The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Kapitel 20: Schnee und Sterne ----------------------------- Völlig verzaubert. So hätte man Gwens Zustand wohl am besten beschreiben können. Ein Blick auf den Wecker des Nachttisches informierte sie flüchtig darüber, dass sie eigentlich schon vor einer guten Stunde aufstehen wollte, allerdings hatte sich dieses Vorhaben in eine unerwartet schwierige Mission verwandelt, an der sie zu diesem Zeitpunkt kläglich scheiterte und sich die Zähne ausbiss. Ihre Augen kehrten wie durch Magie gefesselt zu ihrem Anker zurück, der den Kissen eine verlockende Anziehungskraft verlieh und das unüberwindbare Hindernis ihres Vorhabens darstellte, die Beine aus dem Bett zu schwingen - Loki. Gleich nach dem Aufwachen war sein Gesicht das Erste gewesen, was Gwen gesehen hatte; seine bereits so seltsam vertrauten Züge, die völlig entspannt und maskenlos offenbart vor ihr lagen. Denn der Magier schlief. Das war das erste Mal, dass Gwen Loki schlafend sah; dass sie sah, wie er sich fallen ließ, sich schutzlos gab, Kontrolle abtrat. Nie zuvor hatte er sich in ihrer Nähe so verletzlich gezeigt und auch sonst niemanden gegenüber; sie hatte sich schon gefragt, ob Götter eigentlich nie schlafen mussten. Doch Gwen konnte sich vorstellen, dass gerade dieser schutzlose Zustand den Gott eine arge Überwindung kostete, denn im Schlaf konnte man keine Illusionen aufrecht erhalten, keine Lügen spinnen und keine Masken bewahren - man wurde reduziert auf die urtümliche Essenz des eigenen Seins, unverfälscht und ehrlich. Sie ahnte, dass dies ein höheres Maß an Vertrauen darstellte, als er ihr jemals in Worten hätte vermitteln können und ihre Seele erwärmte sich unter dieser Erkenntnis, dass die Mauern zwischen ihnen endlich zerbrochen schienen. Nicht mehr Gott und Mensch, sondern Mann und Frau - gleichberechtigt und ebenbürtig, beide verletzlich, beide nicht unfehlbar und beide hingen sie an ihrem Leben, mit allem was dazu zählt. Lokis Arm lag noch immer um sie geschlungen und drückte sie an seine Brust; eine warme Brust, auf der ihre Hand lag, unter welcher sein Herz in ruhigen, gleichmäßigen Schlägen von seiner Existenz kündete - eine Existenz, für die Gwen erneut tiefgehende Dankbarkeit empfand. Sie hatte nicht gelogen, als sie diese Worte am gestrigen Abend zu Loki gesagt hatte. Es war ihr Ernst gewesen; sie konnte sich eine Welt, ein Universum, ohne ihn einfach nicht vorstellen. Wenngleich andere diese Möglichkeit womöglich mit Jubelrufen begrüßt hätten, ihr schnürte es bei diesem Gedanken die Kehle zu. Wie verloren er gestern Abend gewirkt hatte...wie einsam…wie verletzt… Gwens Hand hob sich langsam und sehr vorsichtig von dem Stoff seines Hemdes; einen Moment schwebten ihre Finger unschlüssig vor seinem Gesicht und sie zögerte, ihn zu berühren, da sie Angst hatte, ihn zu wecken, doch schlussendlich konnte sie ihrem inneren Drängen nicht länger widerstehen. Sie musste ihn einfach fühlen. Sich versichern, dass er wirklich hier war. Kein Traum. Keine Einbildung. Zaghaft bettete sie ihre Fingerspitzen auf seiner Stirn, spürte die glatte, warme Haut, die feinen, dunklen Härchen, als sie seine Braue streifte; Loki hob jene sachte im Schlaf an, als würde sein Unterbewusstsein ihre Berührung wahrnehmen und jene versuchen zuzuordnen. Ihre Finger glitten weiter über sein Gesicht; langsam, vorsichtig und unendlich sanft, denn nichts anderes verdiente er - Loki war im Inneren wesentlich zerbrechlicher, als er nach außen immer vorgab zu sein. Gwen hatte es am Abend zuvor erlebt, wie seine Gefühle die Oberhand ergriffen und sie in seine Gedanken und Empfindungen eingeweiht hatten. Der Magier hatte ihr ein unglaubliches Maß an Vertrauen entgegen gebracht, indem er sie einen Blick in seine Vergangenheit und auf seine Verbrechen hatte werfen lassen. Obwohl es keine Berührungen außer dieses fast schüchternen Kusses gestern zwischen ihnen gegeben hatte, so hatte sie sich Loki doch verbundener gefühlt als jemals zuvor. Diese Verbundenheit hatte auf einer Ebene stattgefunden, die nichts Sexuelles, nichts Körperliches an sich gehabt hatte - eine Ebene, die unbegreiflich emotional war, nah an der Seele, voller Gefühle, unverfälscht von äußerlichen Einflüssen. Gwen hätte sich am Ende nichts Schöneres vorstellen können, als in seinen Armen einzuschlafen. Ihre Fingerspitze strich nun über diese tief eingegrabene Falte zwischen seinen Brauen, die selbst im Schlaf nicht weichen wollte und ihr ein sanftes Schmunzeln entlockte, da sie sich seines ausgeprägten Mienenspiels erinnerte; weiter glitt ihr Finger über die lange Gerade seiner Nase nach unten, die sich unter der Berührung kräuselte. Ihre Hand wanderte seitlich über seine Wange, die scharf begrenzten Wangenknochen bis hin zu seinen Ohren, deren Wölbung sie sachte entlangfuhr, bevor sie ihm ein paar gelöste Strähnen dahinter zurückstrich, um das Bild von kontrollierter Ordnung wieder herzustellen, worauf Loki scheinbar so hohen Wert legte. Gwen merkte gar nicht, wie sie sich in dieser Tätigkeit verlor; wie ihre Finger jede Linie seines einzigartigen Gesichtes nachzeichneten, als müsste sie sich diese gewissenhaft einprägen wie eine Blinde die gestanzte Schrift eines unglaublich wichtigen Buches. Sie betrachtete ihre Finger versonnen, begleitete diese auf ihrem Weg, saugte jedes Detail von Lokis Antlitz in ihr Gedächtnis, ihr Herz auf, um dieses seltene Bild eines verletzlichen, maskenlosen Gottes darin einzuschließen und zu bewahren. Sie selbst hatte eine Hand unter ihrem Kopf gebettet und schmiegte sich gegen den großen, schlanken Körper an ihrer Seite; Lokis Wärme drang durch ihre Kleidung und hüllte sie in einen schützenden Kokon aus Geborgenheit. Faszination. Gwen war völlig fasziniert von dem Magier; von dem Mann Loki, der so viele Fassetten aufwies wie ein Kristall, der das Licht in allen Farben des Spektrums brach - wunderschön und doch so fragil und zerbrechlich, dass es nicht viel benötigte, um ihm einen Riss beizufügen und seine Schönheit zu zerstören. Genauso musste man Loki behandeln; vorsichtig, sanft, denn alles andere würde ihn vernichten können in seiner feinen Seelengestalt, die er hinter Mauern aus Eis schützte… So hart und beherrscht er stets nach außen wirkte, so verwundbar war er doch in seinem Kern; Gwen wollte seine Seele und sein Wesen beschützen, seit sie diesen außergewöhnlichen Blick darauf erhascht und erkannt hatte, dass nicht alles an Loki nur zerstörerische Wut und bedrohlich flackernder Wahnsinn war. Der Magier war menschlicher, als er selbst zugeben wollte; er hatte menschlich gehandelt und in seiner Verzweiflung nach einem Strohhalm gegriffen, den man ihm verlockend geboten hatte. Er hatte sich von den falschen Versprechungen anleiten lassen. Thanos… Gwen erschauderte jetzt noch unter diesem fremden Namen, der selbst durch die Weiten des Alls bedrohlich klang, als konnten alle unendlichen Meilen des Universums zwischen ihnen eigentlich nie genug Abstand sein. Sie wusste selbst, wie schnell man einen falschen Pfad beschreiten konnte; kannte diese Verirrungen aus ihrer eigenen Vergangenheit, wenn trügerische, verheißungsvolle Worte in ein verzweifeltes Herz sickerten wie klebriger Honig, der das rationale Denken verklebte und alles in sein süßes Gold des Vergessens hüllte. Jetzt konnte Gwen das große Ganze hinter Lokis Verbrechen verstehen; das Bild komplett erfassen, von dem sie bisher nur einen kleinen Teil wirklich hatte einsehen können - nur die Ereignisse auf der Erde, nur die Sichtweise der Menschen auf einen Gott, der wie eine Naturgewalt über sie gekommen war. Doch das war nur ein Bruchstück der Geschichte und obwohl Gwen seine Verfehlungen und Verbrechen natürlich nicht ungeschehen machen oder vergessen konnte, so erkannte sie doch, dass selbst ein Gott nicht unfehlbar war und ihm Vergebung gebührte; die Chance darauf musste ihm eingeräumt werden, da er seine Fehler im Grunde seines Herzens durchaus erkannte. Die Möglichkeit auf eine Zukunft durfte ihm nicht wegen der falschen Entscheidungen seiner Vergangenheit genommen werden - Loki musste die Möglichkeit bekommen, seine Taten wieder gutzumachen. Und sie wollte an seiner Seite stehen und ihm die Kraft dafür geben, so er sie lassen würde… Gwen wurde sich ihres verträumten Lächelns bewusst, als ihre Hand federleicht die Seite von Lokis Hals hinabwanderte, seinen Pulsschlag unter ihren Fingern ertastete, bevor sich ihre Handfläche dort weich niederlegte und ihre Fingerspitzen über die Kante seines Kiefers strichen. Ihr Daumen streifte den Rand seiner Unterlippe. Okay, Schluss mit Ausflüchten. Jetzt, im Licht des Morgens, welches zaghaft durch die Fensterläden auf die beiden Gestalten im Bett fiel, konnte Gwen es sich auch offen eingestehen - sie benahm sich wie ein verknallter Teenager. Und sie fühlte sich auch so; federleicht in Lokis Nähe, gewärmt aus dem Inneren heraus, vollkommen auf eine Weise, die ihr noch immer unbegreiflich erschien. Vor allem ließ sich diese Sehnsucht in ihrer Brust kaum noch bändigen, welche sie näher an den Magier rücken ließ und ihre Venen unter einem beschleunigten Herzschlag erwärmte. Gwen stemmte sich nun ein wenig hoch und ließ den Daumen über Lokis so akkurat gezeichneten Kiefer gleiten; ihre Haare fielen über ihre Schultern und strichen leicht über das Stück entblößter Männerbrust, welches unter Lokis halb geschlossenem Hemd hervorblitzte. Sie beugte sich zu ihm hinab und befeuchtete sich nervös die Lippen, während ihre Finger zaghaft in seinen Nacken wanderten und die seidenweichen, dunklen Haare dort erfühlten. Wollte sie das wirklich tun? Wollte sie einem schlafenden Gott gerade wirklich hinterhältig einen Kuss stehlen? Gwen errötete unter ihrem Vorhaben und biss sich unsicher auf die Unterlippe; schlimm genug eigentlich, dass sie den Magier hier so hinterhältig betatschte, nun wollte sie ihn wirklich noch küssen? Ob das Loki gefallen würde, wenn er davon wüsste… Er würde es ja nicht erfahren. Und sie konnte sich der Verlockung einfach nicht widersetzen. Dieser Mann übte einfach eine zu magische Anziehungskraft auf sie aus und dafür musste er sich genau dieser überhaupt nicht bedienen. Ihre Mutter hatte recht gehabt mit ihren Worten und damit nur das bestätigt, was Gwen eh die ganze Zeit schon geahnt hatte; sie würde nirgendwo wieder einen Mann wie Loki finden. Er war einzigartig und nun, da sie so auf den Prinzen herabblickte, konnte sie sich eingestehen, dass sie wünschte, er würde ihr gehören. Ihre Lippen trafen in einem atemlosen Streifen vorsichtig auf die des Magiers; nur der Hauch einer bescheidenen Berührung, die sie sich gestattete, um ihn nicht zu wecken. Ihr Mund glitt langsam über die schmal daliegenden, reizenden Lippen, während sie die Augen schloss und dieses Gefühl in sich zu ergründen suchte, welches diese Berührung auslöste - und das Empfinden von Lokis Lippen an den ihren. Wie fern war ihr Wunsch? Wie unerreichbar, wie albern war er wirklich? Trotz aller Verbundenheit; Loki war noch immer ein Gott und sie nur ein Mensch, daran würde sich nie etwas ändern. Leider glich die Realität selten den traumhaften Märchen ihrer Kindheit, in denen sich am Ende immer alles zum Guten fügte und der Prinz seine Prinzessin auf einem Pferd mit in sein Reich nahm, wo sie glücklich bis an ihr Ende lebten. Die Realität war wesentlich komplizierter. Gwen hatte ihr Leben auf der Erde; hier war ihre Heimat, ihre Familie, ihre Freunde. Und Loki gehörte nach Asgard, ob er das nun einsah oder nicht; er gehörte an die Seite seines Bruders, zu seiner Mutter und an den Hof des Allvaters, denn dort wurde er gebraucht. Noch dazu war Gwen sterblich; ihre Lebensspanne war ein müder Wimpernschlag im Lebenslauf eines Gottes - ein Atemhauch nur und sie würde vergangen sein neben Lokis Existenz, die fast ewig weiterbestand. Wie sollten diese beiden