The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 26: Im Auge des Sturms ------------------------------ Am nächsten Morgen erwachte Simon erst spät und verpasste damit das Frühstück. Doch netterweise hatte Cypher für ihn separates vorbereitet, welcher momentan mit Hausarbeit beschäftigt war. Es gab ein belegtes Brötchen, Spiegelei mit Speck und frisch gepressten Saft. Der 25-jährige Künstler summte gut gelaunt vor sich hin, während er ein wenig Ordnung machte. Ihn so zu sehen, ließ Simon schmunzeln und scherzhaft fragte er „Hattest du gestern guten Sex oder warum bist du so gut gelaunt?“ Cypher prustete vor Lachen, als er das hörte. „Oh Mann, der war gut! Nein, wir bekommen heute Besuch von Ezra. Er ist so etwas wie unser kleiner Schützling und er kommt ab und zu mal zu Besuch, wenn er Lust dazu hat. Er ist quasi so etwas wie Hunters Pflegebruder und bis jetzt seine engste Bezugsperson. Und da er ins gleiche Kloster kam wie ich, verbindet das halt irgendwie.“ Ein Pflegebruder also. Simon hörte interessiert zu und wollte natürlich mehr wissen. Wie er schließlich erfuhr, war dieser Ezra knapp 16 Jahre alt, aber aufgrund der Tatsache, dass er gerade mal 1,60m groß war, wirkte dieser noch wesentlich jünger. Simon stutzte, denn er selbst war ja nicht sonderlich groß, aber dieser Ezra sollte noch kleiner sein? Kaum vorstellbar. „Und wie ist er so vom Charakter her?“ „Sehr schwierig“, gestand der Künstler mit einem verlegenen Lächeln. „Er ist halt in der Pubertät und in einem schwierigen Alter. Er ist sehr dickköpfig und nicht gerade zugänglich. Außerdem hat er ein paar Angewohnheiten, die man ihm bis heute kaum abtrainieren konnte.“ „Angewohnheiten?“ „Als er ins Kloster kam, war er knapp zehn Jahre alt und ziemlich verwildert. Über seine Vergangenheit ist nicht viel bekannt, aber er hatte sich zu Anfang wie ein Tier verhalten. Deshalb vermuten die Mönche, dass er mit Tieren aufgewachsen ist und zu ihnen einen deutlich engeren Bezug hatte, als zu seinen Eltern. Falls die sich überhaupt um ihn gekümmert haben. Obwohl Bruder Benedict und die anderen sich sehr mit ihm bemühen, hat Ezra bis heute noch ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu anderen Menschen und ist sehr antisozial. Lediglich zu Hunter hat er einen engen Bezug, weil sie beide Tierfreunde sind und er und Hunter eher der schweigsame Typ ist. Ezra kann halt nicht gut mit Menschen umgehen, die eine direkte oder temperamentvolle Art haben, da kriegt er schnell Angst und wird aggressiv. Auch Berührungen kann er ganz und gar nicht ab. Deshalb rate ich dir lieber, ihm nicht zu nahe zu kommen oder ihn anzufassen. Ezra beißt manchmal.“ Simon starrte ihn an und dachte zuerst, es sei ein Scherz gewesen. Doch offenbar meinte Cypher es wirklich ernst. Hunter hatte also eine Art Pflegebruder, der anscheinend von Tieren aufgezogen wurde wie Mogli aus dem Dschungelbuch und der selbst nach Jahren noch Menschen biss? Die beiden hatten wirklich komische Leute in ihrem Umfeld. „Und wieso ist er nicht in ein Waisenhaus gekommen?“ „Haben sie zunächst versucht, aber Ezra hat ständig die anderen Kinder gebissen und sich geprügelt. Man dachte, dass ihm die strenge Klostererziehung helfen würde, aber er hat selbst nach Jahren noch eine ziemlich stark ausgeprägte Sozialphobie. Hunter hat ihm schließlich ein Praktikum in einem Tierheim besorgt, damit er auf diese Weise etwas sozialer wird. Also wundere dich nicht allzu sehr, wenn er etwas schroff reagiert. Eigentlich ist er ganz süß, aber er hat nach wie vor Angst vor Menschen.