blitz durch den Raum, bevor der Vane eine Hand vorschnellen ließ, um das Handgelenk seiner Schwester zu umgreifen und diese mit einem Ruck zu sich heranzuziehen. Die blauen Augen des Magiers leuchteten in einem zurechtweisenden Feuer, während er bestimmt verlangte: »Es ist genug! Mäßige deinen Ton!« Sein Blick sprach von Fassungslosigkeit, allerdings auch von einer tief vergrabenen Angst, welche Loki aufmerksam werden ließ,- aufmerksam darauf, dass sich Freys Finger eine Spur zu fest um das Handgelenk seiner Schwester klammerten, als bräuchte er selbst Halt. »Sag du mir nicht, was ich zu tun habe!« giftete die Vanin ihren Bruder aufgebracht an und versuchte sich aus dessen Griff zu befreien. »Es ist gut, Frey…« Frigga schickte eine wohlwollende Geste in Richtung der beiden Geschwister und trat näher an den Tisch heran, da sie bis eben eher als stiller, sittsamer Beobachter im Hintergrund aufgetreten war; ihre Hand fand den Weg auf die Schulter ihres Mannes, als müsste sie jenen in seinen nächsten Worten vorsorglich zurückhalten. »Lasst Eure Schwester ruhig aussprechen.« gewährte die Königin gütig, allerdings beinhaltete ihre Stimme einen kaum wahrnehmbaren, eisigen Hauch, der Loki jedoch auffiel; er kannte diese Tonlage nur zu gut aus der Vergangenheit, wenn Thor und er wieder einmal Unfug angestellt und Frigga sie erwischt hatte. Diese Frau wusste, dass Schweigen und Abwarten oft die klügere Wahl war, während Sünder sich oft irgendwann in ihre eigenen, feurigen Rechtfertigungen selbst verstrickten. »Aber Eure Hoheit, sie kann doch nicht-« begehrte Volstagg in einem Knurren entrüstet auf, doch Friggas knapper Blick brachte den Krieger zum Schweigen. »Was wären wir doch für Vorbilder, wenn wir nicht jedem das Recht einräumen würden, seine Meinung zu äußern.« erklärte die Königin gelassen und trat an die Seite ihres Mannes, um diesem und auch allen Anwesenden ihren Standpunkt zu versichern; sie gehörte auf den Platz an Odins Seite, stärkte ihm den Rücken und war sich ihrer Verantwortung als Herrscherin durchaus bewusst. Volstagg ließ sich unzufrieden zurücksinken und presste die Kiefer aufeinander, während Hogun neben ihm unangenehm berührt über die Worte der Vertreter seiner Heimat wirkte. Sif legte dem dunkelhaarigen Krieger eine Hand auf den angespannten Unterarm und schickte einen bösen Blick in Richtung der Vanen, während Loki den verbalen Schlagabtausch aufmerksam, aber auch zunehmend beunruhigt beobachtete; einige von Freyas Worten entsprachen sicher der Wahrheit, doch der Verlauf des Gespräches entwickelte sich in eine Richtung, die ihm Unbehagen bereitete, da er ahnte, worauf das hinauslief. Thor zeigte sich - für den Magier überraschend - recht ruhig und besonnen, wenngleich Loki den Sturm in den Augen seines Bruders kannte, welcher dort unverhohlen tobte,- doch der Donnergott wuchs offenbar an seinen Aufgaben, denn wo er früher zornentbrannt aufgesprungen wäre, um womöglich ein Duell für diese ungeheuerlichen Worte zu verlangen, sondierte er nun offenbar zuerst die Lage, bevor er zum Handeln ansetzen wollte und das nötigte Loki fast so etwas wie Anerkennung ab. Womöglich bestand ja doch der Funken einer Hoffnung, dass Thor Asgard nicht sofort am ersten Tag seiner Herrschaft zu Grunde richten würde… Freya reckte das Kinn stolz, entzog Frey ruckartig ihren Arm, nachdem der seinen Griff widerstrebend gelockert hatte und starrte ihren Bruder auf eine Weise an, als wolle sie ihn für seine Unverfrorenheit auf der Stelle zu Asche verbrennen, bevor sie ihre Rede ungerührt fortsetzte, als wäre gar nichts geschehen. »Sehen wir den Tatsachen doch ins Auge, Allvater. « säuselte sie selbstgefällig und betrachtete kurz die goldenen Nägel ihrer rechten, ungeschützten Hand, das letzte Wort betont spöttisch von der Zunge stoßend. Ihre rötlich schimmernde Magiekugel schwebte nun ruhig auf der Höhe ihrer Schulter und offenbarte in regelmäßigen Abständen ein flackerndes, geschlitztes Auge,- ein Wächterzauber, unheimlich kraftvoll und nützlich, da er einem Magier die Sicht auf Dinge gewähren konnte, die seine eigenen Augen nicht zu sehen vermochten. »Ihr habt keine Kraft. Und auch keine Macht. All Eure Hoffnungen müssen nun darauf ruhen, dass Vanaheim und Muspelheim sich bereit erklären werden, ihre Streitkräfte in diesem Krieg mit den Euren zu vereinen, denn sonst werdet Ihr hoffnungslos unterlegen sein,- selbst wenn Ihr Thor mit Mjölnir an die Front schickt und Eure Streitmacht auch noch so gut ausgebildet sein mag. Ihr braucht mehr Kämpfer...« Ihr glühender Blick hob sich und suchte jenen der Anwesenden, die Gewissheit war wie ein Leuchtfeuer in ihren Augen, an dem niemand vorbeikam. Hinter ihr bauschten sich die Vorhänge im sanften Wind des heraufziehenden Abends, welcher die nahende Kälte der Nacht mit sich trug; wenngleich die Atmosphäre durch Malekiths Frevel und unberechtigtes Eindringen in Yggdrasils Reich aufgeladen und am Brodeln war, so ließ der Winter sich doch nicht einfach aufhalten. Das Winterfylleth lag nun schon einige Zeit zurück und lang konnte es nicht mehr dauern, bis die ersten Ausläufer des Frostes ihre schneebedeckten Finger über die Gipfel der Berge ins Tal hinabschicken würden. »Was soll uns diese Rede nun lehren, Freya Njörddotter?« erhob Fandral das Wort und rieb sich in einer langsamen, nachdenklichen Geste den blonden Bart; obwohl er angetan von der Schönheit der Vanin wirkte, so schienen deren Worte doch weniger Eindruck auf ihn gemacht zu haben. »Vanaheim betrifft dieser Krieg ebenso oder meint Ihr Ymirs Hass wird an Eurer Welt vorbeiziehen und nur die anderen vernichten? Natürlich benötigt Asgard eure Unterstützung, wie ihr auch Asgards benötigen werdet.« Thor bettete die kräftigen Unterarme auf dem Tisch vor sich und verschränkte die Hände bedächtig miteinander, bevor er Freyas Blick offen und unerschrocken begegnete. »Was wollt Ihr, Tochter des Njörd? Des Allvaters Kniefall und seine aufrichtige Bitte? Womöglich Gold für eure Streitkräfte? Ich bezweifle, dass ihr in der Position seid Forderungen zu stellen. Wenn Asgard untergeht, wird Vanaheim folgen. Das ist eine Tatsache. Ihr könnt eure Streitmacht für euch behalten, doch sterben werdet ihr trotzdem.« schloss der Donnergott in grimmiger Überzeugung,- offenbar war er nicht gewillt, der Vanin klein beizugeben. Freya straffte ihre Schultern unter der Kraft der Überzeugung. »Wir werden Truppen stellen, doch sollten wir diesen Krieg gewinnen, dann will ich, dass der Allvater Vanaheims Stärke anerkennt!« offenbarte die Magierin anmaßend und entfaltete ihren schlanken Zeigefinger für einen fast drohenden Deut auf Odin, der dieser Geste zumindest äußerlich ungerührt begegnete,- doch seine Augen sprachen von etwas anderem. »Ich will, dass das Protektorat über die neun Welten neu verhandelt wird und das unter dem Gesichtspunkt, dass Vanaheim durchaus das Recht dieser Position zusteht!« forderte die Vanin unerschrocken. Ihre Worte hinterließen eine atemlose Stille im Raum,- Fassungslosigkeit schwebte zwischen ihnen wie dichter, undurchdringlicher Nebel. »Freya!« Frey schien, als wolle er gleich aufspringen und seine Schwester am Arm wie ein ungezogenes Kind aus dem Raum schleifen, um sie gehörig für ihre lose Zunge zu schelten,- offenbar hielt ihn nur seine gute Erziehung auf dem Stuhl, allerdings war die es auch, die ihn zum Eingreifen zwang. Seine Gesichtsfarbe wechselte von Blass zu aufgebrachtem Rot, während er die Magierin an der Schulter packte und zu sich herumzwang. »Bist du wahnsinnig?!« fuhr er sie entgeistert an. »Was soll das?!« Heimdall spannte sich im Hintergrund, entschlossen und bereit, jederzeit einzuschreiten, so der Allvater es verlangen sollte,- der jedoch starrte die Vanen ungläubig an und selbst Friggas Gesichtsausdruck wirkte verrutscht, als könne sie die Ungeheuerlichkeit der Worte kaum erfassen. Nun ging aufgeregtes Murmeln durch den Raum; die Zwerge steckten die Köpfe zusammen und auch die Alben neigten ihre langen Hälse und verständigten sich miteinander. Allein der Feuerriese schien mit ähnlichem gerechnet zu haben, denn er faltete die Hände gelassen auf dem Schoß und lehnte sich zurück, um mit einem müde belustigtem Schmunzeln in die Runde zu sehen, während Odins Züge starr geworden waren und Thor mit seinen Gefährten ungläubige Blicke tauschte,- vielen war anzusehen, dass sie an dem eben gehörten ernsthaft zweifelten. Gwendolyn blinzelte ratlos zu Loki hinauf, der nur knapp mit den Schultern zuckte; er hatte zwar eine Vermutung gehabt, allerdings bis zum Schluss gehofft, dass sein Gefühl ihn trügen würde. Er kannte Freyas raffiniertes Wesen aus den Tagen ihrer gemeinsamen Vergangenheit,- ihre Art, die Dinge geschickt beim Namen zu nennen, ohne lange nach Beschönigungen zu suchen; bestrebt nach den eigenen Zielen hatte die Magierin nie gescheut, auch ihre Schönheit neben ihrem klugen Kopf einzusetzen, um das zu bekommen, was sie wollte und die misslichen Lagen von anderen ohne zu zögern genutzt, um sich selbst einen Vorteil daraus zu verschaffen,- sie war Loki schon immer ähnlicher gewesen, als jemals ein anderer zuvor und gerade deshalb hatte er ihre Gesellschaft genossen, sich verstanden und anerkannt gefühlt. Und welches Bestreben sie nun hier wirklich an den Hof des Allvaters getrieben hatte, war in diesem Moment wohl allen klar geworden,- die latente Konkurrenz zwischen Asgard und Vanaheim war schon lange ein offenes Geheimnis; beide waren mächtige Reiche, Asgard überragend in der Waffenkunst, Vanaheim äußerst gebildet in zahlreichen Wissenschaften und den Fähigkeiten der Magie. Zu Beginn der Herrschaft von König Bor war bereits Streit und Krieg zwischen den beiden gleichwertigen Welten entbrannt, in dessen Fokus die Allmacht über die neun Welten und deren Ausführung gestanden hatte. Die Vanen hatten die Herrschaft der Asen äußerst kritisch betrachtet, waren selbst der Auffassung gewesen, dass gerade Midgard eine härtere Hand benötigte, um die eigenwilligen Menschen vor ihrem Untergang zu bewahren. Die stolzen Vanen sahen sich selbst seit Anbruch der Zeit an der Spitze der neun Welten und manche Asen munkelten sogar, dass es Vanen waren, die das Gold erst nach Midgard gebracht hatten, um die Menschen zu Zwietracht und Neid zu verführen, da diese dem unstillbarem Hunger nach Reichtum schnell verfielen; eine hinterhältige Falle, um die Herrschaft der Asen zu untergraben und in Frage zu stellen. Allein das geschickte Verhandeln Njörds, der seine Landsleute besänftigte und die rechten Worte fand, um die Wogen zwischen Asen und Vanen zu glätten, brachte am Ende die Waffenruhe zum Wohle aller Welten zurück,- diese Weitsicht und seine gütige Art wiesen Njörd als geeigneten Herrscher und Vermittler aus, machten ihn am Ende selbst zum Obersten der Vanen. Doch diese feindselige, fast unüberlegte Herausforderung nun an den Allvater passte nicht zu den Vanen, erst recht nicht zu Freya; Loki hatte die Magierin zwar als ehrgeizige Frau mit einer stürmischen Zunge in Erinnerung, doch war sie stets strukturiert und wohlüberlegt an ihre geplanten Vorhaben herangegangen. Diese kopflose Drohung, diese offene Anfeindung war ein zweischneidiges Schwert, welches sich auch recht rasch gegen Vanaheim selbst wenden konnte, denn obwohl Freya mit ihren Worten nicht ganz unrecht haben mochte, dass Asgard auf die Streitkräfte des anderen Götterreiches angewiesen war, so genoss Odin doch noch genug Ansehen, um diese freimütige Forderung als Ruf nach Krieg zu betrachten,- und das zu einem Zeitpunkt, der schlechter gewählt wohl nicht hätte sein können, nun da das Schicksal ihrer aller Welten auf Messers Schneide tanzte. Loki war sich ziemlich sicher, dass Freya eigenmächtig handelte, denn er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihr Vater, den er stets als weisen und besonnenen Herrscher erlebt hatte, von dieser fixen Idee seiner Tochter Kenntnis besaß. Diese Vermutung untermalte auch Freys Fassungslosigkeit gegenüber dem Verhalten seiner Schwester; der Vane wirkte regelrecht ratlos und verzweifelt in seiner Lage, die eigene Schwester zu zügeln und von weiteren Worten abzuhalten, die sie beide nur in eine sehr unangenehme Situation bringen würden. Irgendetwas stimmte hier nicht. Loki kam der flüchtige Rotschimmer in Freyas Augen erneut in den Sinn und er zog die Brauen finster zusammen, als ihm ein Gedanke dämmerte, der ihm wenig gefiel,- und zum ersten Mal im Leben hoffte er, dass er sich irren würde. »Diese Forderung ist unerhört...« grollte der Allvater mühsam beherrscht über das andauernde Murmeln hinweg und brachte die Anwesenden damit zum verstummen; sein Blick hob sich bedrohlich und schoss über den Tisch zu Freya hinüber, die grimmig das Kinn hob. »Ihr wagt es, meinen Thron und meine Herrschaft in Frage zu stellen, während unser aller Leben bedroht ist?!« Odins Worte überschlugen sich fast vor unterdrücktem Zorn, den offenbar selbst Frigga nicht besänftigen konnte, die ihre Hand noch immer auf der Schulter ihres Mannes gebettet hatte; auch über die Züge der Königin huschte ein finsterer Schatten, welcher Unverständnis den Vanen gegenüber bescheinigte. »Wir haben im Moment wahrlich genug andere Sorgen, als Eure ungerechtfertigten Machtansprüche, Vanin!« Die Stimme des Allvaters polterte wie rollende Steine durch den Raum; anstelle der Magierin brachte zumindest Volstagg den nötigen Anstand auf, beunruhigt zusammenzuzucken. Heimdalls Gesicht zeigte zum ersten Mal eine wahrnehmbare Regung,- unverhüllte Empörung verhärtete seine Züge, während Hogun sein Unbehagen immer mehr anzusehen war; eine feine Linie an Schweißperlen glänzte auf seinen Schläfen. Seine Loyalität galt den Asen, doch Vanaheim war noch immer seine Heimat. »Ungerechtfertigte Machtansprüche?!« begehrte Freya unbeeindruckt gegenüber Odins Zorn auf und war offenbar wild entschlossen, ihr Gesicht und ihre Interessen zu wahren; die Magierin erhob sich zu voller Größe von ihrem Platz und donnerte ihre klauenbewehrte Hand in einem Scheppern auf den Tisch, während sie dem angsteinflößenden Blick des Allvaters ungerührt begegnete. Zumindest dafür verdiente sie sich Lokis Respekt, der mit einer fragilen Mischung aus Erheiterung und Besorgnis den Schlagabtausch seines Ziehvaters und seiner langjährigen Vertrauten beobachtete. »Ihr habt die Macht einfach so an Euch gerissen und über alle Köpfe hinweg entschieden, dass Asgard die Herrschaft gehört. Ich frage mich, wer Euch gewählt hat?! Die Vanen sicher nicht und die Jotunen wohl kaum. Vielleicht Eure mickrigen Menschen, die Ihr ja offenbar so sehr zu lieben scheint, dass Ihr sie nun schon an Eurem Tisch sitzen lasst?!« Anklagend schoss Freyas Klauenfinger in die Höhe und bohrte sich förmlich durch die Luft in Richtung Gwendolyn, die wohl am liebsten das Kunststück vollbracht hätte, unsichtbar zu werden oder unter dem Tisch zu verschwinden. »Was für ein Schandfleck,- wie eine Ziege an einer festlichen Tafel!