The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 24: Zuflucht bei Cypher ------------------------------- Es war düster in dem Raum und eine seltsame Atmosphäre herrschte hier. Die Tapete war dunkelrot gestrichen und an den Wänden hingen Poster von Horrorfilmen wie „Hellraiser“, „Martyrs“, „Adam Chaplin“, „Guinea Pig“ oder „A Serbian Film“. In den Regalen waren Totenköpfe, Figuren von Monstern und Gläser mit täuschend echt wirkenden Kunstorganen aufgereiht und die meisten Besucher hätten sich bereits nach wenigen Augenblicken unbehaglich gefühlt und den Raum verlassen. Für Cypher jedoch war es das Paradies. Er liebte die düstere Umgebung, das Morbide und Makabere und vor allem das Blutige. Auch jetzt war er gerade dabei, sein nächstes Kunstwerk fertig zu stellen: ein Herz mit einem Auge in der Mitte. Nachdem er sich genug Bilder angesehen hatte und eine ideale Vorstellung hatte, wie er es gestalten wollte, hatte er sich ans Werk gemacht und in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, welches auch sein ganz persönliches Atelier war. Allerdings hätten andere es wahrscheinlich eher als Horrorkabinett bezeichnet. Das großräumige Atelier in der ehemaligen Werkhalle der alten Fabrik nutzte hauptsächlich Hunter, weil er meist an großen Skulpturen arbeitete und dementsprechend mehr Platz benötigte. Außerdem mochte er die Heavy Metal Musik nicht, die sein Freund zu hören pflegte. Sie klang ihm viel zu aggressiv und versetzte ihn nicht wirklich in die richtige Stimmung. Er bevorzugte für seine Arbeit die bestmögliche Atmosphäre und ließ zu diesem Zweck Songs aus bekannten Horrorfilmen spielen. Cypher liebte den Horror, das Gemetzel und den Anblick von Organen. Es hatte ihn schon immer fasziniert, aber die meisten seiner Mitmenschen fanden seine Hobbys eher abstoßend und nannten ihn einen Freak. Aber war das ein Grund, sich zu verändern und seine Leidenschaft zu verleugnen, nur um anderen Menschen zu gefallen? Die Antwort war für Cypher ganz klar „nein“. Wenn die Leute nicht mit seinen Hobbys leben konnten, dann war es ihr Problem. Wenn sein Aufenthalt in der Klinik ihn etwas gelehrt hatte, dann ganz klar, dass er zu dem stehen sollte, was ihn ausmachte. Und in Hunter hatte er jemanden gefunden, der ihn so akzeptierte wie er war, trotz seiner merkwürdigen Hobbys. Seine einzige Bedingung war lediglich, dass tägliche Aufgaben und Mahlzeiten auf ganz bestimmte Zeiten festgesetzt wurden, um einen strukturierten Tagesablauf gewährleisten zu können. Und bisher hatte es keine großen Probleme gegeben. Cypher hatte sogar schon mal über eine Heirat nachgedacht. Inzwischen war das ja kein großes Problem mehr, seit die gleichgeschlechtliche Ehe fast überall möglich war. Nur musste er das irgendwie Hunter schmackhaft machen. Da dieser aber Veranstaltungen mit vielen Leuten hasste, würde das noch ein wenig schwierig werden. Erst einmal war er auf das Testergebnis gespannt. So langsam hatte er sich an den Gedanken gewöhnt, dass er eventuell einen kleinen Bruder haben könnt und Simon machte auch einen recht sympathischen Eindruck. Zwar wirkte der Kleine recht zurückhaltend, aber da sie ja beide das gleiche Augenproblem hatten, konnte er sich gut vorstellen, was er in seiner Jugend durchgemacht hatte. Als es klingelte, legte der in Gedanken versunkene Künstler vorsichtig seine Werkzeuge beiseite und wunderte sich, wer da wohl sein könnte. Vielleicht Mr. Nielson vom Studio? Aber der Termin zur Besprechung der Spezialeffekte war doch erst nächste Woche. Es klingelte erneut und er rief schon „Ja, ich komme gleich!