The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 33: Das Erwachen nach dem Sturm --------------------------------------- Das Erste, was Simon spürte als er wieder zu sich kam, war eine bleierne Schwere und Trägheit. Sein ganzer Körper fühlte sich so unsagbar schwer an, als wäre ihm jegliche Kraft ausgesaugt worden und er war einfach nur müde. Er brauchte eine Weile um zu registrieren, dass er sich nicht im Gästezimmer von Cypher und Hunter befand, aber auch nicht in der Villa von Leron. Wo war er denn eigentlich? Die Wände waren weiß gestrichen und der Raum wirkte eher steril als gemütlich. Auch das Bett war etwas eigentümlich. Offenbar war er im Krankenhaus. Wie war er denn eigentlich hierhergekommen? Das letzte, woran er sich erinnerte war, dass Hunter Michael den Schädel mit dem Hammer eingeschlagen hatte und danach wollte er ins Badezimmer um zu duschen. Hunter hatte versucht ihn festzuhalten und hatte ihm gesagt, er solle da bleiben, aber er hatte einfach nur den Schmutz von seinem Körper waschen wollen. Und dann wusste er nichts mehr. Danach fehlte irgendwie alles. „Simon!“ Erst jetzt registrierte er, dass jemand seine Hand hielt. Es war Leron, der entsetzlich blass im Gesicht war und tief besorgt aussah. Und kaum, dass sich ihre Blicke trafen, umarmte dieser ihn und bebte dabei am ganzen Körper, als ihn die Gefühle übermannten. „Gott sei Dank bist du wieder wach, Simon. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“ „Warum bin ich im Krankenhaus?“ fragte der 21-jährige, obwohl das wahrscheinlich die dümmste Frage war, die er in so einer Situation überhaupt stellen konnte. Doch sein Verstand war sehr stark vernebelt, wahrscheinlich aufgrund irgendwelcher Schmerzmittel, die ihm verabreicht worden waren. „Du fragst warum?“ fragte Leron verständnislos. „Du hattest eine Platzwunde und eine schwere Gehirnerschütterung. Ganz zu schweigen davon von den anderen Verletzungen, die du erlitten hast, als Michael dir das angetan hat.“ „Und wieso kann ich mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin?“ fragte der Junge immer noch ein wenig orientierungslos und fragte sich, ob es an der Kopfverletzung lag, dass er sich nicht erinnern konnte. Oder aber vielleicht war er auch einfach nur ohnmächtig geworden. Das konnte auch gut möglich sein. „Hunter hat versucht, dich zu beruhigen, aber du hast unter Schock gestanden und wolltest trotz deiner Verletzungen weggehen, da hat er dir ein Schlafmittel verabreicht und sich dann um Cypher gekümmert, bis der Notarzt eingetroffen ist.“ Als er Simons erschrockenen Blick bemerkte, fügte er hinzu „Cypher hat zwei Schüsse abbekommen, aber zum Glück waren sie nicht allzu bedrohlich. Er hatte geistesgegenwärtig reagiert und seinen Oberkörper und seinen Kopf mit den Armen geschützt, außerdem hatte er obendrein noch wahnsinniges Glück gehabt. Ansonsten wäre er wahrscheinlich tot. Eine Kugel hat ihn in den Bauch getroffen, die andere seinen linken Arm. Er wird noch eine Weile im Krankenhaus bleiben müssen, aber er ist außer Gefahr. Was Hunter betrifft, der sitzt momentan auf der Polizeistation fest, weil geprüft werden muss, ob es Notwehr oder Totschlag gewesen war.“ Totschlag? Notwehr? Dann bedeutete das also, dass Michael tot war? Dann war es endlich vorbei und er musste nicht mehr in Angst leben und nicht mehr weglaufen? Simon spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte und Tränen sich in seinen Augen sammelten. Schluchzend klammerte er sich an den Unternehmer und vergrub sein Gesicht in dessen Schulter. Er war erleichtert, dass dieser Alptraum vorbei war und er ihn nie wieder erleben musste. Und vor allem war er froh, dass Leron jetzt bei ihm war um ihm beizustehen und ihm Halt zu geben. „Es tut mir leid, dass dir so etwas Furchtbares passieren musste. Aber es ist alles vorbei und Michael kann dir nie wieder etwas antun. Du brauchst ab jetzt keine Angst mehr haben.