R.A.B. von abgemeldet (one last riddle) ================================================================================ Kapitel 25: Aschenputtel. Der erste Ton --------------------------------------- „Mathilda, du suchst das untere Stockwerk ab. Ich übernehme das restliche Haus.“ Scharf schnitt die Stimme ihres Meisters in die Ohren der alten Hauselfe und unterbrach somit abrupt die plötzlich hereingebrochene, bedrohliche Stille, die sich auf den Korridor gelegt hatte. Bevor die Greisin jedoch auch nur ein klägliches Nicken der Zustimmung zustande bringen konnte, hatte Tom sich schon mit erhobenem Zauberstab abgewandt und war lautlos in die nächstgelegene Kammer gewischt. Ängstlich darauf bedacht, auch nur ja keine Sekunde mehr zu verlieren und auch nicht länger untätig herumzustehen, duckte Mathilda sich und apparierte ohne weitere Abkürzungen wieder direkt in die Küche im unteren Stockwerk. Die Überreste der silbernen Platte, welche die Elfe vor dem Verschwinden achtlos fallen gelassen hatte, waren mit einem Mal aus jedem Denken verschwunden. In dem Gehirn der Greisin war plötzlich nur mehr Platz für eine einzige Frage: Wo konnte die Herrin sich verstecken? Wo nur, wo? Ganz und gar nicht gefasst bat Mathilda einen Sekundenbruchteil später in der Küche angekommen erst einmal das gesamte Geschirr um Mithilfe, das sich natürlich sofort (im Sinne der Neugierde) von der Idee begeistern lassen konnte, im Haus eine Suche nach ihrer neuen Herrin zu veranstalten. Sobald jedes auch noch so unwichtige Dessertgäbelchen instruiert worden war, dass im gesamten Dienstbotentrakt nach einer jungen, hübschen Frau mit blonden Haaren zu fahnden sei und das gesamte Silber schlurfend, rollend oder wahlweise hüpfend aufgebrochen war, konnte auch Mathilda sich erstmals auf die Suche machen. Die Hauselfe würde jeden einzelnen, verdächtig wirkenden Zentimeter im Untergeschoß beschnüffeln und abtasten, wenn sie dadurch nur die Herrin wieder finden konnte, das versprach sich die Elfe fest selbst, bevor sie ebenfalls in der Dunkelheit verschwand. Mister Riddle inzwischen befand sich auf der Jagd. Wobei Jagd noch die Untertreibung des Jahrhunderts zu sein schien, in Gegenüberstellung zu der Effizienz und dem Aufwand, der von ihm betrieben wurde, um Ilona wiederzufinden. Noch immer versuchte Voldemort sich dabei krampfhaft zu versichern, dass er hier gerade einen gewaltigen Fehler machte, den er in kurzer Zeit sehr bereuen würde. Dieser innere Wahn, der in ihm ausgebrochen war und nun im Sekundentakt in einer immer größer werdenden Kaskade aus für ihn ungewohnten Emotionen gipfelte, sollten eigentlich mit noch mehr Geduld, Logik und Passivität von seiner Seite bekämpft werden, versuchte ihm sein Gehirn verzweifelt (und vollkommen erfolglos) schon seit Beginn der Suche einzuhämmern. Nicht mit dieser schrecklichen Hast, in der der junge Mann sich nun anschickte, das ganze Haus zu durchkämmen, sollte vorgegangen werden! Es war höchst unklug, sich so dermaßen beunruhigt über das Verschwinden eines Gefangenen zu zeigen, enthüllte es doch seelische Schwächen, die leicht gegen einen verwendet werden konnten! Jedoch, in diesem Moment argumentierte sein Hirn vergeblich gegen das neuerwachte, schmerzhaft pumpende Herz in seiner Brust an. Tom setzte mit großer Konzentration einen lautlosen, mächtigen Suchzauber nach dem anderen in die Luft, während er mit ausgreifenden Schritten