Die vergessene Kommandantin von Kenja (Memoiren der Akari) ================================================================================ Kapitel 10: Hundert Jahre ohne Dich Teil 1: Schmerz und Erkenntnis ------------------------------------------------------------------ Monate vergingen, ohne dass ich etwas wirklich Sinnvolles tat. Ich verbrachte viel Zeit mit Miaka und Mana, streifte durch die Stadt und versuchte verzweifelt, das Tor in die Welt der Lebenden zu passieren – ohne Erfolg. Alle Versuche scheiterten, ich wurde jedes Mal zurückgeschleudert. „Versuch doch, die Reifen abzunehmen“, riet mir Mana eines Tages, doch auch das blieb ohne Erfolg. Ich versuchte es mit allen Mitteln (sogar meinem Zanpakuto) aber sie blieben stur an meinen Armen hängen. Es war zum Verzweifeln. Anfangs war ich von Wut wie zerfressen, doch nach und nach machten sich Trauer und Verzweiflung breit. Ich wurde melancholisch. „Akari“, es war Mana, die mich auf einem meiner Spaziergänge eingeholt hatte. Anfangs hatte sie mich stets mit Kommandantin Miyazaki angesprochen, es hatte einige Zeit gedauert, bis sie begriffen hatte, dass ich nun keine Kommandantin mehr war – und es auch nie wieder sein würde. „Ich finde, du solltest nach Seireitei gehen“, schlug sie vor und ich seufzte. „Ich bin verbannt von dort“, erklärte ich ihr zum gefühlt tausendsten Mal. „Und hast du dich immer an alle Regeln gehalten? Sie können dir nicht verbieten, dein eigenes Familienhaus aufzusuchen“, empörte sie sich und ich dachte darüber nach. „Außerdem bist du so schnell, dass dich sowieso niemand sieht.“ Von meinen Shunpo Fähigkeiten war sie besonders begeistert. „Deine Freunde vermissen dich bestimmt schon“, hörte ich sie leise sagen, dann nahm sie mich an der Hand und zog mich mit sich. „Außerdem haben Mutter und ich ein Geschenk für dich!“ Ich folgte ihr durch die Straßen des Dorfes. Nach einem kurzen Weg standen wir vor einem Geschäft, in dem eine junge Frau gemeinsam mit Miaka etwas betrachtete. Ich trat herein und erkannte, dass wir uns in einer Schneiderei befanden. „Ah Akari, da bist du ja“, begrüßte Miaka mich und zog mich zu sich heran. „Das ist für dich.“ Ich betrachtete eine Schaufensterpuppe, an der Kleidung hing. Ich trug noch immer meine Shinigami Uniform und ich wusste, dass ich das nicht sollte. Doch tief in meinem Inneren hatte ich noch immer einen Funken Hoffnung gehabt, dass ich bald nach Seireitei zurückkehren konnte. Ich atmete tief durch. „Meine Mutter hat immer zu mir gesagt, wenn man Liebeskummer hat, hilft es manchmal etwas an sich zu ändern...“ Ich betrachtete die Schaufensterpuppe. Es war ein hautenger, schwarzer Anzug, die Arme und Beine waren Dreiviertel lang. Es schien ein fester Stoff zu sein. Darüber befand sich eine Art weißes Kimonooberteil, das man um die Hüfte zusammenband und dann wie ein Rock die Hosenbeine umschmeichelte, vorn war es kürzer. „Das ist ein altes Kämpferoutfit, ich habe es etwas überarbeitet“, begann die junge Frau, die offensichtlich die Schneiderin war, „Es ist sehr robust, feuerfest und auch elastisch.“ Ich hatte es schnell angezogen. Es passte wie angegossen und ich fühlte mich sogleich wohl darin. Es war etwas anderes, als die weiten Kimonos der Shinigami und es wirkte irgendwie frecher. Es weckte etwas Rebellisches in mir. „Ein hoher Pferdeschwanz passt bestimmt gut dazu“, murmelte die Schneiderin und ich betrachtete mich im Spiegel. Das lange schwarze Haar hatte ich meist offen getragen und sah damit sehr brav aus, doch das hatte ein Ende. Ich band mir einen hohen Pferdeschwanz, mit einem violetten Band und machte eine kleine Schleife hinein. Es hatte die gleiche Farbe wie meine Augen. Erst jetzt bemerkte ich auf dem weißen Stoff einige violetten Nähte, die kleine Muster bildeten. Es war alles stimmig. Ich sah nun wirklich aus, wie eine ExKommandantin. Das gefiel mir. „Danke“, brachte