The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 66: Therapie-Spaziergang -------------------------------- Es war wirklich ein Tag der verrückten Gegebenheiten, anders konnte es Simon nicht beschreiben. Erst begegnete er einer Hippie-Ärztin und während er auf der Suche nach ihr einem Hermelin nachjagte, stieß er ausgerechnet mit der Person zusammen, die er in erster Linie treffen wollte. Also dann war dieser Rotschopf, der da vor ihm stand, Daniel? Aber er wirkte noch so jung. Er konnte noch nicht mal mit der High School fertig sein, also warum arbeitete er hier? Oder hing es auch damit zusammen, dass er ein Bastard war? Er hatte mit einem Erwachsenen gerechnet, der vielleicht ausgebildeter Sozialarbeiter oder Therapeut war, aber nicht mit einem Teenager. Um auch wirklich sicher zu gehen, fragte er „Also du bist dieser Daniel, den ich treffen soll?” „Eyup, ich bin Daniel und das da auf meiner Schulter ist mein treuer Begleiter Malphas”, bestätigte dieser und grinste gut gelaunt. „Ich mache hier sozusagen Sozialarbeit im Nachmittagsbereich. Wenn ich mit der Schule fertig bin, will ich hier anfangen zu arbeiten und so sammle ich quasi erste Erfahrungen. Hey, hast du Lust auf eine kleine Rundführung durch Islesbury? Ich kenne da ein paar Imbissbuden und Restaurants, wo man echt super was essen kann.” Gerne nahm Simon das Angebot an, entschuldigte sich aber noch mal für den Zusammenstoß. Doch Daniel kümmerte sich nicht weiter darum und meinte, es wäre ja nichts passiert. Und so verließen sie gemeinsam die Pension und Daniel begann ihm die wichtigsten Orte in Islesbury zu zeigen. Angefangen vom Stadttheater mit der großen Freilichtbühne, dem Einkaufszentrum bis hin zu einer großen Parkanlage mit Statuen und wunderschönen Springbrunnen im Renaissance-Stil. Wirklich überall blühten Blumen in allen Farben und als sie schließlich das Zentrum der Gemeinde erreichten, erstreckte sich auf einem großen Platz ein riesiger Kirschbaum. Er stand in voller Blüte trotz der beginnenden Jahreszeit und trug sogar dabei noch Früchte. Auf dem Boden waren Planen ausgelegt und manchmal gingen einige Leute hin und nahmen sich ein paar am Boden liegende Kirschen. Der Baum selbst war riesig und hatte einen massiven Stamm und weit verzweigte Äste. Man konnte sogar darauf klettern. Beinahe andächtig blieb Daniel davor stehen und bewundernd betrachtete Simon die Blütenpracht. „Das ist das Wahrzeichen von Islesbury”, erklärte Daniel seinem Begleiter. „Es heißt, dass dieser Kirschbaum bereits über 400 Jahre alt ist und er selbst in den kältesten Wintern nie seine Blüten verliert. Er ist auch gleichzeitig eine Art Denkmal von Annatown.” Eine Brise wehte ihm den zarten Duft der Kirschblüten entgegen und wieder erkannte Simon diesen Geruch wieder. Der kleine Bonsaibaum in Melissandras Behandlungszimmer hatte auch geblüht und so geduftet. Dann war das also ein Ableger aus diesem riesigen Kirschbaum? Schließlich gingen sie zu einem Restaurant und setzten sich nach draußen, da das Wetter perfekt dafür war und Daniel seinen tierischen Begleiter nicht mit ins Restaurant nehmen durfte. Zuerst hatte Simon dem Ganzen nicht viel Bedeutung beigemessen, doch bei ihrer kleinen Rundführung war ihm aufgefallen, dass ein paar Leute auf der Straße ebenfalls etwas ungewöhnliche Tiere bei sich hatten. Angefangen von einem Wolf bis hin zu einem Luchs und sogar einer Eule. Und wirklich niemanden hatte das sonderlich interessiert. Es schien so normal zu sein, als würde jemand mit seinem Hund Gassi gehen. Nachdem sie Essen und Getränke bestellt hatten und Daniel seinen Raben mit Brotkrumen zu füttern begann, hakte Simon nach. „Ist das hier normal, dass die Leute in Annatown so komische Haustiere haben?” „Hä?” fragte Daniel verwundert. „Sag bloß du weißt nichts