Leben je miteinander zu verknüpfen sein? Wie sollte sie je Abschied von Loki nehmen, wenn allein der Gedanke daran schon irgendwie unerträglich war? Und über all diesen Überlegungen durfte sie eine wichtige Stimme in der ganzen Geschichte natürlich nicht ungehört lassen und vergessen - nämlich Lokis. Empfand er überhaupt etwas für sie und wenn ja, würde er sich das eingestehen können? Wäre ihm überhaupt daran gelegen, ihre Verbindung aufrecht zu erhalten oder wäre es am Ende keine große Sache für ihn, sie auf der Erde zurückzulassen? Was war sie eigentlich für ihn? Eine Freundin? Jemand, der zuhörte - eine Vertraute? Oder war da möglicherweise doch mehr? »Jetzt bist du aber nicht mehr allein…« Sie hatte ihm damit unbewusst ein Versprechen gegeben, doch würde sie das überhaupt halten können? Sie wollte es, doch wie sah es mit Loki aus? Hatte sie sich ihm womöglich mit ihrer offenen Art aufgedrängt? Sein Dank war ehrlich gewesen, dass hatte sie gespürt, doch vielleicht war er auch nur zu nett gewesen, um ihr in diesem Moment zu sagen, dass er gerade auf ihre Gesellschaft gar keinen Wert legte… Loki und „nett“?! Mädchen, wenn er auf dich pfeifen würde, dann hätte er es dir garantiert mitgeteilt. Loki hat es nicht so mit Rücksicht, you know?! Himmel, ihre ganze Bindung war furchtbar kompliziert. Gwens Lippen kosteten leicht von den Lippen des Prinzen, strichen die gesamte Länge seines Mundes versonnen nach; sie war so versunken in ihren Gedanken, dass sie anfangs kaum bemerkte, dass Lokis Lippen nicht länger still lagen, sondern sich unter ihren bewegten und das Ganze in einen träge, gemächlichen Kuss abänderten. Als sie sich dessen bewusst wurde, riss sie die Lider in die Höhe. Grüne, magisch funkelnde Augen sahen sie direkt an; ein belustigtes Glänzen im Schimmer der Morgensonne, die in einem weichen, hellen Streifen über Lokis Gesicht fiel, noch gefiltert durch die hölzernen Fensterläden. Erschrocken und beschämt zuckte Gwen von den Lippen des Magiers zurück und spürte bereits, wie sie hochrot anlief; siedend heiß schoss ihr die Wärme in die Wangen und ließ sie sicher leuchten wie eine Glühbirne bei Nacht. Verflucht, er war ja wach! »Oh Gott…« stieß sie peinlich berührt aus, ihre Stimme ein verlegenes, peinliches Quicken. Lokis Arm hielt sie allerdings in ihrer Rückwärtsbewegung auf; seine Hand presste sich auf ihren Steiß und drückte sie in seine Richtung zurück. »Anwesend…« wisperte er mit einer vom Schlaf angerauten Stimme, die wie ein prickelnder Regenschauer über ihre Haut zog. Ein träges Grinsen hob die Mundwinkel des Magiers leicht an; er demonstrierte wieder mal Verführung in seiner höchsten Form. »Scheiße…ich…ich dachte, du schläfst…ich…ähm…also…oh man, wie furchtbar…« Gwen wusste gar nicht, wo sie hingucken sollte, so unangenehm war ihr das Ganze. »Wie…wie lange bist du denn schon wach…?« krächzte sie mit der albernen Hoffnung, dass er nicht alles mitbekommen hatte. Sein Mund kräuselte sich noch weiter; er genoss ihre Verlegenheit offensichtlich in allen Zügen. »Lange genug…« Diese Stimme! Jede Silbe strich wie schwarzer Samt über ihre empfindlichen Körperstellen, so schien es zumindest. »Dein Handeln ist interessant. Mir gefällt deine morgendliche Begrüßung. Ich hoffe allerdings, dass du nicht jeden so aus dem Schlaf weckst?!« Eine Frage war es nicht wirklich und doch hatte Gwen flüchtig das Gefühl, dass Besitzanspruch wie ein Schatten durch seine leuchtenden Augen ziehen würde. »Ich…äh…was?! Nein, natürlich nicht!« begehrte sie sofort auf; ihre Hand hatte sie von seinem Nacken zurückgezogen und ruhte nun auf seiner stoffverhüllten Schulter, unter der sie die Kraft seiner Sehnen erahnen konnte. »Ich wollte dich auch eigentlich nicht wecken und…ja…ähm…also…tut mir lei-« »Mach weiter.« verlangte er in einem Ton, der viel Raum für allerlei Möglichkeiten ließ. Das Grinsen war von seinen Lippen fast gänzlich verschwunden, doch seine Augen hielten nicht darin inne, ihren Blick stetig zu fordern, so er weiterhin zu ihr aufsah. Gwen blinzelte verwirrt. »Bitte…was?« Sein Anspruch war überraschend und ihr Hirn zu schwerfällig, um den Sinn dahinter gleich zu erfassen. »Küss mich…« raunte er fordernd; verlangend auf jede erdenkliche Art und Weise - seine Züge vermittelten hoheitliche Entschlossenheit, die keinen Widerspruch dulden würde. Seine Augen hüllten sie beinahe in Feuer, nachdem schon seine Worte ihren Puls sofort in die Höhe gejagt hatten. Gut, eigentlich hatte Gwen so ihre Probleme mit Befehlen - allerdings sollte man einem Gott wohl seinen Willen lassen…und seine Anweisung kam den eigenen Gelüsten ja auch so verdammt liebenswürdig entgegen. Diesem Blick und diesen Worten - diesem Mann würde man in jenem Augenblick nicht widersprechen wollen. Gwen klappte der Mund für einen Atemzug verblüfft auf; ein Moment, in welchem sie in Lokis Augen nach einem Scherz oder einer List suchte, doch da war nichts - nur dieses zaghaft verhüllte Verlangen, welches aus den Tiefen seiner Augen aufstieg wie die Sonne hinter dem Horizont. Das schien wirklich sein Ernst zu sein. Langsam beugte Gwen sich wieder zu Loki hinunter, während ihre Finger Halt an seiner Schulter suchten, bevor ihre Lippen bebend auch schon wieder auf die des Magiers trafen, welche sich unter ihrer Berührung öffneten. Sein warmer Atemhauch war wie eine Verheißung und rief sie zu der feuchten Höhle seines Mundes. Flatternd sanken ihre Lider herab, während sie ein kleines, unkontrolliertes Seufzen ausstieß, unschuldig in seinem Ton; Lokis Mund kam ihren Bewegungen geschickt entgegen, anfänglich fast vorsichtig und quälend langsam, bevor ihre eigenen Lippen immer fordernder wurden, weil sie keine Geduld hatte. Ihr Puls hämmerte bis zu ihrem Hals hinauf; ein sinnliches Rauschen, welches ihren Kopf und ihr Denken so schrecklich leicht machte… Es benötigte wirklich nicht viel und sie stand in seiner Nähe erneut völlig in Flammen; es gab kaum etwas in ihrem Leben, was sie je so begehrt hatte. Eigentlich gab es gar nichts, wurde ihr eben bewusst - Loki bildete auch in dieser Sache eine einzigartige Ausnahme. Noch nie zuvor war sie so hungrig auf einen Mann gewesen, so erwartungsvoll auf seine Nähe und seine Berührungen. Gwen saugte die Unterlippe des Magiers zwischen ihre Zähne und entlockte ihm damit ein anziehend raues Grollen; allerdings beantwortete er ihr Wagnis nicht weniger sinnlich, indem er sie mit einem sanften Ruck an sich zog, sodass Gwen nun fast komplett auf ihm lag. Ihr Knie rutschte zwischen seine Beine; eine äußerst prekäre Situation, in welcher sie in die Verlegenheit kam, den köstlichen Widerstand seines Oberschenkels an ihrer Mitte zu verspüren. Überrascht keuchte sie auf und Loki nutzte das Öffnen ihrer Lippen, um seine Zunge einem erobernden Schlachtzug gleich in ihren Mund zu stoßen - er forderte nicht mehr, er nahm sich, was er wollte. Und Gwen zerschmolz unter dem Geschick seiner Zunge wie ein hilfloser Eisklumpen in der Sonne; sie war eigentlich nie der Typ für sonderlich lange Knutschereien gewesen, musste jetzt jedoch feststellen, dass es nur daran gelegen hatte, weil sie immer an die falschen Männer geraten war, die nichts von Technik oder Sinnlichkeit gewusst hatten… Bei dem Magier war das plötzlich völlig anders; Gwen hätte ewig an seinen Lippen hängen können, seine Zunge kosten, seine Lippen schmecken - an ihnen saugen, lecken, beißen. Mit einem Mal schien es so viele Möglichkeiten zu geben, was man mit einem Mund alles anstellen konnte und sie verspürte eine nagende, flüchtige Eifersucht auf all diese gesichtslosen Schönheiten, an denen der Magier das in der Vergangenheit wahrscheinlich erprobt hatte… Vehement schob sie diesen störenden Gedanken von sich. Loki plünderte ihren Mund in einem moderaten Tempo, was Gwen fast wahnsinnig machte; seine Hand auf ihrem Steiß bewegte sich langsam - Finger für Finger glitt unter den Saum ihres Shirts und zog jenes träge nach oben, als seine Hand ihre Wirbelsäule hinaufwanderten und den Stoff dabei mit sich führten. Gwen schwor, dass sie sich jedem Wirbel ihres Rückgrats bewusst wurde, als seine warme Hand über ihre Haut glitt; Hitze entstand unter seinen Fingern, floss den Rücken hinab, um sich zwischen ihren Beinen zu sammeln. Dort erwachte ihr Geschlecht fühlbar und Gwen rieb sich in einer unbewusst genüsslichen Bewegung an Lokis Oberschenkel; eine Regung, die ihm wie ihr ein kleines, zittriges Keuchen entlockte, denn ihre Hüfte traf auf die erwachende, männliche Härte in seiner Hose, die sich spürbar gegen ihr Becken drängte. Lokis freie Hand ergriff ihre Finger auf seiner Schulter und löste jene dort aus dem Stoff, nur um sie herab zu dem ersten geschlossenen Knopf seines Hemdes zu ziehen; dort drückte er ihre Hand nieder, gab ihr eine Weisung, die sie mit rasendem Herzen befolgte. Zittrige Finger nestelten fahrig an dem Knopf und öffneten diesen, während Lokis Hand über ihren Arm nach oben wanderte, ihre Schulter mit Wärme überzog und sich dann in das Haar ihres Hinterkopfs grub. Er zog sie noch tiefer in den Kuss, drückte seinen Mund in einer spürbaren Gier gegen ihre Lippen, der Gwen nicht viel entgegnen konnte; ihre Zunge versuchte seiner Stand zu halten in diesem schwindelerregenden Tanz, den sie aufführten. Seine Hand auf ihrem Rücken war am oberen Ende ihrer Wirbelsäule angelangt und strich dort begehrlich über ihre Schulterblätter, während Gwen fast an der Aufgabe erstarben, Lokis Hemd zu öffnen; eigentlich nicht schnell genug konnte sie seine blasse Haut freilegen, doch ihre Finger gehorchten nicht jeder ihrer Weisungen. Ihr Körper bebte, konnte es kaum erwarten, sich den urtümlichen Gelüsten einer Vereinigung hinzugeben. Sie wollte Loki immer noch so sehr, dass es schon fast schmerzte; ein angespanntes Ziehen in ihren Brustwarzen, in ihrem Unterleib, der sich hitzig und instinktiv gegen den Magier drängte - eine brodelnde Gier, die bisher noch immer keine Linderung gefunden hatte. Atemlos löste sie ihren Kuss und beobachtete ehrfürchtig, wie Loki sich in einer genüsslichen, unbewussten Geste die Lippen leckte; seine Augen glühten förmlich zu ihr auf, seine Nasenflügel blähten sich unter beschleunigten Atemzügen, die sein Herz verlangte, welches merklich gegen Gwens Hand trommelte. Sie kämpfte noch immer hochrot mit den kleinen, bockigen Knöpfen seines Hemdes und fluchte verhalten, was dem Magier ein sinnliches Grinsen entlockte. Sie konnte sehen, dass er sich in ihrer Lust sonnte; Loki genoss ihr Verlangen nach ihm über alle Maßen, ohne dass er dies in seiner gewohnt göttlichen Süffisanz gezeigt hätte. Manchmal hatte Gwen fast das Gefühl, dass all das hier auch für ihn neu war, obwohl er keinesfalls unkundig in körperlichen Dingen anmutete - doch ihre weibliche Begierde nach ihm schien Neuland zu sein, was er nur zu gern erforschte…und Gwen hatte kein Problem damit, sein Forschungsgebiet darzustellen. Hungrig eroberte sie seine Lippen wieder - diese unendlich perfekten Lippen, die eigentlich viel zu süß und zu geschickt waren, um einem Gott der Lügen und Intrigen zu gehören; eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass alles an diesem Mann so verführerisch sein musste. Die Natur hatte ihm offenbar mit seinem Körper nur eine weitere Waffe des Schmeichelns und Verlockens geliefert. Lokis Hand löste sich aus ihrem Haar, rutschte über ihre Seite hinab und glitt über die bloßgelegte Haut ihres Rückens, bevor Gwen die Finger an ihrem Po fühlte, wo sich seine Hand über die Rundung spannte. Ein weiterer Ruck; seine Fingerspitzen schienen selbst durch den Stoff ihrer Hose zu glühen und jenen zu verbrennen, als er ihren Po packte und sie so noch näher an sich zog - an sich und seine inzwischen völlig erhärtete Körpermitte. Gwen schloss die Augen in einem erstickten Stöhnen und biss sich auf die Unterlippe, während ihre Finger den letzten Knopf seines Hemdes beinahe abrissen und ihre Handfläche danach endlich auf die nackte Haut seiner Brust traf. »Gwen!? Loki?! Seid ihr schon wach?