“ Und als er die Haustür öffnete und Simon und Leron sah, war er erst mal ziemlich überrascht, denn mit diesem Besuch hätte er jetzt nicht gerechnet. Und als er auch noch bemerkte, wie fertig sie aussahen, ahnte er bereits, dass irgendetwas passiert war. „Hey Leute, kann ich euch irgendwie helfen?“ erkundigte er sich. „Entschuldige die Störung“, begann Leron und erklärte „Ich werde für voraussichtlich vier oder fünf Tage in die Klinik gehen müssen und ich möchte Simon nicht alleine lassen und er hat große Angst davor, alleine in der Villa zu bleiben. Da er sonst niemanden kennt, wollte er gerne bei euch bleiben. Für die Umstände würde ich eine Entschädigung zahlen.“ Damit reichte Leron ihm einen braunen Umschlag mit knapp 3.000$, doch kaum, dass Cypher sich den Inhalt des Umschlages angesehen hatte, verschloss er ihn wieder und gab ihn Leron zurück. „Für so was brauchst du doch keine Kohle zu zahlen. Wir haben eh genug Platz, da macht er schon keine Umstände. Geh du mal ruhig in die Klinik und sieh zu, dass es dir besser geht. Um ihn hier werden wir uns schon gut kümmern, keine Bange.“ Man sah deutlich, wie Leron ein Stein vom Herzen fiel, doch er bestand trotzdem darauf, dass Cypher das Geld annahm. Nach einer kurzen Diskussion gab der 25-jährige nach und nahm es letzten Endes doch an als er merkte, dass Leron nicht nachgeben würde. Schließlich holte Simon seine Tasche aus dem Kofferraum des Wagens und verabschiedete sich von Leron. So bedrückt, wie bei denen die Stimmung war, konnte sich Cypher denken, dass Schlimmes irgendetwas passiert war, aber er würde noch bei passender Gelegenheit nachfragen. Also ließ er den beiden genug Zeit, voneinander Abschied zu nehmen und nahm dann die Tasche entgegen. „Na dann komm mal rein in die gute Stube!“ Glücklicherweise hatten sie zwei Gästezimmer im Haus, da hin und wieder mal Freunde herkamen und auch mal hier bei ihnen übernachteten. Und da würde es auch kein Problem sein, den Jungen ein paar Tage hier unterzubringen, solange sein Milliardärsfreund in der Klinik war. Zum Glück war das erste Gästezimmer ordentlich aufgeräumt und auch gemütlich eingerichtet. Es hatte ein Einzelbett, zwei Schränke und einen Tisch mit Stuhl. Neben dem Bett gab es noch ein kleines Nachtschränkchen mit Wecker. Inzwischen war es 17 Uhr und in einer Stunde würde es Abendessen geben. Passte also ganz gut. Cypher stellte die Tasche auf dem Bett ab. „So, du kannst schon mal auspacken und wenn du irgendetwas brauchst, findest du mich und Hunter im Atelier. Ich muss ihn erst mal vorwarnen gehen, dass wir jetzt einen Gast haben, damit er sich schon mal drauf einstellen kann. Komm erst mal in Ruhe an.“ „Danke…“, murmelte Simon ein wenig niedergeschlagen und so ging Cypher erst mal rüber ins große Atelier, wo wie immer laute Heavy Metal Musik aus den Lautsprechern dröhnte, um den Lärm der Maschinen zu übertönen. Gerade war Hunter dabei, seine neueste Figur zu beginnen und die grobe Form auszuarbeiten. Er war vollkommen vertieft in seine Arbeit und diesen Anblick liebte Cypher einfach an ihn, wenn sein stets finster drein blickender Freund so hochkonzentriert war, wenn er künstlerisch tätig wurde. Für Hunter waren Kunst und Handwerk ein guter Ausgleich und wie eine Art Beschäftigungstherapie und er war auch