über deine eigene Heimatstadt.” „Ich bin in New York aufgewachsen und hatte keine Familie”, gestand der 21-jährige ein wenig verlegen. „Also kenne ich mich mit den ganzen Regeln und Bräuchen hier nicht aus. Ich weiß nur ein paar Dinge, die Lotta mir erzählt hat.” „Ah verstehe!” Nun nahm Daniel seinen Raben auf die Hand und ließ ihn auf dem Tisch nieder. Danach begann er zärtlich das pechschwarze Gefieder des Vogels zu streicheln. „Also streng genommen sind diese Tiere keine Haustiere. Die Ronoves haben eine außerordentliche Begabung für Spiritualität, Mystik und Esoterik. Ursprünglich stammen sie aus dem südöstlichen Raum, vermutlich aus Persien. Dort wurden viele Götter verehrt, doch während der Kreuzzüge stuften die Christen diese als Dämonen ein und zwangen die Leute, zum Christentum zu konvertieren. Einige jedoch hielten an ihren alten Göttern fest und wollten lieber sterben, als ihren Glauben aufzugeben. Also rette einer von ihnen das Leben und zum Schutze vor bösen Mächten tragen sie bis heute den Namen jenes Gottes oder Dämons, dem sie ihr Überleben verdanken. Und sie glauben, dass jeder, der das Erbe der Ronoves trägt, unter dem Schutz mächtiger Geister steht und einer sie auserwählen und bis zum Tode begleiten wird. Deswegen betrachten sie diese Tiere nicht als Haustier, sondern als Gefährte und glauben, dass sie von Dämonen gesandte Geister sind und als Wächter fungieren. Wie viel Wahrheit enthalten ist, das weiß keiner. Es sind alles bloß Legenden, die seit Jahrhunderten überliefert werden.” „Dann bist du ein Ronove?” fragte Simon und war irritiert. „Aber ich dachte… wegen deiner Augen…” „Ich bin zu einem Teil Ronove, aber ansonsten ist der Rest an mir Kinsley und Cohan”, erklärte Daniel. Die Kellnerin kam zurück und brachte ihnen ihre Getränke. Aus Neugier schaute Simon sie genauer an, doch ihre Augenfarbe war nur ein dunkles braun. „Meine Familiengeschichte ist etwas kompliziert. Meine Mum ist das Oberhaupt des Cohan-Clans und mein Vater war ein Kinsley. Und dessen Eltern waren sowohl ein Kinsley als auch eine Ronove. Aber außer der Tatsache, dass ich die Augenfarbe meiner Eltern geerbt habe und so groß bin wie ein durchschnittlicher Cohan, ist nichts besonders an mir. Ich habe weder den Kampfgeist der Cohans noch die Todesaura der Kinsleys oder ihre obskure Faszination für Friedhöfe und düstere Geschichten. Also streng genommen bin ich bloß ein ganz normaler Durchschnittstyp.” „Deine Eltern waren Cohans und Kinsleys?” fragte Simon und trank einen Schluck von seiner Cola. „Aber ich dachte, die beiden Clans können sich nicht ausstehen.” „Tun sie auch nicht. Selbst heute noch hassen sie sich gegenseitig. Aber hast du schon mal von Romeo und Julia oder Pyramus und Thisbe gehört? Selbst wenn sich zwei Familien bis aufs Blut hassen, können sich trotzdem Mitglieder beider Familien ineinander verlieben. Es kommt selten vor, aber selbst natürliche Feinde wie diese beiden Familien können Kinder miteinander zeugen. Ansonsten wäre ich nicht dabei herausgekommen.” Irgendwie scheint diese Stadt eine ziemlich lange Geschichte zu haben was Clanfehden angeht, dachte sich Simon und sah wieder zu dem Kirschbaum. Dabei schien Islesbury so friedlich und schön zu sein. Wieso also bekriegten sich die Familien für etwas, was vor mehreren Jahrhunderten passiert war? Es konnte doch unmöglich sein, dass ein einziger Tod eine so lange Fehde heraufbeschwören konnte ohne dass je irgendjemand versucht hatte, das Ganze zu beenden. Daniel entging der nachdenkliche Geschichtsausdruck seines Begleiters nicht und er hakte nach. „Macht dir irgendetwas zu schaffen?” „Naja… ich habe erst vor kurzem erfahren, dass ich zu den Witherfields gehöre und Leron, mein jetziger Freund, gehört zu den Cohans. Und ich weiß nicht, was ich von diesen