The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 62: Vatersünden ----------------------- Es hatte einige Tage gedauert, bis er endlich wieder genug bei Kräften war, um das Krankenhaus zu verlassen. Und nichts war Lionel mehr zuwider gewesen, als in diesem sterilen weißen Raum in einem Bett zu liegen, in welchem wer weiß wie viele Menschen gestorben waren und diesen widerlichen Gestank von Desinfektionsmitteln ertragen zu müssen. Es war einfach nur entwürdigend gewesen und selten war er so froh darüber gewesen, endlich wieder nach Hause zurückkehren zu können. Und alles war soweit in trockenen Tüchern. Leron würde seine Nachfolge als neuer Inhaber von Evans Energy antreten und um diese unverschämte Frau brauchte er sich auch keine Gedanken machen. Sein Sohn mochte zwar Dummheiten begehen, doch selbst er war misstrauisch genug um nicht auf die Worte einer dahergelaufenen Frau zu hören. Und selbst wenn er naiv genug dazu war, er würde seinen Sohn schon wieder auf die richtige Spur bringen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er ihn soweit hatte. Dann würde er diesen dreckigen Stricherjungen aus seinem Leben streichen und diese Flausen sein lassen und sich eine vermögende hübsche Frau suchen, mit der er hoffentlich auch männliche Nachkommen in die Welt setzen würde. In dem Fall hätte seine verhasste Ehefrau wenigstens einmal etwas Vernünftiges getan. Dann war wenigstens einer seiner Sprösslinge zu etwas zu gebrauchen. Und er konnte in Frieden abtreten mit der Gewissheit, dass sein Lebenswerk in sicheren Händen war. Dieser Gedanke war fast schon zu schön um wahr zu sein und versetzte Lionel sogar in richtig gute Laune. Mit einem zufriedenen Lächeln schaute er aus dem Wagenfenster und sah, wie die Häuser an der Limousine vorbeizogen. Gleich würde er es sich in seinem Lieblingssessel bequem machen, ein wenig in seinen Büchern lesen und einen Schluck Cognac trinken. Seine Leber war doch eh schon kaputt, da würde noch mehr Alkohol auch keinen großen Unterschied mehr machen, selbst wenn der Arzt etwas anderes sagte. Ganz gleich ob noch mehr Alkohol seiner kaputten Leber noch mehr zusetzen würde, er hatte doch eh nur noch knapp ein Jahr zu leben. Also warum sollte er jetzt aufhören mit dem Trinken? Es würde doch sowieso nichts ändern. Er hatte sein Leben lange genug gelebt und wenigstens war es ihm der Tod vergönnt, noch bevor er als demenzkranker Greis in einem Pflegeheim dahinsiechte. Ein solch entwürdigendes Dasein war für ihn bei weitem schlimmer als der Tod. Und er hatte genug Geld um bis zu seinem Ende in Luxus zu leben. Was danach kam, konnte ihm nun egal sein. Als der Wagen die Einfahrt zu seiner Villa erreichte, stieg der Chauffeur aus und öffnete ihm die Tür. Es kostete Lionel einige Mühe, sich von seinem Sitz zu erheben, denn kaum, dass er sein Gewicht auf die Knie verlagerte, durchfuhr ein stechender Schmerz sein Bein, in welchem der Tumor saß und er merkte, dass diese lange Bewegungsunfähigkeit im Krankenhaus ihre Spuren hinterlassen hatte. Er holte seinen Gehstock aus dem Wagen und begann erst langsame und vorsichtige Schritte zu machen, um bloß kein Risiko einzugehen. Als er etwas sicherer wurde und die Gelenke besser zu arbeiten begannen, wurde er auch in seinen Bewegungen etwas schneller und sicherer. Er schritt den Weg entlang und öffnete die Tür. Kurz darauf erschien schon auch sein Dienstmädchen Dora, um ihm den Mantel abzunehmen. „Willkommen zuhause, Mr. Evans. Es ist schön, Sie wieder hier zu haben“, grüßte sie ihn und hing den Mantel an den Haken. Sie war freundlich und zuvorkommend wie immer, aber etwas schien sie zu beschäftigen. Und meist bedeutete es Probleme für ihn. „Ist irgendetwas vorgefallen, wovon ich wissen sollte?