R.A.B. von abgemeldet (one last riddle) ================================================================================ Prolog: Erinnerung ------------------ Die junge Rose Weasley lief nicht gern davon. Aber in jener trügerisch klaren Samstagnacht, in dem unsere Geschichte beginnt, blieb ihr nicht viel anderes übrig. Ihre Eltern, Ronald und Hermine Weasley, standen kurz vor der Scheidung, und dementsprechend dick war auch die Luft beim alltäglichen Dinner. Roses kleiner Bruder Hugo hatte die Hoffnung schon längst aufgegeben und vergrub sich lieber hungernd in der Küche, mit Hilfe seiner Bücher in mannigfaltigen Fantasiewelten, als sich an den Tisch zu setzen und somit unerträglichem Geschrei ausgesetzt zu sein. Rose dagegen kämpfte. Sie wollte nicht die vertraute Familienidylle verlieren, die sie in ihrer Kindheit so glücklich gemacht hatte. Rose war ein Sturkopf. Nur leider nützte ihr diese Eigenschaft im Scheidungskampf ihrer Eltern nichts. Sie wurde einfach ignoriert, wenn Hermine ihren Ehemann kreischend mit noch halbvollen Tellern bewarf oder Ron brüllend von seiner Frau verlangte, wenigstens die Namen ihrer Affären preiszugeben. Nur einmal hatte Rose Weasley die Stimme erhoben. Das war heute Abend gewesen. Sie hatte laut geschrien. Minutenlang. Bis es endlich still geworden war in der Küche, die mittlerweile nach jedem Abendessen eher wie ein Schlachtfeld aussah. „Warum vertragt ihr euch nicht mehr?“, hatte sie dann in das Schweigen hinein trotzig gefragt. Die Tränen waren ihr dabei über die Wangen geronnen. Aber ihre Eltern hatten keine Antwort gegeben. Stattdessen hatte Hermine nur leise befohlen: „Geh zu Bett, Rosie. Ich bitte dich.“ Rosie wollte aber nicht zu Bett gehen. „Ihr seid die schlimmsten Eltern der Welt!“, hatte das Mädchen mit tränenerstickter Stimme gerufen, bevor es schluchzend aus dem Zimmer und raus in den Garten gerannt war. Während dieser wilden Flucht hatte Rose an nicht viel gedacht. Sie hatte sich nur an eine einzige Hoffnung geklammert, wie an den letzten Strohhalm, der einen vorm Ertrinken rettete. Ihre Eltern würden ihr bestimmt sofort nachlaufen. Gemeinsam. Und dann würden sie ihre einzige Tochter einholen, bevor sie überhaupt das Gartentor erreichen konnte. Sie würden sich zu dritt umarmen. Und weinen. Und lachen. Und als vereinte Familie ins Haus zurück kehren, wo ein strahlender Hugo sie bereits erwarten würde. Aber eine gute Geschichte beginnt selten mit einem guten Anfang. So auch bei Rose. Die 10- Jährige rannte und rannte und rannte. Bis sie das Gartentor erreicht hatte. Aber niemand war ihr nachgekommen. Niemand hielt sie auf. Niemand weinte. Niemand lachte. Und Roses Seele erstarrte zu Stein. In diesem traurigen Moment fasste die junge Weasley an der Schwelle zu ihrem Zuhause einen folgenschweren Entschluss: Nie wieder würde sie ihr Herz an etwas hängen. Sie würde doch nur enttäuscht werden. Und nun würde sie fortlaufen. Weit fort. So weit weg wie nur möglich. Irgendwann würden ihre Eltern sie schon vermissen und auf die Suche nach ihr gehen. Gemeinsam. Hoffentlich. Entschlossen öffnete Rose das Gartentor und lief hinaus auf die nur spärlich beleuchtete Straße. Sie wusste nicht so genau, wo sie jetzt hingehen sollte. Aber weg musste sie. Auf jeden Fall. Also begann das Mädchen wieder zu rennen. Sie rannte die ganze Straße entlang, bis zur nächsten Kreuzung. Dann wählte sie instinktiv einen anderen Weg. Mal lief sie links. Mal lief sie rechts. Einmal drehte sie sich sogar um und lief eine gewisse Strecke zurück. Aber nicht weit genug. Denn heim wollte Rose Weasley nicht mehr. Nie mehr. Schließlich landete das Mädchen in einer schmutzigen und engen Sackgasse. Sie war müde von der Flucht geworden. Rose ließ sich erschöpft auf die dunkle Bordsteinkante des sich hier verlaufenden Gehsteigs sinken. Und lauschte. Lauschte dem nun leise zu tröpfeln beginnenden Regen. Binnen weniger Minuten war sie tropfnass und bis auf die Knochen durchgefroren. In der Hitze ihrer Flucht hatte die Unbesonnene ganz vergessen, Decken mitzunehmen. Oder ihren Zauberstab. Oder wenigstens irgendetwas. Nun saß sie da, allein gelassen und zitternd. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, dass ihre in der Sorge um ihr Kind wieder vereinten Eltern sie gefunden und nach Hause gebracht hätten. Wo sie eine heiße Tasse Schokolade bereits erwarten würde… Aber so spielte das Stück nicht. Rose war allein. Aus menschlicher Sicht gesehen, jedenfalls. Denn der Nebel, der nun langsam aus dem Nichts hervorzukriechen schien und bedrohlich an Roses Füßen hochzuklettern begann, mochte vieles sein- aber als human konnte man ihn nicht gerade bezeichnen. Mit einem Mal wurde es scheußlich kalt. Die junge Weasley krümmte sich instinktiv angstvoll zusammen. Ihr kleines Herz verknotete sich schmerzhaft und pochte mit einem Mal nur mehr sehr unregelmäßig. Angst. Nackte Angst kündigte gemächlich ihren Besuch an. Und bevor Rose überhaupt realisieren konnte, was hier um sie herum überhaupt vor sich ging, war die Pfütze direkt zu ihren Füßen eingefroren. Dabei war es mitten im Sommer! Diese beißende Kälte schien aber nicht überall gleich stark vorhanden zu sein. Sie konzentrierte sich auf die finsterste Ecke der Gasse, in der Rose mit einem Mal einen schäbigen Hauseingang auszumachen glaubte…Und eine Hand. Eine glibbrige, schleimige, weiße Hand, die plötzlich aus der Finsternis geschossen kam. Das Mädchen schrie laut auf. Der nun folgende Anblick ängstigte sie aber so sehr, dass ihre helle Kinderstimme bald zu einem hilflosen Gurgeln verkümmerte und danach ganz verstummte. Die Hand zog einen Körper mit sich. Einen mit schwarzen Fetzen verhüllten, verdrehten Körper, der zu schweben schien. Plötzlich fielen der jungen Weasley in allen grausamen Einzelheiten wieder die vielen Streitereien ihrer Eltern ein. Jedes einzelne, schlimme Wort, mit denen sie sich gegenseitig beschimpft hatten, hämmerte sich immer und immer wieder in ihr Gedächtnis ein, bis das Mädchen den Kopf hilflos wimmernd in den Händen barg. Sie merkte vor lauter Verzweiflung gar nicht mehr richtig, was um sie herum geschah. Und das war auch gut so. Denn ansonsten hätte Rose schneller den Verstand verloren, als sie „Angst“ hätte flüstern können. Der Dementor hatte also leichtes Spiel. Langsam und genüsslich glitt er auf das kleine Bündel Elend zu, das sich am Straßenrand zu einer Kugel gerollt hatte und zitterte wie Espenlaub. Selbst die Zeit schien bei seinem Anblick vor Schreck langsamer zu vergehen. Aber der Dementor war das bereits gewöhnt. Er hatte keine Eile, zu töten. Er hatte alle angstvollen Augenblicke der Welt. Als er bei seinem Opfer angekommen war, legte er beinahe zärtlich Hand an dem Mädchen an und bog ihren Kopf mit einer einzigen, fließenden Bewegung zurück. In seine Richtung. In seine Richtung, sodass sie ihm schlussendlich in die Augen sehen musste. Wobei die Augen bei einem Dementoren eher nebensächlich waren. Das einzige, was zählte, war ihr Mund. Diese schreckliche, zahnlose Höhle, die die schlimmste Strafe auf Erden vergeben konnte. Schlimmer als der Tod. Der Kuss der Dementoren. Gemächlich beugte sich das Monster zu dem bebenden Kind herab und ließ seine Kiefer gierig auseinanderklappen… „EXPECTO PATRONUM!“ Ein Strahl puren Lichts traf das Ungeheuer in seiner Mitte und schleuderte es mit einer gewaltigen Schockwelle von Rose weg. Der Dementor zischte wütend. Er startete sofort erneut einen Versuch, aus den vielen Schatten, in die er nun überraschend abgedrängt worden war, zurück zu seiner liegenden Beute auf der Straße durchzudringen. Doch eine weiße Gestalt, die aus nichts als Wärme und Sonnenlicht zu bestehen schien, vereitelte dieses Vorhaben gekonnt, indem sie ihn noch einmal angriff und damit endgültig von der Gasse vertrieb. Das Monster zog sich hastig in die Dunkelheit zurück. Dieser Patronus war zu stark für einen Einzelnen seiner schrecklichen Rasse. Langsam drehte das Lichtwesen sich um. Rose hockte zitternd auf der dunklen Straße, mit angezogenen Knien und großen Augen. Atemberaubend schnell glitt der Patronus auf das Kind zu und machte erst kurz vor dessen Zehen Halt. Spielerisch schlenzte es dagegen und sandte damit mehrere Wärmewellen durch den Körper der Erfrierenden. Damit brachte es Rose zum ersten Mal an diesem Tag zum Lachen. Auf einmal fühlte das Mädchen sich glücklich und zufrieden. Schöne Erinnerungen verdrängten die eben noch vorherrschenden, schlechten, und ließen die Sonne wieder in dem Herzen der Rothaarigen aufgehen. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und versuchte das Tier aus reinem Licht zu streicheln. Als seine noch immer etwas bebenden Finger jedoch das gleißende Haupt berührten, verging der Patronus in einem Sternschauer. Erschreckt zog Rose die Hand zurück. „Das war ja ganz schön knapp.“ Am Beginn der Gasse war mit einem Mal ein fremdes Mädchen aufgetaucht. Sie hielt ihren Zauberstab fest in der rechten Hand und suchte mit beiden Augen die ganze Gasse aufmerksam ab, so als würde sie noch nach weiteren düsteren Gestalten Ausschau halten. Gleichzeitig jedoch versicherte sie Rose mit angenehm freundlicher Stimme: „Aber ich glaube, du bist gerettet. Der Dementor scheint nicht wiederkommen zu wollen.“ „D-das war ein Dementor?“, fragte Rose mit einem Mal gar nicht mehr so ängstlich wie noch Sekunden zuvor. Nachdem die Gefahr nun vorüber war, regte sich auch wieder die Neugier in dem wissbegierigen Geist der jungen Weasley. Sie wusste zwar theoretisch, was ein Dementor war, aber einem waschechten ehemaligen Wächter vom Gefängnis Askaban war sie noch nie zuvor begegnet… Und sie würde auch hoffentlich nie wieder eine Begegnung mit diesen furchterregenden Kreaturen zu ertragen haben, setzte die Rothaarige hastig ihrem Gedankengang hinzu. „Jep.“ Die Unbekannt nickte kurz. Sie schien wohl zu dem Schluss gekommen zu sein, dass kein Dementor mehr drohte, denn sie steckte plötzlich mit einer lässigen Bewegung den Zauberstab wieder in ihre Hosentasche und atmete erst einmal erleichtert auf. Dann jedoch blieb ihr undurchdringlicher Blick wieder an Rose hängen und sie wollte leise wissen: „Seit wann gibt es denn Dementoren in Muggel London?“ „Warum fragst du mich das?“, entgegnete die junge Weasley schnippisch. Nun, da das schwarzgewandete Ungeheuer verschwunden war, gewann das Mädchen allzu schnell wieder seine Courage wieder. Rose erhob sich abrupt von ihrer kauernden Haltung und musterte die Fremde abschätzend. „Hast du mich gerettet?“, kam es plötzlich laut aus ihrem Mund geschossen. Das andere Mädchen wurde vor Verlegenheit ganz rot, das konnte die Weasley sogar in der um sie herrschenden Dunkelheit erkennen. Nach einem schweigsamen Augenblick hatte sich die Unbekannte jedoch wieder gefangen und murmelte unsicher: „Doch, glaube schon…“ „Hast du jetzt den Zauber gewirkt oder nicht?“, fuhr Rose ungeduldig dazwischen. Hastig nickte das andere Mädchen. „Und wie heißt du?“ „Ilona Una“, entgegnete die Unbekannte mit schüchterner Stimme. „Nun denn: Vielen Dank, dass du mir das Leben gerettet hast, Ilona Una“, formulierte Rose altklug. Sprachs und drückte der perplexen Lebensretterin steif die Hand. „Gern geschehen“, erwiderte Ilona nach einer überraschten Schweigesekunde langsam und lächelte vorsichtig. „Gehst du auch nach Hogwarts?“ Diese Frage wischte das Lächeln wieder von ihren Lippen. „Jaaa…“, entgegnete das Mädchen gedehnt und entzog der Weasley ruckartig seine Hand. „Erstes Jahr?“ Misstrauisch nickte Ilona. „Sehr gut. Ich auch!“ Rose setzte einen heiteren Gesichtsausdruck auf und klopfte ihrem Gegenüber leicht auf die Schulter. „Dann sehen wir uns ja dort!“ Mit einem Mal wirkte Ilona wieder erleichtert. Sie schaffte es sogar, ein schwaches Lächeln hervorzubringen, als sie nun erfreut entgegnete: „Das werden wir ganz bestimmt.“ Der Dementor war mit einem Mal vergessen. Stattdessen begann nun, die erste Wurzel einer tiefen, wunderbaren Freundschaft auszuschlagen. Kapitel 1: Unliebsame Zugfahrt ------------------------------ 6 Jahre später. „Woran denkst du gerade?“ Rose, die bis jetzt verträumt an dem Abteilfenster gelehnt und gedankenverloren die vorbeiziehenden Nebelschwaden betrachtet hatte, schreckte mit einem Mal auf. Sie blickte kurz verwirrt um sich, bevor die junge Frau ihre Orientierung und schlechte Laune gleichermaßen wiedergefunden hatte und leise fauchend auf die unerwünschte Frage hin erwiderte: „Was geht dich das an!“ Die Gryffindor warf ihrem amüsiert lächelnden Gegenüber einen tödlichen Blick zu. Ilona zuckte bei diesem grauenvollen Anblick erschreckt zusammen. Rose seufzte, sofort wieder reumütig gestimmt. „Aber gut, wenn es dich so brennend interessiert.“ Das Mädchen holte noch einmal tief und effektheischend Luft. „Ich habe an unsere erste Begegnung gedacht.“ Sofort gefror das Gesicht der Anderen zu einer undurchdringlichen Maske. Die Blonde senkte den Blick und tat geschäftig so, als würde sie sich konzentriert der neuesten Ausgabe des Tagespropheten in ihren Händen widmen. Dem starren Blick, mit dem sie Rose nun fixierte, konnte Ilona mit diesem laschen Ausweichmanöver jedoch nicht entgehen. „Hattest du danach eigentlich noch Schwierigkeiten?“, wollte die Weasley plötzlich argwöhnisch wissen. Dabei zog sie scheinbar uninteressiert an einer ihrer widerspenstigen Locken, die dem Mädchen immer ins Gesicht fielen und ihr die Sicht damit versperrten. „Was meinst du damit?“ Ihre einzige Freundin stellte sich offensichtlich dumm. Das hatte aber nur zur Folge, dass sie damit leichtfertig weitere, bohrende Fragen seitens der Rothaarigen provozierte. „Das Ministerium, Mädel! Du hast immerhin als Minderjährige einen bedeutenden Zauber in einem Muggelgebiet gewirkt. Erzähl mir nicht, dass diese Paragraphenreiter in London das einfach so ad acta gelegt haben“, knurrte Rose angriffslustig und funkelte mit giftig zusammengekniffenen Augen zu der gegenüberliegenden Sitzbank hinüber. Dort schien sich die steif sitzende Ilona mit einem Mal sichtlich unwohl zu fühlen. Dennoch entgegnete die Kleinere der beiden nach kurzem, nachdenklichem Schweigen wenigstens dem Anschein nach ruhig: „Sie haben mich wohl vergessen. Ich erhielt bis heute noch keine Verwarnung vom Ministerium.“ Die junge Weasley schnaubte daraufhin empört, unterließ aber jeden weiteren Kommentar dazu. Sie wusste, dass Ilona log. Nach den sechs Schuljahren, in denen sie zusammen durch dick und dünn gegangen waren, kannten die beiden Freundinnen sich einfach in und auswendig. Aber dennoch bohrte Rose nicht weiter. So genau wollte sie es ja auch wieder nicht wissen. Alles, was zählte, war, dass Ilona die sich manchmal unmöglich aufführende Rose neben sich schon gefühlte Ewigkeiten lang ertrug. Und immer noch gern die Nähe der aufbrausenden Gryffindor aufsuchte, wenn sie eine Kameradin mit Mut und Courage brauchte. Und die hatte die Blonde tatsächlich öfters nötig. Denn Ilona Una war in ihrem ersten Jahr dem Hause Hufflepuff zugeteilt worden. Und da sich bei den Dachsen die meisten Flaschen herumtummelten, waren deren Schüler auch die beliebtesten Opfer aller Slytherin. Aber Ilona rührte man nicht an. Zumindest nicht seit dem Massaker in der zweiten Klasse, in dem Rose beinahe die ganze große Halle in die Luft gesprengt hatte, nachdem Scorpius ihrer Kollegin wieder einmal eine gehässige Bemerkung hinterhergeworfen hatte. Scorpius. Mit einem Mal kam der Weasley die Galle hoch. Scorpius Hyperion Malfoy. Allein bei dem schlichten Klang dieses Namens knirschte Rose wütend mit den Zähnen. Mit der so mühselig aufgebauten Ruhe, die sie Ilona zuliebe manchmal zeigte, war es mit einem Schlag wieder vorbei. Das Mädchen hätte nun am liebsten irgendetwas zertrümmert. Etwas Großes. Wertvolles. Und Teures. Am liebsten etwas aus dem Besitz dieses Schleimbeutels. Wenn es in Hogwarts so etwas wie Todfeinde gab, dann waren sie und der blasse Schönling eindeutig die aussichtsreichsten Kandidaten für diesen Posten. Und in wenigstens einem Punkt war die Weasley sich mit ihrem ansonsten verhassten Vater in Bezug auf diese Schleimschnecke einig: Sie würde lieber sterben, als dem Spross aus dem Hause Malfoy in irgendetwas nachzustehen. Dies galt besonders für Schulerfolge. Also lernte die Rothaarige wie verrückt, um auch ja besser als der beschämend pfiffige, blonde Slytherin zu sein. Mit Ilona, dem Wunderkind, konnte sie zwar nicht mithalten; aber bis zum heutigen Tage war sie in jedem Jahrgang zumindest Zweitbeste geworden. Malfoy hatte sich immer mit dem dritten Platz zufrieden geben müssen. Das wurmte ihn beziehungsweise befriedigte Rose gleichermaßen. Aber wenn man gerade vom Teufel spricht oder an ihn denkt, hat er üblicherweise die schlechte Angewohnheit, genau in diesem Moment aufzutauchen. So auch Scorpius. Mit einem Mal wurde die Tür des Abteils aufgerissen und der Slytherin stolzierte gewichtigen Schrittes herein. Sofort hatte Rose ihren Zauberstab gezogen. Der Wütenden entging bei dieser an sich lobenswerten Reflexhandlung jedoch ein wichtiger Punkt: Scorpius war nicht dumm. Deswegen hatte der junge Mann ebenfalls bereits den Zauberstab gezogen, lange bevor er sich in die Höhle des Weasley Löwen gewagt hatte, und murmelte nun blitzschnell einen Entwaffnungszauber, bevor ihn seine Intimfeindin aus der Tür hinaus sprengen konnte. „Expelliarmus!“ Roses Zauberstab flog wild durch die Luft, während seine Besitzerin hilflos zurück in den Sitz geschleudert wurde, von dem sie sich bereits halb erhoben hatte. Bevor Malfoy jedoch das entflohene Zauberwerkzeug höhnisch grinsend auffangen konnte, war Ilona bereits zur Stelle. Scorpius hatte zwar keine Ahnung, was auf einmal passiert war, aber plötzlich stand er mit leeren Händen auf der Schwelle zum Abteil der beiden Freaks, während Rose frech grinste und Ilona ruhig mit drei Zauberstäben gleichzeitig in einer Hand dasaß. Perplex öffnete der Slytherin seinen Mund. Und schloss ihn auch sofort wieder. Eigentlich sollte ihn bei diesen zwei Missgeburten gar nichts mehr wundern. Die waren doch sowieso nicht mehr zu retten… „Schon gut.“ Zum Zeichen seiner Resignation hob Scorpius beide Hände. „Ich gebe auf.“ „Das hört man gerne. Und jetzt verpass ihm einen richtig gemeinen Fluch, Ilona, ja?“ Mit hoffnungsvoll glitzernden Augen wandte Rose sich ihrer besten Freundin zu, die jedoch nur knapp den Kopf schüttelte. „Zuerst soll er erklären, warum er hierher gekommen ist“, präzisierte das Mädchen wortreich ihre Weigerung, dem blonden Jungen Schmerzen zuzufügen. „Kann ich wenigstens meinen Zauberstab zurückbekommen?“, nörgelte der Slytherin mit betont lässig verschränkten Armen dazwischen. Die Antwort kam gleichzeitig und überraschend einig „Nein.“ „Na gut, na gut.“ Genervt zog der jüngste Erbe des Malfoy Imperiums beide Augenbrauen in die Höhe. „Ich habe dir etwas mitzuteilen, Weasley.“ Stille legte sich über das Abteil. Nach einer angemessenen Pause setzte Scorpius seufzend fort. „Unter vier Augen.“ „Eher sterb ich“, war der einzige Kommentar der Rothaarigen dazu. Eine Zornesader pulsierte plötzlich an der Stirn des dunkelblonden Malfoy und er musste sich sehr zusammennehmen, um nicht einfach loszubrüllen, als er nun betont sachlich versuchte, die Tatsachen darzustellen: „Das geht nur Vertrauensschüler etwas an.“ „Und du glaubst ernsthaft, dass Ilona etwas ausplaudern würde?“, entgegnete Rose spöttisch. Die junge Frau fläzte nun mit einem Mal wieder entspannt auf ihrer Seite des Abteils und zeigte dem Slytherin Schüler dabei seelenruhig den Mittelfinger. Sie hoffte, dass Malfoy wegen dieser groben Unfreundlichkeit vielleicht doch noch die Beherrschung verlieren und mit ihr eine Prügelei vom Zaun brechen würde. Genau wie in ihrem vierten Jahr. Damals hatten sowohl er als auch seine involvierten Spießgesellen eindeutig den Kürzeren gegen die rasende Gryffindor gezogen- somit wäre der heutige Faustkampf sowieso schon praktisch entschieden gewesen. Das war dem Slytherin wohl auch bewusst und er atmete nur einmal zischend aus, bevor er betont ruhig weiterpalaverte: „Wie du willst, Weasley!“ Dann jedoch verfiel seine Stimme. Gespanntes Schweigen breitete sich aus, bis die einzige Rothaarige im Raum es nicht mehr aushielt und beinahe in normaler Lautstärke zu wissen verlangte: „Spucks aus, Malfoy, und dann verschwinde endlich!“ Ilona, von der man bis her überhaupt nichts gehört hatte, schaltete sich mit einem Mal besorgt ein. „So schlimm?“ Beinahe mitfühlend fiel der Blick ihrer kohlschwarzen Augen auf den sich sofort versteifenden Slytherin. „Natürlich nicht“, brummte er, hob aber gleichzeitig nicht den Blick vom Boden, wo er scheinbar hochinteressiert seine zu Hochglanz polierten Schuhe musterte. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Wenn einem Malfoy einmal die Worte fehlten, war Feuer am Dach. „Zuerst meinen Zauberstab.“ Rose wollte bereits wütend auffahren, doch Ilona warf der jungen Frau einen bittenden Blick zu. Knurrend musste die Weasley also nachgeben. „Na gut…Aber wehe, du versuchst uns nur auch ein Haar zu krümmen, Slytherin“, fauchte sie, wobei sie das letzte Wort ausspuckte wie etwas sehr Widerwärtiges, das sie nicht länger als nötig in ihrem Mund haben wollte. Ihre Freundin warf Scorpius daraufhin vorsichtig seinen Zauberstab zu. Der Junge fing das Zauberhandwerk gekonnt auf. Und dann sprudelte es plötzlich aus dem Vertrauensschüler heraus. „Sie haben Dementoren auf den Ländereien von Hogwarts gesichtet. Jeder Vertrauensschüler ist angehalten, diese Information aber derweil noch streng geheim zu halten, da ansonsten eine Massenpanik unter den jüngeren Klassen drohen könnte.“ Mit einem Mal legte sich eisige Kälte um Roses Herz. Plötzlich fiel es der jungen Frau schwer zu atmen. Sie rang keuchend nach Luft und wäre beinahe sofort ohnmächtig auf ihrem Sitz zusammengeklappt, hätten sie nicht plötzlich zwei dünne Arme an den Schultern gepackt und unsanft durchgerüttelt. „Bleib wach, Rosie“, flüsterte Ilona ihr verzweifelt zu. „Du darfst jetzt unter keinen Umständen schwach werden…“ Da ging mit einem Mal das Licht aus. „Was ist denn jetzt los?“, schnarrte Scorpius mit betont kühl gehaltener Stimme. Er hatte sich scheinbar als Erster von dem Schock, plötzlich in kompletter Finsternis zu stehen, erholt. Genervt kramte er nun seinen eben verstauten Zauberstab wieder hervor und ließ ihn mit einem leisen „Lumos!“ leicht aufleuchten. Was er in dem schwachen Licht jedoch zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache. In dem Abteil der beiden Freaks war es plötzlich eiskalt geworden. Doch das war es nicht, was den jungen Malfoy so überraschte. Stattdessen sah er, wie Rose, die tapfere, aufbrausende Gryffindor Rose, das Mädchen, das niemals Schwäche zeigte, sich hilflos und in namenlosem Schrecken erstarrt an eine ebenfalls sehr unruhig wirkende Ilona klammerte. Die Blonde schien bei dieser ganzen unwirklichen Szenerie aber wenigstens noch einen letzten Rest von Nervenstärke behalten zu haben. Sie flüsterte unhörbare, tröstliche Worte in das Ohr der Rothaarigen, wohl im Bestreben, die plötzlich stark Zitternde wieder zur Räson zu bringen. Aber es schien nichts zu helfen. „Was hat sie?“ So sehr Scorpius seiner Erzfeindin auch alles nur erdenklich Schlechte an den Hals wünschte- dies hier überstieg sogar seinen, sowieso nicht allzu ausgeprägten, schlechten Geschmack. Unschlüssig wedelte er etwas mit seinem Zauberstab hin und her, um noch mehr Licht in der unerwarteten Finsternis zu verbreiten. Als ein Lichthauch dabei auf das rote Haar der vor Angst Bebenden fiel, blickte ihm Rose zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit ihren stechend hellblauen Pupillen direkt in die Augen. Und die Wirkung auf seinen Anblick war verheerend. „RAUS HIER, DU SCHLEIMSCHNECKE!“, brüllte das Mädchen, mit einem Mal wieder voll reaktionsfähig, wie verrücktgeworden los. Sie stierte den perplexen, jungen Mann dabei aus rollenden Augen dermaßen fuchsteufelswild an, dass es der Spross aus dem Hause Malfoy direkt mit der Angst zu tun bekam. Er stolperte rückwärts und über die Schwelle des Abteils hinaus. Dabei versuchte der Slytherin instinktiv, sich an der Schiebetür festzuhalten. Er erwischte den Haltegriff auch, aber rutschte nur einen Moment später mit seinen Fingern daran ab. Nur mit Mühe konnte Scorpius sich im Gleichgewicht halten. Nachdem er sich erst einmal von dem unerwarteten Schreck erholt hatte, richtete der Junge seinen leuchtenden Zauberstab verwirrt auf die plötzlich glitschig gewordene Tür. Aber sie war gar nicht glitschig geworden. Kaltes, funkelndes Eis spiegelte im Schein des Lichts die erschrockene Miene des Malfoys wieder. Aber damit nicht genug. Mit einem Mal wurde es hinter Scorpius noch kälter. Kälter, als es ohnehin schon im Abteil gewesen war. Der Slytherin fühlte sich plötzlich zutiefst unglücklich und verängstigt. Alte, dunkle Erinnerungen, die er längst verdrängt zu haben glaubte, schossen plötzlich in ihm hoch und schnürten dem Jungen die Luft ab. Das war doch nicht möglich. Sie konnten doch nicht bereits den Zug nach Hogwarts gekapert haben! Oder? Langsam drehte Scorpius sich um. Sein Mund öffnete sich zu einem lauten Schrei, doch kein Ton schien auf einmal mehr aus seiner Kehle kommen zu wollen. Der hell leuchtende Zauberstab entglitt seinen heftig zitternden Fingern und landete mit einem kleinen Ploppen auf dem Boden. Das Licht ging aus. Beinahe konnte man sich einbilden, dass der Dementor auf dem Gang lächelte. Ilona Una glaubte sich in einem Déjà-vu gefangen. Bereits zum zweiten Mal in ihrem Leben begegnete sie einem Dementoren. Eine Rasse, die, dem Zaubereiministerium nach, seit dem Verschwinden Voldemorts von der Erdoberfläche verschwunden war. Dafür sah das schwarzumhüllte Monster im Gang aber allzu lebendig aus. Mit seinen verwesten Leichenfingern packte der Dementor überraschend schnell den Kopf des hilflos vor ihm erstarrten Scorpius und zog das furchtsame Antlitz gierig zu sich. Ilona musste sofort handeln, wenn sie nicht wollte, dass der Junge den Rest seiner Lebtage als seelenlose Hülle fristen wollte. Und obwohl sie den stolzen Malfoy Spross nicht wirklich mochte: Dieses Schicksal wünschte sie nicht einmal ihrem schlimmsten Feind. Mit der linken Hand zog das Mädchen hastig seinen Zauberstab heraus. Mit der rechten zog sie gleichzeitig Rose an sich, die apathisch in die Leere starrte. Ilona intonierte klar: „Expecto Patronum!“ Ein heller Lichtblitz raste plötzlich, von ihrem Stab ausgehend, rasend schnell auf den Dämon zu. Der Dementor musste den wie Espenlaub zitternden Scorpius loslassen und wütend in die Dunkelheit des Ganges zurückweichen, wenn er von dem Patronus nicht in Stücke gerissen werden wollte. Wie ein lebendiger Schutzschild baute sich der Schutzgeist daraufhin knisternd auf der Schwelle des Abteils auf und ließ dem Ungeheuer somit keine Chance, wieder einzudringen. Aber da waren noch mehr. Noch viel mehr. Mit vor Schreck geweiteten Augen machte Ilona nach und nach bestimmt sieben weitere Dementoren aus, die allesamt umtriebig in dem Korridor, der zu den ganzen Abteilen führte, herum huschten. Sie schienen nach niemand Bestimmtem zu suchen- die Monster hatten wohl einfach nur Hunger. Aber wie hatten sie hier nur eindringen können? Ilona erschauderte von ganzem Herzen. Ob die anderen Schüler einen Patronus herbeirufen konnten, um sich gegen die Dementoren verteidigen zu können? Sie bezweifelte es. Aber bevor das Mädchen überhaupt dazu kam, den nächsten klaren Gedanken zu fassen, ertönte ein einzelner Schrei und das Licht ging wieder an. Ein letzter Schatten huschte an der Abteiltür vorbei und wurde von dem Patronus nur mit einem Zischen weggejagt. Überrascht blinzelte Ilona. Was war denn nun passiert? Plötzlich wurde Getrappel auf dem Korridor laut. Hektisch durcheinanderrufende Stimmen bewiesen der Hufflepuff endgültig, dass die Gefahr nun wohl vorläufig vorbei sein musste. Mit einem Schlenker ihres Zauberstabs ließ sie, immer noch verwundert über die so übertrieben rasche Flucht der Dementoren, den Patronus verschwinden. Ein erneutes, ohrenbetäubendes Knallen ertönte plötzlich auf dem Gang und ließ die ängstlichen Kinder und Jugendlichen allesamt furchtsam verstummen. Aber es war nur ein magisch verstärkter Lautsprecher, der nun, von überallher gleichzeitig, zu verkünden begann Alle Schüler werden gebeten, in ihre Abteile zurückzukehren. Die Ankunft in Hogwarts wird so schnell wie möglich in die Wege geleitet. Bitte machen Sie sich bereit! „Oh verdammte Scheisse!“ Das war das erste Mal, dass Rose seit der Erwähnung des Wortes „Dementor“ wieder sprach. Sie blickte Ilona, die sie immer noch bestimmt an sich gedrückt hielt, fassungslos an und wollte mit überraschend kräftiger Stimme wissen: „Ich bin ohnmächtig geworden, nicht wahr?“ „Fast“, entgegnete ihre Freundin mit besorgter Miene. „Du warst plötzlich nicht mehr ansprechbar. Geht es dir wieder besser?“ Doch bevor die Gefragte auch nur den Mund aufmachen konnte, mischte sich Scorpius unerlaubt ein. Der überraschend schnell von seiner Angst kurierte Vertrauensschüler schnaubte verächtlich durch die Nase und höhnte verächtlich: „Du hast die ganze Show verpasst, Wiesel! Ganz schön schwache Leistung, von einem Dementor Angst zu haben!“ Bei der Erwähnung des gefürchteten Untiers zuckte Rose zusammen. Im nächsten Moment hatte sie sich aber wieder unter Kontrolle und begann lauthals zu kreischen: „DAS MUSST GERADE DU SAGEN, DU FEIGES STÜCK…“ Kurzentschlossen unterbrach Ilona das zu eskalieren drohende Gespräch und rief ungewohnt scharf: „Jeder hat Angst vor Dementoren. Das ist logisch, denn schließlich sind diese Monster die Angst selbst.“ „Du hast uns mit deinem Patronus wieder gerettet, nehme ich an“, fuhr Rose trotz der Unterbrechung ungerührt fort und bedachte Scorpius dabei mit einem gehässigen Nebenblick. „Oder hat Malfoy etwa auch etwas zu unserer Rettung beigetragen?“ „Das ist jetzt nicht wichtig“, wiegelte Ilona sofort diplomatisch ab und erhob sich nun langsam, wobei sie ihre beste Freundin gleich mit sich zog. Diese schien noch etwas Geharnischtes sagen zu wollen, aber die Hufflepuff legte der Rothaarigen kurzentschlossen den linken Zeigefinger auf die Lippen und legte all ihre Überzeugungskraft in die nun folgenden fünf Wörter: „Wir werden uns jetzt umziehen.“ Einen Moment noch starrte Rose sie unversöhnlich an. Dann senkte die Weasley jedoch plötzlich überraschend unterwürfig den Kopf und nickte einmal kurz. Ilona entfernte vorsichtig ihren Finger und wandte sich halb Scorpius zu, um ihn zu bitten, das Abteil nun doch freundlicherweise zu verlassen. Das einzige Problem dabei bestand darin, dass die Schlange schon längst aus dem Abteil geflüchtet war. Die Blonde schüttelte resigniert den Kopf. „Ich höre nur auf dich, weil du mir gerade wieder das Leben gerettet hast, klar?“, murrte Rose in diesem Augenblick missgünstig und warf der neben ihr stehenden, jungen Frau einen stechenden Blick zu. Ilona versuchte zu lächeln. Aber so richtig wollte ihr dies nun nicht mehr gelingen. Kapitel 2: Unliebsames Ankommen ------------------------------- Noch nie war der Zug nach Hogwarts so schnell geräumt worden. Aber das war eigentlich klar gewesen. Alle Schüler waren ängstlich darauf bedacht, nur ja keine Minute länger als nötig an einem Ort verbringen zu müssen, der gerade Schauplatz eines Dementoren Überfalls geworden war. Draußen in der Dunkelheit erwartete sie bereits die gesamte, finster dreinblickende Lehrerschaft. Im einsetzenden Nieselregen standen die Professoren stumm und mit erhobenen Zauberstäben in einer langen Reihe aufgereiht da. Es schien, als würden sie fest mit einem weiteren Angriff rechnen. Unter scharfen Ermahnungen, nur ja nicht zurückzubleiben, wurde die erschreckend schweigsame Schülermenge von Professor Hainsburry, Potter und Flitwick zügig einen matschigen Waldweg entlang zu den Nottransporten geführt, die in der Schnelle vom Direktor persönlich heraufbeschworen worden waren. Als Rose diese Vehikel zum ersten Mal sah, verdrehte sie demonstrativ die Augen. „Was soll denn das sein?“, murrte das Mädchen schlecht gelaunt. „Bin ich denn hier im falschen Film gelandet oder was?“ Eine Hundertschaft an riesigen Kürbissen baute sich orange leuchtend vor ihr und den restlichen, staunenden Schülern auf. In der Not hatte sich die Leitung von Hogwarts offenbar nicht anders zu helfen gewusst. Einige Früchte von Hagrids gedeihender Kürbiszüchtung waren kurzerhand mit schimmernden Rädern ausgestattet worden, um die jungen Schulschützlinge mehr oder weniger unbehelligt den Weg ins Schloss ermöglichen zu können. „Sieh dir das mal an, Ivy! Eine Frechheit“, fauchte Rose, während sie abfällig die hell glitzernde Haut des nächstbesten Kürbisgefährts betastete. „Die brechen ja auseinander, wenn man sie nur einmal schief ansieht!“ Ilona entgegnete nichts. Mit großen Augen war die Blonde stattdessen plötzlich mitten auf dem schlammigen Boden stehen geblieben und starrte unentwegt auf den noch leidlich sichtbaren Zug zurück. „Was denn?“, kam es sofort neugierig von Seiten Roses, die sich nun ebenfalls umdrehte und in der Dunkelheit etwas zu erkennen versuchte. Stumm hob Ilona die linke Hand und deutete zitternd auf den letzten Waggon des Hogwarts Zuges. Angestrengt verengte die Weasley daraufhin ihre Augen zu schmalen Schlitzen und blickte in die angegebene Richtung. Aber sie konnte trotzdem nichts in der Finsternis erkennen, bis auf… „Na toll. Jemand hat in seinem Abteil vergessen, das Licht abzudrehen. Wie spannend“, spöttelte die Rothaarige. Rose wollte sich bereits wieder umdrehen und in den fahrenden Kürbis steigen, als ein überraschend fester Griff auf ihrer linken Schulter sie noch einmal innehalten ließ. Ilona hatte den Mantel der Weasley gepackt und deutete wiederum hektisch auf das erleuchtete letzte Abteil. Die Bemühungen der jungen Frau, auf eine ganz bestimmte Sache aufmerksam zu machen, wurden dabei von ihrer hektisch flüsternden Stimme begleitet, die angestrengt versuchte, ihre unwillige Freundin zu überzeugen. „Schau noch mal genauer hin! Das ist doch nicht normal!“ Die Gryffindor wollte das Mädchen schon unwirsch anfahren, als sie aus den Augenwinkeln plötzlich eine flackernde Bewegung in der gedeuteten Richtung ausmachte. Jetzt wurde ihr plötzlich bewusst, was Ilona gemeint hatte. Der letzte Waggon war nicht erleuchtet. Er brannte. Er brannte lichterloh. Inzwischen hatten auch andere Schüler die hungrig leckenden Flammen, die aus dem letzen Abteilfenster schlugen, bemerkt. Mit einem Mal stockte die bisher betriebsam wuselnde Menge. Viele Kinder deuteten mit Schreckensausrufen zurück. Innerhalb kurzer Zeit war die ganze Kolonne zum Stehen gekommen. Sogar die wenigen Schüler, die es bereits geschafft hatten, in die ersten fahrenden Kürbisse zu gelangen und loszufahren, bekamen von der plötzlichen Unruhe noch etwas mit und steckten ihre Köpfe nun neugierig aus dem ratternden Gemüsegefährt. Und dann explodierte der Waggon. Die Schüler schrien auf und warfen sich zu Boden. Wilde, purpurne Flammen leckten mit einem Mal an dem Eisen des Zuges und färbten es schmutzig rot. Ilona schloss panisch die Augen. Aber das Spektakel war noch lange nicht vorbei. Direkt vor den Nasen der fassungslosen Lehrer fing nun ein Abteil nach dem anderen rasend schnell zu brennen an. Und explodierte Sekunden später. Rose, die als eine der Wenigen noch nicht zu Boden gesunken war, fragte sich ernsthaft, ob sie denn nun endgültig verrückt geworden war. Das konnte doch nicht sein! So etwas durfte es doch nicht geben! Nicht in Hogwarts! Und dann flog der gesamte Zug mit einem letzten, ohrenbetäubenden Knall in die Luft. Staub und Asche rieselte auf die hilflosen Schüler und Lehrer herab. Es war schlimmer als jeder bösartige Alptraum, denn es passierte gerade im Hier und Jetzt. Plötzlich schien jeder zu schreien. Es war so laut auf einmal! Rose presste sich beide Hände auf die Ohren. Doch es nützte nichts. Jede Andeutung von Ordnung hatte sich nun vollends aufgelöst: Alle Schüler drängelten, schubsten, bissen und kniffen sich, bis sie alle einen Platz in den bald überfüllten Gemüsewaggons gefunden hatten, frei nach dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste. Rose und Ilona wurden von diesem Andrang beinahe erdrückt. Aber die beiden Hexen selbst stiegen nicht ein. Zu sehr hielt sie noch der Anblick des lodernden Feuerballs fest, der sich nun aus den letzten Trümmern des Zuges erhob. Selbst die Lehrer mussten auf Grund dieser schrecklichen Hitze zurückweichen. Doch mit einem Mal, als die lodernde Hölle gerade am Höhepunkt ihrer zerstörerischen Macht schien, verging das Feuer in einem leichten Funkenregen. Zurück blieb nur eine schwache, rot glimmende Wolke, die eine sehr seltsame Form innehatte. Daraufhin passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Es wurde totenstill. Die Wolke färbte sich mit einem Mal grün. Ilona und Rose erkannten das Zeichen Voldemorts gleichzeitig. Und Harry Potters Narbe begann heftig zu schmerzen. Trotz allem schaffte es aber beinahe jeder Schüler und jeder Lehrer schlussendlich mehr oder weniger unverletzt in die Große Halle. Doch trotz der riesigen Menschenmasse, die sich nun unter der verzauberten Decke eingefunden hatte, war es noch immer schrecklich still auf den Tischen. Besonders die unteren Klassen, gewöhnlich tobend und laut lachend, saßen zusammengesunken und blass auf ihren Plätzen und gaben keinen unnötigen Ton von sich. Selbst die älteren Schüler standen unter Schock. Zuerst die Dementoren und dann die Flucht aus dem Zug, der plötzlich in Flammen aufgegangen war: So einen explosiven Schulstart hatte noch niemand zuvor in Hogwarts erlebt. Und unter all diesen prägenden Erlebnissen ging das wichtigste beinahe unter. Die Kinder waren noch allesamt zu jung- sie kannten Voldemorts Zeichen nicht mehr. Aber die Lehrer wussten noch davon. Besonders einer. Und der sah mit Abstand am schlechtesten am Lehrertisch aus. Harry Potter kämpfte mit einem fortwährenden Würg reiz, der mit der Zeit, anstatt abzunehmen, immer mehr zunahm und ihm damit zunehmend den Appetit raubte. Der junge Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste rieb sich düster seine schmerzende Narbe an der Stirn und nippte nur ab und zu an einem halb vollen Glas Kürbissaft. Er wusste, was diese Schmerzen in seinem Kopf bedeuteten, aber er wollte es noch nicht wahrhaben. Voldemort war tot. Er hatte seine Leiche doch selbst auf dem riesigen Scheiterhaufen vor 20 Jahren verbrennen sehen! Aber trotzdem rührte sich seine Narbe wieder. Zum ersten Mal seit der letzten Schlacht. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Ilona indessen wollte auch nicht so recht Appetit entwickeln. Das Mädchen zupfte lustlos an einem Salatblatt herum und warf Rose, die sich trotz aller Schrecken ungehindert am Nebentisch den nicht vorhandenen Bauch vollstopfte, immer wieder fassungslose Blicke zu. Die Weasley hatte in dieser Beziehung eindeutig stärkere Nerven als ihre zartbesaitete Hufflepuff- Freundin. Sobald das große Eingangstor von Hogwarts nämlich hinter der Rothaarigen zugefallen war, ging es Rose wieder gut. Sie wusste, dass es Voldemort schon einmal geschafft hatte, hierher einzudringen. Aber Hogwarts war ihr Zuhause. Hier fühlte Rose sich wohl. Da nahm sie es auch gerne mit längst verstorbenen Schwarzmagiern auf, solange sie nur hierbleiben durfte. Ilona war da nicht so entspannt. Die ganze Zeit über, sogar während die noch immer vor Angst zitternden Erstklässler ihren Häusern zugeteilt wurden, hatte das Mädchen immer wieder achtsam über ihre Schulter gespäht. Sie zog ernsthaft die Möglichkeit in Betracht, dass Du- weißt- schon- wer jeden Moment hinter ihr auftauchen und der Blonden einen tödlichen Fluch auf den Hals hetzen würde. Natürlich hätte sie dann keine Chance. Den Zauberstab aber hielt Ilona die ganze Zeit unter dem Tisch gezückt. Für den Fall der Fälle… Nach dem trüben Abendmahl, als die goldenen Becher und Teller wieder blitzblank geputzt auf allen Tischen erschienen waren, erhob sich der Direktor am Lehrertisch und klatschte einmal geräuschvoll in die Hände. Die Schüler verstummten. Mit mehr Spannung als üblich wurde dieses Jahr die Rede des hutzligen, alten Männchens erwartet. Das Oberhaupt der Schule schenkte jedem Tisch der Reihe nach ein breites Lächeln. Dann streckte er, ebenfalls an alle gerichtet, seine Zunge heraus. Den Erstklässlern klappte allesamt der Mund auf. Doch die Älteren lächelten müde. Direktor Erasmus Rothweil erschien nur auf den ersten Blick wahnsinnig. Er trug zwar mit Vorliebe gerne knallige Hüte und Handschuhe in allen Farben und Formen, die sich von seinem ansonsten grau gehaltenen Umhang immer stechend abhoben, und erweckte auch sonst nicht immer den Eindruck, als wäre er ganz bei sich. Der Greis sprach am liebsten mit sich selbst in seinem zur Bibliothek umfunktionierten Büro und hielt nebenbei als Haustiere vier große, abstoßend hässliche Raben, die, wenn sie nicht gerade Patrouille um das Hogwartsgelände flogen, auf seinen Schultern saßen und leise krächzten. Aber Direktor Rothweil war schon immer einer der besten Freunde Dumbledores und somit ein glühender Gegner des dunklen Lords gewesen. Von seinen Zauberfähigkeiten wusste man, obwohl er die Schule schon seit nunmehr 10 Jahren leitete, trotzdem so gut wie gar nichts. Man munkelte nur hinter vorgehaltener Hand, dass allein Dumbledore diesem Verrückten noch das Wasser im Duell hätte reichen können… Bis jetzt war Hogwarts jedenfalls noch nicht zusammengebrochen. Also musste das alte Klappergestell schon irgendetwas richtig machen. „Meine lieben Schülerinnen und Schüler!“, begann Rothweil sägend mit seiner Rede. „Sie sind noch nicht einmal einen Tag hier und schon passieren dreierlei Unglücke! Ich denke, das lässt gewisse Rückschlüsse zu, zumal der Sommer bisher ein ausgesprochen ruhiger war…“ Der Alte lachte hicksend, so als hätte er soeben den Witz des Jahrtausends gemacht. Das überraschte wiederum weder die älteren Schüler noch die Lehrer, während die Jüngsten unter ihnen sich fassungslose Blicke zuwarfen. Erasmus Rothweil war für seinen schwer verdaulichen Humor bekannt. Das wurde einem spätestens dann klar, wenn man den alten Mann einmal am Valentinstag erlebt hatte. Aber dazu später mehr. Nachdem er sich von seinem Kicheranfall wieder beruhigt hatte, wurde der Direktor aber auch schon sofort wieder ernst und begann mit düsterer Stimme fortzufahren. „Wie Sie bereits zweifellos in Erfahrung bringen konnten, haben schreckliche, Seelen saugende Wesen, kurz Dementoren, unser liebes Hogwarts als neues Feriendomizil auserkoren. Ferners ist der Zug nach Hogwarts kurzerhand zum Grill umfunktioniert worden.“ Erasmus Rothweil verstummte. „Und dann“, fuhr der alte Mann nach einer kurzen Pause mit erschreckend hohler Stimme fort, „haben wir eine Mahnung in Form eines wolkigen Totenschädels erhalten, aus dessen Mund eine Schlange kriecht. Wisst ihr überhaupt noch, was dieses Zeichen zu bedeuten hat?“ Fragend blickte er auf die schweigsame Schülermenge herab. Die meisten schüttelten verwirrt die Köpfe. Nur ein paar der älteren Mädchen und Jungen wurden mit einem Mal blass um die Nase. „Nun, es ist das Zeichen Voldemorts“, beantwortete Rothweil schließlich selbst auf einmal sehr müde wirkend seine Frage. Ein allgemeines Rumoren lief durch die Haustische. „Ruhe!“, bellte der Direktor, und sofort war wieder Stille eingekehrt. „Wie ihr seht, wird dieses Schuljahr in Hogwarts eindeutig das abwechslungsreichste eurer gesamten Schulkarriere“, bemerkte der Greis mit gerunzelter Stirn und nur einem halben, abwesenden Lächeln. „Ich bitte euch einfach, den Verbotenen Wald sowie die Ländereien Hogwarts so lange zu meiden, bis wir eine Erklärung für diese ganzen Ereignisse haben. Und nun ab in eure Betten, ihr Schlafmützen!“ Die Rede war beendet. Sofort begannen sich wieder ängstliche Geflüsterfeuer, beinahe unhörbar unter dem aufkommenden, allgemeinen Stühlerücken, zu verbreiten. „Du- weißt- schon- wers Zeichen? Wie kann das sein?“ „Ich schreibe sofort meinen Eltern! Die sollen mich hier herausholen!“ „Bist du wahnsinnig? Hogwarts ist immer noch der sicherste Ort…“ Solche Gesprächsfetzen und derlei mehr vernahm Ilona, als sie nun hastig aufstand und einer großen Traube Hufflepuffs in geringem Abstand in den Gemeinschaftsraum der Dachse folgte. Auf der Schwelle zur großen Halle erhaschte sie noch einen Blick auf das entschlossene Antlitz Roses, die den Zauberstab gut sichtbar in ihrer rechten Hand hin und her wirbelte, während sie sich zusammen mit den anderen Gryffindors in der Menge nach draußen treiben ließ. Scheinbar hatte die Weasley keine Angst. Ilona beneidete sie darum. Kapitel 3: Unliebsame erste Zaubertrankstunde --------------------------------------------- Zu Roses großer Enttäuschung und Ilonas grenzenloser Erleichterung passierte in der folgenden ersten Woche in Hogwarts jedoch rein gar nichts ähnlich Aufregendes wie noch während der Zugfahrt. Das dunkle Mal verblasste mit jeder vergehenden Stunde mehr in dem Gedächtnis der Hogwarts Bewohner. Bald war es nichts mehr als eine gefürchtete Erinnerung, die schließlich als schlechter Scherz abgetan und von den zuständigen Professoren ad acta gelegt wurde. Nicht einmal die Dementoren ließen sich blicken. Abgesehen also von dem beinahe unmöglich zu bewältigenden Berg Hausaufgaben, den die Siebtklässler bereits in den ersten drei Tagen aufbekommen hatten, nahm alles seinen gewohnten Gang. Die Professoren schienen zwar noch aufmerksamer und gereizter als sonst, aber auch damit konnte man sich arrangieren. Wenn man nicht gerade Rose Weasley hieß oder einen verdammten Dickkopf hatte, konnte man in Hogwarts ein angenehmes Leben führen. Wie gesagt. Wenn man nicht Rose Weasley hieß… Freitag. Die letzte Doppelstunde vor dem ersten Wochenende stand an, und wie es der Zufall so wollte, hatten Gryffindor und Slytherin gemeinsam zu einer Doppelstunde Zaubertränke anzutreten. Eine sehr ungünstige Konstellation für beide Seiten. Denn kaum war Rose in die kalten, klammen Kerkerräume getreten, drehte Scorpius sich bereits von seinem Sitzplatz in der ersten Reihe um und schenkte der Rothaarigen ein erwartungsvolles Grinsen. Plötzlich tönte es lauthals durch den ganzen Kerker: „Hey Weasley, noch immer Angst vor Dementoren? Wuhuuu!“ Bei den letzten Worten hatte der junge Mann sich eine Kapuze übers Gesicht geworfen und versuchte nun, ein möglichst angsteinflößendes Gesicht zu machen. „Gib dir keine Mühe, Malfoy“, entgegnete die Rothaarige lässig und ließ sich bedächtig auf dem hintersten Platz im Kerker nieder. „Du bist und bleibst einfach eine Witzfigur.“ Ausnahmslos alle im Raum starrten das Mädchen verblüfft an. Normalerweise wäre Rose schon längst an die Decke gegangen. Normalerweise begann jede Stunde, in der die Gryffindor und der Slytherin am selben Unterricht teilnehmen mussten, entweder gleich mit einem zünftigen Duell oder zumindest einem Wutausbruch ihrerseits oder seinerseits, der die Decke wackeln ließ. Aber heute? Heute war anscheinend nichts normal. Und zu allem Übel lächelte die Weasley jetzt auch noch dem perplexen Malfoy zu, bevor sie fröhlich summend einen Zettel aus ihrer Rocktasche zog und sich verträumt darin vertiefte. Das war zu viel für Scorpius. Der junge Mann klappte den Mund auf. Und wieder zu. Er war sprachlos. So wie der Rest der Klasse. Bevor sich jedoch irgendjemand einen Reim auf diese beunruhigend friedliche Weasley machen konnte, krachte die Tür auf und der neue Professor für Zaubertränke trat ein. „Herzlich willkommen, Siebtklässler!“, begrüßte Draco Malfoy die Schüler huldvoll. „Schön, euch endlich kennen zu lernen.“ Für die Gryffindors war diese neue Bekanntschaft aber weder schön noch angenehm. Obwohl Slughorn, der alte Zaubertrankprofessor, sein Haus leicht bevorzugt hatte, war es den Schülern aus anderen Häusern, sofern sie fleißig lernten, auch nicht schlecht ergangen. Malfoy hingegen. Dieser Sadist genoss es regelrecht, jeden falschen Fingerzeig der Gryffindor genüsslich zu kommentieren. Und das Schlimme dabei war, dass er trotzdem immer freundlich blieb. Allein in der ersten Stunde zog der neue Zaubertrankmeister den Löwen zehn Punkte ab. Aber er tat dies auf so widerlich nette Weise, dass die Gryffindormädchen ihn trotzdem anhimmelten. Ja, der neue Professor sah wirklich gut aus mit seinem kurzen, blonden Haar und den sturmgrauen Augen. Seine Fassade wirkte perfekt. Bis sie in der zweiten Stunde dann erste Risse bekam. Bis jetzt hatte Draco die junge Weasley nämlich noch nicht aufs Korn genommen. Aber nun, gleich gegen Anfang der zweiten Stunde, schlich sich der ehemalige Slytherin von hinten an die abwesend wirkende Rothaarige heran und flüsterte dem Mädchen unerwartet ins Ohr: „Was tun Sie da, Miss Weasley?“ Die junge Frau, die bis jetzt in ein abgegriffen wirkendes Stück Pergament vertieft gewesen war, schreckte überrascht aus ihren Tagträumen auf. Verwundert blinzelte Rose zu dem Professor neben sich auf und fragte laut: „Wer zum Teufel sind Sie denn?“ Malfoys Augen bekamen daraufhin einen ungewohnt eisigen Farbton und er entgegnete weit unfreundlicher, als seine Klasse es bisher von ihm gewohnt gewesen war: „Ich bin der neue Professor für Zaubertränke, Miss Weasley. Hätten Sie meinem Unterricht bis jetzt auch nur eine Sekunde lang gefolgt, wäre Ihnen das wohl aufgefallen.“ „Ach so…“ Rose zuckte kurz mit den Achseln und wandte sich wieder dem ominösen Schriftstück in ihren Händen zu. Scorpius hielt den Atem an. Es konnte sich sicherlich nur mehr um Sekunden handeln, bis sein Vater die Fassung verlor. Und dann würde es schlecht für Rose aussehen… Seltsamerweise gefiel dem Jungen diese Vorstellung überhaupt nicht. „Was lesen Sie denn so Wichtiges?“, wollte Draco plötzlich mit zuckersüßer Stimme wissen. Seine Frage hallte hohl in dem mucksmäuschenstill gewordenen Kerker wieder. Der Blick jedes Schülers hatte sich inzwischen von der einfachen Schlaftranklösung- Arbeitsaufgabe an der Tafel abgewandt und wanderte nun erwartungsvoll zwischen dem neuen Lehrer und der ungehorsamen Weasley hin und her. Während die Slytherin sich jedoch voller Vorfreude bereits die Hände rieben, sahen alle Löwen verdächtig blass aus. Die Gedanken beider Häuser gingen aber in die gleiche Richtung: Das würde ein Donnerwetter geben. Besser noch. Ein richtig fetter, mörderischer Tropensturm braute sich da vor ihren Augen zusammen. „Gar nichts“, antwortete die Gryffindor schließlich gedehnt und wollte den Zettel gleichzeitig unauffällig in ihrer Tasche verschwinden lassen. Aber Professor Malfoy war schneller. Mit einer geübten Handbewegung entriss er seiner Schülerin den Zettel. Das Papier raschelte unruhig in seinen Händen, als der Lehrer es nun langsam auffaltete. Leise räusperte Draco sich, bevor er genüsslich begann, die wenigen geschriebenen Sätze darauf der aufmerksam lauschenden Klasse mit weithin gut hörbarer Stimme vorzutragen: Sehr geehrte Miss Weasley! Es ist uns eine Ehre Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie als der Mannschaftskapitän der diesjährigen Gryffindor- Quidditchmannschaft ausgewählt wurden. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen und viel Glück! Hochachtungsvoll, Hermine Weasley (Professorin für Verwandlung und Hausvorsteherin der Gryffindors) Unter den amtlich wirkenden Brief waren noch ein paar hektische Wörter in verschlungener Schrift gekritzelt worden. Draco ließ keine Gnade walten und las auch dieses Postskriptum mit inzwischen verdächtig leuchtenden Augen vor: Schatz, ich bin so stolz auf dich! „Faszinierend.“ Professor Malfoy legte feixend eine weiße Hand auf Roses Schulter. „Da muss ich Ihnen ja gratulieren, Miss Weasley“, fuhr der junge Mann gefährlich freundlich fort und musterte dabei eingehend seine Schülerin. Deren Kopf hatte sich bei jedem der laut vorgelesenen Wörter immer dunkler verfärbt und glänzte nun in einem matten Burgunder. Man sah der Kleinen direkt an, dass sie kurz davor war, in einen ohrenbetäubenden Schreikrampf zu verfallen. „Sind Sie fertig?“, knurrte das Mädchen dennoch beunruhigend ruhig und warf dabei einen mörderischen Blick zu dem Antlitz ihres neuen Zaubertrankprofessors hinauf. „Nicht ganz.“ Draco schenkte ihr sein schrecklichstes Lächeln. „Hundert Punkte Abzug für Gryffindor und Strafarbeiten das ganze Jahr lang. Ferners werde ich mich bei Ihrer Hausvorsteherin stark gegen Sie aussprechen müssen, fürchte ich. Den verantwortungsvollen Posten eines Quidditch Kapitäns in solch ungeeignete Hände zu übergeben…“ Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Das erscheint mir als keine allzu gute Idee.“ Das war, wie nicht anders zu erwarten, zu viel. Mit einem Hechtsprung sprang Rose auf. Instinktiv federte ihr der treue Zauberstab in die rechte Hand und sie richtete ihn dem Zaubertrankmeister direkt auf die Kehle. Dieser zog jedoch nur verächtlich eine Augenbraue hoch. „Ein Wort, Weasley“, intonierte er kühl. „Ein einziges Wort, und ich schwöre, dass Sie schneller von dieser Schule fliegen werden, als dass Sie Quidditch buchstabieren können.“ Schwer atmend verharrte Rose noch eine Sekunde lang in ihrer Position. Dann jedoch senkte sie den Blick. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und rannte aus dem Kerker. Innerlich frohlockend blickte Professor Malfoy ihr nach. Ilona fand Rose schließlich am späten Abend mit verheultem Gesicht im hintersten Winkel der kaum besuchten Bibliothek sitzend. Ohne ein Wort zu verlieren lief die Blondine der jungen Frau entgegen und schloss die Weasley in ihre Arme. Sanft wiegte sie die Verstörte hin und her, während die Rothaarige den Kopf stumm auf die Schulter ihrer Freundin legte. So verharrten die beiden Kameradinnen eine gefühlte Ewigkeit lang. Schließlich hatte Rose aber genug von dieser Gefühlsduselei und befreite sich unnötig grob aus der teilnahmsvollen Umarmung. Gleichzeitig wollte sie mürrisch wissen: „Woher weißt du davon?“ „Du meinst wohl eher: Wer weiß nicht davon?“ Die Hufflepuff schenkte ihrem Gegenüber einem teilnahmsvollen Blick. „Die ganze Schule zerreißt sich die Mäuler über deinen eskalierten Zusammenstoß mit Malfoy senior.“ „Oh verdammt.“ Rose barg verzweifelt ihr Gesicht in beiden Händen. „Mum wird mich UMBRINGEN.“ „Das glaube ich nicht.“ „Und warum nicht?“ Die Rothaarige blickte auf und funkelte das andere Mädchen wütend an. Ilona zuckte jedoch nur mit den Schultern. Ihre dunklen Augen waren dabei krampfhaft an die Decke gerichtet, scheinbar in dem Bestreben, nur ja nicht dem fuchsteufelswilden Blick der Weasley begegnen zu müssen. „Ivy…“ Doch bevor Rose ihre noch unausgesprochene Drohung vollenden konnte, fiel die Hufflepuff ihr hastig ins Wort: „Hast du eigentlich schon die Hausaufgaben für Zauberkünste fertig? Es gibt da einen Punkt, den ich nicht verstehe…“ Diese Ablenkung reichte, um die Rothaarige wieder stöhnend den Kopf in beide Hände sinken zu lassen. „Was sollte das, Vater?“ Exakt zur gleichen Zeit tigerte Scorpius unruhig im Büro des Zaubertrankmeisters umher. Er blickte dabei missmutig zu seinem Erzeuger auf, der vor dem riesigen Spiegel am anderen Ende des Raumes stand und sich selbst zufrieden musterte. „Was soll denn gewesen sein, Sohnemann?“, murmelte Malfoy senior abwesend. Der Ältere zog dabei gleichzeitig in einer fließenden Bewegung seinen Zauberstab hervor, im Bestreben, sich damit selbst die ohnehin schon perfekt zurückgelegten Haare gerade zu richten. „Das, was du heute mit Weasel- bee abgezogen hast“, half sein Spross ihm murrend auf die Sprünge. „Und übrigens.“ Der junge Mann warf seinem Vater einen fragenden Blick zu. „Warum zum Teufel putzt du dich so heraus?“ Draco seufzte gekünstelt. Er ließ seinen Zauberstab sinken und drehte sich elegant zu seinem einzigen Nachkommen um. „Sie hat mich provoziert“, antwortete er und zuckte gelassen mit den Schultern. „Ich denke, das Schlammblut hat seine gerechte Strafe bekommen.“ „Sie ist Halbblüter“, entgegnete Scorpius ungewöhnlich scharf. „Ist sie das?“ Malfoy senior drehte sich wieder um und warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. „Für mich ist und bleibt sie Grangers Tochter- also Dreck der letzten Güte.“ Sein Sohn zog heftig die Luft ein, sagte aber nichts. „Solltest du eigentlich nicht schon längst in deinem Gemeinschaftsraum sein?“, wollte Draco plötzlich wie zufällig wissen und warf seinem Sohn dabei aus den Augenwinkeln einen unmissverständlichen Blick zu. Scorpius ignorierte diese unausgesprochene Aufforderung, gefälligst von hier zu verschwinden, jedoch geflissentlich. Der junge Mann blieb stehen, ließ sich demonstrativ auf die sich direkt hinter ihm befindende, riesige Couch sinken und bemerkte trotzig: „Ich bin schon in der siebten Klasse, Dad. Wir dürfen bis Mitternacht draußen bleiben.“ „Ich will aber, dass du jetzt gehst.“ Die Stimme des Älteren war nun eisig. Die Temperatur im Raum schien auf einmal um einige Grad zu sinken. Der Jüngere schnaubte jedoch nur abfällig. „Was denn? Glaubst du, ich ertrage den Anblick deiner Geliebten nicht?“, schoss Scorpius ebenso unterkühlt wie sein Vater zurück. „Was bildest du dir eigentlich ein?“ Wütend wandte sich Draco erneut um und erdolchte sein eigen Fleisch und Blut nun beinahe mit einem unerträglich harten Blick. Malfoy junior indessen war von der Couch aufgesprungen. Er versuchte, all den Hass und die Verachtung, die er schon ewig für seinen Vater empfand, nun in wenigen Wörter zu kompensieren. Giftig spuckte der Slytherin aus: „Für wie dumm hältst du mich eigentlich?“ „Für ziemlich dumm. Wieso?