“ „Oh, okay…“ Nachdem Simon sein Frühstück beendet hatte, bot Cypher ihm an, zusammen mit ihm ins Atelier zu gehen um ihm ein paar von Hunters Arbeiten zu zeigen. Und da der 21-jährige momentan ohnehin nichts anderes zu tun hatte, nahm er das Angebot gerne an. Zur Sicherheit fragte er aber „Ist es überhaupt in Ordnung, dass wir Hunter stören?“ „Ach, das ist halb so wild. Hunter ist eh nicht da. Er geht Ezra abholen und wollte ein wenig mit ihm reden. Der Bengel hat sich mal wieder Ärger eingefangen und Bruder Jonathan hatte mich gebeten, ob wir ihm nicht mal ein wenig gut zureden können. Auf Hunter hört er zumindest.“ Mit Sicherheit war es nicht sonderlich einfach mit so einem Jungen. Vor allem nicht wenn er die ersten zehn Jahre so verwahrlost gelebt hatte. Aber ob ausgerechnet Hunter ein guter Ansprechpartner war, da war sich Simon nicht so wirklich sicher, immerhin war dieser auch ziemlich antisozial eingestellt. Naja, es war auch nicht seine Angelegenheit und so wie er die beiden eigenwilligen Künstler bisher kennen gelernt hatte, schienen die beiden recht verantwortungsvolle Menschen zu sein. Als sie das riesige Atelier betraten, welches auch gleichzeitig als Werkstatt für Hunters Arbeiten fungierte, staunte Simon nicht schlecht, als er die kunstvollen Figuren sah, die entweder aus Marmor, oder aus Holz gefertigt waren. Eine Figur weckte sein Interesse ganz besonders. Sie stellte zwei Menschen dar, die einander im Arm hielten. Sie war wirklich schön und man sah auch deutlich, dass Hunter sehr viel Arbeit hineingesteckt hatte. Cypher gesellte sich zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das war Hunters Geschenk zu unserem sechsten Jahrestag. Wir wollten sie in den Eingangsbereich stellen, aber bisher sind wir noch nicht dazu gekommen.“ „Dann soll die Figur euch beide darstellen?“ Ein Nicken kam zur Antwort Simon sah, wie sein Blick bekam etwas sehr Schwärmerische annahm. Man merkte ihm deutlich an wie vernarrt er eigentlich in Hunter war. Bei den beiden musste es damals ja richtig gefunkt haben, dass sie selbst nach sechs Jahren noch so verliebt ineinander waren. Ein leises verträumtes Seufzen folgte, bevor er schließlich im Vertrauen gestand „Ich hatte mir schon öfter mal überlegt, ob wir nicht irgendwann mal über was Ernsteres nachdenken sollten. So wie es aussieht, werden wir so schnell nicht auseinanderkommen und wenn wir erst mal verheiratet wären, dann wäre vieles wesentlich unkomplizierter.“ „Wie meinst du das?“ „Falls einem von uns etwas zustoßen sollte, kann der andere nichts machen“, erklärte der 25-jährige schulterzuckend. „Ich dürfte dann nicht mal zu ihm, wenn es ihm schlecht gehen sollte. Ganz zu schweigen davon, dass eine Ehe allgemein Sicherheit schafft. Außerdem habe ich sonst niemanden und Hunter hat höchstens seine Großeltern, aber die sind auch schon alt. Problem ist aber leider, dass Hunter absolut allergisch auf Veranstaltungen mit vielen Menschen reagiert. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen oder wenn viele Menschen da sind. Das packt er ziemlich schlecht und deshalb habe ich dieses Thema bisher noch nicht angesprochen. Aber irgendwann will ich es tun und wenn wir halt eine ganz kleine Hochzeit haben, in der nur wir beide anwesend sind. Auf große Partys stehe ich ja auch nicht so wirklich.