« schleuderte die Magierin angewidert in den Raum. Gwendolyn schien sich im nächsten Moment allerdings schon eines anderen zu besinnen, denn Loki konnte ihr empörtes Luftholen vernehmen, brachte sie allerdings mit einem knappen Kopfschütteln und einer Hand zum Schweigen, die er ihr in einer gutgemeinten Weisung auf dem Knie bettete, um sie zurückzuhalten. Es war definitiv besser, nicht auch noch Öl ins Feuer zu gießen,- früher wäre dies genau Lokis Vorgehensweise gewesen, doch heute wollte er sich einmal in Umsicht üben. Dieser Streit tat wenig bei zur Lösung ihres eigentlichen Problem, das sich in genau diesem Augenblick Yggdrasil näherte; außerdem trug Loki nicht unberechtigte Sorge darum, dass Gwendolyn ins Kreuzfeuer geraten könnte. Der Magier konnte Freyas hitzige Art nicht wirklich einschätzen und wenn sich sein Verdacht bestätigen sollte, dann wäre es definitiv besser, wenn die Vanin nicht allzu aufmerksam auf die Sterbliche wurde. »Und sind wir doch einmal ehrlich,- wenn die Asen fähig gewesen wären, Malekith schon im ersten Krieg zu bezwingen und zu vernichten, so würden wir nun alle gar nicht vor diesem Desaster stehen! Asgard ist der Herrschaft nicht würdig!« feuerte Freya mit einer herrischen, ausladenden Handbewegung nach; Thors Züge verhärteten sich gefährlich und Fandral griff sichtbar für alle zu seinem Degen. Die Luft war elektrisiert von Zorn, Missgunst und Empörung,- ein hoch explosives Gemisch, dass kurz vor dem Ausbruch stand. Frey schob seinen Stuhl kratzend zurück und sprang auf; die Stuhlbeine schabten unangenehm über den Boden, ein schaurig misstönender Laut, der in den Ohren schmerzte. »Es reicht jetzt wirklich, Freya. Schluss damit!« unterbrach er seine Schwester entschieden und griff erneut nach ihr. Ein allzu bekanntes Zupfen am Rand seiner Wahrnehmung ließ Loki aufmerksam werden; Energie knisterte in der Luft, als Frey die losen Verbindungen umher anzapfte,- die Lippen des Vanen bewegten sich lautlos und flink und schon im nächsten Moment schien Freya die Kraft zu verlassen; sie sank in den Armen ihres Bruders zusammen wie eine Puppe, deren Fäden man durchtrennt hatte. Für alle Außenstehenden musste es wirken, als wäre Freya plötzlich bewusstlos geworden, vielleicht ihrer hitzigen Rede wegen, doch Loki wusste es besser. Misstrauisch hatte er das Geschehen verfolgt und kreuzte nun den Blick mit Frey, der mehr als genau zu wissen schien, dass zumindest einer im Raum seine Magie bemerkt haben würde,- die Augen des Vanen drückten eine flehende Verzweiflung aus, eine stumme Bitte nach Schweigen, die Loki zwar unzufrieden, aber mit einem kleinen, unauffälligem Nicken gewährte. Irgendwann würde Frey ihm wohl noch Rede und Antwort stehen müssen… »Ich entschuldige mich in aller Form für das Verhalten meiner Schwester.« setzte der Vane nun in gebührlich höflichem Ton an und neigte das Haupt in Demut vor Odin und der Königin, bevor er die augenscheinlich ohnmächtige Freya auf die Arme hob. »Meine Schwester ist schon seit einigen Tagen krank und fiebrig, die Reise hierher war beschwerlich und offenbar ist sie nun nicht mehr Herrin über ihr Handeln. Bitte vergebt ihr die so unbedachten Worte und erlaubt, dass ich mich mit ihr für den Moment zurückziehe, damit sie sich erholen und ihr Gemüt abkühlen kann.« bat der Magier den Rat förmlich. Frigga schickte ein wohlwollendes Nicken in Richtung des Vanen und gewährte diesem ein kleines, ergebenes Lächeln. »Offenbar scheint zumindest Ihr eine weise und manierliche Zunge zu besitzen, Frey Njördson. Eure Höflichkeit zwingt dem Allvater und mir Nachsicht auf. Geht und kümmert Euch um Eure Schwester.« bewilligte die Königin und ließ die Hand von der Schulter ihres Mannes gleiten, um dessen zorngeballte Faust auf dem Tisch zu umschließen,- wieder einmal bewährte sich die Besonnenheit der Königin, die heikle Lagen gewissenhaft zu handhaben wusste; mit Sicherheit war Frigga wie allen anderen auch klar, dass an Freyas Worten keinesfalls eine Krankheit Schuld trug, doch des Friedens wegen ließ sie die Vanen ziehen. »Habt Dank, Euer Hoheit. Allvater. Werter Rat.« Frey verabschiedete sich der Reihe nach mit einem ergebenen Kopfnicken, bevor er sich mit seiner Schwester auf den Armen unter den Blicken aller im Rücken auf den Weg zur Tür machte, die Heimdall ihm entgegenkommend öffnete. Die Anspannung wich augenblicklich aus dem Raum wie zu lang angehaltene Luft. Loki sah Frey grüblerisch mit zusammengezogenen Brauen hinterher, als dieser durch die Tür entschwand, bevor sein Fokus auf den Feuerriesen fiel, der seinen Blick hielt. »Wollt Ihr Euren Begleitern nicht folgen, Lord Uzzagar?« fragte der Magier gut gewählt in die unsichere Stille, nachdem Heimdall die Tür hinter Frey wieder geschlossen hatte; Loki betrachtete beinahe gelangweilt seine gefalteten Hände auf dem Oberschenkel, bevor er den Muspel forschend und abwartend studierte. Auch die restlichen Mitglieder des Rates belauerten abschätzend die Reaktion des Feuerriesen. Wenn dieser ein Sympathisant von Freyas Wahnwitz war - womöglich sogar ein Mittel zum Zweck, um diese irrsinnige Forderung durchzusetzen - so täte Asgard wohl gut daran, dessen Motive im Vorfeld aufzudecken; sie konnten sich keine zwielichtigen Verbündeten leisten, denen es womöglich im entscheidenden Moment einfiel, ihre Gesinnung zu wechseln. Der Feuerriese schien Lokis List spielend zu durchschauen, denn er entblößte seine spitzen Zähne in einem wissenden, fast anerkennenden Grinsen, welches der Magier kühl erwiderte. »Ich arbeite in einigen magischen Angelegenheiten gut mit den Vanen zusammen, doch ich bin nicht deren Leibeigener.« antwortete der Lord gelassen und lehnte sich behaglich zurück; durch die Bewegung traf ein verirrter Strahl der Abendsonne seine Haut und ließ diese wie flüssiges Gold aufleuchten. Die Schuppenmuster darauf schienen ihren ganz eigenen Tanz auf den bewegenden Muskeln zu führen. »Ich teile nicht unbedingt alle Ansichten der Vanenprinzessin. Allerdings…« Der Muspel verschränkte die Arme vor der breiten Brust und lenkte den Blick wieder in die Runde. »…hat Freya auch nicht ganz Unrecht. Ihr seht euch einer Übermacht gegenüber. Es ist nicht so, dass Malekiths Truppen allein nicht besiegbar wären, doch Hels Heer macht mir ehrlich Sorgen. Mein Feuer mag die Untoten zu verbrennen wissen, doch eure Klingen sind wirkungslos gegen sie.« gab der Lord zu bedenken. »Ihr würdet uns im Kampf unterstützen, Lord Uzzagar?« fragte Thor vorsichtig, nachdem er eine ganze Weile mit aufgestütztem Kinn über seinen gefalteten Händen gebrütet hatte; sein Blick war ungewöhnlich ernst und ruhig, entschlossen in seiner blauen Weite. Nun sah er zu dem Feuerriesen herüber und schien ähnlich wie Loki dessen Motive zu prüfen. Der Muspel zögerte nicht lang und nickte knapp, bevor er selbstquittierend die Achseln zuckte. »Mein Schlaf in Muspelheim war lang und ereignislos. Viele meiner Brüder und Schwestern träumen noch immer in unseren ursprünglichen Gestalten, tief unter Stein und Lava verborgen, vielleicht nie wieder fähig, ihre vernunftbegabte Gestalt anzunehmen. So ist es zumindest meine Pflicht, über ihren Schlaf zu wachen und die Erinnerung an uns über die Äonen fortbestehen zu lassen. Mir ist nicht daran gelegen, dass Malekith die Welten ins Dunkel stürzt und vielleicht ist es an der Zeit, als Wächter über das Leben zurückzukehren. Ich bin mir sicher, dass euch ein wenig Feuer durchaus hilfreich sein kann. Außerdem finde ich das Ganze hier äußerst unterhaltsam und Langeweile ist für mich nicht sonderlich erstrebenswert.« Er lächelte schmal und beschwor in der Kehle die Glut seines Atems, sodass die Haut dort flammend rot zu glühen begann, bevor er aus einer Innentasche seines Mantels eine altertümliche Pfeife zog und jene in einem kurzen Atemschwall aus Feuer ansteckte; zufrieden zog er an dem Rauchwerk und blies die würzigen Schwaden durch die Nasenlöcher aus, wo jene sich über ihm in die Höhe kringelten. Gwendolyns Augen wurden riesig und ihr gemurmeltes, fassungsloses »Du meine Güte…« brachte Loki flüchtig zum Schmunzeln. Die Alben beäugten den altehrwürdigen Lord eher skeptisch; wo sie für Ordnung, Disziplin und Sanftmut standen, verkörperten die Muspel wohl das genaue Gegenteil. Die Feuerriesen waren kein sonderlich zivilisiertes Volk,- ähnlich Fenrir waren sie wild und ungestüm, lebten nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen. Am Anbeginn der Zeit hatten sie die Himmel über den Welten beherrscht und über die jungen Götter gewacht, doch mit fortschreitender Zeit und der Entwicklung der Völker hatten sie sich nach Muspelheim zurückgezogen und waren fast in Vergessenheit geraten. Viele der Wyvern schliefen in ihrer Drachengestalt in der Tiefe der Feuerlande,- ihr Schlaf dauerte nun schon so lange, dass es einigen wohl gar nicht mehr möglich war, in ihre humanoide Form zurückzufinden. »Wir sind in der Lage Stahl zu fertigen, der Untote verletzen und ihnen widerstehen kann.« mischten sich nun die Zwerge wieder in das Gespräch ein, nachdem die drei Vertreter Niflheims bisher eher still das Gespräch verfolgt hatten,- Sindri hatte erneut das Wort ergriffen. Neben ihm, in der Mitte, saß Alrik, der Herr über Niflheim und das Oberhaupt aller Schmiedezünfte; daneben Iwaldi, der Letzte im Bunde, ebenfalls einer der besten Schmiede der Zwerge,- seinem Können war die herrschaftliche Waffe Gungnir zu verdanken - der Speer, der niemals sein Ziel verfehlen sollte. »Meine Schmiede können euch Schwerter, Speere, Äxte und auch Schilde herstellen, welche der Macht Hels und deren Volk standhalten könnten.« dröhnte Alriks kräftiger Bariton durch den Raum, als der Herrscher Niflheims die eiserne Verschränkung seiner Arme löste und überzeugt in die Runde sah. »Wenn die Völker vereint in die Schlacht zu ziehen gedenken, so werden wir die nötigen Waffen schmieden.« sicherte der Oberste der Zwerge zu. »Sobald die Zwerge ihr nötiges Schmiedewerkzeug haben, werden sie mit der Arbeit beginnen. Das bestätigte mir Alrik bereits.« versprach Odin, der sich aufgerichtet und die Arme hinter dem Rücken verschränkt hatte. Loki schmälerte die Augen gewarnt, als sich Alrik folglich räusperte und einen versichernden Blick mit Thor und dem Allvater tauschte, als hätte er eigentlich noch viel mehr sagen wollen, sich aber wohlweislich zurückgehalten. Natürlich,- wenn die Zwerge ihre benötigten Utensilien bereits gehabt hätten, so hätten sie nun wohl nicht hier am Tisch gesessen und mühselige Worte gewälzt. Der Magier hatte bereits einen Haken an der Sache vermutet… »Und, gestattet mir meine Neugier…« mischte sich Loki nun mit einer gedehnten Frage ein, während sich sein Mund zu einem starren Lächeln verzogen, welches krampfhaft an der Grenze zu einer ironischen Grimasse tanzte. Er bettete die Fingerspitzen beider Hände aneinander und schürzte die Lippen in gespieltem Unwissen. »…wo genau befindet sich das Schmiedewerkzeug der werten Herren Niflheims im Moment? Diese Information muss ich leider überhört haben und dabei glaube ich, dass sie wichtig ist.« Er lehnte sich nach vorn und stützte das Kinn auf die gefalteten Hände, um so gespannt in die Runde zu sehen; Thors harsche Kieferlinie und Odins ergebener Blick verriet ihm eigentlich bereits alles, was er wissen musste. »In Niflheim. In den Hallen der Hauptstadt.« beantwortete sein Bruder die Frage gepresst, aber nicht zögerlich; der Donnergott musste sich zuvor schon ausreichend mit diesem Umstand beschäftigt haben. Loki überraschte diese Offenbarung nun nicht gerade, aber unverkennbar war er nicht der Einzige, dem man dieses kleine Detail vorenthalten hatte, denn Thors Gefährten wirkten schlagartig hellhörig. »Wir werden die Werkzeuge dort heraus holen.« erklärte Thor selbstsicher. Fandral hustete und schlug sich auf die Brust, als habe er sich plötzlich an Thors genialer Idee verschluckt; Sifs Kopf ruckte zu Thor herum und sie sah den Donnergott an, als wäre sie arg besorgt, dass dieser gerade seinen Verstand verloren hatte. »N-Niflheim?!« hinterfragte die Kriegerin auf eine Art und Weise, als hoffe sie sich nur verhört zu haben. »Als wir unser Reich so fluchtartig verlassen mussten, hatten wir keine Gelegenheit mehr, unsere wichtigen und wertvollen Werkzeuge zu sichern und zu bergen. Unsere ganzen Schätze, unser Hab und Gut - unser Leben - musste unter dem Eis zurückbleiben.« erklärte Iwaldi bitter. Loki rieb sich in einer langsamen Geste über das Kinn, welche übertrieben nachsinnend wirkte. »Nun, dann stehen ja nur ein paar Legionen Untoter zwischen dir und den begehrten Werkzeugen, Thor. Das klingt ja fast schon nach einem Kinderspiel.« schlussfolgerte der Magier heiter und ließ ein schmallippiges, ironisches Grinsen sehen; die Tapferen Drei schienen sein Vergnügen ganz und gar nicht zu teilen, denn Volstagg schnaufte nur abwehrend und Fandral zog die Brauen vorgewarnt nach oben, als der Donnergott ihn eindringlich ansah; der Einzige, der äußerlich noch immer ungerührt erschien, war Hogun, doch den stillen Krieger schockierte selten etwas. Er war ehrenhaft und Thor so loyal ergeben, dass er diesem wohl sogar ohne langes Hadern selbst nach Hel hinab gefolgt wäre. »Erlaub mir die Frage, Thor, aber…wen genau meinst du mit wir?!« verlangte Fandral gespannt zu wissen und kratzte sich nervös an der Schläfe, während er die Lippen skeptisch schürzte. Thors Antwort bestand nur aus einem einzigen Blick, der keiner weiteren Worte bedurfte. Fandral schnaufte kurz, sah mit einem schiefen, ungläubigen Lächeln nach unten, als müsste er sich sammeln. »Wirklich, mein Freund?! Du willst uns jetzt tatsächlich fragen, ob wir dieses Himmelfahrtskommando begleiten?!« Der blonde Krieger blickte zweifelnd auf und hoffte wohl immer noch auf einen Scherz, doch Thor spiegelte sein vorsichtig optimistisches Schmunzeln nicht. »Das ist tatsächlich dein Ernst…?!« mutmaßte er erstaunt. »Kaum sind wir diesem Höllenloch entkommen, sollen wir dorthin zurückkehren?!« »Das wird kein Himmelfahrtskommando.« versicherte Thor fest und versuchte mit Überzeugung allein die gültigen Zweifel vom Tisch zu wischen. »Eine kleine Gruppe von wenigen wird nicht so schnell auffallen. Bevor sie bemerken, dass wir überhaupt da sind, sind wir auch schon wieder weg. Und dafür werden wir die geheimen Pfade zwischen den Welten nutzen, um ungesehen und heimlich in die Stadt zu gelangen…« ließ Thor seine Rede bewusst wage ausklingen und wandte den Kopf, um Loki nun offen zu fixieren; alle anderen Augenpaare des Raumes taten es ihm gleich. »Mein Bruder wird uns ungesehen nach Niflheim bringen und wieder herausführen.« erklärte der Donnergott zuversichtlich. »Er kennt die versteckten Wege zwischen den Reichen wie kein anderer.