The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 52: Lerons Erschöpfung ------------------------------ Wie lange Simon gewartet hatte, dass Leron endlich zurückkam, wusste er nicht. Vielleicht zwei Stunden? Irgendwann war er einfach von Müdigkeit übermannt worden und war eingeschlafen, sodass er erst aufwachte, als es bereits dunkel wurde und er das Geräusch der Zimmertür und leise Schritte wahrnehmen konnte. Mit einem Male war er hellwach und setzte sich ruckartig auf. Sein Herz raste wie bei einem Marathon und für einem Moment überkam ihn die unbegründete Angst, dass Lerons psychopathischer Bruder wiedergekommen war. Dabei wusste er doch eigentlich selber, dass es unmöglich war, denn Michael war schon vor Wochen gestorben und er hatte mit eigenen Augen gesehen wie dieser von Hunter mit dem Hammer erschlagen worden war. Und trotzdem war da noch diese Angst, dass Michael trotzdem hierherkommen und ihn umbringen wollte. Doch zu seiner großen Erleichterung war dieser nicht von den Toten zurückgekehrt. Stattdessen war es Leron, der ins Zimmer gekommen war, um nach dem Rechten zu sehen. Der Unternehmer wirkte gestresst, das sah ihm selbst ein Blinder an. Seine nussfarbenen Augen, in die sich Simon schon bei ihrem ersten Treffen so verliebt hatte, waren matt und hatten an Glanz verloren. Sein Haar war nicht mehr so ordentlich frisiert und er hatte leichte Ringe unter den Augen. Dennoch versuchte er sich nichts anmerken und schaute stattdessen besorgt zu Simon. „Du brauchst dich nicht zu erschrecken, Simon. Ich bin es nur.“ Erleichtert atmete der 21-jährige aus und fuhr sich durch sein dickes, lockiges dunkelbraunes Haar welches er nie wirklich frisiert bekam. „Hey Leron. Ich hatte eigentlich auf dich warten wollen, aber anscheinend bin ich wieder eingepennt. Sorry deswegen. Du siehst aber auch ganz schön fertig aus. Wie geht es deinem Vater denn?“ Leron antwortete erst nicht und schien nachzudenken, ob er es denn sagen sollte. Dann aber entschied er sich dafür und erklärte „Er ist schwer krank und macht es nicht mehr lange. Anscheinend war es doch kein Herzproblem, sondern etwas anderes. Jedenfalls wird es darauf hinauslaufen, dass ich in naher Zukunft den Konzern übernehmen werde.“ „Oh…“, murmelte Simon und war sich nicht sonderlich sicher, wie er darauf reagieren sollte. Auf der einen Seite tat es ihm für Leron leid, dass er jetzt noch mehr Belastungen dazu bekam. Aber andererseits hatte er auch nicht sonderlich viel Mitgefühl für Lionel, denn es war viel zu viel passiert, als dass er so etwas wie Mitleid empfunden hätte. „Was genau hat er denn?“ „Eine kaputte Leber, Lungenkrebs im Endstadium und zwei Tumore“, antwortete Leron und als er Simons ungläubigen und fassungslosen Gesichtsausdruck bemerkte, erklärte er „Mein Vater hatte nie sonderlich wenig Alkohol getrunken und da der Krebs so lange unbemerkt und unbehandelt blieb, haben sich mit der Zeit Metastasen gebildet, die zu Tumoren herangewachsen sind. Jedenfalls lehnt er eine Behandlung ab und der Arzt sagte auch, dass es für eine Heilung bereits zu spät sei. Aber mach dir keine Sorgen, Simon. Alles wird geregelt werden und es ist ja nicht so, dass ich jemals ein gutes Verhältnis zu meinem Vater hatte.“ Dennoch erkannte Simon, dass diese Diagnose Leron nicht kalt ließ. So etwas wünschte man auch niemandem, nicht einmal jemanden wie Lionel, der in Simons Augen weder ein guter Vater noch ein guter Mensch war. „Da hast du ja einige krebskranke Verwandte“, murmelte er als er so darüber nachdachte, wie es mit dem Rest von Lerons Familienmitgliedern aussah. „Deine Mutter und Michael hatten ja auch so was. Vielleicht solltest du dich auch mal untersuchen lassen. Nicht, dass so was vererbbar ist.