The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 25: Leron in der Klinik ------------------------------- Unruhig ging Leron durch sein Zimmer und wartete. Obwohl er nach einem ersten Eingangsgespräch Medikamente gegen die Halluzinationen bekommen hatte, nahm er sie nicht ein. Natürlich hatte er es vor, immerhin war er ja nicht grundlos hier. Aber bevor er diese Halluzinationen ein für alle Mal abstellte, wollte er vorher noch mit seiner Mutter reden. Natürlich wusste er, dass sie nicht wirklich echt war, aber trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie ihm ein paar wichtige Antworten geben konnte. Sie hatte ihm beim letzten Mal Dinge gesagt, die ihn sehr verunsichert hatten ihn quälte dieses verdammte Gefühl, als hätte er etwas vergessen oder verdrängt. Und es hatte damit zu tun, warum seine Mutter dieses blutverschmierte Messer in der Hand gehabt hatte. Als er seinen Vater angerufen hatte, um ihn über Michaels Überfall zu informieren, hatte er ihn gefragt gehabt, ob es in seiner Jugend irgendeinen Vorfall mit seiner Mutter gegeben hatte. Aber natürlich hatte sein Vater gesagt, er wüsste nichts dergleichen und hatte es auf die Krankheit seines Sohnes geschoben. Also blieb ihm deshalb nichts anderes übrig, als seine Mutter zu fragen. Und da er jetzt eh in der Klinik war, konnte er auch niemandem Schaden zufügen, wenn er wieder die Kontrolle verlieren sollte. Trotzdem war er unruhig und fürchtete sich auch ein Stück weit davor, was ihn erwarten könnte. Und aus irgendeinem Grund hatte er auch Angst davor, seine Mutter wiederzusehen. Vor allem wenn sie wieder diese goldgelben Augen hatte wie Michael. „Du brauchst doch keine Angst zu haben, mein Schatz. Du weißt doch, dass Mommy dich sehr lieb hat und dich beschützt.“ Plötzlich spürte er wie jemand ihn von hinten umarmte und ganz dicht hinter ihm stand. Ja er konnte sogar ihren Atem in seinem Genick spüren. Es war so beängstigend real für eine Halluzination. „Mein armer kleiner Liebling… eingesperrt an so einem furchtbaren Ort. Es bricht mir wirklich das Herz, dich so zu sehen. Na komm, lass uns gemeinsam von hier fortgehen. Du brauchst nur meine Hilfe anzunehmen und ich hole dich hier wieder raus.“ Doch auch wenn dieses Angebot verlockend klang, widerstand er der Versuchung und dachte daran, was ihn dazu bewogen hatte, sich bewusst auf diese ganze Sache einzulassen, obwohl klar war, dass das absolut verrückt war, was er da tat. Aber sie war der Schlüssel zum Ganzen. Vielleicht half sie ihm ja auch, sich wieder an etwas Wichtiges zu erinnern. „Ich bin hier sehr gut aufgehoben, Mum“, versicherte er und löste sich von ihr. „Und ich muss mit dir reden.“ „So? Du willst reden? Na gut, kein Problem. Dann erzähl Mommy ruhig, was du auf dem Herzen hast.“ Katherine durchschritt nun langsam das Zimmer, wobei Leron sogar das Geräusch ihrer Absätze hören konnte. Sie trug aber nicht mehr die blutverschmierte Kleidung wie gestern, sondern ein weißes Sommerkleid. Er erinnerte sich noch daran, dass sie es sehr geliebt und ziemlich oft getragen hatte. Ihre Augen leuchteten goldgelb und ihr Lächeln hatte etwas Unheimliches und Düsteres an sich und es behagte ihm einfach nicht, sie so zu sehen. Schließlich setzte sie sich aufs Bett und überkreuzte dabei die Beine. „Also was möchtest du denn gerne wissen?“ „Warum hast du mich überreden wollen, Michael umzubringen? Wieso ausgerechnet du?