The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 58: Blutsverwandtschaft ------------------------------- Es regnete in Strömen und es war außerordentlich kalt, als Simon zusammen mit Cypher zum Gefängnis fuhr, welches Azarias in dem Schreiben genannt hatte. Nachdem er seinen Bruder angerufen und ihm alles erzählt hatte, war dieser mit Hunter zur Villa gefahren, um ihn abzuholen. Natürlich wollte der 25-jährige Künstler seinen biologischen Vater genauso sehr kennen lernen wie Simon und ließ sich nicht sonderlich von der Geschichte um diesen Alan Henderson aus der Ruhe bringen. Er hatte auch genau die richtige Einstellung zu der ganzen Sache und sagte einfach, dass er keinen Vater brauchte, weil er bereits erwachsen war und er glücklich mit den Menschen in seinem Leben war, die er hatte. Also war es auch kein großer Verlust für ihn, seinen Erzeuger aus seinem Leben rauszuhalten. Eigentlich dachte Simon genauso, aber dennoch war er nervös. Während der Fahrt hatte er gedankenverloren aus dem Fenster gesehen, ohne jedoch wirklich viel zu sehen und hatte Cyphers Musik gelauscht, die während der Fahrt lief. Und aus irgendeinem Grund ließ ihn Alice Coopers Song „Poison“ schon fast melancholisch werden und er musste an seine Kindheit zurückdenken, in der seine einzigen Freunde seine Murmeln und seine Musik waren. Cypher hingegen ging mit diesem Song regelrecht auf und sang lauthals mit so als wäre er auf dem Weg zu einer Party und nicht zu einem Gefängnisbesuch. Er schien richtig gute Laune zu haben und irgendwie beneidete Simon ihn dafür. Als sie das Gefängnis erreichten, setzte Hunter sie ab, damit sie schon mal hineingehen konnten, während er draußen im Auto warten würde. Immerhin war das eine Familienangelegenheit und es hätten ihn ohnehin keine zehn Pferde dort hineingebracht. Da sie keinen Regenschirm dabei hatten, beeilten sie sich, so schnell wie möglich aus dem Regen herauszukommen und betraten die Vollzugsanstalt. Es war kalt und steril und die Wände waren so grau wie der Boden. Sie gingen sich anmelden, gaben alle metallischen Gegenstände ab und passierten die Sicherheitsschleuse. Ein uniformierter Wachmann, der mit einem Schlagstock bewaffnet war, empfing sie an der Tür und führte sie in den Besucherraum. Es war ein etwas kleiner Raum, in welchem es außer einem Tisch und ein paar Stühlen nichts gab. Nur ein vergittertes Fenster bot einen Blick in die Freiheit und Simon fühlte sich mehr als unwohl an diesem Ort. Es war beklemmend und derart eingesperrt zu sein war beängstigend. Zum Glück gehörte er nicht zu den Gefangenen. Sie setzten sich beide an den Tisch und warteten. Der 21-ährige versuchte, wieder ruhiger zu werden und atmete tief durch, in der Hoffnung, dass dies auch seine Nervosität linderte. Cypher, der weitaus weniger mit Aufregung zu kämpfen hatte, klopfte seinem jüngeren Bruder auf die Schulter und sprach ihm gut zu. „Das wird schon werden. Wenn du dich unwohl fühlst oder gehen willst, sag mir ruhig Bescheid, okay?“ Simon nickte nervös und begann sich aus lauter Unruhe die Hände zu reiben und sich immer wieder in diesem kalten und sterilen Besucherraum umzusehen. Als dann aber die Stille jäh vom geräuschvollen Öffnen der Metalltür zerrissen wurde, zuckte Simon erschrocken zusammen und hatte erst das Gefühl, ihm würde gleich das Herz stehen bleiben. Sofort wandte er seinen Blick zur Tür um zu sehen, wer da reinkam. Es war ein Gefängniswärter und ihm folgte ein knapp 53-jähriger Mann in orangefarbenem Gefängnisoverall. Er war untersetzt und war knapp 1,80m