“ „Das sollte ich vielleicht mal machen“, gab Leron zu, schien aber nicht wirklich die Motivation zu haben, sich um solche Dinge Gedanken zu machen. Stattdessen begann er das Thema zu wechseln und fragte „Wie geht es dir denn eigentlich, Simon?“ Der 21-jährige nickte und winkte Leron zu sich woraufhin sich der Unternehmer zu ihm aufs Bett setzte. Kaum, dass er Platz genommen hatte, schlang Simon seine Arme um ihn und drückte ihn. Ihm kamen beinahe wieder die Tränen und er spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte und ihm das Atmen schwerer fiel. „Es tut mir so leid, dass ich mich hier wie der letzte Arsch verhalte. Du hast selbst mit Problemen zu kämpfen und ich mache alles nur schlimmer. Ich lasse meinen ganzen Frust an dir aus, obwohl du der Letzte bist, der das verdient hat. Ich bin so verdammt unfair dir gegenüber und werfe dir so viele schlimme Dinge an den Kopf. Dabei will ich dich doch nicht verlieren! Ich liebe dich doch.“ Er erwartete nicht, dass Leron darauf antwortete, geschweige denn die Umarmung erwiderte. Er hätte es ihm nicht mal verübelt, wenn der Unternehmer noch wütend auf ihn gewesen wäre. Denn er hatte sich wirklich unfair verhalten und die Dinge zu weit getrieben. Doch als er spürte, wie sich Lerons Arme um ihn legten und eine Hand zärtlich durch sein Haar strich, da empfand er unendliche Erleichterung und wusste nicht, womit er so viel Nachsicht verdient hatte. Er hörte Leron geräuschvoll durchatmen, als müsse er sich sammeln um die richtigen Worte zu finden. „Du kannst nichts dafür, dass du Angst hast und mit deinen Gefühlen überfordert bist. Es ist viel passiert und jeder hat seine Grenzen. Ich will dich auch nicht verlieren. Ich liebe dich mehr als alles andere und das wird sich auch nicht ändern. Aber die Sache ist die, dass…“ Hier hielt er inne, denn er wusste nicht, wie er es genau erklären sollte. Er löste sich wieder von Simon und musste nachdenken, um eine verständliche Veranschaulichung zu finden. Dann aber schien er einen guten Vergleich gefunden zu haben. „Wenn du das Gefühl hast zu ertrinken, dann richtest du dich immer nach dem Licht denn du weißt, dass dort die Oberfläche ist und du gerettet wirst, wenn du in diese Richtung schwimmst. Du kannst auch jemand anderen retten, wenn er am Ertrinken ist. Aber wenn er immerzu weiterstrampelt und dich immer tiefer hinunterzieht, dann kannst du ihn nicht retten. Denn wenn du es versuchst, dann wirst du mit hinuntergezogen und ertrinkst. Ich kann versuchen, dich zu retten. Aber dazu musst du auch an die Oberfläche schwimmen wollen.“ „Ich will nicht ertrinken“, sprach Simon mit fast schon zitternder Stimme. „Ich will mich auch nicht mehr die ganze Zeit schlecht fühlen und mir selber leidtun. Ich bin müde vom traurig sein. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, als könne ich nicht zur Ruhe kommen oder all diesen ganzen Scheiß vergessen, wenn ich immer in derselben Umgebung bleibe! Es ist, als würde mir die Decke auf den Kopf fallen und mir die Luft zum Atmen nehmen. Aber das Problem ist, dass sowohl hier als auch bei Cypher und Hunter schlimme Dinge passiert sind und ich nicht zur Ruhe komme. Aber andere Orte gibt es nicht. Im Grunde waren dies die einzigen glücklichen Orte, die ich hatte. Und jetzt verbinde ich mit ihnen immer die Erinnerungen daran, wie Michael uns angegriffen hat.“ Stille trat ein und Simon war sich nicht sicher, ob er es Leron verständlich erklärt hatte. Nachdem er zuvor schon länger nachgedacht hatte, was er eigentlich brauchte, um sich besser zu fühlen, war er sich nun unsicher, ob er Leron damit auch noch belasten sollte. Immerhin hatte dieser im Moment genug Probleme am Hals und er wollte ihm nicht noch mehr aufbürden. Er erinnerte sich an die Diagnose und ihn überkam das schlechte Gewissen. „Tut mir leid, ich… ich will dir nicht noch mehr auflasten. Du hast mit deinem Vater und dem Konzern schon genug am Hals.