ich hervor und starrte noch eine Zeit lang in den Spiegel. Auch wenn es nur ein Outfit war, gab es mir irgendwie neue Kraft. „Ich danke euch, wirklich. Ich werde heute Abend nach Seireitei gehen“, verkündete ich und zwinkerte Mana zu, die freudig nickte. Ich verabschiedete mich und versprach bald zurück zu sein. Ich brauchte nicht sehr lange nach Seireitei, dieses Mal kannte ich den Weg. Der Himmel war rot, als ich vor dem großen Tor stand. Ich schluckte. Wie sollte ich hindurch kommen? Doch dann erblickte ich ein freundliches Gesicht: Jidanbou der Torwärter grinste mich an. Wir kannten uns ziemlich gut, da ich meist dieses Tor benutzt hatte, wenn ich nach Rukongai gegangen war. Er hob das Tor nur ein kleines Stückchen hinauf, sodass ich hindurchschlüpfen konnte. „Danke“, flüsterte ich und er schnaubte auf. „Akari ist keine Verbrecherin“, sagte er leise und ich war so dankbar für sein Vertrauen, dass mir ganz warm ums Herz wurde. „Schön dich zu sehen“, fügte er hinzu und ich verabschiedete mich mit einer festen Umarmung von ihm. In wenigen Minuten hatte ich mein Haus erreicht, ich schlich mich über den Hof und bemerkte, dass nur ein Zimmer unseres Hauses noch beleuchtet war: mein Zimmer. Ich schlich mich in den Garten und hockte mich zwischen zwei Büsche, ich konnte meinen Bruder durch das Fenster sehen. Er saß an meinem Schreibtisch, aber sein Blick war nicht auf irgendwelche Unterlagen gerichtet, sondern in die Ferne. Ich schlich mich näher heran und merkte erst jetzt, dass das Fenster auf Kipp stand. So nah, wie ich war, hätte er mich eigentlich bemerken müssen, doch er träumte weiter vor sich hin. Er war zwar ein relativ guter Kämpfer, doch seine Kidofähigkeiten hatte er nicht so gut trainiert. „Wovon träumst du?“, fragte ich und er zuckte so heftig zusammen, dass er fast vom Stuhl fiel. „Akari!“, er sprang auf und riss das Fenster komplett auf, sodass ich hineinklettern konnte. Ich hatte das Gefühl, als hätten wir uns Jahre nicht gesehen. Sein Haar war um einige Zentimeter gewachsen und seine Augen wirkten müde. Er war etwas dünner geworden, als hätte er viel Kummer gehabt. „Ich hab dich vermisst! Oh cooles Outfit!“ In seiner Umarmung spürte ich seine Freude darüber, mich wiederzusehen, und so versuchte ich, dieses Gefühl zurückzugeben. „Aber warum sitzt du in meinem Zimmer?“, fragte ich und blinzelte einige Tränen aus meinen Augen. „Na ja... manchmal setze ich mich hier her, weil ich dann das Gefühl habe dir näher zu sein“, abermals kamen mir fast die Tränen und ich nahm ihn erneut in die Arme. „Tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht habe, um herzukommen.“ „Schon gut. Aber versprich mir, dass du von nun an öfter herkommst, ja?“ Ich versprach es ihm. „Akari“, ich drehte mich abrupt herum, als meine Mutter die Küche betrat, sie musste uns gehört haben. Yamachi hantierte gerade mit einem Topf herum und warf ihr einen besorgten Blick zu. Ihr Haar war zerzaust und sie hatte sich nur hastig einen Morgenmantel umgewickelt. Ich nahm sie vorsichtig in den Arm, sie wirkte erschöpft, ihre Krankheit war wieder schlimmer geworden. Sie hielt mich eine Zeit lang in den Armen, flüsterte mir ins Ohr, dass ich öfter vorbeikommen solle und ging wieder ins Bett. „Es wird schlimmer“, flüsterte Yamachi, während er Gemüse in den Topf kippte, in dem das Fleisch schon brutzelte. Eine Weile saß ich nur da und wartete auf das Essen. „Was habe ich so verpasst?“, fragte ich und Yamachi rollte mit den Augen. „Ohh“, machte er und begann dann zu erzählen. „Rangiku läuft gegen Wände, weißt du“, erklärte er mit dramatischem Unterton und schwang dabei die Gabel wie ein Dirigent. „Mit Aizen, Gin und Tousen als Kommandanten ist das gar nicht so einfach, vor allem weil sie jetzt den obersten Rang in der Zehnten besetzt.“ Ich runzelte die Stirn. „Gin ist Kommandant?“ Yamachi hielt kurz inne und nickte langsam. „Dritte Kompanie.“ Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. Ich wusste, dass Gin schon lange stark genug war, einen Kommandantenposten zu besetzen. Wahrscheinlich hatte Aizen es ihm jetzt erst erlaubt. Ich ballte die Hände zu Fäusten, aber Yamachi redete nun munter weiter. „Byakuya scheint sich aus so ziemlich allem herauszuhalten. Zumindest nach Außen hin, aber ich habe mitbekommen, dass einige Pläne von Aizen und seinen Leuten irgendwie schief liefen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Byakuya da im Hintergrund die Fäden zieht, ohne aufzufliegen. Er hat die Unterstützung der Kuchiki Familie, die alles machen was er von ihnen verlangt, ohne nachzufragen.“ Ich musste grinsen, das passte zu Byakuya und ich fühlte einen Hauch von Genugtuung. Immerhin nicht jeder Plan von Aizen verlief so, wie er es sich wünschte und das war zumindest ein Anfang. Nachdem ich das Essen komplett verputzt hatte, lehnte ich mich zurück und schnitt ein Thema an, dass mir auf dem Herzen lag, allerdings wollte ich das nicht so richtig zugeben. Nicht einmal vor Yamachi. „Gibt es... eigentlich schon einen Nachfolger für meinen Posten?“ Ich versuchte, es so nebensächlich wie irgend möglich klingen zu lassen, doch ich erkannte an Yamachis Blick, dass er mich durchschaut hatte. Er lächelte. „Rangiku verteidigt diesen Job, sie hat bisher alle in Frage kommenden Anwärter ausgeschaltet. Ich glaube, sie hat Hilfe von ihrem Offizier, diesem Shin. Sie selbst will den Job nicht, sie weiß auch, dass sie die Prüfung nicht bestehen würde und dass der Kommandantenposten etwas zu hoch gegriffen wäre für sie.“ Ich war stolz auf Rangiku, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen hatte, die Zehnte Kompanie hatte vor mir eine lange Zeit ohne Kommandanten bestanden und nun waren sie wieder Kommandantenlos. Eine Weile lächelten wir uns nur friedlich an, als ich etwas spürte, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Yamachi sah mich besorgt an. „Was ist?“ „Mutters Reiatsu!“, ich sprang auf. Der spirituelle Druck unserer Mutter war gerade auf ein Minimum herabgesunken, ich rannte zu ihrem Zimmer, riss die Tür auf und sah ihren flehenden Blick. Schnell setzten wir uns zu ihr. „Akari, Yamachi...“, ich betrachtete sie einen Moment und realisierte, dass es sehr ernst um sie stand. „Hol Unohana!“, schrie ich Yamachi an, doch unsere Mutter schüttelte den Kopf und ihre Finger krallten sich in meine Hand. „Nein, es würde mir nur ein paar Tage verschaffen, die ich nur schlafen würde“; brachte sie gepresst hervor und ich starrte sie ungläubig an. „Hör mir zu Akari“, ihre Stimme war dünn, fast wie ein Flüstern. „Ich weiß, dass ich mit euch nicht immer alles richtig gemacht habe. Euer Vater hat euch sehr geliebt und ich auch... ihr seid zwei wundervolle Menschen geworden. Akari, auch du findest deinen Weg zurück, denn egal wie viele Lügen und Intrigen gesponnen werden, die Wahrheit wird immer siegen.“ Ihre Worte hallten noch lange in meinem Kopf nach. „Kämpfe nicht auf Leben und tot, wenn es nichts zu beschützen gibt, hörst du?“ Ich musste lächeln, das war ihre Kampfregel Nummer Eins gewesen. Die Allererste, die sie uns beigebracht hatte. „Akari... pass auf deinen Bruder auf. Er braucht dich mehr, als du glaubst und pass auf deine Freunde auf. Auf alles, was du liebst. Das ist wichtiger als alles andere im Leben. Es tut mir so leid, Akari. Ich habe viele Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Wiederhole meine Fehler nicht, lass dich nicht hinreißen... Es tut mir so leid. Bitte verzeih mir, Akari.“ Ich wusste nicht, wovon sie sprach und ihre Augen starrten durch mich hindurch, wodurch ich begriff, dass ihr Verstand nicht mehr ganz bei uns war. „Mutter, es gibt nichts zu verzeihen. Es ist alles gut.“ „Es tut mir so leid, so leid ... Ich liebe euch.