A Patchwork Christmas von Mondtaenzerin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Dezember 2112. Ganz versteckt lag die Holzhütte in den wäldlichen Ausläufern des Tumalo Mountain. Schneebedeckt war das kleine Häuschen, das einsam umringt von vielen Tannen einsam sein Dasein fristete. Stille lag in der Luft und nur das Licht, das ein Fenster der Hütte hell erscheinen ließ, deutete auf Leben hin. Im Inneren sah es ganz anders aus. Der Duft von heißer Schokolade erfüllte den Raum. Eine Frau, welche man aufgrund der grauen Strähnen in ihrem blonden Haar und den seichten Falten an Stirn und Mundwinkel für Anfang 50 halten mochte, betrat mit einem Tablett das Zimmer, auf welchem dampfender Kakao die Augen der beiden Jungs glänzen ließ. Das war etwas Besonderes. Etwas, das es nur wohl portioniert in jener Zeit des Jahres gab. Nur der Säugling, der auf dem Arm einer jungen Frau mit dunklen Locken, eingehüllt in einem kleinen Deckchen lag, drückte schlafend sein Desinteresse aus. William konnte sich nicht satt sehen an diesem kleinen Lebewesen, das ihre Tochter Norah – ein Schelm, wer hier denkt, es wäre sich bei der Namenswahl an dem besten Freund des Schriftstellers orientiert worden! - erst vor wenigen Monaten auf die Welt gebracht hatte. Wieder ein Kind, dem sie all ihre Liebe geben konnten. Ein Mädchen, das seine Großeltern, Eltern, die Tante und den beiden Cousins auf der Nase herumtanzten würde, so wie Judith und Norah es bei ihm und Hannah getan hatten. Und Jake. Obgleich sein Sohn schon viele Jahre nicht mehr unter ihnen weilte, brachte William ein Lächeln zustande. Weil Jake der letzte gewesen wäre, der seiner Familie das Weihnachtsfest vermiesen wollte. Und irgendwie lebte er in Judith weiter. Will betrachtete seine Älteste und obwohl es bei Zwillingen einen nicht verwundern sollte, stellte er immer wieder fest, wie ähnlich – zumindest optisch – sie sich gewesen waren. So hatte er zumindest eine Ahnung, wie der Junge jetzt, mit 39 Jahren, aussehen würde. „Danke, Liebes.“ Er nahm sich eine dampfende Tasse von dem Tablett, hielt sie wärmend einige Zeit in seinen Händen. Hannah schenkte ihm ihr bezauberndes Lächeln, ehe sie zum Schluss auch Jude ansteuerte. „Habt ihr keinen Glühwein? Oder Eierpunsch?. Ein Schnaps tut's auch. Ich muss das hier ja noch ein paar Tage ertragen.“ William konnte sich einen Konter nicht verkneifen, nachdem er Hannahs Hand noch einmal gedrückte hatte, bevor sie in die winzige Küche verschwand: „Und trotzdem bist du hier, du alter Weihnachtsmuffel.“ „Die Jungs haben sich das so sehr gewünscht.“ Gegen den Türrahmen gelehnt, zog Jude eine Zigarette hervor, im Inbegriff, sich diese anzuzünden, als die Blicke der beiden Söhne voller Tadel auf ihr ruhten. „Mum!“, gab der zehnjährige Samuel entrüstet von sich und kaum geschehen, steckte Judith die Zigarette auch wieder weg. „Gut, dass ihr eure Mutter so unter Kontrolle habt“, kam es von Norah und die zwei grinsten über beide Ohren, was Jude nur mit einem „Hmpf!“ quittierte. Niemals hätte Will erwartet, dreifacher Großvater zu werden. Nicht nach all dem, was sie durchgemacht hatten. Und auch, wenn es vielleicht ein wenig gemein klang: er war froh, dass die Jungs eher nach ihrem Vater kamen. Oder Vätern. Zumindest Jack, mit 14 Jahren der Ältere, sah einem gewissen Rhodes-Sprössling unheimlich ähnlich. Doch das stritt Jude vehement ab. „Eure Mutter war schon immer etwas Besonderes. Habe ich schon die Geschichte von dem Anruf ihrer Erzieherin bei mir erzählt?“ „Oh Dad!“ Jude stöhnte genervt auf. „Die Story kennt doch mittlerweile jeder.“ „Ich nicht!“, antworteten die beiden Jungs im Chor, Norah schüttelte den Kopf und auch Hannah lugte durch den Türrahmen, ehe sie mit sanfter Stimme sagte: „Ich würde die Geschichte sehr gerne hören.