ganzen Clangeschichten halten soll.” „Ach da brauchst du dir am wenigsten Sorgen zu machen”, beschwichtigte der 16-jährige ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ihr Witherfields und Cohans seid schon immer unzertrennlich gewesen. Das liegt quasi in der Natur der Dinge.” „Und wieso?” „Na weil… Es hängt quasi mit der Mentalität der Clans zusammen”, versuchte der Rotschopf zu erklären und trank sein Glas Eistee in wenigen Zügen aus und begann daraufhin auf einem Eiswürfel zu kauen. „Witherfields und Kinsleys stammen zwar von den gleichen Vorfahren ab, aber sie sind unterschiedlich wie Tag und Nacht. Der Legende nach soll der Tod selbst sich in das Leben in Gestalt einer schönen Frau verliebt und mit ihr Zwillinge gezeugt haben. Der eine Zwilling hatte strahlend blaue Augen und weißgoldenes Haar und wurde zum allerersten Witherfield-Oberhaupt. Sie soll wunderschön und liebevoll gewesen sein und hat nicht nur für ihre Familie, sondern für alle Menschen gesorgt. Der andere Zwilling war eine Totgeburt mit Haaren so schwarz wie Kohlen und Augen so rot wie Rubine. Erst bei Anbruch der Nacht begann sein Herz wieder zu schlagen und dieses Kind wurde zum ersten Kinsley-Oberhaupt. Als Kinder der Nacht fühlen sie sich dem Tod verbunden und legen mehr Wert auf Tradition und Ordnung als auf die Lebenden. Im Gegensatz zu den Witherfields messen sie den Lebenden nicht allzu viel Bedeutung bei, weil alles Leben flüchtig ist, während Traditionen und Bräuche lange fortbestehen. Und die Cohans, als Nachfahren von Wikingern und Indianern haben als geborene Krieger schon immer alles Mystische und Okkulte abgelehnt. Sie waren schon immer ein etwas streitlustiges Volk, haben Annatown aber auch oft verteidigt. Sie haben großen Wert auf Familienzusammenhalt gelegt und Stärke und Mut über Legenden und Magie gestellt. Und weil die Kinsleys mit ihrer Todesaura sowieso nicht gerade angenehme Zeitgenossen sind, herrschte schon von Anbeginn an eine starke Rivalität zwischen Kinsleys und Cohans. Die Ronoves haben mit den Kinsleys sympathisiert, weil sie ähnlich ticken und die Witherfields haben zu den Cohans gehalten, weil ihre Empathie und ihre lebensbejahende Einstellung sie miteinander verbunden hat. Die Wyatts waren da schon immer außen vor und selbst heute macht deren Oberhaupt sowohl Deals mit den Kinsleys als auch mit den Wyatts, während er sich bei wichtigen Meetings bei Abstimmungen immer zurückhält, um keine Partei zu ergreifen. Früher war das Ganze wesentlich schlimmer gewesen, aber nachdem meine Mum das erste Cohan-Oberhaupt nach über 200 Jahren geworden ist, schauen die Dinge wesentlich besser aus. Inzwischen hat Annatown nach all der Zeit endlich eine richtige Polizei und viele der Polizisten sind Cohans, womit auch der Außenseiter-Clan endlich wieder einen besseren Ruf bekommt. Im Großen und Ganzen ist Annatown nicht perfekt. Es ist halt eine ziemlich eigenwillige Stadt, die ziemlich viel Wert auf ihre alten Werte und ihre Mysterien legt. Es gibt keine Gegend, die nicht mit irgendeiner Legende oder Gruselgeschichte verbunden wäre, also wundere dich nicht allzu sehr, wenn irgendjemand ankommt und dir irgendwelche Horrogeschichten erzählt.” Klingt irgendwie nach einer typisch abergläubischen Stadt auf dem Lande, dachte sich Simon. Schließlich wurde ihr Essen serviert und während Daniel sich eine Pizza mit Peperoni gönnte, genoss Simon überbackene Ravioli. Es war irgendwie faszinierend, dass Annatown anscheinend so viele Geschichten und Legenden hatte. Allein die Idee dass die Tiere, welche die Ronoves bei sich hatten, dämonische Geister waren oder dass die Kinsleys die Kinder des Todes waren und die Wyatts von einem von Gott gesegneten und verfluchten Hohenpriester abstammten, hatte natürlich etwas Besonderes an