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Mein Chef und ich

oder: Nie wieder Ferienjobs!
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen zusammen. ^^
Es geht weiter!
Also, nicht nur mit dieser Story, sondern auch mit "Spielzeug" und (hoffentlich) auch dem zweiten Teil meiner Natsume-FF.
Das liegt zum einen daran, dass ich endlich mal wieder langsam in die Gänge komme und dabei bin, meine Schreibblockade ENDLICH hinter mir zu lassen, sondern auch daran, dass ich momentan mehr Zeit habe, um weiter zu schreiben. Außerdem habe ich natürlich (schlau wie ich bin) noch ganz viele angefangene Projekte, die aber erst später drankommen. ;-P
Und ich will die laufenden Sachen auch mal abschließen, um die Fortsetzung von "Bis du mein bist..." angehen zu können.
Das wird legen..es kommt gleich... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein frohes neues Jahr zusammen. ^^
Endlich geht es weiter. (juhu)
Und keine Sorge, ich habe "Spielzeug" nicht vergessen. Das dauert nur noch ein wenig.
Erstmal ganz viel Spaß mit diesem Kapitel.
LG,
BloodyRubin Komplett anzeigen

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Mein Chef ist ein Model

Hier war ich also.

Mein erster Ferienjob stand mir bevor.

Laut meinem Handy war ich - bedingt durch meine Aufregung - eine halbe Stunde zu früh, doch das war mir nur Recht. So konnte ich mir wenigstens schon einmal einen Überblick verschaffen. Das Haus, vor dem ich stand, war gewaltig. Von meinem Beobachtungsposten aus hatte ich eine gute Aussicht auf die Menschen, die wie Ameisen hin und her wuselten und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Übrigens, mein Name ist Obi Kanagi. Ich bin 17 Jahre alt und habe endlich dem Drängen meiner Mutter nachgegeben, mir mal Gedanken über meinen zukünftigen Lebensweg zu machen. Ihr zuliebe habe ich mich hier beworben und wurde nach einem mehr als langweiligen Vorstellungsgespräch tatsächlich angenommen. Eigentlich hatte ich mit einer Absage gerechnet, aber offenbar hatte ich - wie auch immer - überzeugt. Ich wusste noch nicht genau, was mich erwartete, doch trotzdem hatte ich mir schon vorgenommen, das jetzt auch durchzuziehen. So schlimm konnte es ja nicht werden, richtig?

Zwanzig Minuten später betrat ich das Gebäude und fand mich vor einem hölzernen Empfangstresen wieder, an dem eine viel zu stark geschminkte Dame saß. Als sie mich bemerkte, wanderte eine ihrer gezupften Augenbrauen merklich in die Höhe und ihr Lächeln bekam eine leicht kühle Note. Dabei hatte ich mich extra in meine besten Klamotten gezwängt. Und ja, gezwängt ist dabei genau das richtige Wort. Das hellblaue Hemd, das ich trug, war mir mindestens eine Nummer zu klein und definierte meinen Oberkörper mehr, als mir lieb war. Immerhin die schwarze Hose passte ordentlich. Meine auf Hochglanz polierten Schuhe drückten unangenehm an den Seiten. Gut, das war meine eigene Schuld. Ich trug diese Fußmörder nur sehr selten. Um das Elend perfekt zu machen, hatte meine Mutter mir heute Morgen auch noch eine schlichte, dunkelblaue Krawatte aufgezwungen und versucht, meine Haare zu bändigen. Glücklicherweise war sie selber mit dem Ergebnis unzufrieden gewesen und hatte mir erlaubt, zu meiner normalen Frisur zurückzukehren.

„Kann ich Ihnen helfen, Sir?“ kam es von der Frau und ich schenkte ihr ein herzliches Lächeln. Das war wohl falsch, denn die zweite Augenbraue folgte der ersten nach oben und ihre gekünstelte Freundlichkeit fiel komplett in sich zusammen. „Ja, ich habe um neun Uhr einen Termin bei Frau Inugami. Würden Sie mir sagen, wie ich in Zimmer 483 komme?“ „Neben den Fahrstühlen befindet sich ein Gebäudeplan.“ erwiderte die Frau gelangweilt. Ob die wohl zu allen so höflich war? Ich zwang mich, mein Temperament zu zügeln, nichts zu sagen und wandte mich nach rechts, wo die Aufzüge zu sehen waren. Aus dem Gebäudeplan, der tatsächlich dort hing, schloss ich, dass ich in den vierten Stock musste. Dort angekommen, fand ich das Büro relativ schnell und klopfte an die Tür. „Herein.“ ich öffnete die Tür und staunte nicht schlecht. Der Raum war zwar nicht sehr groß, aber wahnsinnig geschmackvoll eingerichtet. Auch Frau Inugami bot einen sehr professionellen Eindruck. Mit ihrer weißen Bluse, ihrem schwarzen, knielangen Rock und ihren ebenfalls schwarzen Lackschuhen wirkte sie, als würde sie in ihrem Beruf voll aufgehen.

„Sie müssen Obi Kanagi sein.“ sagte sie, ohne sich mit etwas so Lapidarem wie einer Begrüßung aufzuhalten. „Ja, der bin ich.“ antwortete ich etwas unsicher. „Folgen Sie mir.“ kam es von ihr und sie rauschte aus dem Zimmer. Ich beeilte mich, mit ihr Schritt zu halten, was ihr gar nicht auffiel, da sie es nicht für nötig hielt, sich zu mir umzudrehen. „Sie werden als Assistent arbeiten. Bei ihrem Chef handelt es sich um Izana Miyoshi. Er ist hier als Model angestellt. Sie sind dafür verantwortlich, seine Fanpost zu sichten, seine Termine zu verwalten, zu notieren und zu ändern und für sein persönliches Wohlergehen zu sorgen. Denken Sie, Sie bekommen das hin?“ „Sicher doch. Ich werde mein Bestes geben.“ erwiderte ich entschlossen. Ein wenig war ich ja schon gespannt auf meine Arbeit und stur genug, um den Job zu machen, war ich allemal. Wir erreichten einen weiteren Raum und Frau Inugami klopfte kurz, ehe sie hineinging.

Nun war ich wirklich beeindruckt. Das musste das Aufnahmestudio sein. Es war gewaltig und einige Personen hasteten dort herum wie aufgescheuchte Hühner. Ein riesiger Greenscreen stand an einer Wand, der von mehreren Kameras und Beleuchtungsapparaten umringt war. Vor dem Greenscreen stand eine Harley Davidson, die einen unbezahlbaren Eindruck machte. Ein Mann stand an den Kameras und stellte dort irgendwas ein, ehe er sich zu uns umdrehte. „Guten Morgen, Inugami-san. Ist das der neue Assistent von Miyoshi-san?“ „Ja. Das ist Obi Kanagi. Kanagi-san, das ist Makoto Saitoh. Er arbeitet hier als Fotograf.“ Der Mann verbeugte sich kurz und ich tat es ihm gleich. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“ „Ebenfalls. Miyoshi-san müsste auch gleich da sein. Hast du ihn schon kennengelernt, Kanagi-kun?“ „Nein, noch nicht.“ sagte ich ehrlich und warf der Harley einen bewundernden Blick zu. „Ich gehe dann mal wieder. Bis bald, Saitoh-san.“ kam es von Inugami-san und die Frau neigte kurz den Kopf, ehe sie sich umdrehte und das Studio verließ. „Viel Glück, Kanagi-san.“ kam es noch von ihr, dann war sie verschwunden. Verdattert starrte ich ihr nach. Himmel, waren die Leute hier unentspannt.

„Eines solltest du noch wissen, Kanagi-kun.“ meldete sich der Fotograf wieder zu Wort und ich wandte mich ihm zu. „Miyoshi-san ist nicht ganz einfach. Wenn du dich zu sehr gegen ihn stellst, wirst du diesen Ferienjob schneller los sein, als du Gemeinheit sagen kannst. Deswegen bleib höflich, auch wenn es dir schwer fällt. Zu Hause darfst du wüten, so viel du willst, aber hier wird Professionalität vorausgesetzt. Alles klar?“ „Verstanden.“ Zum ersten Mal überkam mich das dumpfe Gefühl, dass die Idee, mich ausgerechnet hier zu bewerben, vielleicht doch nicht so klug gewesen war. „Deine Arbeitszeiten sind von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags. Pausen sind um elf, um zwei und um vier. Die Pause um zwei ist die Mittagspause und geht eine halbe Stunde. Alle anderen Pausen sind fünfzehn Minuten. Neben dem Aufnahmestudio befindet sich ein Pausenraum. Dort steht auch ein Automat für Snacks und Getränke. Alles so weit verstanden?“ „Ja.“ „Gut. Bevor du nachher gehst, komm bitte noch einmal zu mir. Dann bekommst du einen Besucherausweis.“

Gerade wollte ich Saitoh-san fragen, wozu in aller Welt ich einen Besucherausweis brauchte, doch da ging die Tür erneut auf und ein junger Mann betrat den Raum. „Das ist er.“ wisperte der Fotograf mir zu und ich musterte den Neuankömmling genauer. Er hatte schulterlange, hellblonde Haare, tiefblaue Augen und ein ebenmäßiges Gesicht. Sein Körper war schlank und steckte in einem Biker-Outfit. Vom Alter schätzte ich ihn auf etwa zwanzig. Er bemerkte mich und sein Blick wanderte meinen Körper entlang, als wollte er mich analysieren. Ich hielt seinem eindringlichen Blick stand und er verweilte mit seinen Augen eine Weile auf meinen, ehe er lächelte. Nie zuvor hatte ich jemanden so herablassend lächeln sehen. „Habe ich etwas im Gesicht oder warum starrst du mich so an, Mondkalb?“ fragte er schließlich mit einer ruhigen, aber dennoch kalten Stimme und sofort stieg Wut in mir hoch. Wie hatte der Kerl mich gerade genannt? So ein unverschämter, arroganter, eingebildeter... „Hast du deine Zunge verschluckt, Mondkalb? Saitoh-san, wer ist das?“ „Das ist Obi Kanagi, Ihr neuer Assistent.“ „Tatsächlich?“ Ein unheilvolles Funkeln trat in Miyoshi-sans Blick und er trat dicht an mich heran. „Mein letzter Assistent hat zwei Wochen durchgehalten. Wenn ich mir dich so ansehe, würde ich sagen, du schaffst gerade mal drei Tage.“ „Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miyoshi-san. Auf gute Zusammenarbeit.“ gab ich gepresst zurück und verbeugte mich tief vor dem anderen. Nicht ausrasten, nicht ausrasten... „Sieh mal an, wer da seine Zunge und seine Manieren wiedergefunden hat. Ich bin mir sicher, die nächsten sechs Wochen werden dir im Gedächtnis bleiben, Mondkalb. Immer vorausgesetzt natürlich, du kannst so weit denken.“

Ich richtete mich wieder auf und bekam gerade noch mit, wie Miyoshi-san mir den Rücken zudrehte und sich an die Harley stellte. Hier war ich also. Mein erster Ferienjob stand mir bevor. Mein Chef war ein Arsch und ich musste nun 42 Tage mit ihm aushalten. Ja, ich hätte mich wohl lieber woanders bewerben sollen. Aber das kam wohl zu spät. Diesen Sieg würde ich Miyoshi-san auf jeden Fall nicht gönnen. Wir würden ja sehen, wer hier aufgab.

Mein Chef ist eine riesige Diva

„Den Kopf etwas nach links, bitte. Ja, genau so.“ Während Miyoshi-san sich mit der Harley Davidson ablichten ließ, stand ich da wie bestellt und nicht abgeholt und beobachtete das Geschehen. Schon seit einer halben Stunde lief die Fotosession und allmählich fragte ich mich, was genau ich eigentlich zu tun hatte. „Wunderbar, das wäre geschafft. Fünf Minuten Pause. Danach machen wir weiter.“ „He, Mondkalb. Hör auf, Löcher in die Gegend zu starren und reich mir ein Handtuch.“ Aus meinen Gedanken gerissen, schreckte ich auf und sah mich um. An einer Ecke des Studios befand sich tatsächlich ein Schrank, in dem mehrere Handtücher lagen. Ich griff mir eines davon und trat hinter die Kameras. Sofort empfing mich eine unerträgliche Hitze, die von den Beleuchtungsapparaten ausstrahlte. Wie ertrug Miyoshi-san das nur so lange? Doch als ich nahe genug bei dem anderen stand, erkannte ich, dass ihm Schweißperlen über Gesicht und Hals liefen. Mühsam unterdrückte ich einen fiesen Kommentar und gab ihm das Handtuch. „Hier, bitte.“ Ohne sich zu bedanken, fing Miyoshi-san an, sich das Gesicht abzutupfen, ehe er versuchte, mich mit seinem Blick zu erdolchen. „Grins nicht so dämlich, sondern geh in den Pausenraum und hol eine Flasche Wasser.“ Bemüht ruhig verließ ich das Studio und wandte mich nach rechts.

Der Pausenraum war schlicht und langweilig. Als ich vor dem Automaten stand, wurden mir zwei Dinge klar. Erstens, das Teil war nicht kostenlos. Zweitens, mein Chef hatte mir kein Geld gegeben, was hieß, dass ich ihm sein dämliches Wasser bezahlen durfte. Knurrend zog ich meine Geldbörse aus meiner Hosentasche und zog eine Flasche, bevor ich einem der Stühle einen Tritt verpasste und mich wieder auf den Weg zum Aufnahmestudio machte. Dort traf mich fast der Schlag. Das Motorrad war verschwunden und einer Holzliege gewichen. Miyoshi-san hatte die Bikerklamotten ausgezogen und stand nun in einer grau-roten Badehose da. Als ich seinen durchtrainierten Oberkörper sah, erfasste mich ein Hauch von Neid. Zwar hatte auch ich Muskeln vorzuweisen, doch bei weitem nicht so viele wie der Blonde. Ich ging zu dem anderen und übergab ihm kommentarlos das Wasser. Würde ich mich wegen dem Geld beschweren, würde er mich bestimmt rausschmeißen. Miyoshi-san nahm einen großzügigen Schluck, drehte die Flasche wieder zu und drückte sie mir in die Hand. „Ist der Schlauch bereit?“ fragte er dann an Saitoh-san gewandt, wobei er mich vollständig ignorierte. „Ja, ist er.“ kam es von dem Fotografen und ich machte, dass ich wegkam.

