The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 67: Der nächste Morgen ------------------------------ Die Nacht war ziemlich unruhig verlaufen. Auch wenn Simon einen ruhigen Abend mit einer sehr entspannenden Massage gehabt und sich genügend ausgeruht hatte, war es ihm sehr schwer gefallen, richtig zu schlafen. Es war verdammt einsam, wenn er alleine schlafen musste und er hatte sich schon so sehr daran gewöhnt, dass Leron bei ihm schlief. Und er fühlte sich einfach unwohl, wenn er alleine schlafen musste. Selbst als er mit Leron gestritten und alleine geschlafen hatte, war es nicht wirklich das gewesen, was er als erholsam bezeichnen konnte. Es war schon verrückt. Früher war er es immer gewohnt gewesen, ganz alleine zu sein. Aber seit er und Leron sich näher gekommen waren, fiel es ihm immer schwerer, alleine zu sein. Anscheinend hatte er sich mehr verändert, als ihm eigentlich klar war… Da er ein wenig Gesellschaft gut gebrauchen konnte, ging er zum Frühstück in den Speisesaal und traf dort auch auf Cypher und Hunter, die bei einer Tasse Kaffee und einem ausgiebigen Frühstück am Tisch saßen und sich unterhielten. Oder zumindest war Cypher derjenige, der redete. Hunter saß bloß schweigend da, hörte zu und nickte zwischendurch. Sofort eilte Simon zu ihnen und wurde sofort von seinem Bruder mit einer Umarmung begrüßt. „Hey Bruderherz, du siehst heute ja schon viel erholter aus. Und? Wie war die Untersuchung gestern? Alles gut gelaufen?“ „Ja, alles bestens“, versicherte Simon und löste sich langsam von Cypher. „Ich hatte gestern eine etwas ungewöhnliche Untersuchung gehabt und ein sehr interessantes Therapieprogramm. Ich weiß bis jetzt noch nicht ob meine zuständige Ärztin eine bekiffte Doppelgängerin von Professor Trelawney ist, oder einfach nur eine verrückte Hippie-Ärztin. Sie hat mir eine interessante Therapie verordnet. Zwar habe ich noch keine Ahnung, wozu Kräuterbäder gut sind, aber die Massage am Abend ist schon entspannend. Zusätzlich kriege ich noch Therapiespaziergänge und kriege Tee.“ „Das klingt ja schon fast nach Spa-Urlaub“, begann der Künstler zu schwärmen. „Kräuterbäder sind echt super. Sie helfen super bei Erkältungen, Gelenkschmerzen, Stress, Nervosität und Depressionen. Wenn Hunter sich mal eine schwere Erkältung einfängt, mache ich ihm auch jedes Mal ein Kräuterbad. Glaub mir, du wirst es genießen!“ Während sie sich unterhielten, wurde Simon das von Melissandra zusammengestellte Frühstück gebracht. Es gab Nussbrot mit Kürbiskernen, Aufschnitt, Rührei und Obst. So saßen sie zu dritt zusammen und unterhielten sich über ihren gestrigen Nachmittag. Lediglich Hunter schien ein wenig verstimmt zu sein und so wie Simon erfuhr, war ihre Stadttour nicht allzu glücklich verlaufen wie seine mit Daniel. Denn obwohl die Leute Cypher gegenüber zuvorkommend und freundlich gewesen waren, hatte man Hunter offenbar mit viel Argwohn und Misstrauen behandelt und war ihm entweder aus dem Weg gegangen oder hatten ihn sogar feindselig angestarrt. Und dann hatte es sogar einen Vorfall gegeben, als Hunter mit seinem bedrohlichen Anblick ein kleines Kind erschreckt hatte und man sogar die Polizei rufen wollte weil die Passanten glaubten, er wolle dem Kind etwas antun. Simon war ziemlich geschockt darüber, als er das hörte. „Das ist doch Quatsch!“ rief er. „Hunter ist zwar nicht der redseligste und kann etwas unheimlich wirken. Aber nur die Polizei zu rufen, weil sich ein Kind vor ihm erschreckt hat, ist doch echt übertrieben.“ „Ich weiß auch nicht was das sollte“, seufzte Cypher und nahm Hunters Hand. „Nun ja, normalerweise bin ich es ja immer, der blöd angestarrt wird weil die Leute mich wegen meines Styles und meiner Augen unheimlich fanden, aber die Leute in dieser Stadt sind etwas… gewöhnungsbedürftig.