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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 15 - Aftermath

Turn 15 – Aftermath

 

 

Seufzend legte Abby ihr Kinn auf den Handrücken, wobei sie ihren Kugelschreiber fest umklammert hielt. Ihr Blick hing an Mr. Stantler, der über die Nachwirkungen des Versailler Vertrags philosophierte. Doch wie so oft in letzter Zeit, konnte sie sich einfach nicht konzentrieren.

Nervös rutschte sie von einer Pobacke auf die andere. Zum ersten Mal bereute sie es, sich eine Bank in der ersten Reihe ausgesucht zu haben.

Sie drehte ihren Kopf nach links über die Schulter und beobachtete Nick auf seinem Fenstersitz dabei, wie er seelenruhig schlief. Ihn schien Marcs schrecklicher Tod nicht weiter berührt zu haben, zumindest ließ er es sich nicht anmerken. Man könnte zwar darüber streiten, was das über den lang gewachsenen jungen Mann aussagte, doch im Grunde beneidete Abby ihn für seine Unbekümmertheit.

Sie stöhnte leise auf.

 

Über eine Woche war vergangen, seit der Kampf zwischen Levrier und Isfanel ein blutiges Ende gefunden hatte. Nun war es Mitte Oktober, das Wetter kühl und grau und alle Welt kannte nur noch das eine Thema. Den Brand im Park. Und die damit automatisch verbundene Suche nach dem Brandstifter.

Abby musste im Gedanken auflachen. Man suchte nach einem Brandstifter, obwohl keiner der Bewohner das Feuer durch Isfanels Verhüllungszauber gesehen hatte. Anscheinend gaben sich die Behörden und Medien alle Mühe, sämtliche merkwürdigen Vorfälle rund um Livington als Unfälle und Straftaten darzustellen. Dabei hieß es längst schon hinter vorgehaltener Hand, dass es in der Stadt spukte. Die ersten Leute waren schon im Begriff, ihre Häuser und Grundstücke zum Verkauf anzubieten. Abby konnte es ihnen nicht verdenken. Auch ihre Stiefeltern waren besorgt, obschon sie bisher keine derartigen Pläne schmiedeten. Wie lange das jedoch noch so bleiben würde, wusste das Mädchen nicht. Sie konnte Anya doch nicht im Stich lassen!

 

Ihr Blick ging weiter über die Fensterreihe hin zur letzten Bank, wo Anya mit versteinerter Miene saß und mit ihrem Bleistift im gleichmäßigen Takt aufs Papier schlug. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, musste sie die Sache am schwersten getroffen haben. Der Bürgermeister, Mr. Redfield, hatte verlauten lassen, dass Marc Butcher ein Opfer des Brandes gewesen sei. Abby war sich sicher, dass Valerie dabei ihre Finger im Spiel hatte, um die wahren Geschehnisse zu vertuschen.

Jene war seit diesem Tag auch nicht mehr gesehen worden. Die offizielle Begründung war ein schwerer Schockzustand, gekoppelt mit einer Rauchvergiftung, da Valerie seither behauptete, mit Marc zum Zeitpunkt des Brandes im Park unterwegs gewesen zu sein. Aber wer wusste schon, wie es ihr jetzt wirklich ging?

 

Abby seufzte. Es war einfach nur schrecklich. Marcs Tod hatte dafür gesorgt, dass alles auseinander brach. Valerie hatte sich ganz offensichtlich von allen abgekapselt und Anya tat seither genau dasselbe, sprach kein Wort mehr mit jemandem, wenn es nicht unbedingt nötig war.

Dabei war es wirklich erstaunlich, wie schnell sie sich von ihren Wunden erholt hatte. In jener Nacht hatten Abby und Nick Levrier ins Haus der Familie Harper gebracht, wo er bis zum nächsten Morgen geschlafen hatte. Und als sie das Gästezimmer an besagtem Morgen betreten hatten, war Anyas Körper samt Haare vollkommen restauriert gewesen. So, als wäre nie etwas geschehen. Der einzige Unterschied zu vorher war, dass Levrier vorübergehend Anyas Körper kontrollierte, da jene sich bis auf Weiteres in ihre innere Zuflucht, das Elysion, zurückgezogen hatte. Ganze drei Tage hatte dieser Zustand angehalten.

Das erinnerte Abby an Matts Worte, als die beiden sich das erste Mal begegnet waren. Sofort keimte in ihr ein schlechtes Gewissen auf, hatte sie Anya schließlich nie davon erzählt.

 

Abby lag auf den Knien und starrte flehend zu Matt auf, welcher sein Gesicht hinter einer Maske aus weißem Porzellan verborgen hielt. Unter den Arm geklemmt trug er Abbys kleinen Stiefbruder Michael, dessen Glieder schlapp herab hingen, war das Kind schließlich bewusstlos. Die Drei befanden sich im großen Gemeinschaftsraum der Familie Masters, in dem es neben einem niedrigen Tisch nur Sitzkissen gab, die wild verteilt im Raum lagen.

„Ich würde mich nie gegen Anya stellen!“, begehrte Abby auf. „Es muss doch einen anderen Weg geben, die Menschenleben zu retten, die für 'Eden' geopfert werden müssen!“

Verdammt, es gibt keinen! Denkst du, ich würde mir sonst die Mühe machen und mich mit dir abgeben? Denkst du nicht, dass ich eher Anya angreifen würde, wenn ich die Wahl dazu hätte?“ Sein freier Arm zitterte, doch er hob ihn an und ballte eine Faust. „Manche Dinge sind unausweichlich! Und ohne dich schaffen wir es nicht!“

Abby schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich kann das alles nicht glauben! Dass Anya … dass sie durch den Pakt … unsterblich geworden ist …“

„Es ist aber so!“ Matt schwang seinen Arm aufgebracht aus. „Hast du etwa noch nicht bemerkt, dass ihre Wunden binnen weniger Stunden komplett verheilen!?“

„S-schon, die Platzwunde, die sie vor einiger Zeit aus Victim's Sanctuary davongetragen hatte, war am nächsten Tag verschwunden, aber-“

„Sei nicht so blind! Der Dämon hat einen Großteil seiner Kräfte auf Anya übertragen, um sie so vor möglichst vielen Gefahrenquellen zu schützen! Abgesehen von anderen Dämonen kann ihr niemand auf lange Sicht auch nur ein Haar krümmen!“ Er schnaubte. „Niemand außer dir.“

„Aber warum ich!?“

Der in einem schwarzen Mantel gekleidete, junge Mann schüttelte den Kopf. „Wenn sie freiwillig ihr Leben aufgeben würde, dann … kann selbst die mächtigste Dämonenmagie ihren Tod nicht verhindern.“ Er stampfte auf. „Und deswegen brauchen wir dich! Du musst sie dazu bringen! Wir sind ihre Feinde, aber du bist vielleicht imstande, ihr die Situation klar zu machen!“

Auf wackeligen Beinen stand das Mädchen auf und hielt sich die Hände auf die Brust. „Nein! Das kannst du nicht von mir verlangen!“

Du hast bis morgen Abend Zeit, es dir zu überlegen. Triff mich auf dem Schrottplatz, dann werden wir sehen, was aus dir und ihm hier wird.“ Er nickte zu dem Jungen, den er unter dem Arm geklemmt festhielt. Dabei griff er mit seiner anderen Hand in die Manteltasche und zückte eine weiße Karte hervor, auf der in goldener Farbe ein sechskantiger Stern abgebildet war. „Es tut mir leid, dass das sein muss …“

Ein grelles Licht ging von der Karte aus.

 

Anya war unsterblich, damit niemand 'Eden' aufhalten konnte, dachte Abby betrübt. Nun, da sie wusste, dass sie eine Sirene war – ein Wesen mit starken, magischen Kräften – könnte sie Matts Vorhaben sogar jederzeit direkt ausführen. Sie hatte die Macht, gegen Dämonen wie Levrier zu kämpfen. Es war pure Ironie.

Auch Matt wusste darum. Würde er also wiederkommen, um sie zu erpressen? Abby seufzte. Sie hatte mittlerweile so große Angst um ihre Familie, dass sie nachts kaum ein Auge zu tat und immer wieder durch das Haus schlich, um zu sehen, ob Matt oder der andere Dämonenjäger, Alastair, in der Nähe waren.

 

Es klingelte. Die Schüler standen auf und packten ihre Hefte und Bücher in den Rucksack. Abby beobachtete, wie Anya als Erste das Klassenzimmer verließ. Sie wusste genau, wohin das Mädchen gehen würde – aufs Dach. Das war zwar verboten, aber Anya wäre nicht Anya, wenn sie das jemals interessiert hätte. Es war ihre Zuflucht, wann immer etwas sie so sehr beschäftigte, dass selbst ihr sonst so hervorragend funktionierender Verdrängungsapparat das Problem nicht beseitigen konnte.

 

„So kann es nicht weitergehen“, meinte jemand hinter Abby.

Die drehte sich um und sah erstaunt auf, als der einen Kopf größere Nick mit besorgtem Blick zur Tür starrte, aus der Anya regelrecht geflüchtet war. Als sie sich in die Augen sahen, verzog Nick grinsend das Gesicht. „Ich will meinen Anya-Muffin zurück!“

„A-Anya-Muffin?“

„Hehe, jap. Willst du wissen, wieso ich ihr diesen Spitznamen gegeben habe?“

„… nein“, entgegnete Abby ihm trocken. Dann stöhnte sie. „Aber du hast schon recht. Wir sollten nicht länger zusehen, wie sie alles in sich hineinfrisst. Bestimmt gibt sie sich die Schuld für alles.“

„Garantiert.“

„Huh?“

„Garantiert willst du es wissen, mein ich“, gluckste Nick und Abby wunderte sich immer mehr, was denn mit dem Kerl los war, dass seine Tonlage dauernd schwankte. „Also-“

Sie hielt ihm die Hand vors Gesicht, etwas, was sie sich von Valerie abgeschaut hatte, als diese Anya damals auf dem Schulhof Einhalt geboten hatte. „Kein Bedarf, Nick! Komm lieber mit! Aber rede nur, wenn ich es dir ausdrücklich erlaube! Am besten sag nur 'ja', wenn ich das Wort an dich richte.“

Er blinzelte verdutzt. Dann grinste er. „Ja.“

„Prima! Dann los, wir werden Anya beistehen, ob sie es will, oder nicht!“

Denn Abby wusste bereits genau, wie die erste Reaktion ihrer Freundin aussehen würde …

 

~-~-~

 

Mit besorgter Mimik trat Abby, dicht gefolgt von Nick, aus der Tür des Treppenhäuschens auf dem Dach heraus und schritt über den Beton, dabei nach Anya suchend. Vom mehrere Stockwerke hohen Backsteingebäude hatte man einen guten Überblick über den Campus, der wie ein Kreis mit der Rasenfläche im Inneren gehaltenen wurde. Direkt vor sich sah sie die beiden Sporthallen und das dahinter liegende Footballfeld, als sie sich umdrehte, das etwas kleinere, weiße Gebäude der Unterstufe. Und Anya, die am Rande des Daches saß und die Füße in die Tiefe baumeln ließ. Dabei hatte sie ihr Kinn auf die Faust gelegt, während sie sich mit dem Ellbogen auf dem Oberschenkel abstützte. Sie schien Livington zu beobachten, das hohe, ovale Einkaufszentrum in der Stadtmitte, die anderen kleinen Geschäfte rings herum und die Wohnsiedlungen am Stadtrand.
 

