The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Kapitel 9: Blut --------------- Gwen bog zuversichtlich um eine Ecke in den Gang zu Lokis Gemächern, blieb allerdings sogleich mit einem resignierten Seufzen wieder stehen. Unschlüssig sah sie den langen Korridor hinauf, der sich still und leer vor ihr ausbreitete. Schon aus der Ferne konnte sie erkennen, dass die Wächter nicht vor der Tür des Prinzen Stellung bezogen hatten; er hielt sich also nicht in seinem Zimmer auf. Doch wo war Loki dann? Seit dem gestrigen Tag, als sie von ihrem Ausritt zurückgekehrt waren, hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er war weder beim Abendessen aufgetaucht, welches sie schweigsam mit der Königsfamilie und deren Freunden auf Wunsch von Frigga eingenommen hatte, noch hatte er sich heute zum Frühstück blicken lassen, das Gwen - glücklicherweise - allein einnehmen durfte, da sie offenbar ein paar Minuten zu lange geschlafen hatte und bereits alle anderen ausgeflogen waren. Der Allvater hatte sie beim Essen die ganze Zeit schweigsam beobachtet und auch die Blicke von Thors Freunden und einigen Adligen waren mehrmals an ihr hängengeblieben, als hätte sie jene magisch angezogen. Da sie sich fast sicher war, dass dies nicht an ihren Tischmanieren liegen konnte - die Dank ihrer Mutter und ein paar kleinen Unterweisungen von Ashlyn, um sich im Großstadtdschungel behaupten zu können, tadellos waren - konnte eigentlich fast nur ihre Person die Ursache sein. Vielleicht lag es daran, dass sie ein Mensch war und sich mit einer Lüge nach Asgard geschlichen hatte. Oder daran, dass keiner, sie eingeschlossen, so recht wusste, was da nun eigentlich in ihr schlummerte und ob sie nicht vielleicht doch ein Feind der Asen war. Oder - und das war wohl der wahrscheinlichste Grund - daran, dass sie mit Loki verkehrte; ob nun gezwungenermaßen oder freiwillig, sich in der Nähe des Prinzen aufzuhalten schien für einige hier durchaus ein Grund für Misstrauen zu sein. Mit einem Verbrecher zu verkehren war wohl nicht der richtige Weg, um sich Freunde in den oberen Reihen zu machen. Auch wenn es möglicherweise niederträchtig war, doch Gwen hätte es durchaus begrüßt, wenn sich Loki zu den Mahlzeiten ebenfalls hätte sehen lassen, damit sie nicht allein im Interesse dieser kritischen Aufmerksamkeit gestanden hätte… Wahrscheinlich war er aber genau deshalb nicht aufgetaucht oder aber er war schlicht nicht erwünscht am Tisch des Allvaters. Seufzend trat Gwen an die äußere Balustrade des Bogenganges und legte die Arme auf der vom Sonnenlicht gewärmten, steinernen Brüstung ab, um auf den traumhaften See vor dem Palast hinauszublicken. Seichte Wellen platschten leise gluckernd gegen das sandige Ufer und der Wind fuhr rauschend durch die prächtigen Bäume, sodass sie immer wieder von Flecken hellen Sonnenscheins umtanzt wurde. Das Wetter war ausgesprochen schön; das Klima herrlich mild und Gwen fragte sich, ob es in Asgard überhaupt Jahreszeiten gab, wie sie es von der Erde kannte. Irgendwie konnte sie sich keine Schneeflocken über der Stadt vorstellen oder jenen zauberhaften See vor ihrer Nase von Eis und Frost überzogen. Es war still ringsumher und doch war sie sich des einzelnen Wächters durchaus bewusst, der ihr dezent durch den Palast gefolgt war und nun hinter einer Marmorsäule Stellung bezogen hatte; sein Blick weilte ihr spürbar im Nacken. Er war ihr Schatten, wenn sie nicht eh schon durch Lokis Wachgarde unter Beobachtung stand. Der Allvater vertraute ihr nicht vorbehaltlos und Gwen konnte es ihm nicht verübeln; er war ein König und musste ein ganzes Volk führen und beschützen - leichtsinniges Vertrauen konnte er sich einfach nicht leisten. Sie war sich ja selbst nicht einmal mehr sicher, ob sie nicht vielleicht doch gefährlich war... Nachdenklich betrachtete sie ihre Hände, die nun gewöhnlich wie immer auf dem Stein vor ihr lagen und kaum noch erahnen ließen, was gestern erneut passiert war. Gwen erschauerte innerlich und schüttelte die Ärmel ihres weiten Hemdes in einer kindlich naiven Geste über ihre Finger - ganz nach dem Motto: „Was ich nicht sehe ist auch nicht da.“ Sie hatte die ganze Sache mit dem Vogel schon völlig verdrängt gehabt; nicht vergessen, jedoch so weit von sich geschoben, dass es wie ein ferner Traum angemutet hatte. So fern, dass sie sich bereits einreden konnte, dass ihr die überreizten Nerven einfach einen Streich gespielt hatten - dass sie sich einfach geirrt und etwas gesehen hatte, was gar nicht da war. Dass alles in bester Ordnung und sie völlig normal war. Gestern allerdings hatte Loki diesen Traum ebenfalls gesehen - und das, obwohl sie beide hellwach und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen waren; dafür gab es keine Ausrede und kein Verdrängen mehr. Etwas stimmte nicht mir ihr. Und diese Erkenntnis erfüllte Gwen nicht gerade mit Freude. Was auch immer da in ihr war; was auch immer da gerade mit ihr geschah, sie wollte, dass es aufhörte und es loswerden. Und das möglichst schnell, damit sie irgendwann einfach wieder nachhause konnte. Noch niemals zuvor war ihr langweilige Gewöhnlichkeit so verlockend erschienen. Als Kind mochte man sich sicherlich oft wünschen etwas Besonderes an sich zu entdecken wie es in phantastischen Büchern doch immer stets so märchenhaft beschrieben wurde; doch die Realität sah irgendwie ganz anders aus. Es gab keinen Beifall. Keine Lobeshymnen und Gesänge. Keine ehrfürchtigen Blicke. Keine Bewunderung. In der Realität wurde man wahrscheinlich festgehalten und studiert, untersucht bis zur letzten Zelle - behandelt wie ein selten exotisches Tier, dessen Besonderheit man vorgab zu beschützen, indem man es in einen Glaskasten einsperrte, damit alle es angaffen konnten… Gwen musste in diesem Augenblick an Dr. Bruce Banner denken; diesen genialen Nuklearphysiker, der ebenfalls erst durch den Kampf der Avengers ins Fadenkreuz des öffentlichen Interesses geraten war - oder besser seine andere, deutlich grünere Seite. Der Hulk. Würde ihr so etwas auf der Erde auch blühen - von Militär und Forschern verfolgt, die begierig auf ihr Geheimnis waren? Gwen hoffte wirklich, dass der Ursprung ihrer Veränderungen in Asgard lag…und diese damit spätestens auch dann verschwinden würden, wenn sie nachhause zurückkehren durfte. Sie schloss kurz die Augen und versuchte sich auf den lauen Sommerwind zu konzentrieren, der ihr über die Haut strich, um ihre Gedanken zu klären. Dann ließ sie erneut die Szene des gestrigen Tages aus Odins Thronsaal Revue passieren, um sich abzulenken… »Odin. Vater. Wir bringen Kunde von den Reichen - wie du es gewünscht hast.« Thor lief mit weit ausholenden, entschlossenen Schritten auf den Thron des Allvaters zu, gefolgt von den Tapferen Drei und Lady Sif. In einigem Abstand dahinter betraten auch Loki und Gwen den Saal, die ihrerseits von der Gruppe gewissenhafter Palastwächter begleitet wurden, bevor sich das schwere Eingangstor hinter ihnen wieder schloss. Odin sah der Gruppe still und ernst entgegen, Gungnir in seiner Hand und die Königin an seiner Seite. Auf seinen Schultern saßen seine beiden Raben und krächzten gedämpft als Begrüßung für die Krieger. »Ich bin froh, dass ihr alle wohlbehalten zurückgekehrt seid.« erhob der Allvater seine volltönende Stimme, während der Donnergott sowie seine Gefährten ehrerbietend in die Knie sanken und die Rechte auf der Brust betteten. Auch Gwen ging respektvoll in die Knie, nachdem die Wächter hinter ihr dem Beispiel Thors gefolgt waren. Allein Loki blieb mit hoch erhobenem Haupt etwas abseits stehen. »Hugin flüsterte mir, dass ihr einen Zusammenstoß mit Steintrollen auf eurem Rückweg hattet.« warf Odin jene Feststellung in den Saal und strich beiläufig über das Gefieder des wohl benannten Vogels, während sein einseitiger Blick flüchtig über Loki glitt. Ob der König Anstoß am respektlosen Verhalten seines zweiten Sohnes nahm konnte man kaum sagen, da Odins Züge regungslos blieben. »Das ist richtig, mein König.« bestätigte Fandral die Worte des Allvaters. »Allerdings hatten die Trolle eher einen Zusammenstoß mit uns.« fügte Volstagg amüsiert an und bewirkte damit ein verhaltenes Lachen unter seinen Kampfgefährten. Selbst über die Lippen der Königin huschte ein flüchtiges Schmunzeln, während Odin völlig ernsthaft blieb. Thor war als erster wieder auf den Beinen, nachdem der Allvater ihnen allen mit einem knappen Wink bedeutet hatte, dass sie sich erheben sollten. »Nun, berichtet mir, was ihr in Erfahrung bringen konntet. Was vermelden die Reiche?« verlangte Odin daraufhin zu wissen. Thors Blick wanderte über die eigene Schulter zu Loki und Gwen zurück und auch seine Freunde taten es ihm gleich; in ihren Zügen spiegelte sich eine fragende Unsicherheit. »Sie sollen es ebenfalls hören.« Die Königin hatte ihrem Mann eine schlanke Hand auf dem lederumwundenen Unterarm gebettet und blickte entschlossen auf ihren Sohn Thor und seine Kampfgefährten hinab. »Sprecht frei.« Der Donnergott nickte seiner Mutter gehorsam zu, dann begann er mit seinem Bericht: »In Asgard ist der Hammer hier über der Stadt wohl am härtesten niedergegangen; das restliche Reich vermeldete noch keine Angriffe in dieser Art, doch häufen sich die Vorfälle der übergreifenden Welten zunehmend und die verborgenen Pfade werden sichtbar. Die Grenzen scheinen vermehrt zu verschwimmen.