“ erkundigte er sich direkt und reichte ihr nun auch seinen Gehstock. Die Afroamerikanerin räusperte sich etwas nervös und erklärte „Ihr Sohn ist hier. Und er ist in Begleitung gekommen.“ „In Begleitung?“ fragte Lionel verärgert. „Doch nicht etwa mit diesem dreckigen Stricher, der schon letztens in meinem Haus war.“ „Nein, es ist eine Dame“, erklärte Dora. „Ich kenne sie nicht, aber Ihr Sohn anscheinend. Sie warten im Kaminzimmer.“ Sein Sohn in weiblicher Begleitung? Gab es etwa tatsächlich Anlass zu der Hoffnung, dass Leron endlich Vernunft angenommen hatte und dieses Kind endlich wieder zurück auf die Straße geschickt hatte? Na der Tag versprach ja immer besser zu werden. „Nun… wenn er endlich zur Besinnung gekommen ist, dann sollte dies doch ein Grund zum Feiern sein. Dora, bringen Sie mir einen Cognac. Ein Drink würde mir nach diesem mehr als unangenehmen Aufenthalt im Krankenhaus gut tun.“ Damit ging das Dienstmädchen und Lionel ging in Richtung Kaminzimmer in freudiger Erwartung, dass sein Sohn ihm eine anständige Frau präsentieren würde. Dies würde seinen Tag umso mehr versüßen, wenn sie hübsch, jung und aus anständigem Hause war. Doch kaum, dass er den Raum betrat und sah, welche Frau da neben seinem Sohn stand, da war seine gute Laune verflogen und ihm war, als würde ihn der Schlag treffen. Es war jene Frau, die ihn im Krankenhaus besucht und von ihm verlangt hatte, Leron die Wahrheit zu beichten, wie er angeblich Katherines Absturz mitverschuldet hatte. Für einen Moment war er wie erstarrt und sein Blick wanderte zu Leron, der mit einem düsteren Blick und verschränkten Armen neben dem Kamin stand und ihn mit seinen nussbraunen Augen ansah. „Schön, dass du wieder da bist. Ich bin hier, weil ich da ein paar Fragen an dich habe. Es geht um meine Mutter.“ Das konnte sich doch nur um einen schlechten Scherz handeln. Dieses impertinente Weibsstück hatte es also tatsächlich gewagt, sich in solche Familienangelegenheiten einzumischen und seinen Sohn gegen ihn aufzuhetzen? Für einen Moment war Lionel drauf und dran, dieser unverschämten Frau die Leviten zu lesen und sie hochkant aus dem Haus zu werfen. Doch das würde einem Geständnis gleichkommen und wenn er seine Pläne nicht in Gefahr bringen wollte, musste er vorsichtig sein. Noch war es nicht zu spät und er konnte Leron davon überzeugen, dass sie ihn nur zu manipulieren versuchte. Solange er die Kontrolle hatte, gab es nichts zu befürchten. Und als Geschäftsmann lag ihm im Blut, die Kontrolle zu wahren. „Schön, dass du mich besuchen kommst, Leron. Und wie ich sehe hast du noch weiteren Besuch mitgebracht. Setz dich doch erst einmal. Ich bin gerade erst aus dem Krankenhaus gekommen und muss erst einmal ankommen.“ Doch Leron blieb wo er war und sah nicht danach aus als wäre ihm nach einem netten Plausch zumute. „Ich bin nicht deswegen hergekommen! Ich will von dir die Wahrheit wissen.“ „Von welcher Wahrheit sprichst du denn?“ fragte Lionel kopfschüttelnd und nahm in seinem Sessel Platz. Dora kam mit der Flasche Cognac und einem Glas mit Eis und schenkte ihm ein. Lionel nahm das Glas und trank einen Schluck. Wie sehr hatte er doch den Geschmack vermisst. Das ließ ihn wenigstens dieses ekelhafte Gefühl von Tod und Desinfektion aus dem Krankenhaus vergessen. „Ich habe dir bereits alles zu deiner Mutter gesagt. Was sollte da noch sein?