The Petboy Contract von Sky- ================================================================================ Kapitel 20: Der Termin ---------------------- Simon hatte die Nacht kein Auge zugemacht und war am nächsten Morgen dementsprechend übernächtigt und nicht ganz bei der Sache. Kein Wunder, immerhin war heute der Gesprächstermin mit dem Augenarzt Dr. Dawson, der eventuell der Einzige war, der ihm helfen konnte. Nachdem er sich geduscht und angezogen hatte, ging er hinunter in die Küche und hörte schon im Flur Leron reden. Zuerst fürchtete er, er würde wieder mit der Stimme in seinem Kopf reden, doch zu seiner Erleichterung handelte es sich um ein Telefonat. Da der Unternehmer ruhig sprach und ziemlich ernst klang, schien es wohl kein Geschäftstelefonat zu sein. Um ihn nicht weiter zu stören, setzte sich Simon und machte sich sein Frühstück. Dann schließlich war Leron fertig mit seinem Telefonat und steckte sein Handy in die Hosentasche. Er grüßte Simon und merkte an: „Du siehst ziemlich müde aus. Schlecht geschlafen?“ Ein Nicken kam zur Antwort und der Gefragte gestand, dass er fürchterlich nervös wegen dem bevorstehenden Termin war. Leron tätschelte mit einem verständnisvollen Lächeln seinen Kopf. „Kann ich gut verstehen. Aber mach dich nicht verrückt. Es ist erst mal nur ein Beratungsgespräch und da ich schon die Forschung für deine Augenoperation finanzieren werde, will ich eben auch, dass er mir ausführliche Informationen dazu erteilt und das wird er in diesem Beratungsgespräch tun. Hauptsächlich darum wird es gehen. Überlass die Details ruhig mir.“ „Okay…“, murmelte er und aß sein Brötchen. „Mit wem hast du gerade eben eigentlich telefoniert?“ „Mit dem Psychologen, der mir empfohlen wurde. Übernächste Woche habe ich meinen Termin für das Aufnahmegespräch. Und dann wird er mir hoffentlich auch sagen können, wie ich dieses lästige Problem in den Griff kriegen kann.“ „Mit Sicherheit. Hörst du eigentlich immer noch die Stimme in deinem Kopf?“ „Ab und zu. Ich höre sie nicht rund um die Uhr, aber abstellen kann ich sie bedauerlicherweise auch kaum.“ Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, wie es wohl war, ständig Stimmen im Kopf zu hören und dann auch noch nicht einmal zu erkennen, dass sie nicht existierten. Aber andererseits hatte Leron ihm auch erklärt, dass er nicht in der Lage war, so etwas zu differenzieren, weil sie für ihn real waren. Als sie sich näher darüber unterhalten hatten, da hatte er es ihm ziemlich überzeugend geschildert gehabt, wie leicht man sich täuschen ließ. Und da das Gehirn ja sehr beeinflussbar war und nicht zwischen Realität und Illusion unterscheiden konnte, merkte man meist gar nicht, dass man ein ernstes Problem hatte. Für die Menschen, die Halluzinationen hatten, war es so real, als würde es wirklich passieren, weil ihr eigener Verstand ihnen etwas vorgaukelte. Und ein wenig musste sich Simon an eine Serie erinnern, die er sich letztens erst angeschaut hatte und wo es um einen Menschen ging, der selber schizophren war. Dieser hatte gesagt, dass die Realität nichts weiter als ein Produkt der eigenen Fantasie sei. Denn das Gehirn machte keinen Unterschied, woher also sollte man also wissen, was Halluzination und was Realität war? Und diese Ansicht könnte man so weit führen, dass man sich genauso gut fragen konnte, ob es überhaupt mental gesunde Menschen gab, oder ob nicht jeder Mensch auf der Welt verrückt war und es einfach nur nicht erkannte. Die Theorie war interessant, aber auch beängstigend. Knapp eine Stunde später fuhren sie zur Praxis von Dr. Dawson. Im