« Das seichte Klopfen an der Tür drang erschreckend klar durch den Nebel ihrer Lust und ließ sie beide fast auseinander fahren; die gedämpfte Stimme von Gwens Mutter klang durch das Holz. Zum Glück war sie so diskret, die Tür geschlossen zu lassen. »Ich wollte nur fragen, ob ihr noch frühstücken wollt, bevor ihr fahrt? Es ist nämlich bald Mittag.« Gwen liebte ihre Mutter wirklich, aber in diesem Moment bewies Marian das denkbar ungünstigste Timing, was man sich nur vorstellen konnte. Unter einem frustrierten Aufstöhnen sank Gwens Stirn auf Lokis nackte Brust; das Feuer der Erregung war eben durch einen eiskalten Wassereimer erloschen. »Wir kommen, Mom…« rief sie hörbar, woraufhin sich die Schritte ihrer Mutter die Treppe hinab entfernten. »Das darf doch nicht wahr sein…« nuschelte sie gegen die Haut des Magiers, bevor sie den Kopf wieder hob und Loki entschuldigend ansah. Marian hatte mit ihrer Anwesenheit die Realität zurückgebracht, die Gwen die letzten Augenblicke über beharrlich und sehr erfolgreich verdrängt hatte; nun allerdings kam die Erinnerung zurück im Licht des Tages und ihr wurde wieder bewusst, was sie heute zu tun gedachten. »Tja…ähm…wir sollten dann vielleicht…« wisperte Gwen belegt und versuchte sich von Loki in die Höhe zu stemmen, obwohl ihre Hormone in die entgegengesetzte Richtung strebten. Außerdem hielt der Prinz sie weiterhin fest. »Du willst doch jetzt nicht wirklich gehen…« Seine Stimme vermittelte latente Enttäuschung; die Gleiche, die auch sie empfand. Er hob den Kopf aus den Kissen und strich mit seiner Nase an ihrer Halsseite entlang, bevor seine Lippen folgten, die sich beinahe schüchtern über ihre Haut tasteten. Seine Finger gruben sich weiter in das weiche Fleisch ihres Pos. Oh man, das war wirklich nicht förderlich… Eigentlich wollte sie alles andere, als jetzt gerade zu gehen. Loki hob sein Knie sanft an und presste seinen Schenkel in einem betörenden Streifen gegen ihre Mitte. Gwen erschauderte und schloss die Augen, um zumindest die visuelle Verführung auszublenden, die der Gott bot; keine wirklich gute Idee, da ihre Nervenenden so noch wesentlich empfindlicher waren und sie Lokis leicht raue Lippen viel zu gut verspürte. »Ich…äh…ja…nein, nicht wirklich, aber…wir haben nicht mehr viel Zeit…« flüsterte sie hastig und atemlos, bevor sie hart schluckte und den Magier mit einer Hand wieder auf das Bett zurückdrückte, was all ihre Kraftreserven kostete. »Deine Frist…« versuchte sie zumindest ins Gedächtnis zu rufen, dass ihnen ein Ultimatum im Nacken saß. Außerdem waren sie hier im Haus ihrer Eltern - und die Wände mehr als dünn. Genau wie ihre Selbstbeherrschung, die unter der beständigen Nähe des Magiers ziemlich porös geworden war… Loki sackte unter einem frustrierten Knurren in die Kissen zurück und schnaubte verächtlich. »Diese Frist ist mehr als lächerlich! Was wollen die Sterblichen schon tun?! Mich jagen? Mich wieder einsperren? Ich bitte dich…« Unzufrieden presste er die Lippen aufeinander und senkte die Brauen mürrisch. Die Stimme der Vernunft schien ihn ziemlich aufzuregen und Gwen konnte ihn verstehen. Loki wirkte regelrecht gereizt wegen der erneuten Unterbrechung ihrer Zweisamkeit und überraschte Gwen ein wenig mit seiner offenen Frustration; normalerweise hatte er sich immer hervorragend unter Kontrolle. Gwen beugte sich rasch zu ihm, bevor ihre Unsicherheit sie aufgehalten konnte und drückte dem Magier unter dessen verblüfftem Blick einen warmen, weichen Kuss auf die Lippen. Ihre Finger fuhren fast versöhnlich über seine Wange. »Allein die Vorstellung davon gefällt mir nicht, Loki.« flüsterte sie an seinem Mund. »Ich will dich weder verfolgt, noch wieder eingesperrt sehen. Halten wir uns einfach an die Frist, die dein Vater für uns rausgeschlagen hat…« Noch einen Augenblick sah sie ihn bedauernd an; jene Möglichkeiten beklagend, die wieder einmal ungenutzt an ihnen vorbeigezogen waren, bevor sie sich bewusst wurde, wie intim und vertraut sie eigentlich mit ihm umging. Vielleicht war das unpassend; vielleicht wollte Loki ihre Sorgen gar nicht und sie wollte ihn definitiv nicht mit ihrem Gesäusel nerven… Mit einem kleinen, verlegenen Räuspern rollte sich Gwen von ihm herunter und schnappte sich ihren Morgenmantel vom Nachttisch, bevor sie im angrenzenden Badezimmer verschwand. Nachdem die Tür hinter ihr zu gefallen war, lehnte sie sich kraftlos an das Holz im Rücken und schloss die Augen unter einem zittrigen Atemzug. Durch ihre Adern rollte noch immer das Echo der Begierde, ihre Knie waren schrecklich weich und ihre Lippen noch feucht von Lokis Küssen…und nicht nur die; ihr Körper glühte unbefriedigt zwischen ihren Beinen und ihr Höschen rieb unerträglich an ihrem geschwollenen Geschlecht. Versonnen zeichneten ihre Finger die Spur seines Mundes an ihrer Halsseite nach. Gwen verstand das Schicksal einfach nicht. Da gab es sich offenbar so viel Mühe damit, sie immer und immer wieder zusammenzuführen - vereinigte sie durch eine unsichtbare Verbindung, der kaum etwas widerstehen konnte - aber wenn sie sich zu nah kamen und dem brodelnden Verlangen in sich nachgeben wollten, wurde das verhindert. Verdammt nochmal, das war schlichtweg nicht fair! Aber vielleicht war es auch besser, gar nicht erst so weit zu gehen, denn Gwen hatte bereits so eine Ahnung, dass Sex mit Loki nicht einfach nur Sex sein würde; es wäre gewiss einzigartig und verzehrend, berauschend, magisch - es würde sie nur noch enger und näher an den Magier binden. Ein Abschied wäre für sie dann wahrscheinlich kaum noch vorstellbar. Aber der würde unweigerlich irgendwann kommen - daran war nichts zu ändern…auch wenn Gwen das überhaupt nicht wollte. Sie warf den Morgenmantel mit einem frustrierten Schnauben von sich und entschied sich für eine kalte Dusche, die sie hoffentlich wecken und erfolgreich abkühlen würde, um die Reste dieses brennenden Verlangens zu ersticken. Danach zog sie sich rasch frische Klamotten an und eilte in die Küche hinunter, um Loki das Bad zu überlassen und ihrer Mutter mit dem Essen zu helfen. Ihr Vater war mit Angel bereits im Garten und gerade dabei die Fensterläden wieder abzubauen; durch die Scheiben begrüßte sie nun der erste Schnee des Jahres, der sich als Vorbote des Winters allumfassend über der Gegend ausgebreitet hatte. Über Nacht war die Stadt in weiße, weiche Pracht gehüllt worden, die in ihrem märchenhaften Zauber kaum erahnen ließ, mit welcher Macht und Gewalt der Blizzard in den letzten Stunden über sie hinweg gefegt war. »Ihr habt Glück, der Sturm war nicht so schlimm wie vorausgesagt. Die Straßen sind weitestgehend schon wieder befahrbar.« begann Harry Lewis gerade, als er von draußen herein kam und sich die dicke Mütze vom Kopf zog. Er klopfte sich den Schnee vor der Haustür von den Stiefeln. Angel schüttelte sich die verirrten Flocken aus dem Fell und tapste dann ins Wohnzimmer zum Kamin. »Ich hab euch meinen alten Pick-up fahrtüchtig gemacht und Schneeketten aufgezogen. Mit dem teuren Gerät da draußen kommt ihr wahrscheinlich keine Meile weit in den Hills.« erklärte ihr Vater mit einem Schmunzeln und Deut auf den Maserati in der Einfahrt. Loki kam gerade die Treppen herunter und nickte Gwens Vater dankend zu, während er den letzten Knopf seines schwarzen Hemdes schloss. Der Mann konnte wirklich anziehen, was er wollte; er sah in allem fantastisch und edel aus, selbst in schlichten Jeans - so verführerisch, sodass Gwen ihre Küsse von vorhin wieder siedend heiß in Erinnerung kamen. Sie sah betreten auf das Brötchen vor sich und bemerkte erst zu spät, dass ihre Kaffeetasse bereits überlief, weil sie völlig abwesend zu viel Milch hineingekippt hatte … »Du meine Güte, Gwenny. Wo bist du denn mit deinen Gedanken?!« murmelte ihre Mutter kopfschüttelnd und war sogleich zur Stelle, um das Missgeschick aufzuwischen. Schmunzelnd warf Marian ihrer Tochter einen wissenden Blick zu, nachdem deren Augen erschrocken endlich von Loki abgelassen hatten. »Oh…Shit…sorry, Mom.« murmelte sie entschuldigend. Loki und sie stärkten sich mit einem schnellen Frühstück für ihre Fahrt, denn der Zeiger der Uhr verkündete bereits die vorgeschrittenen Stunden des Tages. Bis in die Barrow Hills wäre es nochmal ein gutes Stück, ganz abgesehen von den nicht wirklich einschätzbaren Straßenverhältnissen nach dem Blizzard. Der Winterdienst kümmerte sich zumeist nur um die Hauptstraßen. Ihr Dad drückte Gwen vor der Haustür den Schlüssel des Pick-ups in die Hand, während Angel wie ein treuer Wachposten neben ihr Stellung bezog. »Fahrt vorsichtig, ja? Du weißt, die Straßen sind bei Schnee oft tückisch.« erinnerte ihr Vater vorsorglich und umarmte seine Tochter noch einmal kurz, die in der dicken Fleecejacke steckte, welche sie von ihrer Mutter geliehen hatte. »Wir passen auf deinen kleinen Teufel auf, bis ihr wieder hier seid.« Marian erschien mit Winston in der Tür, der kläglich miaute und offenbar ein Problem damit hatte, schon wieder zurück gelassen zu werden. »Danke, Dad.« Gwen löste sich von ihrem Vater und wollte Angel wieder mit einem sanften Stubs ins Haus schieben, doch der Hund weigerte sich, von ihrer Seite zu weichen; alles schieben und locken half nichts, Angel hatte sich offenbar zu ihrem persönlichen Beschützer erklärt. »Tja, ihr müsst ihn wohl mitnehmen.« meinte ihr Vater mit einem entschuldigenden Blick auf Angel. »Vielleicht könnt ihr seine Spürnase ja noch gebrauchen.« Er schmunzelte und klopfte dem Hund sanft den Rücken. So saß Gwen nun am Steuer des alten, aber gepflegten Pick-ups, der sich tapfer mit Schneeketten über die teils zugewehten Straßen hinauf in die Hills kämpfte. Neben ihr lag Angel auf der Sitzbank; den Kopf zufrieden auf den Pfoten gebettet, während er sie aufmerksam beobachtete. Neben dem Hund hatte sich Loki den Rest der Bank erobert; seine langen Beine fanden in dem geräumigen Fahrerhaus endlich einmal genug Platz, sodass er sich bequem ausgestreckt hatte und seine Hand geistesabwesend durch Angels Fell strich. Der Hund kniff die Augen in Wohlwollen zusammen, während der Blick des Magiers hochkonzentriert auf die Straße gerichtet war; sein Gesicht war angespannt, scharf zeichneten sich seine hohen Wangenknochen unter der blassen Haut ab, seine Lippen bildeten eine strenge Linie. Der Wagen holperte durch eine hohe Schneewehe, was die Insassen kurz, aber heftig durchschüttelte. Angel hob alarmiert den Kopf und stellte die Ohren fast empört auf. »Sorry…« nuschelte Gwen und rückte die Brille auf ihrer Nase wieder zurecht. Sie selbst war durchaus nervös und dieser Zustand intensivierte sich, je weiter sie in die Hills vordrangen. In einigem Abstand hinter ihnen folgte wieder der Van von S.H.I.E.L.D; sie hatte Andrew gar nicht Bescheid sagen müssen, der Wagen klebte bereits wieder an ihnen, seit sie das Grundstück ihrer Eltern verlassen hatten. Wahrscheinlich waren sie die ganze Zeit beobachtet worden. Soviel zum Vertrauen - S.H.I.E.L.D hatte definitiv keines in Loki oder sie. An den Seiten der Straße erhoben sich nun mächtige Tannen und steile Klippen, die zu den Ausläufern der Berge umher gehörten; alles war von einer dichten Schneedecke überzogen, die unter den anhaltend kalten Winden des Nordens an vielen Stellen überfroren glitzerte. Ihre Fahrt ging nur schleppend bis schrittweise voran, zuweilen auch gar nicht, wenn sie erst warten mussten, bis ein blinkendes Fahrzeug des Winterdienstes wieder einen Teil der Strecke geräumt oder die Straße von umgestürzten Bäumen befreite, die den Lasten des Schnees nicht standgehalten hatten. Angespannt trommelte Gwen auf dem Lenkrad und kaute auf ihrer Unterlippe, während die Gedanken in ihrem Kopf unermüdlich ihre Kreise zogen und sie mit allerlei schwachsinnigen Überlegungen peinigten. Was würden sie beim alten Mason wohl finden? Würden sie überhaupt etwas finden? Hing der alte Mann wirklich mit ihrem Auftauchen zusammen oder war er vielleicht wirklich nur aus Zufall in dieser Nacht in der Stadt gewesen? Nie zuvor war sie dem Rätsel um ihre Herkunft näher gewesen und auch wenn sie unbestreitbar neugierig war, so konnte sie doch auch nicht leugnen, dass sie Angst hatte; Angst, etwas über sich herauszufinden, was ihr komplettes Leben nur noch komplizierter machen würde, als es ohnehin schon war. Außerdem war die Nähe zu Loki nervenaufreibend; zwischen ihnen schwebte die ungelöste Spannung ihres morgendlichen „Zusammentreffens“ noch greifbar in der Luft und Gwen fühlte sich innerlich aufgezogen - unruhig und unterschwellig erregt, da der Duft des Magiers die kleine Fahrerkabine des Pick-ups betörend füllte. Sie lenkte den Wagen an einer erneuten Schneewehe vorbei, die wie eine Landzunge über den Asphalt ragte und stellte dann die Heizung des Pick-ups aus, da ihr ohnehin warm genug war. Das monotone Fauchen der Lüftung verstummte. »Wirst du heute nach Asgard zurückkehren?