“ „Stell dich nicht dumm! Ich spreche davon, dass du Mum damals schon mit dieser Kellnerin betrogen hast, bevor ihr diesen Streit hattet. Du hast sie gedemütigt und belogen und sie so weit provoziert, dass sie erst da die Flasche gegriffen hat. Und du hast zugelassen, dass sie beinahe eine Fehlgeburt erlitten hat!“ Leron war schon gar nicht mehr zu bremsen und schrie alles regelrecht heraus. Er war unfassbar wütend und seine Gesichtszüge waren vor unbändigem Zorn verzerrt. Und für einen Moment war ihm, als würde nicht sein Sohn zu ihm sprechen, sondern Katherine selbst. Ja, er konnte sogar erkennen, wie Lerons nussbraune Augen einen goldgelben Schimmer annahmen. Obwohl er sich nichts anmerken ließ, erschauderte er innerlich, als er realisierte, wie ähnlich Leron seiner Mutter in diesem Moment aussah. Diese Situation war so makaber, dass Lionel in einem kurzen Augenblick der Schwäche sogar glaubte, Katherine wäre aus den Tiefen der Hölle zurückgekehrt um ihn für seine Fehltritte anzuklagen. Doch er riss sich zusammen und fokussierte sich auf das Hier und Jetzt. „Was redest du da für einen Unsinn? Woher hast du diese Geschichten?“ „Lotta hat mir alles erzählt und was du damals getan hast. Ich dachte, du wärst endlich ehrlich zu mir und wir könnten Frieden schließen. Und dann muss ich erfahren, dass du mir irgendwelche Halbwahrheiten auftischst, um mich zu manipulieren.“ „Du glaubst einer Fremden mehr als deiner eigenen Familie?“ erwiderte Lionel verärgert und stellte sein Glas auf das kleine Tischchen neben ihn. Feindselig funkelte er die rotäugige Frau an, doch ihr Gesicht blieb regungslos und ihr Blick schwer zu deuten. „Ich habe keine Ahnung, was hier gespielt wird, aber es enttäuscht mich zu sehen, dass du einer dahergelaufenen Person mehr Vertrauen schenkst als deinem eigenen Vater. Was hat sie dir noch so alles erzählt? Dass ich deine Mutter vielleicht noch geschlagen oder bedroht habe? Hat sie dir auch nur irgendeinen Beweis für diese Behauptungen geliefert?“ Damit hatte er sie. Woher diese Frau auch immer wissen mochte, was zwischen ihm und Katherine vorgefallen war, es war unmöglich, dass sie irgendwelche handfesten Beweise hatte. Und wenn Leron das erst mal erkannt hatte, dann würde er auch endlich mit dieser Aufmüpfigkeit aufhören. Tatsächlich sah es auch danach aus, als würde sein Sohn zögern, doch dann fing er sich wieder und meinte „Ich brauche keine Beweise um zu wissen, dass man dir nicht vertrauen kann. Du erzählst mir, wie sehr dich Mum misshandelt hat, aber du besitzt nicht einmal die Ehrlichkeit, deine eigenen Fehler einzugestehen. Und du kannst mir nicht sagen, dass Mum ohne jede Vorwarnung plötzlich auf dich losgegangen ist. Selbst Anthony weiß, dass sie niemals diese Dinge tun wollte und die ganze Zeit mit sich gekämpft hat weil sie ein normales Leben haben wollte. Wenn du mit einer anderen Frau so viel glücklicher warst als mit Mum, warum konntest du sie nicht einfach verlassen ohne sie zu demütigen und was weiß ich wie lange schamlos zu betrügen? Du hast sie dazu gebracht, dir all ihr Geld zu geben, weil sie dir mit deiner Firma helfen wollte. Und sie hat alles für dich getan, weil sie eine Familie wollte. Aber alles was du machst, ist dich wie ein egoistischer Mistkerl zu verhalten.