gleichzeitig die Schwelle jedes Raumes übertrat, der vom inzwischen stockdunklen Korridor abzweigte. Der dunkle Lord benötigte dabei kein Licht, um sehen und suchen zu können. Er kannte diese Zimmer, die sich hier in einer scheinbar endlosen Reihe aneinander schmiegten, trotz der erst kurzen Zeit, in der er hier weilte, wie seine Westerntasche und würde sofort spüren, wenn sich irgendein magisches Wesen in seiner Abwesenheit hineingewagt hätte. Aber so mächtig und erfahren der junge Mann auch für sein Alter, für seine ganze Generation, für sein Jahrhundert auch war: Nichts änderte die Tatsache, dass Riddle Manor sich schlicht in verschwenderisch riesige Ausmaße kleidete, zudem es letztens auch noch magisch vergrößert worden war. Nicht einmal der mächtigste Zauberer aller Zeiten konnte bei dieser ungeheuren Dimension des Gebäudes seine Suche so schnell abschließen, wie Mr. Riddle es sich in diesem Moment gewünscht hätte. Miss Una konnte überall sein. Der Halbmensch musste ja nicht einmal mehr zwingend in ihm bekannten Gefilden, dem ersten Stock und dem darunterliegenden Trakt, auftauchen! Sie konnte aus Versehen über den Abgang ins Verlies gestolpert, oder irgendwie auf den Dachboden gelangt sein… Wobei es sicherlich schon Ewigkeiten dauern würde, nur das erste Geschoss und die Dienstkammern abzusuchen, ganz zu schweigen von den vielen, kleinen Winkeln, die sich hier zauberhafterweise aufzutun schienen, wenn man sie nur brauchte... So viele Unendlichkeiten an Zeit waren hier vonnöten! Unendlichkeiten, die Mister Riddle glaubte ganz bestimmt nicht zu besitzen. Innerlich verfluchte der Slytherin sich, über das Mädchen nicht schon längst einen Bannzauber oder ähnliches gelegt zu haben. Es war so verdammt gedankenlos von ihm gewesen, sie einfach so, ohne irgendeine Fessel, die sie zurückhielt, in diesem Haus herumstreunen zu lassen. Zahllose, alte Flüche waren hier bereits freigesetzt worden, in Objekte gesperrte Banne, die nicht einmal Voldemort ganz kontrollieren konnte und die er deshalb zu Übungszwecken in den linken Flügel gesperrt hatte… Unwillkürlich schauderte der junge Mann bei dem Gedanken an all die unangenehme Dinge, die sich hier noch in diesem alten Gemäuer verbargen. Wenn Miss Una aus Versehen diese ganzen Untiere losließ (ihrem naiven und vertrauensseligen Gemüt traute er es durchaus zu, eine Tür zu öffnen, nur wenn das Holz die naive Blonde höflich darum bat) und ihr dadurch irreparabler Schaden zugefügt wurde, dann Tom Riddle stoppte abrupt vor der düsteren Umkleidekammer, in die er gerade noch einen investigativen Blick hinein geworfen hatte. Sein rechter Fuß, der sich schon halb erhoben hatte, um den nächsten, ungeduldigen Schritt in Richtung des nächsten Zimmers zu tätigen, verharrte mitten in der Luft. Das war es. Aber das war es doch, was der Slytherin eigentlich begehrte! Der junge Mann müsste doch beten, dass die Hufflepuff blindlings in eine seiner Experimente tappte! Dann würde er sich nie mehr Sorgen um ihren Verbleib machen müssen! Aber eine kleine, störende Stimme widersprach der zufriedenen Genugtuung, die plötzlich Gefahr lief, sich in dem dunklen Lord breitzumachen, abrupt und aufs Heftigste. Warum hatte Voldemort sein Opfer überhaupt so lange am Leben gelassen, wenn er sie nun einfach an seine frei umlaufenden, lebendenden Alpträume verfütterte? Er benötigte Ilona doch! Er benötigte sie für seinen Plan! Nun, dieser