sehr geschickt und talentiert. Für diese Dinge hatte er schon immer ein gutes Händchen und diese körperliche Arbeit zeichnete sich bei ihm auch ab. Allein seine durchtrainierten Arme und die angespannten Muskeln zu sehen, reichten aus um Cyphers Herz höher schlagen zu lassen. Nachdem er die Musik ausgeschaltet hatte, legte Hunter sein Werkzeug beiseite und nahm Schutzbrille und Maske ab, bevor er sich ihm zuwandte. Seine Miene war unbewegt, aber Cypher kannte ihn inzwischen lange genug um zu wissen, was in ihm vorging und dass er in diesem Moment verwundert war. Denn normalerweise unterbrach er ihn eher selten bei der Arbeit. „Ich wollte dich schon mal vorwarnen, dass wir Besuch haben“, erklärte er seinem jüngeren Freund. „Simon bleibt für ein paar Tage bei uns, weil Leron erst mal für eine Weile in die Klinik geht. Offenbar geht’s ihm wohl schlechter, aber genaueres weiß ich noch nicht.“ „Und wie lange?“ fragte Hunter tonlos. Etwas unsicher zuckte der Gefragte mit den Schultern und vermutete „Erst mal war von drei oder vier Tagen die Rede. Vielleicht wird es auch mehr, so genau weiß ich das nicht. Kommt ja auch ganz drauf an was der Doc sagt. Ich hab Simon im Gästezimmer einquartiert und er packt gerade seine Sachen aus.“ „Und warum hier? Er kennt uns doch kaum.“ „Er hat ja sonst niemanden und er hat offenbar Angst davor, alleine in der Villa zu bleiben. Ich schätze mal, dass da irgendwas passiert ist. Genaueres weiß ich erst, wenn er redet, aber ich wollte ihm erst mal Zeit zum Ankommen geben, weil er ziemlich fertig aussah. Leron hat uns übrigens drei Riesen als eine Art Aufwandsentschädigung da gelassen und ich konnte ihm den Blödsinn halt nicht ausreden. Naja, ich hätte echt Bock auf was Chinesisches heute Abend. Willst du auch?“ „Das Übliche“, sagte Hunter nur, was sowohl sein Einverständnis als auch sein Wunsch für sein Essen war. Zufrieden damit ging Cypher wieder zurück, ging noch seinen Gast nach seinem Wunsch fragen und bestellte dann telefonisch beim Lieferdienst. Als sie sich um Punkt 18 Uhr zum Essen trafen, wirkte Simon immer noch recht niedergeschlagen, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen und Hunter seinerseits hüllte sich in tiefes Schweigen, nachdem dieser ihn mit einem kurzen „Hi“ begrüßt hatte. „Also erzähl mal“, sagte Cypher schließlich, während er damit beschäftigt war, seine gebratenen Nudeln mit Stäbchen zu essen. „Ist bei euch irgendetwas vorgefallen? Du musst natürlich nichts erzählen, wenn du nicht willst, aber so geknickt, wie du aussiehst, macht man sich ja halt schon irgendwie Sorgen um dich.“ Doch Simon zögerte erst, bevor er mit der Sprache rausrückte und den beiden von Michaels Überfall in der Villa erzählte und wie Leron durchgedreht war und beinahe seinen Bruder umgebracht hätte. Und als er mit seiner Erzählung geendet hatte, atmete Cypher geräuschvoll aus und schaute kurz zu Hunter, der seinerseits mit seinem Essen beschäftigt war und nichts sagte. „Na da kann ich gut verstehen, wenn er so durchgedreht ist“, sagte der 25-jährige schließlich. „Immerhin war das eine echt heftige Situation gewesen. Da hat er die einzig vernünftige Entscheidung getroffen, denn nach so einem Aussetzer besteht ziemlich leichtes Rückfallrisiko.“ „Ich hatte echt Angst vor ihm gehabt“, gestand Simon und senkte den Blick. „Und dabei liebe ich ihn doch eigentlich. Aber… das war einfach nicht mehr der Leron gewesen, den ich eigentlich kannte.