“ Ein amüsiertes Lächeln zog sich über ihre Mundwinkel und sie fuhr sich grazil durch ihr brünettes, langes Haar. „Die Antwort kennst du doch schon, mein Schatz. All das existiert nur in deinem Kopf. Die Stimmen die du hörst, sind nichts anderes als ein Teil von dir. Und da du Michael mit dem Hass verbindest, hat er schon die Rolle der Stimme, die sich immerzu gegen dich richtet. Er verkörpert deine Zweifel und deinen Hass auf dich selbst. Aber der Grund, warum ich diejenige bin, die dich dazu überredet, dich auf deine andere Seite einzulassen, mag einfacher sein als du glaubst: es liegt daran, weil ich eine geborene Cohan bin und diese dunkle Seite von meiner Familie herrührt. Deshalb verbindet dein Unterbewusstsein mich mit deinem anderen Ich, welches du mit aller Macht von dir fernzuhalten versuchst.“ „Und warum hast du dieses blutige Messer in der Hand gehabt?“ „Ach Schatz, warum willst du diese alten Geschichten überhaupt wissen? Glaubst du etwa, ich hätte dir oder deinen Brüdern etwas angetan? Du weißt doch, dass ihr drei alles für mich seid. Ich würde euch mit meinem Leben beschützen und nicht zulassen, dass euch irgendjemand etwas antut. Und du weißt doch: Mommy regelt die Dinge wenn jemand es wagt, meinem kleinen Engel wehzutun.“ Schon wieder diese merkwürdige Andeutung, die ihm so bekannt vorkam. Was meinte sie denn bitte damit, dass sie die „Dinge regeln“ werde? Irgendetwas war damals passiert, das spürte er insgeheim, doch er konnte sich einfach nicht erinnern, was passiert war. „Was meinst du damit, Mum?“ Ein wissendes und unheilvolles Lächeln lag auf Katherines Lippen und in ihren goldgelben Augen wirkten wie die eines Raubtieres, das sich gleich auf seine Beute stürzen und sie in Stücke reißen würde. War das überhaupt seine Mutter, so wie er sie eigentlich in Erinnerung hatte? Irgendwie kam sie ihm wie eine ganz andere Person vor. „Warum willst du all diese Dinge denn überhaupt wissen, mein Schatz? Was wird das schon großartig ändern? Du weißt doch, dass ich immer eine gute Mutter war und mich für dich aufgeopfert habe. Vor allem wie viele Opfer ich für dein Wohlergehen erbracht habe.“ „Hast du jemanden getötet?“ „So etwas traust du wirklich deiner eigenen Mutter zu? Hast du denn nicht immer deinen Vater dafür verurteilt, dass er so lieblos und kaltherzig zu mir war und nicht einmal für mich da war, als ich ins Hospiz kam? Warum bin ich hier auf einmal die Böse? Das ist nicht sehr fair von dir.“ „Ich weiß genau, dass du ein blutiges Messer in der Hand hattest! Und das nicht nur, als ich Michael krankenhausreif geprügelt hatte, sondern auch, als ich klein war. Ich weiß genau, dass du eines Nachts plötzlich ein Messer in der Hand hattest und voller Blut warst.“ „Und du meinst nicht, dass das vielleicht bloß eine weitere Halluzination von dir ist? Du weißt doch selbst, dass du krank bist. Immerhin hast du dich an diesen furchtbaren Ort begeben, weil du selbst gesagt hast, dass mit deinem Verstand etwas nicht stimmt. Also warum bohrst du da so herum? Wäre es denn nicht besser, wenn du mich weiterhin als die Mutter in Erinnerung behältst, die ich bin? Eine liebevolle und aufopfernde Mutter, die dich vor jenen Menschen beschützt, die dir Schaden zufügen wollen.“ Geschlagen seufzte Leon und setzte sich neben seine Mutter aufs Bett. Eigentlich hatte er ja gehofft gehabt, von ihr endlich Antworten zu bekommen, aber anscheinend war das nicht der Fall. Wahrscheinlich weil sich etwas in seinem Unterbewusstsein dagegen sträubte, sich zu erinnern. Zärtlich legte Katherine einen Arm um seine Schultern. „Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, mein Schatz. Die ganzen Jahre über hast du immer nur gekämpft. Gegen deine Brüder, deinen Vater und gegen dich selbst. Das alles müsstest du nicht tun, wenn du endlich akzeptieren würdest, wer du wirklich bist. Du machst dir damit doch selbst nur das Leben schwer und ich sehe doch, dass du leidest. Warum nur willst du meine Hilfe nicht annehmen? Ich will doch nichts anderes, als dich zu beschützen.“ „Vor wem willst du mich denn beschützen?