The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 60: Eine alte Tragödie ------------------------------ Eine drückende Stille und Einsamkeit herrschte in der Villa. Obwohl Leron es eigentlich gewohnt war, alleine zu sein, fühlte er sich dennoch sehr unwohl. Irgendetwas fehlte hier. Und schnell wurde ihm klar, was es war: Simon. Immer, wenn er von einem harten Arbeitstag nach Hause kam oder morgens aufwachte, da war der Junge stets da gewesen. Und nun, da sowohl er als auch Anthony nicht hier waren, bemerkte er erst, wie sehr es ihm zu schaffen machte, dass er alleine war. Egal womit er sich abzulenken versuchte, seine Gedanken schweiften immer wieder zu Simon. Zwar beruhigte es ihn, dass Cypher und Hunter bei ihm waren, aber er machte sich dennoch Sorgen. Immerhin war er noch angeschlagen und brauchte Ruhe von all dem Stress, der ihm widerfahren war. Erst gestern war er kollabiert und so kalt wie eine Leiche gewesen und er bezweifelte, dass er sich fit genug fühlte, um auch wirklich den Gefängnisbesuch durchzustehen. Nun gut, er hatte einen wesentlich besseren Eindruck gemacht und er hatte sich nicht mehr ganz so kalt angefühlt, aber kein Mensch erholte sich so schnell wieder und ganz gleich woran Simon auch litt, für ihn stand fest dass es eine besorgniserregende Krankheit war, die einer dringenden Behandlung bedurfte. Bis er nicht eine erfolgreiche Behandlung für Simons Krankheit gefunden hatte, würde er sein möglichstes versuchen, um ihn vor Stress und seelischer Belastung zu schützen. Denn selbst ein Blinder hätte gemerkt, dass es der seelische Stress war, der Simon so krank machte. Und seine schlimmste Befürchtung war, dass sich der Zustand des Jungen wieder drastisch verschlechtern würde, wenn er auf seinen leiblichen Vater traf. Leron selbst wusste nicht, was für ein Mensch dieser Alan Henderson war, aber seine Taten sprachen ja wohl für sich. Und solche Menschen taten Simon nicht gut und im schlimmsten Fall könnte es nur wieder schlimme Erinnerungen vom Straßenstrich wachrufen und bei seiner schlechten Verfassung befürchtete Leron sogar das Schlimmste. Nachdem er seine Medikamente eingenommen und seine Tasse Kaffee ausgetrunken hatte, begann er die Küche aufzuräumen. Dabei fiel ihm ein, dass er noch Anthony anrufen musste um sich zu erkundigen, wie es ihm ging. Gestern Abend hatte er zwar einen Anruf von dessen Sohn Dean bekommen und erfahren, dass Anthony drei Tage lang krankgeschrieben war, da ihm die Gehirnerschütterung doch ein wenig zusetzte. Er war ja auch nicht mehr der Jüngste und Leron überlegte, ob er Anthony vielleicht nahelegen sollte, kürzer zu treten. Auf längere Sicht musste er ohnehin bald nach einem Nachfolger Ausschau halten. Anthony hatte bald das Rentenalter erreicht und sich einen ruhigen Lebensabend mehr als verdient. Es hatte bereits Überlegungen gegeben, ob Anthonys Sohn Dean die Nachfolge antreten würde, da dieser auch großes Interesse gezeigt hatte, als Butler für ihn zu arbeiten. Doch Leron wollte nichts überstürzen und alles sorgfältig planen. Also hatte er fürs Erste vereinbart, dass der Kandidat morgen herkommen und als Anthonys Vertretung arbeiten würde, solange dieser noch krank war. Danach konnte er immer noch seine Meinung ändern. Doch das war nur die kleinste seine Sorgen. Nein, seine größten Sorgen waren Simon und der Konzern. Er wollte für Simon da sein und ihm helfen, vor allem nachdem ihre Beziehung