“ „Anscheinend haben die Cohans wohl immer noch einen ziemlich schrecklichen Ruf hier…“, murmelte Simon und begann seine Banane zu schälen. Er begann ihnen zu erzählen, was er alles erfahren hatte und versuchte es so kurz und einfach wie möglich zusammenzufassen. Und als er fertig war, warf Cypher einen unsicheren Blick zu seinem Liebsten und meinte schließlich „Selbst wenn das alles so stimmt, ist das Ganze echt totaler Bullshit. Wer ist denn bitteschön so stur, eine Clanfehde so lange fortzuführen?“ „Die Hatfields und McCoys?” fragte Hunter tonlos, als wolle er wenigstens einen kleinen Beitrag zur Konversation leisten, anstatt die ganze Zeit nur schweigend da zu sitzen. „Aber selbst deren Clanfehde war nach 13 Jahren vorbei!“ meinte Cypher kopfschüttelnd und gab noch etwas mehr Zucker in seinen Kaffee. „Also da fehlt mir bei aller Liebe echt das Verständnis. Aber so ist das wahrscheinlich auf dem Lande. Es ist halt nicht wie in der Großstadt, wo es vollkommen egal ist, wer deine Familie ist. Das interessiert einfach niemanden. Aber in ländlichen Gegenden, wo hier jeder anscheinend jeden kennt, gibt es offenbar ganz andere Regeln und Sitten. Und wahrscheinlich wird hier auch ziemlich viel getratscht. In dem Fall wird es garantiert interessant werden, wenn Leron hier aufkreuzt. Die Cohans scheinen es hier nicht wirklich leicht zu haben und er ist ja auch ein Angehöriger der Familie.“ Doch das wagte Simon zu bezweifeln. Immerhin achtete man hauptsächlich auf die äußeren Merkmale, wenn es um die Clan-Zuordnung ging. Leron war zwar sehr groß, aber es gab viele groß gewachsene Menschen. Und er hatte nicht die goldgelben Augen seiner Mutter geerbt, sondern seine Augen waren nussbraun mit einem schwachen Grünton. Dementsprechend war es eher unwahrscheinlich, dass man ihn so schnell als einen Cohan identifizieren würde. Um die Stimmung ein wenig zu lockern, kam Simon auf etwas anderes zu sprechen. „Sag mal Cypher, du hast doch gestern mit unserer Mutter telefoniert, oder? Wie hat sie denn reagiert, als sie erfahren hat, dass wir in Annatown sind?” Hier musste der 25-jährige kurz schmunzeln und erzählte „Sie war natürlich erst mal total verwirrt gewesen und war völlig von den Socken. Und so wirklich hat sie mir erst nicht geglaubt. Und als mir versehentlich rausgerutscht ist, dass du in Behandlung bist, da war sie ziemlich erschrocken gewesen und wollte natürlich wissen, ob es bei dir etwas Ernstes ist. Ich wollte jetzt nicht so viel ausplaudern und habe gesagt, dass du in den besten Händen bist und bald wieder auf dem Damm bist. Naja, ansonsten haben wir eher über andere Sachen gesprochen. Ich habe ihr halt ein bisschen über mich erzählt und was ich so mache.” „Und sie wollte dich treffen”, ergänzte Hunter, woraufhin er einen strafenden Blick von Cypher kassierte. Simon horchte auf als er das hörte und wollte natürlich mehr wissen. „Unsere Mutter wollte dich treffen? Wann wolltest du mir das sagen?” Geschlagen seufzte der Künstler, denn nun war es eh zu spät, alles abzustreiten. „Ich habe ihr gesagt, dass ich gerne zusammen mit dir zur Farm kommen und sie treffen will. Immerhin ist es nur fair, wenn wir sie beide zusammen kennen lernen. Aber ich wollte, dass du dich erst einmal auf deine Behandlung konzentrierst und dir nicht solchen Druck machst.” Diesen letzten Satz sprach er in einem mahnenden Unterton aus und schaute dabei Hunter an, der mit unbewegter Miene da saß und seinen Kaffee schwarz trank. Die Stimmung zwischen den beiden wirkte ein klein wenig angespannt. Nicht allzu schlimm, dass daraus ein Streit entfachen konnte, aber dennoch wirkten sie dieses Mal nicht ganz so harmonisch wie sonst. Ob Cypher noch sauer war, weil Hunter seinen Heiratsvorschlag ignoriert und unkommentiert