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R.A.B.

one last riddle
von

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In Gefangenschaft: Grindeloh

Es war ein einziger, schrecklicher Alptraum.

Aber nun vermutete Ilona, dass sie endlich aufgewacht war. Verblüfft riss das Mädchen beide Augen auf. Ihre rechte Wange rastete auf verdächtig knisterndem, trockenem Untergrund. Allzu bald erkannte die Schülerin, dass sie wohl aus Erschöpfung auf einem Buch eingeschlafen sein musste. Einem dicken, unbequemen Buch. Einem Buch, das ihr verdächtig bekannt vorkam…

„Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss Una?“

Erschrocken fuhr die Hufflepuff hoch. Ilona bemerkte dabei am Rande, dass sie sich wohl im Unterrichtsraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste befinden musste. Bevor sie sich jedoch ausgiebig über diese Tatsache wundern konnte, verlangte das Gegenüber der Schlaftrunkenen ziemlich schnell ihre ganze Aufmerksamkeit.

Professor Potter stand in seinem ganzen Ruhm und Gloria mit fragend hoch gezogenen Augenbrauen direkt vor ihrem Pult. Prompt wurde die junge Frau puterrot im Gesicht. Ein Moment der unbehaglichen Stille folgte, bis das Mädchen schließlich hastig ansetzte, beinahe unhörbar leise eine Entschuldigung zu stottern:

„Tut mir Leid, Sir. Ich muss wohl eingeschlafen sein…“

Zu ihrer grenzenlosen Überraschung schien der Lehrer ihr das aber nicht übel zu nehmen. Vielmehr entkam dem stattlichen Mann plötzlich ein belustigtes, wunderbares Lächeln. Er verschränkte jedoch gleichzeitig betont beleidigt die Arme und verlangte mit gespielt trauriger Stimme zu wissen:

„Ist mein Unterricht denn so langweilig für Sie, Miss Una?“

Erschrocken riss Ilona beide Augen auf. „Aber nein, Sir!“, beeilte sie sich ungewollt laut zu widersprechen. „Verteidigung gegen die dunklen Künste ist mein Lieblingsfach. Ich“

Die junge Frau verharrte. Schließlich setzte die Hufflepuff, nachdem sie sich erst einmal gesammelt hatte, mit betont ruhiger Stimme fort: „Ich hatte nur gerade einen beängstigenden Traum. Einen Alptraum, besser gesagt.“

„So, so.“

Harry hatte sich inzwischen auf die sich hinter ihm befindende Schulbank gleiten lassen und musterte seine Vorzugsschülerin nun aufmerksam aus runden Brillengläsern.

„Wovon handelte der Traum? Ich will doch hoffen, dass er wenigstens entfernt mit den dunklen Künsten zu tun hatte“, versuchte er zu scherzen. Doch seine hellen, smaragdenen Augen, die unverwandt auf die errötete Ilona gerichtet waren, verrieten seine wahre Intention, hinter der lustigen Maske, die er der jungen Frau zeigte: Nichts als tiefes Verständnis und ehrlich empfundene Besorgnis spiegelten sich darin wieder.

Die Hufflepuff konnte einfach nicht anders. Sie musste den gut aussehenden Lehrer einfach anstarren. Wie konnte ein Mensch nur zugleich so einfühlsam und so stark sein?

Und warum musste dieser Mensch ausgerechnet so viel älter als die Schülerin sein, schlimmer noch, auch noch den Posten einer ihrer Lehrer bekleiden?

Kurz gesagt, warum war er so unerreichbar?

Das Leben war manchmal wirklich ungerecht…

„Miss Una?“ Professor Potter blickte die Verträumte fragend an. „Bin ich mit meiner Frage zu weit in Ihre Privatsphäre eingedrungen? Das würde mir schrecklich Leid tun“, setzte der Lehrer unsicher fort und strich sich dabei voller Gewissensbisse einmal durch sein wild abstehendes, dunkles Haar.