“, entgegnete Draco cool und wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu. Für einen Moment war Scorpius geneigt, seinen Zauberstab hervorzuziehen und seinem Vater einen unverzeihlichen Fluch an den Hals zu schicken. Aber Malfoy senior würde ihn schneller entwaffnen, als er auch nur einmal blinzeln würde können. Deswegen beließ es der junge Mann nach kurzem Nachdenken schließlich bei einer unterdrückten, nichtmagischen Verwünschung und der Flucht aus den Kammern seines Vaters. Draco verdrehte die Augen. Der Junge geriet eindeutig nicht nach ihm. Aber egal. Mit einem letzten Schwung seines Zauberstabs bürstete der Zaubertrankprofessor nicht vorhandene Fussel von seinem nachtschwarzen Umhang. Er konnte nicht anders und musste lächeln. Endlich. Jetzt würde sie ihm nicht mehr entkommen können. Kapitel 4: Unliebsamer Samstag ------------------------------ Der Samstagmorgen brach an. Die Sonne schien warm von einem wolkenlosen Himmel herab und angenehme Föhnwinde versprachen ungewöhnlich schönes Wetter heute. Die meisten Schüler von Hogwarts ließen es sich nicht nehmen, trotz der eigentlich noch immer geltenden Dementoren Warnung, ihre Studien nach draußen auf die Ländereien zu verlegen. Selbst die Professoren mussten einsehen, dass bei diesem Kaiserwetter kein Seelensauger freiwillig aus seinem Unterschlupf hervorkriechen würde. Deshalb mussten sie das Verlassen des Schlosses zähneknirschend genehmigen. Zum ersten Mal seit Beginn des Schuljahres war die Stimmung in Hogwarts wieder größtenteils positiv. Wobei Ausnahmen natürlich die Regel bestätigten. Schon beim Frühstück, nach der täglichen Eulenpostverteilung, glänzte Rose durch abstoßend schlechte Laune. Selbst ihre beste Freundin Ilona konnte sich darauf keinen Reim machen. Sie wurde von ihrer mörderisch aufgelegten Kollegin vollkommen ignoriert, als das gleichaltrige Mädchen dem Starrkopf wie jeden Tag beim Eintreten in die Große Halle einen guten Morgen wünschen wollte. Rose warf Ilona statt einer Entgegnung nur einen unheilverkündenden Blick zu, der noch nie etwas Gutes verheißen hatte. Die Hufflepuff tappte also vollkommen im Dunkeln. Bis Weasley die Blonde, welche gerade nichtsahnend den Saal verlassen wollte, schließlich beiseite und ohne ein Wort in den nächstbesten, leerstehenden Klassenraum zog. Stumm vor Wut zeigte die Rothaarige dort der noch etwas zerdrückt wirkenden Una einen kleinen, schmuddeligen Zettel. Sofort wieder hellwach und aufmerksam geworden, las die Schülerin konzentriert das wenig Geschriebene auf dem Pergament durch. Rose, stand da kurz und bündig in verschnörkelter Schrift geschrieben. In mein Büro. Sofort. Der Zettel war nicht unterschrieben worden. Aber das war auch nicht unbedingt nötig. Ilona wusste auch so sofort und ohne Zweifel, von wem die Nachricht stammen musste. „Das hat Mum mir heute Morgen mit Xerxes, ihrer persönlichen Schneeeule, geschickt“, knurrte Rose. „Und du bist dir wirklich ganz sicher, dass sie mir nicht an den Kragen will?“ Doch zu ihrer Überraschung schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. Ilona bekräftigte dabei mit beruhigender Stimme die bereits gestern vertretene Ansicht: „Vielleicht will sie dir ja nur zusätzliche Strafarbeiten aufbrummen. Immerhin hast du einen Professor beinahe tätlich angegriffen…“ Der Rest ihrer Ansage ging in einem lauten Schnauben seitens Rose unter. „Wie ich meine Mutter kenne“, zischte das Mädchen gehässig, „werde ich wohl tatsächlich zusätzlich zu den Arbeiten von Malfoy senior auch noch von ihr etwas Schreckliches aufgehalst bekommen. So im Stil: Geschieht dir recht, Kleines. Warum musstest du auch die Regeln brechen?“ Die letzten Wörter hatte Rose immer lauter werdend ausgestoßen. Sie blickte die still neben ihr stehende Freundin wild an. „Warum ist sie bloß so, Ivy? Ich kann diese Frau nicht verstehen!“ Die Weasley musste mit einem Mal abbrechen. Besorgt tätschelte Ilona ihren Arm. Dabei versuchte die Blonde gleichzeitig mit sanfter Stimme, die aufbrausende Gryffindor neben sich wieder zur Ruhe kommen zu lassen: „Deine Mum will nur das Beste für dich, Rose…“ „Natürlich.“ Wiederum wurde sie von der wütenden Weasley unterbrochen. „Am liebsten wäre es ihr, wenn sie mich in einen goldenen Käfig einsperren könnte und“ „Wenigstens hast du noch eine Mutter.“ Rose klappte der Mund auf. Ah. DAS hatte sie ja beinahe vergessen. Reuevoll betrachtete sie die kleinere Schülerin neben sich, die nun die Arme verschränkt hatte und verbittert in die Ferne starrte. Düsteres Schweigen machte sich breit. Erst nach einiger Zeit traute sich die mit einem Mal unsichere Wealey, die Stille wieder zu unterbrechen: „Ivy. Wenn sie es könnten, würde dich jeder Lehrer sofort adoptieren. Meine Mutter in vorderster Front. Das weißt du doch?“ Ilona versuchte krampfhaft, ein kleines Lächeln zu unterdrücken. Doch es misslang der Blonden kläglich. „Na bitte.“ Freundschaftlich legte Rose der Hufflepuff einen Arm um die Schultern. „Ich gehe jetzt und hole mir meine Gardinenpredigt. Und danach treffen wir uns gleich bei Hagrid, in Ordnung? So einen schönen Tag will ich doch nicht drinnen vergeuden!“ Ilona nickte nur. Im Hermine Grangers Büro herrschte zehn Minuten später eisige Stille. Mutter und Tochter starrten böse an die Decke. Beide schienen unfähig, das immens wichtige Gespräch zu beginnen. Schließlich aber gab die Ältere nach. Hermine lehnte plötzlich beide Ellbogen auf den eichenen Sekretär vor sich, verschränkte ihre zartgliedrigen Finger ineinander und sah ihre 16- jährige Tochter zornig an. „Also?“, kam es böse von ihr. Professor Granger verharrte und gab Rose damit eine Chance, selbst fortzusetzen. Das hätte man immerhin als Kooperation werten können. Da dieser Sturkoppf aber weiterhin verstockt schwieg, sah die junge Lehrerin sich schließlich gezwungen, wutschnaubend selbst fortzufahren. „Du hast den neuen Zaubertrankmeister zuerst durch Missachtung beleidigt und danach sogar den Zauberstab gegen ihn erhoben?“, wollte die Frau mit der immer noch kaum gebändigten, lockigen Haarpracht tonlos wissen. Rose nickte nur. „Was bildest du dir eigentlich ein?“ Hermine war wütend von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch aufgestanden und funkelte das Mädchen vor sich nun unbarmherzig an. Die Gryffindor jedoch, die es sich auf dem einzigen Besucherstuhl gemütlich gemacht hatte, schlug nur geziert die Beine übereinander und schwieg weiterhin. „Du redest also immer noch nicht mit mir.“ Diesmal ließ sich das Mädchen zu einem knappen Nicken herab. „Na gut.“ Mühevoll um Beherrschung ringend, fuhr sich Professor Granger mit beiden Händen durch die Haare. „Beinahe bereue ich es, dir den Posten als Quidditchkapitänin verschafft zu haben.“ „Aber Malfoy hat doch…?“ Bei einem wichtigen Thema wie Quidditch vergaß Rose allen übrigen Zorn und Kummer. Sie beugte sich mit einem Mal begierig vor und musterte ihre Verwandlungslehrerin mit Unglauben. „Ich habe dafür gesorgt, dass du den Posten weiter behalten darfst“, verkündete Hermine mit einem triumphierenden Funkeln in den Augen. „Aber die Punkte und die Strafarbeiten kann ich dir nicht abnehmen, da musst du alleine…“ „Danke, Mum!“ Zum ersten Mal seit zwei Jahren lächelte Rose ihre Mutter wieder aufrichtig an. Professor Granger hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals. „Aber wenn mir noch einmal irgendeine Klage zu Ohren kommt“, brachte die gerührte, junge Frau gerade noch krächzend hervor. „Dann sorge ich dafür…“ Ihre Worte verhallten in der leeren Luft. Rose war bereits aufgestanden und aus der halboffenen Tür entwischt. Hermine seufzte. „Immer Ärger mit dem Nachwuchs, nicht wahr?“ Plötzlich lehnte Draco lässig an der Türschwelle. Professor Granger versteifte sich. „Kann ich irgendetwas für Sie tun, Mister Malfoy?“, wollte die Frau mit betont ruhiger Stimme wissen, während sie plötzlich scheinbar verzweifelt nach irgendetwas auf ihrem Schreibtisch zu suchen schien. Nicht um alles Geld der Welt wollte sie den Blick heben und den Anblick dieses Lackaffen ertragen müssen… „Oh, du weißt, was ich will“, hauchte es plötzlich verführerisch gegen ihren Nacken. Hermine schloss zitternd die Augen. Ilona ging gerne zu Hagrid. Der Riese verhielt sich ihr gegenüber immer freundlich. Er hatte auch nichts dagegen, wenn sie ihm manchmal bei der Pflege seiner Haustiere half. Der Lehrer für Aufzucht magischer Geschöpfe war schlicht ein friedliebender Mensch, dessen gütiges Wesen immer Ilonas Stimmung hob, wenn sie sich traurig fühlte. Wären nur mehr Lehrer in Hogwarts wie er… Dementsprechend überrascht war die junge Frau, als sie den Professor bereits aus weiter Entfernung wütend brüllen hörte. Das Mädchen beschleunigte unruhig seinen Schritt, bis es schlussendlich beinahe zu Hagrids Hütte rannte. Was konnte nur Schreckliches passiert sein, dass ein freundlicher Riese wie ihr Lehrer derart unmanierliche Flüche ausstieß? Die Antwort darauf bekam die Schülerin früher, als ihr lieb war. Gerade war Ilona um die letzte Ecke gebogen, als sie auch schon entsetzt innehielt. Das Mädchen schlug beide Hände vor den Mund. Ein Einhorn. Ein wunderbar silbernes, junges Einhorn lag auf der Schwelle zu Hagrids Hütte. Seine Beine waren unnatürlich verrenkt und nach oben gestreckt. Die Augen des schönen Tieres waren in großer Qual aufgerissen. Es schien beinahe so, als würde es die vor Schreck erstarrte Schülerin mit seinem angsterfüllten Blick warnen wollen… Doch die Hufflepuff wusste sofort, dass das Einhorn bereits tot war. Und somit niemals mehr jemanden warnen würde. Jedenfalls nicht absichtlich. Noch nie hatte Ilona etwas so Trauriges und Schönes zugleich gesehen. Der Zauber, der von dem ästhetischen Kadaver auszugehen schien, wurde mit einem Mal jedoch jäh unterbrochen. Riesige Hände, so groß wie Delfine, hoben das tote Tier plötzlich behutsam auf, während ihr Besitzer weiterhin unablässig Flüche in die helle Vormittagsluft hinaus stieß. „Professor? Was ist passiert?“, flüsterte Ilona mit schreckensverzerrtem Gesicht. Der Strom unflätiger Wörter versiegte abrupt. Hagrid blinzelte verwirrt auf die neben ihm wie ein kleines Kind wirkende Schülerin herab. Die Überraschung hielt jedoch nur einen Moment lang an und machte danach sogleich überschäumendem Zorn Platz. „WAS TUST DU DENN HIER?“, donnerte der Halbriese mit erschreckender Lautstärke. „Ist es euch Bälgern nicht vom Direktor höchstpersönlich verboten worden, raus zu gehen? Es ist doch viel zu gefährlich hier, ist es!“ Doch Ilona, die bei jedem Wort etwas kleiner geworden zu sein schien, wagte leise und mit unsicherer Stimme zu widersprechen: „Aber das Verbot ist doch wieder aufgehoben worden…“ „Oh.“ Mit einem Mal wirkte Hagrid wieder friedlich. Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete er die zerbrechlich wirkende, junge Frau, die noch immer etwas blass aussah. „Tut mir leid“, brummte er schließlich reuevoll. „S ist nur plötzlich über mich gekommen- siehst ja selbst, was hier gerade vor sich geht.“ Und mit diesen Worten hob der Bär von einem Mann das tote Einhorn in seinen Armen noch etwas höher. „Warum ist das Tier gestorben, Professor?“, wollte Ilona daraufhin leise wissen. Zu ihrer Verwunderung zuckte der Riese jedoch nur missmutig mit den Achseln. „Hab keine Ahnung“, brummelte er undeutlich in seinen Bart hinein. „Seit Schulanfang find ich jeden Morgen ein erdrosseltes Einhorn vor meiner Haustür liegen. Schön langsam echt bedrohlich, das.“ Besorgt runzelte der Professor für Pflege magischer Geschöpfe die Stirn. „Aber heute gehe ich der Sache auf den Grund“, knurrte der bärbeißige Mann plötzlich wild entschlossen. „Heute geh ich in den Verbotenen Wald und kehr erst um, wenn ich den Meuchelmörder gefangen und zur Strecke gebracht hab.“ Seine Worte verhallten finster im strahlenden Sonnenschein. Ilona atmete einmal tief durch. Dann bat sie: „Ich würde auch gerne mitkommen.“ „Denk nicht mal dran!“, polterte Hagrid sofort los. „S ist viel zu gefährlich da drinnen, gerade jetzt, wo Dementoren und so n Zeugs hier herum kriechen!“ „Genau deshalb will ich ja mit!“ Entschlossen blickte das Mädchen zu dem Riesen auf. „Ich könnte Ihnen im Kampf behilflich sein. Unterschätzen Sie mich nicht!“ Der Wildhüter blickte verwundert zu ihr herab. Die Kleine funkelte ihn mit großen Augen bittend an. Sie meinte es anscheinend ernst. Aber trotzdem. Hagrid schüttelte wild den Kopf. „Du bleibst hier und passt auf Fang auf“, knurrte er. „Und wehe, du versuchst mir zu folgen, kleine Lady! Dann mach dich auf etwas gefasst!“ Ohne weiter abzuwarten trottete der Riese an der jungen Frau vorbei und beschritt leise schimpfend den Pfad, der von seinem Haus aus direkt in den Verbotenen Wald führte. Dabei hielt er nur einmal kurz inne, um mit betrübter Miene den Leichnam des Einhorns gleich neben seinem Gartenzaun abzulegen. Erst jetzt bemerkte Ilona die schwere Bewaffnung, die der Wildhüter sich um den Rücken geschnallt hatte. Neben seiner altgedienten Armbrust hatte der Halbriese auch zahlreiche Speere an seiner Seite hängen. Aber wenn ein Dementor auftauchte, würde ihm das trotzdem nichts nützen. Nachdenklich streichelte das Mädchen den sofort hinter Hagrid hervor geschossenen, glücklich hechelnden Fang. Und plötzlich kam der Hufflepuff eine Idee. Freudig blickte sie auf das sabbernde Hundegesicht herab. Fang musterte sie fragend. „Darling“, flüsterte Ilona verschwörerisch. „Du wirst mir heute gute Dienste leisten.“ Rose war gerade auf dem Weg durch die Eingangshalle, als sie mitten im Raum plötzlich ein abfälliges Schnauben innehalten ließ. Das Mädchen schloss kurz die Augen und zählte langsam bis drei. Dann öffnete sie sie wieder und drehte sich mit einem falschen Lächeln um. „Scorpius. Und ich dachte, es könnte nicht schlimmer kommen“, rief die Gryffindor gespielt resigniert dem plötzlich aus einem Wandvorhang hervorgetretenen Slytherin zu. „Die Freude ist ganz meinerseits, Weasley“, entgegnete der junge Mann nicht minder bissig. „Was tust du eigentlich hier drinnen? Suchst dir wohl ein neues Opfer, dass du ungestraft verprügeln kannst?“ Rose entgegnete nichts. Die Schülerin hob nur geziert eine Augenbraue und wandte sich wieder dem Schlosstor zu. Sie wollte sich heute einfach nicht die Stimmung von dem stinkenden Schleimbeutel verderben lassen. Dazu war sie gerade einfach zu gut gelaunt. Die Gryffindor lächelte in sich hinein. Sie war nun doch Quidditch- Kapitän ihrer Hausmannschaft geblieben! Konnte es überhaupt etwas Schöneres geben? „Hey, warte mal!“ Scorpius holte die glückliche junge Frau schnell ein. Mit verschränkten Armen baute der Schüler sich vor dem Mädchen auf. „Warum so friedlich, Weasley?“, wollte er mit misstrauischer Stimme wissen. „Wenn du es so unbedingt wissen willst“, entgegnete Rose gleichgültig. Sie hatte, da die Schleimschnecke ihr den Weg versperrte, stehen bleiben müssen und verschränkte nun ebenfalls die Arme. Triumphierend erhob sie nach kurzer, spannungsgeladener Stille die Stimme. „Ich bleibe Quidditch Kapitän!“ Daraufhin runzelte Scorpius die Stirn. „Aber mein Dad…“, begann er mit seltsam tonloser Stimme. Doch die Gryffindor unterbrach ihn mit einer schnippischen Handbewegung. „Dein Dad“, äffte sie ihn mit gekünstelt hoher Stimme nach. „Dein Dad hat gegen meine Mum keine Chance, du Armleuchter!“ Scorpius starrte sie an. Scheinbar wusste der junge Mann nichts mehr zu sagen. Also gönnte sich Rose nur mehr ein großes, selbstzufriedenes Lächeln und wollte sich gerade brutal ihren Weg frei räumen, als… „Deine Augen sind grau.“ „Was?“ Verwirrt hielt das Mädchen inne. Der Slytherin vor ihr war auf einmal verdächtig grün im Gesicht und schien plötzlich mit großer Übelkeit kämpfen zu müssen, als er nun fassungslos wiederholte: „Ich dachte immer, sie seien blau. Dabei…“ „Und? Stört es dich etwa?“ Rose verdrehte die Augen. „Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich muss…“ Doch Scorpius hatte sie bereits bei beiden Händen gepackt und zerrte sie brutal die Treppe in den ersten Stock hoch. „SCORPIUS HYPERION MALFOY! WAS ZUM TEUFEL SOLL DAS?“, brüllte die Weasley wütend und versuchte wild um sich schlagend, den Griff des Jungen wieder abzuschütteln. Doch es nützte nichts: Der Slytherin war körperlich viel stärker als sie. Und mit einem Mal machte der Schüler überraschend Halt. Bevor Rose jedoch schwer atmend einen weiteren Schreiorkan entfesseln konnte, hatte ihr Scorpius bereit eine Hand auf den Mund gepresst und in die nächstbeste schummrige Ecke gleich neben dem Treppengeländer gedrängt. Vor Zorn beinahe berstend blickte die junge Frau ihn funkelnd an. Malfoy junior zischte jedoch nur zur Entschuldigung: „Ich glaube, ich habe sie gehört.“ Doch wen genau er da vernommen hatte, blieb vorerst ein Geheimnis. Bevor die Gryffindor sich versah, hatte sie Scorpius weiter in die Schatten einer großen Rüstung in der nächsten düsteren Ecke gescheucht, ohne die Hand auch nur eine Sekunde lang von Roses Mund zu nehmen. Das war wohl aber auch besser so: Ansonsten hätte Hogwarts ein Brüllkonzert erlebt, dass vermutlich nicht nur die Wände hätte wackeln lassen. Und gerade, als die Weasley dem Malfoy kurzerhand den kleinen Finger abbeißen wollte, sahen sie die beiden. Ihre Eltern spazierten seltsam einträchtig nebeneinander her den Korridor entlang. Draco hatte dabei lässig EINEN ARM UM HERMINES SCHULTERN GELEGT. Wenigstens sah die Professorin für Verwandlung nicht so aus, als würde sie diese Berührung genießen. Aber trotzdem. Diese eigentlich unmöglich erscheinende Szene war zu viel, selbst für das tapfere Herz eines Gryffindors. Rose wurde schwarz vor Augen. Mit einem Mal sank der Körper der jungen Frau widerstandslos gegen den vor Schreck erstarrten Scorpius. Geistesgegenwärtig fing der Slytherin die Schülerin auf und barg sie verdutzt in seinen Armen. Rose hatte die Augen offen und starrte ihn an. Die beiden Jugendlichen sagten eine ganze Weile lang kein Wort. Erst, als die Schritte ihrer Eltern längst verklungen waren, wagte Malfoy junior wieder, den Mund aufzumachen. „Das war wirklich das Schlimmste, was ich je in meinem Leben sehen musste“, presste der junge Mann zwischen seinen Zähnen hervor. Und zum ersten Mal in seinem Leben stimmte ihm Rose Weasley stumm nickend zu. Kapitel 5: Unliebsamer Verbotener Wald -------------------------------------- Vorsichtig sah Hagrid sich um. Im Laufe der vergangenen Stunde hatte der riesenhafte Wildhüter sich immer tiefer in den Verbotenen Wald gewagt. Um ihn herum war dabei Stück für Stück des freundlichen Spätsommerlichtes drückender Finsternis gewichen, bis er schließlich am helllichten Tag eine kleine Lampe hatte anzünden müssen, um überhaupt noch etwas erkennen zu können. Bis jetzt war der Hüne stur dem Pfad gefolgt und so relativ problemlos bis in das tiefste Herz der Bäume vorgedrungen. Doch nun endete der Weg und bisher keine Spur von dem Einhorn Meuchelmörder. Was sollte er jetzt tun? Nachdenklich drehte sich der Halbriese einmal um sich selbst. Hier herrschte tiefste Finsternis, die von dem Öllicht in seinen Händen nur um einige Zentimeter zurückgetrieben worden war. Unwillkürlich schauderte Hagrid. Der Wildhüter war im Allgemeinen nicht ängstlich. Er sah auch keine Geister, wo es sie nicht gab. Aber dem Professor kam es jetzt bereits seit geraumer Zeit so vor, als ob ein unnennbares Etwas in der Dunkelheit nur gierig darauf zu warten schien, dass das unwillkommene Licht endlich ausging und es sich auf den riesigen Hünen stürzen konnte… Plötzlich krachte es hinter ihm. Mit einem wütenden Schrei, der die auf kriechende Angst in ihm übertönen sollte, fuhr Hagrid herum. Seine linke Hand krallte sich fest um die geladene Armbrust, die zwischen seinen wurstdicken Fingern erbärmlich klein wirkte. Der Halbriese verengte die Augen zu Schlitzen und versuchte, die Dunkelheit in der Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, mit hocherhobener Laterne auszuleuchten. Aber es schien unmöglich, auch nur einen Fingerbreit in das wildwachsende, dunkle Gebüsch um ihn herum eindringen zu können. Beunruhigt runzelte Hagrid die Stirn. Das schien ihm dann aber doch etwas ungewöhnlich. So zappenduster war es hier doch normalerweise gar nicht… Und plötzlich wurde es kalt. Eiskalt. Hagrid riss die Augen auf. Doch bevor er auch nur den kleinen Finger rühren konnte, hatte sich die Dunkelheit um ihn herum bereits blitzschnell zu formieren begonnen. Innerhalb weniger Sekunden war er eingekreist. Sie machten den Halbriesen starr vor Angst. Mit furchtsam aufgerissenen Augen sah sich der zitternde Hüne plötzlich sieben Dementoren gegenüber, die ihm alle zur Begrüßung ihr furchtbares, aufgerissenes Maul entgegenstreckten. Der Mann wollte schreien. Aber kein Ton kam mehr aus seiner ausgetrockneten Kehle. Die düstersten Erinnerungen seiner unglücklichen Kindheit wurden plötzlich wieder aus den Tiefen seines Unterbewusstseins hervor geschwemmt und alles Glück schien mit einem Mal aus Hagrid verschwunden zu sein. Der Halbriese sank bebend auf die Knie. Die Seelensauger kamen ihm sofort begierig näher. Der tödliche Kreis um den Halbriesen war bereits bedrohlich eng geworden. Die Armbrust zitterte schlaff und nutzlos in seinen Händen. Er hoffte nur, dass es nun wohl schnell vorbei sein und er ohnmächtig wurde, bevor die Dementoren ihn küssten… Und mit einem Mal drang donnerndes Bellen in sein vor Kälte beinah taub gewordenes Ohr. Fang! Der Rüde kläffte so laut es ging aus der Dunkelheit heraus. Die Dementoren hielten einen kurzen Moment inne. Und genau das war ihr einziger, alles entscheidender Fehler. Plötzlich fiel ein senfgelber Piepmatz vom Himmel. Besser gesagt, er flog. Oder versuchte es zumindest. Das kleine Ding legte eine ziemliche Bruchlandung auf Hagrids zusammengesunkener Schulter hin und piepste bedrohlich. Der Vogel plusterte sich dabei auf und wurde größer. Und größer. Und mit einem Mal hockte Ilona mit gezücktem Zauberstab auf eben jenem Platz, den eben noch der Piepmatz eingenommen hatte. Einer der Dementoren stieß ein schrilles, hasserfülltes Kreischen aus. Er kannte die Aura des Mädchens bereits. Und brannte darauf, sich für die Blamage im Zug zu rächen. Selbst für einen Seelensauger überraschend schnell glitt er auf den noch immer wie verrückt zitternden Hagrid und seine Schülerin zu. Scheinbar hatte der Dementor seine Lektion noch nicht gelernt. Ilona führte mit leichter Hand den Patronuszauber durch, bevor die Krallen des Dämons auch nur in ihre Nähe kommen konnten. Ihr Schutzgeist erschien mit einem donnernden Krachen und rammte den nahen Seelensauger. Ein Lichtblitz zuckte auf und der Dämon wurde heftig zurückgeschleudert. Auch die anderen ehemaligen Wächter Askabans zischten auf Grund des plötzlich aufgetretenen, starken Lichts laut auf und wichen einige Meter zurück. Ilonas Patronus zog immer weiterer Kreise um seine Erschafferin und dessen Begleiter, und zwang die Dementoren damit, schlussendlich wieder vollends in die sie umgebende Schwärze einzutauchen. Nachdem seine Arbeit erledigt schien, kehrte der Schutzgeist schlängelnd zu seiner Herrin zurück. Die Hufflepuff schenkte dem Lichtwesen ein aufrichtiges Lächeln. Das Mädchen öffnete dabei die vor Kälte blauen Lippen und lobte leise: „Was täte ich nur ohne dich?“ Der Patronus zischelte erfreut und Ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönte. Der Schutzgeist wand sich plötzlich unter Höllenqualen. Bevor Ilona entsetzt reagieren konnte, war ihr treuer Gefährte von einer schwarzen Schlange umschlungen worden. Das bösartige Vieh senkte seine Giftzähne blitzschnell in den Hals des wehrlosen Patronus und Ilona musste hilflos zusehen, wie ihr Schutzgeist binnen Sekundenschnelle zu weißem Staub zerfiel. Die schwarze Schlange räkelte sich darin allein und zufrieden. Die Hufflepuff war vor Schreck wie erstarrt. Sie brauchte einige Momente, bis sie die leise Stimme an ihrem Ohr schlussendlich als die ihres Professors für Pflege magischer Geschöpfe identifizierte. „Werde uns jetzt ganz sachte aus der Gefahrenzone befördern“, flüsterte Hagrid so leise wie möglich. Gleichzeitig trat er ein, zwei Schritte von dem Schlangentier am Boden zurück. Das Vieh zischelte ruhig am Boden und schien sie überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Der Wildhüter ließ einen verhaltenen, hoffnungsvollen Schnalzer ertönen. Und trat noch einen Schritt zurück. Und noch einen. „Mach ja keinen Mucks verstanden? Vielleicht schaffen wirs hier weg, bevor…“ Schwerer, rasselnder Atem ertönte direkt hinter Ilona. Langsam drehte sie sich um. Das Mädchen blickte direkt in das aufgerissene Maul eines Dementors. Die Hufflepuff schrie. „LAUF!“, brüllte Hagrid plötzlich und schleuderte das Mädchen mit beiden Händen von seiner Schulter in das umliegende Dickicht hinein. Die junge Frau hatte bei diesem überraschenden Flug Glück im Unglück: Sie landete in großer Entfernung verhältnismäßig weich auf einem dicht beblätterten Busch. Doch für großartige Dankgebete hatte das Mädchen nun keine Zeit. Sie musste unbedingt wieder zurück zu Hagrid! Sonst würde er sterben! Aber zuerst musste sie ihren Zauberstab wiederfinden. Bei dem Fall war er ihr aus der Hand gerutscht. Wie sollte sie sich selbst und ihren Professor bloß ohne dieses nützliche Werkzeug gegen die Seelensauger verteidigen? Eins war klar: Wenn die Hufflepuff jetzt überleben wollte, musste sie nun so schnell es ging ihren Stab wiederfinden! Fieberhaft sank Ilona auf die Knie herab und durchsuchte das modrige Laub um sie herum mit zitternden Fingern. Dabei murmelte sie verzweifelt „Lumos! Lumos!“ vor sich hin. Nämlich nichts sehnlicher als Licht hätte die junge Frau sich in diesem Moment in der sie komplett umgebenden Finsternis gewünscht… Und plötzlich leuchtete tatsächlich ein kleines Licht auf. Direkt vor ihr, nur fünf, sechs Meter entfernt. Erleichterte rappelte Ilona sich auf. Egal was oder wer es war. Es spendete volltuende Helligkeit. Hastig begann das Mädchen auf das Leuchten zuzulaufen. Aber es schien sich immer weiter von ihr zu entfernen, statt endlich nahe zu kommen. Ilona stolperte immer schneller werdend dem hin und her hüpfenden Licht nach und bemerkte die Stille, die schließlich um sie herrschte, erst zu spät. Schließlich hielt die junge Frau inne. Der Lichtfunken tat es ihr gleich. Wie lange war sie schon gelaufen? Ilona wusste es nicht mehr. Das Licht flackerte ein letztes Mal und erlosch. Das Mädchen stand mit einem Mal in tiefster Finsternis da. Aber nur einen Moment lang. Dann schien plötzlich die Sonne aufzugehen. Jedoch nicht der wunderschöne, rot- golden strahlende Himmelskörper, den Ilona bisher immer zu kennen geglaubt hatte. Nein. Schmutzig grünes Licht herrschte plötzlich um sie herum und tauchte alles in einen geisterhaften Schimmer. Fragend hob das Mädchen den Kopf hoch. In großer Entfernung baumelte über ihr eine grünlich leuchtende Wolke. Eine bekannte Wolke. Der Totenschädel starrte sie grinsend an. Aus seinem Mund quoll gemächlich eine dicke, schwarze Schlange. „Schön, dich kennen zu lernen.“ Langsam wandte Ilona ihren Blick ab von dem Dunklen Mal und senkte ihre geweiteten Augen wieder zur Erde herab. Ihr gegenüber lehnte eine großgewachsene, verhüllte Gestalt elegant an einem riesigen Baumstamm. Sie wirbelte lässig einen Zauberstab zwischen ihren langfingrigen, weißen Händen. Ilona verengte ihre Augen zu Schlitzen. Das war ihr Stab. Ganz deutlich konnte das Mädchen die große Delle erkennen, die am oberen Ende des Werkzeugs die Spitze etwas schief erschienen ließ. Das war kurz nach ihren ersten Kampf gegen einen Dementoren passiert. Wie lange das bloß schon her war… „Es tut mir leid, dass ich dich hierher lotsen musste. Aber ohne dich dürften die Dementoren kein Problem mehr mit diesem Hornochsen Hagrid haben.“ Der Vermummte zuckte gleichgültig mit den Schultern und fuhr fort, mit dem Zauberstab in seinen Händen herumzuspielen. Plötzlich packte Ilona unbändige Wut. „Professor Hagrid ist kein Hornochse“, zischte die junge Frau (für ihre Verhältnisse) äußerst grimmig. „Professor?“ Das Mädchen konnte direkt sehen, wie es den Fremden vor unterdrücktem Lachen schüttelte. „Hogwarts Niveau scheint ja kräftig gesunken zu sein“, kicherte der Unbekannte hochmütig. Ilona ballte die Hände zu Fäusten. Sie hätte die undeutlich erkennbare Gestalt am liebsten mit einem gewaltigen Stupor Fluch belegt, aber er hatte ihren Zauberstab. Und damit war sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. „Nun gut.“ Der Fremde schien mit einem Mal wieder ernst geworden zu sein. „Selten habe ich so gut gelacht. Aber nun zu wichtigeren Dingen.“ Nachlässig hob der Unbekannte Ilonas Zauberstab. „Opfer müssen eben gebracht werden“, hauchte er. Der Stab war mit einem Mal direkt auf die Hufflepuff gerichtet. „Avada Kedavra!“ Ein leuchtend grüner Blitz fasste mit einem Mal Ilonas gesamtes Blickfeld ein. Das Mädchen schloss die Augen und sprang. Noch im freien Fall verwandelte sich die Schülerin in den kleinen, senffarbenen Vogel. Mit gewaltiger Anstrengung schlug die Hufflepuff mit ihren Flügeln und erreichte somit den nächsten, hohen Ast einer Eiche. Darauf ließ Ilona sich nieder. Direkt unter ihr lachte der Unbekannte amüsiert auf. Es war ein hohes, kaltes Lachen, das dem Piepmatz die Flügel zu Berge stehen ließ. „Ein Animagus! Bemerkenswert!“, rief der Fremde belustigt. In dem schimmernden Licht des Totenschädels über ihm hatte er den zitternden Vogel schnell ausgemacht und fixierte das kleine Tier nun unerbittlich. „Aber andererseits: So bemerkenswert auch wieder nicht!“, höhnte der junge Mann. Und vor den entsetzt aufgerissenen Augen des Federviehs verwandelte er sich in eine glänzend schwarze, zischelnde Schlange. Das Tier kam fauchend am Boden auf. Doch dort blieb es nicht lange. Mit erschreckender Behändigkeit schlängelte sich das beängstigende Wesen die alte Rinde des Baumes herauf. Bald würde es Ilona erreicht haben. Der Piepmatz bebte vor Angst. Was sollte er nur tun? Was sollte er nur…? Doch gerade als das Mädchen aufgeben und sich kampflos den allzu nahen Fangzähnen überlassen wollte, erspähte Ilona plötzlich mit ihren scharfen Vogelaugen die Rettung. Unten, gleich neben dem Stamm der riesigen Eiche, auf der sie angsterfüllt hockte, lag, kleine Funken versprühend, der Zauberstab der Hufflepuff. Der Fremde musste das mächtige Instrument achtlos zurückgelassen haben, als er sich in sein Tier verwandelt hatte. Ohne weiter nachzudenken breitete Ilona die Flügel aus und ließ sich fallen. Direkt der überrascht innehaltender Schlange entgegen. Das giftige Ungeheuer hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle und sperrte wartend sein überdimensional großes Maul auf. Der kleine Vogel würde direkt hineinfliegen. Wenn er sich nicht Zentimeter zuvor mit seinen Krallen in den Baumstamm gekrallt hätte. Dem Himmel sei Dank war die Rinde der Eiche fest und gab sofort Halt. Einen Moment lang starrten Schlange und Piepmatz sich in die Augen. Dann federte Ilona mit all ihrer verbliebenen Kraft von dem Baum ab. Beinahe gleichzeitig schnellte der Unbekannte vor. Seine Fangzähne verursachten einen kleinen Kratzer an der Wade der zurückverwandelten Schülerin. Doch das Mädchen achtete in diesem Moment nicht auf solche scheinbar nebensächlichen Kinkerlitzchen. Ilona fiel beinahe drei Meter von der Eiche hinab. Das Mädchen schaffte es aber noch irgendwie, sich zu einer Kugel zusammenzurollen und den markerschütternden Aufprall somit wenigstens etwas abprallen zu lassen. Aber trotzdem schienen ihre Gelenke allesamt laut aufzukreischen, als sie den Erdboden mit einem unheilverkündenden Knacken erreichte. Ihr rechte Handgelenk hatte dieses schreckliche Geräusch verursacht: Instinktiv hatte sich die junge Frau noch im Flug damit aufstützen wollen. Nun war es gebrochen. Halb blind vor Schmerzen griff Ilona nach ihrem Zauberstab. Sekundenlang spürte sie das glatte Holz beruhigend zwischen ihren Fingern pulsieren. Doch plötzlich wurde es ihr wieder aus der Hand gerissen. Ilona schrie auf. Mit einem Mal sah das Mädchen sich gegen den sich hinter ihr befindenden Baumstamm gepresst. Ihr eigener Zauberstab wurde ihr grob gegen die Kehle gedrückt. Der Fremde hatte bei dem wilden Kampf seine Kopfbedeckung verloren. Ilona starrte in ein makelloses, weißes Gesicht, das jedoch gerade zu einer hasserfüllten Grimasse verzerrt war. Dunkle Augen, schwarz wie die Nacht, funkelten das Mädchen wutentbrannt an. „Du hast verloren, Hexe“, zischten volle Lippen unheilverkündend. Ilona schloss die Augen. Und machte sie blitzschnell wieder auf. Sie versetzte dem vor ihr Knienden einen kräftigen Fußtritt. Der junge Mann fiel überrascht rückwärts. Sein tödlicher Fluch schlug eine Handbreit neben Unas linker Wange ein. Ohne zu zögern warf das Mädchen sich vorwärts und landete zielgenau auf ihrem Gegner. Die junge Frau versuchte, sich allein auf die rechte Hand ihres Widersachers zu konzentrieren. Mit aller Macht drückte sie dem Überraschten den Unterarm gegen die Kehle (obwohl ihr rechtes Handgelenk bei dieser Tätigkeit vor Schmerz zu bersten schien) und langte gleichzeitig mit der linken Hand nach ihrem Zauberstab. Ein wilder Kampf um das magische Holz entbrannte. Der junge Mann, der von direkt physischen Auseinandersetzungen eindeutig weniger Ahnung hatte als Ilona, glich diese Unkenntnis jedoch mit seiner körperlichen Überlegenheit wieder aus. Seine Arme waren viel länger als Ilonas, und so konnte er den Zauberstab viel höher strecken, als die Hufflepuff ihn hätte erreichen können. Schließlich schien der fremde Zauberer sogar wieder die Oberhand zu gewinnen. Er schaffte es, Ilonas Ellbogen von seinem Hals wegzudrücken und seine linke Hand dabei unbarmherzig um das gebrochene Handgelenk zu schlingen. Dem Mädchen traten die Tränen in die Augen. Doch es kämpfte verbissen weiter. Plötzlich schoss ihre linke Hand herab und versetzte dem Jungen zwei schallende Ohrfeigen. Bevor der Unbekannte überhaupt wusste, wie ihm geschah, hatte ihm die junge Frau schon ihre verletzte Hand entrissen und war über ihn hinweg gerobbt. Sie warf ihr ganzes Gewicht nun auf seinen weggestreckten, rechten Arm. Der Junge biss vor Schmerz die Zähne zusammen. Seine Hand ließ jedoch nicht von dem unrechtmäßig erlangten Zauberstab. Ilona sah sich deshalb zum Äußersten gezwungen. Sie senkte flink den Kopf und verbiss sich in der rechten Hand ihres Gegners. Der Fremde heulte wütend auf. Für einen kurzen Moment lockerte sich sein eiserner Griff. Die Hufflepuff nahm all ihre verbliebenen Kräfte zusammen und entriss dem Zauberer den Zauberstab. Hastig sprang das Mädchen auf. Reaktionsschnell wie ihr Gegner jedoch war, packte er sie an den Knöcheln und ließ sie wiederum zu Boden stürzen. Doch mit einer letzten, schnellen Umdrehung wirbelte die junge Frau auf dem Boden herum und zielte mit ihrem Zauberstab genau zwischen die Augen ihres Widersachers. Stille lenkte sich über den Kampfschauplatz. Für einen Augenblick zögerte Ilona. Der junge Mann lächelte. „Schwächling“, flüsterte er. In diesem Moment wurde die Hufflepuff von hinten gepackt und von dem Unbekannten grob weggezogen. Tote Hände hatten sich um ihre Hüfte gelegt. Eisige Kälte umspülte das Mädchen. Der Adrenalin stoß verging und mit einem Mal konnte Ilona nicht mehr. Ihre Augenlider wurden schwer. Schwer zu sagen, was sie in diesem Moment mehr schmerzte. Ihr tosendes Handgelenk, ihr dröhnender Kopf oder ihr linkes Bein, das unheilverkündend pochte… Beinahe liebevoll beugte sich der Dementor über die bewusstlos gewordene Schülerin. Sein Maul klappte mit einem widerlichen Geräusch auf. Dem Mädchen wurden gemächlich und ohne Eile alle Lebenskräfte entzogen. Es machte sowieso nicht einmal mehr einen einzigen Mucks. Der Seelensauger schien gewonnen zu haben. Doch gerade, als der letzte, der entscheidende Tropfen aus der jungen Frau herausgepresst werden sollte, hielt er inne. Mit einem schrecklich sägenden Geräusch warf der Dementor den beinahe leblosen Körper plötzlich von sich. Dabei gab das Monster würgende Laute von sich. Beinahe schien es, als müsste es sich jeden Augenblick übergeben. Ilona landete direkt vor den Füßen des inzwischen wieder aufgestandenen Fremden. Dieser warf zuerst seinem in wilden Krämpfen zuckenden Diener und dann dem Mädchen einen wütenden Blick zu. „Was soll das?“, zischte er den Untergebenen an. Der Dementor gab jedoch keine Antwort. Der junge Mann schoss zornig einen leuchtend roten Fluch auf den Seelensauger ab. Dieser zuckte jedoch nur leicht zusammen. Er weigerte sich weiterhin, das menschliche, unverdauliche Ding noch einmal anzufassen. Mit einem Mal schien der Fremde nachdenklich. In tiefer Konzentration versunken schloss er die Augen. Schließlich ließ der Unbekannte halblaut vernehmen: „Wir nehmen sie mit.“ Dabei warf er der unter ihm Liegenden noch einen prüfenden Blick zu. Wenn das Schlangengift sie noch nicht getötet hatte, und selbst ein Dementor sie nicht vollends hatte aussaugen können, dann… Der junge Mann lächelte kalt. Vielleicht würde die Kleine ihm dann noch von Nutzen sein. Kapitel 6: Unliebsames letztes Mal ---------------------------------- Als das Dunkle Mal zum zweiten Mal in Hogwarts gesichtet wurde, brach eine Massenpanik aus. Jeder Schlossbewohner, ob nun Schüler oder Lehrer, der sich gerade noch ungezwungen die Sonne auf die Nase hatte scheinen lassen, sah sich nun gezwungen, sofort wieder die schützenden Mauern Hogwarts aufzusuchen, wenn er nicht ausgesperrt werden wollte. Denn der Direktor befahl, sobald man ihm von dem Todeszeichen berichtet hatte, sofort und ohne zu zögern, nachdem der letzte Nachzügler in der Eingangshalle eingetroffen war, alle Ein und Ausgänge des Schlosses zu verschließen. Die vier Hauslehrer Granger, Malfoy, Sprout und Tiffany waren inzwischen angehalten worden, alle ihre Schüler in der Großen Halle um sich zu sammeln und danach geschlossen in die Gemeinschaftsräume zu schicken. Dabei konnten die ratlosen und verängstigten Professoren nicht umhin zu bemerken, dass einige Schüler fehlten. Und plötzlich war es wieder wie vor 15 Jahren. Damals, als Lord Voldemort am Höhepunkt seiner Macht stand. Die Angst regierte mit einem Mal wieder in Hogwarts. Nur wegen einem Zeichen, das zum zweiten Mal den Himmel mit grünlichem Schimmer verschandelte. Nur wegen einem Totenkopf, aus dessen Rachen eine behäbige, schwarze Schlange kroch. Aber die Furcht vor Du weißt schon wem war noch immer da. Sie war selbst den jüngeren Generationen eingeimpft worden. Schlimmer noch. Denn jetzt, wo Dumbledore nicht mehr da war… Gab es da noch Hoffnung? Draußen schien weiterhin ungetrübt die Sonne. Drinnen herrschte das Chaos. „Professor Rothweil!“ Verwirrt sah der Angesprochene auf. „Was kann ich für euch tun, Hermine? Draco?“, wollte der alte Mann nach einem perplexen Augenblick schließlich beunruhigt wissen. Die beiden Hauslehrer von Gryffindor und Slytherin, die sich üblicherweise so gut es ging aus dem Weg gingen, waren einmütig in sein Büro gestürzt. Die Professorin keuchte leicht, so als wäre sie den ganzen Weg hierher gerannt, während der mit verschränkten Armen dastehende Lehrer keine sichtbaren Anzeichen von Ermüdung zeigte. Nichtsdestotrotz begann Hermine ihre Nachricht, mit einem luftholbedingtes Stocken dazwischen, noch vor ihrem Kollegen mühsam hervor zu pressen. „Meine Tochter ist nicht da!“ „Mein Sohn fehlt ebenfalls“, ließ der neben ihr stehende Zaubertrankmeister knapp verlauten. „Das ist schlimm.“ Der Direktor hatte die Schreibfeder nieder gelegt und musterte die beiden Lehrer nun besorgt. „Harry hat mir soeben berichtet, dass auch in Hufflepuff eine Schülerin abgängig ist: Ilona Una war, glaube ich, ihr Name“, setzte Erasmus Rothweil mit bekümmerter Miene fort. Professorin Granger stieß ein Zischen aus. „Das ist Roses beste Freundin!“, rief die Frau aufgeregt aus. „Bestimmt streunen sie wieder irgendwo herum und haben das Mal noch gar nicht bemerkt…“ Sie verstummte. Draco warf ihr einen gehässigen Blick zu. „Im Gegensatz zu deiner Tochter hat Una gesunden Menschenverstand“, tönte er spöttisch. „Die Kleine ist doch Jahrgangsbeste, oder? Da wird sie doch das Mal bemerken, wenn es groß und grün über ihrem Kopf schwebt.“ „Auch wenn sie ein Genie wäre, muss das nicht heißen, dass sie alle zwei Minuten den Himmel nach dem Zeichen Voldemorts absucht“, entgegnete Hermine zornentbrannt. Bei der Nennung des Namen des dunklen Lords zuckte der ehemalige Slytherin leicht zusammen. Er erholte sich jedoch allzu bald wieder und höhnte: „Im Gegensatz zu Weasley passt sie wenigstens im Unterricht auf- ich denke, das setzt doch etwas geistige Kompetenz und auch die artgerechte Nutzung ihres Augenlichtes voraus.“ „Du…“ „Genug.“ Bevor der Streit der beiden Professoren eskalieren konnte, war Erasmus Rothweil mit erhobenen Händen dazwischen gegangen. „Ich denke, dass es keinem eurer Kinder nützt, wenn ihr euch gegenseitig an die Gurgel geht“, urteilte der alte Mann scharf. „Arbeitet lieber zusammen und sorgt so dafür, dass Rose Weasley, Scorpius Malfoy und Ilona Una bald gefunden werden. Lebendig, wenn möglich.“ Zornig hatte sich der Greis bei diesen Worten vor den beiden Streithähnen aufgebaut. Hermine und Draco senkten gleichzeitig den Blick. Der normalerweise so lächerlich wirkende Rothweil konnte plötzlich ganz schön einschüchternd wirken, wenn ihn etwas ärgerte. „Harry ist schon auf dem Weg zu Hagrid, der sich übrigens auch noch nicht gerührt hat. Vielleicht schmeißen die da unten auch nur einfach eine Teeparty und haben noch nicht bemerkt, was über ihren Köpfen passiert.“ Malfoy senior schnaubte. „Ich bezweifle, dass mein Sohn freiwillig in diese Bruchbude…“ „Du solltest es hoffen“, schnauzte ihn sofort Miss Granger an. „Aber dir ist dein Sohn doch sowieso egal. Warum machst du dir überhaupt die Mühe?“ „Wenn er mir egal wäre, wäre ich jetzt nicht hier“, brüllte der Professor für Zaubertränke sie wütend an. „Und überhaupt: Reg DU dich ja nicht auf, Granger! Wessen Tochter weigert sich denn standhaft seit zwei Jahren, während der Sommerferien bei ihrer Mutter zu bleiben?“ „Ach, halt die Klappe, Malfoy!“, kreischte Hermine. Sie wandte sich zornentbrannt um und rauschte aus der Tür heraus. Noch im Hinausgehen begriffen, begannen stumme Tränen ihr Gesicht hinunterzurollen. Draco trat wutentbrannt gegen den nächstbesten, wehrlosen Stuhl. Dann folgte er der jungen Frau mit zorngerötetem Gesicht. Der Direktor blieb überrascht zurück. Auf seinem Schreibtisch flatterte seine älteste und weiseste Krähe aufgeregt mit beiden Flügeln. „Ich weiß, ich weiß“, murmelte der alte Mann gedankenverloren. „Wenigstens wissen wir jetzt von zwei Vermissten, warum sie verschwunden sind…“ „Warum noch mal müssen wir unbedingt zu der Hütte des Wildhüters hinunter? Obwohl das Dunkle Mal auf uns herab scheint, so ganz nebenbei?“, motzte Scorpius. Rose verdrehte die Augen und legte noch einen Zahn zu. „Ich zwinge dich zu nichts, Malfoy“, rief sie dabei wütend über ihre Schulter zurück. „Aber ich muss unbedingt nach Ilona sehen.“ „Wer?“ Spielend leicht war der Blonde wieder zu dem Mädchen aufgeschlossen und musterte sie nun mit verständnislosem Blick. Am liebsten wäre die Gryffindor stehen geblieben und hätte ihm eine geknallt. Aber dazu fehlte ihr nun die Zeit. Sie begnügte sich derweil einfach mit einer lauten Entgegnung: „Das Mädchen, das dir im Zug den Arsch gerettet hat, du vergessliches Sackgesicht!“ „Ah.“ Ungeachtet der Schimpfwörter, mit denen er eben bedacht worden war, runzelte der Slytherin die Stirn. „Die schüchterne Blonde, die immer an deinem Rockzipfel klebt?“, wollte er neugierig wissen. Rose verkniff sich jeden Kommentar und nickte nur. „Was sucht die denn bei Hagrid?“ Doch bevor die junge Frau eine Antwort geben konnte, tauchte auch schon die Hütte des Wildhüters vor den beiden auf. Ohne auf die Etikette zu achten, raste die Gryffindor zu der verschlossenen Tür. „Hagrid! Mach auf!“ rief sie und hämmerte mit beiden Händen gegen das Holz. Doch trotz des stürmischen Klopfens schien auch nach geraumer Zeit niemand öffnen zu wollen. Nicht einmal von Fang, der normalerweise jaulend gegen die Tür kratzte, wenn freundlicher Besuch zu erwarten war, war etwas zu hören. Eine ganz böse Ahnung kroch mit einem Mal in Rose auf. „Sie sind nicht da“, krächzte sie. „Wie jeder andere, normale und vernünftige Mensch werden sie schon längst im Schloss sein“, knurrte Scorpius und verschränkte die Arme. „Dieser Marathonlauf hat also rein gar nichts gebracht. Oh, ich vergaß!“ Gespielt überrascht hob der Slytherin beide Augenbrauen. „Wir befinden uns nun beide in Lebensgefahr. Das ist der Unterschied!“ Doch Rose hörte ihm gar nicht zu. Hastig drehte das Mädchen sich einmal um sich selbst, um nach Spuren ihrer Freunde Ausschau zu halten. Dabei fiel ihr Blick plötzlich auf eine glitzernde, undefinierbare Erhebung, die sich gar nicht so weit entfernt neben Hagrids Zaun aufhäufte. „Was ist das?“ Zitternd deutete sie mit ihrem rechten Zeigefinger darauf. Scorpius zuckte mit den Schultern. Vorsichtig bewegte sich der Junge nach einem tödlichen Blick seitens seiner Kollegin schließlich ein paar Schritte auf den kleinen Hügel zu, den Zauberstab dabei stets achtsam erhoben. Als der Schüler jedoch nah genug heran gekommen war, fiel seine Zauberstabhand mit einem Mal wie vom Blitz getroffen herunter. „Ich glaube, das ist ein Einhorn“, murmelte er fassungslos. „Ein totes Einhorn…“ Doch bevor Rose sich genug gefasst hatte, um ebenfalls näher zu treten, raschelte es plötzlich im unmittelbar nahen Gebüsch. Scorpius sprang sofort an die Seite der Gryffindor zurück. Gleichzeitig hoben beide ihre Zauberstäbe. Der Ausläufer des Verbotenen Waldes, der direkt an Hagrids Hütte grenzte, schien sich mit einem Mal bedrohlich zu verfinstern. „D-das Dunkle Mal scheint doch genau über dem Wald, oder?“ flüsterte der Slytherin Rose stotternd zu. Die Weasley nickte nur und hob ihren Zauberstab noch ein bisschen höher. Mit einem Mal brach vollkommen überraschend ein gewaltiger, fliegender Körper aus der Dunkelheit. Gleichzeitig begannen die zwei Schüler zu schreien. Bevor die beiden sich jedoch wieder gefasst hatten, rannte plötzlich noch ein zweiter, viel kleinerer Körper hinaus aus dem Wald. Direkt auf Rose und Scorpius zu. Gerade noch rechtzeitig erkannte die vor Angst zitternde Rothaarige das unheimliche Wesen als Fang, der sie nun glücklich bellend umrannte und das Mädchen erst einmal gründlich abschleckte. Der Slytherin erlaubte sich ein kurzes, gemeines Lächeln, als er die vertrackte Situation der Rothaarigen, von einem riesigen Rüden fast erdrückt zu werden, nun aus nächster Nähe miterleben durfte. Dann jedoch wandte er sich wieder dem ufoartigen Körper zu, der ebenfalls auf sie zu schwebte. Sein Lächeln gefror. Er erkannte das unförmige, riesige Ding in der Luft plötzlich als Professor Rubeus Hagrid. Er schien mit einem Wingardium Leviosa Zauber hoch gehalten zu werden. Scorpius musste schlucken. Der Körper des Riesen kam ihm seltsam starr und unbeweglich vor. Beinahe so als… Der Slytherin schüttelte den Kopf. Unsinn. Halbriesen waren praktisch unzerstörbar. Da war Sorge vollkommen unangebracht. Aber wer führte den Zauber überhaupt aus, der den Professor fliegen ließ? Die Antwort auf diese Frage wurde sofort gelüftet. Professor Potter trat plötzlich mit hocherhobenem Zauberstab aus dem Dickicht hervor. Sein ganzes Gesicht war rot verquollen. Einzelne, dicke Tränen rannen dem Mann, der überlebte, über die Wangen. Dem Slytherin wurde schlecht. Kapitel 7: Schatten ------------------- Es war, als stünde Ilonas Körper in lichterlohen Flammen. Dieser Schmerz! Nichts auf dieser Welt, mochte es auch noch so grausam und unmenschlich sein, schien in diesem schwärzesten Moment ihres Lebens auch nur annähernd damit vergleichbar. Das Mädchen wollte schreien. Doch kein Ton kam aus ihrer Kehle. Das Mädchen wollte weinen. Doch keine Tränen rannen ihre Wangen herab. Das Mädchen versuchte zu atmen. Aber kein Luftzug schien ihre Lungen noch anfüllen zu können. War das etwa der Tod? Beinahe wahnsinnig wurde Ilona bei dieser Frage. Wie konnten diese versengenden Torturen das Ende sein? Wo war das Licht? Wo die Erleichterung? Hier war alles nur schwarz. Hier war alles nur Schatten. Hier war alles nur Verzweiflung. Aber die Schülerin starb nicht. Vielmehr konnte sie behutsam, gemächlich, mit der Zeit nach und nach wieder atmen. Gierig saugte die junge Frau mit dem ersten Zug die trockene Luft ein und verschluckte sich prompt. Hustend schlug das Mädchen die Augen auf. Finsternis erwartete sie. Aber es war nicht jene schwarze Leere, die die Una bis vor einen Moment noch in ihren Fängen gefangen gehalten hatte. Diese Dunkelheit war lebendig. Ilona konnte den harten Boden wieder unter sich spüren. Die sich über ihr abzeichnenden Konturen in der Schwärze konnte sie wieder sehen. Den Geschmack von Blut auf ihrer Zunge konnte sie wieder schmecken. Das Mädchen konnte sogar sich selbst und das Holz um sich herum wieder riechen. Ilona war wieder wach. Und das Beste daran: Langsam verging das Feuer. Langsam verging der Schmerz. Bis schließlich nichts mehr davon übrig war. Ilona konnte ihr Glück kaum fassen. Aber Rühren konnte die junge Frau sich nicht. Sie schien wie festgeklebt an den kühlen, glatten Platten unter sich zu sein. Die Hufflepuff versuchte zuerst zaghaft, dann immer heftiger und mit größerer Kraftanstrengung, sich von dem Parkett zu lösen. Doch es ging nicht. Der Körper der Schülerin bewegte sich keinen Zentimeter. Verzweifelt biss sich das Mädchen auf die Unterlippe. Vielleicht ein Bannfluch?, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Dann hätte sie ein gewaltiges Problem. Denn ohne Zauberstab würde die Una sich dann nie befreien können… Und plötzlich hörte sie es. Ein leises, kaum wahrnehmbares Wehklagen traf mit einem Mal auf Ilonas Ohren. Das Mädchen erstarrte. Da ertönten die Klagelaute erneut, lauter und drängender diesmal. War das Mensch oder Tier, was hier so ergreifend litt? Die Hufflepuff konnte keinen Unterschied heraushören. Stumm bewegten sich ihre trockenen Lippen. Tiefes Mitleid rührte plötzlich ihr mühsam schlagendes Herz. Ihr Inneres presste sich schmerzhaft zusammen. Wenn sie doch nur helfen könnte… Egal, wer oder was hier vor Schmerzen heulte. Egal. Wenn sie nur… Und bevor Ilona sich versah, hatte sie ein beruhigendes Summen angestimmt. Diese einfache Weise, die plötzlich leise schwingend den ganzen Raum erfüllte, kannte das Mädchen bereits, so lange sie denken konnte. Mit einem Mal erfüllte die junge Frau wieder tiefe Ruhe und Gelassenheit. Sie hoffte, damit dem unbekannten Leidenden wenigstens etwas Beistand zu bieten. Wenigstens etwas… Das fremde Jammern stockte befremdet für einen Moment. Aber da war Ilona schon eingeschlafen. Einige Stunden unstetigen Ruhens später wachte das Mädchen schließlich keuchend auf. Es riss furchtsam die Augen auf, musste sie im nächsten Moment jedoch sogleich wieder schützend zusammenkneifen. Strahlendes Sonnenlicht flutete den fremden Boden, auf dem sie lag. Die Hufflepuff stieß instinktiv einen kläglichen Laut aus und versuchte, beide Hände zu heben, um ihr empfindlich gewordenes Augenlicht zu schützen. Doch ihre Finger bewegten sich nicht. Sie schienen noch immer an das Holz unter ihr gefesselt zu sein. Unwillkürlich stöhnte die Schülerin leise auf. Was für eine verfluchte Hexerei war hier am Werk, dass sie noch immer hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken dalag? Als Antwort auf diese eigentlich rhetorisch gestellte Frage ertönte plötzlich ein humorloses Zungenschnalzen. Sofort neugierig geworden, öffnete Ilona trotz des schmerzenden Sonnenlichts ihre Augen einen kleinen Spalt. Undeutlich konnte sie über sich plötzlich eine große, schwarz gewandete Gestalt thronen sehen. Sie stand mit verschränkten Händen an ihrem Kopfende und hielt den Blick gelassen auf die Hufflepuff gerichtet. Das Mädchen runzelte die Stirn. Gleichzeitig hob sie ihre Augenlider noch etwas höher, um den Fremden von ihrer ungünstigen Position aus wenigstens halbwegs zu Gesicht zu bekommen. …Oh. Bei dem sich nun langsam aufklärenden, bereits bekannten Anblick musste die Una heftig schlucken. Nahe ihrem Kopf erhob sich tatsächlich die Silhouette desjenigen Zauberers, der sie gestern? vor ein paar Stunden? vor ein paar Minuten? höchst effizient, mit Hilfe eines dienstbaren Dementors, kampfunfähig gemacht hatte. Er trug die Hogwartsuniform. Zumindest eine etwas veraltete Form davon. Das Abzeichen der Slytherins prangte stolz auf seinem schwarzen Umhang. Zusätzlich war die sich räkelnde, silberne Schlange aber auch noch mit einem großen, glänzenden S ausgestattet worden. S für Schulsprecher. Verblüfft hob die junge Frau beide Augenbrauen. Der diesjährige Schülervertreter kam doch aus Ravenclaw… Doch ihre Gedankengänge wurden abrupt von der kühlen Stimme des Unbekannten unterbrochen. „Wie ich sehe, bist du endlich aufgewacht“, stellte er konsterniert fest und verschränkte beide Arme. „Gut geschlafen?“ Ein bösartiges Glitzern funkelte bei diesen Worten in seinen dunklen Augen auf. Ilona entgegnete nichts. Sie fixierte nur interessiert die Pupillen ihres Gegners. In der Nacht hatte die Schülerin sie natürlich nicht richtig sehen können. Aber jetzt, hier im strahlenden Sonnenschein, konnte die junge Frau mit einem Mal kleine, grüne Punkte in der Iris des jungen Mannes ausmachen. Winzige, smaragdene Funken, die gerade in diesem Augenblick zu hüpfen schienen? Verwirrt schloss die Hufflepuff kurz die Augen und riss sie gleich danach wieder weit auf, obwohl die Sonne sie noch immer stark blendete. Es war tatsächlich keine Fata Morgana: Einzelne, wenige Farbspritzer in der ansonsten tiefschwarzen Regenbogenhaut ihres Kontrahenten führten einen kreiselnden Tanz um die starr auf sie gerichtete Pupille auf… „Wie ich sehe, hast du bei unserem Kampf wohl deine Zunge verschluckt“, murmelte der Fremde herausfordernd. Ilona zuckte jedoch nur gleichmütig mit den Schultern (sofern das eben möglich war, wenn man sich praktisch in einem ganzkörpergelähmten Zustand befand) und vertiefte sich weiterhin fasziniert in den Anblick der hüpfenden, grünen Punkte. Von so einer schlichten Aufstachlung ließ sich eine geduldige Hufflepuff doch nicht aus der Ruhe bringen… Der Unbekannte stieß einen undefinierbaren Laut aus und beugte sich blitzschnell herab. Nun befand er sich plötzlich nur mehr gut zwanzig Zentimeter von dem mäßig interessierten Gesicht der Blonden entfernt. Herablassend musterte der junge Mann sie. „Ich bin Tom Riddle“, stellte er sich schließlich mit emotionsloser Stimme vor. „Und wer bist du, kleines Fräulein?“ Dabei zog der Fremde wie zufällig einen Zauberstab aus seiner linken Hosentasche und ließ ihn in seiner rechten Hand betont lässig herumwirbeln. Wie hypnotisiert folgte die Hufflepuff den schwungvollen Kreisbewegungen des magischen Werkzeugs. Das war IHR Stab. Das erkannte sie sofort. Zum ersten Mal erhob das Mädchen die Stimme. „Ein Dieb sind Sie also auch noch, Mr. Riddle?“, wollte sie tonlos wissen. Das kleinste und falscheste Lächeln, das Ilona je gesehen hatte, breitete sich daraufhin auf den vollen Lippen des jungen Manns aus. „Tom, bitte“, bot er der liegenden, jungen Frau unter ihm höflich an. Die Una entgegnete nichts, starrte den Unbekannten nur prüfend an. Er erwiderte ihren Blick mit einer Kälte, die selbst die Hölle gefrieren lassen könnte. Aber Ilona war niedrige Temperaturen gewöhnt. Das Mädchen seufzte plötzlich lautlos auf. Dann wollte es mit vorsichtiger Stimme wissen: „Leute wie Sie schenken mir normalerweise keinerlei Beachtung, Mister Riddle.“ Bei ihren letzten Worten hatten sich die Pupillen des Slytherin kaum merklich verengt. Doch er ließ sie ohne Unterbrechung weiter reden, als die junge Frau nun mit einem leicht verwirrten Unterton in ihrer Stimme fortsetzte. „Also was genau kann ich denn für Sie tun?“ „Das kommt ganz darauf an“, entgegnete Tom Riddle sofort wie aus der Pistole geschossen. „Und worauf?“ Die Hufflepuff zog misstrauisch ihre kleine Stupsnase kraus. „Könnten Sie mir nicht zuerst verraten, wie Sie heißen?“, antwortete der junge Mann statt einer einfachen Antwort mit einer zuvorkommenden Floskel. Ilona entging dabei nicht, dass der Unbekannte ebenfalls wieder in das unpersönliche Sie gewechselt hatte. Mit einem Mal konnte sie ein Lächeln kaum unterdrücken. Gespielt ernst blinzelte das Mädchen ihn an. „Ich dachte, Sie wären in dem Status, allwissend zu sein?“, fragte sie mit so träger Stimme, dass der Hauch von Spott darin fast nicht wahrzunehmen war. Wie gesagt. Fast. Die dichten Augenbrauen Toms hoben sich perplex. Da er scheinbar nicht antworten wollte, fuhr die Hufflepuff nachdenklich fort. „Ich meine, Sie haben ja einen gewissen Ruf zu verlieren, so als Lord Voldemort.“ Sie verstummte. Bevor er es zurück halten konnte, sprudelte es aus dem Mund des mächtigsten dunklen Zauberers der Welt heraus: „Woher wissen Sie?“ „Die Frage ist nicht woher.“ Das Mädchen betrachtete ihn mit nachdenklicher Miene. „Die Frage ist eher wie…“ Einen Moment lang schien der überraschend jung aussehende Voldemort sie töten zu wollen. Seine rechte Hand, die sich fest um den Zauberstab gelegt hatte, erzitterte und die Fingerknöchel traten mit einem Mal weiß hervor. Doch faszinierender weise beherrschte der Schwarzmagier sich. Er begnügte sich, einmal tief einzuatmen und gleichzeitig gefährlich leise zu zischen: „Sie klingen wie Dumbledore.“ Ilona wurde rot. „Vielen Dank“, bedankte sie sich artig für das (nicht beabsichtigte) Kompliment und schenkte dem dunklen Lord dabei ein leichtes Lächeln. Über Tom Riddles Gesicht huschte kurz ein Ausdruck absoluter Fassungslosigkeit. Doch ebenso schnell, wie es gekommen war, verschwand die menschliche Regung auch sofort wieder und hinterließ nur ein leeres, weißes Antlitz, das die junge Frau nun wütend anstierte. „Sie machen es mir schwer, Miss. Vielleicht würde ein Cruciatus- Fluch ihre Zunge lösen…“ Ilona starrte ihn einen Moment lang an. Dann senkte das Mädchen die Wimpern und flüsterte so leise, dass sich der junge Mann erst noch etwas herab beugen musste, bevor er sie überhaupt zu verstehen konnte: „Es ist Ihre Entscheidung, Mr. Riddle.“ Voldemort lächelte. In einer einzigen, fließenden Bewegung erhob er sich und richtete seinen Zauberstab auf die bewegungsunfähig vor ihm Liegende. „CRUCIO!