“ „Tut mir leid“, schluchzte Simon und vergrub seine Hände in das schwarze Jackett. „Ich bin… ich bin schmutzig…“ Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr beherrschen. Jetzt, nachdem er diesen Schreck überstanden und Leron endlich bei ihm war um ihn zu trösten, fühlte er sich einfach nur noch schwach und schaffte es nicht mehr, standhaft zu bleiben. Stattdessen wollte er einfach nur noch über das weinen, was passiert war. So wie er es getan hatte, als er das erste Mal seinen Körper verkauft hatte und sich danach so schäbig und benutzt vorkam. Doch jetzt war es anders. Er musste diese Dinge nicht mehr alleine durchstehen und „einfach darüber hinwegkommen und es akzeptieren“ so wie damals. Jetzt konnte er sich einfach fallen lassen und schwach sein, weil Leron da war, um ihn aufzufangen und ihm Halt zu geben. „Sag so etwas nicht“, sprach Leron beruhigend, auch wenn man ihm deutlich anmerken konnte, dass er selbst mit der Fassung rang, weil ihn diese Geschichte so sehr mitnahm. „Der Einzige, der schmutzig ist, das ist Michael und niemand anderes sonst. Er hat dir das angetan und er hat dir so viel Leid zugefügt.“ „Aber ich bin nur… eine Dreckshure und… ich…“ „Shhht“, flüsterte der Unternehmer beruhigend und streichelte zärtlich seinen Kopf. „Sprich nicht weiter. Was Michael gesagt hat, war nur sein abfälliges Gerede, um sich daran aufzugeilen, dich zu erniedrigen. Und was er sagt, ist nicht dasselbe, was ich über dich denke. Selbst wenn du auf dem Strich anschaffen gegangen bist, hatte er nicht das Recht, dir solch schlimme Dinge anzutun. Nichts rechtfertigt das und du bist ein Mensch wie jeder andere auch. Und nichts, was er mit dir gemacht hat, ändert etwas an der Tatsache, dass ich dich liebe. Also hab keine Angst, dass ich dich abwerte oder denke, dass du schmutzig bist. Sobald es dir wieder besser geht, werde ich dafür sorgen, dass du dich nie wieder beschmutzt fühlen musst.“ Leron hielt das kleine Häufchen Elend fest in seinen Armen und ließ ihn weinen. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie oft sich der Junge in den letzten Jahren so gefühlt hatte und sich jedes Mal verboten hatte, diese Gefühle zuzulassen, nur um nicht schwach zu sein. Immerzu hatte er ganz alleine gekämpft und nun, da er dies erleben musste, konnte er nicht mehr den Starken spielen. Vielleicht wollte er das ja auch gar nicht, weil er es leid war, immer alles alleine zu schultern, alleine zu leiden und alleine damit klar zu kommen. Und das konnte auch eine heilsame Erfahrung sein: zu wissen, dass er auch in solchen Situationen nicht alleine war und diese Last nun mit jemandem teilen konnte. „Hey, es wird alles gut“, tröstete er ihn. „Ich bin ja bei dir und Cypher hat überlebt. Und glücklicherweise war Hunter da, ansonsten wäre… Naja… Es ist noch sehr glimpflich ausgegangen.“ Ganz im Gegensatz zu Jordan und seiner Familie und ein paar anderen Menschen, die Michaels Amoklauf zum Opfer gefallen waren. Wie sich herausgestellt hatte, war sein ältester Bruder schlau genug gewesen, um einen Privatdetektiv anzuheuern, um Simon wiederzufinden, nachdem er festgestellt hatte, dass die Villa verlassen war. Und dieser hatte ihre Spur bis zu Cyphers Haus verfolgt und als Michael durchgedreht und seine Freundin und die Familie seines Bruders getötet hatte, war der Detektiv der nächste Tote gewesen, nachdem er Michael die Adresse genannt hatte. Und auf dem Weg zu der ehemaligen Fabrik hatte sein ältester Bruder noch einen Autofahrer und dessen Begleitung erschossen, nachdem sie ihn versehentlich mit dem Auto geschnitten hatten und dann waren ihm noch drei Passanten zum Opfer gefallen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Insgesamt