„Wie können Sie das nur denken? Das stimmt doch gar nicht!“, wehrte die Hufflepuff sofort ab. Nach einer kurzen Pause setzte Ilona leise fort. „Ich habe von Lord Voldemort geträumt.“

Harrys Gesichtsausdruck gefror sofort zu einer undurchdringlichen Maske. „Könnte es eine Vision gewesen sein? Was hat er getan?“, wollte er mit plötzlich dunkler Stimme und ungewohnter Schärfe wissen.

„Wir haben gekämpft. Er hat mich irgendwo gefangen gehalten…“ Angestrengt dachte das Mädchen nach. „Ich habe versucht, meinen Zauberstab von ihm zurückzuerlangen, aber dann…“

Schaudernd schloss die junge Frau die Augen.
 

„Aber dann hat er plötzlich herausgefunden, dass zum Teil auch schmutziges Grindeloh Blut in Ihren Adern fließt?“

Abrupt öffnete die Hufflepuff wieder ihre Augenlider.

„Woher wissen Sie das?“

Fassungslos betrachtete sie bei dieser hastig hervorgestoßenen Frage aus großen Augen das Antlitz ihres heimlichen Schwarms, das sich nun mit einem kalten, hohen Lachen, welches so gar nicht zu dem bewundernswerten Professor passen wollte, plötzlich

zu verändern schien. Die verehrten Züge Harry Potters verjüngten sich wie in einem Zeitraffer, das helle Grün seiner Augen verfinsterte sich rapide und

bevor

sich

Ilona

versah, saß der abstoßend amüsierte, junge Lord Voldemort ihr gegenüber. Die Stimme des jungen Mannes war zu einem Zischeln herabgesunken. Triumphierend verkündete er:

„Lies doch nach!“ Dabei deutete er mit seinen langen, blassen Fingern auf das vor der Erstarrten liegende Buch. Langsam senkte die Hufflepuff ihren Blick nach unten.

Dort lag, unschuldig auf Seite 234 aufgeschlagen, eine lädierte Ausgabe von „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ von Newt Scarmander.

Ein rot angestrichener Absatz stach der mit einem Mal Zitternden sofort ins Auge.

Definition eines Grindelohs, stand mit fetten Buchstaben als Überschrift geschrieben.

Die junge Frau presste beide Augen ganz fest zu. Doch es nützte nichts. Denn plötzlich ertönte von scheinbar überall her die eisig frohlockende Stimme des Dunklen Lords, der die gefürchteten Sätze mit Genuss vorlas.
 

Der gemeine Grindeloh ist ein niedriger, buckliger Wasserdämon, der seine Beute zuerst in von ihm selbst beheimatete Tümpel lockt, um sie dann vorzugsweise mit seinen LANGEN, DÜNNEN FINGERN zu erwürgen. Wenn man diese nicht zu unterschätzende Kreatur des Meeres zu vernichten gedenkt, muss man den Griff dieser Finger brechen, die, wenngleich auch unverhältnismäßig stark, sehr zerbrechlich sind. Keinesfalls sind ein oder mehrere, gewöhnliche Flüche auf den Grindeloh anzuwenden: Dank einer unnachgiebigen, schuppigen Haut prallen diese mit geringer oder gar keiner Wirkung an dem Tier ab!

Das zweite, äußerst wirksame Gegenmittel gegen diese finsteren Gestalten ist außerdem das Feuer, welches der Grindeloh, gemäß seinem Naturell, mehr als alles anderes fürchtet.
 

Endlich endete Tom Riddle. Seine Augen funkelten bösartig zu der zusammengesunkenen Statur der Hufflepuff hin. Auf den ersten Blick schien das Mädchen auf ihrem Tisch kollabiert. Doch Lord Voldemort konnte man nicht täuschen.