“ Den ganzen Körper der Blonden durchlief ein schockartiges Beben. Doch sie biss die Zähne zusammen. Ilona würde nicht schreien. Diesen Gefallen tat sie ihm nicht. Auch wenn die Schmerzen mit den verstrichenen Sekunden immer größer wurden, war es kein Vergleich zu den Flammen in der Nacht. Es war kein Vergleich. Kein Vergleich. Mit diesem Gedanken hielt das Mädchen sich innerlich aufrecht. Sie würde nicht schreien. Sie nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit verging die Tortur. Erschöpft schloss die Hufflepuff die Augen. Doch bevor die junge Frau auch nur einmal vollständig hatte Luft holen können, wurde der Fluch erneut auf sie abgeschossen. Wie lange würde sie das aushalten, ohne verrückt zu werden? Kühl berechnete Ilonas Gehirn ihre Chancen, während sich in ihren Körper zahlreiche kleine, feurige Pfeile zu bohren schienen. Das Ergebnis des Nachdenkens war ernüchternd. Zwei, drei Mal noch. Wenn es hochkam, vier. Dann würden die Sehnen des Mädchens allesamt überlastet sein und reißen. Aber schreien? Auf keinen Fall. Auf keinen… „Was sind Sie nicht für ein seltsames Wesen, Miss.“ Die Schmerzen waren plötzlich nur mehr ein schwaches Echo ihres Selbst. Durch einen dunklen Schleier konnte Ilona sehen, wie sich der dunkle Lord erneut bückte. Diesmal ließ Voldemort sich jedoch vollständig auf den Boden sinken. Er setzte sich elegant neben der bebenden Hufflepuff nieder und betrachtete sie eine schmerzende halbe Million Jahre lang. „Ein schmerzunempfindlich machender Trank?“, schoss es schließlich unerwartet aus seinem Mund. Ilona traute ihrer Stimme nicht. Deshalb schüttelte die Schülerin nur mit dem Kopf. Und erstarrte einen winzigen Augenblick lang. Tom Riddle neben ihr schien es nicht zu bemerken. Der ehemalige Slytherin hatte die Stirn inzwischen in Falten gelegt und dachte angestrengt nach. „Taubheitszauber?“, wollte er mit einem Mal neugierig wissen. Die junge Frau konnte nicht anders. Sie verdrehte die Augen. Dabei blieb ihr Blick wie zufällig eine Sekunde lang auf dem Zauberstab hängen, den der Schwarzmagier neben ihr nun nachdenklich gegen die eigene Stirn gedrückt hielt. Ilona ballte ihre Hände zu Fäusten. Schließlich gab der junge Mann entnervt seufzend auf. „Vielleicht sind Sie ja gar kein Mensch?“, fragte er eher aus Jux denn aus reiflicher Überlegung. Der Blick seiner Obsidian-Augen wischte dabei zufällig über den steif daliegenden Körper der 17- Jährigen. Und erstarrte. Flink versuchte Voldemort zurückzuweichen. Aber er war nicht flink genug für jemanden wie Ilona. Die linke Hand der Blonden schoss plötzlich einer Kanonenkugel gleich in die Luft und umklammerte mit einem Mal erstaunlich fest die Spitze ihres Zauberstabs. Das magische Werkzeug stieß sofort einen blauen Funkenschauer aus, so als erkannte es freudig seine frühere Besitzerin. „Verdammt!“ Tom Riddle versuchte, sich zu erheben. Doch an seiner rechten Hand hing nun 52 kg zwar geschwächtes, aber dennoch schweres Fleisch, das zusätzlich von einem entschlossenen Geist gesteuert wurde: Damit verwandelte sich simples Aufstehen in eine Schwerstaufgabe. Und so als wäre dies noch nicht Hindernis genug für den jungen Lord, ließ Ilona plötzlich mit aller Kraft, die ihr noch verblieben war, ihren Kopf vorschnellen und vergrub ihre scharfen Zähne in der weißen Haut des Slytherin. Voldemort stieß einen fürchterlichen Schrei aus. „Wertloses Stück Dreck!“ Seine freie Hand holte zu einer mächtigen Ohrfeige aus. Daraufhin verstärkte die Hufflepuff ihren Biss jedoch nur und mit einem lauten, unmenschlichen Kreischen musste Tom Riddle schließlich den Zauberstab loslassen. Das magische Artefakt flog in kurzem Bogen davon und landete mit einem sanften Plop! auf dem Boden, nur zwei Meter von den beiden Kämpfenden entfernt. Sofort ließ Ilona von ihrem Opfer ab und ließ sich nach vorne fallen. Dabei streckte sie instinktiv die rechte Hand aus. Zu spät fiel der Kleinen ein, dass deren Gelenk noch immer gebrochen war. Oder zumindest sein sollte Zwar hatte jemand den zersplitterten Knochen auf zauberhafte Weise gerichtet und nur mehr ein Verband zeugte mit einem Mal von dem gefährlichen Bruch. Doch das bemerkte die junge Frau nur am nahen Rande. Darüber würde sie sich noch später den Kopf zerbrechen beziehungsweise dem Himmel für dieses Wunder danken. Viel wichtiger aber war die Tatsache, dass sich das Gelenk jedoch noch immer, verständlicherweise, in unsicherem Zustand befand. Und als es nun erneut ungünstig, kurz vor dem rettenden Zauberstab auf dem harten Boden aufkam, da… brach es. Erneut. Mit einem grässlichen, endgültig wirkenden Krachen. Heiße Tränen rannen Ilona plötzlich über die Wangen. Sie hatte immerhin zwei Cruciatus- Flüche überstanden, ohne einen Mucks zu machen. Aber das hier. Wo sie doch ohnehin schon so geschwächt war. Und bei ihrem körperlichen Zustand. Das war etwas viel. Zu mal mit einem Mal wieder die schwarze Schlange aufgetaucht war. Bevor das Mädchen reagieren konnte, hatte das listige Vieh sich schon besitzergreifend um den nur Zentimeter entfernten Zauberstab geschlungen. Dabei musterte es die vor Wut und Qualen Tränen vergießende, junge Frau mit einem eindeutig zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Gemächlich, beinahe zäh verwandelte sich Voldemort schließlich wieder in seine Menschengestalt zurück. Den wieder errungenen Zauberstab hielt er dabei zielsicher auf die Hufflepuff gerichtet. Sein dunkler Blick wirkte hungrig. Doch Ilona entgegnete ihm weiterhin stoisch. Trotz der Tränen auf ihren Wangen wirkte ihr Geist weiterhin ungebrochen. Die Maske des Mädchens bröckelte jedoch, als sie nun plötzlich von unsichtbaren Puppenfäden langsam in die Luft gezogen wurde. Hilflos schaukelte die junge Frau in der Luft. Gleitend und schnell wurde sie sogleich in eine aufrechte Position versetzt, so dass es beinahe wirkte, als würde sie stehend in der Luft schweben. Beinahe behutsam wurden die Hände der Hufflepuff gleichzeitig nach vorne gerichtet. Interessiert kam der dunkle Lord näher und betrachtete ihre unnatürlich langen Finger sowie das unnatürlich abstehende, rechte Gelenk mit funkelnden Augen. „Unglaublich“, flüsterte er. Mit einem kurzen Tippen seines Zauberstabs richtete er die zerstörten Knochen. Perplex und trotz aller bisherigen Geschehnisse dankbar öffnete Ilona ihren Mund, verharrte jedoch, als sie sah, warum ihre rechte Hand so überraschend geheilt worden war. Einzig und allein aus dem Grund, damit die Fesseln besser passten. Kapitel 8: Verzweiflung ----------------------- Rose starrte auf ihre Hände herab. Seit gut zehn Minuten hielt sie einen Becher heißen Tees umklammert. Im Laufe der Zeit war das Getränk abgekühlt, gab aber immer noch genügend Hitze ab, um ihre ohnehin schon angekokelten Finger munter weiter zu verbrühen. Aber die junge Frau bemerkte die Schmerzen gar nicht. Dazu hätte es Gefühl gebraucht. Und alle Emotionen, die die Gryffindor normalerweise allzu gerne zeigte, waren mit einem Mal wie weggewischt. Sie waren fortgespült worden in das große, schwarze Loch, wo früher einmal das Herz der Weasley ihren Sitz gehabt hatte. Es war wieder genau wie vor sieben Jahren. Genau wie an dem Abend, an dem sie aus dem Haus ihrer Eltern geflohen, und ihr niemand gefolgt war. Aber diesmal war es schlimmer. Viel schlimmer. Denn diesmal glaubte die junge Frau für immer die einzige Person verloren zu haben, die wirklich immer und überall auf ihrer Seite gestanden hatte. Professor Potter hatte keine ihrer ängstlichen Fragen beantwortet. Er hatte seine beiden Schüler nur stumm, in Begleitung des noch immer bewegungslos in der Luft schwebenden Hagrids, das Schloss hochbegleitet. Harry war einfach nicht ansprechbar. Normalerweise hätte das Mädchen dies auch akzeptiert: Immerhin war soeben der beste Freund des Mannes, der überlebte, gestorben. Nein, viel schrecklicher noch. Das Herz des Halbriesen Hagrid schlug noch. Seine Lungen verrichteten brav weiter ihren Dienst. Aber die Dementoren hatten ihm seine Seele geraubt. Dieses geistlose Dahinvegetieren war schlimmer als der Tod. Erst am Schlossportal, als das Tor für sie von einem ängstlich zwinkernden Professor Flitwick aufgemacht worden war, schien der Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste seine Sprache wiedergefunden zu haben. „Rose, ich weiß nicht, wo Ilona steckt“, hatte er kurz geschnappt, während sein Zauberkunstkollege ohne viele Worte seinen Schwebezauber übernahm und Hagrid mit hastigen Schritten in den Krankenflügel leitete. Obwohl sie doch alle gewusst hatten, dass es sowieso nichts mehr nützen würde. Harry hatte daraufhin wie selbstvergessen die Narbe auf seiner Stirn gerieben. Der Blick seiner hellgrünen Augen war dennoch scharf auf die bei seinen Worten erstarrte Gryffindor gerichtet gewesen. „Ich werde jetzt zurück in den Wald gehen und sie suchen“, hatte Professor Potter schließlich etwas sanfter nachgesetzt. „Aber ihr beiden müsst nun zu Direktor Rothweil gehen und ihm alles erklären- eure Eltern haben sich große Sorgen gemacht. Und Rose“ Da hatte Harry einen Moment lang gezögert. „Es mag dir jetzt schwer fallen, aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen mehr…“ Spätestens ab diesem Zeitpunkt hatte die junge Frau einfach abgeschaltet. Eine Furcht, größer noch als die vor den Dementoren, hatte mit einem Mal ihre verästelten, dünnen Finger nach der Rothaarigen ausgestreckt. Wo konnte Ilona nur sein? Sie musste das Dunkle Mal doch längst gesehen haben! Sie musste doch längst in das Schloss zurückgekehrt sein... Vorausgesetzt. Vorausgesetzt, die Blonde… „Nun denn.“ Direktor Rothweils Stimme drang plötzlich unerwünschter weise in die schmerzende Erinnerung der Schülerin. Unwillig blickte das Mädchen für einen Augenblick auf. Der alte Mann hatte sich vor ihr und dem ebenfalls auf der einzigen Couch im Büro des Schuloberhaupts sitzenden Scorpius aufgebaut. Tadelnd blickte der Greis zu den beiden herab. Schließlich verlangte er mit strenger Stimme zu wissen: „Was hat euch zwei dazu getrieben?“ Sein bohrender Blick blieb dabei zuerst auf dem Slytherin und dann auf der Gryffindor drohend lange haften. Für einen kurzen Moment verharrte er. Und dann brüllte Erasmus los. „WELCHER Teufel hat euch denn geritten, zu Hagrids Hütte hinunter zu laufen, OBWOHL das Dunkle Mal vom Himmel herab gegrinst hat!“ Vor Entrüstung bebend endete der Direktor. Rose wandte sich wieder ihrer Teetasse zu. Sollte der Tattergreis doch denken, was er wollte. Sie hatte über Wichtigeres nachzusinnen… „Entschuldigung, Sir. Wenn ich unsere Tat kurz rechtfertigen dürfte?“ Die katzbuckelnde Stimme des neben ihr Fläzenden riss die Rothaarige wieder aus ihrem Delirium. Wenn die junge Frau nicht so geschockt wäre, hätte sie wohl laut gefragt, ob sie sich verhört hatte. Hatte der Slytherin neben ihr soeben die Worte „UNSERE Tat“ in den Mund genommen? Wäre Rose noch zu einer Gefühlsregung fähig gewesen, hätte sie wohl erstaunt Mund und Ohren aufgesperrt. Malfoy junior schob die ganze Schuld an dem unerlaubten Ausflug nicht nur ihr zu? Nein. Tat er nicht. Stattdessen begann Scorpius nun, in bester ritterlicher Manier, das Treiben von Rose Weasley und sich selbst glühend zu verteidigen. „Wir wollten doch nur nachsehen, wo Roses beste Freundin steckt, Professor Rothweil, Sir!“ Bei diesen gespielt verzweifelt herausgesprudelten Wörtern nutzte der Listige alle Register seiner weit entwickelten Schauspielkunst. Er warf dem immer noch etwas skeptisch dreinblickenden, vor sich stehenden Mann einen mitleidheischenden Blick zu, um die Dramatik noch etwas zu vertiefen, und setzte danach mit gebrochener Stimme fort: „Wir wussten, dass Elena sich, als dieses schreckliche Mal am Firmament auftauchte, gerade unter der Obhut von Professor Hagrid befand. Und da die beiden allzu gerne immer wieder Streifzüge im Verbotenen Wald getätigt haben“, bei diesen Worten schwoll Scorpius Stimme zu einem inszeniert hoffnungslosen Rufen an, „waren wir eben besorgt und mussten einmal unbedingt nach dem Rechten sehen. Auch wenn wir jetzt natürlich einsehen, dass wir falsch gehandelt haben… Nicht wahr, Rose?“ Der junge Mann warf einen beifallheischenden Blick auf das stille Mädchen, das ebenfalls auf der Couch saß. Zuerst passierte gar nichts. Die Gryffindor hatte im Laufe dieses Plädoyers gequält die Augen geschlossen. Nun aber, als sie offiziell um ihre Meinung gefragt wurde, schossen ihre Lider auf und ihre verengten Pupillen starrten das Individuum neben sich auf dem Sofa so voller Hass an, dass sogar Professor Rothweil unwillkürlich die Luft anhielt. „Sie heißt Ilona, du wertloses, doppelzüngiges…“ „Das reicht, Miss Weasley“, warnte der Direktor sie mit erhobenem Zeigefinger. Sofort verstummte Rose. Ihr mörderischer Blick reichte jedoch weiterhin aus, um Scorpius jegliche Anzeichen von Gesichtsfarbe schnell verlieren zu lassen. Sicherheitshalber rutschte der junge Mann so weit wie nur möglich von der neben ihm kauernden Furie weg. „Ich denke, dass sie beide aus edlem Gesinnen heraus gehandelt haben. Und das sollte in meinen Augen nicht auch noch bestraft werden.“ Die Köpfe der beiden Schüler ruckten fassungslos zu dem plötzlich sehr nachdenklich wirkenden Direktor. War es tatsächlich möglich? Würden sie tatsächlich ohne Strafarbeiten aus dieser Misere davonkommen? Es hörte sich zumindest nicht so an, als ob der Schulleiter sehr zornig auf sie wäre... Erasmus Rothweil aber war mit seiner Predigt noch lange nicht fertig. „Nichtsdestotrotz muss ich euch bitten, das nächste Mal, wenn ihr eine derart hirnlose Aktion plant, mich vorher wenigstens entsprechend mit einer guten Flasche Odgens altem Feuerwhiskey vorzubereiten. Dann könnte ich vielleicht noch einmal beide Augen zudrücken.“ Der greise Alte musterte die beiden abwechselnd mit belustigter Miene. Schon wollten Rose und Scorpius überraschend einmütig aufatmen. Doch plötzlich schmolz der gelassene Gesichtsausdruck des Direktors wieder dahin und überwältigende Trauer schien mit einem Mal über das hutzlige Männchen hinweg zu schwappen. „Niemand bedauert es mehr als ich, dass Ilona Una weiterhin verschwunden ist“, begann er plötzlich völlig überraschend mit zittriger Stimme zu flüstern. Seine hell leuchtenden Augen musterten bei diesen Worten die zu Eis erstarrte Weasley besonders aufmerksam. „Aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Chancen, die arme Kleine jetzt noch, unter den gegebenen Umständen, lebend wiederzufinden…“ „Schweigen Sie!“ Mit einem Mal war Rose auf den Beinen. Aus der erloschenen Glut ihrer Seele stachen mit einem Mal wieder gefährliche Stichflammen hervor. Sie funkelte den perplex verstummten Schulleiter wütend an. „Ilona. Ist. Nicht. Tot“, sprach die junge Frau, laut und deutlich jedes einzelne Wort betonend, ihren sehnlichsten Herzenswunsch aus. Hinter ihr ertönte ein kaum hörbares, missbilligendes Schniefen. „Malfoy.“ Schwungvoll drehte Rose sich um. Sie setzte an, doch verharrte. Und zum allgemeinen Entsetzen fing das Mädchen plötzlich an, rückhaltlos zu schluchzen. Mit einem letzten, kläglichen „Sie muss einfach noch am Leben sein!“ floh die junge Frau aus dem Büro des Direktors. Scorpius, aschfahl im Gesicht, murmelte eine hastige Entschuldigung und folgte mit ausgreifenden Schritten der stürmenden Rothaarigen. Erasmus blieb zurück. Seine älteste und weiseste Krähe zuckte auf dem voll beladenen Schreibtisch wissend mit dem Schnabel. „Ja, ich weiß“, murmelte der Greis mit trauriger Miene. „Ich hatte soeben ebenfalls ein Déjà-vu Erlebnis.“ Kapitel 9: In Gefangenschaft: Grindeloh --------------------------------------- Es war ein einziger, schrecklicher Alptraum. Aber nun vermutete Ilona, dass sie endlich aufgewacht war. Verblüfft riss das Mädchen beide Augen auf. Ihre rechte Wange rastete auf verdächtig knisterndem, trockenem Untergrund. Allzu bald erkannte die Schülerin, dass sie wohl aus Erschöpfung auf einem Buch eingeschlafen sein musste. Einem dicken, unbequemen Buch. Einem Buch, das ihr verdächtig bekannt vorkam… „Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss Una?“ Erschrocken fuhr die Hufflepuff hoch. Ilona bemerkte dabei am Rande, dass sie sich wohl im Unterrichtsraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste befinden musste. Bevor sie sich jedoch ausgiebig über diese Tatsache wundern konnte, verlangte das Gegenüber der Schlaftrunkenen ziemlich schnell ihre ganze Aufmerksamkeit. Professor Potter stand in seinem ganzen Ruhm und Gloria mit fragend hoch gezogenen Augenbrauen direkt vor ihrem Pult. Prompt wurde die junge Frau puterrot im Gesicht. Ein Moment der unbehaglichen Stille folgte, bis das Mädchen schließlich hastig ansetzte, beinahe unhörbar leise eine Entschuldigung zu stottern: „Tut mir Leid, Sir. Ich muss wohl eingeschlafen sein…“ Zu ihrer grenzenlosen Überraschung schien der Lehrer ihr das aber nicht übel zu nehmen. Vielmehr entkam dem stattlichen Mann plötzlich ein belustigtes, wunderbares Lächeln. Er verschränkte jedoch gleichzeitig betont beleidigt die Arme und verlangte mit gespielt trauriger Stimme zu wissen: „Ist mein Unterricht denn so langweilig für Sie, Miss Una?“ Erschrocken riss Ilona beide Augen auf. „Aber nein, Sir!“, beeilte sie sich ungewollt laut zu widersprechen. „Verteidigung gegen die dunklen Künste ist mein Lieblingsfach. Ich“ Die junge Frau verharrte. Schließlich setzte die Hufflepuff, nachdem sie sich erst einmal gesammelt hatte, mit betont ruhiger Stimme fort: „Ich hatte nur gerade einen beängstigenden Traum. Einen Alptraum, besser gesagt.“ „So, so.“ Harry hatte sich inzwischen auf die sich hinter ihm befindende Schulbank gleiten lassen und musterte seine Vorzugsschülerin nun aufmerksam aus runden Brillengläsern. „Wovon handelte der Traum? Ich will doch hoffen, dass er wenigstens entfernt mit den dunklen Künsten zu tun hatte“, versuchte er zu scherzen. Doch seine hellen, smaragdenen Augen, die unverwandt auf die errötete Ilona gerichtet waren, verrieten seine wahre Intention, hinter der lustigen Maske, die er der jungen Frau zeigte: Nichts als tiefes Verständnis und ehrlich empfundene Besorgnis spiegelten sich darin wieder. Die Hufflepuff konnte einfach nicht anders. Sie musste den gut aussehenden Lehrer einfach anstarren. Wie konnte ein Mensch nur zugleich so einfühlsam und so stark sein? Und warum musste dieser Mensch ausgerechnet so viel älter als die Schülerin sein, schlimmer noch, auch noch den Posten einer ihrer Lehrer bekleiden? Kurz gesagt, warum war er so unerreichbar? Das Leben war manchmal wirklich ungerecht… „Miss Una?“ Professor Potter blickte die Verträumte fragend an. „Bin ich mit meiner Frage zu weit in Ihre Privatsphäre eingedrungen? Das würde mir schrecklich Leid tun“, setzte der Lehrer unsicher fort und strich sich dabei voller Gewissensbisse einmal durch sein wild abstehendes, dunkles Haar. „Wie können Sie das nur denken? Das stimmt doch gar nicht!“, wehrte die Hufflepuff sofort ab. Nach einer kurzen Pause setzte Ilona leise fort. „Ich habe von Lord Voldemort geträumt.“ Harrys Gesichtsausdruck gefror sofort zu einer undurchdringlichen Maske. „Könnte es eine Vision gewesen sein? Was hat er getan?“, wollte er mit plötzlich dunkler Stimme und ungewohnter Schärfe wissen. „Wir haben gekämpft. Er hat mich irgendwo gefangen gehalten…“ Angestrengt dachte das Mädchen nach. „Ich habe versucht, meinen Zauberstab von ihm zurückzuerlangen, aber dann…“ Schaudernd schloss die junge Frau die Augen. „Aber dann hat er plötzlich herausgefunden, dass zum Teil auch schmutziges Grindeloh Blut in Ihren Adern fließt?“ Abrupt öffnete die Hufflepuff wieder ihre Augenlider. „Woher wissen Sie das?“ Fassungslos betrachtete sie bei dieser hastig hervorgestoßenen Frage aus großen Augen das Antlitz ihres heimlichen Schwarms, das sich nun mit einem kalten, hohen Lachen, welches so gar nicht zu dem bewundernswerten Professor passen wollte, plötzlich zu verändern schien. Die verehrten Züge Harry Potters verjüngten sich wie in einem Zeitraffer, das helle Grün seiner Augen verfinsterte sich rapide und bevor sich Ilona versah, saß der abstoßend amüsierte, junge Lord Voldemort ihr gegenüber. Die Stimme des jungen Mannes war zu einem Zischeln herabgesunken. Triumphierend verkündete er: „Lies doch nach!“ Dabei deutete er mit seinen langen, blassen Fingern auf das vor der Erstarrten liegende Buch. Langsam senkte die Hufflepuff ihren Blick nach unten. Dort lag, unschuldig auf Seite 234 aufgeschlagen, eine lädierte Ausgabe von „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ von Newt Scarmander. Ein rot angestrichener Absatz stach der mit einem Mal Zitternden sofort ins Auge. Definition eines Grindelohs, stand mit fetten Buchstaben als Überschrift geschrieben. Die junge Frau presste beide Augen ganz fest zu. Doch es nützte nichts. Denn plötzlich ertönte von scheinbar überall her die eisig frohlockende Stimme des Dunklen Lords, der die gefürchteten Sätze mit Genuss vorlas. Der gemeine Grindeloh ist ein niedriger, buckliger Wasserdämon, der seine Beute zuerst in von ihm selbst beheimatete Tümpel lockt, um sie dann vorzugsweise mit seinen LANGEN, DÜNNEN FINGERN zu erwürgen. Wenn man diese nicht zu unterschätzende Kreatur des Meeres zu vernichten gedenkt, muss man den Griff dieser Finger brechen, die, wenngleich auch unverhältnismäßig stark, sehr zerbrechlich sind. Keinesfalls sind ein oder mehrere, gewöhnliche Flüche auf den Grindeloh anzuwenden: Dank einer unnachgiebigen, schuppigen Haut prallen diese mit geringer oder gar keiner Wirkung an dem Tier ab! Das zweite, äußerst wirksame Gegenmittel gegen diese finsteren Gestalten ist außerdem das Feuer, welches der Grindeloh, gemäß seinem Naturell, mehr als alles anderes fürchtet. Endlich endete Tom Riddle. Seine Augen funkelten bösartig zu der zusammengesunkenen Statur der Hufflepuff hin. Auf den ersten Blick schien das Mädchen auf ihrem Tisch kollabiert. Doch Lord Voldemort konnte man nicht täuschen. „Ich weiß, dass Sie mich hören können, Miss Una“, fauchte er. „Und ihr lächerlicher Traum hat mir soeben bestätigt, was ich schon zuvor wusste: Sie verdienen die Bezeichnung Hexe nicht! Sie sind“ Der junge Mann rümpfte verächtlich die Nase. „Sie sind nicht einmal ein ganzer Mensch. Und glauben Sie wirklich“, setzte Voldemort sofort genüsslich fort, um seiner schrecklichen Beleidigung noch den letzten Schliff zu verpassen. „Dass der große Harry Potter etwa anders denkt? Ich kenne ihn! Ich kenne ihn viel besser als Sie! Und ich kann Ihnen sagen, dass Ihr Anblick ihn schlicht anekelt, mehr als alles andere auf der Welt…“ „Das ist nicht wahr!“ Tränen rannen Ilonas Wangen herab. Die schwarzen Augen des dunklen Lords bohrten sich sofort undurchdringlich in die wässrig gewordenen Pupillen der bebenden Blonden. Sie befahlen ihr mit einem stummen, harschen Befehl, zu schweigen. Trotzdem schaffte das Mädchen es, gequält und mit langsamer Stimme zwar, aber dennoch, weiterzusprechen. Die junge Frau war zitternd aufgestanden und musterte Tom Riddle nun mit all dem Hass, den eine friedliche Person wie sie nur aufbringen konnte. „Professor Potter gibt jedem eine Chance!“, brachte die Hufflepuff leise, doch entschlossen vor. Ihr Gegenüber lachte nur. „Natürlich. Schlammblüter, Halbblüter, sogar Reinblüter: Alle sind für den großen Helden gleich und werden gleich behandelt. Aber“ Riddles Augen funkelten mit einem Mal tückisch. Er leckte sich flink die Lippen und setzte danach, mit fälschlich neugieriger Stimme, zum finalen Gnadenstoß an: „Gilt das auch für Mischkreaturen wie Sie, Miss?“ Ilona senkte geschlagen den Kopf. Schweigen senkte sich über die unwirkliche Szene. Diese Stille war so vollkommen, dass sogar Voldemort unwillentlich gespannt war, was nun kommen würde. „Verschwinden Sie.“ Tom Riddle funkelte das Mädchen weiterhin feixend an. Mit einem Mal schoss der Kopf der Hufflepuff hoch. Ihre Pupillen hatten sich bedrohlich verengt und sie fixierten den dunklen Lord urplötzlich so voller Wut, Leid und Verzweiflung, dass sich in dem jungen Mann mit einem Mal (vorerst unbemerkt) etwas regte. Schmerzhaft. Regte. Die Iris der jungen Frau war nicht länger schwarz wie die Nacht. Sie glitzerte mit einem Mal vielmehr in unruhigem Türkis, das von kleinen, unsichtbaren Wellen immer wieder aufgemischt wurde. „RAUS AUS MEINEM KOPF“, donnerte es plötzlich ohrenbetäubend laut im ganzen Klassenraum wieder. „VERSCHWINDEN SIE AUS MEINEM TRAUM!“ Ein unwiderstehlicher Sog packte mit einem Mal den unvorbereiteten dunklen Lord und wirbelte ihn wild herum. Der junge Mann entließ einen kurzen Schrei des Zorns, bevor er sofort mit einer murmelnden Gegenbeschwörung begann. Er hatte dieser Allmacht aber so schnell nichts entgegenzusetzen. Mit einem harten, psychischen Fußtritt wurde der manipulative Geist Tom Riddles, bevor er den passenden Gegenzauber rechtzeitig vollenden konnte, unsanft vor die Tür des heiligsten Zufluchtsortes der Ilona Una gesetzt. Lord Voldemort fand sich allzu bald in seiner Kammer wieder. Wutschnaubend richtete der junge Mann sich aus seinem Schneidersitz auf. Während er nachlässig unsichtbaren Staub von seinem Umhang klopfte, betrachtete er das nicht weit entfernt von ihm liegende, zu einer schützenden Kugel zusammengerollte Mädchen mit vor Zorn rot glühenden Augen. Logischerweise war es in seiner Nähe drapiert worden, damit er beim Eindringen in ihren Traum so nicht auch noch allzu viel physische Distanz überbrücken hatte müssen. Und jetzt hatte dieses Es, dieses Mischwesen zu seinen Füßen, ihn allein durch geistige Kraftanstrengung kurzerhand wieder aus seinem Geist verbannt. Diese Demütigung würde sich der mächtigste dunkle Magier der Welt nicht gefallen lassen. Dennoch nahm Tom Riddle sich erst einmal die Zeit, dreimal langsam ein und auszuatmen. Nur die Ruhe. Bedächtig ließ der junge Mann sich wieder zu Boden in den Schneidersitz gleiten und schloss konzentriert die Augen. In die Träume anderer Leute einzudringen kostete Kraft. Und seine wollte er nicht mit sinnlosem Ärger über ein niedriges Mischwesen verschwenden. Das wäre doch schlicht lächerlich. Wo es doch so viel mehr Spaß machte, die kleine Miss in ihren eigenen Träumen geistig zu zermürben… Tom Riddle lächelte. Ilona glaubte inzwischen, wieder endgültig wach zu sein. Traurig sah das Mädchen sich um. Die Dunkelheit um sie herum erdrückte die Kleine regelrecht. Schon wieder war es Nacht geworden? Resigniert seufzte die Blonde. Die Zeit schien hier so unnatürlich schnell zu vergehen... Das letzte, woran sie sich erinnern konnte, war der Schmerz, als Voldemort, dieses schreckliche, gefühllose Monster, ihre Hände in kochend heiße Flammen getaucht hatte. Dann versank alles in Finsternis. Wahrscheinlich war sie ohnmächtig geworden, dachte die junge Frau dumpf. Und dann der Traum. Ein Wunder, dass sie noch nicht verrückt geworden war. Instinktiv ballten sich die Fäuste der Hufflepuff zu Fäusten… Erschrocken hielt Ilona die Luft an. Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, musste sie diese kleine Bewegung doch eigentlich unsagbare Schmerzen bereiten- waren ihre Hände nicht vor einigen Stunden noch in gleißende Flammen getaucht worden? Doch nichts geschah. Die junge Frau fühlte nichts. Moment. Bewegung? Langsam hob sie ihre Fäuste in die Luft. Sie konnten problemlos bewegt werden. Probeweise ließ das Mädchen auch seinen Nacken kreisen. Auch dies wurde ohne Probleme bewerkstelligt. Die Schülerin unterdrückte einen spontan aus ihrer Kehle ausbrechen wollenden Freudenruf. Sie konnten sich wieder von der Stelle rühren! Hastig hob die Schülerin sofort beide Hände vors Gesicht und untersuchte sie so ausgiebig, wie es in der um sie herrschenden Schwärze nur möglich war. Doch keine einzige Brandblase verunzierte ihr weißes Fleisch. Das war schlicht gesagt zu schön um wahr zu sein. Die Hufflepuff setzte sich, plötzlich misstrauisch geworden, langsam auf. Was bezweckte ein dunkler Lord damit, sie ungefesselt und geheilt in einer einsamen Kammer zurückzulassen? Wollte er, dass sie floh? Das Mädchen schüttelte bei diesem hoffnungsvollen Gedanken sofort wild mit dem Kopf. Nein. Wenn er sie nicht mehr brauchte, tötete er sie. Oder War ihm ein Todesfluch für jemanden wie sie plötzlich zu schade? Unwillkürlich schauderte die junge Frau. Doch es klang erschreckend logisch, was eine plötzlich aufgetauchte, kleine und gemeine Stimme ihr nun nachdrücklich zuflüsterte: „Der Dunkle Lord sieht dich nicht einmal mehr als Menschen an. Für ihn bist du Dreck. Weniger wert als ein Schlammblut. Eine Mischkreatur, die es nicht wert ist, mit seinem Zauberstab getötet zu…“ Mitten in solch finstere Gedanken versunken, hörte Ilona es wieder. So wie letzte Nacht. Ein wimmernder, kläglicher Schrei nach Erlösung. Mit einem Satz war die junge Frau auf den Beinen. Vorsichtig sah sie sich um. In der Dunkelheit konnte sie fast nichts erkennen… So als hätte die verstaubte Öllampe über ihrem Kopf nur auf dieses Stichwort gewartet, ging sie mit einem Mal flackernd an. Verblüfft sah das Mädchen zuerst nach oben. Dann nahm es seine unmittelbare Umgebung flink in Augenschein. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass dies hier der Unterschlupf Voldemorts gewesen wäre, dann hätte die Hufflepuff sich plötzlich wieder in die Bibliothek von Hogwarts hineinversetzt gefühlt. Nun ja. In eine arg verkleinerte und schmutzigere Version davon. Aber eines zumindest hatten die beiden ansonsten grundverschiedenen Räumlichkeiten gemeinsam: Überall lagen Bücher. Einfach überall. Auf dem eichenen Boden, dem einzigen Stuhl, der neben einem sehr alt wirkenden (ebenfalls mit Büchern bedeckten) Tisch zentimeterdick mit Staub bedeckt sein Dasein fristete… Sogar auf dem Bett stapelte sich Literatur. Unwillkürlich streckte Ilona die Hand nach dem nächstbesten, schwarz bemäntelten Schmöker direkt von dem mannshohen Stapel vor ihr aus. Ein erneutes, verzweifeltes Aufheulen ließ sie jedoch schnell wieder innehalten. Lesen konnte sie später. Jetzt musste geholfen werden. Wem oder was auch immer. Flink sah die junge Hufflepuff sich um. Wo versteckte sich dieser unbekannte, laute, leidende Zimmergenosse bloß? Im trüben Licht entging dem suchenden Blick des Mädchens keine auch noch so winzige Ecke des kleinen Zimmers. Schnell ging die junge Frau einmal um das zentral gelegene Bett herum. Dabei suchte sie sowohl Boden als auch Decke (man konnte ja nie wissen) nach verdächtig leidend wirkenden Körpern ab. Aber hier gab es nichts außer Büchern. Ausgenommen das Bett, den Tisch, den morschen Stuhl und…den riesigen Schrank gleich gegenüber der Schlafstätte, natürlich. Die Hufflepuff schluckte. Dieses Ding sah nicht allzu vertrauenerweckend aus… Aber es war immerhin groß genug, um eine lebende Person zu verbergen. Also näherte sich Ilona langsam und mit gebotener Vorsicht dem mit Ornamenten verzierten Ungetüm. Kneifen galt jetzt nicht. Nicht so kurz vor dem Ziel. Also holte die Schülerin noch einmal tief Luft, verbot sich jeden weiteren Gedanken an all die Monster, die angeblich in Schränken hausen, und riss mit beiden Händen entschlossen die rechte und linke Schranktür auf. Sofort hüllte das Mädchen eine Wolke aus Staub ein. Hustend wich die junge Frau zurück. Erst nach einer halben Ewigkeit legten sich die aufgewirbelten Schmutzpartikel wieder. Bedächtig warf die Hufflepuff einen Blick in das gähnend dunkle Innenleben des Schrankes. Nichts. Abgesehen von einer sehr veralteten Garnitur Zauberumhänge, die nun unwillig raschelten, so als billigten sie den plötzlichen Lichteinfall überhaupt nicht, konnte die Blonde nichts Lebendiges im düsteren Schrankinnenleben entdecken. Das Mädchen warf suchende Blicke überallhin. Aber es war immer das Gleiche. Schlichte Leere erwartete sie jedes Mal, wenn sie eine Schublade aufzog oder einen besonders dunklen Winkel genau examinierte. Das Wimmern war zwischenzeitlich verstummt. Nun ließ es aber plötzlich einen letzten, verzweifelten Klagelaut ertönen. Ilona wirbelte herum. Das Geräusch schien vom Bett gekommen zu sein. Schnell bewegte die junge Frau sich darauf zu. Dieses letzte stimmliche Aufbäumen hatte schrecklich schwach geklungen. Beinahe so, als wäre es gemeinsam mit dem letzten Atemzug getätigt worden. Ilona stand mit einem Mal der Schweiß auf der Stirn. Hier im Raum starb gerade jemand! Und das Mädchen fand diesen verflixten Jemand einfach nicht! Hastig durchsuchte es die unordentlich zerwühlten Laken auf dem dunkelgrün gehaltenen Bett. Hier war doch auch nichts, was hätte leiden können! Wo nur…? Die junge Frau erstarrte. Tuckernd drang eine letzte Möglichkeit, sich zu verstecken, in ihr rotierendes Gehirn ein. Unter. Unter dem Bett. Da hatte sie noch nicht nachgesehen. Mit einem erschöpften Schnaufen ließ sich Ilona vom Bett auf den harten Boden plumpsen. Mit zu Schlitzen verengten Augen und auf dem Bauch liegend starrte die junge Frau auf die sich vor ihr, unter der Matratze ausbreitende Finsternis. Das schwache Licht der Öllampe über ihr reichte nicht aus, um das Dunkel hier unten zu erreichen. Ganz langsam streckte das Mädchen seinen Arm aus. Vorsichtig tastete es in der Schwärze herum und versuchte gleichzeitig mit aller Kraft die mit einem Mal aufgetauchten, unwillkommenen Fantasiegebilde in ihrem Gehirn zu verdrängen, die ihr in lebendigsten Farben ausmalen wollten, was unter Lord Voldemorts nächtlicher Ruhestätte wohl hausen würde… Ihre zitternden Finger berührten plötzlich etwas Weiches. Nur mit Mühe unterdrückte die Hufflepuff ein Keuchen. Langsam, ganz langsam drückte sie sanft gegen das mit einem Mal aufgetauchte Hindernis. Es drückte zurück. Und es versuchte nicht einmal zu beißen, wohlgemerkt. Sofort ließ Ilona auch ihren zweiten Arm unter die Matratze gleiten. Mit der geballten Kraft ihrer ohnehin schon überstrapazierten Armmuskeln schaffte sie es schließlich, ein etwa ein Laib Brot großes, schmutziges Leinenbündel aus der Finsternis hervor zu zerren. Ohne lange nachzudenken hob das erschöpfte Mädchen den Stoff in die Höhe, um ihn im Licht der Lampe genauer zu betrachten. Überrascht atmete die junge Frau laut aus. Das Ding war verdammt schwer für. ein.. Stück… Laken…. Abrupt zog die Blonde das Bündel wieder zurück. Mit fliehenden Fingern riss sie die erste Lage Leinen von dem kläglichen Haufen in ihrem Armen. Das konnte doch nicht…War da drin etwa ein Mensch eingewickelt? Oder ein Menschlein zumindest, der Größe nach zu urteilen? Da! Da schien mit einem Mal ein Stück gräulicher Haut hervor zu blitzen! Schnell entfernte die Hufflepuff auch noch den letzten Rest des schützenden Mantels. Und sie erhaschte plötzlich und völlig unerwartet zum ersten Mal den Blick auf ein Ding? Verwundert betrachtete Ilona es. Das Lebewesen schien entfernte Ähnlichkeit mit einem Baby zu haben. Aber es war viel hässlicher. Statt der obligatorischen Nase verunzierte ein simpler Schnitt die Mitte des unruhig zuckenden Gesichtchens. Der Mund war nur ein einziger, dünner Strich. Und die eingesunken wirkenden Augen waren von papierenen Lidern verschlossen. Das blasse Dinglein schien wohl zu schlafen. Sofern es überhaupt noch atmete. Das Mädchen zog den kleinen Körper besorgt noch näher zu sich. Atemlos horchte es auf kleine, stockende Atemzüge, die die Brust des Kleinen unstetig auf und abhoben. Die Lunge des Babyartigen schien bei jedem Luftholen bedrohlich zu rasseln. Aber immerhin lebte es noch. Beruhigend wiegte die junge Frau das Kind, sofern es denn eines war, hin und her. Normalerweise tat dies Babys ungemein gut. Nur. Dieses Ding war mit Sicherheit kein hilfsbedürftiges Neugeborenes. Abrupt schossen die Augenlider des Kleinen auf. Und mit einem Mal blickte Ilona geschockt in die blutroten Augen Voldemorts. Es sah genauso aus wie in den vielen Bildern, die Professor Potter ihnen im Unterricht gezeigt hatte. Die Augenform war schlangenartig zu Schlitzen ausgedehnt worden. Die kleine, starrende Pupille wurde umgeben von unnachgiebigem Rot. Und der Ausdruck des puren Bösen blitzte konstant daraus hervor. Mit einem Mal hatte Ilona das starke Bedürfnis, das Monster in ihren Armen mit bloßen Händen zu erwürgen. Oder es einfach hart gegen die nächste Wand zu werfen, sodass… Aber sie konnte es nicht. Sie konnte es einfach nicht. Die roten Augen glommen schwach und schenkten ihr einen undeutlichen Blick. Der kleine, strichförmige Mund war mit einem Mal weit geöffnet. Und erneut drang dieses qualvolle Jammern an die Ohren der Hufflepuff. Sie konnte es nicht. Sie konnte es einfach nicht. Sie konnte dieses hilflose Geschöpf nicht töten. Selbst wenn es die dunkelste, schrecklichste Seele der Welt in sich trug. Sie konnte es nicht. Sie war einfach nicht dazu in der Lage, es zu töten. Irgendetwas zu töten. Niemals. Nach einer Weile begann Ilona schließlich verzweifelt, ein einfaches Schlaflied anzustimmen. Und das Summen, das aus ihrer Kehle kam, tat sofort seine seelenheilende Wirkung. Sobald die ersten Töne des hauchenden Liedes erklangen, wurden gleichermaßen die junge Frau als auch das kleine Ding sofort ruhiger. Das Baby verharrte sogar mit einem Mal in seinem Klagen und lauschte ganz still der Melodie. Die purpurnen Augen blinzelten nach einiger Zeit sogar schläfrig und fielen allzu bald vollständig zu. Der winzige Mund schloss sich wieder und beinahe sah das Beinahe- Baby friedlich aus, als es nun einschlief. Und durch seine missgestaltete Nase leise atmete. Für zwei wertvolle Sekunden lang. Dann ertönte ein markerschütternder Schrei. Plötzlich wurde Ilona wild durchgeschüttelt. Ein kräftiger Schlag ins Gesicht ließ die junge Frau die entspannt zugefallenen Augen wieder abrupt aufreißen. Tom Riddle in seiner altbekannten, 17- jährigen Form starrte sie hasserfüllt an. Das Baby in ihren Armen war mit einem Mal verschwunden. Und ihre Hände fühlten sich plötzlich wieder leer und verbrannt an. Kapitel 10: In Gefangenschaft: Der letzte Horkrux ------------------------------------------------- Die Zeit schien auf einmal zähflüssig wie Sirup. Ilona betrachtete ausdruckslos den dunklen Lord, der ihre Schultern noch immer mit einem eisernen Griff gefangen hielt. In einem nicht einkalkulierten Wutanfall hatte er das Mädchen aus dem Schlaf gerüttelt. Das war sehr, sehr dumm gewesen. Voldemort fühlte nicht. Voldemort konnte nichts aus der Ruhe bringen. Schön langsam sollte sein jüngeres Abbild dies verinnerlicht haben. Da durfte es keine Ausnahmen geben. Absolut keine. Die gefährlichen Nebenwirkungen, die solch gefühlsbetontes Handeln nach sich zogen, waren gar nicht abzuschätzen. Aber trotzdem. Tom Riddles Augen blitzten immer noch voller Zorn, als er nun abrupt seine Gefangene losließ und sich hastig von der bewegungslos Daliegenden entfernte. Flink zog der junge Lord seinen Zauberstab hervor. Ohne zu zögern richtete er ihn auf Ilona, die sich noch immer keinen Zentimeter gerührt hatte. „Ich verbiete dir, noch einmal von diesem Wesen zu träumen“, knirschte Voldemort mit eisig kontrollierter Stimme. Die junge Frau starrte ihn nur an. „Aber…“, begann sie schließlich mit undeutlicher Stimme. „Kein Aber!“, unterbrach der dunkle Lord mit einem unartikulierten Fauchen. Ilona verstummte. Ihr Gesicht schien mit einem Mal aus einem einzigen, großen Fragezeichen zu bestehen. Hatte das Mädchen sich das nur eingebildet, oder schwang da plötzlich tatsächlich ein Hauch von Panik in den Worten des schwarzen Magiers mit? Nein. Das konnte nun aber wirklich nicht sein. Eher brach die Eiszeit in der Hölle an, als dass... Ohne ein weiteres Wort wandte die Hufflepuff ihren unsteten Blick weg von Tom Riddle und wieder nach oben in Richtung Zimmerdecke. Gedankenverloren begann Ilona, die zahlreichen Risse in der Tapete abzuzählen. Sie war noch immer nicht tot. Das Mädchen hatte zwar keine Ahnung, warum. Aber sie lebte noch. Und nur das zählte schlussendlich. Also sollte sie gelegentlich gefälligst die Klappe halten und das tun, was der mächtigste dunkle Magier aller Zeiten von ihr verlangte. „Wo haben Sie dieses Ding zum ersten Mal gesehen?“, durchdrang mit einem Mal Voldemorts zischelnde Stimme die eingekehrte Stille. Ilona kräuselte kurz missbilligend ihre Nase. Nur ungern rückte sie mit der Wahrheit heraus. Aber es musste wohl sein. „Ich habe das Baby noch nie zuvor in meinem Leben zu Gesicht bekommen. Nur sein Schreien glaubte ich schon in meiner ersten Nacht hier vernommen zu haben…“ Verwirrt hielt das Mädchen für einen Moment inne. „Wenn ich das nicht auch nur geträumt habe“, setzte sie schließlich unsicher fort. Dabei wollte die junge Frau sich abwesend an der Nase kratzen- ihre linke Hand versagte jedoch kurzerhand den Dienst. Stattdessen fuhr plötzlich ein flammender Schmerz ihren ganzen Arm hinauf, der sich schlussendlich in den Schultern zu kompensieren und Sekundenbruchteile danach zu implodieren schien. Unwillkürlich stieß die Hufflepuff ein Wimmern aus. „Aber woher kennen Sie das Ding dann?“, fragte Tom Riddle ungerührt weiter. Ilona entgegnete nichts, stieß nur einen weiteren kleinen, kaum vernehmbaren Klagelaut aus. „Antworten Sie bitte in ganzen Sätzen“, herrschte der dunkle Lord sie daraufhin barsch an. Wenn die Schülerin gekonnt hätte, hätte sie beide Augen verdreht. Aber die sich furchtbar schnell auf ihrem ganzen Körper ausbreitenden, versengenden Flammen verlangten ihre ganze Aufmerksamkeit. Und ließen keine übermäßige Zeit für solche angedeuteten Missfallens Bekundungen. Dabei war nirgends auch nur ein kleiner Funken auf ihrer Haut zu sehen. Soweit Ilona aus vor Schmerz halb geschlossenen Augen erkennen konnte, lag sie selbst zwar unbeweglich, aber vollkommen rein und unverbrannt auf dem eichenen Boden Lord Voldemorts Kammer da. Da konnte doch etwas nicht mit rechten Dingen zugehen… Diese Tortur konnte die junge Frau sich doch nicht einfach nur einbilden! Oder? „Oh, schon gut!“ Genervt wedelte der junge Mann mit seinem Zauberstab. Und als hätte er einfach nur kurz einen Schalter umgelegt, breitete sich mit einem Mal erfrischende Kühle von den Haarwurzeln bis in die Zehenspitzen in der Hufflepuff aus. Das Mädchen atmete erleichtert auf. „Inneres Feuer, nehme ich an?“, wollte sie mit leicht schwankender Stimme wissen, während sie das Gefühl von wässriger Kälte in all ihren Fasern von ganzem Herzen genoss. „Ein spezielles Dämonenfeuer“, erläuterte Voldemort kurz. „Diese Flammen haben eine viel stärkere und ausdauernde Wirkung- allein ihr Auftreten bewirkt vollkommene Körperstarre. Damit ist in Ihrem Fall nicht auch noch ein gekoppelter Lähmfluch vonnöten.“ „Verständlich.“ Ilona streckte langsam alle überdurchschnittlich langen Finger aus und dehnte sie vorsichtig. „Faszinierend, wie schnell sie mein Geheimnis heraus bekommen haben“, sprach das Mädchen schließlich, nach unbehaglichem, langem Schweigen, mit betont gleichgültiger Stimme weiter. „In Hogwarts bin ich sechs Jahre lang unerkannt geblieben- aber ich nehme an, mit einem Zauberer wie Sie kann sich dort niemand vergleichen.“ Sie tat es schon wieder. Tom Riddle runzelte die Stirn. Der Halb Grindeloh lobte schon wieder seine Wenigkeit mit einem derart unteilbaren Unterton, dass sie mit einem Mal direkt, er konnte sich nicht helfen, beleidigend klang. War das nun Absicht? Zufall? Der dunkle Lord konnte die wahre Intention hinter diesem blassen, herzförmigen Gesicht einfach nicht ausmachen. Selbst ihre Augen, aus deren Ausdruck er mit Hilfe der Legilimentik üblicherweise alle Gedanken, Ziele und Ängste sofort herausfiltern können sollte… Sie waren wie kohlschwarze Tümpel ohne Grund, in denen man leicht versinken konnte… Wie aus weiter Ferne drang mit einem Mal eine hohe, kalte Stimme an Toms Ohr. Überrascht stellte der junge Mann fest, dass er gerade selbst sprach, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Er musste wohl deutlich übermüdeter sein, als er selbst zuvor noch angenommen hatte. Oder das fortlaufende Messen mit diesem Mischwesen kostete ihn zu viel Kraft… Aber diesen Gedanken verbot der dunkle Lord sich, sobald er in seinem rasend arbeitenden Gehirn auch nur kleinlaut in Erscheinung getreten war. Das war einfach nicht möglich. Ein vollausgebildeter Magier, zumal mit solch unglaublichem Talent ausgestattet wie er, war einem Halb Grindeloh immer überlegen. Immer. „Unter Ihrem rechten Knie ist eine kleine, blaue Schuppe verhaftet. Ich nehme an, Sie haben sie, als Sie das letzte Mal ihre Beine abschabten, übersehen.“ Verwundert hob Ilona beide Augenbrauen. Vorsichtig, nur jede verdächtig wirkende Bewegung vermeidend, setzte das Mädchen sich nach diesem abrupt hervorgestoßenen Hinweis auf und zog ihr rechtes Bein zu sich heran. Tatsächlich. Ein silberblau glänzendes Überbleibsel war ihr wohl vor drei Tagen, als sie das letzte Mal ihre Gliedmaßen von verdächtigen Meereshäuten befreite, entgangen. Wie lange das inzwischen schon wieder her zu sein schien. Einfach unglaublich. Mit einem Mal war Ilonas Kehle verdächtig trocken. Oh nein. Jetzt nur nicht schon wieder zu weinen beginnen. Lord Voldemort musste ja direkt denken, dass er es mit einem lebenden Wasserspender zu tun hatte… Obwohl es ihr andererseits ja auch vollkommen egal sein konnte, was ein Ungeheuer dachte. Vollkommen, jaa… Um die plötzlich aufgeschwemmten, nostalgischen Erinnerungen zu vertreiben, schüttelte die Schülerin hastig den Kopf. Dabei konnte sie jedoch, mitten in diese geistig nicht gerade anspruchsvolle Arbeit versunken, plötzlich nicht umhin zu bemerken, dass jede ihrer Bewegungen verfolgt wurde. Ziemlich genau verfolgt wurde, sogar. Unwillkürlich versteifte Ilona sich. Widerwillig stoppte sie abrupt das Kopfschütteln und entgegnete dem glasigen Blick des jungen Mannes vor ihr mit gebotenem Abscheu. „Ich laufe Ihnen schon nicht weg, Mr. Riddle“, formulierte die Hufflepuff spitz. „Sie müssen diesbezüglich also wirklich kein allzu genaues Auge auf mich haben. In dieser sowie in allen nur erdenklichen Beziehungen eigentlich ebenfalls, möchte ich nur hinzufügen.“ Bildete sie sich das nur ein, oder war soeben der Hauch eines Hauchs eines Lächelns über die Fratze dieses unmenschlichen Monsters gehüpft? Das Mädchen setzte mit ungläubiger Stimme fort. Diesen Stimmungsumschwung, wenn es denn einer war, musste sie unbedingt ausnützen! „Und da wir gerade sowieso dabei sind, und Sie mich noch immer nicht umgebracht haben“ Inzwischen war der Ton der Blonden höchst verwundert in die Höhe geschnellt. „Da können Sie mir doch gleich verraten, was Sie denn nun von mir wollen.“ Stille senkte sich über den hell von der Nachmittagssonne beleuchteten Raum herab. Lord Voldemort betrachtete das Mädchen noch einen Moment lang mit erhobenem Zauberstab und einem eindeutig nicht deutbaren Blick. Dann jedoch schien er wie aus einer Trance zu erwachen und senkte die Spitze seines Stabes zu Boden. Geistesabwesend fuhr er sich mit der linken Hand durch sein ordentlich gescheiteltes Haar, ohne seine Gefangene dabei auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Dabei fielen dem jungen Mann zufällig einige störrische Locken ins Gesicht, die plötzlich ein seltsames Eigenleben entwickelt zu haben schienen und seinen Glättungsversuchen widerspenstig widerstehen wollten… Da traf Ilona die Erkenntnis wie ein Schlag. Bevor die junge Frau sich zurückhalten konnte, sprudelte es aus ihr heraus: „Sie sind gar nicht der echte Lord Voldemort!“ …Tödliches Schweigen folgte diesen Worten. Schließlich hatte Tom Riddle sich soweit unter Kontrolle, dass er halbwegs gleichmütig entgegnen konnte: „Sind Sie in den letzten dreißig Sekunden etwa vollends verrückt geworden, Miss Una? Natürlich bin ich es.“ Die Stimme des jungen Mannes war mit einem Mal mit einem Hauch von Trotz versehen. „Ich bin der Dunkle Lord persönlich!“ Sein Zauberstab sprühte bei diesen letzten Worten grün silberne Funken und die smaragdenen Punkte um seine Pupillen glühten ebenfalls leuchtend auf. Doch Ilona winkte nur mit der linken Hand unbeeindruckt ab, bevor sie mit ungehemmter Begeisterung fortfuhr: „Sie sind eine Erinnerung! Eine lebendige Erinnerung! Wie sollte sich sonst ihr verjüngtes Erscheinungsbild erklären lassen und…“ Der jungen Frau blieb mitten im Satz der Mund offen stehen. „Sie sind der letzte Horkrux“, flüsterte das Mädchen mit einem Mal. Ihre Stimme war schwächer als ein Windhauch geworden und hatte plötzlich alle Freude verloren. Mit folgenschweren Worten beendete Ilona ihre unglaubliche Entdeckung: „Das unentdeckte Amulett des Salazar Slytherin- da drin waren Sie 65 Jahre lang versteckt...“ Kapitel 11: In Gefangenschaft: Der Tod -------------------------------------- Und dann erinnerte Ilona sich wieder. Freitag, der 25. Juni. Die letzte Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste hatte soeben begonnen. Das ganze Jahr über war von den Sechstklässlern nur ein Thema behandelt worden: Den Aufstieg und Fall des Lord Voldemort alias Tom Riddle. Angeleitet wurden sie dabei von Professor Potter, dem einzig noch lebenden Fachmann in diesem dunklen Aspekt der Zaubererwelt. An ihre letzte Stunde konnte Ilona sich wegen zweierlei Dinge noch so genau entsinnen. Erstens, Harrys Haare hatten an diesem Tag noch verstrubbelter, unordentlicher, (begehrenswerter) und sogar etwas gelockt ausgesehen. Diese auf den ersten Blick unwichtige Tatsache hatte sie in genau diesem Moment, in dieser kleinen Kammer, im Angesicht eines ebenfalls unfreiwillig lockigen Voldemorts an jenen Unterricht erinnert. Und zweitens… „Weasley! Zählen Sie mir ein letztes Mal noch die sieben zerstörten Horkruxe Lord Voldemorts auf!“ Die Angesprochene zuckte schuldbewusst zusammen. Bis jetzt hatte die Todmüde es nicht für nötig gehalten, dem sowieso nur mehr sporadisch gehaltenen Unterricht ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Die Schülerin war noch verträumt in den letzten, entscheidenden Sieg der Gryffindors gegen die Slytherin Quidditch Mannschaft versunken gewesen. In Gedanken war sie jeden einzelnen Spielzug noch einmal durchgegangen, die den Löwen schlussendlich (wenn auch knapp) den Quidditchpokal gesichert hatten. Da blieb für Du weißt schon wen nicht viel Platz übrig. Und für diese Nachlässigkeit bekam das Mädchen nun die Rechnung präsentiert. „Ähm…“ Noch etwas schlaftrunken kratzte sich die junge Frau die Stirn und versuchte gleichzeitig krampfhaft, dem strengen Blick des Professors nicht zu entgegnen, der sie nun, da sie so schnell offenbar keine Antwort wusste, mit hellgrünen, vor Missvergnügen blitzenden Augen erdolchte. Während das Mädchen sich verzweifelt der richtigen Antwort zu entsinnen versuchte, wurde neben ihr gleichzeitig, und von den restlichen, munter plappernden Schülern gänzlich unbemerkt, vorsichtig eine Hand gehoben. „Lassen Sies gut sein, Weasley. Aber seien Sie gewarnt: Der einzige Grund, warum ich Ihnen für diese nicht erbrachte Leistung keine Punkte mehr abziehe, ist schlicht und einfach die Tatsache, dass Sie gestern Ihre Kollegen aus Slytherin allesamt vom Besen geworfen haben.“ Die ganze Klasse brach daraufhin in lautes Gelächter aus. Professor Potter erlaubte sich ebenfalls ein kleines Lächeln, bevor er sich freundlich der Sitznachbarin der errötenden Rothaarigen zuwandte. „Ja, Miss Una?“ „Nun, Sir.“ Die Ausgerufene schluckte nervös. „Die Antwort auf ihre Frage lautet: Tom Riddles Tagebuch; der Ring seines Großvaters; das Collier der Rowena Ravenclaw; die Schatulle der Helga Hufflepuff; das Medaillon aus dem Besitz Salazar Slytherins; die Schlange Nagini und…“ Die Hufflepuff verharrte einen Augenblick. „Sie selbst“, schloss sie schließlich mit schüchterner Stimme. Auf Ilona lag nun die geballte Aufmerksamkeit der Klasse. Noch nie, NOCH NIE hatte man die stille Blonde von den Dachsen so viel auf einmal reden gehört. Professor Potter unterbrach schließlich als Erster das eingetretene, perplexe Schweigen. „20 Punkte für Hufflepuff, Miss Una!“, rief er laut. Seine Augen glänzten vor Freude. „Besser hätte ich es wirklich nicht selbst formulieren können“, setzte der Lehrer gut gelaunt fort. „Wären Sie nur 17 Jahre früher geboren! Im Krieg hätte man Ihr ausgezeichnetes Gedächtnis und Ihren wachen Geist gut gebrauchen können.“ Das war das größte Lob, das Harry Potter einem Schüler gegenüber je ausgesprochen hatte. Ilona tat es ihrer Banknachbarin gleich und errötete bis unter die Haarspitzen. Gemächlich wandten sich die Köpfe der Schüler nach dieser kurzweiligen Unterbrechung wieder ihren Kollegen zu. Die Jugendlichen begannen erneut entspannt darüber Reden zu halten, was sie in den Ferien nicht alles anstellen würden. Es war schließlich die letzte Stunde. Es war schließlich Sommer… „Aber leider muss ich hinzufügen, dass Ihre Antwort eigentlich nur teilweise richtig war.“ Abrupt wurde es im Klassenzimmer still. Ausnahmslos alle Kinder wandten sich nun mit großen Augen wieder ihrem Professor zu. Dieser bedachte seine Schüler lange mit einem seltsam in die Ferne gerichteten Blick, bevor er leise fortsetzte: „Wir konnten damals nur sechs Horkruxe zerstören. Der siebte ist bis heute verschollen.“ Sofort brach ein Tumult los. Ausnahmslos jeder Schüler wurde mit einem Mal verdächtig blass um die Nase und/oder begann sofort aufgeregt mit seinem Sitznachbarn zu tuscheln. Was sollte das bedeuten? Erlaubte sich Professor Potter nur einen Scherz? Wollte er ihnen zu Schulschluss einfach nur noch einen gehörigen Schrecken einjagen? Oder…? Rose war schließlich die Erste, die ihre Überraschung überwand. Die mutige Gryffindor zog beide Augenbrauen hoch und stellte mit lauter Stimme die entscheidende Frage: „Wie meinen Sie das, Professor?“ „Wie meine ich was, Miss Weasley?“, entgegnete Harry höflich. „Sie haben uns doch erzählt, dass Voldemort tot ist!“, ertönte es plötzlich laut aus der hintersten Reihe. Alain McLaggen, ein stämmiger Hufflepuff in Ilonas Jahrgang, war mit einem Mal aufgestanden und stierte den Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste nun wütend an. „Jeder hat uns erzählt, dass Voldemort tot ist! Jeder WEISS, dass Voldemort tot ist, verdammt noch mal! Jedes Stück seiner kümmerlichen Seele ist von Ihnen zerstört worden, Professor!“ Hier musste Alain einen Augenblick lang innehalten, um erst einmal schnaufend Luft zu holen. Nur allzu schnell gewann er aber seine Stimmgewalt wieder und der Dachs wetterte munter weiter. „Also was sollen jetzt diese Anspielungen? Wollen Sie uns Angst machen?“, klagte er. Harry schob anstatt einer beruhigenden Antwort die Brille seinen Nasenrücken hinauf, verschränkte die Arme und schwieg. Unbehagliche Stille senkte sich über den Unterrichtsraum. Und zu aller Verwunderung war es schließlich Ilona, die als Erste sprach. „Ich denke, Professor Potter meint mit seiner Andeutung das verschollene Amulett des Salazar Slytherin“, murmelte sie gedankenvoll. „Immerhin glauben wir nur zu wissen, dass es zerstört wurde. Aber es muss ja eindeutig schon viel früher vernichtet worden sein- der Zettel, den Professor Potter in dem Duplikat, dass er selbst geborgen, gefunden hat, deutet auf eine schon länger vergangene Zeit…“ Harry lächelte seine Schülerin an, die sich daraufhin sofort verhaspelte und peinlich berührt schwieg. „Schön, dass Sie mich verteidigen, Miss Una“, begann der Lehrer schließlich mit angenehm klingender Stimme, „aber schon wieder liegen Sie richtig und falsch zugleich. Es ist zweifellos wahr, dass ich mit meiner Korrektur Slytherins Amulett meinte. Aber zugleich ist falsch, wenn Sie denken, dass Voldemort für immer von dieser Welt verschwunden ist…“ „Sir, das kann doch nicht Ihr Ernst sein.“ Diesmal hatte Majorie Finnigan gesprochen. Sie war eine zierliche und normalerweise friedliebende Gryffindor, sah in diesem Moment aber ganz und gar nicht friedlich aus. Vielmehr funkelte das Mädchen den weiterhin gelassen lächelnden Lehrer zornig an. „Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sir“, begann die Schülerin kühl zu argumentieren. „dass Sie ernsthaft glauben, dass…Voldemort…“ „Oh, ich bin sicher, dass er noch lebt“, unterbrach Professor Potter munter ihren stockenden Monolog. Daraufhin folgte in der ganzen Klasse ein allgemeines, ängstlich- empörtes Atemanhalten. Bevor jedoch irgendjemand anders seine Stimme erheben konnte, hatte Harry schon hastig weitergesprochen: „Sie müssen verstehen: Ich habe zu lange gegen ihn gekämpft, als dass ich mir nicht vorstellen könnte, dass er nicht zusätzlich noch zu den Horkruxen irgendwo für sich eine Hintertür eingerichtet hat… Aber lassen wir dieses Thema. Ich will Ihnen doch nicht frühzeitig die Ferien…!“ In diesem Moment hatte es geläutet und die Schüler waren verwirrt und fassungslos, ohne weitere Erklärungen, in die Ferien entlassen worden. Damals hatte Ilona noch gedacht, dass Harry Potter bei den Gefahren, die er in seiner Jugendzeit laufend hatte durchleben müssen, eben etwas paranoid geworden war… Das tat ihrer Schwärmerei keinen Abbruch. Aber dass der Junge, der überlebte, mit seiner Vermutung tatsächlich Recht hatte. Das hätte sich die Hufflepuff nie und nimmer vorstellen können. Nun stand der lebende Beweis dafür, dass Harry die Wahrheit gesagt hatte, jedoch direkt vor ihr. Und lächelte die Hufflepuff kalt an. Sodass dem Mädchen mit einem Mal unwiderruflich klar wurde, dass es das jetzt war. Dass er jetzt töten würde. „Ich fürchte, dass Sie zu viel wissen, Miss Una“, begann Lord Voldemort andächtig. Der Zauberstab des dunklen Lords war mit einem Mal wieder auf die am Boden Liegende gerichtet. Ilona blieb nicht einmal mehr Zeit, die Augen zu schließen. „CRUCIO!