“ „Natürlich, immerhin hast du bisher nur Leron Evans kennen gelernt“, erklärte Cypher und goss sich nun ein Glas Wasser ab. „Und diese dunkle Seite zu sehen, ist natürlich erst mal schockierend. Aber dass er sich wieder gefangen hat und Hilfe sucht, zeigt doch eigentlich, dass er diese Seite nicht an sich heranlassen will. Natürlich wird er sein ganzes Leben lang mit dieser anderen Seite leben müssen, aber dass er so durchgedreht ist, liegt nicht daran, dass er wirklich jemandem schaden wollte. Hunter und ich haben ihm auch schon erklärt, dass die Cohan-Familie sehr anfällig auf Emotionen reagiert. Die simpelsten Gefühle können zu Wahn werden, wenn sie sich von ihrer instabilen Psyche beherrschen lassen. Liebe wird zur krankhaften Obsession und Zorn zu Zerstörungswut und Mordlust. Und meist liegt ein tiefes Trauma zugrunde, warum die meisten Cohans den Verstand verlieren. Nicht alle kommen schon als Geisteskranke zur Welt, das ist nur bei wenigen der Fall. Meist verlieren sie die Kontrolle, wenn sie in eine Extremsituation geraten. Und die war leider der Fall, als dieser Typ dich vergewaltigen wollte. Leron hat sein anderes Ich akzeptiert, um dich beschützen zu können. Aber dass er danach wieder der alte geworden ist, das hat er dir zu verdanken, weil du der Grund für ihn bist, gegen dieses innere Monster anzukämpfen.“ „Und wie ist es bei Hunter gewesen?“ fragte Simon, merkte dann aber, dass seine Frage vielleicht etwas zu persönlich war und entschuldigte sich hastig. Cypher wandte sich an seinen Freund und fragte ihn, ob es okay sei, wenn er es erzählte, doch dieser sagte nur „Mir doch egal“, während er unbeirrt weiter aß. Also nahm er dies als ein ja und trank einen Schluck, bevor er zu erzählen begann. „Hunters Mutter Mary Lane war eine geborene Cohan und hatte schon recht früh einen Schatten weg. Soweit ich weiß, hatte sie wohl noch eine Schwester oder einen Bruder. Jedenfalls war Hunters Vater oft als LKW-Fahrer unterwegs und war selten zuhause. Mary Lane ihrerseits hatte ihren ganzen Frust an Hunter ausgelassen und ihn regelmäßig misshandelt oder ihn irgendwo eingesperrt. Beispielsweise zwang sie ihm, bis zu zwei Tage in der Ecke zu stehen und sich nicht zu bewegen. Und dabei ließ sie laute Musik laufen, damit er nicht einschlief. Sie drohte auch damit, seinen Vater umzubringen, wenn er etwas sagte. Als sein Vater Tom es dann doch bemerkte, trennte er sich von seiner Frau und kam mit seinem Sohn hierher und verließ Annatown. Mary Lane folgte ihnen und erschlug ihren Ehemann mit einer Axt und zerstückelte seine Leiche vor Hunters Augen. Die Polizei traf ein, als sie mit ihrem Sohn flüchten wollte und die Leiche im Kofferraum hatte. Mary drehte durch und attackierte die Polizisten und wurde dabei erschossen, daraufhin kam Hunter bei einer Pflegefamilie unter. Die behandelte ihn kaum besser als seine Mutter, weil er halt Vorbelastungen hatte und paranoid war. Er lief oft von zuhause weg und kam dann schließlich zu seinen Großeltern. Zwar kümmerten die sich gut um ihn, aber Hunters Zustand verschlimmerte sich trotzdem schleichend. Es ging so weit, dass er so paranoid wurde, dass er sogar dachte, dass seine Großeltern gegen Gestaltwandler ausgetauscht worden waren, die nur so taten, als seien sie seine Großeltern. Auch seine Halluzinationen wurden immer schlimmer, sodass er nicht mehr wusste, was real war und was nicht und daraufhin versuchte, seine Großeltern umzubringen. Diese wiesen ihn in die Klinik ein und dort haben wir uns dann kennen gelernt. Aber ob du es glaubst oder nicht: früher war Hunter wesentlich verschlossener gewesen. Er hat jeden abgewiesen, der ihm helfen wollte und nicht ein einziges Wort gesprochen. Seitdem hat er sich wirklich verändert. Nicht wahr?