The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 41: Lionels Geständnis ------------------------------ Noch am selben Abend, als Simon über Lionels merkwürdige Andeutungen im Krankenhaus berichtet hatte, war Leron zusammen mit ihm zur Villa seines Vaters gefahren und keine zehn Pferde hätten ihn noch eine Sekunde länger zuhause behalten können. Hätte er nicht seine Medikamente genommen, wäre er einem Tobsuchtsanfall nahe gewesen, aber zum Glück hielt sich sein Temperament in Grenzen. Zumindest für jetzt. Trotzdem war Simon besorgt um ihn und wollte ihn lieber nicht alleine gehen lassen, auch wenn er sich am liebsten ausgeruht hätte. Er wollte Leron Halt geben, wenn dieser seinen Vater zur Rede stellte und ihn fragte, was dieser wirklich über seine Mutter wusste. Dass er aufgewühlt war, konnte der 21-jährige gut verstehen. Wäre er in der gleichen Situation, dann würde es ihm wahrscheinlich auch nicht anders ergehen. Während sie in der Limousine saßen, herrschte eine unangenehme Stille zwischen ihnen und Simon war sich nicht wirklich sicher, ob Leron vielleicht sauer auf ihn war. Immerhin hatte er ihm dieses Detail tagelang verschwiegen weil er gedacht hatte, dass es nicht gut wäre, ihn damit zu belasten. Vor allem weil Lionel ihn so unter Druck gesetzt hatte. Unsicher wanderte sein Blick zu seinem Begleiter, der nachdenklich ins Leere starrte und seine wunderschönen haselnussbraunen Augen spiegelten eine leichte Unsicherheit wieder. Irgendetwas beschäftigte ihn ganz gewaltig, das sah selbst ein Blinder. Und so fragte er schließlich nach: „Bist du mir böse, weil ich dir verschwiegen habe, was dein Vater gesagt hat?“ „Nein“, antwortete Leron knapp, doch sonderlich überzeugend klang es nicht direkt. Simon seufzte und hakte weiter nach: „Und was ist es dann, was dich so beschäftigt?“ „Ich musste an etwas denken, was ich gesehen habe. Als Michael dich in der Villa angegriffen hat und ich an das Heizungsrohr gefesselt war, habe ich meine Mutter gesehen. Aber sie war irgendwie anders als ich sie in Erinnerung hatte. Ihre Augen waren genauso wie Michaels Augen und ihre Kleidung war blutverschmiert. Und ich hatte schon während meines Klinikaufenthalts das Gefühl gehabt, als hätte ich irgendeine verdrängte Erinnerung an sie. Aber als ich meinen Vater darauf ansprach, schob er alles auf meine Schizophrenie. Aber so langsam dämmert es mir: meine Mutter war auch krank gewesen. Das ist nicht bloß ein Hirngespinst von mir und mein Vater weiß mehr darüber als er zugeben wollte. Und du hast ihn unbewusst aus der Reserve gelockt.“ „Ich war schon überrascht gewesen, als du relativ ruhig auf diese Nachricht reagiert hast“, gestand Simon. „Ich hatte ehrlich gesagt Angst gehabt, du würdest durchdrehen. So sehr wie du an deiner Mutter hängst, dachte ich, es wäre ein ziemlicher Schock für dich.“ „Nein, ehrlich gesagt nicht direkt. Seit ich von meiner Mutter halluziniert habe, hat sie mir ehrlich gesagt mehr Angst gemacht, als Michaels Stimme es getan hat.“ Verständnisvoll nickte Simon und nahm Lerons Hand. Es war sicher sehr nervenaufreibend für ihn und er hoffte insgeheim, dass sein sturer Vater endlich mal den Mund aufmachte und mit der Wahrheit herausrückte, anstatt alles nur totzuschweigen wie sonst auch immer. Und sollte es wieder schwierig zwischen den beiden werden, konnte er zumindest versuchen, Leron wieder zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass er sich nicht allzu sehr aufregte. „Mach dir nicht so viele Gedanken. Es wird schon alles gut werden.