« fragte sie Loki dann, nachdem sie den Wagen wieder in eine halbwegs gerade Spur auf der glatten Straße gebracht hatte. Der Talisman ihres Vaters, ein stilisierter Wolf, schwankte aufblitzend am Rückspiegel; ein Geschenk von Tahatan. Die Reflexionen der trüben Sonne, die sich kurz durch die schweren Schneewolken kämpfte, tanzten über Angels Fell und Lokis Gestalt. Der Magier sah aus dem Augenwinkel zu ihr herüber. Seine Antwort ließ ein wenig auf sich warten. »Vielleicht.« sprach er dann einsilbig. Ein verstohlenes, irgendwie beunruhigendes Grinsen flackerte über sein Gesicht. Gwen zog die Brauen kritisch zusammen und kräuselte die Nase. »Vielleicht?! Was soll das heißen?« In jenem Moment dämmerte ihr, was der Gott wahrscheinlich im Sinn hatte. »Du willst dich doch wohl nicht aus dem Staub machen?!« stieß sie fassungslos aus und sah empört zu ihm hinüber. Loki schien recht unbeeindruckt von ihrer Entrüstung; er hatte die Beine gelassen überkreuzt und die Arme in einer abwehrenden Haltung verschränkt, die seine äußerliche Ruhe lügen strafte. Gwen konnte seine angespannten Muskeln unter dem Stoff des Hemdes erahnen. Mit einem müden Grinsen sah er auf sie herab, als würde ihr Horizont nicht ausreichen, seine Gedanken zu erfassen. »In Asgard wird am Ende nur wieder meine Zelle auf mich warten.« klärte er sie sachlich auf. »Und - bei allem, was mir heilig ist und das ist bei weitem nicht viel - ich gehe nicht in diesen Käfig zurück.« Gwen sah ihn entgeistert an, bevor ihre Aufmerksamkeit von einer scharfen Kurve beansprucht wurde, die sich steil um den Berg schlängelte. »Du kannst doch gar nicht mit Sicherheit wissen, ob du wirklich wieder ins Gefängnis zurück musst…« begann sie zaghaft. »Stimmt. Vielleicht sollte ich warten, bis ich erneut in Asgards Kerker einsitze und mir dann Gedanken darüber machen?!« schlug er spöttisch vor und stieß die Luft in einem Schnauben aus. »Meinst du, wenn du abhaust, machst du es besser?! Dann landest du doch erst recht wieder im Gefängnis.« erklärte Gwen ihm eindringlich. Das fast teuflische Grinsen, was daraufhin seine Lippen teilte, war furchteinflößend. In seinen Augen glomm das Echo eines Wahnsinns, der noch lang nicht komplett kuriert war. »Dafür müssten sie mich erst einmal finden…« raunte er herablassend. »Loki…« versuchte es Gwen erneut. »…vielleicht werden deine Verbrechen noch mal neu verhandelt? Unter ganz anderen Gesichtspunkten. Warum sollte Odin dich wieder einsperren, wo du dich doch hilfsbereit gezeigt und für ihre Sache gekämpft hast? Das wäre doch schwachsinnig.« Immer wieder sah sie kurz zu ihm hinüber, versuchte seine Stimmung einzuschätzen, ohne dabei jedoch die Straße aus dem Blick zu lassen. Der Pick-up kämpfte sich weiterhin zuverlässig den schneebedeckten Asphalt in die Berge hinauf, während der Van von S.H.I.E.L.D hinter ihnen schon an manchen Stellen seine Schwierigkeiten gehabt hatte. Nun klebten dessen Scheinwerfer aber beharrlich an ihrer Stoßstange. Loki hob eine Braue in die Höhe und sah Gwen an, als müsste er einem Kleinkind die Welt erklären. »Weil er der Allvater ist. Odin wird niemals Gnade walten lassen. Das passt einfach nicht zu ihm.« Gwen schüttelte in Unverständnis den Kopf, bevor sie sarkastisch meinte: »Stimmt. Gnade passt nicht zu ihm, daher hat er auch ein Neugeborenes seiner Feinde vor dem Tod gerettet und in seiner Familie aufgenommen…« Lokis Augen blitzten gefährlich zu ihr herüber, doch sie fuhr unbeirrt fort: »Er hat sich bei Fury für dich eingesetzt. Du bist sein Sohn, denkst du nicht, dass du zu hart urteilst-« »Ich bin nicht sein Sohn!« zischte der Gott barsch und veranlasste Angel erneut, die Ohren wachsam zu spitzen. »Die alte Leier schon wieder…« murmelte Gwen entnervt, bevor sie den Magier nicht weniger aufgebracht anfuhr. »Er hat dich „Sohn“ genannt. Warum hat er das wohl gemacht?! Ich hab es dir schon mal gesagt - Familie ist nicht einfach nur Blutsverwandtschaft, sondern wesentlich mehr. Und überhaupt - wie soll es dann weitergehen? Willst du dich dein Leben lang verstecken? Willst du denn immer weglaufen?!« Wie konnte man nur so verbohrt sein?! Manchmal kam er ihr wirklich vor wie ein bockiges Pferd mit Scheuklappen; er wollte nur seine eigene Welt sehen und verschloss die Augen vor den so offensichtlichen Dingen um sich herum. »Du sagtest doch gestern Abend selbst, dass du schuldig bist. Es ist dir bewusst. Warum also weglaufen?! Stell dich doch deinen Fehlern und-« Gwen wurde abrupt unterbrochen, da Lokis Hand vorschnellte und die Aufschläge ihrer Jacke ergriff; er hatte sich zu ihr gebeugt und funkelte zornig auf sie herab. Ein vernichtender Blick, der eisige Spinnenfinger über ihr Rückgrat jagte. Angel richtete sich zwischen ihnen auf und grollte bedrohlich in der Kehle; eine Warnung für den Magier, der sich davon anscheinend nicht beeindrucken ließ. »Sei so klug und benutze den gestrigen Abend nicht gegen mich, Gwendolyn. Bilde dir bloß nicht ein, dass du mich jetzt kennst…« knurrte er ihr drohend entgegen, allerdings bemerkte sie das unsichere Glänzen in seinen grünen Augen; sie hätte es sich ja fast denken können, dass er jetzt ein Problem mit seiner Offenheit haben würde. Loki wusste, dass er sich damit verwundbar gemacht hatte, doch Gwen hatte langsam die Nase voll von seinen Spielchen und seiner Launenhaftigkeit; es war Selbstschutz und sie erkannte das mittlerweile, doch er musste endlich verstehen, dass er anderen damit wehtat. Sie befanden sich inzwischen auf einer Ebene, wo sie durchaus Klartext mit ihm reden konnte…und es auch musste. Aufgebracht schlug sie seine Hand von ihrer Jacke und sah ihn wütend und enttäuscht an. »Schon klar, Eure Hoheit. Eure Unnahbarkeit. Bloß keine Gefühle. Bloß keine ehrlichen Worte. Die Wahrheit ist ein hartes Brot, was selten schmeckt, nicht wahr?« gab sie ihm bissig entgegen. Beruhigend strich sie Angel über den Kopf und kraulte dem erregten Hund die Ohren, während sie selbst nun versöhnlichere Worte anschlug. »Man, Loki. Ich will gar nichts gegen dich benutzen, siehst du das denn nicht? Ich will einfach nicht, dass du dich selbst wieder ins Unglück stürzt. Außerdem braucht dich Odin. Und dein Bruder auch. Asgard braucht dich. Verdammt, ich glaube, das ganze Universum braucht dich. Und ich denke, dir wäre auch daran gelegen, sie alle nicht im Stich zu lassen. Wohin willst du denn fliehen, wenn Malekith gewinnt? Du wirst genauso vergehen wie alle anderen. Du bist doch sonst immer so logisch und klug, dann wirst du deine Zwickmühle ja auch selbst erkennen, oder?!« Loki zog sich langsam von ihr zurück und ließ sich wieder auf seinen Sitz zurückfallen. Sein Blick war schwer zu deuten, ebenso wie sein Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich kam es nicht oft vor, dass ihm jemand die Wahrheit so um die Ohren feuerte. Er wirkte, als würde er sie und ihre Worte genauestens sondieren und abwägen, ob er sie gleich oder später umbringen sollte… Dieser Mann war wirklich ein Wagnis in allem, was ihn ausmachte; er war pure Leidenschaft, aber auch eiskalte Berechnung, er war ehrenhaft und mutig, allerdings auch unkalkulierbar in seinen Absichten. Loki schwankte ständig zwischen den Extremen; in ihm vereinten sich Asgard und Jotunheim - zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein konnten und ihn doch beide geprägt hatten. Er war noch immer gefährlich, doch Gwen wurde das Gefühl nicht los, dass hinter seinen Aggressionen und verletzenden Worten eine angerissene Seele stand, die um Verständnis und Zugehörigkeit flehte. Nervös befeuchtete sie sich die Lippen und lenkte den Fokus wieder auf die Straße, beide Hände um das Lenkrad geklammert. Eben kamen sie an einem Truck-Stopp vorbei, der den vereinzelten Fahrern über Nacht eine Herberge geboten hatte; nun befreiten die Männer ihre LKWs von den frischen Schneelagen, während der Besitzer der Bar die Fensterläden von dem flachen Gebäude abmontierte. Hier und da blitzten bereits wieder die bunten Lichter der Reklametafeln durch den Schnee. »Verbau dir doch nicht die Chance auf eine Zukunft. Auf deine Familie, Loki. Jetzt hast du die Möglichkeit, deine Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen und gewissermaßen nochmal neu anzufangen. Verschwende sie nicht, nur weil du zu stolz bist. Es ist keine Schwäche, sich die eigenen Fehler einzugestehen und für Vergebung zu kämpfen. Im Gegenteil - das beweist wahre Größe.« Gwens Stimme war leiser geworden und sie suchte kurz seinen Blick. »Du würdest es irgendwann bereuen, es nicht zumindest versucht zu haben. Glaub mir.« Trotz der ernsten Situation musste sie flüchtig schmunzeln; ein Versuch, die angespannte Stimmung aufzulockern. Sie wollte eigentlich nicht mit Loki streiten, wenn die Möglichkeit eines Abschiedes in den nächsten Stunden bestand. »Gut, wenn Malekith erfolgreich ist und wir alle sterben, bereust du es wahrscheinlich nicht, aber das wäre der denkbar ungünstigste Fall…« sinnierte sie ironisch. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Lokis verhaltenes Lächeln; er senkte den Blick kurz, um sich wohl zu sammeln, bevor er ihr erklärte: »Du wirst aus erster Hand erfahren, ob ich es beklagen werde oder nicht. Denn egal, wo ich hingehe, du wirst mit mir kommen.« Seine Tonlage war gebieterisch und fordernd; eine Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Gwen hasste jegliche Art von Forderung bei Männern eigentlich über alle Maßen, aber bei Loki beschleunigte diese herrische Eröffnung ihren Puls - und das nicht, weil sie sich darüber empörte. Warum auch immer, er wollte sie bei sich behalten und damit hatte sie die Aussicht auf seine weitere Nähe. Auch wenn es selten dämlich war, darüber freudige Erregung zu verspüren, so konnte sie ihre Gefühle einfach schwer unterdrücken. Allerdings musste er das bestimmt nicht wissen. »Darf ich da vielleicht auch noch ein Wörtchen mitreden?« fragte sie mit kritisch gehobener Braue nach und versuchte ihre Stimme zumindest mürrisch klingen zu lassen. »Nein.« war seine sachliche Antwort. »Solange wir nicht wissen, wie wir Garm aufhalten können, wirst du eh in meiner Nähe bleiben müssen. Das heißt - wo ich bin, wirst auch du sein.« Oh, welch schreckliches Los. Noch dämlicher - Garms Verfolgung erschien ihr mit einem Mal gar nicht mehr so schlimm. Klar, der drohende Tod durch den Höllenhund ist natürlich ein annehmbares Risiko, um im Gegenzug den Gott weiter anschmachten zu können. Du bist völlig bescheuert, Gwen. »Ich glaube nicht, dass S.H.I.E.L.D mich so einfach gehen lassen wird…« gab sie zu bedenken und schielte flüchtig auf die ausgebreitete, abgewetzte Karte, die auf dem Armaturenbrett angepinnt war. Sie war schon lange nicht mehr in den Hills unterwegs gewesen. »Warum bist du in der Annahme, dass ich sie nach ihrer Meinung fragen werde?!