The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 68: Panikattacke ------------------------ Simon war vollkommen sprachlos und hatte nicht mit solch einer überraschenden Entwicklung gerechnet. Daniel war sein Pflegebruder? Überrascht sah er Daniel an, der selbst vollkommen überrumpelt war und es kaum glauben konnte. Es dauerte eine Weile, bis der erste Schock überwunden war und zumindest einer von ihnen ein Wort hervorbringen konnte. „Du bist Roses Sohn?“ fragte der Rotschopf und schien es immer noch kaum glauben zu können. „Dann warst du es also, mit dem sie gesprochen hat, als sie geweint hat?“ „Anscheinend“, antwortete Simon mit einem etwas unsicheren Achselzucken, denn so wirklich sicher war er sich da noch nicht. Es schien einfach zu unglaublich um wahr zu sein. Daniels Augen wurden groß und er wandte sich an seine Mutter. „Ey ich glaub’s ja nicht. Das muss ich Rose unbedingt erzählen gehen! Oder noch besser: wir gehen gleich zu ihr. Die wird total aus dem Häuschen sein, wenn sie ihn sieht.“ Doch Darya Cohan war da wesentlich zurückhaltender und schaute stattdessen zu Simon und erkannte sofort, dass er nicht ganz einverstanden damit war. Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. Als Simon ihre Arme und die breiten Schulter sah, fragte er sich, wie viel Kraft wohl in dieser Frau stecken mochte. Er hatte ja bereits gehört gehabt, dass die Cohans allesamt groß und stark waren, aber bei ihr würde es ihn nicht einmal verwundern, wenn sie es sogar schaffen würde, mit bloßen Händen ein Auto umzukippen. Und garantiert brauchte es nur einen Schlag, um jemandem den Kiefer zu brechen. Mit ihr sollte man sich wohl besser nicht anlegen. Zumindest schien sie vom Wesen her mehr gefestigt zu sein als Leron und Michael. „Ich denke, es liegt bei Simon zu entscheiden, ob er seine Mutter treffen will oder nicht“, erklärte sie ihrem Sohn und nickte seinem Begleiter kurz zu als wüsste sie genau, was ihm gerade durch den Kopf ging. „Ich weiß, du meinst es gut. Aber das ist ein ganz sensibles Thema und beide müssen bereit sein, einander kennen zu lernen.“ „Du willst sie nicht kennen lernen?!“ platzte es sofort aus Daniel heraus und wandte den Blick wieder zu Simon, in seinen Augen lag Verständnislosigkeit und Verwirrung. „Aber wieso bist du dann hier und warum hast du sie dann angerufen?“ „Daniel!“ rief seine Mutter warnend, doch Simon schüttelte den Kopf und erklärte „Ich will sie kennen lernen. Aber nicht alleine! Cypher hat mit ihr bereits ein Treffen vereinbart und ich will ihn nicht übergehen. Als Brüder sollten wir sie gemeinsam kennen lernen. So zumindest sehe ich das. Klar bin ich nach Annatown gekommen um sie kennen zu lernen, aber… ich kann das nicht alleine. Nicht ohne Cypher.“ Stille kehrte ein und Daniel beruhigte sich langsam wieder als er bemerkte, dass seinen Begleiter etwas bedrückte. Mit einem etwas niedergeschlagenen Seufzer senkte Simon den Blick und spürte wieder, wie ihn diese lähmende Traurigkeit wieder überkam, von der er gehofft hatte, er hätte sie längst überwunden. Aber anscheinend war sie immer noch da. Sie hatte sich nur irgendwo tief in seinem Unterbewusstsein versteckt. Mit einem mitfühlenden Blick legte Daniel ihm eine Hand auf die Schulter und fragte besorgt „Wieso hast du Angst?