“ Doch er wusste selbst, dass das nicht gerade überzeugend klang. Vor allem weil er selbst wusste, wie Lerons Vater drauf war. Das würde ein verdammt harter Brocken werden. Als sie schließlich das Ziel erreicht hatten, stiegen sie aus und sogleich sah Simon eine prunkvolle Villa, die dem altdeutschen Herrenhausstil nachempfunden war und somit in einem starken Kontrast zu der modernen Villa von Leron stand. Das Gelände war riesig und die Hecken und Sträucher waren kunstvoll beschnitten. Zwar hatte sich der Junge aus bescheidenen Verhältnissen inzwischen ein wenig an das Leben in solchen Kreisen gewöhnt, aber dennoch war er sprachlos von der großen Villa. Für einen Moment war er wie gebannt von dem Anblick, bis ihm auffiel, dass ihnen jemand entgegen kam. Es war ein schlanker junger Mann mit schneeweißer Haut, eisblauen Augen und hellblonden fast weißen Haaren. Ihn begleitete ein kleines Mädchen von ungefähr zehn oder elf Jahren mit langen schwarzen lockigen Haaren und rubinroten Augen. Sie trug ein gepunktetes schwarzweißes Kleid und ihre Augen waren von leichten Schatten umrandet. Beide wirkten nebeneinander wie Tag und Nacht. Lerons Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen, als er die beiden sah und sogleich fragte er sie „Wer seid ihr zwei und was wollt ihr bei meinem Vater?“ Sofort reichte der Albinojunge ihnen die Hand und lächelte freundlich. Seine Begleiterin hingegen schaute Leron äußerst feindselig an und ihr Blick hätte töten können. „Hi, ich bin Elion Witherfield und das ist Sally Kinsley, sie passt auf mich auf. Ich war nur kurz zu Besuch, weil ich meine Großmutter Grace nach New York begleite. Meine verstorbene Großtante war eine gute Bekannte von Ihrem Vater.“ „Ah…“ „Entschuldigt, aber wir müssen uns ein wenig beeilen. Es wird langsam spät.“ Als Elion Simons Hand ergriff, da geschah etwas, was der 21-jährige nicht in Worte fassen konnte und was er noch nie zuvor in seinem Leben erlebt hatte. Ihm war, als würde plötzlich ein Licht in seiner Seele aufleuchten und allein durch diese Berührung so hell aufstrahlen, dass ihn die Gefühle zu überwältigen drohten. Es raubte ihm den Atem und ihn überkam plötzlich das Verlangen, zu weinen. Und er konnte sich nicht einmal erklären warum. Er spürte so eine merkwürdige Vertrautheit. So als hätten sie sich schon immer gekannt, aber vor langer Zeit aus den Augen verloren. Elion lächelte herzlich und verabschiedete sich mit den Worten „Einen schönen Abend noch. Bis zum nächsten Mal.“ Und damit gingen die beiden und Leron schaute ihnen schweigend nach. Das kleine Mädchen, was Elion begleitete, schaute ebenfalls ihr zurück und ihr Blick, mit dem sie Leron strafte, wirkte gefährlich. „Merkwürdige Leute“, murmelte Leron. „Ich frage mich echt, was mein Vater mit einer Verwandten von dem da zu schaffen hat. Na komm, Simon.“ Damit ergriff er dessen Hand und gemeinsam gingen sie den Weg weiter bis zur Eingangstür und klingelten an. Es dauerte nicht lange, bis ihnen ein dunkelhäutiges Dienstmädchen die Tür öffnete. Sie wirkte sehr überrascht, als sie Leron sah und das Erste, was sie sagte, war direkt „Na so was. Wenn das mal nicht Leron Evans ist. Dich hat man auch schon seit langem nicht mehr zu Gesicht bekommen.“ Simon erkannte sofort, dass diese Frau ganz anders war als Anthony. Sie ging viel vertrauter mit Leron um, den sie offenbar schon seit langem zu kennen schien und siezte ihn nicht einmal. Und sie besaß auch nicht dieselbe diskrete Zurückhaltung wie er. Nein, sie war wahrscheinlich eine jener Frauen, die sich nichts vormachen ließ und ihren eigenen Kopf besaß. Doch Leron schien dies nicht weiter zu stören. Stattdessen grüßte er sie mit einem etwas gezwungenen Lächeln, da er momentan nicht in der Stimmung für ein ehrliches Lächeln war. „Guten Abend Dora. Ich muss mit meinem Vater sprechen. Es ist wichtig.