“ Doch Leron schüttelte den Kopf und lächelte müde. „Du brauchst dich doch nicht dafür zu entschuldigen, dass du deine Wünsche und Probleme äußerst. Wir sind ein Paar und das bedeutet, dass wir uns umeinander kümmern. Ich denke auch, dass dir ein Tapetenwechsel gut tun würde, um auf andere Gedanken zu kommen. Zwar glaube ich, dass eine Therapie noch hilfreicher wäre, aber vielleicht fördert es auch deine Gesundheit ein wenig, wenn du eine kleine Luftveränderung bekommst. Zwar kann ich mich kurzfristig nicht frei machen, da ich noch die Übernahme organisieren und den Notar bestellen muss, Ich hatte auch schon überlegt, ob du vielleicht lieber mit deinem Bruder verreisen möchtest, aber Cypher ist auch im Moment zu sehr eingeschränkt weil er wegen der Augentropfen nichts sehen kann. Deswegen würde ich dich bitten, dich zumindest noch zwei Wochen zu gedulden. Ich werde versuchen, alles so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen und dann mit dir zusammen irgendwo hinfahren, damit du zur Ruhe kommst. Ich wünschte nur, ich könnte alles früher…“ Doch da unterbrach Simon ihn und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist in Ordnung. Ich weiß, dass du hart arbeitest und du eine große Verantwortung hast. Ich erwarte auch nicht, dass du alles für mich stehen und liegen lässt. Deine Arbeit ist dir wichtig und es sind auch unzählige Arbeitsplätze von deinen Entscheidungen abhängig. Da wäre es nicht richtig, wenn ich mich so selbstsüchtig benehme.“ Und aus unverständlichen Gründen begann Leron amüsiert zu schmunzeln, was Simon ein wenig irritierte. Der Unternehmer schüttelte den Kopf und meinte schließlich „Ich verstehe einfach nicht, wie mein Vater solche Vorbehalte gegen dich und unsere Beziehung haben kann. Dir geht es so schlecht und trotzdem nimmst du so viel Rücksicht auf mich, dass ich echt ein schlechtes Gewissen bekomme, dass ich dir nicht so schnell helfen kann, obwohl ich es versprochen habe.“ Doch der 21-jährige schüttelte nur lächelnd den Kopf. Es stand ganz außer Frage für ihn, dass er niemals so weit gehen würde, dass er von Leron verlangte, sich zwischen ihm und dem Konzern zu entscheiden. Das wäre einfach nicht fair und außerdem wusste er ja, dass Leron stets sein Bestes gab, um beidem gerecht zu werden und sowohl Zeit mit ihm zu verbringen als auch seine Firma nicht zu vernachlässigen. Es bedeutete viel harte Arbeit und da mussten auch Kompromisse gemacht werden. Er liebte Leron und deswegen würde er ihm niemals etwas Derartiges abverlangen, dass der Unternehmer ihm zuliebe seine Geschäfte links liegen lassen ließ. Es machte ihn schon glücklich genug, dass Leron trotz seiner harten Arbeit immer genug Zeit und Energie fand, für ihn da zu sein. „Schon gut, du brauchst wegen mir kein schlechtes Gewissen zu haben. Ich weiß ja, dass dir deine Arbeit wichtig ist und ich will dir da nicht im Weg stehen. Aber wie wäre es, wenn du dich gleich mal hinlegst und ausruhst? Du siehst echt aus, als könntest du etwas Schlaf vertragen.“ Leron bestritt das durchaus nicht. Und mit einem dankbaren Nicken gestand er „Dieser Tag war ein wenig nervenaufreibend gewesen. Willst du mitkommen oder möchtest du lieber alleine sein?“ Doch Simon ging lieber mit ihm und verbrachte den Rest des Abends zusammen mit Leron. Sie redeten nicht allzu viel. Das war auch nicht nötig. Ihnen reichte es einfach, den anderen bei sich zu wissen und wieder im Reinen miteinander zu sein. Und kaum, dass Leron es sich im Bett bequem gemacht hatte, während sich Simon an ihn kuschelte, waren ihm auch schon die Augen zugefallen und er selbst in einen tiefen Schlaf gefallen, dem ein seltsamer Traum folgte. Es war ein fremdartiger Ort und er spürte deutliche Beklemmung. Zwar war er schon mal hier gewesen, aber trotzdem fühlte es sich unheimlich an. Auch wenn kunstvolle Bilder an der Wand hingen und das Pflegepersonal