Drachenjagd von Lady_of_D (Die Himmelsgöttin) ================================================================================ Kapitel 57: Devon ----------------- Auf der Spitze der letzten Rotbuche hatte er die beste Aussicht. Danach gab es nur ein paar Misch- und Laubbäume, die mit den Jahren zurechtgestutzt worden waren und keinen geeigneten Sichtschutz besaßen. Kein guter Platz für einen Drachen, der eine Prinzessin befreien wollte und ein noch schlechteres Platz für einen Himmelsdrachen in freier Wildbahn. Das Gelände, auf dem sich der Hauptsitz der Paladine befand, war zum Großteil auf medanischem Gebiet. Ein kleiner Teil erstreckte sich östlich der Grenze und gehörte bereits dem König von Korsa - einem weiteren Lehnsherren, der sich dem Schutz der Paladine ausgeliefert hatte. Auf mehreren Meilen erstreckte sich ein wilder Laub- und Mischwald, der irgendwann in die neue Eisenbahnstrecke mündete und dort die beiden Reiche miteinander verband. Ohne Frage war das Gelände gut gewählt. Verstecke und Hinterhalte waren vorprogrammiert, niemand kannte sich in den umliegenden Wäldern besser aus als die medanische Paladinschaft. Devon ging in die Hocke, die linke Hand hielt sich an einem der dünneren Äste fest, während das Bein halb mit dem Stamm verhakt worden war. Es knackte, als er sich weit genug nach vorne lehnte, dass sein Gesicht nur noch knapp hinter den letzten Blättern verborgen war. Von hier hatte er einen guten Überblick auf das Hauptquartier. Mit der freien Hand griff er in die Manteltasche und wühlte aus seinem Sammelsurium an Land- und Städtekarten den Lageplan heraus. Die Zeichnungen waren zum Teil improvisiert. Ein paar Details hatte Trias nach ihrer Reise hinzufügen können, doch es gab noch genug Lücken und verborgene Winkel, die Devon nicht kannte. Ein Abriss sollte genügen - es musste genügen. Das war keine Frage der Organisation oder Vorbereitung. Hier war überhaupt nichts ausgeklügelt worden, weil Devon verdammt nochmal keine Zeit hatte, um Vorkehrungen zu treffen! Zwei Tage hatte ihn die Fahrt nach Osten gekostet. Einmal mit dem Zug quer durch das Reich und dazu noch eine Kutschfahrt, für die er all seine finanziellen Ressourcen ausschöpfen musste. Nicht, dass Devon um eine seiner Münzen trauerte. Das Gold war gut angelegt gewesen, ohne das nötige Schmiergeld wäre er nie unentdeckt durch die Hauptstadt gekommen, und nur weil er den direkten Weg durch Masfor hatte nehmen können, war er noch vor dem nächsten Vollmond angekommen. Medanien wurde immer strenger bewacht, Kontrollen lauerten in den Großstädten und selbst die kleineren Provinzen - jene Städte, die von den Paladinen regiert wurden - passierte man nur noch mit gültigem Ausweis. Devon hatte einen Ausweis. Das hatten alle Drachen, die ihm direkt unterstellt waren, doch hatte man das Pech und erwischte eine Wache, die sich nicht mit Met und Schnaps zugeschüttet hatte, konnte es schnell sehr ungemütlich werden. Es brauchte stets eine Handvoll vertrauenswürdiger Leute - und jene, die den Hals nicht voll bekamen -, wenn man als freier Drache durch die Gegenden spazieren wollte, und da Devon eine Menge solcher Leute kannte und genügend Geld besaß, war er bisher noch nie in Schwierigkeiten geraten. Devon unterdrückte ein Seufzen und widmete sich wieder seiner Karte. Der effektivste Weg war der durch das Haupttor. Von dort führte ein Hof weiter zu den Zeltlagern der Paladine und schließlich gelangte man durch eine breite doppelseitige Flügeltür ins Innere des Gebäudes. Das eine Mal, dass er durch den Saal spaziert war, lag schon etwas zurück. Damals hatten sie sich durch ein freigeschaufeltes Loch gearbeitet und waren direkt im Kerker gelandet. Es war alles so schnell gegangen, dass Devon nur noch verschwommene Erinnerungen an jene Nacht hatte. Zu viel Blut war geflossen, Devon hatte eine Menge Energie aufbrauchen müssen, um eine Rettungsmission nicht in ein Massaker enden zu lassen. Er schüttelte den Gedanken beiseite. Wie er durch das Gebäude kommen sollte, darüber konnte sich Devon Gedanken machen, wenn es soweit war. Die Papiere zurück in den Mantel gesteckt, ließ er seine Kräfte durch seine Augen fließen. Er musste schnell sein. Paladine witterten Drachenmagie auf mehrere Meter Entfernung und wenn unter ihnen auch nur einer mit etwas Grips in der Birne war, konnte er sich warm anziehen. Bisher war er unentdeckt geblieben, und Devon wollte, dass das eine Weile noch so blieb. Der Überraschungsmoment war der wichtigste Teil in seiner Rettungsaktion. Schnell rein und möglichst schnell wieder raus. Er hatte nur diese eine Chance, das wusste er. Izaras Duft lag in der Luft - weit entfernt, in einem abgeriegelten Komplex und doch war da dieser Hauch von Verzweiflung, der ihn alles an Selbstbeherrschung abverlangte. Devon spürte ihr Himmelsblut in der Luft, als würden einzelne Partikel von ihrem Duft umarmt werden. Ein Blick über das Hauptquartier geworfen, sah er einen blauen durchsichtigen Faden über das Gelände schweben, der in Richtung