The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 63: Wahres Glück ------------------------ Kaum, dass Leron gemeinsam mit Lotta die Villa seines Vaters verlassen hatte, brachen all die aufgestauten Emotionen über ihn herein und Tränen traten ihn in die Augen. Er konnte es nicht aufhalten und er hatte keine Kraft mehr, stark zu bleiben. Lotta reichte ihm ein Taschentuch und legte tröstend eine Hand auf seine Schulter. „Es ist alles gut, Leron. Du hast für dich die richtige Entscheidung getroffen und allein darauf kommt es an. Geh nach Hause und ruh dich aus. Ich werde mich morgen bei dir melden.“ „Danke für die Hilfe“, murmelte Leron und wischte sich die Tränen weg. „Ich bin okay. Es ist nur… Dieser ganze Familienterror ist mir einfach zu viel geworden. Und ich kann einfach nicht glauben, dass ich so dumm gewesen war und allen Ernstes geglaubt habe, dieser Mann würde sich jemals ändern.“ „Du hast ein gutes Herz und mit deinem kranken Vater Frieden schließen zu wollen ist nicht dumm. Der Fehler liegt nicht bei dir. Ruh dich erst einmal aus. Du brauchst genauso eine Auszeit wie Simon und ich denke, etwas Abstand von New York wird euch beiden gut tun. Nun dann… ich sollte langsam zum Hotel zurückgehen und sehen, was Azarias macht. Leider kann man ihn nicht allzu lange alleine lassen.“ Damit verabschiedete sie sich und ging ihres Weges. Leron selbst ging zur Limousine und wies seinen Chauffeur an, ihn zurück nach Hause zu fahren. Erschöpft schloss er die Augen und lehnte seinen Kopf zurück. Er hatte es tatsächlich getan und damit genau das gemacht, was bereits seine Mutter hätte tun sollen als sie noch gelebt hatte. Er hatte den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen und ihn offiziell aus seinem Leben gestrichen. Und er hatte seinen Entschluss verkündet, dass er den Konzern endgültig verkaufen würde. Auf der einen Seite war er ziemlich mit den Nerven durch, aber auf der anderen Seite fühlte er sich unendlich erleichtert und froh über seinen Entschluss. Er bereute ihn nicht eine Sekunde lang und war froh, dass er es getan hatte. Nicht nur, dass er sich noch weiterhin damit auseinandersetzen musste, wie er das angeschlagene Image wiederherstellen und die Verluste ausbügeln sollte. Nun konnte er sich etwas ganz eigenes aufbauen, ohne dass sein Vater ihm ständig reinzureden versuchte. All die negativen Erinnerungen, die er mit dem Unternehmen seiner Familie verband, konnte er endlich loslassen und noch einmal von vorne beginnen. Dies war mit Sicherheit eine der besten Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hatte. Vor allem konnte er auch mit dem Thema Familie abschließen. Er wusste jetzt, was für eine Person seine Mutter gewesen war und hatte gelernt, nicht dieselben Fehler zu machen wie sie. Obwohl er sich lange Zeit nicht einmal daran erinnern konnte, so hatte er doch sein Versprechen gehalten, was er ihr gegeben hatte. Er hatte sich in Behandlung begeben nachdem seine Schizophrenie schlimmer geworden war und er hatte endgültig mit seinem Vater gebrochen, um sowohl sich selbst als auch Simon vor seinen Intrigen und Manipulationen schützen zu können. Er hatte sein Leben unter Kontrolle und war auf einem besseren Weg. Alles andere würde sich mit der Zeit ergeben. Und Morgen oder spätestens übermorgen würde er Simon nach Ohio schicken, damit er dort behandelt werden konnte. Vielleicht würde auch Cypher ihn begleiten wollen. Immerhin lebte ihre gemeinsame Mutter in Annatown und garantiert wollten sie sie persönlich kennen lernen. In dem Fall würde mit Sicherheit auch Hunter mitgehen wollen. Nun, in dem Fall war er wesentlich beruhigter und konnte den Jungen vorschicken. Die beiden würden ein wachsames Auge auf ihn haben und er würde sich darum kümmern, dass Evans Energy baldmöglich einen Käufer fand. Wenigstens das wollte er noch erledigen. Aber trotzdem konnte er nicht glauben, dass das vorhin wirklich passiert war und sein Vater alles gestanden