“ Damit wandte er sich an Hunter und zwinkerte ihm zu. Doch der Angesprochene erwiderte nur mit unbewegter Miene den Blick und hüllte sich in tiefstes Schweigen. Simon seinerseits konnte sich kaum vorstellen, dass es zu Hunters Verschlossenheit und Schweigsamkeit überhaupt noch eine Steigerung gab. Aber nachdem er sich angehört hatte, was dieser schon alles erlebt hatte, dann verstand er auch gut, warum er so war. Da konnte er sich eigentlich nicht wirklich über seine eigene Vergangenheit beschweren. „Das, was wirklich zählt, sind die Entscheidungen, die man trifft“, sagte der Schweigsame knapp und aß damit den letzten Bissen seines Essens. Da Simon nicht ganz verstand, was er jetzt damit meinte, erklärte Cypher „Was er damit meint ist: egal wie beschissen das Leben auch ist, man muss das Beste aus seinem Leben machen. Und selbst als Angehöriger der Cohan-Familie hat man immer noch die Freiheit zu entscheiden, welchen Weg man wählt. Hunter und Leron haben sich entschieden, sich helfen zu lassen, um ein normales Leben führen zu können. Also ist das ein Zeichen dafür, dass sie sich auch positiv ändern können. Besonders du, mein kleiner Brummbär.“ Hunters Miene verfinsterte sich so sehr, dass man hätte meinen können, dass er Cypher am liebsten umgebracht hätte. Doch dieser grinste nur amüsiert und erklärte „Er wird immer ganz verlegen, wenn ich ihm Kosenamen vor anderen Leuten gebe. Hey, ich hätte da eine Idee: wie wäre es, wenn wir nachher ein kleines Spiel spielen? Da wir zu dritt sind, können wir ja unser Lieblingsspiel Cards Against Humanity spielen. Wir haben uns unser eigenes Set gebastelt und spielen es, wenn wir Freunde zu Besuch haben.“ „Was ist das für ein Spiel?“ „Ist ganz easy. Es geht im Grunde darum, dass man Situationskarten hat, wo entweder ein kurzer Lückentext oder eine Frage ist, wie zum Beispiel Womit werden wir im dritten Weltkrieg kämpfen? Einer von uns deckt diese Situationskarte auf und die anderen haben Karten in der Hand mit verschiedenen Dingen, die sie als Antwort nehmen können. Das sind dann ziemlich makabere und nicht ganz jugendfreie Dinge, wie zum Beispiel Ein Schwarzer, der von einem weißen Polizisten erschossen wurde oder Hitlers trauriger einsamer Hoden. Derjenige, der die Situationskarte aufgedeckt und vorgelesen hat, sucht sich dann die beste Karte aus, die die anderen gelegt haben und derjenige, der die Karte gelegt hat, gewinnt die Runde. Dann geht das im Uhrzeigersinn weiter und der nächste deckt die Situationskarte auf. Unser Kumpel Marty hatte uns den Floh ins Ohr gesetzt mit seiner Idee und seitdem arbeiten wir an unserem Deck. Deshalb musst du dir schon klar sein, dass das Spiel politisch nicht ganz korrekt ist.“ Simon starrte ihn ungläubig an, als er von seinem Vorschlag hörte, musste dann aber doch schmunzeln und da er nach diesem heftigen Tag eine Ablenkung gut gebrauchen konnte, nahm er den Vorschlag gerne an. Es war zumindest besser, als einsam in seinem Zimmer zu sitzen und sich zu verbarrikadieren. Nach dem Essen ging Cypher das Spiel holen und wurde von Simon begleitet, der sich bei der Gelegenheit auch mal sein persönliches Atelier ansehen wollte. Zwar wurde er gewarnt, dass es etwas gruselig sein würde, aber er ließ sich nicht davon abbringen und betrat Cyphers „Horrorkabinett“. Aufmerksam, aber dennoch mit einem nicht sonderlich begeisterten Blick sah er sich die ganzen Kunstwerke an und konnte dem nicht ganz so viel abgewinnen. „Nicht ganz dein Geschmack, wie?