“ Dumpfer Schmerz kroch erneut in dem Mädchen hoch und machte sie stumm, taub und blind. Aber das war nicht so schlimm, versuchte die junge Frau sich einzureden, während sich ihr Rückgrat gefährlich nach oben bog und sie wegen der großen, stetig immer mehr werdenden Qual bereits Sterne in ihrem Sichtfeld aufblinken sah. Es war nicht so schlimm… Es war ..nicht. so… schlimmmmm… Sie war noch nicht tot, warum war sie noch nicht tot? Warum quälte er sie, warum ließ er sie nicht einfach gehen, warum? Aber es war ja… Doch, war es. Denn Tom Riddle dachte dieses Mal nicht daran, aufzuhören. Und so zerfaserten sich die Muskelfasern der Hufflepuff unter schrecklichen Schmerzen qualvoll langsam. Es war, als würde man sich selbst zusehen, wie die Flammen am Scheiterhaufen empor leckten und immer mehr von sich selbst zu brennen anfing, immer mehr… Bis man selbst brannte, im Ganzen und ewig und die Pein einem die Seele zerriss… Und Ilona schrie nicht. Wenn auch ihr Körper verging, vielmehr nur mehr eine klägliche Hülle zu sein schien, die aus nichts als Asche bestand. Wenn auch ihr Gehirn sich verflüssigte und jeden einzelnen, je gedachten Gedanken hervor spie, ohne Sinn und Vernunft… Da gab es etwas in dem Geist der Schülerin, das unzerbrechlich war. Jedenfalls glaubte das Mädchen dies. Und deswegen schrie sie nicht. Auch wenn die Hölle nichts dagegen schien, nichts und gar nichts und wieder nichts… Und dann hörte es auf. Es hörte tatsächlich auf. Mit einem abrupten Zischen waren die Qualen wieder wie weggewischt. Tonlos öffnete Ilona ihren Mund. Und schloss ihn wieder. Obwohl der Fluch von ihr genommen worden war, zuckten die Gliedmaßen des Mädchens immer noch wie wild hin und her, ohne bestimmtes Ziel oder eine angepeilte Richtung. Ihre Haut war unter dem enormen Druck aufgeplatzt. Zahlreiche, blutrote Striemen hatten sich auf dem Körper der jungen Frau breit gemacht, so als hätte etwas gewaltsam versucht, aus ihr herauszubrechen… Ihre Seele, wahrscheinlich. Denn Ilona war tot. Anders konnten die Schmerzen nicht zu erklären sein. Anders konnte es nicht gehen. Nein. Nur am Rande nahm die Blonde schließlich wahr, dass ein Schatten stetig ihr Gesicht verdunkelte. Ein Schatten, dessen Konturen verblüffende Ähnlichkeit mit Tom Riddle hatten. Tom hatte sich tief zu der schwer Malträtierten herab gebeugt und betrachtete das Mädchen nun mit unstillbarer Wut. Was ärgerte ihn an der Kleinen bloß so? Die Antwort wusste der junge Mann selbst nach langem und angestrengtem Nachdenken nicht. Der Dunkle Lord war einfach nur so unheimlich zornig. So unheimlich zornig! Es war so lächerlich. Ein Halb Grindeloh starb zu seinen Füßen. Na und? Aber es beschäftigte den jungen Mann so sehr. So sehr, dass unbedingt noch gefragt werden musste… Nein. Ein Lord Voldemort fragte nicht. Ein Lord Voldemort wusste. Schließlich ließ er sich aber dennoch herab, ein paar Hohn triefende Wörter der Sterbenden entgegen zu schleudern: „Schade, dass Sie nicht geschrien haben.“ Das war eine Frage. Eine indirekt gestellte, letzte Frage. Aber Miss Una war sicher zu schwach, um zu antworten, viel zu schwach und unrein und verrückt und Und zu seiner größten Verwunderung, ja, zu größtem Schock und Unglauben seinerseits breitete sich auf dem leichenblassen Gesicht der jungen Frau plötzlich ein Lächeln aus. Bevor Tom Riddle reagieren, auch nur den Zauberstab heben konnte, hatte sie mit letzter Kraft die linke Hand gehoben und sie sachte an seine rechte Wange gelegt. Ilona flüsterte: „Wissen Sie, Tom. Ich War Noch nie Ein Guter Verlierer.“ Und dann zwinkerte ihm dieses unverschämte Weibsstück auch noch zu! Toms Wangen brannten plötzlich. Der Slytherin entriss sich mit Leichtigkeit dem mit einem Mal Tonnen wiegenden Griff der Sterbenden und wich schwer atmend zurück. Er durfte nicht denken, er durfte jetzt nur JA NICHT denken… Töte sie! Töte sie! Töte sie! Töte…! Er richtete den Zauberstab direkt auf das Herz des Mädchens. Sie richtete ihren unvorstellbar dunklen, unvergesslichen, verdammenswerten, ganz eigenen, grässlichen Blick auf ihn. Lord Voldemort verlor sich nicht in solchen unermesslichen Tiefen. Lord Voldemort. Lord Voldemort war tot. Aber sein jüngeres Abbild war zurückgekehrt. Und Tom ließ das Feuer los. Kapitel 12: In Gefangenschaft: Gentleman ---------------------------------------- Der Himmel fühlte sich erschreckend schmerzhaft an. Ilona musste heftig die Zähne zusammen beißen, um nicht einfach laut loszuschreien. Splitter. Ihr ganzer Körper, nein, vielmehr ihr ganzes Sein schien plötzlich nur mehr aus rasiermesserscharfen, schmerzhaften Splittern zu bestehen. Von Seligkeit und Erlösung konnte da wirklich keine Rede sein. Aber vielleicht war das ja nur der seelenreinigende Übergang zwischen Himmel und Erde? Vielleicht war es ja gleich vorbei? Nur mit Mühe schaffte es das Mädchen, seine Augen zu öffnen. Über ihr erstreckte sich scheinbar endlos ein Baldachin in Flaschengrün. Genauer gesagt, Smaragdgrün. Bekanntes Grün. Bereits schon irgendwo gesehenes Grün. Schlangengrün. Besorgt runzelte die junge Frau die Stirn. Grün? Seit wann war der Himmel denn grün? Irgendwie hatte sie ihn sich immer blau vorgestellt… Oder war ihre Vorstellung eines Elysiums vollkommen unzeitgemäß? Das konnte natürlich auch der Fall sein... Nachdenklich legte das Mädchen den Kopf schief. Immerhin hatten Adam und Eva auch in einem bestimmt grünen Garten gelebt… Zusammen mit der Schlange. Und mit einem Mal, ganz plötzlich und unerwartet, beschlich die Blonde eine böse Ahnung. Eine ganz, ganz böse Ahnung. Am liebsten hätte sie sich, sobald sie dieser schreckliche Gedanke befiel, zurück in das weiche Kissen fallen lassen und einfach nur versteckt. Versteckt vor der Wahrheit, die plötzlich selbstgefällig auf sie herab grinste. Denn das Bett. Das Bett in dem sie lag. Diese steifen Laken, diese kalte Decke, dieser unbequeme Polster kamen ihr mit einem Mal so unheimlich bekannt (und ganz und gar nicht himmlisch!) vor. Die Schlafstätte von Du weißt schon wer war ja auch ganz in Grün gehalten gewesen, oder? Ilona schauderte. Aber Aber sie wollte jetzt keine Angst haben. Nicht mehr. Denn eines stand fest: Das Mädchen konnte sich blitzartig einer plötzlich auftretenden Neugier, die sie von derlei unangenehmen Gefühlen wie Furcht um ihr Leben ablenkte, nicht mehr erwehren. Ablenkung war schließlich alles. Und konnte das sein? Konnte sie sich theoretisch wirklich noch des Lebens erfreuen? Das klang zu schön, um wahr zu sein. Definitiv. Der dunkle Lord hatte sie doch umgebracht? Oder? Dank gewaltiger Kraftanstrengungen war es der jungen Frau schließlich möglich, sich quälend langsam auf den weißen Laken aufzusetzen. Innerlich hatte sie bereits gleichzeitig ein inbrünstiges Gebet angestimmt. Bitte lass mich wieder in Hogwarts sein. Bitte lass das alles nur ein Traum gewesen sein. Bitte lass die Schmerzen überall nur Einbildung sein. Bitte lass… Oder besser noch. Die Hufflepuff verharrte einen Augenblick. Bitte lass ihn verschwunden sein. Bitte lass ihn einfach weg sein. Bitte lass das alles nur Einbildung gewesen sein. Bitte lass ihn … Aber es nützte nichts. Mit resignierendem Blick sah Ilona sich um. Das durfte nicht wahr sein. Das durfte doch wirklich einfach nicht wahr sein. Der junge Lord Voldemort betrachtete sie kühl vom einzigen Stuhl im altbekannten Zimmer aus. Einen verwirrten Moment lang fragte Ilona sich, ob sie nicht doch gestorben war, aber in der Hölle gelandet war. Immerhin, die altbekannte Umgebung und die unmenschlichen Qualen, von denen ihr Körper gerade regelmäßig in kleinen Donnerwettern heimsucht wurde, passten tadellos ins Bild. Hatte sie sich zu Lebzeiten etwa so daneben benommen? Eigentlich hatte die Schülerin ja gedacht, dass sie eine von denen gewesen war, die sich auf Erden nichts Gravierendes zuschulden hatten kommen lassen. Sie war doch immer brav gewesen? Aber so konnte man sich anscheinend täuschen. Probeweise holte die Blonde tief Luft. Akribisch tastete die Hufflepuff mit Hilfe der Geruchssensoren in ihrer Nase den eingeatmeten Sauerstoff auf irgendwelche Anzeichen nach Schwefel oder sonstigem, pestilenzartigen Geruch ab. Aber da war nichts Ungewöhnliches zu erschnuppern. In der Kammer Lord Voldemort roch es nur so, wie es schon immer gerochen hatte. Nach Pergament. Nach Staub. Und nach Schlangen. „Du hast dich ziemlich schell erholt“, erscholl plötzlich eine eisige Stimme aus dem gegenüberliegenden Eck des Zimmers. Und damit waren Ilonas Hoffnungen endgültig begraben. Dieser abgrundtief böse Ton war nicht einmal in der Hölle zu finden. Er war nur einem einzigen Menschen vorbehalten. Und der lebte noch. Beziehungsweise wieder. Wie sie. Noch IMMER. Die Gedanken im Kopf der Blonden schlugen Purzelbäume. Was konnte Lord Voldemort denn nur von einer unwichtigen Hogwarts Schülerin wie sie derart Lebensnotwendiges wollen, dass er sie partout nicht sterben ließ? Was hatte Tom Riddle denn Hirnrissiges vor, wobei er anscheinend so dringend die Hilfe eines Halb Grindelohs benötigte? Ohne einen Laut von sich zu geben, vergrub die junge Frau den Kopf in beiden Händen. Unfreiwillig neugierig verengte Lord Voldemort seine Augen zu Schlitzen. Hatte die Kleine etwa vor, hier vor seinen Augen den Verstand zu verlieren? Das wäre definitiv amüsant. Und enttäuschend. Sollte der letzte Crucius Fluch das Mädchen wirklich alle noch vorhandenen Nerven gekostet haben? Instinktiv verneinte der dunkle Lord diese Frage. So schnell ließ sich ein Halb Grindeloh nicht ins Bockshorn jagen. Das hatte er inzwischen schon am eigenen Leib erfahren müssen. Und deshalb wartete er. Wenn Tom Riddle wollte, konnte er der geduldigste Mensch auf Erden sein. Wie gesagt. Wenn er wollte… Gespannte Stille machte sich im Raum breit. Zumindest solange, bis Ilonas Antlitz mit einem Mal wieder in die Senkrechte hochschoss. Finster fixierte sie den dunklen Lord. Und erst nach einer halben Ewigkeit begann das Mädchen wieder zu sprechen. „Dürfte ich wohl kurz Ihr Bad benutzen?“, fragte es höflich. Tom starrte sie an. Nach einem kurzen Moment jedoch, in dem etliche, schmerzliche Tötungsarten von ihm nur für dieses kleine Biest erdacht und gleich darauf wieder verworfen worden waren, hatte sich der junge Mann wieder gefangen und nickte kurz. „Erste Tür links“, fügte er seiner stillen Zusage noch als prägnante Wegbeschreibung hinzu, bevor er sich scheinbar interessiert wieder der aufgeschlagenen Zeitung in seinen Händen widmete. „Danke“, entgegnete Ilona, in einem schwachen Versuch, freundlich zu sein. Aber wozu eigentlich?, fragte das Mädchen sich einen Moment später selbst kopfschüttelnd. Warum war sie trotz allem noch nett zu dem Monster? Sie sollte ihm gefälligst nur das Schlechteste an den Hals wünschen. So wie Rose es höchstwahrscheinlich getan hätte, wenn sie von dem dunkelsten Magier aller Zeiten gefangen genommen worden wäre. Rose. Die Hufflepuff musste schlucken. Wie sehr sie den störrischen Rotschopf nur vermisste… Wenn die Weasley hier gewesen wäre, hätte Lord Voldemort nichts zu lachen gehabt, oh ja… Schwermütig versuchte Ilona, sich aus der um sie gewickelten Bettdecke zu kämpfen und danach, nach gewonnener Schlacht gegen die besitzergreifende Seide, sich sogleich vorsichtig aus der Schlafstätte zu erheben. Bei diesem einen Versuch sollte es aber auch bleiben. Als sich das Mädchen mit beiden Händen an der Bettkante abstützen und sich aufrichten wollte, explodierte der Schmerz in scheinbar jedem ihrer zersplitterten Knochen. Sie stieß einen lautlosen Schrei aus und fiel vornüber. Schon sah die junge Frau sich selbst Bekanntschaft mit dem äußerst harten Boden schließen. Wenn da nicht sofort jemand zur Stelle gewesen wäre, der überraschenderweise bereit gestanden und, noch unvorstellbarer!, die Kleine rechtzeitig aufgefangen hatte, bevor sie unsanft auf dem Parkett unter ihr gelandet wäre... Ein gewisser, dunkelhaariger, gemeingefährlicher Jemand war das gewesen. Ein unvorstellbar selbstgerechter, von sich selbst überzeugter, nun nicht mehr Zeitung lesender Jemand. Spätestens jetzt war sich das Mädchen sicher, dass es träumte. Und das Schlimmste dabei war, dass es sich zweifellos um einen kranken, perversen Traum handelte, in dem sie sich jetzt auch noch einbildete, dass der dunkle Lord sie behutsam aufrichtete und verhältnismäßig sanft auf ihre zwei Beine stellte. Verwundert musterte Ilona den jungen Mann, der noch immer beide eiskalten Hände leicht um ihre schmalen Schultern gelegt hatte. Was war denn das jetzt bitte gewesen? Diese Frage hätte ihm das Mädchen nur allzu gerne gestellt. Aber irgendwie traute sie sich plötzlich nicht. Die Schülerin konnte den dunklen Lord nur ansehen. Und ihre Gedanken ratterten. Was? Wie? Warum? Doch sie würde keine zufriedenstellenden Antworten bekommen. Noch nicht. So als hätte er ihren unwillkommenen, verwirrten Blick auf seiner weißen Haut gespürt, ließ Tom die Blonde plötzlich abrupt los. Lord Voldemort legte all seine Verachtung und seinen Hass in den nächsten Satz, den er zischelnd und einem ungenießbaren Schluck Wein gleich angewidert ausspuckte: „Das war eine einmalige Angelegenheit, Miss Una! Ich hoffe, Ihnen ist bewusst…“ Aber Ilona hörte gar nicht hin. Sie musterte ihn einfach nur prüfend aus unergründlich schwarzen Knopfaugen. Da konnte der böse Lord ihr erzählen, was er wollte. Er blieb ja trotzdem weiterhin vor ihr stehen und schien offensichtlich bereit, sofort nach vorn zu springen und die Schwächelnde aufzufangen, wenn sein Gegenüber erneut das Gleichgewicht verlieren sollte. Allein die bloße Vorstellung einer solchen Szene erschien der Ungläubigen so lächerlich! Dabei Die Folgen des Cruciatus Fluches übermannten die junge Frau mit einem Mal wieder und ihr wurde schwarz vor Augen. Sie fiel. Und sie wurde wieder gerade noch rechtzeitig aufgefangen. Erneut. Es war nicht so, als hätte die Hufflepuff beabsichtigt, SCHON WIEDER hilflos in den Armen des Todfeindes eines jeden anständigen Zauberers zu liegen. Aber ihre Beine waren noch nicht vollständig verheilt und fühlten sich dementsprechend wie instabiler Wackelpudding an. Und so schrecklich und unpassend das auch klang (und Ilona es im Nachhinein hartnäckig auf ihren damaligen, labilen Geisteszustand schieben wollte). Eines stand fest. Es fühlte sich nicht halb so unangenehm an, wie es sich anhörte, von dem jungen Voldemort gehalten zu werden. Er hatte einen anschmiegsamen Körper. Nicht gutaussehend! Nicht bewundernswert! Auf keinen Fall! Aber weich. Wunderbar weich… Und als wäre das noch nicht besorgniserregend genug, stockte den beiden plötzlich gleichzeitig einen winzigen Moment lang aus unbekannten Gründen das Herz, als sie sich nun misstrauisch in die Augen sahen. Lord Voldemort, der auf der Höhe seiner Kräfte war, konnte dies ohne weitere (sichtbare) Schäden verkraften und den unregelmäßigen Tango, den sein Herz auf einmal anzuschlagen schien, sogleich wieder als Zufall abtun. So wie er diese eben getätigte, idiotische Handlung, seine Geisel nicht einmal, sondern gleich zweimal aufzufangen, bevor sie sprichwörterlich den Boden küsste, als Reflex abtat. Ein nachvollziehbarer Reflex, übrigens. Der Halb Grindeloh durfte nämlich einfach nicht noch mehr in Mitleidenschaft gezogen werden, weil ansonsten… Weiter war der junge Mann mit seiner logischen Begründung noch nicht gekommen. Aber das würde schon noch werden. Das würde alles schon noch kommen, da war er sich sicher. Und bis dahin Ilona indessen war vor Schmerzen ohnmächtig geworden. Das letzte, was das Mädchen unter ihren flatternden Lidern noch wahrnahm, bevor sie erneut in selige Dunkelheit versank, waren die vielen, grünen Punkte, die plötzlich viel zu nah um ihr Gesicht herum schwebten. Viel zu nah. Das nächste, was Ilona wahrnahm, war der Regen. Einen wunderbaren Moment lang hatte die junge Frau alles vergessen und erfreute sich einfach nur der zahlreichen, warmen Wassertropfen, die einer entspannenden Dusche gleich auf sie hinab strömten und... Moment mal. Dusche? Das Mädchen riss die Augen auf. Tatsächlich. Sie fand sich tatsächlich gegen eine silber-grün gefärbte Kachelwand gelehnt und zusammengekauert wieder. In einer Dusche. Oder besser gesagt, in einem zur Dusche umfunktionierten Wolkenbruch. Der Hufflepuff klappte der Mund auf. Das stellte sich aber schnell als keine allzu gute Idee heraus, da ihre Mundhöhle daraufhin nur allzu bald mit kochend heißem Wasser, das aus der Gewitterwolke über ihr in Strömen herabfloss, gefüllt war. Instinktiv prustete und spuckte die Blonde solange, bis ihre Atemwege wieder frei waren. „Miss Una! Können Sie jetzt nicht einmal mehr ohne Hilfe atmen?“ Neben ihr war plötzlich eine im Wasserdampf vorerst noch verschwommene, bald jedoch allzu erkennbare und bekannte Gestalt aufgetaucht. Sie hatte die Arme verschränkt und funkelte die junge Frau missbilligend an. Als hätte sich die Hufflepuff an diesem Tag aber noch nicht genug gewundert, nein, bevor sie sich überhaupt erst wieder hatte richtig fassen können, streckte Tom Riddle plötzlich einen langen Arm durch den Dunst, der ihn von seiner Gefangenen trennte, hindurch und hielt der Sprachlosen kommentarlos ein dunkelgrünes Handtuch hin. Das Wasserprasseln verging. Abwechselnd starrte das Mädchen das dargebotene Tuch und die über ihr rasant immer kleiner werdende Gewitterwolke fassungslos an. Dann, als wäre ihr plötzlich etwas Wichtiges eingefallen, senkte die Kleine den Blick blitzschnell auf sich selbst herab. Stumm musterte sie ihre vollkommen durchnässte Uniform. Schließlich blickte Ilona wieder zu dem jungen Mann auf und fragte betont ernst: „Duschen Sie denn eigentlich auch immer vollständig bekleidet, Mister Riddle?“ Für diese Bemerkung hatte der dunkle Lord nicht mehr als ein missbilligendes Stirnrunzeln übrig. „Haben Sie wirklich erwartet, dass ich Sie ausziehe?“, entgegnete er betont gleichgültig und warf der im hintersten Eck seines Badezimmers Sitzenden dabei wendig das Handtuch zu. Diese fing die Abtrockmöglichkeit mindestens genauso geschickt auf. Statt das Tuch jedoch zu benutzen, betrachtete sie Lord Voldemort weiterhin tatenlos mit großen Augen. Schließlich bekannte die junge Frau extrem langsam, so als müsste sie für jede Silbe angestrengt nachdenken: „Ach ja. Sie sind ja ein Mann… Das hatte ich ganz vergessen.“ „Na herzlichen Dank“, knurrte der Geschmähte. Im nächsten Moment hatte der letzte Nachfahre Salazar Slytherins jedoch seine vollendeten, wenn auch etwas eingestaubten Manieren wieder gefunden und half der noch immer tropfnassen Blonden galant, aufzustehen. Dabei konnte das Mädchen nicht umhin zu bemerken, dass die helfende Hand Lord Voldemorts (welch ein Oxymoron!) mit dieser himmlisch samtenen Haut vielleicht einen Hauch länger als nötig um ihr Handgelenk geschlungen blieb… Aber das bildete sie sich bestimmt nur ein. Ilona war wahrscheinlich einfach nur verrückt geworden. Genau das musste es sein. Denn eine geistig nicht vollkommen umnachtete Person musste es doch mit allen Sinnen ablehnen, wenn das Böse selbst Hand an einen legte? Oder? „Die Dusche war Ihnen doch nicht unwillkommen?“, wollte der dunkle Lord wie nebenbei wissen, während er gemächlich seinen Zauberstab zog und auf die neben ihm Stehende richtete. Sofort versteifte Ilona sich. Doch der junge Mann tat nichts anderes, als einen föhnartigen Passatwind heraufzubeschwören, der das Mädchen innerhalb von Sekunden trocknete. Langsam entspannte die junge Frau sich. „Ganz und gar nicht“, antwortete sie mit einem Lächeln. „Da waren die zahlreichen Cruciatus und der Feuerfluch um ein Vieles unangenehmer.“ Ah. Es gab nur wenige Personen, die wie eine waschechte Hufflepuff die Kunst beherrschten, einfach immer die Wahrheit zu sagen. Auch in den ungünstigsten Momenten. Sofort blitzten die dunklen Pupillen ihres Gegenübers rot auf. Trotz der dräuenden Gefahr jedoch beschloss die Schülerin im folgenden, spannungsgeladenen Moment kurzerhand und aus einem dringenden Impuls heraus, weiterhin alle Karten auf den Tisch zu legen. Sie fragte mit halblauter Stimme: „Warum denn der plötzliche Sinneswandel, Mr. Riddle?“ Einen Augenblick lang funkelte es noch beunruhigend hell in den Augen des jungen Mannes. Im nächsten Moment jedoch schien er sich wieder beruhigt zu haben. Der Schwarzmagier brachte sogar ein falsches Lächeln zustande, als er nach langer Stille schließlich mit abgewandtem Gesicht antwortete: „Danken Sie einfach dem Himmel dafür, dass ich Sie verschone. Und fragen Sie verdammt noch einmal nicht so viel nach, Miss Una.“ „Tut mir leid, Sir, aber damit kann ich mich nicht zufrieden geben“, flüsterte die Hufflepuff sofort. Dieses Mal, nur dieses EINE Mal, hätte sie vielleicht den Mund halten können. Aber nichts da. Sie war eben eine Dächsin. Und die legten sich in ihrer Naivität gerne mit dem König der Schlangen persönlich an. Bevor noch die letzte Silbe auf ihren Lippen verklungen war, war Ilona gegen die Kachelwand hinter ihr geschleudert worden. Alle Luft wurde ihr brutal aus beiden Lungen gepresst. Luft, die sie, besonders in ihrem derzeitigen, geschwächten Zustand, besonders bitter nötig hatte. Doch das kümmerte Tom nicht. Links und rechts von dem Kopf des blonden Grindeloh rammte er beide Fäuste in die Wand und ließ ihm somit keine Fluchtmöglichkeit. Dieses Mal würde sie ihm nicht entkommen. Dieses Mal würde sie nicht einfach ohnmächtig werden! Er erlaubte es schlicht einfach nicht! Der Erbe Slytherins beugte den Kopf blitzartig herab. Das Gesicht des jungen Mannes war mit einem Mal dem der Schülerin gefährlich nahe. Das Antlitz des Schwarzmagiers schien jedoch trotz seines Wutanfalls erstaunlich unbewegt. Nur die Augen. Die Augen verrieten den dunklen Lord. Tausende, grüne Punkte waren plötzlich um seine Pupille aufgeflammt und führten einen wahrhaft wilden Tanz vor Ilonas Nase aus. Natürlich hatte das Mädchen da Angst. Ganz gehörig sogar. Aber etwas schien anders. Dieses Mal fürchtete sie irgendwie nicht mehr um ihr Leben. Obwohl der schwärzeste Zauberer aller Zeiten vor ihr stand. Und stinkwütend auf sie war. Er würde sie nicht töten. Das wusste Ilona. Irgendwie. Ob es die Erkenntnis war, dass Lord Voldemort sie noch immer nicht umgebracht hatte, obwohl ihm schon so viele Chancen geboten worden waren? Das Gehirn der 16- Jährigen schien sich mit einem Mal schmerzhaft zu verknoten. Und warum hatte er sie überhaupt aufgefangen? Und das zweimal?, fragte sie sich plötzlich verzweifelt. Er hätte sie doch einfach auf den Boden fallen lassen sollen! So wie es jeder anständige Bösewicht getan hätte! Warum dann er nicht? Ja, warum hatte Tom das nicht getan? Die junge Frau war so in diese brennenden Fragen vertieft, dass sie die bedrohlich leise Stimme Voldemorts nahe ihrem Ohr nur am Rande wahrnahm. „Du hast mir zu gehorchen, Una! Sofort und ohne Widerworte!“, fauchte der Unbelehrbare und versuchte gleichzeitig angestrengt, den ausschweifenden Blick seiner Geisel mit seinen unbarmherzig rubinrot leuchtenden Augen aufzufangen. Sie sollte aus Angst vor ihm erzittern! Sie sollte… Doch das einzige, das er für seine furchteinflößende Miene bekam, war kein Zittern. Kein Erschaudern. Nicht einmal ein Augenverdrehen! Nur ein halbherziges Nicken. Ein schlichtes, abwesendes Nicken. Als wäre er nicht mehr wert! Am liebsten hätte Tom vor Wut das ganze Haus in die Luft gejagt. Aber das wäre schlussendlich nur zu seinem Nachteil gewesen. Also wollte der dunkle Lord diesen unwürdigen Dreck vor sich nur erneut vor Zorn innerlich bebend anfahren, da lächelte Ilona ihn plötzlich leicht an. „Ich hab schon verstanden!“, versicherte sie ihm dabei mit freundlicher Stimme. „Sie brauchen nicht zu schreien!“ Kam es dem jungen Mann nur so vor oder schienen ihre dunklen Augen plötzlich wirklich hypnotisierende Wirkung auf ihn zu haben? Mit einem Mal hatte Tom das unbehagliche Gefühl, als würde sein versteinertes Herz sich auf eine turbulente Reise in seine Magengrube aufmachen. Verwirrt wich der junge Mann zurück. Unsicher streckte er seine rechte Hand nach dem Zauberstab in seiner linken Hosentasche aus. War das etwa ein Zauber? Ein schrecklicher Fluch, der seine Organe in solch ungesunden Aufruhr versetzte? Hatte der Grindeloh es tatsächlich geschafft, ihn, den mächtigsten Magier der Welt, unbemerkt mit einem Bann zu belegen? Erst die unsichere Stimme der jungen Frau vor ihm ließ Lord Voldemort schließlich wieder aus seinen abstrusen Verschwörungstheorien auftauchen. „Ich will ja nicht unhöflich sein“, begann die Hufflepuff nervös und rieb sich dabei mit beiden Händen den Bauch. „Aber wenn Sie mich in absehbarer Zeit nicht töten wollen, könnten Sie mir dann bitte etwas zu essen geben? Ich sterbe vor Hunger!“ Kapitel 13: In Gefangenschaft: Dinner for Two --------------------------------------------- Bis jetzt hatte Ilona von ihrem Gefängnis nur sehr wenig gesehen. Und nun, als die junge Frau von einem überraschend zuvorkommenden Lord Voldemort schweigend aus dem Bad geleitet wurde, fiel ihr beinahe zu spät ein, sich noch einmal umzudrehen und im Waschraum gründlich umzusehen. Für den Fall der Fälle. Falls sich nirgends sonst ein Fluchtweg auftat. Die Hufflepuff konnte dabei nicht umhin zu bemerken, dass dem dunklen Lord anscheinend nur exakt drei Farben bekannt waren: Nämlich Braun, Silber und Grün. Dementsprechend düster wirkte auch die Einrichtung im Badezimmer. Wobei diese schlichten vier, mit Kacheln bedeckte Wände den Ausdruck „Bad“ eigentlich gar nicht verdient hatten. So viel die Hufflepuff in der Schnelle ausmachen konnte, stand in einer hinteren Ecke nur noch ein großer Holzzuber, und gleich gegenüber nahm ein riesiger Spiegel beinahe die ganze Wand ein. Ansonsten herrschte nur deprimierende, gähnende Leere. „Folgen Sie mir heute noch, Miss?“, kam es genervt von vorne. Hastig drehte die Blonde sich um und bemühte sich, so schnell wie möglich über die Schwelle in den Gang hinaus zu treten. Ein bereits sehr ungeduldiger Tom Riddle mit verschränkten Armen erwartete sie dort schon und schnalzte missbilligend mit der Zunge, als er sie nun endlich wieder zu Gesicht bekam. Riddle schien ihre Behäbigkeit aber nicht Investigationsgründen zuzuschieben. Vielmehr vermutete der junge Mann wohl, dass die Folgeschmerzen des Cruciatus in ihren Beinen und überall sonst sie noch erheblich belasteten, und ihre Bewegungsfreiheit somit sehr eingeschränkt war. Was ja eigentlich auch stimmte, wie Ilona nun mit jedem Schritt auf schmerzhafte Weise erfahren musste. Erneut musste das Mädchen aber, trotz der Pein, die in ihren Gliedmaßen bei jeder Bewegung aufflammte, mit missbilligend verzogener Miene feststellen, dass es in dem Gang, den es nun betrat, ebenfalls ähnlich trist aussah wie im Badezimmer zuvor. Nur herrschte hier dunkles Eichenholz vor und kaum mehr ein Hauch von Silber oder Grün war noch auszumachen. Die Blonde konnte nur schwer der Versuchung widerstehen, verständnislos den Kopf zu schütteln. Wo zum Teufel befand sie sich denn hier? Das war ja nicht auszuhalten! Überall nur diese schrecklich kalten Farben…Und zu allem Übel war weit und breit nicht einmal ein einzelner Lichtschimmer in dieser schummrigen Dämmerung, die hier nie zu vergehen schien, zu sehen. Obwohl es später Nachmittag sein und die Sonne noch etwas scheinen müsste, waren die Vorhänge vor den großen, verstaubten Fenstern allesamt zugezogen worden, scheinbar um nur ja nicht etwas Helligkeit und Heiterkeit in diese Düsternis einzulassen. Die Stimmung hier war wirklich bedrückend… Und die Farbe der Vorhänge? Ilona verdrehte die Augen. Was für eine Frage… Grün natürlich. Grün, verziert mit silbernen Borten… Lord Voldemort seufzte einmal leise auf und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Hufflepuff wieder auf ihn selbst zurück. Der Magier machte sich doch nicht über irgendetwas Sorgen? Neugierig blieb Ilona stehen. Sollte sie vielleicht ein paar tröstende Worte…? Aber der Gedanke war doch lächerlich. Worüber sollte sich der mächtigste Zauberer der Welt denn Sorgen machen? … Und wie zum Teufel kam sie überhaupt auf den Gedanken, ihn TRÖSTEN zu wollen? Wo sie doch nicht einmal wusste, was ihn denn bedrückte? Ilonas Hirn lief bei diesen verwirrenden und kaum zu beantwortenden Fragen bereits wieder Gefahr, sich schmerzhaft zu verknoten. Bevor es aber tatsächlich so weit kommen konnte, schüttelte das Mädchen kurz entschlossen den Kopf. Es war sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was einem dunklen Lord Sorgen machte oder nicht, versuchte sie sich selbst glaubhaft einzureden. So sinnlos. Genau… Lässig hob der Schwarzmagier plötzlich den flink hervorgeholten Zauberstab und richtete ihn auf die unsicher mitten auf dem Korridor Stehende. Und bevor Ilona etwas sagen, ja, bevor sie überhaupt einen richtigen Gedanken fassen konnte, befiel die junge Frau ein allumfassendes Gefühl der Taubheit und sie begann zu schweben. Sehr schnell zu schweben. Sie flog mit erschreckender Geschwindigkeit den finsteren Korridor entlang und hatte Lord Voldemort bald eingeholt, der ihr mit einer spöttischen Verbeugung bereits die Tür zum Schlafzimmer aufhielt. So mussten sich Roboter fühlen, dachte das Mädchen panisch, während es dem unausgesprochenen Befehl des dunklen Lords, in die Kammer einzutreten, pardon, einzufliegen, sofort und ohne die Möglichkeit zur Widerrede folgen musste. Die Hufflepuff fühlte sich wie von einer unsichtbaren Fernbedienung gesteuert. Ein sehr unschönes Gefühl. Zumal Tom Riddle die Fernbedienung in der Hand hielt. Mit einer kurzen Bewegung seiner Zauberstabhand erlaubte der junge Mann Ilona schließlich, auf den einzigen Stuhl im Raum zu landen. Mit einem weiteren, unauffälligen Schnipsen wurde der Zauber gleich darauf gänzlich von dem Mädchen genommen. Überraschenderweise waren mit dem Fluch auch alle Gliederschmerzen der Erschöpften vergangen. Die Schülerin entließ unabsichtlich einen lauten, befreiten Seufzer. Das war… Absicht gewesen? Sie von ihren Schmerzen, die der Cruciatus Fluch nach sich zog, zu befreien? Falls ja, dann… Solche Zuvorkommenheit hätte sie dem Schwarzmagier gar nicht zugetraut… Himmel hilf! „Ich darf doch?“ Mit einem abrupten Ruck wurde die junge Frau nach vorne gerissen. Ihr Stuhl fuhr mit atemberaubender Geschwindigkeit genau auf den Tisch zu. Erst Millimeter vor dem stabilen Holz (so kam es der Hufflepuff jedenfalls vor) machte die zu einem Rollstuhl umfunktionierte Sitzgelegenheit Halt. Erleichtert atmete Ilona aus. Und hielt einen Moment später gleich wieder die Luft an. Vor ihr spielte sich auf dem plötzlich aufpolierten Holztisch wahrhafte Akrobatik ab. Besteckakrobatik, um genau zu sein. Zwei vollständige Garnituren alten Silbergeschirrs tanzten fröhlich genau vor ihrer Nase herum. Alles war dabei in erfrischender Hektik begriffen, da jede Dessertgabel, jeder Suppenlöffel und auch alles andere an Tafelgedeck unbedingt als Erster seinen angestammten Platz auf dem Tisch erreichen wollte. Das Mädchen betrachtete mit großen Augen das sich ihr bietende Schauspiel. Wie sich das vernachlässigte Tischtuch anscheinend von Zauberhand selbst reinigte und einige dunkelgrüne Kerzen flugs über dem Kopf der Schülerin von unsichtbarer Hand angezündet wurden, um nur Sekunden später zu beginnen, sanftes Licht zu verbreiten… Das war Zauberei. Wunderbare, wunderschöne Zauberei. Unglaublich, dass gerade Lord Voldemort solcherlei Magie beherrschte. Wirklich. Unglaublich. Schließlich hatte sich das gesamte Tafelbesteck zusammengefunden und direkt vor Ilona Spalier bezogen. Selbst die Teller hatten sich die Mühe gemacht und präsentierten sich nun stolz von ihrer Schokoladen, will heißen, stehenden Seite. Begeistert begann die Hufflepuff zu klatschen. Jedes Messer, jeder Löffel und jede Gabel verbeugte sich elegant. „Eine kleine Spielerei, nichts weiter.“ Ihr gegenüber hatte inzwischen Tom Riddle schwungvoll auf einem eben selbst gezeichneten Stuhl Platz genommen. Der junge Mann versuchte dabei krampfhaft, seine Zufriedenheit mit diesem gelungenen Zauber zu verbergen, aber Ilona war sich sicher, in seinen dunklen Augen einen stolzen Schimmer aufblitzen zu sehen. „Eine Art abgeschwächter Willenszauber, der im Grunde auch demjenigen gleicht, der mich soeben zu einer fliegenden Puppe degradiert hat, nehme ich an?“, wollte die Schülerin ehrlich interessiert wissen, während neben ihr wie aus dem Nichts eine volle Flasche erschien und in das sich sofort erhebende Glas neben ihr eine undefinierbare, rote Flüssigkeit einzuschenken begann. „Gut erkannt. Ein Imperius Fluch für Gabeln, wenn man es so nennen will.“ Lord Voldemort verschränkte beide Hände und legte scheinbar entspannt das Kinn auf die verschlungenen Finger. Prüfend musterte er die ihm gegenüber sitzende, junge Frau, die gerade begeistert dabei zusah, wie sich zu ihrer Unterhaltung der Pfeffer und Salzstreuer mit Zahnstochern zu duellieren begannen. „Das Essen wird gleich kommen- ich habe Matilda entsprechende Anweisungen gegeben“, ließ er sich schließlich herab, Konversation mit der Blonden zu betreiben. Seine Worte waren wohlgewählt: Ilonas Neugier wurde sofort geweckt. „Matilda?“ Fragend sah sie zu ihrem Gegenüber auf. „Sie leben gar nicht alleine hier, Mister Riddle?“ Unwillkürlich hatte ihre Stimme einen hoffnungsvollen Unterton angenommen. Das Ungeheuer lebte also gar nicht alleine hier? Dann war die Flucht von diesem Ort vielleicht gar nicht so unmöglich, wie die Hufflpuff bisher gedacht hatte: Mit einer Komplizin, die sich in diesem Gebäude hier womöglich gut auskannte… Als hätte er ihre Gedanken erraten, lehnte sich der junge Lord gemächlich und erstmals ohne zu antworten in die sie umgebenden Schatten zurück. Mit einem Mal konnte die junge Frau nur mehr seine blitzenden Augen wahrnehmen. Ein unheimlicher Anblick. Unwillkürlich schauderte das Mädchen. Das schien wiederum den ehemaligen Slytherin zu belustigen, denn plötzlich zeigte sich ein schmales Lächeln auf seinen vollen Lippen und nach einer weiteren, halben Ewigkeit begann er schließlich zu erklären. „Matilda ist meine Hauselfe“, teilte der junge Mann der Hufflepuff nicht ohne Genugtuung mit. Die Wirkung dieser vier schlichten Worte war verheerend. „Oh.“ Mit einem Mal verfinsterte sich das Antlitz der Blonden rapide. Ihre Gesichtszüge zogen sich in die Länge und ein trotziger Schmollmund trat plötzlich auf ihren geschwungenen Lippen in Erscheinung. Tom zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Lange hielt das Mädchen mit ihrem Ärger nicht hinterm Berg. Sie warf spitz in die eingetretene, unangenehme Stille hinein: „Wissen Sie, ich bin Mitglied von B.ELFE.R und ich nehme nicht an, dass…“ „Belfer?“ Inzwischen waren beide Augenbrauen des jungen Mannes so hoch gewandert, dass sie nun beinahe in seinem vollen Haaransatz verschwanden. „Bund für Elfenrechte“, erläuterte Ilona kurz. „Und…“ Doch wiederum wurde sie unterbrochen. Lord Voldemort, der soeben einen Schluck von der roten Flüssigkeit in seinem Glas hatte nehmen wollen, verschluckte sich und bekam einen ausgewachsenen Hustenanfall. In ihrer Gutmütigkeit nahm Ilona einfach an, dass das unterdrückte Kichern, welches sie zwischen den Hustern zu vernehmen glaubte, schlichte Einbildung war. Sie hoffte es jedenfalls. Für ihren Tischnachbarn. „Elfenrechte.“ Schlussendlich hatte der dunkle Lord sich wieder beruhigt. Dennoch blieb ein verdächtig feixender Ausdruck in seinem Gesicht verhaften, als er sich nun betont ernst wieder seiner Gesprächspartnerin zuwandte. „Das hört sich…prickelnd an.“ „Ist es auch. Wir verlangen gleiche Arbeitsbedingungen für Elfen als auch für Zauberer, also eine Unfall- und Krankenversicherung…“, begann die junge Frau begeistert zu erzählen. Mitten im Satz hielt das Mädchen jedoch unerwartet inne und warf Lord Voldemort einen verletzten Blick zu. „Sie machen sich lustig über mich, Mister Riddle“, flüsterte die Blonde tonlos. Tom, der inzwischen Mühe hatte, halbwegs anständig auf seinem Sessel sitzen zu bleiben, was sich bei einem mittelschweren, unterdrückten Lachanfall, der ihn mit aller Gewalt zu überwältigen drohte, jedoch als sehr schwer herausstellte, entgegnete bemüht ernst: „Das ist der größte Schwachsinn, den ich je in meinem Leben gehört habe. Hauselfen sind niedere Kreaturen, die nur geboren wurden, um dem Zauberer zu dienen. Und nicht, um eine Krankenversicherung zu verlangen…“ Hier musste der Zauberer heiterkeitsbedingt abbrechen und sich erst einmal die linke Hand vor den Mund halten, um vor seiner Gefangenen nicht auch noch vollends in offensichtliches Lachen auszubrechen. Verwirrt und auch etwas beleidigt betrachtete Ilona ihn. Schließlich brach es unvermittelt aus ihr heraus: „Über welche todernsten Sachen Sie lachen können! Eine bewundernswerte Eigenschaft.“ Aus ihrem Mund klang das jedoch ganz und gar nicht wie ein Kompliment. Bevor Riddle jedoch etwas ähnlich Garstiges erwidern konnte, hatte die Vorschnelle noch flink ihre versteckte Beleidigung vervollständigt: „Und es steht Ihnen sogar! Wenn Sie bloß nicht die Leute in Ihrer Umgebung foltern und anschließend unbarmherzig töten würden… Sie wären ja richtiggehend beliebt!“ Unschuldig lächelnd ließ das Mädchen ihre letzten Worte verklingen. Mit der Heiterkeit des dunklen Lords war es augenblicklich vorbei. Verärgert schnipste der junge Mann zweimal und hüllte sich dabei in eisernes Schweigen, bis Sekunden später das Abendmahl auf zwei kleinen Platten ins Zimmer getrippelt kam. Als wäre es abgesprochen gewesen, öffnete sich plötzlich schwerfällig die Tür des Zimmers und eine steinalte Hauselfin trat ein. Im schummrigen Licht konnte Ilona nicht viel erkennen, aber… Die Dienerin wirkte mit ihren selbst aus der Entfernung klar erkennbaren, hängenden Wangen und den vielen Falten im Gesicht schon sehr, sehr alt. Um die Taille hatte die Elfe nur ein langes, benutzt wirkendes Tischtuch, in dem das Wappen einer sich räkelnden Schlange eingestanzt war, geschlungen. Es komplimentierte ein bereits sehr betagtes, kraftloses Aussehen. Nichtsdestotrotz beförderte sie zwei silbrig glänzende, riesige Teller mit der linken und rechten Hand gekonnt flink zu dem Tisch ihres Meisters, verbeugte sich tief vor dem zufrieden lächelnden Lord und verschwand sogleich so schnell wieder, dass Ilona nicht einmal Zeit hatte, auch nur zur Hälfte den Mund zu öffnen. „Ich hoffe, Matilda hat ihren Geschmack getroffen“, ließ der dunkle Lord sich vernehmen, während er gedankenvoll nach Gabel und Messer griff. Ilona antwortete nicht. Stattdessen starrte sie das sich vor ihr ausbreitende Festmahl, komprimiert auf einen einzigen Teller, an. Matilda musste eine ausgezeichnete Köchin sein. Das hatte das Mädchen bereits auf den ersten Blick erkannt. Vor ihren großen Augen breitete sich die ästhetisch wirkende Kreation eines zweifellos tadellos zubereiteten Rinderschmorbratens auf und ließ der jungen Frau allein bei solch einem Anblick das Wasser im Munde zusammenlaufen. Aber dennoch. Die Hufflepuff seufzte schwer. Und pfefferte gleichzeitig mit einer geübten Bewegung den mit Köstlichkeiten gefüllten Teller vom Tisch. Es war direkt faszinierend mit anzusehen, wie Tom Riddles Gesichtszüge für einen Moment völlig entgleisten, um sich im nächsten Moment jedoch wieder in krampfhafter Ruhe zusammenzufinden. „Danken Sie üblicherweise so immer einem generösen Gastgeber?“, stieß der junge Mann schließlich gefährlich leise hervor, während er seine mit köstlichem Braten bestückte Gabel langsam wieder sinken ließ. „Ich esse kein Produkt von Sklavenarbeit, Sir“, entgegnete Ilona steif und verschränkte gleichzeitig fest beide Arme. „Sklavenarbeit?“ Mit einem Ruck stand Lord Voldemort hoch. Selbst das fallen gelassene Besteck schien mit einem Mal vor Angst zu zittern zu beginnen, als er sich nun mit pechschwarzen Augen vor der ruhig sitzengebliebenen Hufflepuff drohend aufbaute. Diese hätte nun eigentlich zumindest furchtsam zu zittern beginnen oder in Ohnmacht sinken sollen. Eigentlich. Stattdessen spielte das freche Biest nur nachdenklich mit einer Strähne ihres weizenblonden Haares und schien sich um die tödliche Bedrohung direkt vor ihren Augen nicht groß zu kümmern. „Wissen Sie“, begann das Mädchen schließlich mit halb abgewandtem Blick und verträumter Miene. „Mein Ziel ist Freiheit und Gleichheit für alle, und da schickt es sich einfach nicht, wenn ich…“ Wieder einmal ließ der dunkle Lord sie nicht zu Ende kommen. Die Kerzenflammen über ihren Köpfen wuchsen sich plötzlich zu purpurnen Stichflammen aus, als der junge Mann mit betont ruhiger Stimme sein Anliegen zu formulieren begann. „Miss. Sie befinden sich hier in meinem Haus,“ Bei diesen Worten explodierte die erste Gabel. „Auf meinem Grund und Boden,“ Hierbei ließ er alle Löffel in die Luft gehen. „Und sind mir, so nebenbei bemerkt, auch auf Verdeih und Gederb ausgeliefert.“ Der gesamte Tisch ruckelte bereits bedrohlich. „Wenn Sie Ihre kindische Philosophie einfach nur einmal hintenan stellen und versuchen wollen würden, Ihre eigene Haut zu retten, dann hören Sie auf einen gut gemeinten Rat. Ich bitte Sie, Miss Una, verdammt noch mal doch nur darum, einmal DAS zu tun, was ICH Ihnen sage.“ Bedrohliche Stille senkte sich über den Holztisch. Dieser schien sein Schicksal bereits zu erahnen und knarzte noch einmal wehmütig. Ilona tat einen Moment lang ernsthaft so, als würde sie angestrengt über den eindringlich dargebrachten Hinweis Lord Voldemorts nachdenken. Dann schüttelte die Hufflepuff entschieden den Kopf. „Nein“, machte sie alle Hoffnungen des übrig gebliebenen Tafelgedecks, den heutigen Abend heil zu überstehen, mit einer Silbe zunichte. „Ich fürchte, so weit kann ich Ihnen nicht entgegen kommen, Mister Riddle.“ Der Raum schien zu explodieren. Mit einem leidenden Krachen barst der Tisch entzwei und ließ einen Regen aus Geschirr auf die kleine Kammer niedergehen. Staub wirbelte auf und versperrte minutenlang die Sicht. Desorientiert hielt sich Ilona beide Augen zu. Erst nachdem sie innerlich langsam bis zehn gezählt hatte, getraute das Mädchen sich wieder, die schützenden Hände vom Gesicht wegzunehmen und angestrengt in das flutende Dämmerlicht zu blinzeln. Das erste, was sie in dem herumwirbelnden Durcheinander um sich wahrnahm, war die Spitze eines Zauberstabs, die direkt auf ihre Kehle deutete. „Ein Grund.“ Der Stab zitterte bedrohlich und stob erste Funken aus. Tom biss die Zähne zusammen und hielt sich noch einen Augenblick lang zurück, um erneut angestrengt zwischen den Lippen hervor zu pressen: „Nennen Sie mir einen logischen Grund, Sie nicht zu töten, Sie widerwärtige, unnütze Mischkreatur.“ „Nun.“ Diese Schmähung hatte die junge Frau tief getroffen. Dennoch schaffte sie es, eine sehr gefasste, kühle Antwort zu geben: „Sagen Sie es mir doch.“ „Wie bitte?“ Ein kurzer, verblüffter Schimmer huschte deutlich sichtbar über das bis eben noch wie aus Stein gemeißelte Antlitz Lord Voldemorts. Den Zauberstab ließ er aber dennoch keinen Millimeter sinken. Stattdessen hielt der junge Mann den magischen Gegenstand noch näher an den Hals seiner Geisel heran und verlangte gleichzeitig herrisch zu wissen: „Was meinen Sie damit?“ Ilona zuckte daraufhin nur mit den Schultern. Furchtlos begegnete sie weiterhin dem glühenden Blick des dunklen Magiers und ließ sich erst nach einer Ewigkeit dazu herab, leise zu antworten: „Sie haben mich doch am Leben gelassen, obwohl sie gleichzeitig genügend Gelegenheiten hatten, mich aus der Welt zu schaffen.“ Nun. Das stimmte. Und da das Mädchen noch immer kein tödlicher Fluch traf, nahm sie dieses nun eintretende Schweigen einfach als Aufforderung, weitere ernsthafte Überlegungen anzustellen. „Ich denke, wir benötigen Regeln“, begann die junge Frau nachdenklich. „Schließlich kann nicht jeder unserer Konflikte damit enden, dass Sie mir damit drohen, mir das Leben zu nehmen, es dann doch nicht tun und es bei schmerzhafter Folter belassen. Stimmen Sie mir da zu?“ Fragend blickte sie zu der ihr gegenüber dunkel aufragenden Silhouette auf. Diese entgegnete plötzlich wieder gewohnt gefasst und hochnäsig: „Ich hätte da eine bessere Idee.“ „Und die wäre?“ Neugierig blinzelte die Hufflepuff. Mit einem ungewohnt tiefen Seufzer ließ Tom Riddle seinen Zauberstab sinken. „Ich will Ihnen etwas zeigen, Miss Una.“ Kapitel 14: In Gefangenschaft: Zutreffende Vermutung ---------------------------------------------------- „Bewegen Sie sich eigentlich immer nur so langsam fort, Miss?“ Ungeduldig drehte Tom Riddle sich um und fasste böse das hinter ihm bedächtig gehende Mädchen ins Auge. Ilonas einzige Entgegnung auf diesen Tadel bestand jedoch nur darin, abwesend mit den Schultern zu zucken. Zu vertieft war sie in die herrliche Architektur, die sich um sie herum erhob, als dass die junge Frau gerade zu einer bissigen Entgegnung aufgelegt gewesen wäre. Der dunkle Lord hatte sie nach ihrem neuerlichen Disput hastig von seiner Schlafstätte aus durch den ganzen langen, dunklen Korridor hindurch in eine große Empfangshalle geführt, deren wenn auch etwas in die Jahre gekommener Anblick der Hufflepuff schlicht den Atem raubte. Über ihr, in einem vollkommenen Kreis angelegt, erhob sich eine mächtige Kuppel, deren Inneres allein mit mächtigen Fresken versehen worden war. Wenn auch die Farbe der Kunstwerke verblichen war und teilweise auch schon etwas abblätterte: Sie strahlten weiterhin unverhohlen Eleganz aus, und die junge Frau war sich sicher, dass dieser Anblick, der sich ihr hier bot, schlicht unbezahlbar war. Aber die Kuppel war nicht das einzige Artefakt, das diese Vorhalle so einzigartig machte. Eine breite, glanzvolle Onyx Steintreppe nämlich, ebenfalls ein Blickfang ohnegleichen, führte vom ersten Stock, in dem Ilona sich bis jetzt befunden hatte, in einen ausladenden Vorraum hinein, der überreich mit wertvollen Gemälden an den vier dunkelgrünen Wänden bedeckt war. Ausnahmslos alle Bilder zeigten blutrünstige Schlachten, die jedoch allesamt von einem altersbedingten Braunschimmer überzogen waren und somit von ihrem Schrecken vielleicht etwas verloren hatten. Nichtsdestotrotz fühlte sich Ilona höchst unbehaglich, als sie sorgfältig ihren Blick darüber schweifen ließ. Und zu guter Letzt war da noch die Tür. Die große, eichene Eingangstüre, die allein für sich schon mächtig genug wirkte, eine ganze Heerschar von Zauberern nur durch ihren unerschütterlichen Anblick abzuschrecken, baute sich zu Füßen der Steintreppe achtungsheischend auf. Und als wäre das noch nicht längst zu viel des Guten, schien sich mit einem Mal der goldene Türknauf, als Lord Voldemort sich ihm nun schnell näherte, von selbst zu bewegen und zu sprechen beginnen. Zuerst war Ilona sich sicher, dass sie sich irren musste. Du weißt schon wer musste sie ja für ausgesprochen dumm halten, wenn er ihr ernsthaft glauben machen wollte, dass seine Haustüre imstande war, sich eigenständig mit ihm zu unterhalten. Das war bestimmt nur ein billiger Trick! Das war bestimmt nur ein Scherz! Ein unlogischer, seltsamer Scherz… Die Eichentür selbst aber bereitete den Zweifeln des Mädchens, das sich nun doch beeilt hatte, die Treppen hinunterzulaufen und zu ihrem Begleiter aufzuschließen, in dem Moment ein Ende, in dem der Knauf die junge Frau wahrnahm und sich sogleich näselnd vorzustellen begann. So gut funktionierte kein Bannspruch; so fließend konnte kein Zauber wirken, auch wenn der mächtige Tom Riddle ihn ausgesprochen hatte. Die Tür konnte wirklich reden. Das war mehr als Zauberei, die Ilona da geboten wurde. Das war ja fast ein Wunder! „Mein Name ist Earl Charles von Birmingham“, trug die Klinke mit knarrender Stimme vor. „Und wie ist Ihr werter Name, unbekannte junge Lady?“ In dem perplexen Zustand, in dem sich die Blonde gerade befand, brachte sie es erst nach einer ganzen Weile zustande, sich zu besinnen und fassungslos selbst vorzustellen. „Mein Name ist Ilona Una“, stotterte die Hufflepuff undeutlich und betrachtete den Türknauf, der sich auf ihre leise Worte hin angestrengt zu verziehen schien, offenbar um sie besser hören zu können, dabei mit überrascht blitzenden Augen. „Die Freude ist ganz meinerseits, ganz meinerseits“, knirschte die Klinke angetan. „Aber ich nehme an, mein Meister ist nicht allein den langen Weg hierher gekommen, um mir die große Ehre zu erweisen, seine außerordentlich hübsche Besucherin vorzustellen?“ Neugierig verzog sich der Knauf dabei zu einem hölzernen Fragezeichen und wandte sich erneut Tom Riddle zu, dessen Blick bis jetzt amüsiert auf dem fassungslosen Antlitz seiner Begleiterin gelegen hatte. Nun besann der junge Mann sich jedoch wieder und wandte sich sogleich mit herrischer Stimme an die Haustür: „Du hast ganz Recht, Charles. Öffne dich!“ Und diesem kurzen Befehl fügte er noch ein paar abgehackte, unverständliche Zischlaute hinzu, die Ilona schrecklich bekannt vorkamen… Richtig, Professor Potter hatte ihnen ja einmal in der vierten Klasse vorgeführt, wie sich Parsel, die Schlangensprache, anhörte, und die ganze Stunde lang immer wieder diese seltsamen Geräusche von sich gegeben. Die ganze Klasse hatte das ziemlich lustig gefunden, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, in dem Harry eine dicke, grüne Schlange mitten ins Klassenzimmer gezaubert hatte, die sogleich sehr angriffslustig versucht hatte, sich auf die zitternde erste Reihe zu stürzen. Aber Professor Potter war sofort zu ihrer Rettung herbei geeilt. Das Tier hatte jedem seiner ruhigen, gezischten Befehle aufs Wort gefolgt und somit die Schüler nicht mehr weiter beachtet. Stattdessen hatte die Schlange sich gleich einem zufriedenen, dicken Gartenschlauch zusammengerollt und ruhig ihre Umgebung in Augenschein genommen… Bevor die Hufflepuff sich jedoch in dieser wenn auch unangenehmen, aber zu gleichen Teilen ebenfalls wehmütigen Erinnerung verlieren konnte, wurde sie unsanft durch die sich bereitwillig öffnende, ihnen salbungsvoll Glück und Segen wünschende Tür geschoben und fand sich plötzlich mitten auf einem englischen Rasen wieder. Hätte sich in den letzten 17 Jahren jemand auch nur einen Deut um diese riesige Parkanlage geschert, die sich plötzlich vor Ilona ausbreitete, würde sie nun zweifellos wunderbar aussehen und auch noch dem ehrfurchtgebietendsten Herrenhaus ganz Englands alle Ehre machen. Aber in dem verlotterten Zustand, in dem sich der Park gerade befand, fand sich kaum ein Wort des Lobes für ihn. Überall hatte die Natur ihre schnell wachsenden Finger nach diesem Fleckchen Erde, das ihrem Besitz schon vor langer Zeit entrissen worden war, ausgestreckt und dem vormalig nur mit Gras bedeckten Rasen allerlei in großen Büscheln wachsendes Unkraut hinzugefügt. Auch die früher bestimmt perfekt gestutzten Apfelbäume zu beiden Seiten der zwei Hausflügel, die sich in eine Art Allee auswuchsen, waren nur mehr ein kümmerliches Abbild ihres früheren Selbst. Ein verschlungener, teilweise bereits überwachsener Weg führte vom Eingang des Herrenhauses aus zu einem verrosteten Eisentor, das halboffen aus seinen Angeln hing. Und dahinter… „Darf ich vorstellen?“, ertönte es mit einem Mal leise an dem Ohr der verwirrten Hufflepuff. „Little Hangington, das mit Abstand langweiligste Kaff in ganz England.“ Als Tom Riddle den Namen des sich in einiger Entfernung ausbreitenden, kleinen Dörfchens nannte, wurde etwas in Ilonas Gedächtnis kurzzeitig aufgewirbelt. Wie war noch mal gleich der Name? Little Hangington? Davon hatte ihnen doch ihr Lieblingslehrer ebenfalls etwas erzählt… „Zweifellos sind Sie sich inzwischen der großen Ehre bewusst, auf welchem Boden Sie gerade stehen, Miss Una“, sprach Lord Voldemort mit verdächtig heiter klingender Stimme weiter, während er sich nun an dem Mädchen vorbeischlängelte und die wenigen Stufen, die direkt in den Weg zum Eisentor mündeten, mit einem einzelnen, großen Schritt übersprang. Mit rot glimmenden Augen drehte sich der junge Mann zu der starren Blonden um. Er hob beide Arme, als er mit kaum unterdrückter Boshaftigkeit laut zu deklarieren begann: „Ist Riddle Manor nicht ein wunderbarer Ort, Miss? So unschuldig und hübsch anzusehen!“ Spöttisch wanderten seine Augen bei dieser kaum verhüllten Beleidigung über das wild wuchernde Unkraut und die vielen verkümmerten Blumenbeete, von denen es allein in seiner Nähe fünf zu bedauern gab. „Nie hätte ich gedacht, dass ich hierher zurückkehren müsste“, fuhr der dunkle Lord, plötzlich um vieles leiser geworden, aber dennoch gut vernehmbar, fort. „Nicht nachdem, was hier geschah…“ Sinnierend verweilte er für einen Augenblick in seinen komplizierten Gedankengängen. Diese kurze Pause verschaffte Ilona die Gelegenheit, zum ersten Mal, seit sie das Haus verlassen hatten, zögernd den Mund aufzutun: „Damit meinen Sie bestimmt den Zeitpunkt, an dem ihre Großeltern und ihr Vater…“ „Eines tragischen und für die Muggel Polizei absolut unerklärlichen Todes starben, genau.“ Tom Riddle verzog sein Gesicht zu einem kalten Lächeln. „Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Dabei sind zwei Jahre eine lange Zeit…“ Abrupt verstummte er. Doch der Fehler, der ihm eben unterlaufen war, ließ sich nicht mehr zurücknehmen. „Wie seltsam“, begann seine Begleiterin in diesem Augenblick mit tonloser Stimme und gerunzelter Stirn zu murmeln. „Dass Sie denken, dass diese Morde erst zwei Jahre zurückliegen.“ Besinnlich verharrte das Mädchen einen Moment lang und warf ihrem zu Eis erstarrten Gegenüber einen leuchtenden Blick zu. „Wissen Sie, ich glaube immer noch, dass Ihre so wundersame Wiederauferstehung von den Toten in Verbindung mit dem verschollenen Amulett Salazar Slytherins steht. Aber ich habe wohl einen entscheidenden Schnitzer begangen, als ich dachte, dass das Amulett in Form eines Horkrux die wichtigste Konstante in der Formel Ihres Wiederauflebens wäre. Jetzt, wo ich es noch einmal überdenke, scheint es doch so logisch: Das würde doch nicht zu Lord Voldemort passen, zweimal den gleichen Weg einzuschlagen! Niemals! Habe ich nicht Recht?“ Vorsichtig hielt die junge Frau inne und beäugte misstrauisch den dunklen Lord, der inzwischen anscheinend selbstvergessen damit begonnen hatte, mit seinem Zauberstab zu spielen. Aber er hörte ihr offensichtlich hochkonzentriert zu, und da er keine Anstalten machte, sie zu unterbrechen, zwang das Mädchen sich schließlich schluckend, weiterzusprechen. „Wenn ich Ihnen eine auf den ersten Blick seltsam anmutende Frage stellen dürfte?“ Sie blickte zu dem eindeutig größeren jungen Mann hinüber. Dieser neigte zustimmend den Kopf. „Kommen Sie aus der Vergangenheit, Mister Riddle?“ Stille trat ein. Selbst die raschelnden Blätter der Obstbäume schienen mit einem Mal dem ängstlichen Schweigen zu verfallen, das sich nun plötzlicher Eiseskälte gleich über die Anlage ausbreitete. Ilona hielt erwartungsvoll die Luft an. War sie zu weit gegangen? Hatte sie mit ihrer Vermutung überhaupt richtig gelegen? Sie war sich dessen ziemlich sicher… Würde sie deswegen nun endgültig sterben müssen? Solche und derlei mehr Fragen schwirrten aufgeregt in ihrem Kopf hin und her. Doch was im nächsten Moment geschehen würde, hätte die junge Frau sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen ausmalen können. Plötzlich hallte lautes Lachen im Park wider. Die Blonde, die mit allem möglichen gerechnet hatte, nur nicht mit einem plötzlichen Ausbruch von Heiterkeit seitens Lord Voldemort, zuckte verwirrt zusammen. Vor den Stufen, bereits halb im Unkraut des Parks stehend, hob Tom Riddle, zugleich deutlich bittere Lachsalven ausstoßend, seinen Zauberstab und schoss eine Funkenfontäne in die Luft. Doch damit nicht genug. Vor den erstaunten Augen der Schülerin bildeten sich nun blitzschnell Worte aus dem sprühenden Farbenregen. Mit einigen Schwierigkeiten konnte sie schließlich lesen: 100 Punkte für „Hufflepuff“, feixte Tom Riddle. Mit einer einzigen, geübten Bewegung apparierte er sich direkt vor das Mädchen und musterte sie mit grün loderndem Blick. „Erstaunlich, zu welchen Fehlentscheidungen der Sprechende Hut fähig ist.“, sprach der junge Mann erstaunlich gelassen weiter. „Mit Ihrer Intelligenz und Findigkeit, Miss Una, hätten Sie in niveauvollerer Umgebung aufwachsen sollen.“ „Also ist meine Vermutung richtig?“, fragte Ilona unverdrossen neugierig nach, den Seitenhieb auf das Haus der Dachse dabei geflissentlich ignorierend. „In der Tat.“ Elegant beugte sich der dunkle Lord noch ein Stück weiter zu der jungen Frau herab. „Sie ersparen mir tatsächlich viel Aufklärungsarbeit, Miss. Wenn auch der Grund, warum ich Sie hier herausgeführt habe, ein gänzlich anderer war: Es ist eine sehr gute Arbeit, die Sie da geleistet haben, indem Sie dieses eigentlich wohlgehütete Geheimnis um meine Herkunft so schnell aufdeckten!“ Das sollte wohl ein Lob sein. Aber Ilona fühlte sich nicht wohl dabei, von Lord Voldemort gelobt zu werden. Zudem er sie nun mit einem wahrhaft beunruhigenden, rot funkelnden Blick bedachte, der Schlimmes ahnen ließ. „Es war wahrlich ein Glücksgriff, den ich da getätigt habe“, setzte der dunkle Lord mit schnurrender Stimme fort, während er weiterhin bedächtig das Mädchen vor sich fixierte, die bei jedem seiner Worte beunruhigt kleiner zu werden schien. Nachlässig steckte der junge Mann seinen Zauberstab wieder ein. Damit ließ er die Hufflepuff an seiner Seite eine Sekunde lang aufatmen, da sie nun ernsthaft dachte, dass keine Gefahr mehr drohte. Doch im nächsten Moment änderte die Blonde ihre Meinung wieder, als sie mit Schrecken die stolzen Verkündigungen Tom Riddles vernehmen musste. Wozu brauchte Lord Voldemort einen Zauberstab? Er konnte allein mit Worten ganze Welten zerstören. Allein mit höflich ausformulierten Sätzen, die seinem Gegenüber Schauer über den Rücken liefen ließen, war es ihm möglich, Unordnung in den vormalig ruhig fließenden Fluss des Lebens zu bringen … „Es tut mir leid, Ihnen dies mitteilen zu müssen, aber ich fürchte, Miss Una, es wird Ihnen nicht erspart bleiben, dieser bedeutenden Neuigkeit Gehör schenken zu müssen. Deswegen teile ich es Ihnen wohl oder übel gleich jetzt mit“, begann der dunkle Lord mit getragener Stimme. „Mein früheres Ich, das Ihnen noch zweifellos bekannt sein müsste, hat für den unwahrscheinlichen Fall, dass Harry Potter ihn letztendlich doch besiegen würde, in Form seines letzten und bestgehüteten Horkruxes für seine baldige Wiederkehr gesorgt.“ Tom brach für einen Moment lächelnd ab. Ilona musterte ihn mit vor Unruhe und Neugier gleichsam berstendem Blick. Endlich, nach einer Ewigkeit, in der er es ausgiebig genossen hatte, derart im Rampenlicht zu stehen, bequemte der junge Herr sich, seine Erzählung schließlich, mit ausladenden Handbewegungen versehen, fortzusetzen. „Der Witz an dem Amulett nämlich ist, dass ein Teil von Lord Voldemorts Seele gar nicht das Wertvollste ist, was es zu geben hat.