freundlich lächelte und sehr zuvorkommend war, spürte er, dass dieser Ort von Tod erfüllt war. Das Gebäude selbst war sehr altmodisch eingerichtet und man sah, dass es hier an Geld fehlte. Die Gardinen waren kaputt und fleckig oder hingen nicht mehr richtig an den Stangen, die Sofapolster waren abgenutzt und manche Stühle waren kaputt. Obwohl die Leute hier nett waren, verstand selbst er, dass das hier kein schöner Ort zum Sterben war. Leron schluckte nervös und hielt die Hand des Butlers Anthony fest, der sie hierhergebracht hatte. Sein Blick wanderte zu Michael und Jordan, seine großen Brüder. Obwohl er Angst vor ihnen hatte, überkam ihn Besorgnis als er sah, dass sie beide Tränen in den in den Augen hatten. Schon auf der Fahrt hierher hatte Michael heftig geweint. Kaum, dass ein Anruf gekommen war und Anthony ihnen mit ernster Miene mitgeteilt hatte, sie müssten zum Hospiz kommen weil ihre Mutter im Sterben lag, hatte Michael völlig die Fassung verloren und lautstark gesagt, dass es nicht wahr sein könne. Jordan war ruhiger geblieben, doch auch er war kalkweiß geworden und hatte Anthony geschockt angestarrt. Leron selbst hatte kaum verstanden, was vor sich ging, wusste aber, dass etwas mit ihrer Mutter passiert war. Und nun, da sie im Hospiz waren, in welchem ihre Mutter eingewiesen worden war, überkam ihn Angst vor dem, was er sehen würde. Unsicher richtete er eine Frage an Jordan. „Was ist mit Mommy?“ „Sie stirbt bald“, erklärte sein Bruder mit zitternder Stimme. „Bald wird sie für immer weg sein.“ Schließlich öffnete die Pflegerin, welche sie durch das Gebäude geführt hatte, jenes Zimmer und trat ans Bett der Sterbenden heran. „Mrs. Evans, Ihre Kinder sind hier.“ Langsam drehte sich der Kopf seiner Mutter zu ihnen und ein müdes Lächeln lag auf ihren Lippen. Ihre goldgelben Augen glänzten vor Tränen und sie hob kraftlos die Arme wie sie es immer tat, um sie zur Begrüßung in den Arm zu nehmen. Hier konnte Leron nicht mehr an sich halten. Gemeinsam lief er mit seinen Brüdern zum Bett ihrer Mutter und umarmte sie. Dabei spürte er mit einem leisen Schrecken, wie kalt sie inzwischen war. Ihr Körper war abgemagert, ihr Gesicht eingefallen und totenbleich. Und doch wirkte sie so schön wie sie immer gewesen war. „Meine kleinen Engel“, sprach sie mit heiserer und schwacher Stimme. „Ich darf euch noch ein letztes Mal sehen…“ „Es wird alles gut werden, Mum“, schluchzte Michael heftig und Ströme von Tränen flossen seine Wangen hinunter. „Du musst nicht mehr alleine sein. Wir sind jetzt hier.“ Katherine lächelte und nickte. Doch es sah aus, als würde sie kaum noch mehr etwas wahrnehmen. „Es tut mir leid, dass ich nicht mehr länger für euch da sein kann. Ich wünschte… ich hätte noch länger an eurer Seite bleiben können. Ich habe alles getan um unsere Familie zu beschützen und euch eine gute Mutter zu sein. Leider… leider war ich nicht in der Lage, euch eine bessere Mutter zu sein. Ich… habe wirklich gekämpft… aber jetzt müsst ihr von nun an aufeinander aufpassen, hört ihr? Versprecht ihr mir etwas?“ Sie sah jeden Einzelnen von ihnen bittend an und sie alle drei nickten. Leron hörte den rasselnden Atem seiner Mutter und sah, wie ihr selbst das Sprechen immer schwerer fiel und sie dafür eine ungeheure Kraft aufwenden musste. Sie wandte sich zuerst an Michael und hielt seine Hand. „Michael, bitte pass gut auf deine Brüder auf. Du musst ganz stark sein und darfst nicht böse auf euren Vater sein, okay?“ Michael nickte schluchzend und umarmte seine Mutter noch einmal. Dann trat Jordan hervor, der sein Bestes versuchte, um sich zusammenzureißen. Dennoch rannen Tränen über seine Wangen, die seine Mutter ihm zärtlich wegstrich. „Jordan, du weißt, dass ich nie eine glückliche Familie hatte. Ihr seid alles, was ich mir jemals gewünscht habe und ich bin stolz darauf, dass ich euch habe. Versprich mir, dass du nicht dein ganzes Leben einsam bleibst, sondern dir eine liebevolle Familie schaffst und sie beschützt.