Haupthaus führte. Devon könnte seine Kräfte noch etwas mehr ausreizen, könnte sehen, wie lange sie schon hier war und welche Gefühle ihre Duftnote hinterlassen hatte. Doch das sprengte eindeutig den Rahmen, seine Fähigkeiten waren genug ausgereizt worden und das einzige, was es herauszufinden galt, war Izaras Aufenthaltsort und den hatte er gefunden.Er hatte Recht behalten, die Prinzessin hielt sich in den Kerkern unterhalb des Festsaals auf. Devon schloss die Augen. Das Verlies war ihm noch recht gut in Erinnerung geblieben. Der Gestank nach Tod und Verderben, die Blut verschmierten Wände, die kalten, feuchten Ketten... Nicht mehr lange, sagte er sich und konzentrierte sich weiter auf sein Umfeld. Devons Augen bewegten sich rasant von einer Quelle zur nächsten. Einmal das gesamte Gelände umfasst, zählte Devon ein Dutzend Soldaten vor den Mauern des Haupttores. Sechs Wachtürme mit jeweils zwei Paladinen bewachten von Osten und Westen die umliegende Umgebung. Ein Bogenschütze und ein Speerwerfer gab es für jeden Turm. Darunter marschierten mindestens zwanzig Paladine zwischen Vorhof und Lager hin und her. Patrouillen gab es vergleichsweise wenige. In den Lagern trainierten Paladine untereinander, Speere flogen durch die Gegend und Schwerter kreuzten im späten Nachmittagsschein die Klingen. Die Männer waren teils spärlich bekleidet - Oberkörper waren von Schweißperlen benetzt, kaum einer trug seine Arm- oder Beinschienen. Die Köpfe waren - bis auf ein paar Ausnahmen und den Soldaten, die in ihrer vollen Rüstung Wache schoben - vollkommen schutzlos. Den Blick nach oben gerichtet, sah er zwei Drachen über den Hof kreisen. Seine Miene verdunkelte sich. Die Reiter waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht einmal in seine Richtung sahen, geschweige denn einen näher rückenden Himmelsdrachen erspähten. Zwei Paladine, die ihre Tiere [style type="italic"]ritten[/style] - einen beleidigenderen Ausdruck hatten diese Bastarde wohl nicht finden können. Devon schaute zurück auf den Boden. Die Entfernung zwischen ihm und der Mauer betrug keine hundert Fuß. Sobald die Linie überquert war und die erste Wache die Anwesenheit eines Eindringlings spürte, musste er sämtliches Potential in seine Beine legen. Devon schätzte die Zahl der Gegner auf etwa achtzig. Mindestens die Hälfte waren ausgebildete Krieger, der Rest ein Haufen frisch rekrutierter Neulinge. Magie entdeckte Devon nur bei den Wenigsten und nur ein Bruchteil von ihnen könnte ihm wirklich gefährlich werden. Einmal tief eingeatmet, zog er die Magie zurück in sein Innerstes. Der Schleier aktivierte sich, ein seltsames Gefühl, sobald die Drachenmagie sich in seine Seele zurückzog. Normalerweise spürte er nicht mehr als ein leichtes Kribbeln. Er schob dieses seltsame Gefühl auf seine Anspannung. So gesehen hatte er nur diesen einen Versuch. Wie lange es dauerte, bis die Alarmglocken ertönten, konnte Devon nicht vorhersagen, doch er war sich sicher, dass man ihn bereits erwartete. Ein leichtes Ziehen fuhr seine Wirbelsäule hinauf. Die Schnittwunde hatte er seit Silas Behandlung nicht mehr gespürt und dass sie sich gerade jetzt meldete, passte ihm überhaupt nicht. Die Magie der letzten vierundzwanzig Stunden hatte ihn wohl zu viel Kraft gekostet. Er schwang sich zurück in den Baum, es raschelte, doch der Feind war zu weit weg, als dass er es gehört hätte. Auch wenn der Schleier aktiv war, hatte Devon ausgezeichnete Sinne. Er hörte den leisen Wind von Norden kommen, spürte die Pollen, die durch die Luft wirbelten. Der Wald roch schwül, nur wenige Tiere hatten sich hier eingenistet, er erschnüffelte ihren Unmut gegenüber ihren menschlichen Nachbarn. Nur Menschen nahm er keine wahr. Er nahm einmal kräftig Schwung und sprang auf den nächsten Baum. Natürlich wäre er mit seinen Drachenschwingen schneller gewesen, aber dann könnte er sich gleich ein rotes Schild mit der Aufschrift »friss mich« um den Hals hängen. Weiter ging es über den nächsten Baum. Er war leise und schneller als ein Affe von Liane zu Liane hangelte. Sein Tempo nahm sogar noch weiter zu. Unaufhaltsam steuerte der Himmelsdrache den ersten Wachturm an. Beim nächsten Sprung ging er in die Hocke, wie eine Sprungfeder schoss er von oben auf die erste Wache zu. Er hatte kaum Boden unter den Füßen, als er den Kopf in beide Hände nahm. Ein Knacken und das Genick war gebrochen. Der Mund seines Partners öffnete sich und - Zack!, trat Devon ihm kräftig in den Magen, zog ihn zu sich heran und brach auch ihm das Genick. Ein lautes Horn ertönte, ein Pfeil schoss in Devons Richtung. [I"Jetzt schon?"So hatte er sich das nicht vorgestellt. Ihm blieb keine andere Wahl. Vor dem nächsten Pfeil ausweichend, sprang er vom Wachturm direkt in einen Halbkreis aus Schwertkriegern und Speerwerfern. Etwa zwei Dutzend Paladine umzingelten den Himmelsdrachen. Wie lange hatte es bis zu seiner Entdeckung gedauert? Sechzig Sekunden? Dann also doch wieder auf die übliche Weise. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)