“ Gute Frage, dachte sich Simon und zuckte mit den Achseln. So wirklich verstand er sich selbst ja auch nicht. Im Grunde genommen brauchte er doch keine Angst zu haben. Immerhin wusste er doch seit dem Telefonat, dass seine Mutter ihn unbedingt kennen lernen wollte und sie sich um ihn sorgte, auch wenn sie bisher nur ein einziges Mal miteinander telefoniert hatten. Aber da war etwas anderes. Eine leise Stimme tief in seinem Unterbewusstsein, die ihn davon zu überzeugen versuchte, dass er nur enttäuscht werden würde, wenn er sie treffen würde. Und das Schlimmste daran war, dass er diese Stimme nicht abstellen konnte. Es war die Stimme seiner eigenen negativen Gedanken. „Ich weiß auch nicht…“, gab er zurück. „Es ist nur… Ich wollte mein ganzes Leben lang immer eine Familie und ich habe Dinge getan, auf die ich halt nicht stolz bin. All die Jahre hat mir niemand eine Chance gegeben, weil ich ein verdammter Freak war und meine einzige Chance an Geld zu kommen war, mich zu prostituieren. Mein Leben ist eine einzige Katastrophe und ich habe wirklich nichts, worauf ich stolz sein kann. Alles, was ich jetzt tue ist, auf Kosten meines Freundes zu leben, der mich vom Straßenstrich weggeholt hat. Ich habe nichts, worauf ich stolz sein kann. Wie kann meine Mutter, die mich kennen lernen will, noch in meiner Nähe sein wollen, wenn sie die Wahrheit über mich erfährt? Sie hat fast dieselbe Scheiße durchgemacht, nur habe ich es aus eigenem Antrieb heraus gemacht, während sie dazu gezwungen wurde. Sie hat es wenigstens geschafft, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bringen. Sie hat eine Familie, aber ich… ich habe nichts.“ „Das stimmt doch gar nicht“, wandte Daniel ein. „Du hast damit aufgehört und hast dir Hilfe gesucht. Das ist doch schon ein ganz großer Schritt. Alles andere braucht eben seine Zeit.“ „Wir alle sind unseres Glückes Schmied“, erklärte Darya in einem ruhigen, aber dennoch gefestigten und belehrenden Ton wie der einer Mutter oder einer Polizistin. „Und wir alle tun Dinge in unserem Leben, die wir bereuen. Aber wir können sie nicht ungeschehen machen. Wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen und aus der Vergangenheit zu lernen. Ich kenne Rose. Sie wird dich niemals danach bewerten, ob und was für einen Beruf du hast oder welche Bildung du genossen hast. Sie wird dich so oder so lieben weil du ihr Kind bist. Fürs Erste solltest du dir weniger Gedanken um irgendwelche Jobs machen. Sieh erst mal zu, dass es dir besser geht und du dich selber lieben lernst. Wie alt bist du eigentlich?“ „Ich bin 21“, antwortete Simon, ohne die groß gewachsene Frau anzusehen. Er spürte, dass ihm wieder die Tränen kamen und er schaffte es nicht, dieses Verlangen zu unterdrücken. „Dann hast du noch alle Chancen der Welt“, erklärte Darya. „Ich habe schon genug junge Leute in deinem Alter erlebt, die den ganzen Tag Party machen und Blödsinn im Kopf haben. Du bist gerade erst 21 Jahre alt und redest, als hättest du schon dein halbes Leben hinter dir. Lass mich dir eines als Mutter, Sheriff und Clanoberhaupt sagen: nicht jeder hat so früh schon sein komplettes Leben unter Kontrolle. Manche brauchen halt etwas länger. Viele rennen schon am Anfang los, manche brauchen halt etwas mehr Anlauf. Das macht sie aber nicht gleich zu schlechteren Menschen oder Verlierern. Lege niemals allzu viel Gewicht darauf, was andere dir sagen. Es wird immer Leute geben, die was zu kritisieren haben oder auf dich herabblicken. Wichtig ist, dass du dir selbst ins Gesicht sehen kannst und hinter dem stehst, was du tust. Solange du deinen eigenen Wert kennst und dich selbst liebst, kannst du nach vorne blicken. Wie willst du denn irgendetwas im Leben erreichen, wenn du nicht mal an dich selbst glauben kannst?