waren elf Menschen zu Tode gekommen und lediglich ein Wunder und eine gute Reaktion hatten Cypher das Leben gerettet. Simon selbst war aufgrund der Tatsache, dass Hunter ihn vorsorglich außer Gefecht gesetzt hatte, nicht noch weiter zu Schaden gekommen. Sein Zustand war zwar nicht lebensbedrohlich, aber dennoch besorgniserregend gewesen. Der Schlag hatte es ziemlich in sich gehabt und die Wunde musste mit sieben Stichen genäht werden. Ganz zu schweigen von den Verletzungen, die er durch die Vergewaltigung erlitten hatte. Wahrscheinlich hätte er noch mehr Blut verloren oder hätte sich noch anderweitig verletzt, wenn er in diesem Zustand noch weiter herumgelaufen wäre. Nach Hunters Aussage hatte der Junge schwer unter Schock gestanden und hatte auf gar nichts mehr reagiert und auch nicht mit sich reden lassen. Immer wieder hatte er gesagt gehabt „Mir geht es gut, ich will nur duschen gehen. Ich fühle mich schmutzig…“ Und da er ohnehin schon genug am Kopf abgekriegt hatte, wollte sein Retter ihn lieber nicht bewusstlos schlagen, sondern hatte zwei von seinen Schlaftabletten in den Eistee gegeben und behauptet, es sei gegen Kopfschmerzen. Simon hatte es ohne zu zögern getrunken und war kurz darauf eingeschlafen. Danach war er knapp 18 Stunden bewusstlos gewesen. Leron erinnerte sich noch gut dass diese 18 Stunden die längsten seines ganzen Lebens gewesen waren. „Wie lange muss ich noch hier bleiben?“ fragte Simon, nachdem er sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. „Die Ärzte wollen dich noch ein paar Tage hier behalten. Erst mal nur eine Woche, je nachdem wie gut alles verheilt. Außerdem kannst du dich hier von diesen schlimmen Dingen ausruhen. Aber keine Sorge, ich werde dich jeden Tag besuchen kommen und bei dir sein, wenn du es möchtest.“ Ein stummes Nicken kam zur Antwort, gefolgt von einem letzten leisen Schluchzer, bevor sich Simon wieder von ihm löste und sich die Tränen wegwischte. Er sah immer noch sehr erschöpft und müde aus und war sehr blass. Aber zumindest hatte er sich wieder etwas beruhigt und schien sich auch erst mal keine Gedanken mehr darum zu machen, dass er abstoßend oder beschmutzt war, nachdem Michael ihn vergewaltigt hatte. Zumindest fürs Erste und das war schon mal tröstlich. Schließlich suchten Simons schneeweiße Augen wieder sein Gesicht, als er wieder eine Frage stellte. Eine, die ihn jetzt ganz besonders quälte: „Was ist mit Hunter? Werden sie ihn jetzt etwa einsperren? Er hat Michael doch nur deshalb erschlagen, weil er mir wieder etwas antun wollte.“ Zwar hatte er dieses mordlustige Funkeln in Hunters Augen gesehen, welches er schon einmal bei Leron gesehen hatte, doch er weigerte sich zu glauben, dass Hunter Michael aus purer Bosheit und Sadismus erschlagen hatte, auch wenn es danach ausgesehen hatte. Als Leron diesen Blick gehabt hatte, wollte er die Person, die ihm am wichtigsten war, vor den Grausamkeiten seines Bruders beschützen. Und deshalb konnte es auch nicht anders bei Hunter sein. Dieser hatte Michael mit der Absicht getötet, jene Menschen zu beschützen, die ihm wichtig waren und nicht, weil er einfach nur den Drang verspürte, jemanden umzubringen. Immerhin hatte Hunter es geschafft, sich ganz von alleine wieder unter Kontrolle zu bringen. Wahrscheinlich, indem er sich selber Schmerzen zugefügt hatte, um wieder klar im Kopf zu werden. Somit hatte er erfolgreich verhindert, dass er durchdrehte und auf jemand anderen losging, so wie es Leron beinahe passiert wäre. „Keine Sorge“, beruhigte Leron ihn. „Ich habe ihm den besten Anwalt geholt, den ich kriegen konnte und der wird ihm helfen.