“ Heiraten… Simon hatte noch nie so wirklich über so etwas nachgedacht. Warum auch? Bis jetzt hatte er auch nicht die Perspektive gehabt, dass so etwas jemals infrage kommen würde. Vor allem weil er immer gedacht hatte, dass ihn sowieso niemand wegen seiner Augen lieben könnte. Es hatte ihm nie so wirklich eingeleuchtet, warum es Leuten so verdammt wichtig war, ihren Partner zu heiraten. Aber nachdem er Cyphers Argumente gehört hatte, glaubte er es langsam zu verstehen. Die Ehe war auch eine Art Absicherung. Wenn irgendetwas passieren sollte, konnte der Partner die nötigen Entscheidungen treffen. Außerdem gab es einem auch das Gefühl, dass man zueinander gehörte und damit den letzten und endgültigen Schritt gegangen war, um diese Bindung zu festigen. Es war sowohl eine sachliche als auch eine emotionale Entscheidung. „Darf ich dich mal was fragen, Cypher?“ „Klar doch, was willst du wissen?“ „Wie hast du es eigentlich geschafft, damit umzugehen, dass dich die Menschen aufgrund deiner Augen und deiner Hobbys meiden? Macht dir das nicht irgendwie zu schaffen?“ Nun löste sich Cyphers Blick von der Figur und stattdessen ruhten seine leer wirkenden Augen auf Simon. Zuerst schien er ein wenig nachdenklich zu wirken, aber dann zuckte er gelassen mit den Schultern und erklärte mit einem Lächeln „Es war früher tatsächlich nicht einfach für mich. Ich hab mich ständig verstellt, um anderen Leuten zu gefallen und versucht, mich den anderen so gut es geht anzupassen. Und ich hab ziemlich oft Sachen mitgemacht, die ich eigentlich gehasst habe und das führte irgendwann dazu, dass ich mich selbst ziemlich verachtet und als Freak betrachtet habe. Im Grunde habe ich es Hunter zu verdanken, dass ich mich selbst akzeptieren konnte. Er hat mich quasi aus meiner Depression geholt. Damals, als ich in die Klinik kam, hat er nicht ein Wort gesprochen, seit seine Großeltern ihn eingewiesen haben. Und als ich ihn zum allerersten Mal sah, hatte ich sogar Angst vor ihm und dachte, er würde mich hassen. Ausschlaggebend für unsere jetzige Beziehung war eine Szene, als wir am Abend in der Gruppe diskutiert hatten, was für einen Film wir gucken wollen. Ich habe mich erst mal zurückgehalten und als zwei von uns einen Actionfilm vorgeschlagen haben, stimmte ich automatisch mit ein, obwohl ich Actionfilme wie die Pest hasse. Insbesondere Filme von Michael Bay. Aber ich wollte halt dazugehören. Und als Hunter gefragt wurde, sagte er einfach „Nein“, wobei er mich angeschaut hatte, als wolle er mir die Augen auskratzen. Ich hatte im ersten Augenblick totalen Schiss vor ihm und dachte, ich hätte ihn irgendwie beleidigt. Und dann fragte er mich plötzlich, was ich wirklich gucken wollte und da habe ich verstanden, was los war. Er hatte mir angesehen, wie zuwider mir Actionfilme waren und wollte mir helfen. Das war sozusagen unser magischer Moment gewesen und bis heute schauen wir uns an jedem Jahrestag den Film an, der uns quasi zusammengebracht hat.“ „Und welcher war das?“ „I Spit On Your Grave.