groß. Sein Haar war bereits licht geworden und unfrisiert. Zwischen all den dunkelgrauen und teilweise schon silbrig weißen Strähnen konnte man seine dunkelbraune Haarfarbe noch erkennen. Sein Gesicht erinnerte Simon unfreiwillig ein wenig an Marlon Brando aus dem Film Der Pate, wenn gleich es nicht das gleiche Charisma besaß. Stattdessen wirkte dieser Mann wie jemand, der bereit war, jedem in den Rücken zu fallen, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. Seine Augen waren von einer unbestimmten Farbe und milchig trüb. Es schien so, als wären sie von einer Art durchsichtigen weißen Schleier bedeckt. Simon wagte es kaum zu atmen und das Schlucken fiel ihm schwer. Dieser Mann war sein Erzeuger… und von ihm hatten er und Cypher diesen Gendefekt geerbt. Misstrauisch beäugte Alan Henderson die beiden und legte seine Hände auf den Tisch, wobei die Ketten der Handschellen leise klapperten. „Wer seid ihr zwei und was zum Teufel wollt ihr von mir?“ Simon öffnete den Mund um etwas zu sagen. Doch er schaffte es gar nicht erst, auch nur ein Wort hervorzubringen. Also übernahm Cypher für ihn, der zwar auch ein wenig aufgeregt schien, aber einen etwas mehr entspannten Eindruck machte. „Guten Tag, Mr. Henderson. Mein Name ist Cypher Grant und das ist mein Bruder Simon Cavanaugh. Wir sind hier weil wir erfahren haben, dass Sie unser biologischer Vater sind und deswegen wollten wir Sie kennen lernen.“ Nun hoben sich die ebenso ergrauenden Augenbrauen skeptisch und der Inhaftierte sah die beiden Brüder eindringlich an und stieß dann ein ungläubiges Lachen aus. „Wollt ihr mich verarschen? Ich habe keine Kinder! Ihr habt euch da offenbar in etwas verrannt.“ „Sagt Ihnen der Name Rose Witherfield etwas?“ fragte Simon, der nun endlich seine Starre überwunden hatte und sich endlich wieder gefasst hatte. Und nun wollte er auch nicht wirklich Zeit damit verschwenden, mit einem Kriminellen ewig zu diskutieren, ob dieser nun wirklich sein Erzeuger war oder nicht. Es schien auch zu klappen, denn kaum, dass der Name fiel, regte sich etwas in dem eingefallenen Gesicht und die Augen glommen auf, als der alte Hass wieder zum Leben erwachte. „Rose…“, sagte Henderson langsam und gedehnt und seine Augen weiteten sich. „Dieses Miststück also…“ „Was ist damals zwischen Ihnen passiert?“ hakte Simon sofort nach und konnte sich nun nicht mehr bremsen. „War sie eines Ihrer Models gewesen?“ Alan Henderson zog nun die Arme vom Tisch und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Ein widerwärtiges Grinsen zog sich über sein Gesicht und enthüllte dabei seine Zähne, die nicht sonderlich gepflegt aussahen. „Ihr wollt also mehr ober Rose erfahren? Na schön, dann erzähle ich es euch. Ich habe ja eh nichts Besseres zu tun. Also dann sperrt mal schön die Lauscher auf: ich habe Rose damals aus einem kleinen Kaff in Ohio gefunden. Zwar kriegt man schnell und einfach schöne Mädchen in den Großstädten, aber das Problem ist, dass man schnell nach ihnen sucht. Und sie sind bei weitem nicht so naiv wie die vom Lande. Und Rose war sowohl schön als auch naiv. Und mit 13 Jahren war sie damals auch nicht sonderlich verbraucht und genau mein Typ.“ Simon wurde schlecht bei diesem Gedanken und auch Cypher konnte es kaum glauben und fragte fassungslos „Sie haben mit 13-jährigen Mädchen geschlafen?