“ „Na dann komm rein in die gute Stube, das gleiche gilt für deinen Begleiter. Dein Vater ist im Kaminzimmer. Und bitte reiß ihm nicht gleich wieder den Kopf ab, er hatte einen schwierigen Tag hinter sich.“ „Keine Sorge, Dora. Ich will nur ein paar Fragen beantwortet haben und mehr nicht.“ Die Afroamerikanerin nickte und führte sie herein. Simon sah sich um und fand viele hochwertige und alte Ölgemälde wieder. Alles wirkte wie ein altes Herrenhaus und es gab viele Antiquitäten hier. Dora führte sie in einen großen Raum, welcher das Kaminzimmer war. Dort gab es eine Hausbar mit allerhand Flaschen und Gläsern. Ein riesiges Ölgemälde von Lionel Evans selbst an der Wand über den Kamin. Zusammengesunken in einem Sessel mit einem Glas Cognac in der Hand saß der Hausherr selbst und wirkte völlig geistesabwesend, als hätte er gerade eine Erleuchtung gehabt, von welcher er sich erst einmal erholen musste. Selbst Leron war von diesem Anblick überrascht, denn er hatte seinen Vater noch nie so gesehen. Normalerweise war dieser ein Mensch, der in jeder Lebenssituation immer die Beherrschung und Ruhe bewahren konnte und mit kühler Sachlichkeit an die Probleme heranging, ohne jemals Emotionen zuzulassen. Und nun sah es danach aus, als saß da ein völlig anderer Mensch dort, der nur wie sein Vater aussah. Vor allem erschütterte es ihn, dass er sah, dass Lionels Augen von Tränen gerötet waren. Noch nie hatte er seinen alten Herrn weinen sehen. Weder beim Tod seiner Mutter, noch bei der Beerdigung seiner eigenen Söhne. Und nun war es tatsächlich passiert, nachdem ihn zwei Fremde besucht hatten. Das war eine völlig verkehrte Welt. „Vater?“ Lionel hob den Kopf und als er die beiden neuen Besucher sah, begann er sich wieder zu fangen und runzelte überrascht die Stirn. „Leron, was machst du um die Uhrzeit hier? Und wieso bringst du diesen Jungen mit?“ „Ich will mit dir reden und ich brauche mich vor dir nicht zu rechtfertigen, dass ich Simon als Begleitung mitbringe. Wir beide sind zusammen, also finde dich damit ab.“ „Na gut…“, seufzte das Familienoberhaupt und wies mit einer halbherzigen Handbewegung zum Sofa, wo die beiden schließlich Platz nahmen. Lionel trank sein Glas leer und stellte es auf den Tisch ab. „Also worüber möchtest du mit mir reden?“ „Simon hat mir erzählt, was du ihm im Krankenhaus gesagt hast. Du hast ihm gesagt, dass Mum eine sadistische Mörderin war, genauso wie Michael. Und ich will jetzt endlich die Wahrheit von dir hören und mich nicht länger für dumm verkaufen lassen. Inzwischen habe ich selber das Gefühl, dass Mum kein Engel war und sie krank war. Sie hatte dieselben Augen wie Michael und ich kann mich erinnern, dass sie spät in der Nacht im Bad gewesen war und sich Blut von den Händen gewaschen hat. Ich bin kein kleiner Junge mehr und ich will jetzt endlich die Wahrheit wissen: war Mum eine Psychopathin oder nicht?“ Lionel schwieg und seufzte leise. Er stand auf, schnappte sich wieder sein Glas und ging rüber zur Hausbar und schenkte sich Cognac ein, dann gab er noch Eiswürfel dazu. Er wirkte zwar wieder wesentlich gefasster als gerade noch, allerdings merkte man ihm an, dass es ihm nicht leicht fiel, darüber zu sprechen. „Als ich deine Mutter an der Universität kennen lernte, war sie sehr lebhaft und liebevoll gewesen. Sie war sehr hübsch und ich genoss es ehrlich gesagt auch, dass ich der wichtigste Mensch in ihrem Leben war. Dass sie ein anderes Gesicht hatte, erkannte ich allerdings erst später… Sie war auch rasend eifersüchtig und konnte schnell die Beherrschung verlieren. Und sie wurde auch gewalttätig.