“ Selbst Baby Anna gab noch ihren Senf dazu, indem sie zufrieden im Schlaf schmatzte. „Die Welt hat sich gegen mich verschworen“, seufzte Jude und fuhr sich durch das dunkle Haar, bevor sie sich zwischen ihre Söhne setzte. William hingegen machte es sich derzeit in dem abgenutzten Sessel gemütlich, nahm noch einen Schluck von dem heißen Kakao, bevor er sich räusperte und zu erzählen begann: Es war der 12. … Nein, der 13. Dezember 2077. Es herrschte absolute Ruhe in dem Haus, das wir damals gemietet hatten. Nur das rhythmische Tippen auf der Tastatur drang an meine Ohren. Und es beruhigte mich, denn es machte mir deutlich, dass ich gerade einen guten Lauf hatte. Ich musste ausnutzen, dass die Zwillinge gerade in der Nursery School waren und... „Nursery School?“, hakte Sam nach und runzelte die Stirn. „Was ist das?“ „Das war früher ein Ort, wo Kinder betreut wurden, bevor sie in die Schule kamen.“ Hannah hatte sich auf die Lehne des Sessels gesetzt und die Kinder blickten sie an. „Achso, wenn sie keine Eltern hatten?“ Wieder Samuel, dessen Neugier schon den ein oder anderen Erwachsenen in den Wahnsinn getrieben hatte. „Nein, du Idiot!“, mischte sich Jack ein, wofür er sich einen strafenden Blick seiner Mutter einfing. „Ich meine, ist doch klar: da gingen die Kinder hin, wenn die Eltern keine Zeit hatten. Wenn sie arbeiten waren oder so.“ „Genau“, merkte William an und fuhr dann fort: Sie waren also gerade in dieser Betreuungseinrichtung und ich konnte mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Damals habe ich noch Bücher geschrieben. Romane, um genau zu sein... „Nicht gerade erfolgreich.“ Jude grinste, sehr zufrieden darüber, nun zurückschlagen zu können. Gelächter brach aus, nur William verzog das Gesicht zu einer beleidigten Grimasse. „Teil 1 der Kristallregen-Chronik war auf Platz 27 der Bestsellerliste...“ „... Und kurz darauf ging die Welt den Bach runter. Vielleicht wollte uns eine höhere Macht so vor etwas Schlimmeren bewahren?“ „Also, ich mochte das Buch“, mischte sich Hannah leise ein, woraufhin Jude – auch wenn sie die Frau ihres Vaters nach über 20 Jahren akzeptierte - die Augen verdrehte. Will atmete tief durch. Und entschied sich dafür, einfach weiter zu sprechen. Glücklicherweise zog seine Stimme direkt die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich: Ich arbeitete das Finale eines Buches aus, an dem ich schon echt lange geschrieben hatte, als schließlich das Telefon klingelte. Ich ignorierte es – schließlich war ich beschäftigt und wollte meinen Schreibfluss nicht unterbrechen. Aber das Telefon zeigte kein Erbarmen mit mir und klingelte unverdrossen weiter. Irgendwann stand ich dann auf, schaltete es grummelnd auf stumm. Ich nutzte die Unterbrechung, um mir einen Kaffee zu machen... „Bäh, Kaffee!“ Sam streckte angeekelt die Zunge heraus, woraufhin er einen Hieb mit dem Ellbogen von seinem Bruder kassierte. ... Nur um wieder von einem penetranten Klingeln gestört zu werden, kaum dass ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt hatte. Diesmal kam es von meinem Smartphone – ihr wisst schon, diese kleinen, handlichen Telefone, mit denen man auch Nachrichten schreiben konnte - und ein Blick auf das Display verriet mir, dass ich das Gespräch dringend annehmen sollte. „Ja?“, meldete ich mich vorsichtig. „Mr. Parker? Mrs Jones hier, die Erzieherin Ihrer Kinder. Ihre Frau ist nicht erreichbar. Das scheint wohl ein allgemeines Problem in Ihrer Familie zu sein...“ Ich verkniff mir ein „Entschuldigen Sie, dass wir berufstätig sind.“ „Es geht um Ihre Tochter Judith. Kommen Sie bitte möglichst schnell in unsere Einrichtung!“ „Worum geht es denn überhaupt, wenn ich fragen darf?“ „Das möchte ich mit Ihnen bitte vor Ort besprechen. Bis gleich, Mr. Parker!