« Loki klatschte in latenter Begeisterung in die Hände, während er sich auf seinem Platz wieder zurücksinken ließ und ein humorloses, abgehacktes Lachen ausstieß. »Oh, Thor,- ich bin erfreut, dass du mich so frühzeitig über deine Pläne und den mir zugedachten Platz darin in Kenntnis setzt, sonst wäre ich womöglich noch versucht gewesen, die kleine Zelle in Midgard diesem unheilvollen Ausflug mit dir vorzuziehen.« ließ der Magier beißende Ironie sprechen, während er ein falsches, fröhliches Lächeln aufsetzte. Mit dergleichen hatte Loki eigentlich bereits gerechnet, denn sonst wären wohl weder Thor und ganz besonders Odin nicht so enthusiastisch in ihrem Bestreben gewesen, ihn zurück nach Asgard und aus dem Einflussbereich von S.H.I.E.L.D. zu holen; es war wohl mehr als töricht anzunehmen, dass der Allvater die Familie nur wieder vereint sehen wollte. Auch wenn er es nicht zugeben wollte, so war er in gewissem Maße doch enttäuscht,- noch immer eine Spielfigur für andere, in welche diese ihre labilen Hoffnungen auf höhere Ziele setzten - zuerst Odin mit seiner Idee eines Friedens zwischen Asgard und Jotunheim, dann Thanos mit seiner Gier nach dem Tesserakt und nun Thor mit seinem wahnwitzigen Plan. Und noch immer schien er sich aus diesem Schicksal nicht befreien zu können. Nie kam es jemandem in den Sinn ihn zu fragen, was er eigentlich wollte, aber was kümmerten auch schon die Belange eines kurzzeitig begnadigten Straftäters… Loki hatte keine wirkliche Angst,- seine Angst zu sterben war nie so prägnant gewesen wie jene, zu versagen oder den Verstand zu verlieren - lieber wollte er im Kampf für seine Ziele fallen, als vegetierend in einer isolierten Zelle, ein namenloses Nichts, keiner Erinnerung wert. Der Tod war ein unausweichliches Ende, dem man sich irgendwann stellen musste - scheitern und Niederlage nicht. Allerdings hing er auch an seinem Leben und war klug genug, Thors Idee als waghalsig zu erkennen,- es war der einzige Weg diesen Krieg vielleicht zu gewinnen, das wusste Loki, doch würde er jeden Atemzug bis zum tatsächlichen Ende zelebrieren und nicht leichtsinnig das Wagnis suchen wollen. »Ich bin davon ausgegangen, dass du die Dringlichkeit dieser Unternehmung erkennen und mich unterstützen würdest.« hielt Thor entschieden dagegen. »Es ist der beste Plan, der sich auf die Schnelle realisieren lässt und Zeit für einen anderen haben wir nicht. Denn Zeit ist das Einzige, was wir nicht im Überfluss besitzen…« »Im Gegensatz zu einer Menge Risiken und dem Tod als Gewissheit…?!« warf Loki mit hochgezogener Braue ein und erntete damit von Fandral sogar einen Blick, der absurderweise so etwas wie Zustimmung vermittelte. Volstagg war hinter seinem roten Bart merklich erbleicht, als würde er sich in Gedanken bereits von einer Horde Untoter umzingelt sehen. »Also dass du mich als entbehrlich empfindest, kann ich ja fast noch verstehen…« Loki klopfte nachsinnend mit den Fingern auf dem blankpolierten Tisch. »…aber dass du deine Freunde diesem Risiko aussetzen willst, überrascht mich nun doch, Bruder.« »Ja, mich auch.« warf Volstagg eilig ein. »Und ich hasse es, Loki recht geben zu müssen.« sprach er widerwillig. »Du lädst die Hoffnung aller Welten auf unsere Schultern, Thor. Du weißt, dass ich dir überall hin folgen würde,- bei den Nornen, du weißt, das bin ich bereits - immer und zu jeder Zeit, mein Freund. Doch nicht zu einer Unternehmung, die von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist. Immerhin wäre dein Bruder die einzig wirklich wirkungsvolle Waffe, die wir gegen die Untoten haben werden.« erklärte er entrüstet. Der Blick des bärtigen Kriegers war beinahe flehend, während er seine fadenscheinigen Bedenken vortrug. »Dein grenzenloses Vertrauen ehrt mich über alle Maßen, Volstagg…« bemerkte Loki trocken. »Nun, nichts gegen dich, Loki, aber du hast dich in der Vergangenheit eher selten als wirklich vertrauensvoll und opferbereit erwiesen.« warf Fandral ein. »Außerdem zweifle ich ebenso an dem Erfolg dieses Vorhabens. Dieser Plan ist wahnwitzig, Thor. Du hast diese Horden gesehen, die Niflheim förmlich überrannt haben. Und nicht nur das,- Eis und Schnee sind auch nicht gerade unsere Verbündeten.« erinnerte er beschwörend. »Du kannst ja hierbleiben und zitternd vor dem Kamin ausharren, wenn du dich um kalte Füße sorgst, Fandral…« spottete Loki bissig. »Wenn wir hierbleiben, sterben wir so oder so...« warf Hogun unheilvoll ein. Sif rollte die Augen und seufzte entnervt. »Nun hört auf euch zu streiten, das bringt uns im Moment auch nicht weiter. Thor wird wissen, was er tut. Er wird uns nicht in den Tod führen. Das hat er doch bisher nie.« sprach die Kriegerin mit fragiler Zuversicht, die sie selbst wohl kaum empfand. »Hogun, der Grimmige, spricht wahr. Den Tod werden wir gewiss finden, wenn wir Malekith nicht aufhalten.« brachte sich nun zum ersten Mal einer der Uralben in das Gespräch ein; die Stimme des Wesens klang hell wie silberne Glocken, rein, freundlich und fast unpassend dafür, von Tod und Verderben zu sprechen. Ein dezenter Dialekt begleitete seine Worte, als wäre es für die Wesen ungewohnt, sich in der Umgangssprache mitzuteilen. »Sterbt lieber einen ehrenvollen Tod als unter der finsteren Herrschaft Ymirs zu siechen.« Der Lichtalb hob den hauchzarten Schleier, welcher bisher seine Züge bedeckt hatte und enthüllte sein schmales Gesicht, bevor er den Kopf leicht in den Nacken kippte; seine hellen, pupillenlosen Augen umwölkten und verdunkelten sich unter der Gedankensicht,- Loki konnte die Macht der Alben wie die prickelnde Süße einer überreifen Frucht auf der Zunge schmecken, als die beiden verbliebenen Ratsmitglieder ihre langgliedrigen, knochigen Hände ausstreckten und diese auf der polierten Tischplatte spreizten. Ein Schaudern überlief das Holz, bevor sich die Maserung zur glasklaren Oberfläche eines Spiegels wandelte; unsicher zogen die Zwerge und Sif ihre Hände vom Tisch zurück, während Odin in stoischer Ruhe verharrte, den Blick beinahe grimmig und finster auf das sich bildende Schauspiel vor sich gerichtet. Selbst Heimdall trat nun näher; die spiegelnde, magisch leuchtende Oberfläche des Tisches warf helle Schemen auf sein Gesicht und beleuchtete die harten Züge in einem beinahe gespenstigen Licht, während seine goldene Rüstung den Schein glänzend zurückwarf. Aus dem klaren, wolkigen Weiß des magischen Spiegels formte sich langsam ein Bild,- eine Landschaft, die nach und nach an Kontur und Schärfe gewann, sich in Farben und Formen verdichtete; immergrüne Blätter waren zu sehen nebst mächtigen Ästen und Zweigen, die in einen schreiend roten Himmel aufragten. Ein unglaublich mächtiger Baumstamm erschien im Sichtfeld, welcher in seinem Umfang kaum zu erfassen war; das Holz war schartig, dunkel und alt, vermittelte aber trotz allem unbestreitbar die Stärke und Beständigkeit von Äonen. Das Bild glitt weiter und vergrößerte sein Sichtfeld, ab von dem gewaltigen Baum, als würde sich der Beobachter von den Zweigen in die Lüfte erheben, um einen besseren Blick zu gewähren; durch das dichte Blätterdach hindurch konnte man nun auf eine weite, offene Ebene sehen, die sich lang und frei bis zum glutroten Horizont erstreckte. Die Landschaft war grün und in sanften Hügeln geschwungen, doch hier und da begannen die Gräser und Büsche bereits zu welken,- unselig dunkle Flecken breiteten sich aus, die wie schwärende Wunden in dieses Heiligtum gerissen wurden. »Die Ebene von Yggdrasil…« hauchte Hogun ehrfürchtig; der Krieger hatte sich nach vorn gebeugt und das Schimmern der immergrünen Blätter spiegelte sich in seinen Augen. Selbst der Feuerriese wirkte nun interessiert und schob sich seine ruhig glimmende Pfeife in einen Mundwinkel, um nachdenklich darauf zu kauen, während sich seine geschlitzten Pupillen zu kaum wahrnehmbaren Strichen verdünnten, als er seinen Blick auf den magischen Spiegel fokussierte. »Wir bedienen uns Aars Augen, um das zu sehen, was sich unserem Blick verbirgt.« sprachen die beiden Alben, die den Zauber aufrecht erhielten, synchron in ihrem glockenhellen Singsang, während das mittlere Wesen noch immer in Trance zu weilen schien, die verdunkelten Augen blicklos in die Höhe gerichtet. Loki strich sich fasziniert mit dem Zeigefinger über die Unterlippe und neigte den Oberkörper ebenfalls näher zum Tisch,- er hatte bereits von den Fähigkeiten der Lichtalben gehört, doch diese noch niemals mit eigenen Augen gesehen. Auch wenn er den Ältestenrat Alfheims nicht unbedingt schätzte, so musste er deren Fähigkeiten doch als beeindruckend anerkennen. Aar war der Adler, welcher im obersten Wipfel der Weltenesche hauste, um von dort nach Feinden Ausschau zu halten und Yggdrasil zu bewachen,- selbst über diese unglaubliche Entfernung war es den Elfen möglich, die versteckten, zaghaften Verbindungen der Magie zu finden und zu nutzen, um mit diesem Wesen Kontakt aufzunehmen. Die geistigen Fähigkeiten der Uralben waren offenbar nicht umsonst so bekannt und begehrt; eine Gabe, die sie sporadisch an ihre Nachfahren, ihr Volk, weitergegeben hatten - zwischen allen Lichtelfen bestand eine Art geistiges Band, welches ihnen die Verständigung über weite Entfernungen und ganz ohne Worte ermöglichte, ebenso wie viele der Alben die Fähigkeit besaßen, in den Verstand und das Empfinden von niederen Geschöpfen wie Tieren zu schlüpfen, um durch deren Augen zu sehen, mit ihren scharfen Sinnen zu hören oder zu riechen. Der Adler schien sich nun noch weiter in die Höhe zu schwingen, um dann in einem pfeilschnellen Sturzflug entgegen des Bodens zu stürzen,- kurz vor dem Aufprall breitete er die Schwingen aus, fing sich in den vertrauten Luftströmen und segelte wieder in die Höhe, träge getragen von den Winden, weitläufige Kreise um die gewaltige Esche ziehend. Wo sich Horizont und Erde in einer schmalen Linie trafen, erkannte man nun wogende Horden aus düsteren Leibern, die bedrohlich und unaufhaltsam näher rückten; Blitze zuckten über den verdunkelten Himmel in der Ferne und beleuchteten das Heer der Eindringlinge in fahlem Licht,- der scharfen Adleraugen gedankt konnte man die leeren, blicklosen Augenhöhlen von Hels Armee erkennen, eingefallene Gesichter, kränkliche Haut unter angelaufenen Rüstungen und Klingen, welche die glutrote Himmelsfarbe und das zornige Wüten der Blitze wie ein Meer aus Irrlichtern zurückwarfen. Vereinzelt hatten sich Dunkelelfen unter die Horden der Untoten gemischt, an deren Spitze unverkennbar Malekith in seiner silbernen Rüstung marschierte,- flankiert von Kursed, seinen Elitekriegern. Er war das Zentrum des tobenden Sturmes, seine Augen schwarz und pupillenlos, die Züge hart und grausam, während seine Stiefel gnadenlos voranschritten und jeden Zweig und Halm unter sich zermalmten. Seine Aura brodelte in bodenlosem Schwarz,- Rauchflammen, welche seine Gestalt umhüllten und sich unersättlich nach jedem Grün umher streckten, dieses gierig verschlangen und verdorren ließen. »Ymirs Einfluss auf Malekith ist nun sehr stark. Kaum sind die reine Bosheit des dunklen Wesens und der Herr der Schwarzalben noch zu trennen.« erklärten die Alben in unheilvollem Ton; ihre Stimmen erklangen wie das geisterhafte Flüstern von Wind, welcher durch altes Mauerwerk strich. Loki spürte unvermittelt Gwendolyns Finger, die nach seiner Hand griffen; die Sterbliche sah mit ängstlich geweiteten Augen auf das dargebotene Bild und war sichtlich erbleicht, atemlos schluckte sie, gefesselt von der abscheulichen Faszination, welche dieser unabwendbaren Apokalypse innewohnte. Malekith fraß sich wie Säure mit seinem Heer durch die Ebene, unaufhaltsam auf Yggdrasil zu, deren letzte Verteidigungslinien sich zum Kampf rüsteten; Aar flog wieder höher und umkreiste den mächtigen Stamm des Baumes, zu dessen Wurzeln sich haushohe Mauern erhoben, die nun unter bröckelnden Steinen langsam zum Leben erwachten; die uralten Golemwächter öffneten unter kreischendem Gestein ihre leuchtenden Augen und strafften die mächtigen Arme, um sich mit trägen Schritten aus ihren Reihen zu lösen und in eine kampfbereite Haltung zu begeben, damit sie dem Ansturm der Eindringlinge begegnen konnten. Diese Wesen waren unbestreitbar mächtig und äußerst verbissene Wächter, allerdings würden selbst sie unter dem immerfort währenden Ansturm von Untoten irgendwann zusammenbrechen,- das war nur eine Frage der Zeit; Zeit, die den Welten ab jetzt wie Sand zwischen den Fingern zerrinnen würde. Das Bild Yggdrasils verlor sich zu einem undeutlichen Schemen, bevor der magische Spiegel in einem hellen Klirren in sich zusammenbrach und die Platte des Tisches wieder ihre ursprüngliche Form annahm. Der mittlere Alb sackte nun erschöpft nach vorn und wurde von seinen Gefährten sanft aufgefangen, die ein schwaches Seufzen ausstießen und durch ihre Schleier hindurch in die Gesichter des Rates blickten. »Ihr seht, Ymir ist so kurz davor sein Ziel zu erreichen. Nur noch wenig, ein halber Mond vielleicht, trennen ihn von Yggdrasils Hort. Wir dürfen nicht zögern.« wisperten die beiden Urelfen zittrig, bevor der Mittlere seinen Kopf schwach anhob und die nun wieder klaren, hellen Augen öffnete. »Alfheim wird Euch Truppen für den Kampf stellen, Allvater. Es wird uns mit Stolz erfüllen, mit Asgard in die Schlacht zu ziehen.« versprach das Wesen entschlossen. »Wenn der Donnergott mit seinen Gefährten das Risiko der Reise nach Niflheim auf sich nimmt, so werden wir all unsere Macht daran setzen, das verlorene Portal wiederzufinden und den Durchgang erneut zu öffnen.« Odin nickte zufrieden und dankbar in Richtung der Alben, bevor er sich mit ernster Miene an die Zwerge wandte: »Wie schnell könntet ihr uns die Waffen bereitstellen, die wir brauchen werden?« Sindri und Iwaldi tauschten einen kurzen, versichernden Blick, bevor sie Alrik zunickten. »Sobald meine Schmiede ihre Werkzeuge haben und Ihr uns alle nötigen Utensilien und Gerätschaften für das Arbeiten zur Verfügung stellen wollt, so versichern wir innerhalb von drei Tagen die nötigen Waffen für alle Truppen fertigen zu können.« erklärte der Zwergenkönig fest und blickte offen in die Runde der Versammlung. »Ebenso wird euch Niflheim mit allen verfügbaren Äxten und Hämmern in den Kampf folgen. Unser Volk wird begierig sein sich für den Frevel an unserer Heimat zu rächen.« grollte Alrik finster und entschlossen, bevor er seine fellumhüllte Faust donnernd auf den Tisch niederfahren ließ; seine Begleiter nickten grimmig. »Ich werde versuchen, ein paar meiner erwachten und von Gleichmut müden Brüder und Schwestern für Euer Vorhaben zu gewinnen.« sprach der Feuerriese nun gedehnt und betrachtete seine Pfeife scheinbar interessiert, welche er in den Fingern wendete, bevor er den Allvater ansah. »Muspelheim wird sich Eurem Kampf anschließen, so Ihr unser Feuer annehmen wollt.« Odin neigte das Haupt in einer dankbaren, fast hoffnungsvollen Geste. »Eure Unterstützung ist mehr als willkommen, Lord Uzzagar.