sich. Aber es gab ihm zu denken, dass diese alten Geschichten und Legenden die Gegenwart so sehr beeinflussten, dass es zu Clanfehden und zur Verstoßung von Kindern kam, die dann als Bastarde abgestempelt wurden. Nach dem Hauptgang bestellten sie sich beide noch ein Eis als Dessert und während sie beide warteten, wagte Simon eine Frage, von der er ahnte, dass sie vielleicht unangebracht sein könnte. „Sag mal Daniel, dein Name ist doch Evergreen, nicht? Heißt das, du bist auch verstoßen worden so wie Melissandra?” „Ich bin nicht direkt nach meiner Geburt weggegeben worden”, gestand der 16-jährige und sein Gesicht verdüsterte sich ein wenig. „Meine Mum war mit dem Bruder des Oberhauptes Kinsley-Clans zusammen und aus der Affäre bin ich entstanden. Sie wollten eigentlich heiraten, aber damit waren ihre Familien nicht einverstanden, also hat meine Mutter mich quasi alleine großgezogen. Aber als Oberhaupt des Cohan-Clans wollte sie auch dem Rest ihrer Familie helfen und sprach mit den anderen Oberhäuptern. Sie wollte, dass die Clanfehde ein für alle Male beendet wird und die Cohans wieder in die Gesellschaft integriert werden. Also musste sie Opfer bringen. Das Oberhaupt der Kinsley-Familie hat nur unter der Bedingung akzeptiert, dass meine Mum mich als Bastardkind verstößt und weggibt.“ „Und das hat deine Mutter einfach so akzeptiert?“ „Natürlich nicht. Aber sie hatte leider keine Wahl. Hätte sie es nicht gemacht, hätten die Kinsleys nie zugestimmt und die Cohans wären jetzt nicht bei der Polizei tätig. Aber es ist nicht so, dass meine Mutter mich aus ihrem Leben gestrichen hat. Sie kommt mich oft genug besuchen und ich finde ehrlich gesagt, dass sie verdammt cool ist. Immerhin ist sie der Sheriff von Annatown und sie ist echt eine Heldin. Sie hat die Missstände innerhalb der Cohan-Familien in den Griff gekriegt, sie hat die Sekte Iudicium Dei hochgenommen und die Stadt viel sicherer gemacht. Das alles würde es nicht geben, hätte sie nicht dieses Opfer gebracht. Und ich bin nicht böse deswegen. Manchmal müssen Eltern eine schwere Entscheidung treffen, auch wenn es sie unglücklich macht. Aber sie müssen es tun, weil sie keine andere Wahl haben.“ Unwillkürlich musste Simon an seine Mutter denken und wie unendlich bewegt und aufgewühlt sie gewesen war, als er sie angerufen hatte. Und sie war auch dazu gezwungen worden, ihr erstes Kind wegzugeben. Und dann war Daniel das Gleiche widerfahren. Aber anscheinend kam er damit ziemlich gut damit zurecht und war zufrieden mit seinem Leben. Und irgendwie verstand er das nicht. „Das ist doch trotzdem echt das Letzte. Man kann doch nicht einfach so jemanden zwingen, seine Kinder wegzugeben. Ich dachte, die Witherfields und Wyatts unterstützen die Cohans. Dann sind sie doch in der Überzahl gegenüber den Ronoves und Kinsleys. Warum schaffen sie diese Regel nicht ab? Leute als Bastarde zu bezeichnen und dann abzuschieben ist doch mit Sicherheit nicht einmal legal!“ „Theoretisch hast du da Recht“, gab Daniel zu. „Aber wenn es eine ungschriebene Regel gibt, dann die, dass man sich niemals mit den Kinsleys anlegt. Sie sind die Schatzmeister von Annatown was also heißt, dass sie die Finanzen der Stadt kontrollieren, was wiederum bedeutet, dass sie hier die größte Macht haben. Offiziell sind alle Clans gleichgestellt, aber dem ist nicht wirklich so. Die Witherfields werden nicht wirklich ernst genommen, das Oberhaupt der Wyatts sitzt in der Klapse, die Cohans haben immer noch Schwierigkeiten damit, akzeptiert zu werden und alle haben Schiss vor den Kinsleys. Also lernt man sich mit manchen Sachen zu arrangieren. Zumindest sind die meisten Dinge auf einem besseren Weg und auch wenn die Kinsleys und Ronoves nicht gerade die sozialsten Zeitgenossen sind, sie haben noch nie Geld unterschlagen und fällen finanzielle Entscheidungen immer zum Wohl der Stadt.