Wartezimmer war nicht viel los, lediglich ein junger Mann, knapp ein paar Jahre älter als Simon. Er hatte mehrere Piercings und seine Handrücken und Arme waren tätowiert. Sein Haar war schwarz und die Spitzen rot gefärbt. In einer etwas seltsamen Haltung saß er auf dem Stuhl, kaute einen Kaugummi und hatte die Kapuze seiner roten Jacke hochgezogen. Unter der Jacke trug er einen schwarzweiß gestreiften Pullover und eine zerschlissene schwarze Hose, dazu passende schwarze Stiefel mit Nieten. Er wirkte nicht gerade vertrauenswürdig, insbesondere nicht mit den vielen Totenkopfringen und als Simon ihn sah, blieb er abrupt stehen und schien dem Typ, der knapp 25 Jahre alt sein könnte, nicht zu trauen. Leron machte den Anfang und ging zu dem Kerl und fragte ihn ganz unverbindlich „Wollen Sie auch zu Dr. Dawson?“ „Yupp“, bestätigte der Kaugummi Kauende und grinste. „Er meinte, es gäbe da jemanden, der dasselbe Problem hat wie ich.“ Langsam sah er auf und erschrocken hielt Simon den Atem an und konnte nicht glauben, was er da sah. Die Augen seines Gegenübers waren genauso wie seine. Eine blassgraue fast weiße Iris und nicht erkennbare Pupillen, weshalb die Augen aus der Entfernung vollkommen weiß aussahen. Für einen Moment er sich, als wäre er in einen verrückten Traum geraten. Seit wann gab es denn noch jemanden, der dieselbe Augenmutation hatte wie er? Er hatte immer angenommen, dass er der einzige Mensch auf der gesamten Welt wäre. Auch Leron sah geschockt aus und starrte den jungen Mann ungläubig an, der sich nun von seinem Stuhl erhob und ihnen die Hand reichte. „Mein Name ist Cypher Grant, freut mich.“ „S-Simon Cavanaugh…“, murmelte der 21-jährige verdattert und erwiderte den Händedruck. Immer noch war er vollkommen perplex und verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Warum tauchte auf einmal ein Typ auf, der dieselben Augen hatte wie er? Konnte das ein Zufall sein? „Ich… ich verstehe nicht ganz…“ „Ist auch für mich eine Überraschung“, gestand Cypher und setzte sich wieder. Allerdings wirkte er nicht so perplex und überrascht wie sein Gegenüber. „Immerhin dachte ich, ich wäre der Einzige mit diesem Problem. Aber wie es aussieht, scheinen wir beide genau dasselbe zu haben. Und wer ist das? Dein großer Bruder?“ „Sein Freund“, korrigierte Leron mit etwas Nachdruck, doch Cypher reagierte mit einem Lächeln und entschuldigte sich knapp, doch sein Tonfall klang nicht danach, als wäre es ihm sonderlich ernst. Er machte einen etwas zwielichtigen Eindruck, aber es konnte auch ein wenig an seinem Aussehen liegen. Nun setzten sich auch die beiden und zögerlich fragte der 21-jährige: „Wie alt sind Sie eigentlich?“ „25 Jahre“, antwortete Cypher. „Und du kannst mich ruhig duzen. So alt bin ich ja noch auch wieder nicht.“ „Und haben andere in deiner Familie auch solche Augen?“ „Kein Plan, hab meine Familie nie kennen gelernt. Genauer gesagt bin ich in einem Kloster aufgewachsen. Sieht man mir nicht an, oder?“ Er ist vier Jahre älter, hat dieselben Augen und ist ebenfalls ohne Familie aufgewachsen, dachte sich Simon. Es konnte ein merkwürdiger Zufall sein, aber wäre es nicht vollkommen verrückt, wenn da vielleicht eine Verbindung existieren könnte? Unsicher schwieg er, doch Cypher seinerseits erzählte seelenruhig weiter. „Eigentlich haben mich diese Gottesanbeter auf Bartholomew Jacobus Grant getauft, aber der Name war so mies, dass ich ihn habe umändern lassen. Und Cypher klingt meiner Meinung nach wesentlich besser. Ich bin frei schaffender Künstler und als ich meine Augen mal untersuchen ließ, hieß es, dass es noch jemanden gäbe und dass die Möglichkeit besteht, dass es bald eine Behandlungsmethode geben könnte.