“ „Pass auf in welchem Ton du mit mir redest“, rief Lionel und spürte, wie er nun selbst wütend wurde. „Ich bin immer noch dein Vater. Und ich lasse es mir nicht gefallen, dass du mich wegen einer Affäre verteufelst, nachdem deine Mutter mich wochenlang gestalkt und bedrängt hat. Sie hat mir nicht nur verschwiegen, dass sie von einer Familie von geisteskranken Mördern abstammt, sie hat mich mehrmals fast umgebracht. Deine Mutter war es, die mich mit dem Auto angefahren und mir ein Messer in den Bauch gerammt hat! Sie hat mir die Finger gebrochen und mich gedemütigt und mir die Frau genommen, die ich liebte.“ „Hättest du Mum nicht so eine Heidenangst davor eingejagt, sich in professionelle Behandlung zu begeben, dann wäre es nicht soweit gekommen“, konterte Leron und trat auf ihn zu. „Gib doch zu, dass du Mum dazu zwingen wolltest, sich lobotomieren zu lassen, damit du sie und uns loswerden konntest. Mum wollte sich behandeln lassen, aber dank dir hatte sie solch eine Angst davor, dass sie sich nicht mal dazu bringen konnte, Michael behandeln zu lassen.“ „Ich habe deine Mutter zu nichts gezwungen. Wenn schon dann war sie es, die mich unter Druck gesetzt hat!“ Der Streit war drauf und dran zu eskalieren. Doch da ging plötzlich Lotta dazwischen, um wieder für etwas Ruhe zu sorgen. „So kommen wir jetzt gerade auch nicht weiter. Es bringt nichts, wenn ihr euch beide die ganze Zeit anschreit.“ „Halten Sie sich da raus!“ keifte Lionel sie an. „Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden, lasse ich die Polizei rufen. Sie haben schon genug Unheil angerichtet, also scheren Sie sich zum Teufel und lassen Sie sich nie wieder hier blicken!“ Doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet und etwas Fremdes und schwer zu Deutendes lag auf ihrem Gesichtsausdruck. Etwas in ihr machte sie so undurchschaubar, dass sie fast schon unantastbar wirkte. All seine harschen Worte prallten einfach an ihr ab und ließen nicht einmal einen einzigen Gesichtsmuskel aufzucken. „Das hast du selbst über dich gebracht“, entgegnete sie ruhig. „Ich habe dir drei Tage Zeit gelassen, aber du hast trotzdem geschwiegen. Und nun musst du die Konsequenzen deiner Entscheidungen tragen.“ „Ich lasse mir nicht einfach irgendetwas anhängen, was ich nicht getan habe!“ erwiderte Lionel wütend und verkrallte die Finger in die Armlehnen seines Sessels. „Haben Sie irgendwelche Beweise für diese Anschuldigungen? Dann zeigen Sie sie mir!“ Doch selbst hier war nicht ein Funken Schwäche oder Unsicherheit in ihr zu erkennen. Und mit einem Male wurde er nervös. Warum zum Teufel blieb sie so ruhig und entspannt? Führte sie irgendetwas im Schilde? Oder hatte sie tatsächlich irgendeine Art von Beweis? Aber was sollte das für einer sein? Alles, was ihm vorgeworfen wurde, war nur ein Streit mit Katherine gewesen und wie sollte man den beweisen? Es war über 40 Jahre her! Es konnte unmöglich einen handfesten Beweis geben, der ihn überführte. Und doch schien sich diese Frau ihrer Sache sicher zu sein. „Ich habe tatsächlich einen Beweis“, bestätigte sie. „Und zwar deine eigenen Worte.“ Nun wurde es ihm endgültig zu bunt. Dieses Weibsbild wagte es, ihn in seinem eigenen Haus derart vorzuführen und ihn zum Narren zu halten? Das musste er sich wirklich nicht bieten lassen. Beinahe rasend vor Zorn erhob er sich von seinem Sessel und baute sich zu seiner ganzen Größe auf. „Verschwinden Sie sofort aus meinem Haus, oder ich…“ „Hinsetzen!!