Vorsichtig bewegten sich Abby und Nick auf das Mädchen zu.

„Verschwindet“, zischte jenes gereizt, ohne sich überhaupt umzudrehen.

„Wir sind hier-“

„Red' ich etwa Chinesisch, Masters?“ Anya drehte den Kopf in einer derart schnellen Bewegung, dass man beinahe glauben konnte, ihr Genick dabei knacken zu hören. „Verzieht euch! Ich hab keinen Bock auf euer Freundschaftsgeschwafel! Mir geht es gut, 'kay? Ich will nur etwas allein sein, das ist alles!“

Abby trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus. „Wir sehen das aber anders, stimmt's Nick?“

„Ja“, gab der mechanisch von sich und kicherte dann über seinen gehorsamen Tonfall. Abby funkelte ihn daraufhin böse an und wandte sich wieder an Anya. „Seit Tagen geht das nun so! Dir wird es bestimmt nicht besser gehen, wenn du nur alleine vor dich hin grübelst! Sprich mit uns über Marc, dann-“

Mit einem Ruck war Anya auf den Beinen und drehte sich um. Sie hatte ihre Fäuste geballt und strafte ihre Freundin mit einem Blick, den so mancher gar nicht überlebt hätte. „Hast du was an den Ohren, Masters? Ich-will-nicht-reden!“

„Nick, sag doch was!“, wandte sich das Mädchen verzweifelt an den hochgewachsenen Kerl, dessen dunkelblondes Haar wie gewohnt ungekämmt vor sich hin wucherte.

„Ja.“

„Was Konstruktives!“

„Ja!“

Abby seufzte schwer, denn Nicks Idiotie war einfach nicht mehr zu überbieten. Anya verschränkte ungeduldig die Arme und schien darauf zu warten, dass sie beide entweder explodierten oder zumindest das Weite suchten. „Ich zähle bis drei, dann seid ihr von hier verschwunden, oder ich helfe nach! Und ihr wisst genau, was hierfür die schnellste Lösung ist, also nehmt die Beine in die Hand, bevor ich es tue!“

Doch vehement schüttelte das Hippiemädchen den Kopf. „Nichts da, Anya! Ich werde nicht eher gehen, bis wir das geklärt haben!“

„Und was dann?“, fragte die Blondine schneidend. „Tanzen wir zusammen im Kreis?“

„Nein! Aber dann wird alles wenigstens ein Ende haben!“

 

Unerwartet zog Anya eine Augenbraue an, während sich ihre zornigen Gesichtszüge lösten.

„Was meinst du damit?“, fragte sie tonlos.

„Was ich gesagt habe! Und wenn du es so nicht willst, dann können wir genauso gut durch ein Duell die Sache endgültig klären! Auch wenn danach nichts mehr von deinem falschen Stolz übrig sein wird!“

Abby hatte sich so in Rage geredet, dass es ihr gleich war, wie dämlich die Idee mit dem Duell war. Aber wenn Anya sich dadurch abreagieren konnte, war das einen Versuch wert.

Plötzlich lachte Anya auf, es klang hohl und verbittert. „Ach so ist das also. Jetzt kapiere ich es! Deswegen bist du also hier rauf gekommen! Hätte ich mir ja denken können!“

Verwirrt erwiderte ihr Gegenüber: „Wie meinst du das?“

„War doch klar, dass du auch irgendwann so werden würdest! Hat die Gehirnwäsche dieses Dämonenjägers also endlich Erfolg gehabt, ja!?“, brauste das Mädchen auf. „Musste ja so kommen! Ich habe schließlich Marc gekillt, ich werde zu Eden, ich bin gefährlich! Bla bla bla!“

Erschrocken von ihrem Ausbruch, wich Abby zurück und schüttelte den Kopf. „Nein Anya, du verstehst da was falsch! Ich wollte wegen deinen Schuldgefühlen-“

„Schuldgefühle? Pah!“ Anya verzog ihr Gesicht zu einer boshaft grinsenden Grimasse. „Du irrst dich, Schwester! Ich habe keine Schuldgefühle wegen dem, was mit Marc geschehen ist! Er hat mich zuerst angegriffen und egal wer er auch sein mag, jemand der mich umnieten will, hat kein anderes Schicksal verdient!“

„Anya!“, empörte sich Abby fassungslos. „Hörst du überhaupt, was da aus deinem Mund kommt!?“

„Jedes Wort, Masters! Und dass du jetzt hier bist, um mich kalt zu machen, überrascht mich auch nicht wirklich! Ist ja jetzt der neue Volkssport, Anya umzubringen! Wer es als Erster schafft, bekommt einen Gutschein für Wendy's!“ Die Augen des Mädchens verengten sich zu Schlitzen, als sie in die Hocke ging und nach ihrem Rucksack griff, der am Rande des Daches lag.

Dabei blieb sie aber auf Abby fixiert, die alles sprachlos mit ansah. „Aber nicht mit mir, Masters. Meinetwegen könnt ihr euch schon mal anstellen, ich werde jeden von euch eigenhändig ins Jenseits befördern!“

Während sie das sagte, holte sie ihre Duel Disk hervor und legte sie an, ehe sie sich wieder erhob und mit ausgestrecktem Arm zu sich winkte. „Komm nur, Masters. Wenn du meinst, du bist mir gewachsen, dann versuch doch mal dein Glück. Kannst ja deine Sirenenpower benutzen!“

 

Allerdings war Abby wie erstarrt. Anscheinend hatte Anya sich im Verlauf der letzten Tage irgendetwas eingeredet, sodass sie nun dachte, die ganze Welt wäre ihr Feind. Natürlich musste es ihr so erscheinen, als habe sich alles gegen sie verschworen! Erst Levrier, dann Alastair, Matt, die Patienten von Victim's Sanctuary und nicht zuletzt sogar Marc, auch wenn er nur durch Isfanel manipuliert worden war.

Aber das hier war einfach nur ein Missverständnis!

Abby wollte schon etwas sagen, als sie Nicks Hand auf ihrer Schulter spürte. Als sie zu ihm aufsah, schüttelte er mit einer wissenden Mimik den Kopf. „Der Anya-Muffin wird nicht zuhören, solange sie im Angriffsmodus ist. Zeige ihr, dass du es ernst meinst und duelliere dich mit ihr.“ Plötzlich grinste er verstohlen. „Und frag sie am besten gleich noch, ob sie mir ein paar ihrer Sprüche aufschreibt!“

Das brünette Mädchen ließ den Kopf hängen. Nick hatte natürlich recht, denn in ihrer derzeitigen emotionalen Lage würde Anya nicht auf ihre Versuche der Schlichtung anspringen. Jedes weitere Wort würde vermutlich nur Öl ins Feuer schütten, Anya nur in ihrer Wut bestärken. Aber war ein Duell die Lösung? Es würde doch nur auf sie so wirken, als wolle Abby ihr wirklich weh tun.

 

„Was ist, Masters?“, fragte Anya höhnisch. „Hast du Schiss bekommen? Wenn du es 'ernst meinst', dann komm und hol' mich doch, ich bin hier praktisch auf dem Servierteller!“

Verzweifelt schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. „Nein! Du verstehst alles falsch! Ich will das nicht-!“

„Mir egal, was du willst! Kämpfe oder verschwinde! Ich brauche weder dich noch sonstwen, 'kay? Wenn du mir'n Messer in den Rücken stechen willst, dann nur zu! Aber dann musst du das Echo vertragen, du feiges Miststück!“

Abby zuckte zusammen. Die Beleidigung ihrer Freundin hatte sie schwer getroffen. Tränen standen ihr in den Augen, die man aufgrund ihrer getönten Brille zum Glück nicht sah.
 

Dass Anya sich nicht sofort helfen lassen würde, war ihr klar gewesen. Aber dass es so schlimm ist, hatte Abby nicht erwartet. Am liebsten würde sie wirklich gehen, bloß wäre sie dann nicht eine schlechte Freundin? Anya hatte auch alles getan, um sie vor einer großen Dummheit zu bewahren. Sie war es ihr einfach schuldig! Das Missverständnis musste aus dem Weg geräumt werden und vielleicht hatte Nick sogar recht. Wenn sie das Duell gewann, Anya aber nicht dabei verletzte, konnte sie sie vielleicht von ihrem Irrtum überzeugen.
 

„Okay, ich mach's“, meinte Abby zögerlich. Sie legte ihre breite Tasche aus zusammengenähter Pappe von diversen Verpackungen ab, welche sie die ganze Zeit bei sich getragen hatte. Daraus holte sie unter all den Büchern eine Action Figur heraus, einen jungen Mann mit spitzen Haaren, die in ganze drei Farben getaucht waren. Von seinem Arm nahm sie die kleine Battle City-Duel Disk ab, die binnen eines Lidschlags die Größe des Originals erreicht hatte.

„Abgefahren!“, staunte Nick dabei. „So was will ich auch, eine Schrumpf-Duel Disk!“

„Idiot!“, zischte Anya sauer, auch wenn sie einen Moment lang ebenfalls danach den Anschein erweckt hatte, als habe Abbys Zaubertrick sie beeindruckt. „Das ist doch nur ein Kunststück von ihr, sie ist schließlich 'ne beschissene Sirene! Fiktion zu Realität und so'n Bullshit! Aber das juckt mich nicht.“

Seufzend legte Abby sich den Apparat an und schob ihr Deck, welches sie ebenfalls aus der Tasche geholt hatte, in den dazugehörigen Schacht. Eigentlich hatte sie sich diese Vorführung aufheben wollen, um Anya aufzuheitern. Wäre sie gerade nicht so engstirnig, hätte sie das bestimmt cool gefunden. Doch so …

Im Endeffekt war es auch egal. Jetzt musste sie erstmal zusehen, wie sie diese Furie bändigen konnte, ohne dabei sich oder jene vom Dach zu stürzen.