hatte. Kurz nachdem Lotta ihm alles zu seiner Mutter und den Plänen seines Vaters erzählt hatte, da hatte er nicht mehr an sich halten können und die Wahrheit aus Lionels Mund selber hören. Ihm war klar gewesen, dass er ihn nicht so leicht dazu bringen konnte, doch überraschend hatte Lotta angeboten gehabt, mitzukommen. Sie hatte angedeutet, dass sie sehr überzeugend sein könne und seinen Vater dazu bringen konnte, die Wahrheit zu sagen, ohne dass direkt Gewalt angewandt werden musste. Aber dass es so gut funktionieren würde, hätte er nie im Leben gedacht. Wie auch immer sie das geschafft hatte, es hatte ihm absolute Gewissheit verschafft und nun konnte er seine Entscheidung durchziehen, ohne irgendwelche Restzweifel zu haben. Aber es wunderte ihn trotzdem, wer diese Lotta Muldaur eigentlich war und warum sie ein solch großes Interesse daran hatte, den letzten Willen seiner Mutter zu erfüllen. Sie selbst hatte ja gesagt, sie hätte nie ein sonderlich enges Verhältnis zu ihr gehabt. Aber trotzdem hatte sie diese ganze Mühe auf sich genommen und war extra aus Ohio hergereist und das nur um ihn vor den Manipulationen seines Vaters zu warnen. War sie einfach nur ein Mensch, der das Richtige tun wollte und ein gutes Herz hatte? Solche Leute sollte es ja bekanntlich geben, die einige Verrücktheiten machten, allein nur weil sie jemandem helfen wollten. Aber was wusste er sonst über sie? Nur, dass sie anscheinend alt genug war, dass sie seine Mutter schon von klein auf gekannt hatte und sie aussah, als wäre sie gerade mal nur ein klein wenig älter als er. Sie war das ehemalige Oberhaupt eines Clans, der mit den Cohans verfeindet war und obwohl sie von sich behauptete, bloß Bibliothekarin und Heilpraktikerin zu sein, schien sie vermögend genug sein um sich einen Privatjet leisten zu können. All das klang so unfassbar widersprüchlich, dass er einfach nicht schlau aus ihr wurde. Und die wenigen Dinge, die er über sie wusste, passten überhaupt nicht in ein schlüssiges Bild zusammen. Nun, vielleicht hatte er ja die Chance, mehr über sie zu erfahren, wenn er seine persönlichen Angelegenheiten geregelt hatte. Nachdem sie schon so hilfsbereit ihm gegenüber gewesen war, wäre es das Mindeste, wenn er sich für ihre ganzen Mühen erkenntlich zeigte. Als der Wagen endlich die Villa erreicht hatte, öffnete Leron die Tür und atmete tief die frische Luft ein, die ihm entgegenwehte. Die kühle Brise war wohltuend und kühlte sein erhitztes Gesicht. Inzwischen war es später Nachmittag und er begann sich zu fragen, ob Simon wohl noch mit Cypher unterwegs war. Mit Sicherheit hatten sie nicht allzu viel Zeit im Gefängnis verbracht. So wie er seinen Petboy einschätzte, würde er nicht wirklich Lust auf ein Teekränzchen mit einem verurteilten Kriminellen haben. Und hoffentlich ging es ihm nicht allzu schlecht. Natürlich vertraute er Cypher, dass dieser ein Auge auf seinen kleinen Bruder hatte, aber nach allem, was Lotta und Azarias ihm bezüglich Simons Krankheit gesagt hatten, war er lieber umso vorsichtiger und ging lieber kein Risiko ein. Kaum, dass Leron die Tür geöffnet hatte, wehte ihm ein schwacher Essensgeruch entgegen. Und Licht brannte im Flur. Also war Simon wieder da? Vielleicht war aber auch dieser verrückte Spinner wieder in sein Heim eingebrochen und hatte spontan beschlossen, es sich bei ihm bequem zu machen. Solange der noch in New York war, hielt er alles für möglich. Doch als er die Küche betrat, sah er Simon am Herd stehen, der vollkommen konzentriert bei der Arbeit war. Was genau er da kochte, konnte Leron nicht ganz erkennen, doch dem Geruch nach zu urteilen, musste es etwas mit Zitrone sein. Eine Pfanne mit Soße stand auf dem Herd und köchelte leicht, während der 21-jährige gerade dabei war, die Nudeln abzugießen. „Na so was, Simon. Du kochst?“ „Hi Leron!