The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 57: Ein Friedensangebot ------------------------------- Selten hatte Simon einen derart erholsamen Schlaf gehabt wie in dieser Nacht und sich beim Aufwachen fast schon glücklich und zufrieden gefühlt. Wenn auch nicht vollständig erholt, fühlte sich der 21-jährige mit den dunkelbraunen Locken wesentlich besser und streckte gähnend, als er sich aus dem Bett erhob. Sein Kreislauf hatte sich deutlich erholt und auch diese lähmende Müdigkeit, unter der er seit Tagen gelitten hatte, war kaum noch spürbar. Zwar bezweifelte er, dass er für einen Marathon genug Energie haben würde und glaubte auch, dass es höchstwahrscheinlich nicht gut ausgehen würde. Aber es war dennoch eine deutliche Verbesserung seiner körperlichen Befindlichkeit bemerkbar und das verbesserte auch gleichzeitig seine gute Laune. und er erinnerte sich, dass er gestern kaum etwas gegessen hatte. Und das rächte sich jetzt anscheinend. Also verließ er kurzerhand das Zimmer und ging nach unten in Richtung Küche. Sein Sehvermögen hatte sich inzwischen deutlich gebessert und er konnte inzwischen Objekte erkennen, jedoch war seine Sicht immer noch etwas unscharf und zum Lesen reichte das definitiv nicht. Aber wenigstens war er nicht völlig hilflos. Als er das Ende der Treppe erreichte, wehte ihm schon ein verführerischer Duft von Speck und Spiegelei entgegen und er dachte zunächst, dass es Anthony war, doch dann fiel ihm wieder ein, dass dieser gestern ins Krankenhaus gebracht wurde und vielleicht erst mal krankgeschrieben war. Oder konnte es sein, dass es Leron war? Aber der aß doch nie Frühstück. Also wer war es dann? Simon betrat die Küche und sah einen Jungen in seiner Größe, der genauso unfrisiertes Haar hatte und Kleidung trug, die ihm etwas zu groß war. Seine Jeanshose war verwachsen und viel zu lang für ihn und seine Sneakers hatten auch schon bessere Tage gesehen. Zwar konnte er sein Gesicht nicht allzu deutlich sehen, aber dennoch erkannte er ihn als den Jungen wieder, den er an der Küste getroffen hatte. Was wollte er hier? Simon blieb wie erstarrt stehen, als Azarias sich zu ihm umdrehte. „Guten Morgen, Dornröschen. Du siehst ja wesentlich besser aus als gestern. Hätte nicht gedacht, dass die Kräutermischung so gut wirkt.” Instinktiv überkam ihn Angst, als er wieder diese Stimme hörte, die ihn gestern fast zu Tode geängstigt hatte. Zuerst dachte er instinktiv daran, wegzulaufen, doch er zögerte noch. „Wieso bist du hier?” wollte er wissen und blieb weiterhin im Türrahmen stehen, sofort zur Flucht bereit, sollte Azarias versuchen, ihn anzugreifen. „Und wie bist du hier überhaupt reingekommen?” „Ich habe gestern echt Ärger gekriegt, weil ich es übertrieben habe”, begann Azarias zu erklären und belud nun einen Teller mit Essen und stellte ihn auf den Tisch. „Ich wollte dir keine Angst machen und dass ich dem Alten eins über die Rübe gedonnert habe, war nicht Teil des Plans. Also bin ich hergekommen, um dir Frühstück zu machen. So als kleine Entschuldigung und als Friedensangebot. Ich will nicht, dass da irgendwelche negativen Spannungen zwischen uns sind. Immerhin hatte ich ja versprochen gehabt, dir zu helfen.” Simon war etwas skeptisch, was nach den gestrigen Ereignissen auch durchaus berechtigt war. Noch immer hatte Azarias nicht gesagt, wie er hier so einfach hereinkommen