“ Sehr romantisch, dachte sich Simon kopfschüttelnd, musste aber doch schmunzeln, denn es passte ja irgendwie zu den beiden. Trotzdem war es ziemlich schräg, sich an so einem romantischen Tag einen Film über ein Vergewaltigungsopfer anzusehen, welches blutige Rache an seinen Peinigern nimmt. Schließlich aber kam Cypher wieder auf die letzte Frage zurück: „Ich habe gelernt, dass es absoluter Bullshit ist, sich für andere zu verbiegen und vorzugeben, jemand zu sein, der ich nicht bin. Damit wird niemand glücklich. Du musst einfach Leute finden, die dieselben Hobbys teilen oder die kein Problem damit haben. Vor allem musst du lernen, stolz darauf zu sein, so wie du bist. Wenn du dich selbst so akzeptieren kannst wie du bist und du auch dahinter stehst, dann gibst du auch nicht mehr so viel auf die Meinung anderer Leute. Hört sich einfach an, aber ich bin froh, dass ich damals in die Klinik gegangen bin. Sonst hätte ich Hunter nicht kennen gelernt und würde immer noch langweilige Bilder zur Postmoderne malen.“ Damit tätschelte Cypher Simons Kopf und wandte seinen Blick wieder zu der Figur zu. Eine Weile standen sie schweigend da, bis es plötzlich laut klingelte und sie daraufhin das Atelier verließen. Cypher ging zur Haustür und kaum, dass er geöffnet hatte, schob sich auch schon eine kleine Gestalt hindurch, die Simon im ersten Augenblick fast für ein Mädchen hielt. Doch beim genaueren Hinsehen erkannte er, dass es sich um einen Jungen handelte. Sein dunkelbraunes langes Haar war zu einem Zopf zusammengebunden und er trug einen hellblauen Kapuzenpullover. Er war ziemlich klein geraten und zudem sehr dünn, was den Anschein nur bestärkte, dass es vielleicht ein Mädchen sein konnte. An seiner Hand hielt er eine Leine und brav folgte ihm ein ausgewachsener Rottweiler. Kurz darauf kam auch Hunter durch die Tür und entschuldigte sich kurz bei seinem Freund, weil er seine Schlüssel vergessen habe. Er wurde mit einem kurzen Kuss auf die Wange begrüßt und daraufhin widmete sich Cypher auch schon seinem zweiten Gast. „Ezra, das ist Simon, unser zweiter Gast. Er wohnt für eine Weile bei uns und es wäre schön, wenn ihr euch vertragt.“ „Hallo“, grüßte Simon und trat näher, doch Ezra warf ihm einen derart feindseligen Blick zu, dass der 21-jährige abrupt stehen blieb. Und dann sah er auch, wie der Junge die Leine umklammert hielt. Der Kleine schien tatsächlich Angst vor ihm zu haben. Darum hob er auch sofort die Hände um zu zeigen, dass er keine bösen Absichten verfolgte. „Schon gut, ich mach schon nichts Schlimmes“, versicherte er deshalb. „Freut mich, dich kennenzulernen.“ „Du stinkst“, entfuhr es Ezra schließlich, ohne dass er auf Simons Worte einging. Cypher runzelte überrascht die Stirn und roch selber an seinen Klamotten. „Kann vielleicht von der Farbe in meinem Atelier herrühren“, vermutete er. „Aber willst du Simon nicht mal wenigstens Hallo sagen?“ „Wozu?“ entgegnete der Junge bockig. „Interessiert mich einen Scheiß, was du willst! Lass mich in Ruhe, verdammt.“ Damit verschwand er zusammen mit dem Hund und weder Cypher noch Hunter machten Anstalten, ihn aufzuhalten oder ihn wegen seinem Verhalten zurechtzuweisen. Stattdessen seufzte der ältere Künstler geschlagen und verschränkte die Arme, woraufhin er von Hunter wissen wollte, was vorgefallen war. Dessen Miene verdüsterte sich und erklärte in knappen Worten, dass Ezra wieder einmal weggelaufen sei, nachdem man versucht hatte, ihn an eine Pflegefamilie zu vermitteln. Und dabei solle er auch versucht haben, Passanten in der Fußgängerzone zu beklauen. Cypher schüttelte darüber nur den Kopf und fragte sich laut „Ich würde gerne wissen, was ihn bloß dazu veranlasst hat, wieder wegzulaufen. Im Kloster scheint er ja ganz gut auszukommen, aber jedes Mal, wenn das Jugendamt ihn in eine Pflegefamilie steckt, dreht er am Rad und greift entweder seinen Pflegevater an oder er haut ab. Wieso ist er denn nicht zu uns gekommen? Er weiß doch, dass er jederzeit bei uns unterkommen kann.