“ Sie schloss die Augen und ihr letzter Atemzug klang so ruhig, dass ich zurückwich. Endlich hatte ihr Leid ein Ende. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass sie auf mich gewartet hatte. Sich durch Schmerz und Erschöpfung gequält hatte, um mich ein letztes Mal zu sehen, bevor sie fortging. Yamachi drückte meine Schulter, während der Körper unserer Mutter begann, sich in Seelenpartikel aufzulösen. Wir verließen das Zimmer und brachen im Wohnzimmer zusammen. Yamachi nahm mich in die Arme und stumm schluchzend saßen wir die ganze Nacht so auf dem Boden. Irgendwann war ich so erschöpft, dass mir die Augen zufielen. Das Aufwachen war ebenso unschön. Yamachi rüttelte mich wach und ich spürte sofort, was ihn besorgte: Kommandantin Unohana war ganz in der Nähe unseres Hauses. „Du musst weg“, flüsterte er und ich nickte. Ich wusste, was jetzt folgte. Wenn jemand in der Soul Society starb, löste sich sein Körper komplett auf, nur erfahrene Heiler konnten den Tod hinterher bestätigen, indem sie den Ort des Geschehens analysierten. Bei Adligen, wie meine Mutter eine war, kam die Kommandantin der vierten Einheit höchstpersönlich. Sie hatte scheinbar ihr Reiatsu erlöschen gespürt und hatte sich auf den Weg gemacht. Ich kletterte aus einem der Fenster und unterdrückte mein Reiatsu komplett. Ich wäre gern dabei gewesen, wollte Yamachi nicht allein dort lassen, doch mir blieb nichts übrig. Ich wusste, dass sie den Tod meiner Mutter bald bekannt geben würden. Wenn Adlige starben, wurde hinterher eine schwarze Flagge, darunter eine kleinere Flagge mit dem Familienemblem vor dem Haus der Familie gehisst. Es würde bald eine Trauerfeier geben, eine Zeremonie bei der man den Toten gedachte und den Namen des Verstorbenen in die großen Marmorplatten auf dem Friedhof meißelte. Ich hatte unsere Platte schon einige Male gesehen. Sie war riesig und der Name unseres Vaters war der letzte, der eingemeißelt worden war. Ich seufzte und blickte mich um. Ich konnte doch die Trauerfeier meiner eigenen Mutter nicht verpassen? Ich musste irgendwie dort hingehen. Vorsichtig schlich ich mich in die zehnte Kompanie und war überrascht, als ich die Kommandantengemächer noch genau so vorfand, wie ich sie verlassen hatte. Überall lagen noch Sachen von mir herum. Ich suchte in dem großen Kleiderschrank nach einem alten Regenmantel, der eine Kapuze hatte. Das wäre perfekt. Ich schlich mich durch das Hauptgebäude zurück und sah, dass auf Rangikus Schreibtisch noch immer die Glaskugel lag, die ich ihr gegeben hatte um im Bad damit Gespräche zu führen. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Plauderte sie etwa ab und an mit der Kugel? Ich verschwand in den Gängen von Seireitei, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, das Reiatsu verborgen. Ich wusste, dass ich auffällig wirken musste, doch es war mir lieber, sie hielten mich für einen Kleinkriminellen, als sie wüssten, wer ich tatsächlich war. Ich spazierte einige Zeit lang nur durch die Stadt und prägte mir jede Ecke und Kante ein, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Ein trauriges Lächeln und ein Ziehen in meinem Herzen spürte ich, als ich an der Kreuzung ankam, die zur Benimmschule führte. Es war der Ort, an dem ich Kisuke vor den Schlägern gerettet hatte. Ob er diesen Hut noch immer bei sich trug? Zu seiner Kommandantenzeit hatte er ihn meist nur in der Freizeit getragen, da es zu seinem Kommandantenhaori echt lächerlich ausgesehen hatte. Plötzlich erschallte ein Horn und ich blickte hinauf. In weiter Ferne erkannte ich eine schwarze Flagge und der Tod meiner Mutter rückte wieder in den Vordergrund meines Bewusstseins. Ich schluckte und machte mich langsam auf den Weg, ich wusste wo die Zeremonie stattfinden würde, sie waren stets am gleichen Ort. Während ich versuchte, nicht zu schnell zu laufen, strömten einige andere Shinigami aus den Gebäuden und machten sich auf den Weg. „Wollt ihr nicht auf euren Kommandanten warten?