“ „Vor allen“, erklärte Katherine und ihr sanftmütiger und einlullender Ton wurde mit einem Male sehr ernst. „Die ganze Welt ist schlecht und das war dir doch schon immer klar. Glaubst du, mir wäre es entgangen, wie sehr dir das ganze Leben zu schaffen macht und wie deine Angestellten hinter deinem Rücken über dich lästern? Oder wie Konkurrenten nur darauf lauern, dich zu Fall zu bringen? Dein ganzes Leben lang schon bist du den Feindseligkeiten dieser Welt ausgesetzt gewesen. Die Menschen werden uns niemals verstehen, weil wir anders sind. Wir sind Außenseiter, Freaks, Sonderlinge. Diese Welt ist kalt und grausam und selbstsüchtig. Für uns gibt es da keinen Platz. Warum sollten wir da noch Rücksicht nehmen? Es wäre leichter, wenn du endlich aufhören würdest, dir noch weiter vorzumachen, dass es da irgendjemanden gäbe, der es gut mit dir meint. Selbst die Menschen, die dich lieben, werden dich eines Tages verlassen. Selbst Simon wird dich verlassen, wenn seine Gefühle für dich erloschen sind. Glaubst du wirklich, er würde an deiner Seite bleiben nachdem er erkannt hat, wer oder was du wirklich bist? Nein, er wird sich genauso von dir abwenden und dich alleine lassen. Genauso wie mich dein Vater alleine gelassen hat, als ich krank wurde und ihn brauchte.“ Die Worte seiner Mutter trafen ihn sehr und er geriet so langsam in ernste Zweifel, was er tun sollte. Auch wenn er es nicht gerne zugab, so hatte sie in einem gewissen Maße Recht, als sie sagte, dass er Schwierigkeiten mit anderen Menschen hatte und dass seine Mitmenschen kaum ein gutes Wort für ihn übrig hatten. Und nachdem er Simon eine solche Angst eingejagt und ihn sogar bedroht hatte, als er in Rage war, konnte er es ihm nicht verdenken, wenn er nichts mehr für ihn empfand. Was nützte es denn da überhaupt noch, weiterzukämpfen und vor allem gegen diese andere Seite anzukämpfen, wenn er doch eh alles verlieren würde, was ihm lieb war? Da konnte er doch eigentlich genauso gut aufgeben und sich die ganze Sache leichter machen. „Ja, so ist es richtig, mein Schatz“, sprach Katherine mit sanfter und mütterlicher Stimme. „Mach dir das Leben nicht so schwer und lass mich dir helfen. Gemeinsam schaffen wir das schon und ich werde mich um die Dinge kümmern. Genauso wie ich es immer getan habe, wenn du meine Hilfe gebraucht hast. Zusammen werden wir uns gegen diese ungerechte und kaltherzige Welt zur Wehr setzen und ihnen zeigen, dass wir uns nicht wie Dreck behandeln lassen.“ Doch bevor Leron eine Antwort darauf geben konnte, öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer und Leron schaute auf. Vor ihm stand ein Mann von ungefähr 55 Jahren, dessen Haar kurz rasiert war und damit seine Geheimratsecken nicht sonderlich versteckte. Auch sonst schien sein Haar lichter zu werden und selbst an seinem Bart ließen sich erste graue Haare erkennen. Dennoch verlieh ihm die Brille und sein gesetztes Erscheinungsbild etwas Intelligentes und Ausgeglichenes. Das Interessanteste an ihm waren aber seine Augen: sie waren so grün wie Smaragde und ein besonderer Glanz schien darin zu liegen. Er wirkte wie ein Professor an einer Universität, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Mit einem freundlichen Lächeln und einem kräftigen Händedruck grüßte er Leron und erklärte „Ich bin Dr. Yorick Larson. Wir hatten miteinander telefoniert, Mr. Evans.“ Kaum, dass sein Name fiel, verfinsterte sich Katherines Miene und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Halte dich bloß von ihm fern, Leron. Leute wie der versuchen doch nur, uns irgendetwas einzureden. Dass wir krank sind und wir unnormal sind. Lass dir bloß nichts von ihm erzählen, hörst du? Er will dich nur manipulieren und dir weismachen, dass du verrückt bist!