“ Ein eiskalter Schauer durchfuhr Lionel, als ihre donnernde Stimme durch das Kaminzimmer hallte. Es steckte eine solche Kraft in ihren Worten, dass ihm so war, als würde allein durch den Klang ihrer Stimme die Luft erzittern. Und zu seinem größten Schrecken setzte er sich tatsächlich hin, aber nicht weil er es wollte. Es schien, als würde sein Körper nicht mehr seinem Willen gehorchen. Was geschah hier bloß? Das war ihm doch schon im Krankenhaus passiert. Aber warum gehorchte er ihr obwohl er es nicht einmal wollte? Was hatte sie mit ihm gemacht? Viel wichtiger aber noch war die Frage: wer oder was war diese Frau? Sie mochte wie ein Mensch aussehen, aber etwas verriet ihm, dass sie etwas ganz anderes war. „Wer oder was sind Sie?“ „Ich bin nur ein Schatten, der diese Welt umgibt“, erklärte sie, ohne wirklich eine eindeutige Antwort zu geben. „Aus der Dunkelheit bin ich geboren und der Dunkelheit diene ich. Das ist alles, was du über mich wissen musst. Und nun antworte mir wahrheitsgemäß: hast du eine Affäre mit Lucy Witherfield gehabt und deine ahnungslose schwangere Frau getäuscht und belogen?“ Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Dieser peinliche amateurhafte Versuch eines Verhörs sollte ihn tatsächlich dazu bringen, klein bei zu geben und ein Geständnis abzulegen? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Doch als er mit Nein antworten wollte, war ihm, als würde sich sogar sein Mund seiner Kontrolle entziehen und antwortete stattdessen „Ja, habe ich. Katherine wurde mir mit ihren Gefühlsschwankungen einfach zu anstrengend und ich wollte eine vernünftige Frau, die nicht so problematisch war. Meine Affäre mit Lucy begann knapp drei oder vier Monate bevor Katherine schwanger wurde und sie wusste lange Zeit nichts. Stattdessen habe ich ihr bloß erzählt, ich müsste länger arbeiten.“ Das Blut gefror Lionel in den Adern. Warum um Gottes Willen hatte er das gesagt? Das war doch ganz und gar nicht was er sagen wollte! Nun bekam er es langsam mit der Angst zu tun und sah zu Lotta, die ihn mit ihren dunkelroten Augen förmlich zu durchbohren schien. Es war, als würden ihre Augen ihn nicht bloß ansehen. Nein, es war als würde sie tief in sein Innerstes blicken und jede einzelne Lüge enttarnen und sein wahres Ich erkennen. Konnte es etwa sein, dass sie es war, die ihn dazu brachte, ihr gegen seinen Willen zu gehorchen und die schonungslose Wahrheit zu sagen? „Was… was machen Sie mit…“ Doch sie ließ ihn nicht ausreden und fragte ihn weiter. „Was hast du zu deiner Frau gesagt, als sie dich mit dem Ehebruch konfrontiert hat?“ Lionel biss die Zähne zusammen und wollte sich zwingen, still zu bleiben und nicht auf diese Frage zu antworten. Doch es war zwecklos. Er schaffte es einfach nicht, sich ihrem Willen zu entziehen und ihre Aufforderung zu ignorieren. „Ich habe ihr gesagt: es ist deine Schuld, dass ich mir lieber eine andere Frau suche, Kathy. Ich habe dir oft genug gesagt, ich kann keine Frau an meiner Seite gebrauchen, die so eigenwillig und schwierig ist wie du. Wenn du endlich mal lernen würdest, eine bessere Ehefrau zu sein, dann müsste ich auch nicht fremdgehen. Ich habe dich nicht geheiratet, weil ich mich für deine Probleme interessiere, also verschone mich mit deinen Eifersuchtsdramen. Kein Mann will eine hysterische Frau wie dich in seinem Leben.“ „Und was ist dann passiert?“ „Sie hat geweint und gesagt, dass sie mich liebt und mich nicht verlieren will. Aber ich habe sie nur weggestoßen und gesagt, dass ich jemanden gefunden habe, die eine weitaus bessere Frau ist als sie. Und ich habe ihr gesagt, dass ich sie nie und nimmer geheiratet hätte, wenn sie nicht reich und schön gewesen wäre. Dann hat sie sich die Weinflasche gegriffen und sie mir auf den Kopf geschlagen.