“, hörte ich eine Stimme den jungen Shinigami hinterherrufen, die sofort erstarrten und leicht besorgt zurückblickten. Ein Mann in einem Kommandantenhaori trat aus der Tür und ich erkannte das Zeichen der dritten Kompanie darauf. „Natürlich Kommandant Ichimaru“, stotterte einer der Shinigami und Gin kicherte leise vor sich hin. Ich hielt den Atem an, erst jetzt begriff ich, dass ich mich im Territorium der dritten Kompanie befand. Wut stieg in mir auf, als er lässig den Shinigami hinterher schlenderte. Wie konnte er so ganz ohne Kummer und Sorge durch Seireitei spazieren? Er grinste breit wie eh und je, als sei nie etwas geschehen. Ich musste tief durchatmen, um meine Wut zu beherrschen. Als Gin abgelenkt war, überholte ich die kleine Gruppe. Ich hätte auch Shunpo benutzen können, aber dabei hätte er mein Reiatsu gespürt, das wollte ich nicht riskieren. „Hey du“, Gins Stimme schien misstrauisch. „Du mit dem Kapuzenumhang“, rief er erneut. Ich blieb abrupt stehen und drehte mich herum. „Mh?“, machte ich und versuchte, meinen Zorn zu unterdrücken, „Warum so vermummt? Es ist doch ein wunderschöner Tag?“, meinte er und wies mit der Hand in den blauen Himmel. „Jemand ist gestorben. Daran ist nichts schön, Ginyanote Ichimaru“, ich spie seinen Namen fast aus, drehte mich herum und benutzte nun doch mein Shunpo. Es war nun egal. Ich musste verschwunden sein, ohne dass sie auch nur Ansatzweise gesehen hatten, wie ich davongelaufen war. Ich wusste, dass Gin mich erkannt hatte. In dem Moment in dem ich seinen Namen ausgesprochen hatte, waren seine Augen aufgezuckt und sein Grinsen hatte sich kurz zu einer Grimasse verzogen. Ob er es Aizen gleich petzen würde? Ich hoffte, dass er noch genug Herz besaß, mich bei der Trauerfeier meiner Mutter dabei sein zu lassen. Überrascht blieb ich stehen, als ich realisierte, dass ich den Platz erreicht hatte. Stühle waren aufgestellt, die ersten drei Reihen waren stets für den Adel reserviert. Ich sah die Familie Kuchiki und schlich mich dahinter. Byakuya saß direkt vor mir, neben ihm seine Frau, die mit geröteten Augen auf die Marmorplatte vor uns starrte. Ich holte tief Luft und konzentrierte mich darauf, einen winzigen Hauch meines Reiatsu frei zu lassen, gerade so lange und so stark, dass Byakuya es merken würde. Byakuya saß kerzengerade da und Hisana sah ihn verwundert an. „Byakuya-Sama...?“, doch er schüttelte nur den Kopf. „Ich dachte nur...“, murmelte er und lehnte sich wieder zurück. Die Zeremonie begann. Als erste spielte eine Harfenistin eines der Lieblingsstücke meiner Mutter, Yamachi musste das organisiert haben, er kannte sich mit solchen Dingen aus. Der erste der sprach, war der Generalkommandant. Er konnte nicht auf jeder Trauerfeier sprechen, aber gerade auf denen der vier großen Adelsfamilien war er stets anwesend. Er sprach von der Bereicherung, die sie für den Adel gewesen war, von ihrer Güte, aber auch von ihrer Stärke nach dem Tod meines Vaters und ihrem Durchhaltevermögen. Als nächstes ging Yamachi nach vorn, seine Augen waren rot und ich wusste, dass meine ähnlich aussehen mussten. Er erzählte eine Geschichte, aus unserer Kindheit, Dinge, die viele von unserer Mutter nicht gewusst hatten. Dass sie sehr wohl eine gute Kämpferin war, obwohl sie niemals die Akademie besucht hatte, dass sie uns viel beigebracht hatte und stets für uns da war. „Was ich damit sagen will, ist, dass sie nicht nur ein Familienoberhaupt einer Adelsfamilie war. Sondern eine liebende und wundervolle Mutter.