The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 45: Simon bekommt Besuch -------------------------------- Die Tage gingen ins Land und der Herbst hatte endlich begonnen. Leron hatte mehr Zeit auf der Arbeit verbringen müssen, da sich der Gesundheitszustand seines Vaters drastisch verschlechtert hatte und er mit einem starken Stechen in der Brust ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Da Simon nicht von ihm erwarten konnte, dass er in dieser schwierigen Situation zuhause blieb, nur weil es ihm momentan schlecht ging, hatte ihm versichert, dass alles in Ordnung war. Er hätte sonst ein richtig schlechtes Gewissen gehabt, da er wusste, dass Leron trotz aller Antipathie gegen seinen Vater ein pflichtbewusster Geschäftsmann war. Und so hatte er die Zeit genutzt gehabt, in denen er alleine war, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Tatsächlich hatte er mehrere Tage fast nur mit Schlafen verbracht, weil er sich einfach nur müde und erschöpft fühlte. Knapp eineinhalb Wochen hatte er so gelebt, bis er einen Anruf von Cypher gekriegt hatte, der ihm freudestrahlend mitteilte, dass er endlich entlassen wurde und nach Hause zurückkehren durfte. Nachdem er bis zum frühen Mittag geschlafen hatte und nur sehr langsam wach wurde, hatte plötzlich sein Handy geklingelt und Cypher selbst war in der Leitung gewesen und hatte ihm die frohe Nachricht verkündet. Und da Simon keine Fahrgelegenheit hatte, war kurzerhand abgemacht worden, dass Cypher und Hunter ihn besuchen würden. Dies hatte Simons Lebensgeister wiedererweckt. Gut gelaunt hatte er eine heiße Dusche genommen und den Butler Anthony informiert. Dieser war dabei, einen kleinen Snack vorzubereiten und lächelte zufrieden, als Simon ihm von dem bevorstehenden Besuch erzählte. „Es freut mich zu sehen, dass es Ihnen wieder besser geht. Um ehrlich zu sein, war ich um Sie besorgt.“ Simon setzte sich an den Küchentisch und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. „Tut mir leid, das wollte ich wirklich nicht“, entschuldigte er sich ein klein wenig beschämt. Doch Anthony schüttelte nur den Kopf und entgegnete „Es muss Ihnen nicht leid tun. Es ist viel passiert und das nimmt einen mit, auch körperlich. Und es freut mich zu sehen, dass Sie gute Freunde haben, die Ihnen beistehen. Es steht mir nicht als Butler zu, solche Bemerkungen zu machen, aber Sie haben auf mich sehr einsam gewirkt, als Sie das erste Mal hierhergekommen sind.“ Simon war insgeheim überrascht, dass Anthony sich solche Gedanken um ihn machte. Hatte er sich so auffallend verhalten? War er wirklich so einfach zu durchschauen? Als er genau diese Frage stellte, kam Anthony mit einer etwas merkwürdigen, aber dennoch überraschenden Antwort. „Es gibt solche und solche Menschen. Manche Menschen können ihre Gefühle und Gedanken sehr gut verbergen. Und manche können es nicht. Sie gehören zu den Menschen, denen man leicht ansehen kann, was Sie denken und fühlen, wenn man genau hinsieht. Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes heißen. Es bedeutet nur, dass Lügen nicht Ihre Stärke sein wird.“ Also bedeutete es, dass Leron ihn durchschaut hatte, als er vorgegeben hatte, es wäre alles wieder in Ordnung? Nun, es machte auch keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Anthony reichte ihm einen Teller mit gefüllten Feigen, bevor er sich den Vorbereitungen für den anstehenden Besuch widmete. Die Feigen waren gefüllt mit Mascarpone und Mandeln und schmeckten erfrischend nach einer Mischung aus Vanille und Limette. Er war überrascht und fragte Anthony „Wo haben Sie eigentlich die ganzen Rezepte her?