konnte, obwohl Leron doch nach dem Vorfall mit Michael eine Überwachungsanlage installiert hatte. „Und wie bist du einfach so hier reinspaziert?” „Ich weiß halt wie”, antwortete Azarias nonchalant. „Mein siebter Sinn verrät mir alles Mögliche. Sowohl, dass du mich für einen psychopathischen Einbrecher hältst und dein Schatzi in mir nur einen geisteskranken Rotzbengel sieht, als auch dass du seit gestern Morgen nichts mehr gegessen hattest und nun ausgehungert wie sonst was bist. Iss ruhig! Dein Körper braucht viel Kraft, um so viel negative Energie zu verarbeiten, die du aufgestaut hast.” Und wie aufs Stichwort begann Simons Magen laut zu knurren und ein flaues Gefühl überkam ihn. Er brauchte jetzt wirklich etwas zu essen. Also widmete er sich dem Frühstück, das Azarias gemacht hatte. Dieses bestand aus Spiegelei, gebratenem Speck, Toast, Waffeln und Tee. Dabei fiel ihm jedoch auf, dass das Spiegelei ein etwas eigentümliches Muster hatte. Er musste schon genau hinsehen um zu erkennen, was das für Muster waren und fragte dann verwirrt „Hast du das Spiegelei im Waffeleisen gemacht?” „Nicht nur das Spiegelei, sondern auch den Speck und die Waffeln”, erklärte der 22-jährige stolz. „Ich mache so ziemlich alles im Waffeleisen. Das ist so ziemlich das einzige Gerät, das ich in der Anstalt in meinem Zimmer haben darf und deshalb mache ich damit alles Mögliche. Aber keine Sorge, es schmeckt trotzdem! Mein Lieblingsgericht sind immer noch Waffleburger.” Ich habe ja schon einigen Foodtrends gehört, aber Waffling klang schon immer verrückt, dachte sich Simon und aß sein Frühstück. Er musste zugeben, dass es wirklich gut schmeckte, trotz der Tatsache, dass alles aus dem Waffeleisen kam. Vor allem war es eine wahre Wohltat, endlich wieder etwas im Magen zu haben, nachdem er schon das Gefühl hatte, schon seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen zu haben. Schließlich gesellte sich Azarias zu ihm und nahm auf einem der Stühle Platz. „Ich wollte dir echt keinen Schreck einjagen oder dir wehtun. Ehrlich gesagt hatte ich den Schläger mitgebracht, weil ich erst gefürchtet hatte, du und dein Bruder könnten Cohans sein.” Stirnrunzelnd hob Simon den Blick und starrte ihn ungläubig an. „Wie kommst du denn auf so etwas? Wenn Cypher und ich Cohans wären, dann würden wir ja Inzestbeziehungen führen.” „Ach das hat manche von denen auch nicht wirklich von der Fortpflanzung abgehalten”, winkte Azarias ab. „Bei manchen Zweigfamilien wird mehr Inzest betrieben als In Game of Thrones! Nein, der Punkt ist der, dass ich noch nie den Fall erlebt habe, dass du und Cypher als zwei individuelle Personen existiert haben. Eigentlich müsstet ihr eine Person sein und dein Name wäre quasi Simon Cohan alias “Der Eyeball-Killer von Annatown”. Vielleicht ist das aber auch nur wieder eine meiner Wahnideen und ich habe mich da bloß reingesteigert und mich total in etwas verrannt. Passiert mir recht häufig.” „Ich ein Killer?” Simon hätte sich fast am Speck verschluckt, als er das hörte. „Das ist doch verrückt!” „Wenn mein Gefühl von eines Metauniversums mit unendlich vielen Realitäten stimmt, in denen es unzählige verschiedene Versionen von uns gibt, dann ist es weniger verrückt, dass du in einer alternativen Realität ein Cohan bist und als Serienkiller Leuten die Augäpfel klaust. Wenn es nur eine Wahnidee sein sollte und ich