“ Tom stoppte erneut für einen Augenblick und labte sich an dem Ausdruck von Verwirrung, der sich bei seinen Worten auf dem Gesicht seiner Begleiterin ausgebreitet hatte. Allzu bald jedoch fuhr der junge Mann fort und sorgte damit für noch größere, unliebsamere Überraschungen, als sich Ilona in diesem Moment jemals hätte vorstellen können. „Ich nehme an, dass Sie es schon längst erraten haben, aber zur Sicherheit erkläre ich es Ihnen noch einmal: Das Amulett ist ein Wegweiser. Ein Wegweiser, der zu dem einzig noch verbliebenen Riss im Zeitgefüge dieser Dimension führt.“ Die Hufflepuff konnte nicht länger an sich halten. „Damit sind Sie also in diese Zeit gelangt“, flüsterte sie mit schwacher Stimme. „Aber ich dachte, dass das Ministerium…“ „Diese Risse vor Jahren schon alle längst geschlossen hat?“, beendete der dunkle Lord vergnügt ihren unvollendeten Satz. „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass diese Stümper im Stande waren, auch nur ein einziges Zeitloch aufzuspüren? Deren Inkompetenz wird doch nur noch von ihrer Dekadenz übertroffen! Nein, nein, allein Dumbledore ist es zu verdanken, dass die meisten Löcher im hiesigen Zeitgefüge geflickt wurden.“ Toms Stimme nahm plötzlich einen hasserfüllten Ton an, als er nun, immer jedoch äußerlich ruhig bleibend, fortfuhr, den größten Schulleiter, den Hogwarts je hatte, zu verunglimpfen. „Aber einen Riss hat der wunderbare, der großartige, der unfehlbare Dumbledore übersehen. Direkt vor seiner Nase, könnte man sagen, verbirgt sich das größte Loch und öffnete somit ungeahnte Möglichkeiten…“ „A-aber Sie meinen doch nicht… in Hogwarts?“, unterbrach Ilona ihn mit vor Schreck auf und ab hüpfender Stimme. „Natürlich in Hogwarts“, gab Lord Voldemort ungnädig zurück. „Und nun unterbrechen Sie mich nicht mehr, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.“ Probeweise stoppte der junge Mann für einen Moment. Doch das Mädchen an seiner Seite nahm sich seinen Rat jedoch sofort zu Herzen und hielt spannungsbedingt sogar die Luft an, um ihn ja nicht noch einmal den Eindruck zu vermitteln, dass sie ihn stören wollte. Erneut wurde dem dunklen Lord klar, dass es das Schicksal wirklich gut mit ihm gemeint haben musste, als es seine und Miss Unas Pfade kreuzen ließ. Diese junge Frau verstand es sogar, zu schweigen, wann immer man es von ihr verlangte! Ein Wunder, ein perfektes Wunder… Allzu lange vertiefte Tom sich jedoch nicht in diese stille Lobpreisung. Stattdessen zog er es vor, mit vor Stolz anschwellender Stimme weiter zu sprechen: Jedenfalls hat mich einer meiner ehemaligen Diener mit Hilfe des Amuletts aus der Vergangenheit geholt, so wie zahlreiche andere, verstorbene Todesser…Und ich nehme an, Sie wissen, was das bedeutet?“ Er blickte nun direkt zu dem Mädchen hinab. Diese schluckte einmal schwer. Dann stieß die junge Frau hilflos hervor: „Sie wollen wieder einen Krieg beginnen…?“ „Einen Krieg, der mich wieder an die Spitze der Zauberergesellschaft katapultieren wird!“, setzte der dunkle Lord zufrieden fort. Und in diesem Moment sah Ilona es. Der erste Anflug von Wahnsinn hatte sich bereits in den schwarzen Augen dieses jungen Mannes angesiedelt und breitete sich darin ungehindert und deutlich sichtbar aus. So war wohl der Lord Voldemort entstanden, den die junge Generation der Hufflepuff noch heute, lange nach seinem Tod und obwohl sie ihn nie in Aktion erlebt hatten, fürchtete. Zu Recht, wie sie nun erkennen konnte. War denn alles verloren? Würde erneut ein Krieg Großbritannien überziehen, ein Krieg, der genauso schrecklich zu werden versprach wie der vor 17 Jahren? Sie war nicht so dumm, die Worte von Du weißt schon wer anzuzweifeln. Wenn er sagte, dass er aus der Vergangenheit kam, kam er aus der Vergangenheit. Wenn er behauptete, dass wieder ein Krieg übers Land ziehen würde, dann… Doch noch war Tom Riddle nicht vollständig Lord Voldemort. Aus nun nicht mehr rot glimmenden, sondern mit grünen Punkten versehenen Pupillen blickte der junge Mann plötzlich gelinde überrascht, scheinbar wie aus einem Traum erwacht, zu seinem leicht zitternden Gegenüber herab. „Eigentlich hatte ich nur vor Ihnen zu erzählen, dass Sie keinerlei Chancen auf eine Flucht von diesem Gelände haben“, brummte Tom widerwillig und verschränkte beide Arme. „ Aber Sie und Ihre treffenden Vermutungen haben mich zum Schwärmen verführt … Wie auch immer. Wie Sie sich selbst eben versichern konnten, öffnet sich das Eingangstor des Herrenhauses nur, wenn man Parsel spricht. Außerdem sind die Fenster allesamt bruchsicher. Und selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, aus dem Haus auszubrechen, was, gelinde gesagt, sehr unwahrscheinlich ist“ Der dunkle Lord deutete mit einer ausgreifenden Handbewegung auf den hohen Zaun, der das Anwesen der Riddle vollständig umgab. Auf den ersten Blick schien er nicht mehr als ein baufälliges Gebilde aus Stahl zu sein, aber wenn man etwas genauer hinsah… „Eine Barriere, die uns von der Zeit selbst abzuschirmen vermag und außerdem so stark ist, dass jeder Muggel automatisch umkehrt, wenn er auch nur in ihre Nähe kommt. Ich selbst könnte sie nur mit äußerster Mühe durchbrechen.“ Tom Riddle blickte bei diesen Worten tief in die glimmenden Augen der jungen Frau. „Denken Sie also wirklich immer noch, dass Sie NICHT genau das tun sollten, was ich Ihnen sage?“, schnurrte er. „Immerhin ist Ihre Lage ziemlich hoffnungslos, da Sie keinerlei Chance auf Flucht haben. Aber wenn Sie sich in Zukunft benehmen…“, fügte der junge Mann lächelnd hinzu. Seine Worte verhallten abwartend in der abgestandenen Herbstluft. Erwartungsvoll entgegnete er dem Blick seiner Gefangenen. … Dieser Größenwahnsinnige dachte doch nicht ernsthaft, dass sie nun um Gnade bettelnd vor ihm in die Knie gehen würde? Ilona runzelte die Stirn und entgegnete bestimmt seinem Blick. Auch wenn sie jetzt noch nicht wusste, wie oder wann. Das Mädchen würde Lord Voldemort allen nur erdenklichen Widerstand entgegensetzen. Mit allen Mitteln würde sie zu verhindern versuchen, dass er noch einmal die Zaubererwelt in Angst und Schrecken versetzte. Sie befand sich doch immerhin quicklebendig in der Höhle der Schlange! Da musste doch etwas zu machen sein… Langsam hob der junge Mann seine rechte Hand und legte sie vorsichtig an die linke Wange der Blonden. Als er nun nachdenklich zu sprechen begann, kam sein Gesicht gleichzeitig dem der versteinerten Hufflepuff behutsam immer näher: „Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Ihre Augen eine seltsam unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben? Sie haben eine außergewöhnliche Farbe und schillern im Sonnenuntergang..." Kapitel 15: Meine Gefühle ------------------------- Miss Una, Ihre Widerspenstigkeit und himmelschreiende Unfähigkeit, sich mir gegenüber als dankbar zu erweisen, haben Sie nun wohl oft genug unter Beweis gestellt. Obwohl Sie sehr klug sind, das wird Ihnen niemand abstreiten, dessen bin ich mir sicher, haben Sie, gelinde ausgedrückt, in diesem Fall keine Ahnung. Sie befinden sich in meinem Haus und auf meinem Grund und Boden, wie ich nicht müde werde zu betonen. Tun Sie also gefälligst, was ich Ihnen sage. Aber Sie hören mich gar nicht zu, nicht wahr? Ich habe das Gefühl, dass Sie das nie tun. Sie starren mich einfach nur mit Ihren großen, schwarzen Augen an. Ich kann keine Emotionen darin lesen. Sie wissen ja gar nicht, wie sehr mich das verwirrt. Die Leute handeln im Angesicht Lord Voldemorts normalerweise anders. Das war schon zu meiner Schulzeit so. Mir ist Respekt entgegengebracht worden. Auch oftmals der Wunsch, an meinem Genie teilzuhaben. Aber jedes Gefühl, das man mit mir in Verbindung brachte, war auch mit Angst vermischt. Furcht. Denn wer wusste schon, wer von mir als passend oder unpassend angesehen wurde? Ich gebe zu, es war noch nie leicht, meine Achtung zu gewinnen. Umso mehr sind die wenigen Leute zu loben, die sich dieser Anerkennung sicher sein konnten. Und jene kann man wirklich an einer Hand abzählen, glauben Sie mir. Wussten Sie eigentlich schon, dass ich auch meine dummen, kleinen Anhänger immer schon, bereits als sie sich mir zum ersten Mal anbiederten, verachtete? Ich konnte problemlos in ihre verdreckten Seelen sehen und ihre lächerlichen Wünsche darin erkennen. Einen Teil von ihnen gelüstete es schon zu Schulzeiten nach Kämpfen und Blut. Sie wollten Helden sein. Selten habe ich so dumme, geistlose Gedanken gehört wie in den meisten Köpfen meiner Mitstreiter. Helden. Ein wunderbares Wort. Ich musste mich immer sehr zurückhalten, wenn ich gezwungen war, deren Gedankengänge nach möglichem Verrat zu durchsuchen. Bei diesen Dummköpfen drängte sich mir immer die resignierte Schlussfolgerung auf, dass ihnen einfach geraten werden sollte, aus dem nächsten Fenster zu springen. Am besten gleich alle auf einmal. Dann hätten sie etwas Heldenhaftes getan- mich nämlich von ihren niveaulosen Ergüssen bewahrt. Wie auch immer. Nur einige wenige meiner Anhänger wollten mehr. Bellatrix und Lucius hatten den nachvollziehbaren Wunsch, wieder das Kastenwesen in die magische Welt einzuführen. Ihnen ist es vor allem zu verdanken, dass mir schließlich der klaffende Unterschied zwischen Reinblütern und sonstigem Gesocks vor Augen geführt wurde. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass reines Blut am meisten Magie in sich trägt. Folglich ist es auch am nützlichsten. Für mich. Wer braucht schon Schlammblüter oder Mischkreaturen, deren unreines Blut sowieso nichts Großes vollbringen kann? Wollen Sie mir denn nicht widersprechen, Miss Una? Nein? Sehen Sie mich nicht so an! Sehen Sie mich nicht so verdammt unschuldig mit Ihren tiefen Augen an! Sie ertränken mich! Sie ertränken mich und lassen mich sehnlichst die Erlösung wünschen! Und dennoch habe ich Sie nicht umgebracht. Warum, wollen Sie wissen? Warum ich Ihnen mit einem Mal so respektvoll entgegenkomme, obwohl Sie mich ständig provozieren, verärgern und abweisen? Als ich den Cruciatus Fluch von Ihnen nahm, schlossen sich Ihre Augen. Sie waren dem Tod näher als dem Leben, das konnte sogar ein Laie erkennen. Trotzdem schafften Sie es, im gleichen Zug, mit Ihren letzten Atemstößen, mich nachhaltiger zu verwirren, als es irgendwer jemals zuvor bewerkstelligt hatte. Sie sagten, dass Sie kein guter Verlierer sein würden. Dass Sie deshalb nicht geschrien hätten. Nur um mir letztendlich noch in Ihrer unglaublichen Naivität eins auszuwischen. Was soll ich da entgegnen, Miss Una? Sie hatten vollen Erfolg. Sie haben meinen einzigen Schwachpunkt erfolgreich für sich ausgenützt. Denn ich war, bin und werde auch nie Zweiter sein. Dessen verweigere ich mit allem, was mir zu Gebote steht. Und das wussten Sie, aus mir unerfindlichen Gründen, wohl schon, als Sie mir das erste Mal ins Gesicht geblickt hatten. Nun lagen Sie also vor mir, schwer atmend, im Sterben begriffen, und ich hatte den erlösenden Todesfluch schon auf den Lippen. Aber Sie hatten mich zum Nachdenken gebracht. Ungehörige, unpassende Fragen wirbelten nach Ihren letzten Worten in meinem Kopf umher und ließen mich zum ersten Mal in meinem Leben derart unkonzentriert werden, dass mein Fluch Sie verfehlte. Ich hatte vor, Sie zu töten. Das eigens von mir kreierte Feuer, das ich Ihnen schicken wollte, war dafür ausgerichtet, Sie, innerlich brennend, zu Tode zu quälen. Aber er traf Sie nicht. Stattdessen richtete sich meine Zauberstabhand, scheinbar, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, auf das sich hinter Ihnen befindende Bett und ließ den Fluch darauf los. Da der Bann darauf konzipiert ist, nur ein menschliches Bewusstsein in Flammen zu setzen, konnte er meiner Liegestätte nicht einmal ein Haar krümmen, da Sie die beruhigende Angewohnheit hat, kein selbst denkendes Gehirn zu haben. Natürlich fragte ich mich sofort, was dieses undenkbare Versagen meinerseits nun bedeuten sollte. Lag auf Ihnen etwa ein Bann? Hatte irgendjemand es fertig gebracht, Ihnen derart großen Schutz zu verleihen, der auch den kleinen Potter vor dem Sterben bewahrt hat? Diese wirren Fragen tauchten aus meinem Unterbewusstsein auf und machten mir sehr zu schaffen. Allein meiner Genialität ist es zu verdanken, dass ich meinen Geist nicht der plötzlich in mir aufgekommenen, inneren Unruhe überließ und stattdessen kühle, logisch nachvollziehbare Überlegungen zu verfolgen begann. Wie Potter konnten Sie nicht geschützt worden sein, das war mir allzu bald klar geworden. Niemand war für Sie gestorben, jedenfalls nicht durch meine Hand, und auch der Fluch, der, bei einem derart starken Schutzzauber, auf mich zurückgeprallt wäre, begnügte sich damit, ohne weiteren Schaden anzurichten, an meinem Bett abzuprallen. Warum also konnte ich Sie nicht töten? Sollte ich es probeweise noch einmal versuchen? Irgendwie widerstrebte mir dieser Gedanke. Inzwischen war ich Ihrem leblosen Körper wieder näher gekommen und musterte ihn nun aufmerksam. Ihre Haut war aufgeplatzt und erlaubte mir einen unschönen Anblick auf Ihre blutüberströmten Muskelfasern. Wussten Sie eigentlich, dass deren Struktur ungewöhnlich zäh ist? Das muss wohl das Grindeloh Blut in Ihren Adern sein… Die Muskeln gewöhnlicher Menschen, die so lange dem Cruciatus Fluch ausgesetzt sind, wären schon längst gerissen. Aber das, was mich an Ihrem Anblick am meisten störte, war gar nicht Ihr bemitleidenswerter Zustand. Sie würden sterben. Auch ohne meine Mithilfe. Und Ihre Augen würden für immer geschlossen bleiben. Ohne, dass ich diese zwei undurchsichtigen Onyxe jemals mit einem anderen Ausdruck als Hass und Ekel darin gesehen hätte. Ein großer Jammer. Und außerdem. Sie, Miss Una, glaubten tatsächlich, Sie hätten über mich triumphiert. Ha! Dass ich nicht lache! Ich bin Lord Voldemort, Miss! Selbst in meinem noch unerfahrenen, 17 jährigen Selbst bin ich tausendmal besser als Sie! Sie werden nie über mich triumphieren. Sie werden letzten Endes der schlechte Verlierer sein! Sie, als Halb Grindeloh mit so schwarzen, schrecklichen, in die Tiefe zerrenden Augen… Deswegen habe ich Sie geheilt. Nur einmal wollte ich gegen Sie gewinnen, bevor ich Sie, und das stand wiederum unabdinglich für mich fest, töten würde. Deswegen durften Sie sich nach Ihrem Erwachen auch an so einem liebenswerten und galanten Riddle erfreuen. Ich hatte den Verdacht, dass, wenn Sie auch ungewöhnlich klug sein mögen, Sie immer noch eine Frau sind. Eine junge Frau, die meinem Charme nach und nach nachgeben muss und über die ich mir, wenn schon nicht mit Folter, eben mit diesem Weg meinen Gewinn versichern konnte. Nun. Sie sind eine Hufflepuff. Und damit mit ungewöhnlich ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und Streben nach Harmonie, vermischt mit einer gehörigen Portion unschuldiger Neugier, gesegnet. Kurz, Sie sind mein Gegenteil. Mein Charme war auf Sie deshalb ungefähr so wirksam, als würde ich ihn an einem Stein erproben. An einem freundlich lächelnden Stein, der mich insgeheim verabscheut. Und auch noch mit einer undurchschaubaren Bauernschläue gesegnet ist! Woran haben Sie erkannt, dass ich aus einer anderen Dimension, aus der Vergangenheit, komme? Warum fürchten Sie sich noch immer nicht, obwohl ich Ihnen doch einen Krieg prophezeit habe, der vielen Menschen, die Sie kennen und achten, das Leben kosten wird? Warum haben Sie keine Angst vor mir? So viele Fragen, und Sie geben mir keine Antworten. Sehen mich einfach nur an, mit Ihren weit aufgerissenen, glimmenden Augen. Ich denke, es wird mir sehr schwer fallen, Sie zu töten. Sie haben mich schon sehr in Ihren Bann gezogen. Mit Ihren wunderschönen Augen. Eigentlich hatte Tom Riddle in diesem Moment genau diese Worte wählen wollen. Es war doch eine perfekte Gelegenheit: Miss Una und er befanden sich draußen, die Sonne ging unter, selbst die störenden Baume unterließen es zu rascheln und machten einer wunderbaren Stille somit den Weg frei. Es war die perfekte Gelegenheit, seine Gedanken der Hufflepuff zu offenbaren und sie danach mit einem letzten Fluch niederzustrecken. Aber diese Augen! Diese schrecklichen Augen ließen ihn alles vergessen, was er eben noch voller Würde hatte sagen wollen. Sie zerstörten Seinen Willen. Seine Absichten. Seine Intentionen. … Was hatte er da gerade gesagt? Hatte er gerade wirklich eine lobende Bemerkung bezüglich ihrer Augenfarbe gemacht? HATTE ER IHR GERADE WIRKLICH EIN KOMPLIMENT GEMACHT? Ein unsinniges, niveauloses, seltsames Kompliment, das sich mit der Farbe und Intensität ihrer Augen beschäftigte? War er denn jetzt vollkommen verrückt geworden? Kapitel 16: Exkurs nach Hogwarts. Ein unfreiwilliges Doppel ----------------------------------------------------------- „Komm da raus!“ … „Zwing mich nicht, dich zu holen!“ … „VERDAMMT NOCH MAL, ROSE! HÖRST DU MIR ÜBERHAUPT ZU?“ Wütend brüllte Scorpius auf die unschuldige Tür der Mädchentoilette im zweiten Stock ein. Doch das Einzige, was der junge Mann für seine lauten Bemühungen erntete, waren dumpfe Schluchzer, die kaum vernehmbar aus der hintersten Ecke der Bedürfnisanstalt kamen. Von Entgegenkommen keine Spur. Rose Weasley dachte nicht einmal im Traum daran, der immer fordernder werdenden Bitte von Malfoy junior Folge zu leisten. Stattdessen verkroch sich die Rothaarige lieber immer tiefer in die mit Abstand meistgemiedene Toilette Hogwarts. Das verwaiste WC wurde vor allem wegen der Maulenden Myrte nur so sporadisch von Schülerinnen besucht. Dieser für ewig dem Teenageralter verhaftet gebliebene Geist machte sich nämlich einen trotzigen Spaß daraus, immer dann, wenn Schlossbewohner sich in eine der Kloschüsseln erleichtern wollten, eine unerwartete Überflutung zu verursachen, indem sie in genau diesem Klo laut heulend aus der Schüssel auftauchte, um ihr Seelenleid dem meist zu Tode erschrockenen Schüler zu klagen. Kein Wunder, dass es in den letzten Jahren kaum jemanden hierher gezogen hatte. Die Gryffindor konnte also ungestört, weinend den Kopf in den Händen vergraben, in der vorletzten, verschmutzten Toilette hocken und sich selbst leid tun. Ihr Verhalten war verständlich, oder zumindest nachvollziehbar, denn das Schicksal hatte sich ihr gegenüber grausam verhalten: Warum musste gerade Ilona im Verbotenen Wald verschollen sein? Warum musste gerade die einzige Person, die ihr in diesem Schloss mehr als alles andere bedeutete, auf Nimmerwiedersehen verschwinden? War die stille Blonde vielleicht inzwischen schon längst…? Heftig mit dem Kopf schüttelnd, versuchte Rose sofort ihre eigenen, unwillkommenen Gedankengänge zu unterbinden. Nein. Ilona war nicht tot. Das erlaubte die Weasley einfach nicht. … Aber ihre beste Freundin blieb weiterhin wie vom Erdboden verschluckt. Obwohl man sofort Suchtrupps in den Verbotenen Wald geschickt hatte, die mit Hilfe der Krähen des Herrn Direktors nach der Blonden fahnden sollten, war man noch nicht fündig geworden. Rein gar nichts hatte man bisher entdeckt! Nicht einmal einen, Rose musste plötzlich würgen, toten Körper. Oder Überreste davon. Es war wie verhext. Auch kein einziger Dementor hatte sein schleimiges Antlitz mehr in den Ländereien blicken lassen. Die ehemaligen Wächter Askabans schienen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt zu sein; jedenfalls war der Rothaarigen bis jetzt nichts Anderswertiges zu Ohren gekommen. Aber die Seelensauger mussten doch noch irgendwo hier herum streifen! Wie hätte Hagrid sonst von ihnen geküsst werden können? Unwillkürlich schauderte Rose. Das Mädchen schlang die Arme um seine Knie und kauerte sich ängstlich noch etwas mehr zusammen. Allein der Gedanke an diese Monster und deren gierige, alles Leben aussaugende Mäuler ließ das Herz der ansonsten Todesmutigen furchtsam erstarren. Diese Ungeheuer mussten auch Ilona begegnet sein, als sie zusammen mit Hagrid die Wälder durchforstet hatte… Aber wo war die scheue Hufflepuff jetzt? Professor Potter hatte doch nur den Wildhüter niedergestreckt im Herzen des Waldes vorgefunden- vielleicht, und an diese kleine, unverhoffte Hoffnung klammerte sich die Weasley jetzt mit ganzem Herzen, vielleicht war es Ilona ja gelungen zu fliehen… Schritte. Schritte ertönten plötzlich auf den überfluteten Fliesen. Sie machten sich jedoch keine Mühe, möglichst leise aufzutreten, sondern platschten vielmehr unnötig laut und verursachten somit ein widerhallendes Echo, sodass sich Rose im ersten, verwirrten Moment sicher war, dass eine Armee direkt an ihr vorbeimarschierte. „WEASLEY! WO ZUM TEUFEL STECKST DU?“ Och. Es war doch nur der einzelne Schleimbeutel Malfoy. Resignierend hob die junge Frau ihren Kopf und lehnte ihn schwer seufzend an die sich hinter ihr befindende, dreckstarrende Kachelwand. Dabei stieß sie leicht gegen eine kaputte Fliese, die sich unter dieser abrupten Bewegung sofort von der bröckelnden Mauer loslöste und, bevor das Mädchen reagieren konnte, mit einem verräterischen Ploppen in die unter ihr liegende Wasserlacke platschte. Der junge Malfoy schien dieses auffällige Geräusch jedoch nicht gehört zu haben. Aber das war auch kaum verwunderlich: Machte er doch selbst so einen Lärm mit seinem lauten Fußstampfen. Lange würde Rose sich aber trotzdem nicht mehr vor ihm verstecken können. Dem Slytherin war nämlich inzwischen die glorreiche Idee gekommen, jede Toilettentür aufzureißen und sie schnaubend nach einem rothaarigen Biest, auch genannt das Weasley, zu durchsuchen. Bald würde er auch ihre Kabine erreicht haben. Wobei bald eine ziemlich relative Zeitangabe zu sein schien, denn Scorpius hatte die vorletzte Kabine binnen weniger Sekunden erreicht und öffnete auch deren Tür zornentbrannt und derart schwungvoll, dass er sie beinahe aus ihrer morschen Halterung riss. Die Gryffindor schaffte es gerade noch, sich mehr schlecht als recht die Nase zu putzen, bevor sie sich auch schon mit einem wütend rosa verfärbten Malfoy´schen Gesicht auseinandersetzen musste, das das Mädchen nun mit einem eindeutig tödlichen Ausdruck in den Augen unerbittlich anstarrte. Rose öffnete den Mund. „Seit wann besuchst du Mädchentoiletten, Malfoy?“, schoss es verschnupft aus ihrer Kehle. Die Schülerin schenkte dem jungen Mann dabei einen mindestens genauso furchterregenden Blick, wie der Slytherin ihn gerade innehatte. Doch davon ließ sich Scorpius nicht beeindrucken. Stattdessen fauchte der jüngste Spross der Malfoys gefährlich leise: „Hat man DIR denn nicht beigebracht, die Anweisungen klügerer und erfahrener Leute zu beachten? Wie oft, WIE OFT habe ich dich gebeten, aus dieser schrecklichen Toilettenanstalt herauszukommen?“ „Doch, man hat mir immer wieder geraten, weise Ratschläge zu befolgen. Aber ich kann gar keinen Verstoß von meiner Seite her erkennen“, entgegnete Rose rotzfrech und wischte sich gleichzeitig unauffällig die letzten Tränenspuren von den Wangen. „WEASLEY, DU… Ach, ist doch egal.“ Mit einem Mal war der Slytherin wieder seinem üblichen, aufgeblasenen, blasierten Selbst verfallen. Der junge Mann fixierte die vor ihm Sitzende plötzlich mit höhnischer Miene und feixte: „Einen hübschen Anblick gibst du ab, Weasley. Schade, dass ich keinen Fotoapparat dabeihabe.“ Bei diesen unverschämten Worten schoss Rose sofort wütend aus ihrer zusammengesunkenen Position hoch und baute sich mit loderndem Blick vor dem Slytherin auf. „Was bildest du dir eigentlich ein?“, kreischte das Mädchen wutentbrannt und stemmte beide Hände in ihre zierlichen Hüften. Aug in Aug stand die Gryffindor nun zornfunkelnd ihrem erklärten Erzfeind seit der ersten Klasse gegenüber. Wobei Aug in Brust wohl eher die treffende Beschreibung gewesen wäre. Seit wann war diese schleimige Schnecke eigentlich so groß geworden? Die Weasley verschränkte verstimmt die Arme. Sie musste sich wirklich recken, um das triumphierende Antlitz des Malfoys überhaupt wahrnehmen zu können. „Was ist, Weasley?“, tönte es plötzlich belustigt aus dessen spöttisch verzogenem Mund. „Sehnst du dich etwa nach Höhenluft?“ „Lieber nicht. Die dünne Luft da oben ist ja so schlecht fürs Gehirn, weißt du“, knurrte die Rothaarige. Dabei versuchte sie möglichst unbemerkt, sich noch etwas mehr auf ihre Zehenspitzen zu stellen und somit größer zu erscheinen... Doch Scorpius hatte dieses Vorhaben allzu bald durchschaut. „Ein sinnloses Vorhaben, Weaselbee“, grinste er. „Ich denke, wir werden uns anders zu helfen wissen müssen.“ Und bevor Rose lautstark protestieren konnte, hatte der junge Mann sie schon unter den Achseln gepackt und mühelos hochgehoben. Mit einer plumpen Drehung wandte der Slytherin sich zugleich um und setzte die kurzzeitig zu Eis erstarrte, junge Frau auf das nächstbeste Waschbecken. Da diese ziemlich hoch lagen, konnte die Weasley dem Dunkelblonden nun problemlos in die Augen sehen. Eigentlich konnte man das ja im Grunde als nette Geste sehen. Das Mädchen fühlte aber alles andere als Dankbarkeit für diese unerwünschte Erhöhung in ihrer Brust aufsteigen, als sie den noch immer grinsenden Blonden vor sich nun unerbittlich ins Visier nahm. Bevor Scorpius im Stande war zu reagieren, hatte die temperamentvolle Gryffindor ihm bereits links und rechts eine geknallt. Verwirrt wich der junge Mann zurück und hielt sich beide rötenden Wangen. „Wofür war das denn, Weasley?“, zischte er schmerzerfüllt. Sein Gegenüber begann als einzige Antwort darauf, einen Schreiorkan anzustimmen, der die Wände wackeln ließ. „GREIF. MICH. NIE. WIEDER. AN“, war das einzige, was der Slytherin in diesem Gebrüll halbwegs verstehen konnte. … Musste er sich das wirklich von jemandem wie Rose Weasley gefallen lassen? ... NEIN!, war die für ihn einzig richtige Antwort darauf. „Silencio!“ Das Gekreische erstarb. Kühl hielt der junge Mann weiterhin seinen Zauberstab auf das Mädchen gerichtet, das nun zwar dankenswerterweise verstummt war, dafür aber plötzlich ernsthaft Anstalten machte, sich von ihrem nassen Sitzplatz zu erheben und mit erhobenen Fäusten auf den Slytherin loszugehen. Um die drohende Prügelei zu verhindern, sah Scorpius nun keine andere Möglichkeit mehr, als etwas unfair vorzugehen. „Willst du denn unbedingt, dass deine Freundin stirbt?“, wollte er mit scheinbar gelangweilter Stimme wissen. Die Wirkung war gewaltig. Die Rothaarige erstarrte sofort in ihrer Bewegung. Mit großen Augen blickte sie den Blonden an. Augen, die mit einem Mal verdächtig wässrig aussahen… „Heulen hilft dir auch nicht weiter“, war der einzige, kalte Kommentar Malfoys dazu. Aber obwohl der Schüler bei diesen unbarmherzigen Worten äußerlich seine kühle Fassade mit Erfolg wahrte, musste er innerlich den heftigen Drang bekämpfen, diese störrische Rothaarige einfach nur zu umarmen, zu trösten, zu kü… Und stopp. Hastig verdrängte Scorpius alle weiteren Gedanken, die in diese spezifische Richtung gingen, und fuchtelte scheinbar genervt mit dem Zauberstab vor Roses Nase herum. „Ich sag dir jetzt mal was, Weasley“, begann er schließlich unerwartet ernst. „Ich habe nicht eine derart glanzvolle Vorstellung vor unserem senilen, alten Direktor hingelegt, und dabei so nebenbei deinen Hintern vor noch mehr Strafarbeiten gerettet, um dich jetzt jammernd in der nächsten Mädchentoilette versauern zu lassen. Da du überzeugt bist, dass Ilona noch lebt, bin ich es auch.“ Bei diesen Worten klappte der Mund des Mädchens auf und sie starrte den vor ihr stehenden, jungen Mann unverhohlen fassungslos an. Scorpius verdrehte jedoch nur die Augen und setzte sogleich entschlossen fort: „Also, was hast du vor?“ Und mit diesen Worten löste der Slytherin auch den Schweigezauber, den sein Gegenüber bis jetzt zur Stummheit verdammt hatte. Nachdenklich (und auf einmal überhaupt nicht mehr wütend- diese Wirkung hatte auf die Weasley immer die Erwähnung von Ilonas Namen) betrachtete Rose ihn und rieb sich dabei gedankenverloren den Hals. Was sie vorhatte? Was meinte er damit? „Herrgott, Weasley! Warum musst du immer dann schweigen, wenn deine Meinung ausnahmsweise einmal gefragt ist?“, stöhnte Scorpius in diesem Moment laut auf. „Ich will doch nur wissen, wie du deine kleine Freundin retten willst.“ Das Mädchen blinzelte verwirrt. Ihr Kopf schwirrte. Ilona retten? … Warum war sie nicht schon längst selbst auf diese Idee gekommen? Oh Herr im Himmel! Perplex musterte die Gryffindor den Slytherin vor sich. Dieser Idiot, diese katzbuckelnde, widerliche Schlange hatte doch nicht etwa ein Gehirn? SIE KONNTE DOCH NICHT ETWA DENKEN? Hatte sie die letzten Jahre irgendwie verschlafen oder was? „Was starrst du so?“, wollte Scorpius misstrauisch wissen. Rose klappte den Mund auf. Und wieder zu. Erst nach mehreren, erfolglosen Versuchen schaffte das Mädchen es schließlich, ihre konfusen Gedanken laut auszusprechen: „Was interessiert dich das?“ Die Miene von Malfoy Junior verfinsterte sich daraufhin sofort dramatisch. Beleidigt zischte er: „Schon mal etwas von simpler Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gehört, Weasley? Solltest du vielleicht auch einmal in deinen Wortschatz einbauen- das wäre ein unendlicher Gewinn für den Rest der Welt.“ „Du willst mir HELFEN?“ Die junge Frau starrte ihn an. Einen Moment später besann sie sich jedoch wieder und korrigierte sich hastig: „Verzeihung, falsch betont. Also noch einmal. DU“, dabei zeigte die Gryffindor mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den abwartenden Slytherin, „willst MIR“, nun zeigte die Rothaarige auf sich, „helfen?“ Ihre Frage verhallte leise in der Toilette. Scorpius zog eine Augenbraue hoch. „Es ist mir ein Rätsel, wie du mich bisher in allen Prüfungen schlagen konntest“, frotzelte er. „Deine Leitung ist ja kilometerlang.“ „Lenk jetzt nicht ab“, unterbrach die Rothaarige ihn unwirsch. Die junge Frau fuhr fort, ihn misstrauisch zu mustern, als sie nun ein einziges Wort zwischen ihren Lippen hervor presste: „Warum?“ Malfoy junior tat einen Moment so, als müsse er angestrengt nachdenken. Dann warf er verschmitzt lächelnd in den Raum: „Schlichte Barmherzigkeit?“ Diese desaströse Lüge nötigte Rose nicht einmal eine Antwort ab, ausgenommen eines abfälligen Schnaufens. „Na gut, na gut.“ Scorpius hob um Verzeihung heischend beide Hände. „Ich will meinem Vater eins auswischen, das ist alles.“ „Und das tust du, indem du mit mir Ilona rettest?“, hakte die Weasley verwirrt nach. „Nun ja.“ Der Slytherin zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Er hat mir praktisch unter Todesstrafe verboten, mit dir mehr als die handelsüblichen Beleidigungen zwischen einer Weasley und einem Malfoy auszutauschen. Aber da er sich selbst nicht daran hält“, Er verstummte und wurde plötzlich ungesund grün im Gesicht. Plötzlich befiel sowohl das Mädchen als auch den Jungen ein unerwarteter Anfall von Übelkeit. Die Erinnerung an Roses Mutter und Scorpius Vater, die Arm in Arm den Gang entlang spaziert waren... Das war mehr, als die beiden ertragen konnten. „Ich verstehe“, würgte die junge Frau schließlich angestrengt hervor. „Ich verstehe vollkommen. Aber ich fürchte, unser Unternehmen wird sehr, sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu bewerkstelligen sein. Denn obwohl wir zu zweit sind, können wir eine unumstößliche Tatsache nicht einfach ignorieren: Wenn wir Ilona suchen wollen, müssen wir wohl oder übel in den Verbotenen Wald. Nur, wie kommen wir da hin?“ Fragend blickte sie zu dem Blonden auf, der seine Stirn in Falten gezogen hatte und nun angestrengt überlegte. „Da hast du recht“, murmelte der junge Mann. „Hogwarts wird, nachdem das Dunkle Mal nun schon zum zweiten Mal am Firmament aufgetaucht ist, hermetisch abgeriegelt sein… Und selbst wenn wir es beispielsweise durch einen unbewachten Geheimgang schaffen würden- draußen warten immer noch die Dementoren.“ „Wir brauchen einen Plan.“ Rose legte verzweifelt den Kopf schief. „Einen verdammt guten, unübertrefflichen Plan.“ Nach zehn Minuten angestrengten Nachdenkens war den beiden aber noch immer nichts Brauchbares eingefallen. Scorpius gab als Erster entnervt auf. „Wenn wir nur fliegen könnten“, stöhnte er und fuhr sich mit seinen Händen zum bestimmt hundertsten Mal durchs Haar, das inzwischen schon so wild verstrubbelt aussah, als hätte er gerade in eine Steckdose gegriffen. „Dann müssten wir uns um Mitternacht einfach nur unbemerkt auf den Astronomieturm schleichen und von dort aus den Verbotenen Wald durchkämmen…“ „Malfoy“, unterbrach ihn die junge Weasley mit bebender Stimme. „Ich sage es nicht gern, aber du bist ein Genie.“ „Wie bitte?“ Perplex hielt der Slytherin mitten in seinem fruchtlosen Bemühen, seine Haare wieder in eine geglättete Form zu zwängen, inne. Fassungslos betrachtete er seine Komplizin. Doch die Rothaarige beachtete ihn nicht weiter. Stattdessen rutschte das Mädchen, plötzlich wieder voller Tatendrang, von dem kurzerhand zum Sitzplatz umfunktionierten Waschbecken herunter. Sie stieß dabei gleichzeitig motiviert die rechte Faust in die Luft krähte vergnügt: „Jetzt müssen wir nur noch Professor Potter beklauen und dann …“ Mitten in ihrem Freudestanz hielt die junge Frau jedoch plötzlich wieder inne. Mit einem Mal wieder ernst geworden, wandte sie sich erneut Scorpius zu und wollte mit flehender Stimme wissen: „Hast du schon jemals irgendjemanden mit eigenen Augen sterben sehen?“ Inzwischen konnte der junge Mann nur mehr fragend eine Augenbraue hochziehen. Alles andere wäre ihm zu viel der Umstände gewesen. Mit den Gedankensprüngen einer Weasley konnte er doch sowieso nicht mithalten. „Das ist unglaublich wichtig! Bitte!“, bettelte ihn die Rothaarige unverdrossen weiter an. Schließlich ließ sich der Slytherin zu einer kurzen Antwort herab (und das wohl auch nur deswegen, weil Rose ihn gerade zum ersten Mal in seinem Leben um etwas gebeten hatte): „Ja, habe ich.“ „Dann ist ja alles in Ordnung!“ Vergnügt lächelnd drehte Rose sich um und schlenderte gut gelaunt aus der Toilette. An der Schwelle zum dunklen Korridor wurde sie jedoch noch von einem blonden Malfoy Sprössling aufgehalten, der sie mit der rechten Hand rasch an der Schulter festhielt und mit verwirrter Stimme fragte: „Könntest du mir bitte erklären, was diese Geheimnistuerei soll?“ „Geheimnistuerei?“ Missbilligend musterte Rose ihn. Während sie rasch und heftig seine kalte Hand abschüttelte, eröffnete das Mädchen ihm gleichzeitig herablassend: „Wir tun doch nur das, was du vorgeschlagen hast. Wir fliegen.“ Kapitel 17: Exkurs nach Hogwarts. Eltern! ----------------------------------------- So genial und narrensicher Roses Plan für einen Ausbruch aus dem hermetisch abgeriegelten Hogwarts auch zu sein schien: Bevor er in Kraft treten konnte, mussten zahlreiche Hindernisse umschifft werden. Wie zum Beispiel zwei ganz und gar nicht amüsierte Elternteile, die vor dem jeweiligen Porträtloch von Roses beziehungsweise Scorpius´ Haus schon auf sie warteten, als die beiden Schüler sich endlich bequemten, wieder in ihre Gemeinschaftsräume zurückzukehren. Bei der Gryffindor hielt sich der Schaden jedoch verhältnismäßig zu ihrem Komplizen in Grenzen. Verhältnismäßig. „Wo zum Teufel hast du gesteckt?“, war das Erste, was die Schülerin vernahm, als sie in den Korridor, der vor dem Porträt der fetten Dame endete, einbog. Als nächstes versperrte der jungen Frau ein äußerst buschiger Haarschopf die Sicht, der anscheinend die ernste Absicht hatte, ihr in einer sofort folgenden, stahlharten Umklammerung alle Rippen zu brechen. „Mum! Weg von mir!“, röchelte das Mädchen wütend, aber keine Chance. Hermine Granger war einfach zu froh, ihre einzige Tochter wieder in ihren Armen halten zu dürfen, als dass sie einfach so wieder losgelassen hätte. „MUM!“ Erst einige beherzte Befreiungsversuche seitens Rose waren nötig, um die Mutter endgültig wieder von ihrem Kind zu trennen. Die allzu rüden Methoden, die die junge Weasley dabei anwandte, schienen aber, ganz anders als sonst, gar keinen Ärger zu erregen. Vielmehr musterte Hermine ihre Tochter nun, aus gebührendem Abstand, weiterhin besorgt und mit Tränen in den Augen. An Tadel wollte die Frau in diesem Moment keinen Gedanken verschwenden. „Wo warst du?“, sprudelte es schließlich, nach einem Moment ungemütlicher Stille, aus der Professorin für Verwandlung heraus. „Warum bist du erst jetzt wieder zurück? Direktor Rothweil hat mir erzählt, dass du dich schon seit einer Stunde wieder in Hogwarts befindest! Gott sei Dank ist dir nichts passiert, aber wenn ich nur daran denke…“ „Ich hatte zu tun“, würgte Rose ihre Mutter nonchalant ab. Dabei vermied die Rothaarige es gleichzeitig krampfhaft, ihrem älteren Ebenbild in die Augen sehen zu müssen. Dieser Umstand blieb von Professor Granger nicht lange unbemerkt. Mit einem Hauch von Hysterie in ihrer Stimme begann Hermine daraufhin, im festen Glauben, dass Roses Abwehr noch immer in den altbekannten Gründen wurzelte, die seit zwei Jahren galten, der still vor ihr stehenden Schülerin Vorwürfe zu machen: „Wie kannst du mir gegenüber nur so abweisend sein! Ich habe mir solche Sorgen gemacht, und du…“ „Schon gut, Mum.“ Die Gryffindor fühlte sich mit einem Mal einfach nur müde. Einfach nur so müde. Eigentlich hatte Rose bei einer Gelegenheit wie dieser ihre Mutter damit konfrontieren wollen, dass sie Hermine und Draco zusammen gesehen hatte, in einer verräterisch vertrauten Pose. Schon allein bei diesem nach Gift und Galle schmeckenden Gedanken zog sich der Magen der Rothaarigen wieder zusammen. Aber sie wollte jetzt stark sein. Für Ilona. Die Umtriebigkeiten ihrer werten Erzeugerin konnte das Mädchen nachher verurteilen. Jetzt zählte nur, dass ihre beste Freundin noch am Leben war. Und die Weasley hatte einen Plan, um die Blonde wieder nach Hogwarts zu holen. Einen guten Plan. Einen verdammt verteufelten Plan. Aber wenn sie ihn fehlerlos ausführen wollte, durfte sie nun nicht den Unmut ihrer Mutter auf sich ziehen. Mrs. Granger indessen, die diese unerwartete (und gar nicht aggressive) Antwort ihres Sprösslings vorsichtig als positives Zeichen ausgelegt hatte, dass sie nun nicht mehr so gehasst wurde wie noch Stunden zuvor, begann indessen, Rose von einer höchst heiklen Angelegenheit zu berichten. Sie wollte der jungen Frau damit zeigen, dass sie trotz aller Schwierigkeiten immer noch von ihrer Mutter in alle Dinge miteinbezogen wurde. Hermine hatte in einem Muggel Elternratgeber nämlich gelesen, dass dies wahre Wunder wirkte. Dieses Einbeziehungsding. Der Teil, in dem Tipps gegeben wurden, wie man seinen Kindern am besten einen Seitensprung beichtete, war von ihr geflissentlich übersehen worden. Sie hatte das nicht nötig. Professor Granger hatte ihren Ehemann nie betrogen. Das versuchte die verzweifelte Frau sich jedenfalls immer wieder einzureden. Erfolglos. Denn sie hatte einer Lüge noch nie Glauben schenken wollen, wie bequem und um so vieles komfortabler das für sie auch gewesen wäre. „Dein Vater und ich haben uns vor einiger Zeit zufällig getroffen“, begann Hermine unsicher. Nun war es an ihr, dem suchenden Augenpaar auszuweichen, das sofort aufmerksam auf ihr verkrampftes Antlitz gerichtet wurde „Wir haben uns sehr lange unterhalten und erstaunlicherweise gar nicht gestritten“, fuhr die Lehrerin einen Augenblick später mit einem betont fröhlichen Lächeln fort. „Ich habe ihn nächste Woche auf eine Tasse Tee nach Hogwarts eingeladen… Natürlich, derzeit kommt hier niemand raus oder rein, aber vielleicht, wenn es sieben Tage lang keine Angriffe gibt, wäre vielleicht eine kleine Ausnahme möglich… Du willst deinen Vater doch auch einmal wiedersehen?“ Ihre Stimme verhallte hoffnungsvoll im dunklen Gang. Rose sagte nichts. Das Mädchen musste mit aller Macht den inneren Drang bekämpfen, ihre Mutter einfach anzubrüllen. Ihr einfach einmal so nebenbei mitzuteilen, dass sie diese Verlogenheit, die ihr hier wieder so offenkundig entgegenschlug, mit allen Fasern ihres Körpers verabscheute. Mum und Dad würden sich nie mehr vertragen. Das musste inzwischen selbst der naivsten, gutgläubigsten Person der Welt klar geworden sein. Und Rose war weder naiv noch gutgläubig. (Das hatte immer Ilona für sie erledigt.) Da half kein Tee der Welt. Eigentlich wollte die Weasley ihrer Mutter einfach einmal sagen, dass sie sie dafür hasste, abgrundtief hasste, dass sie während der Ehe mit einem anderen Mann als ihrem Vater ins Bett gestiegen war. Und dass Rose wusste, dass Ronald Weasley ein Idiot war, der die Hand gegen seine Frau schon einmal erhoben hatte. Aber die Gryffindor musste sich zusammennehmen. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte sie sich nun die Engelsgeduld ihrer Freundin, deren zerfetzter Körper wahrscheinlich schon längst irgendwo im Verbotenen Wald den wilden Tieren eine Nahrungsquelle geworden war… Nein. Ilona war nicht tot. Ilona war nicht tot. Ilona war nicht… „Hast du mir überhaupt zugehört?“, schnitt Professor Grangers Stimme mit einem Mal scharf in die Gedanken der 17- Jährigen ein und ließ die Weasley damit wieder in das große, schwarze Loch, auch getarnt als Realität, zurückfallen. Der jungen Frau fiel nichts Besseres ein, daraufhin als einzige Antwort angestrengt zu nicken und zwischen ihren zusammengepressten Kiefern hervor zu knirschen: „Tut mir leid, aber…Ilona…schrecklich…Hagrid!...tot…“ Hermine verstand (oder glaubte es zumindest) sofort. „Natürlich! Das muss sehr schlimm für dich sein, wo doch Miss Una…“ Peinlich berührt verharrte die Lehrerin für einen Moment. „Geh nur in den Gemeinschaftsraum“, setzte die Hauslehrerin der Gryffindors schließlich mit schwacher Stimme fort. „Und wundere dich nicht, dass er leer ist. Deine Kollegen wurden schon allesamt in ihre Schlafzimmer geschickt- es wird dich also niemand mehr mit unerwünschten Fragen belästigen.“ Wiederum nickte Rose nur. Stille kehrte ein. Schließlich nahm sich das Mädchen ein Herz und eilte mit ausgreifenden Schritten und gesenktem Kopf ohne Abschiedsgruß an ihrer stummen Mutter vorbei. Erst vor dem Porträt der fetten Dame machte sie wieder Halt. Diese musterte die Zuspätgekommene mit großer Neugier. Da ihr jedoch vom Direktor höchstpersönlich verboten worden war, Fragen zu stellen, nickte sie nur huldvoll bei dem von der Schülerin hastig hervorgestoßenen Passwort („Löwenherz“) und gab schweigend den Weg für die Rothaarige frei. Nur noch ein paar Schritte, nur noch schnell durch den menschenleeren Gemeinschaftsraum und dann würde Rose endlich in ihrem Schlafzimmer sein. Dort konnte sie einfach nur die Vorhänge vor den Nasen ihrer wissbegierigen Kameradinnen zuziehen und ihre Gedanken neu ordnen. Vielleicht etwas schlafen. Damit sie morgen ausgeruht war, wenn Malfoy junior und sie es in tiefster Nacht wagen würden, aus Hogwarts auszubrechen… Aber das Mädchen kam nur bis zu der ersten Stufe der Wendeltreppe. Da begannen bereits die ersten, lautlosen Tränen an ihrer Wange herabzurollen wie kleine, flüssige Perlen. Die Gryffindor schämte sich so! Jemals wieder zu weinen, das war doch für sie bisher immer undenkbar gewesen. Sechs Jahre lang hatte die junge Frau durchgehalten, und jetzt? Jetzt weinte sie schon zum zweiten Mal innerhalb von zwei Stunden… Aber es war auch zu schrecklich gewesen, als Hermine Ron Weasley zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder erwähnt hatte. Und da, bei diesem kleinen, unguten, bösen Gedanken brachen mit einem Mal zu allem Übel auch noch alle Dämme. Lauthals schluchzend musste Rose sich auf eine der Treppenstufen niederlassen, da ihre wackeligen Knie sie nun einfach nicht mehr tragen wollten. Es war zu viel gewesen. Es war heute einfach zu viel gewesen. Ohne Ilona war die junge Weasley einfach nur ein Wrack. Ein sehr nahe ans Wasser gebautes, verrottetes Wrack, welches die ganzen Abstrusitäten und Grausamkeiten, die seine Familie hervorbrachte, nicht ertragen konnte. Wie gesagt. Verhältnismäßig. Bei der Gryffindor hielt sich der Schaden verhältnismäßig zu ihrem Komplizen in Grenzen. Scorpius Vater zeigte nicht annähernd so viel Wiedersehensfreude, als er sein einziges Kind endlich in dem spärlich beleuchteten Korridor, der direkt zu dem Geheimeingang des Slytherin Hauses führte, ausmachte. „Wo warst du?“, schnauzte der Blonde seinen Sohn unfreundlich an. Er verschränkte dabei wütend beide Arme, während er abfällig die abgekämpfte Verfassung Scorpius in Augenschein nahm. Der Jüngere entgegnete jedoch nichts und wollte einfach verbissen schweigend an dem Zaubertranklehrer vorbeilaufen. Doch der Slytherin hatte die Rechnung ohne die schnellen Reflexe seines Vaters gemacht. Ehe der junge Mann sich versah, war ein edel versilberter Zauberstab auf ihn gerichtet worden und zwang den Blonden somit zum Stehenbleiben. „Ich frage dich noch einmal: Wo warst du so lange? Rothweil hat mir schon vor einer Stunde von deiner Rückkehr berichtet“, intonierte Draco kühl. „Ich habe Rose getröstet.“ Obwohl Scorpius sich derzeit eindeutig im Nachteil befand, konnte er nicht umhin, bei diesen Worten gehässig zu grinsen. „Wer?“ Malfoy senior zog einen Moment lang verwirrt seine leichenblasse Stirn in Falten. Dann jedoch blitzte plötzlich die Erkenntnis in seinen Augen auf und er hob den Zauberstab automatisch noch etwas höher, bis er schließlich genau auf die Stirn seines eigen Fleisch und Blutes zeigte. „Scorpius.“ Die Stimme des Älteren sank zu einem bedrohlichen Zischen herab, als er nun mit größtmöglicher Intensität seinem rebellischen Kleinkind zu verstehen geben wollte: „Ich habe es dir schon einmal gesagt. Du kannst dich mit jedem treffen. Du kannst jedes Mädchen mit deinem Aussehen und Charme bezaubern. Aber ich warne dich.“ Dracos Zauberstab begann zu zittern und stieß erste kleine, grüne Flammen aus. „Komm dem Balg des Schlammblutes nicht zu nahe, sonst…“ „Sonst was? Tötest du mich dann?“ Wütend ballte Scorpius seine Hände zu Fäusten. „Und du brauchst dich übrigens nicht mehr zu verstellen“, fügte der junge Mann flink hinzu, bevor sein Vater zornentbrannt etwas entgegnen konnte. „Nenn Mrs. Granger nicht Schlammblut. Sag doch lieber Darling oder Geliebte zu ihr. Wie es sich bei einem Paar gehört.“ Ein greller, roter Blitz raste mit einem Mal auf den Slytherin zu. Erst im letzten Moment machte der tödliche Fluch einen Haken nach links und verpuffte wirkungslos an der sich neben ihm befindenden, grauen Kerkerwand. Professor Malfoy atmete schwer. Seine ganze Haltung war mit einem Mal nicht mehr lässig wie üblich, sondern glich eher der eines angespannten Pfeiles, der nur darauf wartete, verschossen zu werden. Und sein Ziel mit tödlicher Genauigkeit zu treffen. Der Zauber war Draco aus den Fingern gerutscht, bevor er richtig nachdenken hatte können. Aber im ersten Moment war der Magier auch einfach zu wütend gewesen! Woher wusste Scorpius nur von seiner Affäre? Woher? „Keine Sorge, ich erzähls keinem weiter“, ertönte mit einem Mal die bemüht ruhig gehaltene Stimme des jüngsten Malfoys. Der Slytherin hatte sich noch immer nicht vom Fleck bewegt und musterte nun seinen um Beherrschung kämpfenden Vater eine Zeit lang mit einer Mischung aus Abscheu und Entsetzen, bevor er betont langsam fortzufahren begann. „Das wäre auch für mich äußerst peinlich, dass mein hochwohlgeborener, reinblütiger Vater mit einer Muggelgeborenen ins Bett steigt…“ Doch der hasserfüllte Monolog des Slytherin wurde plötzlich abrupt von Draco Malfoy unterbrochen, der seinen Sohn, mit einem Mal wieder vollkommen entspannt, mit einem heimtückischen Glitzern in den Augen, abschätzend musterte, während er leise flüsterte: „Du wirst von der Schule beurlaubt.“ „WAS?“ Fassungslos stierte Scorpius seinen Vater an. Das triumphierende Feixen, das sich nun auf Malfoy seniors Gesicht ausbreitete, sprach Bände. Aber das durfte sein Vater doch nicht? Oder?, Nur, weil der Slytherin die Affäre seines Professors jetzt beim Namen zu nennen wusste, durfte er doch nicht von Hogwarts verwiesen werden? Dachte der Zaubertranklehrer nun tatsächlich, dass Scorpius eine Gefahr für ihn darstellte, und hatte kurzerhand beschlossen, seinen einzigen Sohn, sein eigen Fleisch und Blut!, zu suspendieren? „Wie willst du das begründen?“, brach es schließlich erschreckend unsicher aus Scorpius Mund hervor. „ Aus Angst um meinen einzigen Erben, vielleicht?“ Gleichgültig zuckte Draco mit den Schultern. Bedächtig verstaute der Professor für Zaubertränke wieder seinen Zauberstab in einer der vielen Manteltaschen seines schwarzseidenen Morgenrocks, während er gleichzeitig mit grausam treffender Genauigkeit den besorgten Sopran einer ängstlichen Mutter nachzuäffen begann. „Immerhin ist das dunkle Mal nun bereits zum zweiten Mal in einer Woche auf Hogwarts´ Ländereien gesichtet worden! Da werde ich nicht der Einzige sein, der mein geliebtes Kind lieber nach Hause schicken lässt, als es hier in großer Gefahr zu wissen- Außerdem habe ich einen Auftrag für dich“, endete der Hausvorsteher der Slytherins wieder in seiner üblichen Tonlage und gewohnt geschäftsmäßig. „Wenn du ihn zu meiner Zufriedenheit ausführst, lasse ich dich vielleicht zu Weihnachten wieder die Schule besuchen…“ „Du verräterisches Aas!“, schleuderte ihm sein Sohn als einzige Antwort daraufhin wutentbrannt entgegen. „Aber das lasse ich nicht mit mir machen!“ „Doch, lässt du.“ Dracos Mundwinkel waren mit einem Mal wieder bedrohlich herabgesunken. Der Vater nahm seinen Sohn unbarmherzig ins Visier, bevor er mit belehrender Stimme fortfuhr: „Ansonsten werde ich leider nicht umhin können, deinen neu erkorenen Liebling unter den Schülerinnen, das Balg des Schlammblutes, bei ihrem morgigen, ersten Nachsitzen gehörig unter Druck zu setzen.“ Gespielt entsetzt zog der Zaubertrankprofessor eine Augenbraue hoch. „Du weißt ja, es passieren so viele Unfälle in meinem Fach.“ Der Lehrer verharrte für einen Moment. Während Draco sich eine nicht vorhandene Träne aus den Augenwinkeln wischte, bekannte er mit betrübter Stimme: „Es ist wirklich schrecklich! Wenn man bestimmte Tränke auch nur einmal falsch umrührt oder ihm die falsche Zutat hinzufügt, ist das Beste, was einem passieren kann, dass der ganze Keller in die Luft fliegt.“ „Sie ist Schülerin hier- du kannst ihr nichts tun“, entgegnete Scorpius trotzig. Aber in seinem Innersten wusste der Slytherin ganz genau, dass sein Vater es konnte. Er konnte Rose sehr wohl etwas antun, und es dabei wie einen Unfall aussehen lassen… „Es bleibt dabei. Am Montag reist du ab, sonst kannst du deine Freundin morgen mit Besen und Schaufel aus meiner Kammer transportieren“, beendete Malfoy senior das Gespräch, ohne den eben getätigten Einwurf seines Sohnes zur Kenntnis zu nehmen. „Gute Nacht, Scorpius.“ Der Zaubertranklehrer drehte sich beschwingt um und verschwand in einem Geheimgang, der gleich neben dem versteckten Eintritt in den Gemeinschaftsraum der Slytherins lag und ihn samstags und sonntags immer direkt in sein Büro nur zwei Korridore weiter führte. Scorpius blieb allein zurück. Montag. Bis Montag hatte er Zeit, Rose bei der Suche nach ihrer verschollenen Freundin zu helfen. Und danach… Der Junge schüttelte wild mit dem Kopf. Daran wollte er jetzt noch nicht denken. Kapitel 18: Exkurs nach Hogwarts. Der weiße Ritter und die Diebin ----------------------------------------------------------------- Am nächsten Morgen war die Stimmung in der Großen Halle, gelinde gesagt, miserabel. Obwohl jeder einzelne Schüler genau wusste, dass die Chancen, Dementoren in diesen geschützten Bereich eindringen zu sehen, bei exakt Null lagen, konnte man sich im Allgemeinen einer ängstlichen Nervosität nicht erwehren, sobald man Fuß in den heute nur trübe beleuchteten Raum setzte. Zudem verdunkelten den ganzen Morgen schon tintenschwarze, riesige Wolken drohend die verzauberte Decke der Halle. Sie ließen immer wieder drohendes Donnergrollen laut werden, das baldigen, heftigen Regenfall ankündigte, was natürlich keinen Schlossbewohner zu Jubelrufen bewegen konnte. Alles in allem waren also nur lausige Voraussetzungen für einen friedlichen Sonntag gegeben. An solchen düsteren Tagen rückte man unwillkürlich auf den Haustischen zusammen und war sich mit einem Mal dankbar der Tatsache bewusst, dass man nicht alleine speisen musste. Natürlich, die wenigen Einzelgänger auf den Tischen der Dachse, Adler, Löwen und Schlangen blieben von dieser spontanen Welle des Zusammengehörigkeitsgefühls unberührt. So auch Rose, die sich überraschend früh für einen Sonntagmorgen am weitest entferntesten Eck des Gryffindor Refugiums niedergelassen hatte, um mit finsterer Miene zu frühstücken. Das war man durchaus von dem Morgenmuffel gewohnt: Normalerweise gesellte sich nur noch Ilona, obwohl eigentlich eine Hufflepuff, im Laufe der Zeit zu der Rothaarigen und schaffte es wenigstens manchmal, mit verträumten Hinweisen auf das wunderschöne Wetter heute, einen etwas entspannteren Gesichtsausdruck auf das Gesicht ihrer besten Freundin zu zaubern. Aber nun war Miss Una nicht mehr da. Und deswegen wagte es niemand, in Roses Nähe auch nur laut zu atmen. Die Wutanfälle der leicht zu reizenden Gryffindor waren an sich schon fürchterlich. Nun aber, wenn Ilona, die einzige Person, die das cholerische Temperament des Mädchens immer halbwegs in Zaum gehalten hatte, verschwunden war… Da wagte niemand, nicht einmal der mutigste Löwe, eine Prognose zu stellen, was genau passieren würde, wenn an diesem denkwürdigen Morgen jemand der Weasley dumm kam. Zu allgemeinem Erstaunen jedoch schien Rose bis jetzt ungemein friedfertiger Laune zu sein. Nicht einmal der ahnungslose Ravenclaw- Erstklässler, der sie unabsichtlich mit dem Ellbogen anstieß, als er sich von seinem Tisch erhob, musste schwerwiegendere Konsequenzen fürchten als einen kurzen Blick seitens des Mädchens, der den Jungen zwar etwas blass um die Nase und deutlich zitternd, aber ansonsten zweifelsfrei am Leben von dannen ziehen ließ. Doch die Eskalation musste ja kommen. Gerade in dem Moment, in dem Rose Trübsal blasend den letzten Löffel Müsli in ihren Mund schob, öffnete sich das Eingangstor der Großen Halle mit einem übermäßig lauten Knall und Scorpius, überraschenderweise allein und ohne seine üblichen Kumpanen, trat schlecht gelaunt über die marmorne Schwelle. Unwillkürlich hielt jeder im Raum die Luft an. Hunderte Augenpaare sahen nun auf und wechselten schnell zwischen dem mürrischen Slytherin und der noch mürrischeren Gryffindor hin und her. Selbst einige Professoren unterbrachen mit einem Mal abrupt ihre schon die ganze Zeit andauernden, leise geführten Diskussionen am Lehrertisch und beäugten nun sowohl die junge Weasley als auch Malfoy junior äußerst misstrauisch. Scheinbar schien sich die ganze Halle mit einem Mal atemlos zu fragen: Wer würde anfangen? Wer der beiden Erzfeinde würde zuerst dem anderen eine beschämende Schmähung an den Kopf werfen und somit einen Orkan aus geschossenen Zaubersprüchen und Gewalttätigkeiten heraufbeschwören, vielleicht sogar ein Duell, das Hogwarts noch nie zuvor gesehen hatte? Scorpius schien die geballte Aufmerksamkeit, die man ihm mit einem Mal entgegenbrachte, als Erster wahr zu nehmen. Instinktiv verharrte er mitten im Schritt, wandte den Kopf und fokussierte die einsame, rothaarige Gestalt, die am Rande des Gryffindor Tisches gedankenverloren in ihre leere Müslischale starrte. Rose hatte noch nichts gemerkt. Sehr gut. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf das Antlitz der Schlange. Bedächtig trat der junge Mann nun endgültig in die Halle ein und machte sich auf den Weg. Dem Slytherin war gleichzeitig sehr wohl bewusst, dass nun jedes Augenpaar in der Großen Halle seinen Schritten folgte. Unwillkürlich verbreitete sich Scorpius Lächeln noch etwas. Sein letzter Tag in Hogwarts versprach entgegen aller Erwartungen wohl doch noch spaßig zu werden. Er ignorierte den Tisch seines Hauses, was ihm einige verwirrte Blicke und auch warnende Zurufe einbrachte. Schnell ließ der Slytherin auch den Hufflepuff Tisch hinter sich, der heute, anstatt in fröhlicher Gelb und Schwarzmischung zu glänzen, ganz in die letztere, traurigere Farbe gekleidet war. Wohl im Gedenken an Ilona. Scorpius beschleunigte seine Schritte und ließ bald auch den neugierig verstummten Ravenclaw Tisch hinter sich. Inzwischen hatte bereits ein Großteil der Gryffindors seinen Zauberstab gezogen. Nicht um Malfoy junior aufzuhalten, ganz im Gegenteil! Die Schüler wollten nur vorbereitet sein, im Angesicht der großen Eskalation, die sich da vor ihren schaulustigen Augen zusammenzubrauen drohte. Inzwischen hatte auch Hermine Granger von ihrem unberührten Teller aufgesehen. Verwirrt fokussierte ihr Blick den todesmutigen Spross aus der Malfoy Familie, der sich ihrer Tochter mit jeder verstrichenen Sekunde weiter näherte. Was der junge Mann wohl von Rose wollte? Sie doch wohl nicht vor aller Augen provozieren? Hermine bezweifelte dies. So verrückt konnte nicht einmal Dracos Sohn sein, die junge Weasley anzupflaumen, wenn das Mädchen derart schlecht gelaunt aussah. Nicht einmal ihre Mutter würde sich bei diesem mörderischen Gesichtsausdruck, den die Rothaarige gerade zur Schau trug, in die Nähe der aufbrausenden Tochter wagen… Neben ihr war mit einem Mal das Geräusch von zerberstendem Glas zu vernehmen. Draco Malfoy, der aus einer üblen Laune des Schicksals heraus direkt neben der Professorin für Verwandlung seinen Platz am Lehrertisch bezogen hatte, starrte mit dramatisch verengten Pupillen auf die Szenerie, die sich da vor ihm abspielte, herab. In seinen Händen hielt der Zaubertranklehrer noch den kläglichen Rest eines bauchigen Glases, das unter dem enorm zunehmendem Druck seiner Hände zersplittert war. Die Handflächen des Mannes waren mit einem Mal von vielen kleinen, blutenden Kratzern überseht, doch er schien dies überhaupt nicht zu bemerken, sondern fuhr stattdessen munter fort, seinen Sohn allein durch glühende Blicke zum sofortigen Umdrehen bewegen zu wollen. Unwillkürlich hob Hermine den neben sich bereit liegenden Zauberstab und murmelte einen Heilzauber. Die noch in der Haut verhaftet gebliebenen Scherben schossen plötzlich aus den sich in Sekundenschnelle von allein verschließenden Wunden und vereinigten sich mit dem restlichen Glas wieder zu dem edel geformten Krug in Malfoys Hand. Dieser honorierte diese freundliche Geste jedoch nur mit einem nachlässig gemurmelten, kaum hörbaren Dank, ohne den Blick dabei auch nur eine Sekunde von seinem Sprössling zu nehmen, der sich inzwischen neben die noch immer geistig abwesend wirkende Rose gesetzt hatte. Hermine musste schlucken. Sie sandte mit Lichtgeschwindigkeit ein Gebet zum Himmel, dass ihre Tochter nun nicht verrückt spielen und die ganze Halle in Staub und Asche zerlegen würde, nur weil sich soeben eine der von dem Mädchen meistgehassten Personen neben ihr niedergelassen hatte. Die Gryffindor sollte nur einmal Ruhe bewahren und die Beleidigungen, die Scorpius ihr sicherlich gleich an den Kopf werfen würde, einfach als Nonsens abtun… Mrs. Granger war bewusst, wie absurd dieser verzweifelte Wunsch selbst in ihren Ohren klang. Aber die Hoffnung starb eben immer zuletzt. Schließlich wurde Rose Weasley als Letzte in der Halle bewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. In der Großen Halle war es mit einem Mal so beunruhigend still. Was war passiert? Hatte soeben etwa Lord Voldemort persönlich an die Tür zum Frühstücksraum angeklopft oder warum hielt hier jeder plötzlich den Atem an? Unwillig hob und drehte die junge Frau ihren Kopf ein kleines Stück in Richtung der anderen Gryffindors. Die sonst so mutigen Löwen hatten inzwischen alle den üblichen Sicherheitsabstand zwischen dem Mädchen und sich selbst von zwei auf fünf Meter vergrößert und starrten fassungslos, teilweise sogar mit offenem Mund, auf einen Punkt, der sich scheinbar direkt hinter der ahnungslosen Rose befand. Flink drehte sich die Weasley um und wurde plötzlich mit einem neben ihr sitzenden, zufrieden wirkenden Scorpius konfrontiert, der auch noch die Unverschämtheit hatte, sie nun, da Blickkontakt herrschte, freundlich anzulächeln und (gut vernehmbar auch in der restlichen Halle) zu grüßen: „Guten Morgen, Sonnenschein!