« Lokis Lippen begegneten ihr wieder mit der altbekannten Überheblichkeit eines eiskalten, spöttischen Grinsens. Gwen seufzte schwer und schüttelte den Kopf. »Du scheinst Probleme wirklich zu lieben…kannst du eigentlich zufrieden sein, wenn dich mal gerade niemand hasst?« Loki würde die Frau behalten. Diesen Entschluss hatte er eben gefasst. »Jetzt bist du aber nicht mehr allein…« Er würde das Versprechen dieser Worte für sich einfordern; Gwendolyn würde ihn begleiten, ob sie das nun noch wollte oder nicht - egal, wo er hinging. Die Ungewissheit mit Garm spielte ihm dabei natürlich vorzüglich in die Hände, unterstützte seine Besitzgier und sein jämmerliches Herz, welches sich so unverständig für den Gott nach Nähe und Verständnis sehnte; nach der Nähe und Freundlichkeit dieser einen Menschenfrau, obwohl er sie noch immer so manches Mal in Unsicherheit grob von sich wies. Die Wahrheit war - er hatte Angst, denn er musste sich eingestehen, dass Gwen ihn inzwischen eigentlich viel zu gut kannte. Er hatte sie willentlich in sein Leben gelassen und sie war neugierig und entschlossen genug, um sich daraus nicht so einfach wieder verdrängen zu lassen. Sie war wie das Gewissen, das er irgendwann nahezu verloren hatte. Die Moral, welche sein Handeln von einem anderen Blickwinkel als dem eigenen beleuchtete. Sie war wie das fehlende Stück seiner Seele, welches ihn vielleicht besser machen konnte - das reine, gute Stück seines Selbst, welches er in seinem Wahnsinn verzweifelt und zornig abgestoßen hatte; dieser Teil, den Thanos gänzlich hatte zerschmettern wollen. Gwendolyn hörte ihm zu, allerdings war sie auch mutig genug, ihm die Stirn zu bieten und ihm seine Fehler aufzuzeigen. Sie verurteile nicht, sie hinterfragte. Sie resignierte nicht, sie suchte nach Lösungen. Sie verbog ihn nicht, sie akzeptierte. Und sie war die Einzige, der er das wohl jemals im Leben gewähren würde; der er so freien Zugriff auf sein Leben und seine Gedankenwelt offenbarte. Außerdem wollte er sie. Nicht nur an seiner Seite, sondern immer noch unter sich; die Gier nach ihrem Körper brodelte in ihm und er würde diese Flammen ersticken - nicht durch Selbstbeherrschung, sondern durch eine Vereinigung mit ihr. Er war nicht gewillt, diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen; er wollte mit ihr schlafen und er würde mit ihr schlafen. So einfach war das. Und bevor er seine Lust, sein Verlangen und diese Neugier auf sie nicht befriedigt hätte, würde sie nicht von ihm gehen. Nur einmal im Leben wollte er wissen wie es war, wirklich von einer Frau begehrt zu werden - und nach jener ebenso ehrlich und urtümlich zu verlangen; keine Heucheleien, kein Zwang, keine Unlust. Wenn man sein Leben lang die Maskeraden des Hofes gewohnt war und sich so hervorragend an das Spiel aus Intrigen und Macht angepasst hatte - sich selbst hinter den eigenen Masken manchmal nicht mehr erkannte, stellte diese ehrliche Zuneigung, diese unverfälschte, körperliche Lust eine Wohltat dar, die einen zu dem Ursprung seiner Selbst zurückführte. Wenn der Magier von Gwendolyn berührt wurde, wenn er ihr Seufzen hörte, ihre geröteten Wangen sah und die Lust in ihren Augen…dann fühlte er sich seltsam befreit. Dann war er nur Loki; kein Gott, kein Magier, kein Sünder, kein Eisriese, sondern ein Mann in den Augen einer Frau. Dieses kurzzeitige Vergessen musste er noch einmal erleben. Er musste es ganz erleben. Loki mochte Gwens Mutter eigentlich ganz gern - sie war angenehm für eine Sterbliche, doch heute Morgen war er durchaus einen Augenblick versucht gewesen, einen Feuerball durch die Zimmertür zu donnern, um diese ungewollte Störung auszulöschen. Noch jetzt verspürte er ein lustvolles Ziehen in der Lendengegend bei der Erinnerung an den Morgen und war selbst überrascht, wie empfindsam und heiß sein Körper doch werden konnte; es hatte ihn nicht einmal sonderlich gestört, dass er plötzlich fern ab von klarem Denken und so albern triebgesteuert gewesen war. Was er bei Fandral und Thor vor Jahren noch immer müde belächelt hatte, passierte ihm nun selbst; in Gegenwart einer Frau verabschiedete sich sein Hirn, dafür wurde sein Körper umso empfindsamer und gebieterischer - eine befehlende Stimme, ein zwanghafter Drang, dem man einfach nicht widerstehen konnte. Was hatte sich Gwendolyn auch dabei gedacht, ihn einfach so zu berühren; so sanft, so vorsichtig und so liebevoll, dass ihm jegliche bissige Worte in der Kehle stecken geblieben waren. Loki war unter ihren Berührungen erwacht und was er anfänglich als zauberhaften Traum gewähnt hatte, hatte sich als nicht weniger magische Realität herausgestellt. Der Magier war neugierig gewesen, was sie wohl vorhatte und noch wagen würde, daher hatte er sich weiterhin schlafend gestellt; als ihre Lippen jedoch seine aufgesucht hatten, war es um diese Farce geschehen gewesen. Es gab einfach eine Hitze zwischen ihnen, die seit dem ersten Moment nicht zu leugnen war und Loki hatte sich dieser bewusst ergeben. Es erstaunte ihn kaum noch, obwohl es ihn wahrscheinlich hätte erschrecken müssen, das gerade ein Weib jener Sterblichen, die er vor gar nicht all zu langer Zeit noch als nichtig und schwach erachtet hatte, diese Gefühle in ihm weckte. Gwendolyn allerdings besaß als Mensch ihre ganz eigene Macht über ihn und seinen Körper; noch schien sie das nicht ganz begriffen zu haben und er war froh darüber, denn wenn sie dieses Wissen geschickt einzusetzen wüsste, hätte sie ihn früher oder später womöglich in ihren kleinen, zierlichen Händen gehalten - eine Sterbliche, die über einen Gott befehligte. Eigentlich unvorstellbar in seiner Welt, schlichtweg beängstigend und doch gar nicht mehr so abwegig, seitdem er Gwendolyn kannte… »Du scheinst Probleme wirklich zu lieben…kannst du eigentlich zufrieden sein, wenn dich gerade mal niemand hasst?« hörte er sie murmeln und musste verstohlen schmunzeln; ein eher wehmütiges Verziehen seiner Lippen, als er aus dem Fenster auf die schneebedeckten, vorbeiziehenden Tannen sah, die ihn an die winterlichen Wälder Asgards erinnerten. Loki hatte Schnee und Kälte schon immer gemocht und Thor in Kindertagen oft zu Spaziergängen im Winter genötigt, der im Gegensatz zu dem Magier den Sommer bevorzugt hatte. Daher war der Donnergott meist eher missmutig hinter ihm her durch den Schnee gestapft, in seinen Umhang gehüllt, während er mürrisch allerlei Verwünschungen in Richtung Lokis gemurmelt hatte. Allerdings hätte er seinen kleinen Bruder niemals allein gelassen, denn als Älterem oblag ihm stets die Pflicht, auf Loki acht zu geben. Und Thor hatte diese Bürde immer mit Eifer und liebevoller Bereitwilligkeit getragen… »Zufriedenheit liegt nicht in meiner Natur. Ich kann nicht stillstehen und hinnehmen, ich suche die Herausforderung in jeder neuen Situation. Ein geforderter Geist ist ein wacher Geist. Stillstand bedeutet aufgeben, denn Zufriedenheit ist die Illusion eines perfekten Lebens.« Eine Weile schwieg die Sterbliche nun; eine Weile, in der sie wortlos dem Verlauf der Straße folgten. Der Motor brummte tapfer unter ihnen, das Knirschen und Kratzen des Schnees am Unterboden des Wagens untermalte als einziges die Stille. »Wofür kämpfst du dann, wenn nicht für Zufriedenheit? Glaubst du wirklich nicht an ein gutes Leben? Ein Perfektes wird es vielleicht nicht geben, aber doch bestimmt ein Gutes…« Gwendolyn hatte das Fenster auf ihrer Seite ein wenig herabgedreht, sodass frische, kühle Luft in das Fahrerhaus strömte. Ihre Aufmerksamkeit war auf die Straße gerichtet, doch hin und wieder sah sie zu ihm, als müsste sie jede seiner Reaktionen einfangen. Der Hund neben ihm hatte sich auf seinem Platz gedreht und die Schnauze nun auf Lokis Schenkel gebettet. Sanft kraulte er das hübsche Tier hinter dem dunklen, weichen Ohr. »Ich glaube durchaus an ein gutes Leben. Wenn ich mich unauslöschlich in die Annalen der Zeit eingebrannt habe, wenn niemand meine Spuren mehr verwischen kann, wenn es glorreiches Zeugnis meiner Existenz gibt, dann war es ein gutes Leben.« Loki blickte mit leuchtenden Augen zu ihr hinüber; trotz ihrer Zweifel konnte sie sich der Inbrunst seiner Rede nicht entziehen, dem fesselndem Ehrgeiz in seinem Blick. »Mein Dasein muss unauslöschlich werden, selbst über Äonen hinweg, sodass niemand mehr leugnen kann, dass Loki gelebt hat. Eingegraben ins Gedächtnis der Welten will ich sein, auf das jeder meinen Namen kennt. Damit werde ich wahrlich unsterblich sein. Und vielleicht kann ich dann im letzten Atemzug am Ende meiner Tage Zufriedenheit verspüren.« schloss er mit leidenschaftlichen Worten; er spürte, dass sein Augen glühten und die Magie aufgewühlt gegen die Grenzen seines Körpers schlug, begehrlich darauf, gebraucht zu werden. Loki wusste, dass sein Streben nach Unsterblichkeit in einem eisigen, dunklen Moment in Jotunheim begonnen hatte; in diesem Augenblick, als ein Neugeborenes weinend unter klirrend kalten Winden und glitzernden Schneeflocken geborgen lag, die Existenz nur ein schwaches Beben in den Energien der Welten - das namenlose Kind hatte ausgestoßen dem Tod getrotzt, ihn mit kräftigen, lebensbejahenden Schreien verjagt und die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich gezogen, der an jenem Tag mehr als alles andere der Tod hätte sein können; ein Erlöser in Bergen von toten Riesen, Henker und Retter zugleich. »Dann lauf nicht weg…« wisperte Gwendolyn eindringlich und riss Loki damit aus seinen düsteren Gedanken, welche die schneebedeckte Umgebung Midgards in die eisigen Weiten Jotunheims verwandelt hatte; den kühlen Wind Kanadas in den frostigen Hauch des Schicksals. Er wurde sich ihrer Hand gewahr, die sich über Angels Fell zu seinen Fingern geschoben hatte und jene nun umgriff; ihre Fingerspitzen waren kühl. »Diesen Platz im Leben wirst du nicht finden, wenn du wegläufst. Stell dich deiner Vergangenheit und bau daraus deine Zukunft. Dein Platz ist in Asgard bei deiner Familie, Loki. Tu das Richtige und hilf ihnen. Die Möglichkeit auf das, was du suchst, ist jetzt da. Und das ganz ohne Unterdrückung, einen Eroberungsschlachtzug oder Wahnsinn, denk mal drüber nach…« Sie ließ seine Hand mit einem verhaltenen Schmunzeln los und Loki verkrampfte die Finger unter der fehlenden Geborgenheit zu einer Faust. »Du bist viel zu intelligent und begabt, als das du deine Möglichkeiten nicht erkennen würdest. Du bist ein wahnsinnig begabter Magier und ein toller Mann, Loki und ich weiß, in deinem Kern steckt noch viel Gutes. Ich habe es bereits gesehen. Du darfst es nur nicht verbergen, dann brauchst du keinen Krieg, keinen Thron, um dich unsterblich zu machen…« Loki sah verblüfft zu Gwendolyn hinüber, die unter den letzten Worten leicht ins Stocken geraten war und nun recht verlegen auf ihrer Unterlippe kaute. Ihre Finger hatten sich um das Lenkrad verspannt und sie starrte beharrlich aus der Frontscheibe; sie wirkte, als wären die letzten Sätze eigentlich nicht geplant gewesen… Ihre Worte hatten etwas in ihm angerührt, was sich nun scheußlich warm und beharrlich in seinem Leib ausbreitete; ein wohliges Gefühl, dass Freude recht ähnlich war und doch um einiges intensiver und schwerer. Gwen ließ ein schiefes Grinsen sehen. »Oh man…verdammt, ich rede schon wie du oder Thor…Asgard scheint allmählich abzufärben. Ich bin sonst nicht so der Typ für große Reden…vergiss bloß, was ich gesagt habe…« nuschelte sie peinlich berührt, bevor sie schon hektisch den Kopf schüttelte und beinahe panisch eine Hand in seine Richtung hob, um das Gesagte zu widerrufen. »Äh, nein…vergiss es nicht! Also zumindest nicht alles…ich glaube, da war einiges wichtiges dabei…ach scheiße…« stammelte sie und Loki hatte das Gefühl, dass sie sich gerade mühsam davon abhielt, die Stirn auf das Lenkrad zu schlagen. Ihre Wangen glühten in betörendem Rot und konnten doch dem faszinierenden Feuer ihrer Haare keine Konkurrenz bilden - oder dem eifrigen, leidenschaftlichen Schimmern ihrer Augen. Der Magier lachte gelöst und ließ den Kopf gegen die Lehne im Rücken sinken; Gwendolyns Gesellschaft war wirklich erfrischend und reizvoll, so gänzlich anders als die hoheitliche Beherrschung an Gladsheims Hof, so anders als alles, was er bisher kannte. »Ich werde das Nötige für mich sondieren…« zog er sie amüsiert auf und erntete ein unzufriedenes Schnauben. Die kleine Menschenfrau schien stets nur so von Emotionen und impulsiven Handlungen zu leuchten - ihre schillernde Aura in allen Regenbogenfarben ein treffendes Sinnbild ihrer lebhaften Art; sie überdachte ihre Worte meist nicht lange und bildete damit einmal mehr einen enormen Gegensatz zu Loki, der stets alles bis ins kleinste Detail erwägen und kontrollieren wollte. In ihrer Nähe war es so leicht, von angespannt auf gelöst zu wechseln, von zornig zu heiter; es war leicht, zu vergessen und die Zukunft erschien nicht mehr wie ein blinder, dunkler Fleck in der Ferne. Es wäre die richtige Entscheidung, sie bei sich zu behalten. »Loki…« begann sie dann in dem weichen, vorsichtigen Wispern einer anstehenden Frage. Flüchtig zuckte ihr Blick zu ihm. »Hm…?