liege falsch, dann entschuldige ich mich dafür, dass ich in der Annahme gewesen war, du könntest ein Killer sein, der mir die Augäpfel entfernen und mich dann der Vogelscheuche überlassen würde. Mein siebter Sinn ist zwar der mächtigste von allen in meiner Familie, aber wenn du einen ziemlichen Knacks im Oberstübchen hast so wie ich, hilft dir das leider selten. Vor allem macht es dein Leben nicht erträglicher, wenn du weißt, dass du nur einer von vielen deiner Art bist und es keine Rolle spielt, wann du den Löffel abgibst, weil dann einfach ein Ersatz geboren wird, der genauso ist wie du.” Im Vergleich zu dem hoffnungslosen Durcheinander von gestern schien Azarias wesentlich klarer bei Verstand zu sein. Ja er schien sogar richtig tiefgründig zu denken. Irgendwie kam es Simon so vor, als gäbe es zwei verschiedene Seiten von Azarias. Aber wie sollte er ihn einschätzen? War er gefährlich oder konnte man ihm wirklich vertrauen? Hunter jedenfalls schien ihm zu vertrauen. „Ich werde echt nicht aus dir schlau. Gestern hast du dich aufgeführt, als wärst du eine Mischung aus der Joker und der verrückte Hutmacher. Und jetzt bist du total anders.” „Liegt vielleicht daran, weil ich gestern vergessen habe, meine Pillen zu nehmen”, vermutete der 22-jährige schulterzuckend. „Das passiert mir ziemlich oft. Und außerdem ist es echt anstrengend für mich, mit so vielen Menschen auf einmal klarzukommen. Versuch mal zig Apps auf einem Smartphone mit wenig Arbeitsspeicher zu öffnen. Irgendwann bleibt das Gerät hängen und alles stürzt ab. Ich lebe nicht umsonst freiwillig in der Anstalt. Dort bin ich wenigstens vor solchen Reizüberflutungen geschützt. Ach ja, vergiss deinen Tee nicht. Jetzt, da die Diagnose eindeutig ist, ist das die beste Medizin, die du im Moment kriegen kannst.” Simon griff nach der Tasse und trank einen Schluck. Er konnte nicht wirklich sagen, was das für ein Tee war und wieder nahm er diesen Duft von Blumen wahr. „Was ist das eigentlich für eine Sorte?“ „Ein ganz spezieller, der nur in Annatown von nur zwei Familien hergestellt wird. Es ist quasi homöopathische Medizin. Aber das allein wird nicht ausreichen, um deine Krankheit zu kurieren. Wenn du deinen Vater besucht hast, musst du nach Annatown kommen.“ „Und warum genau?“ „Na weil dir dort am besten geholfen werden kann. Deine Familie kommt aus Annatown und dort ist deine Krankheit nicht unbekannt. Dort gibt es quasi Spezialisten.“ Ein kleines Kaff in Ohio hat bessere Spezialisten als New York? Simon hatte da so seine Zweifel, aber wenn es wirklich eine Möglichkeit für ihn gab, wieder gesund zu werden, dann sollte er diese Chance nutzen. Aber etwas verwirrte ihn. Wie konnte es eigentlich sein, dass Azarias so viel wusste? In einer Welt, in der alles mit Logik und Wissenschaft zu erklären war, klang es eher unwahrscheinlich, dass tatsächlich eine Gabe existierte, die einem Menschen erlaubte, alles richtig zu erahnen. So etwas wie Wahrsagerei gab es doch überhaupt nicht. Als hätte Azarias seine Gedanken erraten, erklärte dieser „Intuition ist kein Hexenwerk. Jeder Mensch besitzt diese Fähigkeit. Aber die Familie Wyatt hat das außerordentliche Talent, immer richtig zu liegen. Es ist ein Segen, aber vor allem auch ein Fluch.“ „Wieso das denn?