« Dann richtete er sein Wort wieder an die Versammlung. »Von Jotunheim werden wir, wie bereits erfahren, keine Hilfe erwarten können und auch Midgard werde ich nicht in diesen Kampf hineinziehen. Die Menschen sind noch angeschlagen vom Übergriff der Chitauri und Asgard obliegt einmal mehr die Aufgabe ihres Schutzes.« Gwendolyn räusperte sich vorsichtig, bevor sie sich entschieden aufrichtete und die Brauen entschlossen zusammenzog. »Aber ich bin sicher, dass einige von uns für ihre Welt und deren Rettung kämpfen wollen würden, statt tatenlos herumzusitzen und auf das Ende zu warten…« wagte sie zaghaft einen Vorstoß. »Auch ich möchte mich beteiligen-« Loki unterbrach sie unwirsch, bevor sie sich noch selbst um Kopf und Kragen reden würde. »Das kommt überhaupt nicht in Frage.« entschied er kühl. »Du wirst an der Front kaum eine Hilfe sein und niemand ist entbehrlich, um auf dich acht zu geben. Du solltest so weit wie möglich fern von Malekiths Einflussbereich weilen.« erklärte er mit der nötigen Härte, da ihn Gwendolyns Blick störrisch und unzufrieden traf,- in Wahrheit war seine größte Sorge die Tatsache, dass die Sterbliche seine Konzentration gefährden könnte, wenn sie sich eigensinnig am Kampf beteiligen sollte. Denn dann hätte er keine ruhige Minute mehr, wäre in ständiger Bedrängnis und Unruhe, dass sie verletzt werden könnte - diese Sorge war beinahe greifbarer und mächtiger als die Möglichkeit, dass Ymir nur eine weitere Waffe in die Hand bekommen könnte… Natürlich hätte er sich jetzt selbst täuschen und diese Sorge nur einem unterhaltsamen Zeitvertreib zuschreiben können, einer Möglichkeit für seine Ziele, doch mochte er auch der Herr der Lügen genannt werden,- er wusste, dass es selten ratsam war, sich selbst zu belügen. Diese goldene Regel hatte er in letzter Zeit sträflich vernachlässigt,- in Bezug auf seine Heimat, die Verlockungen Thanos‘, seine Schuld am Eklat auf Midgard… Irgendwann hatte er die schönen Täuschungen der Wahrheit vorgezogen - selbst für sich - und damit dem funkelnden, sanften Gespinst von Illusion gestattet, seine Wirklichkeiten zu umhüllen,- die harten Wahrheiten, die so schmerzlich waren, dass man sich ihnen lieber nicht stellen wollte. Doch seit seiner Freilassung und seitdem er Gwendolyn kannte, brachte er Stück für Stück den Mut auf, das Netz aus verlockend funkelnder Täuschung abzustreifen, um die glanzlose Wahrheit dahinter zu betrachten,- es war schwer, es war hart, aber es war auch auf eine Weise befreiend und reinigend, die Loki selten gekannt hatte. Und so war er sich jetzt auch bewusst darüber, dass er die kleine Sterbliche durchaus schätzte und sie ehrlich mochte,- und dass ihr Verlust ein Loch in seine Brust reißen konnte, dessen er schwerlich Herr würde. Er war schuld am Tod so vieler Menschen, doch diesen einen Tod würde er nicht verschulden. Niemals. Loki konnte nicht riskieren, Gwen zu verlieren - er hatte einfach schon zu viel verloren. »Aber ich will nicht nur einfach herum sitzen! Ich will etwas tun, mich nützlich machen!« empörte sie sich dickköpfig und sah nach Unterstützung suchend in die Runde. »Ich habe wie jeder andere das Recht mich zu beteiligen, oder etwa nicht?« Ihre Stimme klang fast verzweifelt, eine Spur weit enttäuscht. Frigga und Sif sahen Gwen verständnisvoll an; wenn jemand den Drang verstehen konnte, nicht hinter den Männern zurückbleiben zu müssen, um für die Liebsten kämpfen zu können, dann waren es wohl diese beiden Frauen. Thor strich sich mit den Fingern betreten durch das blonde Haar, bevor er weich und einfühlsam einzulenken versuchte: »Ich kann dich verstehen, Gwendolyn. Aber Loki hat Recht. Wir wissen noch immer zu wenig über deine Fähigkeiten und wir können nicht riskieren, dass du womöglich Malekith in die Hände fällst. Du solltest dich vorerst wirklich aus allem heraushalten.« Dem Magier entlockte Thors Zustimmung und dessen plötzlich erwachter Verstand ein erleichtertes Aufatmen; zumindest würde Gwendolyn ihn nicht allein verachten, weil nicht nur er sie von diesem Kampf fernhalten wollte. »Aber…-« Sie wollte es doch tatsächlich wagen, erneut aufzubegehren; Gwens Dickkopf stand seinem kaum in etwas nach und ihre Unnachgiebigkeit erfüllte den Magier mit einer seltsamen Anerkennung, mit Stolz. Für einen Menschen war sie wirklich ungewöhnlich willensstark und entschlossen; so manch anderer hätte wohl nach allem, was sie in den letzten Tagen bereits durchgemacht hatte, liebend gern das Weite gesucht. Er konnte ihren Unmut sogar nachvollziehen und verstand, was sie antrieb, doch blieb er bei seiner Meinung, dass sie auf keinen Fall auf das Schlachtfeld gehörte,- wenn dann eher so weit weg davon wie nur irgend möglich. Auch die Alben wandten ihre Augen nun auf die Sterbliche, als würden sie diese zum ersten Mal bewusst wahrnehmen und Neugier glomm in ihren hellen, sternengleichen Augen. Loki konnte das sanfte Prickeln unter der Grenze seiner Kopfhaut spüren, als sie sich auf mentale Weise miteinander verständigten. Fandral wirkte amüsiert, während Hogun die Hände gefaltet hatte und diese starr betrachtete, um sich aus der Diskussion heraushalten zu können. Er wusste darum, dass es manches Mal klüger war zu schweigen und andere nicht in ihren leichtsinnigen Ideen zu bestärken. »Kein aber!« knallte Odins Widerspruch wie der Bug eines Schiffes in die aufgepeitschten Wogen und dämpfte Gwendolyns Starrsinn merklich ab; sie zuckte zusammen und biss sich unsicher auf die Lippe. »Meine Söhne tun gut daran, dir diesen Unfug auszureden, Gwendolyn aus Midgard. Auch ich werde nicht dulden, dass du unnötig nah an Malekith und seine Schergen herankommst. Diese Macht in dir darf nicht in falsche Hände geraten. Das ist ein zu großes Risiko, welches ich nicht eingehen werde.« fuhr der Allvater bestimmt fort und heftete seine harten Augen auf die Sterbliche, die auf ihrem Platz merklich zu schrumpfen schien. Allerdings war ihr Kinn noch immer störrisch erhoben. »Und was deine Bedenken die Sterblichen auf Midgard betrifft…« Odin strich mit starrer Miene über das Holz des Tisches, bevor er den Blick wieder hob. »…ich verstehe deine Gedankengänge, doch gibt es nicht viele, denen ich es zutraue, die Erde zu beschützen, wenn wir es nicht können. Nur diese Handvoll Männer und Frauen, die Thor seine Freunde nennt, werden vielleicht in der Lage dazu sein, die Wogen aufzuhalten, die unsere Streitkräfte nicht bändigen können. Ich brauche Direktor Fury und seine Krieger auf Midgard. Dort können sie den Menschen und sich selbst den größten Dienst erweisen.« Die Stimme des Allvaters verlor etwas an Härte und wurde sanfter, verständnisvoller,- wie ein Vater, der zu seinen Kindern sprach, die noch nicht um die Gefahren der Welt wussten. Seine Züge glätten sich und auch seine Lippen wurden nachgiebiger, als er Gwen nun ansah. »Dieser Kampf, der uns bevorsteht, ist definitiv nichts für Sterbliche. Die Erde ist noch jung, nicht bereit für solch einen Krieg und ihre Bewohner sind es erst recht nicht. Es wird selbst für Asgard eine harte Bewährungsprobe werden, denn niemals zuvor standen wir einem solchen Feind gegenüber und es ist unsere immerwährende Aufgabe, die Schwächeren zu schützen,- wir werden Schwert und Schild für die Sterblichen bilden. Unsere Schulden Midgard gegenüber sind noch nicht abgegolten…« Die letzten Worte, ob leise und ruhig gesprochen, trafen wie Pfeile auf Lokis Brust, ebenso wie der folgende Blick des Allvaters, dessen Auge wie ein Leuchtfeuer der Mahnung war. Die Miene des Magiers blieb unbeweglich, doch innerlich berührten ihn die Worte wohl, vor allem, da er die Wahrheit dahinter erkannte. Er hatte Asgard Schande bereitet,- seiner Familie und seiner Heimat. An diesem Frevel würden die Asen noch einige Zeit zu zehren haben. Als Götter stand ihnen nicht nur Macht und Ansehen zu, sondern auch die Bürde, geringere Geschöpfe zu behüten,- denn am Ende war es genau das, was sie erst zu Göttern machte. »Das wird dein Grab, wenn du dich nicht wieder erinnerst, wer du einst warst. Wenn du nicht lernst, die Schwächeren zu behüten und Achtung vor allem Leben zu haben, denn das ist es, was Götter tun.« Sifs Worte hallten erneut in seiner Erinnerung wieder und was er vor so vielen Monden noch als Schwachsinn abgetan hatte, musste er jetzt als wahr akzeptieren,- die Kriegerin hatte viel früher als er erkannt, worum es tatsächlich ging. In seinem Wahn hatte er über die Konsequenzen seines Handelns erst als letztes nachgedacht,- wenn überhaupt. Vielleicht hatte Gwendolyn einst recht gehabt, als sie davon sprach, dass es keine Schwäche war, sich Fehler einzugestehen. Loki hatte nur nie in Betracht gezogen, dass wahre Stärke darin bestehen könnte, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und es nicht als selbstverständlich richtig anzunehmen. Selbst als Gott konnte man sich diesen Luxus nicht leisten… Odin besaß diese Fähigkeit,- er bedachte die Folgen seiner Entscheidungen für alle Beteiligten, denn er wusste, dass er als Allvater die Verantwortung für unzählige Leben trug. Er konnte - durfte - es sich nie leisten, persönliche Ziele und Ideale in den Vordergrund zu stellen, denn sein Handeln war wegweisend und bestimmend für alle neun Welten. Loki hatte diese Weisheit und Weitsicht einst auch besessen, bis sein eigener Schmerz und Zorn alles verschlungen hatte wie ein finsterer, bodenloser Abgrund. »Von welcher Macht sprecht Ihr eigentlich in Bezug auf die Sterbliche, Allvater?« hakte nun unerwartet einer der Uralben ins Gespräch ein; das Wesen neigte den Kopf auf eine sinnende Weise und betrachtete Gwendolyn forschend. Die Frage hatte nichts Argwöhnisches an sich, sondern klang ehrlich interessiert. »Wir fragen uns schon die ganze Zeit, wie sich ein Mensch den Platz an Eurem Tisch verdient gemacht hat.« Frigga und Odin tauschten einen kurzen Blick, woraufhin der Allvater kaum merklich den Kopf schüttelte und die Lippen der Königin eine unzufriedene, gepresste Linie bildeten,- Loki verstand Odins Vorsicht; noch immer wussten sie kaum etwas über Gwens Fähigkeiten und die Vanen hatten überdeutlich demonstriert, dass Asgard nicht nur Freunde in den neun Welten hatte. Obwohl Loki nun nicht gerade Alfheim fehlende Loyalität vorwerfen wollte, so war es doch sicherer, wenn weiterhin nur ein kleiner Kreis über die Sterbliche Bescheid wusste. Bevor sie nicht herausgefunden hatten, was es mit Gwendolyns Herkunft auf sich hatte, war es wohl besser Schweigen darüber zu bewahren. Vor allem darüber, dass sie nun wieder in Asgard weilte,- nicht auszudenken, wenn eine undichte Stelle diese Information an Malekith herantrug. Allerdings teilten wohl nicht alle im Raum diese Weitsicht. »Sie hat Sleipnir geheilt.« platzte Volstagg in unpassendem Stolz heraus und fing sich dafür einen Tritt unter dem Tisch von Sifs Stiefel ein, was den Krieger empört und verletzt schnaufen ließ. »Argh! Verdammt, was sollte das denn?!« polterte er los und kassierte daraufhin von Fandral einen Stoß des Ellenbogens zwischen die Rippen. Das und ein schneidender Blick von Thor ließen den rotbärtigen Krieger endlich verstummen. Die Alben wirkten irritiert und blinzelten fragend, doch Odin versuchte diese riskante Klippe mit harscher Selbstsicherheit zu umschiffen. »Gwendolyn Lewis besitzt ein paar außergewöhnliche Kenntnisse über die midgardische Heilkunst. Sie kann uns gute Dienste beim Pflegen unserer Verletzten leisten. Außerdem ist sie durch ihren Aufenthalt hier im Bilde über Asgard, seine Streitkräfte und Verteidigungslinien. Dieses Wissen sollte nicht in die falschen Hände geraten.« Gwendolyn sah ratsuchend zu Loki hinüber, der ihr allerdings mit einem winzigen Kopfschütteln und warnend zusammengezogenen Brauen verdeutlichte, dass es besser wäre, den Mund zu halten. »Einfache Heilkunst macht sie zu solch einem unschätzbar wertvollen Gut für Euch?« Alrik verengte die Augen in Misstrauen und rieb sich den wallenden Bart. »Das erscheint mir ein bisschen wenig, dass ihr alle solch ein Aufhebens um sie macht.« erklärte er unzufrieden. »Ihr habt recht…« mischte ich Frigga ein und trat entschieden nach vorn, ohne die Hand ihres Mannes zu beachten, welcher sie mit einem sanften Griff am Arm hatte zurückhalten wollen. »Das sind nicht die wahren Gründe, warum uns Gwendolyn Lewis so unsagbar wichtig erscheint.« erklärte sie freimütig. »Frigga…« Odins sanftes Wispern war vorsichtig und unsicher, doch die Königin hob eine Hand und unterbrach ihn bestimmt. »Genug der Geheimniskrämerei und des Argwohns. Wir erwarten viel von unseren Verbündeten in dieser Zeit und Vertrauen ist vielleicht das Einzige, was uns vor Malekith und seinen Truppen noch retten kann. Wir sollten offen miteinander reden und ehrlich sein.« Überraschenderweise suchte die Königin nun mit Thor und Loki Sichtkontakt; der Donnergott wirkte einen Moment unschlüssig und nachdenklich, doch dann nickte er kaum merklich. Loki verstand Friggas Ansinnen zwar, allerdings wäre es ihm persönlich auch lieber gewesen, wenn sie Gwendolyns Geheimnis noch eine Weile länger bewahrt hätten,- nicht zuletzt wegen Freya, die im Moment unberechenbar erschien. Trotzdem neigte er knapp das Haupt und gab widerwillig sein Einverständnis, immerhin bestand ja auch die Möglichkeit, dass eines der anderen Reiche etwas Näheres und Hilfreiches über Gwendolyns Herkunft wusste. »Ich glaube, dass Gwendolyn Lewis Inhalt einer Prophezeiung ist, die ich selbst von Skuld erfuhr…« eröffnete die Königin; daraufhin rollte ein atemloses Staunen durch den Raum,- es war allseits bekannt, dass sich die Schicksalsfrauen zurückgezogen hatten und kaum mehr gesehen wurden. Selbst der Feuerriese wirkte nun interessiert; vergessen hing die glimmende Pfeife in seinem Mundwinkel, während er den Ausführungen der Königin lauschte. Frigga begann in kurzen, knappen Sätzen die Vorkommnisse und Begebenheiten um die Sterbliche zu schildern,- sie erzählte von Skulds Weissagung, dem Angriff auf Asgard, Lokis Befreiung, der Heilung Sleipnirs und dem Winternachtsfest. Währenddessen konnte Loki förmlich spüren, dass Gwen sich immer unbehaglicher fühlte; im Mittelpunkt des Interesses zu stehen war offenbar nicht gerade ihre Stärke. Sie knetete die Hände im Schoß und wich den Blicken der Anwesenden aus,- ihr Gesicht spiegelte deutlich, dass sie sich wie ein Außenseiter, ein Sonderling, vorkam, den nun alle interessiert angafften. Er konnte ihr Unbehagen durchaus nachempfinden,- nicht selten hatte er dergleichen Blicke auf sich gewähnt, nachdem er sich seiner wahren Herkunft bewusst geworden war. Der Magier streckte seine Hand aus und umgriff mit seinen Fingern sanft die ihren, was ihr zumindest einen Teil der Anspannung zu nehmen schien; dankbar schickte sie ein scheues Lächeln zu ihm hinauf, obwohl ihre Finger kühl unter den seinen waren. Nachdem Frigga mit ihrer Ausführung geendet hatte, war es einen Moment still im Raum, bevor der Feuerriese als erster seine Stimme wieder fand. »Interessant. Äußerst interessant…« raunte Lord Uzzagar und ließ die glimmende Pfeife damit im Mundwinkel auf und ab hüpfen. »Und ihr wisst tatsächlich nicht, welchen Ursprungs diese ominöse Macht in ihr ist?!