“ „Ich war in meiner Jugend Koch und habe diese Leidenschaft bis heute beibehalten.“ „Und wie sind Sie Butler geworden? Das ist ja ein ziemlich großer Jobwechsel.“ Der Butler lächelte und erzählte ihm, dass er dem Stress als Koch irgendwann nicht mehr gewachsen war und sich nach einer etwas ruhigeren und mehr geordneten Arbeit umgeschaut hatte. Der Zufall wollte es, dass zu der Zeit Lionel Evans nach einem Butler gesucht hatte. Zwar hatte Anthony zu diesem Zeitpunkt noch keine großartige Erfahrung, aber da Lionel aus irgendeinem Grund dachte, dass die besten Butler aus England kamen, hatte er den Job bekommen. Und da die Stelle sehr gut bezahlt war, hatte er den Job natürlich angenommen. Im Grunde hatte ein altes Vorurteil ihm einen Job besorgt, den er nun seit über 27 Jahren ausführte. Manchmal schrieb das Leben wirklich ironische Geschichten. Ob er irgendwann auch mal einen Job finden würde, den er so viele Jahre glücklich und zufrieden ausüben konnte? Würden er und Leron so lange zusammenbleiben? Er wusste es nicht, aber dieser Gedanke gab ihm eine gewisse Hoffnung. Nachdem er die Feigen gegessen hatte, ging er in sein Zimmer um ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Doch irgendwie blieb die gewünschte Wirkung aus, obwohl ein heißes Bad ihm bisher geholfen hatte, wieder zu Kräften zu kommen. Zwar fühlte es sich gut an, aber er fühlte sich nicht sonderlich besser dadurch. Vielleicht lag es aber auch nur daran, weil er sich immer noch ein wenig müde fühlte. Aber vielleicht wurde es ja besser, wenn er wieder Zeit mit Cypher und Hunter verbrachte. Die beiden waren ihm wirklich ans Herz gewachsen und es kam ihm immer noch so surreal vor, dass er tatsächlich Cyphers jüngerer Bruder war. Es klang wie nach einer Folge aus einer TV-Soap, in der solch merkwürdige Plottwists fast schon klischeehaft waren. Und so fiel es ihm schwer zu glauben, dass ihm das tatsächlich passierte. Irgendwie hatte Leron Recht gehabt. Selbst die unglücklichsten Umstände konnten auch etwas Positives haben. Und wäre seine angeborene Augenkrankheit nicht gewesen, hätte er seinen Bruder nicht gefunden. Außerdem hatte er zwei Freunde gefunden und das bedeutete ihm genauso viel. Und trotzdem konnte er diese eine Frage nicht vergessen. Wer waren seine Eltern? Warum war er in einen Müllcontainer geworfen worden, während man Cypher in ein Kloster gebracht hatte? Egal wie sehr er auch versuchte, sich von dieser Frage abzulenken, kehrten seine Gedanken immer wieder zu diesem Punkt zurück. Und es setzte ihm zu. Er fand keine Ruhe und es war ihm so, als raube es ihm die Energie. Aber vielleicht steigerte er sich auch nur zu sehr hinein. Nach dem Bad zog sich Simon ein schwarzes Hemd an und versuchte seine dunkelbraunen Locken zu einer halbwegs vernünftig zu frisieren, aber es wollte ihm nicht wirklich gelingen. Also gab er es auf und verfluchte wie schon so oft seine Naturlocken und sein dickes Haar, das es ihm fast unmöglich machte, seine Frisur in den Griff zu bekommen. Schließlich aber wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als er plötzlich ein Klingeln an der Tür hörte. Schnell sprang er auf und lief nach unten