„Ich weiß, dass Sie mich hören können, Miss Una“, fauchte er. „Und ihr lächerlicher Traum hat mir soeben bestätigt, was ich schon zuvor wusste: Sie verdienen die Bezeichnung Hexe nicht! Sie sind“ Der junge Mann rümpfte verächtlich die Nase.

„Sie sind nicht einmal ein ganzer Mensch.

Und glauben Sie wirklich“, setzte Voldemort sofort genüsslich fort, um seiner schrecklichen Beleidigung noch den letzten Schliff zu verpassen. „Dass der große Harry Potter etwa anders denkt? Ich kenne ihn! Ich kenne ihn viel besser als Sie! Und ich kann Ihnen sagen, dass Ihr Anblick ihn schlicht anekelt, mehr als alles andere auf der Welt…“

„Das ist nicht wahr!“ Tränen rannen Ilonas Wangen herab. Die schwarzen Augen des dunklen Lords bohrten sich sofort undurchdringlich in die wässrig gewordenen Pupillen der bebenden Blonden. Sie befahlen ihr mit einem stummen, harschen Befehl, zu schweigen. Trotzdem schaffte das Mädchen es, gequält und mit langsamer Stimme zwar, aber dennoch, weiterzusprechen. Die junge Frau war zitternd aufgestanden und musterte Tom Riddle nun mit all dem Hass, den eine friedliche Person wie sie nur aufbringen konnte.

„Professor Potter gibt jedem eine Chance!“, brachte die Hufflepuff leise, doch entschlossen vor. Ihr Gegenüber lachte nur.

„Natürlich. Schlammblüter, Halbblüter, sogar Reinblüter: Alle sind für den großen Helden gleich und werden gleich behandelt. Aber“

Riddles Augen funkelten mit einem Mal tückisch. Er leckte sich flink die Lippen und setzte danach, mit fälschlich neugieriger Stimme, zum finalen Gnadenstoß an: „Gilt das auch für Mischkreaturen wie Sie, Miss?“

Ilona senkte geschlagen den Kopf.

Schweigen senkte sich über die unwirkliche Szene. Diese Stille war so vollkommen, dass sogar Voldemort unwillentlich gespannt war, was nun kommen würde.
 

„Verschwinden Sie.“
 

Tom Riddle funkelte das Mädchen weiterhin feixend an. Mit einem Mal schoss der Kopf der Hufflepuff hoch. Ihre Pupillen hatten sich bedrohlich verengt und sie fixierten den dunklen Lord urplötzlich so voller Wut, Leid und Verzweiflung, dass sich in

dem jungen Mann

mit einem Mal

(vorerst unbemerkt)

etwas

regte. Schmerzhaft. Regte.
 

Die Iris der jungen Frau war nicht länger schwarz wie die Nacht. Sie glitzerte mit einem Mal vielmehr in unruhigem Türkis, das von kleinen, unsichtbaren Wellen immer wieder aufgemischt wurde.

„RAUS AUS MEINEM KOPF“, donnerte es plötzlich ohrenbetäubend laut im ganzen Klassenraum wieder. „VERSCHWINDEN SIE AUS MEINEM TRAUM!“

Ein unwiderstehlicher Sog packte mit einem Mal den unvorbereiteten dunklen Lord und wirbelte ihn wild herum. Der junge Mann entließ einen kurzen Schrei des Zorns, bevor er sofort mit einer murmelnden Gegenbeschwörung begann. Er hatte dieser Allmacht aber so schnell nichts entgegenzusetzen. Mit einem harten, psychischen Fußtritt wurde der manipulative Geist Tom Riddles, bevor er den passenden Gegenzauber rechtzeitig vollenden konnte, unsanft vor die Tür des heiligsten Zufluchtsortes der Ilona Una gesetzt.
 