“ fragte der 25-jährige, als er Simons eher skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte und nickte verständnisvoll. „Das ist auch eher was für Leute, die halt diese Schwäche für blutigen Horror haben.“ „Naja, es ist dein Hobby und du verdienst dein Geld damit. Ich fände es eher befremdlich, wenn diese ganzen Sachen wirklich echt sind.“ Cypher lachte und ging zu einem Schrank hin, öffnete ihn und holte eine schwarze Box heraus, die mit kleinen Totenköpfen verziert war. „Ich glaube, ich würde echt Ärger mit den Bullen kriegen, wenn ich hier richtige Organe und Körperteile lagern würde. Aber ich hatte schon mal ein echtes Hirn in der Hand gehabt.“ Und auf Simons geschocktes Gesicht hin erklärte er „Ich hatte, bevor ich mit meinem Kunststudium angefangen habe, mit Medizin angefangen und da hatten wir auch einer Obduktion beigewohnt. Und als ich sah, wie sie dem Toten die Brust aufschnitten, da hatte ich die Erleuchtung, zu was ich wirklich bestimmt war. Das ist die ganze Geschichte. Du siehst also: der einzige Freak in diesem Haus ist immer noch ich. Aber ich bin auch stolz darauf ein Freak zu sein.“ Simon bewunderte ihn wirklich dafür, dass er so selbstbewusst hinter seiner Leidenschaft stand und sich nicht dafür schämte. Aber wahrscheinlich hatte er es auch Hunter und seiner Therapie in der Klinik zu verdanken, dass er stolz auf sein ziemlich düsteres und leicht verstörendes Hobby sein konnte. „Du hast schon echt schräge Hobbys“, gab er zu. „Aber du bist trotzdem echt in Ordnung. Und ich möchte mich dafür bedanken, dass ich bei euch bleiben kann.“ „Kein großes Ding“, versicherte der makabre Künstler, klopfte ihm auf die Schulter und verließ dann zusammen mit seinem den Raum, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo Hunter bereits auf sie wartete. „Wenn ich helfen kann, dann tu ich es auch. Und weißt du was? Selbst wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass wir nicht miteinander verwandt sind, können wir ja trotzdem Brüder sein. Selbst Hunter mag dich und normalerweise entwickelt er erst nach Ewigkeiten Sympathien für jemanden. Vielleicht liegt es daran, weil Leron dasselbe Problem hat wie er und du trotzdem hinter ihm stehst.“ Hunter mochte ihn? Bisher hatte Simon eher den Eindruck gehabt, als könne dieser ihn entweder nicht leiden oder als würde er ihm nicht über den Weg trauen. Woran wollte Cypher denn bitteschön erkennen, was wirklich in ihm vorging? „Mal im Ernst: wie schaffst du das bloß zu erkennen, was in ihm vorgeht?“ „Das ist ganz einfach“, antwortete dieser und deutete auf seine Augen. „Ich habe eine sehr gute Beobachtungsgabe.