« teilte er seine Aufmerksamkeit in einem Brummen mit, nachdem er kurz in den eigenen Gedanken versunken war; er hatte wirklich ernsthaft über ihre Worte nachgedacht und sich gefragt, ob sie womöglich recht hatte. Er würde nicht leugnen, dass er eigentlich nicht vorgehabt hatte, nach Asgard zurückzukehren. Einmal frei, wollte er nicht riskieren, erneut in den Kerker zu wandern, wenn Odin ihn nicht mehr brauchen würde. Konnte er seine Vergangenheit einfach so hinter sich lassen? Sich frei machen von diesen Ketten, die ihn hielten; von seinen Vergehen, seinem Machthunger, seinen fehlgeleiteten Vorstellungen und schmerzhaften Kränkungen? Konnte er alles vergeben und vergessen, was einst gewesen war, um selbst irgendwann Vergebung zu erlangen? Konnte - und vor allem wollte - er die Mauern einreißen, die zwischen ihm und Thor oder dem Allvater standen, seine Verzweiflung und seine Wut zügeln? Sollte er seinen Stolz vergessen und vor ihnen in den Staub kriechen? »…an meinem ersten Tag in Asgard hat mich ein Lied in den Kerker zu dir gelockt.« Gwen hielt kurz unsicher inne, bevor sie zögerlich anfügte: »Du hast gesungen, nicht wahr? Was war das für ein Lied? Es war wunderschön…« Loki zog die Brauen nachdenklich zusammen und starrte einen Moment hinaus in den Schnee; die Sonne hatte sich wieder hinter dicken, gräulichen Wolken verborgen und vereinzelte Schneeflocken trafen auf die Frontscheibe des Pick-ups. Gwendolyn stellte die Scheibenwischer an, sodass jene das Sichtfeld des Magiers kreuzten und ihn sich räuspern ließen. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er wirklich gesungen hatte… Die letzten Tage in seiner Zelle waren ein grauer, undurchdringlicher Nebel in seinem Geist; verschwommene, bruchstückhafte Erinnerungen des herankriechenden Wahnsinns unter der Monotonie der Einsamkeit. Beim Gedanken an seinen zermarterten Verstand durchzuckte den Magier ein schmerzhafter Schauder - ein beklemmender Druck, welcher sich wie ein Stahlseil um seine Brust zog. So nah war er daran gewesen, alles zu verlieren…das Wichtigste zu verlieren, was er besaß…was ihn ausmachte… »Loki…?!« Gwens Stimme war leiser geworden, besorgter. Er bemerkte, dass er sich geistesabwesend die Brust rieb, um den unsichtbaren Schmerz zu vertreiben, während seine Augen ins Leere starrten; er ließ die Hand sinken und räusperte sich erneut, um ihr eine Antwort zu geben. »Es war das Lied einer bekannten Legende, verfasst in altem, asischem Wortlaut, der Sprache der Poesie und Ahnen...« begann er dann langsam; es konnte nur ein einziges Lied geben, was sie meinte. Diesen alten Text hatte er seinem Bruder oft genug vortragen müssen. Thor hatte es stets geliebt, wenn Loki sang; mit einem albernen Hauch von Wehmut dachte er an kindliche Tage zurück, als sein Bruder einmal mehr mit großen, erwartungsvollen Augen vor ihm gesessen hatte, um seiner Stimme zu lauschen. In diesen Momenten hatte der Magier Macht über den Donnergott gehabt; in diesen seltenen Augenblicken hatte Thor nur ihm gehört, da Loki der Einzige gewesen war, der seinem kulturfremden Bruder die Lyrik zumindest um ein Stück weit näher hatte bringen können. Loki vermisste diese Tage - ja, er vermisste sie wirklich. Diese Verbundenheit ohne Neid oder Zweifel, ohne Missgunst oder Kränkungen; allein mit Thor waren sie immer stets nur Brüder gewesen, gleichberechtigt, ebenbürtig und vertraut. Thor selbst hatte Loki nie abwertend behandelt, nur in Gesellschaft anderer war dem Magier der Unterschied zwischen dem Donnergott und ihm selbst so schmerzhaft aufgefallen. Man hatte ihm die Erkenntnis gewissermaßen aufgedrängt in den Worten und Blicken von anderen. »…das Märchen des „Sternenjägers“, einer Konstellation am Himmel über Asgard.« erklärte er ruhig, dann sah er zu Gwen hinüber. »Willst du sie hören?« Sie nickte sofort und fügte bekräftigend an: »Ja, bitte. Erzähl sie mir.« Die leuchtende Neugierde und Spannung in ihren Augen gefiel ihm ausnehmend gut. »Der Legende nach soll einst ein Ase gelebt haben, dessen Begeisterung und Verlangen im Anhäufen der seltensten und schönsten Dinge der Welt bestand. Er besaß die fantastischsten Geschöpfe in seiner Sammlung, die zauberhaftesten Edelsteine, die liebreizendsten Blumen und Gewächse. Doch sein Begehr war nie gestillt; er wollte immer mehr in seinen Besitz bringen. Er war besessen von dem Gedanken an echte Anmut und Liebreiz; besessen davon, die einzig wahre, perfekte Schönheit zu finden, um dadurch den Kern der Schöpfung zu erkennen und dem Ursprung allen Lebens näher zu kommen. Eines Tages traf er einen alten Wanderer und fragte ihn, ob er auf seinen Reisen denn etwas besonders Schönes erblickt hätte. Der Alte erkannte den Wahn des Asen und machte sich seinen Spaß mit ihm. Er erzählte dem Mann von den Sternendrachen - magischen, bezaubernden Wesen, die am Himmel lebten und mit deren Erscheinung sich nichts in allen neun Welten messen könnte.« Loki hatte sich wieder entspannt zurückgelehnt und ließ seine Worte wie verzauberte Perlen durch die Luft schweben, auf das sie in ihrem Reigen ein verlockendes Netz aus Mystik und Dichtung bildeten. »Der Ase war daraufhin regelrecht im Wahn; begierig darauf, diese Wesen zu finden, um nur eines seiner Sammlung hinzuzufügen. Er war so besessen von dieser Geschichte, dass er in die Welt auszog, um die Sternendrachen zu suchen. Darüber vergaß er völlig das Mädchen, welches tagtäglich an seine Tür klopfte, um ihm frische Waren aus dem Dorf seiner Heimat zu bringen. Er vergaß ihre schüchternen Blicke, sah nicht mehr ihr liebevolles Lächeln und ihre Fürsorge. Der Ase zog Jahre durch die Welt, ohne je einen dieser magischen Drachen zu finden, von denen der Wanderer doch gesprochen hatte - die Jahre gingen ins Land und machten ihn alt und müde. Eines Nachts rastete er an einer Klippe des Meeres und beobachtete die Wellen; erschöpft von seiner schier endlosen Reise gaukelte ihm der Spiegel des Wassers sein Ziel vor. Zwischen den Schaumkronen sah er die feengleichen, zauberhaften Drachen schwimmen; sie lockten ihn mit ihrer Anmut und ihren grazilen Körpern, auf dass er unter Tränen der Hoffnung sich kopfüber in die tosenden Fluten stützte, geradewegs durch die Spieglung der Sterne des Nachthimmels. Sein Körper zerschellte an den Klippen und die See zog ihn in ihre düstere, nasse Umarmung. Die Nachricht seines Todes erreichte auch seine Heimat, wo eine alte Frau noch immer auf seine Rückkehr wartete. Sie vergoss als Einzige einsame Tränen für den Mann, der nie wiederkehren würde. Damit rührte sie die Herzen der Nornen, welche das Schicksal des Asen beobachtet hatten und sie gewährten ihm eine Existenz am Himmel über Asgard, auf das er dort für immer und ewig seinen Sternendrachen hinterherjagen konnte…« Der Magier endete in einem leisen Raunen mit seiner Erzählung und öffnete die Augen wieder, die er offenbar unter der Erinnerung dieser Geschichte geschlossen hatte. Der Schnee fiel wieder dichter und hatte bereits einen weichen, weißen Teppich auf der Motorhaube des Pick-ups gebildet. »Das ist eine furchtbar traurige Geschichte…« wisperte Gwendolyn neben ihm; ihre belegte Stimme veranlasste Loki dazu, ihr seinen Blick zuzuwenden, welchem sie in diesem Moment begegnete. Berührt sahen ihre Augen zu ihm auf, bevor sie sich wieder der Straße zuwendete. »Die meisten Märchen enden weder in Frohsinn, noch in Glückseligkeit. Diese Bedingung habt ihr Sterblichen den Geschichten zugefügt, da ihr eine Schwäche für die immer guten Enden jeder Erzählung habt. Eure Hoffnung will nicht getrübt werden.« resümierte Loki trocken; er hatte den Glauben der Menschen in das Gute selbst am eigenen Leib erlebt. Er sah es jeden Tag an Gwendolyn; diese unbeugsame Zuversicht, dass man alles zu seinen Gunsten wenden konnte. Wenn sie diese Hoffnung nicht besessen hätte, wäre sie wahrscheinlich auch nicht mehr an seiner Seite. Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht; Gwendolyn lenkte den Wagen unter dem Knirschen des Schnees vor eine gedrungene, einsam stehende Waldhütte am Rande des Waldes, etwas abgelegen von der Straße und durch die Tannen gut vor neugierigen Blicken verborgen. Seichter Rauch kräuselte sich aus dem steinernen Schornstein, während der einladende Schein von Feuer durch die trüben Fenster drang. Um die hölzerne Hütte zog sich ein windschiefer Zaun, dahinter stand ein schwarzer Pick-up geparkt, welcher mit einer Plane vor den Witterungen geschützt wurde. »Da wären wir…« murmelte Gwendolyn leise und drehte den Zündschlüssel des Wagens, sodass der Motor verstummte. Die Scheinwerfer schnitten noch Schneisen durch den dichter fallenden Schnee, bevor auch diese sich verdunkelten. Die Sonne war lang schon wieder verschwunden und die Umgebung in graues, düsteres Dämmerlicht getaucht. Der Tag war bereits weit fortgeschritten. Hinter ihnen rollte der Van von S.H.I.E.L.D auf den freien Platz vor der Hütte und schaltete ebenfalls die Scheinwerfer ab. Ihre Anwesenheit wurde jedoch bereits bemerkt; ein Schatten erschien an einem der Fenster der Hütte, bevor jener hinter zitternden Vorhängen wieder verschwand. Gwendolyn wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab; sie wirkte nervös, als sie den Reißverschluss ihrer Jacke hochzog und die Schultern straffte. Dann öffnete sie ihre Tür und sprang hinaus in die Kälte. Den Hund schob sie sanft zurück, als dieser ihr schon folgen wollte. »Nein, Angel. Du bleibst hier. Pass auf das Auto auf.« Er ließ sich winselnd wieder auf die Sitzbank fallen. Loki folgte Gwendolyn gemächlich nach draußen, warf sich seine Lederjacke über und klappte die Aufschläge nach oben; selbst für sein Empfinden war es kühl geworden. Er schob die Hände in die Taschen und stapfte durch den Schnee um den Wagen herum, wo die Sterbliche recht unsicher auf die Hütte vor ihnen blickte. »Vielleicht ist es jetzt ein wenig spät, um es anzumerken, aber ich hab irgendwie Angst…« murmelte sie kaum hörbar, da ihr halbes Gesicht hinter dem Kragen ihrer Jacke verschwand. Der Magier wischte ihr ein paar wagemutige Schneeflocken von der Wange; sein Daumen verweilte einen Augenblick zu lange auf ihrer Haut, um nur einer beiläufigen Geste zu gleichen, bevor er raunte: »Bringen wir es einfach hinter uns.