Schon traf das Wasser auf Miyoshi-san und durchnässte ihn innerhalb von Sekunden. Er gab keine Regung von sich, sondern drehte sich nur langsam um die eigene Achse, damit er auch wirklich nass wurde. Erst dann kehrte er hinter die Kameras zurück, legte sich auf die Liege und die nächste Session begann. Dieses Mal dauerte sie eine Stunde. Erst ein lauter Gong ließ Saitoh-san aufhorchen. „Sehr gut gemacht, Miyoshi-san. Wir sehen uns in fünfzehn Minuten.“ Innerlich aufatmend, wollte ich mich gerade auf den Weg in den Pausenraum machen, als ich von einer ruhigen, kalten Stimme aufgehalten wurde. „Und wo willst du hin, Mondkalb?“ „In den Pausenraum, Miyoshi-san.“ antwortete ich und prüfte die Uhrzeit. Ja, es war elf. „Nicht so hastig. Ich habe noch etwas mit dir zu besprechen.“ Ich knirschte mit den Zähnen und drehte mich zu dem Blonden um, der immer noch nur die Badehose trug und sich mit dem Handtuch die Haare trocknete. „Mitkommen, Mondkalb.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, marschierte Miyoshi-san auf die Tür zu und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm wie ein treudoofes Hündchen hinterher zu dackeln. „Dir wurde sicher gesagt, dass du dich um meine Termine zu kümmern hast, nicht wahr?“ „Ja, Inugami-san hat das erwähnt.“ „Ich werde dir meinen Terminplaner leihen. Ich erwarte, dass du ihn abschreibst und immer bei dir trägst. Hast du das geschnallt oder soll ich es noch einmal langsam wiederholen, Mondkalb?“

Innerlich fluchend zwang ich mich, meine Stimme ruhig und höflich klingen zu lassen. „Ich habe verstanden. Bis wann habe ich Zeit?“ „Bis morgen. Ich bin grundsätzlich um halb neun hier und bis dahin will ich ihn zurückhaben.“ Toll, jetzt durfte ich auch noch früher hier antanzen, nur weil der feine Herr anscheinend eine tiefe, emotionale Beziehung zu einem Notizblock aufgebaut hatte. „In Ordnung.“ Miyoshi-san hielt vor einem Zimmer, auf dem ein goldenes Schildchen mit seinem Namen befestigt war. Ich verdrehte die Augen, was er zum Glück nicht mitbekam und folgte ihm in den Raum. Was für ein Angeber. Der Blonde ging an ein wahres Ungeheuer von Tisch und nur kurz darauf hielt er mir ein kleines, rotes Notizbuch entgegen, wobei er spöttisch auf mich hinuntersah. Warum musste der Kerl auch so groß sein? Ich schlug den Terminplaner auf und glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Das war keine Schrift, das war eine Katastrophe. Wie sollte ich denn diese Hieroglyphen bis morgen entziffern? „Gibt es ein Problem, Mondkalb?“ Ich hob den Blick und sah direkt in diese tiefblauen Augen. „Würden Sie bitte aufhören, mich Mondkalb zu nennen? Ich heiße Obi Kanagi.“ Seine Lippen taten es seinem Blick gleich und er lächelte spöttisch. „Verschwinde, Mondkalb. Ich würde meine Pause gerne in Ruhe genießen.“

Ich war noch nie so froh, mich einmal alleine im Pausenraum aufhalten zu können. Zwar waren es nur noch acht Minuten, aber jede Sekunde ohne Miyoshi-san war eine Wohltat für mich. Nach nur zwei Stunden hatte ich diesem eingebildeten Schönling bestimmt schon fünfmal in Gedanken seine ach so perfekte Nase gebrochen. Von wegen >nicht ganz einfach<. Der Typ war vollkommen durchgeknallt. Schneller, als es mir Recht war, war die Pause vorbei und ich kehrte widerwillig in das Aufnahmestudio zurück. Auch Miyoshi-san war kurz darauf wieder da. Nun trug er Gothic-kleidung und jemand hatte seine Augen pechschwarz geschminkt, wodurch das tiefe Blau seiner Augen besonders gut zur Geltung kam. Trotzdem musste ich einen Lachanfall zurückkämpfen, als ich den Blonden so sah. Blöderweise kriegte Miyoshi-san das dieses Mal mit und sein Blick bekam einen mörderischen Ausdruck. Ich schluckte und wandte mich hastig ab. Das würde garantiert Ärger geben. Die nächsten Stunden verliefen relativ ereignislos. Als die Mittagspause eingeläutet wurde, streckte ich mich und begann zu überlegen, wo ich am besten Essen gehen konnte. Allerdings wurden meine Gedanken recht schnell unterbrochen, als sich mein Chef vor mir aufbaute. Mist, ich hatte gehofft, er hätte mich vergessen. „Das wird Konsequenzen haben, Mondkalb.“ zischte er und seine Stimme stand seinen Augen in keinster Weise an Kälte nach. „Ich lasse nicht zu, dass ein Assistent denkt, er könnte sich über mich lustig machen.“ „Ich habe mich nicht...“ begann ich, wurde aber sofort von ihm unterbrochen. „Du solltest vorsichtiger sein. Ansonsten wird dein Arbeitszeugnis nicht besonders positiv ausfallen.“

Miyoshi-san beugte sich zu mir hinab und ich schaffte es nur mühsam, nicht vor dem Blonden zurückzuweichen. „Überlege dir, mit wem du dich anlegst, Mondkalb. Anderenfalls werde ich dafür sorgen, dass dein nächster Ferienjob darin besteht, die Kotze von Besoffenen auf der Bahnhofstoilette wegzuwischen. Ich hoffe, das war deutlich genug für dich.“ „War es. Es tut mir leid.“ Normalerweise würde ich nicht so schnell klein beigeben, aber diese Aura, die ziemlich einer gereizten Klapperschlange ähnelte, ließ nichts anderes zu. Der Blonde rauschte davon und ich atmete tief durch. Was hatte ich nur verbrochen, um so einen Chef zu verdienen? Das war sicher nicht der beste Weg, seinen ersten Tag zu verbringen. Wie sollte ich das nur sechs Wochen durchhalten? Den restlichen Tag über versuchte ich, nicht noch weiter negativ aufzufallen. Anscheinend gelang mir das ganz gut, denn ich wurde von Miyoshi-san hauptsächlich ignoriert. Dafür bekam nun Saitoh-san den Unmut des Blonden zu spüren, als sich dieser die Bilder anschaute. Nichts schien ihm Recht zu sein und nur wenige Bilder schafften es, seinem Perfektionismus standzuhalten. Der Fotograf schien dieses Verhalten bereits zu kennen, denn er gab keinerlei Widerworte und löschte jedes Bild, das nicht Miyoshi-sans Erwartungen entsprach. Endlich war es vorbei und der Feierabend stand an. Wie angekündigt, erhielt ich meinen Besucherausweis und machte mich so schnell wie möglich auf den Weg nach Hause. Inzwischen verstand ich meinen Vorgänger. Wie sollte das nur weitergehen?

Mein Chef ist mir zu nah

Todmüde stand ich vor dem Gebäude, in dem mich das Verderben erwartete. Meine Uhr zeigte fünf vor halb neun an und ich unterdrückte ein Gähnen. Da ich es nicht hinbekommen hatte, das Gekrakel von Miyoshi-san zu entziffern, hatte ich kurzerhand meine Mutter um Hilfe gebeten. Als Arzthelferin hatte sie schließlich mit noch schlimmeren Vergehen der japanischen Schrift gegenüber zu tun. Tatsächlich hatte sie es geschafft, die Schrift zu entziffern und mir die Termine des Blonden vorgelesen, damit ich sie mir abschreiben konnte. Auf ihre drängenden Fragen hin hatte ich gesagt, dass der Ferienjob recht abwechslungsreich war. Das war zwar halb gelogen, aber sie hatte sich so darüber gefreut, dass ich es nicht über mich gebracht hatte, ihr die Wahrheit zu sagen. Schließlich musste sie auch nicht wissen, dass mein Chef ein dämlicher Idiot war, der mich ständig als Mondkalb bezeichnete und derart aufgeblasen war, dass ich mich wunderte, warum sein Kopf noch nicht explodiert war. Immerhin eine Sache hatte ich geändert und mir heute Morgen einfach einen weiten, grauen Pullover und eine schlichte Jeans angezogen. Dazu trug ich meine Turnschuhe, die zwar nicht mehr so neu waren, aber mir immerhin ordentlich passten. Ich gähnte und fragte mich gerade, wo Miyoshi-san blieb, als genau dieser auf mich zukam.

„Beeindruckend.“ begrüßte er mich, als er mich erreicht hatte. „Du bist tatsächlich pünktlich, Mondkalb. Hast du gestern noch gelernt, die Uhr zu lesen?“ „Tatsächlich konnte ich das schon vorher.“ gab ich bissig zurück. Ich wollte nicht so gereizt reagieren, aber der Blonde schien es geradezu herauszufordern. „Gestern war ich eher damit beschäftigt, das Gekritzel zu dechiffrieren, das du als Schrift bezeichnest, eingebildeter Angeber.“ Für einen Moment wirkte Miyoshi-san überrascht, ehe er herausfordernd lächelte. „Anscheinend hast du schon wieder vergessen, was ich dir gestern gesagt habe, Mondkalb.“ „Keineswegs. Allerdings muss ich nur während meiner Arbeitszeit so tun, als würde ich dich respektieren. Und laut meiner Uhr beginnt meine Arbeit erst in fünfundzwanzig Minuten, aufgeblasener Wichtigtuer.“ Ach, tat das gut. Dem anderen zu zeigen, dass er nicht tun und lassen konnte, was er wollte, war unglaublich befreiend. Eine Weile blickten wir uns an. „Genieße diesen Moment, Mondkalb.“ sagte der Blonde endlich und zog seinen Mitarbeiterausweis aus der Tasche, mit der er die Tür öffnete. Die unhöfliche Tresentussi fing ebenfalls erst um neun Uhr an und die Ausweise waren dafür gedacht, trotzdem in das Gebäude zu kommen.

Mit dem Gefühl, Miyoshi-san wenigstens einmal geschlagen zu haben, betrat ich ebenfalls das Gebäude und zog, während ich lief, den Terminplaner meines Chefs heraus. „Hier.“ sagte ich und drückte ihm das Ding in die Hand. „Ich hoffe, du hast dich nicht zu einsam ohne deinen ach so wichtigen Notizblock gefühlt, überheblicher Großkotz.“ Miyoshi-san warf einen Blick auf seine Uhr, bevor er antwortete. „Noch zehn Minuten, Mondkalb. Anstatt dich so kindisch aufzuführen, kannst du mir lieber sagen, welche Termine für heute anstehen.“ „Kannst du das nicht selber? Oder schaffst du es nicht, deine eigene Schrift zu lesen?“ „Sehr komisch. Das gehört zu deinen Aufgaben.“ „Schon gut, schon gut...Idiot. Von neun bis um elf eine Mittelaltersession, von viertel nach bis um zwei eine Schulsession und von drei bis fünf eine Fotostrecke für die Vereinigung der Schwulen- und Lesbengemeinschaft.“ „Gut. Du kannst schon mal ins Aufnahmestudio gehen und Saitoh-san Bescheid geben, das ich um neun da bin.“ „Wie Sie wünschen, Miyoshi-san.“ Wie schade, dass die Zeit für mich um war. Ich hätte den ganzen Tag so weiter machen können. Der Blonde warf mir noch einen Blick zu, den ich nicht einordnen konnte, dann verließ er den Aufzug. Ich tat, was er verlangt hatte und schon war Miyoshi-san wieder dabei, sich in einem Mittelalterkostüm fotografieren zu lassen. Wieder stand ich da und wartete, bis ich gebraucht wurde. Vorsorglich hatte ich mir schon ein Handtuch aus dem Schrank genommen und mir über den Arm gehängt.

Bis drei Uhr verlief alles ungewöhnlich glatt. Dieses Mal hatte ich es geschafft, nicht zu lachen, als ich meinen Chef in einer Schuluniform und mit falscher Brille gesehen hatte. Doch nach der Mittagspause fing alles an, schrecklich schief zu laufen. Nach dem, was ich mitbekam, lag das Model, mit dem Miyoshi-san arbeiten sollte, mit einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus und nun fand sich auf die Schnelle kein Ersatz. Saitoh-san wirkte, als würde er gleich in Tränen ausbrechen und lief völlig aufgelöst vor dem Bett hin und her, das für diese Aufnahmen vor dem Greenscreen stand. „Was sollen wir denn jetzt tun? Die Bilder sollen in zwei Tagen fertig sein.“ Miyoshi-san, der ein weißes Hemd und eine dunkle Hose trug, seufzte schwer auf. „Würden wir es noch schaffen, wenn wir die Bilder morgen machen?“ „Ich fürchte, nein. Ich muss die Bilder ja noch bearbeiten, bevor ich sie wegschicken kann.“ Miyoshi-san dachte eine Weile nach, ehe sein Blick an mir hängenblieb und sich ein Lächeln auf seine Züge schlich, das mir sagte, dass ich in ernsten Schwierigkeiten steckte. „Dann wird wohl das Mondkalb aushelfen müssen.“

Verdattert starrte ich den anderen an. Das war doch nicht sein Ernst, oder? „Ähm...Miyoshi-san? Ich habe keinerlei Ahnung vom Modeln.“ gab ich zu bedenken und der Blonde winkte lässig ab. „Du musst nur das machen, was Saitoh-san dir sagt. Das wirst selbst du hinbekommen, oder?“ Der Fotograf schien derart verzweifelt zu sein, dass er den Vorschlag sofort annahm und sich vor mich stellte. „Das könnte klappen. Bitte tu es, Kanagi-kun.“ Ich wollte ablehnen, doch Saitoh-sans Hundeblick führte dazu, dass ich aufseufzte. „Gut, ich bin dabei. Was muss ich machen?“ Freudig klatschte der Fotograf in die Hände. „Du musst nur den Pullover und die Schuhe ausziehen und dich auf das Bett legen. Weitere Anweisungen kommen dann von mir.“ „W-was? Ausziehen? Wieso das denn?“ Mein Blick wanderte automatisch zu dem Bett, auf dem immer noch Miyoshi-san saß und mich bösartig angrinste. Und dann erinnerte ich mich schlagartig daran, wofür diese Fotosession war und ich merkte, wie ich knallrot anlief. Verflucht, verflucht, verflucht… Erwartungsvoll beobachtete mich Saitoh-san und mir wurde klar, dass es nun kein Zurück mehr gab. Ich legte das Handtuch auf einen Stuhl und streifte mir den Pullover sowie die Schuhe ab. Dann machte ich mich mich auf den Weg zu dem Bett, wobei ich sehr wahrscheinlich denselben Gesichtsausdruck hatte wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.

Miyoshi-san stand auf, als ich das Bett erreichte und ich legte mich auf die zugegebenermaßen herrlich weiche Matratze. „Okay, Kanagi-kun. Das rechte Bein bitte nach oben hin anwinkeln und stütz dich auf die Ellbogen.“ Ich gehorchte und hatte jetzt schon das Gefühl, mich vollkommen zum Affen zu machen. Ohne eine Miene zu verziehen, knöpfte Miyoshi-san sein Hemd auf und ließ es bis zu den Armbeugen hinunterrutschen, ehe er ebenfalls auf das Bett krabbelte und erst innehielt, als er schon viel zu nahe an mir dran war. „Alles klar. Miyoshi-san, greifen Sie unter Kanagi-kuns Kinn und heben es an. Kanagi-kun, die linke Hand auf Miyoshi-sans Brust. Und die Gesichter näher zusammen, bitte.“ Ehe ich auch nur den Versuch machen konnte zu protestieren, hielten warme Finger mein Kinn fest und ich sah direkt in funkelndes Blau, in dem ein eindeutig gehässiges Glitzern erkennbar war. „Ich hasse dich, Mistsack.“ zischte ich durch die Zähne, während er mir näher kam. „Du hast zugestimmt. Also ist es deine eigene Schuld, wenn du dich nicht erinnerst, welcher Art die Aufnahmen sind, Mondkalb. Und jetzt hör auf zu blöken und leg endlich deine Hand auf meine Brust.“ antwortete der Blonde genauso leise. Bei jedem Wort spürte ich seinen Atem, der meine Lippen streifte. Er war so verdammt nah… Unendlich langsam legte ich meine Hand auf Miyoshi-sans Brust und eine Sekunde lang verspannten sich seine Muskeln. Tja, keiner hatte behauptet, dass ich warme Hände hatte. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, was unter der Hitze der Lampen und der Nähe des Blonden mehr als schwierig war. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis Saitoh-san zufrieden war. „Wunderbar. Gut, Kanagi-kun, leg dich jetzt gerade hin. Das Bein bitte so lassen, wie es ist und eine Hand auf Miyoshi-sans Schulter. Miyoshi-san, das Gesicht bitte so weit runter, wie es geht.“ Wir waren noch nicht fertig? Och nööö…