zur Eingangstür. Anthony war bereits da und war gerade dabei, die Ankömmlinge hereinzulassen. Wie erwartet waren es Cypher und Hunter. Der Bildhauer mit den goldgelben Augen wirkte wesentlich entspannter als sonst und hatte auch nicht mehr diesen Ausdruck in den Augen, als wolle er Massenmord begehen. Zwar war sein Blick immer noch sehr verschlossen, aber man sah ihm an, dass er sich freute, dass Cypher endlich aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Er trug eine schwarze Lederjacke und ein orangefarbenes Shirt auf dem ein blaues Cartoonmännchen mit großem Kopf zu sehen war. Es trug einen gelben Anzug, hatte einen Golfschläger in der Hand und im Hintergrund standen groß geschrieben die Worte „KILL JERRY“. Seine schwarze Hose war ein wenig zerschlissen, dafür aber waren die Lederstiefel mit den Nieten nagelneu. Cypher selbst trug ein weißes Shirt mit einem schwarzen Totenkopf darauf. Er hatte ein wenig abgebaut, was wahrscheinlich hauptsächlich daran lag, weil er sich im Krankenhaus kaum bewegen konnte. Dennoch wirkte er im bizarren Gegensatz dazu so lebendig wie noch nie. Kaum, dass sie einander sahen, kam Cypher direkt auf ihn zugelaufen und umarmte ihn. „Hey Bruderherz! Endlich sehen wir uns in Freiheit wieder!“ Der Künstler strahlte übers ganze Gesicht und wirkte überglücklich. Simon konnte nicht anders als darüber zu schmunzeln. „Du redest ja so als wärst du aus dem Knast entlassen worden.“ „Hast du eine Ahnung, was für eine Folter es ist, den ganzen Tag im Bett zu liegen und zwangsenthaltsam zu sein!“ Bei den letzten Worten löste er sich wieder von Simon und ergriff Hunters Hand. „Das Einzige, was ich hatte, waren Morphium und Schmerzen. Zwar bin ich Masochist, aber das war schlimmer für mich als die Sonntagsschule im Kloster.“ Sie gingen gemeinsam ins Wohnzimmer und während sie es sich bequem machten, servierte der Butler die Getränke. Freudestrahlend zeigte Cypher die Schussverletzung an seinem Arm, von der inzwischen nur noch eine Narbe übrig war. „Eigentlich sind meine Verletzungen schon längst verheilt gewesen, aber dem Chefarzt war das nicht so ganz geheuer gewesen, deswegen hatte er mich noch länger dabehalten. Er sagte, dass meine Schussverletzungen außergewöhnlich schnell verheilt seien und mein Körper sich ziemlich gut erholt hat. Tja, was soll ich sagen? Mein Körper ist der Hammer.“ Cypher lachte und stieß Hunter scherzhaft in die Seite. Er trank einen Schluck von seinem Kaffee und begann von seinem Leid zu klagen, wie eintönig sein Alltag im Krankenhaus gewesen war. Als er dann endlich das Zimmer verlassen konnte, hatte er sich die Langeweile damit vertrieben, mit Chirurgen über ihre Arbeit zu reden und die Krankenschwestern mit gruseligen Geschichten zu ärgern. Manchmal hatte er auch Anrufe von Ezra erhalten, der sich nach ihm erkundigt hatte. Hier runzelte Simon etwas verwundert die Stirn. „Er hat dich nicht besucht?“ „Ezra hat panische Angst vor Krankenhäusern“, erklärte Cypher mit einem leisen Seufzer. „Und da er halt sehr sensibel ist, wollte ich ihm so etwas nicht zumuten.“ „Wie geht es ihm eigentlich?