“ „Ich stehe halt nicht sonderlich auf erwachsene Frauen“, gab Henderson schulterzuckend zurück, ohne dabei die geringste Reue zu empfinden. Es schien nicht einmal ein großes Problem für ihn zu sein, so etwas offen zuzugeben. „Und es ist ja nicht so, als hätte ich sie vergewaltigt. Rose wollte ja unbedingt mitkommen. Sie kam aus einem kleinen Kaff auf dem Lande und wollte mehr als bloß das. Sie träumte davon, mal ganz groß rauszukommen und berühmt zu werden. Ich sagte ihr, Marilyn Monroe war auch Schönheitsikone und Star gewesen und wenn sie es richtig anstellt, könnte sie genauso berühmt werden. Sie hätte ja bei ihrer Familie bleiben können, aber stattdessen hat sie sich dazu entschieden, von zuhause wegzulaufen und zu mir nach New York zu kommen. Ich habe ihr also bloß einen Gefallen getan. Ich habe ihr eine Modelkarriere verschafft und sie hat die Großstadt kennen gelernt. Und ich habe ihr gezeigt, wie es in der Branche so zugeht. Ich habe trotz allem meine Arbeit in der Agentur ernst genommen.“ „Gehörte der Sex etwa auch dazu und dass Sie den Zuhälter für diese Mädchen gespielt haben?“ erwiderte Simon, der es sich schwer vorstellen konnte, dass ein 13-jähriges Mädchen so einfach mit ihm ins Bett ging. Zumindest hoffte er, dass wenigstens seine biologische Mutter nicht so schmierig war wie dieser Henderson. Das Grinsen schwand aus dem Gesicht des Insassen und er blitzte Simon argwöhnisch an. „Wenn du die ganze Geschichte hören willst, dann unterbrich mich gefälligst nicht. Säße ich nicht im Knast, dann hätte ich dir für deine vorlaute Klappe schon längst eine geklebt! Und lass mich mal eines klarstellen: irgendwie musste ich meine Agentur ja finanzieren. Wenn keine Aufträge reinkamen und das Geld knapp wurde, dann mussten die Mädels halt ran. Ich bin immerhin nicht die Wohlfahrt und ich habe die Mädchen zum Arbeiten zu mir geholt und nicht, damit sie sich auf meine Kosten ein schönes Leben machen können. Wenn dir das nicht passt, dann ist das nicht mein Problem. So läuft das Geschäft halt.“ Simon rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, um eine bequemere Position zu finden. Dieser Kerl, der ihm gegenübersaß, widerte ihn einfach nur an und erinnerte ihn nur allzu sehr an die Freier, die er während seiner Zeit auf dem Straßenstrich als Kunden hatte. Und ihm drehte sich der Magen bei der Vorstellung um, dass dieser schmierige Päderast jahrelang so erfolgreich mit seiner Agentur war, die im Grunde eigentlich nur dazu diente, seine kranken Machenschaften zu verschleiern. „Was genau ist passiert, nachdem Rose zu ihrer Agentur kam?“ „Die Agentur lief gut und ich habe richtig Geld mit den Mädels gemacht“, verkündete Henderson stolz, doch der Stolz wich schnell dem Zorn, als er fortfuhr „Aber Rose hatte angefangen, Probleme zu machen. Sie kam eines Tages zu mir und sagte, sie sei schwanger von mir. Ich bin fast vom Glauben abgefallen! Sie wollte wieder zurück nach Hause zu ihrer Familie nach Ohio und ihre Modelkarriere aufgeben. Das konnte ich natürlich nicht zulassen. Selbst diese Landeier hätten eins und eins zusammengezählt und ich hätte Ärger mit der Polizei gekriegt und nicht nur meine Agentur hätten sie dicht gemacht, ich hätte auch noch die Polizei an der Backe gehabt! Also habe ich sie unter Druck gesetzt und ihr gesagt, sie solle das Kind weggeben. Andernfalls würde ihre Familie spitzkriegen, dass sie sich für ältere Männer prosituiert, um Karriere als Model zu machen. Danach hat sie Ruhe gegeben und gespurt und das Kind weggegeben.“ Simon warf Cypher einen Blick zu, der sofort seine Schlüsse zog und mit einem bedächtigen Nicken murmelte „Also hat sie mich damals vor dem Kloster ausgesetzt, weil sie unter Druck gesetzt worden war. Verstehe… Aber was ist mit Simon? Er war damals in seinem Müllcontainer gefunden worden. Wieso wurde er nicht auch im Kloster oder in einem Waisenhaus abgegeben?