Mein Chef ist ein Dieb

Haare kitzelten meinen Brustkorb und ich konnte mich gerade noch davon abhalten, mich zu bewegen. Wieder dauerte es bestimmt hundert Jahre, bis der Fotograf genug Bilder hatte. Mein Gesicht glich inzwischen sicher einer überreifen Tomate und ich schwitzte wegen der Beleuchtungsapparate. „Alles klar, fünf Minuten Pause. Hier, Handtücher und Wasser. Du schlägst dich großartig, Kanagi-kun. Miyoshi-san, wie immer professionell.“ Der Blonde löste sich von mir und nahm sein Wasser entgegen, während ich mich auf die Bettkante setzte und mich mit dem Handtuch abtrocknete. Erst dann trank auch ich einen Schluck Wasser. „Wie viele Bilder kommen noch?“ fragte ich, ohne den anderen anzusehen. „Hmmm...vier, warum?“ War ja klar. Das würde ich ihm so was von heimzahlen. Schneller als gedacht war die Pause vorbei. „Alles klar, machen wir weiter. Für das nächste Bild musst du dich auf das Bett setzen, Kanagi-kun. Gesicht nach vorne, die Knie zusammen, die Beine hinten auseinander. Genau so. Miyoshi-san, Sie knien sich bitte hinter Kanagi-kun. Die Arme um seine Brust, die Hände auf seinen Brustkorb.“ Ich schnappte leise nach Luft, als der Blonde der Aufforderung nachkam und ich seinen Körper an meinem spürte. Sein Gesicht lag auf meiner Schulter und ich roch eine Mischung aus Zitrone und Vanille. Musste sein Shampoo sein…

„Mache ich dich nervös, Mondkalb?“ wisperte der andere mir zu und selbst ich konnte den triefenden Spott in seiner Stimme heraushören. Am liebsten hätte ich ihm meinen Ellbogen in die Rippen gehauen. „Halt die Klappe.“ fauchte ich zurück und merkte, wie sein Körper leicht bebte. Lachte dieser Penner mich aus? „Kanagi-kun, den Kopf nach hinten lehnen, bitte.“ beendete Saitoh-san meinen Plan, ehe ich ihn ausführen konnte. Während ich also die Decke anstarrte, schien sich die Zeit zu ziehen wie Kaugummi. Die nächsten beiden Bilder waren fast genauso schlimm. Hätte ich geahnt, wie dicht mein Chef mir für die Fotos auf die Pelle rücken würde, hätte ich von vorneherein abgelehnt. Endlich kam das vorletzte Bild. „So, hier brauchen wir ein paar Utensilien.“ sagte der Fotograf und reichte Miyoshi-san ein paar flauschige Handschellen und eine Augenbinde. „M-moment...“ protestierte ich jetzt doch und warf Saitoh-san einen wohl ziemlich entsetzten Blick zu. „Keine Sorge, Kanagi-kun.“ erwiderte dieser und lächelte mir beruhigend zu. „Dir wird nichts passieren. Miyoshi-san weiß, was er tut. Entspann dich einfach und vertrau ihm.“ Wie bitte? Vertrauen? Dem? Wie sollte das gehen, wenn ich ihn nicht einmal ausstehen konnte? Blöderweise war der Blonde bereits dabei, mir die Augen zu verbinden und eine vollkommene Schwärze überkam mich.

Schon wurde ich auf das Bett gedrückt und meine Hände über meinem Kopf am Bett befestigt. „Hier, das müssen Sie einfach nur festhalten, Miyoshi-san. Das Gesicht halb zur Kamera, bitte. Und den Zeigefinger an die Lippen. Perfekt.“ Ich war mehr als erleichtert, als genug Bilder im Kasten waren und ich von den Handschellen befreit wurde. Ich zog mir die Augenbinde ab und blinzelte heftig gegen die plötzliche Helligkeit. „Wir sind fast durch. Für das letzte Bild musst du dich auf das Bett knien, Kanagi-kun. Dieses Mal so, dass du Miyoshi-san im Blick hast. Miyoshi-san, Sie müssen sich ebenfalls hinknien. Dann halten Sie bitte Kanagi-kuns Hände fest und neigen den Kopf so, dass ein simulierter Kuss entsteht.“ Bei diesen Worten verschluckte ich mich und hustete einige Sekunden lang, bevor ich Saitoh-san nun endgültig verzweifelt ansah. „Es soll bitte was entstehen? Das kann doch nicht wahr sein.“ „Krieg dich wieder ein, Mondkalb.“ meinte der Blonde fast schon gelangweilt und legte endlich den Flogger weg, den er bis eben noch in der Hand gehabt hatte. „Es soll nur so aussehen. Du solltest lernen, die feinen Unterschiede mitzubekommen.“ „Halte noch etwas durch, Kanagi-kun.“ kam es jetzt auch von dem Fotografen. „Nur noch dieses Bild, dann hast du es geschafft. Das kriegst du hin. Wenn du zu aufgeregt bist, mach einfach die Augen zu.“ Das tat ich nur allzu gerne und nur Sekunden später legten sich die Hände des anderen auf meine und etwas Weiches streifte ganz leicht über meine Lippen. Mein Herzschlag erhöhte sich und glich nun mehr einem Trommelfeuer. „Die Augen nicht ganz so fest zusammenkneifen, Kanagi-kun.“ drang Saitoh-sans Stimme an meine Ohren. Der hatte leicht reden... Mit aller Willenskraft, die ich aufbringen konnte, entspannte ich mich wieder und wartete ab. Irgendwann musste es ja vorbei sein.

Urplötzlich pressten sich Lippen fest auf meine und ich riss die Augen auf. Was tat dieser Blödmann denn da? Ich wollte zurückweichen und den anderen anschreien, doch Miyoshi-san nutzte diesen Augenblick aus und fuhr mit seiner Zunge in meinen Mund. Ich erstarrte, während sich der Raum um mich zu drehen begann. Er küsste mich...er küsste mich tatsächlich...plünderte in aller Ruhe meinen Mundraum und strich mit seiner Zunge herausfordernd über meine. Ich tat gar nichts. Ich war vollständig paralysiert. Mein Gehirn schaffte es nicht, diesen Moment zu verarbeiten. Schließlich endete der Kuss ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte und Miyoshi-san blickte mich kurz gehässig an, ehe er sich an Saitoh-san wandte, der mit offenem Mund dastand und entgeistert dreinschaute. „Was sollte das denn, Miyoshi-san?“ fragte der Fotograf schließlich und der Blonde zuckte mit den Achseln. „Ist authentischer. Haben Sie alles im Kasten?“ „Ja schon...die Kamera war auf Selbstauslöser. Aber ging das nicht etwas weit, Miyoshi-san?“ „Wegen dem Mondkalb? Er wird schon drüber wegkommen.“ „Kanagi-kun? Ist alles in Ordnung? Kanagi-kun?“ Allmählich erwachte ich aus meiner Starre und stand auf. „Da...da...“ hörte ich meine eigene Stimme und die beiden anderen sahen mich aufmerksam an. „Ähm...Kanagi-kun?“ kam es zögerlich von Saitoh-san.

Ich beachtete ihn gar nicht. Mein Blick galt alleine Miyoshi-san, der auf der Bettkante saß, den Kopf schräg zur Seite gelehnt hatte und nun wieder desinteressiert wirkte. „Kommt da noch was oder hast du schon wieder deine Zunge ver-...“ fing der andere an, doch ich ließ ihn nicht aussprechen. Wie eine Welle brachen meine Gefühle aus mir heraus. „Das war mein erster Kuss, du dämliches Arschloch!!“ schrie ich den Blonden an, drehte mich auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Aufnahmestudio. „Warte, Kanagi-kun!“ rief Saitoh-san mir hinterher, doch ich dachte gar nicht daran, auf ihn zu hören, sondern knallte nur die Tür hinter mir zu und rannte den Flur entlang. Mir doch egal, dass ich hier auf Socken herumlief und mein Oberkörper immer noch entblößt war. Ich konnte nur an das denken, was gerade passiert war. Mein Chef - ein Mann - hatte mir meinen ersten Kuss gestohlen. Ich hatte zwar schon einmal eine Freundin gehabt, aber diese war viel zu schüchtern gewesen, um mich zu küssen oder sich von mir küssen zu lassen. Lediglich Händchenhalten hatte sie erlaubt. Irgendwann hatte sie dann Schluss gemacht und seither hatte ich sie nicht mehr wiedergesehen.

Vor einem Büro hielt ich endlich an, schlüpfte durch die Tür und ließ mich auf dem Bürostuhl nieder. Anscheinend wurde hier gerade umgebaut, denn die Jalousien vor den Fenstern waren hinuntergelassen und ein zerlegter Aktenschrank stand an einer Wand. Ich setzte mich auf den Bürostuhl und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Das Gefühl von Miyoshi-sans Lippen auf meinen hatte sich tief in meine Gedanken gebrannt. Wie sollte es jetzt nur weitergehen? Ich konnte und wollte dem Blonden nicht mehr unter die Augen treten. Blöderweise war das unmöglich, da ich als sein Assistent arbeitete. Vielleicht sollte ich den Ferienjob doch aufgeben. Toll, und das nach nur zwei Tagen… Die Stimme von Miyoshi-san hallte in meinem Kopf wieder. `Mein letzter Assistent hat zwei Wochen durchgehalten. Wenn ich mir dich so ansehe, würde ich sagen, du schaffst gerade mal drei Tage.´ Oh nein. Ich würde bestimmt nicht dafür sorgen, dass der andere auch noch mit seiner Vermutung Recht behielt. Außerdem wollte ich meine Mutter nicht unglücklich machen. Sie hatte sich so gefreut, als sie gehört hatte, dass ich hier angenommen worden war. Ich straffte mich und traf meine Entscheidung. Ich würde bleiben. Sicher würde ich noch eine Möglichkeit finden, Miyoshi-san die Sache mit dem Kuss heimzuzahlen. Ich blieb noch eine halbe Stunde in dem Büro, um mich wieder vollständig zu beruhigen, dann machte ich mich auf den Weg zurück in das Aufnahmestudio.

Mein Chef ist ein...Vampir?!

Die nächsten Tage sprachen Miyoshi-san und ich nur das Nötigste miteinander. Ich, weil ich immer noch ziemlich sauer auf ihn war und er, weil er es wohl nicht für weiter wichtig hielt, mit mir zu reden. Den Kuss hatten wir überhaupt nicht mehr erwähnt. Inzwischen war Freitag und nur noch eine halbe Stunde trennte mich von meinem Wochenende. Ich streckte mich unauffällig und beobachtete, wie Miyoshi-san die Bilder aussortierte. Er wirkte schon den ganzen Tag blass und erschöpft, doch das änderte nichts an seiner unausstehlichen Art. Ich hielt mich aus dieser Sache raus und wartete auf den Gong, der mich von der Anwesenheit des Blonden erlöste. Als es endlich so weit war, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg nach Hause. Dort erwartete mich bereits meine Mutter mit dem Abendessen. „Hallo, mein Schatz. Wie war die Arbeit?“ „Ganz gut. Allerdings habe ich jetzt eine riesigen Kohldampf.“ Meine Mutter lachte und strich mir über die Haare. „Dann setz dich mal an den Tisch, ich bringe dir was.“ Ich lächelte ihr zu und tat, was sie mir gesagt hatte. Seit mein Vater verstorben war, standen wir beiden uns sehr nahe. Zwar hatten wir nie viel Geld gehabt, aber das war für uns auch nie das Wichtigste gewesen. Während des Essens berichtete meine Mutter, was sie während ihrer Arbeit so erlebt hatte.

Die Uhr zeigte bereits halb zehn an, als es mir auffiel. Ich hatte mich auf mein Zimmer zurückgezogen, nachdem ich meiner Mutter eine gute Nacht gewünscht hatte. Dort wollte ich mich gerade umziehen, als ich merkte, dass meine linke Hosentasche ungewöhnlich leer war. Das war doch jetzt nicht wahr,oder? Ich hatte tatsächlich meinen Geldbeutel bei der Arbeit liegen lassen. Fluchend verließ ich mein Zimmer wieder und ging in das Wohnzimmer, wo meine Mutter auf dem Sofa saß und fernsah. Verwundert blickte sie mich an. „Ist alles in Ordnung?“ „Ich muss noch mal kurz weg. Ich habe was auf der Arbeit vergessen.“ „Soll ich dich fahren?“ „Nein, ist schon okay. Ich fahre schnell mit dem Fahrrad. Bis später.“ „Pass auf dich auf.“ „Klar.“ Kurz darauf radelte ich durch die warme, sternenklare Nacht. Wie gut, dass ich auf meine Jacke verzichtet hatte und ein lockeres T-Shirt trug. Insgesamt dauerte meine Fahrt zwanzig Minuten, bis ich an dem Gebäude ankam. Immerhin hatte ich an meinen Besucherausweis gedacht. Während ich vorsichtig durch die dunkle Empfangshalle in Richtung des Aufzugs ging, war ich froh, dass ich mich inzwischen hier einigermaßen auskannte. Dennoch machten die Dunkelheit und die Geräusche mich wahnsinnig nervös.

Endlich befand ich mich vor dem Pausenraum und trat durch die Tür. Auf dem Tisch lag tatsächlich mein Geldbeutel. Aufatmend steckte ich ihn in meine Hosentasche, verließ das Zimmer und wollte gerade wieder gehen, als ich einen Lichtstreifen bemerkte, der unter der Tür des Aufnahmestudios hindurch schien. Wer war denn um diese Zeit noch hier? Neugierig trat ich näher. Einbrecher konnten es nicht sein. Die hätten wohl kaum das Licht angemacht. Ich öffnete die Tür und ging hinein. Die Tür ging hinter mir wieder zu und ich blinzelte einige Male, um meinen Augen die Möglichkeit zu geben, sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Dann erkannte ich Miyoshi-san, der mit dem Rücken zu mir auf einem Sofa lag. „Was machst du denn hier?“ fragte ich überrascht. Der Blonde antwortete nicht. War er etwa eingeschlafen? Ich ging zu ihm und bemerkte, dass er tatsächlich die Augen geschlossen hatte und keuchend atmete. „He, Mistkerl. Ist dir deine Luxusvilla etwa nicht gut genug oder warum liegst du hier rum?“ Immer noch keine Reaktion. Energisch trat ich näher und war kurz versucht, Miyoshi-san einen Tritt zu verpassen. Aber dann packte ich ihn einfach nur fest an der Schulter. „Aufwachen, Blödmann. Bist du betrunken oder...“ Der andere reagierte so schnell und heftig, dass ich gar keine Möglichkeit hatte, mich irgendwie zu wehren. Er drehte sich um, warf sich auf mich und nur Sekunden später lag ich auf dem Boden. Mein Chef saß auf mir und pinnte mich mit einer ungeheuren Stärke am Boden fest. Ich blickte hoch und was ich sah, ließ mich überrascht nach Luft schnappen. Etwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung.

Miyoshi-san hatte sich verändert. Seine eigentlich dunkelblauen Augen waren nun tiefrot und ein wilder Ausdruck lag in seinem Gesicht. Er öffnete den Mund und ich erstarrte völlig. Seit wann hatte der Blonde so scharfe, lange Eckzähne? Was ging hier vor? „Miyoshi-san? Was soll das? Lass mich sofort los!“ versuchte ich zu schreien, doch meine Stimme war vor Angst hoch und quietschend. Der andere fing an, sich zu mir hinunterzubeugen und ich schaffte es, eine meiner Hände zu befreien und ihm auf die Brust zu legen, um ihn zu stoppen. Doch so sehr ich auch versuchte, ihn zurückzudrängen, er war stärker. Er griff nach dem Kragen meines Shirts, knöpfte ihn auf, so dass nun meine halbe Schulter sichtbar war und drehte meinen Kopf nach oben und zur Seite. Jetzt war mein Hals schutzlos Miyoshi-san ausgeliefert. Dieser kam mir immer näher, bis ich seinen warmen, keuchenden Atem auf meiner Haut spüren konnte. „Hör auf, verdammt! W-was hast du vor?“ Anstatt einer Antwort hörte ich nur ein leises Fauchen, bevor ein scharfer Schmerz meinen Hals durchfuhr. Ich kniff die Augen zusammen und begriff nur langsam, dass der Blonde mich tatsächlich gebissen hatte.