“ Anscheinend regiert Geld selbst im dieser ländlichen Stadt, dachte sich Simon und war nicht sonderlich glücklich darüber. Vielleicht lag es daran, weil er selbst ohne Familie aufgewachsen war, aber er sah nicht ein, warum man einer Familie so viel Macht geben sollte, die nicht mal davor zurückschreckte, Kinder direkt nach ihrer Geburt zu verstoßen und auch noch andere Familien dazu zu zwingen. Auf der anderen Seite… Er hatte auch gehört, dass die Cohans eine ziemlich düstere Familiengeschichte haben und er selbst war Opfer von Michaels Wahnsinn geworden. Wahrscheinlich waren die Dinge in dieser Stadt wesentlich komplizierter und man konnte nicht so einfach alles schwarz und weiß sehen. Daniel entging der besorgte Blick durchaus nicht und dieses Mal war er es, der die Fragen stellte. „Warum beschäftigt dich das alles so sehr? Dass jemand Interesse an unserer Stadt zeigt und mehr über die Mysterien wissen will, ist eine Sache. Aber diese Bastard-Geschichte scheint dich ja echt mitzunehmen.“ „Ich bin halt ohne Eltern aufgewachsen und hatte nicht gerade eine glückliche Kindheit“, gab Simon zu. „Weil ich anders war, wurde ich immer wie ein Freak behandelt und ich kann nicht wirklich glauben, dass hier die Leute so locker damit leben können, als Bastarde bezeichnet und wie Außenseiter behandelt zu werden, selbst von den eigenen Familien.“ „Ja, es gibt einige, die nicht damit umgehen können und es ist nicht leicht, ein Bastard zu sein“, gab Daniel zu. „Aber es heißt nicht, dass wir von allen wie Monster behandelt werden. Ich für meinen Teil habe noch ziemlich engen Kontakt zu meiner Mum und ich weiß, welche Opfer sie für ihre Familie bringt. Und meine Pflegefamilie ist auch klasse. Sie haben noch andere Bastardkinder aufgenommen und sie sind auch echt tolle Eltern. Und von ihnen habe ich eines gelernt: man sollte immer dankbar sein für die Chancen die man kriegt und nicht über die Chancen jammern, die man verpasst hat. Also habe ich beschlossen, freiwillige Arbeit in der Pension zu leisten, um den Leuten zu zeigen, dass selbst natürliche Feinde wie Kinsleys und Cohans imstande sind, einander zu lieben. Meine Mum arbeitet hart, damit die Cohans wieder von den Leuten respektiert werden und endlich ein besseres Leben in Annatown führen können. Und ich will auch meinen Beitrag dazu leisten. Man muss seinem Leben ein Ziel geben. Wenn du ein Ziel hast, dann hast du etwas, was dich motiviert und worauf du hinarbeiten kannst.“ Ein Lebensziel… Als er so darüber nachdachte, musste er feststellen, dass er überhaupt kein Lebensziel hatte. Bisher hatte er auch nicht gerade die besten Perspektiven in seinem Leben gehabt, bevor er Leron getroffen hatte. Und selbst danach war so viel passiert. Nun stellte sich die Frage, was er denn mit seinem Leben machen wollte. Er hatte noch nicht so wirklich eine Vorstellung davon, was er eigentlich machen wollte. „Irgendwie habe ich kein Lebensziel…“ „Mach dir nichts draus, du hast ja Zeit. Es gibt auch viele in meiner Klasse, die keine Ahnung haben, was sie mal später werden wollen. Das Wichtigste ist einfach, dass du dir über deine Stärken und Schwächen bewusst sein solltest.“ Stärken und Schwächen… das alles klang so verdammt einfach aber irgendwie wusste Simon nicht so wirklich, was denn nun seine Stärken und Schwächen waren. Zumindest konnte er es nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Im Grunde genommen hatte er nichts, was ihn wirklich besonders machte. Er hatte nicht diese Willenskraft und Entschlossenheit wie Leron, er war nicht so kreativ und handwerklich begabt wie Cypher und Hunter und er war weder sportlich noch überaus intelligent. Im Grunde genommen konnte er eigentlich nichts… „Vielleicht gehöre ich zu der großen Ausnahme von Leuten, die rein gar nichts können.