“ Simon wandte sich mit einem fragenden Blick an Leron, doch dieser hatte nur seine Miene verfinstert und schien diesem Kerl wohl nicht ganz zu trauen. Und wahrscheinlich wunderte er sich auch, was Cypher hier zu suchen hatte, denn eigentlich sollte es ein Beratungsgespräch zwischen ihm und Dr. Dawson werden. Für ihn stand fest, dass er auf jeden Fall mit dem Doktor ein paar Takte reden würde. Kurze Zeit später wurden sie von der Sprechstundenhilfe abgeholt und in das Untersuchungszimmer des Augenarztes geführt. Auch Cypher folgte ihnen und als er sich zu seiner ganzen Größe aufrichtete, stellte sich heraus, dass er fast so groß war wie Leron. Er folgte ihnen, während er die Hände in den Jackentaschen vergraben hatte und schien sich nicht sonderlich an Lerons kaltem Blick zu stören. Als sie das Zimmer betraten, brachte die Sprechstundenhilfe ihnen einen weiteren Stuhl für Cypher und Dr. Dawson begrüßte sie mit einem kräftigen Händedruck. Nachdem sie sich setzten, kam Leron direkt zum Punkt und fragte „Wieso ist er hier? Es war vereinbart worden, dass es ein Beratungsgespräch sein wird und Sie haben mich nicht über weitere Teilnehmer informiert.“ Leron klang ziemlich ungehalten und mit einem strengen Blick sah er Dr. Dawson an, der sich sofort entschuldigte und erklärte „Mr. Grant ist erst seit kurzem mein Patient und ich konnte Sie bedauerlicherweise nicht erreichen. Die Untersuchungen haben ergeben, dass Mr. Grant über exakt die gleiche Anomalie aufweist wie Mr. Cavanaugh und dank einiger Tests habe ich auch neue Erkenntnisse über diese außergewöhnliche Anomalie gewinnen können, um eine genauere Diagnose zu erstellen als vor vier Jahren. Diese ungewöhnliche Augenfarbe ist entweder durch einen genetischen Defekt, oder durch eine zufällig auftretende Mutation verursacht worden. Diese Anomalie liegt in den Stromata, einer dünnen Schicht auf der Iris, die auch als Regenbogenhaut bezeichnet wird. Dort liegen die Pigmentzellen. Es gibt ein Verfahren, welches durch einen Lasereingriff möglich macht, die Iris aufzuhellen, indem die Stroma entfernt wird.“ „Und was heißt das jetzt?“ wollte Leron wissen. Dr. Dawson räusperte sich kurz und erklärte „Bei Säuglingen kann das Phänomen auftreten, dass sie mit blauen Augen zur Welt kommen, sich die Farbe aber ändern kann. Der Grund dafür ist, dass diese Regenbogenhaut noch nicht ausgereift ist und sich erst im späteren Verlauf verdichtet und das entsprechende Melanin produziert wird, sodass die Augen braun werden. Die Grundbasis ist aber immer blau. Dass Mr. Cavanaugh und Mr. Grant problemlos sehen können, obwohl selbst die Pupillen augenscheinlich über keine Pigmentierung verfügen, liegt darin, dass streng genommen eine Melaninanomalie vorliegt. Vereinfacht ausgedrückt heißt das: normalerweise ist der Melaninfarbton in den Augen beispielsweise braun oder blau. Im Fall von Mr. Cavanaugh und Mr. Grant ist der produzierte Farbton weiß. Darum wirken auch die Iris und die Pupille weiß: weil die richtige Farbe durch den weißen Schleier in der Stroma verdeckt wird. Es gibt eine Laserbehandlung, durch welche das Stroma abgelöst wird, sodass die Augenfarbe verändert werden kann. Allerdings liegt das Problem in diesem Fall in der Pupille: das Risiko liegt darin, dass durch die Laserbehandlung der Sehnerv geschädigt wird, da der Laser direkt den visuellen Bereich behandeln würde. Eine alternative Vorgehensweise war die Herstellung eines Medikaments, wodurch das