“ „Ansonsten kann ich auch eine Aussage machen“, bot Simon sofort an. Den Gedanken, dass Hunter vielleicht ins Gefängnis musste oder in einen Prozess verwickelt werden könnte, nur weil dieser ihn vor diesem Verrückten retten wollte, konnte er nicht ertragen. „Michael hat gesagt gehabt, dass er mich umbringen wird, wenn ich nicht bei ihm bleibe und ich habe nach Hunter gerufen. Und als er sah, dass Michael…“ „Schon gut, ich glaube dir auch so. Die Polizei wird später kommen, um dich zu befragen. Aber mach dir keine allzu großen Sorgen um andere, kümmere dich erst einmal um dich. Das ist jetzt das einzig Wichtige, was zählt.“ Simon nickte lag noch eine Weile in Lerons Armen, bis er sich vollkommen entspannt hatte und dann wieder eingeschlafen war. Und das, obwohl er knapp 18 Stunden lang ohne Bewusstsein war. Aber andererseits war dieses Erlebnis für ihn sehr nervenaufreibend gewesen, da war es kein Wunder, wenn er immer noch so erschöpft war. Nachdem Simon wieder tief und fest schlief und Leron ihn vorsichtig hingelegt und zugedeckt hatte, verließ er das Krankenzimmer und stattete Cypher einen Besuch ab. Dieser lag immer noch auf der Intensivstation, aber sein Zustand war zumindest stabil und er würde sich von dieser Geschichte erholen. Leron hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, dass großes Glück und gute Reflexe Cypher das Leben gerettet hatten. Mehrere Schüsse aus nächster Nähe mit einer solchen Pistole hätten tödlich sein können, doch Cypher hatte geistesgegenwärtig genug reagiert, um seinen Kopf und seinen Oberkörper zumindest halbwegs mit den Armen zu schützen und sich zu ducken. Die Kugel, die eigentlich seinen Kopf hätte treffen müssen, hatte seinen Unterarm durchdrungen und seinen Kopf lediglich gestreift. Und so waren auch keine lebenswichtigen Organe verletzt worden. Nun gut, der Bauchschuss hatte es in sich gehabt und war auch gefährlich gewesen, doch sowohl er als auch Hunter hatten ihr Bestes gegeben, um die Blutung möglichst gering zu halten, bis der Notarzt eingetroffen war. Es war, als ob die beiden für solche Fälle tatsächlich vorbereitet gewesen waren. Als er das Zimmer erreichte, wo Cypher lag, fand er diesen an ein EKG angeschlossen vor. Er war längst wieder bei Bewusstsein, nachdem die Operation ein wenig länger gedauert hatte als erwartet. Sein Arm war bandagiert und er wirkte alles andere als gesund, aber zumindest wesentlich besser als gestern, als Leron ihn das erste Mal besucht hatte. „Hey, alles im grünen Bereich bei dir?“ grüßte er ihn und hob dabei seinen unversehrten Arm, der allerdings am Tropf hing. Auch wenn er ihn mit einem freundschaftlichen Lächeln begrüßte, sah man ihm an, dass er schon wesentlich bessere Tage gesehen hatte. „Ist Simon immer noch bewusstlos?“ „Nein, er ist vorhin aufgewacht und war erst mal ziemlich mit den Nerven durch, dann ist er wieder eingeschlafen. Ich glaube, der tut ihm auch ganz gut. Und wie geht es dir?“ „Den Umständen entsprechend“, antwortete der Künstler ehrlich. „Ich bin zwar auch die meiste Zeit nur am Pennen, aber wahrscheinlich liegt es auch an dem Morphium, das die mir gegen die Schmerzen verabreichen. Fit sieht zwar anders aus, aber das wird schon wieder. Ich hoffe nur, dass Hunter keinen Ärger mit der Polizei kriegt.“ „Keine Sorge, ich habe ihm einen Anwalt besorgt und der holt ihn schon wieder raus. Hey, ich wollte dir noch mal sagen, dass es mir wirklich leid tut, dass ihr in diese ganze Sache reingezogen wurdet und du hier liegst.“ Doch dieser winkte nur ab und schüttelte den Kopf. „Ist doch nicht deine Schuld, dass es passiert ist. Dein Psycho-Bruder ist durchgedreht und hat Leute abgeknallt und nicht du. Und mal ganz ehrlich: man kann sich die Familie halt nicht aussuchen. Bei so einem Bruder würde ich mich auch schämen. Wichtig ist doch, dass wir leben und die Verletzungen werden verheilen. Ein zerstörtes Leben kann man hingegen nicht wieder kitten.