“ Hier veränderte sich Hendersons Blick und eine Mischung aus Erstaunen und Ungläubigkeit zeichnete sich in seinem Gesicht ab, als er seinen jüngeren Sohn anstarrte. „Also du bist… Scheiße und ich dachte echt, du wärst verreckt.“ Simons Magengegend schnürte sich bei diesen Worten zusammen und ein Gefühl von Übelkeit überkam ihn. Was sollten diese Worte bedeuten? Hatte seine Mutter etwa beabsichtigt, ihn zu töten? Oder wollte Henderson ihn etwa umbringen? „Was… was meinen Sie damit?“ Das Gesicht des Verurteilten verzerrte sich vor Wut und er knallte die Hände auf den Tisch, beugte sich vor und starrte ihn mit solch einem Hass und einer unbändigen Wut an, als wolle er Simon mit einem bloßen Blick töten. „Dieses kleine Flittchen hat versucht, den Spieß umzudrehen! Keine Ahnung, wer ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt hat. Knapp vier Jahre lang hat sie alles getan, was ich ihr gesagt habe, als sie dann wieder schwanger geworden war, da hatte sie plötzlich nicht mehr gewollt. Nein, sie kam zu mir und hat gesagt, sie würde zur Polizei gehen und alles ausplaudern und mich hinter Gittern bringen. Egal, was ich ihr auch geboten habe, sie wollte nicht mehr hören. Also bin ich ihr zuvorgekommen. Ich habe versucht, sie umzubringen, als sie aus dem Krankenhaus kam, aber das verdammte Miststück war immer noch am Leben, als ich sie mit dem Wagen erwischt habe. Und ich konnte doch nicht zulassen, dass sie mich ruiniert, nur weil sie zu blöd war, ihre Schwangerschaft rechtzeitig zu bemerken und das Kind abtreiben zu lassen. Ich musste die Beweise verschwinden lassen. Also habe ich mir ihr Balg geschnappt, bin abgehauen und habe es irgendwo in einer Hintergasse auf den Müll geworfen. Es hatte sowieso nicht mehr geschrien und ich dachte echt, es wäre verreckt. Tja, letzten Endes hat diese Aktion auch nicht viel gebracht. Ich dachte, wenn ich mit einem anderen Wagen fahre als meinen, dann würde ich nicht auffliegen. Aber dummerweise hat mich ein Streifenpolizist aufgehalten und alles ist aufgeflogen. Und nun sitze ich hier seit knapp 21 Jahren und werde noch den Rest meines Lebens hier verbringen.“ Nun endlich fügte sich langsam das Bild zusammen und Simon begann zu begreifen. Dann war seine Mutter also jenes Mädchen, das Henderson damals überfahren hatte. Also war sie damals gar nicht gestorben, sondern hatte den Mordversuch überlebt und sie war es gar nicht gewesen, die ihn in den Müllcontainer geworfen hatte. Es war Henderson gewesen, der die Beweise verschwinden lassen wollte, um zu verhindern, dass ans Tageslicht kam, dass er Sex mit den Models aus seiner Agentur hatte. Seine Mutter war jahrelang von diesem Widerling zum Sex gezwungen worden, weil er sie und all die anderen Models erpresst hatte. Fassungslos schüttelte er den Kopf und konnte es kaum glauben. „Sie sind echt das Allerletzte!“ „Hey, ich bin bereits verurteilt worden“, erwiderte Henderson ohne den geringsten Anflug von Reue oder Schuldgefühlen. „Also reg dich mal nicht so auf. Eure Mutter ist von zuhause weggelaufen und wollte unbedingt eine Berühmtheit werden. Was kann ich denn dafür, wenn sie so dumm und naiv ist? Ich habe sie nicht gezwungen, zu meiner Agentur zu kommen. Es war ihre eigene Entscheidung gewesen und sie hat mich regelrecht darum angebettelt, dass ich ihr Manager werde. Ich habe ihr nur einen Gefallen getan und wenn sie keine Ahnung davon hat, wie es in dieser Branche läuft, dann ist das ihre eigene Schuld.