“ Lionel bereitete noch ein zweites Glas vor und kam damit wieder zurück. Er reichte Leron eines der mit Cognac gefüllten Gläser und setzte sich dann wieder. „Katherine war schon immer sehr temperamentvoll gewesen, aber sie reagierte äußerst schnell aggressiv auf Ablehnung. Sie wurde unkontrollierbar und wurde zu einer Furie. Als ich mich selbstständig machte, entwickelte sie einen Kontrollwahn und warf mir eine Affäre nach der anderen vor. Und es eskalierte darin, dass sie mir eine Weinflasche auf den Kopf schlug. Die Wunde musste genäht werden und daraufhin machte ich Schluss mit ihr.“ Also doch, dachte sich Simon. Ich hatte gar nicht mal Unrecht gehabt, als ich ihm an den Kopf warf, dass die ganze Familie total verrückt sei. Katherine war genauso geisteskrank gewesen wie Michael. Aber warum war Lionel wieder zu ihr zurückgekehrt? Das machte doch keinen Sinn! Auch Leron schien der gleichen Ansicht zu sein und wollte daraufhin wissen „Und wieso seid ihr wieder zusammengekommen?“ Hieraufhin trank sein Vater einen Schluck und sein Blick nahm etwas Wehmütiges an. „Als ich deine Mutter verlassen hatte, war sie bereits schwanger gewesen. Zu der Zeit, als wir getrennt lebten, lernte ich in einem Café eine Kellnerin kennen. Ihr Name war Lucy Witherfield. Ihre Familie stammte aus Ohio und sie war nach New York gekommen, weil sie Schauspielerin werden wollte. Es war bei uns Liebe auf dem ersten Blick gewesen und ich habe sie mehr als alles andere auf der Welt geliebt. Ich wollte sie heiraten und eine Familie mit ihr gründen. Aber Katherine wollte mich nicht gehen lassen. Stattdessen setzte sie mich mit K.O.-Tropfen außer Gefecht und erschlug Lucy. Sie stellte mich vor die Wahl: entweder ich kehre freiwillig zu ihr zurück, oder sie würde persönlich dafür sorgen, dass ich im Gefängnis verrotte. Also war ich gezwungen, die Frau, die ich wirklich geliebt habe, im Wald zu vergraben und ihren Tod zu vertuschen. Doch Katherine ließ mich oft genug spüren, wer hier das Sagen hatte.“ Daraufhin schob Lionel sein Hemd hoch und zeigte damit eine alte verblasste Narbe auf seinem Bauch. „Wenn ihr etwas nicht passte, griff sie mich mit einem Messer an, fuhr mich mit dem Auto an oder schlug mich mit ihren Küchengeräten nieder. Aber ihre Kinder waren ihr schon immer heilig gewesen. Niemand durfte ihnen auch nur ein Haar krümmen oder ihnen zu nahe kommen. Und wenn es jemand gewagt hat, gegen diese Regel zu verstoßen, hat sie die Dinge persönlich geregelt, so wie sie es immer nannte. Die Leichen hat sie dann im Wald vergraben. Das ging über Jahre hinweg, bis sie schließlich krank wurde und dann an ihrem Bauchspeicheldrüsenkrebs starb.“ Stille kehrte ein und Simons Blick wanderte besorgt zu Leron, der seinen Vater mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck ansah, bevor er dann sein Glas nahm, es in wenigen Zügen leerte und dann wieder auf den Tisch stellte. Wahrscheinlich hatte er den Alkohol auch bitter nötig nach dieser Offenbarung. Zwar hatten sie beide nicht gerade mit einer harmlosen Geschichte gerechnet, aber nicht mit so etwas. Und da Simon nicht auf den Kopf gefallen war, brauchte er nur eins und eins zusammenzählen, um ein ganz entscheidendes Detail auf den Punkt zu bringen. „Dann heißt das also: die Leichen, die die Polizei alle im Wald gefunden haben, waren die Opfer von Katherine?“ „Ja“, gestand Lionel nickend. „Und dabei haben sie wahrscheinlich nicht einmal alle gefunden. So wie ich Katherine einschätze, hat sie mit Sicherheit mehr auf dem Gewissen.“ „Und warum hast du sie nie angezeigt?“ wollte Leron wissen. „Wenn sie dich tatsächlich so schwer verletzt hat, dann wäre es ein leichtes für dich gewesen, sie aufzuhalten.