“ Doch Jordan antwortete nicht. Er nickte nur und es war offensichtlich, dass er nur deshalb nichts sagte, weil zu befürchten war, dass er die Fassung wieder verlieren würde. Aber dann rang er sich doch noch dazu durch, umarmte seine Mutter und sprach „Ich werde aber nie jemanden so lieben wie dich, Mum.“ Leron hatte das Geschehen schweigend mit angesehen und wusste nicht, wie er das Ganze einzuordnen hatte. Das alles war ihm so fremd und er hatte seine Brüder, die ihn entweder ignorierten oder quälten, noch nie so gesehen. Und ihm dämmerte, dass er seine Mutter das allerletzte Mal sah und dass er sie danach nie wieder sehen würde. Nun kam er zu dem Bett und zärtlich strich diese schwache kalte und magere Hand über seinen Kopf, während die goldgelben Augen seiner Mutter ihn liebevoll aber auch unendlich traurig ansahen. Es lag so viel Schmerz und Kummer darin. „Ich wünschte, ich könnte dich noch aufwachsen sehen“, brachte sie mit immer schwächer werdender Stimme hervor. „Und du bist noch viel zu jung, um das alles hier zu verstehen. Aber versprich mir bitte, dass du nie dieselben Fehler machst wie Mommy, ja? Wenn du eines Tages jemanden findest, den du mehr liebst als alle anderen, dann musst du diese Person beschützen. Mommy war sehr lange Zeit einsam weil sie viele Fehler gemacht hat. Egal was auch passiert, du darfst niemals so werden wie Mommy. Lass dich niemals zu etwas zwingen, was du nicht tun willst, ganz egal wer es dir sagt. Sei schön brav und bitte werde niemals so wie ich… Wenigstens du sollst vollkommen frei von dem Fluch meiner Familie aufwachsen.“ „Mommy“, begann er zu schluchzen und verfiel in ein heftiges Weinen. „Bitte lass mich nicht allein!“ Schlagartig wachte Leron aus diesem Traum auf, als er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Er öffnete die Augen und setzte sich auf und bemerkte erst jetzt, dass Tränen über seine Wangen liefen. Hatte er tatsächlich im Schlaf geweint? So etwas war ihm zuletzt passiert als er noch sechs Jahre alt war. Neben ihm saß Simon mit besorgtem Blick und legte einen Arm um seine Schultern. „Leron, was hast du? Du hast plötzlich angefangen im Schlaf zu weinen. Hattest du einen Alptraum?“ Doch der Unternehmer schüttelte den Kopf und versuchte sich wieder zu sammeln, aber der Traum wirkte immer noch stark nach. Bei einem Versuch, tief durchzuatmen, verfiel er fast in ein Schluchzen und immer noch verspürte er diese unendliche Traurigkeit, Hilflosigkeit und Verzweiflung, die er damals verspürt hatte. Dieser Traum war so real für ihn gewesen, als wäre er in der Zeit zurückgereist. Er brauchte einen Moment, um sich selber zu beruhigen und Simon, der seinerseits völlig ratlos war, brachte ihm ein Glas Wasser in der Hoffnung, dass dies vielleicht ein wenig helfen konnte. Leron nahm es dankend an und trank einen Schluck und tatsächlich beruhigte er sich wieder ein bisschen. „Ich hatte nur etwas aus meiner Vergangenheit geträumt. Ich glaube, der Nachmittag im Krankenhaus ist mir näher gegangen als gedacht.“ „Was war das für ein Traum?“, fragte sein Petboy ein wenig unsicher darüber, ob er diese Frage überhaupt stellen durfte. Nachdem Leron sein Glas geleert hatte, stellte er es auf dem Nachttisch ab und dachte wieder an den Traum zurück. „Ich habe von dem Tag geträumt, als meine Mutter im Hospiz gestorben ist.“ „Oh…“, murmelte Simon betroffen und nahm seine Hand. „Willst du darüber reden?