 

„Ich bin bereit“, meinte Abby schließlich resignierend.

Wie eine Katze schlich Anya dabei um die beiden und stellte sich schließlich nahe an den Rand des Daches.

„Was soll das!?“, fragte ihre Freundin daraufhin verwirrt.

„Macht es nur interessanter und leichter für dich!“, meinte Anya tollkühn. „Kannst ja versuchen, mich mit deinen Superkräften runter zu werfen! Sofern du nicht als Erste mit dem Kopf im Boden steckst natürlich!“

Abby jedoch weigerte sich. „Bei so etwas mache ich nicht mit!“

„Feigling! Hast du etwa Schiss, dich könnten ein paar Hologramme umwerfen?“ Anya zuckte provozierend mit den Schultern. „Wie erbärmlich! Und du willst 'ne Attentäterin der 'Guten' sein? Das ich nicht lache …“

Nicht vor den Hologrammen hatte sie Angst, dachte Abby besorgt. Sondern vor dem, was Anya durch sie versuchen würde. Dass sie dabei gar nicht auf etwaige Attacken ihrer Monster angewiesen war, wusste Anya hoffentlich nicht. Die Hologramme dienten lediglich wie Auslöser für die Kräfte, die Levrier ihr vermacht hatte. Abby betete dafür, dass jener Anya bisher noch nicht in ihrem Umgang unterwiesen hatte. Andernfalls sah es schlecht für sie aus.

 

Widerwillig schritt Abby zum anderen Ende des Daches. Eine andere Wahl hatte sie nicht, außer, sie würde das Ganze abbrechen und wieder gehen. Aber welche Folgen das hätte, wollte sie sich gar nicht ausmalen. Das Mädchen wusste, dass sie extrem vorsichtig sein musste, um nicht zu Schaden zu kommen.

„Brav, Masters“, raunte Anya böswillig. „In dir steckt ja doch etwas Mumm, hätt' ich gar nicht gedacht. Den wirst du auch dringend benötigen, schließlich legst du dich mit mir an! Ich werde jeden von euch überleben, da kannst du Gift drauf nehmen!“

„Besser nicht“, meinte Nick von der Seite her glucksend, wobei er an dem Treppenhäuschen angelehnt stand, „dann wäre sie ja tot.“

„Blitzmerker“, zischte Anya verächtlich und streckte ihren Arm mit der Duel Disk aus. „Na dann, können wir endlich anfangen!?“

Abby nickte knapp, dann rief ihre Freundin laut: „Duell!“

 

[Anya: 4000LP / Abby: 4000LP]
 

„Ich mache den ersten Zug!“, polterte Anya und zog gleich sechs Karten, ehe Abby etwas einwenden konnte. Sie beäugte nachdenklich ihr Blatt, ehe sie sich zwei Karten daraus griff. Die erste legte sie verdeckt in horizontaler Lage auf ihre Monsterkartenzone, die andere schob sie darunter in den Schlitz für die Zauber- und Fallenkarten. „Diese beiden hier, mehr nicht!“

In vergrößerter Form tauchten ihre gesetzten Karten vor ihren Füßen auf.

 

Abby schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals herunter und zog nun ihrerseits. Sie sollte das lieber schnell beenden, war dabei ihr Gedanke. „Okay, ich beschwöre [Naturia Pumpkin]! Und da du ein Monster kontrollierst, darf ich durch seinen Effekt noch ein Naturia-Monster von meiner Hand beschwören! So zum Beispiel [Naturia Vein]!“

Zwei Monster erschienen auf ihrer Spielfeldseite. Eines von ihnen war ein grüner Kürbis auf Beinen, der ein zufriedenes Gesicht auf seinem runden Körper machte. Das andere hingegen war ein kleines, tanzendes Blatt, welches seine winzigen Arme in die Höhe streckte.

 

Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)]

Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]

 

„Wusst' ich's doch“, brummte Anya unberührt.

Abby streckte den Arm gen Himmel, wodurch das kleine Blatt und der Kürbis in die Höhe aufzusteigen begannen. „[Naturia Vein] ist ein Empfänger-Monster, deswegen stimme ich es jetzt auf [Naturia Pumpkin] ab! Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon! Roar proudly, [Naturia Beast]!“

Es gab einen grellen Lichtblitz, als sich das Blatt in einen grünen Ring verwandelte, durch das der Kürbis flog.

Mit einem gefährlichen Brüllen sprang ein weiß-grüner Tiger mit Beinen aus Holz hinter Abby hervor und ging stolz in die Hocke. Sein freundlicher Blick täuschte dabei durchaus über die Gefahr hinweg, die von ihm ausging.

 

Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]

 

Abby biss die Zähne zusammen. Sie musste das hier schnell beenden, damit Anya sich beruhigen konnte. Also streckte sie kämpferisch den Arm aus. „[Naturia Beast], zerstöre ihr verdecktes Monster!“

Der Tiger sprintete auf die gesetzte Karte zu, aus welcher ein Ritter in saphirblauer Rüstung erschien. Zwar schuf dieser eine Barriere aus gefrierendem Wasser, doch die Pranke seines Kontrahenten war stärker und zerschlug das Eis, riss den Krieger entzwei.

 

Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]

 

Anya wich dabei glatt einen Schritt zurück und hielt sich die Arme vors Gesicht, so als erwarte sie, gleich angefallen zu werden. Was jedoch nicht eintrat.

„So viel dazu“, murrte Anya, als sie die Gefahr vorüber glaubte. In ihren blauen Augen funkelte pure Feindseligkeit, die Abby regelrecht beängstigend fand.

„Ich beende meinen Zug“, kündigte diese schließlich an. „Anya, bitte-“

„Halt die Klappe!“

 

Schwungvoll zog die Blondine. Anhand ihres grimmigen Gesichtsausdruckes hätte man meinen können, dass sie eine richtige Rockerbraut war, trug sie schließlich eine schwarze Lederjacke über ihrem gleichfarbigen Totenkopf-Shirt.

Und in ihr brodelte es wie in einem Vulkan. Nie glaubte Anya, so viel Zorn verspürt zu haben. Warum meinte die ganze Welt plötzlich ihr Feind sein zu müssen? Das war alles nur Levriers Schuld! Hätte sie doch nur nie diesen Pakt geschlossen!

Sie fixierte sich auf Abby. Die hatte es auch nicht anders gewollt. Wer nicht hören will, muss eben fühlen und wer Anya kannte wusste, dass damit nur Schmerzen gemeint sein konnten. Und genau das wollte sie Abby zufügen, Schmerzen!

Der Blick der Blondine fiel auf ihr Blatt. Unter anderem befand sich dort [Gem-Knight Fusion], doch Anya wusste, dass [Naturia Beast] jede Zauberkarte spielend leicht außer Gefecht zu setzen vermochte. Allerdings hatte sie von Anfang an damit gerechnet, dass ihre Gegnerin ohne Umschweife sofort die großen Geschütze auffahren würde. Wie gut, dass sie das alles mit eingeplant hatte.

„Verdeckte Falle aktivieren!“, rief sie entschlossen und schwang mit ihrem Arm über die gemeinte Karte, wodurch diese aufsprang. „[Birthright]! Sie reanimiert eines meiner normalen Monster vom Friedhof in Angriffsposition! Kehre zurück, Sapphire!“

Aus dem Boden entstieg vor ihr der Ritter des Saphirs, welcher symbolisch auf seinem Brustpanzer eingelassen war.

 

Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]

 

„Von meiner Hand beschwöre ich nun [Gem-Knight Iolite]!“, rief Anya daraufhin und knallte das Monster auf ihre mittlerweile über 20 Jahre alte Battle City-Duel Disk, welche immer noch tadellos funktionierte.

Ein weiterer Ritter in hellblauer Rüstung tauchte vor Anya auf, doch anders als Sapphire, führte er eine Waffe mit sich. Es war eine abgerundete Klinge aus purem Wasser, ähnlich einem Säbel.

 

Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]

 

Anya streckte ihren Arm in die Höhe, dabei Abby nicht aus den Augen lassend, an deren nervösem Blick sie bereits ablesen konnte, dass jene wusste, was nun geschehen würde.

„Meine beiden Stufe 4-Monster werden zu einem Rang 4-Monster! Ich erschaffe das Overlay Network! Komm herbei, [Gem-Knight Pearl]!“

Ein schwarzer Wirbel öffnete sich mitten im Spielfeld und sog die braunen Lebensessenzen der Ritter in sich auf, bevor aus ihm ein neuer Krieger erschien. In schlichter, weißer Rüstung gekleidet, stieg dieser majestätisch mit verschränkten Armen in die Höhe, gefolgt von einer Schar riesiger, rosafarbener Perlen.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]

 

Mit dem Zeigefinger deutete Anya auf den Tiger ihrer Gegnerin, der auf allen Vieren bereits den Angriff erwartete. „Blessed Spheres of Purity!“

Pearl schoss seine Perlen auf den Tiger ab, der einer nach der anderen geschickt auswich, sich dabei in Abbys Richtung zurückzog. Doch er ahnte nicht, dass die Kugeln über das Dach der Schule hinausflogen und in der Luft stehen blieben, ehe sie wie ein Bumerang zurückkamen und Abbys gesamtes Spielfeld in Explosionen tauchten.

Diese schrie auf, während gleichzeitig das Mal an Anyas Arm bräunlich leuchtete.

 

[Anya: 4000LP / Abby: 4000LP → 3600LP]
 

„Lass dir das eine Lehre sein, dich mit mir anzulegen“, meinte Anya kaltherzig, während der Rauch sich verzog. Abby lag auf den Knien und sah ziemlich mitgenommen aus, ihr beigefarbenes Kleid an einigen Stellen verdreckt und zerfetzt. Vollkommen getroffen von Anyas realem Angriff, sagte sie kein Wort und starrte ihre Freundin nur fassungslos an.