“ „Es waren damals andere Zeiten“, winkte sein Vater sofort ab. „Häusliche Gewalt ging damals nur von Männern aus und kein Mann, der erzählte, er würde von seiner Frau misshandelt werden, wurde ernst genommen. Er wurde zum Gespött der Leute und deine Mutter war nicht dumm gewesen. Sie wusste dies und hat das geschickt für sich genutzt. Als ich sie nach der Messerattacke anzeigen wollte, brach sie sich selbst den Arm und schlug ihren Kopf so oft gegen die Wand, bis sie eine Platzwunde davontrug und sagte, sie hätte aus Notwehr gehandelt, weil ich sie geschlagen hätte. Es gelang mir, einen öffentlichen Skandal zu verhindern, indem ich die Angelegenheit mit finanziellen Mitteln bereinigte. Aber mir wurde schnell klar, dass es keinen Weg gab, um von Katherine wegzukommen.“ Wieder trat Stille ein, dieses Mal länger. Besorgt wanderte Simons Blick wieder zu Leron, der sein Glas nun vollständig leerte und mit einem geistesabwesenden Blick ins Leere starrte. Es war schwer zu erkennen, wie er sich gerade fühlte, aber er sah dennoch, dass er kreidebleich war. Er ergriff seine Hand und spürte sofort, dass sie verschwitzt war. Ein deutliches Zeichen von starkem Stress. „Leron?“ Doch Leron hörte Simons Worte nicht. Er war vollkommen gefangen in einer Erinnerung, die er bisher nur bruchstückhaft hatte wachrufen können. In dieser Erinnerung war er nicht älter als fünf oder sechs Jahre alt gewesen. Er war mitten in der Nacht aufgewacht, weil er durch ein plötzliches Geräusch aufgeschreckt worden war. Zuerst hatte er Angst gehabt, es wäre wieder diese Nanny Evelyn gewesen, die sein Vater angestellt hatte und die ihn geohrfeigt hatte, weil er sich in die Hose gemacht hatte. Zuerst hatte er überlegt, ob er sich wieder unter der Decke verstecken sollte, aber dann war seine Neugier doch stärker gewesen und er hatte daraufhin sein Zimmer verlassen und war vorsichtig auf den Flur geschlichen. Dabei hatte er versucht, bloß leise zu sein, weil er Angst gehabt hatte, dass er Michael oder Jordan aufwecken könnte. Als er auf Zehenspitzen den Flur entlang gegangen war, hatte er plötzlich fließendes Wasser gehört. Instinktiv war er zum Badezimmer hingegangen, wo das Geräusch her kam und er hatte gesehen, dass die Tür leicht angelehnt war. Vorsichtig hatte er durch den Spalt gelugt und seine Mutter gesehen. Ihr sonst so ordentlich frisiertes und schönes Haar war leicht zerzaust, ihr liebevolles und mütterliches Gesicht war von Wahnsinn und blankem Hass verzerrt und ihre Augen… ihre Augen waren nicht dunkelbraun, sondern goldgelb und in ihnen hatte derselbe psychopathische Zerstörungswahn gelegen wie in Michaels Augen. Ihre Hände und ihre Kleidung waren von Blut besudelt und sie war dabei gewesen, ihre Hände zu waschen. „Diese verdammte Dreckschlampe. Dieses elende Miststück. Wagt es einfach, meinen kleinen Engel zu schlagen. Niemand vergreift sich an meinen Kindern. NIEMAND!!!“ Sie hatte dieses letzte Wort laut geschrien und das blutverschmierte Küchenmesser in den Spiegel gerammt. Er selbst war erschrocken zusammengezuckt und war entsetzt von der Tür zurückgewichen. Doch die Tür war aufgegangen und seine Mutter hatte vor ihm gestanden. Sie hatte wieder ihr liebevolles mütterliches Lächeln und hatte ihm zärtlich die Wange gestreichelt und ihm einen Kuss gegeben. „Hey mein Schatz, es ist schon spät. Du solltest schon längst im Bett liegen. Oder kannst du nicht schlafen?“ Er hatte nur den Kopf geschüttelt und zum ersten Mal so etwas wie Angst vor seiner Mutter verspürt. Insbesondere weil sie ihn so sehr an Michael erinnerte und er als kleiner Junge nicht verstanden hatte, was das zu bedeuten hatte. Das einzige, was er zustande gebracht hatte, war die Frage „Mommy, was hast du mit Evelyn gemacht?“ „Mach dir keine Sorgen, mein Schatz“, hatte seine Mutter ihm gesagt und ihm wieder einen Kuss gegeben. „Mommy hat die Dinge geregelt und diese schreckliche Frau wird dir nie wieder etwas antun.