Lord Voldemort fand sich allzu bald in seiner Kammer wieder. Wutschnaubend richtete der junge Mann sich aus seinem Schneidersitz auf. Während er nachlässig unsichtbaren Staub von seinem Umhang klopfte, betrachtete er das nicht weit entfernt von ihm liegende, zu einer schützenden Kugel zusammengerollte Mädchen mit vor Zorn rot glühenden Augen. Logischerweise war es in seiner Nähe drapiert worden, damit er beim Eindringen in ihren Traum so nicht auch noch allzu viel physische Distanz überbrücken hatte müssen. Und jetzt hatte dieses Es, dieses Mischwesen zu seinen Füßen, ihn allein durch geistige Kraftanstrengung kurzerhand wieder aus seinem Geist verbannt.

Diese Demütigung würde sich der mächtigste dunkle Magier der Welt nicht gefallen lassen.

Dennoch nahm Tom Riddle sich erst einmal die Zeit, dreimal langsam

ein

und auszuatmen. Nur die Ruhe.

Bedächtig ließ der junge Mann sich wieder zu Boden in den Schneidersitz gleiten und schloss konzentriert die Augen. In die Träume anderer Leute einzudringen kostete Kraft. Und seine wollte er nicht mit sinnlosem Ärger über ein niedriges Mischwesen verschwenden.

Das wäre doch schlicht lächerlich.

Wo es doch so viel mehr Spaß machte, die kleine Miss in ihren eigenen Träumen geistig zu zermürben…

Tom Riddle lächelte.
 

Ilona glaubte inzwischen, wieder endgültig wach zu sein.

Traurig sah das Mädchen sich um. Die Dunkelheit um sie herum erdrückte die Kleine regelrecht. Schon wieder war es Nacht geworden? Resigniert seufzte die Blonde. Die Zeit schien hier so unnatürlich schnell zu vergehen...

Das letzte, woran sie sich erinnern konnte, war der Schmerz, als Voldemort, dieses schreckliche, gefühllose Monster, ihre Hände in kochend heiße Flammen getaucht hatte. Dann versank alles in Finsternis. Wahrscheinlich war sie ohnmächtig geworden, dachte die junge Frau dumpf.

Und dann der Traum.

Ein Wunder, dass sie noch nicht verrückt geworden war. Instinktiv ballten sich die Fäuste der Hufflepuff zu Fäusten…

Erschrocken hielt Ilona die Luft an.

Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, musste sie diese kleine Bewegung doch eigentlich unsagbare Schmerzen bereiten- waren ihre Hände nicht vor einigen Stunden noch in gleißende Flammen getaucht worden?

Doch nichts geschah. Die junge Frau fühlte nichts.

Moment.

Bewegung?

Langsam hob sie ihre Fäuste in die Luft. Sie konnten problemlos bewegt werden. Probeweise ließ das Mädchen auch seinen Nacken kreisen. Auch dies wurde ohne Probleme bewerkstelligt. Die Schülerin unterdrückte einen spontan aus ihrer Kehle ausbrechen wollenden Freudenruf. Sie konnten sich wieder von der Stelle rühren!

Hastig hob die Schülerin sofort beide Hände vors Gesicht und untersuchte sie so ausgiebig, wie es in der um sie herrschenden Schwärze nur möglich war. Doch keine einzige Brandblase verunzierte ihr weißes Fleisch.

Das war schlicht gesagt zu schön um wahr zu sein.
 

Die Hufflepuff setzte sich, plötzlich misstrauisch geworden, langsam auf. Was bezweckte ein dunkler Lord damit, sie ungefesselt und geheilt in einer einsamen Kammer zurückzulassen? Wollte er, dass sie floh?

Das Mädchen schüttelte bei diesem hoffnungsvollen Gedanken sofort wild mit dem Kopf. Nein.

Wenn er sie nicht mehr brauchte, tötete er sie.

Oder

War ihm ein Todesfluch für jemanden wie sie plötzlich zu schade?