gestern auf der Kippe stand weil er nicht ehrlich zu ihm gewesen war. Doch nun war er offiziell neuer Inhaber des Konzerns und dieser benötigte eine führende Hand. Seit die Klatschpresse Wind davon bekommen hatte, dass es eine Verbindung zwischen den inzwischen 42 gefundenen Toten und seinem Vater gab und gegen ihn ermittelte, hatte der Konzern einige Aufträge verloren und es stand schlecht um die Zukunft Evans Energy. Und irgendetwas musste er sich einfallen lassen, um die Krise abzuwenden, wenn er nicht zulassen wollte, dass der Konzern den Bach runterging. Aber wie sollte er diese beiden Dinge unter einen Hut bringen und seine Beziehung mit Simon retten, wenn er gleichzeitig auch noch den Konzern retten musste? Es schien auf dem ersten Blick nahezu unmöglich zu sein, solange er sich nicht zweiteilen konnte. Es klingelte schließlich an der Tür und Leron fuhr auf. War Simon etwa schon wieder zurück? Aber der hatte doch einen Schlüssel. War das vielleicht sein geheimnisvoller Besuch, den dieser Spinner Azarias angekündigt hatte? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Leron eilte hinaus auf den Flur und ging zur Haustür. Wieder klingelte es und er konnte bereits Stimmen von draußen hören. Als er die Tür öffnete, stand Azarias auf der Matte und hatte die Hand erhoben, als wolle er klopfen. Den Blick hatte er aber auf seine Begleitung hinter ihm gerichtet. „Warum müssen wir eigentlich uns die Umstände machen und anklingeln? Wir kommen doch auch so in die Villa! Das geht wesentlich schneller” „Weil es der Anstand erfordert, dass wir genauso um Einlass bitten wie jeder Mensch es tut! Und wir sind keine Einbrecher, sondern Besucher und Besucher klingeln an.” Leron war für einen Augenblick erstarrt und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen als er sah, wen Azarias da mitgebracht hatte. Eine Frau von vielleicht 35 oder 36 Jahren mit langem schwarzem Haar und rubinroten Augen stand hinter Azarias und hatte ihren Blick direkt auf Leron gerichte. Sie trug ein elegantes schwarzes Kleid und ein fliederfarbenes Tuch um ihre Schultern. Eine Art düstere Aura umgab sie wie ein schwarzer unsichtbarer Schatten, der bei einem Menschen Beklemmung auslöste. Und ihre dunkelroten Augen wirkten so unnatürlich auf ihn wie damals schon die goldgelben Augen seines ältesten Bruders. Doch das wirklich Verstörende war nicht etwa ihre Ausstrahlung. Nein, sie sah haargenau so aus wie jene Frau, die er bei seinem Rückfall gesehen hatte, als er sich mit einer Halluzination gestritten hatte, welches die Form seiner Mutter angenommen hatte. Aber wieso war sie denn jetzt auf einmal hier? War es wieder nur eine Halluzination oder passierte das hier gerade wirklich? Er hatte doch seine Medikamente genommen, also konnte sie unmöglich ein Produkt seiner psychischen Krankheit sein. „Hallöchen Leron!” grüßte Azarias ihn breit grinsend und hob zum Gruß die Hand. „Da bin ich wieder. Darf ich vorstellen? Das ist Lotta Muldaur, das Oberhaupt der Kinsley-Familie.” „Ehemaliges Oberhaupt”, korrigierte sie ruhig aber dennoch bestimmt und reichte Leron die Hand. Sie trug einen silbernen Ring an ihrem Ringfinger und ihre Hand wirkte so zart wie die einer Puppe. Ein freundliches Lächeln lag auf ihren Lippen, doch etwas in ihm widerstrebte es, sie auch nur in irgendeiner Art und Weise zu berühren oder auch nur zu nahe zu kommen. Diese merkwürdige Aura, die sie umgab, ließ ihn erschaudern