Stroma vollständig abgelöst wird. Allerdings war das Testmedikament sehr aggressiv und es bestand ein hohes Erblindungsrisiko dar. Vor vier Jahren stellten diese beiden Verfahren noch die einzig denkbaren Behandlungsmethoden dar, weil diese Krankheit bis dato einzigartig war und die finanziellen Mittel für nähere Forschungen und Tests fehlten. Nachdem vor ein paar Wochen Mr. Grant zu mir kam, konnte ich neue Erkenntnisse über dieses Krankheitsbild gewinnen und da die medizinische Forschung in den letzten vier Jahren auch im Bereich der Augenbehandlung große Fortschritte gemacht hat, kann ich nun eine Behandlungsmethode in Erwägung ziehen, die wesentlich erfolgreicher wäre. Meine Idee besteht darin, ein Medikament zu entwickeln, welches ich in die Stromata injizieren werde, um das Melanin abzubauen. So blieben die Stromata intakt, allerdings würde der weiße Farbstoff vollständig abgebaut werden, sodass die Grundaugenfarbe zum Vorschein kommt.“ Simon versuchte das Ganze nachzuvollziehen und sich das alles vorzustellen. Doch bevor er weiter nachhaken konnte, kam Leron zuvor: „Und wie hoch ist das Erblindungsrisiko bei dieser Behandlung?“ „Bei weniger als 10%“, antwortete Dr. Dawson mit überzeugender Selbstsicherheit. „Die Stromata bleiben vollkommen intakt, lediglich der weiße Farbstoff wird vollständig abgetragen, sodass kein Farbstoff mehr zurückbleibt. Somit würde auch der Sehnerv nicht angegriffen werden.“ „Dann heißt das, sie wird vollkommen durchsichtig“, schlussfolgerte Cypher und grinste breit. Er schien sich ziemlich darüber zu freuen, dass tatsächlich eine risikofreie Behandlung möglich war, die alternativ zur Laserbehandlung durchgeführt werden konnte, ohne den Sehnerv zu schädigen. Auch das bestätigte Dr. Dawson und dann wandte er sich an Leron. „Da das Mittel nach der Fertigstellung noch getestet werden muss, werden einige Versuchsreihen durchgeführt werden müssen. Mr. Grant hat sich hierzu als Testperson angeboten, bevor ich Mr. Cavanaugh auf die gleiche Weise behandle. Somit kann ich die Rate des Erfolges genau bestimmen und möglicherweise verbessern, wenn ich die Ergebnisse bei Mr. Grant ausgewertet habe.“ Bedächtig nickte der Unternehmer und begann nachzuvollziehen, was es mit den hohen Kosten auf sich hatte: zum einen für die Forschung für die Entwicklung dieses Mittels und zum anderen, um die Tests zu finanzieren. Sein Blick wanderte zu Cypher, der immer noch seinen Kaugummi kaute und der Gedanke kam ihm, dass dieser zwielichtige Kerl sich tatsächlich bereit erklärte, das Versuchskaninchen zu spielen und sogar Risiken in Kauf zu nehmen. Ob Cypher auch so viele Probleme mit seinen Augen hatte wie Simon? Warum hatten beide überhaupt dieselbe Anomalie? Das waren doch merkwürdige Zufälle und so wie er Simon inzwischen kannte, war ihm dies auch schon längst aufgefallen. „Und du willst dich wirklich als Testperson zur Verfügung stellen?“ „Warum nicht?“ erwiderte Cypher mit einem Schulterzucken. „Ist vielleicht meine einzige Chance und ich hab nicht genug Kohle, um das alles aus eigener Tasche zu bezahlen. Und wenn ich mir die Kosten sparen kann, indem ich das Versuchskaninchen spiele, warum sollte ich nein sagen?“ Nun, das war auch ein Argument und Leron konnte das nachvollziehen. Aber eines beschäftigte ihn noch und das wollte er von Dr. Dawson erfahren. „Wie kann es sein, dass es zwei Menschen gibt, die exakt das gleiche genetisch bedingte Augenproblem aufweisen?“ „Tja, das ist nicht einfach festzustellen“, gestand der Augenarzt. „Es kann eine erblich bedingte Mutation sein, oder sie wurde durch Medikamente oder Schadstoffe ausgelöst.