“ Ja, das stimmte wohl, aber trotzdem fühlte sich Leron verantwortlich dafür, dass alles so weit kommen musste. Wenn er geahnt hätte, dass Michael urplötzlich so durchdrehte dann hätte er Simon nicht länger bei den beiden gelassen und ihn stattdessen irgendwo anders in Sicherheit gebracht. Als könnte sein Gegenüber seine Gefühle erraten, streckte er seine Hand aus und schnippte ihm gegen die Stirn. „Mach dir keine Gedanken, was du hättest tun können. Der Typ hatte einen totalen Anfall gehabt und da hätte niemand ihn aufhalten können. Wenn einer aus der Cohan-Familie erst einmal die Kontrolle verliert, ist es fast unmöglich, ihn wieder aufzuhalten, ohne ihn umzubringen. Und ich glaube, du hattest es auch nicht gerade einfach mit ihm, oder? Also zerbrich dir mal nicht den Kopf darüber, was hätte besser laufen können sondern sei froh, dass Simon nichts Schlimmeres zugestoßen ist. Stell dir mal vor, Hunter wäre nicht da gewesen. Dann hätte dein Bruder Simon höchstwahrscheinlich entführt und irgendwo versteckt und das wäre wahrscheinlich nicht gut ausgegangen. Viel eher tut es mir für dich leid, weil du deine beiden Brüder und dann auch noch deine Schwägerin und deine Nichten verloren hast. Hast du schon mit deinem Vater gesprochen?“ Leron schüttelte den Kopf. Nein, er hatte es vermieden mit seinem Vater zu reden. Er wusste nämlich genau, was dann passieren würde. Dieser würde ihm den Konzern aufs Auge drücken und versuchen, wieder über sein Leben zu bestimmen. Und genau darauf hatte er jetzt keine Lust. Nicht wo er gerade dabei war, sein eigenes Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und an sich selbst und seiner mentalen Gesundheit zu arbeiten. Dass seine Brüder tot waren, störte ihn nicht im Geringsten. Für ihn war es eher ein Segen gewesen, weil er zwei große Probleme weniger hatte. So konnte er endlich mit seiner Vergangenheit abschließen und er brauchte auch nicht mehr in der Sorge zu leben, dass seine Brüder ihm oder Simon etwas antun konnten. „Na dann“, sagte er schließlich. „Ich werde nachher mit dem Anwalt sprechen und hören, wie der Fall mit Hunter aussieht.“ „Ich hoffe es geht alles gut“, murmelte Cypher und man sah ihm deutlich die Besorgnis an. „Ich weiß ja, wie er auf andere wirkt und dass er sehr große Probleme mit fremden Menschen hat, macht es nicht leichter für ihn. Das führt oft dazu, dass die Menschen ihn schnell verurteilen und denken, er sei genauso wie der Rest seiner Familie. Als seine Großeltern ihn in die Klinik eingewiesen haben, hat er kein einziges Wort gesprochen, bis wir einander kennen gelernt haben. Bei Gesprächen habe ich ihn immer unterstützt und auch für ihn gesprochen, weil ich immer verstanden habe, was er wollte, ohne dass er mir je etwas sagen musste. Ich habe halt die große Sorge, dass er nun, da ich nicht bei ihm bin, nicht vernünftig mit den Polizisten reden kann und die dann glauben, er hätte diesen Kerl absichtlich getötet.“ „Hat er das?“ fragte Leron vorsichtig. „Simon hat zwar beteuert, dass Hunter es getan hat, um ihn zu beschützen, aber ich kenne Simon. Als ich seinen beunruhigten Gesichtsausdruck sah, konnte ich mir denken, dass er bei Hunter etwas Ähnliches gesehen hat wie bei mir, als ich Michael angegriffen habe. Nicht, dass ich Hunter irgendetwas unterstellen will. Aber… er ist ein Cohan, genauso wie ich.“ Cypher nickte und verstand, was sein Gegenüber sagen wollte. Und er musste zugeben, dass auch er ähnliche Sorgen gehabt hat. „Hunter hat sich immer unter Kontrolle, auch wenn wir beide wissen, dass seine sadistische Veranlagung und sein Drang nach Gewalt stärker ausgeprägt sind als beispielsweise bei dir. Deshalb lässt er starke Emotionen nicht zu. Aber als er mich sah, hatte er es nicht geschafft, seine Gefühle zu unterdrücken und ich hatte versuchen wollen, ihn zu beruhigen, aber da hörten wir auch schon Simon schreien. Ehrlich gesagt hatte ich selbst Angst, dass Hunter sich nicht mehr im Griff hat. Aber letzten Endes hat er es geschafft, sich selbst wieder zu beruhigen, indem er sich selbst Schmerzen zugefügt hat, um wieder klar zu werden. Ich denke zwar, dass er eine rasende Wut auf deinen Bruder gehabt hat und ihn wirklich töten wollte, weil ich und Simon verletzt waren. Aber ich denke nicht, dass er total kopflos war und in blinde Raserei verfallen ist. Ansonsten hätte er mehr als nur einmal zugeschlagen.