“ Leron schwieg und sah ihn skeptisch an. Er wusste nicht, ob er auf seine Mutter hören sollte oder nicht. Da er nicht reagierte, schnappte sich Dr. Larson kurzerhand einen Stuhl und setzte sich. „Ich kann gut verstehen, dass die derzeitige Situation nicht gerade einfach für Sie ist. Aber ich möchte, dass Sie wissen, dass Sie das Richtige getan haben und dass Sie meine Anerkennung dafür haben, dass Sie den Schritt gewagt haben, sich in Behandlung zu geben. Darf ich fragen, ob es für Sie einen bestimmten Anlass gab, sich in stationäre Behandlung zu geben?“ „Sei bloß still und antworte nicht auf seine Fragen!“ rief Katherine und wurde wütend. „Er wird dir noch die Worte im Mund verdrehen und dir irgendetwas einreden, damit du alles glaubst, was er dir eintrichtert. Lass Mommy die Dinge für dich regeln, mein Schatz. Lass mich dir helfen!“ Da Leron nicht antwortete und etwas abgelenkt wirkte, stellte der Psychologe nun eine etwas andere Frage an ihn. „Kann es sein, dass Sie Ihre Medikamente nicht eingenommen haben?“ Leron erstarrte und schwieg. Woher wusste der Kerl bitte, dass er seine Medikamente noch nicht genommen hatte? War es ihm so deutlich anzusehen? „Wo… woher wissen Sie…“ „Ich therapiere Menschen schon seit 22 Jahren und kenne gewisse Anzeichen dafür, wenn Personen halluzinieren. Außerdem habe ich schon mehrere Angehörige der Familie Cohan therapiert und kann auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Mr. Evans, ich weiß, dass es nicht leicht ist, sich zu öffnen und auch über Dinge zu sprechen, über die man normalerweise nicht sprechen möchte. Aber in einer Therapie ist es unvermeidlich, sich auch mit unangenehmen Dingen auseinanderzusetzen. Doch Sie müssen sich im Klaren sein, dass ich hier bin, um Ihnen zu helfen und dass es mein Ziel ist, gemeinsam mit Ihnen eine Lösung zu erarbeiten, wie Sie mit Ihrer Krankheit umgehen können. Und wo wir schon beim Thema Halluzinationen sind, möchte ich gerne mehr darüber wissen. Erzählen Sie mir, welche Arten von Halluzinationen Sie haben, was diese tun und was sie sagen. Es ist dabei wichtig, dass Sie mir alle Details erzählen und offen zu mir sind.“ „Nein, tu es nicht!“ rief Katherine energisch. „Er wird dir nur wieder irgendetwas einreden, glaub mir! Schatz, komm endlich zur Vernunft und lass mich die Dinge für dich regeln! Leron!!!“ Doch dieses Mal hörte er nicht auf sie und begann stattdessen über seine Halluzinationen zu erzählen. Nachdem er fertig war, erzählte er auf Dr. Larsons Nachfrage hin, was passiert war und warum er sich in die stationäre Behandlung begeben hatte. Der Psychologe machte sich zwischendurch Notizen auf einem Klemmbrett und hörte aufmerksam zu. Zwar versuchte Katherine immer wieder dazwischenzufunken und wurde teilweise ziemlich aggressiv, doch Leron ließ sich nicht beirren. Schließlich nickte Dr. Larson und dachte nach, wobei er Leron aufmerksam musterte. „Also so wie Sie mir das alles schildern, scheint für mich die Sache recht klar zu sein. Sie müssen wissen, Mr. Evans, dass das Krankheitsbild Ihrer Familie auf eine relativ simple Basis beruht: eine genetische Vorgeschichte und ein Auslöser. Meist sind es ganz bestimmte negative Emotionen, die diese Psychosen auslösen. Neid, Eifersucht… In Ihrem Fall ist es die Angst.“ „Angst?