« Ein weiteres Stiefelpaar näherte sich knirschend durch den Schnee und ließ sie beide sich umdrehen; Andrew Preston war aus dem Van gestiegen und schloss nun zu ihnen auf. Er hatte die Hände ebenfalls tief in seinen Manteltaschen vergraben und die Schulter hochgezogen; dennoch wirkte er wachsam und Loki sah die Umrisse eines Waffenholsters unter dem dunklen Stoff. S.H.I.E.L.D ging definitiv keine Risiken ein und Andrew Preston offenbar schon gar nicht. Der Magier war sich bewusst, dass der Agent es durchaus begrüßen würde, ihn erschießen zu dürfen; einer unverhohlenen Provokation gleich musterte er die Erscheinung des menschlichen Mannes geringschätzig und konnte sich ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen. »Ich hoffe, die Kälte setzt Euch nicht zu sehr zu, Agent Preston?! Es wäre doch ein Jammer, wenn Ihr die Finger nicht flink genug um den Abzug Eurer Waffe krümmen könntet…« »Mach dir darüber mal keine Gedanken.« stieß der Agent bissig und unterkühlt aus und schob den Magier mit der Schulter achtlos beiseite, als er sich an ihm vorbei zu Gwendolyn drängelte. »Können wir?« Zu dritt näherten sie sich gemächlich der Hütte, deren Tür bereits aufgerissen wurde, bevor Gwendolyn überhaupt die Hand heben konnte, um zu klopfen. Scharfe Augen erfassten die drei äußerst argwöhnisch unter herabgezogenen Brauen, als der Bewohner des Hauses in der Tür erschien; sein Gesicht war von Falten gezeichnet, aber auch von gesunder Bräune und mit einem leichten Bart überzogen. Über seinen Lippen wölbte sich ein akkurater Schnurrbart. Er trug einen breitkrempigen Cowboyhut über den halblangen, grauen Haaren. Der Mann war sehnig und groß gewachsen, wirkte trotz seines Alters ausdauernd und kräftig. Er trug einfache, saubere Kleidung und dunkle Stiefel, an die sich eben ein wachsamer, brauner Jagdhund schmiegte. »Was wollt ihr hier?« kam der Mann ohne Umschweife zur Sache und spuckte missbilligend hinaus in den Schnee, bevor er sich eine brennende Zigarette wieder zwischen die Lippen steckte. Loki fiel die Schrotflinte auf, die griffbereit neben der Tür im Haus lehnte; der Alte folgte seinem Blick und schniefte geräuschvoll, bevor er dem Magier mit einem Arm die Sicht verbaute. Die Augen des Sterblichen waren äußerst klar und ziemlich aufmerksam. Andrew wollte sich vorschieben und seine Rede beginnen; eine Hand hatte er bereits in seine Manteltasche geschoben, um wahrscheinlich seinen S.H.I.E.L.D Ausweis als Trumpf zu zücken, doch Loki kam ihm zuvor. »Wir würden Sie gern über eine gewisse Nacht vor fünfundzwanzig Jahren befragen. Es geht um den Fund eines Neugeborenen…« begann der Magier sachlich und ebenfalls ohne Drumherum. Der Alte versteifte sich sofort und mahlte mit den Kiefern, woraufhin die glimmende Spitze seiner Zigarette aufgeregt vor seinem Gesicht hüpfte. Sein Blick wurde noch misstrauischer, fast gewarnt. »Seid ihr von der Regierung?« schnauzte er barsch und musterte die drei Gestalten vor seiner Haustür nun ziemlich feindselig. »Nein.« antwortete Loki seelenruhig, bevor der Agent Luft holen konnte. »Ich will trotzdem nicht mit euch reden.« stellte der Mann klar, spuckte erneut aus, bewusst vor die Füße von Andrew Preston, bevor er den drei Besuchern die Tür schon vor der Nase zuschlagen wollte. Loki rammte seine Stiefelspitze zwischen Holz und Rahmen und erntete daraufhin ein bedrohliches Knurren des Hundes. Der Alte griff sogleich nach seiner Schrotflinte; schneller, als der Magier erwartet hätte, blickte er in den Lauf des Gewehres. Der liebe Mason steckte offenbar voller Überraschungen. »Nimm deinen Fuß raus, Jüngelchen, sonst blas ich dir eine Ladung Schrott hinter die Stirn.« brummte der Mann, bevor er gemächlich an seiner Zigarette zog. Den Rauch blies er dem Gott provozierend ins Gesicht. Gwen schob sich plötzlich überraschend vor und zog die Aufmerksamkeit des alten Mannes damit auf sich. »Ich komme von unten aus der Stadt, Mason. Mein Name ist Gwendolyn Lewis. Ich bin das Mädchen von damals. Ich bin das Kind, dass vor fünfundzwanzig Jahren hier gefunden wurde…« offenbarte sie ohne zögern. Der Alte verengte die Augen kritisch, ließ die Schrotflinte aber ein wenig sinken. »Bitte. Ich muss erfahren, was damals passiert ist. Wenn Sie irgendetwas wissen, dann reden Sie mit uns…« sprach sie flehend und suchte eindringlich den Blick des Mannes. Der zog die Brauen nachdenklich zusammen und musterte Gwendolyn skeptisch, dann holte er tief Luft und zog das Gewehr gänzlich zurück. Obwohl er alles andere als erfreut wirkte, öffnete er die Tür doch für seine Besucher. »Kommt rein…« knurrte er mürrisch und trat zurück, um die drei einzulassen. Der große Hund schnüffelte wachsam und neugierig an ihnen, während sie eintraten. Die Hütte war recht überschaubar in ihrer Größe, aber gemütlich und warm; sie bestand aus einem riesigen Raum, von dem nur ein kleiner Badbereich und eine Schlafnische abgeteilt waren. Die Einrichtung war urig und rustikal, ohne viel Schnickschnack. Zweckmäßig. Behagliches Feuer prasselte im Kamin und hüllte die Hütte in sanften, orangen Schein. Alle drei traten näher an das Feuer, als der alte Mason zu seinem Küchentisch ging und die Schrotflinte dort ablegte; dann griff er sich ein Glas und eine Flasche mit einer goldenen Flüssigkeit von einer Anrichte. »Scotch?« fragte er knapp in die Runde, was ihm jedoch nur Kopfschütteln einbrachte. Der Alte zuckte gleichgültig mit den Schultern und goss sich selbst zwei Finger breit des Alkohols in sein Glas, während Gwen und Loki sich wartend umsahen. Andrew trat zum Sims des Kamins hinüber und inspizierte die dort aufgestellten Fotos und Urkunden. Mason beobachtete ihn wachsam, während er trank, dann deutete er mit der Hand wage auf den Agent. »Mir war klar, dass ihr irgendwann hier auftauchen würdet. S.H.I.E.L.D findet immer alles heraus...« meinte er sarkastisch. Loki zog verwundert eine Braue in die Höhe und sah den Agent an, der ebenso ratlos schien. Andrew entdeckte jedoch das Emblem der Organisation auf einer der Urkunden. »Sie waren mal Agent bei S.H.I.E.L.D?!« stellte er verblüfft fest. »Hrm, is lange her. Würds auch lieber vergessen.« knurrte der Alte verdrießlich und ließ sich gegen seinen Küchentisch sinken. Sein intelligenter Blick fokussierte sich flüchtig auf Loki. »Was machstn du eigentlich hier? Du bist nicht von der Erde, das kann ich förmlich riechen. Gehörst du zu dem Stamm dieses blonden Hammerschwingers, den S.H.I.E.L.D vor zwei Jahren auf New York losgelassen hat?« Wieder schniefte der Mann vernehmlich und nahm einen Schluck Scotch. »Deren Mitarbeiterauswahl war auch mal kritischer, heute kann da offenbar jeder Idiot mitmischen. Nen tiefgefrorener Kerl in Strumpfhosen, nen Typ in einer protzigen Rüstung…sogar eine billige Kopie von Conan…« Mason lachte in sich hinein und schien sich köstlich über seine Worte zu amüsieren, bevor er die Hand mit dem Glas hob und den Zeigefinger auf den Magier richtete. »Scheinst mir etwas intelligenter als der blonde Gott. Das macht dich fast schon sympathisch.« Während Loki die Lippen zu einem breiten Grinsen verzog und entschloss, dass er den Sterblichen durchaus mochte, starrten Gwen und Andrew den alten Mann völlig entgeistert an. »Was?!« fragte Mason belustigt. »Denkt ihr, ich Hinterwäldler bekomm nichts mehr mit? Habt ihr ne Ahnung…« murmelte er. »Das sind alles streng geheime Informationen, die sie vertraulich und absolut diskret-« hakte sich der Agent empört dazwischen. Der Alte unterbrach ihn mit einem gelangweilten Wedeln seiner Hand. »Jaja…die Richtlinien…die Protokolle…ich weiß. « Dann sah er Gwendolyn an, die unter seinem wachsamen Blick schluckte. »Ich hab dich damals gefunden, Mädchen. Unweit hier von meiner Hütte, hinten im Wald. Mir war klar, dass irgendwann jemand auftauchen und Fragen stellen würde. Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass du selbst kommst...« Gwen rang ihre Hände nervös und trat einen Schritt näher, nachdem sie Andrew und Loki ein wenig hilflos angesehen hatte. »Warum haben Sie das niemanden erzählt? Warum hat mir das niemand je erzählt?« verlangte sie verständnislos zu wissen. Mason hob bedeutsam eine Braue und steckte sich die Zigarette zwischen die Finger, bevor er erneut einen Schluck von seinem Scotch nahm. »Weil ich genau wusste, dass dann die Regierung auftauchen würde, um dumme Fragen und hier alles auf den Kopf zu stellen. Ich hab dich gefunden, Mädchen und mir war klar, dass die Wahrheit dich ein normales Leben kosten würde…« Die Hand mit dem brennenden Glimmstängel deutete vage und abwertend auf den Agent, der ebenfalls herangetreten war. »Ich kenn diesen Verein sehr genau und weiß, wie sie mit „Spezialfällen“ umgehen. Ich wollte dir dieses Schicksal ersparen, denn die Umstände deines Auftauchens waren alles andere als normal. Außerdem wollte ich meine Ruhe hier oben. Daher hab ich dem Chief gesagt, er soll die Klappe halten, dass ich dich gefunden habe, als ich dich runter in die Stadt brachte. Er sollte sich irgend ne Geschichte ausdenken. Selbst ihm hab ich nicht die Wahrheit gesagt.« »W-welche Umstände meinen Sie…? Was ist die Wahrheit?« fragte Gwendolyn jetzt völlig verunsichert nach, ihre Stimme war atemlos geworden; sie hatte die Hände verkrampft miteinander verknotet und wirkte blasser als zuvor. Loki trat an ihre Seite und berührte flüchtig mit seiner Schulter ihre verspannte Gestalt; sie sah ihn kurz an und rückte dann spürbar näher, um sich unbemerkt gegen ihn zu lehnen. Mason stellte sein Glas jetzt neben sich auf dem Tisch ab und drückte die Zigarette in einem bereits vollen Aschenbecher aus; er ließ sich Zeit damit, sodass sich das Schweigen unangenehm zwischen ihnen zog. Dann lehnte er sich wieder zurück und sah Gwen lange an, bevor er abermals Loki nachdenklich in Augenschein nahm. »Ich hörte an diesem Abend vor fünfundzwanzig Jahren ein Grollen über den Bergen. So, als würde ein Gewitter aufziehen. Dann erhellte plötzlich ein gleißendes Licht den Himmel und ließ die Erde beben, bevor es schlagartig wieder ruhig wurde. Ich war misstrauisch und natürlich auch neugierig, da hab ich mir meine Flinte geschnappt und bin mit dem alten Bob raus, um nachzusehen…« Der Mann tätschelte seinem Hund den Kopf, der sich brav und folgsam neben seinen Füßen gesetzt hatte. »Tja, ich fand, was ich nie erwartet hätte. Ein Kind. Mitten draußen im Wald. Ganz allein. Das war eigentlich schon sonderbar genug, aber noch eigenartiger war der Ort, wo ich dich auflas…« Mason machte eine kurze Pause, während er die Stirn angestrengt in Falten zog, als koste es Kraft, sich zu erinnern. Gwen wirkte wie erstarrt und lauschte still seinen Worten. Eigentlich war sie viel zu still für Lokis Geschmack… »Die Tannen dort waren niedergemäht, als hätte eine riesige Faust vom Himmel geschlagen und alle Bäume hinweggefegt. Und im Zentrum dieses seltsamen Phänomens lagst du…in so einer Art Kreis…hrm…« Der Alte zupfte nachdenklich an der Krempe seines Hutes, bevor er sich vom Tisch abstieß. »Ich hab nen Foto davon gemacht…« Mason trat zu einer niedrigen Anrichte hinüber und wühlte darin, während Gwen und Andrew sich ratlose Blicke zuwarfen. In Loki erwachte ein ziemlich ungutes Gefühl, eine Ahnung, als könnte er den Schein einer Kerze bereits sehen, ohne um die Ecke getreten zu sein, hinter der sie stand. Was der Alte dort erzählt hatte, ließ sämtliche Saiten des Vertrauten in ihm klingen - sein Instinkt verriet ihm die Wahrheit, von der sein Verstand noch nicht überzeugt war. Das konnte einfach nicht sein… Mason kam zu ihnen zurück, ein schon recht zerknittertes Foto in der Hand, welches er einen Augenblick noch gedankenversunken betrachtete; dann reichte er es an Loki weiter und nickte dem Magier zu. »Du wirst sicher was damit anzufangen wissen…« meinte er und wandte sich wieder ab, um sein inzwischen leeres Glas nachzufüllen. Loki hob das Foto und hielt es so, das zunächst weder Gwen noch Andrew einen Blick darauf werfen konnten. Zu sehen war ein Abschnitt des Waldes, in dem wirklich sämtliche Bäume durch eine scheinbar gewaltige Macht umgerissen worden waren; selbst die Wurzeln mancher Tannen ragten aus dem Erdboden. Im Zentrum dieses kreisförmigen Bereiches war etwas in die Erde des Waldes eingegraben; feine Linien, gezielt in ihrer Anordnung und mit äußerst bekannten Runen versehen… Der Magier legte den Kopf in den Nacken und stieß ein hohles, trockenes Lachen aus, während er die hölzerne Decke über sich anstarrte, als würde er den Blick eines bestimmten goldenen Augenpaares suchen. Das war einfach absurd…und doch irgendwie fast logisch. War er die ganze Zeit so blind gewesen? Hatte er das Offensichtliche nicht sehen wollen? Hatte er die Wahrheit einfach übersehen? »Loki…w-was ist…?! Was ist darauf zu sehen…?