Grandia II: Der Pfad zur Seele von Ghaldak (Eine Tragödie in 5 Akten) ================================================================================ Kapitel 19: 5. Akt: Die Zeit danach ----------------------------------- Die Ereignisse hatten mich ausgelaugt, deshalb blieb ich noch eine Weile, um mit Millenia noch etwas Zeit zu verbringen. Sie sah es ähnlich und blieb an mich angeschmiegt im Gras liegen, während die Sterne funkelten. „Warum hast du es eigentlich getan?“, fragte ich sie dann, „Ich meine, Valmar zusammengefügt. Was hast du davon, wenn die Welt untergeht?“ Sie sah mich an, während sie überlegte. „Ich weiß nicht. Es war in meinem Blut. Mir kam nicht einmal die Idee, dass es falsch sein könnte, ehe es passierte.“ – „Und nun?“ Sie lachte. „Was glaubst du denn?“ Nein, ich hatte wirklich nicht das Gefühl, dass sie Skye und mich töten würde. Von allen Sorgen, die mich plagten, konnte ich wenigstens die vor dem Weltuntergang beiseite schieben. Eine andere kam mir in den Sinn. „Weißt du eigentlich, ob Elena etwas von uns weiß?“, fragte ich dann, „Von den Ereignissen des Fests?“ Das brachte sie zum Lachen. „Nein, sie denkt, sie habe zuviel getrunken und wäre vor der Quelle eingeschlafen, noch bevor du kamst.“ – „Und generell?“ – „Generell befürchtet sie es, aber ihr fehlt jedes Indiz.“ – „Gut.“ Wir schwiegen eine Weile, bis ich fortfuhr. „Wie geht es eigentlich Elena? Sorgt sie sich um Tio und mich?“ – „Wo denkst du hin? Sie irrt durch die Keller. Dort unten hausen Schlangenfrauen und nun sucht sie verzweifelt nach einem Ausgang.“ – „Aber sie lebt?“ – „Sie lebt. Ich passe schon auf sie auf. Sie ist recht gut darin geworden, Dinge zu überleben.“ Ich musste lachen. „Ja, das ist sie.“ Ich seufzte und Millenia lehnte sich ein wenig mehr an mich. Uns gingen die Worte aus, aber wir fanden es nicht schlimm. Für heute hatten wir genug geredet. So saßen wir eine Weile einfach nur beisammen und freuten uns, dass es nicht donnerte und bebte. Ich lachte. Ich wusste nicht warum, aber ich lachte. Vielleicht lag es daran, dass ich glücklich war. „Ob Selene wohl nach uns suchen lässt?“, scherzte ich. Millenia war ernster. „Ihre Wachen sind tot.“ – „Was?“ – „Gefallen. Mareg ist zurückgekehrt.“ Damit war alles vorbei. Das Lachen erstarb, als mir plötzlich bewusst wurde, dass in der Außenwelt die Zeit nicht stehen geblieben war. Millenia ging es ähnlich. „Bringst du Elena zu mir?“, fragte ich sie, „Und lass mich erwachen. Ich sehe dich wieder, wenn wir Zeit haben.“ Ich küsste sie zum Abschied, kurz, aber innig. „Nächstes Mal habe ich mehr mit dir vor“, lachte ich, als ich aufstand. Mit ihr verblasste Westschlesien. Die Welt, in die ich zurückkehrte, war seit meinem Verblassen nicht schöner geworden. Eine Unzahl von Verletzungen begann sofort wieder zu schmerzen, die Welt war dunkel und ich fühlte mich schmutzig. Zum Glück hatte sich eine bullige Gestalt über mich gebeugt und nach mir gesehen. „Mareg“, seufzte ich. Ich war froh, ihn zu sehen. Der Bestienmann blickte auf mich herab. Seine massive Gestalt blutete aus mehreren Wunden, doch auch seine riesige Lanze hinterließ mit jedem Schritt Tropfen auf den Boden. Er grunzte und strahlte, als er mich erkannte, während ich etwas länger für das blonde Bündel in weißem Gewand brauchte, das über seiner Schulter hing. „Elena“, rief ich, „Was ist mit ihr? Was ist passiert?