“ „Hatte er versucht, aber es war keiner da.“ „Naja, ist jetzt auch nicht mehr zu ändern. Ich schlage vor, du beschäftigst ihn erst einmal eine Weile. Vielleicht taut er ja etwas auf, wenn er dir bei der Arbeit helfen kann.“ Hunter nickte stumm und ging Ezra hinterher. Besorgnis zeichnete sich auf Cyphers Gesicht ab und er sah Hunter nachdenklich hinterher, wobei er leise „Schöne Scheiße“ murmelte. „Kommt er nicht gut mit Pflegefamilien zurecht“, hakte Simon vorsichtig nach, doch auch sein Gastgeber schien ein wenig ratlos zu sein. „Nicht wirklich. Er hält es nicht in Familien aus und haut jedes Mal sofort ab, sobald das Jugendamt meint, ihn in eine reinstecken zu müssen. Das Problem ist, dass er nicht ewig im Kloster bleiben kann und lernen sollte, mit anderen Menschen zusammenzuleben. Ezra braucht eine Familie, aber er sieht das halt anders. Der einzige Grund, den ich mir für sein Verhalten erklären kann, ist, dass er Angst vor Familien hat. Blöd nur, dass er sich an seine Vergangenheit nicht erinnern kann.“ „Hat er eine Amnesie?“ „Nee nicht ganz. Die Ärzte sprechen von Verdrängung. Er hat seine Erinnerung nicht verloren, aber er verdrängt sie, sodass er sich nicht bewusst erinnern kann. Und bisher hat er auch jeden Versuch abgeblockt, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Aber wahrscheinlich war es ohnehin nichts Angenehmes, was ihm widerfahren ist.“ „Und warum holt ihr ihn nicht zu euch?“ „Geht halt nicht“, erklärte Cypher und man konnte heraushören, dass er sich selber ein Stück weit darüber ärgerte. „Das Jugendamt will ihn in eine richtige Familie vermitteln. Ein gewisser Altersunterschied muss gegeben sein, damit der erzieherische Effekt dabei ist. Ich bin gerade mal neun Jahre älter und könnte höchstens sein Bruder sein. Außerdem ist Hunter selbst nicht der sozialste Mensch und das ist für die auch ein Ausschlusskriterium, genauso wie die Tatsache, dass wir auch nicht liiert sind. Da spielt es keine Rolle, wenn Hunter einen guten Draht zu ihm hat. Wenn Ezra nie in eine Familie kommt, wird er vermutlich nie wirklich in der Lage sein, ein normales Verhältnis zu anderen Menschen zu entwickeln. Aber wenn es nach ihm ginge, würde er am liebsten ein Dasein als Einsiedler in den Wäldern fristen. Wahrscheinlich würde er dann zu einem dieser seltsamen Wolfmenschen werden, über die man Dokumentationsfilme drehen.“ Allein… kein Vertrauen in die Menschen… Simon kannte das selber nur allzu gut. Er hatte auch nie wirklich jemandem vertrauen können. Selbst mit Leron hatte das eine Weile gebraucht, bis er ihm so weit vertraut hatte, dass er sich auf diese Beziehung mit ihm einlassen konnte. Dennoch fühlte er sich oft genug fremd in dieser Welt. Und wahrscheinlich ging es Ezra nicht anders. Auch er fühlte sich fremd unter Menschen und nicht dazugehörig. „Soll ich mal mit ihm reden?“ fragte er schließlich. „Ich glaube, ich kann gut verstehen, was er durchmacht.“ „Weiß nicht…“, murmelte der Künstler zögerlich. „Es hat allein schon bei Hunter zwei Monate gebraucht, bis er sein Vertrauen gewonnen hat. Du kannst es gerne versuchen, aber ich glaube nicht, dass es etwas bringen wird. Wenn es nicht Hunter ist, hört er gar nicht erst zu.