“ grüßte Simon ihn, musste sich aber noch auf seine Arbeit konzentrieren und gab anschließend die Nudeln in die Soße. „Ich dachte mir, ich könnte was Einfaches kochen, weil Anthony ja nicht da ist. Und ich hatte auch ziemlichen Hunger gekriegt. Setz dich ruhig, ich bin gleich soweit.“ Während Leron am Tisch Platz nahm, belud Simon nun zwei Teller mit Essen und gesellte sich schließlich zu ihm. Der Unternehmer sah ihn prüfend an um sicherzugehen, dass auch alles in Ordnung mit dem Jungen war. Tatsächlich war er noch recht blass im Gesicht, wirkte aber dennoch deutlich fitter als in den letzten Tagen. Zumindest schien er besserer Laune zu sein. Doch etwas war da… „Simon, sieh mich mal kurz an.“ Fragend hob der 21-jährige den Blick und dann sah Leron es. Trotz des künstlichen Lichts der Lampen strahlten Simons Augen in einem wunderschönen kristallklaren Eisblau. Noch nie in seinem Leben hatte er jemals ein so strahlend schönes helles blau gesehen und sie wirkten so rein und klar wie Diamanten. Leron war wie hypnotisiert und ihm verschlug es vollkommen die Sprache. Sie schienen regelrecht zu leuchten. Simon, der seinerseits verwirrt über Lerons Gesichtsausdruck war, runzelte verwundert die Stirn und begann bereits zu essen. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ erkundigte er sich. Doch der Angesprochene brauchte erst einen Moment um sich zu sammeln. Er holte sein Handy hervor, wählte die Selfiefunktion und hielt Simon das Smartphone entgegen, damit er es selbst sehen konnte. „Deine Augen…“ Immer noch etwas verwirrt schaute Simon auf das Display. Doch als er dann endlich sah was Leron meinte und nun selbst zum allerersten Mal seine wahren Augen erkannte, da sammelten sich Tränen in seinen Augen und er konnte es kaum glauben. Er wirkte so unbeschreiblich glücklich, dass Leron nicht anders konnte als zu ihm hinzugehen und ihn in den Arm zu schließen. Und kaum, dass sie einander in den Arm geschlossen hatten, begann Simon heftig zu schluchzen. Wie sehr hatte er auf diesen einen Moment gewartet, unzählige Opfer gebracht und gehofft, eines Tages zu diesem einen Punkt zu gelangen, dass ihm endlich das vergönnt wurde, was jedem Menschen von Geburt an gegeben wurde und jeder andere als selbstverständlich erachtete. Augen wie jeder andere zu haben und nicht mehr das Gefühl haben zu müssen, ein Monster oder Freak zu sein oder sich hinter Sonnenbrillen verstecken zu müssen. Selten hatte Leron etwas in seinem Leben so sehr bewegt wie dieser Moment. All die Mühen, die Wartezeit und das Geld waren mit einem Schlag vergessen, als er sah wie Simon vor Glück weinte, als er sich endlich selbst mit ganz normalen Augen sehen konnte. „Das muss ein Traum sein…“ hörte er ihn schluchzen. „Das kann doch nie und nimmer wirklich passieren.“ „Doch, es ist real und ich freue mich so sehr für dich. Du hast es wirklich verdient!“ Es dauerte eine Weile, bis sich Simon wieder halbwegs beruhigt hatte, doch so wirklich konnte er es noch gar nicht fassen. Er musste sich mehrmals vergewissern, dass es auch wirklich seine Augen waren und nicht bloß eine Täuschung. Noch nie hatte Leron ihn so glücklich gesehen und allein dieser Anblick ließ ihn den ganzen Ärger von vorhin vergessen. Simon starrte fasziniert auf das Display des Smartphones, um seine Augen näher zu betrachten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich blaue Augen haben würde. Und ich habe noch nie so ein helles blau gesehen. Ob meine Mutter auch so eine Augenfarbe hat?“ „Wer weiß“, meinte Leron und schmunzelte. „Du könntest es früher herausfinden als erwartet.“ „Wieso?