“ – „Es ist ein gefährlicher Ort. Sie hatte Glück, dass ich sie fand.“ Ich nickte. „Ein Glück, dass du hier bist. Aber was machst du eigentlich hier? Wolltest du nicht bei deinem Dorf bleiben?“ Ein verächtliches Lachen war die Antwort. „Der Bote, den du zurückließest, kam zu mir, kurz nachdem ihr aufgebrochen wart. Er sagte, Selene habe ein Geschäft für mich und würde mich gut bezahlen. Ein neuer Dämon müsse vernichtet werden, einer wie Melfice einer war, doch diesmal in einem blonden Mädchen. Er sagte, es ginge um Elena.“ Ich nickte. Damit hatte ich zwar nicht gerechnet, aber es ergab auf schreckliche Weise einen Sinn. „Wie ging es dann weiter?“ – „Nun, er sagte, du würdest den gleichen Auftrag erhalten und bat mich, wieder Seite an Seite mit dir zu kämpfen.“ – „Das habe ich nicht.“, sagte ich schnell, „Ich weiß nicht mehr, wie es weiterging. Schließlich drohte er mir. Er habe meinen ganzen Stamm vergiftet und nur wenn ich gegen das Mädchen zöge, würden sie nicht sterben.“ Er ballte die Faust, als die Wut erneut in ihm hochstieg. „Was hast du getan?“ – „Was ich musste.“, sagte er. „Ich eilte zum Turm, so schnell ich konnte. Dort sah ich, dass es diese Selene wirklich gab und dass sie Männer hatte. Sie haben es bereut.“ – „Lebt sie noch?“ – „Ja, sie floh mit dem Rest ihres Trupps ins Land. Ich ließ sie ziehen.“ Ich dachte an das Elena-Bündel und nickte. Eine gute Wahl. „Was ist mit deinem Dorf?“, fragte ich ihn. „War die Drohung etwa…?“ Er fauchte und unterbrach mich, doch es folgte keine Antwort. Vermutlich wusste er es selbst nicht, doch seine Kriegerehre ließ ihm keine Wahl. Ich beneidete ihn nicht. „Ich danke dir.“, sprach ich laut aus und war froh, ihn um mich zu haben. Nur was tun? „Ich denke, wir sollten bald aufbrechen. Vielleicht können wir Selene ja noch einholen. Was immer sie auch plant, momentan ist sie die einzige Spur, die wir haben.“ Mareg schnaubte, widersprach aber nicht. So ging alles voran. Wir waren wieder auf der Jagd. Der erste Tag der Jagd war die Hölle. Bilder, Töne und Gedanken spukten und schossen ganz plötzlich durch meinen Kopf, so real, dass ich mich mehr als einmal umwandte, nur um nichts als Bäume und Gesträuch zu erspähen. Dann wieder hatte ich das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen gar nicht echt sei und ich tastete vorsichtig voran, während mich Elena und Mareg nur verwundert anstarrten. Es war gut, den Bestienmann als Begleiter dabeizuhaben, denn sonst wären wir nie auf einen Weg gekommen – und uns zu verirren wäre bei dem Chaos in meinem Kopf noch die angenehmste Aussicht. Schon lange vor der Dämmerung war ich völlig fertig und bekam mein Lager. Ich dachte, nach einem Mal ordentlichen Ausschlafens würde es mir besser gehen. Stattdessen träumte ich einen seltsamen Traum. Ich war an ganz anderem Ort, zu ganz anderer Zeit und ein ganz anderer Mensch. Damals lag ich auch in einer Decke. Ich war in der alten Heimat inmitten der Berge und zählte die Rillen meines Zelts, denn ich konnte nicht schlafen. Dessen dünner Stoff schirmte mich kaum wirklich vor der Kälte dort draußen. Ich hoffte, er würde auch die Monster draußen halten. Ein Mädchen lag bei mir. Ich hatte sie in Garland getroffen, ein Engel aus blondem Haar und weißem Gewand