“ Das kommt mir irgendwie bekannt vor, dachte sich Simon und realisierte, dass dies normalerweise sein Text war. Und war das nicht auch irgendwie ein deutliches Indiz dafür, dass sie vielleicht verwandt sein konnten? Simon konnte die Testergebnisse kaum abwarten, aber so wie es in dem Schreiben gestanden hatte, konnte es bis zu drei Wochen dauern, bis er das Ergebnis hatte. Und bis dahin würde er wohl oder übel warten müssen. Natürlich würde es enttäuschend werden, wenn sich herausstellen sollte, dass er sich geirrt hatte. Aber andererseits hatte Cypher angeboten, dass sie dennoch Brüder sein könnten, wenn auch nicht blutsverwandt. Und das bedeutete ihm auch schon sehr viel. Sie gingen zusammen ins Wohnzimmer, wo Hunter schon auf sie wartete und Getränke und kleine Snacks vorbereitet hatte. Nachdem Cypher die Regeln des Spiels noch mal genauer erklärt hatte, begannen sie das Spiel und schon in der ersten Runde, als Hunter auf die Frage, was er als Attraktion zum Kindergeburtstag mitbringen würde, die Karte Ein Käfig voller Pädophiler legte, verlor er haushoch gegen den finster drein blickenden Bildhauer. Es stellte sich heraus, dass dieser den schwärzesten Humor von allen hatte und er gewann fast jede Runde. Cypher und Simon kriegten sich kaum ein vor Lachen und nachdem die ersten Bierdosen geöffnet wurden, lockerte sich auch die Stimmung wesentlich mehr. Simon schaffte knapp drei Siege, konnte aber nicht wirklich mit den beiden mithalten, die vermutlich den schwärzesten Humor hatten, den er je erlebt hatte. Es überraschte ihn auch, dass jemand, der die ganze Zeit so finster dreinschaute wie ein unheimlicher Serienmörder, tatsächlich Sinn für Humor hatte. Doch Cypher versicherte, dass sein Freund eigentlich einen großen Sinn für Humor hatte und meinte „Hunters Humor ist so schwarz, dass er Baumwolle pflücken geht.“ Doch der Bildhauer selbst äußerte sich nicht wirklich dazu. Als es langsam spät wurde, schauten sie sich zusammen ein paar einfache Horrorfilme an, da Simon nicht wirklich etwas mit Cyphers Filmgeschmack anfangen konnte, weil sie ihm zu brutal und blutig waren. Nachdem sie mit „Shining“ fertig waren und sich dann „Insidious“ ansehen wollten, bemerkten die beiden Künstler, dass ihr Gast eingeschlafen war. Selbst als Cypher ihn vorsichtig an der Schulter rüttelte, ließ er sich nicht aufwecken und da konnte er nicht anders, als darüber zu schmunzeln. „Ich schätze mal, der hat ein bisschen zu viel Alkohol gehabt. So wie er aussieht, scheint er ja sowieso nicht viel zu vertragen.“ „Es ist eher der Stress“, vermutete Hunter und schaltete den Fernseher aus. „Es ist auch viel passiert. Ich bringe ihn ins Bett.“ „Oh, das ist echt süß von dir!“ Damit beugte sich Cypher zu ihm herüber und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Und es macht dir wirklich nichts aus, dass er für ein paar Tage bei uns bleibt?“ „Er ist ganz in Ordnung und er erinnert mich auch irgendwie an dich“, erklärte der mürrisch dreinblickende 24-Jährige. „Und er braucht jemanden, der für ihn da ist. Außerdem sehe ich doch deutlich, dass du ihn magst.“ Vorsichtig hob Hunter den Schlafenden hoch trug ihn ins Gästezimmer. Cypher begann währenddessen aufzuräumen und summte gut gelaunt vor sich hin. Er freute sich, dass sein „Brummbär“ sich so gut mit der Situation angefreundet und den Jungen akzeptiert hatte. Insgeheim hatte er sich schon Sorgen gemacht, weil dieser nur äußerst ungern fremde Menschen hier nächtigen ließ. Aber es war alles gut gegangen und er brachte Simon sogar ins Bett. Und das war für ihn der beste Beweis, dass er ihm vertraute und es war weiß Gott nicht einfach, Hunters Vertrauen zu gewinnen. Auf jeden Fall würden das sicherlich ein paar nette Tage mit Simon werden und währenddessen war Leron in der Klinik gut aufgehoben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)