« hinterfragte er zweifelnd. »Nein, wissen wir nicht.« bremste Loki den Muspel kühl in seinem Misstrauen. »Unsere Suche auf Midgard verlief im Sand, bis wir auf ein Bildnis stießen, welches unweigerlich davon kündet, dass Gwendolyn Lewis offenbar von Asgard aus auf die Erde hinabgeschickt wurde.« Der Magier nickte seinem Bruder auffordernd zu, woraufhin Thor das Foto unter seinem Umhang hervorzog und über den Tisch zu Odin und Frigga hinschob. »Allerdings behauptet Heimdall noch immer felsenfest, dass er nichts von einem Kind weiß, welches er und nur er nach Midgard hinabgeschickt haben muss.« fügte Loki mit giftgetränkter Stimme an, doch der dunkelhäutige Wächter verzog noch immer keine Miene oder ließ Anzeichen von Reue erkennen,- entweder war er ein wirklich begnadeter Lügner oder aber sich tatsächlich keiner Schuld bewusst. Während der Allvater und die Königin, sowie alle anderen irritiert über diese Eröffnung schienen, bemerkte der Magier aus dem Augenwinkel, dass die Uralben seltsam bestürzt wirkten; ihre hellen Augen weiteten sich in verlorener Fassung und sie wechselten Blicke, die eine Spur zu hektisch wirkten, bevor Loki das bekannte Prickeln ihrer geistigen Unterhaltung auffing. Als er sie jedoch offen ansah, hatten sie sich gefangen und begegneten seinem Blick ruhig und besonnen, beinahe ungerührt, bevor sie unison ihr Augenmerk wieder auf den Allvater lenkten. Niemand anderem schien ihre Reaktion aufgefallen zu sein. »Wenn Ihr es wünscht, Allvater, so können wir unsere Bücher und Chroniken zu dieser Prophezeiung befragen.« boten sie hilfsbereit an. »Womöglich lässt sich dort etwas über diese rätselhafte Macht herausfinden.« Loki zog die Brauen kritisch zusammen; er hatte sich nicht getäuscht und sich dieses Verhalten definitiv nicht nur eingebildet. Offenbar wussten die Elfen mehr, als sie vorgaben,- nur warum hielten sie ihr offensichtliches Wissen zurück? Sie darauf anzusprechen hätte wahrscheinlich nichts gebracht, denn wenn sie hätten reden wollen, hätten sie es jetzt tun können; Loki würde abwarten müssen, um gegebenenfalls der Sache selbst auf den Grund zu gehen. »Das wäre hilfreich.« Odin betrachtete das Foto noch einen Moment lang,- ein Moment, in dem er einen kritischen und scharfen Seitenblick auf Heimdall warf, müder wirkte als noch zuvor, bevor er Gungnir entschlossen umfasste. »Bis wir näheres dazu in Erfahrung bringen konnten, wäre es das Beste, wenn die Informationen über die Sterbliche im kleinen Kreise bleiben würden. Ich muss darum bitten, dass die letzten Worte diesen Raum nicht verlassen werden…« forderte er. »Das versteht sich von selbst.« Alrik neigte zustimmend das Haupt und auch die Alben, sowie der Feuerriese versprachen ihr Stillschweigen. »Was wird nun aus den Vanen?« brachte Fandral nach einem Räuspern die Geschwister wieder in Erinnerung. »Die beiden scheinen mir nicht sonderlich vertrauenswürdig, doch wir werden Vanaheims Streitkräfte brauchen.« gab der blonde Krieger zu bedenken. »Ich werde bei Gelegenheit mit Freya reden.« bot Loki ergeben an, nachdem ihn Thors bohrender Blick förmlich zu diesem Einlenken gezwungen hatte. »Aber zuvor sollten wir Frey die Möglichkeit einräumen, seine Schwester zur Vernunft zu bringen. Er schien mir von ihren Plänen nicht sonderlich überzeugt zu sein.« Er kannte die beiden länger als alle anderen hier; zwischen den Geschwistern und ihm hatte sich im Laufe ihrer Kindheit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, welches ihm nun hoffentlich helfen würde, die Wogen zu glätten, so es nötig sein sollte. Höchstwahrscheinlich hätte er noch die größten Chancen, bei Freya auf offene Ohren zu stoßen; Loki war sich ziemlich sicher, dass sie kaum mit einem anderen reden würde. »Nun, viel Erfolg dabei…« wünschte Uzzagar mit einem durchtriebenen Schmunzeln; offenbar kannte auch er das Temperament der Vanin mehr als genug. »Dann betrachte ich den Rat für den Moment als beendet.« schloss der Allvater die Sitzung. »Zeit für weitere Reden wäre ein Wagnis, welches nun wohl niemand eingehen will. Ich ließ Unterkünfte für alle Gesandten und deren Begleiter in Gladsheim stellen, welche euch meine Soldaten nun zeigen werden.« Auf einen klirrenden Stoß mit Gungnir hin öffnete sich die Tür zum Raum und einige der Palastwächter traten pflichtbewusst ein, um die Vertretern der Reiche zu ihren Räumlichkeiten zu führen. In dem Klirren von Rüstungen, dem Rascheln von Stoff und leisem Murmeln zerstreute sich die Versammlung. Odin wandte sich dem Donnergott zu, der sich gerade erhoben hatte. »Thor, ihr müsst euch so bald wie möglich auf den Weg machen. Nehmt euch, was ihr braucht und brecht auf. Und seid vorsichtig.« Der Allvater legte seinem Sohn eine schwere Hand auf die Schulter; brüchiger Zuspruch und Sorge in dieser Geste, welche sich in seinem ermatteten Auge spiegelten. »Ihr dürft nicht scheitern. Wir haben Welten, die zu uns aufsehen und unseren Schutz erwarten,- ich habe Söhne, die ich nicht verlieren will…« Thor umschloss die Hand seines Vaters mit der eigenen und drückte diese zuversichtlich. »Sei ohne Sorge, Vater. Wir werden nicht scheitern. Wir werden zurückkehren.« versprach er rau, doch bestimmt. »Hab Vertrauen.« Loki spürte den schweifenden Blick des Allvaters auf sich, doch er erwiderte ihn nicht, sondern scheute davor zurück wie der Schnee vor der wärmenden Sonne. Der Magier erhob sich mit Gwendolyn an seiner Seite und bedeutete ihr, den Raum zu verlassen, während er ihr folgte. Die Tapferen Drei und Sif blieben, um offenbar mit Thor die Details ihrer Reise zu besprechen. Auch Heimdall blieb zurück, denn der Allvater hatte ihn mit einem gebieterischen Wink zu einem Gespräch gebeten. Loki konnte die Sorge Odins einfach nicht glauben, nicht ertragen, da diese alles in Frage und Zweifel stellte, woran er die letzten Jahre geglaubt und sich so verzweifelt geklammert hatte,- Wahrheiten zerschlug, die für ihn zu einem stärkenden Gebet in seinem Exil geworden waren, um seinen fragwürdigen Antrieb nicht zu verlieren. Wahrheiten, die selbst jetzt noch Gewicht in seinem Geist besaßen… Er hatte sich mit der Abneigung Asgards abgefunden; mit der Verachtung Odins, der Geringschätzung seines Bruders, der fehlenden Akzeptanz von Thors Freunden,- irgendwann hatte er alles annehmen können, da er den Grund in seiner frevelhaften Herkunft sah. All das hatte ihm Wut und Ehrgeiz beschert - diese mächtigen Emotionen, die zu seiner Kraftquelle geworden waren, die ihn immer weiter getrieben hatten, ohne auch nur jemals daran zu denken, dem Schicksal klein beizugeben. Loki fürchtete sich,- er fürchtete, nur noch halb so stark zu sein, wenn er die Möglichkeit zuließ, im Unrecht gewesen zu sein und er konnte sich keine Schwäche erlauben. Nicht jetzt, am möglichen Ende aller Dinge und nun, da er feststellte, dass es gewisse Dinge für ihn gab, die er neben sich selbst beschützen wollte… Gwendolyn blieb stehen und sah über die Schulter zu ihm zurück, als würde sie intuitiv spüren, welche Gedanken in seinem Kopf Kreise zogen. Ein hereinfallender Strahl der schwächelnden Sonne streifte ihre Gestalt und tauchte ihr Haar in ein Flammenmeer; wie das letzte Aufbäumen vor dem herannahenden Winter war dieser Moment wie die Hoffnung des Sommers auf Wiederkehr und Loki konnte plötzlich erkennen, dass es Aussicht auf etwas Besseres gab… Die Tage waren dunkel, ihre Zukunft ungewiss, Ymirs Präsenz übermächtig und doch war dort ein Funken Zuversicht, den man nur entfachen musste, um ihn zu einem Sturm werden zu lassen,- die Vergangenheit des Magiers war ebenso gewesen, verzweifelt und aussichtslos und doch hatte das Licht Stück um Stück zu ihm zurückgefunden - in Form der Sterblichen, aber auch in Form seines eigenen, einst so klaren Verstandes und der unumstößlichen Wahrheit der Liebe seiner Familie. Loki schluckte, blieb stehen und verkrampfte den Kiefer, bevor er widerwillig über die Schulter zurücksah, getrieben von Blicken, die er bereits im Nacken gespürt hatte. Frigga stand an der Seite Odins, beide getaucht in das Licht des Sonnenstrahls, welcher verbissen gegen die nahende Kälte des Winters und sein Schicksal hinter grauen Schneewolken ankämpfte,- die Königin fing seinen Blick auf und schenkte ihm ein feines, liebevolles Lächeln, in dem kein Urteil lag. Keine Abscheu, keine Verachtung, nur die tiefe Liebe einer Mutter, die immer für ihre Kinder beten würde,- die es niemals müde wurde, an das Gute zu glauben und ewige Zuneigung wie ein Geschenk darreichte, für das keine Gegenleistung erwartet wurde. Odins Gesicht zeigte weniger Emotionen, abgestumpft und hart durch die vielen Jahre seiner Herrschaft, durch die Schrecken, die er hatte sehen müssen und die Entscheidungen, die zu fällen seine Bürde gewesen waren,- doch sein Auge öffnete sich wie ein Tor und offenbarte einen Mann dahinter, der ebenso Hoffnungen und Wünsche hegte, der es nicht verlernt hatte, zu fühlen und der durchaus Angst vor Verlust empfinden konnte. Diese Angst in Odins Auge zu sehen war wie ein Schock für Loki,- denn diese Angst galt ihm in jenem Augenblick und keinem anderen. Der Allvater war am Ende doch auch nur ein Vater, der um das Wohl seiner Kinder Sorge trug,- und diese Sorge machte keinen Unterschied zwischen der Verbundenheit durch Blut oder jener, die über viele Jahre des Zusammenlebens erwuchs. Dieser Moment der Erkenntnis war hart und schmerzlich; er riss die Hüllen des Magiers wie ein klauenbewehrtes Ungetüm herab und hinterließ ihn nackt und schutzlos dahinter, warf Fragen auf, die zuvor zu stellen er sich nie gewagt hatte. War ein Thron wirklich das Erstrebenswerteste im Leben? Das Einzige, was dieses eingebildete Loch in seinem Herzen füllen konnte? Konnten Macht und Herrschaft jemals dieses eigentümlich warme Gefühl ersetzen, welches sich verstohlen und hinterhältig in sein Inneres wühlte, als er das Herrscherpaar Asgards so vor sich sah,- seine Eltern, die ihm eine Chance gewährt hatten, entgegen aller Regeln und Widrigkeiten, als er verloren und verstoßen war von seiner eigenen Sippe? »Loki…« Thors tiefe Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen und sein Blick schnellte flüchtig zu seinem Bruder, der durch den Raum auf ihn zukam. Gleichgültig wandte der Magier sich ab und war bereits im Begriff zu Gwendolyn aufzuschließen, als eine schwere Hand auf seiner Schulter ihn aufhielt; das Gefühl so erschreckend vertraut, so lang verstohlen vermisst. »Loki…warte…« erbat der Donnergott in rauem Ton, durch welchen die ernsthafte Befürchtung hindurchschimmerte, womöglich auf eine Mauer zu stoßen. Der Magier seufzte schwer, blieb aber stehen. Er fing Gwendolyns fragenden Blick auf und nickte ihr flüchtig zu. »Geh schon vor. Lass dich von einer der Wachen zu meinem Zimmer begleiten und warte dort auf mich. Ich werde dich dann aufsuchen.« wies er sie an. Er sah das aufmüpfige Blitzen in ihren Augen, die zögerlich zwischen Thor und ihm umhersahen, bevor sie mit einem kleinen, unzufriedenen »Okay…« einlenkte,- offenbar erkannte sie, dass nun nicht der Moment dafür war, den eigenen Kopf durchzusetzen, obwohl er genau diese Absicht hinter ihrer gefurchten Stirn lesen konnte. Ihr gefiel es definitiv nicht davongeschickt zu werden. Wahrscheinlich befürchtete sie, dass er sich gegenüber seinem Bruder wieder einmal durch fehlendes Benehmen und Feingefühl auszeichnen würde. Es würde gewiss noch ein hartes Stück Arbeit werden sie davon zu überzeugen, dass sie nicht mit nach Niflheim reisen konnte,- denn ohne Frage hatte sie vor, ihn davon zu überzeugen. Nachdem Gwen gegangen war straffte sich Loki und hob die Schultern; er wandte sich seinem Bruder nicht zu, doch allein die Tatsache, dass er blieb und abwartend verweilte, sollte seine Aufmerksamkeit ausdrücken. Die Wärme von Thors Hand verließ ihn, als jener seine Finger zurückzog. »Wirst du uns nach Niflheim begleiten, Bruder?« fragte der Donnergott ernst, angespannt, aber ohne zu wirken, als würde er tatsächlich eine Zustimmung erwarten. Loki zog seine Brauen irritiert in die Höhe, bevor er sich nun doch umdrehte und humorlos meinte: »Ich dachte, diese Entscheidung hättest du bereits für mich getroffen…Bruder?!« Er wollte die gewohnte Verachtung in jenes letzte Wort legen, doch es gelang ihm nur halbherzig,- irgendwo in sich drin empfand er immer noch Enttäuschung über den Gedanken, dass Thor ihn nur deshalb zurückgeholt hatte, weil er seine Fähigkeiten brauchte. Allerdings konnte er ihn auch verstehen - der Donnergott mauserte sich langsam aber sicher zu einem wahren Anführer, der die nötigen Entscheidungen bereit war zu fällen. Genau das hatte er all die Jahre über von Thor erwartet, allerdings auch gefürchtete,- denn wenn sein Bruder zu einem Herrscher heranreifte, so würden seine Bemühungen Asgard vor seiner kopflosen Herrschaft zu beschützen Stück für Stück hinfällig. Ein weiterer Antrieb, der wie eine lose Stufe unter seinem Stiefel zu zerbröseln schien - seltsamerweise machte ihn das in diesem Augenblick allerdings nicht schwächer, sondern erfüllte ihn mit Respekt und Anerkennung, die er eigentlich gar nicht für seinen Bruder empfinden wollte… Thor verzog die Lippen zu einem schwächlichen Lächeln und senkte den Blick kurz. »Du weißt, dass wir ohne dich so gut wie keine Chance haben. Ich kann dich aber auch schlecht zwingen.« Zögerlich sah er wieder auf und ließ einen flüchtigen Funken Schalk in seinen Sturmaugen erkennen. »Obwohl ich so manches Mal gern mit Mjölnir auf dich eingeprügelt hätte…« gestand er unter einem zerbrechlichen Schmunzeln. Loki stieß ein spöttisches Schnaufen aus. »Als ob das je etwas gebracht hätte…« Ihre Blicke trafen sich und fast war es wieder wie früher zwischen ihnen, bevor die Geschehnisse der Vergangenheit ihnen das Lachen aus den Gesichtern gestohlen hatten. Thors Mundwinkel zuckten wehmütig. »Nein… nein, wahrscheinlich nicht…« lenkte er ergeben ein, schwermütig der leichteren Tage gedenkend, bevor er wieder ernst wurde und näher herantrat, sodass die anderen ihn nicht hören konnten. Frigga und Odin hatten den Raum inzwischen mit Heimdall verlassen, nur Thors Gefährten waren zurückgeblieben. »Ich brauche dich für diese Aufgabe. Ohne dich ist jegliche Hoffnung vertan…« Thors Kiefermuskeln verspannten sich und er holte tief Luft, bevor er leiser, doch nicht weniger ehrlich anfügte: »Ich kann das ohne dich nicht schaffen, Loki. Ich brauche dich. Nicht nur deine Magie und dein Wissen,- dich, mein Bruder, an meiner Seite.