“, erkundigte sich Simon daraufhin. Er selbst rührte sein Getränk nicht an. Stattdessen wanderte sein Blick immer wieder zu Cyphers Arm. Es war wirklich erstaunlich, wie gut die Verletzung verheilt war. Die Kugel hatte seinen Knochen getroffen und eine solche Verletzung brauchte lange, um zu heilen. Aber sie war inzwischen vollständig verheilt. Keine Verkrustung oder etwas dergleichen. Selbst die Narbe war so blass, dass sie kaum zu sehen war. Es sah aus, als wäre es eine uralte Wunde, die er sich vor vielen Jahren zugezogen hatte. Wirklich beneidenswert… Vor allem war es beneidenswert, wie lebhaft Cypher selbst wirkte. Er selbst fühlte sich eher, als hätte ihm irgendetwas die Energie geraubt. Und wie gerne würde er sich so fühlen wie sein Bruder. „Ezra hat sich inzwischen wieder beruhigt. Zwar sucht das Jugendamt immer noch nach einer Pflegefamilie für ihn, aber es geht ihm schon wesentlich besser. Er hat zwar Angst vor Erwachsenen, aber er vertraut den Mönchen im Kloster.“ Erst jetzt fiel Simon auf, dass Hunter ihn ansah. Die goldgelben Augen des Bildhauers sahen ihn prüfend an. Er sagte nichts und sein Blick war auch nicht feindselig. Nein, es war einfach nur ein prüfender Blick und Simon konnte nicht wirklich sagen, warum Hunter ihn so ansah. Schließlich aber lenkte eine Frage seine Aufmerksamkeit wieder auf Cypher. „Und wie geht es dir denn soweit? Du siehst ein wenig blass aus. Hast du schlecht geschlafen?“ „Ich fühle mich nur ein wenig schlapp, das ist alles“, erklärte er und machte eine abwehrende Handbwegung. „Ich glaube, ich brauche halt etwas länger, um den ganzen Stress zu verarbeiten oder vielleicht verschleppe ich bloß irgendwas.“ Hieraufhin legte Cypher eine Hand auf seine Stirn um seine Temperatur zu prüfen. „Also zumindest hast du schon mal kein Fieber. Na hoffentlich wirst du nicht schon wieder krank. Aber andererseits… der Herbst hat jetzt auch schon angefangen und da holt man sich schneller eine Erkältung weg, als einem lieb ist. Oder vielleicht brauchst du einfach mal Urlaub. Vielleicht kannst du Leron ja überreden, mit dir irgendwo hinzureisen.“ Ja das war gar nicht mal so eine schlechte Idee, wenn da nicht das Problem wäre, dass Leron sich momentan in einer schwierigen Situation befand. Es war sehr wahrscheinlich, dass sein Vater länger im Krankenhaus bleiben musste und bis alle Dinge weitestgehend geregelt waren, musste Leron sich um den Konzern kümmern. Also war das einzige, was er im Moment tun konnte, seine eigenen Ansprüche zurückstellen und Leron so gut es ging zu unterstützen. „Das wird erst mal warten müssen. Nachdem Lerons Vater ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wird er ziemlich viel um die Ohren haben.“ „Ach herrje, was hat er denn?“ wollte Cypher wissen. Unsicher zuckte Simon mit den Schultern und vermutete, dass es vielleicht ein Herzinfarkt sein konnte. Aber solange noch keine offizielle Diagnose feststand, konnte man nur Vermutungen anstellen. Schließlich aber kam Simon auf ein ganz anderes Thema zu sprechen, welches ihm schon seit einer Weile auf dem Herzen lag. Und da es auch Cypher betraf, wollte er über dieses Dilemma sprechen. „Sag mal Cypher… hast du schon mal darüber nachgedacht, nach deinen… ich meine… unseren Eltern zu suchen?“ Nun wich das unbeschwerte Lächeln und der 25-jährige Künstler wirkte sehr ernst. Er legte eine Hand auf die Schulter seines jüngeren Bruders und fragte ihn „Beschäftigt dich das denn so sehr?