R.A.B. von abgemeldet (one last riddle) ================================================================================ Kapitel 8: Verzweiflung ----------------------- Rose starrte auf ihre Hände herab. Seit gut zehn Minuten hielt sie einen Becher heißen Tees umklammert. Im Laufe der Zeit war das Getränk abgekühlt, gab aber immer noch genügend Hitze ab, um ihre ohnehin schon angekokelten Finger munter weiter zu verbrühen. Aber die junge Frau bemerkte die Schmerzen gar nicht. Dazu hätte es Gefühl gebraucht. Und alle Emotionen, die die Gryffindor normalerweise allzu gerne zeigte, waren mit einem Mal wie weggewischt. Sie waren fortgespült worden in das große, schwarze Loch, wo früher einmal das Herz der Weasley ihren Sitz gehabt hatte. Es war wieder genau wie vor sieben Jahren. Genau wie an dem Abend, an dem sie aus dem Haus ihrer Eltern geflohen, und ihr niemand gefolgt war. Aber diesmal war es schlimmer. Viel schlimmer. Denn diesmal glaubte die junge Frau für immer die einzige Person verloren zu haben, die wirklich immer und überall auf ihrer Seite gestanden hatte. Professor Potter hatte keine ihrer ängstlichen Fragen beantwortet. Er hatte seine beiden Schüler nur stumm, in Begleitung des noch immer bewegungslos in der Luft schwebenden Hagrids, das Schloss hochbegleitet. Harry war einfach nicht ansprechbar. Normalerweise hätte das Mädchen dies auch akzeptiert: Immerhin war soeben der beste Freund des Mannes, der überlebte, gestorben. Nein, viel schrecklicher noch. Das Herz des Halbriesen Hagrid schlug noch. Seine Lungen verrichteten brav weiter ihren Dienst. Aber die Dementoren hatten ihm seine Seele geraubt. Dieses geistlose Dahinvegetieren war schlimmer als der Tod. Erst am Schlossportal, als das Tor für sie von einem ängstlich zwinkernden Professor Flitwick aufgemacht worden war, schien der Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste seine Sprache wiedergefunden zu haben. „Rose, ich weiß nicht, wo Ilona steckt“, hatte er kurz geschnappt, während sein Zauberkunstkollege ohne viele Worte seinen Schwebezauber übernahm und Hagrid mit hastigen Schritten in den Krankenflügel leitete. Obwohl sie doch alle gewusst hatten, dass es sowieso nichts mehr nützen würde. Harry hatte daraufhin wie selbstvergessen die Narbe auf seiner Stirn gerieben. Der Blick seiner hellgrünen Augen war dennoch scharf auf die bei seinen Worten erstarrte Gryffindor gerichtet gewesen. „Ich werde jetzt zurück in den Wald gehen und sie suchen“, hatte Professor Potter schließlich etwas sanfter nachgesetzt. „Aber ihr beiden müsst nun zu Direktor Rothweil gehen und ihm alles erklären- eure Eltern haben sich große Sorgen gemacht. Und Rose“ Da hatte Harry einen Moment lang gezögert. „Es mag dir jetzt schwer fallen, aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen mehr…“ Spätestens ab diesem Zeitpunkt hatte die junge Frau einfach abgeschaltet. Eine Furcht, größer noch als die vor den Dementoren, hatte mit einem Mal ihre verästelten, dünnen Finger nach der Rothaarigen ausgestreckt. Wo konnte Ilona nur sein? Sie musste das Dunkle Mal doch längst gesehen haben! Sie musste doch längst in das Schloss zurückgekehrt sein... Vorausgesetzt. Vorausgesetzt, die Blonde… „Nun denn.“ Direktor Rothweils Stimme drang plötzlich unerwünschter weise in die schmerzende Erinnerung der Schülerin. Unwillig blickte das Mädchen für einen Augenblick auf. Der alte Mann hatte sich vor ihr und dem ebenfalls auf der einzigen Couch im Büro des Schuloberhaupts sitzenden Scorpius aufgebaut. Tadelnd blickte der Greis zu den beiden herab. Schließlich verlangte er mit strenger Stimme zu wissen: „Was hat euch zwei dazu getrieben?“ Sein bohrender Blick blieb dabei zuerst auf dem Slytherin und dann auf der Gryffindor drohend lange haften. Für einen kurzen Moment verharrte er. Und dann brüllte Erasmus los. „WELCHER Teufel hat euch denn geritten, zu Hagrids Hütte hinunter zu laufen, OBWOHL das Dunkle Mal vom Himmel herab gegrinst hat!“ Vor Entrüstung bebend endete der Direktor. Rose wandte sich wieder ihrer Teetasse zu. Sollte der Tattergreis doch denken, was er wollte. Sie hatte über Wichtigeres nachzusinnen… „Entschuldigung, Sir. Wenn ich unsere Tat kurz rechtfertigen dürfte?“ Die katzbuckelnde Stimme des neben ihr Fläzenden riss die Rothaarige wieder aus ihrem Delirium. Wenn die junge Frau nicht so geschockt wäre, hätte sie wohl laut gefragt, ob sie sich verhört hatte. Hatte der Slytherin neben ihr soeben die Worte „UNSERE Tat“ in den Mund genommen? Wäre Rose noch zu einer Gefühlsregung fähig gewesen, hätte sie wohl erstaunt Mund und Ohren aufgesperrt. Malfoy junior schob die ganze Schuld an dem unerlaubten Ausflug nicht nur ihr zu? Nein. Tat er nicht. Stattdessen begann Scorpius nun, in bester ritterlicher Manier, das Treiben von Rose Weasley und sich selbst glühend zu verteidigen. „Wir wollten doch nur nachsehen, wo Roses beste Freundin steckt, Professor Rothweil, Sir!