“ Alles Blut wich aus Lionels Kopf, als er immer weitererzählte und damit alle unschönen Details seines Streits mit Katherine enthüllte. Und das Schlimmste daran war, dass er nicht einmal aufhören konnte. Er redete einfach weiter obwohl sein Kopf ihm sagte, er solle aufhören. Wie um alles in der Welt machte diese Frau das nur? „Hast du Katherine dazu bringen wollen, sich lobotomieren zu lassen?“ „Ja. Ich habe dieses Miststück dafür gehasst, dass sie meine geliebte Lucy umgebracht und mich misshandelt und vergewaltigt hat. Ich habe ihr gesagt, dass der einzige Weg, ihr krankes Hirn zu kurieren, eine Lobotomie sei, damit sie genauso als Pflegefall endet wie meine Halbschwester, als sie nach einer missglückten Lobotomie vollkommen verändert war. Ich wollte es ihr heimzahlen und dafür sorgen, dass sie den Rest ihres erbärmlichen Lebens in einem dreckigen Pflegeheim verbringt. Und ich wollte diese Brut loswerden, die sie in die Welt gesetzt hat! Ich hatte sogar gehofft gehabt, sie würde die Behandlung nicht überleben und für immer aus meinem Leben verschwinden. Aber sie hat mich durchschaut und mir daraufhin den Zeigefinger gebrochen und gedroht, dass sie dafür sorgen würde, dass ich wünschen würde, ich wäre mit Lucy gestorben.“ Allmählich bekam Lionel wirklich Angst. Hier lief doch irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu. Wie um alles in der Welt konnte es sein, dass er all diese Dinge ausplauderte, ohne wirklich eine Wahl zu haben? Diese Frau ist der Teufel, war sein erster Gedanke. Auch wenn er nicht an die Existenz von Gott oder sonstigen höheren Mächten glaubte, so erschauderte ihn der Gedanke, eine solch höhere Macht vor sich stehen zu sehen, die ihn mit irgendwelchen Mitteln dazu brachte, die schonungslose Wahrheit zu gestehen. Eine Weile lang herrschte Stille und Lionel spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand. Nun war alles gesagt und es gab keine Möglichkeit mehr, das alles zu widerrufen. Sein Blick wanderte zu Leron, dem die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Doch das Verhör war noch lange nicht vorbei. Lotta stellte ihre nächste Frage mit derselben ruhigen und kühlen aber dennoch befehlenden Stimme „Und was waren deine Pläne bezüglich deines jüngsten Sohnes nachdem Lucys Großneffe dich besucht hat?” Herrgott, wann ist dieser Alptraum endlich vorbei? Warum nur tat sie das? Was versprach sie sich davon, dass sie all diese alten Geschichten enthüllte? Kein Mensch tat so etwas ohne einen bestimmtes Motiv zu haben. Konnte es vielleicht sein, dass sie hinter dem Konzern her war? Ja, das musste es sein. Sie war hinter seinem Lebenswerk her und versuchte es sich unter dem Nagel zu reißen, indem sie Leron gegen ihn aufhetzte. „Das ist doch alles nur ein hinterhältiges Spiel!” rief er wütend und wollte aufstehen, doch sein Körper war immer noch wie erstarrt. „Sie halten sich wohl für besonders schlau, was? Sie haben es doch nur auf den Konzern abgesehen und stacheln dafür meinen Sohn gegen mich auf und manipulieren mich mit Ihren bösartigen Psychotricks!” „Ich bin nicht an materiellen Dingen interessiert”, gab sie kalt zurück. „Reichtum und Wohlstand sind nur flüchtige Dinge. Alles was ich will ist, mein Versprechen zu halten, das ich Katherine an ihrem Sterbebett gegeben habe.” „Und