“ Nachdem das Gespräch mit Dr. Dawson, der nun mit der Forschung nach dem Mittel beginnen wollte, vorbei war, fasste sich Simon ein Herz und fragte Cypher, ob er nicht vielleicht Zeit für ein Gespräch hätte. Der 25-jährige zuckte mit den Schultern und antwortete „Klar, gerne!“, woraufhin sie in ein Café gingen. Sie setzten sich in eine hintere Ecke, wo sie in Ruhe miteinander reden konnten. Während Leron sich einen Kaffee bestellte, entschied sich Simon für eine Cola und Cypher für einen Pfefferminztee. Lässig lehnte sich der Gepiercte zurück und fragte schließlich „Also, was kann ich für euch tun?“ Doch Simon zögerte noch ein wenig mit seinen Fragen und schien sich nicht ganz sicher zu sein, was er fragen sollte. Es war immerhin nur ein schwacher Verdacht, auch wenn er wusste, dass es vielleicht nur ein Zufall sein konnte. Aber ein kleiner Funken Hoffnung bestand ja doch und um mehr Gewissheit zu bekommen, sollte er einfach mal nachfragen. „Wie kommt es eigentlich, dass du in einem Kloster aufgewachsen bist?“ „Bin kurz nach meiner Geburt ausgesetzt worden“, erklärte Cypher. „Über meine Familie habe ich nie etwas erfahren und die Mönche dort wussten auch rein gar nichts. Dementsprechend gab es keinerlei Informationen über meine Herkunft“ „Und was hast du danach gemacht?“ „Ich bin an die Uni gegangen und hab studiert. Seitdem bin ich Künstler“, erklärte der 25-jährige und begann einem Unterlippenpiercing zu spielen. Von der Aufmachung her sah er fast wie ein Punk aus und durch diesen außergewöhnlichen Look entstand bei längerer Betrachtung der Eindruck, als wären die Augen ein Teil davon. Cypher hatte auf seine Weise sein Aussehen an seine Augen angepasst. Nun beugte er sich vor und schaute Simon prüfend an. „Und was ist mit dir?“ „Bin im Heim aufgewachsen“, gestand der Angesprochene. „Ich ging schon während der High School jobben, um Geld für den Eingriff zu verdienen. Leron ist seinerseits Unternehmer und mein Freund. Er hat angeboten, mich zu unterstützen, um die Behandlung zu bezahlen.“ „Schon merkwürdig, was?“ stellte Cypher fest und hob die Augenbrauen. „Wir sind beide ausgesetzt worden und haben dieselbe Krankheit. Wäre ja noch verrückter, wenn wir am Ende noch irgendwie verwandt wären, was?“ Ja, das war auch Simons Gedanke und auch wenn dieser Cypher irgendwie ein schräger Vogel war und einen etwas unheimlichen Eindruck machte, hoffte etwas in ihm, dass er vielleicht ein Verwandter sein könnte. Sein ganzes Leben hatte sich Simon gefragt, woher er kam, wer er wirklich war und ob er irgendwo eine Familie hatte. Aber es hatte nie einen Hinweis gegeben und eventuell war Cypher seine einzige Chance. Wenn ihre Augenanomalie tatsächlich erblich bedingt war, dann wäre es doch wahrscheinlich, dass sie eventuell miteinander verwandt waren. Zumindest war es doch auffällig, dass sie beide in einem Heim aufgewachsen waren. „Meinst du, man könnte herausfinden, ob wir irgendwie verwandt sind?“ „Mit Sicherheit“, meinte Cypher und trank seinen Tee aus. „Wenn es schon diese Vaterschaftstests gibt, dann muss es doch eine Möglichkeit geben, unsere DNA miteinander zu vergleichen und zu prüfen, ob es irgendwo Übereinstimmungen gibt.“ „Und wo kann man so etwas machen?“ „Kein Plan, aber normalerweise findet man ja im Internet die nötigen Antworten. Ich schau mal kurz nach…“ Cypher holte aus seiner Hosentasche ein Handy hervor und begann nun nachzusuchen. Er brauchte aber nicht lange, um die Adresse eines Instituts zu finden, das solche Tests durchführte und wo man kostenlos Sets beantragen konnte, mit der die DNA-Proben sichergestellt werden konnten. Sie vereinbarten, die Kosten dieser Untersuchung zu teilen und Cypher beantragte direkt ein solches Set und gab seine Anschrift an. „Wenn das Paket angekommen ist, ruf ich dich einfach an. Wäre cool, wenn du mir deine Nummer geben könntest.