gelassen hatte? Irgendwie hätte er nicht gedacht, dass Cypher nachtragend sein konnte. Und von Hunter hätte er nicht gedacht, dass dieser selbst Cypher gegenüber so abweisend sein konnte. Nun, anscheinend funktionierte selbst die harmonischste Beziehung nicht immer perfekt. „Also ich würde sie gerne besuchen!” meinte er und widmete sich nun seinem Rührei. „Heute habe ich noch Therapieprogramm aber morgen ist Samstag und da habe ich nichts auf dem Plan stehen. Da könnten wir sie doch am Wochenende besuchen.” „Klingt nach einem super Plan”, stimmte Cypher zu. „Okay, dann texte ich ihr nach dem Frühstück am besten, dass wir am Sonntag vorbeischauen. Dann kannst du den morgigen Tag ja noch mit Leron genießen. So wie du aussiehst, musst du ihn letzte Nacht ziemlich vermisst haben.” War das so offensichtlich? Dabei er doch weniger blass als sonst und hatte auch keine Augenringe. Oder wirkte er trotzdem so übernächtigt? Als er seinen Bruder verwundert fragte, woher er das wüsste, grinste dieser nur und erklärte „Ich erkenne diesen sehnsüchtigen Blick, wenn ich ihn sehe. Glaub mir, den hatte ich selbst während meiner Zeit im Krankenhaus gehabt, wenn ich Hunter vermisst habe. Man sollte Unzertrennliches halt nie auseinanderreißen! Ach übrigens, wer war eigentlich dieser Junge, mit dem du gestern unterwegs warst? Hunter und ich haben euch auf der Straße gesehen, wollten euch aber nicht stören.” Simon versuchte zu überlegen, wann er denn den beiden über den Weg gelaufen war. Eigentlich sollte er sich doch daran erinnern, oder nicht? Aber so sehr er auch nachdachte, er konnte sich einfach nicht erinnern. Offenbar war er so mit den Gedanken woanders gewesen, dass er sie gar nicht bemerkt hatte. „Daniel arbeitet ehrenamtlich nach der Schule in der Pension und macht die Therapiespaziergänge. Er hat mir Islesbury gezeigt und wir haben uns ein wenig unterhalten.” „Wow, in dem Alter schon so sozial!” bemerkte der Künstler erstaunt. „Für gewöhnlich haben die Teenies in dem Alter nur Sex, Alkohol und Partys im Kopf. Na, zumindest scheint ihr euch gut zu verstehen und wenn dir das hilft, dass du dich besser fühlst, warum nicht? Vielleicht führt er dich ja auch noch durch die anderen Gemeinden. Wäre doch echt interessant. Hunter und ich jedenfalls wollen heute nach Wheatford fahren. Dort soll Ende des Monats das Oktoberfest beginnen und angeblich gibt es dort sogar kleinere amische Gemeinden. Auf jeden Fall hörte sich das echt interessant an und Sightseeing kann ja nie schaden, auch wenn das hier nicht gerade eine Großstadt ist. Außerdem wollten wir unbedingt mal die wandelnde Vogelscheuche sehen.” „Wandelnde Vogelscheuche?!” „Das habe ich gestern von ein paar Leuten aufgeschnappt, als ich sie nach interessanten Geschichten zu Annatown ausgefragt habe”, erklärte Cypher. „Angeblich soll es in Wheatford eine besonders hässliche Vogelscheuche geben, die nach einer Leiche stinken soll. Die Vogelscheuche taucht oft an verschiedenen Standorten auf und es werden sich halt allerlei Gruselgeschichten erzählt. Naja, nach Texas Chainsaw Massacre und unzähligen Zombiefilmen sind besessene Vogelscheuchen auch mal eine nette Abwechslung.” Also geht es ihm um den Kick, den der Horror mit sich bringt, schlussfolgerte Simon und musste zugeben, dass das typisch für Cypher war. Als leidenschaftlicher Fan des Horrors und Gore liebte er das Makabere und wahrscheinlich fühlte er sich an diesem Ort hier pudelwohl. Hunter hingegen wirkte eher, als würde er lieber wieder nach New York zurückkehren. Und Simon konnte ihm das nicht sonderlich verübeln. Nach dem Frühstück ging er ins Untergeschoss der Pension, wo es eine Art kleines Thermalbad gab, das frei zugänglich für Gäste und Patienten war. Es gab pro Bad sogar eine Auflistung mit Mineralien, die