“ Nun reichte es Simon endgültig. Er konnte einfach nicht mehr ruhig sitzen bleiben und sich dieses selbstgerechte Geschwafel anhören und war drauf und dran, diesem Henderson ins Gesicht zu schlagen, doch da hielt Cypher ihn zurück. Doch auch er wirkte danach, als würde er ihm am liebsten eine reinhauen. „Lass es gut sein, Simon. Dieser Arsch ist es nicht wert, dass du wegen ihm Ärger bekommst.“ „Tut mir leid, dass ihr die Wahrheit nicht vertragen könnt“, meinte Henderson mit einem selbstgefälligen Grinsen. „Für so etwas braucht es immer zwei. Aber zumindest war sie verdammt gut im Bett, das muss man ihr lassen. Sie hätte dankbar sein sollen, dass ich sie mit 18 Jahren überhaupt noch rangelassen habe.“ „Sie sind echt das Allerletzte“, gab Cypher angewidert zurück. „Na wenigstens haben Sie Ihre gerechte Strafe gekriegt und sitzen für den Rest Ihres Lebens hinter Gittern. Zumindest sind die Mädchen vor einem Päderasten sicher.“ Da kein weiterer Grund mehr bestand, noch hierzubleiben, erklärten Cypher und Simon ihren Besuch für beendet und Henderson wurde vom Wärter aus dem Raum geführt und zurück zu seiner Zelle gebracht. Daraufhin kam ein weiterer Wärter, der sie zurück zur Sicherheitsschleuse geleitete und dort ihre Sachen wiedergab, die sie für die Dauer ihres Besuches zurücklassen mussten. Sie verließen das Gefängnis und atmeten die frische Luft ein und spürten den kühlen Wind auf ihrer Haut. Simon war heilfroh, endlich wieder draußen zu sein. Nicht nur, dass diese Gefängnisatmosphäre mehr als beklemmend und trist gewesen war, auch dieser Henderson war auch noch mal eine Klasse für sich gewesen. Selten hatte er so einen widerwärtigen Menschen getroffen wie ihn. Aber wenigstens hatte er ihn jetzt persönlich getroffen gehabt und konnte mit diesem Kapitel nun komplett abschließen. Mit so einem Menschen brauchte man ohnehin keinen Kontakt zu haben. „Oh Mann“, seufzte Cypher und fuhr sich durch sein langes schwarz gefärbtes Haar mit den feuerroten Spitzen. „Es heißt ja, dass man sich die Familie nicht aussuchen kann, aber bei diesem Arsch bin ich echt froh, dass ich im Kloster aufgezogen wurde.“ Dem konnte Simon nur zustimmen. „Ja, alles ist besser als der.“ „Und was machen wir jetzt?“ hakte sein älterer Bruder nach. „Azarias hat dir ja die Nummer unserer Mutter gegeben, oder? Sollen wir nachher bei ihr anrufen?“ Doch hier zögerte Simon und war sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob das wirklich eine gute Idee war. Seinen Vater im Gefängnis zu besuchen war eine Sache. Aber die Mutter zu kontaktieren, die ungewollt schwanger geworden und dann auch noch jahrelang von so einem widerwärtigen Kerl zum Sex gezwungen und fast umgebracht worden war, das war eine ganz andere Hausnummer. Was wenn sie nach all den Jahren ein neues Leben aufgebaut und eine neue Familie hatte? Was, wenn sie bloß wieder an traumatische Dinge erinnert werden würde, wenn sie von den Söhnen ihres Peinigers angerufen werden würde? „Ich… ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, antwortete er unsicher. „Was, wenn wir nur unangenehme Erinnerungen wachrufen, wenn sie Kontakt zu ihr aufnehmen? Nach allem, was sie durchlebt hat, glaube ich kaum, dass sie wirklich Interesse daran hat, die Kinder jenes Mannes kennenzulernen, der sie jahrelang zum Sex gezwungen hat.“ „Woher willst du das wissen?