“ Das war ein gutes Argument. Wenn er in dieser Lage gewesen wäre, dann hätte er so oft mit dem Hammer auf Michaels Kopf eingeschlagen, bis nichts mehr davon übrig gewesen wäre. Und letzten Endes hatte das ihn wahrscheinlich vor einer Gefängnisstrafe bewahrt. Leron kannte sich nicht so gut mit den Gesetzen aus, aber selbst er wusste, dass es nicht mehr als Notwehr zählte, wenn man mehr als einmal auf jemanden einschlug. Das wäre definitiv Totschlag gewesen und hätte Hunter mit Sicherheit ins Gefängnis gebracht. Trotzdem wunderte es ihn, dass dieser immer noch bei der Polizei war. „Ich glaube auch, dass Hunter sich trotz allem noch unter Kontrolle gehabt hat. Und wegen seiner Probleme solltest du dir keine Sorgen machen. Mein Anwalt ist bei ihm und ich werde selbst noch mal nach dem Rechten sehen. Wenn ich etwas Neues weiß, wirst du der Erste sein, der es erfährt. Sieh nur zu, dass du dich erholst.“ „Danke!“ Da Cypher nach der gestrigen Operation noch viel Ruhe brauchte, verabschiedete sich Leron fürs Erste und machte sich auf dem Weg zum Polizeipräsidium in der Hoffnung, dass Hunter bald wieder gehen durfte. Was Leron zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnte war, dass in diesem Moment, wo er auf dem Weg zu Hunter war, jemand Simons Zimmer betrat, um ihm einen Besuch abzustatten. Der 21-jährige wachte schlagartig auf, als er hörte, wie sich die Tür schloss und ruckartig setzte er sich auf. Der Mann, der hereinkam, war ein untersetzter Mann von knapp 70 Jahren, dessen Haar zurückgekämmt war. Er trug einen maßgeschneiderten teuren Anzug und seine Miene war von Ernst und Unnachgiebigkeit gezeichnet. Verwirrt sah Simon ihn an und verstand nicht so wirklich, wer dieser Mann war und was dieser von ihm wollte. In Begleitung hatte er noch einen etwas jünger wirkenden Mann, ebenfalls im Anzug, der zudem Brillenträger war und kurzes blondes Haar hatte. Simon hatte diese beiden Leute noch nie gesehen und wusste nicht, was sie von ihm wollten. Polizisten waren es jedenfalls nicht. „Schönen guten Tag, sind Sie Simon Cavanaugh?“ grüßte ihn der ältere Mann, reichte ihm aber nicht die Hand, sondern gedachte ihn mit einem Blick, den Simon nur zu gut kannte. Es war ein herabwürdigender und verächtlicher Blick, den er von so vielen Menschen wegen seiner Augen bekam. Und auch sie hatten es vermieden, ihm die Hand zu geben, weil sie wohl dachten, er hätte irgendeine ansteckende Krankheit. Der alte Mann nahm auf dem Stuhl Platz, wo zuvor Leron gesessen hatte und faltete die Hände, als wolle er ein sehr wichtiges Gespräch beginnen. Der blonde Brillenträger blieb neben ihm stehen, sagte aber kein einziges Wort. Dafür aber stellte der alte Mann sich und seinen Begleiter vor. „Mein Name ist Lionel Evans und das ist mein Anwalt Mr. Fincher.“ Lionel Evans? Simon brauchte nicht lange nachzudenken, bis es bei ihm klingelte. „Sie sind der Vater von Leron?“ „Ganz recht. Und bedauerlicherweise ist auch Michael mein Sohn. Ich möchte mein Beileid aussprechen für das, was Sie durchmachen mussten.“ Soso, er wollte sein Beileid ausdrücken? Irgendwie hatte er seine Zweifel, ansonsten hätte der Kerl sicherlich keinen Anwalt mitgebracht. Also fragte er auch direkt „Warum sind Sie wirklich hier?