“ fragte der 21-jährige ungläubig. „Wenn ich immer richtig liegen würde, hätte ich als Kind die besten Noten in der Schule gehabt und ich könnte jedes Mal die Lottozahlen richtig raten. Ich hätte fürs ganze Leben ausgesorgt.“ „Ja aber das Leben verliert seinen Reiz“, erwiderte Azarias missmutig und begann sich nun selbst etwas zu Essen zu machen. „Du kannst kein Buch lesen, ohne gleich zu Beginn zu wissen, wie es enden wird. Du kannst keinen spannenden Film genießen, weil du genau weißt, wie er enden wird, bevor du ihn überhaupt angeschaut hast. Weihnachtsfeste und Geburtstage verlieren an Reiz, weil du jede Überraschung erahnst und du weißt, was dein Geschenk sein wird. Dein ganzes Leben wird vorhersehbar und besonders schlimm wird es, wenn du sogar erahnst, wann jemand stirbt und du es nicht verhindern kannst.“ Simon versuchte es sich vorzustellen. Ein Leben, in welchem er alles erahnen konnte, was passieren würde. Natürlich hätte er solch eine Gabe gerne, um immer die richtigen Entscheidungen zu treffen und nie falsch zu liegen. Aber es hörte sich in der Tat ziemlich eintönig an, wenn man nicht einmal positiv überrascht werden konnte. „Ist das der Grund, warum du krank bist? Hunter sagte, dass dich deine Gabe verrückt gemacht hat.“ „Das ist etwas kompliziert… Es liegt eher daran, weil ich Azarias bin.“ Azarias begann nun Speck im Waffeleisen zu braten und schwieg eine Weile. Simon selbst konnte nicht sonderlich viel mit dieser rätselhaften Erklärung anfangen und wartete darauf, dass er die ganze Geschichte zu hören bekam. Und als er sein eigenes Frühstück endlich fertig hatte, gesellte sich der 22-jährige zu ihm und versuchte die Umstände zu erklären, die zu seiner instabilen Psyche geführt hatten. „In Annatown gibt es fünf uralte Clans, die alle ein eigenes Oberhaupt haben. Ich bin derzeit das Oberhaupt des Wyatt-Clans und der Nachfolger meines Opas Azarias.“ „Du wurdest nach deinem Großvater benannt?“ „Jedes geborene Oberhaupt wird Azarias genannt. Es ist eine Tradition in unserer Familie, die Jahrhunderte zurückgeht. Wenn das Leben eines Azarias sich dem Ende zuneigt, dann wird ein neuer geboren. Dieser besitzt die gleiche Gabe, so ziemlich die gleichen Charaktereigenschaften und dieselbe Geisteskrankheit. Es ist quasi so, als würde „Azarias Wyatt“ immer wieder neu geboren werden. Das heißt also: wenn ich sterbe, wird einfach ein neuer Azarias geboren werden, der genauso begabt und verrückt ist wie ich. Ich bin also nur einer von vielen und werde mein ganzes Leben lang nur einer von vielen sein. Mein Schicksal war schon vor meiner Geburt an bestimmt gewesen und wenn ich jetzt einfach den Löffel abgebe, wird es nicht den geringsten Unterschied machen, weil ich nur einer von vielen bin und nichts an mir wirklich einzigartig ist. Und die Tatsache, dass meine Existenz eines der berühmten Annatown Mysterien ist, macht es nicht sonderlich erträglicher…“ Einer unter vielen… Dann war das also der Fluch, von dem er geredet hatte? Nicht nur allein die negativen Eigenschaften seiner Gabe und seine Geisteskrankheit, sondern die Tatsache, dass er bloß eine Reihe von vielen Azarias Wyatts war und er somit kein Individuum war? Das klang in der Tat wie ein Fluch. „Und… woher kommt es, dass deine Familie diese Gabe hat, dass sie immer richtig liegt?