inmitten dunkler Gassen. Sie hatte vor meinem Haus gewartet auf der Suche nach Antworten. Sie hatte mich lange nicht erkannt. Nun lagen wir im Zelt, hoch oben auf den Bergen, und ich konnte nicht begreifen, wie es dazu kommen konnte. Es war nicht so, dass ich es nicht wollte, aber es machte so vieles schwieriger. Elena räkelte sich neben mir. Ihre Finger umspielten mein Horn, welches aus meiner Stirn ragte als Zeichen einer Sünde, ich spürte den Druck und hörte, wie sie mit ihren Fingernägeln daran schabte, um zu prüfen, ob es tatsächlich echt war. Sie war entspannt wie noch nie an diesem Abend. Ich konnte es nicht verstehen. „Dass ich es einfach übersehen konnte“, lachte sie und ich antwortete. „Das macht Magie.“ – „Beeindruckend.“ Sie beendete ihre Erforschung, ließ den Arm sinken und kuschelte sich an mich. „Dadurch verschwindet es aber nicht. Ich lernte recht schnell, mir nicht auf der Straße die Schuhe zu binden.“ Sie musste grinsen. „Weißt du“, begann sie nach einer Weile, „Wenn mich meine Eltern so sehen könnten, meine Freundinnen, mein Priester, sie würden ausflippen – aber nur, weil du ein Mann bist, und nicht, weil du Valmar bist. Kannst du das verstehen?“ Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. „Sie würden sagen, das gehört sich nicht für eine Gefolgsfrau Granas. Wie ich ihnen denn und mir selbst in die Augen sehen könnte? Ich müsste mich doch schämen.“ – „Und, schämst du dich denn?“ – „Nein, warum? Mir ist klar geworden, dass Granas an allem schuld ist. Ohne ihn wären die Teile Valmars nie verstreut worden und ohne ihn gäbe es keine Kirche mit ihren Siegel bewahrenden Ritualen. Ohne ihn wäre mir das alles nicht passiert. Ich musste lange irren und mich lange auslachen lassen, ehe ich erkannte, dass es sinnlos ist, zu ihm zu beten. Er ist nicht die Lösung. Er ist das Problem.“ – „Und doch hast du hier missioniert?“ – „Ich dachte, es würde mir helfen.“ Sie zuckte mit den Schultern und erkannte dann, wie kalt es doch war, wogegen sie in meinen Armen Schutz suchte. „Du bist eine interessante Frau, Elena“, flüsterte ich ihr zu. Ich wusste, das wollte sie hören. „Morgen ist es also soweit?“ Ich nickte. „Ich spüre schon die Angst der Flügel. Sie kauert in den hintersten Winkeln deines Geistes und hofft auf Rettung. Es muss in deinem Kopf sehr still sein, nicht wahr?“ Elena strahlte. Auch das hatte sie hören wollen. „Sie ist es. Erzählst du mir noch einmal, was du vorhast?“ – „Ich werde die Flügel Valmars aus deinem Körper lösen und sie zurück in ein Siegel verbannen. Dann wird alles sein, wie es vorher war.“ Es gefiel ihr, davon zu hören. „Und ist es gefährlich für mich?“ Der schwierigste Punkt. „Das kommt auf die Flügel an. Wenn sie sich an dich krallt, dann kann es ziemlich schmerzhaft für dich werden, aber wenn sie so tapfer ist wie in den letzten Stunden…“ Ich lachte, um sie zu beruhigen. Ihre Freude am Spott ließ sie auftauen. „Was hast du dann vor?“, fragte ich sie. „Zur Kirche zurückgehen natürlich. Wenn meine Reise erfolgreich war, werden sie mich wieder aufnehmen. Ich kann gar nicht erwarten, nach Karbowitz zurückzukehren und das alles hinter mir zu lassen.“ – „Du meinst, deine Reise?“ Sie nickte. „Wenn ich an Ryudo denke…“ Sie brach ab und überlegte. „Ich möchte dich nicht verletzen. Er ist ja dein Bruder.