Unwillkürlich schauderte die junge Frau. Doch es klang erschreckend logisch, was eine plötzlich aufgetauchte, kleine und gemeine Stimme ihr nun nachdrücklich zuflüsterte:

„Der Dunkle Lord sieht dich nicht einmal mehr als Menschen an. Für ihn bist du Dreck. Weniger wert als ein Schlammblut. Eine Mischkreatur, die es nicht wert ist, mit seinem Zauberstab getötet zu…“
 

Mitten in solch finstere Gedanken versunken, hörte Ilona es wieder.

So wie letzte Nacht.

Ein wimmernder, kläglicher Schrei nach Erlösung. Mit einem Satz war die junge Frau auf den Beinen. Vorsichtig sah sie sich um. In der Dunkelheit konnte sie fast nichts erkennen…

So als hätte die verstaubte Öllampe über ihrem Kopf nur auf dieses Stichwort gewartet, ging sie mit einem Mal flackernd an. Verblüfft sah das Mädchen zuerst nach oben. Dann nahm es seine unmittelbare Umgebung flink in Augenschein.

Wenn sie nicht gewusst hätte, dass dies hier der Unterschlupf Voldemorts gewesen wäre, dann

hätte die Hufflepuff sich plötzlich wieder in die Bibliothek von Hogwarts hineinversetzt gefühlt.

Nun ja. In eine arg verkleinerte und schmutzigere Version davon.

Aber eines zumindest hatten die beiden ansonsten grundverschiedenen Räumlichkeiten gemeinsam: Überall lagen Bücher.

Einfach überall. Auf dem eichenen Boden, dem einzigen Stuhl, der neben einem sehr alt wirkenden (ebenfalls mit Büchern bedeckten) Tisch zentimeterdick mit Staub bedeckt sein Dasein fristete… Sogar auf dem Bett stapelte sich Literatur. Unwillkürlich streckte Ilona die Hand nach dem nächstbesten, schwarz bemäntelten Schmöker direkt von dem mannshohen Stapel vor ihr aus.

Ein erneutes, verzweifeltes Aufheulen ließ sie jedoch schnell wieder innehalten. Lesen konnte sie später. Jetzt musste geholfen werden. Wem oder was auch immer.

Flink sah die junge Hufflepuff sich um. Wo versteckte sich dieser unbekannte, laute, leidende Zimmergenosse bloß?

Im trüben Licht entging dem suchenden Blick des Mädchens keine auch noch so winzige Ecke des kleinen Zimmers. Schnell ging die junge Frau einmal um das zentral gelegene Bett herum. Dabei suchte sie sowohl Boden als auch Decke (man konnte ja nie wissen) nach verdächtig leidend wirkenden Körpern ab. Aber hier gab es nichts außer Büchern. Ausgenommen das Bett, den Tisch, den morschen Stuhl und…den riesigen Schrank gleich gegenüber der Schlafstätte, natürlich.

Die Hufflepuff schluckte. Dieses Ding sah nicht allzu vertrauenerweckend aus…

Aber es war immerhin groß genug, um eine lebende Person zu verbergen.

Also näherte sich Ilona langsam und mit gebotener Vorsicht dem mit Ornamenten verzierten Ungetüm. Kneifen galt jetzt nicht. Nicht so kurz vor dem Ziel.

Also holte die Schülerin noch einmal tief Luft, verbot sich jeden weiteren Gedanken an all die Monster, die angeblich in Schränken hausen, und

riss mit beiden Händen entschlossen die rechte und linke Schranktür auf. Sofort hüllte das Mädchen eine Wolke aus Staub ein. Hustend wich die junge Frau zurück.

Erst nach einer halben Ewigkeit legten sich die aufgewirbelten Schmutzpartikel wieder. Bedächtig warf die Hufflepuff einen Blick in das gähnend dunkle Innenleben des Schrankes.
 

Nichts.
 

