The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 65: Melissandra ----------------------- Entgegen seiner anfänglichen Erwartung entpuppte sich der Ostflügel als gemütlich und einladend. Es war wie ein Hotel eingerichtet und es gab sogar einen Aufzug. Sein Zimmer lag am Ende des Ganges und als er es betrat, da verflog sofort seine Befürchtung, ihn würde ein Aufenthalt in einem Krankenzimmer erwarten. Es gab ein großes Doppelbett, eine Ledercouch und einen Fernseher, einen Balkon und sogar eine Minibar. Ein Kronleuchter hing von der Decke und das ganze Zimmer war in einem hellen Ton eingerichtet, der etwas von einem Gesundheitshotel hatte. Auch das Badezimmer war größer als gedacht und hatte sowohl eine Dusche als auch eine Badewanne. Das Waschbecken und der Boden waren aus schwarzem Granit und alles wirkte modern und hochwertig eingerichtet. Zuerst glaubte er, dass hier ein Irrtum vorlag, doch da erklärte Lotta ihm „Als diese Pension erbaut wurde, war sie in erster Linie zur Behandlung der erkrankten Witherfields gedacht. Mit der Zeit kamen auch normale Gäste und andere Patienten her. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Patienten wesentlich besser und schneller erholen, wenn sie in einer Umgebung sind, in der sie sich wohl fühlen. Denn deine körperliche Gesundheit hängt auch stark von deiner psychischen Verfassung ab.” Simon kam kaum aus dem Staunen heraus und besah das Zimmer genauer. Die Minibar enthielt sowohl alkoholische als auch alkoholfreie Getränke und ein paar Snacks. Auf dem Tisch lag eine Karte mit Dingen, die man beim Zimmerservice bestellen konnte und es gab sogar die Möglichkeit, sich sein Essen aufs Zimmer bringen zu lassen. Der Fußboden war beheizt und vom Balkon aus konnte er auf die Gartenanlage der Pension sehen. „Wow”, murmelte er. „Mit so etwas hätte ich echt nicht gerechnet. Und hier wohne ich echt während meiner ganzen Behandlung?” Lotta nickte und trat näher. „Ich werde dich gleich noch Melissandra vorstellen. Sie wird deine medizinische Betreuung übernehmen und einen Behandlungsplan für dich erstellen. Außerdem kannst du bei ihr jederzeit Rat suchen oder dir den Kummer von der Seele reden. Auch ich werde immer ein offenes Ohr für dich haben, falls du Hilfe brauchen solltest. Ich werde mal nachschauen, wann Sie Zeit hat. Du kannst dich fürs Erste ein wenig ausruhen oder deine Sachen auspacken.” Damit ließ sie ihn alleine und Simon, der ein wenig erschöpft von der zweistündigen Reise war, ließ sich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Das Bett fühlte sich wunderbar an. Ihm war, als würde er auf einer Wolke liegen und obwohl er eigentlich vorhatte, sich bei Leron zu melden und im Anschluss seiner Mutter Bescheid zu sagen, dass er in Annatown angekommen war, wurde er mit einem Schlag von einer lähmenden Müdigkeit überfallen und ihm fielen die Augen zu. Wie lange er insgesamt geschlafen hatte, wusste er gar nicht als ihn etwas weckte. Es war irgendetwas Haariges, das seine Wange streifte. Nur langsam kehrte sein Bewusstsein wieder ins Hier und Jetzt zurück und er spürte, wie sich etwas auf dem Bett bewegte. Es schien klein zu sein. Müde öffnete Simon seine Augen und wandte den Blick zur Seite. Das erste, was er sah, waren zwei große pechschwarze Augen und ein rundes fast katzenartiges Gesicht. Erschrocken fuhr er auf und dachte erst an etwas wie eine Ratte, doch dann erkannte er, dass es ein Wiesel mit einem schneeweißen Fell und einer schwarzen Schwanzspitze war. Nein, es war kein gewöhnliches Wiesel, sondern ein Hermelin. Aber warum war so ein Tier hier? Als er noch einmal hinsah, erkannte er nun auch ein Halsband. Also war das ein Haustier? Und wer war der Besitzer? Fest stand jedenfalls eines: im Zimmer konnte dieser tierische Besucher