“ „Keine Ahnung“, antwortete Azarias und begann sein Spiegelei zu essen, welches er im Gegensatz zu Simon ohne Speck verzehrte. „Selbst ich kann das Geheimnis nicht ergründen. Es existieren lediglich Legenden über den Ursprung der fünf Clans. Die Cohans zum Beispiel stammen ursprünglich aus Norwegen und waren einst ein Wikingerclan, bevor sie lange vor Christoph Columbus nach Amerika segelten und dort sesshaft wurden. Und die Wyatts haben ihren Ursprung in Israel und stammen angeblich vom Hohepriester Azariah ab. Der Legende nach soll Azariah nach Erleuchtung gestrebt haben und Gott verlieh ihm daraufhin die Weisheit der Handwerkskunst und die Gabe, mit seinen Ahnungen immer richtig zu liegen, um seinen Segen somit seinem Volk teilhaben zu lassen. Aber Azariah wollte mehr als das. Er wollte alles wissen und soll dabei die verbotene Wahrheit jenseits aller Wahrheiten erkannt und Gottes Zorn erweckt haben. Und daraufhin wurde er mit Wahnsinn bestraft und der Segen wurde zu einem Fluch für ihn und seine Familie. Zumindest ist es das, woran meine Familie glaubt. Jedenfalls wurde der Name Azariah seit Anbeginn weitergegeben. Aber durch irgendwelche Dialekte und Übersetzungsfehler wurde aus Azariah irgendwann Azarias. Genauso wie aus Cohen irgendwann Cohan wurde.“ Leron war nach einer etwas unruhigen Nacht aufgewacht, nachdem er stundenlang wachgelegen und gegrübelt hatte. Er hatte die ganze Zeit an die gestrige Diskussion mit Simon denken müssen und wie dieser tatsächlich kurz davor gewesen war, ihn zu verlassen. Nie im Leben hätte er gedacht, dass seine Entscheidung solch schwer wiegende Konsequenzen haben könnten und ihm wurde klar, dass er etwas tun musste, um die Beziehung zu retten, wenn er Simon nicht verlieren wollte. Und dann musste auch noch alles zu einem Zeitpunkt passieren, der ohnehin schon kritisch war. In wenigen Tagen würde die Überschreibung der Firma Evans Energy abgeschlossen sein und dann würde er der neue Konzernleiter werden, was ohnehin schon äußerst stressig und zeitaufwendig sein würde. Rein theoretisch könnte er einen Stellvertreter ernennen, der seine Interessen vertrat, sodass er sich auch um einige andere Dinge kümmern konnte, aber das war auch nicht mal eben schnell gemacht, sondern erforderte sorgfältige Planung. Ach, das alles war schon schlimm genug und dieses seltsame Verhalten seines Vaters gab ihm ebenso Rätsel auf. Es schien so, als hätte sich alles abgesprochen, um seine Belastbarkeit auf die Probe zu stellen. Zumindest war es tröstlich, dass Anthonys Verletzung nicht allzu schlimm gewesen war. Er hatte eine Gehirnerschütterung davongetragen und war für ein paar Tage krankgeschrieben, damit er sich davon erholen konnte. Zumindest hatte er schon mal eine Sorge weniger. Jetzt musste er nur noch die Beziehung zu Simon retten und sein Vertrauen wiedergewinnen. Das war jetzt am wichtigsten. Nachdem Leron sich im Badezimmer frisch gemacht hatte, ging er zur Küche, hielt jedoch auf dem Flur inne, als er Stimmen hörte. Es war Simon, der mit irgendjemandem redete. Und diese andere Stimme kam ihm verdächtig vertraut vor. Leron ahnte Schlimmes und wurde auch sofort bestätigt, als er Azarias am Tisch sitzen und mit Simon reden sah. Sofort schauten ihn die grasgrünen Augen des Jungen an und ein breites Grinsen folgte. „Ah, da bist du ja. Kaffee steht schon bereit. Kannst dich gerne dazusetzen, wenn du willst.“ „Was zum Teufel machst du hier?“ rief der Unternehmer sofort und ging sofort zu Simon, der mit dem Rücken zu ihm saß und legte eine Hand auf seine Schulter. „Hat er dir irgendetwas angetan?