Die zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern führte ihren Zug fort. „Da ich jetzt wieder Zauberkarten aktivieren kann, spiele ich [Gem-Knight Fusion]!“

Über ihr erschien ein Wirbel aus den verschiedensten Edelsteinen, welcher zwei Krieger in jeweils rostbrauner und grüner Rüstung in sich zog. „Ich verschmelze damit [Gem-Knight Garnet] und [Gem-Knight Emerald]! Garnet, du bist das Herz! Emerald, du die Rüstung! Erscheine, [Gem-Knight Ruby]!“

Aus dem Sog schoss ein Ritter mit blauem, wehendem Umhang, welcher sich vor Anya stellte und stolz seine Lanze schwang.

 

Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]

 

Anya steckte eine Fallenkarte in den dazugehörigen Schlitz unter Ruby. „Diese hier verdeckt! Damit beende ich meinen Zug!“
 

Gleichzeitig hielt Abby sich den linken Arm, welcher von Pearls Angriff leicht verletzt worden war und erhob sich. Noch immer war sie ein Bildnis der Fassungslosigkeit, doch schließlich schluckte sie ihren inneren wie äußeren Schmerz hinunter und zog. Sie redete sich ein, dass Anya all das nur tat, weil sie insgeheim Angst hatte. Angst davor zu sterben.

Abby wusste, dass sie ihre Freundin nur davon überzeugen konnte, dass von ihr keine Gefahr ausging, wenn sie alles erduldete, was Anya ihr entgegen brachte. Auch wenn sie sich also in ihrer Sirenenform vor den Angriffen ihrer Freundin besser schützen konnte, durfte sie sich nicht verwandeln, um keinen falschen Eindruck zu erwecken. Zwar bedeutete das, dass sie mit weiteren Verletzungen oder gar Schlimmerem rechnen musste, aber eine andere Wahl hatte sie nicht.

 

„Okay“, meinte sie zögerlich und versuchte dabei, die Taffe zu mimen und lächelte verloren. „Mein Zug!“

Als sie ihre gezogene Karte ansah, strahlte sie vor Freude, was Anya mit einer abweisenden Grimasse quittierte. Vermutlich dachte sie, dass Abby einen Weg gefunden hatte, sie zu besiegen, was vielleicht auch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war.

„Von meiner Hand der Zauber [Monster Reborn]! Damit reanimiere ich [Naturia Beast] vo-“

„Nichts wirst du! Konter!“, fauchte ihre Gegnerin bestimmend und schwang den Arm aus, woraufhin ihre Fallenkarte aufsprang. „[Paradox Fusion]! Indem ich ein Fusionsmonster, also Ruby, bis zur End Phase meines übernächsten Zuges verbanne, kann ich die Aktivierung einer beliebigen Karte verhindern! Also bleibt der Flohzirkus da, wo er ist!“

Das Hologramm von [Gem-Knight Ruby] flackerte unstet auf, zersetzte sich in viele kleine, hellblaue Kästchen, ehe es schließlich verschwand.

Doch Abby grinste nur in sich hinein. Hatte sie es doch gewusst! Warum sonst hatte Anya zuvor ein Fusionsmonster gerufen, obwohl ihre Battle Phase längst vorüber war? Zwar mochte es an sich kein schlechter Gedanke gewesen sein, den Gegner mit [Paradox Fusion] ausstechen zu wollen, doch leider – oder eher zum Glück – kannte Abby ihre Freundin zu gut und wusste genau, wie sie tickte. Damit stand der Weg nun frei für ihre wahre Offensive!

„Na gut, dann rufe ich nun von meiner Hand [Gale Dogra]!“

Eine grüne Motte erschien vor ihr und erzeugte mit ihren blauen Schwingen einen Wirbelwind aus glitzerndem Staub, der Abby umgab.

 

Gale Dogra [ATK/650 DEF/600 (2)]

 

Verdutzt blinzelte Anya, die dieses Monster noch nie zuvor gesehen hatte. „Kein Naturia? Was für'n Teil ist das denn?“

Ihre Gegnerin zwinkerte verspielt. „Ein sehr nützlicher Gefährte! Für 3000 Lebenspunkte kann ich sofort ein Monster aus meinem Extradeck auf den Friedhof legen!“

Anya brach in schallendes Gelächter aus. „Im Ernst!? Willst du etwa freiwillig verlieren? Hast du etwa Schiss bekommen, Masters?“

Doch Abby nahm den Hohn ihrer Freundin gelassen. „Nicht ganz.“ Sie zeigte [Naturia Barkion] vor, ehe sie diesen in den Friedhofsschacht ihrer Duel Disk schob.

Kurz darauf wurde der Staub um sie dichter, sodass einen Moment lang nichts von Abby zu sehen war.

 

[Anya: 4000LP / Abby: 3600LP → 600LP]

 

„Pah!“, raunte Anya und verschränkte in ihrer Überheblichkeit die Arme voreinander.

„Lach du nur“, erwiderte Abby und zückte zwei Zauberkarten aus ihrem Blatt, die sie in ihre Duel Disk einschob. „Bald lachen wir wieder zusammen! Ich aktiviere [Supremacy Berry] und eine weitere Zauberkarte! Doch zunächst zu [Supremacy Berry]! Sie schenkt mir 2000 Lebenspunkte, wenn meine im Vergleich zu deinen niedriger sind.“

Eine weiße Friedenstaube mit einem Ölzweig im Schnabel landete auf Abbys Schulter, welche das Tier liebevoll betrachtete, ehe es davonflog und damit einen Regen aus hellblauen Lichtkugeln über Abby niedergehen ließ.

 

[Anya: 4000LP / Abby: 600LP → 2600LP]

 

„Okay, was ist das für ein Bullshit?“, verlange Anya zu wissen. „Kannst du dich mal entscheiden, was du nun willst?“

Ihre Gegnerin lächelte wissend. „Ich weiß genau, was ich will! Dass es dir besser geht!“

„Hör auf, Masters! Du dummlallst mal wieder! Sei lieber ehrlich, denn ich glaube dir sowieso kein Wort! Die ganze Welt ist gegen mich und du bist letztlich auch nur eine von vielen!“

„Du irrst dich!“, widersprach Abby beherzt.

Aber sie wusste, dass es vergebene Liebesmüh war, Anya von ihrem Irrtum auf verbaler Ebene überzeugen zu wollen. Das konnte sie nur durch Taten, und zwar, indem sie Anya besiegte, ohne ihr ein Haar zu krümmen.

„Von wegen! Ihr seid im Grunde doch alle gleich! Kaum seht ihr etwas, das ihr nicht versteht, muss es sofort böse und schlecht sein! Erzählt mir doch nichts!“

 

In sich hinein seufzend, dachte Abby, dass sie wohl am besten wusste, was es bedeutete anders zu sein und gefürchtet zu werden. Wer außer Nick und Anya würde sie schon akzeptieren, wenn man erfuhr, dass sie eine Sirene war? Diese zwei mochten etliche Macken haben, aber sie waren im Grunde ihres Herzens gute Menschen. Und allein schon deswegen würde sie um Anya kämpfen!
 

„Du wirst es noch sehen“, meinte Abby entschlossen und deutete auf ihre zweite Zauberkarte, „aber bis das geschieht, musst du dich erstmal hiermit auseinander setzen! Diese Karte dient einzig allein dem Zweck, mein mächtigstes Monster zu beschwören! Sie nennt sich [Miracle Synchro Fusion]!“

Anya runzelte die Stirn und kratzte sich unwissend am Kopf. „Miracle-was-jetzt!?“

„Durch sie kann ich zwei Monster auf meinem Friedhof verschmelzen und anschließend verbannen, um ein Fusionsmonster von meinem Extradeck zu beschwören! Voraussetzung dafür ist allerdings, dass mindestens eines der hierbei benutzten Fusionsmaterialien ein Synchromonster ist! Was bei meinem Monster sogar in doppelter Hinsicht der Fall ist, da sowohl [Naturia Beast], als auch [Naturia Barkion] Synchromonster sind.“ Sie hielt die beiden weißen Karten zwischen ihren Finger und hielt sie in die Höhe. „Und jetzt werdet eins! Erscheine und entführe uns in eine Welt voller Schönheit und Wohlstand! Komm herbei, [Naturia Exterio]!“

Überall um die beiden jungen Frauen herum begannen Blumen aus dem Beton zu wachsen. Ein merkwürdiges, fauchendes Brüllen ertönte über dem Dach. Aus dem Nichts landete mit einem Satz eine mannshohe, vierbeinige Gestalt vor Abby. Es war der grün-weiße Tiger, doch anders als zuvor, wies er jetzt Merkmale des Drachen [Naturia Barkion] auf. So trug er dessen Schädel wie einen Helm, während aus seinen Läufen schuppige Holzrinde wuchs.

 

Naturia Exterio [ATK/2800 DEF/2400 (10)]

 

„Crap“, raunte Anya bei Exterios Anblick genervt. Nicht nur, dass sie Abby jenes Monster noch nie hatte benutzen sehen, nein, es war auch noch stärker als ihr Pearl.

Und genau das wusste ihre Gegnerin auch auszunutzen, als sie den Arm befehligend ausstreckte. „Los, attackiere [Gem-Knight Pearl]! Tut mir leid, Anya, aber das muss jetzt sein!“

Ihre Kreatur preschte auf den schwebenden Ritter zu, welcher seine Perlen vor sich als Schutzwall aufbaute. Doch dem gewaltigen Prankenhieb Exterios waren sich nicht gewachsen, welcher die Edelsteine zerschlug und ein Loch in Pearls Brust riss.

„Warum ist dieses Ding nur so verdammt nutzlos!?“, fauchte Anya wütend, als ihr Krieger in einer Explosion unterging. Instinktiv wich sie zurück, um nichts davon abzubekommen.

 

[Anya: 4000LP → 3800LP / Abby: 2600LP]

 

„[Gale Dogra], direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte!“, hörte sie da schon Abby rufen.

Aus dem Rauch zischte die kleine Motte hervor und rammte Anya. Diese stolperte jedoch nur vor Schreck rückwärts, anstatt von der Wucht der Attacke getroffen zu werden. Die Blondine hielt sich daraufhin verwundert die Brust und schüttelte uneinsichtig den Kopf. „Glückstreffer!“

 

[Anya: 3800LP → 3150LP / Abby: 2600LP]

 

„Ich beende meinen Zug“, meinte Abby besorgt. „Anya … ich will dir nicht weh tun. Warum verstehst du das nicht?“

„Erspare mir dieses Geblubber und halt den Rand, ich muss mich konzentrieren“, zischte ihre Freundin im Angesicht ihres leeren Feldes und rief: „Mein Zug, Draw!“

Dabei sah ihre Situation alles andere als rosig aus. Denn nicht nur hatte Abby die Kontrolle über das Duell, nein, es fehlte Anya auch an Handkarten. Diese eine nächste könnte schon alles entscheiden. Doch so leicht würde Anya es ihr nicht machen!
 