“ fragte Leron ungläubig, denn er glaubte von sich selbst, dass er nicht unbedingt ein ängstlicher Zeitgenosse war. Aber Dr. Larson blieb bei seiner Meinung und erklärte es ihm genauer. „Der Grund, warum sich Ihr Bruder als Stimme manifestiert hat, ist auf Ihre Unsicherheit und Ihre Angst zurückzuführen, dass Sie eine Gefahr für die Menschen darstellen könnten, die Ihnen etwas bedeuten. Sie sind mit der Tatsache konfrontiert, dass Ihr Bruder ein sehr stark ausgebildetes Krankheitsbild aufweist und das weckt in Ihnen die Angst, dass Sie genauso werden könnten. Deshalb werfen Sie sich alles vor, was Sie Ihrem Bruder als schlechte Eigenschaften zuschreiben und setzen sich selbst stark unter Druck. Sie fürchten sich vor dem absoluten Kontrollverlust und dem Gefühl der Machtlosigkeit. Dieses Erlebnis in Ihrem Haus, als Ihr Partner beinahe vergewaltigt worden wäre, war für Sie in diesem Moment ein Trigger, der Sie an diesen Zustand erinnert hat, als Sie als Kind von Ihren Brüdern missbraucht worden waren. Dieses tief verwurzelte Trauma löste die Angst aus, die zur Verschlimmerung Ihres Zustandes führte.“ „Und warum tauchte auf einmal meine Mutter auf und sagte, ich solle Michael töten?“ „Ihre Mutter fungiert als eine Art Vermittlerin“, erklärte der Psychologe und nahm kurz seine Brille ab, um die Gläser zu putzen. „Sie sind ein sehr disziplinierter und gewissenhafter Mensch und Ihre Angst, genauso zu werden wie Ihr Bruder, hindert Sie daran, Ihre Veranlagung zu akzeptieren und sich auf Ihre – so wie Sie es nennen – dunkle Seite einzulassen. Das bedeutet einen Konflikt und diesen haben Sie gelöst, indem Sie sich unterbewusst ein Abbild Ihrer Mutter geschaffen haben. Warum es ausgerechnet Ihre Mutter ist, kann ich erst mal vermuten: Sie hatten ein sehr enges Verhältnis zu Ihr gehabt und wie ich herausgehört habe, war Ihre Mutter eine sehr liebevolle und fürsorgliche Person. Deshalb ist sie auch eine Beschützerin, die Ihnen hilft, diesen inneren Widerstand zu brechen und Ihre aufgestauten Emotionen zuzulassen.“ Bedächtig nickte Leron und konnte größtenteils nachvollziehen, was Dr. Larson erzählte. So wie er es erklärte, ergab es eigentlich Sinn, aber er verstand noch nicht so ganz, warum er so ausgerastet war und beinahe Michael umgebracht hätte. Doch auch dafür hatte Dr. Larson eine Antwort: „Angst ist eine der stärksten Emotionen, die ein Mensch fühlen kann. Es versetzt ihn in einen Zustand der Hilflosigkeit und Machtlosigkeit. In Ihrem Fall ist es die Angst vor der Angst und um das zu kompensieren, flüchten Sie in einen ähnlich starken emotionalen Zustand, in welchem Sie die Kontrolle wiedererlangen können. Und dieser andere Zustand ist die Wut. Und so wie Ihr mentaler Zustand sich zurzeit darstellt, war es die richtige Entscheidung gewesen, sich fürs Erste stationär behandeln zu lassen. Denn ansonsten hätte sich Ihr Zustand noch weiter verschlechtert.“ Leron hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen werden und er spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich. Sein Zustand hatte sich also tatsächlich verschlimmert und er hatte es sich nicht bloß eingebildet. Aber warum? War Michaels Überfall etwa der Grund? Er musste es unbedingt wissen. „Warum verschlechtert sich mein Zustand?“ „Weil Sie nicht mehr in der Lage sind, Ihre Emotionen selbstständig in den Griff zu bekommen“, erklärte der Psychologe und setzte sich nun seine Brille wieder auf. „Ihre Mutter manifestierte sich als Halluzination, um als Vermittlerin zu fungieren, aber auch, weil sie eine Art Schutzmechanismus ist. Sie ist ein beschützender aber auch gleichzeitig sehr manipulierender Charakter, die Sie vor jedem Unheil bewahren will. Aber sie ist nicht in der Lage, zwischen tatsächlicher und nicht existenter Bedrohung zu differenzieren. Sie sieht alles und jeden als eine Bedrohung für Sie an. Sei es Ihr Bruder oder ich. Wahrscheinlich würde sie sogar Ihren Partner früher oder später als eine Bedrohung ansehen. Wie würden Sie solch ein Verhalten nennen?“ Leron brauchte nicht lange zu überlegen, um auf die Antwort zu kommen: „Paranoid.