« »Vanaheim erlitt ebenfalls einen überraschenden, urplötzlichen Angriff bei Nacht - in der gleichen Nacht, als auch Asgard unter Beschuss stand.« meldete sich nun Hogun zu Wort. In der Stimme des sonst eher stillen und gefassten Kriegers schwang unterschwellig Aufruhr. »Sie gingen nach dem gleichen Schema vor; kamen als alle schliefen und mordeten sich wahllos durch die Hauptstadt. Kein erkennbares Ziel. Keine Forderungen bisher. Keine Gefangenen. Vanaheim konnte sie nach einer Weile ebenfalls zurückschlagen.« »Auch Alfheim blieb nicht verschont.« führte Sif den Bericht fort. »Die Lichtalben sprachen von den gleichen Schiffen, wie wir sie auch über Asgard sahen. Auch dort kamen sie in der Nacht und griffen die Stadt der Herren Alfheims scheinbar ziellos an, bevor sie wieder verschwanden.« »Die Zwerge Niflheimes wollten zuerst nicht mit uns sprechen.« erhob nun Volstagg die grollende Stimme und lehnte sich nebenher bequem auf den Stiel seiner Streitaxt, die er neben sich auf dem polierten Boden abgestellt hatte. »Sie sind mürrisch und misstrauisch wie eh und je, ein zurückgezogenes Volk unter dem ewigen Eis der Polarnacht, wo sie seit jeher nach Schätzen und Metallen graben. Doch nach einer Weile schickte man uns einen Sprecher an die Oberfläche, der ebenfalls von diesen unbekannten Schiffen am Himmel berichtete. Die Stadt der Zwerge wurde ebenso attackiert, doch da sich der größte Teil ihres Reiches unter der Erde erstreckt, hielten sich ihre Verluste in überschaubaren Grenzen.« Gwen war einen Schritt zu Loki hinübergetreten, der an einer der mächtigen Säulen des Saales lehnte, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, der Kopf an den Stein gebettet. Sein Blick war inzwischen hinaus auf Asgard gerichtet gewesen und seine lockere Haltung hätte Desinteresse vermitteln können, doch seine konzentrierten Züge hatten seine Aufmerksamkeit verraten. »Die Wesen Muspelheims begegneten uns - wie zu erwarten - mit Aggression und Feuer.« setzte Fandral nun an. »Aus ihrem Fauchen und Zischen war nicht viel herauszuhören, doch selbst sie schienen Eindringlinge in ihrem Reich bemerkt zu haben. Allerdings hielten wir es für klüger, nicht näher darauf einzugehen und stattdessen das Weite zu suchen, bevor einer der größeren Kerlchen dort Hunger bekommen hätte. Dagegen sind Steintrolle fast liebenswürdige Schoßhunde...« Der blonde Krieger schüttelte sich theatralisch und strich sich in einer perfekten Geste eine Strähne aus der Stirn. »Was für Wesen leben denn in Muspelheim?« wisperte Gwen neugierig zu Loki, der einen Mundwinkel in die Höhe zog, ohne ihr jedoch sein Gesicht zuzuwenden. »Auf Midgard würdet Ihr sie wohl Dämonen nennen.« erklärte ihr der Prinz dann süffisant mit einem kühlen Schmunzeln. »Dämonen!? Ich bitte Euch…ist das Euer Ernst?!« Gwen blinzelte ungläubig; als sie allerdings bemerkte, dass Loki keinen Scherz gemacht hatte, sondern ihr nur einen knappen Blick mit erhobener Braue aus dem Augenwinkel zuwarf, ließ sie sich mit dem Rücken und einem schweren Seufzen neben ihm an die steinerne Säule sinken. Einige Fragen konnten durchaus ungestellt bleiben. Und einige Dinge wollte sie auch gar nicht wissen, entschied sie in diesem Moment. »Jotunheim empfing uns natürlich alles andere als willkommen.« griff Thor den Bericht wieder auf und warf erneut einen bedeutsamen Blick zu Loki zurück, als würde er von seinem Bruder eine Reaktion erwarten. Der allerdings schien völlig ungerührt, beinahe gelangweilt; der Prinz lehnte weiterhin gelassen am kühlen Stein und lenkte seinen Fokus auch nicht ab von der malerischen Aussicht, auf der seine Augen weilten. Allein das Schmunzeln auf seinen schmalen Lippen wurde um eine Spur tiefer - allerdings blieb der Hauch von Spott darin aus. »Die Riesen drohten uns offen mit Vergeltung und machten Asgard für einen erst kürzlich erfolgten Angriff auf ihre Heimat verantwortlich. Ich kann es ihnen nicht verdenken.« fuhr der Donnergott dann an Odin gewandt fort. »Alles, was wir erlangen konnten waren sehr karge Informationen, bevor uns die Aussicht auf einen erneuten Krieg aus Jotunheim fliehen ließ. Allerdings sind wir uns wohl alle einig, wer die Angreifer der Riesen waren…« Thor ließ jene These im Raum stehen und endete in seinem Bericht. Odin und Frigga warfen sich einen bedeutsamen Blick zu. »Was ist mit den anderen Reichen?« meldete sich nun Loki überraschend zu Wort; erhob die samtige Stimme über das weilende Schweigen und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Sif räusperte sich, nachdem die Königin der Gruppe ein aufforderndes Nicken geschenkt hatte. »Die Tore des Hel sind verschlossen und unzerstörbar wie eh und je; die Totengöttin hält ihr Reich. Diese Grenzen sind unüberwindbar, so es die Herrin nicht selbst will, dass jene überwunden werden. Wir konnten keinen Hinweis auf einen Angriff finden, doch muss ich zugeben, dass wir auch keine besondere Mühe in die Suche legten - selbst vor den Toren des Hel sind keine Lebenden geduldet.« Eine spürbare Kälte und Furcht schlich durch die Reihen der Krieger und Wächter, entzog den Sonnenstrahlen für einen Wimpernschlag die Wärme des Tages. Unbehagen legte sich wie eine Decke über die Anwesenden, nur Loki bewahrte sich das stille, kühle Schmunzeln. »Schwarzalbenheim liegt brach und still wie es diese Welt schon seit des großen Krieges pflegt. Es gab keine Anzeichen auf Leben oder irgendeine Regung und auch keine auf einen Angriff. Malekiths Festung versinkt langsam im Sand seines eigenen Reiches, bald nichts weiter als ein stummes, lebloses Mahnmal in den Dünen der Einöde.« berichtete Hogun. »Aus Midgard erreichten uns bisher keine Berichte eines Angriffes. Womöglich haben unsere Warnungen und die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen der Erde die Angreifer abgehalten.« erklärte Odin den Versammelten nachdenklich, während Gwen erleichtert durchatmete. Zumindest schienen ihre Freunde und Familie in Sicherheit zu sein. »Bisher abgehalten…« murmelte Loki kaum hörbar, sodass allein Gwen seine Worte vernahm. Irritiert sah sie zu ihm auf, doch er blickte weiterhin geradeaus. »Wie wir es geahnt haben…« sprach Frigga ihren Gemahl an und lockte einen der Raben zu sich. Der Vogel kletterte willig von der Schulter des Allvaters und nahm seinen Platz auf dem Unterarm der Königin ein. »Unsere Vermutung scheint sich zu bestätigen.« Odin hatte einen Arm auf die Lehne seines Thrones gestützt und das Gesicht nachdenklich in eine Handfläche gebettet; so verharrte er einen Moment in völliger Versunkenheit, während sein verbliebenes Auge in einer unerreichbaren Ferne weilte - als würde er Dinge sehen, die sich dem Verstand der Anwesenden entzogen. Dann nickte der Allvater langsam und schöpfte tief nach Atem, bevor sich sein Griff um Gungnir festigte. »Tatsächlich scheinen unsere Angreifer einem bestimmten Plan gefolgt zu sein, da sie überall ähnlich vorgingen.« Sein sichtbares Auge fokussierte sich auf die Gruppe der Krieger vor sich. »Ich verfolge die Annahme, dass diese Angriffe allein dem Zweck dienten unsere Verteidigungsanlagen zu prüfen und zu studieren. Das war nichts weiter als eine Probe. Eine Prüfung für den Ernstfall.« Thor und seine Freunde warfen sich sogleich beunruhigte Blicke zu, während die Botschaft dieser Worte erschreckend schnell in ihre Glieder sickerte und die Erkenntnis auf ihren Zügen Einzug hielt. »Sie wollten wissen, wie gut die Reiche gerüstet sind und wie sie sich verteidigen. Das wissen sie nun. Und sie werden sich für den entscheidenden Angriff vorbereiten. Dies war erst der Anfang.« hallte die Verkündung Odins unheilvoll durch den Saal. »Ich wusste es...« raunte Loki und stieß sich überraschend neben Gwen plötzlich vom Marmor im Rücken ab. Der Prinz ließ sich sein erbeutetes Buch von einem der Wächter aushändigen, welcher dieses für Loki bewahrt hatte; dann drehte er sich auf dem Absatz herum und verließ ohne ein weiteres Wort oder einen Blick zurück den Saal, während ihm der Trupp der Palastwache sogleich folgte. Thor und seine Freunde hatten ziemlich erschreckende Neuigkeiten von ihrer Reise mitgebracht. Wenn dieser Angriff erst der Anfang gewesen war - was würde ihnen allen dann noch bevorstehen? Gwen gab sich nicht der Illusion an eine Hoffnung hin, dass die Erde verschont bleiben könnte. Die Ereignisse vor zwei Jahren haben mehr als deutlich gezeigt, dass eine fremde Invasion nicht mehr nur reine Fiktion von phantasievollen Filmemachern war. Schritte näherten sich ihr und ließen Gwen aus ihren Gedanken auffahren; das fehlende Scheppern von Rüstungen verriet ihr sogleich, dass sich dort weder Loki noch ihr Schatten nähern konnten. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, dass es Thor war, der mit gemächlichen Schritten auf sie zukam. Seine Rüstung hatte der Donnergott gegen einfache, bequeme Kleidung getauscht, statt des roten Umhangs bauschte sich ein brauner Mantel nun um seine Stiefel, welcher von einer silbernen Brosche auf der breiten Brust des Mannes zusammengehalten wurde. Sein blondes Haar hatte er ordentlich zu einem einfachen Zopf gebunden und sein Bart war gestutzt. Er begegnete ihrem Blick mit einem leichten Lächeln, welches Gwen zaghaft erwiderte. Seit ihrem Verhör hatte sie nicht mehr mit Thor allein sprechen können; sie war unsicher, wie er wohl inzwischen zu ihr stand. Er hatte überrascht gewirkt, als er sie an der Seite Lokis erblickt hatte - überrascht, aber nicht verurteilend. Der Donnergott trat an ihre Seite und stützte die Hände ebenfalls auf die steinerne Balustrade, während er fast beiläufig den Korridor zu Lokis Gemächern hinaufblickte. »Ihr sucht meinen Bruder?« fragte Thor, nachdem er Gwen sein Haupt zugewandt hatte. Diese nickte zögerlich. »Ja. Ja, das stimmt. Ich…ähm…naja, ich dachte, ich sollte ihn vielleicht aufsuchen wegen der Ereignisse…von gestern…« Gwens Stimme verklang fast in einem Wispern, während sie den Blick auf ihre ineinander verschlungenen Hände gesenkt hatte. Thor wusste ja wahrscheinlich noch gar nichts von den Geschehnissen im Wald - zumindest nicht von diesem seltsamen Leuchten, was sich erneut gezeigt hatte. Sie schilderte ihm kurz, was passiert war. »Es tut mir leid.« sprach sie dann unvermittelt aus und sah den Donnergott fest an, nachdem sie den Blick entschlossen zu ihm angehoben hatte. »Es tut mir Leid, dass ich Euch angelogen habe. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es eigentlich nicht wollte, denn das wäre auch wieder eine Lüge. Mir war bewusst, dass ich euch alle für meinen Job täuschen musste, aber…ich bereue es. Es fühlte sich nicht richtig an. Und es tut mir aufrichtig leid. Ich schwöre Euch, dass ich keine Feindin Asgards bin.« Thor musterte Gwen eine Weile schweigsam und nachdenklich, bevor er den Blick auf den See hinaus lenkte. »Wisst Ihr, ich glaube Euch, Gwendolyn Lewis. Und ich nehme Eure Entschuldigung an. Immerhin hat wohl jeder von uns in seinem Leben schon einmal gelogen.« Auf seinen Lippen zeichnete sich ein kleines, warmes Lächeln ab und er sah wieder zu ihr herüber. Gwen fielen sicher eine Million Steine vom Herzen in diesem Augenblick. Das Bewusstsein dieser Lüge hatte die ganze Zeit wirklich schwer auf ihr gelastet. Sie hasste es einfach lügen zu müssen. Als Kämpferin für die Wahrheit und dafür, jene unter die Menschen zu bringen, war ihr das Lügen stets das schwerste Werkzeug bei dieser Aufgabe. »Lady Gwendolyn-« begann der Donnergott. »Gwen. Bitte.« unterbrach sie Thor bestimmt, bevor sie den Blick reumütig senkte. »Verzeiht. Das war jetzt bestimmt unhöflich von mir. Aber ich bin keine Lady. Und die meisten Leute nennen mich einfach nur Gwen.« Sachte schielte sie wieder zu Thor hinauf, der amüsiert anmutete und dann wohlwollend nickte. »Na schön. Dann eben Gwen.« Er lächelte, bevor er den Faden wieder aufnahm. »Ich war äußerst überrascht, als ich Euch gestern an der Seite Lokis erblickte. Meine Mutter hat mich über Euren andauernden Aufenthalt hier in Kenntnis gesetzt. Ich hätte nie gedacht, dass Odin diese Möglichkeit tatsächlich in Erwägung ziehen könnte, Euch in die Obhut meines Bruders zu übergeben - und ihn freizulassen. Frigga muss stark auf ihn eingewirkt haben, damit er eine solch riskante Entscheidung trifft.« Thors Züge waren nachdenklich geworden; er hatte die verschränkten Arme auf dem Geländer gebettet und sah so erneut auf den See hinaus - äußerlich das Bild von Gelassenheit, doch Gwen bemerkte die Spannung in seiner Haltung, in seinen verkrampften Wangenmuskeln. »Ich glaube nicht, dass es nur die Königin war, die ihn so handeln ließ.« begann Gwen vorsichtig. »Ich glaube, der wahre Grund, warum der Allvater diese gewagte Entscheidung getroffen hat ist der, dass er Angst hat.« Thor gab ein verhaltenes, tiefes Lachen von sich und sah kurz mit gehobener Braue zu ihr hinüber. »Ihr seid mutig, so etwas zu behaupten. Sagt ihm das bloß nicht ins Gesicht, es könnte Eure letzte Tat sein. Angst ist eine Schwäche in einem Volk von Kriegern.« Gwen blickte unsicher auf ihre verschränkten Hände, dann allerdings schüttelte sie entschieden den Kopf. »Das denke ich nicht. Es gibt durchaus gute Arten von Angst.« Thor runzelte fragend die Stirn und sie fuhr bestimmt fort: »Die Angst um Freunde. Um die Familie. Um einen geliebten Menschen. Und um ein ganzes Volk.« Gwen hob den Blick wieder und sah den Donnergott offen in die blauen Augen. »Wenn Euer Vater keine Angst hätte, dann wäre er nicht in der Lage sie alle zu beschützen. Angst ist ein mächtiger Antrieb. Sie lässt manchmal unmögliches möglich werden, uns Dinge tun und Entscheidungen treffen, die zwar riskant sind - aber sich am Ende als richtig erweisen.« »Ihr sprecht sehr geistreich für ein so junges Geschöpf wie Ihr es seid.« raunte Thor anerkennend und sah sie lange forschend an, bevor er die Augen nachdenklich verengte. »Habt Ihr Euch deshalb vor den Speer des Allvaters gestellt und meinen Bruder beschützt?« fragte er dann nach einer Weile. Gwen hatte gewusst, dass Thor diese Frage stellen würde. Er hatte zu diesem Schluss kommen müssen. Sie lächelte unsicher und senkte den Blick wieder auf ihre Finger, die beiläufig nun verschlungene Kreise auf dem Stein der Balustrade malten. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich weiß nicht, warum ich es getan habe. Aber ja, ich hatte Angst um Euren Bruder.« gab sie dann offen zu und sah Thor ehrlich an. »Und ich hielt es für die richtige Entscheidung in diesem Moment. Mein Gefühl hat mir gesagt, dass es richtig ist.« »Euch verbindet nichts mit Loki.« Es war eine Feststellung und doch klang es wie eine Frage formuliert. In Thors Augen lag ehrliche Neugier, jedoch kein Funke von Abneigung. Egal, was sie ihm sagen würde - er würde sie nicht verurteilen. Er wollte nur verstehen. Und - Himmel - ja, das wollte Gwen auch. Doch obwohl sich die Welt inzwischen weitergedreht und sie genug Zeit zum nachdenken gehabt hatte, konnte sie diese Frage noch immer nicht angemessen beantworten. Noch nicht einmal für sich selbst. »Ja, ich weiß.« lenkte sie dann nach einem Moment ein. »Zumindest vereint uns nichts Greifbares wie unser Blut oder viele Jahre einer gemeinsamen Vergangenheit. Wir kennen uns nicht. Und doch…« Sie stoppte kurz und blinzelte angestrengt, in den eigenen Empfindungen nach den rechten Worten suchend. »…irgendetwas verbindet uns. Ich kann es nicht erklären und nicht in Worte fassen, aber es ist da. Wie ein unsichtbares Band…« endete sie zaghaft. Thor zog die Stirn in tiefe Falten; blickte eine Weile schweigsam und nachdenklich zu Gwen herüber, bevor er einen ernsten Ton anschlug: »Nehmt Euch vor Loki in acht, Gwen. Egal, was Euer Gefühl Euch in Bezug auf ihn raten mag - glaubt ihm nicht leichtfertig. Er weiß Gefühle und Gedanken zu manipulieren. Vertraut ihm nicht. Er saß nicht grundlos in dieser Zelle.« erinnerte sie der Donnergott mahnend. Vielleicht sollte sie Thor darüber informieren, dass Frauen gern genau das taten, was man ihnen eigentlich ausreden wollte - gute Ratschläge und Warnungen hatten da oft eher eine gegenteilige Wirkung. »Ich weiß…« erinnerte Gwen ihn und sich selbst auch an diese Tatsache; daran, dass sie wusste, was Lokis Verbrechen waren, da es ihr die Königin bereits sehr gründlich geschildert hatte. Gwen kam das Gespräch der beiden so unterschiedlichen Brüder vom gestrigen Tag in den Sinn. Eine unsichtbare, aber beinahe greifbare Spannung hatte zwischen den Männern in der Luft gelegen; Loki hatte so seltsam verbittert gewirkt - obwohl er dieses Gefühl sicherlich niemals zugegeben hätte. Und Thor war so resigniert erschienen, als hätte er seinen Bruder bereits aufgegeben - oder als wäre es zumindest nicht mehr weit bis zu jenem Punkt. Konnten viele gemeinsame Jahre - die Familie - so einfach ausgelöscht und vergessen werden? Konnte man Gefühle und Zuneigung so einfach untergraben? Der Donnergott hatte seinen Bruder vor einer Weile noch als tot bezeichnet, erinnerte sich Gwen. Er musste es können. Vielleicht hatte die Erkenntnis über Lokis Herkunft diesen Prozess unbewusst beschleunigt... Wie sie herausgehört hatte, waren Jotunheim und Asgard ja nie sonderlich dicke Freunde gewesen. »Ihr mögt Euren Bruder nicht mehr besonders, oder?« wagte sich Gwen dann vorsichtig zu fragen, an Thor gewandt, dessen Blick wieder geradeaus auf den schimmernden See gerichtet war. Der laue Sommerwind zupfte an den einzelnen, widerspenstigen Strähnen seines blonden Haares, die sich nicht durch einen Zopf hatten bändigen lassen. »Nein.« begann er dann leise und Gwen wollte bereits ein bedauerndes Seufzen über jene Wahrheit ausstoßen, als er sie mit festen Worten überraschte. »Ich liebe ihn.« Verdutzt sah sie Thor an, der ihr nach einem Moment sein Gesicht wieder zuwandte. »Wie könnte ich je aufhören ihn zu lieben? Er ist mein Bruder. Er wird es immer sein.« Darauf hatte Gwen keine Erwiderung. Sie konnte dieses Gefühl nicht beurteilen, was Geschwister miteinander verband - sie hatte keine. Zumindest wusste sie von keinen. Womöglich hatte sie irgendwo eine Schwester oder einen Bruder, nur würde sie das wahrscheinlich nie erfahren. »Doch ich fürchte dieser Teil in Loki, der einst mein Bruder war, wird immer schwächer.