Es war wie ein Impuls, der durch das Mädchen ging, als sie zog. So erschien es ihr, als würde ihr Mal kurz ziepen. Allerdings war das vermutlich nur Einbildung und als Anya ihre gezogene Karte betrachtete, waren jegliche Gedanken betreffend jenes seltsamen Gefühls längst verflogen. „Für den Anfang nicht schlecht! Ich beschwöre [Gem-Armadillo]! Und durch seinen Effekt kann ich einen Gem-Knight vom Deck auf die Hand nehmen, wenn er als Normalbeschwörung gerufen wird! So wie [Gem-Knight Tourmaline]!“

Während das schwebende, beinlose Gürteltier vor ihr auftauchte, zeigte Anya das gesuchte, gelb-umrandete Monster hervor und grinste hinterhältig.

 

Gem-Armadillo [ATK/1700 DEF/500 (4)]

 

„Wegrennen ist keine Option!“, rief Anya lautstark. „Los [Gem-Armadillo], auf ins Gefecht! Mach uns den Schädlingsbekämpfer!“

Das geisterhafte, braune Gürteltier teleportierte sich direkt vor Abbys Motte und riss ihr mit seinen Klauenhänden die Flügel aus, woraufhin diese sich auflöste. Es folgte eine Explosion, die Abby nach hinten fallen ließ, dicht an den Rand des Gebäudes.

 

[Anya: 3150LP / Abby: 2600LP → 1550LP]

 

Ächzend erhob diese sich und war gleichwohl überrascht, nachdem Anya das Ende ihres Zuges angekündigt hatte. Was war dieses Gefühl gerade eben gewesen? Dieser Druck in ihrem Inneren? War das Anyas Werk gewesen?

Abby biss sich auf die Unterlippe. Selbst in ihrer derzeitigen Lage ging Anya in die Offensive, statt sich zu schützen. Dabei war ihr Kampf hoffnungslos, auch wenn sie davon noch nichts ahnte. Denn [Naturia Exterios] besondere Fähigkeit würde ihr jede Chance zum Sieg nehmen.

Dennoch … hatte Anya soeben eine weitere Fähigkeit Levriers, neben dem Erzeugen von Angriffswellen, eingesetzt? Oder war es doch nur ihre Einbildung gewesen?

Mit Unbehagen schüttelte das Hippiemädchen den Kopf. Im Grunde spielte es keine Rolle, denn es änderte nichts an ihrem gesetzten Ziel, Anya zur Vernunft zu bringen.
 

„Mein Zug“, verkündete sie kämpferisch. „Draw!“

Tief durchatmend, überlegte sie, was sie ihrer Freundin sagen könnte. Da Worte bisher jedoch erfolglos geblieben waren, erkannte Abby, dass Schweigen durchaus eine Alternative darstellte. Vielleicht würde Anya das viel eher zu schätzen wissen?

Also beschränkte sie sich auf das Duell und nahm eine Monsterkarte von ihrem Blatt. „Ich beschwöre die [Naturia Strawberry]!“

Kichernd sprang daraufhin eine überdimensionale Erdbeere auf Beinen vor Abby hin und her und hielt sich dabei ihren großen Kopf.

 

Naturia Strawberry [ATK/1600 DEF/1200 (4)]

 

„Tch!“, höhnte Anya. Sie runzelte die Stirn und behielt denselben feindseligen Blick bei, welcher Abby seither so zu schaffen machte. Und in ihm erkannte sie letztlich, dass weder sie noch Nick die Freunde waren, die Anya im Moment brauchte.

„Sorry“, murmelte Abby leise.

Nicht wissend, welche Art von Freund Anya überhaupt in ihrer Situation an sich heranlassen würde. Jemand, vor dem sie Respekt hatte? Aber gab es diese Person überhaupt? Abby schluckte. Marc wäre so ein Freund gewesen. Doch ausgerechnet der war nun tot. Es war wie ein Teufelskreis und auch wenn sie diesen hartnäckig durchbrechen wollte, bekam Abby durch ihre Erkenntnis langsam Zweifel an ihrem Tun.

„Nein“, murmelte sie leise. Sie hatte diesen Kampf begonnen, sie würde ihn auch zu Ende führen, selbst wenn das Ergebnis nicht optimal ausfallen würde. Irgendwie erinnerte sie dies an Matts Worte. Wie konnte man wissen, ob das, was man erreichen will, nicht letztlich das Gegenteil brachte …

Sie schüttelte den Kopf, um ihn von diesen Gedanken frei zu machen. Niemand konnte in die Zukunft sehen! Dann zeigte sie auf Anyas Monster. „Exterio, greife [Gem-Armadillo] an! Strawberry, du im Anschluss direkt!“

Wieder stürmte ihre riesige Bestie hervor und streckte das Gürteltier mit einem Prankenhieb nieder, während die Erdbeere Anya einen Kopfstoß in den Magen verpasste, allerdings durch jenen hindurch flog. Die Blondine ächzte dennoch und zuckte zusammen.

 

[Anya: 3150LP → 450LP / Abby: 1550LP]

 

„Hast du nicht mehr drauf!?“, mimte Anya die Unbekümmerte, auch wenn Abby genau sehen konnte, wie ihre Hände unaufhörlich zitterten.

„Zug beendet“, erwiderte das brünette Mädchen daraufhin mitfühlend.

All die Kämpfe hatten Anya schon jetzt gezeichnet. Wie würde sie erst werden, wenn sie wusste, was wirklich auf sie zukam? Wenn Matts Theorie stimmte und Anya selbst nach Edens Erwachen weiterexistieren würde? Dann würde sie …

Nein! Es gab keinen Beweis dafür, dass er überhaupt die Wahrheit sprach! Womöglich war alles, was er ihr erzählt hatte, erstunken und erlogen, nur um sie in seine Pläne einzuspinnen! Und dennoch …

 

Abby schreckte auf, als Anya mit einem Kampfschrei zog. Wieder war da dieser Druck in der Brust, dieses Mal etwas stärker. Was war das bloß? Ging das von Anya aus oder war sie krank, fragte das Mädchen sich irritiert.

Ihre Gegnerin jedoch grinste heimtückisch, obwohl sie urplötzlich ein wenig außer Atem schien und keuchte. „Sieht so aus, als wäre die Glücksfee heute auf meiner Seite! Ich verbanne [Gem-Knight Iolite] von meinem Friedhof und erhalte von dort [Gem-Knight Fusion] zurück! Die aktiviere ich und verschmelze-“

„Tut mir leid, Anya, aber das wirst du nicht!“, widersprach ihre Gegnerin. „Ich aktiviere den Effekt von Exterio!“

Dieser gab ein stolzes Gebrüll von sich, während durchsichtiges Moos aus Abbys Duel Disk wuchs. Jene schnappte sich die [Supremcy Berry]-Karte von ihrem Friedhof und steckte sie in eine Tasche ihres Kleides, bevor sie von ihrem Deck die oberste Karte, [Naturia Butterfly], nahm und in den Friedhofsschlitz schob. Kurz darauf zersprang Anyas Zauberkarte, die sich in der Zwischenzeit vor ihr aufgestellt hatte. „Huh!?“

„Exterio kann für den Preis einer Deckkarte und dem Verbannen einer Karte aus meinem Friedhof jede Zauber- oder Fallenkarte annullieren. Und das ohne Beschränkung!“, erklärte Abby.

Anya schüttelte ungläubig ihr Haupt und trat einen Schritt zurück. „W-was ist das für ein Mistvieh!? Das heißt, ich kann keine Zauber und Fallen mehr spielen, solange du genug Vorrat an Deckkarten hast!?“

Ihr Gegenüber nickte. Das war die wahre Stärke von [Naturia Exterio], denn dadurch, dass jedes Mal eine Deckkarte geopfert wurde, konnte gleichzeitig der Bedarf für den nächsten Einsatz des Effekts gedeckt werden. Eine verhängnisvolle Kette.

„Denkst du, das beeindruckt mich?“, donnerte Anya kämpferischer denn je. „Ich werde dich dennoch alle machen! Ich beschwöre [Gem-Knight Alexandrite] und nutze seinen Effekt ihn zu opfern, um ein normales Gem-Knight-Monster von meinem Deck zu rufen! Komm, [Gem-Knight Crystal]!“

 

Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]

 

Vor ihr erschien kurz darauf ein Ritter in silberner Rüstung, die mit vielen verschiedenfarbigen Edelsteinen geschmückt war. Doch er löste sich im Anschluss in Licht auf und machte einem weißen Ritter mit den Kristallschulterplatten Platz, der stolz seine Hände in die Hüften stemmte.

 

Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]

 

Plötzlich schwoll die Erdbeere von Abby etwa um ein Drittel seines Körperumfangs an.

 

Naturia Strawberry [ATK/1600 → 2000 DEF/1200 (4)]

 

„Was soll das denn!?“

„Strawberry erhält für das erste Monster, das du beschwörst, 100 Angriffspunkte pro Stufenstern. Das sind bei Alexandrite genau 400 Angriffspunkte“, erklärte Abby. Dabei sah sie zufällig zum Treppenhäuschen, an dem Nick mit verschränkten Armen angelehnt stand und zusah.

Es war merkwürdig, ihn so still zu erleben. Täuschte sie sich oder dachte er, Nick Harper, tatsächlich nach?

Als er ihren Blick bemerkte, grinste er breit. Nein, bestimmt war das nur ein Irrtum!

Anya zischte zeitgleich und reckte das Kinn vor. „Als ob das reicht! Crystal, macht das Gemüse dennoch kalt! Clear Punishment!“

Vor Entsetzen klappte Abby glatt die Kinnlade hinunter. „Aber Erdbeeren sind doch Obst!“

„Schnauze, Masters, das weiß ich selbst! Kümmere dich lieber um dich selbst, denn wie's aussieht, hast du ein fettes Problem an der Laberbacke!“

Crystal schlug mit seiner Faust auf den Boden und brachte den Beton damit zum Zersplittern. Ein feiner Riss tat sich inmitten des Spielfelds auf und zischte auf Abby zu. Aus ihm schossen Kristalldornen auf das Mädchen zu, welche jenen nur entkam, da sie schnell genug einen Hechtsprung zur Seite machte. Und während Abby mit dem Saum ihres Kleid an einem Dorn hängen blieb, wobei jenes im Gegenzug durch ihren Fall einriss, wurde ihr Monster von den Spitzen aufgespießt.