“ „Ach Quatsch!“ rief Daniel sofort. „Jeder hat etwas, das er gut kann. Und wenn du deine eigenen Stärken nicht erkennst, dann frag doch einfach die Menschen, die dich gut kennen und dir nahe stehen.“ Nachdem sie ihr Dessert aufgegessen und bezahlt hatten, setzten sie ihren Spaziergang fort und begannen sich über andere Dinge zu unterhalten. Sie redeten über Musik, ihre Lieblingsfilme und ein paar Serien, die sie mochten. Sie gerieten in eine harmlose Diskussion darüber, ob nun Marvel oder DC besser war und hatten im Großen und Ganzen viel Spaß. Schließlich kehrten sie wieder zur Pension zurück und damit war der Spaziergang vorbei. Da Daniel nach Hause gehen musste, verabschiedete er sich von Simon. Es hatte wirklich gut getan, ein wenig Zeit mit jemandem zu verbringen und über Dinge zu reden, die nicht unbedingt mit seiner Krankheit oder seiner Beziehung mit Leron zu tun hatten. So konnte er auch mal an etwas anderes denken und auch mal ein bisschen zur Ruhe kommen. Aber irgendwie war Daniel vom Charakter her überhaupt nicht wie die Cohans. Nun gut, er kannte nicht so viele von ihnen, aber Daniels Beschreibung hatte ziemlich gut auf Leron und Hunter gepasst. Sie waren misstrauisch gegenüber Fremden, konnten impulsiv sein und sie besaßen tief drin eine kämpferische Ader und einen starken Beschützerinstinkt. Und Daniel war vom Charakter her vollkommen anders. Er hatte nicht einmal diese unheimliche Ausstrahlung, die er bei Sally und Lotta gespürt hatte. Anscheinend hatte er im Gegensatz zu Melissandra rein gar nichts von seinen Eltern geerbt. Und anscheinend war das für ihn nur ein Vorteil. Aber es war schon bewundernswert. Obwohl er noch zur Schule ging, machte er freiwillige Arbeit nach der Schule und wusste genau, was er aus seinem Leben machen wollte. Hoffentlich würde er auch irgendwann mal so selbstbewusst sein und genau wissen, was er später machen wollte. Da der Tag ihn doch ziemlich geschlaucht hatte, ging er auf sein Zimmer um sich auszuruhen. Gemäß Melissandras Ratschlag machte er sich einen Tee mit Honig und ließ sich aufs Bett fallen. Doch kaum, dass er im Bett lag, spürte er, dass etwas fehlte. Es fühlte sich ziemlich einsam an und ihn überkam der Wunsch, dass Leron hier wäre und ihn in den Arm nahm. Er wollte seine Nähe spüren und mit ihm zusammen den Tag ausklingen lassen. Und als er realisierte, wie einsam er in seinem Zimmer war, wurde ihm bewusst, wie sehr er Leron eigentlich vermisste. Und dabei waren sie noch gar nicht so lange voneinander getrennt. Vielleicht wurde sein Gefühl ein wenig besser, wenn er ein wenig mit ihm telefonierte. Also holte er sein Handy vom Nachttisch und stutzte als er sah, dass er gleich mehrere verpasste Anrufe hatte. Zwei davon waren von Leron, einer von Cypher und zwei von einer unbekannten Nummer. Wie zum Teufel kam es, dass er in einem so knappen Zeitraum so viele verpasste Anrufe hatte? Nun, zumindest hatte er ein paar Nachrichten auf seiner Mailbox. Nun, vielleicht fand er so heraus, was alle von ihm wollten. Also spielte er die Nachrichten ab. Die erste stammte von Leron. „Hey Simon, ich wollte nachfragen, ob du gut angekommen bist und ich hoffe, du lebst dich gut ein. Ich hatte heute einen Termin mit Jacob Milton, einem sehr einflussreichen Konkurrenten meines Vaters. Er hatte schon in der Vergangenheit großes Interesse an einer Übernahme gezeigt und wir konnten uns auf einen Deal einigen. Für knapp 700 Millionen wird Evans Energy morgen offiziell verkauft werden. Das heißt ich könnte morgen Abend bei dir in Annatown sein. Pass bis dahin gut auf dich auf und erhol dich gut. Ich liebe dich.