nicht bleiben. Langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, streckte Simon seine Hände nach ihm aus und schaffte es, den Hermelin zu packen, ohne ihn zu erschrecken. Widerstandslos ließ sich das offenbar zahme Tier auf den Arm nehmen und tragen. „Tut mir leid, aber hier kannst du nicht bleiben!” sagte er und ging zur Tür. „Ich werde jetzt mal deine Besitzer suchen gehen.” Simon ging auf den Flur hinaus, hielt aber inne da er ganz vergessen hatte, in welche Richtung er zur Rezeption gelangte. Also ging er auf gut Glück los in der Hoffnung, in die richtige Richtung zu laufen. Doch als er nach einer Weile nach links abbog und nach einer Weile in einem völlig anderen Teil der Pension gelangte, da dämmerte es ihm langsam, dass er sich verlaufen hatte. Unsicher sah er sich um und hatte das Gefühl, nicht den blassesten Schimmer zu haben, wo er jetzt eigentlich war. Doch da öffnete sich hinter ihm eine Tür und eine Stimme rief „Hereinspaziert!” Im selben Moment, als Simon sich umdrehte um zu erkennen, wer nach ihm gerufen hatte, befreite sich der Hermelin aus seinen Armen, sprang hinunter und huschte durch den Türspalt ins Innere des Zimmers. Auf der Tür stand in großen Buchstaben „Behandlungsraum 1” auf einem Schild und etwas zögerlich trat Simon herein. Das Behandlungszimmer entpuppte sich als eine bizarre Mischung aus einem ärztlichen Behandlungsraum und einem esoterischen Kräuterladen. Während auf der einen Seite des Raumes ausschließlich eine Liege und medizinische Geräte sowie ein Bild mit der menschlichen Anatomie zu sehen waren, war der Rest des Raums regelrecht vollgestopft mit allen Arten von Pflanzen, Tinkturen und Gläsern, die mit irgendwelchen Dingen gefüllt waren. In mehreren Schränken reihten sich Gläser mit getrockneten Blüten und Früchten, eingelegten Wurzeln und sogar kleinen Tierchen, die wahrscheinlich schon vor langer Zeit ihr Leben ausgehaucht hatten. Ansonsten gab es Figuren, Edelsteine, Traumfänger, fernöstliche Amulette und viele andere Sachen. Zudem gab es noch einen Tisch mit Reagenzgläsern und Kolben, was das ganze auch noch danach aussehen ließ, als hätte hier jemand ein geheimes Drogenlabor. Dieser Anblick war so bizarr für Simon, dass er sich unweigerlich fragte, ob dies hier eine Esoterikversion von Breaking Bad war oder ob das hier versteckte Kamera war. Es herrschte ein intensiver Geruch, der stark an den von Räucherstäbchen erinnerte und Simon war, als würde er von diesem Duft, der sich mit den Gerüchen all der anderen Dinge in diesem Raum vermischte, regelrecht erschlagen werden. Kaum, dass er auch nur einen Atemzug genommen hatte, war ihm, als würden ihm die Sinne vernebelt werden und ihm wurde schwindelig. An einem großen schweren Mahagonitisch, auf dem mehrere Schälchen mit verschiedenfarbigen Pulvern aufgereiht waren, saß Frau von etwa 48 Jahren und einer wilden blonden Lockenpracht, die fast an eine Löwenmähne erinnerte. Sie trug ein Haarband in leuchtenden Farben und hatte eine Brille auf der Nase, die ihre Augen so stark vergrößerten, dass sie fast wie die Augen eines Insekts wirkten. Es war unmöglich, sie anzusehen, ohne dabei zu lachen. Unter ihrem weißen Arztkittel mit dem hochgekrempelten Ärmeln trug sie ein knallbuntes Shirt, dessen Anblick genauso in den Augen schmerzte wie ihr Haarband und passend dazu trug sie eine Jeanshose mit aufgenähten Blumenmustern und Sandalen. Diese schrille Erscheinung in Kombination mit dem erschlagenen Geruchgemisch verschlug Simon völlig die Sprache und zuerst wusste er nicht, ob er gerade halluzinierte oder ob da wirklich ein Hippie-Doktor vor ihm stand. „Ah da ist ja unser Neuzugang!” rief die Frau und grinste breit, wobei sie ihre strahlend weißen Zähne entblößte. Sie erhob sich so ruckartig von ihrem Platz, dass