“ Sie tauschten daraufhin die Nummern aus und unterhielten sich ein wenig. Simon wollte unbedingt mehr über Cypher herausfinden, der möglicherweise die einzige Spur zu seiner Familie sein konnte. Trotzdem war er anfangs noch recht überrumpelt, dass jemand, den er im Grunde gar nicht kannte und dieser ihn genauso wenig, so plötzlich mit dem Vorschlag eines DNA-Testes ankam. Aber so wie dieser Kerl wirkte, schien er relativ entspannt und offen zu sein. Leron hielt sich die ganze Zeit über sehr zurück und sein Blick, den er Cypher zuwarf, war alles andere als freundlich. Er konnte nicht genau sagen, ob es Eifersucht war, oder vielleicht einfach nur Misstrauen, weil dieser Typ so zwielichtig aussah. Ihm war es lieber, wenn Simon sich von diesem Kerl fernhielt, denn so wie der sich gab, war er verdächtig. Er wirkte wie jemand, der garantiert etwas auf dem Kerbholz hatte. „Gut beobachtet, Ronnie. Du hast ja am eigenen Leib erfahren, wie große Brüder so sind. Willst du deinem kleinen Liebling das Gleiche zumuten? Dieser Cypher ist nicht ganz koscher und garantiert hat er ein paar Leichen im Keller. Du wirst schon sehen!“ Aber war es wirklich richtig, sich da einzumischen? Der Junge war sein ganzes Leben allein gewesen und er hatte nicht einmal Verwandte oder Familie. Es war nur verständlich, wenn er diesen Strohhalm ergriff, um etwas über seine Herkunft zu erfahren. Da war es doch nur richtig, wenn er ihn unterstützte. Aber trotzdem traute er diesem Cypher nicht. Allein wie er aussah und sich verhielt, war er einfach nur seltsam und deshalb wollte er Simon lieber nicht alleine lassen. Wer weiß ob dieser Typ nicht vielleicht irgendwelche Vorstrafen hatte oder gefährlich war. Wenn Cypher sich als Testperson für Simons Behandlung zur Verfügung stellte, dann war das schön und gut, das rechnete er ihm auch an. Allerdings missfiel es ihm einfach, wie angeregt sich die beiden gerade miteinander unterhielten. „Warum lässt du das zu, hm? Er ist immerhin dein Freund und er gehört dir und niemandem sonst. Und wenn dieser Cypher das nicht kapiert, dann musst du ihn spüren lassen, dass Simon dein Besitz ist.“ Ein eisiger Schauer durchfuhr Leron, als er das hörte. Es war nicht Michaels Stimme, die er da hörte und das war ihm schon seit vielen Jahren nicht mehr passiert. Es war eine vollkommen andere Stimme und sie machte ihm Angst, denn sie klang eiskalt und absolut bösartig. Eine Weile saß er da und starrte ins Leere, bis er dann aus seiner Starre herauskam, als Cypher plötzlich mit einer Hand vor seinem Gesicht herumwedelte. „Ey Mann, alles klar bei dir oder ist dir nicht gut?“ „Leron?“ fragte Simon besorgt. „Hast du wieder dieses Problem?“ „Schon gut“, murmelte der Unternehmer und schüttelte den Kopf. „Ich habe nur gerade ein wenig nachgedacht.“ „Geht’s deinem Freund nicht gut?“ hakte der 25-jährige etwas irritiert bei Simon nach. Doch dieser gab nur eine ausweichende Antwort, da er aus Rücksicht auf Leron nichts über dessen Krankheit sagen wollte. Mit einem Schulterzucken gab sich der ominöse Künstler zufrieden und bot ihm an, bei ihm mal vorbeizuschauen und erklärte „Wenn wir tatsächlich eventuell Brüder sind, können wir uns doch besser kennen lernen. Außerdem sitzen wir mit unseren Augen ja eh im selben Boot.