Ippo ni Yoko von MAC01 (Seto x Jou) ================================================================================ Kapitel 39: Einen Schritt der Reflexion --------------------------------------- Ich sitz in einem alten Ohrensessel in meiner Bibliothek. Mein verstauchter Fuß auf einem Hocker vor mir hochgelegt, ein Buch in meinem Schoss. Seit etwas mehr als einer Stunde starr ich auf die gleiche Buchseite. Die Stille wird nur durch das gleichmäßige Ticken der Standuhr unterbrochen. Durch das mir gegenüber liegende Fenster kann ich sehen, wie es nach wie vor schneit und langsam dunkel wird. Katsuya ist in der Küche und wollte Abendessen machen. Mir ist alles irgendwie entglitten! Erst der Kindergarten, der mich schreien gehört hat. Okay, dachte ich mir. Wissen sie es eben. Etwas dagegen tun lag eh nicht in meiner Macht. Ich war auch selbst Schuld, dass es soweit gekommen war. Sonst, wenn der Kindergarten im Haus war, vermied ich es schließlich zu schlafen, vor allem seit sich meine Albträume wieder gehäuft hatten und heftiger geworden waren. Ich hatte mir schon einen Ausweg zu Recht gelegt: Hätten sie mich darauf angesprochen, dann wollte ich mich zurück ziehen und ihnen damit signalisieren, dass es sie absolut nichts anging. Vielleicht hätte es wie weglaufen gewirkt, aber es hätte das Thema gekonnt abgewürgt. Da war ich mir felsensicher. Doch stattdessen haben sie das Thema gar nicht erst angeschnitten! Sie haben sich so verhalten, als hätten sie mein Aufschrecken gar nicht mitbekommen. Stattdessen haben sie versucht mich mit ihrem Smalltalk einzubeziehen. Was heißt versucht, schlussendlich hab ich mich tatsächlich hinreisen lassen und bin in das Gespräch rund um das neu Street Combat voll eingestiegen. Es hatte sich irgendwie befreiend und entspannend angefühlt, aber... jetzt im Nachhinein fühl es sich komisch an. Ich war immer stets bemüht sie auf Abstand zu halten und beim Frühstück war es so anders. Als hätte ich schon immer dazu gehört. All die Unterschiede im Stand, die ich sonst bei solchen Anlässen heraus gearbeitet habe, spielten auf einmal gar keine Rolle mehr. Auch das sie mich in der Nacht schreien gehört haben war völlig unwichtig geworden. Das zweite, was mir an diesem Tag völlig entglitten ist, ist die Wahrung meiner Schande gegenüber meinem kleinen Bruder! Für einen Moment hab ich nicht aufgepasst. Doch dieser Moment hat gereicht, dass er meine Narbe am Handgelenk gesehen hat. Erst als ich den Schock in seinem Blick sah wurde mir bewusst, dass ich mich entblößt hatte. Ich wollte nie, dass Mokuba davon auf diese Art und Weise erfuhr. Eigentlich, hätte er niemals davon erfahren sollen! Als ich seinen Schock in seinen Augen sah fühlte es sich an, als würde mein Herz zerspringen. Ich wollte eigentlich sofort etwas sagen. Doch alles, was ich zu diesem Zeitpunkt gesagt hätte, wäre eine glatte Lüge gewesen und ich wollte meinen kleinen Bruder nicht anlügen! Ihm etwas nicht zu erzählen, damit er sich nicht grämte, war für mich in Ordnung. Aber ihn offen und bewusst anzulügen, um meine eigene Schande kleiner zu machen, als sie ist... das kommt für mich nicht in Frage. Doch anstatt auf mich sauer oder wütend zu sein begegnet mir mein kleiner Bruder mit Liebe und lächelt mich glücklich an. Das hat mich verwirrt. Ich meine, er hat die Narbe gesehen. Weiß was sie zu bedeuten hat. Wieso ist er nicht wütend auf mich, dass ich ihn im Stich lassen wollte? Umgekehrt hätte ich ihn wahrscheinlich angeschrien und Antworten oder Erklärungen gefordert. Doch nicht Mokuba. Aber ganz spurlos ist die Erkenntnis nicht an ihm vorbei gegangen. Seit er die Narbe gesehen hat sucht er mehr meine Nähe. Das war deutlich in den wenigen Stunden heute zu spüren. Auch das kann ich mir nicht erklären, wieso er unbedingt die Nähe von demjenigen sucht, der ihn betrogen hat. Auch hat er immer noch keine Antworten oder Erklärungen gefordert. Sonst ist er immer so wissbegierig und will immer sofort alles im Detail wissen. Warum dieses Mal nicht? Wie hätte ich wohl reagiert, wenn Mokuba Antworten und Erklärungen gefordert hätte? Ich muss in mich hinein horchen, bevor mir klar wird, dass ich ihn wohl einfach hätte stehen lassen. Eine Antwort oder Erklärung wäre ich ihm schuldig geblieben, weil ich keine Kraft gehabt hätte mich einem so offenen Gespräch mit ihm zu stellen. Oder vielleicht, weil ich Angst davor gehabt hätte, dass er mir Vorwürfen und Enttäuschung entgegen bringen würde. Wieder spüre ich dieses Gefühl in mir, als großer Bruder versagt zu haben. Nicht gut genug für meinen kleinen Bruder zu sein, der sich immer auf mich verlassen hat und den ich so sträflich vernachlässige, von mir fern gehalten habe und vor dem