« fuhr Thor dann langsam fort. In seinen Augen lag eine tiefe Traurigkeit; Bedauern über einen Verlust, den er noch nicht erlitten, aber auf den er sich bereits eingestellt hatte. »Irgendwann hat er einfach aufgehört zu wissen, wer er ist und wo er hingehört.« Der Donnergott richtete sich wieder auf und bot Gwen seinen Arm, welchen sie nach einem kurzen, unsicheren Zögern ergriff. »Kommt, Gwen. Ich bringe Euch zur Bibliothek. Wenn mein Bruder nicht in seinem Zimmer weilt, so hat er sich bestimmt dort verkrochen.« Thor führte sie durch die viel verzweigten Gänge des Palastes, während ihnen in einigem Abstand Gwens Schatten folgte. Allein fand sie sich in Gladsheim noch immer kaum zurecht; sie war schon froh, wenn sie den Weg von ihrem Zimmer zum Speisesaal und zurück ohne große Umwege schaffte. Der Donnergott war wieder in nachdenkliches Schweigen verfallen, das Gwen nach einigen unruhigen Minuten einfach nicht mehr aushielt und durch eine neugierige Frage unterbrach. »Loki war nicht immer so, oder?« Vorsichtig schielte sie zu Thor hinauf, der ein kleines, amüsiertes Schmunzeln sehen ließ. »Wie - so arrogant, durchtrieben und rechthaberisch?« hinterfragte er und Gwen nickte zaghaft. »Doch, so war er schon immer.« erklärte ihr Thor mit einem kurzen Lachen, bevor er wieder ernst wurde. »Allerdings hat sich dieser grausame Funken Niedertracht erst vor einer Weile in ihm eingenistet, von dem sich keiner so recht erklären kann, wie er entstanden oder wo er hergekommen ist.« Er unterbrach sich kurz, bevor er entschieden fortfuhr: »Ich wünschte, ich könnte meinen Bruder zurückbekommen. Den Loki von früher.« Gwen verspürte die ehrlichen Emotionen des Donnergottes wie ihre eigenen und drückte ihm bestärkend und tröstend den Arm. Sie mochte sich nicht einmal vorstellen wie es wäre einen geliebten Menschen zu verlieren - nicht an den Tod, sondern an den Irrsinn. Beide Arten waren schlimme Verluste, doch wobei man bei ersterem Trauer und Schmerz vielleicht irgendwann überwinden konnte, so blieb bei letzterem beides hartnäckig bestehen, während man die betreffende Person ständig wie durch eine Glasscheibe sehen musste - man sah die Illusion von dessen, was einst war, in dem Bewusstsein, dass es niemals wieder so werden würde. »Wie war Loki früher? Erzählt mir etwas über Euren Bruder.« sprach Gwen dann vorsichtig aus, bevor sie ein höfliches und anständiges »Bitte.« nachfügte. Für einen Moment wirkte es, als wollte Thor nicht antworten; seine Stirn zog sich in tiefe Falten, er wirkte unschlüssig und mit sich selbst ringend und Gwen verfluchte sich innerlich schon dafür, dass sie das Thema überhaupt zur Sprache gebracht hatte - da ergriff er doch wieder das Wort. »Loki war schon immer der Geistreichere von uns beiden gewesen, war redegewandter und überlegter. Er verstand die Dinge stets schnell und vollkommen, wofür ich ihn immer bewundert und beneidet habe.« Obwohl Thor von Neid sprach lag keine Niedertracht in seiner Stimme; eher war es der warme Klang von glücklichen Erinnerungen an Tage, die weit zurücklagen. »Wenngleich ich die Breitschwerter, Äxte und Hämmer allein wegen meiner kräftigen Statur schneller schwingen und beherrschen konnte, war er es doch, der die Techniken dahinter begriff und als erster wusste, wie man ein Schwert exakt zu führen hatte. Seine Auffassungsgabe war schon immer beachtlich gewesen. Jeden Makel, den andere wegen seiner eher schlanken Gestalt in ihm sahen, glich er durch seinen flinken und beispiellos vielschichtigen Geist wieder aus. Er lernte sehr frühzeitig das Schreiben und Lesen, drang in die Geheimnisse der Alchemie und Mathematik ein, machte sich mit Politik und den Feinheiten der Diplomatie vertraut und entdeckte die Magie für sich als Waffe, derer er sich müheloser bedienen konnte als mancher Krieger seiner starren, schweren Axt. Die Asen verachten das Nutzen von Zaubern und Magie. Ich glaube, weil sie es nicht verstehen und Dingen prinzipiell nicht trauen, die sie nicht sehen und anfassen können. Sie haben Loki für seine Begabung verurteilt - weil sie Angst vor ihm hatten. Weil sie neidisch auf seine Macht waren.« Thor schwieg kurz, während sie um eine Ecke des Ganges bogen und er die Asen höflich mit einem Nicken grüßte, welche eben an ihnen vorbeikamen. »In allem, was er tat, war Loki perfekt. Er hat stets hohe Ansprüche an sich selbst und seine Fähigkeiten gestellt.« Gwen hörte den Stolz eines Bruders aus den Schilderungen Thors und sah verstohlen zu dem stattlichen Mann neben sich auf. Ja, sie konnte sich durchaus vorstellen, wie schwer es für den Donnergott gewesen sein musste, seinen Bruder in einer Zelle des Kerkers und um seine Verbrechen zu wissen. Langsam verstand sie auch, warum Thor Loki einst als tot bezeichnet hatte - manchmal wäre das wohl leichter zu verkraften als die Wahrheit. Ob Loki wusste, wie sehr sein Bruder ihn doch achtete? »Loki musste mir oft bei den Studien der Schriften helfen, die ich im Gegensatz zu ihm als vertane Zeit erachtete.« fuhr Thor dann amüsiert fort. »Dafür habe ich ihn dann oft zu kopflosen Dummheiten und riskanten Abenteuern überredet. Einmal haben wir heimlich das Schlachtross unseres Vaters aus den Stallungen geholt und sind damit geflüchtet - Loki vor einer erneuten Trainingseinheit mit der Streitaxt und ich vor einer langweiligen Stunde Politik und asische Geschichte.« In den blauen Augen des Donnergottes funkelte jugendlicher Schalk und sein Blick schien in der Vergangenheit zu weilen; in einer Zeit, als die Tage noch leichter und glücklicher waren. Gwen lauschte seinen Ausführungen äußerst begehrlich und interessiert und konnte sich selbst das Schmunzeln nicht verbieten, als sie sich die beiden Jungen auf ihrer Flucht vor ihren Verpflichtungen vorstellen musste. Das Leben eines Prinzen musste weniger verlockend sein, als man sich das durch Märchen und Geschichten vielleicht vorstellte. Eine unheimliche Bürde lastete bereits auf schmalen Kinderschultern, die zu tragen für manchen einfach zu schwer wurde. »Odin hat uns natürlich nach einer Weile dank Hugin und Munin gefunden und eine ordentliche Standpauke und Strafe verabreicht. Aber wir haben zusammengehalten - weder Loki hat mich verraten, noch habe ich ein schlechtes Wort über ihn verloren. Wir haben Unfug zusammen begangen und ihn auch zusammen bereinigt und dafür geradegestanden. Doch diese Tage liegen in der Vergangenheit und werden wohl auch nicht wiederkommen…« endete Thor mit einem leisen, wehmütigen Seufzen, bevor er die breiten Schultern straffte und mit Gwen vor einer hohen, massiven Tür stehen blieb. An deren Seiten hatten die Männer der Palastwache Stellung bezogen, die Gwen bereits kannte - und die damit Thors Vermutung bestätigten. »Da wären wir. Die Bibliothek.« erklärte er ihr mit einem Lächeln. Loki hielt sich bereits seit den ersten Nachtstunden in der Bibliothek Gladsheims auf. Nachdem Thor am gestrigen Tag mit seinen Neuigkeiten wieder heimgekehrt war, hielt es der Magier für durchaus angebracht seine Nachforschungen zu vertiefen und sich schleunigst um Antworten zu kümmern. Natürlich lag hinter seinem Eifer nicht das Bestreben, seiner Familie einen sonderlichen Gefallen zu tun und deren Anweisungen zu aller Zufriedenheit zu erfüllen, um sich Anerkennung zu sichern - über diese Torheit war er längst hinaus. Allerdings lag die Weisung des Allvaters in diesem Moment einmal mehr in seinem Interesse; er strebte noch immer den Thron Asgards an und würde wohl nicht viel zu regieren haben, wenn die fremden Invasoren erneut zuschlugen. Niemals konnte er zulassen, dass ihm jemand das Privileg entriss über Asgard zu herrschen. Der Thron gehörte ihm - wenn das Reich der Asen untergehen würde, dann nur, weil er es so wollte. Und nicht, weil der Angriff eines fremden Volkes Asgard aus den Geschichtsbüchern strich. Demzufolge hatte er sich nun in die vertraute Abgeschiedenheit der Bibliothek zurückgezogen, um in Ruhe nachzudenken und die einsortierten Werke nach hilfreichen Schriftstücken zu überprüfen. Asgard besaß eine der größten Bibliotheken der Neun Reiche; noch umfangreicher waren allein die Büchersammlungen Alfheims und Vanaheims. Die Asen horteten gern Wissen, allerdings verirrte sich sehr selten jemand in die Bibliothek, sodass Loki hier bereits schon viele Stunden in stiller Einsamkeit zwischen den haushohen Regalen verbracht hatte, die über und über vollbepackt waren mit historischen Werken, von denen einige wohl bereits ihre Existenz seit Anbeginn der Zeit zählten und nun ihr Dasein zwischen Staub und Holz fristeten. Es gab nur wenige Gelehrte in Asgard, die diesen Hort des Wissens nutzen, da die meisten Asen keinen Sinn für das geschriebene Wort aufbringen konnten und Geschichten lieber des Abends am Feuer bei einem Becher Met grölend und mündlich austauschten. Eine Waffe lag vielen besser in der Hand als lederumwundenes, hauchzartes Pergament, welches wahres Fingerspitzengefühl erforderte, wenn man einige der uralten Werke nicht zu einer bloßen Erinnerung unter bröselnden Seiten zerstören wollte. Die hohen Fenster ließen genügen Licht in die Halle, sodass der Staub im stillen Sonnenlicht beinahe magisch glitzernd flirrte. Die Luft war