darin enthalten waren und es war Simon ein Rätsel, wozu das alles gut sein sollte. Er hatte sich noch nie wirklich mit diesen Dingen beschäftigt, musste aber zugeben, dass es doch recht faszinierend war. Das Kräuterbad befand sich in einem separaten Raum, der recht dunkel war und sehr dezent beleuchtet wurde. Es roch nach ätherischen Ölen aber es war im Gegensatz zu dem unerträglichen Geruchschaos in Melissandras Behandlungszimmer sehr angenehm und beruhigend. Er wurde von der zuständigen Badaufseherin Cora Ronove begrüßt, die sich um die Kräuterbäder kümmerte. Sie war ein hübsches schwarzhaariges Mädchen von ungefähr 18 Jahren mit lavendelfarbenen Augen, die eine kleine Schlange um ihre Schultern trug. Sie begrüßte ihn mit einer etwas zurückhaltenden aber dennoch freundlichen Art und erklärte und zeigte ihm alles Wichtige. Die große Steinbadewanne in der Mitte des Raumes bot genug Platz für zwei Personen und war mit heißem Wasser gefüllt. Es schwammen Kräuter, Blätter und Blüten darin und am Rand waren Kerzen aufgestellt. Es war anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber kaum, dass er sich im warmen Wasser entspannt hatte, während im Hintergrund beruhigende Musik gespielt wurde, waren ihm die Augen zugefallen und er war eingeschlafen. Er wurde zum Ende der Sitzung von Cora wieder aufgeweckt und es war ihm erst ziemlich peinlich, dass er einfach eingepennt war. Aber so wie es schien, war er wohl nicht der Erste und wahrscheinlich auch nicht der Letzte, dem es passierte. Danach hatte er noch viel Freizeit und verbrachte diese damit, ein wenig die Pension zu erkunden und zu schauen, was es noch alles dort gab. Er hielt einen kleinen Smalltalk mit dem Mädchen von der Rezeption und brachte in Erfahrung, dass sie tatsächlich Azarias’ jüngere Zwillingsschwester war und kaum, dass Simon sein ungewöhnliches Treffen mit Azarias auch nur erwähnte, begann sie sich mehrmals zu entschuldigen. Es war, als ahnte sie bereits, dass ihr Bruder irgendetwas angestellt haben musste. Zum Mittagessen waren Cypher und Hunter nicht da und sie waren offenbar schon nach Wheatford gefahren. Dafür aber war Daniel da, der aufgrund einer Lehrerversammlung früher schulfrei hatte. Da ein wenig Gesellschaft nie schaden konnte, setzte er sich zu Simon und sie begannen sich ein wenig zu unterhalten. Dabei nutzte Simon die Gelegenheit, um etwas mehr über diesen Ort zu erfahren. „Sag mal Daniel, ist es nur Zufall oder sind hier alle Angestellten außer Melissandra etwas… jung?” „Das liegt daran, weil die Pension vergleichbar mit einer Uniklinik ist”, erklärte der 16-jährige und goss sich ein Glas Mineralwasser ein, bevor er sich seinem Mittagessen widmete. „Ich hatte dir ja erzählt gehabt, dass die Clans über besondere Eigenschaften verfügen. Und manche von ihnen müssen natürlich lernen, ihre Begabung vernünftig einzusetzen. Die Kinsleys arbeiten zum Beispiel im Bestattungsunternehmen und verwalten den Friedhof. Die Witherfields und Wyatts üben eher normale Jobs aus und die Cohans sind zum größten Teil als Farmarbeiter tätig. Und die Ronoves, die ein besonderes Talent in der Heilkunde haben, arbeiten hier um zu lernen. Melissandra ist quasi die Lehrerin und nach der Schule arbeiten die meisten hier entweder in ihrer Freizeit oder machen hier direkt eine Ausbildung. Das fängt an mit einfachsten Tätigkeiten und wer fortgeschritten ist, der darf beispielsweise die Essenspläne erstellen, in der Küche helfen und die Heilbäder organisieren. Die Pension selbst befindet sich zwar im Privatbesitz von Lotta Muldaur, aber wenn man es genau nimmt, ist es eine öffentliche Institution des Gemeindekreises und finanziert sich sowohl durch Spenden und die Einnahmen durch die normalen Pensionsgäste. Also im Grunde genommen ist