“ „Da gibt es nicht viel“, gab Leron zu. „Unser Vater war zu dem Zeitpunkt arbeiten, als Anthony den Anruf von der Pflegeleitung bekam. Eigentlich wollte Mum ihre letzten Tage in ihrem Zuhause verbringen um bei uns zu sein, aber stattdessen wurde sie in ein ziemlich heruntergekommenes Hospiz abgeschoben. Du kannst dir ja inzwischen denken wieso. Jedenfalls ist Anthony dann mit uns dorthin gefahren, damit wir uns von ihr verabschieden konnten. Sie hat mit uns noch geredet und jedem von uns ein Versprechen abgenommen und wenn ich so darüber nachdenke, ergibt jetzt so einiges Sinn.“ „Wieso? Was habt ihr denn versprochen?“ „Michael sollte sich als großer Bruder um uns kümmern. Der Tod von Mum hat ihn am schwersten getroffen, weil er wirklich sehr an ihr gehangen hat. Er hat sie schon fast abgöttisch geliebt und hat Vater dafür gehasst, dass er weder für sie noch für uns da war. Jordan versprach ihr, eine Familie zu gründen. Und ich glaube, dass das der Hauptgrund war, warum er Evelyn damals geheiratet hat obwohl er sich immer wie ein Eisblock verhalten hat. Ich glaube, bei Mums Abschied war es auch das erste und einzige Mal, dass ich wirklich so etwas wie Gefühle bei ihm gesehen habe.“ Hier schwieg Leron und spürte wieder, wie sich seine Brust zusammenschnürte. Er war mit einem Male so überwältigt von seinen Gefühlen, dass er nicht wusste wohin mit ihnen. Simon versuchte ihn zu beruhigen und umarmte ihn. Doch es brachte alles nichts. Mit einem Male kamen ihn wieder die Erinnerungen von damals hoch. Wie seine Mutter geweint hatte, als sie die Diagnose erhalten und wie sie versucht hatte, ihren Kummer vor ihm zu verbergen. Ihr Zusammenbruch und die darauf folgende Einweisung ins Hospiz. Die Diagnose seines Vaters hatte diese alten verborgenen Erinnerungen wieder wachgerufen und diese waren nun wieder so klar und deutlich, als wäre all dies erst kürzlich geschehen. Vor allem aber hatte das Gespräch mit seinem Vater etwas ganz Bestimmtes wieder in ihn wachgerufen, was er längst vergessen hatte. „Ich… ich habe Mum damals versprochen gehabt, dass ich niemals dieselben Fehler mache wie sie. Sie wollte gar nicht, dass ich so werde wie sie. Sie… sie…“ Hieraufhin versagte ihm beinahe die Stimme und er musste noch mal durchatmen, um weiterzusprechen. „Sie hat mir gesagt, dass ich den Menschen, den ich liebe, mit aller Macht beschützen soll.“ „Dann hast du doch dein Versprechen gehalten“, sprach Simon beruhigend. „Du hast mich und auch wenn wir Probleme hatten, kriegen wir das schon wieder hin.“ Doch das war es nicht worauf Leron hinaus wollte. „Die ganze Zeit dachte ich, Mum wäre eine psychopathische Irre, die wahllos Menschen umgebracht hat. Aber… sie wollte uns nur beschützen. Und sie wollte gar nicht, dass ich so wie sie werde. Dabei ist sie mir immer anders erschienen.“ „Das waren Halluzinationen“, versuchte Simon zu erklären, wirkte aber ein wenig unsicher, wie er sich verhalten sollte. „Und die haben nichts mit der Realität zu tun. Hör mal, du bist ziemlich mit den Nerven durch, weil die Diagnose von deinem Vater alte Erinnerungen wach gerufen hat. Und die letzten Tage waren ziemlich anstrengend gewesen. Das Ganze ist so lange her und du hast doch alles richtig gemacht. Du bist nicht alleine und du hast dich behandeln lassen, als es dir schlechter ging. Du kannst wirklich stolz auf dich sein.“ Leron nickte und legte sich wieder hin, wobei er sich die Tränen wegwischte. Daraufhin kuschelte sich Simon wieder an ihn heran und gab ihm einen Kuss. „Das sind bloß die Nerven. Versuch ein bisschen zu schlafen. Du brauchst wirklich etwas Ruhe nach diesem nervenaufreibenden Tag.“ Und da wieder die Erschöpfung über ihn kam, schloss er die Augen, um wieder zurück in den Schlaf zu sinken. Doch da kam ihm eine Frage, auf die er wohl niemals eine Antwort bekommen würde; ob seine Mutter wohl stolz auf ihn gewesen wäre wenn sie sehen könnte, wohin er es gebracht hatte? Oder würde sie enttäuscht sein, wenn sie wüsste, dass er mit seinem Vater Frieden geschlossen hatte und nun dabei war, dessen Lebenswerk weiterzuführen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)