und ihm war, als würde sie eine tief verborgene Urangst in ihm wecken. Dennoch zwang er sich dazu, höflich zu sein und schüttelte ihr die Hand zum Gruß. Kaum, dass sich ihre Hände berührten, durchjagte ein eisiger Schauer seinen gesamten Körper und für einen Moment überkam ihn Angst vor ihr, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. „Guten Tag”, grüßte Lotta mit einem etwas fremden aber dennoch aufrichtigen Lächeln. „Entschuldige die Störung. Aber es geht um ein paar wichtige familiäre Dinge, die ich mit dir besprechen muss.” „Familiäre… was?” Leron war vollkommen verwirrt und wusste nicht, was das Ganze zu bedeuten hatte. Er starrte Lotta ratlos an und stand für einen Moment völlig neben der Spur. Azarias, der völlig außen vor war, seufzte gelangweilt und versuchte das Ganze ein wenig zu beschleunigen. „Lotta kennt deine Mutter und will deshalb mit dir sprechen. Nein, sie ist kein Hirngespinst und ja, du hast sie schon einmal gesehen. Können wir den Stare Contest beenden und reinkommen? Es regnet hier draußen wie hulle und meine Socken sind total durchnässt.” Sie kennt meine Mutter?, wunderte sich der 31-jährige stirnrunzelnd und ließ die beiden eintreten. Aber das war doch nicht möglich. Diese Frau mit den rubinfarbenen Augen war vom Aussehen her doch allerhöchstens 35 Jahre alt, zudem hatte er noch nie von ihr gehört. Woher also wollte sie seine Mutter kennen? Nachdem Leron sie ins Wohnzimmer geführt und die beiden ungewöhnlichen Besucher Platz genommen hatten, bot er der Höflichkeit halber Getränke an, doch sie lehnten ab und so setzte er sich nun ebenfalls und sein Blick blieb an Lotta haften. Sie war eine sehr schöne und elegante Frau, allerdings wirkte sie ebenso geheimnisvoll wie unnatürlich. Eine fremdartige Dunkelheit umgab sie und es schien, als würde sie selbst die Dunkelheit verkörpern. Sie war ihm unheimlich, obwohl nüchtern betrachtet nichts Furchterregendes an ihr zu erkennen war. Und sie besaß weitaus mehr Zurückhaltung und Anstand als Azarias, wobei es ihm recht befremdlich war, dass sie ihn ebenso duzte. „Also Sie sagen, Sie kennen meine Mutter? Woher denn genau?” „Ich lebe in Annatown, der Heimatstadt deiner Mutter und habe sie schon gekannt, als sie noch ein Kind war. Ich habe ihr damals geholfen, nach New York zu kommen und sich dort ein neues Leben aufzubauen, nachdem sie Annatown und ihre Geschwister verlassen hatte. Und ich habe sie ebenso an ihrem Sterbebett besucht. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass wir jemals so etwas wie eine innige Beziehung zueinander hatten, aber ich hatte mich in gewisser Weise für sie verantwortlich gefühlt. Genauso wie ich mich jetzt für dich verantwortlich fühle”, erklärte Lotta und faltete ihre Hände auf dem Schoß. Leron brauchte einen Moment, um diese Information sacken zu lassen und zu realisieren, was das bedeutete. Und je mehr er darüber nachdachte, desto weniger Sinn ergab es. Lotta wollte seine Mutter schon als Kind gekannt haben? Aber seine Mutter war im Jahr 1947 geboren worden. Selbst wenn Lotta im selben Jahr geboren war wie sie, dann musste sie 70 Jahre alt sein. Und sie sah nie und nimmer danach aus, als wäre sie so alt. „Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, aber Sie sehen nicht danach aus, als hätten Sie meine Mutter schon von klein auf gekannt.” „Man sollte die Dinge nicht immer nach ihrem Äußeren beurteilen”, erklärte Lotta, ohne jedoch