“ fragte Simon verwundert und schaute zu ihm auf. Es mochte Einbildung sein, aber es schien nun, als würde sein ganzer Blick so viel ausdrucksstärker und lebendiger wirken und das nur durch die Augen. Es lag etwas darin, was von solch einer ungefilterten Offenheit und gleichzeitig einer Art gutherzigen Unschuld zeugte. Erst jetzt wurde Leron überhaupt bewusst, wie viel allein die Augen schon ausmachten. Zwar hatte er sich vorher nie an Simons unnatürlich wirkenden Augen gestört, aber nun erkannte er, wie sehr diese „neuen“ Augen ihn veränderten. Nie im Leben hätte er gedacht, dass es einen solchen Unterschied ausmachen würde. Und dann waren sie auch noch so wunderschön. Der ungewohnte Anblick lenkte ihn so sehr ab, dass er Simons Frage zuerst gar nicht mitbekam, sodass dieser seine Frage wiederholen musste. Er versuchte sich wieder zu konzentrieren und entschuldigte sich schnell. „Also ich hatte heute Besuch von diesem verrückten Spinner von heute Morgen und einer Dame namens Lotta Muldaur, die mir etwas über deine Krankheit sagen konnten. Und da hat es sich ergeben, dass es wichtig ist, dich so schnell wie möglich nach Annatown zu bringen, damit du dort behandelt werden kannst. Ich werde Cypher anrufen und nachfragen, ob es ihm recht ist, dass ihr morgen nach Ohio fliegt.“ Simons Augen weiteten sich und ihm klappte die Kinnlade herunter. Er war vollkommen sprachlos und seine Augen leuchteten auf. „Was? Schon morgen? Aber wie… und was ist mit dir? Kommst du etwa nicht mit?“ „Ich werde nachkommen“, versicherte Leron ihm und begann sich nun seinem Essen zu widmen, welches sich als eine Zitronenpasta mit Garnelen und Pinienkernen herausstellte. Etwas relativ simples aber er musste zugeben, dass sie sehr gut gelungen war. Also Kochen konnte Simon auf jeden Fall. „Es gibt noch etwas, das ich noch unbedingt erledigen will, aber dann komme ich auf jeden Fall nach.“ „Ist irgendetwas mit dem Konzern oder ist etwas mit deinem Vater?“ „Ja und ja. Ich hatte vorhin eine etwas heftige Auseinandersetzung mit ihm und beschlossen, den Kontakt endgültig zu ihm abzubrechen und den Konzern zu verkaufen. Nachdem ich erfahren habe, dass er selbst jetzt nicht ehrlich zu mir ist und nur wieder seine eigenen selbstsüchtigen Ziele im Blick hatte, habe ich endgültig den Schlussstrich gezogen. Ich will mir etwas ganz neues aufbauen, um endlich von ihm loszukommen und ich will niemanden in meinem Leben haben, der versucht, sich unserer Beziehung in den Weg zu stellen. Du bist der wichtigste Mensch für mich und ich will dich nicht verlieren. Meine Familie hat uns genug Probleme bereitet, also habe ich getan, was ich schon längst hätte tun sollen. Aber sprechen wir jetzt nicht darüber. Wie ist denn das Treffen mit deinem leiblichen Vater verlaufen?“ Mit dieser geschickten Strategie hatte er dieses unangenehme Thema geschickt gewechselt und ließ stattdessen Simon erzählen. Er hatte gerade nicht wirklich Lust dazu, über den Streit mit seinem Vater zu reden. Dafür aber blühte zumindest Simon in seiner Erzählung auf. Von Henderson redete er nicht sonderlich viel, dafür aber von seiner Mutter, mit der er bei Cypher zuhause telefoniert hatte. Er erzählte mit Begeisterung davon, wie überglücklich sie gewesen war, von ihm zu hören und dass sie ihn und Cypher unbedingt kennen lernen wollte. Leron freute sich richtig für ihn, dass er zumindest bei seiner Mutter Glück gehabt hatte und sie ihn sehen wollte. Zwar hatte der Junge gesagt gehabt, er brauche keine Familie mehr, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass dem nicht so war. Er wünschte sich insgeheim eine Familie, mit der er Kontakt haben konnte. Und dann auch noch so eine positive Rückmeldung von seiner leiblichen Mutter zu bekommen, war natürlich das schönste Glück. Als Simon seinen Bericht beendet hatte, war sein Essen inzwischen kalt und er musste es in der Mikrowelle aufwärmen. „Na das trifft sich doch wunderbar“, sagte Leron schließlich. „Dann kannst du sie ja überraschen, indem du bei ihr persönlich vorbeischaust. Ich wette, damit wird sie im Leben nicht rechnen.“ „Meinst du, ich sollte sie vorher anrufen und fragen, ob das in Ordnung geht?“ fragte Simon etwas zögerlich, während er neben der Mikrowelle wartete. „Vielleicht ist es ja auch ein ganz schlechter Zeitpunkt.“ Ja das stimmte schon, das musste Leron zugeben. Also schlug er eine Alternative vor: „Du kannst sie anrufen und ihr Bescheid sagen, wenn du in Annatown bist. Dann könnt ihr ein Treffen ausmachen und so habt ihr Zeit, euch vorzubereiten. Und so kannst du sie trotzdem überraschen.