der Stuhl umfiel, doch sie machte sich nicht die Mühe ihn wieder aufzurichten. Stattdessen ging sie direkt zu Simon hin und reichte ihm zum Gruß ihre Hand, die mit zahlreichen Lederarmbändern Armbändern mit Türkisen geschmückt war. „Ich bin Melissandra Ophiuchus. Und nein, ich bin keine rotgekleidete Feuerpriesterin wie in dieser HBO Serie, sondern mein Name ist einfach nur eine unkreative Kombination aus Melissa und Sandra. Und du bist also Simon Cavanaugh, richtig? Na setz dich doch erst mal hin, mein Junge. Du bist ja ganz blass und sicher stehen tust du auch nicht. Ich werde mal ein wenig frische Luft hereinlassen.” Benommen nahm Simon auf der Behandlungsliege Platz, während die Hippie-Ärztin die Fenster öffnete, um ein wenig frische Luft hineinzulassen. Dabei kletterte der Hermelin ihren Mantel hoch und machte es sich schließlich auf ihrer Schulter bequem. Die frische Luft tat wirklich gut und langsam schwand auch das Gefühl der Benommenheit wieder und Simon wandte sich an die 48-jährige und fragte sie überrascht „Ist das Ihr Hermelin?” „Ja, Kasra ist mein treuer Gefährte, Freund und Mentor”, erklärte sie und kam nun zu ihm hin und begann ihn näher zu mustern. Unweigerlich wanderte sein Blick zu ihrer Lupenbrille und nur mit Mühe konnte er sich ein Lachen verkneifen, als er diese extrem vergrößerten Augen sah, die diese Frau nur noch lächerlicher aussehen ließen. Dabei fiel ihm aber auch etwas Ungewöhnliches auf. Melissandras rechtes Auge war grün wie Azarias’ Augen, doch das andere war lavendelfarben. Gehörte sie etwa zur Wyatt-Familie oder zu den Ronoves? Er kam erst nicht dazu, sie diesbezüglich zu fragen, denn sie war beschäftigt damit, ihn zu untersuchen. Dabei musterte sie akribisch seine Augen, schaute ihm kurz in den Hals und begutachtete seinen rechten Arm. Dann schien sie auch schon fertig zu sein. „Wie ich es mir dachte. Schattenkrankheit dritten Grades, mittlere Depression und ein akuter Vitamin D und Magnesium Mangel. Na das kriegen wir schon wieder hin. Bis jetzt habe ich sie alle wieder auf die Beine gekriegt.” „Das können Sie so einfach feststellen?” fragte Simon ein wenig ungläubig. Er hatte erwartet, dass man ihm Blut abnahm oder irgendwelche medizinischen Untersuchungen durchführte. Aber stattdessen hatte sie ihn nur kurz oberflächlich untersucht. Wie sollte man da eine genaue Diagnose treffen können? „Wollen Sie nicht irgendwie noch eine Blutuntersuchung oder ein EKG durchführen?” „Nicht nötig”, winkte sie ab und begann nun in ihren Schränken mit den Tinkturen und Kräutern zu kramen. „Mit meinem siebten Sinn kann ich auch ohne diesen Quatsch feststellen, wo bei meinen Patienten der Schuh drückt.” „Ach so, dann gehören Sie zum Wyatt-Clan?” „Nicht direkt”, kam es zur Antwort, während Melissandra emsig damit beschäftigt war, irgendetwas zusammenzumischen wovon Simon überhaupt keine Ahnung hatte, was sie da eigentlich gerade machte. „Bastardkinder werden grundsätzlich nicht von den Clans aufgezogen und dürfen auch keinen Clannamen tragen. Deswegen lautet mein Nachname auch Ophiuchus und nicht Wyatt oder Ronove.” Simon beobachtete, wie sie zielstrebig nach einigen Gläsern griff, eine bestimmte Menge an Kräutern oder Blüten herausholte und diese dann in einen Mörser zu zerstoßen begann. Sie bemerkte seinen verwirrten Blick und erklärte „Hast du dir nie die Frage gestellt, wie die Clans über so lange Zeit fortbestehen konnten, ohne jemals ihre Besonderheiten oder Fähigkeiten zu verlieren? Das liegt daran, weil sie alles daran setzen, diese zu behalten. Also werden die Kinder, die ohne nennenswerte Eigenschaften geboren werden, vom jeweiligen Clan kurz nach ihrer Geburt verstoßen und das Recht auf den Namen ihrer Familie abgesprochen. Das Gleiche gilt auch für Mischlingskinder, die aus