angereichert vom Geruch der hölzernen Regalwände und dem unverkennbaren Duft von altem Leder und Pergament. Die Ruhe hier war angenehm und friedlich; obwohl Loki eigentlich die letzte Zeit in Gefangenschaft mehr als genug davon bekommen hatte, genoss er trotzdem die altvertraute Umgebung, die verblasste Erinnerungen wieder aufleben ließ. Und hier stand ihm zumindest eine Tür zur Verfügung, durch die er jederzeit entschwinden konnte. Vor eben jener Tür tauchten nun zwei Präsenzen auf, die nicht zur königlichen Garde gehörten; Loki erkannte Thor und die Sterbliche, die eben vor der Bibliothek angekommen waren. Überrascht klappte der Magier das Buch zu, in welchem er gerade gelesen hatte und sah abwartend auf die schwere Tür der Halle - doch jene öffnete sich entgegen seiner Erwartungen nicht. Irritiert brach er seine Zelte an einem der massiven Schreibtische ab, die zum Lesen und Nachforschen dienten; erschöpft rieb er sich über die Schläfen, während er mit entschiedenen Schritten zur Tür der Bibliothek hinüber schritt. Eine Unterbrechung seiner Recherchen wäre jetzt wahrscheinlich eh mehr als angebracht, da die Buchstaben der Texte vor seinen Augen bereits verschwommen waren und seine Konzentration durchaus eine auffrischende Pause benötigen konnte - die Müdigkeit schob er entschlossen beiseite; schlafen konnte er später noch. Daher war es beinahe mehr als praktisch, dass die Sterbliche jetzt den Weg hierher gefunden hatte. So musste er sie nicht aufsuchen, was er am heutigen Tage eh noch im Sinn gehabt hatte. Das helle Lachen der Menschenfrau ließ ihn im Schritt stocken. Kurz darauf ertönte das unverkennbare, grollende Lachen Thors, woraufhin Loki die Brauen unbewusst missgünstig zusammenzog. Die zwei schienen sich ja hervorragend zu verstehen… Da stand das Reich womöglich vor einem erneuten, verheerenden Angriff und sein Bruder brachte tatsächlich die Zeit auf, diese rothaarige Sterbliche zu umgarnen - und Odin zog es tatsächlich noch immer ernsthaft in Betracht, Thor auf den Thron zu setzen? Manchen Personen konnte man einfach nicht helfen… Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte und riss die schwere Flügeltür schon förmlich auf - als wäre er ein Vater, der erwartete, seine Kinder bei Unfug und Dummheiten zu erwischen. »Ach nein, sie verachten Euch nicht, Gwen. Da liegt Ihr falsch. Sie waren nur anfangs etwas misstrauisch, was sie als Krieger und Beschützer des Reiches auch sein müssen. Doch jetzt hat Sif sogar vorgeschlagen, dass sie Euch in der Handhabung eines Schildes unterweisen könnte und auch Fandral bot an, Euch im Schwertkampf zu lehren. Sie sind der Meinung, dass Ihr nicht schutzlos durch Asgard wandeln solltet. Sie machen sich Gedanken um Euch.« Der Donnergott hatte eine große Hand auf der zierlichen Schulter der Menschenfrau gebettet und sah sie mit einem warmen Lächeln an, während sie mit zaghafter Unsicherheit zu ihm aufblickte. »Ich und ein Schwert? Ich weiß ehrlich nicht-« Loki bekam die letzten Wortfetzen dieses wohl bereits länger andauernden Gespräches mit, bevor die beiden sich seiner Anwesenheit gewahr wurden und ihre Köpfe sich dem Magier zuwandten. Thor zog seine Hand beinahe wie ein ertapptes Kind von der Süßigkeitenschüssel zurück und Loki kam nicht umhin sich zu fragen, wann die beiden denn zu der so vertrauten Anrede gefunden hatten. Der Donnergott hatte die Sterbliche beim Namen genannt und das störte den Magier seltsamerweise. »Loki-« begann Thor gerade, während der Magier die Flügeltür hinter sich geräuschvoll wieder ins Schloss zog, bevor er seinen Bruder achtlos in dessen Worten unterbrach. »Du gedenkst hoffentlich nicht wirklich sie in die Hände Fandrals zu übergeben, mein „Bruder“?!« Bissigkeit troff förmlich aus Lokis Worten. »Das Einzige, was der ihr wohl beibringen würde, wäre die Handhabung eines gänzlich anderen Schwertes, das man nur zwischen Laken und nicht auf dem Schlachtfeld benutzt.« sprach der Magier mit überheblich in die Höhe gezogener Braue. Thor brauste sofort empört auf. »Fandral ist ein ehrbarer Mann! Er würde niemals-« »Er ist wahrscheinlich so wenig ehrbar, wie ich ehrlich bin.« wischte Loki die Verteidigung seines Bruders mit einer lapidaren Handbewegung beiseite, bevor er den Fokus seiner grünen Augen auf die Sterbliche richtete. »Ich meine mich zu erinnern, dass die Anweisung des Allvaters darin bestand, dass Ihr Eure Zeit an meiner Seite verbringen solltet und nicht an jener Thors - oder irre ich da womöglich?« fragte er sie in anmaßendem Tonfall und sah gebieterisch auf sie herab. Die plötzliche Röte auf ihren Wangen, die nicht von Scham herrührte, amüsierte den Magier. Noch dazu das angriffslustige Funkeln in ihren Augen; ja, sie war durchaus unterhaltsam. »Nein, da irrt Ihr Euch nicht. Thor war allerdings so nett, mir zu helfen. Ihr seid gestern einfach verschwunden und habt mir weder gesagt, wohin Ihr geht, noch wo ich Euch finden kann. Wie sollte ich da-« Loki unterbrach die Menschenfrau in ihren entrüsteten Worten, indem er sie am Oberarm ergriff und einfach mit sich führte; seine Finger schlossen sich bestimmt um ihren schlanken Arm, doch er achtete darauf, dass er ihr nicht wehtun würde. Einen knappen Blick schickte er zu Thor, der die beiden unschlüssig ansah und offensichtlich nicht wusste, ob er sich einmischen sollte oder nicht. »Danke für deine Mühe, sie zu mir zu führen. Aber jetzt werden deine Dienste nicht weiter benötigt, Bruder.« gab er in herablassendem Tonfall an den Donnergott zurück. »Du entschuldigst uns? Wir haben noch zu tun.« Ohne auf die Antwort Thors zu warten, zog er die überrumpelte Frau mit sich. Deren überraschte Starre währte allerdings nicht lange und schon begann sie sich gegen seinen Griff zu wehren, allerdings eher halbherzig als wirklich forciert. »Lasst mich los. Ich bin durchaus fähig allein zu laufen. Außerdem tut Ihr mir weh…« fuhr sie ihn ärgerlich an. »Ihr lügt.« erwiderte Loki seelenruhig. »Mein Griff ist sanft. Eure Aura ruhig. Ihr könnt gar keine Schmerzen haben.« Zurechtweisend sah er zu ihr hinüber und ertappte sie dabei, wie sie den Blick flüchtig verlegen senkte und ihre Unterlippe unsicher zwischen die Zähne zog, bevor sie sich wieder gefangen hatte. »Was wisst Ihr schon über die Empfindungen einer Frau…?« fragte sie dann missmutig. Loki ließ sie nun doch los und ging voran, sich darauf verlassend, dass sie ihm schon folgen würde wie die Horde trampelnder Palastwächter, die ihnen in einigem Abstand mit scheppernden Schritten nachkamen. »Nicht viel, dass muss ich zugeben. Allerdings wären Studien in diese Richtung auch verschwendete Zeit.« »Bei Euch wäre das gewiss verschwendete Zeit, da habt Ihr Recht. Mit dieser unheimlich charmanten Art, die Ihr an den Tag legt, wird sich wohl auch nie eine Frau mehr als zwei Schritte an Euch heranwagen.« gab sie ihm prompt Kontra und entlockte Loki damit ein ehrliches Schmunzeln; das allerdings versteckte er hinter der aalglatten Fassade seines Gesichtes, bevor er abrupt stehen blieb und sich auf dem Absatz umwandte. Unvermittelt prallte die Sterbliche gegen ihn und starrte dann mit leicht geweiteten Augen zu ihm auf; irritiert, überrascht und mit einer weiteren Empfindung, die er noch nicht einordnen konnte - ein verlockend sinnlicher Schatten huschte durch ihre hellen, silbernen Augen. Die Hände hatte sie intuitiv erhoben und jene lagen nun auf dem grünen Stoff seiner Robe gebettet. »Ach tatsächlich?« grinste er dann mit süffisant gehobener Braue auf sie herab. Sie war wirklich eine schlechte Lügnerin. Ihre Hände blieben einen Augenblick zu lange auf seiner Brust, als das sie wirklich abgestoßen von ihm und seiner Art hätte sein können, bevor sie sich mit einem kleinen Schnauben von ihm drückte, da ihr wohl ebenso bewusst wurde, dass sie zu lange in seiner Nähe verweilt hatte. Er konnte förmlich sehen, wie zurechtweisende, feurige Worte auf ihrer Zunge Gestalt annahmen; das kämpferische Aufblitzen in ihren Augen erinnerte ihn an ihren Wettstreit zu Pferd. Allerdings schien sie sich im letzten Moment eines besseren zu besinnen und schluckte die bissige Entgegnung wohl herab. Ob sie Angst vor ihm hatte? Zum ersten Mal stellte sich Loki diese Frage bewusst; und zum ersten Mal erschien ihm diese Möglichkeit durchaus beklagenswert. Obwohl er die Angst der Menschen einst mehr als genossen, sie sogar bewusst heraufbeschworen hatte - bei dieser Sterblichen hier war es irgendwie anders. Er bedauerte es fast, dass sie aus Angst oder Respekt sich selbst und ihre Zunge im Zaum halten könnte. Er hätte dieses Feuer in ihr liebend gern noch länger beobachtet; dem stürmischen Ausbruch zugesehen und ihren impulsiven Worten gelauscht. Er war neugierig darauf, dass musste er zugeben. Ihre Wortgefechte waren vergnüglich. Und das kam Loki in den Sinn - ihm, der nie sonderlich viel auf Vergnügen gegeben hatte. Irgendetwas schien sie zu bremsen und ihren Eifer ab und an zu dämpfen. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn als einen Prinzen Asgards sah - als Thors Bruder und Odins Sohn. Wahrscheinlicher war allerdings, dass die Erzählungen der Königin unterschwellig furchtsamen Respekt in ihr beschworen hatten und sie sich deshalb zurückhielt, da sie ihn nicht einzuschätzen wusste. »Sagtet Ihr nicht, dass wir zu tun hätten?