“ „Gerne“, rief Simon begeistert und wieder hörte Leron diese fremde Stimme in seinem Kopf, die nicht Michael war. Und dass er sie nicht zuordnen konnte und sie völlig fremd war, war für ihn noch schlimmer. „Und schon geht es los. Er wird dir deinen geliebten Simon wegnehmen. Willst du das wirklich zulassen? Er gehört dir und niemand anderem sonst. Und wenn er das nicht kapiert, musst du es ihm mit Gewalt zeigen!“ Nein, das würde er nicht tun. Stattdessen hatte er eine andere Idee und bestand darauf, mitzukommen. Wenn Cypher ihm den Jungen wirklich wegnehmen wollte, dann würde dieser nicht zulassen, dass er mitkam. Doch überraschenderweise hatte der 25-jährige Künstler nichts dagegen und sagte „Klaro, kein Problem“, wobei sein Grinsen aber wieder so zwielichtig wirkte, dass Lerons Vermutung stärker wurde, dass dieser Kerl ein paar Leichen im Keller hatte. Zu trauen war ihm auf keinen Fall, aber er würde erst den Kontakt zwischen Cypher und Simon verbieten, wenn er konkrete Indizien hatte, dass dieser Typ gefährlich für den Jungen sein könnte. Vorher würde er erst mal nur dabei sein und sichergehen, dass ihm nichts passierte. Auf keinen Fall würde unüberlegt handeln, nur weil ihm seine Krankheit einredete, es drohe Gefahr. Trotzdem machte ihm diese andere Stimme in seinem Kopf zu schaffen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er sie irgendwann schon mal gehört hatte und kannte. Aber warum redete nicht Michael zu ihm? Jahrelang hatte er immer nur seine Stimme gehört. Konnte es sein, dass sich seine Krankheit verschlimmerte und wenn ja, warum? Was war der Auslöser dafür? „Okay“, sagte Cypher nun und klatschte einmal kurz in die Hände. Dabei fiel dem Unternehmer auf, dass er schwarz lackierte Fingernägel hatte. „Wenn ihr Zeit habt, könnt ihr gerne zu mir kommen. Dann kann ich euch auch mal meine Kunstwerke zeigen, falls Interesse besteht.“ Leron sagte nichts dazu, doch Simon schien regelrecht begeistert zu sein. Der Gedanke daran, dass er einen großen Bruder haben könnte, schien ihn jegliche Vorsicht vergessen zu lassen, was diesen mehr als merkwürdigen Typen anging. Oder aber es war wie Leron befürchtete: durch seine Krankheit wurde er einfach nur paranoid und sah Gefahren, wo keine waren. Und da er selbst nicht gerade die besten Erfahrungen mit großen Brüdern hatte, projizierte er all dies auf Cypher, der eventuell tatsächlich mit Simon verwandt sein könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit eventuell gering sein könnte. Er musste wirklich aufpassen, dass seine Krankheit ihn nicht zu beherrschen begann, andernfalls würde er definitiv dieselben Fehler machen wie Michael. Und dass er Simon begleitete, war ja nicht falsch. Er ließ einfach Vorsicht walten und passte auf ihn auf, was nichts mit seiner Krankheit zu tun hatte. Er passte einfach nur auf ihn auf, weil er nicht wusste, ob man Cypher wirklich trauen konnte. Trotzdem blieb das ungute Gefühl zurück, dass sich seine Krankheit langsam schleichend zu verschlimmern begann, oder er vielleicht sogar wieder eine heftige Attacke erleiden könnte. Das war ihm schon vor Jahren passiert, als er ausgerastet und gewalttätig geworden war. Zwar hatte er gelernt, sich unter Kontrolle zu halten, aber wenn seine Episoden heftiger wurden, musste er sich überlegen, was er bis zum Beginn der Therapie tun konnte. Seine Sorge war einfach zu groß, dass er bei solch einem schizophrenen Anfall nicht mehr in der Lage sein würde, klar zu denken und dass er in diesem Zustand Simon etwas antun könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)