“ „Bei dir steht’s echt schlimm…“, murmelte Daniel besorgt und legte eine Hand auf Simons Halsbeuge, wobei er leicht erschauderte. „Du bist echt eiskalt gerade…“ Doch Simon sagte nichts dazu und schwieg niedergeschlagen. Stille trat ein und nur das leise Heulen des Windes und das Rauschen der Blätter in den Bäumen waren zu hören. Eine kühle Brise wehte und irgendwie kam ihm die Atmosphäre etwas unbehaglich vor. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Auch Daniels Mutter schien nicht ganz wohl zu sein und sie sah sich unruhig um. „Ich bringe euch beide zurück nach Islesbury. Und du, Daniel: beim nächsten Mal hörst du auf mich, wenn ich dir sage, dass du nicht hierherkommen sollst. Ansonsten sage ich Rose, sie soll dir Hausarrest aufbrummen.“ Damit standen sie auf und folgten Darya zu ihrem Streifenwagen. Sie stiegen ein und wenig später fuhren sie auch schon los. Simon, der sich einfach nur müde und elend fühlte, schaute aus dem Fenster und ihn überkam der Wunsch, einfach in Lerons Armen zu liegen und sich von ihm den Kopf streicheln zu lassen. Er vermisste ihn jetzt mehr denn sonst. Und er fragte sich, wie lange es wohl dauern mochte, bis Leron endlich bei ihm war. Hoffentlich kam er bald… Als sie wieder die Pension erreichten, stiegen Daniel und Simon aus und Darya, die mit ihrem Dienst noch nicht fertig war, verabschiedete sich an dieser Stelle von ihnen. Da Daniel seinen Begleiter in diesem Zustand nicht alleine lassen wollte, blieb er noch bei ihm und so gingen sie gemeinsam zur großen Außenterrasse der Pension, wo einige Gäste bei Kaffee und Kuchen saßen und miteinander redeten. Sie setzten sich in eine etwas ruhigere Ecke und bestellten Getränke. Daniel wirkte immer noch sehr besorgt und sah Simon prüfend an. „Sorry, dass ich vorhin meine Klappe nicht halten konnte. Ich wollte nicht, dass es dir noch schlechter geht als ohnehin schon. Ich wusste nicht, dass das so ein sensibles Thema für dich ist.“ „Nein, ist schon okay…“, winkte der 21-jährige ab und seufzte niedergeschlagen. „Ist ja nicht deine Schuld. Es kam einfach so viel zusammen.“ Schließlich wurden ihnen die Getränke gebracht. Doch obwohl der Tee wunderbar duftete, war Simon nicht sonderlich danach, ihn anzurühren. Auch vom Kuchen aß er keinen Bissen, sodass sich Daniel schließlich sein Stück schnappte und aß. „Willst du darüber reden? Wenn du nicht mit mir reden willst, dann ist das kein Problem.“ Doch Simon fühlte sich nicht mehr in der Lage, einfach nur zu schweigen und um dieses Thema herumzureden. Also begann er Daniel von den Dingen zu erzählen, die bei ihm Spuren hinterlassen hatten. Angefangen von seinem Leben auf dem Straßenstrich, wie er zu Leron kam und mit dessen Krankheit und seiner Familie konfrontiert wurde, Michaels erster Überfall, der Amoklauf und die Vergewaltigung, Lionels Drohung und sein Nervenzusammenbruch. Es fiel ihm zuerst schwer darüber zu reden, aber nach einer Weile fiel es ihm leichter und er erzählte immer mehr. Auch wenn er zu Beginn Hemmungen hatte, merkte er, wie erleichternd es war, über all diese Dinge zu reden, der nicht in diese Dinge involviert war. Daniel hörte ihm die ganze Zeit aufmerksam zu, nickte bedächtig und schwieg die meiste Zeit. Nur zwischendurch hakte er nach, wenn er etwas nicht verstand. Als Simon mit seiner Erzählung am Ende war, atmete der 16-jährige geräuschvoll aus und fuhr sich durch sein feuerrotes Haar. Malphas, Daniels Rabe, sprang von seiner Schulter und begann auf dem Tisch umherzuwandern. „Wow…“, sagte der Rotschopf schließlich und wirkte sprachlos. Er war tief betroffen über diese Geschichte und brauchte eine Weile, um überhaupt Worte zu finden. „Ehrlich gesagt bewundere ich dich dafür, dass du diese ganze Scheiße so lange durchgehalten hast. Ich weiß nicht, ob ich an deiner Stelle die Kraft dazu hätte.