“ „Grrm“, war das einzige, was die junge Frau daraufhin entgegnete, bevor sie sich wieder lustlos ihrer (wie schon zuvor erwähnt) leeren Müslischale zuwandte. Ansonsten passierte nichts. Rein GAR nichts. Die gesamte Schüler und Lehrerschaft schien mit einem Mal erleichtert aufzuatmen. Gott sei Dank. Heute zum Frühstück gab es keine Katastrophe serviert, aus welchem seltsamen Grund auch immer. Aufgeregtes Stimmengewirr wurde wieder laut und die gesamte Halle schien ihre alltäglichen Gewohnheiten ungestört erneut aufzunehmen. Es wirkte beinahe so, als wäre alles wie zuvor, bevor Scorpius in die Halle getreten war. Abgesehen davon natürlich, dass nun jedes Gespräch, das nun fortgesetzt oder neu begonnen wurde, von nur einem einzigen Thema handelte: Seit wann gingen sich Rose Weasley und Scorpius Malfoy nicht mehr an die Kehle, sobald sie sich in die Augen sehen mussten? Und beinahe noch wichtiger war die gleich darauf folgende Frage: WAS hatten die beiden Todfeinde denn bloß derart Wichtiges zu besprechen, dass sie nun so geheimnistuerisch ihre Köpfe zusammensteckten? „Erzählst du mir jetzt von deinem tollen Plan?“, flüsterte Scorpius so leise, dass Rose beinahe von seinen Lippen ablesen musste, um den Sinn seiner Frage überhaupt erfassen zu können. „Später“, war die einzige, kurze Entgegnung der Rothaarigen. „Hier haben sogar die Wände Ohren.“ „Das kannst du laut sagen.“ Der Slytherin warf den Gryffindors an der anderen Seite des Tisches mehrere misstrauische Blicke zu. Die Löwen hatten inzwischen mit einem Mal ganz unerwartet die Entfernung zwischen sich und Rose auf 30 Zentimeter verkleinert und versuchten nun angestrengt, jedes geflüsterte Wort zwischen den beiden mit seltsam vergrößert wirkenden Ohren aufzuschnappen, während sie weiterhin so taten, als würden sie sich angeregt unterhalten. „In zehn Minuten in der Bibliothek?“, formte Scorpius tonlos mit seinen Lippen. Doch Rose schüttelte nur widersinnig den Kopf. Dabei neigte sich ihr Mund wie zufällig dem Ohr des jungen Mannes zu und sie hauchte vielmehr, als dass sie sprach: „Zu viele Leute. Gleicher Ort wie gestern?“ Der Blonde konnte daraufhin ein Stöhnen kaum unterdrücken. Wie war das schnell noch einmal mit der offenbar berechtigten Hoffnung gewesen, dass sein letzter Tag in Hogwarts doch noch angenehm werden könnte? Stattdessen würde er seiner empfindlichen Nase wieder diese schreckliche Toilette antun müssen. Wunderbar. Der junge Mann stimmte schlussendlich jedoch trotzdem mit einem kurzen Nicken zu. Er erhob sich langsam wieder von seinem Sitzplatz, nicht aber ohne zuvor noch mit einer fließenden Handbewegung die störrische Strähne, die Rose heute schon wieder ins Gesicht hing, resolut nach hinten zu streichen. „Bis bald, Rose“, lächelte der Slytherin und zwinkerte ihr zu. Die Weasley funkelte ihn wütend an, sagte jedoch nichts. Vor der gesamten Lehrerschaft, deren Blicke die junge Frau sehr wohl im Rücken spürte, konnte sie diesem Schleimbeutel für diese unsinnige Geste keinen Fluch anhängen, das sah selbst das überschäumende Temperament der Rothaarigen ein. Mit wütend verschränkten Armen verfolgte die Gryffindor die hochgewachsene Gestalt ihres Komplizen, der sich nun federnden Schrittes einen Weg zu seinem Tisch bahnte, wo ihn ausnahmslos fassungslose oder angeekelte Gesichter erwarteten, die an Missgunst nur noch von dem mörderischen Antlitz Draco Malfoys übertroffen wurden, der in diesem Moment wutschnaubend den Lehrertisch verließ. Das wirst du mir büßen, Scorpius, schwor die Weasley sich innerlich. Eines Tages, wenn ich nicht mehr auf deine Unterstützung angewiesen bin, SCHWÖRE ich dir… So ging es noch den Rest des Frühstücks weiter. Aber Scorpius machte sich nichts aus den bösen Blicken, die ihm Rose konstant zuwarf. Er genoss lieber glänzender Laune die eigens für ihn zubereiteten Eier Benedikt. Das Leben konnte manchmal so überraschend schön sein. „Also. Wie sieht dein Plan aus?“ Rose und Scorpius hockten elf Minuten später unkomfortabel eng aneinander gedrückt Seite an Seite in der letzten Kabine des Mädchenklos im zweiten Stock und vermieden es angestrengt, sich gegenseitig in die Augen zu blicken. Es war einfach zu seltsam, mit seinem Erzfeind in so engem Raum zusammengepfercht zu sitzen und sich nicht zu beleidigen, sondern vielmehr ernsthaft zu versuchen, zusammenzuarbeiten… Der Slytherin war schließlich der Erste gewesen, der die angebrochene, unangenehme Stille zwischen den beiden, die herrschte, sobald sie sich gleichermaßen angeekelt auf dem Kachelboden niedergelassen hatten, mit eben erwähnter Frage unterbrochen hatte. „Der Plan. Genau.“ Die Weasley schien plötzlich wie aus einem Traum erwacht und begann nun mit leiser Stimme, jeden Zug ihres Vorhabens zu erläutern. „Dank Ilona war es mir schon mehrmals vergönnt, des Nachts aus dem Schloss zu entfliehen. Wir haben einfach zwei Thestrale aus dem Wald hierhergelockt und sind auf ihrem Rücken davongeflogen…“ „Thestrale?“, unterbrach Scorpius mit alarmierter Miene, doch seine Komplizin überging diesen Einwurf mit einer wegwerfenden Handbewegung. Sie warf dem jungen Mann nur einen spöttischen Seitenblick zu, bevor sie konzentriert fortfuhr: „Hast du Tomaten auf den Ohren? Ich selbst kann die Viecher ja nicht sehen, aber Ilona kann es und du müsstest es auch können, weil du ja schon jemanden mit eigenen Augen hast sterben sehen. Das stimmt doch, oder?“ Bedrohlich blitzend verharrten ihre eisig graublauen Augen eine Sekunde lang auf dem Antlitz des verdächtig blass gewordenen Slytherins. Dieser nickte einmal kurz, wagte jedoch gleichzeitig noch einmal einzuwenden: „Gibt es denn keinen Zauber, der auch den Luftraum von Hogwarts sicher hält? Ich meine…“ „Der gilt nicht für Thestrale“, unterbrach Rose ihn forsch. „Sie gehören praktisch zu dem Schloss dazu und fliegen in der Nacht öfters ihre Runden über dem Gelände. Glaub mir, Ilona und ich haben das bestimmt schon fünfmal gemacht und niemand ist uns bisher auf die Schliche gekommen. Also, ich weiß, wie man sie anlockt und auch reitet. Du musst nur dafür sorgen, dass der Astronomieturm um Punkt Mitternacht einen Moment lang unbewacht ist. Gerade dann ist zwar Wachablöse, und in diesen dreißig Sekunden, bis die Lehrer die Plätze ausgetauscht haben, kann man eigentlich problemlos die Tür aufschließen und in den Turm verschwinden, aber zur Sicherheit würde ich dir raten, zusätzlich ein paar Stinkbomben sorgfältig in einem anderen Stockwerk detonieren zu lassen, auch wenn das eine auffällige Vorgehensweise ist. Jedenfalls hoffe ich, dass wir, selbst wenn alle Ablenkungsmanöver schief gehen sollten, sowieso nicht gesehen werden, denn ich bin gestern noch in Professor Potters Büro eingebrochen und habe das hier gestohlen.“ Triumphierend hielt die junge Frau bei diesen Worten einen leicht schimmernden, seltsam flüssig wirkenden Umhang hoch, den sie plötzlich aus ihrer Umhängetasche gezaubert hatte. Scorpius genügte ein fachmännischer Blick, um zu erkennen, was dieses Stück Stoff so ungewöhnlich machte. „Ein Tarnumhang?“, flüsterte er voller kaum unterdrückter Bewunderung. „Die sollen ja unglaublich selten sein…Wie hast du den nur in die Finger gekriegt?“ „Hast du nicht zugehört? Ich habe ihn mir eine Zeitlang von Potter ausgeborgt“, knurrte die Weasley grimmig und verstaute den Tarnumhang wieder sorgfältig in ihrer halbvollen Tasche. „Für einen Professor in Verteidigung gegen die dunklen Künste ist er ganz schön nachlässig. Ich habe gestern Nacht seinem verwaisten Büro (du weißt ja, er ist immer noch im Wald auf der Suche nach Ilona) einen Besuch abgestattet und der Tarnumhang lag noch immer unberührt in dem Versteck, das er mir einmal voriges Jahr gezeigt hat.“ „Aber vielleicht liegen Flüche auf dem Umhang?“, warf Scorpius sofort ein. „Ich zumindest hätte einige Diebstahlzauber auf ihn gelegt, wenn…“ „Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“, unterbrach Rose ihn zischelnd. „Ich habe das Ding hundertmal untersucht und bin gestern Nacht während des Rückweges in mein Haus sogar darunter geschlüpft- nichts ist passiert! Also spar dir dein Misstrauen lieber für etwas anderes auf.“ „Na gut. So sollten wir zumindest unbehelligt bis zum Astronomieturm… Moment mal.“ Der junge Mann legte fragend den Kopf schief. „Wo und wann treffen wir uns überhaupt?“, wollte er neugierig von der neben ihm Hockenden wissen. Die Antwort kam sofort wie aus der Pistole geschossen. „Um halb zwölf wieder hier! Das Klo der Maulenden Myrte ist wirklich der letzte Ort, wo uns jeder halbwegs intelligente Mensch vermuten würde…“ „Entschuldige mal“, ertönte es plötzlich beleidigt aus der Toilette. „Was soll das denn bitte heißen?“ Rose und Scorpius blieb vor Schreck fast das Herz stehen, als aus der Kloschüssel in der Kabine plötzlich eine Fontäne schmutzig grauen Wassers herausspritzte und sie beide von Kopf bis Fuß durchnässte. Damit aber noch nicht genug. Mit einem furchterregenden Platschen erhob sich nämlich mit einem Mal die Maulende Myrte persönlich aus der stinkenden Brühe und funkelte die zwei Schüler aus dicken Brillengläsern heraus trotzig an. „Es ist nämlich nicht so, dass ich keine Gefühle habe, wisst ihr“, fing das tote Mädchen mit durchdringender Stimme an zu klagen. „Ich leide darunter, dass mich hier niemand mehr besuchen kommen will…“ Der Geist schluchzte mitleiderregend auf und verbarg den großen Kopf zwischen den durchsichtigen Händen. Im nächsten Moment schien Myrte jedoch bemerkenswert schnell wieder gefasst. Sie hob ihr seltsam leuchtendes Gesicht wieder und musterte die beiden schreckerstarrten Schüler triumphierend mit ihren dunklen Knopfaugen, die von der Brille, die sie trug, noch um ein Vielfaches vergrößert wurden, sodass sie mehr wie eine tote Eule als ein toter Mensch aussah. Mit vor Heiterkeit noch höherer Stimme als sonst verkündete der Geist: „Ihr wart schon einmal hier! Ich habe euch gehört, aber ich dachte mir, dass ihr gleich flüchten würdet, wenn ich aus der Toilettenschüssel käme…Also habe ich euch belauscht! Und ich habe ganz schön interessante Dinge erfahren… Ihr wollt aus Hogwarts flüchten, nicht wahr?“ Mahnend hob Myrte ihren linken Zeigefinger und intonierte salbungsvoll: „Ich denke, dass das den Direktor sehr interessieren wird…“ Verdammt. Oh verdammt. In Roses Kopf wirbelten die Gedanken hilflos durcheinander. Sie musste sich jetzt sofort etwas einfallen lassen, sonst… „Werte Dame. Ich gehe vor Ihnen in die Knie.“ Scorpius hatte sich direkt zu Füßen des perlweißen Geistes hinbegeben. Da hockte der junge Mann nun und betrachtete die überraschte Tote mit einem derart echt wirkenden, faszinierten Ausdruck in den Augen, dass sogar seine verblüffte, rothaarige Begleiterin im ersten Moment dachte, dass er die folgenden Lobpreisungen, die der geübte Akteur sogleich zum Besten gab, von Herzen kamen. „Ihr Antlitz, so fein! Ihr Gebaren, so lieblich! Sagt mir, Mademoiselle, wie konnte ich eine solche Rose, deren Schönheit alle anderen kümmerlichen Gewächse verblassen lässt, bis jetzt nur übersehen?“, schmachtete der Slytherin gekonnt und lächelte die sich inzwischen leicht rosa verfärbende Myrte selig an. „Nun kann ich sterben“, trieb es Scorpius sogleich auf die Spitze, als er merkte, dass sein Charme den Geist verzauberte. „Nun kann ich wirklich sterben! Denn ich habe alles Wunderbare in der Welt gesehen und mir ist es jetzt möglich, dem Tod furchtlos ins Auge blicken.“ … Ok. … Entweder war Malfoy junior nun endgültig verrückt geworden oder er war einer der talentiertesten Schauspieler, die Rose je gesehen hatte. Das Mädchen tendierte, nach langem und intensivem Nachdenken, schließlich zu... Scorpius riss die junge Frau aus ihren konzentrierten Überlegungen, indem er in diesem Augenblick pathetisch in ihre Richtung deutete und vor der begeisterten Myrte erneut sein Bestes gab: „Wir wollen die Gefährtin meiner treuen Dienerin aus den Fängen des Bösen befreien! Nur deswegen müssen wir Hogwarts heute Abend verlassen. Sagt, meine Schöne, ist diese Tat des Tadelns wert?“ Hoffnungsvoll verharrte der Slytherin und himmelte Myrte weiterhin mit einem so andächtigen Gesichtsausdruck an, als gäbe es tatsächlich nichts Schöneres auf der Welt als das pustelige Gesicht des maulenden Geistes zu sehen. Geehrt von so viel Aufmerksamkeit, färbte sich der Geist noch um eine Nuance tiefer rosa, bevor er schließlich mit schwacher Stimme entgegnen konnte: „Mein Ritter! Wie lange habe ich auf jemanden wie Euch nur gewartet! Keine Eurer Taten könnte ich jemals nicht gutheißen oder gar dem Feind verraten! Sagt mir nur eins, Geliebter“ Bei diesen Worten kam Myrte Scorpius noch näher, bis sie sich schließlich Aug in Aug gegenüber-standen, oder besser gesagt, teilweise -schwebten: „Was bekomme ich als Belohnung dafür, dass ich mich nicht mit dem Bösen verbrüdere? Vielleicht“ Die Tote bekam mit einem Mal glänzende Augen. „Einen Kuss?“, endete sie hoffnungsvoll. Scorpius unterdrückte ein Würgen. Gleichzeitig schaffte er es jedoch, seine Arme weit auszubreiten und freudig zu verkünden: „Nur einen? Ihr enttäuscht mich, Mylady! Hunderte, Tausende gehören nur Ihren wunderbaren Lippen…“ Rose, die nicht länger an sich halten konnte, stand abrupt auf und lief aus der überfüllten Kabine. Sie versuchte es zumindest bis zum Korridor zurückzuhalten, aber bereits nach drei weiteren Schritten musste das Mädchen so sehr lachen, dass sie innerhalb von Sekunden Seitenstechen bekam und mit vornübergebeugtem Oberkörper stehen bleiben musste. Hinter sich hörte die junge Frau nur noch ein hastiges „Ihr müsst das dumme Ding verstehen- sie weiß eben nicht, wovon ich rede. Auf ein baldiges Wiedersehen, meine Morgenröte“, bevor auch Scorpius aus der Toilette auftauchte, die sich irgendwie seltsam drohend anhörenden, zärtlichen Abschiedsrufe Myrtes („Geliebter! Eile nur davon und komme genauso eilig wieder!“) dabei komplett ignorierend und die sich vor Lachen bereits den Bauch haltende Weasley grob vor sich her aus dem WC schubsend. Spätestens da konnte Rose nicht mehr. Sie ließ sich auf Ort und Stelle auf den Boden fallen und lachte sich die Seele aus dem Leib. „Ich weiß nicht, was daran so witzig sein soll- ich habe nur unseren Plan gerettet“, ließ sich Scorpius spitz vernehmen. Aber das half alles nichts. Die Vorstellung des weißen Ritters war einfach zu göttlich gewesen. Einfach zu Kapitel 19: Exkurs nach Hogwarts. Strafe ---------------------------------------- Aber dieser Sonntag war nicht dafür geschaffen, einer jener glücklichen Tage zu werden, an die sich Scorpius oder Rose den Rest ihres Lebens gerne zurückerinnern wollen würden. Schließlich, als die Weasley sich beinahe zehn Minuten lang lachend auf dem Boden gewälzt hatte, den jungen Malfoy dabei mit jeder Sekunde mürrischer werdend und abfällig schnaubend neben sich stehend, ebbte der Heiterkeitsanfall der Rothaarigen langsam wieder ab. Nur mehr hin und wieder leise kichernd schaffte die junge Frau es, sich wieder von dem staubigen Korridorboden zu erheben und erst einmal ihre leicht verrutschte (und immer noch tropfnasse) Uniform zurecht zu zupfen. Mit einer lässigen Handbewegung zog das Mädchen daraufhin ihren Zauberstab aus der Tasche hervor und trocknete sich schweigend mit einem Föhnzauber ab. Und erst, als sie wieder ganz und gar trocken war, wandte sich die Weasley betont ernst ihrem noch immer tropfenden, schlecht gelaunten Kollegen zu und flüsterte: „Nun, stolzer Ritter auf weißem Pferde. Hat Eure Durchlaucht noch Fragen bezüglich unserer untadelswerten Rettungsaktion heute Abend oder darf sich Eure treue Dienerin nun zurückziehen?“ „Weasley. Halt die Klappe“, war Scorpius einzige, verschnupfte Entgegnung darauf. Diese unfreundliche Aufforderung trübte, wie beabsichtigt, die gute Laune der Schülerin sogleich ein gewaltiges Bisschen und Rose fauchte, sofort wieder ganz ihr alltägliches, kratzbürstiges Selbst: „Ich habe dich nicht aufgefordert, hier vor Myrte den Vollidioten zu spielen! Sei lieber froh, dass sie dir diese armselige Vorstellung abgenommen hat und beschwer dich nicht weiter… Oh verdammt!“ Der Trocknungszauber, den die Weasley anfangs noch guten Willens auf den nassen Slytherin gerichtet hatte, fing bei ihren hitzigen Worten unfreiwillig Feuer und setzte somit das Hemd des hilflosen jungen Mannes in Brand. Instinktiv riefen die beiden Schüler gleichzeitig „Aguamenti!“, um dem lodernden Feuer Herr zu werden. Eine riesige Welle aus reinstem Wasser materialisierte sich daraufhin plötzlich direkt über dem Blonden und klatschte ihm mit voller Wucht auf den bereits vorahnungsvoll eingezogenen Kopf. „Vielen Dank auch, Weasley!“, brüllte Scorpius wütend, nun noch nasser als zuvor, und blinzelte die erstarrte Schülerin an seiner Seite aus wässrig verklebten Wimpern heraus böse an. Diese wollte sogleich zu einer feurigen Entgegnung ansetzen, überlegte es sich im letzten Moment aber doch noch anders, knurrte vielmehr nur mehr ein „Halb zwölf, weißer Ritter. Vergiss das nicht!“, bevor sie sich auch schon schlecht gelaunt umdrehte und hinter dem nächsten Wandvorhang, der einen relativ ausgetretenen Geheimgang verbarg, verschwand. Scorpius stöhnte laut auf. Er war nass, ihm war kalt und zu allem Übel war Rose wieder einmal böse auf ihn. Toll. Und das Mädchen hatte ihn nicht einmal mehr mit zahlreichen Schimpfwörtern und Flüchen bedacht, wie es sonst so ihre wenig liebenswerte Art war, wenn er sie aus irgendeinem Grund verärgert hatte. Rose war einfach nur verschwunden. Ohne ein weiteres, verächtliches Wort. Das war seltsam. Und beunruhigte den Slytherin wirklich sehr. … Dabei hatte sie indirekt sogar nett sein wollen, als sie seine Kleider mit einem, zugegeben, etwas übermotivierten Zauber trocknen wollte! Aber was schlussendlich zählte, war doch nur der gute Wille, oder nicht? Scorpius jedoch, er, der große, charmante Slytherin, der sich ansonsten oft genug brüstete, mit aller Art von Mädchen umgehen zu können, musste sie natürlich anschnauzen wie Filch zu seinen besten Tagen, nur weil sie und er gleichzeitig einen sehr wirksamen Löschspruch im Sinn gehabt hatten, als sein Hemd zu brennen begonnen hatte. Gut gemacht, Scorpius, höhnte plötzlich eine noch nie zuvor vernommene, fiese, kleine Stimme im Hinterkopf des jungen Mannes. Da hat sich dein Hirn mal wieder ausgeschaltet, nicht wahr? Wie immer, wenn es um den Rotschopf geht… Sei froh, dass Weasley dich überhaupt noch bei ihrem Plan mitmachen lässt! Das ist die vorerst letzte Chance, ihr näher zu kommen, also… „MALFOY!“ Der Slytherin erstarrte. Wie jeder Schüler Hogwarts erkannte er diese ölige, verachtenswerte Stimme sofort, die da triumphierend nach ihm rief. Scorpius musste den plötzlichen Impuls unterdrücken, beide Beine in die Hand zu nehmen und so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Nein. Er würde das jetzt durchstehen. Denn wenn der junge Mann gerade jetzt etwas nicht brauchen konnte, dann waren das Schwierigkeiten. Und die vergrößerten sich sowieso nur, wenn am davonlief. Hoffte er jedenfalls. Langsam, todesmutig drehte der junge Mann sich um und entgegnete mit stoischer Gelassenheit den siegessicheren Blick des allseits gehassten Hausmeister Argus Filch, der plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm aus einem nahestehenden Wandschrank gestolpert war und nun eindeutig in seine Richtung hastete. Scorpius unterdrückte ein Seufzen. Scheinbar reichte heutzutage ein bloßer Gedanke an diesen wandelnden Alptraum, um ihn selbst in seiner furchtbaren Größe auf den Plan zu rufen… Eine Schande war das. Filch hatte sich inzwischen nur wenige Zentimeter vor Scorpius aufgebaut und musterte den resignierten Schüler nun heftig schnaufend, aber gleichzeitig mit bedrohlich zufrieden funkelnden Augen. „So eine Sauerei! Tropfst hier den ganzen Korridor voll und lässt mich damit aus purer Boshaftigkeit wieder Überstunden machen!“, begann der Schrecken aller Schüler sofort lauthals zu krächzen, nachdem er erst einmal wieder zu Atem gekommen war. Aber so haben wir nicht gewettet, Freundchen, heute lasse ich dich nicht davonkommen…“ Der junge Mann musste der Versuchung widerstehen, genervt die Augen zu verdrehen. Ja. Dieser Tag würde definitiv schrecklich werden. Eins muss man den Slytherins lassen. Sie wissen wirklich, wie man sich glänzend als das Opferlamm hinstellt. Malfoy junior hatte wirklich nicht allzu gute Karten, das ja. Aber immerhin musste Scorpius nicht den ganzen, langen, sich endlos hinziehenden Vormittag, Nachmittag und Abend Grausamkeiten über sich ergehen lassen. (Abgesehen vielleicht von der unfreiwilligen Putzstunde, die er nun unter der missbilligenden Aufsicht des Hausmeisters ohne Zuhilfenahme des Zauberstabes im zweiten Stock zu absolvieren hatte.) Im Gegensatz zu Rose. Die musste um exakt elf Uhr in Draco Malfoys Kabinett des Grauens antreten, um ihre Strafarbeiten abzuarbeiten. Und hatte somit wirklich Grund zum Jammern. Das Nachsitzen sollte noch vor dem Mittagessen beginnen. Doch Professor Malfoy verspätete sich extra eine Stunde, um sein Opfer noch etwas schmoren zu lassen. Damit gab der Lehrer für Zaubertränke auch seiner Hoffnung Ausdruck, dass die ungeduldige Weasley nach spätestens zehn Minuten des Wartens genug hatte, lieber einen Rauswurf riskierte und von dannen zog, als weiterhin vor der Tür seines Büros auszuharren. Doch zumindest in dieser Hinsicht wurde Draco enttäuscht. Als Malfoy senior schließlich, nach geschlagenen 60 Minuten Verspätung, um halb zwölf Uhr mittags die Steintreppen zu den Kerkern hinab schlenderte, konnte er schon von weitem die kleine Silhouette des Weasley Balges ausmachen, die gegenüber dem Eingang zu seinem Büro gelangweilt an der Steinwand lehnte. Als der Mann sich schließlich bequemte, in Sichtweite der Rothaarigen zu kommen, versteifte sich die bisher lässige Haltung der Kleinen sofort. Sie stieß sich hastig von der Wand ab und grüßte mit eisigem Ton: „Guten Tag, Professor.“ Keine Beleidigungen? Keine Bösartigkeiten? Kein Zynismus? Was war denn heute bloß in den Rotschopf gefahren? „Guten Tag, Rose.“ Draco neigte gelinde überrascht den Kopf. Dieser Trotzkopf würde ihm jetzt doch nicht allen Spaß verderben wollen, indem sie ihm keinerlei Widerstand mehr entgegensetzte?, fragte sich der Professor gleichzeitig missbilligend. Das wäre zu dumm. Und unglaublich langweilig obendrein. „Komm nur herein.“ Mit diesen Worten zog Malfoy senior seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Tür zu seiner Rechten. Sie schwang geräuschlos auf und erlaubte Rose somit zum ersten Mal einen Blick in das Reich des Zaubertrankprofessors. Die Rothaarige war gelinde überrascht. Anstatt einer Werkstätte des Grauens, mit den üblichen Folterwerkzeugen und blutbespritzten Wänden, die sie eigentlich schon halb erwartet hatte, fand das Mädchen nur einen vollkommen in Silber und Grün gehaltenen, prunkvollen Arbeits- und Wohnraum vor, der mit allerlei glänzenden, sicherlich sehr wertvollen Ziergegenständen und einem riesigen, protzigen Spiegel, der gleich eine ganze Wand ausmachte, den untrüglichen Eindruck vermittelte, eigentlich nur Aufsehen erregen zu wollen. Und somit vor allem an eines erinnerte: An seinen Besitzer. Der definitiv mit zu viel Selbstvertrauen, Arroganz und Reichtum ausgestattet worden war. Kein Wunder, dass die junge Frau diese Räumlichkeiten verabscheute, sobald sie zum ersten Mal einen Fuß hinein gesetzt hatte. Als das Mädchen nun langsam in den Kerker eintrat, bereitete sich die Gryffindor gleichzeitig psychisch auf die schrecklichsten Strafen vor, die sie hier würde ertragen müssen. Als Experimentierversuch für selbst gemischte Tränke herzuhalten oder alle Leihkessel der Schule das ganze Jahr über putzen zu müssen, waren noch die harmlosesten Varianten, die Rose dabei eingefallen waren. Aber Professor Malfoy schien etwas ganz Anderes im Sinn zu haben. Der Lehrer für Zaubertränke deutete nur kurz auf einen klapprigen Stuhl und den dazu passenden, wacklig aussehenden Tisch, die in der hintersten Ecke seiner Räumlichkeiten mit einem Mal wie aus dem Nichts appariert zu sein schienen, und erteilte dazu knappe Anweisungen: „Deine Aufgabe ist ganz einfach, Weasley. Du musst einfach nur diese Mitteilung“, dabei wedelte er mit einem plötzlich hervorgezauberten, amtlich wirkenden Pergament vor der Nase der Rothaarigen kurz hin und her, bevor er es flink in ihre ausgestreckten Hände fallen ließ, „so oft kopieren, bis ich dir sage, dass du aufhören sollst.“ „Unterlagen und Schreibfeder liegen bereit, du wirst deine Schreibutensilien also nicht brauchen“, setzte der junge Mann schnarrend hinzu, während Rose, die sich schon halb zu ihrer Tasche heruntergebeugt hatte, um Feder und Pergament herauszuholen, nun auf halbem Weg verharrte und sich langsam wieder aufrichtete. „Viel Spaß“, fügte Draco nur noch mit einem beunruhigenden Lächeln hinzu, bevor er sich galant umdrehte und entspannt auf dem nahen Sofa Platz nahm. „Und versuch ja nicht dich zu drücken, Weasley- ich habe dich im Auge“, beendete der junge Mann seinen Arbeitsauftrag noch mit einer eindeutigen Warnung, bevor er sich selbst deutlich widerwillig einigen Blättern dicht beschriebenen Pergaments widmete, die wohl Hausaufgaben seiner Schüler sein mussten und nun vor ihm, bereit zur Korrektur, auf dem niedrigen Couchtisch lagen. Doch Rose verschwendete nicht einmal einen Gedanken daran, sich der Arbeit entziehen zu wollen. Bedächtig ging das Mädchen auf ihren neu eingerichteten Arbeitsplatz zu und konnte ihr Glück kaum fassen. Meinetwegen konnte sie dieses Blatt Papier in ihren Händen tausendmal abschreiben- dies schien ihr immer noch eine bessere Bestrafung, als beispielweise das Pokalzimmer putzen zu müssen. Eigentlich hätte Rose es ja besser wissen müssen. Immerhin saß sie gerade eine Strafe bei Draco Malfoy ab, demjenigen Lehrer, der eine entschiedene Abneigung gegen alle Gryffindor, speziell gegen alle Weasleys, noch spezieller gegen sie, hegte. Aber vielleicht wollte die Löwin dem Liebhaber ihrer Mutter einfach nur noch eine Chance geben, auch wenn sie sich selbst das nie eingestehen würde. Immerhin, irgendetwas Gutes musste es ja an ihm geben? Warum sonst hätte ihre Mutter…? Diese kleine, dumme, naive Hoffnung verflüchtigte sich jedoch ziemlich schnell, als die junge Frau nun vorsichtig auf dem zerbrechlichen Stuhl Platz nahm und dabei gleichzeitig dem beschriebenen Pergament in ihrer linken Hand einen halbherzigen Blick zuwarf. Und stutzte. Noch halb in der Luft verharrte die Gryffindor und starrte das Stück Papier an, dessen Inhalt sie nun zweifellos millionenmal zu kopieren hatte. Nun wurde ihr auch mit einem Mal klar, warum sie nicht ihre eigenen Schreibutensilien benutzen durfte. Stattdessen standen ihr unzählige, schwarz umrandete Karten, die auf der rechten Seite des Tisches zu einem Stapel aufgehäuft waren, und eine trist grau gefärbte Feder, die auf der linken Seite lag, zur Verfügung. Plötzlich zitterten Roses Hände. Immer und immer wieder las sie ungläubig, Wort für Wort, die Mitteilung durch, die sich da, mit spindeldünner Schrift geschrieben, einem tintenschwarzen Spinnennetz gleich, in verschlungenen Lettern auf dem frischen Pergament ausstreckte. Obwohl Mitteilung eigentlich das falsche Wort war. Nachruf würde es eher treffen. Wir sind leider gezwungen, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ilona Una, geboren am dreiundzwanzigsten November 1998, siebter Jahrgang in Hogwarts, am Samstag, dem 6. September 2015, tragischer weise von uns gegangen ist. Seien Sie unseres herzlichsten Beileids versichert. Direktor Erasmus Rothweil (Merlinorden erster Klasse, ganz hohes Tier, Vorstand des Zauberergamots) Und Professorin Sprout, Hauslehrerin des Hauses Hufflepuff Es war nicht viel Text. Es war noch nicht einmal ein schwieriger Text. Aber dennoch. Für Rose waren diese 57 Buchstaben die Hölle. „Gibt es irgendein Problem?“ Die sanfte Stimme ihres Zaubertrankprofessors drang mit einem Mal in die kurzzeitig taub gewordenen Ohren der Weasley. Hastig drehte das Mädchen sich um. Sie fixierte den sanft lächelnden Lehrer mit einem fassungslosen Blick. Ohne an ihr Versprechen zu denken, dass sie sich selbst noch vor zwei Minuten abgerungen hatte, nämlich nicht mehr als nötig mit diesem Ausbund an Lasterhaftigkeit und Hinterhältigkeit zu sprechen, sprudelte es aus dem Mund der Gryffindor heraus: „Aber sie ist doch noch gar nicht tot! Warum verschickt Hogwarts dann. schon.. Beileidsbekundungen…?“ Das Mädchen verharrte mit offenem Mund. Sie blickte zu dem Blatt Pergament herab, das sie kopieren sollte. Dann erneut zu Draco. Und wieder zu dem Pergament. „Weißt du, Rose“, unterbrach Malfoy das eingetretene, tonnenschwere Schweigen mit nachsichtig klingender Stimme, „ich dachte mir schon, dass du so reagieren würdest. Du liegst falsch, wie schon so oft zuvor. Aber erlaube mir zuerst eine kleine Frage, bevor ich dich aufkläre. Denkst du denn wirklich,“ Draco entließ ein leicht abwertendes Schnalzen mit der Zunge. „Glaubst du denn wahrhaftig daran, dass Una noch lebt? Sie ist immerhin schon länger als 24 Stunden im Verbotenen Wald verschollen. Wenn die Dementoren sie nicht erledigt haben, dann die Werwölfe, die Spinnen, die Thestrale… Such dir was aus. Und was die Beileidsbekundung angeht.“ Der Professor lächelte leicht und markierte gleichzeitig die erste, von ihm durchgesehene Arbeit auf dem Wohnzimmertisch mit einem dick unterstrichenen, roten T, „Ich habe mir einfach nur einen kleinen Spaß erlaubt. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wegen so jemand Unwichtigem wie deiner Freundin ein Trauerschreiben aufgesetzt wird? Zumal sie noch nicht einmal 48 Stunden lang vermisst wurde?“ Er blickte freundlich zu seiner Schülerin auf, die stock und starr auf ihrem Sessel saß und ihn weiterhin unvermindert anstarrte. „Die Ähnlichkeit zu deiner Mutter ist frappant“, setzte der junge Mann, plötzlich nachdenklich geworden, fort. „Aber du hast viele Charakterschwächen deines Vaters geerbt… Zu schade.“ Malfoy verharrte einen Moment lang und verengte seine Augen plötzlich noch eine Winzigkeit mehr, als er die Weasley weiterhin aufmerksam fixierte. „Irre ich mich, oder ist dein Haar gefärbt?“, wollte er mit tonloser Stimme wissen. Rose entgegnete nichts. Mit allergrößter Kraftanstrengung wandte das Mädchen sich wieder ihrer Arbeit zu, unterdrückte all den Hass, der in ihren Adern rauschte, nach Erlösung schrie, und begann nun, mit der automatisch in Schönschrift schreibenden, grauen Feder zitternd auf das erste, schwarz umrandete Papierviereck zu schreiben: Wir sind leider gezwungen, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Kapitel 20: Einschnitt: Das Zauberwort -------------------------------------- Und plötzlich zersprang Ilonas Herz. Mit einem leisen Keuchen griff sich das Mädchen an die Brust. Ihr Körper versteifte sich und ihre Füße Ihre Füße schienen mit einem Mal keinen Halt mehr finden zu wollen. Die Hufflepuff stolperte nach vorne und somit direkt in die Arme des überraschten dunklen Lords. Unangenehm überrascht? Nicht direkt. Vielleicht höchstens halbherzig. Gespielt. Gefährlich. „Tut mir leid“, flüsterte Ilona leise, das Gesicht unbequem gegen die verspannte Brust des Erben Slytherins gedrückt. „Aber mein Herz hat plötzlich…“ Die junge Frau verstummte. Statt weiter kaum verständliche Entschuldigungen zu stammeln, hielt das Mädchen plötzlich den Atem an. Und dann, mit einem Mal, versuchte sie sich so schnell wie möglich, sofern es ihr geschwächter Zustand eben erlaubte, wieder aus der unfreiwilligen (jetzt schon zum dritten Male wiederholten) Umarmung des jungen Mannes an ihrer Seite zu lösen. Dieses Vorhaben gestaltete sich jedoch alles andere als leicht. Wie befürchtet. Denn seine Hände, mit seinen langen, weißen, schrecklich dünnen Fingern versperrten den Weg in die Freiheit, indem sie die Hufflepuff kurz entschlossen fest an sich gedrückt hielten. Daraus gab es kein Entkommen. Erst nach einigen Augenblicken der atemlosen Stille gelang es der Schülerin schließlich, ihre seltsamerweise kurzzeitig verloren gegangene Stimme wiederzufinden und, vor Verlegenheit kaum hörbar, zu nuscheln: „Bitte lassen Sie mich los, Mr. Riddle.“ Diese relativ freundlich formulierte Aufforderung blieb von Mister Riddle jedoch beschämenswerterweise vollkommen unbeachtet. Vielmehr zog der dunkle Lord daraufhin nur stumm die rechte Augenbraue hoch und senkte gleichzeitig seine hochgewachsene Gestalt noch etwas mehr herunter, um das Mädchen in seinen Armen noch näher betrachten zu können. Seltsamerweise fühlte sich der dunkle Magier plötzlich verloren. Verloren und gefangen. Ihr langes, glattes, dünnes und doch festes, blondes Haar, mit dem der plötzlich leicht aufgekommene Wind um ihre Schultern spielte, fand seinen Ursprung genau unter ihm, auf der hellen Kopfhaut der Schülerin und hielt ihn fest. Der gesenkte Kopf mit den leicht geröteten Wangen, der geschwungenen Nase, den edel geformten Lippen, den leicht hervorstehenden Wangenknochen fing ihn ein. Ihre fragile, zerbrechliche Gestalt, die doch überraschen zäh war, wenn es darauf ankam, ließen ihn beschämend schwach fühlen. Aber am meisten zogen den jungen Mann immer noch diese Augen an. Diese schrecklich dunklen Augen, die gerade verkrampft auf den Boden gerichtet waren und seinem Blick partout nicht entgegnen wollten. Was natürlich gut war. Und auch natürlich schlecht. Zum ersten Mal nahm Tom bei dieser ausgiebigen Musterung auch den Duft wahr, den die junge Frau innehatte. Ein überaus ungewöhnlich komplexes, dennoch unaufdringliches Gemisch, bestehend aus Seerosen, Salzaroma und natürlich Wasser. Sehr viel Wasser, das ihm da mit einem Mal in die Nase schlug. Eine wahre Flut, welche den Erben Slytherins plötzlich zu verschlingen drohte, als Ilona nun unvermutet den Kopf wieder hob und ihn mit tiefschwarzem Blick stillschweigend um Erbarmen bat. Mit einem Mal tobten die wildesten Gedanken durch den Kopf des jungen Lord Voldemorts. Bevor sie sich jedoch aus dem allgemein erhobenen, unkoordinierten und somit sehr unüblichen Wirbel aus seinem Gehirn herauskristallisieren konnten, verbannte Riddle sie auch schon wieder hastig aus seinem allzu sentimental gewordenen Denken. Zumindest versuchte der Törichte es. Die Hufflepuff war immerhin nicht einmal ein ganzer Mensch! Eigentlich sollte er sich allein schon deswegen vor ihr ekeln und der schlichte Gedanke an ihre unabsichtlichen Berührungen müsste unvermittelte Übelkeit bei ihm hervorrufen. Ilona Una war nicht besser als ein Hauself. Vielleicht klüger. Aber nicht besser. … Warum war Tom dann nur so gar nicht angewidert? Sie musste ihn verzaubert haben. Andere Schlussfolgerungen waren einfach nicht möglich. Nein… Ilona musste einen Zauber beherrschen, den nicht einmal Lord Voldemort kannte. Und das war ganz und gar nicht gut. Abrupt schob Tom das Mädchen wieder einige Zentimeter von sich und musterte es scharf. Sie schwächelte, das war eindeutig. Wahrscheinlich vor Hunger, weil dieses dumme, fischige Ding es nicht über sich bringen konnte, Essen zu sich zu nehmen, nur weil es von einem Hauself zubereitet worden war. Idiotische, kleine Göre. Am liebsten würde er diesen unnützen Grindeloh töten. Aber sobald dieser hasserfüllte Wunsch aufgekommen war, verschwand er auch schon wieder, schneller als ein Blitz, für die Ewigkeit unerfüllt in der Versenkung. Da war etwas. Trotz der zitternden Knie, der sich ungesund weiß verfärbten Haut und den dunklen Ringen unter den Augen. Da war etwas. Da war etwas in ihrem Blick, das Tom sagte, dass er sie nicht mehr töten würde können. Und dass der Kampfgeist der Hufflepuff noch lange nicht aufgebraucht war, übrigens auch. Als ob er das nicht schon vorher gewusst hätte. Ungewollt durchliefen seinen ganzen Körper wohlige Schauer. Wie gesagt. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Aber spannend. „Sie müssen etwas essen“, stellte Lord Voldemort schließlich überraschend leise und beinahe höflich fest. „Und keine Widerrede“, setzte er sogleich warnend hinzu, als Ilona ihre Stimme sogleich zum lautstarken Protest erheben wollte. „Sonst verhungern Sie mir noch.“ „Vielleicht will ich das ja.“ „Wie bitte?“ Sofort verengten sich die Pupillen des dunklen Lords. Er warf ihr einen kalkuliert grausam kalten Blick zu, der bis jetzt noch jedem seiner Gegner oder Anhänger das Fürchten gelehrt hatte. An dem Mädchen jedoch verpuffte er wirkungslos. Sie starrte ihn nur mit ausdruckslosen Augen an. Und machte es schon wieder. Sie provozierte ihn. Absichtlich. Das würde Konsequenzen haben, das… Innerlich schalt der junge Mann sich jedoch zugleich bitter selbst. Wie schnell er die Kontrolle in der Präsenz dieses Mädchens verlor! Es war ja direkt peinlich, sich so viele Gedanken um ein Halbblut zu machen. Ilona konnte ihre Drohung doch nicht ernst meinen. Bei diesem Gedanken verzogen sich Toms Mundwinkel unwillkürlich nach oben. Der Körper des jungen Mannes entspannte sich wieder. Genau. Das war einfach zu lächerlich. Oder? Der dunkle Lord runzelte unwillig die Stirn. Die Hufflepuff hatte ihn in der kurzen Zeit, die sie schon miteinander verbracht hatten, immerhin schon mehr als einmal überrascht. Unangenehm als auch angenehm. Beides immer zusätzlich versehen mit einem Quäntchen Gefühl, das er schon längst vergessen zu fühlen gehabt glaubte. Angst. Wie jetzt gerade. Böse, langfingrige Angst streckte plötzlich unerhörterweise wieder die Hände nach den Innereien des schwarzen Magiers aus und schienen sie kurzzeitig in ihrem tödlichen Griff einzufrieren. Angst vor dem Unbekannten. Angst davor, wieder etwas zu hören, wovon er bis jetzt noch keine Ahnung gehabt hatte. (Zu allem Übel auch noch aus dem Mund eines schmutzigen Halb Menschen.) Schon wieder etwas, von dem er gehofft hatte, es nie mehr spüren zu müssen. Aber scheinbar kitzelte der Halb Grindeloh mit Vorliebe alles längst Vergessene, Vergangene und Vergrabene wieder aus ihm heraus. Und das alles wahrscheinlich auch noch mit Hilfe eines Zaubers, den er, Lord Voldemort, nicht kannte. Gab es etwas Demütigenderes? Ja, sehr wohl. Die nächsten Sätze, die aus Ilonas Lippen hervorquollen wie flüssiges Gift, waren schlimmer Für Tom. „Wenn es das einzige ist, was ich tun kann, um Sie daran zu hindern, erneut einen Krieg zu beginnen, würde ich mit Freuden vor Ihren Augen verhungern“, entgegnete das Mädchen ruhig. „Aber falls es Ihnen genehm ist, würde ich dann lieber doch durch den Todesfluch sterben. Weniger Aufwand für Sie, weniger Schmerzen für mich, stimmen Sie mir da nicht zu?“ Auffordernd hob die junge Frau beide Arme, wegen ihrer schwächlichen Konstitution gleichzeitig stets darauf bedacht, nicht noch einmal umzukippen. Die untergehende, flammende Sonne warf brennende Strahlen auf ihre zierliche Gestalt, die sich da einfach so vor dem erstarrten Erben Slytherins erhob, in dem schlichten Wunsch, zu sterben. Etwas, das Tom noch nie verstanden hatte. Warum man sterben wollte. Freiwillig. Der Tod war doch das Schlimmste am Leben! Der schlimmsten Pfad des Schicksals, den schlussendlich jeder betreten musste. Allein der Gedanke daran machte Voldemort schwindelig vor Furcht. Vergangenheit zu sein. Nur mehr in den wehmütigen Rückblenden der Verbliebenen zu existieren, die mit der Zeit verblassen würden, bis sich nichts und niemand mehr an einen erinnerte. Schlussendlich nichts geleistet zu haben, das die Erinnerung wert wäre. Schlicht undenkbar für den schwärzesten Magier aller Zeiten. Aber da war auch noch etwas Anderes, was Lord Voldemort störte, gewaltig störte. „Dein Tod würde nichts bringen!“, zischte Tom ungnädig. Sein glutroter Blick brannte sich bei diesen laut hervorgestoßenen Worten unbarmherzig tief in die lichtlosen Höhlen, die Ilonas Augen mit einem Mal ausmachten, und suchte dort intensiv nach Zweifel. Zweifel, die bewiesen, dass auch ein Halbgrindeloh sich vor dem Sterben fürchtete. Aber er konnte nichts finden. Tom Riddle war und ist einer der besten Legilimetiker. Aber Ilona war und ist etwas Besonderes. Und deshalb erzitterte das Mädchen nun auch nicht vor Angst, als der dunkle Lord sich in seiner vollen jugendlichen Größe von ihr aufbaute, den Zauberstab bereits halb in der Hand. Und sehr, sehr wütend. Die junge Frau ließ die Arme nur langsam wieder sinken und wollte verwirrt wissen: „Sie haben doch nicht etwa Angst davor zu sterben, Mister Riddle?“ Lord Voldemort antwortete nicht, hob den Zauberstab in seiner rechten Hand nur noch etwas höher. Das reichte der Hufflepuff als Antwort. Ilona verschränkte wehmütig beide Hände ineinander und proklamierte gedankenvoll: „Stimmt. Das hatte ich beinahe vergessen. Tom Riddle fürchtet sich in seinem tiefsten Inneren vor der Dunkelheit, Schmerz, dem Tod und“ Das Mädchen verhaspelte sich. Mit großen Augen blickte sie zu dem zum Eisklotz gefrorenen dunklen Lord empor, dessen in ihre Richtung geneigter Stab bereits bedrohlich knisterte. Die Hufflepuff setzte im Gegenzug ihr freundlichstes Gesicht auf. Vielleicht gab es da doch etwas, womit sie Voldemort verwirren konnte. Die Blonde entblößte ihre weißen Zähne zu einem schauderhaften falschen Lächeln. „Ich liebe Sie.“ Zack. Der Ilona am nächsten stehende Baum wurde plötzlich wie von unsichtbarer Hand mit einem einzigen sauberen Schnitt gefällt. Seine mit dichten Blättern belaubte Krone schwankte noch einmal, so als würde sie leise zum Abschied winken, und dann fiel sie. Blätter in allen möglichen Farben wirbelten auf und nahmen Ilona die Sicht, als der mächtige Baumriese verblüffend heftig mit dem Erdboden kollidierte. Abwartend verharrte das Mädchen. Doch erst nach einer stillschweigenden Ewigkeit tat sich etwas. Ilona riss die Augen auf. Aber was sich da gleich alles tat. Ein Wunder. Obwohl die Zerstörung einer alten Eiche, einfach nur, weil einem gerade danach war, im Allgemeinen ihrer Meinung nach höchst sträflich zu betiteln wäre, fand die junge Frau es in diesem Moment höchst wunderbar. Die ganzen Farben, die da einmal um sie herum wirbelten! Vergessen waren da all die Sorgen, all die Ängste, wenn diese wunderschönen Blätter zu fliegen begannen, die Welt in ein einziges, prächtiges Farbenkleid kleideten und einem Kaleidoskop gleich ständig ihre Form und ihr Aussehen zu immer aufwendigeren Mustern umwandelten… Wenn da nicht der Wind gewesen wäre. Dieser schreckliche Orkan, der mit einem Mal unerwartet auffrischte und das Gestöber um die Hufflepuff herum immer heftiger werden ließ. Plötzlich gefielen der jungen Frau die vielen Blätter um sie herum nicht mehr, wenn sie auch die schönsten Farben und Musterungen hatten. Sie spürte plötzlich die über sie einbrechende Gefahr. Ilona wollte hier raus. „Tom?“, schrie sie unsicher in den Sturm hinein. Die Blonde wusste nicht, warum sie auf einmal die vertrauliche Anrede ihres größtes Feindes anstatt eines lauten Hilfeschreis in die Welt zu entsenden entschieden hatte. Fehler war es jedenfalls keiner. Toms schien hier wohl das Zauberwort zu sein. Sofort legte das Blätterunwetter sich. Das Farbengewitter verschwand wie von Zauberhand und ließ nur dreierlei zurück: Einen vollkommen verlotterten, dank der vielen unordentlichen Blätterhaufen, die sich nun mit einem Mal überall zu wahrhaften Laubbergen auftürmten, noch desaströser aussehenden Garten. Eine blonde, erschöpfte Hufflepuff, die verwirrt mitten im Auge des Chaos stand. Und einen von ihr abgewandten Rücken. Natürlich besaß dieser Rücken auch Gliedmaßen und einen Kopf. Aber von Tom Riddle schien plötzlich nur mehr die kalte Schulter zu sehen zu sein, die er nun gänzlich unerwartet der Blonden hinter sich zeigte. „Geh hinein“, hallte die Stimme Voldemorts eiskalt über den Park. Ilona bewegte sich nicht. Wartete stattdessen mit angehaltenem Atem ab. „Ich lasse Hogwarts noch heute Nacht überrennen, wenn du nicht sofort tust, was ich dir befohlen habe!“, bellte Riddle daraufhin und hob noch ein zweites Mal, diesmal allerdings scheinbar nur zwecks einer reinen Drohgebärde, seinen Zauberstab. Die Hufflepuff erblasste, rührte sich jedoch immer noch keinen Zentimeter. „WIRD’S BALD!“ Der Zauberer fuhr herum. Wütend funkelte er Ilona an, die, obwohl sie sich gerade eindeutig in großer Lebensgefahr befand, ihn weiterhin unverwandt überraschend traurig musterte. „Ich wollte Sie nicht verletzen“, begann das Mädchen sich schließlich leise zu entschuldigen. „ICH WILL DAS NICHT HÖREN!“, wurde sie jedoch sofort von einem rasenden dunklen Lord unterbrochen. Angestrengt fokussierte Tom seinen Blick wieder auf den lächerlichen, idiotischen, verletzlichen, Grindeloh. Seine rechte Hand ballte sich derart krampfhaft um den Zauberstab, dass seine Knöchel plötzlich übernatürlich weiß hervortraten und die Spitze des Stabes fauchende, kleine Flammen auszustoßen begann. Er wollte sie nicht sehen. Er wollte diesem unwürdigen, unmenschlichen Ding nicht mehr in die tränenschimmernden Augen sehen müssen. Aber Voldemort konnte sich nicht einmal mehr umdrehen. So verzaubert hatte ihn dieses kleine Halbblut schon. „Ich will doch einfach nur wieder nach Hause“, schniefte die junge Frau. „Ich will wieder zurück nach Hogwarts.“ Die ersten Tränen hatten sich bereits ihren Weg auf den schmalen Wangen der Hufflepuff gebahnt. Es war zum Verrückt werden. Jetzt musste sie schon wieder weinen. Dabei durfte Ilona doch keine Schwäche zeigen. Nicht in Gegenwart dieses Monsters. Nicht… „Ich kann dich nicht gehen lassen. Ich wünschte, ich könnte.“ Die Stimme des dunklen Lords schien mit einem Mal wieder dem üblichen, emotionslosem Ton verfallen zu sein. Kühl wandte der junge Mann sich halb von dem weinenden Mädchen ab und versuchte, sich auf den strahlenden Sonnenuntergang hinter ihm zu konzentrieren. Er hatte jetzt keine Zeit. Er wollte jetzt keine Tränen von ihr sehen. Er Er schien seinen Schutzpanzer vor jeglichen Gefühlen wieder angelegt zu haben. Dennoch glaubte die blonde Schülerin wahrnehmen zu können, wie sich die Statur des jungen Mannes noch mehr unangenehm versteifte, bevor er in sehr leicht auf und ab schwankendem Tonfall fortsetzte: „Du weißt schon zu viel…“ „Und töten wollen Sie mich auch nicht, Mister Riddle“, vollendete Ilona tonlos. Verstohlen wischte sich die junge Frau die letzte Träne aus ihrem linken Augenwinkel, bevor sie resigniert eine letzte Frage stellte: „Wollen Sie mir nicht wenigstens sagen, warum…?“ „Bitte gehen Sie ins Haus, Miss Ilona.“ Tom hatte sich immer noch nicht umgedreht. Aber seine Stimme klang nun etwas fester. Der junge Herr sprach ernüchtert weiter und steckte den Zauberstab gleichzeitig langsam wieder ein. „Sie sind müde und haben sicher Hunger. Ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn…“ Das leise Schließen der Eingangstür hinter ihm unterbrach seinen Monolog. Schlussendlich hatte sie doch auf ihn gehört. (Weil er das Zauberwort genannt hatte. Ihr Zauberwort.) Voldemort schloss die Augen. Als er sie langsam wieder öffnete, brannte die gesamte Parkanlage bereits lichterloh. Der dunkle Lord ließ die Flammen so lange lodern, bis ihnen jeder einzelne Grashalm zum Opfer gefallen und alles zu Asche geworden war. Es war sinnlos. Aber seltsamerweise befriedigte es ihn auch. Es lenkte ab. Von dem Feuer in seinem Inneren, das schon so lange auf Brennholz gewartet hatte, und nun meterhoch loderte. Kapitel 21: Aschenputtel. Mathilda ---------------------------------- Seltsamerweise schmerzte Ilonas Herz für einen Augenblick sogar noch mehr, als sie nun langsam die Eingangstür hinter sich zuzog. Doch das Mädchen biss die Zähne zusammen und ignorierte das heftige Wummern in ihrem Herzen. Oder versuchte es zumindest. Jedoch mit nur mäßigem Erfolg. Die Blonde wandte sich angestrengt, dank vollster Konzentration ohne einen weiteren Schmerzenslaut aus ihrer Kehle laut werden zu lassen, der Empfangshalle zu. So ungern die junge Frau es auch zugab, Tom Riddle hatte recht. Hunger. Sie hatte Hunger. Und müde war sie auch noch. Todmüde. Am liebsten würde Ilona sich an Ort und Stelle zu Boden sinken lassen und einfach nur schlafen. Eine halbe Ewigkeit lang. Aber zuvor musste das Mädchen etwas essen. Sonst würde sie ohne Zweifel verhungern. Ganz sicher. Dem bohrenden Schmerz in ihrer Magengrube nämlich nach zu urteilen hatte ihr störrisches Verdauungsorgan inzwischen schon gemächlich begonnen, sich selbst zu verschlingen. Da blieb eigentlich nur mehr eine einzige Frage zu klären. Wo war hier die Küche? Suchend drehte Ilona sich einmal um sich selbst. Aber undankenswerterweise war die Empfangshalle von Riddle Manor nicht mit Hinweisschildern ausgestattet worden. Das Mädchen würde die Küchengewölbe also suchen müssen. Und da sie inzwischen von der schieren Größe dieses Anwesens wusste, war dieser Gedanke nicht gerade aufbauend für die ohnehin schon gefährlich Schwächelnde. Diese Suche könnte ewig dauern. EWIG. Vorher würde die junge Frau garantiert dem Nahrungsmangel erliegen und sterben. Einfach so. Fast bereute die Hufflepuff es jetzt, das von Matilda zubereitete Festmahl abgelehnt zu haben. Aber nur fast. Lieber verhungerte das Mädchen, als seine Prinzipien zu verraten. (Auch wenn ihr Magen von diesen Prinzipien prinzipiell noch überzeugt werden müsste) So einfach war das. Diese sture Einstellung (und deren suizidalen Aspekte) allein wären ja schon schlimm genug gewesen, um einem das Leben unnötig schwer zu machen. Aber jene Herzschmerzen, die noch immer nicht aufgehört hatten, Ilona zu malträtieren, bereiteten der Hufflepuff zusätzlich auch noch Kopfzerbrechen. Sie war keine gute Heilerin, nie gewesen. Und allein die Vorstellung, dem einzig anderen Zauberer in ihrem derzeitigen Umfeld dieses Herzproblem anzuvertrauen, damit er es für sie lösen konnte, war schlicht lachhaft. Ernst zog die Hufflepuff ihre Stirn in Falten. Sie würde sich also etwas anderes überlegen müssen… Nach einer kleinen Weile erst fiel dem Mädchen schließlich eine nützliche Hilfestellung ein. Vielleicht musste dieses Problem ja an der Wurzel angepackt werden? Was hatte dieses heftige, reißende Wummern in dem für sie lebensnotwendigen, Blut pumpenden Organ überhaupt ausgelöst? Mit angestrengt verzogenem Gesicht legte Ilona die linke Hand auf ihr tobendes Herz. Solche Qualen hatte sie in Bezug auf dieses Organ zeitlebends noch nie erleiden müssen… Ererbte Krankheit war es ihres Wissens auch keine. Vielleicht hatte es ja etwas mit der Situation zu tun, in der sie genau dann steckte, wenn ihr Herz zu reißen (anders konnte die Schülerin das schmerzhafte Ziehen in ihrer Brust gar nicht beschreiben) begann? Wann war das schnell noch einmal gewesen? Nachdenklich legte die junge Frau ihren Kopf schief. Ah, genau! Als Voldemort diese seltsame Anmerkung in Bezug auf die Farbe ihrer Augen gemacht hatte. Und das zweite Mal war der Schmerz deutlich in Erscheinung getreten, als sie den jungen Mann nun, erst Sekunden zuvor, draußen allein gelassen hatte… Plötzlich durchrieselte Ilona eine undeutliche, böse Ahnung . Aber bevor der dunkle Gedanke genauere Gestalt annehmen konnte, wurden ihre dümpelnden Überlegungen von einem lauten Räuspern unterbrochen. Verwundert wandte die Hufflepuff sich um. Die Türklinke des Eingangstores hatte sich, von ihr bis jetzt unbemerkt, zu ganzer, handbreiter Größe aufgerichtet und schien mit immer lauter gewordenem Hüsteln schon länger ihre Aufmerksamkeit erringen zu wollen. Nun, da dem Knauf dies gelungen war, plusterte das Metall sich achtungsheischend auf und verkündete mit stolzer Stimme: „Wenn Sie irgendetwas brauchen, Mylady, zögern Sie nicht, mich um Rat zu fragen! Jeder Freund des Meisters ist auch mein Freund…“ Abrupt brach die Türklinke ab und schien der verwunderten Hufflepuff einen bohrenden Blick zuzuwerfen (sofern das einem hölzernen Knauf ohne Augen eben möglich war), bevor sie, etwas leiser und mit einem Mal hastig geworden, fortfuhr. „Sie sind die erste junge Frau, die diese Schwelle lebend übertreten hat, wissen Sie? Die Teekanne hat mich heute Morgen schon deswegen um meine Meinung gefragt, aber ich konnte ihr noch keine befriedigende Antwort geben. Unverschämtes Ding, das, übrigens! Hat mich gleich mit Verachtung gestraft, als ich bekennen musste, dass ich Sie noch nicht zu meinem erlauchten Bekanntenkreis zählen konnte! Ein gut gemeinter Rat an Sie, übrigens, bezüglich Porzellan: Dieses ganze Tischgeschirr…Allesamt ein so neugieriges und undankbares Pack! Vertrauen Sie denen niemals ein Geheimnis an, die erzählen alles sofort weiter!“ Der Knauf verharrte für einen Moment und produzierte ein abfälliges Geräusch, das sich sehr nach einem herablassenden Zungenschnalzen anhörte. Das Holz setzte jedoch sogleich wieder, nachdem es erst einmal seine Entrüstung über gewisse Teekannen kurzzeitig überwunden hatte, in weitsichtigem Plauderton fort: Jedenfalls, was ich Sie fragen wollte: Ist meine Vermutung richtig, wenn ich behaupte…“ „Streng dein Hirn nicht zu sehr an, Earl. Es könnte heiß werden und sich dann verknoten. Ich will diesen Entspiralungszauber nicht schon wieder an dir anwenden“, tönte es mit einem Mal leise, aber dennoch im ganzen Saal deutlich vernehmbar, hinter Ilona. Erschrocken wollte die junge Frau sich umwenden, wurde mitten in der Drehung jedoch ruckartig am rechten Arm gepackt und ziemlich unsanft wieder zurück in ihre Ausgangsposition befördert. „Wag es ja nicht, mich anzusehen, Halbmensch“, hauchte es eiskalt (und für jeden außer der Schülerin unhörbar) an ihrem Ohr. Bevor das Mädchen perplex etwas erwidern konnte, wurde sie unbarmherzig von dem sofort verstummten Türknauf weg in einen schäbigen Seitengang, der direkt neben dem linken Teil der sich erhebenden Onyxtreppe lag, gezerrt. In Ilonas Kopf schwirrte es. Sie hatte den Unbekannten, der sich hinter ihr angeschlichen hatte, natürlich sofort an der Stimme erkannt. Aber wie war Mister Riddle nur wieder in das Haus hereingekommen, ohne von ihr gesehen zu werden? Sie hatte das Eingangstor doch die ganze Zeit im Blick gehabt! Gab es hier etwa einen versteckten Eingang?, Und noch etwas. Wie hatte er sich überhaupt so nahe an sie heranpirschen können, ohne auch nur ein Geräusch zu verursachen? Sie hätte ihn doch eigentlich hören müssen… Natürlich, er war Lord Voldemort. Vielleicht beherrschte er solche Tarnzauber. Nun gut. Aber Das Mädchen verzog ihren Mund zu einem verwirrten Strich. Wie hatte er das nur so schnell vollbracht? Ihre wirbelnden, immer konfuser werdenden Gedanken wurden jedoch nach und nach von der neuen Umgebung, in der sie sich nun befand, in andere Bahnen gelenkt. Trotz des vielen Staubs und dem großen Sammelsurium an allesamt kaputten oder zerbrochenen Gegenständen, die hier am Boden und an den Wänden gleichermaßen gelagert zu werden schienen, erkannte Ilona sofort, dass es sich hier um eine exakte, wenn auch ungleich schmutzigere Kopie des sich über ihnen befindenden Gangs, an dessen Ende auch Voldemorts Domizil lag, handelte. Scheinbar war dies hier der Dienstbotentrakt. Bevor die Blonden den Mund jedoch öffnen konnte, um sich diese Vermutung von dem dunklen Lord bestätigen zu lassen, krallten sich schlanke, weiße Finger mit einem Mal warnend und unnötig fest in ihre nachgiebige Haut. Der plötzlich aufschießende, blutrote Schmerz in ihrem Unterarm trieb Ilona die Tränen in die Augen. Die grausame, weiße Hand zwang die junge Frau jedoch gleichzeitig derart bestimmend und atemberaubend schnell durch allerlei unsanftes Rucken und Ziehen so rasch und stumm durch den düsteren, vollkommen unbewohnt wirkenden Korridor, dass für laute Schmerzensbekundungen keine Zeit blieb. Und wenn der Hufflepuff ihre rechte Seite lieb war, musste sie Tom Riddles lenkender Hand wohl oder übel gehorchen. Ansonsten schien tatsächlich die ernste Gefahr zu bestehen, dass ihr rechter Arm allein durch den Druck, der auf ihn ausgeübt wurde, ausgerissen zu werden drohte. Ilona wagte nicht, auch nur einen Laut von sich zu geben. Nicht einmal dann, als Voldemort schließlich abrupt und nach nur sehr kurzer Zeit vor der letzten Tür im Gang haltmachte. Dieses stumme, verbissene Monster, das sie hier kurzerhand verschleppt hatte, ängstigte mit seinen kalten Fingern das Mädchen zu sehr, als dass sie Fragen zu stellen gewagt hätte. Jetzt war Tom Riddle wieder Lord Voldemort. Mit Haut und Haaren. Der junge Mann ließ Ilona, die sich, erschöpft vor dem Zielort verharrend, erneut an das unwillig tuckernde Herz greifen musste, jedoch keinerlei Zeit, sich auszuruhen, oder sich gar weit genug zu erholen, um weitere Fragen stellen zu können. Er schubste das Mädchen nur äußerst unsanft durch das sich wie von Zauberhand sofort öffnende Eichentor und zischte äußerst kurz angebunden: „Mathilda! Sie braucht etwas zu essen!