was zum Henker versprechen Sie sich davon?” „Katherines Seelenfrieden.” Diese Frau war doch vollkommen übergeschnappt. Das konnte doch unmöglich ihr Ernst sein. Er wollte wieder protestieren, doch da kam Lotta ihn zuvor als sie ihre Frage von gerade eben noch mal wiederholte. „Was hattest du mit Leron geplant, nachdem Elion Witherfield dich aufgesucht hat?” Und wieder war Lionel außerstande, sich einer Antwort zu entziehen. „Ich wollte meinen Sohn dazu bringen, dass er ein anständiger Konzernleiter wird und sich eine Frau sucht. Ich dulde es nicht, dass er mit einem dreckigen Stricherjungen von der Straße den Namen Evans so in den Dreck zieht und mich zum Gespött macht. Ich habe es geduldet weil ich dachte, dein Interesse an Männern wäre nur eine Phase, Leron. Aber du bist erwachsen und es ist deine Pflicht als Teil der Evans-Familie, einen Nachkommen in die Welt zu setzen und ich dulde nicht, dass mein Sohn mit seiner Perversion einen Skandal verursacht!” Nun war die Grenze endgültig überschritten. Noch ehe Lionel sich versah, hatte Leron ihn am Kragen gepackt und ein härter Schlag traf ihn ins Gesicht. Für einen Moment war ihm, als würde ihm schwarz vor Augen werden und ein pulsierender Schmerz zog sich über seine linke Gesichtshälfte. Fassungslosigkeit und Verwunderung überkamen ihn. Hatte sein eigener Sohn ihn gerade wirklich geschlagen? In all den Jahren hatte Leron es niemals gewagt gehabt, die Hand gegen ihn zu erheben und jetzt so etwas? Und warum? Nur weil er ein besseres Leben für ihn wollte? War es das? Unbändiger Zorn überkam Leron und er nahm nicht einmal den Schmerz in seiner Hand wahr. Er konnte vieles ertragen, aber das war endgültig zu viel. Er wollte wieder zuschlagen, doch dieses Mal hielt Lotta zurück. Wahrscheinlich weil er sich im schlimmsten Fall endgültig vergessen und ihn noch totgeprügelt hätte. Doch seine Wut besänftigte selbst dieser Schlag nicht. Nein… er wollte, dass sein Vater dafür bezahlte, was er getan hatte. „Wag es nie wieder, so über Simon zu reden! Ich kann es echt nicht fassen. Nicht nur, dass du versucht hast, ihn zu erpressen. Du schreckst ja nicht mal davor zurück, mich zu manipulieren und mir irgendwelche Lügen oder Halbwahrheiten aufzutischen. Und dann bezeichnest du mich auch noch als pervers nur weil ich nicht auf Frauen stehe? Du bist wirklich das Allerletzte! Und ich dachte wirklich, du hättest dich geändert, als wir Frieden geschlossen haben. Dabei war das nur ein Teil deines Plans gewesen, mich für deine Zwecke zu manipulieren? Was für ein Vater macht so etwas?” Doch es war nicht die geringste Spur von Reue zu sehen. Selbst jetzt sah Lionel sich immer noch im Recht und glaubte nach wie vor daran, dass das, was er getan hatte, richtig war. „Ein Mann gehört zu einer Frau und nicht zu einem anderen Mann. Das ist unnatürlich und ich werde so etwas nicht akzeptieren. Die Familie Evans besitzt seit Generationen einen exzellenten Ruf und ich lasse nicht zu, dass das Erbe meiner Familie wegen seiner Vorlieben den Bach runtergeht. Dieser dahergelaufene Junge ist ein Freak und eine Schande für unsere Familie!” „Wenigstens haben wir alle Male ein besseres Verhältnis zueinander als du und Mum. Oder zumindest hätten wir das wenn du und Michael nicht gewesen wärt! Du spielst dich hier auf und predigst mir davon, ich solle mir eine Frau suchen, die besser zu mir passt. Dabei hast du Mum doch nur wegen des Geldes und ihres Aussehens geheiratet und sie bei der nächstbesten