es sowohl Ausbildungsstätte, Kurort und Hotel in einem. Und der Vorteil ist, dass man auch als Bastard hier problemlos einen Job bekommt und mit den anderen Angestellten auf einer Stufe steht. Woanders ist das nicht unbedingt gegeben.” Ein sehr merkwürdiges Konzept, dachte sich Simon und begann sich zu fragen, wer wohl diese Idee gehabt hatte, all diese Dinge in einem Gebäude unterzubringen. Aber offenbar funktionierte es und es schien gut zu funktionieren. „Wo gehen wir heute eigentlich hin?” fragte der 21-jährige schließlich. „Schauen wir uns auch mal die umliegenden Gemeinden an? Wie viele gibt es eigentlich?” Doch hier zögerte der Rotschopf überraschenderweise und wirkte nicht ganz so begeistert von dem Vorschlag. Unsicher kratzte er sich hinterm Ohr und begann sich seinen Erbsen und Kartoffeln auf seinem Teller zu widmen. „Eigentlich könnten wir das machen. Die Sache ist nur die, dass es in den anderen Orten nicht viel zu sehen gibt und es dort nicht immer so sicher ist wie in Islesbury. Zu deiner dritten Frage: es gibt insgesamt fünf verschiedene Gemeinden rund um Annatown selbst und sie alle gehören auch zu Annatown: Arkala, Backwater, Hallow Grove, Islesbury und Wheatford. Eigentlich gab es mal sechs: Wyvern Lake. Islesbury war schon immer die schönste und friedlichste Stadt gewesen, weil hier die Witherfields gelebt haben und es lange Zeit für Cohans verboten war, hierher zu ziehen. Hallow Grove ist noch kleiner als ein Dorf und besteht nur aus knapp drei oder vier Bauernhöfen und ein paar Brauhäusern und einen alten Brunnen in einer alten Wassermühle, in dem es angeblich spuken soll. Früher war es mal eine richtige Stadt gewesen, aber nach einer Epidemie lebt dort kaum noch jemand. Wheatford ist bekannt für seine amische Bevölkerung und das Erntedankfest… und für die wandernde Vogelscheuche. Arkala liegt in Richtung des Eriesees und dort herrscht fast das ganze Jahr über richtiges Sauwetter. Also viel gibt es in diesen Gemeinden nicht zu sehen.” „Und was ist mit Wyvern Lake passiert?” hakte Simon neugierig nach. „Wieso gibt es die Gemeinde nicht mehr?” „Das weiß keiner”, gestand Daniel schulterzuckend. „Bis vor knapp 15 Jahren konnte man die Stadt noch über die Landstraße erreichen, die durch einen Wald führte. Aber eines Tages fand keiner mehr nach Wyvern Lake, obwohl nur eine einzige Straße geradewegs dorthin führte. Die Clanoberhäupter haben immer und immer wieder gesucht, aber die Stadt war einfach weg.” „Und was ist mit Azarias Wyatt? Weiß der denn nicht alles?” „Zu der Zeit war er gerade erst sieben Jahre alt”, erinnerte Daniel ihn. „Natürlich hat man versucht, von ihm etwas zu erfahren, aber er sagte einfach nur, die Stadt sei verloren und niemand aus Wyvern Lake würde jemals zurückkehren. Naja, er ist zwar ziemlich verrückt, aber selbst bis heute sagt er dass die Stadt unrettbar verloren sei. Und da niemand sie finden konnte und manche sogar für immer verschwunden blieben, gab man die Suche auf und seitdem existiert Wyvern Lake offiziell nicht mehr. Es ist ein ähnliches Mysterium wie die verschwundene Roanoke-Kolonie. Naja, ich schweife ab. Also wenn du irgendwo hin willst, dann kann ich dir Arkala und Wheatford empfehlen.” „Und was ist mit Backwater?” Hier zögerte Daniel wieder und schien sich etwas unsicher zu sein. Er musste lange überlegen und meinte „Meine Mum sagte, Backwater sei nicht der richtige Ort für Cohans und sie hat mir verboten, dorthin zu gehen. Aber eigentlich sehe ich keinen Grund, warum wir nicht hinfahren könnten. Ist immer noch spannender als in eines der Bauernkaffs zu fahren.” Nach dem Essen gingen sie zum Busbahnhof von Islesbury, wo ein Bus direkt nach Backwater fuhr. Dabei fiel Simon auf, dass es zwar ein ziemlich gut funktionierendes Verkehrsnetz