“ Ich musste lächeln. „Er ist nicht hier.“ – „Er ist verrückt. Und er ist bewaffnet.“ Sie seufzte. „Ich bin so froh, dass du erschienen bist. Ich verstehe einfach nicht, was ich mit ihm tun soll. Ich verstehe ihn einfach nicht.“ Ich streichelte ihr Haar, doch mir fehlten die Worte. Ich hätte es gerne entkräftet, aber ich konnte es nicht. Er war Valmar, genau wie ich. „Menschen sind leicht zu verstehen“, erzählte ich ihr, „sie wollen alle die gleichen Dinge. Ryudo ergeht es da nicht anders. Er ist verzweifelt, auf seine Weise.“ Ebenso wie du, dachte ich im Stillen. „Lass mich mit ihm reden. Ich weiß, dass er kommen wird. Ich bin hier, um seinen Frieden zu finden.“ Sie sah mich überrascht an. „Warum tust du das? Er will dich töten.“ – „Ich bin der Stärkere von uns beiden. Seinem Leid verdanke ich, dass ich so stark bin. Er kann es nicht tun, also muss ich es tun.“ – „Du wärst mein Retter“, lachte sie. „Gleich in doppelter Weise.“ Auch ich lachte. „Du revanchierst dich ja dafür.“ Die Flügel. „Ja, das stimmt. Auch wenn ich nicht weiß, was sie dir bringt.“ - „Macht“, sagte ich knapp und sie nickte. „Eines Tages wirst du die Welt in Finsternis hüllen. Ich habe davon gelesen.“ Ja, das war mein Ziel. „Nur könntest du bitte noch ein paar Jahre warten? Ich bin noch so jung.“ Ihr Blick forderte mich heraus. Ich sollte ihr widersprechen, damit sie mit überzeugen konnte. Dann küsste sie mich. Wie konnte ich einem solchen Engel widerstehen? Die nächsten Tage wurde es langsam besser. Wir erreichten ein die Küste und fanden ein Schiff, welches Selene zurückließ, um Überlebende und Versprengte aufzusammeln. Es kostete uns nur etwas Überredungskunst und Geld, dann waren wir mit dabei. Es ging fast schon alles zu schnell und alles zu einfach. Tage vergingen. Diesmal legten wir keinen Zwischenstopp auf Garland ein, würden bis Kyrnberg durchsegeln, was sicher auch in unserem Interesse war. Wir wollten Selene hinterher oder besser: Ich wollte es. Meine Gefährten ließen mich wieder einmal allein. Mareg blieb unter Deck und Elena spielte kranke Diva, die nicht aus ihrer Kajüte trat, also war niemand da, der mit mir Pläne schmieden und die Situation besprechen konnte. Ich vermisste Skye, doch auch wenn der Gedanke schmerzte, spürte ich auch, wie sehr ich mich in den letzten Monaten an seine Abwesenheit gewöhnt hatte. Er ließ mich ja schon seit Millenias Auftreten allein. Selene war zu schnell geflohen. Ihre Männer waren zu gut, um mal eben in Panik zu geraten, und wenn sie sich dennoch zurückzog, dann musste das bedeuten, dass sie auf Nummer sicher gehen wollte. Selene musste noch ein As im Ärmel haben und sie muss gerannt sein, um es zu holen, doch was es auch war: Ich war mir sicher, es würde mir nicht gefallen. Es musste verhindert werden. Vermutlich wäre Elena nicht begeistert, aber sie würde keine andere Idee haben. Ich saß draußen an Deck und versank im Anblick des durch die Dunkelheit rauschenden Meeres, als ich plötzlich ein Poltern und Schritte hörte. „Ryudo!“, zerriss eine tiefe Stimme die Ruhe der Nacht und ich war nicht allein. „Guten Abend, Mareg.“ Trotz des schlechten Lichtes konnte ich sehen, dass das Gesicht des Bestienmannes von Sorge erfüllt war. Er trat etwas dichter an mich heran, als mir lieb war, ehe er mir seine Befürchtung offenbarte: „Ich rieche Gefahr. Wir sind hier…“ „Was ist los?