“ „Und nun sitze ich hier, jammere herum und komme nicht mehr aus diesem Sumpf raus…“, seufzte Simon niedergeschlagen. Doch Daniel schüttelte den Kopf und erklärte „Mal ganz im Ernst: wenn mir das Gleiche passiert wäre, dann wäre ich schon viel früher zusammengebrochen. Jeder in deiner Situation würde sich so mies fühlen. Du hast alles Recht der Welt dazu, traurig über das zu sein, was dir widerfahren ist. Manch andere in deiner Situation hätten sich schon längst die Kugel gegeben oder hätten irgendeine andere Scheiße durchgezogen. Aber du gibst trotzdem nicht auf, selbst jetzt nicht. Ehrlich gesagt bewundere ich dich echt dafür. Es kostet echt viel Kraft, nach all der Scheiße noch weiterzumachen, ohne vollständig zusammenzubrechen. Ernsthaft, du bist viel stärker und zäher als du denkst. Und setz dich nicht unter Druck, okay? Du brauchst einfach Zeit, um über all diese Dinge hinwegzukommen. Das schafft niemand in ein paar Tagen. Und wenn ich mal ganz ehrlich bin: sich mit Cohans einzulassen, ist nicht einfach. Und das sage ich als Halb-Cohan. Vor allem Witherfields haben es schwer. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig das manchmal sein muss. Auf der einen Seite liebst du diesen Leron und willst bei ihm sein, andererseits belastet dich seine Familiengeschichte. Und du wirst auch noch mit hineingezogen, obwohl du nichts damit zu tun hast.“ „Er kann ja genauso wenig was dafür“, versuchte Simon zu erwidern. „Er hat ja versucht, mich vor seiner Familie zu beschützen. Aber es hat halt nicht so geklappt wie erhofft. Ich bin ihm ja nicht mal böse wegen all dieser Dinge. Es ist nur so, dass… dieser Ort erinnert mich an all die schlimmen Dinge, die passiert sind und ich habe das Gefühl, immer noch darin gefangen zu sein.“ „Dann solltest du es ihm auf jeden Fall sagen“, schlug Daniel vor. „Ich bin zwar nicht der Beziehungsexperte, aber der Großteil der Probleme kommt daher, weil die Leute nie darüber reden. Nimm dir nachher einfach mal die Zeit, um nachzudenken was sich in deinem Leben ändern muss, damit es dir besser geht. Überlege, was du ändern kannst und was andere Menschen ändern können. Und wenn du weißt, was Leron ändern kann, damit es dir besser geht, dann sag ihm das, wenn er herkommt. Er scheint ja der Typ Mensch zu sein, der dir auch helfen will. Und wenn du Angst davor hast, wieder nach Hause zurückzugehen, sag ihm das.“ Ja, das sollte er wohl tun. Aber wie sollte es dann weitergehen, wenn er mit Leron darüber gesprochen hatte? Würden sie aus New York wegziehen? Wo würde es dann hingehen? Würde er dann Cypher und Hunter jemals wiedersehen? Und wer sagte denn, dass es auch wirklich besser werden würde, wenn er Leron reinen Wein einschenkte und sie aus der Villa ausziehen würden? Was, wenn es nicht besser wurde? Sie konnten ja schlecht ständig wegziehen. Selbst mit Lerons Reichtum würde es großen Stress mit sich bringen. Vielleicht machte er sich auch viel zu viele Gedanken darum. Da es allmählich spät wurde und Daniel noch Hausaufgaben zu erledigen hatte, verabschiedete sich der 16-jährige und sprach Simon noch mal Mut zu bevor