gab, jedoch führten nur sehr wenige Straßen zu den anderen Gemeinden und meist fuhr man lange Zeit einfach nur in eine Richtung. Das Wetter war an diesem Tag sehr bewölkt und es war etwas kühler als in den letzten Tagen. Zudem sah es fast danach aus, als würde es bald regnen. Es gab einen kleinen Zwischenfall als der Busfahrer, kaum dass er Daniel sah, ihn schroff abwies und sagte, er würde jemanden wie ihn nicht in seinen Bus steigen lassen. Doch ein sehr bedrohliches Krächzen von Malphas dem Raben, der dem Fahrer einen sichtlichen Schreck einjagte, stimmte ihn um und so ließ er ihn zähneknirschend einsteigen. Die Fahrt selbst war ein wenig eintönig, denn selbst wenn man aus dem Fenster schaute, gab es nicht viel zu sehen. Glücklicherweise dauerte die Fahrt auch nicht allzu lang und nach knapp 20 Minuten waren sie in Backwater. Im Gegensatz zu Islesbury gab es hier keinen wirklich nennenswerten Bahnhof. Es fuhren gerade mal zwei Busse und mit dem Zug kam man zumindest zum Zentrum von Annatown. Auch die kleine Gemeinde wirkte eher ruhig und hier war vergleichsweise weniger los als in Islesbury. Dennoch hatte das kleine Städtchen durchaus seinen Charme und die Landluft war wirklich wohltuend. Daniel führte ihn ein wenig herum und erzählte ihm ein wenig über Backwater und begann auch über die anderen Gemeinden zu reden. Was Simon recht schnell auffiel, war die düstere Geschichte von Annatown. Ausnahmslos jede Gemeinde war irgendwann mal von einer Katastrophe oder von einem Unglück heimgesucht worden, welches beinahe die gesamte Bevölkerung ausgelöscht hatte. Lediglich Islesbury schien immer davon verschont geblieben zu sein. Und die Bewohner erzählten gerne Geschichten über die Orte. Ganz gleich ob alt oder jung, sie schienen die wichtigsten historischen Daten perfekt zu kennen und waren allem Anschein nach auch stolz darauf, dass Annatown eine ungewöhnliche Vergangenheit hatte. Wahrscheinlich lag es auch daran, weil es hier sonst nicht viel gab. Außer Arkala, Annatown selbst und Islesbury gab es hier nur kleine Kaffs, in denen nichts los war. Selbst Backwater mit seiner Schauergeschichte vom rachsüchtigen Geist eines kleinen Mädchens, das lebendig verbrannt worden war und deren Erscheinen ein böses Omen war, hatte sonst nichts Spannendes vorzuweisen. Es mochte makaber klingen, aber die Psychiatrie war das einzige Highlight des Städtchens. Sie sahen sich die Überreste einiger alter Häuser an, die als Gedenkstätte der Brandkatastrophe dienten, gingen zum Markt und legten dann schließlich eine kurze Pause ein und setzten sich auf eine Bank. Das Wetter war sehr bewölkt und er konnte sogar Donner in der Ferne hören. Das ganze Städtchen wirkte sehr friedlich und er konnte sich kaum vorstellen, dass hier mal eine Katastrophe gewütet haben sollte, die die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte. Dafür war Backwater wieder gut aufgebaut worden. „Sag mal Daniel, gibt es eigentlich zu jeder Gemeinde solch düstere Geschichten?” „Klar!” bestätigte der 16-jährige nickte. „Die Leute erzählen halt gerne irgendwelche Schauergeschichten und urbane Legenden sterben nie so wirklich aus. Wobei aber die Geschichten über Islesbury wesentlich harmloser sind. Man sagt, dass deshalb so viele Blumen das ganze Jahr über blühen, weil Islesbury ursprünglich ein Friedhof des Witherfield-Clans gewesen war. Selbst bis heute ist es Tradition, dass verstorbene Mitglieder des Clans zusammen mit Pflanzensamen beerdigt werden, damit sie selbst nach ihrem Tod noch neues Leben schenken können. Der riesige Kirschbaum, den du gesehen hast, ist das Denkmal von Madeline Witherfield, der Gründerin der Stadt. Nach ihrem Tod wurde sie begraben und dann wuchs dieser Kirschbaum. Aber sonst hörst du nur Gruselgeschichten über die