Mitgliedern von zwei Clans geboren wurden und die Besonderheiten beider Familien besitzen. Diese Mischlinge sind Bastarde. Im Grunde genommen ist es simple Selektion: die Reinblütigen sichern den Fortbestand des Clans und die Mischlinge und nicht Vollblütigen werden verstoßen, damit das Erbe der Clans nicht verloren geht.” Fassungslos starrte Simon sie an und konnte nicht glauben, dass das wirklich ihr Ernst war. Die Clans von Annatown verstießen ihre eigenen Kinder nur weil sie anders waren? „Das ist doch krank!” rief er und schüttelte den Kopf. „Wir sind doch hier in Amerika und nicht im Dritten Reich!” Doch Melissandra schien das gelassener zu sehen und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, als wäre das alles bloß halb so schlimm. „Zumindest scheint das Ergebnis zu stimmen. Naja, die Witherfields und Cohans haben noch nie sonderlich viel von dieser Regelung gehalten und sich oft und gerne über die Entschlüsse der anderen Familien hinweggesetzt. Und die Kinsleys und Ronoves mit ihrer Traditionsbesessenheit sind da auch nicht besser. Die ganze Stadt wird von Sturköpfen regiert. Aber es hat durchaus seine Vorteile, ein Bastard zu sein. Mein siebter Sinn hilft mir, die Krankheiten meiner Patienten zu erahnen und die Gabe der Ronove-Familie hat mir geholfen, mir das Wissen über die heilende Wirkung aller Pflanzen dieser Welt anzueignen und die perfekte Medizin herzustellen. Und dank Lottas und Kasras Hilfe bin ich nun quasi die Spezialistin für alle Krankheiten und Leiden in Annatown.” Schließlich, nachdem sie anscheinend mit ihrer Arbeit fertig war, kam sie wieder zurück und reichte ihm ein Tütchen mit einem grünbräunlichen Pulver, ein Döschen mit Tabletten und noch ein kleines Glas gefüllt mit Honig. „Von den Vitamin D Tabletten nimmst du morgens beim Frühstück drei Stück ein. Auf jeden Fall müssen sie morgens genommen werden, damit du auch Energie für den Tag hast. Wenn du sie abends nimmst, putschen die dich auf und du kannst nicht schlafen.. Dieses Pulver hier ist ein medizinischer Tee. Lass ihn zehn Minuten in heißem Wasser ziehen und gib dann etwas von dem Honig dazu. Dann schmeckt er besser und stabilisiert dein Immunsystem. Den Tee musst du übrigens drei Mal am Tag trinken. Der wird deinen Körper entgiften und vor allem hilft er gegen depressive Stimmung.“ „Was ist das eigentlich für ein Tee?“ fragte Simon sofort. „Ich meine… das ist kein normaler Tee, den man einfach im Laden oder in der Apotheke kaufen kann. Habe ich Recht?“ „Absolut“, bestätigte Melissandra und ging zur Fensterbank hin und holte einen Topf mit einem Bonsaibaum hervor. Dieser stellte sich als ein kleiner Kirschbaum heraus, der in voller Blüte stand. Auch wenn es in dem Raum immer noch stark nach Kräutern und Räucherstäbchen roch, konnte er dennoch den Blütenduft wiedererkennen. So hatte der Tee gerochen, den Cypher und Azarias ihm zubereitet hatten. „Der Revitalisierungstee wird aus den Blüten und Pollen des großen Kirschbaumes im Zentrum von Islesbury sowie den frei wachsenden Wildblumen dieses Ortes hergestellt. Dieses kleine Schätzchen hier habe ich selbst herangezüchtet und gieße ihn ausschließlich nur mit dem Quellwasser aus Islesbury. Als Kinder des Lichts besitzen die Witherfields eine enorme Vitalität und besitzen eine außerordentliche Regenerationskraft und Energie solange sie nicht von der Schattenkrankheit befallen werden. Selbst nach ihrem Tod besitzen sie eine reinigende und vitalisierende Kraft, die das Wachstum all dieser Pflanzen und die Entstehung der Heilquelle begünstigt hat. Bereits vor 150 Jahren haben die Ronoves herausgefunden, dass diese Pflanzen eine heilende Wirkung auf Körper und Geist haben, vor allem bei den Witherfields, die sehr anfällig für die Schattenkrankheit sind. Es ist im Grunde genommen simple ökologische Wissenschaft und das Gleiche, als würdest du Düngemittel und Pestizide auf Feldern verteilen. Die Pflanzen nehmen die Schadstoffe auf und wir nehmen sie beim Essen auf und vergiften unseren Körper. Die pflanzliche Medizin aus Islesbury hingegen reinigt den Körper, stärkt das Immunsystem und hilft auch gegen depressive Stimmung. Und bei der Schattenkrankheit ist es unabdingbar, beides gleichzeitig zu behandeln.