er ging. Doch so wirklich schien es nicht zu helfen. Es mochte an der langsam anbrechenden Dämmerung, der Stille und dem kalten Wind liegen, aber ihm war alles andere als behaglich zumute und er war unruhig und nervös. Ein Schauer überkam ihn und wieder überkam ihn der Wunsch, wieder bei Leron zu sein. Eigentlich hatte er sich darauf gefreut, nach Annatown zu kommen und die Heimatstadt seiner Familie zu sehen und letztere auch kennen zu lernen. Doch nun fühlte er sich wie ein verlorenes hilfloses Kind in einer fremden Stadt fernab von Zuhause. Zwar hatte er New York hinter sich gelassen, doch die Schatten jener schlimmen Erinnerungen hatten ihn dennoch wieder eingeholt. Ungewollt musste er an Lerons Mutter denken, welche damals aus den gleichen Gründen Annatown verlassen hatte. Sie hatte ihre Familie und ihre Heimat zurückgelassen, doch ihren seelischen Narben und der Hölle in ihrem Kopf hatte sie dennoch nicht entkommen können. Ob er wohl jemals darüber hinwegkommen würde? War es möglich, dass er es schaffen würde, jemals diese ganzen schrecklichen Dinge zu verarbeiten und noch einmal ganz neu und unbeschwert anfangen zu können? Zwar wünschte er sich das, aber es fühlte sich an wie ein Ziel, das in unendlich weiter Ferne lag und das er nie in seinem Leben würde erreichen können. Ganz einfach deshalb, weil er nicht an sich glauben konnte. Da die Einsamkeit auf der Terrasse für ihn unerträglich wurde und er dringend Gesellschaft brauchte, suchte er nach Cypher und Hunter. Also ging er wieder hinein und versuchte ihr Zimmer zu finden. Nachdem er in der Empfangshalle angekommen war, ging er in den Westflügel und begann nach dem richtigen Zimmer zu suchen. Glücklicherweise schaffte er es dieses Mal, sich nicht gleich zu verlaufen und fand nach einer Weile die Tür. Er bemerkte nicht das „Bitte nicht stören!“-Schild an der Türklinke, klopfte leise an und öffnete, ohne auf eine Antwort zu warten. „Hey ihr zwei, ich wollte fragen ob…“ Simon sprach den Satz nicht zu Ende, denn was er sah, verschlug ihm die Sprache und ließ ihn augenblicklich erstarren. Er realisierte zuerst nicht, was sich da genau abspielte, bis ihm dann aber schließlich klar wurde, was da vor sich ging. Cypher lag halbnackt auf dem Bett, die Handgelenke mit einem Gürtel gefesselt. Sein Shirt war hochgezogen und seine Hose und seine Boxershorts lagen auf dem Boden neben dem Bett. Über ihn gebeugt war Hunter, in dessen Augen ein dämonisches Leuchten zu sehen war. Er war oben rum nackt und jeder seiner Muskeln war sichtbar angespannt, als er beide Hände um Cyphers Hals gelegt hatte und ihn würgte, während er sich an ihm verging. Cyphers Augen waren in Ekstase verdreht, während er vergebens nach Luft schnappte. Unter normalen Umständen hätte Simon vielleicht bloß Scham und leichte Beunruhigung empfunden, denn obwohl er wusste, dass sein Bruder sehr masochistisch veranlagt war, wirkte das nicht sonderlich normal auf ihn. Doch was er sah, war etwas ganz anderes. Etwas viel Schlimmeres. Als die beiden bemerkten, dass jemand das Zimmer betreten hatte, hielten sie sofort inne und Hunter ließ augenblicklich von Cypher ab, der seinerseits erst mal nach Luft schnappte und sich aufsetzte. „Oh… Simon. Hey… äh… Hattest du das Schild draußen nicht… ähm… alles okay?