anderen Orte. Der spukende Brunnen von Hallow Grove, die wandernde Vogelscheuche von Wheatford, das rachsüchtige Geistermädchen von Backwater oder die mordenden Geister der ertrunkenen Kinsley-Geschwister. Egal wo du hinkommst, du wirst irgendwo Schauergeschichten hören. Das ist es halt, was Annatown besonders macht und die meisten glauben tatsächlich da…” „Daniel, solltest du nicht eigentlich in der Schule sein?” Erschrocken fuhr der 16-jährige zusammen und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Simon schaute auf um zu sehen, wer denn gerufen hatte und sah eine Frau auf sie zukommen. Ihrer Uniform nach zu urteilen musste sie ein Sheriff sein. Sie hatte dunkelblondes Haar, welches sie zu einem Zopf gebunden hatte und goldgelbe Augen und vom Alter her schätzte Simon sie um die 40 Jahre ein. Doch was sie wirklich respekteinflößend erscheinen ließ, war ihre enorme Körpergröße. Sie war über zwei Meter groß und hatte breite Schultern und einen Körperbau, der verriet, dass sie eine enorme Kraft besaß. Noch nie in seinem Leben hatte Simon in seinem Leben eine so große Frau gesehen. Und sie sah nicht gerade danach aus, als wäre sie in guter Stimmung. Sie blieb vor ihnen stehen und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Soweit ich weiß, hast du heute den ganzen Tag Schule. Schwänzt du etwa wieder?” „Ich schwänze doch gar nicht, Mum. Ich hatte heute früher schulfrei und deshalb bin ich direkt danach zur Pension gegangen, um den Therapiespaziergang mit Simon vorzuziehen.” Mum? Dann war diese Frau also Daniels Mutter? Das bedeutete sie war das Oberhaupt des Cohan-Clans und der Sheriff der Stadt. Wow, sie war sogar noch größer als Leron und Hunter. Und garantiert war sie auch verdammt stark. Als sein Name fiel, wandte sie den Blick zu ihm und ihre strengen Gesichtszüge entspannten sich etwas. Dann lächelte sie und reichte ihm die Hand zum Gruß. Doch selbst ihre Hand wirkte groß und kräftig. „Ah, ein neues Gesicht? Freut mich sehr, dich kennen zu lernen. Ich bin Darya Cohan, das Oberhaupt des Cohan-Clans und der Sheriff von Annatown. Sollte also mal irgendetwas sein, bin ich sofort zur Stelle.” „Ist mir eine Ehre.” Simon musste die Zähne zusammenbeißen, als er den Gruß erwiderte und Daryas Hand schüttelte. Sie hatte einen Griff der vergleichbar mit einem Schraubstock war und der Händedruck war so fest, dass er fast schon befürchtete, sie würde ihm die Fingerknöchel gewaltsam zusammendrücken und ihm somit die Hand zu zerquetschen. Daniel bemerkte sein schmerzverzerrtes Gesicht und lächelte mitleidig. „Meiner Mum sollte man besser nicht die Hand geben. Sie packt jedes Mal so hart zu.” Dann wandte er sich wieder seiner Mutter zu und erklärte „Heute ist an der Schule eine Konferenz und deswegen hatten wir früher schulfrei als sonst. Das ist übrigens Simon Cavanaugh. Er gehört zu den Witherfields.” „Simon Cavanaugh?” fragte die groß gewachsene Polizistin stirnrunzelnd und wirkte zuerst überrascht. Dann wagte sie die Frage „Dann bist du also Roses Sohn?” Nun war es der 21-jährige, der überrascht war und er wunderte sich, woher diese Frau überhaupt wusste, wer seine Mutter war. „Wo… woher wissen Sie…” „Ich bin mit Rose gut befreundet und wir treffen uns regelmäßig”, erklärte Darya schulterzuckend. „Als ich bei ihr vorbei kam um Daniel abzuholen, war sie vollkommen durch den Wind und sagte, ihr Sohn hätte sie angerufen. Wenn ich dich so ansehe, erkenne ich sogar die Ähnlichkeiten mit ihr.” „Warte, warte, warte!” ging Daniel dazwischen und schaute abwechselnd zu Simon und seiner Mutter. Er schien verwirrt zu sein und nicht richtig glauben zu können. „Dann heißt das also: ich bin sein Pflegebruder und ich wusste es die ganze Zeit nicht mal?!” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)