“ Simon nickte und senkte den Blick. „Ich würde so gerne wissen, warum unsere Eltern mich nicht auch in ein Kloster oder ein Heim gegeben haben und warum sie uns nicht behalten haben. Selbst wenn sich herausstellt, dass sie einfach nur Junkies sind, die in der Gosse leben, weiß ich dann wenigstens, wo ich herkomme und warum sie mich nicht behalten haben. Ich weiß auch nicht. Seit Leron mich darauf angesprochen hat, spukt es mir im Kopf herum. Aber die Frage ist… wie soll ich sie denn finden? Einfach meine DNA in der Datenbank prüfen lassen, bis sich irgendjemand findet, funktioniert ja sowieso nur in TV-Serien. Und ich wollte halt wissen, wie du über dieses Thema denkst.“ Stille trat ein und Cypher tauschte einen kurzen Blick mit Hunter aus. Er schien über das Ganze ernsthaft nachzudenken, war sich aber anscheinend nicht sicher, wie er dazu stand, oder wie er seine Antwort formulieren sollte. „Ehrlich gesagt habe ich nicht allzu viel darüber nachgedacht, weil ich glücklich mit den Menschen bin, die ich in meinem Leben habe. Ich habe Hunter, dich und meine Freunde… Natürlich denke ich manchmal darüber nach und klar möchte ich auch eine Antwort haben, wo ich herkomme. Aber wie du schon sagtest: es wird äußerst schwierig werden und vielleicht ist es sogar unmöglich. Solange kein Wunder geschieht, wird sich wahrscheinlich kaum etwas tun.“ Wieder trat Still ein und Simon fühlte eine gewisse Niedergeschlagenheit in ihm hochkommen. Er konnte nicht erklären warum, aber er spürte wieder die Tränen kommen. So etwas passierte ihm schon seit einiger Zeit, dass seine Stimmung plötzlich ins Negative umschlagen konnte und er konnte auch nicht sagen, ob es einfach nur eine kurzzeitige Verstimmung oder vielleicht eine Art depressive Phase sein konnte. Mit einem leisen Seufzer fuhr er sich durchs Haar und versuchte, seine Gedanken wieder zu ordnen. „Ich weiß nicht warum, aber meine Gefühle fahren in der letzten Zeit die totale Achterbahnfahrt. Aus irgendeinem Grund ist mir manchmal einfach nur zum Heulen und manchmal tue ich es ohne Grund. Was ist nur mit mir los?“ „Klingt ziemlich danach, als wärst du ziemlich durch mit den Nerven“, schlussfolgerte Cypher und legte einen Arm um ihn. „Ich kenne das sehr gut. Im ersten Moment bist du gut gelaunt und könntest die ganze Welt umarmen. Und kurz darauf fühlst du dich, als würde die Welt über deinen Kopf zusammenstürzen. Das Gefühl hatte ich, als ich Depressionen hatte. Es ist ziemlich anstrengend, aber solch eine Phase kann man haben, wenn man sein Limit erreicht. Du hast viel durchlebt und brauchst dringend Ruhe und vor allem Abstand von allem. Deswegen sage ich ja, dass ein Urlaub wirklich helfen kann. Vor allem musst du aus deinem Alltag raus und was unternehmen. Wenn du dich hier verkriechst, wird es nicht besser werden.“ Nun erhob sich auf einmal Hunter vom Sofa und trat auf ihn zu. Immer noch lag dieser prüfende Blick auf seinem Gesicht und er streckte die Hand nach ihm aus. Als Simon seine goldgelben Augen sah, die ihn zu durchdringen schienen, bekam er auf einmal Angst und wich instinktiv zurück, obwohl er eigentlich wissen musste, dass Hunter keine Gefahr darstellte. Die raue Hand des Bildhauers legte sich überraschend auf seine Halsbeuge statt auf seine Stirn und dann bemerkte er ruhig „Du bist kalt.“ „Echt?“ fragte Cypher überrascht und tastete Simons Haut zur Kontrolle ab. „Also ich merke nichts.“ „Er ist kalt“, beharrte Hunter mit fester Stimme. „Seine Ausstrahlung ist kalt. Und sein Blick wirkt trüb.