eine klare Antwort zu geben. „Annatown ist ein Ort, der seiner eigenen Zeit und seinen eigenen Regeln folgt. Und meine Person tut in dieser Angelegenheit ohnehin nichts zur Sache. Fakt ist, dass ich deiner Mutter an ihrem Sterbebett ein Versprechen gegeben habe. Und ich halte stets mein Wort, egal wem ich es gebe. Und genau deswegen bin ich hier.” Ein Versprechen? Unwillkürlich musste Leron wieder an den Tag zurückdenken, an dem er und seine Brüder ihre sterbende Mutter im Hospiz besucht hatten. Unter Tränen hatte sie ihnen allen ein Versprechen abgenommen, damit sie in Frieden sterben konnte. Und dieser Frau hatte sie auch eines abgenommen? Aber wieso? Azarias wandte sich seiner Begleiterin zu und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich habe das Gefühl, als versteht er so rein gar nichts. Offenbar hat Katherine ihnen nie etwas gesagt. Naja, er war ja auch klein gewesen. Und sein alter Hert hat ihm erst recht nichts gesagt.” „Was gesagt?” hakte Leron nach und wurde langsam unruhig. „Wovon sprecht ihr?” „Tut mir leid. Anscheinend muss ich ganz von vorne beginnen, damit du den ganzen Sachverhalt verstehst”, entschuldigte Lotta sich und versuchte, die ganze Geschichte so einfach wie möglich zu erklären, um es verständlich zu halten. „Zuerst sollte ich dir die Hintergründe erläutern, damit du die Umstände besser verstehst: Annatown ist nicht so wie die meisten gewöhnlichen amerikanischen Städte. Es ist eine Stadt, die sich im Privatbesitz von fünf Familien befindet, die auch als die Gründerclans bekannt sind. Diese fünf Clans sind die Kinsleys, Witherfields, Wyatts, Ronoves und Cohans. Sie alle kamen vor langer Zeit aus Europa. Die Cohans waren die ersten und kamen aus Norwegen über Umwege nach Amerika. Die anderen Familien flohen während der Zeiten der Pest und der Hexenverfolgungen aus Deutschland und England, um woanders in Sicherheit leben zu können. Gemeinsam kauften sie von einem Indianerstamm ein großes Stück Land und gründeten Annatown. Und lange Zeit herrschte Frieden und harmonischer Einklang zwischen den Clans. Zumindest bis zu einem unglückseligen Vorfall, der den Frieden endgültig zerstörte und eine jahrhundertelange Clan-Fehde nach sich zog.” „Madeline Witherfield, das damalige Oberhaupt des Witherfield-Clans, war mit Howard Cohan, dem Oberhaupt seines Clans verlobt und dieser ist urplötzlich verrückt geworden und soll sie dabei umgebracht haben”, fuhr Azarias fort. „Und da Madeline die Schwester des Kinsley-Oberhauptes war, haben die Kinsleys einen Rachefeldzug gegen die Cohans gestartet und über 400 Jahre lang haben die Clans unzählige Blut-Fehden geführt. Man sagt, dass der Wahnsinn daher rührt, weil die Kinsleys die Cohans für den Mord an Madeline Witherfield verflucht haben. Der eigentliche Auslöser der Clan-Fehde war nicht allein der Mord an Madeline, sondern die Tatsache, dass niemand beweisen konnte, dass Howard sie auch wirklich umgebracht hatte. Aber da Madeline keinerlei Feinde in der Stadt hatte, glaubte man natürlich, dass der verrückt gewordene Howard Cohan dahintersteckt und so haben sie ihn kaltgemacht.” „Die Beziehung zwischen den Clans war über die Jahrhunderte hinweg extrem angespannt”, erklärte nun wieder Lotta weiter. „Die Cohans waren lange Zeit als stolzer Clan von furchtlosen Kriegern respektiert, aber sie alle verfielen nach und nach dem Wahnsinn und verübten Gräueltaten an den Kinsleys und den anderen