vernünftigen Logik konnte nichts entgegengesetzt werden. Und außerdem. Da war noch dieser Schmerz, dieses schreckliche Unwohlsein, das plötzlich wieder zu pochen begonnen hatte, mitten in seinem versteinerten Herzen, wie jedes Mal, wenn die Sprache auf einen gewissen Fisch mit braunen Augen kam. Der junge Mann knirschte mit den Zähnen. Es stand 2:1. Er würde wohl oder übel das tun müssen, was sein Verstand und sein Herz ihm (diesmal erstmalig sogar im Einklang) rieten und den Blutdurst in sich selbst an einem anderen Gegenstand als dem Halbmenschen abreagieren lassen. Es war ungeahnt kompliziert geworden in seinem Kopf. Früher, noch in seiner alten Zeit, hatte der Slytherin immer nur ein Ziel gehabt, dem er mit aller Macht und ohne jeweilige Ablenkungen gefolgt war. Unsterblich zu werden, für immer in die Geschichte einzugehen als der mächtigste Zauberer seiner Zeit. Das waren noch Zeiten gewesen. Schlicht, aber effektiv hatten sich seine Ziele damals ausgemacht. Doch dann war Tom Riddle in eine andere Dimension, in eine andere Welt gezogen worden und hier schienen mit einem Mal ganz andere Regeln zu gelten. Macht? Erfolg? Streben nach Unsterblichkeit? Plötzlich ging Voldemort in seinem eigenen Haus lieber auf die Suche nach einem Halbblut, der eindeutig fischige Tendenzen in seiner Persönlichkeit hatte und ansonsten ab einem bestimmten Punkt doch nur mehr als WERTLOS einzustufen war, verdammt noch mal!, als geduldig und konzentriert seine Pläne zu perfektionieren. Es war wie in einem Alptraum. Einem schrecklich realen, kitschigen Alptraum. Heftig schüttelte Tom den Kopf. Mit aller Macht verschob er seine konfusen, nicht zielgerichteten Gedanken in den hintersten Winkel seines Bewusstseins und setzte die Suche nach seinem Opfer entschlossen fort. Der Slytherin benötigte sie für seine Machenschaften. Dieser Gedanke schien noch am ehesten in seine alten Denkmuster zu passen. Sobald das Mädchen ausgedient hatte, würde er… Der dunkle Lord konnte diesen Gedanken nicht vollenden. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn sein Plan gelang und er endgültig die Herrschaft über die Zaubererwelt erlangt hatte. Es wusste es nicht. Ihm war nur bewusst, dass er den Fisch mit den ertränkenden Augen nun sofort suchen musste. Sonst befand sich mit einem Mal alles wieder auf der Kippe. Doch obwohl Tom weiterhin den gesamten ersten Stock durchkämmte, war von Ilona selbst zu fortschreitender Stunde nicht die kleinste Spur zu entdecken. Auch Mathilda und ihre treuen Gehilfen wurden nicht fündig, obwohl man inzwischen selbst Erasmus von Rotterdam einbezogen hatte (der es noch nie so sehr bedauert hatte wie heute, an einen Platz gefesselt und nicht mit Füßen ausgestattet worden zu sein, um sich auch an der Schnitzeljagd zu beteiligen), wie dem rasenden Voldemort schließlich die unfreudige Kunde nach einer Ewigkeit unergiebigen Fahndens von einem zitternden Teelöffel gebracht wurde. Der Löffel war sowieso der älteste und unansehnlichste im Repertoire des Bestecks gewesen, und deswegen bereute es der dunkle Lord auch nicht, als er das arme Silberding sogleich nach Überbringen der Nachricht nur mit Hilfe eines Fingerschnippens in mikroskopisch kleine Teile zersplintern ließ. Schlechte Nachrichten hatten Tom Riddle noch nie in Hochstimmung versetzt, und insbesondere die Tatsache, dass sich SEIN Gefangener noch immer auf freiem Fuß befand, selbst nach längst