“ „Klingt super. Aber sag mal, wer ist denn diese Lotta?! Ist das der Besuch, von dem Azarias gesprochen hat? Ist sie eine Bekannte von dir?“ „Nein, sie ist eine Bekannte meiner Mutter und hat ihr vor ihrem Tod ein Versprechen gegeben. Und sie wollte mich treffen, um ihr Versprechen einzulösen und mich zu warnen, dass mein Vater wieder ein falsches Spiel mit mir treibt“, erklärte Leron und goss sich ein Glas Wasser ein, nachdem er seine Pasta aufgegessen hatte. Simon selbst kehrte wieder mit seinem aufgewärmten Essen zum Tisch zurück und begann sich die Nudeln regelrecht reinzuschaufeln, als wäre er dem Hungertod nahe. „Viel weiß ich nicht über sie, aber sie kennt meine Familie sehr gut. Und ich habe noch etwas Interessantes erfahren.“ „Und was?“ „Sie hat mir von fünf Clans erzählt, die Annatown gegründet haben. Anscheinend zählen sowohl die Cohans als auch die Witherfields dazu. Das bedeutet, dass du offenbar einem uralten Clan angehörst. Und noch interessanter ist, dass zwischen diesen beiden Familien wohl eine enge Bindung herrscht. So etwas wie eine Seelenverwandtschaft. Zwar bin ich nicht abergläubisch, aber irgendwie hat dieser Gedanke etwas Romantisches, findest du nicht?“ Simons Augen wurden groß vor Staunen und er wollte mehr wissen. Leron begann ihm zu erzählen, was er von Lotta erfahren hatte und von der alten Geschichte der Clans. Der Tag der Überraschungen schien kein Ende zu nehmen und der 21-jährige konnte kaum glauben, dass die Geschichte seiner Familie Jahrhunderte zurückging und dann auch noch mitverantwortlich für die Gründung einer Stadt war. Er wollte mehr wissen, aber leider wusste Leron nicht mehr als das. Nachdem auch Simon aufgegessen hatte und sie gemeinsam die Küche wieder aufräumten, gingen sie gemeinsam zu Lerons Schlafzimmer. Sie beide waren müde und hatten einen ereignisreichen Tag. Und morgen würde es genauso ereignisreich weitergehen. Die Stimmung was entspannt und sie beide waren in guter Stimmung. Nach einer ausgiebigen heißen Dusche gingen sie zu Bett und Simon kuschelte sich an Leron heran und schloss seine Augen. Zärtlich strich der 31-jährige ihm durch seine braunen Locken und bemerkte erleichtert, dass Simons Kälte ein wenig gewichen war. Zwar fühlte sich seine Körpertemperatur immer noch nicht normal an, aber es war bei weitem nicht mehr so schlimm wie gestern. „Weißt du Leron, wenn ich so darüber nachdenke, passt das irgendwie, dass unsere Familien seelenverwandt sind“, sagte er und legte seinen Kopf auf Lerons Brust. „Wir beide sind zusammen und deine Mutter war eine Cohan. Cyoher ist ein Witherfield und Hunter ist ebenfalls ein Cohan.“ „Stimmt“, bestätigte Leron und musste zugeben, dass er das bis jetzt noch gar nicht so wirklich bemerkt hatte. „Und auch der Rest stimmt irgendwie. Es war auch ehrlich gesagt befreiend zu erfahren, dass die Cohans nicht einfach bloß geisteskranke Mörder sind, sondern dass es wenigstens eine Erklärung gibt, warum sie so sind. Wenn solch eine Genmutation in meiner Familie vorliegt, die psychische Krankheiten begünstigen kann, dann könnte es doch möglich sein, dass deine Augenanomalie vielleicht auch von deiner Familie herkommt.“ Doch Simon schüttelte den Kopf und meinte „Nein, ich glaube das kommt von meinem Erzeuger. Als wir ihn im Gefängnis besucht hatten, da sahen seine Augen ziemlich trüb aus und sie waren irgendwie anders als normal. Nicht so krass wie bei mir und Cypher, aber man hat schon gesehen, dass da irgendetwas anders war. Naja, ich kann mich auch irren. Aber sag mal Leron…“ Eine Pause trat ein und Simon hob seinen Kopf und sah Leron mit einem fragenden und besorgten Blick an. „Meinst du wirklich, es ist die richtige Entscheidung, den Konzern zu verkaufen? Du arbeitest doch immer so hart und dir ist die Arbeit wichtig. Und ich will nicht, dass ich eine Belastung für dich werde.