Die Weltenwandlerin von Memories_of_the_Moon ================================================================================ Kapitel 15: Unterwegs --------------------- Aufrecht wie eine Kerze sitze ich auf dem Pferd, darauf bedacht, Thranduil nicht mehr als nötig zu berühren. Entspannt bin ich kein bisschen und nach einer Weile beginnen vor allem mein Nacken und die Schultern vor Anspannung zu schmerzen. Ich hasse das; ich hasse es, so zu sein, so zu fühlen. Ich will anders sein, entspannter, lockerer, doch ich kann mich nicht dazu zwingen. Immerhin gibt es einen Grund, warum ich so bin – oder sollte ich lieber sagen, es gibt mehrere Gründe? Ich wünschte es wäre anders. Wirklich. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich leider überhaupt nicht genießen kann, schlägt Thranduil vor: „Lass uns hier eine kurze Pause machen.“ Ich schätze, ihm ist nicht entgangen wie es mir ergeht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er diese Rast meinetwegen einlegt. Als ich zustimmend nicke, lässt Thranduil Dúath anhalten und springt elegant herunter. Er streckt seine Hände nach mir aus, will mir seine Hilfe anbieten. Ich überlege kurz, ob ich es riskieren soll, alleine abzusteigen und mit ziemlicher Sicherheit vor dem Waldreichkönig auf die Nase zu fallen – was tut man nicht alles, um Berührungen zu vermeiden. Doch ich entscheide mich bewusst dagegen, gegen meine Zweifel und Ängste; ein kleiner Schritt von vielen, die mich hoffentlich irgendwann an mein Ziel führen. Thranduil hebt mich mit einer Leichtigkeit herunter als wäre ich eine Feder. Schon im nächsten Moment sind seine Hände wieder verschwunden und hinterlassen ein merkwürdiges Gefühl der Leere. Ich seufze leise und versuche, meine verspannten Muskeln zumindest ein kleines bisschen zu locker. Besonders erfolgreich bin ich dabei nicht. Thranduil sieht mich so an, als wolle er mir seine Hilfe anbieten, sagt aber kein Wort. Ich weiß genau was das heißt: Es ist an mir, diesen Schritt zu machen. „Untersteh‘ dich!“, schreit eine der Stimmen in meinem Kopf. „Davon lasse ich mich nicht mehr aufhalten“, setze ich ihr in Gedanken entgegen und meine dann zu Thranduil: „Könntest du…?“ Ein bisschen Erröten gehört für mich natürlich dazu. „Würdest du mir helfen…? Bitte!?“ Thranduil nickt, kommt zu mir und, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, legt seine Hände auf meine Schultern. Obwohl Stoff seine Haut von meiner trennt, muss ich mich anstrengen, um ruhig zu bleiben und nicht zusammenzuzucken. Thranduil macht sich kommentarlos daran, meine Verspannungen zu lösen – wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich atme tief durch und schließe die Augen, um mich ganz auf die Berührungen konzentrieren zu können. Eine fabelhafte Idee, wie sich herausstellt, denn bald bin ich so entspannt wie schon lange nicht mehr. „Du machst das gut, Ithil“, merkt der Elb nach einigen Minuten an. Ich erröte. „Danke. Du machst das aber auch ziemlich gut…“ Thranduil lacht, eines meiner Lieblingsgeräusche. „Für dich jederzeit. Wann immer du willst.“ Als wir nach der kurzen Pause wieder aufs Pferd steigen, bemerke ich eine wesentliche Veränderung, ja Verbesserung: Statt den Kontakt zu Thranduil wie vorhin zu meiden, ja gar zu fürchten, genieße ich ihn nun. Probeweise lehne ich mich etwas zurück, in Erwägung ziehend, dass es nicht nur mir, sondern auch meinem Begleiter unangenehm sein könnte. Doch dieser flüstert nur: „Ich hab‘ dich, Ithil. Alles ist gut; ich hab‘ dich.