begonnener Fahndung nach ihm, in SEINEM EIGENEN Haus, ließ ihn sekündlich immer wütender werden. Schließlich, kurz vor Mitternacht, verlor der junge Mann auch noch jeden kläglichen Rest von Beherrschung und ließ von nun an jeden Gegenstand, der ihm auf seiner Suche im Korridor oder in den abzweigenden Kammern im Weg zu sein schien, mit einem Schlenker seines Zauberstab in Flammen aufgehen. Irgendwo musste dieses kleine Biest doch zu erhaschen sein! …Oder? Ein neuer, furchterregender Gedanke kreuzte plötzlich Riddles Hirn, als er gerade einen der letzten Räume, die er noch nicht durchsucht hatte, mit wütend Funken sprühendem Zauberstab betrat. Der Slytherin erstarrte mitten in der Bewegung. Aber das war doch nicht möglich. Das konnte doch nicht sein! Die kleine, ungeschickte Hufflepuff würde doch wohl keinen Weg gefunden haben, aus dieser mit allen nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen bedachten, steinernen Festung zu fliehen? Aber andererseits, wenn er diese Möglichkeit ernsthaft zu erwägen begann (obwohl sich in seinem Inneren alles dagegen sträubte)… Verbarg der Halbmensch nicht magische Talente, von denen ein normaler Zauberer nur träumen konnte? Gab es hier für jemanden wie sie vielleicht nicht doch noch irgendwo eine Hintertür, die Voldemort übersehen hatte? Doch der dunkle Lord übersah nichts. Der dunkle Lord war allwissend! Warum aber, warum war Tom Riddle dann nicht imstande, eine schlichte Hufflepuff in seinen eigenen vier Wänden zu entdecken? Bevor der junge Mann sich jedoch weiterhin vor Wut beinahe berstend und auf der Schwelle zu einer weiteren, bestimmt hundertsten unbeleuchteten Kammer zu Stein erstarrt diese Frage stellen konnte, ertönte plötzlich ein Ton. Kein plumpes Geräusch, wie das Rascheln eines Umhangs oder nur halb unterdrücktes Flüstern. Nein. Ein Ton. Ein schlichter, heller Ton, nicht aufsehenerregend eigentlich, aber in der drückenden Stille, die ansonsten herrschte, eine erfrischende, unerwartete Abwechslung. Da! Der Ton war noch einmal erklungen. Diesmal stärker, deutlicher. Abrupt wirbelte Tom herum. Er hastete zurück in den finsteren Gang, dessen Länge er in dieser Nacht insgeheim schon unzählige Male verflucht hatte. Und lauschte. Lauschte diesem seltsamen, noch nie dagewesenen Geräusch, das ganz aus der Nähe zu kommen schien. Die Füße des jungen Mann setzten sich unwillkürlich in Bewegung, dabei immer auf die Richtung des Klanges, der noch lange in der Dunkelheit nachhallte, zuhaltend. Der Slytherin vernahm mit jedem Schritt, den er weiter in die Schwärze tat, einen weiteren Laut. Inzwischen folgten sie schon in kürzeren Abschnitten voneinander und wichen leicht voneinander in der Klanghöhe ab, ohne dabei irgendwie unangenehm zu sein. War das etwa Musik? Voldemort beschleunigte seine Schritte. Diese ungewohnte Melodie machte ihm Schwierigkeiten. Er war nicht musikalisch, nie gewesen. Der dunkle Lord hatte das Musizieren immer nur als lächerliche Zeitverschwendung abgetan, bei der man wertvolle Stunden vergeudete, die viel besser zum Studieren oder Experimentieren geeignet wären. Alles in allem hatte sich der junge Mann also nie die Mühe gemacht, sein Gehör zu schulen. Dementsprechend schwer fiel es ihm auch, der zarten, immer wieder einhaltenden Musik zu folgen. Doch nach einigen Fehlversuchen, in denen er in falsche Zimmer eingetreten war, hatte Mister Riddle es doch noch geschafft. Tom war am