Clans, ebenso wie die Kinsley den Cohans grausame Dinge antaten. Die Witherfields, die an der Unschuld Howard Cohans festhielten, versuchten vergeblich den Frieden wiederherzustellen und die anderen Clans wurden irgendwann mit hineingezogen. Während die Ronoves sich mit den Kinsleys zusammenschlossen, verbündeten sich die Wyatts mit den Witherfields und diese standen hinter den Cohans. Das Blutvergießen nahm lange Zeit kein Ende und setzte sich bis vor knapp zwanzig Jahren fort, bis endlich ein neuer Friedenspakt geschlossen wurde. Lange Zeit waren die Cohans aufgrund ihres Wahnsinns und des vermeintlichen Verbrechens ihres damaligen Oberhauptes ausgegrenzt, verfolgt und ermordet worden. Ein solches Leid war auch damals deiner Mutter widerfahren. Der Hass und der Argwohn ihrer Mitmenschen und die Gleichgültigkeit der Leute gegenüber den entsetzlichen Missständen in den einzelnen Familien des Cohan-Clans haben viele Leben ruiniert und erst diesen Wahnsinn hervorgebracht, unter den so viele Cohans leiden.” „Also wollt ihr mir sagen, der Wahnsinn meiner Familie ruht daher, weil die Leute sie dazu getrieben haben?” fragte Leron und wunderte sich, warum er gerade einen Crashkurs über die Geschichte einer Stadt bekam, wenn es doch eigentlich um seine Mutter ging. Oder wollten die beiden ihm allen Ernstes weismachen, dass irgendeine uralte Fehde derart eskaliert war, dass sie dazu führte, dass seine Familie mütterlicherseits wahnsinnig wurde? Das alles klang doch ziemlich weit hergeholt. Sein Blick schweifte abwechselnd zu Azarias, der sich nun mit einem Gummiband beschäftigte, das er aus seiner Hosentasche geholt hatte, und dann wieder zu Lotta, deren Blick immer noch auf ihm ruhte. „Es spielen viele Faktoren eine Rolle”, versuchte sie zu erklären. „Die Cohans hatten schon von Beginn an eine Art Grundaggression. Sie waren nicht nur anhand ihrer Körpergröße furchterregend, sie haben nie den Geist ihrer Wikinger-Vorfahren verloren und zeichneten sich durch Streitlust, Impulsivität aber auch durch enorme Kraft und Resistenz gegen unheilvolle Mächte aus. Der Grund für ihre Geisteskrankheiten hat unterschiedliche Ursachen. Einmal spielt die genetische Historie eine entscheidende Rolle: ein von mir beauftragtes Forschungsinstitut konnte in Erfahrung bringen, dass eine genetisch vererbbare Mutation einen Dopaminüberschuss im Körper verursacht, die zu psychischen Krankheiten und erhöhtem Stress führt und auch Psychosen verursacht. Diese genetische Mutation wird wahrscheinlich seit langer Zeit innerhalb des Cohan-Clans weitervererbt. Ein weiterer Faktor für die psychische Instabilität spielt Inzucht, was leider bei dieser Familie in den letzten Jahrzehnten allzu häufig geschehen ist und zu psychischen Krankheiten geführt hat. Und letztendlich spielt auch die Umwelt eine große Rolle. Im Grunde genommen kommen viele Negativfaktoren zusammen, die zu dieser Tragödie geführt haben. Dass ein Fluch dahintersteckt, ist nur eine alte Legende. Im Falle deiner Mutter war es das Cohan-Erbe und der Einfluss ihrer Umwelt. Sie ist damals in unvorstellbaren Zuständen groß geworden und hat nichts anderes erfahren als Schmerz, Hass und Ablehnung. Von ihrer Familie war sie gehasst worden und von den Menschen um sie herum als Kind einer geisteskranken Familie von Mördern abgestempelt worden. Die Cohans hatten es allesamt schwer in Annatown und der Einfluss der Kinsleys führte dazu, dass