Gelegenheit mit einer Kellnerin betrogen. Du hast hier gar nicht das Recht, dich so aufzuspielen!” „Deine Mutter war eine Mörderin und Verrückte. Die Affäre ist eine Sache, aber sie hat unzählige Menschen getötet und mich hat sie geschlagen, mir die Knochen gebrochen und in unserem eigenen Ehebett vergewaltigt. Dieses kranke Weibsstück verdient es nicht, in Schutz genommen zu werden. Also wag es nicht, mich hier als den Schuldigen hinzustellen. Sie war es, die all diese Menschen getötet hat und nicht ich.” Doch Leron ließ sich nicht beirren und hielt weiter stand. Jetzt endlich konnte er reinen Tisch machen und ein für alle Male für klare Verhältnisse sorgen. Und es war ein unglaublich befriedigendes und vor allem befreiendes Gefühl. „Ihr beide habt Mitschuld an der ganzen Sache!” erwiderte er laut. „Hättest du Mum nicht so eine Angst gemacht, hätte sie sich in Behandlung gegeben und hättest du sie nicht wie den letzten Dreck behandelt, dann wäre es nicht eskaliert. Sie hat dich aufrichtig geliebt und Opfer für dich gebracht und du hast sie betrogen und gedemütigt. Sie hätte dich bei der nächstbesten Gelegenheit verlassen sollen, aber nein! Ihr seid beide zusammengeblieben und habt mit Abstand die schlimmste Ehe gehabt, die man sich vorstellen kann. Ihr beide habt euch gleichermaßen das Leben zur Hölle gemacht und die Konsequenzen ertragen. Mum hat Menschen getötet, aber hätte sie sich behandeln lassen, wäre das nicht passiert. Es ist mir wirklich ein Rätsel, warum ihr überhaupt geheiratet habt. Bei einer Heirat verspricht man, für den anderen da zu sein, in guten wie in schlechten Tagen. Mum hätte dich verlassen sollen, als sie von der Affäre erfahren hat und du hättest für deine Frau da sein sollen! Eine Frau ist doch kein Dekorationsobjekt, das du einfach wegwerfen kannst, nur weil sie sich gerade nicht so verhält wie du es haben willst. Und du kannst doch nicht erwarten, dass alles perfekt in deinem Leben abläuft, denn so funktioniert die Welt nun mal nicht und nicht alles dreht sich um dich. Jede Beziehung hat Krisen, aber wenn man an der Beziehung festhalten will, dann arbeitet man daran und lässt den Partner nicht einfach so fallen, nur weil er schwierig wird. Mum hat dich gebraucht und sie hat dir vertraut. Hättest du dich auch nur ansatzweise für etwas anderes als dich selbst interessiert, hättest du ihr wenigstens geraten, sich Hilfe zu suchen und sie unterstützt. Dass ihr beide eure ganze Ehe damit verbringt, euch gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen, das habt ihr beide zusammen verschuldet, aber ich sehe nicht ein, warum ich oder Simon hineingezogen werden sollen. Und jetzt ist endgültig Schluss. Du bist endgültig für mich gestorben und ich verbiete dir hiermit, jemals wieder mit uns in Kontakt zu treten. Und was den Konzern angeht: den werde ich verkaufen und dann werde ich mir etwas eigenes aufbauen. Ich will nichts mehr von dir in meinem Leben haben. Ich bin mit dir fertig!” Mit diesen Worten ging Leron davon, begleitet von Lotta, die jedoch kurz am Türrahmen stehen blieb und auf Lionel zurückblickte. Gebrochen und geschlagen saß dieser eingesunken in seinem Sessel, fassungslos ins Leere starrend und realisierend, dass er nun wirklich alles verloren hatte. „Wir werden uns wiedersehen, wenn deine Zeit gekommen ist, Lionel.” Das war das letzte was sie sagte, bevor sie verschwand und Lionel nun ganz alleine im Kaminzimmer war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)