“ Gelächter brach aus, als William die Stimme der Frau nachäffte und selbst Jude ließ sich zu einem Schmunzeln hinreißen. Sie legte einfach auf. Ich konnte nichts mehr sagen, diese Frau legte einfach auf! Ich hatte sozusagen keine andere Wahl. Und zugegeben – die Gute klang ziemlich besorgt. Deshalb wurde ich es auch, je länger ich darüber nachdachte, was mein Töchterchen angestellt haben könnte. So war ich wenige Minuten später, dick eingepackt in meiner Jacke, samt Mütze und Schal, längst unterwegs zu Jude und Mrs Jones, malte mir schon aus, wie ich das Verhalten rechtfertigen konnte, ohne überhaupt zu wissen, was geschehen war. „Da sind Sie ja endlich!“, fing mich Mrs Jones, eine junge – für mich bisher unscheinbare – Frau direkt am Eingang ab. Doch an jenem Tag starrte sie mich mit tiefschwarzen Augen an, welche den gesamten Hass der Welt in sich tragen mussten. Kalt und unbarmherzig schienen sie gleich einem Mantra „Rabenvater. Rabenvater. Rabenvater“ mir entgegen zu speien, ohne von der schrillen Stimme begleitet werden zu müssen. Und plötzlich fühlte ich mich klein. Unbedeutend. Es fehlte nur noch, dass ich mich auf die Knie begab und sie ihren Absatz in meine Wirbelsäule drückte. Um Himmels Willen, was war nur passiert, dass mir so viel Verachtung entgegen gebracht wurde? „Guten Tag, Mrs Jo...“ „Folgen Sie mir.“ Mit diesen Worten schritt sie voraus und so wurde ich zum Folgen gezwungen. Als wir durch den weihnachtlich geschmückten Korridor und die große Halle mit dem Bällebad gingen, hielten hin und wieder einige Kinder in ihrem Spiel inne, wohl wissend, wessen Vater ich war und was geschehen war. Da waren sie immerhin weiter als ich. Und im Unterschied zu Erwachsenen versuchten sie nicht, ihre Tuscheleien zu verbergen. In einem Augenblick der Besinnung straffte ich meine Schultern. Es reichte, wenn ich mich wie ein Versager fühlte – ich musste nicht noch wie einer aussehen. Mrs Jones schlug die Tür zum Büro auf, der Gang dorthin schien ihre Wut noch weiter entfacht zu haben. Wobei ich nicht genau wusste, wem ihr Ärger mehr galt: mir oder dem vierjährigen Mädchen, das mit verschränkten Armen auf dem Bürostuhl saß und dessen Füße nicht einmal ansatzweise den Boden berührten. „Setzen Sie sich.“ Ich gehorchte, sah zu meiner Tochter – eurer Mutter – und versuchte irgendwie anhand ihrer Mimik zu erfahren, was denn nun geschehen war. Hatte sie ein Kind beschimpft? Verletzt? Schlimmeres? Meine Fantasie lief zur Höchstform auf, fuhr regelrecht Achterbahn. Und endlich schien Mrs Jones mich nicht mehr auf die Folter spannen zu wollen: „Ihre Tochter...“ Sie stemmte eine Hand auf den Ikea-Schreibtisch, angespannt schienen sich ihre Fingernägel in dem Holz zu vergraben, sodass sie schmale Spuren hinterließen. Ich hielt den Atem an. Zum Glück war ich vorher noch auf Toilette gewesen. Ich bin jetzt einundsechzig Jahre alt und es gab eine Zeit, in der wir Erwachsenen schreckliche Dinge erlebt haben. Aber merkt euch, Jungs: kein Vebrecher, kein Untoter war jemals angsteinflößender als diese Frau. Und eben jene Frau sog scharf die Luft ein, bevor sie mir folgende Worte entgegen schleuderte: „Ihre Tochter hat den anderen Kindern erzählt, dass der Weihnachtsmann nicht existiert!“ „Du Monster!“ - Jack. „Oh Gott!“ - Hannah. „Wundert mich nicht.“ Norah. „Wäääh.“ - Baby Anna. Norah wiegte das Mädchen hin und her, ehe ihr gewahr wurde, dass nur eines half und sie die kleine an ihre Großmutter überreichte. Schlagartig verstummte das Gequängel und William drückte kurz einen der kleinen, in dicken Socken verpackten Füße, bevor er seine Tasse leerte und neben sich auf den alten, selbstgezimmerten Beistelltisch abstellte. „Mum, im Ernst? Mit vier? Selbst wir haben länger dran geglaubt. Zumindest Sam.“ „Stimmt nicht!“ „Aber sowas von, du Baby.“ Jack grinste überlegen seinen kleinen Bruder an. Doch seine Miene gefror, als Judith ihm den Wind aus den Segeln nahm: „Genau genommen ist Samuel wesentlich eher dahinter gekommen, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Du hast in seinem Alter noch einen Wunschzettel geschrieben...