“ wollte Cypher wissen, der anscheinend schon seinen eigenen Entschluss gefasst hatte. „Vielleicht will sie uns ja kennen lernen. So wie sich das für mich anhörte, wollte sie uns gar nicht weggeben und hat es nur unter Druck getan. Und sie hat dich ja nicht einmal weggeben. Vielleicht weiß sie ja nicht einmal, dass du lebst. Also ich denke, wir sollten es zumindest versuchen. Was haben wir denn großartig zu verlieren.“ „Wir nicht, aber was wenn wir ihr Leben ruinieren, wenn wir Kontakt zu ihr aufnehmen?“ „Inwiefern denn ruinieren? Laut Azarias‘ Information ist sie wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und selbst wenn sie eine neue Familie haben sollte, was sollte das denn großartig ändern? Es liegt nicht an uns, sondern an ihr, dass sie offen und ehrlich über ihre Vergangenheit mit Henderson ist. Wir können gar nichts für das, was damals passiert ist. Und ich finde, sie hat ein Recht darauf zu erfahren, dass du damals nicht gestorben bist, sondern dass du überlebt hast. Vielleicht zerbricht sie sich ja auch seit Jahren den Kopf darüber, was mit ihrem zweiten Kind passiert ist, als sie unter die Räder gekommen ist. Wir müssen ja nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen und direkt am Telefon sagen Hallo, ist da Rose Witherfield. Hier sind Cypher Grant und Simon Cavanaugh, wir sind die Söhne, die Sie mit Alan Henderson gezeugt haben. Wenn wir es behutsam angehen, sollte doch nichts schief gehen.“ Eigentlich hatte Cypher Recht, aber trotzdem war er unsicher, ob er das wirklich tun sollte. Aber warum fiel es ihm so schwer, sich dazu zu überwinden, mit seiner leiblichen Mutter in Kontakt zu treten, obwohl er bei Henderson überhaupt keine Probleme gehabt hatte? Irgendwie verstand er sich selber nicht. Da es immer noch in Strömen regnete, hatten sie beschlossen, das Gespräch später fortzusetzen und somit waren sie zum Wagen geeilt und fuhren zur alten Fabrik, wo Cypher und Hunter wohnten. Da Leron höchstwahrscheinlich gerade mit seinem Besuch beschäftigt war, wollte Simon ihn lieber alleine lassen. Außerdem musste er sich mit Cypher überlegen, ob sie jetzt nun Kontakt zu Rose Witherfield aufnehmen sollten und wenn ja, wie sie es anstellen sollten. Als der Wagen das Ziel erreicht hatte, sahen sie bereits, dass jemand vor der Tür stand und anscheinend wartete. Simon, der nicht genau erkennen konnte, wandte sich an Hunter und fragte ihn „Ist das Azarias?“ Der Bildhauer folgte seinem Blick und antwortete „Nein, es ist Ezra.“ „Ezra?“ fragte Cypher überrascht. „Was will er denn bei diesem Sauwetter hier? Kommt, steigen wir aus. Wahrscheinlich hat er wieder eine halbe Ewigkeit vor der Tür gewartet.“ Die drei stiegen aus dem Wagen und gingen in Richtung Eingangstür. Ezra, der zwar einen Schirm dabei hatte, war trotzdem ziemlich durchnässt und schien zu frieren. Mit einem missmutigen Blick bedachte er die Ankömmlinge und fragte „Wo wart ihr denn?“ „Wir waren unseren Erzeuger besuchen“, antwortete Cypher und schloss die Tür auf. „Und was ist mit dir? Wie lange wartest du hier und wieso hast du uns nicht angerufen, dass du kommst?“ Doch hier zuckte der 16-jährige nur mit den Schultern und meinte, er hätte sein Handy nicht finden können und er wollte unbedingt zu Besuch kommen. Cypher besprach sich kurz mit Hunter und bat ihn, sich um den ungeplanten Gast zu kümmern, während er mit Simon sprechen wollte. Also ging der 24-jährige Bildhauer mit Ezra in Richtung Bad, um ihm ein paar Handtücher zu geben, während Simon und Cypher ins Wohnzimmer gingen, um in Ruhe reden zu können. Um sich ein wenig aufzuwärmen, machte Cypher einen Orangentee fertig und servierte dazu ein paar Kekse. Sie machten es sich auf der Couch gemütlich und gedankenverloren starrte Simon auf seine Tasse. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Irgendwie hatte ich kein Problem damit, Henderson zu besuchen. Aber… aus irgendeinem Grund habe ich Schiss, unsere Mutter anzurufen.“ „Also ich kann dich verstehen“, gab Cypher zu und gab etwas Kandiszucker in seinen Tee. „Bei Henderson bestand ja auch nicht die Sorge, unsere Existenz könnte sein Leben aus der Bahn werfen. Immerhin sitzt er im Knast und wird auch den Rest seines Lebens dort verbringen. Und Rose ist nicht gerade unter den glücklichsten Umständen schwanger geworden. Und ich kann deine Sorge verstehen, dass sie sich ablehnend uns gegenüber verhalten könnte, wenn wir ihr sagen, dass wir ihre Söhne sind. Aber wir wissen nicht, ob das auch wirklich der Fall sein wird. Klar wird das erst mal ein Schock für sie sein, aber vielleicht will sie uns kennen lernen. Weißt du, als ich während meiner Depression in der Klinik war, da habe ich oft alle möglichen Ängste bezüglich meiner Existenz und meiner Zukunft gehabt. Aber ich habe einen Trick gelernt, wie ich solchen Situationen begegnen kann, ohne den Kopf zu verlieren.“ „Und wie?“ „Ich habe die Dinge aus einer objektiven Sicht betrachtet und mich ganz nüchtern gefragt, was das allerschlimmste ist, was passieren könnte. Wenn du dich damit nicht auseinandersetzt, dann malst du dir schnell alle möglichen Horrorszenarien aus und steigerst dich schnell in deine Ängste und Unsicherheiten hinein. Aber wenn du dir vor Augen hältst, wie das Worst Case Szenario aussieht, dann wirkt es weniger beängstigend. Nimm dir dein jetziges Problem als Beispiel: was wäre denn das allerschlimmste, was dir passieren würde, wenn wir Rose Witherfield anrufen und ihr sagen, dass sie unsere leibliche Mutter ist? Das Worst Case Szenario wäre, dass sie uns nicht kennen lernen will und keinen Kontakt will. Und was ändert es an deinem Leben? Du hast immer noch mich als deinen Bruder und du hast Leron, der für dich sogar einen Löwen mit bloßen Händen töten würde. Im Grunde genommen verlierst du rein gar nichts. Du kannst nur dazugewinnen. Mehr oder weniger ist das eigentlich nicht.“ Ja, da hatte er nicht ganz Unrecht und im Grunde genommen hatte er eigentlich bereits Menschen, die sein Leben bereicherten. Wahrscheinlich hätte die Situation anders ausgesehen, wenn er Leron nicht getroffen hätte, aber jetzt hatte er immerhin Menschen, denen er sich anvertrauen konnte. Er hatte eine Liebesbeziehung mit Leron, er hatte einen großen Bruder und Hunter hatte auch gezeigt, dass er als treuer Freund für ihn da war. Sein Leben war um vieles reicher geworden, seit er bei Leron lebte und er würde nichts davon verlieren, nur weil er versuchte, zu seiner leiblichen Mutter Kontakt aufzunehmen. Also atmete er tief durch und versuchte sich ein wenig zu beruhigen. „Also gut… dann lass es uns versuchen.“ „Das ist die richtige Einstellung!“ lobte Cypher gut gelaunt und klopfte seinem kleinen Bruder freundschaftlich auf die Schulter, als er aufstand um das Telefon zu holen. „Wie sollen wir das machen? Willst du anrufen oder soll ich das machen?“ Simon überlegte kurz. Er wusste ja nicht einmal, was er sagen sollte, wenn er tatsächlich seine leibliche Mutter an den Hörer bekam. Ganz zu schweigen davon, dass er vielleicht vor lauter Aufregung kein Wort hervorbringen würde. Es war ihm ja schon im Gefängnis schwer gefallen, das Gespräch mit seinem Vater zu beginnen. Cypher hingegen hatte sofort die Initiative ergriffen und es war ihm auch nicht schwer gefallen, die richtigen Worte zu finden. Also wäre es eigentlich die vernünftigste Entscheidung, Cypher diese Aufgabe anzuvertrauen. Aber andererseits konnte er sich ja nicht immer bloß auf andere verlassen, sondern musste auch mal selber die Initiative ergreifen. Also antwortete er mit „Ich mache es!