“ Simon konnte nicht anders als zu schmunzeln und ihm war, als würde sein Herz höher schlagen. Er freute sich wirklich, dass alles so gut gelaufen war und Leron so schnell einen Käufer gefunden hatte. Vielleicht war das ha wirklich die beste Idee, dass er ausgerechnet den ärgsten Konkurrenten gefragt hatte. Dann bedeutete das auch, dass er nur diese eine Nacht ganz alleine schlafen musste. Doch dann wurde auch schon die nächste Nachricht abgespielt. „Hallo Simon, hier ist Rose… deine Mutter. Ich wollte dich wie versprochen heute zurückrufen, aber anscheinend bist du momentan beschäftigt. Wenn du Zeit und Lust hast, kannst du dich gerne melden. Ich möchte dich nur ungern stören.“ „Ach du Scheiße, ich hatte den Anruf total vergessen!“ rief Simon und schlug sich die Hand vor die Stirn. Verdammt noch mal! Es war heute so viel passiert, dass er total vergessen hatte, dass seine Mutter heute anrufen wollte. Er musste sich unbedingt bei ihr melden und alles klären, bevor sie noch dachte, dass er keinen Kontakt wollte. Doch bevor er dazu kam, wurde auch schon die nächste Nachricht abgespielt. „Hallihallo, hier ist Cypher! Ich weiß, dass du mit deiner Behandlung beschäftigt bist, aber ich dachte mir, dass ich dir mal Bescheid gebe. Unsere Mutter hat vorhin versucht, dich anzurufen, also hat sie mich angerufen und wir hatten ein wenig miteinander geredet. Ich habe die Bombe platzen lassen und sie war ziemlich von den Socken gewesen. Kann sein, dass sie sich noch mal bei dir melden wird weil mir eventuell versehentlich rausgerutscht ist, dass du hier zur Behandlung bist. Tut mir leid, aber sie klang irgendwie nervös, als würde sie etwas beschäftigen und ich wollte Missverständnisse vermeiden. Erhol dich gut und wenn du Lust auf Gesellschaft hast, gib uns einfach Bescheid.“ Erleichtert atmete Simon aus. Also hatte Cypher bereits alles geklärt. Und tatsächlich hatte wenig später seine Mutter wieder angerufen. Irgendwie war das wie in einem verrückten Film. „Hallo Simon, hier ist Rose noch mal. Ich habe von deinem Bruder erfahren, dass ihr bereits in Annatown seid und ihr in der Pension Muldaur wohnt. Ich war ehrlich gesagt sehr erschrocken als ich erfahren habe, dass du hier in Behandlung bist und ich hoffe, dass es nicht allzu Ernstes ist. Bitte pass gut auf dich auf und versuch dich gut zu erholen. Nimm dir die Zeit die du brauchst und konzentriere dich allein auf dich selbst. Vielleicht sollte ich das nicht auf einem Anrufbeantworter reden, aber ich möchte, dass du folgendes weißt: egal welche Medizin du auch nimmst und wie viele Ärzte sich um dich kümmern, was wirklich zählt ist, dass du das alles auch selber willst. Der Glaube an dich selbst und dein Lebensmut macht mehr aus als du denkst. Egal wie gut eine Operation oder eine Therapie ist, wenn du nicht daran glaubst, wird es länger dauern. Allein der Glaube kann viel bewirken, selbst die Heilung von Geist und Körper. Wenn es dir mal nicht gut geht, dann sage dir selbst, dass du es wert bist, glücklich zu sein. Denn egal was auch passiert, es ändert nichts daran, dass du etwas ganz Besonderes bist und ein Recht darauf hast, glücklich zu sein. Du bist ein ganz wunderbarer Mensch, vergiss das nie.“ Simon spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte, als er diese Worte hörte. Zwar war es nur eine Nachricht auf der Mailbox, aber es bewegte ihn sehr, dass seine Mutter ihn noch mal versucht hatte anzurufen und so besorgt um ihn war, dass sie ihm so etwas Liebevolles gesagt hatte. Und das, obwohl sie bisher nur ein einziges Mal telefoniert hatten. Wie konnte sie sich so um ihn Sorgen wo sie sich doch kaum kannten? Es war schwer begreiflich, aber es erfüllte ihn trotzdem mit einem unbeschreiblichen Gefühl des Glücks, dass jemand, der ihn kaum kannte, wirklich dachte, er wäre etwas Besonderes. Hosted by Animexx e.V. 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