“ Es lag so etwas wie Schuld in seinen Augen, das sah Leron sofort. Anscheinend glaubte er, dass er der Hauptgrund war, warum er diesen Entschluss gefasst hatte. Nun, der Gedanke lag auch nahe, denn immerhin hatte er vorhin erwähnt gehabt, dass der Grund für sein Zerwürfnis mit Lionel unter anderem auch Simon war. Um für klare Verhältnisse zu schaffen, erklärte er „Es ist einfach zu viel zwischen mir und meinem Vater passiert. Und solange ich mich nicht alle Verbindungen zu ihm abbreche, wird es nicht besser werden. Es ist viel zusammengekommen und es liegt nicht an dir. Er kann einfach nicht akzeptieren, dass ich schwul bin und ich nicht mit einer wohlhabenden Frau liiert bin. Und er hat mich bezüglich meiner Mutter belogen. Und mit dem Konzern verbinde ich sowieso nur schlechte Erinnerungen. Dieser hat für genug Familiendrama gesorgt und ich will endlich frei von meiner Vergangenheit sein. Es ist meine Entscheidung und du trägst keine Schuld an diesem Zerwürfnis.“ „Aber ihr habt euch wegen mir gestritten…“ „Er ist ein selbstgerechter Mistkerl“, sagte Leron nun mit deutlichem Nachdruck. „Er sieht auf dich herab, weil du anschaffen gegangen bist, bevor du zu mir gekommen bist. Aber er selbst hat meine damals schwangere Mutter mit einer mittellosen Kellnerin betrogen und er hat meine Mutter nur wegen ihres Aussehens und ihres Geldes geheiratet. Und er hat nicht das Recht, mich für meine Beziehung zu dir zu verurteilen, wenn er selbst keinen Deut besser ist. Ich liebe dich und ich will nicht so enden wie meine Eltern, die in einer absoluten Alptraumehe gefangen waren. Das ist nicht, wie ich mein Leben leben will. Er kann einfach nicht nachgeben, sondern versucht immer anderen seinen Willen aufzuzwingen und sie zu manipulieren. Wahrscheinlich wäre er damit durchgekommen und ich wäre eines Tages genauso wie er geworden, wenn ich nicht durch dich klarer gesehen hätte.“ Zärtlich streichelte er Simons Kopf und konnte nicht anders, als in diese wunderschönen eisblauen Augen zu sehen. Selbst in diesem Dämmerlicht der kleinen Lampe auf dem Nachttisch war es, als würden diese Augen aufleuchten. „Also im Grunde genommen bin ich doch der Grund für den Streit“, meinte sein Petboy spitzfündig. „Aber ich kann dich verstehen. Solange du mit deiner Entscheidung glücklich bist, ist ja alles gut. Ich mache mir halt nur Gedanken… Dein Vater ist todkrank und das hat dich ja schon ziemlich mitgenommen. Ich mache mir halt Sorgen, dass du es vielleicht bereuen wirst, wenn er nicht mehr da ist. Und der Konzern scheint ihm wichtig zu sein. Ich kenne mich da nicht so gut mit diesen Dingen aus, aber den Konzern zu verkaufen, weil du dich an deinem Vater rächen willst, erscheint mir nicht gerade als vernünftige Idee…“ „Ich mache das nicht aus Rache“, versicherte Leron. „Ich habe wirklich darüber nachgedacht, was die beste Entscheidung war und ehrlich gesagt hätte ich so oder so drastische Entscheidungen treffen müssen. Seitdem die Presse weiß, dass die Leichen im Wald eine Verbindung zu meinem Vater haben, steigern sich die Leute in Theorien hinein und wir haben viele Aufträge verloren. Aber nach allem, was passiert ist, ist es mir die Mühe nicht wert. Und ich denke, ein Neuanfang wird auch unserer Beziehung gut tun. Dann kann ich mir endlich eine Auszeit gönnen und habe vor allem auch mehr Zeit für dich. Mach dir nicht so viele Gedanken darüber. Es ist alles unter Kontrolle. Versuch ein bisschen Schlaf zu finden. Morgen haben wir viel vor und du musst für die Reise fit sein.