“ Der 25-jährige Künstler nickte und reichte ihm das Telefon. „Okay, dann überlasse ich es dir. Und mach dir keinen Stress. Atme tief durch, entspann dich und bleib ganz locker. Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, helfe ich dir einfach.“ „Und wie soll ich ihr am besten sagen, dass wir ihre Söhne sind?“ fragte Simon unsicher und spürte, wie sein Herz vor Aufregung schneller schlug. „Wie bringe ich es ihr am besten bei?“ „Stell dich ganz normal mit deinem Namen vor und sag, dass du in New York lebst. Frage sie, ob sie sich vielleicht noch an ihre Zeit in New York erinnert. Sie wird dann garantiert nachhaken, warum dich das interessiert und dann kommst du darauf zu sprechen, dass sie zwei Kinder hat und dass sie eines davon weggegeben und das andere verloren hat. Sprich alles ganz langsam und vorsichtig an, damit sie nicht völlig überfallen wird und dann kannst du ihr sagen, dass du ihr Sohn bist.“ Okay, das klang doch soweit nach einem guten Plan. Nachdem Simon tief Luft geholt hatte und Cypher für ihn die Nummer auf dem Telefon gewählt hatte, drückte der 21-jährige die Taste mit dem grünen Hörer und wartete, während das monotone Signal des Verbindungsaufbaus ertönte. Es dauerte knapp vierzig Sekunden, bis endlich jemand den Hörer abnahm. Doch es war keine weibliche Stimme. Nein, es war die Stimme eines Mannes. „Hier ist Scott Witherfield, wer spricht da?“ Scott? Witherfield? War das etwa vielleicht Roses Ehemann? Oh Gott, was sollte er jetzt bloß tun? Simon stand kurz vor einer Panik und versuchte etwas hervorzubringen, doch ihm versagte mit einem Male die Stimme und alles was er hervorbrachte, war nur ein „Äh… ah…“ aber mehr auch nicht. „Hallo? Wer spricht denn da?“ fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung und wurde ein wenig ungehaltener. Das machte die Sache auch nicht gerade leichter für Simon. Da er merkte, dass er kein Wort mehr hervorbringen würde, drückte er hastig Cypher das Telefon in die Hand, damit er die Situation rettete. Dieser räusperte sich kurz und setzte ein freundliches Lächeln auf. „Schönen guten Tag, Mr. Witherfield. Hier spricht Cypher Grant, ich rufe aus New York an. Entschuldigen Sie vielmals die Störung, aber wäre es möglich, dass ich mit einer Dame namens Rose Witherfield sprechen könnte?“ „Tut mir leid, aber meine Frau ist gerade beschäftigt und kann nicht ans Telefon. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ „Entschuldigen Sie, aber das ist eine private Angelegenheit und da würde ich gerne lieber mit Ihrer Frau persönlich darüber sprechen. Wann wäre sie denn wieder erreichbar?“ „Ich schätze mal in einer Stunde. Am besten schreibe ich mir mal die Nummer auf, dann kann sie sich bei Ihnen zurückmelden.“ „Okay, vielen Dank Mr. Witherfield. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“ Damit war das Gespräch beendet und ein eventuelles Desaster abgewendet. Erleichtert atmete Simon aus und war froh, dass Cypher es geschafft hatte, so schnell und elegant die Situation zu retten. Aber sonderlich besser fühlte er sich auch nicht. Seine leibliche Mutter hatte also einen Ehemann… und vielleicht sogar Kinder. Na hoffentlich führte ihre Aktion nicht dazu, dass sie aus Versehen eine Familie entzweiten, nur weil sie sich in das Leben ihrer Mutter drängten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)