“ Lionel räusperte sich und umfasste seinen Gehstock. „Nachdem zwei meiner Söhne ums Leben kamen, wird mein jüngster Sohn Leron zum Nachfolger und alleinigen Erben des Evans Konzerns werden. Da er erwähnte, dass er in einer speziellen Beziehung sei und Michael ein besonderes Interesse an Ihnen zeigte, gehe ich wohl recht in der Annahme, dass Sie mit meinem jüngsten Sohn in einer Beziehung sind.“ Zögernd nickte er und ihm gefiel irgendwie nicht, wie sich das Gespräch langsam aufbaute. So wie er diesen Lionel einschätzte, war dieser jedenfalls nicht hier, um ihn als Teil der Familie willkommen zu heißen. Doch er wartete ab um zu sehen, was dieser Kerl von ihm wollte. Der Geschäftsmann ließ auch nicht lange auf eine Antwort warten und erklärte „Wie Sie sicherlich verstehen werden, ist die Zukunft unseres Familienunternehmens entscheidend von Leron. Als letzter lebender Sohn ist er in der Verpflichtung, die Leitung des Konzerns zu übernehmen und diese eines Tages an seine eigenen Nachkommen weiterzuvererben. Und Sie können sich sicherlich vorstellen, dass sich dieser letzte Punkt sehr schwer realisieren lässt, wenn keine Nachkommen folgen. Nicht nur das. Mein Sohn hat ein Image zu bewahren und es kann sich als überaus problematisch erweisen, wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass er in einer Beziehung mit einem so jungen Burschen ist wie Ihnen. Wie alt sind Sie eigentlich?“ „21 Jahre.“ „Und als was arbeiten Sie?“ „Ich arbeite für Leron.“ „Das ist keine genaue Antwort auf meine Frage.“ „Wird das etwa ein Verhör?“ fragte Simon misstrauisch und spürte, dass dieser Mann ihm noch gefährlich werden könnte. Denn er war nicht blöd und wusste genau, dass Lionel ihn gerade aushorchte und nach einem genauen Grund suchte, um sich in die Beziehung zwischen ihm und Leron einzumischen. „Dann gehe ich also davon aus, dass Sie entweder keiner Arbeit, oder aber einer unlauteren Beschäftigung nachgehen, die Sie nicht zu nennen gedenken“, schlussfolgerte Lionel trocken und nickte seinem Anwalt zu. Dieser kam zu Simon und hob einen Aktenkoffer hoch. Als er diesen öffnete, fand er haufenweise Geldbündel vor. Es musste ein Vermögen sein. „Sie werden sicherlich verstehen, dass Leron es sich in seiner jetzigen Situation nicht erlauben kann, sich irgendwelche Fehltritte zu erlauben, die einen Skandal bedeuten können. Denn das könnte nicht nur seinem Ruf, sondern auch dem der Firma schaden und sein gesamtes Leben zerstören. Wollen Sie das verantworten, Mr. Cavanaugh? Sie mögen mich für herzlos halten, aber ich will sicherstellen, dass der Ruf meines Sohnes nicht durch irgendjemanden gefährdet wird, der irgendeiner äußerst fragwürdigen Tätigkeit nachgeht und eine Gefahr für unsere Familie darstellt.“ „Ist das nicht eigentlich Lerons Entscheidung?“ fragte Simon nun und setzte sich ganz auf. „Er ist alt genug, um selbst zu entscheiden, was er will und was nicht.“ „Leron denkt nicht an die Konsequenzen seines Handelns und die Sicherheit der Firma steht auf dem Spiel. Hunderte von Menschen können ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn der Ruf des Konzerns zerstört wird. Auf ihn lastet nun eine viel größere Verantwortung als zuvor und darum muss auch er lernen, entsprechend Opfer zu bringen. Sie sind noch zu jung, um das zu verstehen, Mr. Cavanaugh. Wie viel hat mein Sohn Ihnen an Geld geboten?“ „Wie bitte?“ fragte er fassungslos und konnte nicht glauben, was er da hörte. Er kam sich irgendwie ziemlich erbärmlich vor, insbesondere weil er diesem Lionel nicht einmal deutliche Widerworte geben konnte. Es stimmte ja, Leron hatte ihm Geld geboten und er war anschaffen gegangen. Aber wenn er das erzählte, würde das nur noch mehr Öl ins Feuer gießen und er konnte diesem Kerl nichts mehr entgegensetzen. „Wollen Sie mich etwa auszahlen, damit ich mich von Leron fernhalte?