“ „Ganz recht. Ihre Mutter ist eine Beschützerin, die von Ihnen geschaffen wurde, um zu reagieren, wenn Sie Angst haben, damit Sie auf Gefahren reagiert. Normalerweise würde sie Ihren Bruder als Bedrohung ansehen, aber durch die Tatsache, dass sie selbst die Klinik und mich als akute Bedrohung ansieht, bedeutet es, dass auch Sie damit beginnen, überall Gefahr zu sehen, was sehr bedenklich ist. Das ist für mich ein deutliches Anzeichen einer beginnenden paranoiden Schizophrenie. Ich rate Ihnen also dringend an, sich auf die Behandlung einzulassen, um eine weitere Verschlechterung Ihres Krankheitsbildes zu vermeiden.“ Diese klare Ansage hatte gesessen und allein der Gedanke, dass er dabei war, sich in eine paranoide Schizophrenie reinzusteigern, entsetzte ihn auch ein Stück weit. Allein der Gedanke, dass er früher oder später als Verrückter enden würde, war für ihn kaum zu ertragen, vor allem weil er sich nicht mal vorstellen konnte, wie sehr das auch Simon belasten würde. „Aber wieso verschlechtert sich mein Zustand weiterhin?“ „Weil Sie durch die jüngsten Ereignisse emotional instabil sind und das ist absolutes Gift für Sie. Sie brauchen momentan Stabilität und Sicherheit, aber vor allem therapeutische Begleitung. Ich möchte Ihnen helfen, einen Weg zu finden, damit Sie in Zukunft mit Ihren Ängsten besser umgehen können und wie Sie besser entlastet werden können. Und nebenbei bekommen Sie auch eine medikamentöse Behandlung.“ „Können die Halluzinationen nicht auch ohne Medikamente verschwinden?“ „Das ist nur in den seltensten Fällen möglich. Ich kann verstehen, dass Sie gewisse Bedenken haben, aber ich kann Ihnen versichern, dass Psychopharmaka nicht grundlos verschrieben werden. Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass die Medikamente in Verbindung mit einer therapeutischen Behandlung Ihnen mehr helfen werden, als nur eine Therapie. Ich schlage vor, dass wir heute mit der medikamentösen Behandlung beginnen. Da es bereits Nachmittag ist, können Sie den Tag nutzen, um sich mit den anderen Patienten vertraut zu machen und sich auszutauschen. Ab morgen werden wir mit der Therapie beginnen, um Sie zu stabilisieren und eine Lösung zu erarbeiten, wie Sie in Zukunft mit problematischen Situationen umgehen können.“ „Und was ist mit meiner Mutter? Ich wollte noch herausfinden, ob sie womöglich…“ „Alles zu seiner Zeit“, schnitt Dr. Larson ihm das Wort ab. „Natürlich werden wir zu gegebener Zeit Ihre Kindheit näher beleuchten, aber vorher muss eine gewisse emotionale Stabilität gewährleistet sein. Solange diese nicht gegeben ist, wäre es nur kontraproduktiv für Ihre derzeitige Verfassung, wenn Sie Erinnerungen ausgraben, die eventuell sogar ein tiefes Trauma darstellen können.“ Zwar passte es Leron nicht so ganz, dass sein Vorhaben erst mal auf die lange Bank geschoben wurde, aber wenn es wirklich so schlecht um ihn stand, dann musste er wohl oder übel klein bei geben. Also erklärte er sich einverstanden und bekam von Dr. Larson die Tabletten für den Rest des Tages gereicht. Dieses Mal nahm er sie auch und damit verabschiedete sich der Psychologe mit einem kräftigen Händedruck. Nachdem Leron wieder alleine war, atmete er auf und ließ sich nun aufs Bett niedersinken. Dass sich sein Zustand so verschlimmert hatte und er im Begriff war, eine paranoide Schizophrenie zu entwickeln, beschäftigte ihn sehr. Damit hatte sich seine schlimmste Befürchtung bestätigt. Aber andererseits war er ja auch deshalb in die Klinik gegangen, um sich behandeln zu lassen. Und so wie Dr. Larson erzählt hatte, schien es ja nicht ganz hoffnungslos zu sein. Und Simon war währenddessen auch gut bei Cypher und Hunter aufgehoben. Es war ihm ohnehin viel lieber, wenn der Junge während seines Klinikaufenthalts nicht in der Villa war. Niemand sonst wusste, dass Simon bei den beiden war und da war auch die Wahrscheinlichkeit gering, dass Michael ihn finden und ihm wieder etwas antun könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)