“ „Nein, keine Sorge“, beschwichtigte dieser ihn. „Azarias ist hergekommen, um sich für das ganze Theater zu entschuldigen, das er gestern veranstaltet hat. So wie sich das anhörte, hatte er sich nicht im Griff, weil er vergessen hatte, seine Medikamente zu nehmen.“ „Und du glaubst solch eine fadenscheinige Ausrede?!“ „Äh… ich sitze zufällig direkt in Hörweite und du müsstest sehr gut wissen, wie schnell man Rückfälle kriegt, wenn man vergisst, seine Tabletten zu nehmen.“ Entnervt seufzte Leron und dachte darüber nach, diesen vorlauten Rotzbengel schnellstmöglich vor die Tür zu setzen. „Was willst du eigentlich hier?“ „Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich den Alten niedergeschlagen und Simon erschreckt und dann auch noch versehentlich das mit seinem Vater ausgeplaudert habe. Zu meiner Verteidigung: ich hatte zuerst befürchtet, ein psychopathischer Serienmörder will mir die Augen rausreißen und ich kann ja wohl schlecht wissen, welche Geheimnisse ihr voreinander habt. Aber ich habe mich danebenbenommen und entschuldige mich hiermit.“ Doch das kaufte der Unternehmer ihm nicht ab. Nichts an diesem Kerl wirkte auch nur im Geringsten danach, als würde er auch nur so etwas wie einen Funken Reue empfinden für das, was er getan hatte. Stattdessen wirkte es eher danach, als würde er es sagen, weil man ihn dazu gedrängt hatte. „Ich brauche keine Entschuldigung von jemandem, der es nicht einmal ehrlich meint.“ „Ich versuche wenigstens höflich zu sein“, kam es beleidigt zurück. „Und was ist denn schon dabei, dass ich den Opa niedergeschlagen habe? Er hat mich erschreckt! Was ist denn schon großartig dabei.“ Er spürte, wie die Wut wieder hochkochte und wollte Azarias endgültig rausschmeißen, doch da ging überraschend Simon dazwischen. „Lass es sein, Leron. Er hat doch selbst gesagt, dass er unzurechnungsfähig ist. Also versteht er gar nicht, dass das, was er getan hat, falsch ist.“ Doch so wirklich wollte er es trotzdem nicht glauben. Er hielt weiterhin an seiner Überzeugung fest, dass Azarias das alles nur vorspielte, um sich eventuellen Konsequenzen zu entziehen. Dieser Junge tauchte hier einfach so auf, verursachte ein totales Durcheinander und spielte sich hier auf, als hätte er hier das Sagen. So viel Unverschämtheit hatte er selten erlebt. „Oh Mann, ihr Cohans habt aber auch alle echt eine verdammt angriffslustige Ader“, kam es von dem 22-jährigen, als hätte er seine Gedanken verloren. „Genau deshalb hasse ich es, mit euch zu diskutieren. Ihr seid nicht nur ein misstrauisches Völkchen, sondern auch noch verdammt stur. Nur um das klarzustellen: mein Hauptziel ist es, Simon zu helfen und ich bin hier, um das wegen gestern wieder geradezubiegen und weil ich dich vorwarnen will, dass du heute Besuch bekommst.“ „Besuch?“ fragte Leron überrascht und schüttete sich eine Tasse Kaffee ein. „Und wer ist es?“ „Lotta Muldaur. Sie will mit dir über ein paar Familienangelegenheiten sprechen, aber mehr verrate ich lieber nicht. Ich will nicht schon wieder Ärger kriegen… Naja, ich habe meinen Job getan und gehe jetzt besser. Ihr beide wollt ja sowieso noch miteinander reden. Ach, bevor ich es noch vergesse: ich wollte dir das hier noch geben, Simon.