“ Triumphierend schlug Sam eine Faust in die Luft, während Jack sich angesäuert abwandte. „Soll ich weitererzählen?“ Sobald die Stimme seines Großvaters ertönte und damit alle zur Raison rief, entspannte sich seine Haltung und er lauschte wieder den Worten des alten Mannes: „Und?“, war in dem Moment das einzige, das mir einfiel. Deswegen der ganze Aufstand? Ernsthaft? Ich starrte Mrs Jones ungläubig an, blickte dann zu meinem Kind, das immer noch stur schwieg. „Und? Die Hälfte der Kinder hat angefangen zu weinen, eine Hand voll konnte ich gar nicht mehr beruhigen, darunter auch Ihr Sohn! Und anstatt sich zu entschuldigen oder zumindest den Mund zu halten, lachte Judy...“ „Judith.“ Das erste Wort, das aus dem Mund des Mädchens mit dem dunklen Haar kam. „... Lachte Judith die anderen aus.“ „Sie waren eben schwach“, winkte die Neununddreißigjährige ab, begleitet von einer läppischen Handbewegung. „Vor allem waren es aber kleine Kinder.“ Vorwurfsvoll sah Sam zu seiner Mutter. „Jaja...“ Den Blick warf ich eurer Mutter damals auch zu. Diese war sich jedoch keiner Schuld bewusst. „Und was soll ich nun Ihrer Meinung nach tun?“ Ihre Hand schnellte auf den Tisch nieder. Ich zuckte zusammen. „Konsequenzen, Mr. Parker! Konsequenzen!! Judith muss für ihr Verhalten Konsequenzen erfahren!“ „Ich verstehe...“ „Nein, das tun Sie nicht. Und deshalb habe ich mir etwas überlegt: ich möchte sehen, dass Judith das wieder in Ordnung bringt. Sich zumindest Mühe gibt. Ansonsten wird sie von der Weihnachtsfeier hier ausgeschlossen.“ Das hatte gesessen. Judith sah mich mit einem Blick an, der einfach nur schrie „Tu was, Daddy!“. Selbst eine hartgesottene, mit allen Wassern gewaschene Vierjährige ließ das nicht kalt. „In Ordnung“, sagte ich, eingeschüchtert von der geballten Dominanz dieser kleinen, zierlichen Frau, bevor ich gemeinsam mit Jude das Büro verließ. Wir holten noch den verheulten Jake ab – ich hatte keine Lust, später noch einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen. Zum Glück konnte ich draußen die glühenden Ohren mit meiner Mütze bedecken. „Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte ich auf dem Rückweg, gleichzeitig darum bemüht, Jake bei Laune zu halten und immer wieder zu versichern, dass Jude da etwas falsch verstanden hatte, damit dieser nicht wieder in Tränen ausbrach. „Und was hattest du nochmal geantwortet?“ Judith grinste auf die Frage ihres Vaters, schlug ihre Beine übereinander. „Sie haben die Wahrheit verdient.“ Zudem machte ich mir natürlich Gedanken, wie ich eure Mutter dabei unterstützen konnte, ihren Fehler wieder gut zu machen. Ich zermarterte mir regelrecht das Hirn, mit einer einfachen Entschuldigung war es nicht getan. Und die Zeit lief uns davon. Drei Tage später hatte ich immerhin schon eine Liste angefertigt, auf welcher zwei Dinge standen: - Plätzchen backen für die Feier Keine Ahnung Caroll war auch keine große Hilfe. Es war ihr nicht zu verübeln, schließlich bereitete sie sich auf ihre Promotion vor. So langsam drifteten meine Gedanken dann eher dahingehend, wie ich Judith beibringen sollte, dass das nichts mit der Weihnachtsfeier werden würde. Einerseits dachte ich mir, dass sie doch selbst Schuld sei, andererseits war da der Vater in mir, der empfand, dass das eine ziemlich harte Strafe für ein Kind war. Denn das war sie, ein Mädchen, dass vielleicht manchmal etwas zu vorschnell war. Und ein bisschen frech. Aber nicht böswillig. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, etwas zu tun. Und es zerbrach mir das Herz, als ich sie einen Tag vor der Feier zu mir rief. „Ich... ich wusste nicht, dass dir das so nahe ging.“ Judith senkte kurz den Blick Ein Lächeln schlich sie auf Williams Gesicht. „Was für ein Vater wäre ich, wenn es mich nicht berührt hätte?