“ „Wieso?“ fragte Simon verwirrt. „Ich dachte, diese Krankheit kommt von meiner Depression. Wenn ich mich besser fühle, müsste ich auch so wieder gesund werden.“ „Bist du glücklich, wenn du mit Fieber im Bett liegst oder dein Kreislauf bei jeder Anstrengung den Geist aufgibt? Körper und Geist hängen sehr eng miteinander zusammen, mein Junge“, erwiderte die Hippie-Ärztin ein wenig schnippisch und stellte ihr Bäumchen wieder weg. Sie wirkte ein wenig eingeschnappt darüber, dass Simon ihre Methoden hinterfragte. „Mens sana in corpore sano. Selbst die alten Römer wussten das. Depression wirkt sich auf den Körper aus, aber auch das Gegenteil ist der Fall: Krankheiten und Mangelerscheinungen führen zu Depressionen. Der Körper ist nicht leistungsfähig, wenn dein Geist krank ist und dein Geist wird getrübt, wenn dein Körper krank ist. Wenn das eine unbehandelt bleibt, dann bringt die Behandlung nichts. Ärzte in Krankenhäusern behandeln nur den Körper und Therapeuten allein den Geist. Ich behandle beides!“ Ich tue wohl besser daran, ihre Methoden nicht zu hinterfragen, dachte sich Simon und sagte nichts mehr dazu. Nachdem das geklärt war, begann Melissandra ihm den Behandlungsplan zu erklären. „Als erstes sollten wir deinen Kreislauf wieder auf Vordermann bringen und deinen Körper entgiften. Du bekommst ein Mal pro Tag ein Heilbad verordnet und eine Massage, um die Muskulatur zu lockern. Allzu viel Therapieprogramm mute ich meinen Patienten nie zu. Immerhin sind sie ja zur Erholung da und nicht, um noch mehr Stress ausgesetzt zu werden. Du wirst auch noch ein wenig Bewegung bekommen. Daniel wird die Spaziergänge mit dir durchführen und dir auch dabei Annatown zeigen, damit du auch ein wenig unsere Stadt kennen lernst. Und Außerdem werde ich noch einen Ernährungsplan für dich zusammenstellen. Der Tee und der Honig alleine werden keine Wunder bewirken.” Nun setzte sich Melissandra an den großen Mahagonitisch und holte ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber hervor und begann etwas aufzuschreiben. Simon konnte einfach nicht den Blick von dieser Frau abwenden. Noch nie in seinem Leben hatte er eine schrullige Erscheinung gesehen und er fragte sich, ob es noch mehr solcher verrückter Leute gab. Dabei fiel ihm noch etwas ein, was er sie fragen wollte. „Wo ist eigentlich Lotta?” „Sie wohnt einer Sitzung der Clanoberhäupter als neutrale Beraterin bei”, erklärte die Hippie-Ärztin, ohne ihn dabei direkt anzusehen. „Jedes Mal, wenn sich die Oberhäupter über ein Thema nicht einig sind, fliegen ständig die Fetzen. Vor allem zwischen Cohans und Kinsleys. Selbst zehn Jahre nach Beendigung der Clanfehde können sie sich nicht ausstehen. Das liegt wohl in ihrer Natur. Das Beste ist, sich da gar nicht erst einzumischen. Das gibt nur Unglück!” Schließlich stand sie auf, riss den Zettel vom Klemmbrett ab und reichte ihn Simon. „Das wird dein Behandlungsplan für die nächsten Tage sein. Je nachdem, ob die Behandlung gut anschlägt oder nicht, werden kleinere Anpassungen vorgenommen. Falls du Fragen hast, es dir schlechter geht oder du etwas auf dem Herzen hast, kannst du jederzeit bei mir vorbeischauen. Wenn ich nicht hier bin, ist Kasra da.” Damit deutete sie auf den Hermelin auf ihrer Schulter und Simon wusste nicht, ob sie das jetzt ernst meinte oder es ein Scherz war. Bei