“ Mit einem müden zustimmenden „Mhm…“ schloss Simon wieder die Augen und war kurz darauf auch schon eingeschlafen. Na das ging ja schnell, dachte sich Leron und schmunzelte, als er einen Arm um den Schlafenden legte. Seine Entscheidung bezüglich seines Vaters und des Konzerns bereute er nicht für eine Sekunde. Nein, es war die beste Entscheidung gewesen, die er seit langer Zeit getroffen hatte. Er würde sein Leben selbst bestimmen und sich von niemandem beeinflussen lassen. Und er war stolz darauf, dass er die Kraft besessen hatte, den Schritt zu gehen, den seine Mutter damals nicht gegangen war. Natürlich wusste er, dass sie nicht einfach bloß bei seinem Vater geblieben war, weil sie an ihrer Ehe festklammerte, obwohl sie ihren Mann gehasst hatte. Nein, sie hatte ihr eigenes Glück geopfert, um ihren Kindern ein normales Leben bieten zu können. Sie musste gewusst haben, dass sie es vielleicht nicht schaffen würde, den Stress als alleinerziehende Mutter zu bewältigen, vor allem nicht bei ihrer instabilen Psyche. Sie hätte vielleicht glücklich werden können, wenn sie alles hinter sich gelassen und einen Neuanfang gemacht hätte. Ohne Kinder und ohne einen lieblosen Ehemann. Doch sie hatte es nicht getan, weil ihre Kinder wichtiger waren als ihr eigenes Glück. Nein… das war es nicht. Ihre Kinder waren ihr Glück. Sie hatte sie alle drei aufrichtig und bedingungslos geliebt und sie war von ihnen geliebt worden. Und nun lag es in seiner Verantwortung, das Beste aus seinem Leben zu machen. Seiner Mutter konnte er ihr Leben nicht zurückgeben, also war das einzige, was er tun konnte, sein Versprechen zu wahren. Er würde sein Leben selbst bestimmen und den Menschen beschützen, den er liebte. Er hatte bereits sein wahres Glück gefunden und er würde es nicht wieder hergeben. Im Penthouse des Sterling-Hotels im Herzen der New Yorker City war es zum Abend hin ruhig geworden und nur der Fernseher, in welchem eine Folge der Animaniacs lief, störte die entspannte Atmosphäre. Azarias, der nach dem Besuch bei Leron wieder zurückgekehrt war, hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und schlug sich den Bauch mit Popcorn und Schokolade voll, während er sich ununterbrochen Cartoons ansah. Diese zählten zu den wenigen unterhaltsamen Dingen in seinem Leben. Denn obwohl er sie alle schon unzählige Male gesehen hatte und schon beim ersten Mal genau wusste, wie die Folgen enden würden, schafften sie es dennoch, ihn zu unterhalten. Solche Art der Unterhaltung, in welcher die Auflösung am Ende einer Episode nicht das Wesentliche war, sondern stattdessen die Gags, wurde wenigstens nicht durch seinen siebten Sinn ruiniert. So war das einzig Interessante in seinem Leben nicht bloß seine Einmischung in das Leben anderer Leute, sondern einfach diese primitive wie geniale Kunst der Unterhaltung in kurzweiligen Episoden mit vielen Slapsticks. Nur Tom und Jerry waren noch besser, aber leider kratzte ihn die Gewalt immer kurz vorm Schlafengehen so sehr auf und dann kam er meist auf dumme Gedanken. Inzwischen kannte er sich da selbst zu genüge. Die Tür wurde geöffnet und er brauchte gar nicht erst nachzuschauen um zu wissen, wer da gerade hereingekommen war. Seine einzige Frage war höchstens „Wieso kommst du durch die Tür, Lotta? Du machst dir immer solche Umstände.“ „Ich ziehe es halt vor, mich anzupassen“, erklärte sie und setzte sich zu ihm. Zwar hatte sie noch nie sonderlich viel Interesse an Cartoons gehabt, geschweige denn an irgendwelchen Sendungen und las stattdessen lieber Bücher, aber sie suchte manchmal einfach Gesellschaft. Und außerdem verband sie beide etwas sehr Vertrautes miteinander. Immerhin hatte bereits sein Großvater eine enge Freundschaft zu ihr gehabt, genauso wie sein Urgroßvater. „Und wie ich sehe, hast du dich an meinem Ratschlag gehalten, im Hotel zu bleiben?“ „Ich wollte nicht noch mehr Ärger mit dir riskieren“, gestand er und bot ihr Popcorn an, doch sie lehnte ab. „Ich mag zwar verrückt sein, aber so verrückt bin ich nun auch wieder nicht, dass ich mich mit dir anlege.“ „Ach wirklich?“ fragte sie und schmunzelte. „Das hat dich aber nicht davon abgehalten, Sally zu ärgern.