“ Hannah pflichtete nickend bei. Da nun alle wie gebannt an seinen Lippen hingen, nahm Will dies zum Anlass, fortzufahren: Ich bat sie, sich zu setzen. Und obwohl ich mir die Worte tausendmal im Kopf zurecht gelegt hatte, wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte. So druckste ich herum, bis sie mir eine Hand auf das Bein legte und sagte: „Ist okay, Daddy. Ich bin ja Schuld.“ Trotzdem sammelten sich Tränen in ihren blauen Augen und sie zeigte die Seite an sich, die so selten zum Vorschein kam: die eines vierjährigen Mädchens. Die Seite eines Kindes. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich, vergab mir innerlich den Titel „Worst Dad in the World“ und litt mit dem kleinen Menschen in meinen Armen. „Nächstes Jahr läuft es besser...“, setzte ich an, als mir aus den Augenwinkeln etwas auffiel. Ich wandte meinen Kopf in Richtung des Notebooks, auf welchem ich in einem verzweifelten Anflug nach Rezepten für Keksen gesucht hatte: Das Pop-Up blinkte aufdringlich immer wieder auf. Ein dicker Mann in einem roten, billigen Kostüm und mit einem schiefsitzenden Rauschebart grinste mich an, während über ihm, verziert mit verpixelten Lichterketten, folgende Worte prangten: „Rent me. Only 50 $ per hour!“ Jude runzelte die Stirn, verstand noch nicht so ganz, denn, so pfiffig wie sie auch war – lesen konnte sie noch nicht. Sofort machte ich mich an die Arbeit und suchte im Telefonbuch meines Smartphones besagte Nummer. Es klingelte mehrfach und ich bekam es mit der Panik zu tun, dass ich mich hinsichtlich seines Diensturlaubes doch vertan hatte. Dann – endlich! - meldete er sich. Ohne Umschweife kam ich zur Sache: „Du musst mir helfen.“ Ich erklärte ihm die ganze Geschichte. Anschließend herrschte Stille in der Leitung, sodass ich irgendwann nachfragte, ob er noch dran sei. „Alter, ich habe Urlaub. Warum machst du's nicht selbst? Oder mietest jemanden?“ „Wir haben derzeit nicht so viel Kohle und...“ Ich sah mich um, um mich zu vergewissern, dass Jake nicht in Hörweite war. Trotzdem legte ich eine Hand um den Lautsprecher und senkte meine Stimme: „Wenn ich auf der Feier fehle, kann Jake doch eins und eins zusammenzählen!“ „Oh man... Nee, im ernst. Ich hab' darauf eigentlich nicht so wirklich Lust...“ „Bitte, Noah. Tu es für deine Patenkinder. Für Jude.“ „Es war die beste Weihnachtsfeier, die ich in meiner Kindheit erlebt habe.“ Jude schwelgte für einen Augenblick ganz und gar in Erinnerungen. „Und es war so cool, dass nur ICH wusste, wer in dem Kostüm steckte.“ Dann wurde ihre Stimme mit einem Mal ganz leise. „Ich glaube, ich habe es viel zu selten gesagt, wenn überhaupt, aber... Danke. Danke für alles, Dad.“ Es war so leise in der Hütte, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, erhob sich der Älteste, ein Ächzen unterdrückend, in der Runde. Jude stand ebenfalls vom Sofa auf und ehe sie sich versah, lag sie in den Armen ihres Vaters. Hannah seufzte verträumt und selbst Norah, die über das Verhalten ihrer Schwester regelmäßig entsetzt war, lächelte. Irgendwann war jedoch auch der sentimentale Moment einer Judith Parker vorbei, sodass sie sich aus der Umarmung schälte und die Packung Zigaretten aus ihrer Tasche klaubte. „Ich geh' eine rauchen.“ Und weg war sie. „Wer hilft mir denn beim Essen?“ „Ich!“ Sam sprang auf, stürmte sofort an seiner Stiefgroßmutter vorbei, während Jack noch zögerte. „Wer nicht hilft, muss später abwaschen“, neckte Will seinen Enkel, woraufhin auch dieser sich stöhnend erhob und das kleinere Übel wählte. Nur Norah, welche gerade die Tassen einsammelte, hielt einen Augenblick inne, nachdem die Jungs den Raum verlassen hatten. „Sie ändert sich wohl nie.“ „Das hat sie schon... Oh ja, das hat sie schon...“, antwortete Hannah sanft und begleitete Norah in die Küche, nachdem sie ihrem Mann einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte. „Kommst du auch?“ „Gleich“, antwortete er, sah zur Tür, durch die seine Tochter vor wenigen Augenblicken gegangen war. Glück ist Liebe, nichts anderes. 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