niemand von ihnen eine Chance auf ein geregeltes Leben bekam. Von den Menschen wurden sie als Monster gebrandmarkt noch ehe sie überhaupt verstanden hatten, was es überhaupt bedeutet, verrückt zu sein. Der Hass und die Vorurteile der Menschen von Annatown haben sie zu Monstern erzogen. Das war auch der Grund, warum ich damals wollte, dass deine Mutter Annatown verlässt. Ihr ganzes Leben lang hat sie sich tapfer dagegen gewehrt, so zu enden wie der Rest ihrer Familie und sie wollte beweisen, dass sie es schaffen konnte, ein besserer Mensch zu werden und dass die Leute mit ihren Behauptungen falsch liegen, dass alle Cohans Mörder seien. Aber selbst nachdem sie Annatown weit hinter sich gelassen hatte, konnte sie nie dem Schatten ihrer Vergangenheit entkommen und die schrecklichen Erlebnisse ihrer Kindheit verschlimmerten ihre Psychose nur und verfolgten sie bis in den Tod.” Leron schüttelte fassungslos den Kopf und konnte es kaum glauben. Wenn das wirklich stimmte, was Lotta da sagte, dann war der Grund für die Geisteskrankheit seiner Mutter also gar nicht eine Vererbung gewesen, sondern eine Art körperliche Mutation, die Hormonprobleme verursachte und dann noch die Schikane und Misshandlungen ihrer Mitmenschen? Er hatte ja mit vielem gerechnet aber mit so etwas garantiert nicht. All die Jahre hatte er gedacht, dass die Geisteskrankheit selbst weitervererbt wurde. Immerhin war es längst erwiesen, dass Depressionen und Schizophrenie auch genetisch vererbbar sein konnten. Aber hier war es anscheinend eine simple genetische Mutation, die dazu geführt hatte, dass sowohl er als auch Michael schon Geburt an aggressiver und streitlustiger waren als andere Menschen. Aber wie erklärte es, dass nur Michael so extrem gewalttätig und jähzornig gewesen war, obwohl er doch in einem normalen Umfeld aufgewachsen war? Als er diese Frage an Lotta stellte, konnte sie nur spekulieren. „Ich befürchte, dass es die Folgen des Inzuchts sind, die Katherine zwar selbst nicht geerbt hat, aber dafür ihr Bruder Nigel und ihr ältester Sohn Michael. Katherines Urgroßeltern waren Geschwister und es ist möglich, dass dies die Psychose deines ältesten Bruders noch weiter begünstigt hat. Jedenfalls weißt du jetzt nun die wichtigsten Hintergründe zu den Verhältnissen, in denen die Cohans all die Jahre leben mussten. Ich hatte damals erkannt, dass deine Mutter einen starken Willen besaß. Sie ertrug die Misshandlungen ihrer Familie und die Feindseligkeiten der Leute, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Ich sah Hoffnung für den Cohan-Clan und sagte ihr, sie solle Annatown schnellstmöglich verlassen und woanders ein neues Leben beginnen. Es gelang mir zwar, sie aus Annatown rauszubringen, aber ich konnte ihr nicht die seelischen Narben nehmen. Sie blieb stark und schaffte es sogar, sich ein geregeltes Leben aufzubauen. Aber alles änderte sich, als sie deinen Vater Lionel kennen lernte.” Stille trat ein und Leron dachte über all das nach, was Lotta ihm gesagt hatte. Zwar begann sich langsam alles ins Bild zu fügen und er begriff nun auch, dass die Fehde zwischen den Clans dazu geführt hatte, dass Menschen wie seine Mutter in diese Sache mit hineingezogen wurden und die Konsequenzen erleiden mussten, obwohl sie nichts verbrochen hatten. Aber eine Sache machte überhaupt keinen Sinn. Azarias hatte doch gesagt, sie sei das Oberhaupt des Kinsley-Clans oder besser gesagt das ehemalige