Ende des Gangs angelangt. Dort, hinter der letzten Tür, die vom Korridor abging, schien die seltsame Melodie, die nun langsam Gestalt annahm und sich anschickte, das ganze Haus zu verzaubern, am stärksten zu klingen. Plötzlich wusste Voldemort, dass er sein Opfer gefunden hatte. Leise öffnete er die trennende Tür um einen Spaltbreit. Den Zauberstab hatte er dabei achtsam erhoben, einen tödlichen Spruch schon halb auf den Lippen. Im Falle eines Falles. Aber der Anblick, der den dunklen Lord erwartete, ließ ihn jegliche Vorsichtsmaßnahmen allzu bald vergessen. Der junge Mann kannte diesen Raum natürlich. Dieser nun nur durch einige wenige, seltsam weiß gefärbte Kerzen beleuchtete Salon musste früher der sonnendurchflutete Rückzug der Familie Riddle gewesen sein. Selbst jetzt noch, nach jahrelanger Ignoranz seitens vieler Besitzer und dem nagenden Zahn der Zeit, wies dieser Raum noch eine gewisse Heimeligkeit auf, trotz des vielen Staubs und dem allgemeinen Status der Unordentlichkeit, der sich hier etabliert hatte. Ein einzelner, nur mehr zur Hälfte schwarz bezogener Sessel und ein riesiger, erloschener Kamin nahmen den Raum ein und lenkten zuerst die volle Aufmerksamkeit einer eintretenden Person zu sich. Mr. Riddle unterdrückte mit Mühe ein Frösteln. Es war kalt hier, wie in allen Räumlichkeiten, die von Tom nicht regelmäßig benutzt wurden. Wozu gutes Brennholz verschwenden, wenn der Großteil dieses Traktes sowieso nie besucht wurde? Jedoch nichtsdestotrotz musste es die Fischfrau Ilona hierher verschlagen haben. Das sagte ihm sein untrügliches Gespür. Der junge Mann schob die Tür noch ein kleines Bisschen weiter auf, um auch noch den Rest der Kammer in sein Blickfeld gleiten zu sehen. Und da sah er sie. Die junge Frau saß, von zwei schwebenden Kerzen in wabernden Schein getaucht, auf einem alten, filigran ziselierten Hocker und hatte die Augen starr ins Leere gerichtet. Vor ihr erhob sich ein Klavier. Kein allzu großes, wie es in den Konzertsälen heutzutage gang und gäbe war. Es war auch nicht allzu hübsch anzusehen, da es an vielen Stellen im braunen Lack mit Kratzern versehen war. Aber nichtsdestotrotz stand es hier, das Piano. Und Miss Una spielte darauf. Natürlich hatte Voldemort dieses Instrument bei seinen nächtlichen Rundgängen durch das Haus am Rande bemerkt, ihm aber nie allzu große Beachtung geschenkt. Der junge Mann hatte sich auch nie vorstellen können, welcher der hartherzigen Riddle genug Gefühl gehabt hätte, auf einem Klavier zu spielen. Aber ehrlich gesagt war es ihm auch egal gewesen. Musik war Zeitverschwendung. Sie unterbrach nur die heilige Stille und lenkte ab von wichtigeren Dingen. Jedenfalls hatte Tom das immer geglaubt. Aber nun, da Miss Una spielte, war plötzlich alles anders. Der junge Mann stand stocksteif an der Schwelle zu dem Salon und hörte zu. Er hörte der schwermütigen Melodie zu, die sich mit unerhörter Leichtigkeit in sein Gehirn fraß, um sich selbst in seinen Gedanken für immer in den Status der Ewigkeit zu erheben… Er kannte diese Noten. Der Slytherin musste sich jedoch sehr anstrengen, um die seltsam vertraut wirkende Weise in sein Gedächtnis richtig einordnen zu können. Er kannte das Lied doch, er musste sich nur daran erinnern… Erst nach einer Ewigkeit durchfuhr es Mr. Riddle schließlich wie ein Blitz. War die Ordnung der vernommenen Töne nicht dem Schlaflied so ähnlich, dass ihn schon zweimal in seinen