“ Immer noch war Simon wie erstarrt und sein Blick war unentwegt auf Hunter gerichtet. Doch es war nicht Hunter, den er da sah. Es war Michael. Michaels wahnsinnige Augen waren auf ihn gerichtet und ein widerwärtiges, hämisches Grinsen zierte sein Gesicht. Und allein das reichte aus, um Simon in nackte Todesangst zu versetzen. Panisch schrie er auf und stürzte blindlings los. Auch wenn er eigentlich wissen sollte, dass Michael tot war und ihm nichts mehr anhaben konnte, war er außer Stande, vernünftig zu denken. In diesem Moment war er felsenfest davon überzeugt, dass Michael zurückgekehrt war, um ihn zu holen und ihn erneut zu vergewaltigen und dann schließlich umzubringen. „Simon!“ Er hörte wie Hunter ihm hinterhereilte, doch in seiner Panik kam es ihm nicht in den Sinn, dass der Bildhauer ihn stoppen wollte, um ihm alles zu erklären. In seinem Kopf spukte nur ein Gedanke umher und das war der, dass Michael versuchte, ihn zu holen und die einzige Chance zu überleben war, wegzulaufen Er versuchte schneller zu laufen, um ihn irgendwie abzuhängen und schaffte es, bis zur Empfangshalle zu kommen. Doch anstatt nach draußen zu laufen, flüchtete er in den Ostflügel. Auf die Straße zu laufen war ihm nicht sicher genug. Er musste schnellstmöglich auf sein Zimmer und sich einschließen, damit ihm nichts passieren konnte. Unglücklicherweise begann sein Körper bereits schlapp zu machen. Seine Beine fühlten sich wie Blei an und seine Brust schmerzte. Ihm war schwindelig und er merkte, wie er langsamer wurde. Alles begann sich um ihn herum zu drehen wie in einem Karussell er spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich. Doch die Angst trieb ihn immer weiter. Als er schließlich um die Ecke hastete in der Hoffnung, seinen Verfolger bald abschütteln zu können, stieß er beinahe mit Melissandra zusammen, die mit ihrem Hermelin auf den Schultern um eben jene Ecke gelaufen kam. Simon schaffte es nicht, rechtzeitig zu reagieren und seinen Körper zum Anhalten zu bewegen. Sie hingegen reagierte geistesgegenwärtig und hob ihre Arme, bekam ihn an den Schultern zu fassen und schaffte es, ihn zu stoppen, ohne dabei selbst von der Wucht des Zusammenpralls von den Füßen gerissen zu werden. „Simon, was ist los? Was rennst du in diesem Zustand hier rum?“ „Ich muss hier weg, er darf mich nicht kriegen!“ schrie der 21-jährige in Panik und versuchte sich loszureißen, doch die Hippie-Ärztin hielt ihn mit enormer Kraft fest und hinderte ihn am Weglaufen. Nun hatte auch Hunter sie endlich eingeholt, was die Sache für Simon aber nur noch schlimmer machte. Immer noch sah er niemand anderen als Michael, der ihn holen wollte. Hunter versuchte mit ihm zu reden, doch kaum dass er sich ihm auch nur näherte, schrie Simon in Todesangst auf und schlug wild um sich. Dabei traf er versehentlich Melissandra, der die Brille von der Nase fiel. Augenblicklich wandte sie sich an Hunter und wies ihn an „Geh ein Stück zurück. Der Junge hat eine Panikattacke.“ Sofort wich der Bildhauer zurück und blieb wie angewurzelt stehen. Nun, da eines der Probleme geregelt war, wandte sich Melissandra nun Simon zu, der immer noch in Panik um sich schlug und sich freizukämpfen versuchte. Sie hielt ihn immer noch an den Schultern fest und sah ihn mit festem Blick an. „Es ist alles in Ordnung, Simon. Es kann dir hier nichts passieren.“ Langsam begann sie ihren Griff zu lockern und stellte sich genau zwischen ihm und Hunter. Als sie ihn gänzlich los ließ, kauerte Simon heftig zitternd, kalkweiß im Gesicht und mit Schnappatmung auf dem Boden und wirkte wie ein in die Enge getriebenes verstörtes Tier. Tränen sammelten sich in seinen Augen und sein Herz raste förmlich. Er schaffte es nicht, das heftige Zittern seines Körpers zu unterdrücken und er konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Doch die Hippie-Ärztin blieb ruhig und hielt den Blick unentwegt auf ihn gerichtet und zwang ihn somit, sie anzusehen und nicht Hunter. „Jetzt atme langsam und tief durch und erkläre mir, warum du wegläufst. Was ist Schlimmes passiert?