Oberhaupt. Warum sollte jemand, der ein geschworener Feind des Cohan-Clans war, seiner Mutter helfen? „Wieso helfen Sie mir und meiner Mutter, wenn Sie doch eigentlich zu den Kinsleys gehören?” „Ich habe meinen Titel als Oberhaupt und den Namen meiner Familie abgelegt eben weil ich diese Clan-Fehde nicht unterstützen wollte”, erklärte Lotta und ein leichter Anflug von Groll und Bitterkeit war in ihren Gesichtszügen zu erkennen. „Ich hatte meiner Schwester versprochen gehabt, meinen Schwager zu beschützen weil ich wusste, dass er ein guter Mensch war. Ich bin für ihn eingetreten, als er verurteilt wurde und habe seine Strafe verbüßt, um mein Versprechen zu halten. Doch anstatt ihr Wort zu halten, hat meine Familie ihn kaltblütig ermordet und den Cohans die ewige Feindschaft geschworen. Sie haben nicht nur die Cohans betrogen, sondern auch ihr eigenes Oberhaupt. Also legte ich meinen Titel und meinen Namen ab und nahm den Familiennamen meines Mannes an. Seither bin ich bemüht, Mitgliedern aller Clans zu helfen, die meine Hilfe brauchen und vor allem ist es mein Ziel, den Cohans zu helfen, wieder in die Gemeinschaft von Annatown integriert zu werden und die Clan-Fehden ein für alle Male zu beenden. Und ich möchte mein Versprechen bei Katherine einlösen.” Schon wieder war von diesem Versprechen die Rede. Und immer noch wusste Leron nicht, warum seine Mutter ausgerechnet Lotta gefragt hatte. Etwa, weil diese so einen großen Einfluss zu besitzen schien? Selbst wenn dem so war, warum sollte eine von der Cohan-Familie, die offensichtlich ein Opfer der Feindseligkeiten der Kinsley-Familie gewesen war, ein ehemaliges Oberhaupt eben jener Familie um diesen Gefallen bitten? Als könnte Azarias seine Gedanken lesen, erklärte dieser „Deine Mutter hatte Lotta so einiges zu verdanken und sie wusste, dass Lotta niemals ihr Wort bricht. Und sie hat dich beschützen wollen weil sie ganz genau wusste, was dein Vater mit euch dreien im Schilde führte.” Sprach sie etwa auf die Pläne seines Vaters an, seine Brüder auszutricksen und ihn zum Erben zu ernennen? Aber das wusste er doch schon und so dramatisch war es ja auch nicht gewesen, dass ein Besuch aus Ohio unbedingt nötig gewesen wäre. Also wenn es nur deswegen war, dann hätte sich diese Lotta Muldaur ihren Besuch auch getrost sparen können. „Ich weiß schon längst, dass mein Vater Jordan und Michael ausgetrickst hat weil er von Anfang an mich als seinen Erben wollte. Und was ist denn so Schlimmes dabei?” Doch Lotta schüttelte nur den Kopf und schien da etwas ganz anderes im Sinn zu haben. „Nein”, sagte sie. „Ich spreche davon, dass dein Vater seine Krankheit benutzt, um dich zu manipulieren und dazu zu bringen, den gleichen Weg zu gehen wie er um nicht nur das zu bekommen was er will, sondern auch weil er selbst jetzt noch den unstillbaren Drang verspürt, sich an Katherine zu rächen, indem er ihr letztes lebendes Kind gegen sie aufbringt und ihr somit das zerstört, was sie zu beschützen versuchte. Und dabei ist er nicht nur bereit, seine Diagnose zu benutzen um dein Mitgefühl auszunutzen, sondern auch die Wahrheit zu verdrehen und seine eigenen Fehltritte zu verschweigen, um dich auf seine Seite zu ziehen und gegen deine Mutter aufzubringen. Und ich bin hier um zu verhindern, dass er damit erfolgreich durchkommt und dich zu seiner Marionette macht und dich noch unglücklich macht.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)