“ Trotzdem brachte dieser ihn nach hinten in den Hof, wo Hunter gerade damit beschäftigt war, an einem Motorrad zu schrauben. Ezra hockte neben ihm, schaute ihm zu und reichte ihm hin und wieder Werkzeug, aber trotzdem sprach keiner von ihnen ein einziges Wort. Der Rottweiler trottete ein wenig umher, schnüffelte hin und wieder kurz und jagte hier und da mal ein paar Vögel auf. Kaum, dass er das Geräusch von Schritten wahrnahm, fuhr Ezras Kopf ruckartig hoch und kurz darauf stand er kerzengerade da. Dieses Verhalten erinnerte Simon ein wenig an einen Hund, der Gefahr witterte und sich bereit machte. Um ihn nicht noch mehr aufzuregen, ergriff Cypher als erstes das Wort und erklärte ihm, dass Simon ein sehr guter Freund von ihm sei und sich große Sorgen mache und in Ruhe mit ihm reden wollte. Doch hierauf verfinsterte sich der Blick des Jungen nur und er sah fast so aus, als wolle er instinktiv die Zähne fletschen wie ein Raubtier. „Ich hab dir doch gesagt, lass mich in Ruhe. Verpiss dich!“ „Ich will nur kurz mit dir reden und danach lasse ich dich auch in Ruhe“, versicherte Simon und hob beschwichtigend die Hände. „Was willst du mit mir bereden, ich kenne dich nicht mal und du mich auch nicht. Also was willst du von mir?“ „Ich habe gehört, dass du Probleme mit Menschen hast“, versuchte Simon zu erklären. „Ich kenne das selber. Ich war auch ganz alleine und habe niemandem vertraut. Aber nicht alle Menschen auf dieser Welt sind schlecht. Es gibt auch Menschen, denen man vertrauen kann und die auch für einen da sind, wenn man sie braucht.“ Der Rottweiler kam wieder zurückgelaufen, nachdem er wohl mitbekommen hatte, wie laut sein Herrchen gewesen war und gesellte sich zu ihm. Ezra streichelte seinen Hals, ohne auch nur eine einzige Sekunde lang Cypher und Simon aus den Augen zu lassen. Er war übervorsichtig. „Und was willst du mir jetzt erzählen?“ fragte Ezra. „Du predigst doch den gleichen Müll wie alle anderen. Wieso wollen mir alle ständig einreden, was ich brauche und was nicht? Ich kann sehr gut für mich alleine sorgen.“ „Das kannst du eben nicht“, erwiderte Cypher, aber dieses Mal klang er wesentlich strenger als sonst. „Du bist erst 16 Jahre alt und bei deinem Betragen und deinen Noten wirst du nie ein anständiges Leben führen können.“ „Du hast doch keine Ahnung“, blaffte Ezra zurück. „Hört endlich auf so zu tun, als würdet ihr mich verstehen!“ „Wie sollen wir dich denn bitteschön verstehen, wenn du nicht redest?“ „Weil ich nicht reden will, verdammt. Wieso kapiert ihr das nicht endlich? Ich will keine Familie. Und ihr wollt mich doch auch nicht mal bei euch aufnehmen.“ Damit wandte sich der klein geratene Teenager um und rannte davon. Nun war auch Hunter aufgestanden und wischte sich mit einem Lappen seine Hände ab. Als er sah, dass der 16-jährige im Begriff war, wegzulaufen, rief er ihm nach und eilte ihm nach, doch Ezras Vorsprung war schon zu groß und obwohl er wesentlich kürzere Beine hatte, war er dennoch ziemlich schnell zu Fuß. „Na großes Kino“, seufzte Cypher. „So ein Sturkopf aber auch.“ „Tut mir leid, dass er wegen mir…“ „Schon gut, Simon. Er ist halt ein verdammt sturer Teenie, der sich rein gar nichts sagen lässt.“ „Sollte nicht einer von ihm hinterher?“ „Nein, der geht garantiert erst mal mit Archi in den Wald, um Ruhe zu haben. Wir gehen ihn dort nachher abholen und dann hat er sich auch wieder etwas beruhigt. Normalerweise keift er mich auch nicht so an, aber leider ist er jedes Mal so anstrengend, wenn er wieder eine neue Pflegefamilie hatte. Aus irgendeinem Grund ist er danach jedes Mal so sehr verschlossen, dass er niemanden mehr sehen will. Lediglich Hunter kann zu ihm durchdringen, weil er nicht diese aufdringliche und fordernde Art besitzt. Aber es war dennoch ganz lieb gemeint von dir, dass du mit ihm geredet hast. Hunter, wir gehen ihn gleich im Wald abholen.