Abgesehen von einer sehr veralteten Garnitur Zauberumhänge, die nun unwillig raschelten, so als billigten sie den plötzlichen Lichteinfall überhaupt nicht, konnte die Blonde nichts Lebendiges im düsteren Schrankinnenleben entdecken. Das Mädchen warf suchende Blicke überallhin. Aber es war immer das Gleiche. Schlichte Leere erwartete sie jedes Mal, wenn sie eine Schublade aufzog oder einen besonders dunklen Winkel genau examinierte.

Das Wimmern war zwischenzeitlich verstummt.

Nun ließ es aber plötzlich einen letzten, verzweifelten Klagelaut ertönen. Ilona wirbelte herum.

Das Geräusch schien

vom Bett

gekommen zu sein.

Schnell bewegte die junge Frau sich darauf zu. Dieses letzte stimmliche Aufbäumen hatte schrecklich schwach geklungen. Beinahe so, als wäre es gemeinsam mit dem letzten Atemzug getätigt worden. Ilona stand mit einem Mal der Schweiß auf der Stirn.

Hier im Raum starb gerade jemand!

Und das Mädchen fand diesen verflixten Jemand einfach nicht!

Hastig durchsuchte es die unordentlich zerwühlten Laken auf dem dunkelgrün gehaltenen Bett. Hier war doch auch nichts, was hätte leiden können!

Wo nur…?

Die junge Frau erstarrte. Tuckernd drang eine letzte Möglichkeit, sich zu verstecken, in ihr rotierendes Gehirn ein.

Unter.

Unter dem Bett.

Da hatte sie noch nicht nachgesehen.

Mit einem erschöpften Schnaufen ließ sich Ilona vom Bett auf den harten Boden plumpsen. Mit zu Schlitzen verengten Augen und auf dem Bauch liegend starrte die junge Frau auf die sich vor ihr, unter der Matratze ausbreitende Finsternis. Das schwache Licht der Öllampe über ihr reichte nicht aus, um das Dunkel hier unten zu erreichen.

Ganz langsam streckte das Mädchen seinen Arm aus. Vorsichtig tastete es in der Schwärze herum und versuchte gleichzeitig mit aller Kraft die mit einem Mal aufgetauchten, unwillkommenen Fantasiegebilde in ihrem Gehirn zu verdrängen, die ihr in lebendigsten Farben ausmalen wollten, was unter Lord Voldemorts nächtlicher Ruhestätte wohl hausen würde…

Ihre zitternden Finger berührten plötzlich etwas Weiches. Nur mit Mühe unterdrückte die Hufflepuff ein Keuchen. Langsam, ganz langsam drückte sie sanft gegen das mit einem Mal aufgetauchte Hindernis.

Es drückte zurück.

Und es versuchte nicht einmal zu beißen, wohlgemerkt.

Sofort ließ Ilona auch ihren zweiten Arm unter die Matratze gleiten. Mit der geballten Kraft ihrer ohnehin schon überstrapazierten Armmuskeln schaffte sie es schließlich, ein etwa ein Laib Brot großes, schmutziges Leinenbündel aus der Finsternis hervor zu zerren. Ohne lange nachzudenken hob das erschöpfte Mädchen den Stoff in die Höhe, um ihn im Licht der Lampe genauer zu betrachten. Überrascht atmete die junge Frau laut aus. Das Ding war verdammt schwer für.

ein..

Stück…

Laken….

Abrupt zog die Blonde das Bündel wieder zurück. Mit fliehenden Fingern riss sie die erste Lage Leinen von dem kläglichen Haufen in ihrem Armen.

Das konnte doch nicht…War da drin etwa ein Mensch eingewickelt?

Oder ein Menschlein zumindest, der Größe nach zu urteilen?

Da! Da schien mit einem Mal ein Stück gräulicher Haut hervor zu blitzen!

Schnell entfernte die Hufflepuff auch noch den letzten Rest des schützenden Mantels.

Und sie erhaschte plötzlich und völlig unerwartet zum ersten Mal den Blick auf

ein Ding?
 