“, brach es aus mir heraus, als er plötzlich innehielt. Ich konnte förmlich sehen, wie ihm ein Gedanke kam, als er zu schnüffeln anfing. Dann griff er zu seiner Lanze und sah sich grimmig um. „Mareg, was ist los?“ Diesmal erreichte ich ihn. „Es ist Melfice“, knurrte er und es lag Feuer in seinen Augen, „Ich kann ihn spüren und jetzt rieche ich ihn. Er muss uns getäuscht haben. Er ist hier.“ – ‚Ja’, wollte ich sagen, ‚Ich bin doch…’, als mir aufging, wie gefährlich das war und mir eiskalt ein Schauer über den Rücken runter lief. Wenn Mareg wüsste, dass der Dämon wieder in mir lebte, dann würde er nicht mehr mein Freund sein. Er würde mich einfach töten. Er war so verdammt nah. „Greife zu deinen Waffen, Ryudo. Wir werden ihn finden und hier…“, schrie er mich an, ehe mich meine Angst verraten haben musste. Er hielt inne und schnüffelte erneut, wobei er mir widerlich nah kam. „Du bist es. Du bist nicht Ryudo.“ Ich schrie auf und stürzte panisch fort von ihm, während er blitzschnell bei der Lanze war. Ich stolperte, rutschte über das feuchte Deck, schlug mir den Kopf an Werweißwas auf und nur die Reling bewahrte mich davor, über Bord zu gehen. Keinen Moment später bemerkte ich trotz des Schmerzes, dass Mareg bereits bei mir war und auf mich herabblickte. „Rennt wie ein Hase“, lachte er und ließ seine Lanze über seinen Kopf schwingen. „Doch nun…“ Ich hatte mich schon damit abgefunden, dass alles gleich vorbei sein könnte, als die Bestie innehielt. In seinem Blick lag Verwirrung, fast schon Panik, als er wild in alle Richtungen schnüffelte und schließlich wie ferngelenkt seinen Arm hob. Mit einem Platschen fiel seine Lanze ins Wasser. „Du bist nicht Melfice.“, hörte ich ihn in Panik stammeln. „Ich bin nicht Melfice. Sie muss Melfice sein.“ Er wirbelte herum und rannte über Deck hin zu einem Ort, an dem ich die Schemen einer Frau in Rot zu erkennen glaubte. „Nein“, schrie ich ihm hinterher. „Mareg, nein.“ Ich sah ihn abermals innehalten. Er schnüffelte, dann wandte er sich zu mir um. „Da ist niemand“, stammelte er, „aber wenn Melfice hier ist und du nicht Melfice bist… dann bin ich es.“ Ich hatte Mareg noch nie so hilflos gesehen, als ihn die Erkenntnis überkam und er mit schnellen Schritten über Deck sprang. Ein lautes Platschen folgte und es wurde gespenstisch still. Mein Kopf schmerzte, als ich mich langsam aufrichtete. Ich fühlte Blut an meinem Gesicht herab laufen, doch es war sicher nur eine Platzwunde. Dann starrte ich ins Meer. Jedes Zeichen des Bestienmannes fehlte. „Mareg.“, schrie ich. „Mareg?“ Ich war zu schwach, um in Panik zu verfallen, als ich merkte, dass eine Frau an meine Seite trat. Ich erkannte sie an ihrem Geruch nach Wald und Heimat. „Millenia?“ „Es tut mir leid“, sagte sie mir leise. „Seine Muskeln sind gelähmt, sonst würde er um sein Leben schwimmen.“ – „Was?“ – „Ich wollte ihm einen Tod in Würde erlauben. Es tut mir wirklich leid.“ Ich wusste, dass sie recht hatte, und schrie in die Nacht hinein, ehe mir die Tränen kamen. Ich sank zusammen und schlug gegen das Schiff, während Millenia ihren Arm um mich legte. „Daran bin ich schuld.“, sagte sie mir leise, „Ich hatte nicht bedacht, was Melfices Rückkehr für ihn bedeuten könnte.“ Ich wandte mich zu ihr und schrie ihr ins Gesicht: „Du hast Mareg beherrscht?