“ Mich überkommt ein warmes Gefühl von Geborgenheit, von Sicherheit. Ich lehne mich ganz an Thranduil, fühle seinen Herzschlag an meinem Rücken. Wieder schließe ich die Augen, um nur zu spüren. Es fühlt sich gut an, fast wunderbar. Und erstaunlicherweise schweigen die Stimmen in meinem Kopf. Ein Augenblick für die Ewigkeit. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir schon unterwegs sind, doch überraschender Weise macht es mir nicht wirklich etwas aus. An Thranduil gekuschelt, mich zwischen seinen Armen und an seiner Brust so zuhause fühlend, hat die Zeit ganz eindeutig an Wirklichkeit verloren. Ich kann aber nicht umhin, eine weitere Veränderung zu bemerken, die meines Erachtens weder von Thranduil noch von mir ausgeht: Es ist als würde sich die Energie rund um uns ändern. Klingt verrückt, aber so fühlt es sich an. Als würde die Luft auf einmal schwirren, als kämen wir in die Nähe einer großen Macht. „Du fühlst es, Ithil, nicht wahr?“, raunt mein Begleiter hinter mir, lässt Dúath anhalten und springt herunter. Ich nicke. „Ja, da draußen ist etwas… etwas Mächtiges…“ „Was sagt dir dein Gefühl noch? Sollen wir umkehren?“ Ich horche in den Wald hinaus und dann in mich hinein. „Nein, ich…“ Ich schüttele den Kopf. „… ich glaube nicht, dass es bedrohlich ist… es fühlt sich zwar groß an und voller Energie, aber auch hell und friedlich… Ich glaube nicht, dass es uns schaden will…“ „Erstaunlich…“, kommt es von Thranduil, der mich mit entsprechender Miene anblickt. „Das alles fühlst du?“ Ich bin etwas verwirrt. „Ja, du doch auch, oder?“ Der Elb verneint. „Ich habe diese Gabe nicht. Abgesehen davon, dass ich diesen Ort hier kenne, sagt mir mein Instinkt zwar, dass da etwas ist, aber mehr nicht…“ „Dann bilde ich es mir wahrscheinlich nur ein“, schlussfolgere ich und senke beschämt meinen Kopf. „Nein. Nein!“, entgegnet Thranduil vehement und legt seine Hand auf meine. „Dein Gefühl ist absolut korrekt, Ithil. Ich war schon einmal an diesem Ort und er ist genau so wie du sagst. Du wusstest es, Ithil, du wusstest es noch bevor du ihn gesehen hast. Weißt du eigentlich, wie außergewöhnlich das ist?“ Ich mag dieses Wort nicht besonders: „außergewöhnlich“. Es ist für mich ein weiterer Ausdruck dessen, wie sehr ich mich anders fühle; ein Wort, das Einsamkeit und Ausgeschlossen-Sein beinhaltet. Doch an Thranduils Miene kann ich erkennen, dass er es ganz und gar nicht so meint: Seine Augen leuchten, er scheint sich so zu freuen. Ein Anblick, der mich zum Lächeln bringt. „Danke.“ Wie er mit so ehrlicher Begeisterung zu mir heraufsieht, wird mir ganz warm. Ich lasse mir von ihm vom Pferd herunterhelfen. „Komm, ich will dir etwas zeigen.“ Thranduil streckt seine Hand nach meiner aus. Ich ergreife sie. Es fühlt sich ungewohnt an, aber auf eine gute Art und Weise. So gut, dass es mir nicht einmal in den Sinn kommt zu fragen, ob wir das Pferd nicht lieber anbinden sollten, damit es nicht wegläuft. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass ich mich so sorgenfrei gefühlt habe. Aber eines ist klar: Ich will hier nie wieder weg. Hand in Hand setzen Thranduil und ich den Weg fort. An der zunehmend energiegeladeneren Luft merke ich, dass es nicht mehr weit sein kann. Und tatsächlich: Vor einem ziemlich dichten Gebüsch hält mein Begleiter kurz an. „Wir sind da. Bereit?“ Er sieht mich mit unentschlüsselbarer Miene an. Ich nicke. So bereit war ich schon lange nicht mehr. Thranduil lächelt mir aufmunternd zu und wir zwängen uns durch das dichte Blattwerk. Auf der anderen Seite angekommen bestätigen Thranduils Worte das, was ich fühle: „Willkommen, Ithil, im Herzen des Waldes.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)