ihr war er sich da nicht wirklich sicher. Nachdem die Untersuchung vorbei war, verließ Simon das Behandlungszimmer und ging wieder zurück zu seinem Zimmer und stellte die Sachen, die er bekommen hatte, auf den Tisch ab. Dabei sah er sich den Plan an, den Melissandra ihm gegeben hatte. Überrascht stellte er fest, dass er tatsächlich einiges an Freizeit hatte. Im Prinzip hatte er pro Tag drei Programme und dazwischen viel Freizeit. Morgens hatte er die Kräuterbadbehandlung (und netterweise hatte Melissandra ihm aufgeschrieben, wo er hingehen musste), variabel zwischen Mittag und Nachmittag Bewegungstherapie und am Abend Massage. Klang doch sehr überschaubar. Doch erst jetzt fiel ihm ein, dass er ganz vergessen hatte zu fragen, wer denn dieser Daniel war. Und es stand nicht einmal auf dem Zettel geschrieben, wo er ihn finden konnte. Er sollte wohl besser wieder zurückgehen und nachfragen. Vor allem weil er gleich diesen Daniel treffen sollte. Also ging er noch mal zurück zum Behandlungszimmer, doch als er die Tür öffnete, war Melissandra nicht da. Nur der Hermelin lag auf dem Tisch und schien ein wenig zu dösen. Doch kaum, dass er das Geräusch der Tür gehört hatte, hob er seinen Kopf und starrte Simon mit den pechschwarzen Knopfaugen fragend an. In der Hoffnung, dass sich irgendwo versteckt hinter einem Regal befand, trat Simon näher und schaute sich um. „Melissandra?” rief er. „Sind Sie noch hier?” Dabei war er doch gerade erst rausgegangen. „Melissandra, Sie haben mir gar nicht gesagt, wo ich diesen Daniel finde! Melissandra!” Doch es kam keine Antwort. Sie war tatsächlich nicht mehr hier. Na super, dachte er sich und seufzte. Und was sollte er jetzt tun? Er hatte keine Ahnung wo sie war und laut ihrem Zettel musste er sich gleich mit diesem Daniel treffen. Also was sollte er jetzt machen? Plötzlich sprang der schneeweiße Hermelin vom Tisch und huschte zur Tür. In der Annahme, das Tier wollte zu seinem Frauchen gehen, folgte Simon ihm kurzerhand und eilte quer über den Flur und die Treppe hinunter. Für ein so kleines Tier war dieser Hermelin wirklich schnell und Simon, der nicht gerade in Bestform war, hatte ein paar Schwierigkeiten, das Tempo zu halten. Schließlich flitzte das Wiesel durch eine sich öffnende Tür und Simon, der nicht mal nach vorne sah, rannte auch sogleich in jemanden hinein und verlor den Halt, woraufhin er etwas unglücklich zu Boden stürzte. „Hey, alles in Ordnung mit dir?” Benommen schaute er auf und sah, dass er in einen knapp 16 Jahre alten Jungen mit rotgefärbtem Haar hineingerannt war. Er war mit knapp 1,89m Größe eine beachtliche Erscheinung, trotz seiner hageren Statur. Auch er hatte wie Melissandra zwei verschiedene Augenfarben: rot und gelb. Ein ausgewachsener Kolkrabe hockte auf seiner Schulter und ließ ein lautes, scharfes Krächzen vernehmen. Der Junge mit dem feuerroten Haar streckte die Hand nach Simon aus um ihm hochzuhelfen, wobei er amüsiert schmunzelte. „Eigentlich heißt es ja immer, man soll dem weißen Kaninchen folgen, aber dass man einem Hermelin folgen soll ist mir neu.” „Tut mir leid”, entschuldigte sich Simon und ließ sich wieder auf die Beine helfen. Selbst als er wieder auf beiden Füßen stand, war der rothaarige Junge verdammt groß, sogar noch größer als er obwohl er eigentlich älter sein müsste. „Ich war eigentlich auf der Suche nach Melissandra und deswegen bin ich dem Hermelin gefolgt. Ich weiß das klingt bescheuert, aber ich habe gleich einen Termin mit einem Daniel und ich…” „Ach, dann bist du also Simon?” rief der Rotschopf, was nur einen Schluss zuließ. „Mensch, das trifft sich ja gut. Ich wollte gerade losgehen und dich abholen. Ich bin Daniel Evergreen, freut mich sehr dich kennen zu lernen!” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)