« erwiderte sie dann nur lapidar, bevor sie ihn fragend ansah und die Arme auf eine abwehrende Weise vor der Brust verschränkte. »Richtig.« lenkte er sachlich ein und wandte sich wieder um. Sie folgte ihm und schweigend setzen sie ihren Weg fort, welcher von den klirrenden Schritten der Palastwache begleitet wurde. Nach einer Weile erreichten sie die Aufzüge Gladsheims und Loki trat vor der Sterblichen auf eine der kreisrunden Plattformen, welche durchsichtig schimmernd vor ihnen ausgebreitet lag und von kunstvollen Mustern und stilisierten Blüten durchzogen war. Die Konstruktion des Aufzuges war freischwebend und offen nach allen Seiten; die Podien glitten lautlos in elfenbeinfarbenen Schächten in die Höhe, die auf der abgewandten Seite des Palastes durch eine gläserne Front geziert waren. So offenbarte sich auf jeder Fahrt in die oberen Stockwerke ein herrlicher Ausblick über die Stadt. Die menschliche Frau setzte ihren Fuß ziemlich zögerlich auf die gläserne Plattform, während ihr Blick sich hob und Unsicherheit sowie ein furchtsamer Schatten über ihre Züge huschten, als sie in den luftigen Schacht hinaufsah und den vorgegebenen Weg des Aufzugs mit den Augen verfolgte. Das obere Ende des Schachtes war durch eine Glaskuppel geschützt und ließ den Blick auf den Himmel somit frei. Die Männer der Palastwache zögerten weniger und reihten sich sogleich wachsam um Loki auf. Alles wartete nun auf die Menschenfrau. Loki folgte ihrem Blick nach oben und hob einen Mundwinkel, bevor er die Sterbliche fragend ansah. »Angst?« Sie sah ihn verärgert an, allerdings gelang das weniger intensiv durch die verräterische Blässe um ihre zierliche Nase. »Ich habe lieber festen Boden unter den Füßen. Luftige Höhen meide ich normalerweise...« gab sie dann aber zögerlich zu; er spürte, dass es ihr nicht gefiel, sich diese Schwäche vor ihm eingestehen zu müssen. Er trat zu ihr hinüber und streckte ihr eine Hand auffordernd, allerdings auch anbietend entgegen; immerhin waren ihm Verzögerungen in seinen geplanten Abläufen äußerst zuwider. Niemals hätte er zugegeben, dass es ihn durchaus lockte, sie erneut berühren zu können; dass er neugierig auf diese Empfindung war, die eine Berührung von ihr hervorrief. »Kommt, es ist weniger schlimm, als es aussieht. Ich gewähre Euch meine Hand, in die Ihr Eure Nägel furchtsam krallen könnt - wenn Ihr denn die Nähe von gewiss weniger als zwei Schritten zu mir ertragen könnt.« sprach er mit spöttisch gehobener Braue, allerdings milderte seine sonstige Überheblichkeit ein ehrlich amüsiertes Schmunzeln, was sich gänzlich ohne sein Zutun auf seine Lippen geschlichen hatte. Die Sterbliche blickte grimmig zu ihm auf und murmelte ein verhaltenes: »Sehr witzig, Eure Hoheit…« bevor sie sich entschlossen straffte und seine Hand ergriff. Das elektrisierende Prickeln war sofort wieder da und überzog Lokis Arm mit einer feinen Gänsehaut. Sie war offensichtlich zu nervös, um es zu bemerken; ihr Blick war bereits schon wieder nach oben gerichtet, während sie befangen auf ihrer Unterlippe kaute. Dem Magier war bereits aufgefallen, dass sie das oft zu tun pflegte, wenn sie innerlich unsicher war. Er nutzte ihre momentane Ablenkung, um sie noch ein Stück zu sich zu ziehen, damit er verstohlen einen Hauch ihres Duftes einfangen konnte, bevor er einem der Wächter bestimmt zunickte. »Zur Ebene der Heiler.« Der Mann trat an das eingelassene Kontrollpult und dirigierte dem Aufzug somit die gewünschte Ebene; schon setzte sich die Plattform gleitend und sanft in Bewegung. Sofort klammerte sich die Menschenfrau an die Hand des Magiers und rückte näher zu ihm, was allerdings wohl eher unbeabsichtigt geschah, denn ihr Fokus hatte sich wie paralysiert zu Boden gesenkt und sie verfolgte mit großen Augen, wie sich der Erdboden unter ihnen immer weiter entfernte. »Nicht nach unten sehen.« raunte Loki ihr entgegen, nachdem er sich ein Stück zu ihr herabgebeugt hatte und sein Gesicht nun fast neben ihrem weilte. »Seht nach draußen.« Sie zuckte unmerklich zusammen, da seine Stimme plötzlich so nah an ihrem Ohr erklang, folgte dann jedoch seiner Anweisung und riss den Blick vom schwindenden Boden los, um ihre Aufmerksamkeit auf die gläserne Front des Aufzuges zu lenken. Die Sonne schien kräftig vom Himmel und das Licht ihrer Strahlen brach sich tausendfach in dem Glas der halbrunden Wände; alle Farben des Spektrums ergossen sich in zahlreichen Funken auf die Wächter sowie den Magier und die Sterbliche - dazu zauberte dieses Lichterspiel einen traumhaft glänzenden Schleier über den Ausblick der Stadt. Ohne, dass sich Loki dessen bewusst wurde, hatte sich sein Daumen selbstständig gemacht und zog träge, beruhigende Kreise auf dem Handrücken der Menschenfrau, was beinahe sogleich Wirkung zeigte; ihr verkrampfter Griff lockerte sich ein wenig und sie sah flüchtig aus dem Augenwinkel zu ihm herüber. »Das ist wunderschön.« hauchte sie, die Stimme noch etwas zittrig von der nervösen Anspannung ihrer Angst. Ihre hellen Augen waren leicht geweitet und präsentierten Loki ein fabelhaftes Schauspiel, da sich das gebrochene Licht in ihnen spiegelte und die verirrten goldenen Sprenkel in ihrer Iris äußerst faszinierend aufleuchten ließ. »Hm. Das ist es.« bestätigte er mit einem samtigen Raunen und wurde sich augenblicklich bewusst, dass er überhaupt nicht wusste, was er selbst damit eigentlich meinte - die fantastische Aussicht auf Asgard oder die außergewöhnlichen Augen der Sterblichen. Kontrollverlust über die eigenen Gedankengänge war Loki äußerst fremd und er quittierte diese neue Empfindung mit einem verwirrten Stirnrunzeln, als der Aufzug auch schon mit einem sanften Ruck in den oberen Ebenen zum stehen kam. Eine gläserne Tür öffnete sich im glatten Stein der Wand und gab den Blick auf einen langen, hellen Korridor frei. Loki ließ die Hand der Frau mit einem kleinen irritierten Kopfschütteln los, dann trat er in den Gang ein, den einige Asen in schlichten, weißen Gewändern bevölkerten. Sie wirkten geschäftig und nur einige hoben den Blick, um die Ankömmlinge neugierig zu beäugen, bevor auf den meisten Gesichtern kritische Verwirrung Einzug hielt, als sie Loki erkannten. Frigga hatte ihm erzählt, dass viele der Bevölkerung Asgards lange Zeit im Glauben gewesen waren, dass der Magier bei der Zerstörung des Bifröst umgekommen war. Odin hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, diesen Irrtum aufzuklären, nachdem Loki auf Midgard äußerst lebendig wieder aufgetaucht war und versucht hatte, die Erde für seine Zwecke zu unterwerfen; die Schande, die der Prinz über die Königsfamilie gebracht hatte, war so schon groß genug. Allerdings hatte es Gerüchte gegeben; gesprächige Wächter, die von Loki in den Kerkern Gladsheims berichtet hatten und so machte die Geschichte vom untoten Asenprinzen rasch die Runde unter der Bevölkerung. Nur wenige von Odins ausgewählten Ratsmitgliedern wussten um die Wahrheit und der Rest würde es nie wagen, danach zu fragen. Und so sahen wohl viele der Asen in Loki eine schaurige Erscheinung; seine Berufung zur Magie kam da wohl noch zusätzlich gelegen und gab Anlass und genügend Stoff für viele geistreiche Ausschmückungen der Geschichte, wo er doch so plötzlich wieder auf der Bildfläche erschienen war. Allerdings hatte der Allvater - äußerst überraschend für Loki - angewiesen, dass jeder den Magier mit dem gebührenden Respekt zu behandeln hatte und ihm zur Hilfe verpflichtet war, so er sie benötigen sollte. Eine dunkelhaarige Asin trat an die Gruppe heran und verbeugte sich ein wenig steif vor Loki, als wäre es ihr eine besonders schwere Aufgabe, diese Respektsbekundung vor ihm auszuführen. »Eure Hoheit…« kamen die Worte anfänglich ein wenig stockend über ihre Lippen, bevor sie flüssiger fortfuhr. »…wie können wir Euch helfen?« »Ich benötige eine der Heilkammern.« kam er gleich zur Sache und sah die Frau fordernd an, die sich wieder aufgerichtet hatte und sogleich ein verstehendes Nicken sehen ließ. »Natürlich. Gerade ist eine der Kammern freigeworden. Ihr könnt sie sofort in Benutzung nehmen. Noch dazu werde ich Euch gern den fähigsten unserer Heiler zur Verfügung-« Loki wiegelte ihre hilfsbereite Fürsorge sogleich mit einer knappen Handbewegung ab und brachte sie damit zum Schweigen, während er bereits an ihr vorbei ging und die Dringlichkeit seines Anliegens damit verdeutlichte. »Ich brauche keine Hilfe. Ich bin selbst genügend mit der Benutzung und Bedienung vertraut.« gab er klar und sachlich zurück, bevor er sich mit einer auffordernd gehobenen Braue umwandte. Die Asin raffte ihr Gewand und eilte sogleich voraus, um ihm den Weg zu zeigen. »Natürlich, Eure Hoheit.