“ „Sie täten gut daran“, mahnte Lionel ihn. „100.000$ sind nicht sonderlich wenig. Sie werden diese Beziehung auf der Stelle beenden und sich von meinem Sohn fernhalten. Oder aber es könnte noch sehr unangenehm für Sie werden, Mr. Cavanaugh. Ich weiß nicht, wie Leron darauf gekommen ist, sich mit einem Jungen wie Ihnen abzugeben, aber ich lasse nicht zu, dass Sie das Lebenswerk unserer Familie zerstören. Ansonsten werde ich Sie zerstören.“ Das war doch glatte Erpressung. Wut stieg in Simon auf und am liebsten hätte er den Koffer gepackt und ihn vor Lionels Füße geworfen. Aber aufgrund seiner derzeitigen Verfassung kam das nicht infrage und so entschied er sich für einen Gegenangriff. Was hatte er denn zu verlieren? Leron hatte doch sowieso gesagt, dass er daran dachte, die Firma zu verkaufen um sich von seiner Familie endgültig loszulösen. Und er wollte sich auch nicht mehr wie jemand behandeln lassen, der käuflich war. „Lebenswerk Ihrer Familie? Wohl eher Ihr persönliches Lebenswerk. Sie interessieren sich doch nur für Ihre Geschäfte, aber Ihre eigene Familie ist Ihnen scheißegal. Sie haben zugelassen, dass Ihr ältester Sohn solche Dinge tut und haben alles vertuscht, nur um einen Skandal zu vermeiden. Und anstatt, dass Sie ihn in die Klapse gesteckt haben, haben Sie ihn immer weitermachen lassen, bis er durchgedreht ist und elf Menschen umgebracht, mich zum zweiten Mal vergewaltigt und dann noch Cypher schwer verletzt hat. Und Leron wurde als Kind von diesem Psychopathen missbraucht und leidet unter Schizophrenie. Wann waren Sie denn mal ein Vater für ihn? Da brauchen Sie sich jetzt auch nicht damit aufspielen, dass sie jetzt einer sind. Sie interessiert doch nur das Geld und mehr nicht. Ist doch kein Wunder, dass Ihr ältester Sohn so geworden ist und warum Leron schizophren wurde. Was kommt denn als nächstes? Dass seine Mutter in Wahrheit eine Verrückte war? Leron quält sich die ganze Zeit damit herum, dass er plötzlich anfing, von seiner Mutter zu halluzinieren, die ihn aufgefordert hat, seinen Bruder umzubringen. Die ganze Familie hat doch einen Knall!“ Hier auf einmal veränderte sich Lionels Gesichtsausdruck plötzlich und nahm etwas an, das man fast als Schock deuten konnte. Die Fassade des kaltherzigen Geschäftsmannes war augenblicklich zusammengestürzt, als Simon das mit den Halluzinationen erzählte und da der 21-jährige bezweifelte, dass sich die Reaktion auf Lerons Krankheit bezog, vermutete er, dass sie der Tatsache galt, dass die Halluzination Lerons tote Mutter war. Irgendwie schien er in einen wunden Punkt bei Lionel getroffen zu haben und so fragte er nach „Kann es sein, dass Lerons Mutter nicht die liebevolle Person war, als die er sie eigentlich in Erinnerung hat?“ Der alte Mann schwieg und verengte dabei die Stirn. Etwas Ernstes und Mahnendes lag in seinem Blick. „Sie sollten aufpassen, was Sie sagen. Seine Mutter war die einzige Bezugsperson für ihn. Wollen Sie ihm das wirklich nehmen und seine Illusion zerstören, indem Sie erzählen, dass seine geliebte Mutter eine sadistische Mörderin war so wie sein ältester Bruder? Wollen Sie ihm wirklich diesen Schmerz zumuten? Ich warne Sie noch mal ausdrücklich, Mr. Cavanaugh. Treiben Sie es nicht zu weit oder Sie werden in dieser Stadt keinen Fuß mehr fassen können. Ich habe meine Mittel und ich werde mir das, was von meiner Familie übrig geblieben ist, nicht durch einen dahergelaufenen Rotzbengel wie Ihnen kaputt machen lassen! Denken Sie noch mal sehr genau über mein Angebot nach. Ansonsten wird es Sie teuer zu stehen bekommen.“ Damit klappte der Anwalt den Koffer wieder zu und so verließen Lionel Evans und Mr. Fincher das Krankenzimmer. Zurück blieb allein Simon, der sich nun völlig verunsichert und hilflos vorkam und nicht wusste, was er jetzt tun sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)