“ Mir kamen abermals die Tränen und ich schluckte einen Kloß in meinem Hals herunter. Yamachi stand noch einen Moment lang vorn und starrte in die Menge, sein Mund öffnete sich, als wolle er noch etwas sagen, doch er schloss den Mund wieder und ging zurück zu seinem Platz in der ersten Reihe. Ich sah, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte und ich runzelte die Stirn. Yamachi tat das nur, wenn er sehr wütend war. Ich betrachtete ihn so lange, dass ich den nächsten Sprecher zunächst gar nicht bemerkte, bis er die Stimme erhob und ich entsetzt realisierte, dass Sosuke Aizen vor der Marmortafel unserer Familie stand und eine Rede zum Tribut meiner Mutter hielt. Für einen Moment war ich nicht in der Lage zu atmen. Ich krallte meine Hände in meinen Stuhl und spürte, wie ich die Kontrolle über mein Reiatsu verlor. „Auf einer Zeremonie wie dieser sollte alles friedlich zugehen, meinst du nicht, Hisana?“, fragte Byakuya seine Frau, die ihn verwirrt anblinzelte, doch ich wusste, dass seine Worte eigentlich an mich gerichtet waren. Ich atmete tief durch und brachte mich wieder unter Kontrolle, ich wandte den Blick von Aizen ab, nur um direkt in Gins Augen zu blicken, der in der gleichen Reihe saß wie ich, nur auf der anderen Seite des Ganges. Auf seinen Lippen war kein Grinsen und auch er hatte sich an seinem Stuhl festgeklammert. Sein Verhalten verwirrte mich so sehr, dass ich meine Wut für eine Sekunde vergaß. Er formte mit seinem Mund zwei Wörter: „Bleib ruhig.“ In seinem Blick lag eine Warnung, die mich frösteln ließ. Ich entspannte mich langsam und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ich beachtete nicht, was Aizen über das große Herz und die Güte meiner Mutter erzählte, zu ihren kürzlich erlittenen Schicksalsschlägen, die ihr offenbar sehr zugesetzt hatten. Ich wusste, dass er mich damit nur noch wütender machen wollte. Er wollte mich glauben lassen, dass meine Verbannung ihren Tod verursacht hatte, aber ich wusste, dass dies nicht stimmte. Ich wusste, dass ihr Leben schon seit Jahren an einem seidenen Faden gehangen hatte. Außerdem beruhigte mich der Gedanke, dass Gin mich nicht an Aizen verraten hatte. Es war, als hätte ich den Funken an Glauben in das Gute wiedergefunden. Nicht alles war schlecht auf dieser Welt, auch wenn ich soeben meine Mutter verloren hatte. Ich musste an etwas Gutes glauben, ansonsten würde ich all die Dinge, die meine Mutter sich in ihren letzten Momenten gewünscht hatte, nicht erfüllen können. Ich verschwand, bevor die Zeremonie vorbei war. Den Beginn des Einmeißelns beobachtete ich noch, dann schlüpfte ich vorsichtig durch die Reihen der Stühle, ohne dass Aizen sich auch nur ein einziges Mal nach mir umdrehte. Ich wusste nicht wohin ich gehen sollte, unser Haus würde heute voll von adligen Besuchern sein, die Yamachi ihr Beileid aussprachen, also schlich ich mich auf das Anwesen der Kuchikis. Ich kannte den Ort, an dem ein Ersatzschlüssel lag und verschaffte mir selbst Zugang zu der Villa. Ich machte es mir in einem Sessel im Wohnzimmer bequem und betrachtete die Fotos, die auf dem Kaminsims standen. Einige ältere Bilder von Ginrei Kuchiki standen dort noch herum, aber auch eines von Byakuya, Yamachi und mir, kurz bevor wir in die Akademie aufgenommen wurden. Daneben standen viele neue Fotos, die ich noch nicht kannte. Bilder von Hisana und Byakuya, Hand in Hand unter Kirschbäumen. An einem kleinen Teich, es gab sogar eins, auf dem sie sich küssten, was mich sehr wunderte, da Byakuya nie ein Fan von so etwas gewesen ist. Doch es brachte mich zum Lächeln, wenigstens einer von uns hatte sein Glück gefunden. Mir wurde warm ums Herz. Die Tür wurde langsam aufgeschoben und ich blickte in Hisanas große Augen. Sie blinzelte erschrocken, kam dann auf mich zugerannt. „Akari-Sama!“, rief sie und drückte mich an sich. „Es tut mir so leid“, fügte sie dann mit Trauermiene hinzu und ich dankte ihr. Byakuya kam ins Zimmer und warf mir einen Blick zu, Hisana stand nun neben ihm und er strich ihr sanft über ihr schwarzes Haar: „Machst du uns etwas Tee?“ Sie nickte und verschwand in der Küche. Ich berichtete Byakuya von den Dingen, die ich erlebt hatte, seitdem ich Seireitei verlassen hatte. Auch von den schwarzen Armreifen erzählte ich ihm. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute aus der Zentralkammer 46 so eine Strafe verhängen“, murmelte Byakuya nun nachdenklich und der Gedanke rotierte durch meinen Kopf. Das war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. „Meinst du... Aizen steckt dahinter?“, fragte ich und Byakuya reagierte nicht, was ich für eine Zustimmung hielt. Hisanas Tee war fabelhaft. Sie schaffte es, dem sonst geschmacklosen Gebräu einen ganz eigenen und intensiven Geschmack zu verleihen. Ich trank mehrere Tassen und verbrachte einige Stunden mit ihnen. Als die Sonne unterging, verabschiedete ich mich. „Komm uns bald mal wieder besuchen“, schlug Hisana vor und ich nickte. Byakuya warf mir einen ernsten Blick zu, der mir sagte, ich solle vorsichtig sein. Ich schlich mich durch Seireitei und fand mich, schneller als ich darüber nachdenken konnte, vor dem Haupthaus der zehnten Kompanie wieder. „Wenn ihr nicht gleich eure Hintern bewegt und eure Arbeit erledigt, bekommt ihr es mit Haineko zu tun!“, schrie eine Stimme so laut, dass ich zusammenzuckte und mich hinter der Ecke eines Ganges versteckte. Die Shinigami, die angeschrien worden waren, rannten genervt davon und ich erkannte, dass es Rangiku war, die schnaufend hinter ihnen gestanden hatte. Ich schlich mich lautlos hinter sie. „Schlimm die Jugend von heute“, murmelte ich und sie stimmte mir voll zu: „Das kannst du laut sagen!“ Es dauerte einen Moment, bis sie mich erschrocken anstarrte und einen Meter von mir wegsprang, ihr Schwert gezogen und auf mich gerichtet. „Da bin ich mal eine Weile weg und meine eigenen Freunde erkenne mich nicht mehr ...“, murmelte ich und zog die Kapuze von meinem Gesicht. Rangiku senkte ihr Schwert. „Akari.“ Dann drückte sie mich fest in die Arme. Ich folgte ihr in die Gemächer der Vizekommandantin und sie bot mit sogleich etwas zu Essen an. Ich merkte erst jetzt, wie hungrig ich war, bei Byakuya und Hisana hatte ich nur ein paar Kekse zum Tee gehabt. Zum dritten Mal wiederholte ich meine Geschichte und Rangiku erzählte ihre. Nun, eigentlich beklagte sie sich mehr über alles und jeden. „Oh Soifon ist eine richtige Spaßbremse, ich weiß gar nicht, warum Youruichi mit ihr befreundet war. Von den anderen neuen Kommandanten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen. Es bleibt ein Haufen Arbeit an mir kleben und es gibt niemanden mehr, der sich vor mich stellen kann. Weißt du... manchmal habe ich das Gefühl, Aizen drückt der zehnten Kompanie irgendwelche blöden Aufgaben auf, um uns aus dem Weg zu haben, wenn er wieder irgendetwas abzieht ...“ Eine Weile saßen wir so beieinander und starrten stumm vor uns hin, als es an der Tür klopfte. Noch ehe die Tür offen war, hatte ich mich hinter dem Schrank versteckt. „Hey Rangi... Oh du hast Besuch?“, ich erkannte Shins Stimme und realisierte, dass auf dem Tisch noch immer zwei Teller standen. Ich seufzte erleichtert auf und trat hinter dem Schrank hervor. Shin starrte mich einen Moment lang an, bevor er die Tür hastig hinter sich schloss und mich dann stürmisch in die Arme schloss. „Schön, dass du uns mal besuchen kommst“, stellte er fest. Erleichtert musste ich die Tränen unterdrücken. Shin hatte nie geglaubt, dass ich irgendwelche Verbrechen begangen hatte. Obwohl er die Wahrheit nicht kannte, glaubte er an mich. Daraufhin bestellte auch er mir sein Beileid und für einen Moment war es unangenehm still im Raum. „Shin“, begann ich und er blickte auf. „Ich bitte dich wirklich nur ungern darum“, seine Augenbrauen verzogen sich zu einer leicht säuerlichen Grimasse. „Du musst dich für meinen alten Posten bewerben“, er blickte eine Zeit lang zu Boden, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich möchte diesen Job nicht. Tut mir Leid.