« Thors Augen waren plötzlich so eindringlich und flehend, dass Loki dem fast nicht standhalten konnte,- er fühlte sich in jenen Augenblick auf Midgard zurückversetzt, als der Donnergott ihm die Hand gereicht, ihn angefleht hatte, seinen Wahnsinn gemeinsam zu beenden. Damals hatte er die falsche Entscheidung getroffen, hatte seinem Bruder einen Dolch zwischen die Rippen gejagt und sich selbst damit verdammt. Und trotz dieser Tat, trotz dieser vielen Monde zwischen diesem Moment und jenem jetzt wurde Thor es nicht müde, an ihn zu glauben,- niemals der Bemühung überdrüssig, den angestammten Platz an seiner Seite für den Magier freizuhalten. Loki presste die Zähne aufeinander und verhärtete seine Züge unter der wesentlich leichteren Unbarmherzigkeit. »Hör auf, Thor. Hör auf, mich mit solch blumigen Worten blenden zu wollen,- das war noch nie deine Stärke, sondern meine. Du hast deine Freunde. Du hast Sif. Frigga und Odin.« entgegnete er in kühler Gewissheit. »Du hast ganz Asgard, was dir zu Füßen liegt und folgt. Du brauchst mich nicht. Das hast du noch nie…« fügte er in giftiger Kränkung an, die er noch immer kaum aus seiner Stimme heraushalten konnte,- er wusste, dass er sich irrational verhielt, falsch lag und das machte das Ganze nur noch viel schlimmer. Noch immer war es schwer, so schwer, gerade vor seinem Bruder die eigene Torheit einzugestehen. »Das ist nicht wahr. Du weißt, dass das nicht stimmt!« Der Donnergott zuckte getroffen zurück, schüttelte unverständig den Kopf, bevor seine Hand vorschoss und Loki am Oberarm ergriff, diesen zu sich heranzog. »Meinst du wirklich noch immer, die Liebe unserer Eltern gehört nur mir allein?! Hör endlich auf, dich wie ein albernes Kind aufzuführen und lass ab von diesen eingebildeten Kränkungen! Fang an, die Wahrheit zu sehen!« fauchte Thor unter nun brüchiger Beherrschung. »Du kannst so viel mehr sein, wenn du dich endlich los machst von der Vergangenheit und diese ruhen lässt. Du bist mehr wert, zu mehr fähig, als du dir selbst zugestehst, Loki. Erkenne das endlich. Du hast alles, was du mir neidest, vor deiner eigenen Nase, nur bist du zu blind, es zu sehen!« Fast verzweifelt starrte der Donnergott schwer atmend auf ihn herab, seine Finger gruben sich hart in das Leder von Lokis Rüstung und erzwangen dessen Aufmerksamkeit. »Verdammt, wie lange willst du noch so weitermachen, Bruder?! Wie lange willst du dich in dein Selbstmitleid zurückziehen und deine Wunden lecken, anstatt dich deinen Taten zu stellen?! Wie lange soll es dich noch mit Befriedigung erfüllen, gegen mich zu kämpfen, anstatt mit mir?!« Unvermittelt ließ Thor ihn los, riss Mjölnir von seinem Gürtel und ließ den Hammer mit einem Krachen auf den Boden fallen, wodurch alle Augen der Zurückgebliebenen sich auf sie beide richteten. Lokis Lippen verzogen sich zu einem zögerlichen Grinsen, breit und furchtbar falsch in seiner Genugtuung und dem zuversichtlichen Triumph,- so falsch, dass er das Spannen in den Mundwinkeln selbst als abstoßend empfand. Volstagg und Fandral wollten an Thors Seite treten, doch der Donnergott hielt sie mit einer Handbewegung auf Abstand, wodurch seine Freunde unsicher stehen blieben; Sif wirkte gehetzt und bereit sich sofort auf Loki zu stützen, doch Hogun packte ihr Handgelenk, als sich ihre Finger bereits um den Griff ihres Speeres schlossen und schüttelte den Kopf; der Krieger schien zu begreifen, dass dieses Gespräch zwischen den beiden Brüdern längst überfällig war. Thor breitete die Arme aus und sah Loki herausfordernd an. »Hier stehe ich, Bruder. Beende es jetzt, wenn du willst. Tilge mich aus deinem Schicksal und erfahre, ob du nachher mehr Freude und Glück empfinden wirst. Finde heraus, ob mein Dasein allein schuld an deinem Schmerz trägt!« grollte er provozierend. Loki stieß ein hartes, humorloses Lachen aus und hob seine Brauen. »Das sieht dir ähnlich, mich im Kreis deiner Lieben herauszufordern, wo die drohende Vergeltung schon im Rücken wartet.« zischte er gehässig, die Worte nicht so geschliffen, wie sie hätten sein sollen, da seine Zunge das Beben der Unsicherheit verspürte. »Lasst uns allein…« verlangte Thor daraufhin sofort, doch seine Freunde sahen sich nur unschlüssig an und weigerten sich, seinen Worten Folge zu leisten. »Lasst uns allein!« bellte der Donnergott seinen Befehl gereizt und endlich setzen sich alle Verbliebenen, wenn auch zögerlich und widerwillig, in Bewegung und verließen den Raum. Hogun war der Letzte, der Sif nach draußen schob und die Tür dann hinter sich schloss. Die Brüder blieben allein zurück,- Stille umhüllte sie, angefüllt mit dem brodelnden Atem Thors und Lokis eigenem Herzschlag, der wie das Tosen der Brandung in seinen Ohren klang. Der Magier war wie erstarrt und rührte sich nicht; seine Gedanken rasten, ebenso wie sein Herz, welches wie kaum etwas anderes zwiegespalten in seiner Brust schlug. Er verspürte tatsächlich die Verlockung des Donnergotts Vorschlag zu folgen, um sich von dessen Schatten zu befreien,- und diese Erkenntnis versetzte ihn in Panik. Diese entsetzliche Vision, Thors Körper zerschlagen und leblos vor sich zu sehen, sollte ihm nicht gefallen,- er hatte lang nicht mehr gewusst, was falsch und richtig war, doch nun erkannte er ohne Mühe, dass dieses Gefühl nicht das seine war. Er sollte keine Befriedigung bei dem Gedanken empfinden, seinen Bruder zu töten,- und als er weiter in sich lauschte, wusste er, dass er es auch nicht tat. Er wollte Thor nicht wirklich töten, hatte es nie gewollt - diese Gedanken waren erst unter seinem Wahnsinn und Thanos‘ listigen Worten wie ein krankes Geschwür in seiner Brust gewachsen. Er hatte Thor immer verachtet für alles, was der scheinbar so mühelos vollbrachte,- die Liebe, die ihm immer so freimütig und leicht zugefallen war; hatte ihm sein unbekümmertes Wesen und die Anerkennung des Allvaters missgönnt, aber gehasst hatte er ihn nie. Thors Tod hätte nie etwas geändert, ihn zu töten würde nie etwas ändern,- denn er selbst würde noch immer derselbe sein; er und seine Sichtweisen waren das Problem, nicht Thor. Der Donnergott trat zornig nach vorn, unzufrieden durch die Regungslosigkeit des Magiers; er packte Loki an den Aufschlägen seiner Rüstung und zerrte ihn förmlich zu sich heran, sodass dieser die verräterischen Anzeichen von brechender Stärke in den verzweifelt angefüllten Augen seines Bruders sehen konnte. »Bei den Nornen - tue es endlich, Loki!« schrie Thor fast und schüttelte ihn in einer verbittert wirkenden Geste. Seine Finger gruben sich wie Stahlfesseln in das Leder, welches er umklammert hielt. »Beende es, wenn es dich glücklich macht. Nur versprich mir, dass du dich um Asgard kümmern wirst. Um unsere Freunde…unsere Eltern…unsere Heimat…« Plötzlich schien sämtliche Kraft aus dem Donnergott zu weichen und er sackte gegen Loki, ließ seine Stirn auf dessen Schulter fallen; unter der unerwarteten Nähe versteifte sich der Magier, hatte er seinen Bruder auch noch nie so verzweifelt erlebt. »Ich ertrage diese Kluft zwischen uns nicht mehr…« hauchte der neben Lokis Ohr, so leise, dass der Magier sich anstrengen musste, die Worte zu verstehen. »Ich kann nicht stark sein für Asgard, wenn du mich noch immer hasst. Ich kann es nicht, Loki. Ich brauche meinen Bruder, jetzt mehr denn je. Ich kann Malekiths Schrecken, Hels Heer nicht ohne deine Hilfe abwehren. Ich kann nicht Ymirs Angriffe abfangen, die Truppen anführen und unsere Freunde beschützen, einen Schild für unsere Heimat bilden, wenn ich deinen Hass im Rücken spüre und immer ein Auge auf meine Flanke haben muss, um deinen Dolchstoß zu erwarten…so kann ich nicht kämpfen. So können wir nicht gewinnen…« endete Thor schwach. »Er kann doch gar nicht anders als der Liebling des Volkes zu sein, weil sie genau das von ihm erwarten. Und du solltest diese Position nicht unterschätzen, Loki. Thor kann sich keine Fehltritte erlauben, weil man ihm ständig auf die Finger schaut. Man erwartet immer die richtigen Entscheidungen und Worte von ihm. Er hat es bestimmt auch nicht leicht.« Unvermittelt erinnerte sich der Magier an Gwendolyns Worte und musste erkennen, dass diese durchaus der Wahrheit entsprachen,- Thors Bürde wog schwer, war die Hoffnung all jener, die zu ihm aufsahen. So war es schon immer gewesen,- Loki mochte sich nicht einmal vorstellen, welch ungeheuerlichen Druck diese Aufgabe bedeutete, doch statt den Pfad des Kriegers zu wählen, hatte Thor offenbar den wesentlich härteren Weg des Herrschers eingeschlagen. Loki schloss die Augen, blendete alles aus, was sie umgab, bis nur Thors kraftloser Körper blieb und dessen zittriger Atem an seinem Hals; der Herzschlag seines Bruders, nah seines eigenen, so ähnlich, so gleich - kein Unterschied war auszumachen zwischen dem Herzen eines Jotunen und dem eines Asen. All diese Unterschiede, die er die Jahre über geglaubt hatte zu sehen, waren seiner eigenen Phantasie entsprungen,- und dieses Wissen war wie ein beklemmendes Stahlband um seine Brust, welches ihn in diesem Moment zu ersticken drohte. Er fühlte sich müde, so schrecklich müde und zerschlagen von den Wirren des Schicksals. Der Donnergott zeigte sich machtlos wie selten zuvor und doch konnte Loki keine wahre Befriedigung darüber empfinden,- nicht mehr. Er hatte immer geglaubt, dass genau dieser Moment es wäre, wonach es sich zu streben lohnte; dass ihn Thors Schwäche für alles entschädigen würde, was er geglaubt hatte, erdulden zu müssen. Doch nun er musste erkennen, dass er falsch gelegen hatte,- Thors Verzweiflung hinterließ nur das Echo einer kalten, schmerzenden Leere in seinem Herzen, die nicht in der Lage war, irgendetwas zu füllen oder besser zu machen. Der Magier hob zögerlich eine Hand, ließ die abwehrende Anspannung aus seinem Körper gleiten und bettete Thor die Finger auf der Schulter; barg dessen gramgebeugte Gestalt und seinen Schmerz unter dieser vorsichtigen, flüchtigen Geste, die kaum einen Wimpernschlag andauern wollte und flüchtig wie die Hoffnung war. Und doch musste sein Bruder sie gespürt haben, denn er holte tief Luft und nickte kaum merklich, so leicht, dass es sich wie ein Windhauch anfühlte, als Thors Haare seine Wange streiften. Es war eine stille Übereinkunft,- noch kein Frieden, doch ein Stück weit dieser Vertrautheit, die es ihnen schon früher gewährt hatte, sich ganz ohne Worte zu verständigen. »Packt eure Sachen und bereitet euch auf die Abreise vor. Ich werde zu euch stoßen, nachdem ich mit Gwendolyn gesprochen habe.« brachte Loki abgeklärt heraus, kühl und emotionslos, die Stimme so poliert und bestimmt wie immer. Er äußerte sich nicht zu den vorangegangenen Worten; tat, als hätte es sie nie gegeben, keine solch heikle Situation, doch wusste er, dass Thor dies auch niemals erwartet hatte,- sein Bruder würde verstehen, dass diese Bereitschaft zu ihrer Reise mehr bedeutete, als ein Schuldgeständnis es je getan hätte. Thor würde verstehen, dass er keine tröstenden, sanften Worte von Loki zu erwarten hatte, keine Versöhnung…nicht jetzt. Jetzt noch nicht. Denn der Magier fürchtete um seinen eigenen Stolz, um seine Gefühle, seine Beherrschung, als er sich nun von Thor löste, ohne ein weiteres Wort abwandte und die Tür öffnete,- jeder Schritt wie ein Beben, welches seine Beine nach oben kroch und seine Gestalt zu zersprengen drohte wie ein herabfallender Regentropfen auf dem harten Asphalt. An diesem Wendepunkt seiner Gefühle war er zuerst seiner eigenen Seele verpflichtet, denn ihm graute vor dem unkontrollierten Zittern, welches nun seine Glieder erklomm und ihn die Hände zu Fäusten ballen ließ, als er sich seinen Weg durch die Gesandten in der Halle des Thronsaales nach draußen bahnte. Im Moment war es genug, dass er endlich erkennen konnte, dass sein Bruder Recht hatte. Nur vereint wären sie stark genug, um das zu schützen, was sie beide verband und liebten,- ihre Heimat. Loki ließ sich Zeit damit sein Zimmer aufzusuchen; seine Füße kannten den Weg, doch sein Kopf folgte erst verzögert hinterher,- seine Gedanken waren wirr wie Friggas Nähgarn, was Thor und er in Kindertagen oft aus Spaß durcheinandergebracht und in ein wildes Chaos aus Farben und Knoten verwandelt hatten. Die Gänge waren weitestgehend verwaist, da wohl die meisten Soldaten und dienstbaren Asen noch immer im Thronsaal weilten, um die Gäste Odins zu versorgen; der Magier war dankbar dafür, denn er benötigte ein paar Momente für sich allein - ein paar stille Augenblicke, in denen er die Geschehnisse der letzten Stunden verarbeiten und ordnen musste. Die vertraute Einsamkeit umhüllte ihn wie ein längst vermisster Freund und obwohl die Zeit drängte, gestattete er sich an der steinernen Balustrade des Ganges stehen zu bleiben und auf den an Gladsheim angrenzenden See hinauszublicken. Das Wasser war dunkel und still, von hauchfeinen Frostfingern überzogen, die im Schein der Abenddämmerung sanft glänzten,- nur ganz vereinzelt trieb der seichte Wind die Äste der kahler werdenden Bäume auseinander und ließ damit verirrte Lichtreflexe aus Grau und Rot wie Irrlichter über den See wabern. Dürre Blätter rauschten über den Boden des leeren Ganges, strichen um Lokis Stiefel und türmten sich dort zu raschelnden Mahnmalen des eilig schwindenden Sommers. Die oft benannte Ruhe vor dem Sturm schien über Asgard zu liegen. An den See schloss sich ein kleiner, wild umwachsener Rosenteich an, auf dem die letzten, einsamen Blüten tapfere Farbklekse in dem trüben Wasser bildeten. In Loki kroch eine Erinnerung hoch, eine von jenen, die er lange verdrängte,- wie Thor und er hier gespielt hatten, jung und weit entfernt von den Männern, die sie jetzt waren. Sie hatten sich um den Teich gejagt, während Frigga auf einer Bank in der Nähe gesessen und sie mit einem Lächeln beobachtet hatte; ihre geschickten Finger hatten eine Nähnadel geführt, welche eine reich verzierte Tunika für Lokis Geburtstag gezaubert hatte. »Komm schon, Bruder, gib nicht auf! Oder willst du dir diese Niederlage wirklich eingestehen, gegen deinen kleinen Bruder verloren zu haben?« provozierte Loki den jungen Donnergott, der sich immer so herrlich aus der Fassung bringen und von seinem Hitzkopf leiten ließ. Der dunkelhaarige Junge ließ eine Illusion von sich verblassen, als sein Bruder diese fast erreicht hatte. Thor blieb frustriert stehen, stützte die Hände auf die Knie und verschnaufte mürrisch. »Ach komm schon, Loki. Das macht keinen Spaß. So wirst du mir immer entwischen. Wie soll ich dich je von deinen Trugbildern unterscheiden!?« Sein kleiner Bruder beherrschte die Kunst der Magie wirklich wie kein anderer; verstohlener Stolz erfasste den Donnergott. »Lass uns lieber auf den Trainingsplatz zu den anderen gehen.« versuchte Thor den jungen Loki nun zu locken. »Fandral hat Met aufgetrieben und wir wollten doch heute Abend mit dem Degen kämpfen üben…« flüsterte er in kindlicher Verschwörung. Loki stemmte die Hände in die Hüften und sah mit hochgezogener Braue auf seinen Bruder herab. »Das können wir gern tun…sobald du mich erwischt hast. Oder soll ich Sif erzählen, dass du bei der Jagd nach mir aufgegeben und wie eine alte Frau gekeucht hast?!