« wagte Gwen nun zaghaft zu fragen; verunsichert durch die seltsame Reaktion des Magiers. Der reichte ihr das Foto, worauf Andrew und sie nun gleichzeitig ihren Blick warfen. »Das kann nicht sein…« wisperte nun auch der Agent ungläubig, während Gwendolyn eher verwirrt zwischen den beiden umher sah. »Was?! Was sind das für Linien? W-was bedeutet das?« Ratlos starrte sie auf das Bild in ihren zittrigen Händen. Loki tippte mit dem Zeigefinger auf die Fotografie. »Das ist die Prägung des Bifröst.« erklärte er ihr sachlich, während sich das manische Grinsen kaum noch aus seinem Gesicht vertreiben ließ. Er sah die Sterbliche an, musterte sie intensiv und fragte sich augenblicklich, wie sterblich sie eigentlich wirklich war. Das warf all seine Theorien um; beleuchtete ihre Fähigkeiten in ganz anderem Licht. »Bi- was?« fragte Mason dazwischen und hob die Brauen irritiert an. »Der Bifröst. Die Brücke zwischen Asgard und Midgard.« erklärte der Magier dem Mann bereitwillig, bevor er begann, unruhig in der Hütte auf und ab zu schreiten. Immer wieder fuhr er sich mit einer Hand durch die langen Haare und starrte grinsend vor sich hin, während er sich gedankenversunken das Kinn rieb. Damit hätte er niemals gerechnet. Diese Offenbarung konnte alles von Grund auf ändern. Heimdall musste davon gewusst haben. Warum also hatte er nicht gesagt? »Ah, eine Weltenbrücke.« sinnierte Mason fast schon gelangweilt und hob sein volles Glas wieder zu Gwendolyn hin. »Tja, scheint, du bist nicht von dieser Welt, Mädchen. Jetzt vielleicht doch nen Scotch?« Der Agent deutete beschuldigend auf den Alten. »Sie hätten S.H.I.E.L.D davon Bericht erstatten müssen!« meinte er pflichtbewusst. Mason zog eine buschige Augenbraue in die Höhe. »Hätte ich das? Ist mir gar nicht bewusst, dass ich noch für euren Verein arbeite…« Andrew nahm Gwendolyn das Foto aus der Hand, als diese die Arme sinken ließ und bedenklich ruhig ins Leere starrte. Ihre Unterlippe zitterte unkontrolliert und sie blinzelte mehrmals. »Was…ich- ich verstehe nicht…was bedeutet das? Soll das…heißt das…ich…bin kein Mensch?!« presste sie die letzten Worte atemlos heraus, bevor sie kopfschüttelnd vor Andrew und Mason zurückwich. »Das heißt zuerst einmal, dass uns Heimdall eine Erklärung schuldet.« grollte Loki zum Dach der Hütte auf und hoffte, dass die Augen und das Gehör des Wächters nichts an Schärfe verloren hatten. »Wir haben die ganze Zeit am falschen Ort gesucht…dabei war des Rätsels Lösung wahrscheinlich direkt vor unserer Nase…« mutmaßte der Magier frustriert und schnaubte in resigniertem Spott. Gwen stolperte weitere Schritte zurück und schlang die Arme um sich; sie wirkte, als würde sie plötzlich frieren, obwohl es in der Hütte mehr als warm war. Sie war erschreckend bleich geworden. »Ich…ich versteh das alles nicht…wo komme ich her…was bin ich? B-bin ich…bin ich kein Mensch…« Ihre Pupillen waren geweitet und Angst schwamm darin. Loki trat zu ihr hinüber und ergriff sie sanft an den Schultern. Zögerlich hob sich ihr Blick zu ihm. »Du bist ein Mensch, Gwendolyn. Ich habe dich in Asgard untersucht. Erinnere dich. Ich hätte gesehen, wenn irgendetwas an dir nicht stimmen würde.« versuchte er ihr aufgewühltes Gemüt zu beruhigen. »Aber…aber…warum dann Asgard…wie kann das dann sein…« wisperte sie verwirrt. Sie sah ihn beinahe flehend an, doch zu diesem Zeitpunkt konnte er ihr auch keine zufriedenstellende Antwort darauf geben. Loki verstand das ja selbst nicht. Allerdings war ihre Suche auf Midgard damit wahrscheinlich zu Ende. »Ich weiß es nicht. Es scheint, als müssten wir nach Asgard zurückkehren, um die Antwort darauf zu finden.« »Ausgeschlossen!« mischte sich der Agent plötzlich ein, der neben ihnen aufgetaucht war. »Die Frau wird nicht nach Asgard zurückkehren. Sie wird hier bleiben in der Obhut von S.H.I.E.L.D. Jetzt erst recht!« Anklagend hob er das Foto ihres Fundortes hoch. »Mir muss entgangen sein, dass Ihr das plötzlich zu entscheiden habt, Mister Preston…« zischte Loki warnend, bevor er dem Agent ein eiskaltes Grinsen schenkte. Dieser Mann würde hier gewiss gar nichts entscheiden. »Ich…ich muss kurz an die frische Luft…« Gwen machte sich von Loki los und trat zur Tür, um diese fahrig aufzureißen. Der Wind wehte Schnee und Kälte herein. »Gwen, warte!« versuchte Andrew sie aufzuhalten, doch der Magier packte diesen am Arm, als er ihr folgen wollte. »Lass sie gehen…« raunte er befehlend. Der Agent machte sich von Loki los und fuhr aufgebracht zu ihm herum, als die Tür hinter Gwen zugefallen war. Ein erhobener Zeigefinger erschien drohend vor Lokis Augen. »Die Frau bleibt auf der Erde. So lautet Direktor Furys Weisung. Was du machst, ist mir egal. Von mir aus kannst du in den Tiefen des Universums verrotten, aber Gwendolyn Lewis fällt jetzt unter den Zuständigkeitsbereich-« »-von mir.« unterbrach Loki Andrew kalt und funkelte vernichtend auf den Mann herab. »Ihr Ursprung liegt offenbar in Asgard und daher habt ihr auf Midgard kein Recht, sie festzuhalten. Sie wird mit mir kommen.« »Fragt sich nur, ob sie das überhaupt will…« baute sich der Agent zornig vor dem Magier auf. »Hey, Jungs. Ich will keinen Stress in meiner Hütte, ist das klar!?« mischte sich nun Mason ebenfalls ein, der näher getreten war. »Geht und regelt das draußen…« Ein seltsames Rumpeln unterbrach die drei in ihren Reden; ein eigenartiges Schleifen wurde laut, als würde sich etwas Längliches über das Dach der Hütte ziehen. Das Holz ächzte unter dem ungewohnten Gewicht. Draußen war das gedämpfte Bellen von Angel zu vernehmen. Eine unheilvolle Woge traf den Magier, als die Energien umher aufgeregt zu wirbeln begannen; ein Aufruhr in den Mächten ließ ihn sich wachsam versteifen. Irgendetwas näherte sich da… Mason griff sofort nach seiner Schrotflinte, während der Hund an seiner Seite die Lefzen zurückzog und knurrte. »Was zur Hölle…« Er schob sich den Hut in den Nacken und sah in die Höhe. Ein Schrei von draußen durchbrach die Stille, dann folgten die Schüsse aus mehreren Pistolen. Die drei Männer sahen sich nur einen Augenblick an, dann stürmten sie zusammen zur Tür und rissen diese auf, um einen Wimpernschlag entgeistert auf die sich bietende Szenerie zu blicken. Der Schnee fiel wieder dichter und doch war gut zu erkennen, was sich draußen in der aufziehenden Dunkelheit abspielte. Der Van von S.H.I.E.L.D war von seltsamen Kreaturen umkreist, die sich rasend schnell durch den Schnee schlängelten und die Männer attackierten, die verzweifelt Schüsse auf die so plötzlich aufgetauchten Wesen abgaben. Die unbekannten Kreaturen waren fast mannshoch und bewegten sich aufrecht, der obere Teil ihres Körpers entfernt humanoid, wenn auch gänzlich von dunklen, glänzenden Schuppen überzogen. Ihre Gesichter waren schmal und spitz, die Augen lagen schräg über flachen, kaum vorhandenen Nasen. Der untere Teil ihrer Körper endete in einem schlangenähnlichen Schwanz, der sich aufgeregt durch den Schnee wandte und diesen in kleinen Wolken aufwirbelte. Eines der Wesen hatte bereits einen Agent gepackt und zog den verzweifelten Mann in den Wald; die Kreatur spreizte ihr Nackenschild ähnlich einer Kobra und zischte gereizt, als Andrew einen Schuss abfeuerte und das Wesen an der Schulter traf. Es wurde herumgewirbelt und ließ den Agent damit los, der hektisch durch den Schnee davon kroch. »Scheiße…was sind das denn für Dinger…?!« fluchte Mason aufgebracht und donnerte einer der Kreaturen eine Ladung Schrott in die Brust, als diese blitzschnell auf sie zugeschossen kam. »Jörmungandrs Brut…« murmelte der Magier unheilvoll. Andrew Preston lief zu dem Van hinüber und feuerte dabei gezielte Schüsse ab, welche die Wesen zischend zurückweichen ließen, bevor immer mehr aus dem Wald kamen und die Männer attackierten. Angel tobte wie ein Verrückter in dem Pick-up und bellte zornig gegen die Scheiben, als sich eines der Wesen auf die Motorhaube des Wagens hievte. Gwendolyn… Loki ließ die Magie fließen und wandelte seine Gestalt in einem flüchtigen Schimmern; seine vertraute Rüstung schmiegte sich um seinen Körper und kurz darauf schon verspürte der Gott die schwere Kühle des Zepters in seinen Fingern. Sofort schoss er einen gebündelten Blitz blauer Energie auf die Kreatur ab, die sich eben durch die Windschutzscheibe des Wagens schlagen wollte, um den wütenden Hund zu packen. Das Wesen wurde rauchend zurückgeschleudert und blieb im Schnee liegen. Der Magier pflügte sich eine Schneise mit Schüssen und Schlägen durch die zischelnden Kreaturen zu dem Van, wo Andrew und der Rest seiner Männer sich verbissen gegen die Wesen erwehrten. Einige der Agents waren bereits verschwunden; Schleifspuren zogen sich vom Wagen in den Wald hinein. Doch die Menschenfrau konnte der Gott nirgendwo erblicken. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus und ließ ihn noch wütender voranstapfen, seine Sorge verlieh ihm Macht. Loki donnerte einer der schlangenhaften Gestalten eine Ladung blauer Magie in den Rücken, woraufhin diese ein hohes Kreischen ausstieß; als wäre dies ein Befehl an alle gewesen, zogen sich die Kreaturen urplötzlich zurück. Schlängelnd ließen sie ihre schweren Körper zu Boden fallen und krochen durch den Schnee in den Schutz des Waldes davon. »Verdammter Mist…so etwas hab ich noch nie gesehen…« Mason kam zu ihnen und zog sich seinen Hut vom Kopf, während er vor einer der toten Kreaturen stehen blieb. Geschlitzte Pupillen starrten leer in den düsteren Himmel, während der Schnee das schlangenhafte Gesicht des Wesens fast sanft bedeckte. »Die Frau…wo ist die Frau?!« fuhr Loki einen der Agents an, welcher sich erschöpft an den Van gelehnt hatte. Der Mann weitete die Augen erschrocken, als der Gott ihn an den Aufschlägen seiner Jacke packte. »Wo ist Gwendolyn Lewis?!« »Ich…ich weiß nicht. Sie kam eben aus dem Haus und dann…dann tauchten diese Dinger auf. Ich hab sie aus den Augen verloren…« stammelte der Mann hilflos, während Andrew und Mason sich nun ebenfalls nach der Frau umsahen. Wütend stieß der Magier den Mann zurück und schritt zu dem Pick-up hinüber, um die Tür aufzureißen. Angel flog ihm förmlich entgegen und schmiegte sich winselnd gegen seine Beine, bevor er die Ohren spitzte und ungeduldig um Loki herumtänzelte. Dann senkte sich die Schnauze des Hundes; eine aufgewühlte Spur entfernte sich von dem Wagen, als wäre ein strampelnder Körper durch den Schnee davon geschleift worden… Loki ließ seine Sinne fliegen und erspürte die Verbindung, welche ihn mit Gwendolyn verband; ihre Präsenz war noch da - sie war am Leben, doch entfernte sich verdammt schnell. Das Band zwischen ihnen dehnte sich mühsam und Loki zog die Brauen angestrengt herab, als er versuchte, die Verbindung zu halten. Sie war zu weit weg… Der Schnee fiel geräuschlos und fast sanft auf sein dunkles Haar; ein erschreckend ruhiger Gegensatz zu dem Moment, als Lokis Zauber klirrend zerbrach - über die Entfernung hinweg konnte er den Spruch nicht mehr aufrecht erhalten, der Gwen vor Garms Spürsinn verbarg. Wie tausende Sternensplitter zerbarst die Magie und offenbarte die Frau damit wieder für jedermanns Blick. Unheilvoll glitten ihm die Reste seines Zaubers fast höhnisch glänzend durch die imaginären Hände, welche verkrampft versuchten, die Verknüpfungen aufrecht zu erhalten. Der Magier riss die Augen auf, während ein sanfter, grüner Hauch seinen Lippen entfloh. »Verdammt…« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)