“ Bei diesen gespielt verzweifelt herausgesprudelten Wörtern nutzte der Listige alle Register seiner weit entwickelten Schauspielkunst. Er warf dem immer noch etwas skeptisch dreinblickenden, vor sich stehenden Mann einen mitleidheischenden Blick zu, um die Dramatik noch etwas zu vertiefen, und setzte danach mit gebrochener Stimme fort: „Wir wussten, dass Elena sich, als dieses schreckliche Mal am Firmament auftauchte, gerade unter der Obhut von Professor Hagrid befand. Und da die beiden allzu gerne immer wieder Streifzüge im Verbotenen Wald getätigt haben“, bei diesen Worten schwoll Scorpius Stimme zu einem inszeniert hoffnungslosen Rufen an, „waren wir eben besorgt und mussten einmal unbedingt nach dem Rechten sehen. Auch wenn wir jetzt natürlich einsehen, dass wir falsch gehandelt haben… Nicht wahr, Rose?“ Der junge Mann warf einen beifallheischenden Blick auf das stille Mädchen, das ebenfalls auf der Couch saß. Zuerst passierte gar nichts. Die Gryffindor hatte im Laufe dieses Plädoyers gequält die Augen geschlossen. Nun aber, als sie offiziell um ihre Meinung gefragt wurde, schossen ihre Lider auf und ihre verengten Pupillen starrten das Individuum neben sich auf dem Sofa so voller Hass an, dass sogar Professor Rothweil unwillkürlich die Luft anhielt. „Sie heißt Ilona, du wertloses, doppelzüngiges…“ „Das reicht, Miss Weasley“, warnte der Direktor sie mit erhobenem Zeigefinger. Sofort verstummte Rose. Ihr mörderischer Blick reichte jedoch weiterhin aus, um Scorpius jegliche Anzeichen von Gesichtsfarbe schnell verlieren zu lassen. Sicherheitshalber rutschte der junge Mann so weit wie nur möglich von der neben ihm kauernden Furie weg. „Ich denke, dass sie beide aus edlem Gesinnen heraus gehandelt haben. Und das sollte in meinen Augen nicht auch noch bestraft werden.“ Die Köpfe der beiden Schüler ruckten fassungslos zu dem plötzlich sehr nachdenklich wirkenden Direktor. War es tatsächlich möglich? Würden sie tatsächlich ohne Strafarbeiten aus dieser Misere davonkommen? Es hörte sich zumindest nicht so an, als ob der Schulleiter sehr zornig auf sie wäre... Erasmus Rothweil aber war mit seiner Predigt noch lange nicht fertig. „Nichtsdestotrotz muss ich euch bitten, das nächste Mal, wenn ihr eine derart hirnlose Aktion plant, mich vorher wenigstens entsprechend mit einer guten Flasche Odgens altem Feuerwhiskey vorzubereiten. Dann könnte ich vielleicht noch einmal beide Augen zudrücken.“ Der greise Alte musterte die beiden abwechselnd mit belustigter Miene. Schon wollten Rose und Scorpius überraschend einmütig aufatmen. Doch plötzlich schmolz der gelassene Gesichtsausdruck des Direktors wieder dahin und überwältigende Trauer schien mit einem Mal über das hutzlige Männchen hinweg zu schwappen. „Niemand bedauert es mehr als ich, dass Ilona Una weiterhin verschwunden ist“, begann er plötzlich völlig überraschend mit zittriger Stimme zu flüstern. Seine hell leuchtenden Augen musterten bei diesen Worten die zu Eis erstarrte Weasley besonders aufmerksam. „Aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Chancen, die arme Kleine jetzt noch, unter den gegebenen Umständen, lebend wiederzufinden…“ „Schweigen Sie!“ Mit einem Mal war Rose auf den Beinen. Aus der erloschenen Glut ihrer Seele stachen mit einem Mal wieder gefährliche Stichflammen hervor. Sie funkelte den perplex verstummten Schulleiter wütend an. „Ilona. Ist. Nicht. Tot“, sprach die junge Frau, laut und deutlich jedes einzelne Wort betonend, ihren sehnlichsten Herzenswunsch aus. Hinter ihr ertönte ein kaum hörbares, missbilligendes Schniefen. „Malfoy.“ Schwungvoll drehte Rose sich um. Sie setzte an, doch verharrte. Und zum allgemeinen Entsetzen fing das Mädchen plötzlich an, rückhaltlos zu schluchzen. Mit einem letzten, kläglichen „Sie muss einfach noch am Leben sein!“ floh die junge Frau aus dem Büro des Direktors. Scorpius, aschfahl im Gesicht, murmelte eine hastige Entschuldigung und folgte mit ausgreifenden Schritten der stürmenden Rothaarigen. Erasmus blieb zurück. Seine älteste und weiseste Krähe zuckte auf dem voll beladenen Schreibtisch wissend mit dem Schnabel. „Ja, ich weiß“, murmelte der Greis mit trauriger Miene. „Ich hatte soeben ebenfalls ein Déjà-vu Erlebnis.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)