“ „Na hoffentlich wirst du nicht wirklich krank“, murmelte der 25-jährige Künstler mit den schneeweißen Augen und wirkte nun besorgt. „Ich glaube, ich bringe dir mal meine spezielle Kräuterteemischung mit, die hilft jedem Kranken auf die Beine. Wenn Leron schon so viel Ärger am Hals hat, dann werden wir uns halt um dich kümmern. Nicht wahr, Hunter?“ Der Angesprochene nickte und setzte sich wieder. Er schwieg eine Weile und sein Blick hatte sich sehr verdüstert. Es schien ihn sichtlich zu stören, dass Cypher nicht derselben Ansicht war und er offenbar der Einzige war, der bemerkte, dass Simon sich seltsam kalt anfühlte. Doch dann unterbrach er sein Schweigen und murmelte nur ein einziges Wort: „Azarias.“ Simon runzelte die Stirn und verstand nicht so wirklich, wer oder was Azarias war und wovon Hunter da sprach. Auch Cypher wirkte ein wenig verwirrt und kratzte sich hinterm Ohr. „Könntest du dich ein kleines bisschen deutlicher ausdrücken?“ „Azarias Wyatt“, begann Hunter zu erklären, jedoch sah er niemanden direkt an. „Mein alter Bekannter aus der Klinik. Vielleicht weiß er was.“ Doch sein Freund schüttelte skeptisch den Kopf und versuchte ihm zu erklären, dass das völlig verrückt sei, da dieser Freund nicht in New York, sondern in der Klinik eines kleinen Kaffs in Ohio lebte. Doch Hunter blieb felsenfest dabei und erklärte „Azarias hat eine Gabe. Er kennt die Antworten, wenn man Fragen hat. Ich kann ihn anrufen und fragen.“ Simon war ebenso skeptisch wie sein Bruder und wusste nicht genau, was er von dieser Idee halten sollte. Wie Cypher bereits sagte: wie sollte jemand, der in einem anderen Bundesstaat lebte, ihm helfen, seine Eltern zu finden? Das klang irgendwie nach einer ziemlich verrückten Geschichte. Aber andererseits… Hunter war nicht der Typ Mensch, der sich so etwas Bescheuertes ausdachte. Er schien sich sehr sicher zu sein. Also entschied er sich dazu, ihm zu vertrauen. „Naja… es wäre einen Versuch wert. Wenn dieser Azarias vielleicht helfen kann, dann können wir es versuchen. Hast du seine Nummer?“ „Wir müssen in der Klinik anrufen“, erklärte Hunter. „Es ist mehr als zehn Jahre her, als wir miteinander geredet haben.“ „Und woher weißt du dann, dass er immer noch in der Klinik ist?“ „Er sagte mir, dass ich dort anrufen sollte, wenn ich jemals seine Hilfe brauche.“ Zuerst wollte Simon dagegen argumentieren, gab es aber auf und schwieg, während Hunter sein Handy hervorholte. Er musste erst die Nummer der Backwater Psychiatrie heraussuchen, da er sie nicht eingespeichert hatte. Es dauerte eine Weile, aber dann hatte er sie endlich gefunden und begann die Nummer zu wählen und aktivierte die Freisprechfunktion. Nach einer Weile meldete sich eine Frauenstimme, die wahrscheinlich einer Stationsschwester gehörte. „Psychiatrische Klinik Belvedere in Backwater, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Hier ist Hunter J. Cohan. Kann ich bitte einen Patienten namens Azarias Wyatt sprechen?“ „Der Patient ist momentan noch in der Therapiesitzung. Ich könnte…“ Bevor die Stationsschwester weiterreden konnte, wurde sie von irgendetwas unterbrochen und eine Stimme im Hintergrund war zu hören. Kurz darauf war ein leises Rascheln zu hören, gefolgt von einer männlichen Stimme, die etwas laut in den Hörer hineinsprach. „Hunter Jayden Cohan, das hat ja gedauert, bis du dich bei mir meldest. Hast dir den perfekten Tag ausgesucht. Die Ausdruckstherapie ist eh total langweilig. Ich hoffe, bei dir ist alles soweit in Ordnung, hehehe.