Träumen verfolgt hatte? Dieses penetrante, sanfte, unmögliche Summen, das ihn so schwach gemacht und Sehnsucht in ihm geweckt hatte, Sehnsucht nach Wärme, nach NÄHE und allerlei anderen, seichten Unmöglichkeiten? Konzentriert schloss der junge Mann die Augen und versuchte, den intensiven Klang des Klaviers gänzlich in sich einzusaugen. Je länger er zuhörte, desto sicherer war er sich. Ja, das musste dieses verdammenswerte Schlaflied sein! Doch trotz der bitteren Erkenntnis ließ die Schlange ihre Augen unnatürlich ruhig geschlossen. Einen Moment zuvor war Tom noch wütend gewesen, rasend vor Zorn, weil er seine Gefangene nicht hatte finden können. Aber die volle Musik beruhigte ihn, schläferte ihn ein. Sie ließ ihn hinab gleiten in die Schatten und er brachte es nicht einmal zustande, sich zu wehren. Natürlich wollte der junge Mann nicht müde sein und schlafen gehen! Aber je länger diese Töne ihn umschmeichelten, desto schwerer schienen seine Glieder zu werden. Seine Augenlider schienen plötzlich mit Tonnengewichten befestigt zu sein, sodass er sie selbst trotz größter Anstrengung nicht mehr aufschnappen lassen konnte. Es war unmöglich, diesem süßen Klang Widerstand zu leisten… Das Lied brach abrupt ab. Genauso schnell, wie die Friedlichkeit gekommen war, die Voldemort mit einem Mal umgeben hatte, verschwand sie auch wieder. Wütend riss der dunkle Lord beide Augen auf. Sein Zauberstab, den er im Laufe der vorherigen Sekunden immer weiter nach unten gen Boden hatte sinken lassen, hatte sich mit einem Mal wieder aufgerichtet und deutete nun kleine Flammen speiend direkt auf das erstarrte Mädchen am Klavierhocker. Sie hatte ihn bemerkt. Die Hufflepuff hatte den dunklen Schatten gesehen, der sich plötzlich am Türrahmen aufgebaut hatte, und das Spiel ihrer Finger von einer Sekunde auf die andere hastig unterbrochen. Stumm musterten sich die beiden. In der allumfassenden Dunkelheit waren nur die paar bereits erwähnten Kerzen angezündet worden, die den weiten Raum nur notdürftig erhellten und somit nicht allzu viel erkennen ließen, abgesehen von der ungefähren Statur der jungen Zauberer im Zwielicht und den Schatten, den vielen Schatten, die hier überall zu sein schienen und die restliche Welt in Finsternis tauchten. Die flackernden Flammen warfen unruhige Schatten auf die Szenerie und verhalfen ihr somit zu einem noch unheimlicheren Anblick. Das Schweigen in diesem einzigartigen Moment war allumfassend. Doch es dauerte nicht allzu lange. Tom, der sich des eben erst vergangenen Moments, in dem er Schwäche gezeigt hatte, furchtbar schämte, hatte beide Kiefer fest zusammengepresst und den Blick stur zu Boden gerichtet. Sein Zauberstab zeigte nichtsdestotrotz zielsicher auf die schmale Silhouette der Blonden, die plötzlich merklich auf ihrem Sitz zusammengeschrumpft war. Sie war es, die schließlich als Erste den Versuch unternahm, die schreckliche Stille zu durchbrechen. „Es tut mir furchtbar Leid…“ Ihre Stimme verhallte schwach in den düsteren Schatten. Das Mädchen vermied dabei krampfhaft jeden Blick auch nur in die Nähe des zur Statue versteinerten Tom Riddle. Der junge Mann fühlte sich plötzlich fürchterlich. Nein, noch schlimmer. Schuldig. Und das machte ihn in seiner Verzweiflung nur noch wütender. „Nun, ich nehme an, das Sie sich in ihrer Dummheit einfach verlaufen haben“, zischte der dunkle Lord kalt. „Ich kann wohl deshalb nicht umhin, mich des Gedankens bemächtigen zu lassen, dass bei Ihnen Hopfen und Malz verloren ist. Aber keine Sorge, es kümmert mich nicht. Versichern Sie sich das nächste Mal einfach nur, wenn Sie beschließen, zu solcher Stunde einen Nachtspaziergang zu machen, zuvor eines adäquaten Begleiters, der sich hier zurechtfindet, bevor Sie sich auf den Weg machen. Verstanden?