« Die Gruppe kam an einigen geschlossenen Türen vorbei, bis die Frau vor einer der goldenen, bogenförmigen Türen stehen blieb und diese zuvorkommend für den Prinzen und seine Begleitung öffnete. Loki bedeutete der Sterblichen, dass sie eintreten möge und sie folgte seiner Anweisung auch nach einem kleinen, unsicheren Zögern. Dann betrat der Magier selbst den Raum und schloss die Tür hinter sich vor den Nasen der Wächter. Die kuppelförmige Kammer öffnete sich vor ihnen im hellen, warmen Schein von einigen Fackeln; die goldenen Wände warfen das Licht schimmernd zurück. Die Decke der Kuppel war gläsern und präsentierte Tageslicht. In dem Raum selbst gab es eher wenig zu sehen; eine bettartige, ausreichend behagliche Kapsel, in die Verwundete gebracht wurden, um ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren und zu unterstützen, daneben eine Art erhöhter Sockel - die Untersuchungsplattform, auf der man den Körper eines Kranken durchleuchten konnte. Auf diese deutete Loki nun. »Legt Euch dort hin.« wies er der Menschenfrau an, die sich bis eben interessiert im Raum umgesehen hatte. Unsicher schritt sie zu dem Sockel hinüber. »Was habt Ihr mit mir vor?« fragte sie dann vorsichtig und ließ die Finger befangen über den Stein wandern, bevor sie Loki ansah. Der Magier selbst war an das Fußende der schmalen Plattform herangetreten und brachte mit einem Wisch seiner Hand die eingelassenen Kontrollelemente zum Vorschein, welche hell leuchtend unter seinen Fingern zum Leben erwachten. »Eine Untersuchung. Wenn tatsächlich die magische Essenz Asgards an Euren Veränderungen Schuld sein sollte, so wird es Rückstände in Eurem Körper geben. Irgendwo muss sich diese Energie eingelagert und Spuren hinterlassen haben. Jeder Zauber hinterlässt eine Resonanz.« erklärte er ihr entgegenkommend, nachdem er sich bewusst gemacht hatte, dass sie wohl nicht kooperieren würde, wenn sie nicht wusste, was er mit ihr vorhatte. Er blickte kurz auf und sah sie beruhigend an. »Es wird nicht wehtun.« versicherte er so ehrlich, wie es ihm eben möglich war. Das schien die Menschenfrau zumindest um ein Stück weit zu beruhigen und sie stieg auf den goldenen, leicht gewärmten Sockel, dessen Oberfläche sich sofort sanft an die Umrisse ihres Körpers anpasste und das Liegen somit bequem machte. »Ist dieses Phänomen Eurer leuchtenden Hände bereits vorher aufgetreten?« fragte Loki sachlich; seine Finger aktivierten die Untersuchung und aus der Plattform schossen unzählige, hell leuchtende Funken, die sich über dem Körpers der Frau zu einem schimmernden Hologramm ihrer Gestalt verbanden. Sie hob bereits fasziniert einen Arm, um die Finger durch das leuchtende Bild gleiten zu lassen, doch der Magier stoppte sie mit einem herrischen Befehl. »Nicht bewegen!« Beinahe erschrocken zog sie den Arm zurück und bettete die verschränkten Hände verunsichert in ihrem Schoß; ihre Finger rangen nervös miteinander, bevor sie zögerlich auf seine zuvor gestellte Frage antwortete. »Ja…ja, das ist es. Kurz nach meiner Ankunft auf Asgard.« Sie schilderte ihm kurz und bündig einen Vorfall mit einem verletzten Vogel. Ihr Kopf hob sich kurz an und ihr Blick suchte wohl den seinen, doch Loki hatte seinen Fokus konzentriert auf die Feineinstellung der Geräte gesenkt. Seine Finger flogen flink über das Bedienfeld, während er ab und an die Stirn bei ihrer Erzählung in nachdenkliche Falten zog. »Seit wann beobachtet Ihr Veränderungen an Euch? Gab es einen Zeitpunkt, seitdem Ihr einen Wandel verspürt habt?« Der Magier schob noch ein paar Regler auf dem glatten, gläsernen Kontrollpult in die richtige Position, bevor er fragend wieder zu der Sterblichen aufsah, die nicht sogleich antwortete. Loki trat um das Fußende des Sockels herum und blieb an ihrer Seite stehen, den Kopf in den Nacken gelegt, um die dreidimensionale Abbildung ihres Inneren forschend zu betrachten. Ihre Aufmerksamkeit schien ebenfalls von dem funkelnden Schauspiel gefesselt zu sein - über ihr verbanden sich Muskeln und Knochen zu leuchtenden Pfaden, der Fluss ihres Blutes erschien wie Sternenstraßen, die rasch vorbeizogen; der pulsierende Kern des Ganzen ihr pochendes Herz, das fast wie die glühende Spirale einer eben erwachenden Galaxie anmutete. Sie wurde sich mit einem Räuspern seiner Frage bewusst. »Seit der Reise mit dem Bifröst.« antwortete sie dann. Loki sah mit einer erwartungsvoll gehobenen Braue auf sie herab. »Ist etwas ungewöhnliches passiert?« »Naja…irgendwie habe ich diese Art des Reisens offensichtlich schlechter vertragen als die anderen Menschen meiner Gruppe. Mir war furchtbar übel, als ich hier ankam und ungewöhnlich schwindelig. Es fühlte sich fast an, als…als…naja, als hätte man mein Inneres herausgerissen und alles neugeordnet zurückgestopft…« erklärte sie ihm unsicher, ihre Stimme gegen Ende hin immer mehr abfallend, bis es fast kaum noch mehr als ein Wispern an Lokis Ohren schaffte. Er hatte während ihrer Antwort die Arme gehoben und diverse Bereiche ihres Körpers durch gezielte Handbewegungen vergrößert oder gedreht, um sich verschiedene Perspektiven zu verschaffen. Jetzt hielt er allerdings inne und sah wieder ergründend auf sie herab, die Augen leicht verengt. »Wie meint Ihr das?« raunte er wachsam und hellhörig geworden. Die Sterbliche schielte flüchtig zu ihm auf und zog die Unterlippe kurz zwischen die Zähne, bevor sie schon in einer hilflosen Geste die Hände anheben wollte. Allerdings drückte der Magier ihre Finger auf halbem Weg wieder in ihren Schoß zurück und sah sie beschwörend mit gehobener Braue an. »Ich weiß auch nicht, wie ich das beschreiben soll…« begann sie dann in einem entnervten Seufzen. Die Fragerei schien ihr zuwider zu sein und Loki konnte sie beinahe verstehen. Wahrscheinlich hätte sie das Ganze lieber unter den Tisch gekehrt und endlich vergessen. Doch unschöne Wahrheiten ließen sich leider nicht so einfach von der Bildfläche wischen. »…es fühlte sich einfach seltsam an mit dem Bifröst zu reisen. Als ich in Asgard ankam…ich hatte kurz das Gefühl…naja, nicht mehr ich selbst zu sein. Irgendetwas fühlte sich anders in mir an…verdreht, als wäre nicht mehr alles dort, wo es hingehört.« Er ließ ihre Finger wieder los und widmete sich erneut dem holografischen Abbild ihres Körpers. »Ist Euch etwas Ähnliches auf Midgard schon einmal passiert? Ein unerklärlicher Vorfall? Eine seltsame Empfindung? Irgendetwas?« Seine Hände schoben die Darstellung ihrer Knochen und Sehnen auseinander und wieder zusammen; er tauchte die Finger in ihre Muskeln und Eingeweide und hielt ihr schlagendes Herz in den Händen. Doch nirgendwo fand er ein Anzeichen darauf, dass sich die magische Energie Asgards eingenistet hatte. Vor ihm lag eine ganz normale Sterbliche. Kein Funke einer fremden Essenz in ihrem Leib. Keine Veränderungen. »Nein. Noch nie.« antwortete sie ihm fest und sicher. »Mein Leben verlief bisher eigentlich stinknormal.« Mit einem frustrierten Seufzen ließ Loki die Arme sinken und stützte die Handflächen auf dem Stein neben ihr ab, dann starrte er angestrengt mit finster zusammengezogenen Brauen vor sich hin. Irgendetwas musste er übersehen, etwas nicht bedenken. Doch was mochte das sein? Asgard konnte nicht für die seltsamen Phänomene ihrer Person verantwortlich sein - weder dafür, dass sie seine Zelle öffnen konnte, noch für das seltsame Licht in ihrem Leib oder das bizarre Verhalten der Tiere in ihrer Nähe. Loki schielte zu dem schimmernden Abbild ihres Körpers hinauf. Hier hatte er den Beweis. Sie war tatsächlich nur ein Mensch ohne die Spur einer magischen Veränderung. Ihre Erzählung vom Bifröst klang fast nach einer Art Bannspruch; eine magische Fessel, welche durch die Reise zwischen den Welten angebrochen sein konnte. Vielleicht lag der Ursprung ihrer Macht auch gar nicht in Asgard… Womöglich suchte er am völlig falschen Ort nach des Rätsels Lösung? »Eure Familie - Eure Eltern…« begann er dann in einem nachdenklichen Raunen, während er ihr das Haupt zuwandte und sie ergründend ansah. »…haben sie jemals von seltsamen Vorkommnissen berichtet? Hat irgendjemand aus Eurer Familie „Fähigkeiten“?« Einer plötzlichen Eingebung folgend schob er eine Hand über den warmen Stein und betätigte einen Knopf am seitlichen Rand der Plattform, woraufhin sich eine kleine Mulde in der Oberfläche des Sockels öffnete; ähnlich einer flachen Schale mit einem Loch am Boden. »Äh…nein. Nicht das ich wüsste…« antwortete ihm die Menschenfrau nach einem kurzen Zögern - eine Unsicherheit, die Loki durchaus wahrnahm und mit einem kurzen Stirnrunzeln quittierte. Dieses Schwanken in ihrer Stimme ließ ihn wachsam werden und vermuten, dass sie nicht die ganze Wahrheit sprach. Doch vorläufig würde er es dabei belassen. Er würde wahrscheinlich mehr aus ihr herausbekommen, wenn sie es ihm freiwillig offenbarte, als das er alle Einzelheiten mühsam aus ihr herauspressen müsste. Vielleicht hatte er sich ja auch geirrt und ihr Zögern unterlag einer anderen Ursache. »Eure Hand.