« stichelte der Junge grinsend. Der Kopf des Donnergottes schoss nach oben, Ehrgeiz und die Angst vor der Demütigung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Niemals!« Entschlossen stürzte er nach vorn, siegesgewiss auf Loki zu. Der junge Magier bediente sich freudig seiner neu gewonnenen Fähigkeiten und ließ Thor in sein erschaffenes Trugbild krachen; die Illusion löste sich in Luft auf und der Donnergott taumelte mit wild rudernden Armen, bevor er mit einem lauten Platschen in den Teich fiel. Loki wandte sich vor Lachen und kicherte über das grimmige Gesicht seines Bruders, der eben tropfnass und prustend ans Ufer kroch. »Ach Thor, wann wirst du jemals nicht darauf hereinfallen?« fragte er triumphierend, allerdings auch eine Spur mitfühlend. »Du darfst nicht immer sofort losstürmen und dich von deinen Gefühlen leiten lassen. So oft habe ich dir das schon erklärt.« mahnte er an. Thor zog sich schnaufend aus dem Wasser und bedachte seinen Bruder mit einem ärgerlichen Blick. »Jaja, ich weiß…und ich habe dir schon so oft gesagt, dass du nicht immer mit ehrlosen Mitteln kämpfen sollst.« Die leisen Schritte Friggas näherten sich über den Rasen und Loki versteifte sich unter der Erwartung einer Standpauke, doch die Königin blieb nur schmunzelnd neben ihm stehen. »Dein Bruder kämpft nicht ehrlos, Thor. Er bedient sich nur der Waffen, die ihm zur Verfügung stehen.« erklärte sie dem Donnergott gelassen, bevor sie sich zu Loki herabbeugte und nur für ihn sanft wisperte: »Du bist klug, mein Sohn. Besonnener und scharfsinniger als Thor, das warst du schon immer. Doch gerade deswegen solltest du deinen Bruder nicht narren, sondern ihn beschützen und über ihn wachen. Er wird dich noch brauchen, dich und deinen Verstand.« Friggas Worte hallten in Lokis Ohren wie das Flattern sich entfernender Flügelschläge nach; die Erinnerung entfloh wie ein Vogel in die herabfallende Abenddämmerung,- wie ein Stein, der in der düsteren Tiefe des Sees verschwand, nichts als die bloße Ahnung, die Oberfläche in Aufruhr versetzt zu haben. Der Magier löste sich von der Balustrade und dem steinernen, kalten Geländer, welches er unbemerkt so fest umklammert hatte, dass ihm die Finger schmerzten,- jene massierte er geistesabwesend, als er nun die restlichen Schritte zu seinem Zimmer endlich nahm. Er wusste, dort würde der nächste Kampf auf ihn warten,- und wenngleich er in der Vergangenheit die Herausforderungen eines geistigen Duells, die Finten und Hiebe von wörtlichen Feinheiten und gedanklichen Kunststücken geradezu geliebt und genossen hatte, so wäre ihm nun ein Waffenkampf mit seinen Dolchen wesentlich lieber gewesen… Er fühlte sich müde und ausgelaugt; Schwächen, die er sich schwer zugestehen konnte, doch nichtsdestotrotz besaß. Seine Aufmerksamkeit war erschöpft und seine Konzentration verlangte eine Pause,- doch die würden ihm wohl weder Malekith, noch die kleine, rothaarige Menschenfrau gewähren, welche hoffentlich hinter der Tür auf ihn wartete,- bei ihrem Eigensinn war das immerhin keine Gewissheit. Entschlossen öffnete er die Tür zu seinen Gemächern und seine Augen suchten das Zimmer beinahe sogleich nach Gwens vertrauter Gestalt ab,- früher waren ihm seine Räume immer ein Hort der Zuflucht und Ruhe gewesen; ein Heiligtum, was kaum jemand sonst betreten durfte. Nun war es eigentümlich sich nicht durch die Anwesenheit eines anderen hier gestört zu fühlen, sondern diese vielmehr zu erwarten. Gwen hatte in seiner Leseecke Platz genommen, sprang aber sofort unruhig auf, als Loki eintrat,- sie hatte die Kerzen im Raum entzündet, diese verbreiteten ein warmes, angenehmes Licht und vertrieben die Trostlosigkeit der Abenddämmerung. Ihre Hände hatten sich halbherzig mit einem Buch beschäftigt, welches sie nun aber rasch beiseitelegte, bevor sie ihm abwartend entgegen sah. Abschätzend verfolgte sie jede seiner Bewegungen; ihr war anzusehen, dass sie offenbar Sorge trug, er wäre erneut mit seinem Bruder in Streit auseinandergegangen. Loki schloss die Tür leise hinter sich, bevor er den Blick der Menschenfrau erwiderte,- dies schien für sie wie ein Stichwort zu sein, denn sie straffte sich und kam ihm dann langsam entgegen. »U-und…ist alles in Ordnung?!« erkundigte sie vorsichtig. »Wirst du mit Thor und den anderen nach Niflheim gehen?« Es war eine zaghafte Frage, doch nicht unüberlegt gestellt; wahrscheinlich hatte sie die Wartezeit genutzt, um sich bereits mit diesem Umstand auseinanderzusetzen. Gwen wirkte auf eine eigenartige Weise gefasst, die Loki noch nicht recht zuordnen konnte,- doch er erkannte an dem rascheren Takt ihres Pulses, der sich in der Kuhle unter ihrer Kehle widerspiegelte, dass sie etwas beschäftigen musste. Ihr ganz eigener Duft war durch eine fremde, schwere Nuance verfälscht. »Ja, das werde ich.« bestätigte er mit einem knappen Nicken, bevor er an ihr mit langen Schritten vorbeitrat, um zu seinen Bücherregalen hinüberzugehen; es wäre besser, sich gebührend auf diesen Ausflug vorzubereiten und noch ein wenig Wissen, sowie magische Utensilien zusammenzusuchen, die ihnen im Notfall womöglich das Leben retten konnten. Er holte ein Beutelchen mit Kräutern aus einem Schubfach und verstaute dieses in einer Innentasche seines Mantels. Gwen blieb stehen und zupfte mit den Händen am Saum ihres wieder mal viel zu großen Pullovers, der hier und da bereits Fäden zog und die deutlichen Spuren der letzten, ereignisreichen Stunden trug,- dies schien ihr auch bewusst zu werden, denn ihre Wangen röteten sich auf eine fast beschämte Weise, während sie fahrig über den schmutzigen Stoff strich. »Okay…das ist gut. I-ich glaube, Thor braucht dich wirklich. Er sah unheimlich erledigt aus. So hab ich ihn noch nie gesehen. Das alles scheint ihm unheimlich zu schaffen zu machen…« sinnierte sie leise, als wollte sie ihn in seinem Entschluss bestärken,- oder sich selbst davon überzeugen. Eine eigenartige Anspannung schien zwischen ihnen im Raum zu schweben. »Wann werdet ihr aufbrechen?« Loki hatte begonnen, die langen Reihen seiner Bücher zu durchforsten,- sein Zeigefinger fuhr über die antiken, ledernen Buchrücken auf der Suche nach den vertrauten Titeln, die er noch einmal zu Rate ziehen wollte, um sein Wissen aufzufrischen. »So bald wie möglich. Wahrscheinlich noch heute.« erklärte er gedankenversunken, als er eines der Bücher aus dem Regel zog und flüchtig darin blätterte. »Oh…so bald schon…« hauchte sie gedehnt. Gwens Stimme klang überrascht, beinahe ein wenig erschrocken, als hätte sie sich eigentlich eine andere Antwort gewünscht. »Loki…?!« Eine zaghafte Hoffnung begleitete dieses eine Wort als Anfang einer lauernden Bitte. »…ich hätte da eine Frage…« Der Magier klappte das Buch in seiner Hand vernehmlich wieder zu und schloss die Augen für einen winzigen Moment; Spannung erwuchs in ihm, die er zu unterdrücken suchte. Ihm wurde schleichend bewusst, dass er den Blickkontakt mit Gwen mied und sich als Ausflucht in das Packen seiner Utensilien stürzte,- er scheute vor dem drohenden Konflikt mit ihr zurück und verspürte die schleichenden Ausläufer lähmender Kälte, als er an den unweigerlich herannahenden Augenblick des Abschiedes dachte. So rückgratlos erkannte er sich selbst kaum wieder. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte er sich entschlossen, die Menschenfrau zu behalten,- für sich entschieden, dass sie ihn immer begleiten sollte, weil ihm ihre offene Art gefallen hatte; weil sie ihn fordern und zum Nachdenken bringen konnte. Seine Besitzgier und sein von Natur aus unnachgiebiges Wesen hatten das verlangt, allerdings seine Gefühle nicht bedacht, von denen er lange geglaubt hatte, sie vergessen und verlernt zu haben. Das Problem nun war,- er hatte die Fähigkeit für Emotionen ganz und gar nicht verloren, nur unterdrückt. Und je mehr er Gwendolyn kennenlernte und mochte, desto mehr wollte er sie in Watte packen und beschützen. Wenn nötig auch vor seinen eigenen Ansprüchen und Wünschen… »Nein.« schmetterte er ihr weiteres Luftholen mit der nötigen Härte ab und stellte das schwere Buch zurück in die Reihe seiner Geschwister, bevor er nach dem nächsten griff und mit diesem zu seinem Schreibtisch hinüber ging. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Gwen die Schultern hängen ließ und ärgerlich die Lippen verzog. Zwischen ihren Brauen bildete sich eine finstere Falte, die gar nicht zu ihrem zarten Gesicht passen wollte. »Du weißt doch noch nicht einmal, was ich dich fragen wollte…« klagte sie zwar empört, doch recht halbherzig an, als wäre ihr eigentlich bereits klar, dass es sinnlos war, etwas vor ihm verbergen zu wollen. Loki legte das schwere Buch auf dem Schreibtisch ab und schlug es an einer markierten Stelle auf, bevor er eine der Kerzen über das Holz heranzog, um den Schein über die altehrwürdigen Seiten zu schicken. Er hob endlich seinen Blick, um Gwen überzeugt anzusehen, während er beide Hände auf den Tisch vor sich stützte. »Doch. Allerdings. Du wirst mich gleich fragen, ob du uns nach Niflheim begleiten kannst und meine Antwort ist „Nein.“« erklärte er ihr ruhig, aber unnachgiebig. Die Schwingen seiner Brauen beschrieben eine hartnäckig entschiedene Linie. Der Magier bemerkte selbst, dass er Gwendolyn gegenüber wieder ungewöhnlich kühl wurde, doch er hielt dies für nötig, um bei seinem Standpunkt zu bleiben und sie von ihrer schwachsinnigen Idee abzubringen. Leider hatte er eine ganz beachtliche Schwäche für die kleine Sterbliche entwickelt und es fiel ihm bei weitem nicht so einfach ihre Bitte abzulehnen, wie er es bei jedem anderen womöglich mühelos vollbracht hätte. Sie warf die Arme unzufrieden in die Luft und trat näher an seinen Schreibtisch heran; der Schein der Kerze beleuchtete ihre Wangen, die nun aufgeregt gerötet waren. »Und was soll ich stattdessen machen?!« Ihre Hände beschrieben einen weitläufigen Kreis, die Geste fahrig und vernichtend. »Hier sinnlos herumsitzen und warten, während ihr euch für das Wohl aller in Gefahr bringt?! Das will ich nicht, Loki. Ich will mitkommen…« Sie war vor seinem Schreibtisch stehengeblieben, während er ihr abschätzend entgegen sah. »Ich kann euch helfen…« meinte sie nun beschwörend und versuchte ihre Strategie zu ändern; verwies dabei auf die geheimnisvolle, doch mächtige Kraft, die sie besaß. »Wenn jemand verletzt wird-« »Du weißt ganz genau, dass du diese Macht in dir nicht mehr gebrauchen sollst.« mahnte er scharf an; schärfer als beabsichtigt, da er die Risiken bestens kannte, die sie wohl stur ignorieren wollte. »Das könnte dir erheblichen Schaden zufügen.« Er versteifte sich, seine Züge wurden finster und er versuchte sie allein durch seine bedrohliche Haltung zum Rückzug zu zwingen; er hatte es oft gezielt vermocht, andere allein durch seine Aura einzuschüchtern, doch seine Sterbliche war offenbar wild entschlossen, ihm die Stirn zu bieten. Er hätte es wissen können, dass sie sich allein von seiner Anwesenheit schon lang nicht mehr verängstigen ließ. »Ich muss es ja nicht übertreiben. Du könntest mich anleiten wie du es schon einmal getan hast…« wiegelte sie ab, versuchte rasch einzulenken. Allerdings wirkte sie nicht weniger überzeugt. »Nein, Gwen.« bremste er sie in ihrem Enthusiasmus. Der Magier hob bedeutungsvoll eine Braue. »Ich fürchte, du hast dem Allvater vorhin nicht richtig zugehört…« mutmaßte er trocken und wollte sich wieder seinem Buch zuwenden, doch sie überraschte ihn, indem sie bestimmt vortrat und die Seiten mit einem Ruck zuschlug, um seine Aufmerksamkeit zu halten. Dumpf hallte der Laut durch den stillen Raum, Staub wirbelte in die Kerzenflamme und ließ jene kurz höher flammen. »Doch, das habe ich, Loki. Aber Malekith ist auf dem Weg zu Yggdrasil. Er ist nicht in Niflheim.« belehrte sie ihn eigensinnig; sie fügte sich die Worte zusammen, wie sie es gerade brauchte und dies war sonst eigentlich ein beliebter Schachzug des Magiers. Er musste ihre Entschlossenheit bewundernd anerkennen,- allerdings änderte sie seine Meinung damit nicht. »Du wirst trotzdem nicht mitkommen.« entschied er mit schneidender Stimme und hoffte, dass ein warnender Blick aus eindringlich verengten Augen sie zur Vernunft bringen würde. Seine Reaktion war überzogen abweisend, da seine Emotionen immer unkontrollierbarer wurden,- die Vorstellung Gwen zu verlieren behagte ihm ganz und gar nicht; allerdings würde er genau das riskieren, wenn er ihrem Drängen schwächlich nachgab. Er musste hart bleiben, für sich und vor allem für sie selbst. Gwen unterschätzte die Risiken dieser Reise und er wollte sie nicht in Gefahr zu bringen, nur weil es ihm verlockend erschien, sie immer in seiner Nähe zu haben… »Und warum nicht?« fragte sie nun unverständig, fast schon eine Spur verzweifelt. »Weil ich sterblich und schwach bin?! Ich dachte, über diesen Punkt wären wir hinaus, Loki. Ich war mit dir in Muspelheim, bin dir sogar nach Hel gefolgt. Ein wahnsinniger Dunkelelf hat mich mit Schattenmagie gefoltert und ein Höllenhund auf der Erde gejagt. Ich war in den letzten Tagen wirklich genug Risiken ausgesetzt und habe wahrscheinlich mehr Gefahren ausgestanden, als sonst irgendein Mensch-« Der Magier unterbrach sie mit einer forschen Handbewegung. »Diese Risiken waren kalkulierbar. Die Situation in Niflheim allerdings ist für mich nicht absehbar.« erklärte er lapidar. Gwen riss die Augen verständnislos auf. »Garm war kalkulierbar?! Malekith war berechenbar?!« Ihre Stimme kletterte spöttisch nach oben und Loki biss die Zähne grimmig aufeinander, da sie seine Deckung wie ein Kartenhaus einriss. Seine fadenscheinigen, schwächlichen Argumente ärgerten ihn selbst maßlos. »Ich hätte mehr als einmal fast sterben können, Loki!« rief sie ihm mit erschreckender Deutlichkeit ins Gedächtnis. »Und genau deshalb werde ich dich nicht wissentlich weiteren Gefahren aussetzen!