 

[Anya: 450LP / Abby: 1550LP → 1100LP]

 

„Owww“, jammerte Abby, die hart gelandet war und torkelte zurück zu ihrer alten Position.

Das war knapp. Um ein Haar wäre sie zu einem Sieb mutiert! Anya war wirklich entschlossen, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Eine Kunst, die sie nun endgültig perfektioniert hatte, wie Abby sich mit mulmigem Gefühl eingestehen musste.

„Pfff, ich beende.“ Anya streckte den Arm rechts von sich aus. „Damit kehrt nun Ruby endlich zurück aufs Spielfeld.“

„Ruby?“, erschrak ihre Gegnerin, als neben Anya der Ritter im blauen Umhang und mit der Lanze in den Händen erschien. „Den hatte ich ja ganz vergessen!“

 

Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]

 

Als Abby anschließend zog, musste sie feststellen, nichts Brauchbares auf der Hand zu haben. Es stand jedoch fest, dass sie den Rubinritter besiegen musste, bevor Anya ihren nächsten Zug begann. Denn jener konnte seine Angriffskraft erhöhen, indem er durch seinen Monstereffekt einfach einen anderen Gem-Knight opferte. Dagegen konnte selbst [Naturia Exterio] nichts unternehmen, also war offensichtlich, was sie zu tun hatte.

Abby zeigte kämpferisch auf den Krieger. „Exterio, zerstöre [Gem-Knight Ruby]!“

„Du-!“, zischte Anya, der das gar nicht zusagte. Doch sie konnte nur mit griesgrämiger Mimik mit ansehen, wie die riesige Tigerbestie auch diesen Feind mit seinen Pranken niederstreckte.

 

[Anya: 450LP → 150LP / Abby: 1100LP]

 

Als Exterio ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand, nahm Anya einen Schritt zurück und neigte sich ein wenig vor, bereit, sofort in jede Richtung ausweichen zu können. Aber Abbys Monster drehte ihr desinteressiert den Rücken zu und kehrte zu seiner Besitzerin zurück, um sich vor ihr hinzulegen.

„Mehr kann ich nicht tun“, kündigte Abby an. Sowohl im Duell, als auch im Kampf um Anyas Aufmerksamkeit. Über die blinde Rage und Zerstörungswut schien Anya sogar das Versprechen vergessen zu haben, das sie ihr einst gegeben hatte. Und Abby fragte sich erstmals, ob so etwas dann überhaupt noch eine Freundschaft war? Andererseits war sie keinen Deut besser, schließlich verheimlichte sie Anya so einiges.

Das Mädchen ließ den Kopf hängen. Alles war so kompliziert geworden, seit Levrier aufgetaucht war. Aber der tat auch nur das, was in seiner Natur lag …

 

Plötzlich spürte Abby ein Stechen in ihrem Körper, wie sie es noch nie gefühlt hatte. Sie blickte auf und sah mit Schrecken, dass etwas an Anya sich verändert hatte. Ihre Augen, sie glühten weiß, genau wie ihre Hand, die von einer seltsamen Energie umgeben war. Der Pferdeschwanz der Blondine peitschte wild durch die Luft, während das Mädchen Mittel- und Zeigefinger an ihr Deck legte. Dabei keuchte sie, als bekäme sie kaum noch Luft.

„Was ist das!?“

„Du … ich kann dir gar nicht sagen, was ich am liebsten alles mit dir und Nick machen würde! Wo wart ihr, als es passiert ist!?“

„W-“

„Immer seid ihr auf Hilfe angewiesen! Alleine kriegt ihr doch gar nichts auf die Reihe! Wenn ich nicht wäre, wärt ihr schon längst tot! Und wo seid ihr, wenn ich euch brauche!?“ Anya schnaufte und lächelte zynisch. „Überall, nur nicht bei mir! Erspart mir euer ganzes Gelaber, ich will es gar nicht hören! Ich brauche keine Freunde, ihr seid so oder so nutzlos! Draw!“

Abby schrie vor Schreck auf, wurde sie durch das Licht, welches von Anyas Arm mit dem Mal ausging, doch glatt geblendet. Dabei stieß ihr ein heftiger Wind entgegen, der ihr ohnehin ungebändigtes Haar und den Saum ihres Kleides wild flattern ließ. Stechender als dieses seltsame Gefühl waren nur die Worte des Mädchens, entstanden aus purer Verbitterung. Und doch wusste Abby, dass Anya nicht ganz Unrecht hatte, was alles nur viel schlimmer machte. Sah es wirklich so in ihrer besten Freundin aus, fragte Abby sich betroffen.

 

Als das Licht um Anyas Arm erlosch und ihre Hand nur noch ein wenig glühte, hielt sie zwischen ihren Fingern eine Karte und grinste dreckig. „Na so was? Die Glücksfee ist heute wirklich auf meiner Seite!“

„Was hast du da getan?“, fragte Abby verängstigt. Levrier musste irgendeine Kraft freigesetzt haben, anders war dieses Phänomen nicht zu erklären.

Und plötzlich ging ihr ein Licht auf. „Du hast dieselbe Fähigkeit wie Al-“

„Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]“, unterbrach Anya ihre Freundin und ließ einen Krieger in goldener Rüstung erscheinen, der einen Blitz zwischen seinen Händen formte.

 

Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]

 

„Okay! Das ist es!“, rief Anya und schwang euphorisch den Arm aus. „Crystal, vernichte dieses Drecksvieh ein für alle Mal! Crystal Punishment!“

Der Ritter schlug mit seiner Faust auf den Boden, während Anya ihre letzte Handkarte auf den Friedhof schickte. Plötzlich erschien ein kleines Wesen mit einem verhältnismäßig großen Zauberhut hinter Crystal und verschwand in ihm. „Und indem ich [Gem-Merchant] abwerfe, kriegt Crystal einen Angriffsboost! Siehst du!? Ich brauche gar keine Zauber- oder Fallenkarten!“

Abby realisierte, dass Anya durch ihre neue Kraft jenes Monster gezogen haben musste. Um Anyas Krieger glühte eine orangefarbene Aura auf.

 

Gem-Knight Crystal [ATK/2450 → 3450 DEF/1950 → 2950 (7)]

 

Dieses Mal schlug Crystal beide Fäuste auf den Boden und ließ so mehrere Spalten im Beton des Daches entstehen, welche allesamt auf Abby und ihre nähere Umgebung zuschossen. Das Mädchen erkannte, dass es dieses Mal keinen Ausweg gab. Und während die ersten Kristallnadeln [Naturia Exterio] bereits aufspießten, trat sie bis an den Rand des Daches zurück.

Als der erste Speer aus einer der Spalten auf sie zuschoss, dachte Abby gar nicht länger nach und machte einen Satz nach hinten, fiel in die Tiefe. Gerade noch rechtzeitig fanden ihre Hände im Fall Halt, sodass sie nun vom Dach der Schule hing und die Sträucher anstarren konnte, die bestimmt 20 Meter unter ihr lagen. Aber bei einem Fall aus dieser Höhe würden jene vermutlich noch ihr Verhängnis werden statt den Aufprall zu dämpfen, dachte Abby panisch.

 

[Anya: 150LP / Abby: 1100LP → 450LP]

 

Zwar war sie Crystals Angriff entkommen, doch hatte sie nun ein neues Problem. Und es war noch nicht vorüber. Sie hatte das Duell hiermit verloren, also würde Anya jetzt kurzen Prozess machen.

„Irgendwelche letzten Worte?“, hörte sie jene unbeirrt rufen.

Abby zog sich mit aller Kraft ein Stück weit über den Rand und sah zu der Blondine auf, in deren blauen Augen das Dilemma ihrer Gefühlswelt stand. Anscheinend konnte selbst eine Anya so etwas wie Enttäuschung verspüren, denn weit mehr als der Hass stand diese Emotion in ihnen.

Für Abby war das Grund genug, es noch einmal mit Worten zu probieren. „Ich weiß, es ist schwer, aber lass uns doch vernünftig reden! Was bringt es dir schon, jetzt noch so weiter zu machen?“

 

„Du weißt doch gar nicht, wie das ist“, murmelte Anya plötzlich leise und senkte den Blick. „Wie es ist, am lebendigen Leib den Flammen zum Opfer zu fallen. Mag ja sein, dass ich zu der Zeit nichts gespürt und in diesem Elysion-Teil gefangen war, aber ich habe alles gesehen. Und du hast mich gesehen, oder was noch von mir übrig war! Also rede nicht so, als ob alles gut wär'!“

Anya sah wutentbrannt auf und schwang den Arm aus, zeigte damit auf Abby. „Ich geb' mir diese Scheiße mit dir nicht länger! Warum reden, wenn es sowieso nichts zu sagen gibt? Ich hab' das schon immer an dir gehasst! [Gem-Knight Tourmaline], direkter Angriff auf-“

Ohne Vorwarnung wurde sie am Handgelenk gepackt. Sie drehte ihren Kopf und sah über ihrer Schulter, dass Nick sie festhielt. Einmal mehr lag da dieser merkwürdige Blick in seinen Augen, den er neuerdings immer öfter aufsetzte. Es war, als wolle er sagen „nicht“. Aber er schwieg und schien auf ihre Reaktion zu warten.

Aufgebracht schnaufte das Mädchen: „Lass mich los, Harper! Oder willst du gleich hinterher geschickt werden!?“

 

Es ist genug, Anya Bauer!

 

Als sie Levriers Stimme vernahm, zog sie ihre Augen zu Schlitzen zusammen. Die ganze Zeit über hatte er sich aus der Sache herausgehalten, nun meldete er sich plötzlich?

„Was willst du denn jetzt!?“
 

Du siehst Feindseligkeit, wo keine ist! Ist dir überhaupt klar, was du da tun willst? Warst nicht du es, die Abigail Master und Nick Harper vor Alastair gerettet hat? Und nun willst du sie töten, weil du dir mit aller Kraft einzureden versucht, sie wären deine Feinde? Wo sie doch nur deinen Schmerz teilen wollen? Wenn das so ist, verweigere ich dir, noch länger meine Kräfte zu benutzen. Sie dienen dazu, uns vor Gefahren zu schützen, nicht um anderen Menschen willkürlich das Leben zu nehmen!

 

Anya schrie auf, als das Mal an ihrem Arm zu leuchten begann. Es brannte wie Feuer und das pulsierende Gefühle in ihrem Inneren, welches sie die ganze Zeit über stärker und stärker gemacht und angetrieben hatte, löste sich plötzlich wie Rauch auf.