« verlangte Loki daraufhin kühl; sie sah ihn einen Moment unschlüssig an, bevor sie ihm eine ihrer Hände langsam reichte, ihn dabei jedoch nicht aus dem Fokus ihres vorsichtigen Blickes entließ. Er ergriff ihre Finger und zog einen schmalen, verzierten Dolch aus einer Geheimtasche seiner bodenlangen Stoffrobe. Die Augen der Sterblichen weiteten sich sofort ängstlich, doch noch bevor ihr Körper den aufkeimenden Fluchtreflex in die Tat umsetzen konnte, hatte er die Klinge in einer blitzschnellen, fließenden Bewegung über ihre Handfläche gezogen. Ein feiner, flacher Schnitt zog sich über ihre blasse Haut, aus welchem ein paar träge Blutstropfen sickerten, die Loki zielgerichtet in die erschienene Mulde des Steines tropfen ließ. Dann gab er ihre Hand wieder frei, nicht jedoch ohne zuvor unter dem mächtigen Ansturm dieser geöffneten Wunde zu erbeben und die flatternden Lider einen Augenblick über die Augen zu senken. Seine Sinne konnten ihn nicht trügen; mächtige Magie lag in ihrem Inneren verborgen. Die Menschenfrau zog die Hand sofort an ihre Brust und starrte ihn aus äußerst ärgerlich verengten Augen an; in ihren Pupillen stoben hitzige Funken. »Ihr hättet mir ruhig sagen können was Ihr vorhabt.« fuhr sie ihn wütend an. Loki musste anerkennen, dass sie keinen weinerlichen Schmerzenslaut von sich gegeben hatte, wie er es eigentlich von einer sterblichen Frau wie ihr erwartet hätte. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte sie die zugefügte Verletzung stumm hingenommen und das konnte er durchaus achten. Trotz ihrer zierlichen Erscheinung war sie im Inneren eine Kämpferin. Bewiesen hatte sie das bereits im Kerker Gladsheims, als sie sich für die riskante Variante entschieden hatte, Loki aus seiner Zelle zu befreien, statt sich hilflos in ihr Schicksal zu ergeben - ganz zu schweigen von der Wahnsinnstat sich vor Gungnir und Odin zu stellen, um einen völlig Fremden zu schützen. »Das hätte ich.« war Lokis lapidare Erwiderung, bevor er das leuchtende Hologramm ihres Körpers mit einer beiläufigen Handbewegung beiseite schob und der Abbildung ihres Blutes damit Platz machte, welche soeben über die Plattform projiziert wurde. Die kleinen, linsenförmigen Blutkörperchen zogen träge über die kuppelförmige Decke des Raumes und bestätigten den Magier nur in dem, was er bereits vermutet hatte. Ein völlig gewöhnlicher Mensch. Und doch…er hatte es erneut gespürt. Dieses Aufwallen von Macht; dieses unterschwellige Beben von Magie, als ihr Lebenssaft floss. Die Sterbliche verfolgte die detaillierte, schimmernde Darstellung ihres Blutes ebenso, bevor ihr Blick zu Lokis Zügen wanderte und an dessen Gesicht ergründend hängen blieb, als müsste sie jede Regung des Magiers genauestens beobachten. »Was stimmt mit mir nicht?« fragte sie dann nach einer Weile, in welcher Loki seinen Dolch mit einem bereitliegenden Tuch gereinigt hatte und diesen wieder in den Falten seiner dunkelgrünen Robe verschwinden ließ. Sein Blick hing unbeirrbar an dem Hologramm ihres Blutbildes, während sich die schalenförmige Öffnung im Stein mit einem leisen Sirren wieder schloss. »Konntet Ihr einen Anhaltspunkt finden?« Beinahe hoffnungsvoll setzte sie sich nun langsam auf und ließ den Blick von ihm zu dem trägen Schimmern über ihrem Kopf wandern, bevor ihr Fokus schon zu dem Magier zurückkehrte. »Was ist los mit mir?« Er schöpfte tief nach Atem und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe keine Ahnung…« war seine zerknirschte Antwort; Loki widerstrebte es sehr, dass er keine Antworten auf seine brennenden Fragen fand. Jeder Moment, den er in Unwissenheit verweilte, war ein weiteres Korn in der Sanduhr der Zeit, welches unnütz und unwiederbringlich fiel - seine Ziele und Pläne weiter von ihm abrücken ließ. Was war nur ihr Geheimnis? Asgard kam als Ursache nicht mehr in Frage, dessen war sich Loki nun mehr als sicher. Und dabei war diese Möglichkeit die wahrscheinlichste von allen gewesen. Er war keinen Schritt weiter gekommen. Er wusste weder, welche Art Macht in ihren Knochen steckte, noch welchem Ursprung diese entstammte. Irgendwie passten alle Puzzleteile nicht zusammen. Unzufrieden wandte er sich ab, um in einem der bereitstehenden und vorsorglich gut gefüllten Regale nach Verbandszeug für die Hand der Sterblichen zu suchen. Er hielt gerade eine sauber aufgerollte Stoffbahn in den Händen, als das verwirrte Wispern der Frau an seine Ohren drang. »Loki…« hauchte sie eindringlich; ihm fiel unsinnigerweise auf, dass sie ihn zum ersten Mal beim Namen nannte. Die nervöse Bedrängnis in ihrer Stimme ließ ihn sofort auf dem Absatz herumfahren - und erstarren. Die menschliche Frau hatte sich auf dem Podest aufgesetzt und war an dessen Ende gerutscht, die Knie erschrocken angezogen; sie starrte mit ungläubig geweiteten Augen angestrengt in die noch immer bestehende Projektion ihres Blutes - und Loki konnte ihre Verwirrung augenblicklich nachvollziehen. Das schimmernde Hologramm veränderte sich; ein paar der bisher trägen und zahlreichen Blutkörperchen durchlief ein seltsames Zittern, als würden sie sich in Krämpfen schütteln, bevor die ersten von ihnen in einem glitzernden Funkenregen zerstoben - ähnlich eines Wassertropfens, der platschend auf einen Stein fiel, nur das dieser Vorgang hier völlig lautlos vor sich ging. Gebannt beobachtete Loki dieses unglaubliche Schauspiel und trat wieder näher an die Plattform heran, während er die Hand mit dem weichen Verbandszeug achtlos an seine Seite sinken ließ. Die berstenden Blutkörperchen schienen beinahe eine Kettenreaktion auszulösen; die glühenden Punkte trafen auf die nahen Plättchen und brachten diese ebenfalls in Bewegung - eines nach dem anderen zersplitterten die holografischen Gebilde und hinterließen am Ende nichts weiter als ein flimmerndes Meer aus aufleuchtenden Funken, dessen machtvolles Strahlen den gesamten Raum so hell erleuchtete, dass die Sterbliche sowie der Magier die Augen abwenden mussten. Loki sah die Frau fassungslos an und sie erwiderte seinen Blick ebenso bestürzt und irritiert. »Was…« hauchte sie atemlos und schluckte hart, während sie flüchtig erneut in das funkelnde Meer über ihren Köpfen sah, bevor ihre Augen wieder die des Magiers suchten. »Was hat das zu bedeuten…?« Das hätte er allerdings auch zu gern gewusst… Solch eine Reaktion hatte er noch nie erlebt. Er brauchte unbedingt Ruhe. Er musste nachdenken. Loki schloss kurz die Augen und rieb sich in einer ratlosen Geste über die schmerzenden Schläfen; das Ganze bereitete ihm schon jetzt üble Kopfschmerzen. Schlussendlich drückte er der Sterblichen die Rolle des Verbandszeuges in die Hand. Er wollte den Arm zurückziehen, doch sie krallte die Finger in den Stoff seines Ärmels und zog sich so zu ihm heran. Der Magier erkannte erneut Angst in ihren hellen Augen und das sich spiegelnde Funkenmeer über ihnen - allerdings musste er sich eingestehen, dass der Schatten der Furcht diesen Anblick weniger reizvoll gestaltete, als er ihn noch in diesem kurzen Moment im Aufzug erachtet hatte. Der hartnäckige Schleier von Angst kleidete die Frau nicht halb so gut wie ihre atemlose Begeisterung. »Werde ich sterben? Bedeutet es das? Oder werde ich nur verrückt? Was zur Hölle ist los mit mir?!« fuhr sie ihn aufgelöst an und schüttelte in einer hilflosen Geste seinen Arm, da er keine Reaktion auf ihre aufgewühlten Fragen zeigte. »Verdammt nochmal…sag doch etwas, du elender Mistkerl! Sag mir endlich, was-« Ruckartig hob er den freien Arm und drückte ihr einen Zeigefinger auf die bebenden Lippen. Diese überraschend intime Geste verfehlte ihre Wirkung nicht und ließ sie augenblicklich verstummen, wobei er das Beben ihrer Lippen unter der Fingerkuppe verspüren konnte. Ihre nun furchtsam großen Augen sahen abwartend zu ihm auf, während ihr beschleunigter Atem über seine Haut strich. »Beruhigt Euch. Panik bringt uns jetzt nicht weiter.« sprach er dann beschwörend auf sie ein, die Stimme ein schneidend glattes Raunen. »Wir werden gemeinsam eine Antwort auf Eure Fragen finden. Doch wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren. In Ordnung?« Loki hatte ziemlich wenig Erfahrung mit zwischenmenschlichen Beziehungen; er wusste nicht, wie man eine aufgelöste, angsterfüllte Person am besten beruhigen sollte und doch war er sich der Dringlichkeit dieser Sache durchaus bewusst, denn wenn sie in kopflose Panik verfiele, wäre sie ihm am Ende wohl so hilfreich und nützlich wie Thor beim Sortieren von Büchern und uralten Folianten - eine überflüssige Anstrengung, einem Krieger den Sinn von Ordnung erklären zu wollen. Sie mussten sich beide einen kühlen Kopf bewahren, obwohl Loki ihre Aufregung durchaus nachvollziehen konnte. Sie nickte nach einer Weile zögerlich und er zog seinen Finger von ihren Lippen zurück, nicht jedoch, ohne das für einen Herzschlag zu bedauern. Entschieden schob er diese seltsame Klage in einen entlegenen Teil seiner selbst, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Loki schloss die freie Hand um ihre verkrampften Finger und löste diese langsam von seinem Ärmel. »Ihr werdet nicht sterben. Wenn es an dem wäre, so wärt Ihr wahrscheinlich schon längst tot.« begann er dann eindringlich und hielt ihren Blick gefangen, während er nebenher das andauernde Leuchten über ihren Köpfen mit einer beiläufigen Handbewegung beendete. Sirrend schossen die glühenden Punkte in die Plattform zurück. »Diese Reaktion ist ungewöhnlich. Das gebe ich zu. Aber Ihr lebt und erfreut Euch augenscheinlich bester Gesundheit, also muss es eine logische Erklärung geben. Und ich werde sie finden.« versprach er entschlossen. »Und zuerst sollten wir vielleicht einmal genauer überprüfen, ob Ihr wirklich über eine heilende Berührung verfügt…« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)