“ Stumm nickte der Angesprochene und begann nun sein Werkzeug wegzuräumen. Knapp eine halbe Stunde später waren sie mit Cyphers Wagen, einem blutroten aber dennoch in die Jahre gekommenen Chevrolet zum Wald gefahren. Da Simon Angst hatte, alleine im Haus zu bleiben, war er kurzerhand mitgekommen und zum Glück mussten sie auch nicht lange nach Ezra suchen. Dieser lief unruhig die Wege entlang und rief immer wieder nach Archi, der wohl sein Hund war. Als er die anderen bemerkte, lag Angst in seinem Blick und er eilte sofort zu Hunter. „Ich kann Archi nirgends finden!“ rief er panisch. „Er ist plötzlich losgelaufen und ich habe ihn aus den Augen verloren.“ Die Angst um seinen Hund stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und beruhigend klopfte Hunter ihm auf die Schulter. „Wir finden Archi schon.“ „Wir sollten uns aufteilen und nach ihm suchen“, schlug Cypher vor. „Ich gehe mit Simon und du mit Hunter. Wenn einer von uns Archi finden sollte, klingelt er kurz übers Handy durch.“ Damit trennten sich ihre Wege und gemeinsam ging Simon mit Cypher den rechten Weg entlang und suchte alles nach dem entlaufenen Rottweiler ab. Zum Glück war der Wald nicht allzu groß, dass man schlimmstenfalls sogar Stunden damit zugebracht hätte, nach einem entflohenen Hund zu suchen. Immer wieder riefen sie Archis Namen, allerdings vergeblich. Von dem Hund fehlte jede Spur und es kam auch keine Reaktion auf ihre Rufe. Schließlich überquerten sie eine kleine Brücke, die über ein Bächlein führte und kamen an einer Art Kuhle vorbei, in der sich altes Laub angesammelt hatte. Ein Rascheln ließ Simon aufhorchen und er ging an den Rand der Kuhle und sah dort tatsächlich einen Rottweiler, der im Boden zu graben schien. Es konnte Archi sein. Zumindest schien kein Besitzer in der Nähe zu sein. Schnell rief er Cypher zu, der sofort herbeigeeilt kam und bestätigte, dass das Archi war. Wieder riefen sie nach dem Hund, doch der schenkte ihnen keinerlei Beachtung und schien gänzlich in seine Grabarbeiten vertieft zu sein. Also kletterten sie vorsichtig hinunter und Cypher schickte sich an, den Hund am Halsband zu packen und mit sich zu ziehen, wenn er schon nicht hören wollte. Simon blieb etwas weiter weg, denn Hunde waren nicht wirklich seine Lieblingstiere und er bewahrte da lieber sicherheitshalber Abstand. Dafür fiel ihm etwas anderes ins Auge, was ihn verwunderte: ein Blumenstrauß lag auf dem Boden. Er war schon verwelkt, schien aber noch nicht ganz so alt zu sein. Warum zum Teufel legte jemand hier einen Blumenstrauß ab? Bevor er sich näher damit beschäftigen konnte, hörte er Cypher leise „Shit“ zischen und sofort waren seine Gedanken wieder bei ihm. „Alles in Ordnung?“ erkundigte er sich sicherheitshalber, doch da kam Cypher auch schon mit Archi auf ihn zu und wies ihn mit ernster Miene an: „Nimm den Hund mal mit und sorg dafür, dass er wegbleibt. Halte ihn solange am Halsband fest, ich muss kurz die Polizei anrufen.“ „Wieso die Polizei?“ fragte Simon irritiert und verstand nicht, was los war. „Ist irgendwas?“ „Da sind Knochen“, erklärte Cypher und wurde blass im Gesicht. „Ich glaube, da ist eine Leiche im Boden verscharrt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)