“ Doch Simon war nicht in der Lage zu antworten. Die Stimme versagte ihm und so half die Ärztin ihm, langsam und tief durchzuatmen und sich zu beruhigen. Doch es dauerte eine Weile, bis er sich halbwegs beruhigt hatte und in der Lage war zu reden. Das Gefühl der Angst jedoch war immer noch da. „Michael… er ist… er will mich holen.“ „Michael ist tot“, warf Hunter ein und wollte die Sachlage erklären, doch Melissandra hob die Hand und signalisierte ihm, dass er still sein sollte. Dann wandte sie sich wieder Simon zu und versuchte, seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Wo und wann hast du ihn gesehen?“ „Im… im Zimmer. Er hat Cypher… er…“ Als Simon versuchte, diese Bilder wieder in seinem Kopf aufzurufen, stellte er fest, dass da etwas nicht ganz stimmte. Diese Person, die da bei Cypher gewesen war und die ihn gewürgt hatte… War das wirklich Michael gewesen? Er war sich nicht mehr allzu sicher. Melissandra bohrte weiter nach. „Wie genau hatte er ausgesehen?“ Hier fiel es Simon noch schwerer, die exakten Bilder wieder wachzurufen, wie er sie in Erinnerung zu haben glaubte. Er wusste, dass Michael blond war, aber die Person bei Cypher hatte ganz anders ausgesehen. War das wirklich Michael gewesen? Irgendwie schienen seine Erinnerungen nicht ganz zu stimmen, aber wieso? Das ergab doch keinen Sinn. „Michael hat… er… war das etwa gar nicht er? Aber ich habe ihn doch gesehen.“ „Ich weiß“, beschwichtigte die Hippie-Ärztin und strich ihm durchs Haar. „Und ich glaube dir auch. Du hast schreckliche Angst und ich verstehe das. Du hast etwas ganz Schlimmes erlebt und du hast Angst. Aber ich bin hier um dir zu helfen.“ Tränen sammelten sich in Simons Augen und er begann zu schluchzen. Melissandra nahm ihn tröstend in den Arm, wobei sie sanft seinen Kopf streichelte. Sie blieb bei ihm bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte und half ihm wieder hoch. Nachdem sie sich wieder ihre Brille aufgesetzt hatte, wandte sie sich an Hunter, der auf Abstand gegangen war und den Blick abgewandt hatte. Er hatte sich in tiefes Schweigen gehüllt und obwohl seine Miene so düster war wie eh und je, war dennoch deutlich zu erkennen, dass er sehr besorgt und voller Schuldgefühle war. Und irgendwie wirkte er sogar hilflos. Auch Melissandra entging dies nicht und so klopfte sie ihm mit einem lauten Seufzer auf den Rücken. „Alles ist gut, Jungchen. Kein Grund, gleich eine Trauermiene aufzusetzen. Ich habe zwar keine Ahnung was da vorgefallen ist, aber es wird wieder gut. Simon ist nicht der erste meiner Patienten, mit dem die Nerven durchgehen. Und mit Sicherheit ist er auch nicht der Letzte.“ „Es tut mir leid…“, sprach Hunter leise und konnte Simon nicht in die Augen sehen. „Ich wollte dir keine Angst machen. Das hätte nicht passieren dürfen.“ „Ich schlage vor, ich gehe mit ihm erst mal in mein Behandlungszimmer, damit ich ihm etwas zur Beruhigung geben kann“, sagte Melissandra schließlich. „Nimm es nicht allzu persönlich. Den Körper zu heilen geht schnell wenn man die Medizin dafür hat. Den Geist zu kurieren ist allerdings etwas ganz anderes. Für heute braucht Simon erst mal viel Ruhe. Sprecht am besten morgen noch mal miteinander.