Verwundert betrachtete Ilona es. Das Lebewesen schien entfernte Ähnlichkeit mit einem Baby zu haben. Aber es war viel hässlicher.

Statt der obligatorischen Nase verunzierte ein simpler Schnitt die Mitte des unruhig zuckenden Gesichtchens. Der Mund war nur ein einziger, dünner Strich. Und die eingesunken wirkenden Augen waren von papierenen Lidern verschlossen.

Das blasse Dinglein schien wohl zu schlafen.

Sofern es überhaupt noch atmete.

Das Mädchen zog den kleinen Körper besorgt noch näher zu sich. Atemlos horchte es auf kleine, stockende Atemzüge, die die Brust des Kleinen unstetig auf und abhoben. Die Lunge des Babyartigen schien bei jedem Luftholen bedrohlich zu rasseln. Aber immerhin lebte es noch.

Beruhigend wiegte die junge Frau das Kind, sofern es denn eines war, hin und her. Normalerweise tat dies Babys ungemein gut. Nur.

Dieses Ding war mit Sicherheit kein hilfsbedürftiges Neugeborenes.

Abrupt schossen die Augenlider des Kleinen auf. Und mit einem Mal blickte Ilona geschockt

in

die blutroten Augen Voldemorts.
 

Es sah genauso aus wie in den vielen Bildern, die Professor Potter ihnen im Unterricht gezeigt hatte. Die Augenform war schlangenartig zu Schlitzen ausgedehnt worden. Die kleine, starrende Pupille wurde umgeben von unnachgiebigem Rot. Und der Ausdruck des puren Bösen blitzte konstant daraus hervor.

Mit einem Mal hatte Ilona das starke Bedürfnis, das Monster in ihren Armen mit bloßen Händen zu erwürgen. Oder es einfach hart gegen die nächste Wand zu werfen, sodass…
 

Aber sie konnte es nicht. Sie konnte es einfach nicht.

Die roten Augen glommen schwach und schenkten ihr einen undeutlichen Blick. Der kleine, strichförmige Mund war mit einem Mal weit geöffnet. Und erneut drang dieses qualvolle Jammern an die Ohren der Hufflepuff.

Sie konnte es nicht. Sie konnte es einfach nicht.

Sie konnte dieses hilflose Geschöpf nicht töten. Selbst wenn es die dunkelste, schrecklichste Seele der Welt in sich trug. Sie konnte es nicht.

Sie war einfach nicht dazu in der Lage, es zu töten. Irgendetwas zu töten.

Niemals.
 

Nach einer Weile begann Ilona schließlich verzweifelt, ein einfaches Schlaflied anzustimmen. Und das Summen, das aus ihrer Kehle kam, tat sofort seine seelenheilende Wirkung. Sobald die ersten Töne des hauchenden Liedes erklangen, wurden gleichermaßen die junge Frau als auch das kleine Ding sofort ruhiger. Das Baby verharrte sogar mit einem Mal in seinem Klagen und

lauschte ganz

still

der Melodie. Die purpurnen Augen blinzelten nach einiger Zeit sogar schläfrig und fielen allzu bald

vollständig zu. Der winzige Mund schloss sich wieder und beinahe

sah das Beinahe- Baby friedlich aus, als es nun einschlief.

Und durch seine missgestaltete Nase leise atmete.

Für zwei wertvolle Sekunden lang.

Dann ertönte ein markerschütternder Schrei. Plötzlich wurde Ilona wild durchgeschüttelt. Ein kräftiger Schlag ins Gesicht ließ die junge Frau die entspannt zugefallenen Augen wieder abrupt aufreißen.
 

Tom Riddle in seiner altbekannten, 17- jährigen Form starrte sie hasserfüllt an. Das Baby in ihren Armen war mit einem Mal verschwunden. Und ihre Hände

fühlten sich plötzlich wieder

leer und verbrannt an.



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