Ein Schlürfen erklang und der Schmerz wurde noch heftiger. Unbewusst krallte ich mich an Miyoshi-sans Oberteil fest. Es tat weh...so sehr… Ich öffnete ein Auge, doch erblickte nur Miyoshi-sans blonden Haarschopf. Dieser trank einfach weiterhin mein Blut. Gierig. Unbeherrscht. Nach einer Weile wurde mir leicht schwindelig und mein Griff lockerte sich. Endlos schien es zu dauern, bis mein Chef endlich genug zu haben schien und sich zurückzog. Seine Lippen waren mit meinem Blut verschmiert und er wischte es mit seinem Handrücken fort. Ganz langsam zogen sich die Eckzähne zurück und seine Augen erhielten wieder ihre normale Farbe. Sein keuchender Atem beruhigte sich und er atmete einige Male tief durch, bevor er auf mich herabsah und endlich zu begreifen schien, wer da unter ihm lag. „Mondkalb? Was machst du denn hier?“ Schwach versuchte ich, mich aufzurichten. „Dasselbe...könnte ich dich fragen...elendes Kriechtier...“ Miyoshi-san saß immer noch auf mir und sein Blick wanderte zu meinem Hals. Er seufzte tief auf und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Das ist jetzt ärgerlich.“ „Ärgerlich?...“ gab ich mühsam zurück. „Das trifft...es ja wohl nicht einmal...ansatzweise...“ Der Blonde stand endlich auf und verschwand aus meinem Blickfeld. Was denn, erst trank er mein Blut und jetzt haute er einfach ab?

Nur kurz darauf tauchte Miyoshi-san jedoch wieder auf und hielt mir eine Hand entgegen. Ich ergriff sie und kam wacklig auf die Beine. „Hier, setz dich und trink das.“ Noch halb benommen tat ich, was er verlangte und nahm das Wasser entgegen. Es war herrlich kühl, erfrischend und linderte meinen Schwindel etwas. „Ich fürchte, ich muss dir einiges erklären, Mondkalb. Hör einfach zu, verstanden?“ Ich nickte wortlos und hielt mir die Wasserflasche an den geschundenen Hals. „Du scheinst etwas Besonderes zu sein, Mondkalb. Du darfst dich glücklich schätzen.“ „Was soll das denn jetzt bedeuten?“ „Normalerweise verfallen meine Opfer in eine hypnotische Starre, sobald sie mir in die Augen sehen und können sich hinterher an nichts erinnern. Bei dir war es anders. Ich frage mich gerade...das würde einiges erklären.“ „Könntest du dich so ausdrücken, dass ich auch etwas von der Unterhaltung habe?“ fauchte ich wütend. „Du bist etwas, was wir >perfektes Opfer< nennen.“ „Es gibt noch mehr von deiner Sorte? Und was soll das heißen, perfektes Opfer?“ „Würdest du jetzt mal zu Ende zuhören, Mondkalb? Ja, es gibt noch mehr Vampire. Und für jeden Vampir gibt es irgendwo ein perfektes Opfer. Wenn der Vampir von dieser Person das Blut trinkt, ist es ihm ab diesem Moment unmöglich, jemand anderem das Blut zu nehmen. Es entsteht sozusagen eine Verbindung zwischen Vampir und Opfer. Das Opfer ist ab diesem Zeitpunkt die einzige Blutquelle, die der Vampir braucht. Im Gegenzug für das Blut wird das Opfer stärker, widerstandsfähiger und seine Wunden verheilen sehr viel rascher als normalerweise üblich. Auch das Blut, welches ihm regelmäßig genommen wird, regeneriert sich innerhalb einiger Stunden. Du siehst also, beide Seiten profitieren von dieser Verbindung.“ Völlig erschlagen sah ich den anderen an. „Willst du damit sagen, ich bin dein perfektes Opfer und du wirst mir jetzt regelmäßig in den Hals beißen?“ fragte ich schließlich langsam. „Richtig geraten, Mondkalb. Das könnte spaßig für mich werden.“ Kopfschüttelnd stand ich auf, wirbelte ich herum und rannte davon. Ich konnte es nicht glauben. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Warum musste ausgerechnet mir so etwas passieren?

Mein Chef ist überall!

Heller Sonnenschein weckte mich am nächsten Morgen. Grummelnd drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte, noch etwas zu schlafen. Leider erwies sich das als ein unmögliches Unterfangen. Widerwillig verließ ich mein gemütliches Bett und tapste ins Badezimmer. Ich hatte nicht besonders gut geschlafen und einen völlig verrückten Traum hatte ich auch noch gehabt. Ich hatte tatsächlich geträumt, dass Miyoshi-san mir erst in den Hals gebissen, dann mein Blut getrunken und mir anschließend in aller Seelenruhe erzählt hatte, er wäre ein Vampir und ich sein...wie war das gewesen? Ach ja, ich wäre sein besonderes Opfer und er würde sich jetzt öfter an meinem Hals festsaugen. Bei dem Gedanken an diesen Traum hätte ich beinahe aufgelacht. Schließlich wusste ich, dass es gar keine Vampire gab. Wahrscheinlich hatte ich nur zu viele Horrorfilme gesehen in letzter Zeit. Trotzdem erwischte ich mich dabei, wie ich meinen Hals im Spiegel einer sehr gründlichen Inspektion unterzog. Nein, sah aus wie immer.

Ich schüttelte den Kopf, ärgerte mich dabei kurz über mich selbst und entschied, erst einmal duschen zu gehen. Etwas war doch echt nicht mit mir in Ordnung, wenn ich nach nur einer Woche schon solche Träume über meinen Chef hatte. Und das, obwohl Samstag war und ich damit endlich meine Ruhe vor ihm hatte. Vielleicht würde es mir guttun, etwas an die frische Luft zu kommen. Vorher machte ich mich aber noch über mein Frühstück her und sagte meiner Mutter Bescheid. Dann lief ich zur nächsten Bushaltestelle und war etwa zwanzig Minuten später mitten im Gewühl der Innenstadt. Es war ein herrlicher Sommertag und dementsprechend ziemlich belebt. Eine Weile ließ ich mich von dem Trubel anstecken, bis ich mich schließlich im Park unter dem Schatten einer gewaltigen Eiche niederließ und mich entspannt gegen den Stamm lehnte. Inzwischen war es Mittags und für meinen Geschmack brannte die Sonne nun doch etwas zu sehr. Bevor ich mir das Hirn zerkochen ließ, nutzte ich meine Zeit dann doch lieber damit, das Buch anzufangen, das ich mir in der Stadt gekauft hatte. Ich kam genau bis zur fünften Seite, bevor ich eine Stimme hörte, die mir inzwischen leider nur zu vertraut war. „Na, sieh mal einer an. Du kannst ja tatsächlich lesen, Mondkalb.“ Oh, bitte nicht...Womit hatte ich das denn wieder verdient?

„Habe ich nicht einmal am Wochenende Ruhe vor dir, Nervensäge?“ erwiderte ich angepisst und wandte meinen Blick zu Miyoshi-san, dessen Miene sich nicht richtig zwischen Langeweile und Spott entscheiden zu können schien. „Der letzte Kämpfer? Habe ich schon gelesen. Seit wann hast du denn Geschmack, Mondkalb?“ „Hast du nichts zu tun?“ gab ich patzig zurück. „Deine Fans bespaßen, dir in deiner Villa den Hintern hinterher tragen lassen, Lichter auf der Autobahn fangen?“ „Deine Witze sind fast so schlecht wie dein Charakter.“ „Wenn es dich stört, geh woanders hin. Ich kann sehr gut auf deine Gesellschaft verzichten.“ Der Blonde wollte gerade antworten, als zwei junge Männer an uns herantraten. Meine Augen blieben kurz an ihren ineinander verhakten Fingern hängen, bevor mir auffiel, was einer der beiden in seiner freien Hand hielt. Sah aus wie ein Poster. Offenbar hatten die beiden Miyoshi-san erkannt, denn einer von ihnen sprach den Blonden zögernd an. „Verzeihung...sind Sie zufällig Izana Miyoshi?“ „Ja, bin ich. Was kann ich für Sie tun?“ „Wären Sie so freundlich, dieses Poster zu signieren?“ „Gerne doch. Mondkalb, steh auf und dreh den Rücken zu mir.“ „Du kannst mich mal.“ antwortete ich trocken, ohne mir die Mühe zu machen, den anderen anzusehen. „Tu es oder ich verrate dir, was am Ende des Buches passiert.“ „Was? Du dämlicher, eingebildeter...“ Wütend sprang ich auf und der Blonde handelte sofort, packte mich an den Schultern und drehte mich herum, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. Während er mich als Unterlage missbrauchte, nahmen die Gewaltfantasien, die schon seit Beginn meines Ferienjobs in meinem Kopf herumschwirrten, allmählich sehr klare Formen an.

„Hier, bitteschön.“ „Vielen Dank, Miyoshi-san. Würden Sie vielleicht auch unterschreiben?“ „Ich? Wieso denn das?“ „Sie sind doch das Model, das mit Miyoshi-san diese Bilder gemacht hat. Ich muss sagen, Sie sind wirklich sehr fotogen.“ Verwundert trat ich neben meinen Chef und sah mir das Poster genauer an. Sofort schoss mir das Blut in die Wangen. Ich erkannte das Motiv sofort wieder. Ich oben ohne, auf dem Bett kniend und den Kopf scheinbar genussvoll in den Nacken gelegt. Hinter mir Miyoshi-san, der mich von hinten umarmte und seine Hände auf meinem Brustkorb hatte. Seine Augen schienen erwartungsvoll zu funkeln und seine Lippen formten ein sehr vielsagendes Lächeln. Fassungslos klebte mein Blick an dem Poster und erst ein Stechen an meinem Oberarm brachte mich wieder in die Realität zurück. Das Gefühl war von einem Kugelschreiber gekommen, mit dem Miyoshi-san mich gepiekst hatte. „Wird das heute noch was, Mondkalb?“ Ich gab mir nicht die Mühe, darauf zu antworten, sondern schnappte mir den Kugelschreiber. Da der Blonde keine Anstalten machte, mir seinen Rücken zum Unterschreiben anzubieten, nahm ich dafür das Buch, in dem ich gelesen hatte. Das Ergebnis war einigermaßen zufriedenstellend. Zumindestens konnte man meine Unterschrift entziffern.

Das Pärchen bedankte sich begeistert, als ich ihnen das Poster zurückgab. „Es wäre echt klasse, wenn Sie beide irgendwann wieder zusammen vor der Kamera stehen würden. Wirklich schade, dass Sie sich privat nicht zu verstehen scheinen. Sie würden ein echt süßes Paar abgeben.“ „Was?“ Ich war entsetzt. Wie kamen die beiden denn auf diese Idee? „Eher würde ich mich von einer Dampfwalze überrollen lassen, als was mit diesem schnöseligen, angeberischen, blöden...“ Weiter kam ich nicht. Miyoshi-san hatte mich erneut gepackt, mit dem Rücken gegen den Baum gepresst und meine Lippen mit den seinen verschlossen. Ich war derart überrumpelt, dass ich zur Salzsäule erstarrte. Mein Kopf war vollkommen leergefegt und mein Buch lag vergessen am Boden. Lange hielt der Kuss nicht an, ehe der Blonde sich zurückzog und sich seelenruhig wieder an die beiden jungen Männer wandte, die einen leicht verdatterten Eindruck machten. „Ich fürchte, mein Assistent wird wohl nicht noch einmal mit mir vor der Kamera stehen. Er war eine Notlösung, weil wir auf die Schnelle keinen Ersatz finden konnten. Und wir verstehen uns auch auf der Arbeit nicht sonderlich gut.“ „Ähm...und wieso haben Sie ihn dann gerade geküsst?“ „Naja, beim letzten Mal hat er fast eine Woche lang kaum mit mir gesprochen. Ich hoffe, er lässt mich dieses Mal genauso lange in Ruhe. Es ist nämlich ziemlich anstrengend, seinem dümmlichen Geplapper zuzuhören.“

Diese Worte waren es, die mich aus meiner Mein-Chef-hat-mich-schon-wieder-geküsst Starre lösten und das Fass für mich endgültig zum Überlaufen brachten. Ungeheure Wut loderte in mir auf und ich stürmte auf Miyoshi-san zu, bereit, ihm sämtliche Zähne auszuschlagen. Doch der Blonde reagierte, bevor ich ihm auch nur ein Haar krümmen konnte. Bevor meine Faust ihn berührte, ergriff er mit einer Hand meinen Arm, mit der anderen meine Schulter, drehte sich etwas und hob mich hoch. Ich brauchte genau drei Sekunden, um zu begreifen, dass er gerade einen Schulterwurf an mir durchführte und um wieder zu Boden zu kommen. Hart landete ich auf dem Rücken, meinen Arm immer noch in Miyoshi-sans Klammergriff gefangen. „Ich habe übrigens den schwarzen Gürtel in Karate, Mondkalb.“ erklärte er vollkommen ruhig und sah herablassend auf mich herunter. „Ich...hasse dich...so sehr...“ presste ich heraus, wobei mein ganzer Körper eifrig Schmerzsignale an mein Gehirn weitergab. Verdammt, hatte das weh getan… „Es tut mir leid, dass Sie das mit ansehen mussten.“ sagte Miyoshi-san zu den beiden jungen Männern, die das Geschehen mit ungläubigen Mienen verfolgt hatten. „Wären Sie bitte so freundlich, uns alleine zu lassen? Ich fürchte, ich muss ein ernstes Wort mit meinem Assistenten wechseln.“ Tatsächlich gingen die beiden und kaum waren sie verschwunden, ließ der Blonde endlich meinen Arm los. „Schwacher Versuch, Mondkalb. Auch mit deiner erhöhten Stärke bist du kein Gegner für mich.“ Murrend setzte ich mich auf und sah zu Miyoshi-san hoch. „Erhöhte Stärke? Wovon redest du überhaupt?“ Mein Chef seufzte tief auf. „Das habe ich dir doch gestern Abend erklärt. Hast du überhaupt eine Sekunde lang zugehört, bevor du abgehauen bist? Wirklich, das Schicksal muss mich hassen, wenn es ausgerechnet dich zu meinem perfekten Opfer gemacht hat, Mondkalb.“

Mein Chef ist tatsächlich ein Vampir!!

In meinem Kopf gingen sämtliche Alarmglocken los und ich musterte den anderen aufmerksam. „Woher weißt du von meinem Traum?“ „Eventuell, weil es keiner war?“ gab Miyoshi-san zurück und ließ sich neben mir auf dem Rasen nieder. „Ich habe zwar keine Ahnung, warum du mitten in der Nacht ins Aufnahmestudio gekommen bist, aber ich muss sagen, dass dein Blut wirklich außerordentlich schmackhaft ist. Wenigstens ein kleiner Trost.“ „Bist du in letzter Zeit mal irgendwo gegen gerannt? Mal abgesehen davon, dass es keine Vampire gibt, warum kannst du unbeschadet in der Sonne rumlaufen?“ Erneut seufzte der Blonde auf. „Lass mich raten: Alles, was du über Vampire weißt, hast du aus Büchern, Filmen und dem Internet? Dann solltest du jetzt versuchen, deine wenigen Gehirnzellen anzustrengen, Mondkalb. Sonnenlicht kann Vampiren nichts anhaben. Und ehe du fragst: Nein, ich schlafe nicht in einem Sarg und ja, ich habe ein Spiegelbild.“ „Muss beruhigend für dich sein, deinen Narzissmus ausleben zu können.“ antwortete ich mit einem unüberhörbar sarkastischen Unterton. „Du glaubst mir immer noch nicht, oder?“ „Wie kommst du nur darauf? Natürlich glaube ich dir, dass du ein Vampir bist. Bestimmt treffe ich in nächster Zeit auch noch auf Feen, Elfen und Werwölfe.“ „Steh auf.“ befahl Miyoshi-san völlig ruhig. Vielleicht war es sein ernster Tonfall, vielleicht auch die Tatsache, dass er mich dieses Mal nicht Mondkalb nannte, doch ich gehorchte und verfolgte mit meinem Blick, wie auch der andere aufstand. Er ging auf mich zu und ich wich unbewusst zurück, bis mein Rücken gegen die Rinde der Eiche stieß und ich somit nicht mehr weiter konnte. Dicht vor mir hielt er inne und ganz langsam veränderte sich seine Augenfarbe von dunklem Blau zu einem glühenden Dunkelrot. Er lächelte bösartig und ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter, als ich die langen, scharfen Eckzähne erkannte.