“ Hunter, der nun selbst fast wie ein Häufchen Elend wirkte weil Simons Panikattacke ihm nahe gegangen war, nickte geschlagen und ging. Es hätte keinen Sinn gemacht, ihn hier zu behalten. Also ging er wieder zurück zu seinem Zimmer, während Simon Melissandra in ihr Behandlungszimmer folgte. Als sie das Behandlungszimmer betraten, schlug ihm wieder dieses intensive Geruchschaos entgegen, welches von all den Tinkturen, Kräutern, Essenzen und Blüten herrührte. Glücklicherweise öffnete die Hippie-Ärztin sogleich das Fenster, um etwas frische Luft reinzulassen. Während sie an ihrem Tisch wieder zu arbeiten begann, nahm Simon auf der Behandlungsliege Platz. „Tut mir leid, dass ich vorhin so durchgedreht bin…“ „Halb so schlimm“, kam es zurück und es dauerte nicht lange, bis Melissandra auch schon fertig war und mit einem Glas mit einer bräunlichen Flüssigkeit zurückkam, welches sie ihm in die Hand drückte. „Du bist ja nicht aus Jux und Spaß zur Behandlung hier und genau aus diesem Grund bin auch ich hier. Es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass es dir wieder besser geht. Und glaube mir: ich hatte schon Patienten gehabt, die weitaus schlimmer reagiert hatten, als sie getriggert wurden. Und nun trink das. Das wird deine Nerven beruhigen und dir helfen, dich zu entspannen.“ Etwas skeptisch begutachtete Simon die Flüssigkeit im Glas und roch daran. Er glaubte so etwas wie Lavendelduft oder ähnliches wiederzuerkennen, doch kaum, dass er es geschluckt hatte, verzogen sich seine Gesichtszüge und ein widerwärtiger Geschmack lag auf seiner Zunge. Es schmeckte scheußlich und netterweise gab Melissandra ihm ein Bonbon, um den Geschmack wieder los zu werden. „Was zum Teufel ist das?“ fragte er sie. „Das ist ja ekelhaft!“ „Baldrianextrakt, Lavendelöl, Melissenextrakt, Weißdorn, Johanniskraut, etwas Alkohol und noch ein paar Sachen, die ich dir lieber nicht verrate. Davon solltest du gleich schlafen wie ein Baby. Aber beantworte mir mal eine Frage: dieser Michael, vor dem du so große Angst hast… Er war ein Mitglied der Cohans, oder?“ „Ja“, antwortete Simon und war überrascht. „Woher…“ „Ich kann eins und eins zusammenzählen“, erklärte die Hippie-Ärztin und begann noch etwas an ihrem Tisch anzumischen. „Und leider ist es oft so, dass meine Patienten, die zum Witherfield-Clan gehörten, oft krank wurden, weil sie in die Probleme der Cohans geraten sind. Ihre enge Verbundenheit ist ein Geschenk wenn es Liebe ist. Aber es kann auch ein grausamer Fluch sein. Ganz gleich ob es Hass, Neid oder Obsession ist, es kann oft zu einer grausamen Teufelsspirale werden, wenn sie nicht voneinander getrennt werden. Du bist nicht der Erste, dem so etwas passiert ist. Und es ist schwer, sich gegen so jemanden zur Wehr zu setzen. Dein Freund sagte, dieser Michael ist tot, richtig?“ „Ja…“ „Dann halte es dir immer wieder vor Augen, wenn du wieder Angst haben solltest“, riet Melissandra und wirkte nun vollkommen ernst. Nur ihr schrilles Aussehen ließ sie noch lächerlich wirken. „Solltest du wieder glauben, ihn zu sehen, dann ruf dir selbst in Erinnerung, dass er tot ist. Je öfter du es dir selbst sagst, desto sicherer wirst du dir dann auch. Und das wird dir bei deiner Angst helfen.“ Damit entließ Melissandra ihn für heute und Simon ging auf sein Zimmer. Und kaum, dass er sich aufs Bett hatte fallen lassen, fielen ihm die Augen zu und er war sofort eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)