“ „Pfft, vor der habe ich ja auch keine Angst, weil sie Schiss vor dir hat und weil sie auf die Clanoberhäupter hört. Aber ich brauche keinen siebten Sinn um zu wissen, dass ich mich mit deinem Kaliber nicht anlegen sollte. Naja, zumindest ist alles gut verlaufen. Du hast dein Versprechen eingelöst und hast erfolgreich eine Vater-Sohn-Beziehung zerstört und als nächstes bringen wir die beiden Witherfield-Brüder nach Annatown. Und ich kann endlich wieder in die Klapse zurück.“ „Es hat dich keiner gezwungen, mitzukommen“, erinnerte ihn Lotta und holte nun ein Buch hervor, welches sich als das Buch „Germania“ von Tacitus herausstellte und begann darin zu lesen. „Wenn ich mich recht entsinne, warst du es doch, der mich darum gebeten hat, obwohl du das Fliegen so sehr hasst.“ „Ich wollte halt mein Versprechen einlösen und mir war in der Klapse langweilig geworden. Also brauchte ich etwas Abwechslung“, erklärte Azarias mit einem leichten Schmollen. Doch so leicht ließ ihn seine Gesprächspartnerin nicht davonkommen. „Und außerdem stand es nicht in meiner Absicht, eine Beziehung zu zerstören. Das alles hätte nicht passieren müssen, wenn Lionel ehrlich zu seinem Sohn gewesen wäre. Aber die Menschen sind leider unaufrichtig und stur. Erst im Tode werden all ihre Geheimnisse und Lügen offenbart.“ „Aber deine Tricks zu benutzen um ihn zum Reden zu bringen, ist meiner Meinung nach glattes Schummeln. Außerdem hättest du ihn dazu bringen können, es seinem Sohnemann schon vorher zu sagen.“ „Ich benutze meine Macht nicht, um die Menschen wie Marionetten zu manipulieren“, gab sie entschieden zurück und eine leichte Verärgerung war im Unterton wahrzunehmen. „Ich wollte, dass Lionel ihm aus freien Stück die Wahrheit sagt. Ich habe mich schon genug in die Angelegenheiten der Lebenden eingemischt. Mein Versprechen habe ich eingelöst und Leron ist nun frei vom Einfluss seines Vaters und seiner Mutter.“ Azarias biss ein Stück von seiner Tafel Schokolade ab und prüfte Lotta mit einem eindringlichen Blick, die sich ihrem Roman zugewandt hatte. „Na dafür, dass du dich so sehr an die Regeln halten willst, hast du sie aber ganz schön locker genommen, als du ihn das erste Mal besucht hast. Der arme Kerl war völlig von der Rolle, als er dich bei unserem Besuch gesehen hat.“ „Die Situation erforderte schnelles Handeln. Ich hatte zwar gespürt, dass sich Katherines Schatten an Leron geheftet und seine Schizophrenie begünstigt hat, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Selbst nicht-vollblütige Cohans können unkontrollierbar werden, wenn ihre Psychose überhandnimmt. Außerdem kam es sehr gelegen, dass er mich für eine Halluzination hielt. Das hat mir unnötige Komplikationen erspart. Was zählt ist, dass Katherine ihren Seelenfrieden gefunden hat und wenigstens ihr letztes lebendes Kind glücklich wird. Ich werde gleich noch Melissandra kontaktieren, damit sie für morgen alles vorbereitet.“ „Du willst ausgerechnet Melissandra die Behandlung aufs Auge drücken?“ fragte Azarias ungläubig und begann nun Popcorn zu futtern. „Nichts für ungut, aber Zurückhaltung kennt die noch weniger als ich. Außerdem ist das nicht gerade die beste Idee, wenn Simon gleich schon am Anfang mit den Traditionen konfrontiert wird. Ganz zu schweigen davon, dass Melissandra einen Sockenschuss hat und das sage ich als klinisch Verrückter.“ „Es wird schon gut gehen. Melissandra ist wesentlich besser auf diesem Gebiet als ich und sie wird schon wissen, was sie zu tun hat. Außerdem weiß sie sich besser zu benehmen als du. So…. und nun solltest du besser bald zu Bett gehen. Ich möchte nicht, dass du morgen so aufgekratzt bist und Probleme bereitest. Es reicht schon, dass kein Flughafen dich mehr mitfliegen lässt.“ Mit einem etwas missmutigen Grummeln schaltete Azarias den Fernseher aus, erhob sich von der Couch und ging in Richtung seines Schlafzimmers. Lotta selbst blieb auf der Couch sitzen und las ihr Buch weiter. Morgen würde ein neuer ereignisreicher Tag beginnen und sie würde die verlorenen Kinder nach Hause zu ihrer Mutter bringen. In solchen Augenblicken liebte sie ihre Arbeit wirklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)