Ohne es fühlte Anya sich schlagartig schwach und müde.

 

Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Anya Bauer, aber kein Lebewesen kann alleine fortbestehen. Die Bande mit deinen Freunden zu brechen wird dir zukünftiges Leid nicht ersparen, egal wie sehr du daran festhalten willst.
 

„Dazu hast du kein Recht!“, fauchte Anya wütend, der es nur um dieses eine Gefühl ging. „Diese Kräfte gehören mir und ich entschei-“

Nicks Faust traf sie so unerwartet ins Gesicht, dass sie nach vorne stolperte und auf den Boden fiel. Fassungslos sah sie zu ihm auf und hielt sich die Wange.

Er sah seine Finger an und gluckste: „Cool. Jetzt weiß ich, warum der Anya-Muffin so viel Spaß daran hat … au, au, au!“

Mit leidender Mimik schüttelte er die Hand, da Anyas Knochen wohl etwas zu hart für ihn gewesen waren.

 

„Hört bitte auf!“, rief Abby, die es mittlerweile fertiggebracht hatte, sich bis zum Oberkörper über den Rand des Daches zu ziehen. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie sich sicher, dass hinter Nicks Faustschlag eine Botschaft verborgen lag, die man ihm niemals zugetraut hätte. Selbst er tat sein Bestes, um Anya zur Besinnung zu bringen!

„Du hast recht, ich weiß nicht, wie schwer es für dich ist“, ächzte Abby und schwang ihr Bein über die Betonkante, ehe sie sich schließlich zur Gänze in temporärer Sicherheit gebracht hatte. Auf wackligen Beinen stand sie auf und nahm ein paar Schritte nach vorn, wobei sie die Arme versöhnlich ausstreckte. „Deswegen sind wir doch hier, Anya! Warum willst du das nicht sehen? Wenn ich dir ein Leid zufügen wollen würde, hätte ich es doch längst tun können! Was denkst du, warum ich nicht längst meine andere Gestalt angenommen habe?“

„Tch!“ Anya wich ihrem Blick aus.

Abby senkte ihr Haupt. „Ich weiß … das Duell war ein Fehler, wir hätten dich in Ruhe lassen sollen. Aber es ist schrecklich, wenn man als Freundin nur zusehen kann, wie du dich von allem abkapselst! So sehr Marcs Verlust dir auch weh tun mag, du darfst nicht vergessen, dass du etwas zu erledigen hast!“

Mit widerspenstiger Mimik blickte Anya auf. „Was meinst du damit, Masters?“

„Eden! Du kämpfst jetzt seit knapp anderthalb Monaten darum, einfach nur am Leben zu sein! Suchst nach einem Weg, nicht Eden werden zu müssen!“ Abby nahm nun große Schritte auf ihre Freundin zu und ging vor jener in die Knie, um ihre Hände zu nehmen. Sanft sagte sie: „Und wir mit dir! Nick und ich wollen nicht, dass du fortgehst! Aber du hast das vergessen! Ein wenig Zeit haben wir noch, Anya, aber wenn wir uns nicht beeilen, ist es zu spät.“

Wieder mied ihre Freundin ihren Blick und riss sich los. „Ich brauche eure beknackte Hilfe nicht!“

„Doch“, widersprach Abby streng, „genau das tust du! Natürlich kannst du uns auch weiterhin abweisen, das ist deine Sache. Aber zusammen können wir mehr erreichen, auch wenn wir dir wie ein Klotz am Bein erscheinen mögen. Und ich kann dich beschützen, wenn du mich nur lässt. Die Tragödie um Marc wird sich nicht wiederholen, das verspreche ich dir!“

 

Stille.

Mit einem Satz sprang Anya auf und starrte mit undeutbarem Blick auf ihre Freundin herab. Dann stöhnte sie genervt. „Gibst du eigentlich nie Ruhe, Masters?“

Verdutzt blinzelte Abby. „Wie bitte?“

„Du hast schon gehört“, raunte Anya missmutig und schüttelte den Kopf. „Deine Reden sind so anstrengend, da muss man ja irgendwann willig werden. Fein, von mir aus, dann helft mir eben. Aber jammert am Ende nicht 'rum, wenn ihr die Radieschen von unten wachsen seht.“

Abby, überrumpelt von dieser unerwarteten Kehrtwende, legte eine Hand auf ihr Knie und erhob sich mit hoffnungsvollem Gesichtsausdruck ebenfalls. „Heißt das, du bist nicht mehr böse?“

„Ja, ja“, brummte Anya und winkte ab, bevor Abby ihr überglücklich um den Hals fiel.

„Aber woher dieser plötzliche Sinneswandel?“, fragte Letztere dabei. „Oh, ich bin so froh!“

„Ich hab Kopfschmerzen und keinen Bock mehr auf diese Spielchen, das ist alles! Und jetzt lass mich los, verdammt!“, fauchte die Blondine daraufhin und drückte das Hippiemädchen von sich weg, da ihr menschliche Nähe zutiefst missfiel, wenn es nicht gerade darum ging, anderer Leute Äußeres 'umzugestalten'.

Doch kaum hatte sie sich von Abby losgerissen, wurde sie von hinten angefallen. Nick klammerte sich an sie und streichelte über ihr blondes Haar und den Pferdeschwanz. „Mein Anya-Muffin ist zurück!“

Keinen Herzschlag später lag er am Boden mit Anyas Turnschuh im Gesicht. „Machst du das nochmal, reiß ich dir die Klöten ab und benutze sie als Tennisbälle!“

„Okay“, presste er glucksend unter der Sohle hervor.

 

„Eine Sache wäre da aber noch …“, meinte Anya plötzlich mit bedrohlich leisem Tonfall und nickte in Abbys Richtung. Jene verstand nicht und drehte sich um, erschrak, als plötzlich [Gem-Knight Tourmaline] vor ihr erschien. Dessen Hände blitzen auf.

„Dachtest wohl, du kommst drum 'rum, huh? Fehlanzeige, ich hab dich verarscht! Tourmaline, direkter Angriff!“

Abby stieß einen spitzen Schrei aus, als der Ritter eine Salve aus Blitzkugeln auf sie abfeuerte. Die Explosion hüllte sie in tiefen Rauch ein.

 

[Anya: 150LP / Abby: 1100LP → 0LP]

 

„Oh, ohhhhh!“, klagte Abby, als der Angriff vorüber war und die Hologramme schließlich verschwanden.

Sie war unversehrt geblieben und wirbelte zu Anya um, verschränkte wütend die Arme. Dabei warf sie Anya einen besonders tadelnden Blick zu, ihre Brille war halb verrutscht. „Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen! Mach das nicht noch einmal, hörst du! Für eine Sekunde dachte ich wirklich, wieder von deinen Angriffen getroffen zu werden!“

Unbedarft zuckte ihr Gegenüber mit den Schultern. „Mir egal, was du gedacht hast. Ich habe dich besiegt, ohne fremde Hilfe! So was muss man ausnutzen! Wie würde Nelson sagen? Ha-ha!“

Dabei zeigte sie mit selbstgefälliger Grimasse auf Abby.

Die schlug sich die Hand vors Gesicht. „Sag mir nicht, dass ich mir das jetzt ewig anhören muss?“ Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie Anya -tatsächlich- vernichtet hätte, dachte sie dabei grimmig.

„Musst du“, lachte jene neckisch.

Aber als Abby die Hand auf ihr Herz legte, lächelte sie glücklich. „Na ja, ich denke es gibt Schlimmeres.“

„Zum Beispiel?“

„Von Nick besiegt zu werden.“

Anya nickte zustimmend. „Allerdings.“

Sie betrachtete missmutig ihren Freund, der immer noch am Boden lag und sich mit verträumtem Blick über den geröteten Abdruck auf seiner Wange strich. „Viel Schlimmeres.“

 

Ihre Freundin klatschte die Hände zusammen und faltete die Finger ineinander. Überrascht von dieser Geste, drehte Anya sich zu ihr um und bemerkte, wie Abby über beide Backen strahlte.

„Was ist? Hat endlich jemand unseren Präsidenten erschossen oder warum siehst du aus, als würde gleich ein Weltfriedensgipfel beginnen?“

„Oh, es ist nur so … du hast dieses Mal wirklich gut gespielt. Ich glaube, du bist um einiges besser geworden, seit unserem letzten Duell.“

Anya grinste keck und deutete mit dem Daumen auf sich. „Klar doch. Eine Anya Bauer kann sich schließlich nicht von ihren Sidekicks besiegen lassen!“

„Err, Sidekicks? W-was soll das denn heißen?“

„Ach, ist ja auch egal.“ Plötzlich verhärteten sich Anyas Züge. „Ich muss besser werden. Bei all den Irren, die neuerdings in dieser Stadt herumlaufen, kann ich's mir nicht leisten, zurück zu fallen. Als Testlauf für den Ernstfall warst du ja gar nicht schlecht, wenn du nur nicht so eine feige Nuss wärst.“

Abby nahm verwirrt von diesen Worten ihre Brille ab und sah Anya aus traurigen, grauen Augen an, während sie das gute Stück an ihrem beigefarbenen Kleid putzte.

„Ich verstehe zwar nicht ganz, allerdings stimmt es schon, dass du besser werden solltest. Aber wie gesagt, wir sind bei dir. Auf uns kannst du zählen!“ Sie setzte die Brille wieder auf und seufzte nachdenklich. „Was das mit dem Testlauf angeht, musst du aber Einiges erklären. Was soll das heißen?“

 

Doch zu ihrem Entsetzen winkte Anya nur desinteressiert ab. „Ja, ja, was auch immer. Sag mal, Abby, wie lange hält der Zauber eigentlich?“

Verdutzt blinzelte das Mädchen hinter den dunkel getönten Gläsern, ehe sie verstand. Sie hob den Arm mit der real gewordenen Spielzeug-Duel Disk und schmunzelte. „Bis ich ihn beende oder mir die Kraft ausgeht. Man muss sich darauf konzentrieren, was gar nicht so einfach ist. In meiner Sirenenform geht es wesentlich einfacher.“

Um ihre Worte zu unterstreichen, nahm sie das Deck wieder aus der Duel Disk und steckte es in ihre Kleidtasche. Keine Sekunde später schrumpfte der Apparat und fiel von ihrem Arm auf den Beton des Daches. Anya hob die Miniatur-Duel Disk mit Daumen und Zeigefinger auf und reichte sie Abby. „Geiler Trick. Gegen so etwas stinkt Alastairs Hokuspokus allemal ab.“

Durch das Kompliment errötete Abby und verbeugte sich hastig. „Danke!“

Dann sah sie wieder mit ernster Mimik auf und meinte streng: „Aber wir sollten jetzt lieber hier verschwinden und später weiter reden. Wenn wir und der Schaden, den du hier angerichtet hast, gesehen werden, gibt es mindestens einen Schulverweis.“

„Du tust ja so, als wäre das was Schlechtes“, erwiderte Anya aufrichtig empört.