ich mein wahres Ich ebenso, wie vor jedem anderen auch, verborgen habe. Auch wenn Mokuba wohl die Weitsicht hatte zu erkennen, dass ich heute Morgen nicht bereit zu diesem Gespräch gewesen bin, kann ich diese Situation nicht einfach so stehen lassen! Ich muss mit ihm reden. Auch wenn ich es selbst eigentlich gar nicht will. Aber ihn ständig wegzustoßen, weil ich nicht will, dass er bestimmte Sachen mitbekommt... das verletzt ihn zu sehr... Das hat mir Katsuya klar gemacht. Nach diesem desaströsen Tag auf dem Teich, der mit einem verstauchten Knöchel und den Verlust meiner Fassade vor meinem Bruder geendet hat. Ich hab zuerst nicht verstanden, warum er mich vor Mokuba so bloß gestellt hat. Doch er hat es mir erklärt und ich verstand, auch wenn ich es anfangs nicht wahrhaben wollte, dass er Recht hatte. Mein kleiner Bruder ist längst kein Kind mehr. Er hat mehr als einmal eine Weitsicht bewiesen, die mich erstaunt hat. Ihn immer wegzuschicken verletzt ihn unsäglich und untermauert nur weiter, was für ein schlechter Bruder ich eigentlich bin. Er will mir helfen... also sollte ich ihn lassen... Aber zuerst muss ich mit ihm über meine Narbe sprechen. Vielleicht... vielleicht will er mir danach ja gar nicht mehr helfen oder zur Seite stehen. Ich hab eine Heidenangst vor diesem Gespräch mit meinem kleinen Bruder... ich will ihn nicht verlieren! Will, dass er mich weiterhin so anschaut, wie bisher... in mir seinen großen Bruder sieht, der stark und mutig und selbstsicher ist... Dumm nur, dass ich so gar nichts mehr davon bin! Das wird spätestens nach dem Jahreswechsel auch beruflich ein Problem werden! Meine Albträume haben mich dermaßen zermürbt, dass von meiner Fassade fast nichts mehr übrig ist. Manchmal, so wie im Gespräch mit Jonouchi-san, schaff ich es noch mein altes Ich herauszukehren. Jedenfalls für einige Minuten. Doch das wird in der Firma oder wenn ich mit Geschäftspartnern zu tun habe nicht ausreichen. Panik macht sich in mir breit. Wenn etwas in der Geschäftswelt tödlich sein kann, dann ist es Schwäche zu zeigen. In diesem Punkt - und mir widerstrebt es das wirklich zu denken - hatte Gozaberu Recht! Das beste Beispiel dafür war die versuchte Übernahme meiner Firma durch Pegasus J. Crawford! Er hat eine Schwäche gewittert und wollte sie ausnutzen. Beinahe wäre es ihm gelungen. Aber derzeit, seit dieser Orkan in meinem Innern um mich fegt, kann jede Kleinigkeit - selbst eine zufällige oder nicht gewollte Berührung - mich völlig aus der Bahn werfen. Ich muss das wieder in den Griff kriegen. Hier zu Hause kann ich solche Reaktionen noch kompensieren beziehungsweise ist es kein Thema, wenn ich mich ihnen ergebe. Aber in der Firma oder bei geschäftlichen Treffen kann ich mir solche unkontrollierten Reaktionen einfach nicht erlauben. Ich spüre eine Präsenz dicht vor mir. Spüre die Wärme auf meinem Knie und an meiner Wange. Als ich aus meinen Gedanken in die Gegenwart zurückkehre kniet Katsuya vor mir und lächelt mich warmherzig an - wie er es immer zu tun pflegt. Bevor es mir richtig bewusst wird, merk ich, wie ich sein Lächeln erwidere. Worüber sein Drache gerade nachgedacht hat, möchte er in einem sanften Tonfall wissen. Und ohne zu zögern offenbar ich ihm meine Gedanken. Nachdem ich fertig bin, bin ich über mich selbst mehr als erschrocken. Hat mich der Blonde in dieser relativen kurzen Zeit wirklich so sehr verändert, dass ich ihm derart blind vertraue? Katsuya reckt sich ein wenig und kommt zu mir hoch, legt seine Lippen auf meine und küsst mich sanft. Es ist wie immer, wenn er mich küsst... dann verschwinden all meine Gedanken, Zweifel, Ängste... dann bleiben nur noch er und ich und diese Gefühle für ihn und von ihm übrig. Das Gefühl, stets mehr von ihm zu wollen. Die Sicherheit und Geborgenheit, die er mir schenkt. Lust und Verlangen, die mich erfüllen, wenn wir uns so nah sind. Und dieses alles überwältigende Gefühl, dass als Basis für all das und noch mehr dient: LIEBE! Unser Kuss endet nur langsam und geht zwei, drei Mal in die Verlängerung, bevor wir uns wirklich von einander lösen können. Irgendwann während dem Kuss muss Katsuya aufgestanden sein und sich über mich gekniet haben, so dass er wieder auf meinem Schoss sitzt. Seine Hände liegen in meinem Nacken, während meine auf seiner Hüfte ruhen. Ich schau ihm in seine goldglänzenden, honigbraunen Augen. In ihnen spiegelt sich das, was ich zu fühlen glaube. Und dann... ohne dass ich es wirklich steuern kann... sag ich diese drei berühmten Wörter, von denen ich immer dachte, sie seien viel zu kitschig und klischeebehaftet, als dass ich sie jemals selbst aussprechen würde: Ich liebe dich! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)