“ Ich seufzte, aber ich konnte ihn schlecht zwingen. Wir saßen noch eine Weile zusammen, bevor ich mich verabschiedete. Es war ein langer Tag gewesen und ich erreichte das Tor von Jidanbou im Licht der Laternen von Seireitei. Er ließ mich hinaus, drückte mir auf die Schulter und teilte mir mit, dass der Tod meiner Mutter ihm leid tat. Ich bedankte mich und wollte durch das Tor schreiten, als ich aus Jidanbous Augen eine Art Warnung las. Ich trat hinaus, das Tor schloss sich hinter mir und nach einigen Schritten realisierte ich, dass ich auf eine Person zuging. „Ich wusste, dass du dieses Tor benutzen würdest“, der weiße Kommandantenhaori mit dem Emblem der dritten Kompanie wehte im Wind der Nacht. Er schien etwas traurig zu sein, aber grinste. „Du hast Aizen nicht gesagt, dass ich hier war.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, doch Gin nickte langsam und kam einige Schritte auf mich zu. „Du solltest nicht hier herkommen.“ Er klang besorgt, doch mir war das egal. „Wieso?“, fauchte ich ihn an und er zuckte zurück, scheinbar ein wenig erschrocken über meine Wut. „Hier sind die Menschen, die ich liebe, warum sollte ich von hier wegbleiben? Hier KANN ich wenigstens herkommen...“, im letzten Teil des Satzes versagte mir die Stimme, ich starrte auf die schwarzen Armreifen und Gin senkte den Blick zu Boden, als schämte er sich dafür. „Du bist Aizen ein Dorn im Auge, Akari.“ Ich lachte verbittert. „Oh das ist mir ja noch gar nicht aufgefallen“, stöhnte ich sarkastisch und hatte das Gefühl, ich klang leicht wahnsinnig. „Du verstehst das nicht, der einzige Grund, warum du nicht die Todesstrafe...“, er stockte und sah mich erschrocken an, so als hätte er sich soeben verplappert. Er hatte mir mit seinen Worten soeben bestätigt, was Byakuya und ich vermutet hatten: Aizen hatte sich meine Strafe ausgedacht, nicht die Zentralkammer 46. „Als ob ich nicht wüsste, dass ihr dahintersteckt“, spie ich aus und hatte das Gefühl, dass Gin zusammenzuckte als ich ‚ihr’ sagte. „Und was ist nun der ominöse Grund, dass ich nicht tot bin?“, fragte ich aufgebracht und Gin legte seine Hände auf meine Schultern, ich spürte seinen Atem in meinem Gesicht. „Der einzige Grund, dass er dich am Leben gelassen hat, ist, dass ich ihn überzeugen konnte, dass du noch nützlich für uns sein könntest. Im Moment hat er noch Verwendung für dich, aber sobald er merkt, dass du mehr eine Belastung als von Nutzen bist, werden auch meine Bitten ihn nicht zurückhalten können.“ "Und warum hast du das getan?" "Weil du mir wichtig bist, Akari." Mein Zorn wurde nur noch stärker. Dass er die alten Gefühle, die uns einst verbanden vorschob, ließ mich rasen. „Soll ich dir jetzt noch dankbar sein oder was?“, er ließ meine Schultern los und in seinen Augen sah ich einen Hauch von Schmerz, so als hätte meine Worte ihn getroffen. Nach all den Jahren hatte er vor mir zugegeben, dass ich ihm noch immer etwas bedeutete, doch meine Reaktion war nicht die gewesen, die er sich gewünscht hatte. „Wenn ich dir wirklich am Herzen liegen würde, Gin, dann würdest du nicht für Aizen arbeiten!“ Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen, schritt davon, ohne mich noch ein einziges Mal umzudrehen. Ich ließ ihn zurück und ignorierte seinen Schmerz, ignorierte das Flehen in seinen Augen. Das Einzige, was sich in meinen Kopf eingenistet hatte, war der Gedanke daran, dass Aizen irgendwelche Pläne für mich hatte. Mein Gespräch mit Byakuya fiel mir wieder ein und ich warf einen Blick auf meine Armreifen. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Der Grund, aus dem Aizen mir die Fähigkeit nahm in die Welt der Lebenden zu reisen und mich doch nicht einsperrte, sondern frei herumlaufen ließ, war so simpel. Ich war ein Köder, der denjenigen anlocken sollte, hinter dem Aizen wirklich her war. Kisuke. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schwor, dass ich es niemals dazu kommen lassen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)