„Wie...“ stotterte ich und Miyoshi-san kicherte. „Hauptsächlich verändere ich mich, wenn ich hungrig bin. Aber wenn ich mich etwas anstrenge, kann ich auch so zum Vampir werden. Glaubst du mir jetzt, Mondkalb?“ „Ich...das ist doch nicht möglich.“ Immer noch weigerte sich mein Verstand zu glauben, was meine Augen sahen. Konnte mich nicht einfach mal jemand kneifen und mich damit aus dieser bizarren Situation herausholen? Stattdessen spürte ich, wie warmer Atem über meinen Hals strich. Ich wollte etwas sagen, doch dann jagte ein fast unerträglicher Schmerz durch meinen Körper. Ohne es zu wollen, gab ich einen wimmernden Laut von mir, kniff fest die Augen zusammen und griff mit einer Hand nach der Schulter des Blonden, um mich daran festzuhalten. Dieses Mal trank er nicht so ungestüm wie zuvor und auch nicht so viel. Dennoch fühlte ich mich schwach, als Miyoshi-san sich zurückzog. „War das...wirklich...nötig?“ „Nein. Aber jetzt glaubst du mir wenigstens. Oder besser gesagt, du wirst mir glauben, sobald die Wahrheit endlich zu dir durchgedrungen ist, Mondkalb.“ Ich zwang mich, nicht wieder wütend zu werden und musste gleichzeitig einsehen, dass mir der andere offenbar doch keinen völligen Schwachsinn erzählte. Das Pochen an meinem Hals war der beste Beweis dafür. „Könntest du jetzt endlich deine Hand von meiner Schulter nehmen?“ riss mich Miyoshi-san aus meinen Gedanken. „Ich weiß ja, dass ich selbst auf dich eine ungeheure Ausstrahlung haben muss, aber wir sind hier in der Öffentlichkeit.“ „Ist das dein Ernst?“ fragte ich ungläubig und riss meine Hand fast schon panisch zurück. „Zum einen: Du hast mich vor nicht einmal zwanzig Minuten in der Öffentlichkeit geküsst und mir auch noch in den Hals gebissen. Zum zweiten ist das einzige, was du ausstrahlst, deine Arroganz und zum dritten: Wie kann man nur so derartig selbstverliebt sein? Nur weil du gut aussiehst, macht das deinen Charakter auch nicht besser.“

Miyoshi-san hatte für meine Worte nur ein herablassendes Lächeln übrig, bevor er sich wieder auf dem Rasen niederließ. „Soso, du findest mich also gutaussehend. Sehr interessant.“ „Ich werde jetzt gehen.“ knurrte ich zurück, hob mein Buch auf und hatte mich bereits umgedreht, als der andere mich aufhielt. „Du bist nicht nur dämlich, sondern auch unhöflich, Mondkalb. Ich bin so zuvorkommend und opfere dir meine wertvolle Zeit, um deine wahrscheinlich völlig inhaltslosen Fragen zu beantworten und du willst einfach gehen?“ „Ja, will ich. Was könnten wir beide denn auch schon zu besprechen haben?“

„Bist du dir sicher? Das ist deine einzige Chance, Mondkalb. Wenn du etwas wissen willst, frag jetzt.“ Ich drehte mich etwas, um Miyoshi-san direkt in die nun wieder tiefblauen Augen zu sehen. „Und du wirst ehrlich antworten?“ fragte ich zweifelnd. „Sicher.“ Obwohl ich ahnte, dass ich es wahrscheinlich bereuen würde, setzte ich mich zu dem Blonden und überlegte kurz. „Wie bist du zum Vampir geworden?“ „Ein anderer Vampir hat mir sein Blut eingeflößt.“ „Einfach so? Ich meine, er muss doch einen Grund dazu gehabt haben.“ „Nein, hatte er nicht. Er war selbst noch recht unerfahren. Ich bin mir sicher, er wollte unbedingt wissen, wozu er fähig ist. Nun, seine Neugier hat ihn nicht sehr weit gebracht. Der Meister war nicht erfreut, als er davon erfahren hat. Eigentlich ist es Vampiren nämlich untersagt, weitere Vampire ohne seine Erlaubnis zu erschaffen. Deswegen hat er den Vampir, der mich verwandelt hat, auch töten lassen.“

„Meister? Wer ist das?“ „Der erste, der zum Vampir wurde. Er ist bereits uralt und nach allem, was ich weiß, lebt er irgendwo hier in Japan. Allerdings habe ich ihn noch nie gesehen.“ „Bist du unsterblich?“ „Ja und nein. Mein Körper altert nur sehr langsam und ich kann nur sterben, wenn mich jemand verbrennt, mir den Kopf abschlägt oder mir einen Pfahl ins Herz stößt. Dennoch kann ich verletzt werden. Hätte mich zum Beispiel deine Faust vorhin getroffen, hätte ich jetzt eine blutige Lippe.“ „Kann man einen Vampir wieder zum Menschen machen?“ „Davon weiß ich nichts. Vielleicht, vielleicht nicht.“ „Weiß deine Familie, dass du ein Vampir bist?“ „Nein. Meine Mutter ist tot. Mein Vater lebt in Italien und ich bin nicht dumm genug, ihm von meinem Schicksal zu erzählen. Ich habe noch einen jüngeren Bruder, aber...“ Hier unterbrach sich Miyoshi-san und biss sich auf die Unterlippe. Ich erkannte, dass er nicht darüber sprechen wollte und wechselte das Thema. „Warum hat dieser...Meister nur deinen Erschaffer töten lassen? Macht er sich keine Sorgen, dass du genau da weitermachst, wo der andere Vampir aufgehört hat?“ „Offenbar nicht. Ich habe keine Ahnung, warum er mich nicht auch getötet hat. Anscheinend weiß er ganz genau, dass ich bisher noch niemanden zum Vampir gemacht habe. Und ich werde mich hüten, sein Missfallen zu erregen.“

Kurz trat Schweigen zwischen uns ein, während ich versuchte, die ganzen Informationen zu verarbeiten. Dann fiel mir noch etwas ein und ich ergriff wieder das Wort. „Du hast gestern gesagt, dass du nur noch mein Blut trinken kannst. Aber im Gegensatz zu dir werde ich irgendwann sterben. Was passiert dann?“ „Dann wird ein neues perfektes Opfer für mich geboren werden. Was unsere momentane Verbindung betrifft: Sie erlischt mit deinem Tod. Ob und wann ich mein neues perfektes Opfer finde, weiß ich aber nicht. Bis dahin kann ich mich aber wie zuvor von anderen Menschen nähren.“ Der Blonde griff urplötzlich in seine Hosentasche und zog ein Handy hervor. „So spät schon? Ich sollte langsam nach Hause. Ich habe morgen noch etwas Wichtiges vor. Man sieht sich, Mondkalb.“ Völlig verdutzt ergriff ich nun selbst mein Handy und wurde kalkweiß. Es war schon nach sieben. Meine Mutter würde mich umbringen. Und dann erkannte ich, warum ich vorhin so ein schlechtes Gefühl gehabt hatte. Der letzte Bus, der mich nach Hause hätte bringen können, war vor fünfzehn Minuten abgefahren. Das bedeutete, ich würde wohl laufen müssen. Und das wiederum hieß, ich wäre erst in knapp zwei Stunden daheim. Meine Mutter würde mich so was von umbringen... „Ist irgendwas?“ erkundigte sich Miyoshi-san, der bereits aufgestanden war und sich gerade einige Grashalme von der Hose klopfte. „Nein, nichts.“ So weit kam es noch, dass ich diesem aufgeblasenen Idioten von meiner Misere berichtete. Stattdessen wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg.

Sehr weit kam ich aber nicht. Ich war gerade erst aus der Stadt raus, als neben mir ein Motorrad anhielt. Es brauchte nicht viel, um zu erraten, wer am Steuer saß. „Soll ich dich mitnehmen, Mondkalb? Ich habe noch einen Helm unter dem Sitz.“ „Warum fährst du mit einem Motorrad? Hat deine Limousine einen Platten?“ „Nein, weißt du, mein Chauffeur hat gekündigt.“ erwiderte Miyoshi-san trocken und stieg von seinem Fahrzeug. Er klappte den Sitz hoch und drückte mir einen Helm gegen die Brust. Reflexartig hielt ich ihn fest, während der Blonde den Sitz wieder hinunterließ und sich wieder hinsetzte. Widerwillig setzte ich den Helm auf, ließ mich hinter Miyoshi-san nieder und schlang meine Arme um den Bauch des anderen. Mit einem lauten Knattern setzte das Vehikel sich in Bewegung und wir fuhren die Straße entlang.

Mein Chef ist zu weit gegangen

Die Fahrt verlief ungewöhnlich glatt. Obwohl ich es nicht gerne zugab, Miyoshi-san war ein sehr guter Fahrer. Es dauerte nicht lange, bis wir vor meinem Haus angekommen waren. Ich ahnte, dass der Blonde meinen Wohnort höchstwahrscheinlich aus meinen Bewerbungsunterlagen hatte. „Danke.“ sagte ich und meinte es sogar fast komplett ernst. Ich nahm den Helm ab und Miyoshi-san stieg von seinem Fahrzeug. „Und wo kommst du her, junger Mann?“ In der Stimme, die hinter mir erklang, schwang etwas mit, das mich an einen blutrünstigen Tiger erinnerte. Langsam drehte ich mich um und stand meiner Mutter gegenüber, die ziemlich wütend aussah. „Tut mir leid, ich habe den Bus verpasst.“ antwortete ich kleinlaut. „Darüber sprechen wir noch.“ drohte sie, bevor ihr Blick auf meinen Chef fiel. „Vielen Dank, dass Sie ihn hierher gebracht haben. Ich hoffe, er hat Ihnen keine Umstände bereitet.“ „Nein, nein, machen Sie sich deswegen mal keine Sorgen.“ sagte der Blonde gelassen und nahm seinen Helm ab.

„Er ist ein guter Junge.“ seufzte meine Mutter, ehe sie die Stirn runzelte. „Aber er kann teilweise so furchtbar schusselig sein.“ Dann hellte ihre Miene sich auf. „Ich kenne Sie. Sind Sie nicht Izana Miyoshi? Ich habe einige Bilder von Ihnen gesehen. Hätten Sie vielleicht Lust auf eine Tasse Tee? Ich würde mich sehr gerne ein wenig mit Ihnen unterhalten.“ Miyoshi-san blickte kurz auf sein Handy, ehe er meiner Mutter ein Lächeln schenkte. „Nun, etwas Zeit habe ich noch. Warum also nicht?“ „Dann folgen Sie mir bitte ins Wohnzimmer.“ Die beiden verschwanden im Inneren der Wohnung und ich blieb noch kurz dort, wo ich war und starrte entgeistert die Tür an. Das war gerade nicht passiert, richtig? Meine Mutter hatte nicht gerade wirklich diesen Trottel ins Haus gebeten, oder? „Komm endlich rein.“ hörte ich da auch schon ihre Stimme. „Und mach die Tür zu, es zieht.“ Wie in Trance tat ich, was sie wollte und betrat dann ebenfalls das Wohnzimmer. Es war zwar klein, aber durchaus gemütlich. Wäre mein Chef nicht gewesen, der inzwischen auf dem Sofa saß, wäre es perfekt. „Obi, kannst du mir mal helfen?“ fragte meine Mutter und ich ging in die Küche. „Hier, du kannst die Tassen und Teller auf den Tisch stellen.“ Leise seufzend gehorchte ich und kehrte in das Wohnzimmer zurück. „Hast du nicht vorhin noch gesagt, dass du morgen einen wichtigen Termin hast?“ giftete ich den Blonden an und dieser funkelte mich spöttisch an.

„Habe ich auch. Aber wenn ich etwas später da bin, ist das nicht weiter tragisch. Außerdem konnte ich deiner Mutter doch ihre Bitte nicht einfach abschlagen, nicht wahr?“ „Ein falsches Wort und ich schmeiße dich eigenhändig raus.“ drohte ich, obwohl ich ahnte, dass ich gegen den Blonden wahrscheinlich keine großen Chancen hatte. Ein amüsierter Ausdruck erschien in den tiefblauen Augen von Miyoshi-san und er legte den Kopf schief. „Du und welche Armee? Wenn ich du wäre, würde ich Gäste freundlicher behandeln, Mondkalb.“ „Das kannst du vergessen, verdammter Schnösel.“ fauchte ich und setzte heftig das Geschirr ab. Blöderweise hatten wir nur dieses eine Sofa. Wenn ich also nicht auf dem Boden sitzen wollte, musste ich mich wohl neben meinen Chef setzen. Kurz zog ich ernsthaft in Erwägung, mich wirklich auf den Boden zu setzen, doch dann gab ich nur ein gereiztes Schnauben von mir und ließ mich neben dem anderen nieder. „Eure Wohnung ist ziemlich klein.“ stellte dieser fest und schaute sich um. Sofort wurde ich wütend. „Tut mir ja wirklich leid, dass es nicht deinen Erwartungen entspricht. Es kann sich eben nicht jeder eine Luxusvilla leisten. Wenn es dir nicht passt, da hinten ist die Tür.“ „Obi Kanagi!“ Ich zuckte zusammen und mein Blick ging zur Wohnzimmertür, wo meine Mutter stand und mich mit ihren Augen zu durchbohren schien.