“ Sie zuckte nicht zurück. „Ja“, sagte sie einfach, „Schon seit einer sehr langen Zeit. Ich sicherte mir die Herrschaft über ihn, als du verletzt im Wald lagst.“ – „Seit Anfang an?“, schrie ich und sie nickte. „So ziemlich.“ Mein Zorn verrauchte, weil sie ihm keinen Halt bot, und es blieb ohnmächtige Trauer. „Warum?“, fragte ich sie. „Ich brauchte ihn.“ – „Aber warum hast du es mir nicht gesagt?“ – „Das habe ich doch.“ Obwohl ich in ihren Armen lag, ließ sie mich allein. „Seine Wut auf Melfice war echt und sehr mächtig“, erklärte sie sich lieber. „Sie war mir von Nutzen, solange er mein Feind war, also ließ ich sie bestehen. Ich habe Mareg nur sehr selten direkt beherrscht. An den Instinkten von Menschen zu spielen ist sicherer, dann muss man sie nicht im Auge behalten.“ Sie strich mir währenddessen durchs Haar, dass ich kalt erschauderte. „Kein Instinkt hätte ihn aber dazu gebracht, seine Waffe wegzuwerfen. Ich musste dich retten, Ryudo. Es ging nur auf diesem Weg.“ Ich fühlte mich in ihren Armen so müde. Ein heißes Bad wäre genau das Richtige, wusste ich, oder mein Bett. Dann überkam mich ein seltsamer Verdacht. Waren das meine Wünsche oder versuchte sie auf diese Art, mich zu beruhigen? Was es auch war, ich würde diesem Instinkt nachgeben. „Millenia“, fragte ich sie, als ich mich von ihr löste. „Ein Mensch ist heute Nacht gestorben. Verstehst du das?“ – „Ja“, sagte sie, aber ihre Augen verrieten nicht, ob ich ihr das glauben konnte. Die restlichen Tage an Bord glichen einem Alptraum. Ich war vorher schon einsam gewesen, doch nach Maregs Verlust fühlte sich das Boot noch einsamer an. Millenia zeigte sich nicht mehr, ob aus Zurückhaltung, Scham oder Machtlosigkeit weiß ich nicht, und Elena zog ihre verschlossene Kajüte meiner Gegenwart vor. So langsam musste sie sich doch ans Meer gewöhnt haben, dachte ich mir. Kyrnbergs Silhouette wirkte beim Anbrechen des neuen Tages so unverändert, als wären wir nie fort gewesen. Inmitten der größeren und geschäftigeren Schiffe verschwand unser Boot bald und als ich mit Elena an Land ging, die noch blass und grünlich im Gesicht wirkte, nahm uns niemand wirklich wahr. Wir verabschiedeten uns von der Mannschaft und gingen ein Stück mit dem Kapitän, der eine erfolgreiche Mission hinter sich hatte und sich nun nach einem neuen Ziel umsah. Dann sagte auch er uns Lebewohl und ich fand es nicht unpassend. Wir würden in nächster Zeit kein Schiff mehr betreten. An Land schöpfte Elena bei jedem Schritt neue Kraft. „Lass uns reden“, sagte sie schließlich ziemlich direkt und drängte mich auf eine Parkbank, ehe sie sich neben mich setzte. Von dort aus blickten wir herab auf den Kyrnberger Hafen. „Ich komme spät damit…“, stammelte sie schwach, „… und ich hatte eine ganze Schifffahrt Zeit, aber ich wollte nicht, dass du mich so siehst und eine Welle das Schiff trifft und ich dir plötzlich sonst wohin… ach, du verstehst…“ – „Nein?“ – „Jedenfalls möchte ich gerne wissen, was da im Turm passiert ist. Was war jetzt mit dem Schwert?“ – „Nichts.“ – „Wie nichts?“ Ich zuckte mit den Schultern und seufzte betont. „Es war eine Falle. Sie erwiesen sich als Valmars Klauen.“ Elena zeigte sich erschreckt, doch außer einem „Oh“ fehlten ihr die Worte, weswegen ich fortfuhr. „Das erkannten wir zu spät. Tiodora wurde verseucht. Ich musste sie töten.