“ Damit kramte Azarias einen etwas zerknickten Umschlag heraus und reichte ihn Simon und verabschiedete sich dann. Als er gegangen war, atmete Leron geräuschvoll aus und spürte eine gewisse Erleichterung, dass dieser ungebetene Besucher endlich gegangen war. Dieser war aber auch verdammt anstrengend. Nun konnte er sich endlich Simon widmen und mit ihm reden. „Wie geht es dir eigentlich? Fühlst du dich schon etwas besser?“ Ein Nicken kam zur Antwort und Simon begann von seiner gestrigen Behandlung zu erzählen, die in all der gestrigen Aufregung völlig in den Hintergrund gerückt war. Er war erleichtert zu hören, dass alles gut verlaufen war und wollte natürlich sehen, ob es schon erste sichtbare Fortschritte gab und sah sich Simons Augen genauer an. Und tatsächlich waren bereits Teile der Iris sichtbar und er konnte auch schon die Pupille erkennen. Zwar waren sie immer noch von einem blassen Schleier getrübt, aber Simons Augen wirkten bereits jetzt schon wesentlich natürlicher. Es war allerdings noch nicht feststellbar, was für eine Farbe sie hatten. Es konnte ein grau oder ein helles blau sein. Dies besserte Lerons Stimmung erheblich. Er hatte sich schon fast Sorgen gemacht, es würde nicht funktionieren oder es könnten Komplikationen auftreten. Aber es schien alles ganz normal zu verlaufen. „Und?“ wollte Simon wissen. „Wie sieht’s aus?“ „Sehr gut“, antwortete Leron und konnte nicht anders, als zu ihm zu gehen und ihn fest in den Arm zu nehmen. Zwar konnte der Junge noch nicht gut genug sehen um diese feinen Veränderungen festzustellen, aber dafür konnte er es sehen und sich für Simon freuen, dass sich sein sehnlichster Wunsch endlich erfüllte. „Es fehlt nicht mehr viel. Ich kann bereits die Pupillen und die Iris sehen. Vielleicht geht der Rest ja schnell und dann wissen wir auch deine Augenfarbe.“ Simon strahlte übers ganze Gesicht als er diese Nachricht hörte und für diesen Augenblick waren der Streit und all der Ärger vergessen und sie beide waren einfach nur glücklich. Und vor allem Leron war glücklich. Nach all den Dingen, die passiert waren und die Simon so sehr zugesetzt hatten, hatte er so etwas wirklich gebraucht. Und er hatte es mehr als verdient, dass ihm auch etwas Gutes widerfuhr. Der Junge hatte sein ganzes Leben lang genug durchgemacht und genug Opfer auf sich genommen, um sich seinen Traum zu erfüllen. „Ich kann es immer noch nicht glauben…“ Simon löste sich von ihm und wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. „Es fühlt sich immer noch wie ein Traum an.“ „Das glaube ich dir sofort“, stimmte Leron zu. Um ehrlich zu sein war es auch für ihn sehr ungewohnt, Simon mit diesen Augen zu sehen. Er hatte sich schon an diese unmenschlichen weißen Augen gewöhnt, die so leer und ausdruckslos gewirkt hatten. Und eigentlich hatte er sich auch nie so wirklich daran gestört. Zugegeben, beim ersten Mal war er schon erschrocken gewesen, aber er hatte sich ja nicht wirklich in Simons Augen verliebt. Er hatte eine Art besondere Verbindung zu ihm gespürt und hatte ihn seitdem so geliebt wie er war. Aber er wusste, wie sehr Simon selber unter diesen unnatürlichen Augen zu leiden hatte und es machte ihn glücklich zu sehen, dass sich die harte Arbeit und all die Opfer endlich für ihn bezahlt machten. „Wie wäre es, wenn wir das feiern, hm?