„Ich muss mich heute wirklich über dich wundern. Nicht nur, dass du die Zeit vertrödelt hast, nun bist du auch noch unhöflich zu dem jungen Mann, der so freundlich war, dich nach Hause zu bringen. Ich erwarte, dass du dich sofort entschuldigst.“ „Aber...“ „Kein Aber. Ich sagte sofort.“ Widerwillig stand ich auf und wandte mich Miyoshi-san zu. Ohne den Blonden anzusehen, verneigte ich mich tief. „Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Es wird nicht noch einmal vorkommen.“ „Geht doch.“ kam es von meiner Mutter und sie stellte ein Tablett mit einer Teekanne und drei Stück Kuchen auf dem Tisch vor dem Sofa ab. Während ich innerlich vor Wut kochte, setzte ich mich wieder hin und starrte stur die Wand an. Weder meine Mutter noch mein Chef schienen mich in ihr folgendes, angeregtes Gespräch mit einbinden zu wollen. Ich saß einfach nur schweigend da und betete, dass die beiden bald fertig sein würden. Erst als mein Name fiel, erwachte ich aus dem Dämmerzustand, in den ich verfallen war. „Ach, dann arbeitet Obi für Sie? Das hat er mir gar nicht erzählt. Wie macht er sich denn so?“ „Im Großen und Ganzen zufriedenstellend. Allerdings merkt man, dass er noch unerfahren ist, was die Arbeitswelt angeht. Aber ich denke, mit ein wenig Übung wird das auch werden.“ Ich biss mir auf die Lippe, um keine patzige Antwort zu geben. Hatte der Kerl mich gerade durch die Blume als dumm hingestellt? Dieser verdammte…

„Das freut mich zu hören. Ich hatte mir ein wenig wegen seines Temperaments Sorgen gemacht.“ Miyoshi-san lachte leicht, ehe er antwortete. „Ja, sein Temperament geht manchmal mit ihm durch. Aber machen Sie sich deswegen keine Gedanken, ich hatte schon ähnliche Assistenten. Ich bin so etwas gewöhnt.“ „Sollte er zu sehr über die Stränge schlagen, geben Sie mir Bescheid, dann rede ich mit ihm.“ „In Ordnung.“ Nun war ich nicht nur wütend, sondern auch entsetzt. Warum stellte sich meine Mutter auf die Seite des Blonden? Diese Verräterin… Endlich warf Miyoshi-san einen Blick auf die Uhr und seufzte bedauernd. „So gerne ich unser Gespräch weiterführen würde, aber ich muss wirklich los. Es war mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ „Gleichfalls. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns mal wieder besuchen würden.“ „Gerne. Also dann, einen schönen Abend noch.“ „Gleichfalls. Obi, bring unseren Gast zur Tür.“ „Ja, ist gut.“ grummelte ich zurück. Im Flur blieb Miyoshi-san noch einmal stehen und warf einen Blick zurück zum Wohnzimmer. „Deine Mutter ist wirklich nett. Wie bedauerlich, dass sie mit einem Mondkalb wie dir gestraft ist.“ „Nenn.mich.nicht.Mondkalb!“ zischte ich gepresst zurück. „Und lass meine Mutter aus dem Spiel.“ „Stimmt, sie ist sehr viel umgänglicher als du. Das bedeutet wohl, dein unerträgliches Verhalten kommt von deinem Vater.“

„Genug.“ erwiderte ich durch zusammengebissene Zähne. Was meinen Vater anging, war ich sehr leicht reizbar. Vor allem, weil es erst vier Jahre her war, seit er gestorben war. „Warum ist dein Vater eigentlich nicht hier? Hat er es nicht mehr mit dir ausgehalten und euch deswegen verlassen?“ Ich reagierte, ohne nachzudenken. Ein roter Schleier schien sich vor meine Augen zu legen und unbändiger Hass überkam mich. Ehe ich es verhindern konnte, hatte ich ausgeholt und dem Blonden eine schallende Ohrfeige verpasst. Miyoshi-sans Kopf ruckte zur Seite und ein fassungsloser Ausdruck erschien in seinem Gesicht. „Wage es nie wieder, meinen Vater schlecht zu machen.“ rief ich und spürte, wie mir Tränen der Wut und der Trauer in die Augen schossen. Meine Mutter kam in den Flur gestürzt, durch mein Geschrei angelockt und auch ihre Miene nahm einen fassungslosen Zug an. „Was ist denn hier los?“ fragte sie, doch ich beachtete sie gar nicht. „Verschwinde! Du dämlicher Drecksack...“ Entschieden drehte ich meinem Chef den Rücken zu, während mein Körper unkontrolliert bebte und mir immer mehr Tränen über die Wangen liefen.

Eine Weile blieb es totenstill, bevor ein Klicken ankündigte, dass Miyoshi-san gegangen war. „Obi? Was ist passiert? Was hast du getan? Du kannst doch nicht einfach deinen Vorgesetzten schlagen.“ „Er hat es verdient!“ schrie ich und meine Mutter zuckte aufgrund meines heftigen Tonfalls zusammen. „Obi...“ sagte sie dann gleichermaßen erschüttert wie sanft. Bevor ich ein weiteres Wort herausbrachte, hatte sie sich vor mich gestellt und fest in die Arme genommen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren weinte ich wieder richtig, dicht an meine Mutter geschmiegt und den blumigen Duft ihres Parfüms in der Nase. Wie lange es dauerte, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, konnte ich nicht sagen. „Komm, wir trinken zusammen noch einen Tee und reden, in Ordnung?“ fragte meine Mutter und strich mir dabei über den Kopf. Ich nickte nur und gemeinsam gingen wir wieder in das Wohnzimmer.

Mein Chef ist mir schon wieder zu nah

Es war fast Mittag, als im am nächsten Tag die Augen aufschlug. Zusammen mit meiner Mutter war ich sehr lange wach geblieben und ich hatte ihr die Wahrheit über meinen Ferienjob erzählt. Natürlich hatte ich ihr nicht alles gesagt, aber immerhin wusste sie jetzt, warum ich den Blonden geschlagen hatte und was für ein Ekel dieser die meiste Zeit war. Immerhin hatte sie dann davon abgesehen, mich für mein Zuspätkommen zu bestrafen. Auch hatte sie mich gefragt, ob ich den Ferienjob aufgeben wollte. Doch ich hatte verneint. Zwar würde ich mich wahrscheinlich am Montag schon wieder bei Miyoshi-san entschuldigen müssen, aber das interessierte mich weniger. Ich würde einfach meine Arbeit weitermachen und fertig.

Leise trat ich in den Flur hinaus und öffnete vorsichtig die Tür zum Zimmer meiner Mutter. Diese lag noch im Bett und schlief friedlich. Ich lächelte kurz und schloss die Tür dann wieder. Ich würde ihr eine Freude machen und für uns frische Brötchen zum Frühstück holen. Nachdem ich mich umgezogen hatte, schrieb ich meiner Mutter eine Nachricht, dass ich bald wieder zurück sein würde und ging nach draußen. Dort wäre ich beinahe mit jemandem zusammengestoßen. Ich sah hoch und wollte mich entschuldigen – bis ich Miyoshi-san erkannte. „Was willst du hier?“ Der Blonde erwiderte meinen Blick ernst. „Hast du einen Moment Zeit?“ „Nein, habe ich nicht.“ gab ich kühl zurück und wollte an ihm vorbeirauschen, doch er packte mich am Arm und hielt mich zurück. „Lass mich los.“ „Nein.“ Bevor ich versuchen konnte, mich loszureißen, marschierte der Blonde los und zog mich mit sich. Erst als wir eine menschenleere Gasse zwischen zwei Häusern erreicht hatten, hielt mein Chef an und sein Griff lockerte sich. Er sah mir tief in die Augen, bevor er einen Schritt zurücktrat und sich vor mir verbeugte. „Es tut mir aufrichtig leid, dass ich gestern so schlecht über deinen Vater gesprochen habe. Ich werde sicher stellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“

Misstrauisch ließ ich den Blonden nicht aus den Augen. War das nun eine aufrichtige Entschuldigung oder würde gleich ein blöder Spruch kommen? Miyoshi-san hatte sich inzwischen wieder aufgerichtet und blickte mich abwartend an. „In Ordnung. Ich nehme deine Entschuldigung an. Kann ich jetzt gehen?“ „Noch nicht. Das ist für dich.“ Er hielt mir eine Art Karte hin und ich ergriff sie interessiert. Es war eine Einladung zum Abendessen in einem sehr beliebten Restaurant. „Ähm...danke?“ „Ich werde für das nächste Wochenende einen Tisch reservieren. Ist das in Ordnung?“ „Klar.“ „Ich hoffe, damit ist alles beim Alten. Wir sehen uns morgen, Mondkalb.“ Ein gemeines Lächeln erschien auf den Zügen meines Chefs, als ich sofort auf seine Provokation einging. „Lass das endlich, du arroganter Fatzke!“ „Warum sollte ich? Ich kann nichts dafür, wenn du wegen jeder Kleinigkeit gleich an die Decke gehst.“ „Ich gehe nicht wegen jeder Kleinigkeit...“ begann ich, doch Miyoshi-san ließ mich nicht ausreden, sondern trat wieder vor und griff nach meinem Gesicht. Verdutzt sah ich zu ihm hoch und gefror Sekunden später einmal mehr zur Salzsäule.

Schon wieder...was war nur mit diesem Kerl los? Das war bereits der dritte Kuss innerhalb von zwei Wochen. Irgendwo am Rande meines Bewusstseins bekam ich mit, wie der Blonde mich mit seiner freien Hand an der Schulter festhielt. Instinktiv wollte ich Miyoshi-san von mir drücken, doch sein Griff war wie ein Schraubstock. Schon hatte er den Kuss vertieft und war dabei, seine Zunge in meinem Mund auf Entdeckungsreise zu schicken. Ich verkrampfte noch etwas mehr, doch gelang es mir nicht, mich von dem anderen zu lösen. Es dauerte sicher eine halbe Minute, bevor mein Chef endlich von mir abließ und ich mich aus meiner Starre lösen konnte. „Was sollte das denn jetzt?“ wütete ich los. „Ich wollte, dass du einfach mal eine Weile die Klappe hältst, Mondkalb.“ „Du blöder, mieser, verfluchter...“ legte ich los, doch Miyoshi-san hörte mir gar nicht zu, sondern drehte sich einfach um und begann, in Richtung Straße zu gehen. „Schreib mir den Rest auf, Mondkalb. Ich muss los. Und sei morgen pünktlich,klar?“ Schon war er verschwunden. Ich blieb noch eine Weile stehen und starrte entgeistert zur Straße. „Dieser verdammte Penner!“ fluchte ich endlich. Oh, wie ich ihm das heimzahlen würde. Wütend stampfte ich zur Straße und machte mich auf den Weg zur Bäckerei. Erst, als ich wieder zu Hause war, beruhigte sich mein Herzschlag und mein Kopf begann, wieder zu arbeiten.

Geistesabwesend hob ich meine Hand und berührte mit Zeige-und Mittelfinger meine Lippen. Ich verstand Miyoshi-san einfach nicht. Er entzog sich jedem logischen Verhalten. Ob er wohl immer so ein nerviger Blödmann war? Oder hatte er auch eine andere Seite, die er einfach nicht zeigte? Und was war mit der Tatsache, dass er mich ständig küsste? Was steckte dahinter? Ging er wirklich so weit, nur um mich zu ärgern? Energisch schüttelte ich den Kopf. Was dachte ich da bitte? Natürlich wollte dieses Kriechtier mich nur ärgern. Er fand es wahrscheinlich sehr unterhaltsam, dass ich so ein ungezügeltes Temperament hatte. Was für ein Mistkerl… „Ah, du bist wieder da. Willkommen zurück.“ riss die Stimme meiner Mutter mich aus meinen Gedanken und ich schenkte ihr ein kurzes Lächeln. „Ich habe uns Brötchen besorgt.“ erwiderte ich. „Wie nett von dir. Dann lass uns frühstücken.“ Genau das taten wir und sprachen dabei über unsere Pläne für den Tag. Meine Mutter wollte ihrem Hobby nachgehen und ihrer Strickkunst nachgehen. Obwohl ich ihr öfter scherzhaft sagte, dass das eine Beschäftigung für alte Frauen war, musste ich dennoch zugeben, dass ihre Werke wirklich gut waren. Was mich betraf, würde ich mich daran machen, endlich „Der letzte Kämpfer“ zu Ende zu lesen und mich dann vor den Computer setzen.

Einige Stunden später war ich mit dem Buch durch. Es war wirklich gut gewesen, allerdings war es jetzt schon fast Nachmittag. Sehr viel Zeit hatte ich nicht mehr, ehe ich mich schlafen legen musste. Bei dem Gedanken daran, dass ich morgen wieder zu Arbeit musste, seufzte ich entnervt auf. Doch dann verdrängte ich diesen deprimierenden Gedanken und verbrachte die Zeit bis zum Abend lieber mit Zocken. Erst als ich schließlich im Bett lag, kehrten meine Gedanken zu Miyoshi-san zurück. Ich musste mir unbedingt noch etwas einfallen lassen, um diesem Großkotz ordentlich eine reinzuwürgen. Der Kerl sollte nicht auf die Idee kommen, dass ich mir alles gefallen ließ. Aber wie konnte ich mich rächen? Es sollte dem Blonden einen Denkzettel verpassen, ihm aber nicht ernsthaft schaden. Ich war fast eingeschlafen, als mir etwas einfiel. Ich würde morgen nach der Arbeit noch einmal einkaufen müssen, aber das war es mir wert. Ich würde Shrimps und andere kleine Meeresfrüchte holen und sie im Arbeitszimmer meines Chefs verstecken. Da es dort ständig warm war, würde der ganze Raum spätestens Mittwoch stinken wie sonst was. Wie lange es wohl dauern würde, bis Miyoshi-san endlich erkannte, was seinem Raum diesen neuen Duft verlieh und er alle Sachen gefunden hatte? Es würde großartig sein, seinen dummen Gesichtsausdruck zu sehen zu bekommen. Mal sehen, wie ihm das gefallen würde. Mit einem diebischen Grinsen schlief ich ein.

Tatsächlich ging mein Plan reibungslos über die Bühne. Am Dienstag nahm ich die Tüte mit Meeresfrüchten, die ich zuvor im Kühlschrank verwahrt hatte, mit zur Arbeit. Dort musste ich mich dann nur während der Aufnahmen kurz entschuldigen, indem ich vorgab, zur Toilette zu gehen. Noch schnell in den Pausenraum huschen, die Tüte holen und dann nichts wie zu Miyoshi-sans Raum. Als ich alles gut versteckt hatte, kehrte ich noch einmal in den Pausenraum zurück und steckte die leere Tüte zurück in meinen Rucksack. Ich würde sie auf meinem Weg nach Hause in einen Mülleimer werfen. Es fiel mir mehr als schwer, ein unschuldiges Gesicht zu machen, als ich das Aufnahmestudio wieder betrat. Innerlich jubelte ich darüber, wie gut alles geklappt hatte. Ich war gespannt, wann meine kleine Überraschung wohl ihre Wirkung entfalten würde.

Mein Chef ist in Gefahr

Tatsächlich war meine Einschätzung richtig gewesen. Am Mittwoch war ich mit Saitoh-san gerade im Aufnahmestudio, wo wir auf Miyoshi-san warteten, als genau dieser herein gestürmt kam, mit blitzenden Augen und mehr als wütend. Ich kicherte in mich hinein, als ich den Blonden so sah. Fehlte nur noch, dass ihm Rauch aus den Ohren stob. „Miyoshi-san? Was ist denn los?“ „Mein Zimmer stinkt bestialisch, das ist los!“ Sichtlich verwirrt machte sich der Fotograf auf den Weg zu dem Zimmer meines Chefs. Ich folgte ihm und Miyoshi-san bildete die Nachhut. Saitoh-san öffnete die Tür und trat sofort einen Schritt zurück, wobei er sich die Nase zuhielt. Auch ich ging vor und mein Magen rebellierte, als der Gestank mich traf. „Bah. So muss es riechen, wenn der Teufel kotzt. Was hast du hier drin angestellt, Miyoshi-san?“ „Sehr witzig, Mondkalb. Es hat hier schon so gerochen, als ich reingekommen bin.“ knurrte mein Chef angriffslustig. „Vielleicht ist eine Abwasserleitung geplatzt.“ mischte sich nun Saitoh-san ein. „Unmöglich. Die wurden doch erst überprüft.“ Kurz herrschte Schweigen, bevor der Blonde wieder etwas sagte.