“ Den Stich im Herzen, als ich daran dachte, nahm ich langsam als Gewohnheit hin. Zu viele Freunde starben in letzter Zeit. Ich hatte seit Maregs Tod noch keine neuen Tränen gewonnen. „Aber hatte Selene…“, unterbrach sie meine finsteren Gedanken, „… nicht gesagt, das könne nicht passieren?“ – „Es ist passiert. Ich kann dir nicht sagen, wie es geschah. Vielleicht war Tio nach den Jahrhunderten einfach zu alt.“ Elena stieß einen enttäuschten Laut aus und sank auf die Bank zurück. Für sie war es eine weitere gestorbene Hoffnung, für mich ein zerstörtes Menschenleben. Ich erzählte ihr weiter: „Mit den Klauen hatten sich alle Teile zusammengefunden und leiteten das Ende der Welt ein…“ – „Ja!“, warf Elena dazwischen, die aufgesprungen war, „So etwas habe ich auch gespürt.“ Dann dachte sie den Schritt weiter. „Aber die Welt lebt noch?“ – „Ja, sie lebt noch.“ Wir sanken beide zurück und betrachteten den Hafen. Zu viele Erinnerungen warteten in uns, die noch zu frische Wunden geschlagen hatten. Ich dachte an Skye, der irgendwo in Valmars Tiefen die Feder im Getriebe mimte, um die Vereinigung zu verhindern. „Ryudo?“, fragte sie dann in den Wind. „Was tun wir jetzt?“ – „Wir jagen Selene.“ – „Warum?“ - „Sie hat irgendeinen Unsinn vor, da bin ich mir ganz sicher. Und wenn nicht, dann führt sie uns vielleicht zu etwas Nützlichem.“ Ich hatte gehofft, sie damit zu begeistern, doch sie sank enttäuscht in die Bank zurück. „Ich bin verbannt aus diesem Land, erinnerst du dich? Wer mir hilft, selbst mit einer Geste, der bringt sein unsterbliches Seelenheil vor Granas in Gefahr. Nun möchtest du mich da nicht nur wieder tief hineinführen, sondern dich auch mit der vielleicht mächtigsten Truppenkommandantin anlegen? Du hast wirklich einen Überschuss an dummen Ideen.“ Ich hätte gelogen, wenn ich nicht sagen würde, dass sie recht hatte. „Was hättest du denn vor?“ Sie lachte ohne jede Freude. „Lass sie doch hantieren. Dann kommt entweder der Weltuntergang oder wir können uns Helden nennen.“ Es schmerzte mich, sie so zu sehen. Ohne lange zu überlegen, sprach ich aus, was mir in den Sinn kam: „Melfice hat dich geliebt.“ Sie überlegte auch nicht lange und schlug einfach zu. „Ich weiß dass, weil…“, erklärte ich, „…wir wieder eins geworden sind. Seine Gedanken und Erinnerungen wurden zu einem Teil von mir.“ Elena wandte den Blick ab und schaffte es nicht ganz, nicht rot zu werden. Sie wusste nichts zu sagen. Mir wäre es wohl in ihrer Lage ähnlich ergangen. „Hör mal“, sagte ich ihr, „ich wünschte, ich könnte dir die Rettung versprechen, die er für dich wollte. Im Augenblick kann ich es nicht. Vielleicht kann es Selene, deshalb suchen wir sie. Aber ich kann dir versprechen, dass ich dich nicht mehr ans Ende der Welt führen werde. Jetzt führe ich dich nach Hause.“ – „Schön“, murmelte sie, „dann nach Hause.“ „Ja, nach Hause“, echote ich, als mir ein Gedanke kam. „Erinnerst du dich, was Tiodora uns erzählte? Sie war Wächterin eines Felsklosters bei St. Heim. Ich frage mich, was sie dort bewachte und was dort nun frei zugänglich liegt.“ Elena zuckte nur mit den Schultern. „Klingt nach einer Reihe mit Siegel und Schwertturm, was?“, lachte ich, worauf sie nur nickte. „Keine Angst. Wir finden einen Weg. Wir finden einen Weg.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)