“ Dann schlug er der jungen Frau auch schon wieder unhöflich die Tür vor der Nase zu. Ohne sich zu verabschieden. Ilona seufzte leise in die zurückgekehrte Stille hinein. Das war nicht gerade nett gewesen. Ob er wohl immer noch böse auf sie war? Die Hufflepuff zog traurig die Stirn in Falten und verharrte mitten in der Bewegung. Verblüfft hob das Mädchen den Kopf. Mit großen Augen blickte es sich um. Der Raum, in dem sie sich gerade befand, wirkte von der Struktur her exakt genauso wie Riddles Schlafzimmer einen Stock höher! Nur war das Zimmer hier teilweise komplett anders eingerichtet worden. Ilona klappte die Kinnlade herunter. In dieser großen Kammer waren statt Büchern nur allerlei blank geputzte Schüsseln, Teller und Besteck aus reinstem Silber zu finden, die akkurat aneinander gereiht einen guten Teil des gewienerten Holzfußbodens einnahmen. An der gegenüberliegenden Wand, wo im ersten Stock nur ein einzelner Kleiderkasten gestanden hatte, konkurrierten ein riesiger Ofen, ein mindesten ebenso großer Herd und ein schlicht enormer Vorratsschrank darum, sich allein durch schiere Platzeinnahme gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Das gesamte Zimmer schien außerdem von ordentlicher Sauberkeit beseelt worden zu sein, denn alles glänzte und glitzerte (seltsamerweise sogar die Decke!), als wäre es soeben frisch poliert worden, und verlieh der Kammer somit einen wunderbar gepflegten Eindruck. Es roch so gut hier, dass Ilona sofort das Wasser im Mund zusammenlief. Kurz gesagt: Die Hufflepuff musste die Küche wohl gefunden haben. … Noch kürzer: Ilona war im Himmel. Fasziniert versuchte die Blonde noch ein Stück weiter in dieses reine Paradies für Köche zu treten, doch eine helle, piepsige Stimme hielt das Mädchen im letzten Moment davon ab. „Miss! Was kann Mathilda Ihnen zu essen bringen?“, tönte es plötzlich hinter einem besonders großen Stapel Suppenteller hervor. Jene alte Hauselfe, mit der Ilona schon zuvor Bekanntschaft zu schließen versucht hatte, huschte mit einem Mal flink vor die Füße ihres unerwarteten Gasts und verbeugte sich so tief vor dem Mädchen, dass ihre Nasenspitze den blitzblanken Boden berührte. „Was kann Mathilda für Sie tun, Miss?“, wollte die Elfe dabei fürsorglich wissen und verharrte gleichzeitig in ihrer unterwürfigen Haltung, in Erwartung eines prompten Befehls. „Ich will Ihnen keine Umstände machen, Mathilda“, antwortete Ilona peinlich berührt, sich sofort unwohl fühlend vor der so deutlich sichtbaren, hündischen Ergebenheit, die ihr der Hauself entgegenbrachte. „Es wäre nur nett, wenn Sie mir den Weg zum Vorratsschrank zeigen könnten und…“ Das Herz der jungen Frau tat erneut einen brennenden Hüpfer und ließ sie, mit Tränen in den Augen und mitten im Satz verharrend, vor Schmerzen keuchend zurück. Schwer ließ sich das Mädchen auf den Boden fallen und schloss für einen verzweifelten Moment lang die Augen. Was zum Teufel sollte das? Diese Schmerzen waren unerträglich! Was hatte die junge Frau denn nur verbrochen, dass sie solche Qualen verdiente? Nur mehr am Rande nahm Ilona die offenkundig besorgten, auf sie einprasselnden Fragen der Hauselfe neben sich wahr. „Miss, ist Ihnen schlecht? Soll Mathilda Ihnen ein Glas Wasser bringen? Miss? Miss?“, tönte Mathilda immer lauter und verzweifelter. „Machen Sie die Augen auf, Miss!“ Die Stimme der Hauselfe mündete schon in einem gasklirrenden Crescendo, bevor Ilona sich schlussendlich entschließen konnte, ihre Augenlider wieder eine Winzigkeit zu öffnen und mit schwacher Stimme zu bitten: „Ein Glas Wasser und vielleicht ein Stück Brot, Matilda…Das wäre wunderbar…“ Das Gewünschte wurde schneller gebracht, als das das Mädchen auch nur blinzeln konnte. Auf dem silbernen Tablett, das Mathilda innerhalb einer Sekunde vor ihr auf den Boden abstellte, türmten sich neben bestimmt zehn Arten ausgesuchtesten Gebäcks, drei frisch heraus gebackenen Croissants, zwei davon gefüllt mit Marmelade wahlweise flüssiger Schokolade, einem Glas stillen, milden und prickelndem Wassers auch noch selbst gemachte Gurkensandwichs (!) und Tee. Diese Elfe war ein Engel. Dessen war sich die Hufflepuff spätestens jetzt ganz und gar bewusst. „Mathilda, Sie sind die Beste“, murmelte Ilona von ganzem Herzen, während sie nebenher zwei dunkle Scheiben Brot auf einmal ziemlich undamenhaft in ihren gierig geöffneten Mund schob und diese sogleich (beinahe unzerkaut) mit einem der drei Gläser Wasser nachspülte. Um die weiße Nase der Hauselfin legte sich bei diesem großen Lob sofort ein leichter Rotschimmer und sie verbeugte sich noch einmal sehr tief, bevor sie etwas atemlos entgegnete: „Mathilda tut nur, was sie kann, Miss. Soll Mathilda Ihnen noch etwas Anderes machen, Miss? Vielleicht ein Omelette oder Spiegeleier oder Auflauf oder…“ „Vielen Dank. Aber normalerweise koche ich lieber selbst- das heute war nur ein Notfall“, schnitt die Hufflepuff gedankenlos den Sermon der Dienerin ab und verhalf sich gleichzeitig zu einem der herrlich knusprig aussehenden Croissants. „Was ist das eigentlich für ein Tee, Mathilda?“, wollte die Blonde gleichzeitig neugierig wissen und deutete auf die dampfende Kanne, die am ziemlich äußersten Rand des Silbertabletts ruhig vor sich hin köchelte. „Er sieht ziemlich stark aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf… Earl Grey, nehme ich an?“ Doch Mathilda antwortete nicht. „Mathilda?“ Fragend wandte Ilona ihren Blick von den vielerlei Köstlichkeiten zu der alten Hauselfe, die sich plötzlich hastig von dem Mädchen entfernt hatte und es aus sicherer Entfernung mit einem absolut fassungslosen Blick bedachte. „Mathilda muss glauben, dass sie Sie soeben nicht verstanden hat, Miss“, stotterte die Elfin verdattert. Ihre greisen, faltigen Hände hielten sich dabei ängstlich an das wie eine Toga um ihren Körper gewickelte Tischtuch geklammert und ihre großen, hellen Augen suchten das Gesicht der Schülerin gleichzeitig offenbar verzweifelt nach einem Beweis ab, dass die Hexe sie soeben schamlos belogen hatte. „Miss kann das doch nicht ernst gemeint haben, nein…“, murmelte Mathilda und schlug sich plötzlich hart selbst gegen den Kopf. „Miss hat nur einen Scherz gemacht. Haha! Dumme Mathilda. Böse Mathilda! Böse Mathilda! BÖSE Mathilda!“ Bei den letzten Worten hatte sich die Hauselfin auf die nächstgelegene, schwere Bratpfanne gestürzt und begann nun allen Ernstes, sich damit selbst zu züchtigen. „Mathilda! Was tust du da?“, rief Ilona erschrocken, doch Mathilda schien sie gar nicht zu hören und schlug immer nur weiter auf sich ein. Das musste ein Fluch sein, dachte die Schülerin verzweifelt. Ein perverser, grausamer Fluch, der sie sich selbst bestrafen lässt… Da konnte die Hufflepuff nicht einfach tatenlos zusehen. Zitternd kam die junge Frau auf die Beine und warf sich ebenfalls auf die Bratpfanne. In einem äußerst hartnäckigen Kampf um das silberne Ding, indem beide Kämpfer so einiges einstecken mussten, da weder der eine noch der andere nachgeben wollte, gelang es der Blonden schließlich, Mathilda und die Bratpfanne zu trennen. Das hörte sich viel leichter an, als es in Wirklichkeit zu bewerkstelligen war. Elfen konnten nämlich, wenn es ihnen erlaubt war, ziemlich gemeine Tricks anwenden. So hatte Mathildas Gegnerin es schwer gehabt, auch wenn die Schülerin die Größere und Schwere der beiden gewesen war: Ihr Herz bereitete Ilona immer noch Probleme, und ohne einige hinterlistigen Finten (die jedoch nur etwas abgeschwächt eingesetzt wurden- immerhin wollte sie Mathilda nicht verletzen!), die sie in ihrem Heim gelernt hatte, wäre das Mädchen wohl mit wehenden Fahnen gegen die nicht nachlassende, kratzende, beißende und zähnefletschende Mathilda untergegangen. Schwer atmend stand Ilona jedoch schließlich schwankend als Siegerin auf und hob die errungene Bratpfanne hoch über ihren Kopf, sodass die Elfe sie nicht mehr erreichen konnte, selbst wenn sie so hoch es ging in die Luft sprang. Doch sobald die alte Hauselfin gesehen hatte, dass dieser Kampf unwiederbringlich verloren war, ließ sie sich einfach rückwärts auf einen ordentlich aufstehenden Packen Gabeln fallen und heulte auf vor Schmerz, als sich die spitzen Silberenden in ihren ungeschützten Rücken bohrten. Ilona fühlte sich wie in einem Alptraum. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Wie konnte ein einzelner Mensch, sei er auch noch so grausam und kalt, seiner eigenen Hauselfe befehlen, sich selbst zu verletzen, wenn… Ja, wenn was? Angestrengt begann die Hufflepuff, immer noch die Bratpfanne hoch in die Luft haltend, nachzudenken, die Schmerzensschreie Mathildas dabei kurzzeitig ausblendend. Vielleicht lag die Anleitung zum Bannen dieses Fluches ja in dessen Auslösung verborgen! Vielleicht müsste sie nur einen bestimmten Satz sagen oder ähnliches… Mathilda hatte doch gefragt, ob sie einen Scherz gemacht hatte, weil die junge Frau so steif und fest der Behauptung erlegen war, dass sie normalerweise selbst kochte… Und dann hatte die Hauselfe wohl ernsthaft gedacht, dass dies nur ein Witz gewesen wäre… Deshalb musste sie sich bestrafen? WEIL MATHILDA EINEN WITZ NICHT SOFORT ZU ERKENNEN GEGLAUBT HATTE? „MATHILDA! HÖR SOFORT AUF DAMIT!“, schrie Ilona in größter Not, als sich die nur mehr schlecht als recht auf den Beinen haltende Hauselfe nun, nachdem ihr die Gabeln nicht mehr als spitz genug erschienen waren, auf den Ofen zusteuerte, dessen gemütlich prasselndes Feuer mit einem Mal höchst lebensbedrohlich aufzuflackern schien… Und zur Verwunderung aller im Raum Anwesenden hielt Mathilda an. „Miss?“ Mit großen Augen blickte die Hauselfe zu der ebenso verblüfften Hufflepuff zurück, die noch immer mit der Pfanne in der Hand mitten im Raum zu einer Statue gefroren zu sein schien. Doch Ilona begriff schnell. Sie wusste, dass sie nun keine Zeit zum Nachdenken hatte. Mathilda folgte wunderbarer, sonderbarer, unglaublicherweise ihrem Befehl. Mehr brauchte das Mädchen nicht zu wissen. Flink deklarierte die Blonde so deutlich und so laut sie nur konnte: „Mathilda. Ich verbiete dir, dich jemals wieder selbst zu verletzen!“ Die hastig hervorgestoßenen Worte schienen noch eine Weile in dem auf einmal totenstill gewordenen Raum nachzuhallen. Dann entspannte Mathilda sich langsam. Die Hauselfin wandte sich zitternd wieder ganz der verstummten Schülerin zu. Einen Moment lang sahen die Elfe und der Grindeloh sich stumm an. Dann sank Mathilda hastig auf den Boden und verbeugte sich, verbeugte sich tiefer, als sie sich jemals zuvor in ihrem Leben verbeugt hatte und flüsterte mit tränenerstickter Stimme: „Danke, Herrin! Vielen, vielen Dank.“ Kapitel 22: Aschenputtel. Herr und Herrin- Prinz und Prinzessin --------------------------------------------------------------- Mathilda ließ sich von nun an partout nicht mehr davon abhalten, Ilona nur als „Herrin“ zu betiteln. Eine halbe Ewigkeit versuchte das Mädchen noch, dem alten Hauselfen klarzumachen, dass sie zwar auch keine Ahnung hatte, warum Mathilda denn auf einmal auch die Befehle der Blonden zu befolgen hatte. Aber dass es prinzipiell gut sei, weil die Elfin nun sicher nicht mehr unter Selbstbestrafung leiden müssen würde,sie jedoch… Und das war das wichtigste an der ganzen, sinnlosen Rede,unter keinen Umständen nämlich,niemals!,wollte Ilona mit „Meisterin!“ oder anderen respektvollen Anreden bedacht werden. Mathilda hörte diesem Monolog indes nicht einmal einen Augenblick lang zu. Die Alte murmelte nur immer wieder glücklich: „Eine Herrin! Endlich eine Herrin!“, vor sich hin und verbeugte sich konstant vor der entnervten jungen Frau. Und schließlich musste die Hufflepuff seufzend kapitulieren. Gegen den Diensteifer eines solchen Hauselfen war einfach kein Kraut gewachsen. Damit hatte das Mädchen sich wohl abzufinden, als auch mit der Tatsache, dass sie nun wohl(zumindest teilweise) als Mathildas Arbeitsgeber auftreten würde müssen. Aus Gründen, die ihr, gelinde gesagt, absolut schleierhaft waren. Und die sie, im tiefsten Inneren ihres noch immer schmerzhaft zusammen gezogenen Herzens, vielleicht auch gar nicht verstehen wollte. Jedenfalls war Ilona auch nicht sehr erpicht darauf,diejenige zu sein, die Lord Voldemort mitzuteilen hatte, dass er seine treue Hauselfe nun mit einem Grindeloh Halb Menschen wie sie teilen würde müssen. Aber diese Bürde würde dem Mädchen keiner abnehmen. Und außerdem wollte sie nicht feige sein, indem sie Mathilda vorschickte, die wegen dem Überbringen einer solchen Nachricht sowieso von Riddle persönlich höchstwahrscheinlich geröstet werden würde. … Was heißt hier höchstwahrscheinlich? Ganz bestimmt sogar geschlagen, geviertelt, geröstet werden würde wegen einer solch schimpflichen Mitteilung. Und das wollte Ilona niemandem antun, besonders keiner ohnehin schon leidgeprüfter Seele, wie Mathilda eine war. Andererseits. Die Blonde wusste ja gar nicht, wo sich Du weißt schon wer gerade befand. Folglich konnte sie diese unglückliche Botschaft jetzt ja gar nicht überbringen… Das Mädchen hatte also noch ein paar Stunden, bevor sie es tun würde müssen. Gott seis gedankt. Bei dieser Schlussfolgerung machte sich automatisch große Erleichterung in der Hufflepuff breit. Sie hegte tatsächlich bereits insgeheim die Hoffnung, dass der junge Lord vielleicht sogar gar nicht mehr im Haus weilte, sondern irgendwohin appariert war, wo er seine dunklen Pläne bezüglich der Übernahme von Hogwarts und der restlichen Welt besser. reifen. . lassen konnte… Ilona schluckte. Oh nein. Oh nein nein nein. Wie dumm war sie eigentlich, sich zu wünschen, dass Voldemort seinen Pläne weiter ausführte, nur um sie selbst nicht mehr zu behelligen? Das Mädchen brauchte einen Plan. Einen verdammt guten, mörderisch klugen Plan, mit dem Riddle von genau solchen Aktionen abgehalten werden würde. Die Hufflepuff hatte sich doch selbst geschworen, Lord Voldemort mit allen Mitteln zu bekämpfen, um den dunklen Zauberer nicht wieder die Spitze der magischen Zauberer Gesellschaft erklimmen zu lassen! Aber,und das war wohl die Millionenfrage. Wie sollte sie ihn nur daran hindern? Ilona hatte doch noch nicht einmal einen Zauberstab! Wie also,wie nur wie? Ehrlich gesagt, konnte sich die junge Frau keine adäquate Lösung für dieses Problem vorstellen. Sie verbrachte dennoch Ewigkeit um Ewigkeit in der gemütlichen Küche damit, auf dem verstaubten Bett in der hintersten Ecke des Zimmers zu sitzen und nachzudenken. Das in diesem Gewölbe ein komplett bezogenes Schlafgemach als Sitzgelegenheit zu finden war, stieß ihr schließlich erst nach einer halben Stunde seltsam auf (als sie nämlich noch immer zu keinem fruchtbaren Ergebnis gekommen war und deshalb verzweifelt versuchte, sich selbst kurzzeitig mit Belanglosigkeiten vor wirklichen Problemen abzulenken). Das dieses Bett ungewöhnlicherweise auch genau auf dem gleichen Platz stand wie das Lord Voldemorts ein Stockwerk höher und eigentlich (verständlicherweise) überhaupt nicht zu dem restlichen Interieur des Raumes passte, nichtsdestotrotz einfach DA war, mutete noch verwirrender an. Aber der verzweifelte Wunsch nach einer guten Idee, wie man Du weißt schon wen davon abhalten konnte, die Weltherrschaft an sich zu reißen, verschwand nie ganz aus dem Hinterkopf der Blonden, so sehr sie sich in dieses Bettenphänomen auch zu vertiefen versuchte. Diese Angelegenheit war zu brenzlig und verlangte zu viel Aufmerksamkeit von der Schülerin, als dass sie sich allzu sehr um wandernde Bettgestelle sorgen konnte… Leider. Die Hufflepuff furchte solange ihre Stirn in Falten und versuchte angestrengt, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sie Voldemort in seinen Plänen behindern könnte, dass sie schlussendlich schon dachte, ihr Kopf müsse explodieren. Aber der klügsten Schülerin, die Hogwarts je beherbergt hatte,wollte trotzdem nichts einfallen. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, wurde die Konzentration der Hufflepuff unabsichtlich, dennoch mehr als einmal immer wieder von einer glücklichen Mathilda erschüttert, die mit einem Mal der fröhlichste Elf der Welt schien und ein Nein! einfach nicht akzeptierte, wenn sie halbstündlich mit einer neuen Knabbereri, einer neuen Süßigkeit auf silbernem Tablett direkt vor Ilonas Nase auftauchte und das Mädchen direkt zwang, zumindest ein paar Happen davon zu sich zu nehmen. „Sie sind viel zu dünn, Herrin! Essen Sie doch noch ein bisschen!“, pflegte die betagte Elfe dabei zu trillern und gleichzeitig mit großen Augen die schmächtige Statur der Schülerin zu betrachten, die dadurch, dass sie noch immer von der abgetragenen, etwas zu großen Uniform des Mädchens verhüllt wurde, wohl aus kritischer Sicht Mathildas noch armseliger wirkte, als sie es ohnehin schon war. „Sie müssen auch Kleider kaufen gehen, Herrin! Solche Fetzen gebühren keiner Dame wie Ihnen“, setzte die Alte hin und wieder naserümpfend hinzu. Einmal ging die Hauselfe sogar so weit, atemlos leise zu flüstern, während Ilona besonders nachdenklich in die Ferne starrte: „Sie wollen doch hübsch aussehen, nicht wahr, Herrin?“ Ilona hörte die Bedienstete jedoch gar nicht mehr und nickte nur gedankenverloren, um die übereifrige Fee möglichst schnell wieder zu vertreiben. Daraufhin glänzten die Augen der Hauselfe aber nur noch stärker und sie fuhr, bestärkt in ihrer Vermutung bezüglich ihrer lieblichen Herrin und ihrem wunderbaren Herrn, fort, noch öfter, diesmal jedoch in stummer Ergebenheit versunken, den Versuch zu starten, ihre Meisterin mit cremigen Schokoladenkuchen und hauchzarten Fruchtschnitten verführen zu wollen. Schließlich, als Ilona gerade bestimmt schon zum fünfzigsten Male das Honigparfait mit einem resignierten Kopfschütteln abgelehnt hatte, begann mit einem Mal eine kleine, glänzende Glocke, die direkt über der hölzernen Eingangstüre der Küche in der Luft zu hängen schien, leise zu läuten. „Schon so spät!“ Mathilda machte einen erschrockenen Luftsprung (und setzte zuvor nur noch hastig das Parfait auf der Bettkante ab), bevor sie zu dem sich plötzlich von selbst angeschalteten Herd und dem sich erwärmenden Ofen zurückhetzte, während sie hektisch mit sich selbst zu reden begann: „Mathilda hat ganz die Zeit vergessen! Die neue Herrin ist so süß und wunderschön wie Honig, aber sie lässt die Zeit vergessen…Böse Mathilda! Kein schlechtes Wort über sie! Aber wonach es den Meister heute wohl noch gelüstet? Mathilda muss nachdenken…Warum er wohl so spät noch etwas essen will…Aber das ist Mathilda nicht berechtigt zu fragen…böse Mathilda!“ Neugierig hatte Ilona dieser Konversation, plötzlich geistig wieder vollkommen anwesend, mit gespitzten Ohren gelauscht und gleichzeitig mit Argusaugen Mathilda beobachtet, um sie im Falle eines Falles vor etwaigen Selbstbestrafungszwängen sofort zu befreien. Doch der Befehl der Hufflepuff galt anscheinend noch immer etwas: Obwohl sich die alte Hauselfe durchaus noch selbst beschimpfte, unterließ sie es immerhin, sich als Strafe Schmerzen zuzufügen, während sie nun hektisch begann, mit Pfannen und Töpfen auf dem großen Herd zu hantieren. Immerhin. Einem Lebewesen in diesem Haus ging es dank der Hilfe der Hufflepuff schon. besser.. … Und da war er. Einem Lichtblitz gleich kreuzte er plötzlich das Gehirn der verzweifelt Nachdenkenden. Ilona sprang auf. Der Plan. Endlich. Die Blonde hatte endlich einen Plan. Einen idiotischen, einfachen, naiven Plan. Aber er war das Einzige, was sie gerade zur Hand hatte. Das Mädchen würde einfach beten, dass er funktionierte. „Ich helfe dir, Mathilda“, tönte es plötzlich aus Ilonas Mund. Die Hufflepuff war aufgestanden und hatte schneller zu der erschrockenen Hauselfe aufgeschlossen, als diese mehr als ein ungläubiges Augen Aufreißen zustande bringen konnte. Ohne eigentlich selbst so genau zu wissen, was sie da tat, krempelte das Mädchen beide Ärmel hoch und verlangte freundlich, aber bestimmt von der neben ihr erstarrten Dienerin: „Ich denke, ich muss dir und deinem Meister erst beweisen, dass man als Zauberer auch selbst gut kochen kann-Ich brauche Eier, Zucker, Mehl und Salz, bitte!“ Es klopfte. Verwirrt zog Tom beide Augenbrauen hoch. Mathilda klopfte nie. Seine Hauselfe war immer dazu angehalten, das Essen so schnell und unauffällig wie möglich in das Arbeitszimmer zu eskortieren. Ohne an die Tür zu klopfen. Oder sonst irgendwie mehr als unnötige Geräusche zu produzieren, die ihn in seiner Konzentration störten. Litt diese alte Vettel nun tatsächlich auch noch an beginnender Demenz, dass sie einen solch wichtigen Befehl vergaß? Nur mit Mühe konnte der junge Mann seine Stimme ruhig halten, als er nun, innerlich kochend über so viel Dummheit, leise befahl: „Komm rein.“ Die Tür blieb einen Augenblick lang noch unbewegt bestehen. Dann schwang das Holz zögernd und beinahe ängstlich nach innen. Spätestens jetzt wusste Voldemort, dass es sich hier nicht um seine treue Mathilda handeln konnte, die da um Einlass begehrte. Mit einem Mal hatte der Slytherin noch mehr Mühe, die unbändige Wut, die ihn schon seit einer ganzen Weile in großen Wellen zu überschwemmen drohte, unter Kontrolle zu halten. „Was willst du hier?“, zischte er bedrohlich leise. Sein Blick blieb dabei jedoch weiterhin stur auf die vergilbten Seiten eines dunkelgrün gebundenen Folianten, der gerade aufgeschlagen in seinen bleichen Händen ruhte, gerichtet und im ersten, verwirrenden Moment schien es beinahe so, als würde er gar nicht mit der zierlichen, jungen Frau, die plötzlich auf der Schwelle zu seinem Reich erschienen war, sprechen. Dennoch war Ilona sofort klar, dass diese unhöflich formulierte Frage nur an sie gerichtet sein konnte. Es war gar nicht die Tatsache, dass sich sonst niemand außer ihnen beiden im Raum befand, sondern vielmehr der angeekelte Ausdruck, der einen Augenblick lang über Riddles Gesicht gehuscht war, als Ilona ins Zimmer eintrat… Es schmerzte. Es schmerzte immer wieder, wenn man augenscheinlich verachtet wurde. Bei dem eiskalten, scheinbar gelangweilt angeschlagenen Ton des Zauberers war die junge Frau unwillkürlich zusammengezuckt und das Tablett in ihren Händen hätte beinahe mit dem dunklen Holzboden unter ihr unfreiwillige Bekanntschaft gemacht. Gerade noch rechtzeitig aber konnte das Mädchen seinen Griff um das Silber festigen. Möglichst leise versuchte sich die Hufflepuff nach dieser gelungenen Rettung (sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sie das Essen fallen gelassen hätte), zu beruhigen. Einatmen. Ausatmen. So leicht würde sie sich nicht ins Bockhorn jagen lassen. Auch wenn Voldemort noch nie so angsteinflößend, abweisend und verletzend wie gerade jetzt gewirkt hatte, wenn er einfach so auf seinem Bett halb hockte, halb fläzte und ein Buch las. Sie nicht ansah. Ilona senkte zu Tode betrübt den Blick. Sie musste ihn im Garten wirklich sehr beleidigt haben, wenn er nun so bösartig reagierte… „Bist du taub? Was willst du?“, knirschte Tom mit zusammengebissenen Zähnen und riss das Mädchen damit abrupt aus ihren traurigen Gedanken. „Ich…Ich bringe Ihr Essen, Mr. Riddle“, kam es wie aus der Pistole geschossen und staubtrocken aus dem Mund der Verschreckten. Gleichzeitig hob die junge Frau das Tablett in ihren Armen um eine Winzigkeit an. Voldemort entgegnete nichts. Die Hufflepuff sah dies in Ermangelung anderer Optionen einfach als gutes Zeichen und trat lautlos ganz in den abgedunkelten Raum ein. Schweigend kämpfte sich das Mädchen einen Weg durch das Bücherlabyrinth, bis es schließlich am bereits gedeckten Tisch angekommen war. Sanft stellte Ilona das Tablett auf das dunkle Holz ab. „Mathilda muss verrückt geworden sein. Sie glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich etwas Essbares anrühre, dass von schmutzigen Halbmensch Händen angerührt worden ist?“ Behände war der dunkle Lord aufgestanden und stolzierte nun langsam, die Augen noch immer leicht angestrengt auf das Buch in seinen Händen gesenkt, in Richtung Tisch. Er glitt an Ilona vorbei, ohne scheinbar auch nur die kleinste Notiz von ihr zu nehmen. Zum ersten Mal, seit die Blonde den Raum betreten hatte, hob der junge Mann dann jedoch plötzlich den Blick und fokussierte ihn auf das herrliche Abendmahl, das Mathilda nur für ihn kreiert hatte. Angewidert verzog Tom das Gesicht. „Und was zum Teufel soll das überhaupt sein?“ Mit diesen widerwärtig ausgespuckten Worten deutete der junge Mann auf eine scheinbare Essensexplosion, die, halb versteckt hinter dem perfekten Mahl der Hauselfe, auf einem schimmernden Teller unkoordiniert angerichtet worden war. Beschämt errötete Ilona. Es war eine dumme Idee gewesen, zu kochen. Eine wirklich dumme, dumme Idee. Aber damit, hatte das Mädchen nachdenklich kalkuliert, könnte sie Riddle doch auch überrumpeln, wenn sie für ihn als Entschuldigung etwas Essbares zubereitete. Und vielleicht Nun ja. Viel weiter war die junge Frau mit diesen naiven Überlegungen nicht gekommen. Nur eine Schlussfolgerung hatte ihr gutmütiges Hirn dabei zugelassen: Schließlich aber zählte doch nur die gute Tat, oder? Das galt doch auch für Lord Voldemort, nicht wahr? Nein, galt es nicht. Aber das würde Ilona noch früh genug erfahren müssen Bevor der Slytherin noch weitere abfällige Bemerkungen über das gebrachte Mahl machen konnte, fiel ihm die Hufflepuff leise ins Wort: „Es war meine Idee. Bitte bestrafen Sie nicht Mathilda dafür.“ Schweigen trat ein. Schweigen, das erst nach langer Zeit wieder von einem leisen „Fhump!“ unterbrochen wurde. Tom hatte das Buch in seinen Händen zusammengeklappt. Bedächtig ließ er sich auf den einzigen Stuhl sinken und legte den Schmöker dabei gleichzeitig vorsichtig neben das Tablett, sodass er mit der Vorderseite nach unten gerichtet auf dem Holz zum Liegen kam. „Ich gebe Mathilda zehn Minuten, Miss Una“, bequemte er sich schließlich, nach langer, unangenehmer Stille, träge zu knurren. „Dann will ich endlich dinieren. Wenn möglich, ohne Sie wieder sehen zu müssen.“ „Natürlich“, kam es automatisch von Ilona. Hastig streckte das Mädchen ihre Hände nach dem Tablett aus. Unsicher umschlossen ihre dünnen, zerbrechlichen Finger das Silber zu beiden Seiten. Ein Fehler. Ein schrecklich vorherbestimmter Fehler war es gewesen. Herzukommen und Menschlichkeit zu erwarten. Die junge Frau musste plötzlich einen hysterischen Lachanfall unterdrücken. Es war ja wirklich lächerlich. Lord Voldemort war Lord Voldemort. Da würde nichts helfen. Nicht einmal aller gute Wille der Welt. Es war traurig. So unendlich traurig. Langsam rollte eine schimmernde Träne die weiche Wange der Hufflepuff hinab. Sie bemühte sich nicht erst einmal, sie abzuwischen. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Ilona sich schwach. Bis jetzt hatte Tom es sorgfältig vermieden, das Mädchen an seiner Seite auch nur mit einem schnellen Seitenblick zu beehren. Stattdessen waren seine Augen weiterhin krampfhaft auf das vor ihm ausgebreitete Tafelgeschirr fixiert. Es war gefährlich, viel zu gefährlich. Dass er sie nicht gleich fortgeschickt hatte, war schon so unendlich dumm gewesen! Aber nun war es zu spät. Der junge Mann zog leise, scharf die Luft ein. Sie war da, neben ihm und beugte sich über das schwere Tablett, das sie mit ihren lächerlich feingliedrig wirkenden Händen zu heben gedachte! Unwillkürlich schauderte Mr. Riddle. So nah war das Ding ihm plötzlich wieder… So ungewollt gewollt verdammt nahe. Der Duft nach Meer umspülte ihn wieder und es fiel ihm auf einmal so schwer,den Halb Grindeloh nicht anzusehen, ihn nicht zu beachten, sondern nur still zu hassen… Der rechte Ärmel ihrer Bluse war hochgerutscht. In dem Versuch, das Tablett so leise wie möglich zu heben. Wie von schrecklicher Magie, die stärker war als alles, was er bisher kennengelernt hatte, wurde Toms Blick von ihrer weißen Haut angezogen, die im herrschenden Dämmerlicht verführerisch schimmerte… Ob ihre Haut noch bleicher als seine war? Und wie es wohl aussah, wenn sich sein Weiß zu ihrem Weiß gesellte? Plötzlich erschienen Voldemort dies als die wichtigsten Fragen seiner Existenz. Und bevor sein Verstand ihn brüllend zur Ordnung rufen konnte, hatte der junge Mann schon seine rechte Hand ausgestreckt und Ilonas Gelenk fest umschlossen. Der jungen Frau entglitt das bereits erhobene Tablett. Mit einem lauten Knirschen landete das Silber ziemlich ungalant auf dem leidgeprüften Holz. Doch weder der Slytherin noch die Hufflepuff nahmen von diesem unerwarteten Lärm überhaupt noch Notiz. Plötzlich schien es für die beiden nur noch zwei sehr verschiedene Dinge zu geben. Für Tom war da die unerwartete Wärme, die seine rechte Hand durchströmte und ihm einen sanften Stromschlag verpasste. Und für die perplexe Ilona waren es seine Finger Seine eiskalten Finger, die sich schlangengleich um ihr Handgelenk gelegt hatten und so fest zugriffen. Scheinbar im Bestreben, nie mehr loszulassen. Grabeskalte Fingerspitzen waren plötzlich überall!, und Sie taten aber nicht weh. Sie verletzten nicht. Sie fuhren nur unvergleichlich leicht über die dunkelblauen Venen, die spinnennetzgleich die Haut des Grindelohs zu hunderten bedeckten. Zu Tode erschrocken hob die Hufflepuff die entmutigt gen Boden gerichteten Augen und wagte es, Voldemort ins Gesicht zu sehen. Der blanke, überlegene Ausdruck darin war einer halb unterdrückten, vollkommen verzweifelten Fassungslosigkeit gewichen. Ilonas Hirn war wie leergefegt. Sie wusste nicht, was zu tun war und fühlte sich mit einem Mal plötzlich nur mehr seltsam surreal. Das alles hier, das dunkle Zimmer, Lord Voldemort und sie selbst. War das alles hier nur ein Traum? Ein seltsamer, unlogischer, verrückter Traum? Es wäre zu schön. Der Hufflepuff entkam ein leise geflüsterter Seufzer. Leise. Sehr leise. Aber nicht leise genug. Wie von Sinnen schoss der Kopf des sitzenden jungen Mannes plötzlich abrupt zu ihr auf. Tom starrte sie an. Wie ein Geist seiner selbst wirkte der Slytherin mit einem Mal, als er so mit komplett schwarz verdunkelten Augen zu ihr aufsah. Bisher hatte er nur wie hypnotisiert das weiße Handgelenk betrachtet, das in seinen großen Händen gefangen war wie ein Vogel im Käfig. Nun sah er die einzelne Träne, die Ilona vergossen hatte. Irrte das Mädchen sich, oder spielten sich hinter den dunklen Pupillenteichen von Du weißt schon wem plötzlich wahre Unwetter aus funkelndem Grün ab? Aber vielleicht war das auch nur das schlechte Licht, das Ilona da einen kleinen Streich spielte. Trotzdem. Plötzlich war die Hufflepuff neugierig. Ihre Gedanken rasten und formten eine waghalsige Theorie nach der anderen. Alle könnten stimmen und alle wurden einen Augenblick später verworfen, sodass das Mädchen schlussendlich nur zu einem unzufrieden stellenden Schluss kam. Um dieses seltsame Naturschauspiel, diese Farbe wechselnden Pupillen der Schlange, zu enträtseln, müsste sie sich noch näher zu dem Slytherin herabbeugen. Um besser sehen zu können. Aber das wollte die junge Frau nicht riskieren. Dann würde er sie bestimmt verfluchen oder sonst irgendetwas Anderes, Schreckliches… Aber eine winzige Kleinigkeit hatte sich der Körper der Blonden (ohne offizielle Erlaubnis ihres Gehirns, natürlich!) schon zu Mr. Riddle hinab gesenkt. Eine Laune des Schicksals wollte es wohl so, dass bei diesem Prozess eine vereinzelte, helle Strähne dem vormalig streng zurück geflochtenen, nun nur mehr zur Hälfte vorhandenen Haarzopf des Mädchens vorwitzig entschlüpfte und, der leichtesten Feder gleich, sanft über die Stirn des jungen Mannes strich. Toms Augen weiteten sich. Das Rot darin war mit einem Mal wie weggewischt. Stattdessen, konstatierte Ilona verblüfft, waren die Pupillen Lord Voldemorts plötzlich grün. Dunkelgrün, um genau zu sein, mit einem leichten Stich ins Schwarz. So mussten sie wohl ausgesehen haben, bevor der erste Horkrux von diesen weißen Spinnenhänden geschaffen worden und somit den Untergang Tom Riddles unterzeichnet worden war... Der Magier zog hart an ihrem Handgelenk. Ilona, die mit diesem abrupten Ruck überhaupt nicht gerechnet hatte, verlor das Gleichgewicht und stolperte nach vorn. Doch sie schlug nicht, wie von ihr befürchtet, sogleich am harten Boden zu Füßen Lord Voldemorts auf. Nein. Weiße, kalte Hände fingen sie rechtzeitig auf. Plötzlich fand sich die Hufflepuff sitzend wieder. Sitzend auf einem Stuhl, der eigentlich schon besetzt war. Doch bevor die junge Frau den ganzen Horror ihrer Situation überhaupt erfassen konnte, wurde ihr Kinn, das dank ihres Sturzes ziemlich unbequem genau auf dem eiskalten Schulterbein des Erben Slytherins zur Ruhe gekommen war, von unruhigen Fingern erfasst und abrupt nach oben gedrückt. Und plötzlich war Ilona nur noch wenige Millimeter von Tom Riddles Gesicht entfernt. Das Mädchen atmete aus. Mr. Riddle spürte den leichten Atemzug auf seiner rechten Wange und der Rest seines Verstandes ging mit Pauken und Trompeten flöten. Er beugte sich herab. Sie riss die Augen auf. Er küsste sie. Kapitel 23: Aschenputtel. Alles ist Ablenkung --------------------------------------------- Ein erster Kuss sollte wunderbar sein. Allein schon die Vorfreude darauf sollte dafür prädestiniert sein, eine einzigartige Erinnerung zu werden, die zu vergessen einem selbst nach 50 Jahren im Traum nicht einfallen würde. Denn ängstlich gespannt darauf zu warten, sich so unendlich lang und doch nur so kurze Zeit danach zu sehnen, dass der oder die favorisierte Partnerin einem endlich näher kommt, jeden auch noch so kleinen, störenden Millimeter manchmal in Sekundenschnelle, mal unendlich langsam überwindet… (und die ganzen Zweifel zwischendurch, ob er oder sie der oder die Richtige ist, nicht zu vergessen!) Sind diese Gefühlsregungen im Herzen nicht allesamt wunderbar? Und das Beste würde dann ja erst noch kommen! Wenn zwei Paar Lippen zum ersten Mal aufeinandertreffen...Schön? Vielleicht sind beide ungeschickt. Vielleicht nur einer. Vielleicht keiner. Vielleicht macht es Spaß. Vielleicht ist es traurig. Vielleicht spürt man Leidenschaft. Vielleicht ist es süß. Vielleicht schmeckt es aber auch sauer. Vielleicht passen die zwei ja zusammen. Vielleicht haben sie sich ja für den Rest ihres Lebens gefunden. Vielleicht aber auch nicht. Jedoch war es immerhin die freie Wahl beider, zu küssen und geküsst zu werden. Ilona hatte nichts von alledem. Sie war zwar geküsst worden, aber es war nie ihre Entscheidung gewesen. Es wäre ja auch richtiggehend lächerlich. Als ob Tom Vorlost Riddle auch nur den geringsten Gedanken daran verschwenden würde, um Erlaubnis zu bitten. Egal, worum es ging. Lord Voldemort bekam, was er wollte. Beziehungsweise was er nicht wollte und doch unbedingt besitzen musste. Ja. Dieser Kuss von Miss Una und Mister Riddle war vieles gewesen. Nur schön hatte er nicht sein können. Das hatte er nicht zustande gebracht. Zuerst schien Ilonas ganzes Denken einfach nur eingefroren. Eingefroren vor Schock und Entsetzen. Dass so etwas JEMALS passieren konnte. Das Mädchen wollte es nicht glauben. Es war schlicht unmöglich. Das musste doch alles ein bizarrer Alptraum sein, den ihr jemand in den Kopf eingepflanzt hatte! Nur waren die fremden, kalten, realen Lippen, die sich da so plötzlich fest und unbarmherzig gegen ihre eigenen pressten, nicht sehr leicht zu ignorieren. Dazu noch die eisigen Hände, die sie fest wie ein Schraubstock an einen wie aus Stein gemeißelten Körper gedrückt hielten, und nicht zu vergessen der sich plötzlich bewegende Grund unter ihr, der sie in ewiger Schwärze gefangen nehmen, ersticken lassen wollte… Kein Traum konnte so echt sein. Und so kalt. So eisig kalt, dass Ilona glaubte, ihre Lippen müssten schon längst blau verfärbt sein und die Gänsehaut auf ihren Armen würde für immer bestehen bleiben. Es war einfach zu eisig, zu seelenlos kalt hier für einen Traum. Und so musste sich das schockgefrorene Gehirn der jungen Frau damit abfinden, dass sie soeben wirklich von Mr. Riddle geküsst wurde. Dass sie gerade wirklich ziemlich lange und ausdauernd von dem schwärzesten Magier aller Zeiten zum ersten Mal in ihrem beinahe 17- jährigen Leben liebkost wurde. Das war doch nicht möglich. Das war doch einfach nicht möglich. Wenn die Hufflepuff nicht einfach so komplett perplex gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht gefragt, warum Voldemort ihr dies antat. Warum er sie nicht einfach weiter beleidigen und mit dem Cruciatus Fluch quälen konnte. Stattdessen raubte ihr dieses Monster, dieses Ungeheuer, dieser Abschaum der Zaubererwelt den ersten Kuss, den das Mädchen eigentlich für jemand Anderen, die große Liebe vielleicht, aufheben hatte wollen. Der dunkle Lord hatte soeben die absolut grausamste Art der Folter erfunden, ohne sich dessen bewusst zu sein. Kein Wunder, dass die Hufflepuff plötzlich nur mehr mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte. Und auch kein Wunder, dass die Kleine gleichzeitig verzweifelt war. Verzweifelt. Verwirrt. Es war unfair. Und unlogisch. Und ungesund. Und ABSOLUT HIRNRISSIG, dass Voldemort sie immer noch nicht losließ. Scheinbar war es nun an ihr, zu reagieren. Mit einem ungalanten Wimmern drehte die junge Frau abrupt ihren Kopf zur Seite und unterbrach so das ungewollte Intermezzo. Der Zauber war gebrochen. Sofort schienen ihre Lippen, nein, vielmehr ihr ganzes Gesicht wieder zum Leben zu erwachen. Die eisige Kälte, die die Blonde plötzlich erstarren hatte lassen, verschwand, und machte erfrischenden, warmen Atemzügen Platz, die Ilona endlich wieder das Gefühl gaben, lebendig zu sein. Frei. Warm! Nicht kalt, nicht tot, nicht böse! Die Schülerin seufzte dankbar auf. Sie war wieder ein Mensch und Abrupt wurde das Mädchen zu Boden geworfen. Mit der Nase voraus landete die überraschte, junge Frau ziemlich unsanft auf dem dunklen Holz. Ihr blieb jedoch nicht einmal ein einziger Augenblick lang Zeit, um sich von dem Schreck und der plötzlichen, harten Landung zu erholen. „RAUS HIER!“ Tom Riddle erhob sich auf einmal vor der auf dem Boden Liegenden wie das angsteinflößende, zum Leben erwachte Abbild eines rasenden Dämons. Scharlachrote Pupillen brannten unsichtbare Löcher in das gesenkte Haupt der erstarrten Frau, während der junge Mann seinen flink hervorgeholten Zauberstab unkalkuliert auf sie richtete. Ein Fluch detonierte nur Millimeter neben Ilonas linker Hand. Die Hufflepuff zog ihre Arme daraufhin so eng wie nur möglich an ihren Körper heran und beeilte sich gleichzeitig erschreckt aufzustehen, dabei immer begleitet von ungenau gezielten Todesbannen, die sie immer nur zufällig um Haaresbreite zu verfehlen schienen. Einem dürren Ast gleich, den der lauste Windhauch umzureißen drohte, stand das Mädchen schließlich wieder scheinbar unsicher auf eigenen Beinen. Sie bot einen mitleiderregenden Anblick. Dennoch, ihre Schnelligkeit schien die junge Frau trotz der großen Erschöpfung, die noch immer Wellen um sie schlug, nicht verloren zu haben. Ihre flinken Beine waren der Hufflepuff auch schon in Hogwarts von großem Nutzen gewesen, vor allem dann, wenn von gelangweilten Slytherins eine Hetzjagd auf kleinere Schüler aus dem Haus des Dachses inszeniert worden war. Dieses ungewollte Training würde ihr auch heute wieder einmal das Leben retten. Hastig drehte sie sich um. Die Blonde sauste auf den Ausgang aus der Eishölle Voldemorts zu und vermied dabei gleichzeitig achtsam jeden Blick zurück. Sie rannte so schnell, dass sie bereits halb aus der Tür hinaus war, als Du weißt schon noch einmal donnernd seine Stimme erhob: „LASS DICH HIER NIE WIEDER BLICKEN, HALBMENSCH!“ In ohnmächtiger Wut hob der junge Mann dabei erneut den Zauberstab. Gerade als Ilona die Tür hastig hinter sich schließen wollte, machte die junge Frau aus den Augenwinkeln plötzlich ein wirbelndes, silbernes Etwas aus, das sich rasend schnell auf sie zubewegte. Geistesgegenwärtig duckte sich die Hufflepuff und entging somit dem herrlich zubereiteten Mitternachtsmahl Mathildas samt Tablett, das nun mit einem übelkeitserregenden Platschen an der gegenüberliegenden Korridorwand zerschellte. Trotz aller inneren Stimmen, die ihr, sich allesamt zum ersten Mal in Ilonas Leben einig, kreischend zuriefen, so schnell wie möglich das Weite zu suchen, verharrte die Hufflepuff danach noch für einen Moment auf der Türschwelle. Sie warf einen Blick zurück auf den vor Zorn bebenden dunklen Lord. Ilona sagte kein Wort. Sie ertränkte den jungen Mann einfach nur in den unendlichen Tiefen ihres starren Blicks. Tom konnte nicht anders. Er hatte keine andere Wahl, als in diesen Pupillen zu versinken, die ihm Schuld gaben, soviel Schuld gaben an allem! An allem war er schuld! Ja, natürlich! Die Welt wäre perfekt ohne ihn! Er war immerhin Lord Voldemort! „VERSCHWINDE!“, kreischte der Magier und setzte erneut einen Fluch auf den Halb Grindeloh an. Doch die junge Frau war zu schnell für ihn. Bevor der Schwall aus reinem, purpurnem Feuer sie erreichen konnte, hatte das Mädchen die Tür bereits endgültig fest hinter sich verschlossen. Die Flammen leckten hungrig an dem dargebotenen Holz, vergingen jedoch zu schnell, als bleibenden Schaden anrichten zu können. Tom Vorlost Riddle ließ seinen Zauberstab sinken. Nur, um ihm im nächsten Moment wieder langsam zu erheben und gegen sich selbst zu richten. Der Junge kollabierte dort, wo er gerade noch scheinbar standfest aufgerichtet gewesen war. Der Holzboden schien mit einem Mal unvergleichlich schnell auf ihn zuzufliegen, bevor er schließlich mit einem unappetitlichen Krachen den Grund erreichte. Voldemort blieb liegen. Der Zauberstab war ihm nachlässig aus den Fingern gerutscht. Panisch riss Riddle die Augen auf. Das ganze Zimmer schien plötzlich rot gefärbt. Rot wie Blut. In Toms Inneren krümmten sich mit einem Mal erbarmungslose, riesige Schlangen, die ihre Giftzähne in jeden Zentimeter seines Fleisches zu versenken gedachten, nur um ihm einen möglichst schmerzhaften Tod zu bereiten. Diese plötzlichen Qualen waren unmenschlich. Groß und unerträglich war sie, diese Pein, die da über den jungen Mann hereinbrach und dem sich scheinbar nichts und niemand entgegenstellen konnte. Tom glaubte, vor Schmerzen verrückt zu werden. Und vielleicht hatte er sogar Recht damit, denn in seinem Hirn schien sich eine besonders große, fette Schlange eingenistet zu haben, die ihm nun bösartig zuflüsterte, nachdem sie auch noch den letzten Rest seines Hirns gierig zerbissen hatte: Es ist deine Schuld. Es ist allein deine Schuld. Du hast diesen Fluch selbst auf dich gelegt, dummer, kleiner Junge! Der Körper des jungen Lords krümmte sich zusammen und ließ ihm somit keine Luft zum Atmen mehr. Seine Lunge schien ihren Dienst quittiert zu haben und von den Schlangen in seinen Inneren kurzerhand genüsslich gesprengt worden zu sein, genau wie sein Herz, das plötzlich wieder schmerzhaft tuckernd zum Leben erwacht war, nur um im nächsten Moment in Fetzen gerissen zu werden von diesen grausamen, schwarzen Reptilien, die plötzlich überall waren. Tom schrie. Doch niemand konnte ihn hören, da er selbst heute Morgen noch einen Schweige Zauber auf seine Kammer gelegt hatte. Die Qualen wurden konstant immer schlimmer. Die Schlangen, obwohl sie bereits alle seine Innereien gefressen hatten, schienen noch immer nicht genug zu haben und verbissen sich nun noch in jedes intakte Stück Fleisch, das sie erreichen konnten. Und das Schlimmste dabei war, dass Tom nichts dagegen unternehmen konnte. In dem hintersten, dunkelsten Teil seiner Seele, der dieser Folter bis jetzt unbeeindruckt beigewohnt hatte, wurde plötzlich deutliches Lob laut. Einen so guten Selbstkasteiungszauber hätte bestimmt nicht einmal Dumbledore zustande gebracht. Und ihn dann auch noch nicht reversierbar machen zu lassen! Ein wahres Meisterstück. Bestimmte Dinge, wie zum Beispiel dumme Gefühle, wenn auch nur kurz, das Lenken und Handeln übernehmen zu lassen, mussten eben hart bestraft werden. Und sich mit Schmerzen daran zu erinnern, dass Gefühlsduselei nicht erstrebenwert war, wenn man sich selbst Lord Voldemort nannte, war eindeutig nur als lobenswert einzuschätzen! Selbst dem vor Schmerzen bereits halb ohnmächtigen Tom entging dabei nicht der triefende Sarkasmus in diesem Kommentar. Aber der junge Mann hatte gerade andere peinigende Gedanken, die ihn von diesem besonders verabscheuenswerten Teil seines Geistes alsbald wieder ablenkten. Hilflos musste er mit ansehen, wie sein Körper sich praktisch selbst zerstörte. Alles nur, weil er so dumm gewesen war. Dieser einzige Fehler, dieses Bedürfnis, einem anderen Menschen nahe sein zu wollen, war Tom Riddles Todesurteil gewesen. Zumindest theoretisch. Denn so verrückt, dass Voldemort sich selbst zu Tode folterte, war der dunkle Zauberer dann wieder auch nicht und so hatte er den Schlangenzauber nur begrenzte Zeit wirken lassen. Als Lehre fürs Leben reichte es auch so. Quälerisch langsam zogen die schwarzen Schlangen sich zurück. Der zitternde Körper des jungen Mannes war mit einem Mal wieder vollkommen wiederhergestellt, so als wären die Reptilien bloß ein schlimmer Alptraum gewesen. Nur aller Lebenswillen schien plötzlich aus den Gliedern des Slytherin gewichen zu sein. Tom hatte nun nicht einmal mehr die Kraft, auch nur den kleinen Finger zu rühren. Er musste liegen bleiben, hier, auf diesem staubigen Holzboden seiner verwaisten Kammer, bis er sich wieder erholt hatte. Seine Augen, die er während des Schlangenangriffs willenlos hatte schließen müssen, schossen auf. Lord Voldemort hatte keine Schmerzen. Lord Voldemort zeigte nie ein Anzeichen von Schwäche. Und Lord Voldemort vergab nie. Aber, und das wurde Tom Riddle plötzlich mit einem fürchterlichen Schaudern klar, irgendetwas stimmte plötzlich nicht mehr. Lord Voldemort allein hätte Ilona Una nie verschont. Der dunkle Lord hätte es nicht einmal wert genug befunden, das Mädchen zu foltern. Du weißt schon wer hätte den Halbmenschen einfach sofort getötet. Ohne Gnade. Aber warum war dann alles so falsch gelaufen? Warum lebte Miss Una noch, obwohl Lord Voldemort schon längst ihren Tod beschlossen hatte? Es musste etwas mit diesen Augen zu tun haben. Diese schrecklichen, unendlich tiefen Augen, die jeden in ihren Bann zogen, sobald sie einmal den Blick eines Menschen gekreuzt hatten, waren nicht eingeplant gewesen. Weder in der Geschichte der Magie noch in den Zielen des dunklen Lords. Denn jedes Mal, jedes einzelne, verdammte Mal, wenn Tom Riddle in diese Augen sehen musste, packte ihn diese unmenschliche Gier, dieselbe Gier, mit deren Hilfe er bereits zwei Horkruxe geschaffen hatte, um nie von dieser Welt scheiden zu müssen. Aber das Ziel war plötzlich ein ganz anderes geworden. Lord Voldemort wollte unsterblich sein, mit aller Kraft. Sein Name sollte noch in hunderten von Jahren nur leise und voller Furcht ausgesprochen werden. Man sollte sich bis in alle Ewigkeiten an ihn erinnern! Aber was nützte ihm das jetzt, in diesem Moment, wenn er nichts anderes wollte als diese Augen, diese Augen, die nur mehr ihn anzusehen hatten! Sie durfte nur mehr ihn sehen, nur mehr ihn anlächeln, nur mehr ihn ertränken! Sie durfte… Himmel, war das lächerlich. Langsam setzte der Slytherin sich auf. Kraft kehrte in dünnen Rinnsalen wieder in seine Muskeln zurück und ließen ihn erneut fähig werden, physische Handlungen zu vollziehen. Zitternd griff der junge Mann nach dem neben ihm liegenden, zerkratzten Zauberstab. Als sich seine weißen Finger fest um das Holz legten, schoss plötzlich wieder Wärme in seine erkalteten, steifen Glieder. Wärme, die der junge Mann erst einmal zuvor in seinem Leben gespürt hatte. Ilonas Zauberstab, den Mr. Riddle noch immer benutzte, obwohl er eigentlich selbst einen eigenen, für ihn besser zugeschnitteren, besaß, schien einen ganz eigenen Willen zu haben und ihm manchmal besonnen, manchmal feindlich gegenüber zu stehen. Genau wie seine vormalige Besitzerin. Miss Una. Das Mädchen, das er gerade geküsst hatte. Tom ballte seine Hände zu Fäusten. Und entspannte sie einen Moment später wieder. Der Halb Grindeloh war ein einziges Rätsel und das faszinierte ihn. Wohl etwas zu sehr. Aber es war doch auch verständlich, dieses Interesse, nicht wahr? Es war nichts Gefährliches. Nichts Lebensbedrohliches. Nichts Andauerndes, wollte er zumindest einmal stark hoffen. Sobald dieses wandelnde Geheimnis, diese seltsame Miss sich ihm im Ganzen offenbart hatte, würde er nichts mehr Interessantes an ihr finden und Lord Voldemort würde sie töten können. … Jedoch so sehr er auch versuchen würde, dieses menschliche Rätsel zu lösen, es kamen nur immer mehr offene Enden in diesem Labyrinth hinzu, in dem er vergeblich den Ausgang zu finden versuchte. Das wusste Tom bereits. Ilona Una hatte alle seine sorgfältigen Pläne über den Haufen geworfen. Sie hatte Lord Voldemort verzaubert, ohne den Gegenfluch zu verraten und ihn damit zum ersten Mal in seinem Leben hilflos werden lassen. Damit hatte sie schon genug Schaden angerichtet, wahrscheinlich mehr, als der Grindeloh erahnen konnte. Und sie war damit auch noch davon gekommen. Aber dieses Spiel musste nun ein Ende haben. Angestrengt hievte Tom Riddle sich wieder auf seine Füße. Er würde dem Mädchen von nun an einfach aus dem Weg gehen müssen, bis ihm etwas Besseres und Adäquateres zur Lösung dieses Problems eingefallen war. Der Slytherin würde von nun an nicht mehr als notwendig mit ihr sprechen, sie nicht ansehen und auch sonst nicht beachten. Es war nur so lächerlich anstrengend, dass er sie nicht töten konnte. Dass es sogar sein Wunsch war, sie nicht zu töten, seltsamerweise. Diese ungewöhnliche Entwicklung wollte sich noch immer nicht recht in Vereinbarung bringen lassen mit den anderen, großen Zielen, die Tom Riddle so hartnäckig verfolgte. Obwohl er bisher doch immer so um Geradlinigkeit in seinen Gedanken bemüht gewesen war! Warum konnte Lord Voldemort jetzt nicht einmal mehr eine naive Hufflepuff zur Strecke bringen? War das Schwäche? Unglücklicher Zufall? Sollte der junge Mann es vielleicht einfach noch einmal versuchen, sie dieses Mal aber hinterrücks verfluchen, bevor sie ihm in die Augen sehen konnte und er wieder schwach wurde? Aber allein der Gedanke daran widerstrebte ihm viel mehr, als er sich selbst erst einzugestehen vermochte. Das alles war keine Lösung, nur eine weitere, unnötige Ablenkung. Lord Voldemort benötigte all seine Energie, um die Zaubererwelt in Chaos und Verderben zu stürzen und hatte keine Zeit für eine kleine, blonde Wasserhexe, die mit ihren dunklen Augen auch wirklich jeden tödlichen Zauber der Welt in punkto Schlagkraft und Intensität mit Leichtigkeit übertrumpfte… Tom stöhnte leise auf. Er musste sich ab jetzt in Zukunft selbst daran hindern, auch nur einen Gedanken an den Halbmenschen zu verschwenden, während er Pläne schmiedete. Das lenkte ihn nur unnötig ab. … Wenn sich sein Gehirn nur so leicht etwas verbieten lassen würde! Bereits jetzt schon wusste der junge Mann, dass die Kleine von nun an immerfort in seinem Hinterkopf herumgeistern würde. Schon allein weil ihn plötzlich alles in diesem Haus an sie erinnerte! Es war verrückt, aber gleichzeitig auch logisch, denn immerhin war die Hufflepuff schon mehrere Male hier in diesem Zimmer gewesen und alles hier, wirklich alles, schien auf einmal nach ihr, nach Meer zu duften! Aber er konnte sie nicht einmal fortschicken. Wo sollte er sie auch in Gewahrsam nehmen lassen? Hier, in dieser Dimension, besaß Voldemort nicht mehr viele Anhänger. Die, die ihm treu zur Seite standen, waren größtenteils ebenfalls aus der Vergangenheit hierher gereist und hatten keine dauerhafte Bleibe. Und der einzige Todesser, der dies alles erst verursacht hatte, der diese Dimension seine Heimat nannte und dem es vielleicht auch möglich gewesen wäre, Ilona zu übernehmen, dem konnte man nicht trauen. Tom verengte bei diesem Gedanken beide Augen misstrauisch zu kleinen Schlitzen. Der junge Mann wusste zwar, dass er diesem besonderen Anhänger mehr schuldete als allen anderen zusammen, da er ihn immerhin in diese Dimension geholt hatte, um Großes zu vollbringen, aber in diesem Fall stimmte ebenfalls etwas nicht. Voldemort hatte das untrügliche Gefühl, hier nur als ein Mittel zum Zweck missbraucht zu werden. Und es gab kaum etwas, dass den jungen Lord mehr in tödliche Rage versetzte, als nur die zweite Geige zu spielen. Aber was wäre der mächtigste Magier aller Zeiten, wenn er nicht schon längst einen komplizierten Plan ersonnen hätte, der ihn der Mission des wankelmütigen Todessers sofort zustimmen und dennoch gleichzeitig ein gefährliches Eigenleben entwickeln hatte lassen, das in eine ganz andere Richtung als die der scheinbar eingeschlagenen ging? Gemächlich, mit immer noch leicht schmerzenden Gliedmaßen, humpelte Mr. Riddle zurück zum Esstisch, wo noch immer unberührt der dicke Schmöker lag, den er heute Nacht noch vorhatte komplett durchzugehen. Nicht, dass er es gern getan hätte. Diese Art von Literatur, mit der er sich nun abgeben musste, war eindeutig nicht seine erste Wahl, aber nichtsdestotrotz: Es musste sein. Mit einem leisen, beinahe menschlichen Seufzen ließ sich der junge Mann auf dem einzigen Stuhl nieder. Widerwillig zog er das Buch zu sich und schlug es dort auf, wo er zuletzt aufgehört hatte zu stöbern. Derzeit wollte er sich nur auf den rein theoretischen Teil seines Plans konzentrieren. Das würde ihm die nötigen Hintergrundinformationen geben, die er spätestens zu Weihnachten bitter nötig haben würde. Außerdem müsste dieses Buch auch sein alarmierend größer werdendes Interesse an einer bestimmten Person befriedigen, die hoffentlich einen großen Teil zum Gelingen seines Plans beitragen würde. Ob sie wollte oder nicht. … Weinte sie wohl gerade? Heftig schüttelte Tom Riddle seinen Kopf. Nein. Es war verboten, solche Dinge zu denken!, erinnerte er sich selbst mit aller Strenge, die ihm gerade zu Gebote stand. Diese sinnlosen Gedankengänge führten zu nichts. Außer zu Ablenkung. Und die konnte er gerade jetzt nicht brauchen. Also atmete der Slytherin noch einmal kurz durch, verbannte kurzerhand alle Gedanken, die mit ertränkenden, dunkelschwarzen Augen zu tun hatten, in die hinterste Ecke seines Gehirns und begann zu lesen. Der Titel des von ihm aufgeschlagenen Buches sagte nicht viel über den Inhalt aus, zumindest nicht für die meisten Hexen und Zauberer, mit denen Tom verkehrte. Dem Himmel sei Dank, muss man sagen. Es wäre auch zu peinlich gewesen, wenn seine Anhänger entdecken würden, was sich hinter dem schlichten Buchtitel „Andersens gesammelte Werke“ verbarg. Ein Märchen lesender Tom Riddle? Unvorstellbar. Kapitel 24: Aschenputtel. Silberbesteck --------------------------------------- Erst nach zwei weiteren Stunden fiel schließlich jemandem auf, dass Ilona verloren gegangen war. Mathilda hatte die ganze Zeit über, während sie besonders geschäftig in der Küche herum wuselte und dabei noch weniger Lärm als sonst zu verursachen versuchte, auf ihre Herrin gewartet. Und auf ein leeres Silbertablett, das zu gegebener Zeit, nachdem der Meister sein Mahl beendet hatte, in der Spüle auftauchen sollte, um gereinigt und anschließend erneut zu Hochglanz poliert zu werden, so wie es schon immer Brauch gewesen war. Dann wäre die Hauselfe beruhigt gewesen, denn dann hätte sie sicher sein können, dass der skandalösen Idee ihrer Herrin irgendwie doch noch zu einem guten Ende verholfen worden war, da ihr Meister trotz allem noch einen gesunden Appetit gehabt hatte. Dann hätte alles wieder seinen gewohnten Gang gehen können. Wobei gewohnter Gang dann doch eine eher unglücklich gewählte Beschreibung gewesen wäre. Mathilda war klug, auch wenn man es ihr nicht auf den ersten Blick ansah. Ihr war sehr wohl bewusst, dass sich der Meister nichts aus ihr machte und sie in seinen Augen nichts wert war. Aber er bestrafte sie nicht, wenn sie keine Fehler beging, ließ sie gewöhnlich schalten und walten, wie es ihr beliebte. Und das war genug, um sich des Hauselfen immerwährender Loyalität zu sichern, was wiederum eine sehr friedliche Koexistenz von Mensch und Elfe mit sich zog. Normalerweise vertraute Mathilda ihrem Herrn auch genug. Normalerweise würde sie diese noch nicht zurückgekommene, leer gegessene Silberplatte, die in der Spüle fehlte, einfach als eine Laune ihres Meisters abtun und nicht weiter darüber nachdenken, bis die Greisin morgen früh eben auf die Suche nach dem Silbergeschirr gehen würde müssen. Aber seit die Herrin da war, hatte sich alles verkompliziert und nichts, absolut nichts würde in dieses Nacht mehr seinen gewöhnlichen Gang gehen. Das hatte die alte Elfe im Gefühl. Aber warum, warum nur hatte sich dieses bezaubernde, hellhäutig, dunkeläugige, sture Geschöpf sich nur darauf versteifen müssen, Meister Riddle das Essen selbst zu kredenzen? Damit hatte die ganze Misere doch angefangen! Als Ilona diese Absicht Mathilda zum ersten Mal, am Herd, beide dabei bestaubt mit gedankenlos verstreutem Mehl, mitgeteilt hatte, war die Hauselfe sprachlos gewesen. Die Greisin hatte jedoch keine Widerworte gewagt, sich nur im Stillen an den Kopf gegriffen. Dieses seltsame Verhalten, das diese Miss an den Tag legte! Höchst ungewöhnlich! Und so gar nicht dem kühlen, abweisenden Standard entsprechend, welchen sie schon von ihrem Meister gewohnt gewesen war! Aber immerhin, Gegensätze zogen sich an, oder? Und vielleicht, hatte Mathilda sich dann schließlich doch noch zu fragen getraut, bevor Ilona mit der schwer mit Essen beladenen Platte den düsteren Gang in Richtung Treppenaufgang hinab verschwunden war, vielleicht war das nur ein bisher der Hauselfe unbekannter Hochzeitsbrauch? Ihre Herrin hatte darauf nicht geantwortet, sie nur so lange fassungslos und wie erstarrt, mit einem Fuß bereits über der Türschwelle, angestarrt, bis Mathilda schließlich nervös verlautbaren ließ, ob sie wohl etwas Falsches gesagt habe? Daraufhin schien die Schöne plötzlich wie aus einem Traum erwacht. Sie hatte nur noch etwas gezwungen lächelnd den Kopf geschüttelt und stumm ein paar Mal den Mund auf und zu gemacht, so als wollte sie noch etwas Wichtiges sagen, bevor das Mädchen es dann jedoch mit einem Mal aufgegeben hatte und endgültig gegangen war. Und nun war Mathilda sehr unruhig ihretwegen. Denn Ilona hatte noch während des Kochens fest versprochen (oder eher gedroht, als die Hauselfe sie entsetzt davon abhalten wollte), dass sie vor dem Schlafengehen herab kommen würde, um noch einmal nach Mathilda zu sehen. Jedenfalls hatte die Elfe es so verstanden und schließlich mit Tränen der Rührung in den Augen ihre Zustimmung geben müssen. Dass dabei Ilonas leise Frage, ob sie denn wohl heute Nacht hier in der Küche schlafen durfte, gleichzeitig gänzlich von ihr überhört wurde, verstand sich ja wohl von selbst. Allein die Vorstellung, diese edle Frau von reinstem Geblüt ebenfalls in Mathildes zweckmäßiger Absteige, dem blanken Fußboden der Küche, nächtigen zu sehen, war der Hauselfin ein einziges Gräuel und sowieso und überhaupt undenkbar! Nicht einmal das unbenutzte Bett in der Ecke der Küche wäre für die Madame gut genug, nein nein! Und was sollte dieses falsche Schamgefühl überhaupt bedeuten?, fragte sich Mathilda verwirrt bestimmt zum hundertsten Mal, als sie nun nachsinnend, in finsterster Nacht, auf dem Fußboden saß, Löffel polierte und auf ihre Silberplatte wartete. Die Hauselfe war fest davon überzeugt, dass Ilona Una und Tom Riddle verheiratet waren. Dies schien ihr die einzig plausible Erklärung, warum die Herrin ihr nun Befehle geben konnte und, nun, eben ihre Herrin war. Die Etikette in allen Ehren, aber Mathildes Herrin hatte doch wohl das Recht, im Zimmer des Meisters zu ruhen! Genau wie es jedes andere traute Ehepaar auch tat… Aber Ilona war noch immer nicht zurück gekommen. Weder sie noch die silberne Platte. Und warum die Letztere selbst zu dieser nachtschlafenden Stunde noch nicht zurückgekehrt war, entzog sich vollends Mathildes Verständnis. Natürlich, die Meisterin hatte vielleicht andere Pflichten zu erfüllen, als ihrer greisen Dienerin einen Anstandsbesuch vor der Nachtruhe abzustatten. Aber die Silberplatte? Wo blieb die Silberplatte? Hier konnte irgendetwas nicht stimmen. Mathilda schauderte. Das Teegeschirr, welches in Reih und Glied in der hellsten Ecke des blank gewienerten Küchenbodens ganz in ihrer Nähe aufgestapelt worden war und scheinbar über die ganze Misere ebenfalls Bescheid wusste, tuschelte bereits. Die unmögliche, immer alles besser wissende Teekanne glaubte sogar schon einen Stock höher das Geräusch von zerspringendem Glas vernommen zu haben. Was ausnahmslos immer Unglück bedeutete, wie ja hinreichend bekannt war! Ob die Herrin und der Meister sich wohl schon zerstritten hatten? Allein der Gedanke daran lehrte Mathilda das Fürchten. Selbst in der kurzen Zeit, in der die Herrin zu Besuch hierher gekommen war, hatte sich etwas in dem Meister verändert. Vielleicht nicht zum Besseren verändert. Aber immerhin war er nicht mehr so kühl und distanziert wie Stein, der junge Herr. Sogar Erasmus von Rotterdam, der huldvolle Türknopf, der sich ansonsten nicht mit derlei herabwürdigendem Getue, wie er Tratsch üblicherweise naserümpfend zu benennen pflegte, abgab, hatte sich dazu herabgelassen, der flirtenden Teekanne zu berichten, dass ihr Herr und Meister sogar richtig zornig gewesen war, als er heute Nachmittag mit seinem Schatz aus dem Garten zurückgekehrt war! Der emotionslose, eiskalte Lord Voldemort zornig? Und (bis jetzt jedenfalls) war nicht einmal ein einziges Mordopfer, sei es nun menschlicher oder porzellaner Natur, zu beklagen? Die junge Dame mit dem Namen Ilona Una brachte eindeutige Veränderungen in dieses dunkle, verlassene Haus mit seinen schrulligen Bewohnern. Am meisten zu dem schrulligsten, seltsamsten und Gefährlichsten von ihnen allen. Aber wie schrecklich müsste es wohl sein, diese positive Wandlung wieder dahin schmelzen zu sehen wie unschuldigen Schnee in der erbarmungslosen Sonne! Nein! Das durfte nicht zugelassen werden. Und so machte sich Mathilda schließlich voller schlimmer Vorahnungen auf, nach langem, ermutigendem Zureden seitens der sensationsgierigen Teekanne und den neugierigen Zuckerlöffeln, mitten ins geheiligte Gemach ihres Meisters zu apparieren. Sie wollte nur nach der verschwundenen, silbernen Essensplatte fragen, versuchte sich die Hauselfe dabei die ganze Zeit schuldbewusst einzureden. Und sie würde sich eben so ganz nebenbei versichern, dass alles in Ordnung war. Was es bestimmt war! Hoffentlich… Tom war so vertieft in seine Lektüre, dass er das charakteristische Knacksen, das mit dem aus dem Nichts Erscheinen eines Hauselfes immer zusammenhing, zuerst gar nicht bemerkte. Erst ein leises, kaum vernehmbares Hüsteln ließ Voldemort schließlich ungnädig von dem schlicht gebundenen Buch aufsehen. „Was?