“ Das letzte Wort klang unnatürlich beißend zu der jungen Frau hinüber. Die Hufflepuff seufzte leise und murmelte eine sachte Zustimmung. „Gut.“ Der junge Mann nickte kurz. Dann senkte er den Zauberstab und drehte sich in einer einzigen, fließenden Bewegung um, in dem Bestreben, so schnell von dem Mädchen wegzukommen, so weit wie nur möglich. Vorbei war alle Besorgnis, wo die Kleine abgeblieben war! Nun wollte der Slytherin einfach nur zurück in seine sichere Kammer, weg von der zartgliedrigen Gestalt in seinem Rücken, die so traurig aussah. „Mister Riddle?“ Der junge Mann verharrte. „Darf ich über Nacht vielleicht hierbleiben?“, erklang die leise Stimme des Mädchens hinter ihm. „Ich verspreche Ihnen auch, keinen Lärm mehr zu machen!“, setzte der Halb Grindeloh sogleich hastig hinzu und stand flink von dem Klavierhocker auf, als ob sie den Unwillen des dunklen Lords, der bei dieser Bitte erneut aufgewallt war, körperlich spüren konnte. Tom schwieg eine Ewigkeit lang. Erst, als Ilona schon beinahe jede Hoffnung aufgegeben hatte, heute noch eine Antwort zu erhalten, ertönte die ungewöhnlich leise Stimme des mächtigsten Zauberers der magischen Welt: „Solange Sie nicht noch einmal verschwinden, dürfen Sie so viel Musik machen wie Sie wollen.“ Seine Stimme hatte ihn verraten. Das wurde Voldemort in dem Moment bewusst, in dem er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte. Schon wieder war ihm ein elementarer Fehler in der Gegenwart dieses wertlosen Mädchens unterlaufen! Es war zum Verrücktwerden! Selbst in seinen ungeschulten Ohren hatten diese eben ausgespienen Worte nicht vollkommen emotionslos geklungen. Die Kleine musste ihn ja inzwischen schon direkt für eine Witzfigur halten! Es war ihm direkt ein innerer Zwang geworden, peinliche Gefühle zu offenbaren, wenn sie da war. Natürlich, keine großen Gesten. Aber Kleinigkeiten, wie dieser verletzte Tonfall, den er eben angeschlagen hatte, die Nervosität, mit der er jedes Mal versuchte, ihrem forschenden Blick auszuweichen… Und dann der Kuss. Tom presste beide Lippen fest zusammen, um vor Wut und Enttäuschung nicht einfach loszuschreien. Er musste weg. Er musste so schnell wie möglich weg von ihr. Doch Ilona machte ihm wieder einmal einen Strich durch die Rechnung. Das Mädchen hatte den leicht anklagenden Tonfall, der mit den letzten Worten von Du weißt schon wer einhergegangen war, sehr wohl vernommen. Und war nun schlicht und einfach sprachlos vor Kummer und Entsetzen. Aber sie fand viel zu schnell ihre Sprache wieder und rief dem bereits halb in die Schatten entschwundenen, dunklen Lord atemlos nach: „Haben Sie sich etwa Sorgen gemacht?“ NEIN. Nein nein nein nein nein nein nein!, wollte Tom ihr daraufhin entgegen brüllen. Er brauchte sie nur für seinen Plan, verdammt! Nur für seinen Plan! Aber äußerlich blieb der Junge unberührt. Er neigte nur noch einmal kaum sichtbar seinen Kopf, bevor er stumm und endgültig mit den Schatten im Korridor verschmolz. Ilona blieb alleine und höchst verwirrt zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)