„Anya Bauer! Es vergeht bald kein Tag mehr, an dem du nicht Schuleigentum zerstörst! Wenn ich wegen dir nicht richtig am Unterricht teilnehmen kann, dann …“

Aber Anya hörte kaum noch zu und schlug sich stattdessen die Hand vor die Stirn. Nicht schon wieder eine Rede von Abby über das Geschenk der Bildung! Sie hätte sie eben -doch- beseitigen sollen, als sie die Chance dazu hatte …

 

~-~-~

 

„Ich bin so froh, dass wir unsere Streitigkeiten beseitigen konnten“, meinte Abby schließlich ausgelassen, während sie zwischen Nick und Anya über den Bürgersteig heimwärts schlenderte. Die Sonne ging bereits unter und ihre Freundin hatte ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt.

„Wenn du meinst“, erwiderte Anya in ihrem typischen Desinteresse und grinste schließlich frech. „Aber ein Gutes hat das Ganze!“

Abby neigte den Kopf etwas nach vorn, um ihr in die Augen zu sehen. „Das wäre?“

„Ich habe einen neuen Trick auf Lager! Glaub ich jedenfalls … es war fast so, als ob ich bei meinem letzten Zug entscheiden konnte, was ich ziehen möchte.“ Und Anya dachte gar nicht daran, damit das Wort Betrug in Verbindung zu bringen, denn das taten -ausschließlich- nur die anderen. „Als ob ich lenken konnte, was passiert. Wisst ihr, ich musste nur lange genug meine Wut anheizen, es wurde von Zug zu Zug stärker, dieses komische Gefühl. Wirklich abgefahren, als stünde ich vor- ach, ist auch egal. Vielleicht ist Levrier doch nicht so nutzlos?“

 

Ich könnte noch so nutzlos sein und dennoch wäre niemand imstande, deine Unkenntnis und deinen Dilettantismus in den Schatten stellen.

 

Anya zuckte bei Levriers lahmen Verteidigungsversuch nur mit einer Augenbraue. „Was auch immer …“

„Eigentlich war das jetzt auch nicht das, was ich hören wollte“, meinte Abby gleichwohl beleidigt über die Tatsache, dass Anya nicht das, was bei ihr einer Aussprache schon recht nahe kam, als den angekündigten, positiven Aspekt erwähnt hatte.

„Oh? Nun, natürlich wusste ich die ganze Zeit über, dass du mir nichts Böses willst“, meinte Anya schließlich gleichgültig und stöhnte. „Es war mir einfach nur egal, weil es leichter für mich ist, Dinge einfach zu bekämpfen, statt mich damit auseinander zu setzen. So bin ich eben. Außerdem war das gutes Training für später … jedenfalls war es so gedacht, aber im Endeffekt hätte ich wissen müssen, dass du kneifst.“

Die Drei blieben stehen.

„Anya … !?“

Abby war gleichermaßen fasziniert wie entsetzt über die Tatsache, dass Anya dermaßen abgebrüht sein konnte. Dennoch hatte Anya soeben unfreiwillig einen Einblick in ihr Inneres gegeben. Und nur um der Tatsache Willen, dass die Blondine Probleme mit Konfliktbewältigung zugab, ließ Abby sie leben, so sehr kochte sie innerlich vor Wut. War das ganze Drama also tatsächlich umsonst gewesen, nur weil Anya ihre Grenzen austesten wollte!?

„Miststück!“, fluchte Abby ihre Freundin garstig an.

Jene sah mit selbstherrlicher Mimik auf. „Immer doch!“

 

Sie grinste noch einen Augenblick, dann verhärteten sich ihre Züge wieder. Anyas Augen waren zwar klar wie das Meer, aber plötzlich auch von grimmiger Genugtuung erfüllt. „Aber eins kannst du wissen. Ich bereue nicht, was ich Marc angetan habe. Er hat um alles gewusst und seine Entscheidung getroffen.“
 

Kurz darüber nachdenkend, nickte Abby schließlich, auch wenn ihr diese selbstgerechte Ader missfiel. Aber konnte man Anya ihre Gefühle wirklich verdenken? Die Begründung ihrer Freundin war gewissermaßen nachvollziehbar, auch wenn zu bezweifeln war, ob Anya letzten Endes nicht doch ein wenig, wenn nicht sogar große Reue für ihr Handeln verspürte. Immerhin ging es hier um den ersten Mann, in den sie sich verliebt hatte.
 

„Wusstest du“, fing Abby zunächst zögerlich an, das Thema Marc zu vertiefen, „dass er mit Valerie verlobt war?“

Anya schüttelte mit ausdrucksloser Mimik den Kopf. „Nein. Aber selbst wenn er noch leben würde, wäre es mir mittlerweile scheißegal. Der ist schon in dem Augenblick gestorben, als er über mein Leben entschieden hat.“ Als sie das verdutzte Gesicht ihrer Freundin sah, fügte Anya noch mit der Hand auf ihrer Brust hinzu: „Im diesem Ding aus Stein hier drinnen gibt es ihn nicht mehr. Vielleicht lass ich mir ja stattdessen was Tolles draus schleifen, nun wo Marc Geschichte ist. Da ist jetzt nämlich Sperrgebiet für alles, was etwas zwischen den Beinen baumeln hat, verstehst du? “

„Auch für mich?“, jammerte Nick enttäuscht.

„Ganz besonders für dich, du hohle Nuss!“, erwiderte seine Freundin daraufhin garstig.

Abby musste kichern, doch kurz darauf verfinsterte sich ihre Miene. „Wenn wir schon bei Valerie sind … ich mache mir Sorgen um sie. Vielleicht sollten wir mal bei ihr vorbeischauen?“

„Tch! Glaubst du, es ist eine gute Idee, wenn die Mörderin ihres Verlobten vor der Tür steht und ihr Taschentücher anbietet?“ Anya verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Lass die lieber fürs Erste in Ruhe. Vielleicht schick ich ihr ein Kissen zum Ausheulen. Ich hatte da mal die Idee, in das Teil Rasierklingen zu verstecken, aber leider war das in der Praxis ein einziges Chaos.“

Aus allen Wolken fallend, klappte Abbys Kinnlade zum zweiten Mal an diesem Tag hinunter. „Was!? Aber ich dachte, jetzt da Marc tot ist, dürfte die Rivalität mit Valerie Geschichte sein?“

Mit einem bösartigen Grinsen schüttelte Anya den Kopf und trat dabei eine zerknüllte Coladose von sich weg, die einen vorbeilaufenden, kleinen Jungen nur um Haaresbreite verfehlte.

„Mist, daneben!“ Sie machte eine Pause und wählte ihre Worte, was sich schwierig gestaltete, da das Artikulieren nicht gerade zu ihren Stärke zählen. „Wie sag ich es? Ich brauch etwas, um mir die Zeit zu vertreiben. Und solche High Society-Schicksen wie Redfield kommen mir da gerade recht. Ist eben Schicksal.“
 

Und während Anya mit den Schultern zuckte, frage Abby sich mit offenem Mund lediglich, wie so viel Boshaftigkeit in einer einzigen Person stecken konnte. Sie musste die Verkörperung des Leibhaftigen sein, eine andere Erklärung gab es nicht!

„Außerdem haben wir andere Sorgen, schon vergessen?“, warf Anya schließlich ein. „In knapp drei Wochen wird’s ernst, dann ist der 11. November. Und was hab ich euch heute beigebracht? Sterben ist scheiße.“

Abby seufzte schwer, denn wieder musste sie an Matts Worte denken. Um Anya zu retten, musste jene sterben. Sie blickte ihre Freundin traurig an und meinte gespielt genervt: „Was das angeht, können wir noch mindestens ein paar Tage auf das Necronomicon warten! Scheinbar gibt es da Probleme mit dem Mittelsmann!“

„Wehe, das Teil ist genauso hirnrissig wie die anderen Schinken, die du für uns ausgesucht hast“, brummte Anya und setzte ihren Weg fort, während die anderen beiden ihr folgten.

„Ach bestimmt nicht“, meinte Abby unsicher, nur um dann ihre Zweifel auch auszudrücken. „Aber ausschließen kann man es nicht.“

Im Gedanken fügte sie noch hinzu: sollte es so kommen, haben wir vielleicht unsere letzte Hoffnung verloren. Für sie waren die Einzigen, die dann noch als potentielle Wissensquellen infrage kamen, die Dämonenjäger. Und die wollten Anya schließlich tot sehen.

 

 

Turn 16 – Walking On A Thin Line

Getrieben durch ihren schweren Verlust, hat Valerie einen eigentümlichen Plan ersonnen. Mithilfe von Joan Of Arc macht sie sich auf die Suche nach einem Dämon, der mächtig genug ist, ihren Wunsch zu erfüllen. Obwohl Joan sie eindringlich davor warnt, fährt Valerie schließlich zu einer weit entfernt liegenden Stadt namens Hollow City, wo sie den geheimnisvollen Collector vermutet, einen ganz besonderen und äußerst eigensinnigen Dämon. Als sie ihn schließlich in seiner Villa findet, muss sie sich zunächst einem seiner Diener stellen, ehe der Collector über ihr Anliegen entscheidet …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-04-23T15:14:59+00:00 23.04.2017 17:14
Hi
Geniales Kapitel, Super Duell und ich dachte Anya kann mich nicht mehr überraschen, falsch gedacht.
Zum Glück haben die beiden sich nicht gegenseitig verletzt, auch wenn Anya es versucht hat.
Ich glaube Nick ist nicht ganz so sorglos wie er immer tut.
Mal sehen was da noch kommt.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
25.04.2017 17:25
Hey,
danke für deinen Kommentar. Anya ist immer für eine Überraschung gut.
Allerdings ist sie nicht so, dass sie ihren Freunden absichtlich weh tut. Also ... nicht genauso sehr wie anderen jedenfalls. Irgendwie machts das grad nicht besser. xD

LG,
-Aska-


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