“, knurrte er so unfreundlich wie möglich, während er seinen Blick gleichzeitig streng auf den Boden, der der Türschwelle am nächsten war, gerichtet hielt. Dabei sah sich der dunkle Lord aber gleichzeitig nicht imstande, einen kleinen, nichtsdestotrotz plötzlich aufbrechenden Schwall von Emotionen in seinem Inneren zu unterdrücken, der sich mit einem Mal in seiner Brust, ganz in der Nähe des Herzens, erhob. War sie wirklich so dumm, zurückzukommen? Nachdem er sie mit solch schrecklichen Flüchen und Beleidigungen für immer vertrieben zu haben glaubte? Da war Hoffnung, die Tom Riddle nun trotz allem noch einen menschlicheren Gesichtsausdruck als sonst gab, als er seine Augen vorsichtig noch ein Stück weiter hoch in Richtung Tür gleiten ließ. Dumme, irrationale, nicht erklärbare Hoffnung. Aber sobald er ihre Füße sah, würde er seinen Pupillen abrupt befehlen, innezuhalten, das stand gleichzeitig unwiederbringlich für den jungen Man fest. Noch einen Blick in ihre schwarzen Augen verkraftete der Magier heute nicht mehr... Doch der dunkle Lord wurde enttäuscht. Es machten sich nur graue, vom Alter gebeugte Knie, die unter einem sauberen Geschirrtuch nur schemenhaft auszumachen waren, in seinem Sichtfeld breit, als er es nun vorsichtig auf den Türeingang fokussierte. Und das machte Voldemort sofort nur noch wütender. „Mathilda?“, kam es tödlich leise aus der Kehle des 17- Jährigen. Die Hauselfe erstarrte vor Angst bei diesem eisig kalten, gefährlichen Tonfall. Bis jetzt waren es nur dumpfe Vermutungen gewesen, die die Greisin so unruhig hatten werden lassen. Nun wurde es jedoch plötzlich zu Gewissheit, zu schrecklicher, wahrer Gewissheit, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Nicht, weil der Meister so unfreundlich war. Das war er immer. Aber Ilona war nicht da. Die flinken Pupillen der Hauselfe hatten in der Sekunde, in der sie von Mr. Riddle noch unentdeckt geblieben war, atemberaubend schnell den halb verdunkelten Raum abgesucht. Jedoch da war niemand. Keine schmale Silhouette, die sich aus den Schatten erhob. Kein Glitzern freundlich warmer Augen. Nicht einmal eine Strähne strohblonden Haares konnte die Elfe entdecken. Plötzlich fürchtete Mathilda sich. Sie fürchtete sich, davor zu fragen, wohin ihre Herrin verschwunden war. Wenn der Meister so böse war, bestanden seine Antworten, falls er sich überhaupt dazu herabließ, eine zu geben, auf unerklärliche Todesfälle, die in seiner unmittelbaren Umgebung geschehen waren, nur aus einem wissenden Lächeln. Mathilda ängstigte sich mehr als alles andere auf der Welt vor diesem ironischen Verziehen der Gesichtsmuskeln ihres Meisters. Denn es bedeutete den Tod. Immer. Heute schien der junge Herr jedoch nicht zum Lächeln aufgelegt. Er musterte seine Dienerin nur abschätzend, verärgert über die plötzliche Störung in seinem Lesefluss. „Bist du stumm geworden? Was willst du denn?“, fauchte der Slytherin schließlich mit nur mühsam aufrecht erhaltener Geduld. Diese auffordernd barsche Frage hatte jedoch auch sein Gutes. Mathilda erwachte erstmals aus ihrer Schreckensstarre und verbeugte sich so tief vor ihrem Meister, dass ihre Nase beinahe den dunklen Boden streifte. „Mathilda wollte nur fragen, wo die Silberplatte mit dem Essen hin verschwunden ist, Meister“, hauchte die Elfe gleichzeitig so leise wie nur möglich. Eigentlich wollte die Greisin die Antwort gar nicht mehr hören. Eigentlich… Doch Tom hatte gute Ohren. Er verstand sie und schnalzte als Antwort daraufhin erst abfällig mit der Zunge, bevor er sich schließlich zu einem gezischelten Hinweis hinreißen lassen konnte „Direkt hinter dir.“ Verdutzt hob die Elfe um eine Winzigkeit ihren Kopf. Das war ja nun unerwartet. Vorsichtig erhob Mathilda sich aus ihrem demütigen Kniefall und drehte sich um. Die Tür, vor deren Schwelle sie direkt appariert war, öffnete sich wie von Zauberhand und erlaubte ihr damit einen ungehinderten Blick auf den finsteren Korridor. Es war ein schrecklicher Anblick. Speisen waren überall auf der direkt gegenüberliegenden, vormalig sauberen Wand und dem Boden verteilt worden und die Krönung dieses ganzen Durcheinanders bildete eine Vielzahl zerbrochener Silbersplitter im Zentrum, die früher wohl einmal eine Essensplatte gewesen sein musste. Mathilda schluckte. Hier war definitiv etwas schief gegangen. Aber die Hauselfe war so verängstigt, dass sie nicht einmal den Gedanken wagte, ihren Meister über dieses offenkundige Dilemma, welches sich hier vor der Greisin auf dem Korridor ausbreitete, auszufragen. Stattdessen machte sich Mathilda nur stumm an die Arbeit. Sie säuberte den Gang innerhalb weniger Minuten effizient von allem Dreck, indem sie einfach alle gefallenen Speisen mit Hilfe der ihr eigenen Magie von den Wänden und dem Untergrund ablöste und sie mit einem Fingerschnippen verdampfen ließ. Schließlich machte die Elfin sich noch daran, jeden Teil Silber, der auf der ganzen Diele verteilt worden war, sorgfältig aufzusammeln. Als Mathilda gerade den letzten Splitter vorsichtig aufheben wollte, ertönte plötzlich die geschmeidige Stimme ihres Meisters und ließ sie wie vom Blitz getroffen innehalten. Der dunkle Lord stand mit einem Mal direkt hinter ihr und durchbohrte mit funkelnden Augen den gesenkten Hinterkopf seiner Dienerin, während er gleichzeitig unfreundlich zischte: „Ist der Halbmensch nicht bei dir?“ Beinahe ließ der Hauself daraufhin seine ganze glänzende Last fallen. Sie verharrte und blinzelte langsam. Einmal. Zweimal, bis die Stille schließlich unerträglich wurde und die Greisin verwirrt ihren Mund auftat. „Meint Meister damit etwa die Herrin?“ „Die Herrin?“ Nun war es an Tom, verblüfft seine Augenlider abrupt zu schließen und sogleich wieder aufschnappen zu lassen. Der junge Mann schien sich jedoch einen Augenblick später sofort wieder gefangen zu haben und nickte nur einmal kurz mit dem Kopf. „Miss Una. Ist sie nicht auch hier, um dir zur Hand zu gehen? Sie scheint ja ganz wild darauf zu sein, die gleiche Arbeit wie ein Hauself verrichten zu dürfen“, wollte der Slytherin mit authentisch gespielter, gleichgültiger Stimme wissen. Doch seine langen, weißen Finger, die scheinbar nachlässig mit den Manschettenknöpfen an seinem Hemd spielten, verrieten ihn. Der dunkle Lord war beunruhigt. Mathilda konnte richtiggehend in ihrem alten Herzen spüren, wie es den jungen Mann verwirrte, Ilona nicht in der Gesellschaft der greisen Elfe zu sehen. Was wiederum sehr seltsam war. Wie alles, was irgendwie mit Miss Una zu tun haben schien. Wie konnte Voldemort nur erwarten, die Herrin bei Mathilda zu treffen?, fragte die Hauselfin sich verwirrt. Sollte er nicht selbst am besten wissen, wo sich sein Schatz gerade befand? Tom Riddle indessen war nicht beunruhigt. Er war besorgt- sehr sogar. Wie aus heiterem Himmel hatte ihn plötzlich dieses Bangen überfallen. Dieses Bangen um den Verbleib eines gewissen, fischigen Jemands. Er hatte fest damit gerechnet, dass Ilona bei Mathilda zu finden war. Dieser Belfer- Fanatikerin schien doch gar nichts anderes zuzutrauen zu sein? Und wo sonst konnte die Blonde sich schon verstecken, wenn nicht bei einer alten Hauselfe, deren Rasse wohl der offizielle Liebling eines Fischmenschen sein musste, so freundlich, wie sich das Mädchen Mathilda gegenüber benahm? Aber die offenkundige Verwirrung, die sein Hauself, der sich nun aufgerichtet und ihn mit großen, unwissenden Augen ansah, strafte diesem offensichtlichen Bild, das er von der Hufflepuff erschaffen hatte, Lügen. Miss Una war nicht bei Mathilda. Aber wo zum Teufel konnte sie sonst sein? Kapitel 25: Aschenputtel. Der erste Ton --------------------------------------- „Mathilda, du suchst das untere Stockwerk ab. Ich übernehme das restliche Haus.“ Scharf schnitt die Stimme ihres Meisters in die Ohren der alten Hauselfe und unterbrach somit abrupt die plötzlich hereingebrochene, bedrohliche Stille, die sich auf den Korridor gelegt hatte. Bevor die Greisin jedoch auch nur ein klägliches Nicken der Zustimmung zustande bringen konnte, hatte Tom sich schon mit erhobenem Zauberstab abgewandt und war lautlos in die nächstgelegene Kammer gewischt. Ängstlich darauf bedacht, auch nur ja keine Sekunde mehr zu verlieren und auch nicht länger untätig herumzustehen, duckte Mathilda sich und apparierte ohne weitere Abkürzungen wieder direkt in die Küche im unteren Stockwerk. Die Überreste der silbernen Platte, welche die Elfe vor dem Verschwinden achtlos fallen gelassen hatte, waren mit einem Mal aus jedem Denken verschwunden. In dem Gehirn der Greisin war plötzlich nur mehr Platz für eine einzige Frage: Wo konnte die Herrin sich verstecken? Wo nur, wo? Ganz und gar nicht gefasst bat Mathilda einen Sekundenbruchteil später in der Küche angekommen erst einmal das gesamte Geschirr um Mithilfe, das sich natürlich sofort (im Sinne der Neugierde) von der Idee begeistern lassen konnte, im Haus eine Suche nach ihrer neuen Herrin zu veranstalten. Sobald jedes auch noch so unwichtige Dessertgäbelchen instruiert worden war, dass im gesamten Dienstbotentrakt nach einer jungen, hübschen Frau mit blonden Haaren zu fahnden sei und das gesamte Silber schlurfend, rollend oder wahlweise hüpfend aufgebrochen war, konnte auch Mathilda sich erstmals auf die Suche machen. Die Hauselfe würde jeden einzelnen, verdächtig wirkenden Zentimeter im Untergeschoß beschnüffeln und abtasten, wenn sie dadurch nur die Herrin wieder finden konnte, das versprach sich die Elfe fest selbst, bevor sie ebenfalls in der Dunkelheit verschwand. Mister Riddle inzwischen befand sich auf der Jagd. Wobei Jagd noch die Untertreibung des Jahrhunderts zu sein schien, in Gegenüberstellung zu der Effizienz und dem Aufwand, der von ihm betrieben wurde, um Ilona wiederzufinden. Noch immer versuchte Voldemort sich dabei krampfhaft zu versichern, dass er hier gerade einen gewaltigen Fehler machte, den er in kurzer Zeit sehr bereuen würde. Dieser innere Wahn, der in ihm ausgebrochen war und nun im Sekundentakt in einer immer größer werdenden Kaskade aus für ihn ungewohnten Emotionen gipfelte, sollten eigentlich mit noch mehr Geduld, Logik und Passivität von seiner Seite bekämpft werden, versuchte ihm sein Gehirn verzweifelt (und vollkommen erfolglos) schon seit Beginn der Suche einzuhämmern. Nicht mit dieser schrecklichen Hast, in der der junge Mann sich nun anschickte, das ganze Haus zu durchkämmen, sollte vorgegangen werden! Es war höchst unklug, sich so dermaßen beunruhigt über das Verschwinden eines Gefangenen zu zeigen, enthüllte es doch seelische Schwächen, die leicht gegen einen verwendet werden konnten! Jedoch, in diesem Moment argumentierte sein Hirn vergeblich gegen das neuerwachte, schmerzhaft pumpende Herz in seiner Brust an. Tom setzte mit großer Konzentration einen lautlosen, mächtigen Suchzauber nach dem anderen in die Luft, während er mit ausgreifenden Schritten gleichzeitig die Schwelle jedes Raumes übertrat, der vom inzwischen stockdunklen Korridor abzweigte. Der dunkle Lord benötigte dabei kein Licht, um sehen und suchen zu können. Er kannte diese Zimmer, die sich hier in einer scheinbar endlosen Reihe aneinander schmiegten, trotz der erst kurzen Zeit, in der er hier weilte, wie seine Westerntasche und würde sofort spüren, wenn sich irgendein magisches Wesen in seiner Abwesenheit hineingewagt hätte. Aber so mächtig und erfahren der junge Mann auch für sein Alter, für seine ganze Generation, für sein Jahrhundert auch war: Nichts änderte die Tatsache, dass Riddle Manor sich schlicht in verschwenderisch riesige Ausmaße kleidete, zudem es letztens auch noch magisch vergrößert worden war. Nicht einmal der mächtigste Zauberer aller Zeiten konnte bei dieser ungeheuren Dimension des Gebäudes seine Suche so schnell abschließen, wie Mr. Riddle es sich in diesem Moment gewünscht hätte. Miss Una konnte überall sein. Der Halbmensch musste ja nicht einmal mehr zwingend in ihm bekannten Gefilden, dem ersten Stock und dem darunterliegenden Trakt, auftauchen! Sie konnte aus Versehen über den Abgang ins Verlies gestolpert, oder irgendwie auf den Dachboden gelangt sein… Wobei es sicherlich schon Ewigkeiten dauern würde, nur das erste Geschoss und die Dienstkammern abzusuchen, ganz zu schweigen von den vielen, kleinen Winkeln, die sich hier zauberhafterweise aufzutun schienen, wenn man sie nur brauchte... So viele Unendlichkeiten an Zeit waren hier vonnöten! Unendlichkeiten, die Mister Riddle glaubte ganz bestimmt nicht zu besitzen. Innerlich verfluchte der Slytherin sich, über das Mädchen nicht schon längst einen Bannzauber oder ähnliches gelegt zu haben. Es war so verdammt gedankenlos von ihm gewesen, sie einfach so, ohne irgendeine Fessel, die sie zurückhielt, in diesem Haus herumstreunen zu lassen. Zahllose, alte Flüche waren hier bereits freigesetzt worden, in Objekte gesperrte Banne, die nicht einmal Voldemort ganz kontrollieren konnte und die er deshalb zu Übungszwecken in den linken Flügel gesperrt hatte… Unwillkürlich schauderte der junge Mann bei dem Gedanken an all die unangenehme Dinge, die sich hier noch in diesem alten Gemäuer verbargen. Wenn Miss Una aus Versehen diese ganzen Untiere losließ (ihrem naiven und vertrauensseligen Gemüt traute er es durchaus zu, eine Tür zu öffnen, nur wenn das Holz die naive Blonde höflich darum bat) und ihr dadurch irreparabler Schaden zugefügt wurde, dann Tom Riddle stoppte abrupt vor der düsteren Umkleidekammer, in die er gerade noch einen investigativen Blick hinein geworfen hatte. Sein rechter Fuß, der sich schon halb erhoben hatte, um den nächsten, ungeduldigen Schritt in Richtung des nächsten Zimmers zu tätigen, verharrte mitten in der Luft. Das war es. Aber das war es doch, was der Slytherin eigentlich begehrte! Der junge Mann müsste doch beten, dass die Hufflepuff blindlings in eine seiner Experimente tappte! Dann würde er sich nie mehr Sorgen um ihren Verbleib machen müssen! Aber eine kleine, störende Stimme widersprach der zufriedenen Genugtuung, die plötzlich Gefahr lief, sich in dem dunklen Lord breitzumachen, abrupt und aufs Heftigste. Warum hatte Voldemort sein Opfer überhaupt so lange am Leben gelassen, wenn er sie nun einfach an seine frei umlaufenden, lebendenden Alpträume verfütterte? Er benötigte Ilona doch! Er benötigte sie für seinen Plan! Nun, dieser vernünftigen Logik konnte nichts entgegengesetzt werden. Und außerdem. Da war noch dieser Schmerz, dieses schreckliche Unwohlsein, das plötzlich wieder zu pochen begonnen hatte, mitten in seinem versteinerten Herzen, wie jedes Mal, wenn die Sprache auf einen gewissen Fisch mit braunen Augen kam. Der junge Mann knirschte mit den Zähnen. Es stand 2:1. Er würde wohl oder übel das tun müssen, was sein Verstand und sein Herz ihm (diesmal erstmalig sogar im Einklang) rieten und den Blutdurst in sich selbst an einem anderen Gegenstand als dem Halbmenschen abreagieren lassen. Es war ungeahnt kompliziert geworden in seinem Kopf. Früher, noch in seiner alten Zeit, hatte der Slytherin immer nur ein Ziel gehabt, dem er mit aller Macht und ohne jeweilige Ablenkungen gefolgt war. Unsterblich zu werden, für immer in die Geschichte einzugehen als der mächtigste Zauberer seiner Zeit. Das waren noch Zeiten gewesen. Schlicht, aber effektiv hatten sich seine Ziele damals ausgemacht. Doch dann war Tom Riddle in eine andere Dimension, in eine andere Welt gezogen worden und hier schienen mit einem Mal ganz andere Regeln zu gelten. Macht? Erfolg? Streben nach Unsterblichkeit? Plötzlich ging Voldemort in seinem eigenen Haus lieber auf die Suche nach einem Halbblut, der eindeutig fischige Tendenzen in seiner Persönlichkeit hatte und ansonsten ab einem bestimmten Punkt doch nur mehr als WERTLOS einzustufen war, verdammt noch mal!, als geduldig und konzentriert seine Pläne zu perfektionieren. Es war wie in einem Alptraum. Einem schrecklich realen, kitschigen Alptraum. Heftig schüttelte Tom den Kopf. Mit aller Macht verschob er seine konfusen, nicht zielgerichteten Gedanken in den hintersten Winkel seines Bewusstseins und setzte die Suche nach seinem Opfer entschlossen fort. Der Slytherin benötigte sie für seine Machenschaften. Dieser Gedanke schien noch am ehesten in seine alten Denkmuster zu passen. Sobald das Mädchen ausgedient hatte, würde er… Der dunkle Lord konnte diesen Gedanken nicht vollenden. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn sein Plan gelang und er endgültig die Herrschaft über die Zaubererwelt erlangt hatte. Es wusste es nicht. Ihm war nur bewusst, dass er den Fisch mit den ertränkenden Augen nun sofort suchen musste. Sonst befand sich mit einem Mal alles wieder auf der Kippe. Doch obwohl Tom weiterhin den gesamten ersten Stock durchkämmte, war von Ilona selbst zu fortschreitender Stunde nicht die kleinste Spur zu entdecken. Auch Mathilda und ihre treuen Gehilfen wurden nicht fündig, obwohl man inzwischen selbst Erasmus von Rotterdam einbezogen hatte (der es noch nie so sehr bedauert hatte wie heute, an einen Platz gefesselt und nicht mit Füßen ausgestattet worden zu sein, um sich auch an der Schnitzeljagd zu beteiligen), wie dem rasenden Voldemort schließlich die unfreudige Kunde nach einer Ewigkeit unergiebigen Fahndens von einem zitternden Teelöffel gebracht wurde. Der Löffel war sowieso der älteste und unansehnlichste im Repertoire des Bestecks gewesen, und deswegen bereute es der dunkle Lord auch nicht, als er das arme Silberding sogleich nach Überbringen der Nachricht nur mit Hilfe eines Fingerschnippens in mikroskopisch kleine Teile zersplintern ließ. Schlechte Nachrichten hatten Tom Riddle noch nie in Hochstimmung versetzt, und insbesondere die Tatsache, dass sich SEIN Gefangener noch immer auf freiem Fuß befand, selbst nach längst begonnener Fahndung nach ihm, in SEINEM EIGENEN Haus, ließ ihn sekündlich immer wütender werden. Schließlich, kurz vor Mitternacht, verlor der junge Mann auch noch jeden kläglichen Rest von Beherrschung und ließ von nun an jeden Gegenstand, der ihm auf seiner Suche im Korridor oder in den abzweigenden Kammern im Weg zu sein schien, mit einem Schlenker seines Zauberstab in Flammen aufgehen. Irgendwo musste dieses kleine Biest doch zu erhaschen sein! …Oder? Ein neuer, furchterregender Gedanke kreuzte plötzlich Riddles Hirn, als er gerade einen der letzten Räume, die er noch nicht durchsucht hatte, mit wütend Funken sprühendem Zauberstab betrat. Der Slytherin erstarrte mitten in der Bewegung. Aber das war doch nicht möglich. Das konnte doch nicht sein! Die kleine, ungeschickte Hufflepuff würde doch wohl keinen Weg gefunden haben, aus dieser mit allen nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen bedachten, steinernen Festung zu fliehen? Aber andererseits, wenn er diese Möglichkeit ernsthaft zu erwägen begann (obwohl sich in seinem Inneren alles dagegen sträubte)… Verbarg der Halbmensch nicht magische Talente, von denen ein normaler Zauberer nur träumen konnte? Gab es hier für jemanden wie sie vielleicht nicht doch noch irgendwo eine Hintertür, die Voldemort übersehen hatte? Doch der dunkle Lord übersah nichts. Der dunkle Lord war allwissend! Warum aber, warum war Tom Riddle dann nicht imstande, eine schlichte Hufflepuff in seinen eigenen vier Wänden zu entdecken? Bevor der junge Mann sich jedoch weiterhin vor Wut beinahe berstend und auf der Schwelle zu einer weiteren, bestimmt hundertsten unbeleuchteten Kammer zu Stein erstarrt diese Frage stellen konnte, ertönte plötzlich ein Ton. Kein plumpes Geräusch, wie das Rascheln eines Umhangs oder nur halb unterdrücktes Flüstern. Nein. Ein Ton. Ein schlichter, heller Ton, nicht aufsehenerregend eigentlich, aber in der drückenden Stille, die ansonsten herrschte, eine erfrischende, unerwartete Abwechslung. Da! Der Ton war noch einmal erklungen. Diesmal stärker, deutlicher. Abrupt wirbelte Tom herum. Er hastete zurück in den finsteren Gang, dessen Länge er in dieser Nacht insgeheim schon unzählige Male verflucht hatte. Und lauschte. Lauschte diesem seltsamen, noch nie dagewesenen Geräusch, das ganz aus der Nähe zu kommen schien. Die Füße des jungen Mann setzten sich unwillkürlich in Bewegung, dabei immer auf die Richtung des Klanges, der noch lange in der Dunkelheit nachhallte, zuhaltend. Der Slytherin vernahm mit jedem Schritt, den er weiter in die Schwärze tat, einen weiteren Laut. Inzwischen folgten sie schon in kürzeren Abschnitten voneinander und wichen leicht voneinander in der Klanghöhe ab, ohne dabei irgendwie unangenehm zu sein. War das etwa Musik? Voldemort beschleunigte seine Schritte. Diese ungewohnte Melodie machte ihm Schwierigkeiten. Er war nicht musikalisch, nie gewesen. Der dunkle Lord hatte das Musizieren immer nur als lächerliche Zeitverschwendung abgetan, bei der man wertvolle Stunden vergeudete, die viel besser zum Studieren oder Experimentieren geeignet wären. Alles in allem hatte sich der junge Mann also nie die Mühe gemacht, sein Gehör zu schulen. Dementsprechend schwer fiel es ihm auch, der zarten, immer wieder einhaltenden Musik zu folgen. Doch nach einigen Fehlversuchen, in denen er in falsche Zimmer eingetreten war, hatte Mister Riddle es doch noch geschafft. Tom war am Ende des Gangs angelangt. Dort, hinter der letzten Tür, die vom Korridor abging, schien die seltsame Melodie, die nun langsam Gestalt annahm und sich anschickte, das ganze Haus zu verzaubern, am stärksten zu klingen. Plötzlich wusste Voldemort, dass er sein Opfer gefunden hatte. Leise öffnete er die trennende Tür um einen Spaltbreit. Den Zauberstab hatte er dabei achtsam erhoben, einen tödlichen Spruch schon halb auf den Lippen. Im Falle eines Falles. Aber der Anblick, der den dunklen Lord erwartete, ließ ihn jegliche Vorsichtsmaßnahmen allzu bald vergessen. Der junge Mann kannte diesen Raum natürlich. Dieser nun nur durch einige wenige, seltsam weiß gefärbte Kerzen beleuchtete Salon musste früher der sonnendurchflutete Rückzug der Familie Riddle gewesen sein. Selbst jetzt noch, nach jahrelanger Ignoranz seitens vieler Besitzer und dem nagenden Zahn der Zeit, wies dieser Raum noch eine gewisse Heimeligkeit auf, trotz des vielen Staubs und dem allgemeinen Status der Unordentlichkeit, der sich hier etabliert hatte. Ein einzelner, nur mehr zur Hälfte schwarz bezogener Sessel und ein riesiger, erloschener Kamin nahmen den Raum ein und lenkten zuerst die volle Aufmerksamkeit einer eintretenden Person zu sich. Mr. Riddle unterdrückte mit Mühe ein Frösteln. Es war kalt hier, wie in allen Räumlichkeiten, die von Tom nicht regelmäßig benutzt wurden. Wozu gutes Brennholz verschwenden, wenn der Großteil dieses Traktes sowieso nie besucht wurde? Jedoch nichtsdestotrotz musste es die Fischfrau Ilona hierher verschlagen haben. Das sagte ihm sein untrügliches Gespür. Der junge Mann schob die Tür noch ein kleines Bisschen weiter auf, um auch noch den Rest der Kammer in sein Blickfeld gleiten zu sehen. Und da sah er sie. Die junge Frau saß, von zwei schwebenden Kerzen in wabernden Schein getaucht, auf einem alten, filigran ziselierten Hocker und hatte die Augen starr ins Leere gerichtet. Vor ihr erhob sich ein Klavier. Kein allzu großes, wie es in den Konzertsälen heutzutage gang und gäbe war. Es war auch nicht allzu hübsch anzusehen, da es an vielen Stellen im braunen Lack mit Kratzern versehen war. Aber nichtsdestotrotz stand es hier, das Piano. Und Miss Una spielte darauf. Natürlich hatte Voldemort dieses Instrument bei seinen nächtlichen Rundgängen durch das Haus am Rande bemerkt, ihm aber nie allzu große Beachtung geschenkt. Der junge Mann hatte sich auch nie vorstellen können, welcher der hartherzigen Riddle genug Gefühl gehabt hätte, auf einem Klavier zu spielen. Aber ehrlich gesagt war es ihm auch egal gewesen. Musik war Zeitverschwendung. Sie unterbrach nur die heilige Stille und lenkte ab von wichtigeren Dingen. Jedenfalls hatte Tom das immer geglaubt. Aber nun, da Miss Una spielte, war plötzlich alles anders. Der junge Mann stand stocksteif an der Schwelle zu dem Salon und hörte zu. Er hörte der schwermütigen Melodie zu, die sich mit unerhörter Leichtigkeit in sein Gehirn fraß, um sich selbst in seinen Gedanken für immer in den Status der Ewigkeit zu erheben… Er kannte diese Noten. Der Slytherin musste sich jedoch sehr anstrengen, um die seltsam vertraut wirkende Weise in sein Gedächtnis richtig einordnen zu können. Er kannte das Lied doch, er musste sich nur daran erinnern… Erst nach einer Ewigkeit durchfuhr es Mr. Riddle schließlich wie ein Blitz. War die Ordnung der vernommenen Töne nicht dem Schlaflied so ähnlich, dass ihn schon zweimal in seinen Träumen verfolgt hatte? Dieses penetrante, sanfte, unmögliche Summen, das ihn so schwach gemacht und Sehnsucht in ihm geweckt hatte, Sehnsucht nach Wärme, nach NÄHE und allerlei anderen, seichten Unmöglichkeiten? Konzentriert schloss der junge Mann die Augen und versuchte, den intensiven Klang des Klaviers gänzlich in sich einzusaugen. Je länger er zuhörte, desto sicherer war er sich. Ja, das musste dieses verdammenswerte Schlaflied sein! Doch trotz der bitteren Erkenntnis ließ die Schlange ihre Augen unnatürlich ruhig geschlossen. Einen Moment zuvor war Tom noch wütend gewesen, rasend vor Zorn, weil er seine Gefangene nicht hatte finden können. Aber die volle Musik beruhigte ihn, schläferte ihn ein. Sie ließ ihn hinab gleiten in die Schatten und er brachte es nicht einmal zustande, sich zu wehren. Natürlich wollte der junge Mann nicht müde sein und schlafen gehen! Aber je länger diese Töne ihn umschmeichelten, desto schwerer schienen seine Glieder zu werden. Seine Augenlider schienen plötzlich mit Tonnengewichten befestigt zu sein, sodass er sie selbst trotz größter Anstrengung nicht mehr aufschnappen lassen konnte. Es war unmöglich, diesem süßen Klang Widerstand zu leisten… Das Lied brach abrupt ab. Genauso schnell, wie die Friedlichkeit gekommen war, die Voldemort mit einem Mal umgeben hatte, verschwand sie auch wieder. Wütend riss der dunkle Lord beide Augen auf. Sein Zauberstab, den er im Laufe der vorherigen Sekunden immer weiter nach unten gen Boden hatte sinken lassen, hatte sich mit einem Mal wieder aufgerichtet und deutete nun kleine Flammen speiend direkt auf das erstarrte Mädchen am Klavierhocker. Sie hatte ihn bemerkt. Die Hufflepuff hatte den dunklen Schatten gesehen, der sich plötzlich am Türrahmen aufgebaut hatte, und das Spiel ihrer Finger von einer Sekunde auf die andere hastig unterbrochen. Stumm musterten sich die beiden. In der allumfassenden Dunkelheit waren nur die paar bereits erwähnten Kerzen angezündet worden, die den weiten Raum nur notdürftig erhellten und somit nicht allzu viel erkennen ließen, abgesehen von der ungefähren Statur der jungen Zauberer im Zwielicht und den Schatten, den vielen Schatten, die hier überall zu sein schienen und die restliche Welt in Finsternis tauchten. Die flackernden Flammen warfen unruhige Schatten auf die Szenerie und verhalfen ihr somit zu einem noch unheimlicheren Anblick. Das Schweigen in diesem einzigartigen Moment war allumfassend. Doch es dauerte nicht allzu lange. Tom, der sich des eben erst vergangenen Moments, in dem er Schwäche gezeigt hatte, furchtbar schämte, hatte beide Kiefer fest zusammengepresst und den Blick stur zu Boden gerichtet. Sein Zauberstab zeigte nichtsdestotrotz zielsicher auf die schmale Silhouette der Blonden, die plötzlich merklich auf ihrem Sitz zusammengeschrumpft war. Sie war es, die schließlich als Erste den Versuch unternahm, die schreckliche Stille zu durchbrechen. „Es tut mir furchtbar Leid…“ Ihre Stimme verhallte schwach in den düsteren Schatten. Das Mädchen vermied dabei krampfhaft jeden Blick auch nur in die Nähe des zur Statue versteinerten Tom Riddle. Der junge Mann fühlte sich plötzlich fürchterlich. Nein, noch schlimmer. Schuldig. Und das machte ihn in seiner Verzweiflung nur noch wütender. „Nun, ich nehme an, das Sie sich in ihrer Dummheit einfach verlaufen haben“, zischte der dunkle Lord kalt. „Ich kann wohl deshalb nicht umhin, mich des Gedankens bemächtigen zu lassen, dass bei Ihnen Hopfen und Malz verloren ist. Aber keine Sorge, es kümmert mich nicht. Versichern Sie sich das nächste Mal einfach nur, wenn Sie beschließen, zu solcher Stunde einen Nachtspaziergang zu machen, zuvor eines adäquaten Begleiters, der sich hier zurechtfindet, bevor Sie sich auf den Weg machen. Verstanden?“ Das letzte Wort klang unnatürlich beißend zu der jungen Frau hinüber. Die Hufflepuff seufzte leise und murmelte eine sachte Zustimmung. „Gut.“ Der junge Mann nickte kurz. Dann senkte er den Zauberstab und drehte sich in einer einzigen, fließenden Bewegung um, in dem Bestreben, so schnell von dem Mädchen wegzukommen, so weit wie nur möglich. Vorbei war alle Besorgnis, wo die Kleine abgeblieben war! Nun wollte der Slytherin einfach nur zurück in seine sichere Kammer, weg von der zartgliedrigen Gestalt in seinem Rücken, die so traurig aussah. „Mister Riddle?“ Der junge Mann verharrte. „Darf ich über Nacht vielleicht hierbleiben?“, erklang die leise Stimme des Mädchens hinter ihm. „Ich verspreche Ihnen auch, keinen Lärm mehr zu machen!“, setzte der Halb Grindeloh sogleich hastig hinzu und stand flink von dem Klavierhocker auf, als ob sie den Unwillen des dunklen Lords, der bei dieser Bitte erneut aufgewallt war, körperlich spüren konnte. Tom schwieg eine Ewigkeit lang. Erst, als Ilona schon beinahe jede Hoffnung aufgegeben hatte, heute noch eine Antwort zu erhalten, ertönte die ungewöhnlich leise Stimme des mächtigsten Zauberers der magischen Welt: „Solange Sie nicht noch einmal verschwinden, dürfen Sie so viel Musik machen wie Sie wollen.“ Seine Stimme hatte ihn verraten. Das wurde Voldemort in dem Moment bewusst, in dem er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Schon wieder war ihm ein elementarer Fehler in der Gegenwart dieses wertlosen Mädchens unterlaufen! Es war zum Verrücktwerden! Selbst in seinen ungeschulten Ohren hatten diese eben ausgespienen Worte nicht vollkommen emotionslos geklungen. Die Kleine musste ihn ja inzwischen schon direkt für eine Witzfigur halten! Es war ihm direkt ein innerer Zwang geworden, peinliche Gefühle zu offenbaren, wenn sie da war. Natürlich, keine großen Gesten. Aber Kleinigkeiten, wie dieser verletzte Tonfall, den er eben angeschlagen hatte, die Nervosität, mit der er jedes Mal versuchte, ihrem forschenden Blick auszuweichen… Und dann der Kuss. Tom presste beide Lippen fest zusammen, um vor Wut und Enttäuschung nicht einfach loszuschreien. Er musste weg. Er musste so schnell wie möglich weg von ihr. Doch Ilona machte ihm wieder einmal einen Strich durch die Rechnung. Das Mädchen hatte den leicht anklagenden Tonfall, der mit den letzten Worten von Du weißt schon wer einhergegangen war, sehr wohl vernommen. Und war nun schlicht und einfach sprachlos vor Kummer und Entsetzen. Aber sie fand viel zu schnell ihre Sprache wieder und rief dem bereits halb in die Schatten entschwundenen, dunklen Lord atemlos nach: „Haben Sie sich etwa Sorgen gemacht?“ NEIN. Nein nein nein nein nein nein nein!, wollte Tom ihr daraufhin entgegen brüllen. Er brauchte sie nur für seinen Plan, verdammt! Nur für seinen Plan! Aber äußerlich blieb der Junge unberührt. Er neigte nur noch einmal kaum sichtbar seinen Kopf, bevor er stumm und endgültig mit den Schatten im Korridor verschmolz. Ilona blieb alleine und höchst verwirrt zurück. Kapitel 26: Musik ist Magie --------------------------- Musik ist Magie. Magie, die sich weder von Zeit noch Raum davon abbringen lässt, ihr Ziel zu erreichen. Als Ilona verwirrt und orientierungslos den dunklen Gang entlang gelaufen war, hatte sie sich in jenem Moment nur eines verzweifelt gewünscht: Dass jemand in ihrer Nähe wäre, dem sie vertrauen konnte. Jemand, dem sie von diesem ersten, eiskalten Kuss berichten konnte, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Jemand, an dessen Schulter das Mädchen sich anlehnen und einfach nur ausweinen konnte. Ilona brauchte Rose. Mehr als alles andere auf der Welt wollte die Hufflepuff in jenem dunklen Moment ihres Lebens, in diesem düsteren Korridor von Riddle Manor, nach Hogwarts zurückkehren, zurück in das einzige Heim, das sie je gekannt hatte. Sie wollte zurück zu ihrer Freundin, sofort, um sich endlich wieder sicher fühlen zu können! Gerade als diese Sehnsucht am größten, am verzehrendsten im Herzen der jungen Frau geworden war, hatte sich neben der ziellos Umherwandernden plötzlich wie von Zauberhand eine Tür geöffnet. Noch viel zu sehr beschäftigt mit ihrem Seelenleid, hatte das Mädchen alle Vorsicht in den Wind geschlagen und war sofort gedankenlos in diese sich ihr einladend öffnende Finsternis eingetreten. Sie hatte eine Kammer entdeckt, in der ein verstaubtes Klavier sein Dasein fristete. Der Klimperkasten weckte viele Erinnerungen, wie er so dastand, scheinbar nur ein weiterer großer Schatten zwischen all der anderen Finsternis. Es war so seltsam und auch schwierig, sich an diesem kalten Ort an etwas Glückliches in seinem bisherigen Leben zu entsinnen… aber der Blonden war dieser Drahtseilakt schnell geglückt. Ilona war dem Piano Spielen zwar schon immer sehr zugetan gewesen, meistens hatten der jungen Frau aber einfach die Zeit und die Möglichkeiten gefehlt, ausreichend an ihren Fertigkeiten zu feilen. Jedoch Rose hatte ihr trotzdem immer gerne zugehört, wenn sie spielte, besonders in den Sommerferien, wenn Miss Una die junge Weasley im Fuchsbau besucht hatte. Dort, im gemütlichen Wohnzimmer, war immer ein uraltes, verstimmtes Pianoforte, von dem sich niemand so genau erinnern konnte, es jemals gekauft oder benützt zu haben, zur freien Verfügung der Hufflepuff gestanden. Das Instrument war immer schrecklich verstimmt gewesen und musste beinahe jeden Tag, manchmal stundenlang, aufs Neue überredet werden, einen ersten, halbwegs geraden Ton auszuspeien. Für Ilonas Zwecke hatte es jedoch gereicht. Wie oft hatte man sie an lauen Sommerabenden gebeten zu spielen, wenn das wunderbare Abendmahl, das Mrs. Weasley ihnen kredenzt hatte, eben zu Ende gegangen war! Es mochte zwar Faktum sein, dass die Hufflepuff sich manchmal im Ton vergriff, aber ihr Spiel war dennoch immer wieder aufs Neue bezaubernd. Das Mädchen musizierte mit, ja womit? Mit einer derart verträumten Seligkeit, sodass jedem, der ihr zuhörte, sofort das Herz aufging? Mit versteckter Leidenschaft, die jedem durch Mark und Bein drang? Oder waren es doch nur die Gene der versunkenen Meerwesen in Ilona, die das Mädchen die Geheimnisse der blauen Tiefe in ertränkenden Tönen übermitteln ließen? Die junge Frau wusste selbst nicht so genau, was ihr Klavierspiel so ungewöhnlich machte. Fest stand aber zumindest, dass Rose mehr als nur einmal nach einer Vorführung der von der Blonden selbst erdachten, nachdenklich zum Besten gegebenen Melodien im Fuchsbau lautstark verkündet hatte, dass ihre beste Freundin doch Musik studieren sollte, wenn sie die Zauberer Ausbildung abgeschlossen hatte! Mit dem Spiel der Blonden wären sicherlich allzu bald alle Herzen im ganzen Land gewonnen… Doch Ilona hatte solch großes Lob immer wieder zwar schüchtern lächelnd zur Kenntnis, aber nie wirklich ernst genommen. Sie hatte es sich schlicht und einfach nie vorstellen können, ihr Leben mit der Musik zu verbringen. Aber es war doch trotzdem immer wieder schön gewesen, wegen ihrem angeblich so meisterhaften Können im Klavierspiel gelobt zu werden! So schön… Wehmütig erinnerte sich das Mädchen nun, scheinbar unendlich weit von jeglicher Freude entfernt, an jene lichten Momente im Fuchsbau zurück, die ihr, selbst jetzt noch, immer noch so viel an Freundschaft und Geborgenheit bedeuteten. Wie lange diese glücklichen Tage schon vergangen zu sein schienen! Als die Blonde dann zum ersten Mal das hölzerne, verwaiste Klavier in dem verdunkelten Raum in Riddle Manor ausgemacht hatte, war sie kurz davor gewesen, endgültig in Trauer um dieses verlorene Glück zu versinken. Doch das Mädchen hatte sich mit größter Mühe weiterhin, aus ihr selbst nicht ersichtlichen Gründen, aufrecht gehalten und war in die stockfinstere Kammer eingetreten. Als hätte sie damit einen unsichtbaren Lichtschalter umgelegt, waren plötzlich diese weiß glühenden Kerzen in der Dunkelheit aufgetaucht und hatten der Hufflepuff den Weg zu dem Instrument gewiesen. Eigentlich, so hatte Ilona nach dem ersten, überraschten Augenblick furchtsam argumentiert, wusste sie doch gar nicht, ob dieses Klavier überhaupt berührt werden durfte. Oder ob es überhaupt ungefährlich war, darauf zu spielen. Wer wusste schon, was Lord Voldemort mit diesem Klimperkasten nicht alles angestellt haben könnte? Vielleicht war er ja mit einem Bann belegt, der jeden sofort niederstreckte, der es wagte, seine Tasten zu berühren? Aber Ilonas geballtes Heimweh nach ihrer geliebten Freundin hatte schnell auch noch den letzten Funken Zweifel überwunden. Und immerhin, wen kümmerte es überhaupt, wenn sie starb? Das Mädchen wusste zwar nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war, seit Du weißt schon wer sie entführt hatte. Aber es musste schon länger als 48 Stunden lang her sein. In Hogwarts hatten sie die Suche nach ihr bestimmt schon aufgegeben. Hoffentlich war Rose nur nicht zu traurig wegen ihrem plötzlichen Verschwinden. Das war die einzige Sorge, die Ilona derzeit noch aufrecht hielt und auch ablenkte von der eigenen Misere, in der die Hufflepuff gerade selbst hoffnungslos zu versinken drohte. Hoffentlich überwand die Rothaarige bald ihre Trauer und vergaß ihre blonde, stille, unauffällige Freundin… Mit trübem Blick senkte das Mädchen ihre Finger auf die Tastatur. Schon der erste Ton des alten Schlafliedes ließ die junge Frau in ihre eigene Traumwelt versinken. Sie sank hinab in dieses ihr allein eigene Reich, das einfach nur aus Wasser bestand, Wasser und Sand und Sonne. Hier gab es keinen Grund zur Beunruhigung. In dieser hellen Fantasie gab es nur Rose. Rose und Rose und wiederum Rose… Ilona spielte in dieser Nacht nur für die rothaarige Weasley. Da war es doch eigentlich selbstverständlich, dass die hitzige Gryffindor dieses wunderbare Spiel auch zu hören bekam. Auf die eine oder andere Weise. Halb ohnmächtig vor Müdigkeit vollendete Rose Weasley zur exakt gleichen Zeit, in der Ilona zum ersten Mal ihre Finger auf die Tasten des Klaviers legte, das bestimmt millionste Kondolenzschreiben. Sie war noch immer nicht von Professor Malfoy aus den Kerkern entlassen worden, obwohl die Zeiger ihrer Armbanduhr nun bereits kurz vor Mitternacht zeigten. Normalerweise hätte die junge Frau sich inzwischen Sorgen um ihren Plan, aus Hogwarts zu flüchten, gemacht, da er inzwischen ja aus Zeitgründen drohte, sang- und klanglos hopps zu gehen. Aber nun, nach stundenlangem, erschöpfendem Niederschreiben von Traueraussendungen, schien sich jeder sinnvolle Gedanke aus dem Gehirn der Gryffindor verflüchtigt zu haben. Zurück in ihrem strapazierten Denken blieb nur eine einzige Hoffnung, die mit jeder vergangenen Minute schwächer zu flackern schien, nichtsdestotrotz aber immer noch vorhanden war. Bald muss es vorbei sein. Bald muss es vorbei sein. Bald muss es vorbei sein. Bald, ja bald… Doch die Turmuhr im Zentrum Hogwarts schlug Mitternacht und nichts passierte. Sie war nun bereits 13 Stunden lang hier und schrieb. Und schrieb. Und zerschnitt sich mit jedem weiteren Wort unwillentlich das Herz. Vielleicht war die Weasley ja inzwischen schon vor Kummer gestorben und nun in der Hölle gelandet? Rose verharrte für einen Augenblick. Das immerwährende Kratzen ihrer Feder wurde dabei automatisch von ihren zitternden Fingern unterbrochen und ungewohnte Stille machte sich plötzlich in den Kerkern breit. Müde schloss das Mädchen die Augen. Hmm. Wenn sie genauer darüber nachdachte… Es stimmte schon, die junge Frau hatte sich ihr Fegefeuer noch nie so genau vorgestellt- also konnte sie auch nicht so genau sagen, wie es sich für jemanden wie sie wohl anfühlen musste, in der Hölle gefangen zu sein. Aber dass ihre unendlichen Qualen mit Professor Malfoy zu tun haben würden, war für die Rothaarige schon bereits seit geraumer Zeit festgestanden… „Nun, ich denke, dass für heute einmal Schluss sein sollte, nicht wahr?“ Zum ersten Mal seit Stunden hatte sich der blonde Professor für Zaubertränke nun gemeldet. Und mit diesen wenigen, ausgewählten Worten, die er ausgesprochen hatte, hatte der Zaubertränkemeister Roses derzeit größten Herzenswunsch kompakt zusammengefasst. Der junge Mann fläzte noch immer auf genau derselben Stelle auf genau demselben Sofa, wo er sich vor mehr als 12 Stunden hingesetzt hatte. Dabei war sein wachsamer Blick keinen einzigen Augenblick lang von der zusammengesunkenen Statur der rothaarigen Schülerin ganz in seiner Nähe gewichen. Bis zu diesem Moment, in dem er beschlossen hatte, dass es für heute einmal genug sein musste. Leider. Zufrieden wandte Draco sich von dem innerlich zerstörten Persönchen am Nebentisch ab und begann, gleichzeitig abstoßend lächelnd, seine korrigierten Arbeiten, die noch immer auf dem Couchtisch lagen, flink zu ordnen. Ohne ein Wort ließ die Gryffindor zur selben Zeit langsam die mit allerlei Tintenflecken verzierte Feder aus ihrer verkrampften Hand sinken und stand schwankend auf. Das Mädchen griff fahrig nach ihrer Tasche, die die ganze Zeit am eiskalten Boden gelegen hatte, und hängte sie sich mit einem tonlosen Seufzen um. In ihrem Kopf hämmerte es. Die junge Frau wollte den Professor anschreien, mit den wüstesten Schimpfwörtern bedecken, ihn verfluchen, ihn töten… Dafür, dass sie nun zu spät kommen würde. Sie würde zu spät sein, um Ilona zu retten. Und es war allein SEINE Schuld! Nur mit Mühe konnte die Gryffindor einige vorwitzige Tränen zurückhalten, die plötzlich Gefahr liefen, sich einen Weg über ihre erkalteten Wangen zu bahnen. Doch Rose war stark. Sie würde jetzt nicht aufgeben. Niemals. Es würde auch noch andere Wege geben, um Ilona zu retten… Und in genau diesem Moment hörte die junge Frau es. Sie wollte gerade mit unsicheren Schritten an dem Sofa vorbeihasten, als ein erster, lieblicher Ton in der Luft erklang. Wie vom Blitz getroffen blieb das Mädchen stehen. Sie kannte diesen charakteristischen, weichen Klang, der plötzlich zwischen den feuchten Wänden des Kerkers widerhallte. Die Weasley würde ihn aus Tausenden, nein, aus Millionen von verschiedenen Tonhöhen sofort erkennen. Da spielte jemand Klavier. Die Augen der Rothaarigen weiteten sich. Die leichten Noten, die nun behaglich ein unsichtbares Netz um sie zu spinnen begannen, schickten sich auch gemächlich an, immer volltönender und weicher in einer vollendete Klangkonsistenz um sie zu fließen und das Mädchen somit auf eine wunderbare Art zu ertränken… Nein. Nicht ein bloßer Jemand konnte einem Piano solch eine Melodie entlocken, die das Meer selbst zu sein schien, endlos, blau und ewiglich tief… Dazu war nur Ilona im Stande. Die Tränen, die Rose eben noch so angestrengt zurückgehalten hatte, fanden plötzlich keinen Widerstand mehr. Sie hatten freie Bahn und überströmten das Gesicht der jungen Frau in zahlloser, glänzender Nässe. Dieses Mal aber war nicht Trauer, sondern Freude, erquickende, lebensspendende Freude, der Grund für diesen Gefühlsausbruch. Vergessen war all der Zorn, all die Wut, all die Verzweiflung! Ilona war wieder da! Das wusste die Weasley plötzlich ganz sicher. „Hören Sie das?“, wandte die junge Frau sich nicht länger erschöpft, sondern jubilierend dem verhassten Zaubertrankmeister zu, der zu ihrer rechten immer noch unbeweglich auf dem Sofa saß. „Diese Musik kenne ich! Nur Ilona kann so spielen!“, setzte die Gryffindor sofort eifrig hinzu. Und im selben Moment streifte Rose eine böse Idee. Das Mädchen, mit einem Mal wieder aufrecht stehend, proklamierte plötzlich mit einem kaum verhohlenen Grinsen und lauter Stimme in den still gewordenen Keller hinein: „Sie werden sich nächste Woche wohl eine neue Strafarbeit für mich ausdenken müssen! Jetzt, wo Ilona wieder da ist, kann ich doch keine Trauerschreiben mehr über ihr frühes Ableben verfassen…“ Ihre Stimme verhallte. Geschockt starrte die Weasley auf den blonden Mann herab, der ihrem freudigen Blick mit einem Mal plötzlich so voller Hass, Verachtung und überraschenderweise Angst, nackter Todesangst begegnete, dass der Schülerin die Worte im Halse stecken blieben. Schließlich, nach einer Ewigkeit der Stille, die tonnenschwer auf beider Schultern zu lasten schien, sprach Draco mit leiser Stimme: „Bist du dir ganz sicher, Weasley?“ Sein Gesichtsausdruck war mit einem Mal wieder die blanke Maske, die der junge Herr auch sonst aufzusetzen pflegte. Scheinbar gelangweilt drehte er sich von der beinahe hyperventilierenden Rothaarigen weg und setzte schnarrend fort: „Meines Wissens gibt es in Hogwarts derzeit kein funktionierendes Klavier, zu dem Schüler Zugang haben… Und gilt Ilona nicht immer noch als vermisst? Eine freudige Nachricht über ihre Wiederkehr hätten wir selbst in diesen abgeschiedenen Räumen bestimmt vernommen…“ Doch von dieser kühlen Logik ließ sich Rose keineswegs beeindrucken. Sofort wieder in ihr temperamentvolles Selbst zurück fallend (nachdem sie sich erst einmal von diesem ungewöhnlichen Gesichtsausdruck ihres verhassten Zaubertränkemeisters nur Sekunden zuvor erholt hatte), rief die junge Frau enthusiastisch und mit glitzerndem Blick aus: „Aber das muss sie sein, ich kenne doch ihren Stil! Warten Sie, lassen Sie mich erst einmal lokalisieren, woher die Musik kommt- die Melodie wird uns sicher zu Ilona führen!“ Und zu Draco Malfoys großem Erstaunen und noch größerem Entsetzen schloss die rothaarige Schülerin bei diesen Worten beide Augen und legte lauschend den Kopf schief. In dem Blonden machte sich Fassungslosigkeit breit. Scheinbar glaubte die Kleine zu wissen, was sie da tat. Und das war grauenhaft. Schlicht und einfach grauenhaft. Innerhalb weniger Augenblicke hatte das Mädchen den Ursprung der Melodie erhascht. Mit noch immer geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen tastete sich die Gryffindor unter den Augen des erstarrten Professors überraschend flink bis zu dem riesigen Spiegel vor, der die ganze linke Wand des Kerkers bedeckte. Direkt davor machte die junge Frau abrupt Halt. Sie blinzelte verwirrt zwischen ihren nun nur mehr halb geschlossenen Augenlidern hindurch. „Ich verstehe nicht…“, murmelte sie enttäuscht und streckte dabei die linke Hand nach der scheinbar festen, spiegelnden Oberfläche vor ihr aus. „Wie kann Ilona…“ Ein stumm angewandter Stupor Fluch traf das Mädchen direkt zwischen den Schulterblättern. Sie hatte gerade noch Zeit, überrascht die Augen aufzureißen, bevor sie in die gnädige Dunkelheit der Ohnmacht gezogen wurde. Hart kam die junge Frau am Boden auf. Draco Malfoy wusste, dass die Weasley schon längst ohnmächtig war. Dennoch hielt er seinen zitternden Zauberstab weiterhin auf die gefallene Rothaarige gerichtet. Seine Gedanken rasten. Was sollte er nur tun? WAS ZUM TEUFEL SOLLTE ER JETZT NUR TUN? Kapitel 27: Vergessen --------------------- Als Rose erwachte, fühlte sie sich, gelinde gesagt, einfach nur schrecklich. Jede einzelne Faser ihres Leibes schmerzte derart höllisch, dass das Mädchen im ersten Moment wirklich sicher war, nun endgültig gestorben zu sein. Und logischerweise nun im Fegefeuer unendliche Qualen zu erleiden hatte. Aber eine kleine, dünne Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte der Weasley trotzig zu, dass so viele physische Schmerzen einen nur auf Erden erwarteten. Eine verdammt neunmalkluge, seltsame Stimme war das. Aber was sie da von sich gab, klang auch irgendwie logisch, wie die noch etwas verwirrte Rose innerlich knurrend zugeben musste. Und zum anderen war der Untergrund, auf dem die Rothaarige sich gerade befand, irgendwie viel zu real (und weich) für die Hölle, wie das Mädchen einen Moment später erstaunt feststellte. Trotz der inneren Qualen packte die junge Frau mit einem Mal die Neugier. Wo sie sich wohl gerade befand? Und was wohl die Ursache für diese schrecklichen Schmerzen, die sich plötzlich besonders in ihrem Kopf zu lokalisieren schienen, war? Ihr Gehirn begann, zwar noch etwas dösig, aber immerhin noch im gleichen Augenblick nach einer Antwort auf diese Fragen zu suchen. Aber die Nervenverbindungen der Weasley schienen plötzlich nicht mehr zu funktionieren- Rose erinnerte sich nicht. An nichts. Gar nichts. Ihr gesamtes Denken war mit einem Mal lahm gelegt. Da waren nur diese körperlichen Qualen und der Farbwirbel, der vor ihren Augen gerade einen wilden Tanz aufführte. Sonst fand sich nichts in ihrem Gehirn. Nur das bohrende Gefühl, gerade etwas sehr Wichtiges unwiederbringlich vergessen zu haben. …Wie hieß sie eigentlich? Leichte Panik kroch bei dieser doch eigentlich simpel wirkenden Frage in dem Mädchen auf. Sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wie sie hieß? Was zum Teufel war ihr denn nur widerfahren, dass die Weasley sich nun nicht einmal an mehr an ihren Namen erinnern konnte? Das durfte doch nicht wahr sein, verdammt! Aber vielleicht würde ja ihre unmittelbare Umgebung dem Hirn der jungen Frau einen Stups in die richtige Richtung, will heißen, in Richtung Wiedererlangung ihres Gedächtnisses, geben? Die Idee wäre ja zumindest einen Versuch wert. Als die Gryffindor sich nun mit größten Schwierigkeiten und dennoch hoffnungsvoll zurück ins Land der Lebenden zu hangeln begann, konnte sie einen gequälten Aufschrei kaum unterdrücken. Selbst ihre Fingerspitzen schienen zu brennen, verdammt! Ihr ganzer Körper musste einfach in Flammen stehen, anders konnte die Rothaarige sich die Pein, die sie hier gerade durchlebte, nicht erklären. In unsichtbaren, nicht nach Verbranntem riechenden, nicht knisternden Flammen. Nun. Dies schien etwas ungewöhnlich, aber nichtsdestotrotz nicht unmöglich. Aber was war überhaupt passiert, dass sie hier bei lebendigem Leib röstete? Das war eine gute Frage. Rose runzelte die Stirn. Das wiederum stellte sich als keine allzu gute Idee heraus. Vor Schmerzen brüllend riss die junge Frau ihre Augen auf. Was zum Teufel war nur passiert, dass ihre STIRN VOR QUALEN IN ASCHE ZU ZERFALLEN SCHIEN, WENN SIE SIE NUR ZU RUNZELN WAGTE? Ihr Sichtfeld verschwamm zunächst und ließ das Mädchen nur einen Klecks aus allen möglichen und unmöglichen Farben wahrnehmen, der sich um sie mit einem Mal aufgetan hatte. Unsicher blinzelte die Weasley. Erste Konturen begannen nun langsam, sich sinngebend von der Deckenwand abzuzeichnen und das bunte Gemisch wich auch wieder langsam aus ihrem Blickfeld... Moment mal. Deckenwand? Die Gryffindor kniff ihre Augen nachdenklich zu schmalen Schlitzen zusammen. Sie kannte das sterile Grau, in welchem die Mauern über ihr komplett eingefärbt waren. Rose konnte sich an sie erinnern! Angestrengt schloss die junge Frau ihre Pupillen wieder ganz und dachte nach. Diese Decke hatte das Mädchen doch schon mehrere Male gesehen, wenn es verletzt worden war… Ha! Verletzt! Dann musste das hier so etwas wie ein, verdammt, wie hieß das noch mal, sein? Rose, streng dich an! Erinnere dich! Wütend öffnete die Rothaarige beide Augen wieder einen Spaltbreit. Wenn man verletzt oder krank wurde, steckten sie einen ins… Genau! Krankenhaus! Sie musste in einem Krankenhaus sein! Gemächlich und so als hätten sie alle Zeit der Welt, schienen sich die Erinnerungen der Rothaarigen nach diesem Denkanstoß langsam wieder in ihre altbekannte Ordnung einzufinden. Stück für Stück kehrte alles wieder zu Rose zurück. Plötzlich schoss eine unangenehme Erinnerung durch ihr Gedächtnis und ließ sie eine schmerzerfüllte Miene ziehen. Sie hatte schon einmal hier gelegen, als sie bei einem Quidditchspiel mit einem Klatscher kollidiert war… Ihr Besen hatte schrecklich ausgesehen und die Weasley war in Tränen ausgebrochen, als sie ihn zum ersten Mal nach ihrem folgenschweren Unfall wieder im Krankenflügel zu Gesicht bekommen hatte… Mit einem Satz hatte das Mädchen sich aufgesetzt und einen triumphierenden Schrei aus der Tiefe ihrer Kehle losgelassen. Trotz der schlicht unmenschlichen Schmerzen, mit denen ihr geschändeter Körper der jungen Frau diese unbedachte Bewegung sofort vergällte, ließ sich ein kleiner, aufflackernder Triumph in Roses Brust auch weiterhin nicht leugnen. Mit zusammengebissenen Zähnen ertrug die Gryffindor das lodernde Wüten in ihrem Körper. Die Schmerzen schienen ihr plötzlich nicht mehr so viel auszumachen- denn mit einem Mal verlor sich die bettlägerige Rose in fast vergessenen, nun glücklich wiedergefundenen Erinnerungen, die die Qualen einen Moment lang überdeckten. Sie hieß Rose Weasley und war eine Hexe. Eine echte, lebendige Hexe, die Hogwarts, eine magische Schule für Hexerei und Zauberei, bereits seit mehr als sechs Jahren besuchte. Die ein richtiggehender Quidditch Freak war. Die einen jüngeren, sehr stillen Bruder namens Hugo hatte. Deren Eltern bereits seit Ewigkeiten getrennt lebten. Und die eine beste Freundin namens Gloria Robins hatte, die in diesem Moment bestimmt schon darauf brannte, sie im Krankenflügel besuchen zu dürfen! Aber Madame Pomfrey hatte bestimmt fuchsteufelswild darauf verwiesen, dass ihre Patientin noch nicht in der Lage war, Gäste an ihrem Bett zu empfangen und der besten Freundin der Gryffindor deswegen kurzerhand die Tür vor der Nase zugeknallt… Genau. Erleichtert seufzte Rose auf. Es war alles wie immer. Wie immer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)