« fuhr er sie nun unbeherrscht an und schlug die flache Hand krachend auf den geschlossenen Einband des Buches; das Geräusch ließ Gwendolyn zusammenzucken und erschrocken blinzeln, während sie einen Schritt zurückwich. Der Magier atmete scharf ein und ließ den Kopf kurz kraftlos hängen, bevor er den Blick wieder hob; sofort bereute er seine lauten Worte, als er erkannte, dass er sie damit verletzt hatte. Gwen presste die Lippen fest aufeinander und wich seinem Blick entschieden aus, während es wirkte, als kämpfe sie vehement mit aufwallenden Tränen. Diese Frau brachte ihn einfach völlig aus dem Konzept… Loki ahnte, dass sie nun an einem Punkt angelangt waren, an dem er bei Gwen mit Vernunft,- mit kühlen, klaren Argumenten nicht mehr weiterkommen würde; sie würde nicht auf ihn hören, weil sie bereits ihre ganz eigen Sicht der Dinge entwickelt hatte - und einen Dickkopf besaß, der seinem in nichts nachstand. Seine einzige Chance bestand nun darin, einen Schritt zu wagen, den er bisher tunlichst vermieden hatte,- er musste ihr klar machen, wie er fühlte, musste sich öffnen und sie um ein Stück weit hinter seine Fassade blicken lassen, damit sie seine Einwände verstehen konnte. Damit würde er ihr unweigerlich die Macht zugestehen, die er immer gefürchtet hatte, anderen über sich zu gewähren,- allerdings würde er damit auch wahrscheinlich eher zu ihr durchdringen können als mit schlichten Verboten. Gwendolyn war ihm in vielen Dingen stets entgegengekommen; sie hatte seine Launen ertragen, seine Arroganz übersehen, sogar seine Verbrechen akzeptiert und hinterfragt,- sie war an seiner Seite geblieben, obwohl sie es nicht gemusst hätte und es nie müde geworden, an ihn zu glauben und seine guten Seiten herauszulocken. Vielleicht war es an der Zeit, dass er ihr nun endlich etwas zurückgab,- für ihr Vertrauen, ihre Freundlichkeit, Loyalität und Aufrichtigkeit; sie wertschätzte, indem er sie in seine Gedanken und Gefühle einschloss. Nun konnte jeder Tag ihr aller Ende bedeuten; vielleicht die rechte Gelegenheit, um Mut zu beweisen und die Zweifel und Ängste hinter sich zu lassen. »Ich will nicht, dass dir etwas passiert…« gestand Loki nun langsam, leise und deutlich weicher, was Gwens Blick aufmerksam geworden zu ihm zurücklenkte. »Ich bin in Sorge, dass dir etwas zustoßen könnte.« Er zog die Stirn in Falten auf der Suche nach den richtigen Worten. »Dieser Gedanke gefällt mir nicht, Gwen…ich möchte dich nicht verlieren.« Seine Augen hielten nun nichts mehr zurück und er war sich bewusst, dass diese einen flehenden, unsicheren Ausdruck spiegeln mussten; diese Offenheit rüttelte an seinen Grundfesten und ließ ihn die Finger in die Tischkante krallen. Er fühlte sich verletzlich und schutzlos wie schon lang nicht mehr,- zerstört und einsam, wie er einst durch die eisige, leere Weite des Alls gestürzt war - jeden Bezugspunkt zur Wirklichkeit verloren, gefangen im Nichts zwischen Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod, Angst und Hoffnung. Der Magier ließ seine Schutzmauern für die Sterbliche fallen und musste ihrer ungewissen Reaktion harren,- er konnte nicht berechnen, nicht abwägen und planen, wie sie mit seiner Ehrlichkeit umgehen würde. In diesem Moment hatte sie ihn vollkommen in der Hand. Loki wusste das. Und Gwen musste es auch wissen, denn sie zog die Unterlippe befangen zwischen die Zähne und sah ihn einen langen, gedehnten Augenblick regungslos an, in dem sie nicht so recht zu wissen schien, wie sie mit der veränderten Situation umgehen sollte. Sie wirkte irritiert und verunsichert. Dann begannen ihre Lippen zu beben,- erst war es nur ein kaum wahrnehmbares Zittern, bis es zu einem atemlosen, kleinen Schluchzen wurde, was ihrem Mund entfloh. Sie drückte die Fingerspitzen in einer hektischen Geste gegen ihre Lippen, als wolle sie ihre Gefühle mit reiner Willenskraft in sich zurückpressen, während ihre Augen bereits verräterisch zu glänzen begannen. Diese unterschwellige Anspannung, die er die ganze Zeit bei ihr gespürt hatte, brach sich nun ihren Weg hinaus,- es war Furcht und Verzweiflung gewesen wie er jetzt erkannte, als ihre hellen Augen ihn durch den Schleier ihrer mühsam zurückgehaltenen Tränen fixierten. »Und was ist mit mir?! I-ich habe Angst, dass dir etwas zustoßen könnte, Loki…« stolperten die Worte brüchig aus ihrem Mund. »Ich habe Angst, dass du verletzt werden könntest…u-und ich dann nicht da bin, um dir zu helfen…dass ich gar nichts tun kann…dass ich hier warten muss, während du in Gefahr schwebst…« Ihre Stimme wurde immer gebrechlicher und ein einzelner, feuchter Tropfen zog seine nasse Spur über ihre Wange, heimtückisch schimmernd im Schein der Kerzen. »Du hast einst zu mir gesagt, dass ich mit dir komme, egal, wo du hingehst. Wo ich bin, da wirst auch du sein,- genau das hast du gesagt. Zuerst haben mich deine Worte aufgeregt, aber jetzt…j-jetzt kannst du mich nicht einfach hierlassen. I-ich habe Angst, dass ich dich vielleicht nie wiedersehen werde…ich weiß, dass du gehen musst, aber….ich will es nicht…ich will nicht, dass du gehst, Loki…« bekannte sie in einem heiseren Wispern und schlang die Arme um sich selbst auf der Suche nach Wärme und Trost. »Gwen…« Loki richtete sich ruckartig auf und überbrückte die Distanz zwischen ihnen mit wenigen Schritten, um sie ohne Zögern in die Arme zu schließen,- er fing sie im schützenden Kreis seiner Umarmung, presste sie an sich, um ihr den Halt zu geben, den er selbst nicht weniger benötigte. Er spürte ihr trommelndes Herz an seiner Brust, als sie sich sofort an ihn schmiegte und das Gesicht an seiner Schulter barg. Ihre kleinen Fäuste krallten sich in das Leder auf seinem Rücken, als ein merkliches Beben durch ihren Körper rollte. Doch war sie eigenartig still und beherrscht, die erwartete Flut an Tränen blieb aus, als wäre seine Nähe am Ende das gewesen, was sie wirklich gebraucht hatte. Loki verspürte ihren leicht abgehackten Atem an der empfindlichen Seite seines Halses und die verkrampfte Anspannung in ihren Gliedern, die dort noch nicht immer gewesen war,- ihre Schwäche überraschte ihn nicht, denn sie hatte für einen Menschen wirklich viel durchgemacht und er war weit über den Punkt hinaus, wo er sie dafür als schwach gescholten hätte. Was ihn wirklich überraschte und schlucken ließ, einen Schock durch seine Venen jagte - als er vorsichtig über den Stoff auf ihrem Rücken strich und jede Masche des groben Materials erfühlte - war ihre Sorge um ihn,- diese unverblümte Offenheit, ihre Angst vor Verlust, dieses unbeschönigte Geständnis, wie wichtig er ihr geworden war. Er hätte niemals erwartet, dass gerade sie - eine Sterbliche - solche Angst wegen dem Umstand empfinden würde, dass er sterben könnte. Darüber hatte sie sich also wirklich den Kopf zerbrochen; über die Möglichkeit eines für immer währenden Abschiedes, die er in seinen Gedanken bisher gar nicht zugelassen hatte. Ihre Wut und Enttäuschung hätte er abblocken können, damit wusste er umzugehen, war geübt darin,- doch diese Zuneigung war wie eine Waffe, die er noch nicht zu parieren wusste,- sie traf ihn unvorbereitet in genau diese winzigen, verborgenen Winkel seines Wesens, die noch unverdorben und rein von Machthunger und falschem Ehrgeiz waren; die er sein ganzes Leben über tief vergraben hatte, um die nötige Härte und Entschlossenheit zu repräsentieren. »Du solltest eigentlich wissen, dass mich so schnell nichts umbringt…« raunte er beschwichtigend, während er das Kinn mit einem kleinen Seufzen auf ihr Haupt senkte und eine Hand zu ihrem Nacken schickte, um die Finger dort sanft in ihre Haare zu graben; sie erschauderte unter seiner Berührung,- ein wohliges Ausatmen traf seinen Hals und ließ ihre Anspannung fahren. »Du ebenso…« nuschelte sie in schwachem Trotz gegen seine Haut. Lokis Mundwinkel zuckten schwach. »Ich weiß…« Tatsächlich war dies keine leere Phrase,- er hatte die Stärke der Menschen, ihre Willenskraft und ihren festen Glauben durch Gwen wirklich kennengelernt. Wenn sie es schafften ihre hektische Kleingeistigkeit abzustreifen, dann waren sie zu wirklich Großem fähig. »Aber Thor und sein Plan werden dieses Mal meiner ganzen Aufmerksamkeit bedürfen. Und ich fürchte, er wird nur die Hälfte davon bekommen, wenn du dabei bist…« hauchte er in einem vielsagenden Flüstern weich gegen ihr Ohr, nachdem er seinen Kopf geneigt und die Wange leicht in ihr Haar geschmiegt hatte. Ihr Duft war bereits berauschend vertraut. »Sei ohne Sorge. Ich werde wiederkommen.« Gwen schwieg einen langen Moment, bevor sie sich ein wenig von ihm löste und das Gesicht zaghaft drehte, damit sie ihn ansehen konnte; ihre hellen Augen hatten sich auf prüfende Weise geschmälert. »Und das soll ich dem Gott der Lügen glauben…?!« murmelte sie nicht recht überzeugt, doch der winzige, schimmernde Funken Zuversicht erwachte wieder in ihren Seelenspiegeln und vertrieb die matte Hoffnungslosigkeit. Ihre Lippen zeigten die Ahnung eines spöttischen Schmunzelns; kraftlos und kaum wahrnehmbar, doch Loki vermochte es zu sehen. Unvermittelt verspürte er ihre zarten Finger an seiner Wange, als sie eine Hand hob und diese in einem weichen Streifen auf seiner Haut bettete. Sie schützte ihn in dieser besorgten, liebevollen Geste und es war bereits zu spät, als er bemerkte, dass er sich in ihre Berührung schmiegte. »Nicht nur Thor sieht erledigt aus…« gab sie flüsternd zu bedenken; ihr Mitgefühl fühlte sich so richtig und aufrichtig an, wärmte ihn auf eine eigentümliche Art und Weise, die ihn nicht abstieß, wie Sorge es so oft getan hatte. »Ich werde zurückkehren, Gwendolyn…« Der Magier löste ihre Hand von seiner Rüstung und zog jene an seine Brust, platzierte ihre bleichen Finger auf der Stelle seines Herzens, welches unter dem Leder nicht weniger heftig schlug als ihres; zuerst war ihr Blick seiner Geste gefolgt, doch nun musste sie verspüren, dass mehr Wirklichkeit in seinen Worten lag, als sie wohl vermutet hatte,- ihr Fokus flog wieder zu ihm hinauf und der kleine Funke ihrer sprühenden, vertrauensvollen Seele wurde zu der Geburt einer Sonne in dem flüssigen Silber ihrer Augen. »Es ist die Wahrheit. Ich verspreche es dir.« raunte er mit der Wärme und Ehrlichkeit eines Schwurs; sein Blick war aufrichtig und kein verhaltenes Schmunzeln begleitete seine Worte,- seit langem meinte er etwas auch wieder so, wie er es sagte. »Dafür musst du mir versprechen hierzubleiben.« Loki wollte wirklich zurückkehren, denn sein Verlangen nach Flucht war merklich abgedämpft. Er sah eine Zukunft für sich,- noch war sie weit entfernt, wie der Umriss des heimatlichen Hafens am Horizont für einen Wiederkehrenden - doch er wusste, dass sie da war. Die Möglichkeit für einen Neubeginn, dem Schicksal eine ganz andere Richtung zu geben, war da,- die Steine dieses Weges waren bereits vorhanden und Gwen war wie das Licht, was ihn aus der Dunkelheit heraus geleitet und zu diesem Pfad geführt hatte. Der Magier erkannte, dass sie wahrlich aneinander gebunden waren,- durch Fleisch und Blut, Schicksal und ihre gemeinsamen Erlebnisse hindurch; sie war die Kehrseite seiner Medaille und der Anstoß, die richtigen Antriebe zu mobilisieren und den härteren Weg zu gehen. Gwendolyn zog die Unterlippe ergeben zwischen die Zähne, bevor sie ein kleines Nicken sehen ließ und die Finger behutsam über den Rand seines Kiefers schob, um ihn so zu sich herunterziehen zu können; Loki kam ihrer Forderung bereitwillig entgegen, neigte den Kopf und empfing ihre leicht zitternden Lippen in einem weichen Kuss. Diese Berührung schien ihre letzten Widerstände und Zweifel hinfort zu spülen, denn sie ließ sich ohne Zögern in den trägen Rhythmus fallen, in welchem er ihren Mund eroberte; ihre Hand weilte dabei weiter auf dem Leder über seinem Herzen, als bräuchte sie die spürbare Versicherung, dass dies kein Traum und seine Worte ihn ihr tatsächlich zurückbringen würden. Die Hingabe, die Sinnlichkeit, wie sie sich seiner Nähe und seinen Berührungen ergab und diese genoss, war für Loki immer wieder aufs Neue faszinierend und fesselnd zugleich; alles in ihren Küssen, in ihrem getauschten Atem war wirklich und unverfälscht,- jeder Augenblick richtig und ohne Fragen, so neu und doch so vertraut, dass es ihm so leicht wie sonst kaum fiel, jegliche Gedanken auszublenden - seinen Kopf zu leeren, seinem Körper und seinem Herzen die Führung zu überlassen. Er wusste, dass er sich das bewahren wollte,- dass er sich Gwendolyn bewahren wollte; nicht nur ihre Gegenwart, sondern ihr freiwilliges Bleiben an seiner Seite. Denn ihre Nähe brachte die flüchtige Ahnung von Zufriedenheit in sein hartes Wesen zurück... Der Magier löste die innige Verbindung ihrer Lippen langsam und öffnete die Augen wieder; lehnte seine Stirn an jene der Sterblichen, die unter flatternden Lidern zu ihm aufsah. Ihr Atemhauch vermischte sich noch mit seinem, wie auch ihre Hände sich nicht bewegt hatten, als wollten sie den jeweils anderen nicht aus ihrer Nähe entlassen. Eine ganze Weile standen sie still beisammen und zögerten den Abschied so weit wie möglich hinaus,- fingen jedes Sandkorn der Zeit in ihren Händen, um sich Raum für die Akzeptanz der unabwendbaren Dinge zu schaffen. »Ich werde aber nicht ewig auf dich warten…« begann Gwendolyn nun zaghaft, legte trotzige Entschlossenheit in ihre Stimme. »Und wenn du nicht wiederkommen solltest, dann kannst du dir sicher sein, dass ich dich suchen werde, um dich persönlich umzubringen, Loki Laufeyson…« drohte sie ihm fadenscheinig. Lokis Mundwinkel zuckten ohne sein Zutun in die Höhe, während er eine Hand über ihre Wange streifen ließ und sein Daumen die Reste der vereinzelten Tränen aufnahm, bevor er ihre Finger auf seiner Brust umfing und an seine Lippen zog, um ihre kühlen Fingerspitzen mit seinem warmen Atem und einem federleichten Kuss zu wärmen. »Ich hoffe es…« forderte er sie mit einem scherzhaften, weichen Grinsen heraus,- einen Augenblick hielt sie die unnachgiebige Fassade aufrecht, bevor sie sich seinen blitzenden Augen ergab und die Lippen zu einem ergebenen Schmunzeln verzog. »Ich möchte, dass du hier in meinem Zimmer einziehst, nachdem ich gegangen bin.« gab er einem plötzlichen Einfall Raum,- irgendwie gefiel ihm die Vorstellung, dass sie in seinem Bett schlafen würde und er wähnte sie hier sicherer als irgendwo anders. »Du kannst dich frei bewegen und alles nutzen. Vielleicht kannst du mir sogar einen Dienst erweisen und meine Bücher in der Zwischenzeit nach nützlichen Hinweisen für eine Seelenwanderung durchsuchen. Das ist ein Zauber, den wir vielleicht gegen Malekith nutzen können.« schlug er ihr vor. »Nur, wenn du möchtest natürlich…« fügte er nachgiebig an und hob fragend eine Braue. Gwendolyn blinzelte ihn überrascht an und schien verblüfft von seinem Angebot,- ihr war wohl klar, dass dies ein unheimlich großes Zugeständnis darstellte. Dann räusperte sie sich und nickte hastig. »Ja, okay. Natürlich. Gern…wenn du das willst.« Sie schien froh darüber, eine Aufgabe zu bekommen und dass die Aussicht auf tatenloses Herumsitzen damit vom Tisch war. Das schien sie um ein Stück weit auch über die Tatsache zu besänftigen, dass er ohne sie gehen würde. »Und halte dich in der Zwischenzeit von Freya fern…« riet er ihr ernst; solange er nicht mit Sicherheit wusste, was mit der Vanin los war, war es besser, wenn Gwen nicht in näheren Kontakt zu ihr trat. Loki befürchtete, dass die Magierin die Kraftquelle in der Sterblichen spüren würde und er konnte noch nicht recht einschätzen, was Freya dann mit diesem Wissen anfangen würde. Gwen verzog missmutig die Lippen. »Das hättest du mir nicht extra sagen müssen. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass wir die besten Freundinnen werden…« murmelte sie ironisch. Der Magier schmunzelte leicht und drückte ihre Hände noch einmal, bevor er ihre Finger ziehen ließ und einen Schritt zurücktrat. »Dann werde ich mich jetzt für den Aufbruch vorbereiten.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)