“ Für einen Moment schien Simon überzeugt zu sein, doch Leron konnte ihm ansehen, dass er lieber etwas anderes machen würde. Etwas, das ihm wesentlich dringender erschien. Und es brauchte nicht einmal Worte der Erklärung um zu wissen, woran Simon gerade dachte. „Du willst zuerst deinen Vater sehen, richtig?“ Ein Nicken kam zur Antwort und der 21-jährige schaute auf den Umschlag, den Azarias da gelassen hatte. „Es lässt mir einfach keine Ruhe, Leron. Ich will wissen, wer meine Erzeuger sind und warum ich damals einfach wie Abfall weggeworfen wurde… ob es meine Mutter oder mein Vater war. Und auch wenn dieser Alan Henderson ein krimineller Perverser ist, der sich an Mädchen vergangen hat, will ich ihn zumindest ein einziges Mal persönlich sehen. Dann habe ich endlich Ruhe und kann mich auf andere Dinge konzentrieren.“ Insgeheim hatte Leron das schon befürchtet. Und er konnte es ihm nicht einmal verdenken. Wahrscheinlich würde es ihm nicht anders ergehen, wenn er dieses Problem hätte. Und er wusste, dass er nicht in der Position war, Simon davon abzuraten. Nach dem gestrigen Streit war es das Beste, wenn er ihn so gut es ging unterstützte. „Nun gut, das hat natürlich erst einmal Vorrang. Soll ich mit dir kommen?“ Doch sein Petboy lehnte ab und erklärte „Du bekommst doch eh nachher Besuch. Ich rufe Cypher an und fahre mit ihm zusammen. Ich denke mal, er will unseren Vater vielleicht auch kennen lernen. Aber bevor ich es vergesse…“ Nun begann er den Umschlag zu öffnen, den Azarias ihm da gelassen hatte und fischte einen Brief heraus. Da er nicht wirklich entziffern konnte, was geschrieben stand, reichte er ihn Leron, damit er ihn vorlas. Der Unternehmer nahm das Schreiben entgegen und hob die Augenbrauen, als er das Geschriebene sah. Er hatte selten in seinem Leben eine derart chaotische und krakelige Handschrift gesehen und er hatte schon einige unleserliche Schreiben entziffern müssen. Meine Güte, dachte er sich und schüttelte den Kopf. Das sieht ja aus als hätte das ein Kind geschrieben. Er überflog den Brief kurz und versuchte die unleserlichen Stellen mit großer Mühe zu entziffern, aber das war kein sonderlich leichter Job. „Und?“ wollte Simon ungeduldig wissen. „Was steht drin?“ „Ich kann diese Sauklaue ziemlich schwer lesen“, gestand Leron und musste manches Wort mehrfach lesen, um es zu erkennen, was es bedeutete. Hallo Simon! Sorry noch mal wegen dem ganzen Theater gestern. Da du ja deinen Vater besuchen willst, habe ich dir mal die Adresse von dem Gefängnis aufgeschrieben. Die hast du ja noch nicht: Alan Henderson sitzt im Metropolitan Correctional Center, 150 Park Row NY. Besuch ihn am besten gegen 13 Uhr, da erwischst du ihn am besten. Dein Besuch ist auch schon angemeldet. Ich war so frei. PS: Falls du deine Mutter kontaktieren willst: ihr Name ist Rose Witherfield und sie lebt in Annatown in Ohio auf der Evergreen Farm. Ihre Nummer habe ich gleich mit aufgeschrieben. Sie weiß noch nichts da ich dachte, du willst es ihr selber sagen. Bleib frisch! Azarias Simon schluckte schwer und wirkte nun deutlich nervöser. Und Leron konnte es ihm nicht wirklich verübeln. Das alles geschah wirklich sehr schnell. Nach 21 Jahren der Ungewissheit wusste er nun die Namen seiner leiblichen Eltern und konnte nun mit ihnen in Kontakt treten. Aber das gehörte auch dazu und da musste er jetzt durch. Aber dann hatte er wenigstens feste Gewissheit über seine Herkunft und konnte endlich nach vorne sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)