„Wo soll ich mich jetzt umziehen? Hier werde ich auf jeden Fall nicht bleiben.“ „Bis wir herausgefunden haben, woher dieser Gestank kommt, werden Sie sich wohl oder übel im Aufnahmestudio umziehen müssen. Ich werde veranlassen, dass alle Bescheid wissen. Kanagi-kun, du kannst mir helfen, einen Sichtschutz aufzubauen.“ Gehorsam folgte ich dem Fotografen und nach kurzer Zeit stand ein großer, schwarzer Sichtschutz in einer Ecke des Raumes. Hinter dem Sichtschutz stand ein Stuhl, damit Miyoshi-san sich ordentlich umziehen konnte. Die Klamotten, die für den heutigen Tag gebraucht wurden, hingen an einer Kleiderstange neben dem Sichtschutz. Immer noch wütend, verschwand mein Chef hinter eben diesem. „Hey, Mondkalb. Mach dich nützlich und komm her.“ erklang einige Sekunden später seine Stimme und ich trat vor. Was wollte der Blonde denn jetzt von mir? „An der Stange müsste eine Meerjungfrauenflosse sein. Bring sie mir und hilf mir dabei, sie anzuziehen.“ Ich stockte, als mir die Bedeutung seiner Worte bewusst wurde. Ich sollte ihm...helfen? Aber dann würde ich ihn nicht nur halbnackt sehen, sondern ihn auch noch anfassen müssen. Warum sollte ich so etwas tun? „Hast du dafür nicht Leute?“ „Normalerweise schon, allerdings sind die gerade damit beschäftigt, nach der Ursache des Gestanks in meinem Zimmer zu suchen. Und jetzt beeil dich, Mondkalb. Wir haben schon mehr als genug Zeit vertrödelt.“ So ein Mist. Wie hatte meine Racheaktion so nach hinten losgehen können? Nicht nur, dass nun unschuldige Personen deswegen leiden mussten, war ich auch noch zu Miyoshi-sans Helfer degradiert worden. Laut aufseufzend nahm ich die Meerjungfrauenflosse von der Stange und ächzte, als ich merkte, wie schwer das Ding war. Meine Dummheit und meinen Chef innerlich verfluchend, schleppte ich die Flosse hinter den Sichtschutz, wo mich ein Bild erwartete, auf das ich gut hätte verzichten können. Miyoshi san war tatsächlich halbnackt und die einzige Kleidung, die er noch am Leib trug, waren dunkelgrüne Boxershorts.

Ich unterdrückte den Impuls, etwas sehr Gemeines zu sagen und legte die Flosse vor meinem Chef ab, ehe ich mich neben ihn hockte. „Gut zuhören, Mondkalb. Ich stecke gleich meine Füße in die Flosse und du ziehst, kapiert?“ „Ja, schon verstanden.“ gab ich leicht gereizt zurück und zog die Öffnung der Flosse auseinander, damit der andere leichter hineinkam. Dabei fiel mir etwas Seltsames auf und ich zögerte. „Was ist los, Mondkalb? Hast du schon wieder vergessen, was du zu tun hast?“ „Wie lustig. Nein, da drin glitzert etwas. Was ist das?“ Kurz entschlossen griff ich in die Flosse. Das hätte ich mal lieber gelassen. Ein plötzlicher, scharfer Schmerz durchzuckte meine Hand und sofort zog ich diese zurück. Ein langer Schnitt prangte auf meiner Handfläche und lautlos tropfte Blut auf den Boden. „Was zum...“ entfuhr es mir überrascht. Auch Miyoshi-san wirkte verwirrt, doch er fing sich fast sofort wieder. „Saitoh-san! Ich brauche eine Schere!“ rief er und schon war der Fotograf zur Stelle. Seine Augen weiteten sich überrascht, als er mich sah. „Kanagi-kun! Was ist passiert?“ „Nicht jetzt.“ kam es von dem Blonden. „Erst die Schere.“

Saitoh-san reichte ihm das Gewünschte und Miyoshi-san zerschnitt ohne zu zögern die Flosse. „Was ist das denn?“ keuchte der Fotograf, als mein Chef fertig war. Überall im Inneren der Flosse befanden sich… „Rasierklingen. Hätte das Mondkalb nicht aufgepasst, hätte ich mich schwer verletzen können.“ sagte der Blonde ruhig und seine Augen blieben an einer Klinge weiter oben hängen, an der frisches Blut schimmerte. „Wobei >aufgepasst< wohl nicht das richtige Wort ist. Wer hat auch gesagt, du sollst deinen Huf in die Flosse stecken?“ „Mach so weiter und ich breche dir wirklich die Nase, blöder Sack.“ gab ich zurück. Inzwischen schmerzte meine Hand ziemlich und ich verzog das Gesicht. „Komm mit.“ meinte Miyoshi-san etwas sanfter und stand auf. „Im Pausenraum befindet sich ein Erste-Hilfe-Kasten.“ „Tu mir einen Gefallen und zieh dir vorher wenigstens eine Hose an.“ „Ich werde inzwischen die anderen Kostüme überprüfen. Kanagi-kun, du solltest gleich zum Arzt, bevor der Schnitt sich entzündet.“ „In Ordnung.“ Zusammen mit meinem Chef ging ich zum Pausenraum und er nahm einen Koffer von der Wand. Ich streckte ihm die Hand hin und er verarztete sie gekonnt.

„Die Wunde sollte bis morgen verheilt sein. Aber trag den Verband noch eine Weile, damit niemand Verdacht schöpft.“ „Von mir aus. Ich werde aber trotzdem zum Arzt gehen. Nicht, dass ich noch eine Blutvergiftung...was wird das?“ Der Blonde war näher an mich herangetreten und ein seltsamer Ausdruck lag in seinem Gesicht. Er packte mich und zog mich dicht an sich. Gerade, als ich mich beschweren wollte, überkam mich der vertraute, stechende Schmerz am Hals, den ich inzwischen schon kannte und ich wimmerte leise, bevor ich mich an Miyoshi-sans Arm festklammerte. Nach einigen Momenten zog sich der andere zurück und leckte sich über die Lippen. „Wirklich sehr schmackhaft.“ war sein einziger Kommentar und ich widerstand dem Drang, ihm eine zu verpassen. „Reicht es dir nicht, dass meine Hand bereits blutet?“ „Ich kann es nicht ändern. Der Anblick von deinem Blut hat meinen Hunger geweckt.“ Ich ließ den Blonden los, welcher sich einfach umdrehte und in Richtung Tür schritt. „Nimm dir für heute frei. Und danke...Obi.“ Ich blieb wie vom Donner gerührt stehen und starrte meinem Chef hinterher, als dieser den Pausenraum verließ. Miyoshi-san hatte mich tatsächlich mit meinem Vornamen angesprochen.

Immer noch verdutzt, verließ ich etwas später meinen Arbeitsplatz und machte mich auf den Weg zum Arzt, welcher mir riet, meine Hand nicht zu stark zu belasten und in zwei Tagen noch einmal wiederzukommen, damit er die Möglichkeit einer Infektion ausschließen konnte. Da ich noch nicht nach Hause wollte, wo sowieso niemand war, fuhr ich in die Stadt und kaufte in einem Blumenladen einen Strauß weißer Lilien. Danach machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Es war eine Weile her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war, dennoch fand ich das Grab meines Vaters ohne Probleme und legte die Blumen dort ab, bevor ich ein kurzes Gebet in den Himmel schickte. Auch nach vier Jahren tat es weh, zu wissen, dass dieses Stück Granit das Einzige war, was von meinem Vater geblieben war. „Hallo, Vater. Ich hoffe, deine Seele hat Frieden gefunden. Ohne dich ist alles so anders. Mutter arbeitet wieder als Arzthelferin. Und ich...ich habe einen Ferienjob angenommen, um sie finanziell zu unterstützen. Der Job ist ganz okay und die Bezahlung angemessen, aber mein Chef ist eine absolute Pest. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich diesen selbstverliebten Angeber verabscheue.“ Ich hielt kurz inne, um mich zu sammeln, bevor ich weitersprach. „Ich wünschte, du wärst hier. Ich hätte dich in den letzten Tagen wirklich gebraucht...“ Mit aller Macht unterdrückte ich die Tränen, die mir wieder in die Augen schießen wollten, atmete einige Male tief durch und machte mich schließlich doch auf den Weg nach Hause.

Dort war immer noch keiner, aber meine Mutter würde bald Feierabend haben, weshalb ich mich entschied, uns Curry zu machen. Ich war fast fertig, als meine Mutter schließlich ankam. Sie freute sich sehr, dass ich für uns gekocht hatte, doch als sie meine verbundene Hand bemerkte, machte sie sich sofort Sorgen. Ich versicherte ihr, dass es schlimmer aussah, als es war und ich schon beim Arzt gewesen war. Das schien sie etwas zu beruhigen. Ich war froh darüber, denn sie wirkte ziemlich müde und ihre Stimme klang etwas heiser. Hoffentlich bekam sie keine Erkältung…

Mein Chef ist auch als Frau unausstehlich

Tatsächlich war von dem Schnitt in meiner Hand am nächsten Morgen kaum noch etwas zu sehen. Trotzdem legte ich einen neuen Verband an, bevor ich mich auf den Weg zur Arbeit machte. Als ich das Aufnahmestudio betrat, wurde ich bereits von Saitoh-san erwartet, der einen ernsten Eindruck machte. „Guten Morgen, Saitoh-san. Warum der ernste Blick? Ist etwas passiert?“ „Ah, Kanagi-kun. Guten Morgen. Ja, könnte man so sagen. Das hier wurde gestern in Miyoshi-sans Zimmer gefunden.“ Der Fotograf hielt mir einen vergammelten Shrimp hin und ich verzog das Gesicht, ehe ich mich abwandte. „Igitt. Das riecht ja grauenhaft.“ „Wir vermuten, dass das nicht das einzige war, was sich in Miyoshi-sans Zimmer befunden hat. Nun können wir nur hoffen, dass auch der Rest gefunden wird und sich der Gestank verzieht.“ Ich atmete innerlich auf, als ich das hörte. Das hieß, keiner wusste, dass diese Sache auf meinen Mist gewachsen war. „Ich mache mir Sorgen. Erst die Sache mit Miyoshi-sans Zimmer und dann die Sache mit den Rasierklingen. Glaubst du, jemand will ihm schaden?“ „Keine Ahnung. Hat denn jemand einen Grund, ihm zu schaden?“

„Mir würde da glatt jemand einfallen, Mondkalb.“ kam es von dem Blonden, der natürlich genau in diesem Moment an mir vorbeirauschte. „Genau, und dabei verletze ich mich gleich selber. Für wie dumm hältst du mich eigentlich?“ „Glaub mir, darauf willst du keine Antwort.“ „Du blöder...“ „Leg mal eine andere Platte auf. Langsam wird es langweilig.“ Schon war mein Chef hinter dem Sichtschutz verschwunden und Saitoh-san lächelte mir kurz zu. „Erstaunlich. Ihr beiden scheint euch angefreundet zu haben.“ „Wir scheinen was? Wie kommen Sie denn auf die Idee?“ „Weil Miyoshi-san es sonst niemals zulassen würde, dass ein Assistent ihn duzt oder ihn gar beleidigt.“ „Wenn, dann beleidigt er mich. Wer hat denn mit dem Mondkalb angefangen?“ „Hör auf, rumzuheulen und schwing lieber deinen Hintern hierher, Mondkalb. Ich bekomme das Kostüm nicht zu.“ Knurrend trat ich hinter den Sichtschutz – und bekam einen Lachanfall. „Wie siehst du denn aus?“ japste ich, während ich versuchte, nicht zu ersticken. Ein deutlich sichtbarer Rotschimmer zog sich über Miyoshi-sans Wangen, doch seine Augen glitzerten mordlustig, als er antwortete. „Hör sofort auf damit, Mondkalb. Du willst doch nicht, dass ich dich wirklich rausschmeiße, oder?“ Mühsam bekam ich mich wieder in den Griff. „Was denn? Das Kleid steht dir echt gut. Sind das Rüschen?“ „Ich warne dich. Noch ein blödes Wort und ich werde dich...“ „...mit Taschentüchern bewerfen? Ist ja gut. Du verstehst auch keinen Spaß, was?“ Anstatt sich die Mühe zu machen, mir zu antworten, drehte der Blonde sich um und ich zog den Reißverschluss des tiefroten Kleids zu. Passend zu dem Kleid trug Miyoshi-san schwarze, flache Schuhe und eine Perücke. Er sah tatsächlich wie eine Frau aus. Fehlten nur noch die Brüste und etwas Make-up. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, hörten wir die Stimme einer jungen Frau. „Miyoshi-san? Kann ich anfangen?“ „Ja, ich bin so weit fertig. Verzieh dich nach hinten, Mondkalb. Hinter diesem Ding ist es schon beengt genug, da musst du nicht auch noch im Weg stehen.“ „Du mich auch, Madame.“ gab ich trocken zurück und wartete mit Saitoh-san bei den Kameras, bis mein Chef fertig war und zu uns kam. Schön. Das war wirklich das erste Wort, das mir einfiel. Mit den nun rückenlangen, goldenen, gelockten Haaren, dem perfekt abgestimmten Make-up und dem Kleid, welches offenbar im Brustbereich ausgestopft worden war, sah Miyoshi-san großartig aus. Niemand wäre darauf gekommen, dass er ein Mann war. „Pass auf, dass dir die Augen nicht rausfallen, Mondkalb.“ meinte Miyoshi-san giftig und brachte mich damit wieder in die Realität zurück. „Und mach den Mund zu.“ „Du bist aber nicht sehr umgänglich. Benimmt sich so eine Dame?“ „Ich geb dir gleich Dame.“ fauchte der Blonde und ließ sich vor den Kameras auf einen reich verzierten Stuhl sinken. Bis zur Pause hielt ich mich zurück, obwohl mir noch sehr viel zum Aufzug meines Chefs eingefallen wäre. Als der Gong zur Pause ertönte, stand dieser sofort auf und verschwand hinter dem Sichtschutz.

Da ich ahnte, dass er wohl wieder meine Hilfe brauchen würde, ging ich ihm nach und bekam so mit, wie er sich die Perücke vom Kopf zog. „Wirklich schade.“ stichelte ich. „Als Frau hast du viel besser ausgesehen.“ „Sehr komisch. Ich lache dann später. Anstatt zu versuchen, witzig zu sein, kannst du das Kostüm lieber wieder öffnen.“ Leicht kichernd tat ich, was der Blonde verlangte, während er sich mit einem feuchten Lappen von dem Make-up befreite. Allerdings war er wohl stärker geschminkt als erwartet, denn nun zog sich ein bunter Farbstreifen über sein Gesicht. „Halt still, ich mach das.“ sagte ich seufzend und wusch den Lappen in einer Schüssel mit Wasser aus, die auf dem Boden stand. Behutsam fuhr ich Miyoshi-san dann wieder über das Gesicht. Dieser spannte sich an und schloss fest die Augen, sagte aber nichts, sondern wartete, bis ich fertig war. „Gut, das war alles.“ Sofort funkelten mich seine tiefblauen Augen an. „Das hätte ich auch alleine geschafft, Mondkalb.“ „Hat man ja gesehen. Wenn ich dir nicht geholfen hätte, würdest du wahrscheinlich immer noch aussehen wie ein Clown.“ „Du bist wirklich unglaublich nervtötend, weißt du das?“

„Gleichfalls. Ich lasse dich dann mal alleine. Eine Lady braucht schließlich ihren...hmpfh!“ Alles in mir schien zu versteinern. Warum...warum nur? Einmal mehr pressten sich die Lippen des Blonden auf meine und einmal mehr hatte mein Kopf sich entschieden, seinen Dienst vorläufig einzustellen. Warme Finger hielten mein Kinn fest, doch das wäre gar nicht nötig gewesen. Ich war auch so nicht in der Lage, mich zu bewegen. Ich kniff meine Augen zusammen und ließ des Kuss einfach über mich ergehen. Endlich lösten sich Miyoshi-sans Lippen von meinen, ich öffnete die Augen und sah, wie er grinste. „Dieser dumme Gesichtsausdruck passt echt gut zu dir, Mondkalb.“ Ich sagte nichts, sondern wirbelte einfach herum und flüchtete mich in den Pausenraum. Dort beschäftigte ich mich die restliche Pause damit, meine Faust gegen eine Wand zu donnern. Ernsthaft, was hatte dieser Trottel für ein Problem? Konnte er das nicht einfach mal bleiben lassen? Und warum zum Teufel hatte ich ihn nicht aufgehalten? Ich hätte ihn doch einfach nur von mir stoßen müssen! Schwer atmend ließ ich von der Wand ab und betrachtete gedankenverloren meine blutigen Knöchel. Warum endeten unsere Treffen eigentlich so gut wie immer damit, dass er mich entweder küsste oder mir in den Hals biss?