“ Simon sah mit Besorgnis, dass Lerons Augen vor Entsetzen geweitet waren und er völlig geistesabwesend war. Lionel reagierte nicht sonderlich darauf, sondern schenkte seinem Sohn noch ein Glas ein. Da Leron gerade nicht in der Lage war, das Gespräch weiterzuführen, übernahm Simon an seiner Stelle die Fragen. „Also ist der Grund für Ihre Abwesenheit bei der Beerdigung Ihrer Frau die Tatsache, dass sie eine aggressive und manipulierende Psychopathin war, die Sie misshandelt hat. Aber warum haben Sie Michael und Leron nicht geholfen und sie in Therapie geschickt, wenn Sie doch wussten, wie gefährlich Katherine war?“ „Jedes Mal, wenn ich in die Gesichter meiner Söhne geblickt hatte, sah ich nur das Erbe jener Frau, dir mir mein Leben zerstört hat. Dementsprechend hielt sich mein Interesse für sie in Grenzen. Ich wollte mit ihnen so wenig wie möglich zu tun haben.“ Ein lautes Klirren ertönte und ließ Simon erschrocken zusammenzucken, als Leron, der aus seiner Apathie erwacht war, plötzlich sein Glas auf dem Boden zerschlug. „Kein Interesse an uns? Du hast gewusst, dass Michael genauso gefährlich war wie Mum. Und nicht nur das: du hast all ihre Morde vertuscht und alles unter den Teppich gekehrt!“ „Was hatte ich für eine Wahl?“ entgegnete Lionel. „Sie hätte mich für all diese Morde verantwortlich gemacht. Und wenn wir mal ehrlich sind: selbst eine Therapie hätte nichts gebracht. Diese Krankheit, die ihr habt, ist genetisch bedingt. Ihr stammt aus einem speziellen Teil der Familie Cohan ab. Deine Großeltern und Urgroßeltern betrieben Inzucht und dadurch kam es zu dieser geistigen Störung.“ „Trotzdem ist das keine Entschuldigung“, wandte Simon. „Sie hätten die Wahrheit erzählen und Ihren ältesten Sohn in eine geschlossene Anstalt einweisen sollen, damit die Welt vor diesem Verrückten sicher gewesen wäre! Er hat mich zwei Male vergewaltigt, zehn Menschen umgebracht und beinahe meinen Bruder getötet. Und wer weiß, was dieses Monster noch alles getan hat!“ „Dessen bin ich mir durchaus bewusst“, gestand das Familienoberhaupt. „Aber nachdem mir Katherine alles genommen hat, was mir wichtig war, wollte ich nicht auch noch das verlieren, was ich mir in all den Jahren aufgebaut habe. Meine Firma war das Einzige, was mir Katherine nicht wegnehmen konnte und ich wollte sie nicht durch die Eskapaden meines Sohnes oder die Verbrechen meiner Frau ruinieren lassen.“ „Aha…“, sagte Leron trocken. „Und wir waren dir wohl niemals wichtig gewesen, oder? Hattest du überhaupt jemals Gefühle für uns?“ „Nein.“ „Verstehe… Und warum hast du mir dann all die Jahre die Wahrheit verschwiegen? Doch nicht etwa, weil du so etwas wie väterliche Gefühle entdeckt hast.“ „Das nicht“, stimmte Lionel ihm zu. „Aber deine Mutter hat dich geliebt. Trotz der Tatsache, dass sie psychisch krank und gefährlich war, hat sie euch drei mehr als alles andere auf der Welt geliebt. Da ich nicht in der Lage war, euch ein liebender Vater zu sein, wollte ich zumindest, dass du deine Mutter als eine liebevolle und herzensgute Person in Erinnerung behältst.“ „Sehr rücksichtsvoll von dir…“ Damit stand Leron auf und ergriff Simons Hand. „Dass du kein Interesse an uns hast, ist für mich ehrlich gesagt nichts Neues. Und ich würde wirklich gerne sagen, dass es mir leid tut, was Mum dir angetan hat. Aber genauso wenig, wie du dich für mich interessierst, tu ich es für dich. Und ich hoffe, dass du bald deine gerechte Strafe für all die vertuschten Morde bekommst. Ich habe genug gehört. Komm Simon, wir gehen.“ Ohne sich zu verabschieden, ging Leron und Simon folgte ihm. Während der Autofahrt sprachen sie kein Wort miteinander und auch den Rest des Tages über war Leron sehr schweigsam und in sich gekehrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)