“ Woher weiß er, wer am Telefon ist?, begann sich Simon zu fragen. Er konnte sich nicht erinnern, dass die Stationsschwester Hunters Namen ausgesprochen hatte. Aber vielleicht war er auch einfach nur paranoid. Hunter schaute kurz zu ihm und antwortete „Mir geht es gut. Ich habe einen Freund. Sein Name ist Cypher Grant und er hat einen Bruder namens Simon Cavanaugh. Sie wollen wissen, wer ihre Eltern sind. Du bist der Einzige, der vermutlich eine Antwort weiß.“ „Simon…“, murmelte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Beschreibe mal wie er aussieht.“ „Dunkelbraune Locken, schlank, 170cm groß, blass und schneeweiße Augen.“ „Und keine schwarzen, langen Haare? Keine Tattoos oder Piercings?“ „Nein, das ist Cypher.“ Simon runzelte die Stirn. Irgendwie machte diese Konversation am Telefon nicht wirklich Sinn für ihn und er verstand nicht so wirklich, was das bedeuten sollte. Dann schließlich ertönte ein lang gedehntes Seufzen am Telefon und Azarias antwortete „Okay, das ist neu. Wenn er so ausgesehen hätte, dann hätte ich die Antwort, aber das hier hatte ich noch nicht. Und blöderweise habe ich bereits meine Medikamente eingenommen, da funktioniert mein siebter Sinn auch nicht so präzise. Lass uns noch mal reden, wenn die Augenbehandlung abgeschlossen ist. Wenn ich die Augenfarbe kenne, müsste ich wissen, aus welcher Familie sie kommen. Aber das sollte eh nicht mehr lange dauern.“ Nun war es Hunter, der verwundert die Stirn runzelte und nicht wirklich verstand. „Du weißt es nicht?“ „Ich bin mir nicht sicher. Es gibt zu viele Möglichkeiten und dass er anders aussieht als ich es gedacht habe, wirft alles durcheinander. Deshalb brauche ich die Augenfarbe um sagen zu können, aus welcher Familie die beiden stammen. Aber wie gesagt, wir sprechen uns eh noch mal. Ich muss jetzt wieder in die Ausdruckstherapie zurück. Ciao Hunter, war nett mal wieder deine Stimme zu hören!“ Damit war das Telefonat beendet und Hunter steckte sein Handy wieder ein. Und es stellten sich nur noch mehr Fragen für Simon. Die wichtigste davon aber war „Woher zum Teufel weiß er von der Augenbehandlung?“ „Ich sagte, dass Azarias Dinge weiß“, erklärte Hunter. „Er leidet unter paranoider Schizophrenie und ist verrückt, aber weiß manche Dinge auch wenn er sie nicht wissen kann. Es ist der siebte Sinn. Eine Intuition, die jeder Mensch besitzt. Sie ist aber nicht präzise. Wir müssen also bis zur Behandlung warten.“ Simon seufzte und fragte sich, was er eigentlich von diesem Gespräch erwartet hatte. Es wäre zu schön gewesen um wahr zu sein. Mit einem niedergeschlagenen Seufzer sank er auf seinen Platz zurück und schaute an die Zimmerdecke. Doch da klopfte Cypher ihm aufmunternd auf die Schulter. „Kopf hoch, das wird schon werden. Wir sollten optimistisch bleiben, denn so lange kann es ja auch nicht mehr dauern, bis die Augenbehandlung endlich ansteht. Und wenn wir das hinter uns haben, können wir Hunters Freund noch mal anrufen und dann wird er uns mit Sicherheit sagen können, wer unsere Eltern sind. Wenn Hunter felsenfest davon überzeugt ist, dass Azarias uns helfen kann, vertraue ich ihm. Und deswegen sage ich dir auch noch mal: weine nicht um das, was du noch nicht hast, sondern freue dich auf das, was kommen wird. Genieße die Zeit und mach das Beste daraus. Dann wird es dir auch bald wieder besser gehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)