„Dieser verdammte Bastard!“ fluchte ich laut und schlug noch einmal heftig auf den Tisch. Warum musste mein Leben nur so seltsam verlaufen, seit ich den Blonden kannte? Nichts ergab mehr einen Sinn und das Schlimmste war, dass ich noch viereinhalb Wochen vor mir hatte. Ich atmete einige Male tief durch, bevor ich mich schließlich wieder zum Aufnahmestudio begab. Dort waren mehrere Personen bereits dabei, alles für die nächste Session vorzubereiten. Da ich anscheinend einmal nicht gebraucht wurde, um meinem Chef zu helfen, schaute ich den Arbeitern zu, bis diese ihr Werk vollendet hatten. „Wofür ist das alles?“ erkundigte ich mich bei Saitoh-san, doch es war nicht er, der mir antwortete. „Du würdest es wissen, wenn du mal in deinen Terminplaner schauen würdest, Mondkalb.“ Ich wandte mich Miyoshi-san zu, der nun eine Art Rüstung trug, an dessen Rücken sehr beeindruckende Engelsflügel befestigt waren und in einer Hand ein ziemlich echt aussehendes Schwert hielt. „Keiner hat dich gefragt, Schnösel.“ zischte ich wütend. „Außerdem trägst du das falsche Kostüm. Niemand, der bei klarem Verstand ist, wird dir die Engelsnummer abkaufen.“ „Was wohl bedeutet, dass sie bei dir wunderbar funktioniert.“ erwiderte der Blonde lässig. Durfte ich ihn umbringen? Ich wollte ihn so gerne umbringen. Er schrie geradezu danach.

Leider wurde auch dieser Plan vereitelt, da Miyoshi-san bereits vor dem Greenscreen Aufstellung genommen hatte und eine furchtbar kompliziert aussehende Vorrichtung verpasst bekam. „Alles klar, das war alles.“ „Gut. Miyoshi-san, bereit?“ „Natürlich.“ Saitoh-san gab zwei Männern ein Zeichen, die ein langes Seil in den Händen hielten und diese begannen zu ziehen. Sofort hob mein Chef vom Boden ab. Erst, als er bestimmt vier oder fünf Meter in der Luft hing, befestigten die beiden Helfer das Seil an einem starken Haken, der an der Wand befestigt war. „Ist das nicht gefährlich?“ fragte ich und Saitoh-san lächelte mir kurz flüchtig zu, bevor er etwas sagte. „Absolut nicht. Wir haben die Vorrichtung gestern sehr gründlich getestet.“ Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Miyoshi-san zu. „Fangen wir an.“ rief er und der Blonde nickte. Na, ob das gut ging?

Mein Chef ist manchmal wirklich merkwürdig

Den Kopf leicht nach oben geneigt, beobachtete ich Miyoshi-san, der buchstäblich am seidenen Faden hing. Dieser schien sich gar keine Sorgen zu machen, sondern wirkte eher gelangweilt. Nach einer halben Stunde wurde er wieder heruntergelassen, um etwas trinken zu können. „Hervorragend, Miyoshi-san. Wie fühlen Sie sich?“ „Alles in Ordnung.“ kam es undeutlich von diesem zurück, während er sich mit dem Handtuch das Gesicht abtupfte. „Allerdings kann ich ich nicht bestreiten, dass ich mich hier unten etwas wohler fühle.“ „Höhenangst?“ wollte ich gehässig wissen und der Blonde warf mir das Handtuch ins Gesicht. „Machen wir weiter.“ sagte er dann und schon wurde er wieder nach oben gezogen. Mistkerl, Mistkerl, Mistkerl… Moment, hatte ich nicht etwas gehört? Auch mein Chef schien es bemerkt zu haben, denn er runzelte kurz die Stirn. Doch er schien anzunehmen, dass es nur seine Einbildung gewesen war, denn schon war er wieder in Position gegangen. Ich hingegen horchte angespannt. Da, schon wieder! Das war doch eindeutig kein gutes Geräusch. Dann passierten urplötzlich mehrere Dinge gleichzeitig.

Mit einem hässlichen Knirschen riss das Seil, an dem Miyoshi-san hing und er begann zu fallen. „MIYOSHI-SAN!!“ Der Ausruf war von Saitoh-san gekommen, doch niemand schenkte ihm Beachtung. Im Gesicht des Blonden zeichneten sich Erstaunen und Angst. Wenn er auf dem Boden aufkommen würde, würde er sich garantiert etwas brechen. Ich handelte, ohne zu denken und stürmte hinter die Kameras. Es gelang mir noch, meine Hände nach oben zu strecken, als mein Chef auch schon seinen unfreiwilligen Flug beendete und mir direkt in die Arme fiel. Ich stürzte rücklings zu Boden und der Aufprall presste mir sämtliche Luft aus den Lungen. Um mich herum stoben Federn, Schritte kamen auf uns zu und ich spürte schnellen, flachen Atem an meinem Hals. Das Gewicht auf meinem Körper verschwand und ich konnte wieder frei atmen. „Miyoshi-san! Kanagi-kun! Alles in Ordnung?“ „Ja, mir fehlt nichts. Nur das Kostüm hat etwas abbekommen. Obi? Kannst du aufstehen?“ Stöhnend versuchte ich, mich aufzusetzen und verzog das Gesicht. „Ich glaube, ich habe mir eine Rippe geprellt.“

„Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert. Aber ich verstehe das nicht...gestern war doch alles in Ordnung.“ Langsam humpelte ich zu dem Haken, an dem das Seil festgemacht war und löste den Knoten. Als ich zu den anderen beiden zurückkehrte, hatten diese einen todernsten Blick. „Jemand hat das Seil angeschnitten.“ sagte Miyoshi-san und zeigte mir das Seil. An einer Stelle war es ausgefranst, als hätte sich jemand mit einem groben Messer darüber hergemacht. „Wie es aussieht, will mir tatsächlich jemand schaden.“ „Aber wer? Und warum geht diese Person so weit? Das mit dem Gestank ist ja noch verkraftbar, aber die Rasierklingen und jetzt das angeschnittene Seil sind wirklich keine Streiche mehr.“ stimmte Saitoh-san zu. „Das mit dem Gestank ist meine Schuld.“ Perplex schauten die beiden mich an. Okay, warum hatte ich das gerade gesagt? „Du hast die Sachen in meinem Zimmer versteckt?“ wollte mein Chef wissen und bei jedem Wort klang er wütender. Ich nickte mit gesenktem Kopf. „Aber warum?“ kam es nun von dem Fotografen. „Ich wollte Miyoshi-san einen Denkzettel verpassen.“ „Bist du auch für den Rest verantwortlich?“ fragte Miyoshi-san mit kalter Stimme. „Nein!“ erwiderte ich heftig und sah nun doch auf. „Außerdem...wenn ich etwas damit zu tun hätte, hätte ich doch wohl kaum meine Hand in die Flosse gesteckt oder dich aufgefangen und mir dabei das hier geholt.“ Ich zog mein Shirt hoch und Saitoh-san zog die Luft ein, als er den riesigen Bluterguss auf meiner Haut sah. Als er wieder etwas sagte, klang sein Tonfall etwas versöhnlicher. „Ich glaube Kanagi-kun. Und wir dürfen nicht vergessen, dass er gestern gar nicht hier war. Er hätte gar nicht die Möglichkeit gehabt, das Seil anzuschneiden.“ „Wenn du mir nicht glaubst, frag meine Mutter. Sie wird bestätigen, dass ich den ganzen Abend zu Hause war.“ Die Kälte verschwand aus den Augen des Blonden, dafür machte er jetzt einen strengen Eindruck. „Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich halte dich zwar für dämlich, aber selbst du bist wohl kaum so bescheuert. Trotzdem wird die Sache mit meinem Zimmer noch ein Nachspiel haben, Mondkalb.“

Geknickt ließ ich wieder den Kopf hängen. „Du wirst morgen nach der Arbeit alles einsammeln, was du versteckt hast. Und im Gegensatz zu den anderen kannst du ohne Schutzmaske arbeiten. Ich werde dich beaufsichtigen. Also denk ja nicht, dass du dich drücken kannst, verstanden?“ „Verstanden.“ gab ich kleinlaut zurück, ehe ich zusammenzuckte, als der Gong zur Pause ertönte. Vorsichtig machte ich mich auf den Weg zum Pausenraum und ließ mich dort auf einem Stuhl nieder. Mein Oberkörper schmerzte und jeder Atemzug hinterließ ein Stechen. Leise aufstöhnend presste ich mein Hand gegen meine Rippen. „Zieh das Shirt aus, Mondkalb.“ Ich drehte meinen Kopf zur Tür, an der natürlich Miyoshi-san stand. „Wie bitte? Das kannst du vergessen, Blödmann.“ „Jetzt mach schon. Oder ist es dir lieber, wenn ich es dir ausziehe?“ „Versuch es und ich breche dir mehr als nur die Nase.“ Mehr als widerwillig stand ich auf und entblößte mich vor meinem Chef, welcher sich vor mir aufbaute und seine Hand ausstreckte. Ich verspannte mich, als seine Finger behutsam über meine Rippen strichen und ab und an leicht zudrückten. Als er den Bluterguss erreichte, entfuhr mir ein leises Zischen. Unbeeindruckt fuhr der Blonde mit seiner Tätigkeit fort, bis er den Punkt erreicht hatte, der am schlimmsten weh tat und ich ihn automatisch am Handgelenk festhielt, um ihn zu stoppen. „Offenbar wirklich nur eine Prellung. Hättest du dir vorhin eine Rippe gebrochen, hättest du mir wohl spätestens jetzt eine reingehauen.“ meinte Miyoshi-san völlig ruhig. „Heißt das, ich habe meine Chance verpasst? Verdammt...“ Ich stockte, als ich den Blick bemerkte, mit dem der andere mich bedachte. „Wie wäre es, wenn du mal festlegst, wie du dich mir gegenüber verhältst? Dieses ewige Hin und her ist nämlich ziemlich anstrengend. Entweder bist du nervig, laut und aggressiv, oder du begibst dich in Gefahr, um mich zu schützen. Wie bist du wirklich?“ „Bilde dir bloß nichts ein, Angeber.“ antwortete ich und drückte den Blonden etwas von mir. „Das war alles nur Zufall. Hätte es im Inneren der Meerjungfrauenflosse nicht geglitzert, hätte ich nie hineingegriffen. Und das eben...mein Körper hat einfach reagiert. Ich habe rein instinktiv gehandelt. Und nur um das sicherzustellen: Ich kann dich nicht ausstehen.“

„Zufall, was?“ Miyoshi-san klang nachdenklich, doch sein spöttisches Lächeln wollte einfach nicht verschwinden. „Dann beantworte mir doch mal drei Fragen, Mondkalb. Warum hältst du immer noch mein Handgelenk fest? Warum kannst du mir seit einer Weile nicht mehr in die Augen sehen, ohne rot zu werden? Und warum hast du dich nie gewehrt, wenn ich dich geküsst habe?“ Ich erstarrte, völlig aus dem Konzept gebracht. Dann sammelte ich mich langsam wieder und ließ meinen Chef los. „Ich...ich...“ Dann wurde mir wieder bewusst, dass ich gerade halbnackt vor dem Blonden stand und ich wandte mich ab, um mich anzuziehen. „Was ist denn los, Mondkalb?“ ertönte die ruhige, kalte Stimme hinter mir. „Schaffst du es nicht, meine Fragen zu beantworten?“ Immer noch blieb ich stumm. Was war nur los mit mir? Wieso führte ich mich so komisch auf? Zwei Arme, die sich fest um meinen Oberkörper schlangen, ließen mich innehalten. Dieser...blöde...miese… verdammt, ich konnte mich nicht konzentrieren. „Fängst du etwa an, dich in mich zu verlieben?“ Okay, jetzt hatte Miyoshi-san wirklich den Verstand verloren. Entschieden befreite ich mich von meinem Chef und drehte mich zu ihm um. „Ich? Mich in dich verlieben? Auf gar keinen Fall, du dämliche Kakerlake. Wie kommst du auf die Idee, dass überhaupt jemand etwas so Dämliches freiwillig tun würde?“ „Intuition.“ erwiderte der andere völlig gelassen. „Hast du dir vorhin bei deinem Fall vielleicht den Kopf angeschlagen? Du redest nämlich völligen Blödsinn. Außerdem bist du ein selbstverliebter, unausstehlicher Trottel, der nur mit einem halbwegs guten Aussehen gesegnet ist.“ Der Blonde sagte nichts dazu, sondern schenkte mir nur sein übliches, herablassendes Lächeln, ehe er sich vorbeugte und mich küsste. Dieses Mal verweilte er mit seinen Lippen nur kurz auf meinen, bevor er sich wieder zurückzog. „Mal sehen, wie lange du dich noch selbst belügen kannst. Du machst nämlich gerade jeder Tomate Konkurrenz.“ Sprachlos und verdattert sah ich Miyoshi-san hinterher, welcher sich einfach von mir abgewandt hatte und nun in Richtung Tür schritt. „Übrigens, deine Pause ist in fünf Minuten um, Mondkalb. Und vergiss nicht, dass du morgen länger bleiben musst.“ Damit schritt er durch die Tür und ließ mich alleine zurück. Der Kerl hatte doch wirklich einen Schaden. Niemals würde ich mich ausgerechnet in jemanden wie den verlieben. Das kam überhaupt nicht in Frage. Was für ein dämlicher Idiot...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch etwas verwirrend, klärt sich aber alles auf. ^^ ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
...där! xD
Ich wünsche euch eine wundervolle Woche.

LG,
BloodyRubin Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Zebran20121
2017-11-30T12:20:22+00:00 30.11.2017 13:20
Also dieser Kerl besitzt die Soziale Kompetenz eines Serienmörders! Also praktisch gleich null! Diese Backpfeife hat er eigentlich schon lange verdient. Wie bescheuert kann mann sein um sowas zu sagen? ob er wohl gemerkt hat dass er über die stränge geschlagen hat?. Mann kann sich echt ewig über ihn aufregen.

LG Zebran
Antwort von:  BloodyRubin
30.11.2017 22:31
Ja, sein Taktgefühl ist wirklich ziemlich verkümmert. ^^
Aber die Ohrfeige hat geholfen. (etwas jedenfalls)
Wird aber später auch besser mit ihm.
LG,
BloodyRubin
Von:  Zebran20121
2017-11-09T11:48:44+00:00 09.11.2017 12:48
Na da hat sich der kerl sich aber was geleistet. Ich an seiner stelle hätte ihm sowas von eine gescheuert dass sein schädel zur seite fliegt. Bitte sorg dafur dass er einen weg findet Miyoshi eins aus zu wischen.

LG Zebran
Antwort von:  BloodyRubin
09.11.2017 13:33
Keine Sorge, Miyoshi wird noch seine Strafe kriegen. Wäre sonst auch mehr als unfair. ^^
Wird aber noch etwas dauern, da ich noch nicht so weit vorgeschrieben habe und ich Obi vorher noch etwas ärgern will. xD
LG,
BloodyRubin
Von:  Spitzbube67
2017-11-06T00:11:02+00:00 06.11.2017 01:11
Moin,
Nicht schlecht bis jetzt, gespannt wie es weitergeht?
Mfg
Spitzbube67
Antwort von:  BloodyRubin
06.11.2017 09:39
Vielen, lieben Dank. ^.^
Ich freue mich sehr, dass dir meine Geschichte bisher gefällt.
Ich werde diese Woche auf jeden Fall noch das nächste Kapitel hochladen.
Bis dahin wünsche ich dir noch eine schöne Woche.
LG,
BloodyRubin


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